Botschafter des Heils in Christo 1914

02/06/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger
Botschafter des Heils in Christo Inhaltsverzeichnis: 1914Seite
Betrachtungen über das Buch Nehemia1
Jeder, der diese Hoffnung zu ihm hat reinigt sich selbst12
gleichwie Er rein ist.
Gedanken14
aus einer Besprechung über die Feste Jehovas15
Die Morgen der Schrift24
Bald (Gedicht)28
Barmherzigenswerte Winke44
Abraham in 1. Mose 18 und 1970
Hingebung99
Es gibt ein Land (Gedicht)112
Es hat ja Christus einmal für Sünden gelitten."127
Endlos136
Kraft und Führung152
Nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade162
Bitte (Gedicht)182
Gottes liebende Sorge um die Seinigen190
Sehet zu, wie ihr höret."194
Betrachtungen über das Buch Esther 197, 285. 253. 281.197
Ruben und Simeon214
Mache dir zwei Trompeten von Silber."225
Levi und Juba241
Dan und Naphtali260
Wo sollen wir unser Licht leuchten lassen?274
Der Herr ist nahe."277
Gad und Aser289
Warum?302
Sicher in Jesu Hand (Gedicht)302
Issaschar und Sebulon323
Einsam und elend331
Zur Jahreswende (Gedicht)336

Botschafter des Heils in Christo

Zweiundsechszigster Jahrgang

Elberfeld – Verlag von R. Brockhaus

1914

Betrachtungen über das Buch Nehemia

Bibelstelle: Nehemia

Botschafter des Heils 1914 S. 1ff

Einleitung

Das Buch Nehemia schließt sich unmittelbar an das Buch Esra an. Es beginnt mit dem zwanzigsten Jahre Artasastas (Artaxerxes 1., Langhand), das heißt dreizehn Jahre nach der Ankunft Esras in Jerusalem (vergl. Esra 7, 7), in deren Folge die in den Kapiteln 7 ‑10 seines Buches erzählten Ereignisse sich abspielten. Während dieser dreizehn Jahre waren "die Entronnenen" „in großes Unglück und in Schmach" geraten. (Kap. 1, 2. 3). Allerdings war der Tempel wieder aufgebaut worden; aber da die Stadt noch nicht befestigt war, standen jene armen Entronnenen beständig in Gefahr, den Angriffen ihrer Feinde zu unterliegen, und dem Hause Gottes, dem Gegenstand ihrer Fürsorge, drohte eine neue Plünderung.

Der Bericht Nehemias umfasst einen Zeitraum von ungefähr zwölf Jahren. Sein Gegenstand ist ein anderer als der Gegenstand des Esra, und sein Bericht hat infolgedessen auch eine andere Tragweite. Im Buch Esra sahen wir, wie der Altar an seiner Stätte errichtet, die Grundlagen des Tempels gelegt und das Haus selbst gebaut wurde, und wie dann auf diese ganze Arbeit die Reinigung des Volkes hinsichtlich seiner unheiligen Verbindungen folgte. Der Gegenstand des Buches Esra ist also der Gottesdienst des Volkes Gottes nebst dem sittlichen Zustand, der diesen begleiten soll. Das Buch Nehemia dagegen unterrichtet uns über den Wiederaufbau der Mauern, Tore und Häuser Jerusalems. Stellt also Esra die Wiederherstellung Judas und Benjamins vom religiösen Gesichtspunkt aus dar, so spricht Nehemia von einem bürgerlichen Gesichtspunkt aus; welche Bedeutung diese Wiederherstellung für uns hat, werden wir im Laufe unserer Betrachtung sehen.

Im Buche Esra war ein Statthalter aus königlichem Geschlecht (Serubbabel) und ein Hohepriester (Jeschua) an die Spitze des Volkes gestellt, um es zu leiten; Propheten waren da, um es aufzuwecken, und ein Schriftgelehrter aus priesterlichem Geschlecht (Esra), um es zum Gesetz Moses zurückzurufen und es zu reinigen. Von diesem allem hören wir jetzt nichts. Wohl besitzt dieser Schriftgelehrte von seiten des Königs Obergewalt über die bürgerliche Macht, aber nur vermöge des Vertrauens, das sein Charakter einflößt (Kap. 7, 1‑5); und wenn er auch das Recht hat, diese Gewalt auszuüben, so sucht er sie doch nicht. Seine ganze Aufmerksamkeit, sein ganzer Eifer sind auf den geistlichen Zustand des Volkes gerichtet, dessen Mittelpunkt das Haus Gottes geworden ist.

Nehemia ist weder ein Mann von Rang noch von Ansehen; auch er wird, wie wir soeben von Esra gesagt haben, nur infolge des Vertrauens, das er dem König Artasasta einflößt, dessen Mundschenk er ist, in seine Obliegenheiten eingeführt. Nur auf Grund dieses Vertrauens, wenngleich unter der „guten Hand Gottes", der alles, selbst die Gesinnungen der Menschen, leitet, gibt der König ihm seinen Auftrag und verleiht ihm den Titel Tirsatha, d. h. Statthalter.

Der Charakter des Volkes war, wie wir im Buch Esra gesehen haben, zunächst der eines Oberrestes nach Gottes Gedanken. Dann, nach einiger Zeit der Entmutigung, kam sein Aufwachen und schließlich seine sittliche Wiederherstellung mittels der Schriften. Nehemia zeigt uns ein anderes Bild. Der Zustand des Volkes ist in jeder Hinsicht, innerlich wie äußerlich, viel niedriger geworden; auch scheint angesichts dieses Jammers der Widerstand des Feindes unüberwindlich geworden zu sein, um so mehr da seine Ränke sich vervielfältigt haben. Einem solchen Zustand konnte nur die Gnade Gottes abhelfen, und die Werkzeuge, die Er benutzte, mussten mit Geduld, Ausdauer und Energie ausgerüstet sein. Gerade das aber sind die Charakterzüge, die von Nehemia an den Tag gelegt werden.

Gehen wir nunmehr zur Betrachtung unseres Buches über.

Kapitel 1 - Die Sendung Nehemias

Nehemia befand ich in Susan am Hofe desselben persischen Königs, der auch Esra begünstigt hatte, als er von Babel nach Jerusalem hinaufzog. Von einem seiner Brüder und einigen Männern, die mit diesem von Juda gekommen waren, empfing er Nachrichten über die "Entronnenen", die in der Landschaft jenseits des Stromes (d. h. im Lande Israel) wohnten, mit Einzelheiten über den jammervollen Zustand der heiligen Stadt. Was er über das Elend und die Schmach des Volkes, über die Trümmer der Stadt mit ihren zerstörten Mauern hörte, erfüllte ihn mit tiefer Betrübnis. Der schwache Überrest im Lande stand nach seiner Wiederherstellung fortwährend in Gefahr, eine Beute seiner Feinde zu werden. Diese hatten sich geschworen, ihn zu vertilgen. Durch seine eigene Schuld war bis dahin noch nichts Dauerhaftes erbaut worden. Die Männer von Juda hatten in den vielen verflossenen Jahren nichts Nennenswertes getan. Ihre Energie war für einen Augenblick aufgeflammt, um sich vom Bösen zu reinigen, aber jetzt, wo es galt, sich davor zu schützen, fehlte sie. Esra hatte es ahnend ausgesprochen, dass die Wiederaufrichtung der Mauern Jerusalems die notwendige Folge der Erbauung des Tempels sein würde, vorausgesetzt dass das Volk auch weiterhin in dem Geiste der Erweckung wandeln würde (Esra 9, 9); aber das war nicht der Fall gewesen. Lange Jahre waren dahingegangen ohne irgend ein Ereignis, das von Tätigkeit oder erwachender Kraft Kunde gegeben hätte. Nichts als Not und Schmach in immer wachsender Ausdehnung!

Als Nehemia das hörte, demütigte er sich tief, gleich Esra und allen Männern Gottes in den Tagen des Verfalls: "Ich setzte mich hin und weinte und trug Leid Tage lang; ich fastete und betete vor dem Gott des Himmels" (V. 4); jedoch nicht wie Esra (Kap. 9) wegen einer tatsächlichen Sünde, sondern wegen des Jammers, in den das Volk durch seinen Mangel an Ausdauer und Gottvertrauen geraten war. Nehemia beginnt damit, dass er Gottes Treue gegen die, die Ihm gehorchen, anerkennt; dann bekennt er die Sünden Israels gegen Gott, ohne irgendwie seine eigenen Sünden und diejenigen des Hauses seines Vaters und ihren gemeinsamen Ungehorsam gegen Gottes Wort auszuschließen (V. 5‑7). Doch wenn Gott Drohungen ausgesprochen und zur Erfüllung gebracht hatte nach dem, was Er durch Mose gesagt hatte (5. Mose 28, 64), so hatte Er auch, für den Fall dass Sein Volk zum Gehorsam zurückkehren würde, Verheißungen gegeben: Er wolle es wieder sammeln und in den Besitz des Landes einführen (5. Mose 30, 1‑6).

Dann vertritt Nehemia die Sache des Volkes: sie waren jetzt Knechte Jehovas. Würde Gott sie verleugnen? Unmöglich. Auch er, Nehemia, war ein Knecht Jehovas. Wie sollte Gott nicht auf ihn hören? Nehemia machte das Volk im Dienst mit sich eins, indem er das Bewusstsein hat, dass es ihm obliegt, das Werk fortzusetzen; er hat den brennenden Wunsch dazu, da er sich in Gemeinschaft mit Gottes Willen weiß, in dem Augenblick wo Er diese Entronnenen Seines Volkes wiederhergestellt hat. Doch zugleich (und das findet man inmitten des Verfalls des Volkes bei allen Glaubensmännern, bei Serubbabel, Esra, Daniel und anderen) sucht Nehemia nicht sich dem Joche der Nationen zu entziehen, denn das würde heißen, der Untreue des Volkes Gottes nicht Rechnung zu tragen. Er bittet Jehova nur, "ihm Barmherzigkeit vor diesem Manne zu gewähren" (V. 11). So nennt er den König, wenn er zu Gott redet; denn fürwahr, was ist Artasasta anders für den höchsten Herrscher, der das Herz der Hohen und Mächtigen in einer Weise bildet, dass sie Seine Absichten ausführen müssen? Wenn er vor dem König steht, ändert Nehemia seine Sprache und ehrt ihn, wie es sich geziemt (Kap. 2, 3); vor Gott aber gibt er diesem allein Ehre und Macht,

Kapitel 2 ‑ 7- Der bürgerliche Zustand des Volkes

Kapitel 2 Nehemia reist nach Jerusalem und besichtigt die Stätten

Im Monat Nisan (das war der erste Monat, derselbe wie der Monat Abib, in dem das Passah gefeiert wurde; er bildete mit dem neunten Monat, Kislew, einen Teil des zwanzigsten Jahres der Regierung Artasastas) reichte Nehemia in seiner Stellung als Mundschenk dem König den Wein. Sein Gebet (Kap. 1, 11) wurde erhört, nachdem er ungefähr vier Monate lang Leid getragen hatte. Fasten und Traurigkeit hatten auf seinem Angesicht ihre Spuren zurückgelassen; doch man durfte vor dem König nicht mit einem traurigen Gesicht erscheinen (Dan 1, 10). Gott aber benutzte sogar diese Tatsache, um dem König Worte in den Mund zu. legen, die zur Bitte Nehemias Anlass geben mussten. Solche Wunder als Antwort auf unsere Gebete bilden einen Teil der täglichen Umstände unseres christlichen Lebens, und zwar so oft, dass wir kaum darauf achten. Wenn wir diese Dinge genau betrachten, so ist in den Wegen Gottes mit uns alles ein Wunder. Er wendet Gefahren ab, verschafft uns gewisse Begegnungen, verhindert andere, gibt uns Gelegenheiten, versperrt gewisse Wege; mit einem Wort, Seine Hand ist überall am Werk, um Seine Gnadenwege mit dem Treuen oder durch ihn auszuführen. So war es auch mit Nehemia: "Es ist nichts anderes als Traurigkeit des Herzens sagte der König zu ihm. Nehemia bringt zitternd, indem er vielleicht noch nicht die gewünschte Erhörung erkennt, seine Bitte vor, jedoch nicht ohne aufs neue innerlich zu dem Gott des Himmels*) zu beten, damit seine Worte mit Gottes Gedanken übereinstimmen mögen. Dann kommt er sofort auf die Trümmer der Stadt und ihre Tore: "Warum sollte mein Angesicht nicht traurig sein, da die Stadt, die Begräbnisstätte meiner Väter, wüst liegt, und ihre Tore vorn Feuer verzehrt sind" (V. 3)? Weiter bittet er nach Juda gehen zu dürfen, um Jerusalem wieder aufzubauen. "Wann wirst du zurückkehren"? fragte der König. Nehemia "bestimmte ihm eine Zeit", wahrscheinlich zwölf Jahre (Siehe Kap. 2, 1 und 13, 6).

Beachten wir hier einen wichtigen Unterschied zwischen Esra und Nehemia, der jedoch auf den zweiten dieser Gottesmänner keinen Tadel wirft. Bei Esra ist der Glaube allein in Tätigkeit: er schämt sich, von dem König eine Heeresmacht zu fordern, um ihm gegen den Feind auf dem Wege beizustehen (Esra 8, 22). Nehemia dagegen lässt sich dem Beistand der Landpfleger jenseits des Stromes empfehlen und widersetzt sich keineswegs dem seitens des Königs angeordneten Geleit von Heerobersten und Reitern (Kap. 2, 7. 9). Er erkennt die Unterstützung der beschirmenden Macht an, deren Diener er ist; nicht dass es ihm an Glauben gemangelt hätte, aber in den Zeiten des Unglücks offenbart sich dieser Glaube nicht immer mit der gleichen Einfalt. Nach der Fertigstellung des Tempels handelte es sich für Esra nur darum, Gaben zum Hause Jehova zu bringen. je wichtiger der ihm anvertraute Schatz war, je mehr war es nötig, der Welt zu zeigen, dass der Glaube sich auf Gott verließ betreffs der Hut dessen, was Ihm gehörte. Nichts dergleichen fand bei Nehemia statt. Hier handelte es sich weder um Gaben, noch um Schätze, noch darum, einige seiner Verantwortlichkeit anvertraute treue Leute zu beschirmen. Nehemia war allein; die Vollziehung seines Auftrages sollte erst bei seiner Ankunft in Jerusalem beginnen. Bis dahin hatte er seine Abhängigkeit von der heidnischen Macht anzuerkennen und sich darein zu fügen. Erst dann musste sich Seine Liebe zu, dem Werke des Herrn und seine Ausdauer zeigen in der Oberwindung all der Schwierigkeiten, die aus der außerordentlichen Schwachheit des Volkes und aus der Kraft seiner Feinde hervorgingen. Von diesem Augenblick an und im weiteren Verlauf der Erzählung werden wir sehen, wie diese Eigenschaften sich bei ihm offenbaren.

In der Provinz Judäa angelangt, kommt Nehemia sofort in Berührung mit den dem Volke Gottes feindlichen Anführern, Sanballat und Tobija. Die Namen der Feinde hatten sich verändert (vergl. Esra 5, 6), die Feindschaft war geblieben. So bleibt auch heute die Welt, wenn auch unter anderen Namen, immer die Welt, die vor beinahe zweitausend Jahren Christum gekreuzigt hat. Diese Feinde "verdross es gar sehr, dass ein Mensch gekommen war, um das Wohl der Kinder Israel zu suchen" (V. 10).

In Jerusalem dem Ziel seiner Reise angekommen, lag Nehemia zunächst daran, sich persönlich von den Ausdehnungen des Übels zu überzeugen. Er war mit den Heerobersten und Reitern des Königs von Persien nach Judäa gereist; sobald es sich aber uni das Werk handelt, hat er "nur das Tier bei sich, auf welchem er ritt", das heißt seine eigenen Hilfsmittel, und ist in nichts von denen abhängig, welche die Welt ihm hätte darbieten können. Hier zeigt sich sein Glaube . Jerusalem war dem Feinde gegenüber völlig schutzlos, und die Verwüstung war so groß, dass stellenweise nicht einmal Raum zum Durchkommen war für das Reittier Nehemias (V. 13 und 14 ). Das also war der Schauplatz, auf dein der Glaube sich offenbaren sollte. Wenn Gott uns ein Werk anvertraut, so haben wir nur mit Ihm Rat zu pflegen, und wir hängen, wie Nehemia, nicht von der Welt ab, auch nicht von „den Priestern und den Edlen und den Vorstehern" (V. 16); ein sehr wichtiger Grundsatz für alle, die der Herr aussendet, Erst nachdem Nehemia, allein unter dem Auge Gottes, von dein Übel im Einzelnen Kenntnis genommen hat, kann er, von seiner Sendung Überzeugt, das Volk zur Tätigkeit ermuntern, uni der Verwüstung abzuhelfen.

In den Versen 17 und 18 stellt er ihnen drei Beweggrunde vor, um sie aufzufordern, zu kommen und die Mauer Jerusalems wieder aufzubauen. Der erste ist jene große Verwüstung und das tiefe Unglück, in dem sie und die Stadt sich befanden. Der zweite: die Gnade Gottes, die ihn ermutigt hatte ‑ "die Hand meines Gottes ist gütig über mir gewesen". Der dritte: die Worte des Königs und seine Hilfsmittel, die selbst von Gott angeordnet waren, wie er in Vers 8 sagt: "Der König gab es mir, weil die gute Hand meines Gottes über mir war". Man sieht aus diesen Worten, dass Nehemia zu derselben geistlichen Familie gehörte wie Esra. Er rechnet auf Gott, und Gott rechtfertigte in Gnaden sein Vertrauen völlig (Siehe Esra 7, 6. 9. 28; 8, 22. 31). Nehemia konnte, wie später der Herr, "zeugen von dem, was er gesehen hatte" (Johannes 3, 11). Doch anstatt, wie der Heiland, Leute anzutreffen, die Sein Zeugnis nicht annahmen, fand er zu seiner Ermunterung Herzen, die von ihrem Bedürfnis und dem Gefühl ihrer Erniedrigung getrieben wurden, und er hatte die Freude, aus ihrem Munde die Worte zu hören: "Wir wollen uns aufmachen und bauen". Und dann "stärkten sie ihre Hände zum Guten". So war alles von Gott vorbereitet: einerseits das Werkzeug und andererseits Herzen, um dessen Ermunterungen und Ermahnungen anzunehmen.

Die Feinde, Sanballat, Tobija und Geschem, spotten über den kleinen, unbedeutenden Überrest und verachten ihn. Wie hätten sie, die Gott nicht kannten, auch denken können, dass furchtsame und kraftlose Wesen ein Werk verrichten würden das der menschliche Geist für unmöglich hielt? Doch damit begnügen sie sich nicht; sie suchen auch die, die nunmehr entschlossen sind, sich mit Entschiedenheit ans Werk zu begeben, in Furcht zu setzen. "Wollt ihr euch wider den König empören?" rufen sie. Aber nichts bewegt Nehemia. Er antwortet: "Der Gott des Himmels, er wird es uns gelingen lassen; und wir, seine Knechte, wollen uns aufmachen und bauen. Ihr aber habt weder Teil noch Recht, noch Gedächtnis in Jerusalem". Das ist der gleiche Grundsatz, der das Volk in Esra 4, 3 kennzeichnete. Wirklich, mag es sich darum handeln, den Tempel zu bauen oder die Mauern der Stadt wieder aufzurichten, dieser Grundsatz ändert sich nicht. Das Volk Gottes kann sich in keiner Weise mit der Welt verbinden, um das Werk Gottes zu tun, unter welcher Form sie sich auch darstellen möge.

Einer der vorherrschenden Charakterzüge des Buches Nehemia besteht darin, dass die Absonderung von allem Nichtjüdischen sorgfältig bestätigt und aufrecht gehalten wird, trotz der erschlafften Grundsätze einiger Männer. Die Worte: „Ihr habt weder Teil, noch Recht, noch Gedächtnis in Jerusalem", wurden durch das darauf folgende Verhalten des Volkes bekräftigt, und wenn es seinen Anführern in dieser Beziehung in Gewissen mangelte, so werden sie vor allen getadelt und beschämt (Siehe Kap. 9, 2; 10, 30; 13, 1. 3. 28. 30).

@@@@@@@@@@@@@@@@@

Jeder der diese Hoffnung zu Ihm hat reinigt sich selbst gleichwie Er rein ist

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 12ff

Übt die Hoffnung, den Herrn zu sehen und Ihm gleich zu sein, wenn Er kommt, einen wirklichen Einfluss auf das Leben eines Gläubigen aus, so dass er „sich selbst reinigt, gleichwie Er rein ist'', so wird ihm oft gesagt, er gehe zu weit. Die so urteilen, sind meist nicht ganz Ungläubige; es sind vielmehr solche, die sich zum Glauben bekennen, oder auch irdisch gesinnte Christen, die „wohl angesehen sein wollen im Fleische“. Diesen ist alles zuwider, was einen Menschen in Gegensatz stellt zu seinen Mitmenschen, auch dann wenn es ihn Christo ähnlicher macht. Indem man nicht gewillt ist, selbst so weit zu gehen in der Absonderung vom Bösen, stößt man sich an denen, die es tun.

Der treue, sich selbst reinigende Christ ist von anderen Gedanken beherrscht. Er fragt: „Ist es möglich, zu weit zu gehen? Spricht nicht das Wort Gottes davon, dass der Gläubige sich reinigt, gleichwie Er rein ist? Wird ein treuer Christ dem Herrn nur bis zu einem gewissen Punkte folgen und dann Halt machen? Nein“, sagt er, „weit davon entfernt zu denken, ich sei zu weit gegangen, ist es vielmehr mein Kummer, dass ich nicht treuer gewesen bin.“

Es kann nicht klar genug verstanden werden, dass der Christ, der nach Gleichförmigkeit mit Christo trachtet, keineswegs daran denkt, seine Brüder dadurch bloßzustellen. Er wünscht beim Lauf in der Rennbahn mit ihnen Gemeinschaft zu haben; wenn sie aber im Laufe zurückbleiben, so kann er nicht ihretwegen seine Schritte mäßigen, denn Christus und der Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben haben den Vorrang in seinem Herzen. So eilt er vorwärts, und indem er die Verherrlichung seines Herrn sucht, lässt er sich weder durch Vereinsamung auf dem Wege zurückhalten noch durch Missdeutung seiner Beweggründe seitens anderer.

Wenn das Herz ganz auf Christum gerichtet ist, so gibt man sich nicht mit etwas Halbem, Unvollkommenem zufrieden. Halbherzige Christen beruhigen sich damit, dass hier ja alles unvollkommen und schwach bleibe, und lassen sich nicht bewegen, sich aufzuraffen, um ,,die Heiligkeit zu vollenden in der Furcht Gottes''. Worte wie: „Seid heilig, denn ich bin heilig“, oder: „Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist'', scheinen nicht für sie geschrieben zu sein. Sie gebrauchen die himmlische Hoffnung dazu, der Lässigkeit Vorschub zu leisten und ihren Mangel an Selbstverleugnung und Trachten nach Seinem Wohlgefallen zu entschuldigen. Die Hoffnung, die doch ein Ansporn sein soll, machen sie zu einem Ruhekissen!

Ein Herz, das wirklich dem Herrn gehört, ist entschlossen, „der Heiligkeit nachzujagen“, sich selbst zu verleugnen, sich ganz verwenden zulassen für Ihn und Seine Sache. Es begehrt innig danach, in praktischer Beziehung mehr und mehr Seinem Bilde gleichgestaltet zu werden, zu Ihm hinan zu wachsen durch die Gnade Gottes. Ein solcher Christ ist nicht damit zufrieden, Christo so ungleichförmig zu bleiben, wie er es im Augenblick ist, sondern er strebt vorwärts von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag. Im Verfolgen seines Zieles benutzt er treu die Mittel, die der Herr ihm gegeben hat: Das Gebet und das Wort Gottes. In allem sucht er die Leitung und Erleuchtung des Geistes Gottes. Das Interesse, die Sache des Herrn, den er liebt, sind ihm teuer. Die Vermehrung der verstandesmäßigen Erkenntnis der Wahrheit, so sehr er sie schätzt und anstrebt, bedeutet für ihn doch nur das Eingangstor, durch welches er mit eifriger Freude schreitet, um in der Gegenwart des Herrn zu wellen und neue Herrlichkeiten in Ihm zu entdecken. Das Betrachten des Reinen und Heiligen, verbunden mit dem Bewusstsein: Bald werde ich Ihm gleich sein, denn ich werde Ihn sehen wie Er ist, weckt in dem Herzen mit immer stärkerer Gewalt das Verlangen, Ihm jetzt schon möglichst gleich zu sein, alles hinwegzutun, was Seiner Reinheit nicht entspricht. Und je länger und eifriger diese Betrachtung fortgesetzt wird, desto klarer und schärfer wird der Blick, sowohl für die Heiligkeit des Herrn als auch für den eigenen praktischen Zustand. Und Ihn unverrückt anschauend, wird man verwandelt in dasselbe Bild. Praktische Reinheit, Absonderung von allem Bösen und eine geheiligte, himmlische Gesinnung sind die gesegneten Folgen.

@@@@@@@@@@@@@

Gedanken

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 14ff

Vergiss nicht, dass in dem Maße, als dir mehr gegeben und anvertraut ist als anderen, auch mehr Fehler in deinem Wandel vorkommen werden, wenn du nicht nach dem Lichte wandelst, das du von Gott empfangen hast.

@@@@@@@@@@@@@@@

Aus einer Besprechung über die Feste Jehovas

Bibelstelle: 3. Mose 23

Botschafter des Heils 1914 S. 15ff

Gott stellt uns in dieser Reihe von Festen das heilige oder religiöse Jahr Israels vor Augen. Er benutzt es dazu, um uns zu zeigen, was der Endzweck all Seiner Gedanken und Wege mit Seinem erlösten Volke ist, nämlich: es teilnehmen zu lassen an Seiner Ruhe; wohingegen die Frage: „Wie kann der heilige Gott inmitten eines unheiligen Volkes wohnen?'' in dem Opfer, das am großen Versöhnungstage dargebracht wurde, ihre Beantwortung findet. (Vgl. 3. Mose 16.)

„Und Jehova redete zu Mose und sprach: Rede zu den Kindern Israel und sprich zu ihnen: Die Feste Jehovas, die ihr als heilige Versammlungen ausrufen sollt, meine Feste sind diese:

„Sechs Tage soll man Arbeit tun; aber am siebenten Tage ist ein Sabbat der Ruhe, eine heilige Versammlung; keinerlei Arbeit sollt ihr tun; es ist ein Sabbat dem Jehova in allen euren Wohnsitzen.'' (V. 1-3.)

Der Sabbat ist allen Festen vorangestellt; er zeigt, wohin die übrigen Feste führen — zur ewigen Sabbatruhe Gottes. Gott „ruhte am siebenten Tage von all Seinem Werk, das Er gemacht hatte'' (1.Mose 2, 2; Hebr. 4, 4). Adam, der erste Mensch, ist nicht in die Ruhe eingegangen, obschon gleich der erste Tag nach seiner Erschaffung ein Ruhetag war. Im Gegenteil, er hat durch seinen Ungehorsam die Ruhe unterbrochen. Gott ruht jetzt nicht mehr, sondern „Er wirkt'', wie der Herr Jesus in Joh. 5, 17 sagt. Später gab Gott Seinem Volke Israel beim Beginn der Wüstenreise den Sabbat (2. Mose 16, 23), zum Zeichen der Ruhe, in welche Er es führen wollte. Sein Angesicht ging mit dem Volke, und es hätte in Frieden dem gelobten Lande zupilgern können. Aber es war ungehorsam und widerspenstig, „ein Volk irrenden Herzens“. Sie erkannten die Wege Gottes nicht, so dass Er in Seinem Zorne schwur: „Wenn sie in meine Ruhe eingehen werden!“ (Ps. 95, 10. 11).

Weder Mose noch Josua hat das Volk in die Ruhe gebracht. Dennoch bleibt eine Sabbatruhe dem Volke Gottes aufgehoben (Hebr. 4), zu welcher Gott es durch Jesum, den wahren Josua, führen will. Gott wird am Ende der Tage in Seiner Gnade mit dem Volke Israel wieder in Verbindung treten. (Jetzt ist es Lo-Ammi: Nicht-mein-Volk.) Wenn das geschieht, wird Gott sagen: „Du bist mein Volk, und es wird sagen: mein Gott“ (Hos. 1, 9; 2, 23). Dann wird auch der Sabbat wieder gefeiert werden als der Tag, der mit der Schöpfung und mit einem irdischen Volke in Verbindung steht.

„Im ersten Monat, am vierzehnten des Monats, zwischen den zwei Abenden, ist Passah dem Jehova.“ (V. 5.) Das Passah ist die Grundlage der Beziehungen des Volkes zu Gott. Das Kreuz von Golgatha ist das Gegenbild davon. „Auch unser Passah, Christus, ist geschlachtet“ (1. Kor. 5, 7). Gott ist heilig, der Mensch ist ein Sünder. Infolge dessen kann eine Begegnung Gottes mit dem sündigen Menschen nur im Gericht stattfinden. Das Gericht, welches über Ägypten kam, musste notwendigerweise auch das Land Gosen treffen, wo die Israeliten wohnten. Denn sie waren, was ihren sittlichen Zustand anging, nicht besser als jene. Darum gab Gott Seinem Volke ein stellvertretendes Opfer. So kam das Gericht, welches Ägypten traf, über sie in dem Lamme, das jeder jüdische Hausvater für sich und sein Haus schlachten musste, und dessen Blut an die Pfosten und die Oberschwelle der Haustür gestrichen wurde. Gott hatte gesagt: „Wenn ich das Blut sehe, so werde ich vorübergehen“. Passah bedeutet „Vorübergehen“.

So ist es auch heute. Auch jetzt kann Gott an denen, die hinter dem Blute des Lammes Schutz suchen, vorübergehen. Das Gericht, welches wir verdient hatten, und das dereinst in furchtbarer Wucht über den unbekehrten Menschen kommen wird, ist über uns, die Gläubigen, in unserem Stellvertreter ergangen. Wir singen deshalb mit dankbarem Herzen:

Du gingst in den Tod,

littest Angst und Not;

Bist am Kreuz für uns gerichtet,

hast der Sünde Macht vernichtet.

Kein Gericht mehr droht,

Du gingst in den Tod.

Zugleich wurde durch das Gericht die erste Geschichte des Volkes beendet; etwas ganz Neues begann. „Dieser Monat soll euch der Anfang der Monate sein, er soll euch der erste sein von den Monaten des Jahres (2. Mose 12, 2). Der siebente Monat im bürgerlichen Jahre wurde der erste des heiligen Jahres. Gott sah fortan, bildlich gesprochen, ein ganz neues Volk vor sich; das alte war im Gericht beseitigt."

So ist auch das Kreuz das Ende des Menschen im Fleische und der Anfang einer neuen Schöpfung. Ohne den Tod Christi wären wir für ewig fern von Gott geblieben. „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein.“ Ein lebender Christus konnte uns nicht erretten. Darum schreibt der Apostel Paulus an die Korinther: „Daher kennen wir von nun an niemand nach dem Fleische; wenn wir aber auch Christum nach dem Fleische gekannt haben, so kennen wir Ihn doch jetzt nicht mehr also. Daher, wenn jemand in Christo ist, da ist eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, alles ist neu geworden“ (2. Kor. 5, 16. 17). Und an die Galater: „Weder Beschneidung noch Vorhaut ist etwas, sondern eine neue Schöpfung“ (Gal. 6, 15).

„Und am fünfzehnten Tage dieses Monats ist das Fest der ungesäuerten Brote dem Jehova; sieben Tage sollt ihr Ungesäuertes essen. Am ersten Tage soll euch eine heilige Versammlung sein, keinerlei Dienstarbeit sollt ihr tun. Und ihr sollt Jehova ein Feueropfer darbringen sieben Tage; am siebenten Tage ist eine heilige Versammlung, keinerlei Dienstarbeit sollt ihr tun“ (V. 6 - 8).

Wird uns im Passah ein neuer Anfang der Wege Gottes mit Seinem Volke gezeigt, so sehen wir in dem Feste der ungesäuerten Brote, dass Sein erlöstes Volk nun auch in Neuheit des Lebens wandeln soll (Vgl. Röm. 6, 4). Unser ganzes Leben soll Gott geweiht sein. Sauerteig ist in der Schrift immer ein Bild von etwas Bösem, von der Sünde. Sie soll in dem Gläubigen nie sich wirksam erweisen; er ist ihr gestorben. „Darum lasst uns Festfeier halten, nicht mit altem Sauerteig, auch nicht mit Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern mit ungesäuertem Brote der Lauterkeit und Wahrheit“ (1. Kor. 5, 8).

Während der ganzen Dauer des Festes, sieben Tage lang, musste das Volk dem Jehova Feueropfer lieblichen Geruchs darbringen: Brandopfer, Speisopfer und Trankopfer. (Vgl. 4. Mose 28, 16 - 25.) Der Wohlgeruch dieser Opfer sollte in all der Zeit zu Gott emporsteigen. Diese Opfer stellen uns Christum in Seiner völligen Hingabe an Gott im Leben und im Tode vor Augen. In demselben Maße, wie der Herr Jesus und Sein hingebender Dienst, Sein Gehorsam bis in den Tod am Kreuze, Sein Sich-Gott-opfern ohne Flecken durch den ewigen Geist (Hebr. 9, 14) während der Zeit unseres Erdenwallens Gegenstand unserer Herzen ist, werden wir fähig sein, nicht nur in Absonderung von jeder Art des Bösen unseren Weg zur Ehre Gottes zu gehen, sondern auch Ihm eine angenehme, wohlgefällige Anbetung, „die Speise eines Feueropfers lieblich en Geruchs“, darzubringen.

Während der sieben Tage des Festes durfte das Volk auch keine Dienstarbeit tun. Das will sagen: Gott möchte in unserem Leben und Dienst nichts Knechtisches sehen, sondern nur die freie, liebevolle Hingebung eines dankbaren Herzens. Wir haben ja auch nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, wiederum zur Furcht, sondern einen Geist der Sohnschaft, in welchem wir rufen: Abba, Vater! (Röm. 8, 15).

„Und Jehova redete zu Mose und sprach: Rede zu den Kindern Israel und sprich zu ihnen: Wenn ihr in das Land kommet, das ich euch gebe, und ihr seine Ernte erntet, so sollt ihr eine Garbe der Erstlinge eurer Ernte zu dem Priester bringen; und er soll die Garbe vor Jehova weben zum Wohlgefallen für euch; am anderen Tage nach dem Sabbat soll sie der Priester weben. Und ihr sollt an dem Tage, da ihr die Garbe webet, ein Lamm opfern ohne Fehl, einjährig, zum Brandopfer dem Jehova .... Und Brot und geröstete Körner und Gartenkorn sollt ihr nicht essen bis zu diesem selbigen Tage, bis ihr die Opfergabe eures Gottes gebracht habt'' (V. 9 - 14).

Wenn wir auch im Passah die herrlichen Ergebnisse des Werkes Christi vorgebildet sehen, so wird uns doch Sein Werk dort vornehmlich unter dem Gesichtspunkt gezeigt, dass Er für uns im Gericht gestanden hat und unserer Übertretungen wegen dahingegeben worden ist; wohingegen hier, in der Darbringung der Erstlingsgarbe, Christus als der Auferstandene vor unsere Blicke tritt. „Er ist unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden“ (Röm. 4, 25). Er ist „der Erstling der Entschlafenen“ (1. Kor. 15, 20). Am anderen Tage nach dem Sabbat, dem ersten der Woche, siegreich aus den Toten auferstanden, ist Er in die Gegenwart Gottes gegangen, um dort allezeit „zum Wohlgefallen für uns'' zu erscheinen. Gott hat uns „begnadigt in dem Geliebten“ (Eph. 1, 6). In Ihm und durch Ihn ist die ganze Ernte geweiht. Die Erstlingsgarbe und die nachfolgende Ernte sind von einer Art oder Gattung. „Denn sowohl Der, welcher heiligt, als auch die, welche geheiligt werden, sind alle von einem; um welcher Ursache willen Er sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen (Hebr. 2, 11).

Dieses Fest konnte nur im Lande gefeiert werden. In der Wüste gab es weder Saat noch Ernte. (Vgl. 5. Mose 26.) So kann auch heute nur der Christ die geistlichen Segnungen in den himmlischen Örtern genießen und Gott in Wahrheit dienen und Ihn anbeten, der in der Kraft der Auferstehung seinen Platz im Lande, d. h. in den himmlischen Örtern, einnimmt. Wenn es hier heißt: „Brot und geröstete Körner und Gartenkorn sollt ihr nicht essen, . . . bis ihr die Opfergabe eures Gottes gebracht habt“, so zeigt dies, dass die geistlichen Segnungen nicht eher gekannt und genossen werden konnten, „bis Christus auferstanden war. (Vgl. Joh. 20, 17;" 2. Tim. 1, 10 u. a. St.) Bei der Darbringung der Erstlingsgarbe wurde kein Sündopfer gebracht, weil Christus der Reine und Heilige war. Wie wäre hier ein Sündopfer am Platze gewesen? Wir hören nur von einem Brandopfer und dem zugehörigen Speisopfer. Im Brandopfer wird Christus vorbildlich als Der geschaut, der sich freiwillig, ohne Flecken, durch den ewigen Geist Gott geopfert hat, zur Verherrlichung Gottes und zur Erfüllung Seiner Ratschlüsse. Das Speisopfer stellt uns den Herrn in Seiner reinen, fleckenlosen Menschheit vor, in Seinem Leben des Gehorsams und der Hingebung bis in den Tod.

„Und ihr sollt euch zählen vom anderen Tage nach dem Sabbat, von dem Tage, da ihr die Webegarbe gebracht habt: es sollen sieben volle Wochen sein. Bis zum anderen Tage nach dem siebenten Sabbat sollt ihr fünfzig Tage zählen; und ihr sollt Jehova ein neues Speisopfer darbringen. Aus euren Wohnungen sollt ihr Webe-Brote bringen, zwei von zwei Zehnteln Feinmehl sollen es sein, gesäuert sollen sie gebacken werden, als Erstlinge dem Jehova. Und ihr sollt zu dem Brote darbringen sieben einjährige Lämmer ohne Fehl . . . ein Feueropfer lieblichen Geruchs dem Jehova. Und ihr sollt einen Ziegenbock zum Sündopfer opfern und zwei einjährige Lämmer zum Friedensopfer. Und der Priester soll sie weben samt dem Brote der Erstlinge als Webopfer vor Jehova, samt den zwei Lämmern, sie sollen Jehova heilig sein für den Priester“ (V. 15 - 20).

Das Fest der Erstlinge oder „das Wochenfest“, wie es auch genannt wird, war das wohlbekannte Vorbild des Pfingstfestes. Die beiden Brote der Erstlinge stellen die Kirche dar, geheiligt durch den Heiligen Geist. Der Heilige Geist kam fünfzig Tage nach der Darbringung der Erstlingsgarbe, d. h. nach der Auferstehung des Herrn, hernieder, um aus Juden und Heiden (zwei Brote) die Kirche zu sammeln. So wird Gott jetzt ein neues Speisopfer dargebracht. Die Gläubigen der Jetztzeit sind „eine gewisse Erstlingsfrucht Seiner Geschöpfe“ (Jak. 1, 18). Sie haben „die Erstlinge des Geistes“ (Röm. 8, 23). Die Brote der Erstlinge wurden mit Sauerteig gebacken, in Erinnerung daran, dass die Sünde noch in denen ist, die der Kirche hinzugefügt werden. Dennoch wurden die Brote als ein wohlgefälliges Speisopfer Jehova dargebracht, wenn auch nicht zum lieblichen Geruch aus dem Altar geräuchert, wie in Kap. 2, 12. Mit der Darbringung der Erstlingsbrote war aber ein Sündopfer verbunden — wiederum ein Hinweis auf die Vorsorge Gottes hinsichtlich der Sünde, die noch in uns ist. Andererseits ist zu beachten, dass, wenn Brot einmal gebacken, durchs Feuer gegangen ist, der Sauerteig die Eigenschaft des Wirkens und Durchdringens verloren hat. So hat Gott die Sünde, die alte Natur, in dem Gläubigen gerichtet, und der Gläubige darf sich nunmehr der Sünde für tot halten, Gott aber lebend in Christo Jesu. (Röm. 6, 11.) „Die Sünde wird nicht über euch herrschen, denn ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade“ (Röm. 6, 14). Das Brandopfer mit seinen Speis- und Trankopfern — ein Feueropfer lieblichen Geruchs dem Jehova (s. V. 18), beweist, dass nicht nur die Sünde gerichtet ist, sondern dass auch der Gläubige, wie die Kirche überhaupt, in dem ganzen Wert und der Kostbarkeit des Wohlgeruchs des Opfers Christi steht.

„Und ihr sollt an diesem selbigen Tage einen Ruf ergehen lassen — eine heilige Versammlung soll euch sein; keinerlei Dienstarbeit sollt ihr tun“ (V. 21). Gott hat den Ruf der Gnade vom Pfingsttage bis heute überallhin ergehen lassen. Wer, diesem Rufe folgend, kommt, wird der Versammlung oder Kirche hinzugefügt. Alle, die heute glauben, bilden jene „gewisse Erstlingsfrucht Seiner Geschöpfe“. Auch hier ist jede Dienstarbeit ausgeschlossen. Diese Sammlung ist allein das Werk Gottes und eine Folge der Wirksamkeit des Heiligen Geistes. In Übereinstimmung damit lesen wir: „Dem aber, der nicht wirkt, sondern an Den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet“ (Röm. 4, 5).

„Und wenn ihr die Ernte eures Landes erntet, sollst du den Rand deines Feldes nicht gänzlich abernten, und sollst keine Nachlese deiner Ernte halten;" für den Armen und für den Fremdling sollst du sie lassen“ (V. 22).

Diese Verordnung redet in geistlichem Sinne davon, dass Gott auch nach der Aufnahme der Kirche noch ein Zeugnis auf der Erde haben wird, und zeigt die Vorsorge Gottes für die Nationen — den Armen und den Fremdling. „Dieses Evangelium des Reiches wird gepredigt werden aus dem ganzen Erdkreis, allen Nationen zu einem Zeugnis, und dann wird das Ende kommen“ (Matth. 24, 14).

@@@@@@@

Die Morgen der Schrift

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 24ff

In der Heiligen Schrift begegnen wir verschiedenen Morgen oder Kindheitszeiten, wenn ich mich so ausdrücken darf.

Die Schöpfung war ohne alle Frage ein solcher Morgen. Sie war der Geburtstag der Werke Gottes, der Morgen der Zeit. Und als in jener Stunde die Erde in ihre Grundfesten eingesenkt wurde, da „jubelten die Morgensterne miteinander“, wie wir im Buche Hiob lesen.

Der Auszug aus Ägypten war wieder ein solcher Morgen. Israel wurde da gleichsam als Volk geboren. „Als Israel jung war, da liebte ich es, und aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen“, sagt der Herr durch den Mund des Propheten Hosea. Das Jahr begann damals von neuem, wie wenn es neu geboren worden wäre. Der Monat des Auszugs wurde der Anfang der Monate. Leben aus dem Tode, ein Auferstehungsmorgen, wurde in dem Gesang am Ufer des Roten Meeres gefeiert.

Die Geburt des Herrn war ein dritter Morgen. Dieses Ereignis ging über der Welt auf wie das Licht des Morgens. Eine lange, finstere Nacht war vorhergegangen. Israel lag im Staube. Zeichen gab es nicht. Die Stimme des letzten der Propheten war seit Jahrhunderten verstummt. Keine Urim und Thummim, keine Aussprüche oder Antworten von Gott, keine Herrlichkeit im Tempel! Nichts unterschied die heilige Stadt, den einstigen Wohnsitz Gottes auf Erden, von anderen Städten, es sei denn dies, dass ein Engel von Zeit zu Zeit vom Himmel herabstieg und das Wasser im Teiche Bethesda bewegte. Aber die Geburt des Herrn Jesu verkündete laut, dass die lange, trübe Nacht einem hellen, freundlichen Morgen Platz gemacht habe. Der Himmel jubelte, gleich den Söhnen Gottes bei der Schöpfung. Engel, die in der früheren Geschichte Israels so wohlbekannt gewesen waren, erschienen wieder. Die Gnade, die zur Zeit der Patriarchen gewirkt hatte, entfaltete sich von neuem. Verheißungen, die einst dem Abraham und David gegeben worden waren, werden angeführt. Und das in Bethlehem geborene Kind wird von dem Seher Gottes willkommen geheißen als „der Aufgang aus der Höhe“, der Sonnenaufgang (Luk. 1 u. 2).

Die Auferstehung des Herrn war auch ein neuer Morgen. Er folgte der düstersten Nacht, die jemals ihre Schwingen über diese Schöpfung deckte. Aber es war in der Tat ein lichter Morgen, das Unterpfand, der Vorbote eines ewigen Tages — die Umwandlung von Todesschatten in glänzendes Morgenlicht. Es war „in der Dämmerung des ersten Wochentages“, dass dieses große Geheimnis sich enthüllte (Matth. 28).

Das Reich wird wieder ein Morgen sein — Tag nach Nacht, der Tag Christi nach der Nacht der Sünde und des Todes, die Welt Christi nach der Welt des Menschen. Von diesem Tage und Dem, der ihn einführt, sagt der Fels Israels: „Ein Herrscher unter den Menschen, gerecht, ein Herrscher in Gottesfurcht. Und Er wird sein wie das Licht des Morgens, wenn die Sonne aufgeht, ein Morgen ohne Wolken: von ihrem Glanze nach dem Regen sprosst das Grün aus der Erde“ (2. Sam. 23).

Der neue Himmel und die neue Erde sind der letzte dieser Morgen — die Schöpfung bei ihrer zweiten Geburt. „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde'', sagt der Prophet Johannes, „denn der erste Himmel und die erste Erde waren vergangen.“ Diese neue Schöpfung wird die Wohnstätte der Gerechtigkeit genannt, der Schauplatz, wo ,“Gott alles in allem“ sein wird.

Ist es nicht lieblich, beim Durchschreiten der Zeitalter, welche die Schriften umfassen, so einen Morgen nach dem anderen vor unseren Blicken erstehen zu sehen?

Aber es gibt noch eine andere Seite unseres Gegenstandes, die wir nicht unbeachtet lassen dürfen, und das ist diese: wieder und wieder hat der Mensch Gottes Morgen in Todesschatten umgewandelt. Die Erde, die so frisch und schön aus Gottes Schöpferhand hervorgegangen war, gestaltete er schnell zu einer Wüste mit Dornen und Disteln. Der Boden, der in seiner Morgenstunde Zeuge der Freude des Herrn über ihn und Zeuge Seines Segens gewesen war, wurde verflucht. Israel, das an den Ufern des Schilfmeeres sein Auferstehungslied angestimmt hatte, wurde ein Gefangener in den Kerkern Babels, und das Land der Herrlichkeit wurde zertreten von dem Fuße der unbeschnittenen Bedränger. Die Sonne, die an dem Morgen von Bethlehem über der Welt emporstieg als ihr Licht und über Israel als das Unterpfand eines neuen Tages, ging unter in der Nacht von Golgatha; denn der Mensch war ein Sünder und verwarf seinen Herrn und Heiland. Derselbe hochgelobte Jesus, der ein zweites Mal über der Welt und über Israel erstand als Leben aus den Toten, der für uns Licht und Leben für alle Ewigkeit mit sich brachte, muss heute die weithin sich streckenden Abendschatten der Christenheit sehen, die bald in die Mitternacht der Gerichte der Offenbarung übergehen werden. Das Reich, welches wie das Licht eines „Morgens ohne Wolken'' anbrechen wird, endet in dem großen Abfall von Gog und Magog, in dem Gericht der Toten und dem Entfliehen von Himmel und Erde vor den Augen Dessen, der auf dem großen weißen Throne sitzt.

Doch dem Morgen des neuen Himmels und der neuen Erde kann der Mensch nichts anhaben. Ihn wird Gott für immer und ewig in seiner ersten Schönheit und Frische erhalten. Da wird es keine Abendschatten menschlichen Verderbens oder menschlicher Empörung geben, kein Gericht wird ihm ein Ende machen. Niemals wird die Sonne dieses einzigen ewigen Tages untergehen.

Teurer Leser! Was sind das für Bilder, die so an unserem geistigen Auge vorüberziehen! Wieder und wieder beginnt Gott Seine Fundamente zu legen, gleichsam in der ersten tauigen Frische des Morgens und wieder und wieder wandelt der Mensch den Morgen Gottes in Todesschatten um. Aber Gott kann nicht im Dunkel wohnen. Er ist nicht der Gott der Toten, sondern der Lebendigen, und darum wird Er, mag der Mensch auch immer von neuem den Schauplatz Seines Wirkens in Dunkelheit hüllen, Seine Herrlichkeit aufrecht halten und Seine Freude sicherstellen; und wie Er einst, in der Morgenstunde der ersten Schöpfung, Licht aus der Finsternis leuchten hieß, so wird Er den Morgen der zweiten Schöpfung in unveränderlicher Schönheit erhalten, und wird ruhen, und wir mit Ihm, inmitten der Herrlichkeiten dieser neuen Schöpfung non Ewigkeit zu Ewigkeit.

@@@@@@@@@@@@@@

Bald

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 28ff

Bald lösen wir die Wüstenschuhe

und legen Stab und Gurt beiseit’,

schon lieget uns das Land der Ruhe,

der Reise herrlich Ziel bereit.

Noch ein gar Kleines — was im Spiegel

bisher wir sah’n, ist dann enthüllt,

gebrochen ist der Zukunft Siegel

und unsres Herzens Wunsch erfüllt.

@@@@@@@@@@@@@@@

Betrachtungen über das Buch Nehemia

Bibelstelle: Nehemia 3

Botschafter des Heils 1914 S. 29ff

Kapitel 3 - Die Mauer S 29

Bevor wir zur Betrachtung dieses Kapitels im einzelnen übergehen, lasst uns einen Augenblick die Frage behandeln, was das Aufrichten der Mauer für uns bedeutet, wie wir auch im Buche Esra die vorbildliche Bedeutung der Wiederherstellung des Tempels uns klarzumachen gesucht haben.

Der Christ ist berufen, und es ist eine hohe Berufung, an der Auferbauung der Versammlung zu arbeiten, Material zum Hause Gottes herbeizuschaffen und auf der Grundlage, welche Christus ist, zu bauen (1.Korinther 3, 10 ‑ 16); doch es gibt noch eine andere Pflicht und das ist die Wiederaufrichtung der Mauern der heiligen Stadt.

Die Mauern bilden einerseits eine Absonderung von denen, die draußen sind, und andererseits eine Schutzwehr gegen die Angriffe des Feindes. Sie umgeben und umschließen die Stadt und dienen dazu, sie zu einem Ganzen zu gestalten. Auf diese Weise wird sie zu einer Verwaltungseinheit, die ihre eigenen Gesetze und Gewohnheiten, sowie ihre eigene Verwaltung hat und, abgesondert von fremden Elementen und vor jeder Vermengung geschützt, sich selbst genug ist. In Jerusalem schlossen die Mauern zugleich den Tempel Gottes ein und beschützten das Heiligtum.

Die Mauern sind auch, wie wir eben gesagt haben, ein Verteidigungsmittel: sie wehren den Ansturm des Feindes ab und dienen zur Sicherheit der Bürger der Stadt. Wenn wir dies auf die Umstände unserer Tage anwenden, so erkennen wir die Bedeutung leicht. Die Stadt Gottes, Sein Wohnort, die Versammlung (Gemeinde), ist durch unsere Schuld in Verfall geraten und für die Augen der Menschen unsichtbar geworden. Müssen wir sie diesem Zustand der Zerstörung überlassen? Keineswegs. ‑ Wenn wir das Verständnis eines Nehemia haben, werden wir begreifen, dass es dringend nötig ist, die Bürger der himmlischen Stadt zusammenzubringen, an ihrer sichtbaren Einheit zu arbeiten, obwohl wir sehr gut wissen, dass diese Einheit nur noch in Gottes Ratschlüssen besteht. Wenn Nehemia hätte warten wollen, bis alle in Persien, Medien und der Provinz Babel zerstreuten Bewohner Jerusalems ihren Wohnsitz wieder in der Stadt eingenommen hätten, um dann erst mit dem Bauen der Mauer zu beginnen, so würde seine Mission vergeblich gewesen sein, er würde kein Feld für seine Tätigkeit gefunden haben. Nachdem aber die Stadt einmal umschlossen war, ließ Gott sie, wie wir sehen werden, nicht leer bleiben; Sein Geist vermochte den Eifer zu erwecken, der in schwachem Maße den durch die Abwesenheit Vieler leeren Raum auszufüllen suchte.

Bei dem Ansturm, den die Welt unter der Leitung Satans ausführt, um die treuen aus ihrem Wohnort Gezogenen zu verhindern, fest für Christum dazustehen, werden wir auch verstehen, dass wir schon zu ihrem Schutz die Mauer bauen müssen. Diese Mauer ist Christus, ist Gott, ist Sein Wort, das Wort des Heils und des Lobes (Sacharja 2, 5; Jeremia 15, 20; Jesaja 60, 18; 26, 1); das sind die einzigen Sicherheiten, die den Kindern Gottes angeboten sind und zur Verfügung stehen. Schließlich werden wir verstehen, dass es die Pflicht eines jeden Dieners Gottes ist, die Familie des Glaubens, die Mitbürger der Heiligen, von jedem Bösen abzusondern, unter welcher Form es sich auch zeigen mag: persönlich oder gemeinsam, in sittlicher Beziehung oder in der Lehre, religiös oder weltlich, fleischlich und irdisch, damit die Familie des Glaubens den Augen der Welt sichtbar sei und von ihr erkannt werden könne.

"Wir wollen uns aufmachen und bauen", sagt das Volk. Lasst uns nicht von der Unmöglichkeit der Aufgabe reden. Unmöglichkeiten gibts nur bei den Menschen, nicht bei Gott. Und wären wir nur zwei oder drei Treue, die damit beschäftigt sind, "ihrem Hause gegenüber zu bauen", Gott wird es gutheißen, und Seine Hand wird über uns sein.

Jedoch besteht unsere Arbeit nicht nur darin, die Mauer wieder aufzurichten, wir müssen uns auch mit den Toren beschäftigen. Der Feind wusste wohl, was er tat, indem er "die Tore Jerusalems mit Feuer verbrannte" (Kap 2, 3. 13. 17). Geradeso wie die Mauer, ja mehr als diese, sind die Tore einer Stadt von hervorragender Wichtigkeit. Sie können geöffnet sein, um die Bewohner der Stadt frei aus‑ und eingehen zu lassen, aber auch, um jedes fremde, schuldige, ansteckende oder verbrecherische Element, das sich innerhalb der Tore niederlassen möchte, hinaustun zu können. Nachts werden sie geschlossen, damit die Bürger nicht etwa in der Stunde der Gefahr die Stadt verlassen, zugleich aber auch, um nichts hereinkommen zu lassen, was den Gesetzen der Stadt zuwider ist, und vor allem um zu verhindern, dass Verräter eindringen, die etwa eine Nachlässigkeit in der Überwachung der Stadt benützen und die Stadt dem Feinde öffnen könnten.

Ebenso hat auch die Stadt, die Gott gemäß ist, Tore, durch welche die Welt und ihre Lust, lügnerische und ketzerische Lehren, falsche Brüder usw. sich einschleichen oder zurückgewiesen werden können, und die andererseits weit geöffnet sind für alles, was Gott, Christo und Seinem Worte angehört.

Ach! wenn wir, wie Nehemia, einen Rundgang durch die Trümmer machen, finden wir in dem großen Hause, das den Narren Christi trägt, von diesem allem keine Spur mehr. Doch lasst uns nicht den Mut verlieren. Wenn es uns am Herzen liegt, die Mauern wiederaufzurichten, so lasst uns auch mit der Wiederherstellung der Tore uns beschäftigen, und die gute Hand unseres Gottes wird über uns sein. Lasst uns nicht ausruhen, sondern einander zur Arbeit ermuntern. Unser Tun ‑ wird nur schwach und unvollkommen sein, aber vergessen wir nicht, dass Gott es anerkennt und an dessen Stelle eines Tages Sein Werk setzen wird in dem neuen Jerusalem, dessen Tore bei Tage nicht geschlossen werden sollen, denn Nacht wird daselbst nicht sein.... Und nicht wird in sie eingehen irgend etwas Gemeines und was Gräuel und Lüge tut, sondern nur die geschrieben sind in dem Buche des Lebens des Lammes" (Offb. 21, 25 ‑ 27). "Glückselig, die ihre Kleider waschen, damit sie . . . durch die Tore in die Stadt eingehen! Draußen sind die Hunde und die Zauberer und die Hurer und die Mörder und die Götzendiener und jeder, der die Lüge liebt und tut" (Offb. 22, 14. 15).

Diese wenigen einleitenden Worte werden uns behilflich sein bei der Untersuchung der Einzelheiten des vorliegenden Kapitels und seiner vorbildlichen Bedeutung für uns. Er besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil handelt von dem Wiederaufbau der Mauer um Jerusalern (V. 1‑15), der zweite Teil von diesem Wiederaufbau in Verbindung mit der "Stadt Davids" und dem Tempel.

Unter dem Antrieb eines Mannes des Glaubens, oder vielmehr unter der kraftvollen Wirkung des Heiligen Geistes, der durch diesen Mann redete, machten groß und klein sich ans Werk und zeigten viel Mut, die Arbeit anzugreifen.

Wie sich von selbst versteht, begegnen wir an erster Stelle dem geistlichen Führer des Volkes, Eljaschib , dem Hohenpriester, und seinen Brüdern, den Priestern. "Sie machten sich auf und bauten das Schaftor; sie heiligten es und setzten seine Flügel ein. Und sie heiligten es bis an den Turm Mea, bis an den Turm Hananel" (V. 1). Auf den ersten Blick scheint die Ausdehnung und die Ausführung ihres Werkes nichts zu wünschen übrigzulassen. Das Schaftor war das dem Tempel nach Norden hin am nächsten liegende. Der Teil der wiederaufgebauten Mauer enthielt zwei Türme, als besonders wichtige und schwierige Arbeiten. Das Schaftor selbst war mit zwei Türflügeln versehen, aber es fehlten daran die Klammern und die Riegel. So war dieser Eingang Jerusalems von vorneherein gegen Eindringlinge nicht wohl verwahrt. Hatte Eljaschib ein besonderes Interesse hieran? Er war mit Tobija, dem Ammoniter, einem der drei großen Widersacher des Volkes Gottes, verbunden und hatte ihm sogar eine Zelle im Vorhof des Tempels eingerichtet (Kap. 13, 5. 7)! Ein Enkel desselben Eljaschib war Schwiegersohn des zweiten großen Widersachers der luden, Sanballats, des Horoniters. Handelte Eljaschib nicht nach Treue und Glauben? Wer kann es sagen? jedenfalls aber ist das Eine gewiss, dass die Verbindung mit der Welt durch die Tatsache, dass wir geneigt sind, sie zu schonen, unserem Werke den Stempel des Unvollendetseins aufdrückt, woraus der Feind bei Gelegenheit Nutzen zieht. Diese Nachlässigkeit wiegt umso schwerer, wenn der Arbeiter, wie hier, mehr im Vordergrunde steht. Und dennoch war es die rechte Arbeit, ja, eine Arbeit von großer Bedeutung, weil sie bis dicht an das Haus Gottes heranreichte, eine Arbeit, die Gottes Beachtung fand, die aber, wenn nicht durch die Wachsamkeit Nehemias dafür Sorge getragen worden wäre, die Tür für einen schnellen und unheilbaren Verfall offen gelassen hätte.

Zur Seite der Priester bauten die Männer von Jericho (V. 2). Sie waren aus ihrer Stadt heraufgekommen (vergl. Esra 2, 34; Nehemia 7, 36), in der Absicht, ihren Brüdern von Jerusalem zu helfen. Ihre Arbeit hat kein Ansehen; sie bauen weder Tor noch Turm, aber sie tragen zur Verteidigung der Stadt gegen das Böse von außerhalb bei. Ein Teil dieser Aufgabe ist einem einzigen Mann, Sakkur, dem Sohn Imris, anvertraut. Die von Gott benutzten Werkzeuge sind sehr mannigfaltig, aber jedes ist nützlich, und keiner kann einen anderen an seine Stelle setzen oder selbst seine Arbeit wählen. Ob man zu. mehreren verbunden ist, oder ob einer allein steht, wir haben nichts anderes zu tun als zu arbeiten an der Stelle, die Gott einem jeden anweist.

Die Söhne Senaas (vielleicht eine Stadt oder ein Bezirk in der Gegend von Jericho) zeichnen sich nach diesen aus. "Sie bauten das Fischtor; sie bälkten es und setzten seine Flügel, seine Klammern und seine Riegel ein" (V. 3). Dieses im Norden Jerusalems gelegene Tor war mit dem "Tor der alten Mauer" den Angriffen des Feindes besonders ausgesetzt. Von dieser Seite griffen die assyrischen Heere die Stadt an, um sie zu belagern und einzuschließen. Die Söhne Senaas fühlten die Bedeutung des Fischtores, sie hörten mit ihrer Arbeit nicht auf, bis die Klammern und Riegel des Tores an ihrer Stelle waren.

In den Versen 4 und 5 begegnen wir zunächst Meremoth, dem Sohn Urijas, des Priesters, einem treuen und hochbegabten Mann, dessen Händen die Gefährten Esras alle freiwilligen, von Babel nach Jerusalem gesandten Gaben übergeben hatten (Esra 8, 33. 34). Sein Eifer geht weiter als bis zur Wiederherstellung eines einfachen Teiles der Mauer. Er ist der erste (denn andere werden ihm bald nachahmen), der noch "eine andere Strecke" (und zwar in Verbindung mit der Stadt Davids und dem Tempel) ausbessert vor dem Hause Eljaschibs, des Hohenpriesters (V. 21). Sein Eifer bringt ihn dahin, den Vertreter des Volkes vor Gott zu beschützen. So war es auch zur Zeit der Apostel, und so ist es heute bei uns. Die in einem unscheinbaren Dienst entfaltete Treue macht den Arbeiter nachher fähig zu einer Tätigkeit, die in unmittelbarer Beziehung zu Christo, unserem Hohenpriester, steht.

Meschullam, den unser Kapitel nach Meremoth erwähnt, war ein Mann von zweifelhaftem Charakter, denn er war mit Tobija verbunden, dessen Sohn Jochanan er seine Tochter gegeben hatte. Er war allem Anschein nach aus priesterlichem Geschlecht, und vielleicht hatte Eljaschib durch sein Beispiel Einfluss auf ihn ausgeübt. Trotz dieser schlimmen Verbindung zeigt er Eifer für das Haus Gottes, aber nicht gleichen Eifer wie Meremoth. Wenn er später an der "Stadt Davids" arbeitet, so geschieht es vor allem, um seine eigene Wohnung zu sichern (V. 30). Nach ihm gehört Zadok zu denen, die sich nicht fürchteten, die Arbeit allein, auf ihre Rechnung und Gefahr, zu unternehmen.

Zur Seite dieser Männer besserten die Tekoiter aus. Sie gehörten zu einer Stadt Judas, nicht weit von Bethlehem (Amos 1, 1; 2. Sam 14, 2). "Aber die Vornehmen unter ihnen beugten ihren Nacken nicht unter dem Dienste ihres Herrn". Dieser Mangel an Eifer, diese Gleichgültigkeit der Vornehmen hat für die Gesamtheit nicht die Folgen, ‑ ach! wenn es immer so wäre! ‑ die man im gleichen Falle so oft sieht. Im Gegenteil, die Tekoiter verdoppeln ihren Eifer, gerade weil sie von ihren Führern nicht unterstützt werden. Man sieht sie im 27. Verse "eine andere Strecke, dem großen vorspringenden Turm gegenüber und bis zur Mauer des Ophel", an der Stadt Davids ausbessern. Der Ophel, wo sich die Wohnungen der Nethinim befanden, stand in Verbindung mit einem der Tempeltore. Dieser Platz wird in Jes. 32, 14 erwähnt: "Ophel und Wartturm".

Jojada, der Sohn Paseachs, und Meschullam , der Sohn Besodjas (V. 6), zwei in der Schrift nicht weiter erwähnte Männer, bessern „das Tor der alten Mauer" aus, das im Nordwesten der Ringmauer lag und wahrscheinlich, wie sein Name besagt, eines der ältesten Tore der Stadt war. Die beiden Männer vereinigten sich zu dieser wichtigen Arbeit, da zu dem gleichen Werk die Mitwirkung aller Söhne Senaas (V. 3) nötig war. Das Einvernehmen dieser beiden Unbekannten bringt ein beachtliches Ergebnis hervor, eine gute Unterweisung für uns. Solche Männer "erlangen eine schöne Stufe". Ihre Arbeit deutet große Gewissenhaftigkeit an; es fehlte nichts an dem von ihnen gebauten Tore, weder das Balkenwerk, noch die Flügel, noch die Klammern und Riegel. Auch dienten sie anderen zu Vorbildern.

Melatja, ein Gibeoniter, und iadon , der Meronothiter, ein Galiläer, bessern "ihnen zur Seite" aus. Wenn die Herkunft dieser beiden Personen in den Augen der Menschen auch niedrig und verächtlich ist, so ist sie es doch nicht in Gottes Augen.

Ussiel, der Sohn Harchajas, von den Goldschmieden, und Hanania , von den Salbenmischern (V. 8), sind nicht vereinigt wie die Vorhergehenden, obwohl sie in Übereinstimmung arbeiten. Ihre Berufe, die dem Luxus der Welt dienten, waren nicht unvereinbar mit dem Wiederaufbau der Stadt Gottes, denn der Herr wählt Seine Arbeiter in allen Klassen und Stellungen, und nicht da, wo die Menschen sie ausschließlich suchen möchten.*) Dieselbe Bemerkung gilt Rephaja, dem Sohne Hurs, dem „Obersten des halben Bezirks von Jerusalem" (V. 9). Ebenso ist es mit Schallum, einem geachteten Mann, der die gleiche Stellung einnahm wie Rephaja; nur fügt das Wort in Bezug auf ihn hinzu: „er und seine Töchter" (V. 12). Die Arbeit liegt hier auch in den Händen von Frauen; doch da es sich um eine öffentliche Arbeit handelt, verrichten sie sie in Abhängigkeit von ihrem Vater und unter seiner Verantwortlichkeit. Aber wie rührend ist es zu sehen, wie sie aus Liebe zur Stadt Gottes und zur Wiederherstellung Seines Volkes sich einer Arbeit unterziehen, zu der ihr Geschlecht nicht berufen war, und für die ihre Kräfte nicht auszureichen schienen.

Jedaja bessert „seinem Hause gegenüber" aus. Seine erste Sorge ist, seine eigene Familie vor den Einfällen des Feindes zu schützen. So machen es auch Benjamin, Haschub und Asarja (V. 23), auch die Priester und Zadok. (V. 28 u. 29). Allen diesen liegt es am Herzen, mit dem Schutz der Ihrigen zu beginnen. Und wie wünschenswert und nützlich ist das zu jeder Zeit unter den Heiligen! Wer kann als Beschützer des Volkes Gottes auftreten, der sein eigenes Haus nicht vor dem Bösen zu bewahren weiß? Ein gleicher Eifer brachte Gideon Ehre, als er berufen wurde, Israel zu richten. (Richter 6, 25‑35).

Im 11. Verse trägt das Beispiel Jojadas und Meschullams weitere Früchte. Zwei Männer, Malkija und Haschub, bessern den Ofenturm aus, der die ganze westliche Mauer beherrschte, eine sehr wichtige Arbeit, da der Turm so sehr zur Meldung von Gefahren wie zur Verteidigung diente. Doch diese beiden übernehmen noch "eine andere Strecke", ein Beweis ihres unermüdlichen Eifers.

Hanun und die Bewohner von Sanoach (V. 13) bessern das Taltor im Südwesten der Stadt aus mit derselben Sorgfalt wie die Söhne Senaas das Fischtor; außerdem bauen sie tausend Ellen an der Mauer bis zum Misttor im Südosten, das heißt den ganzen unmittelbar nach Süden gelegenen Teil der Mauer. Welch ein Eifer! Anscheinend ist Hannun (vorausgesetzt, dass es derselbe ist) noch nicht dabei stehen geblieben; denn es heißt in Vers 30, dass er "eine andere Strecke" ausbesserte.

Malkija, der Sohn Rekabs (V. 14), eines bekannten Familienhauptes, besserte das Misttor im Südosten aus. Er ist der erste, der ein Tor für sich allein baut. Erinnern wir uns an seine Eigenschaft als Rekabiter, die ihn zum Ausharren im Glauben befähigte

Schallun (V. 15), ein anderes geachtetes Haupt, geht noch viel weiter. Er bessert nicht nur für sich allein das Quelltor im Osten aus und setzt es in vollen Verteidigungszustand, sondern er baut auch "die Mauer am Teiche Siloah bei dem Garten des Königs und bis zu den Stufen, welche von der Stadt Davids hinabgehen". Glücklicher Schallun! Und wie ist er der Achtung und der Dankbarkeit des Volkes würdig! Das schützende Tor, die erfrischenden und heilenden Wasser, der kühlende Schatten der Bäume, alles das fällt in den Bereich seiner Tätigkeit. Jerusalem verdankt ihm den Genuss dieser unschätzbaren Segnungen, als Folge der Tatkraft, die er einsetzt, um das Wohl seiner Brüder zu fördern.

Mit dem 16. Vers kommen wir zu der eigentlichen Stadt Davids. Wir haben im Norden dieser Stadt, die gleich dem Tempel auf dem Berge Zion erbaut war, angefangen, haben die Runde um die ganze Stadt gemacht und sind im Süden der Stadt Davids, bei den Stufen, die von ihr hinabführen, angelangt. Es bleibt also nur noch der letzte und wichtigste Teil der heiligen Stadt auszubessern, der aber durch seine Lage und seine Erhöhung über das Kidrontal vor jedem unmittelbaren Angriff des Feindes geschützt war. Die ungewisse Ortsbeschreibung dieser Gegend bietet einige schwer zu verstehende Einzelheiten; da diese aber für den Zweck dieser Blätter nur nebensächlichen Wert haben, können wir darüber hinweggehen. Wir bemerken außerdem, dass von Vers 16 ab die Worte "ihnen zur Seite" gewöhnlich durch "nächst ihm" ersetzt sind, was anzudeuten scheint, dass das Werk von mehreren Seiten zugleich angegriffen werden konnte.

Nehemia, der Sohn Asbuks, (V. 16) ist uns, neben vielen anderen, unbekannt, obwohl er hier eine hervorragende Stellung einnimmt. Er eröffnet durch seine Tätigkeit den Weg für wichtigere Arbeiten.

Die Verse 17‑21 teilen uns die Arbeit der Leviten mit. Rechum war mit Serubbabel wieder hinaufgezogen. (Kap. 12, 3). Er ist später einer der Unterzeichner des Bundes (Kap. 10, 25). Ebenso (Kap. 10, 11) Haschabia, der "Für seinen Bezirk" ausbessert; auch er war ein Haupt der Leviten und besonders zum Loben und Preisen angestellt. Diese beiden Männer waren in jeder Hinsicht befähigt, nebeneinander zu arbeiten. Bawai (V. 18) hat dieselbe Würde und denselben Bezirk wie Haschabja, wird aber später nicht mehr erwähnt. Eser findet sich an guter Stelle wieder bei der Einweihung der Mauer (Kap. 12, 42). Baruk (V. 20) scheint ein Sohn des Sabbai zu sein, der nach Esra 10, 28 eine fremde Frau genommen hatte. Eine solche in seiner Familie geschehene Tat musste bei diesem gottesfürchtigen Mann eine verdoppelte Wachsamkeit hervorrufen, um das Priesterturn vor unheiligen Berührungen zu bewahren. Er bessert „eifrig" aus vom Winkel bis zum Eingang des Hauses Eljaschibs, des Hohenpriesters, für den, wie wir gesehen haben, diese Sorgfalt ein dringendes Bedürfnis war. Meremoth (V. 21), der schon in Vers 4 erwähnt ist, war von Anfang an treu gewesen. Er fühlt wie Baruk, und wohl noch besser als dieser, die Gefahr, die dem Hohenpriester droht. Die „andere Strecke" seiner Arbeit ist eine der kostbarsten: Er bessert in voller Übereinstimmung mit Baruk aus „vom Eingang des Hauses Eljaschibs bis zum Ende des Hauses Eljaschibs".

Im 22. Verse begegnen wir den Priestern, Männern aus dem Jordankreise; sie scheinen keinen besonderen Zweck im Auge gehabt zu haben. Benjamin (V. 23) nimmt später an der Einweihung des Hauses teil (Kap. 12, 34). H a s c h u b unterzeichnet den Bund (Kap. 10, 23). A s a r ja, der wie Benjamin und Haschub sein Haus zu schützen sucht, wird später besonders ausgezeichnet: er belehrt das Volk über das Gesetz (Kap. 8, 7), unterzeichnet den Bund (Kap. 10, 2) und nimmt teil an der Einweihung der Mauer (Kap. 12, 33).

In Verbindung mit Binnui , dem Sohne Henadads wird nur von der „anderen Strecke" (V. 24) gesprochen, was anzudeuten scheint, dass er Asarja in der Bemühung, sein Haus zu. schützen, unterstützt hat. Dieser Binnui unterzeichnet den Bund in Kap. 10, 9. Palal bessert aus, indem er die Zeugen der königlichen Macht und des Gerichts über die Schuldigen vor Augen hat (V. 25). In demselben Vers finden wir Pedaja, den Sohn Parhosch'. Mehrere seiner Brüder hatten fremde Weiber genommen (Esra 10, 25). Er ist später beim Vorlesen des Bundes behilflich (Kap. 8, 4), und verteilt die Vorräte unter die Leviten (Kap. 13, 13). Er scheint sich hier, wie man aus dem folgenden Vers schließen kann, mit dem Teil der Nethinim auf dem Ophel zu beschäftigen (V.26).

Den Priestern (V. 28) lag, wie vielen anderen, ihr eigenes Haus am Herzen, aber sie scheinen sich mit dem "Roßtore" selbst nicht beschäftigt zu haben. Zadok, der Sohn Immers, ist ein anderer als der in Vers 4 genannte Zadok. Einer von den beiden unterzeichnet später den Bund (Kap. 10, 21) und wird zum Schatzmeister eingesetzt (Kap. 13, 13).

Schemaja , der Sohn Schekanjas, ist "Hüter des Osttores", des Haupttores in der Umwallung des Tempels. Sein Name findet sich später bei allen großen Gelegenheiten wieder. Wenn sein Vater Schekanja Torhüter gewesen wäre, hätte das für Jerusalem eine große Gefahr von seiten Tobiias bedeutet (Kap. 6, 18). Hananja und Hanunn bessern eine andere Strecke aus (Vergl. Vers 8. u. 13). Malkija (V. 31) hatte seinerzeit eine fremde Frau genommen (Esra 10, 25 oder 31), aber er hatte sich gereinigt. In Vers 32 legt eine große Zahl von Goldschmieden und Krämern Hand ans Werk: sie verbinden die Mauern der Stadt Davids mit dem Schaftor, wo die Arbeit begonnen hatte (V. 1).

Die meisten dieser Männer erwarben sich also, wie wir gesehen haben, „eine schöne Stufe" durch ihren Eifer beim Aufbau der Mauern der Stadt Davids. Sollten wir nicht daraus eine Lehre für uns ziehen? Rührt das Schweigen und die Unfähigkeit so vieler Kinder Gottes im Dienst nicht größtenteils daher, dass sie im Anfang, als Gott ihnen eine für Ihn zu verrichtende Arbeit vor Augen stellte, eine Arbeit, die Anstrengung, Ausdauer und Opfer an Zeit erforderte, es (gleich den Vornehmen unter den Tekoitern) vorgezogen haben, ihren Nacken nicht unter den Dienst ihres Herrn zu beugen?

@@@@@@@@

Beherzigenswerte Winke

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 44ff

In einem längeren Aufsatz über die Betätigung der Bruderliebe und die Gefahren ihrer Versetzung inmitten der allgemeinen Zerspaltung sagt ein lieber alter Bruder, der seit vielen Jahren dem Herrn in Wort und Schrift dient, unter der Überschrift

Erkenntnis und Liebe:

Das Wort warnt die Gläubigen, dass nicht die höhere Erkenntnis einen Bruder dazu bringe, durch Hochmut oder Lieblosigkeit gegen andere Geschwister zu sündigen, welche schwächer sind in der Erkenntnis (vergl. 1. Korinther 8,9-11).

Das Maß der Erkenntnis entscheidet keineswegs darüber, wie nahe ein Kind Gottes dem Herzen des Herrn ist. Gott wiegt nicht den Wert eines Christenlebens nach dem Maße der Erkenntnis, sondern nach dem Maße der Liebe und der Treue. Man darf wohl mit Bestimmtheit sagen, dass weitaus die meisten jener Zehntausende von Märtyrern in der römischen Verfolgungszeit weniger Erkenntnis hatten als viele der Gläubigen unserer Tage. Ebenso wird es mit den Scharen der Märtyrer in allen Ländern der Erde gewesen sein. Wenn der Herr das göttliche Urteil über das Leben Seiner Treuen ausspricht, sagt Er ohne Rücksicht auf das Maß der Erkenntnis der einzelnen: „Wohl, du guter und treuer Knecht! Über weniges warst du treu; über vieles werde ich dich setzen. Gehe ein in die Freude deines Herrn" (Mt. 25,21).

Damit ist nichts gegen die Erkenntnis gesagt. Die Schrift erkennt deren Wert ausdrücklich an: „Eben deshalb reichet aber auch dar, indem ihr allen Fleiß anwendet, in eurem Glauben die Tugend (geistliche Energie), in der Tugend aber die Erkenntnis!" (2. Petrus 1,5). Diese Stelle endet jedoch mit der Liebe. Das Wort Gottes meint niemals, dass die Erkenntnis der Liebe Eintrag tun dürfe, im Gegenteil, die Erkenntnis Gottes bewirkt Liebe. Das Wort Gottes spricht eine sehr einfache Sprache: „Geliebte, lasst uns einander lieben, denn die Liebe ist aus Gott, und jeder, der liebt, ist aus Gott geboren und erkennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist Liebe. Hierin ist die Liebe Gottes zu uns geoffenbart worden, dass Gott seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, auf dass wir durch ihn leben möchten ... Wer irgend bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, in ihm bleibt Gott und er in Gott. Und wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat. Gott ist Liebe und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm" (1. Johannes 4,7-16). Wir bleiben nicht in der Liebe, wenn wir Geschwister, die dem Herrn in Treue nachfolgen, deshalb weniger lieben oder ehren, weil sie in der Erkenntnis schwach sind.

Nirgends in der Bibel bildet die Erkenntnis - wenn das Bekenntnis zu Jesu in Wandel und Wort und die Trennung vom Wesen der Welt vorhanden ist - einen Maßstab für den Wert eines Jüngers oder einer Jüngerin. Selbst das Gebundensein an ererbte unbiblische Anschauungen infolge mangelnder Erkenntnis ist nicht entscheidend. Rechter Maßstab und rechtes Gewicht ist nur in der Hand des Herrn (vergl. 1. Kor 4,4. 5). - Wir sind keine Herzenskündiger; deshalb hat der Herr uns den Hinweis hinterlassen: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen" (Mt. 7,16-20).

Es wäre gewiss gut, wenn im allgemeinen mehr nach den Früchten, als nur nach der Erkenntnis gefragt würde. Auf dem Gebiete der Erkenntnis wird man zuweilen durch Antworten befriedigt, welche genau dem entsprechen, was man gern hören wollte. Nachher aber hat es schon schmerzliche Enttäuschungen gegeben. In manchen Fällen erkennt man erst nachträglich, dass ein kluger Mensch die biblische Lehre nach Wort und Sinn verstandesmäßig erfasst hatte - aber wie war es mit der Bewährung im Leben?

... Sicherlich heißt es für die Gläubigen der Gegenwart, dass ein jeder, seines Weges gewiss, nach dem Maße seiner Erkenntnis in Treue mit unbeflecktem Gewissen wandeln soll. Der Weg menschlicher Zugeständnisse auf dem Gebiete der erkannten Wahrheit ist sicher ein Weg der Untreue. Wenn ich aber auch den Weg nicht mitgehen kann, auf dem andere Kinder Gottes wandeln, so darf mir dies doch den Blick nicht trüben, diejenigen als meine Brüder in Christo anzuerkennen und zu lieben, welche im Angesicht einer verlorenen, gottfeindlichen Welt als Zeugen Jesu auf dem schmalen Wege wandeln. Wie klein ist ihre Zahl! Welch ein Vorrecht, welch eine Freude, Menschen zu begegnen, die unseren geliebten Herrn kennen, deren Herz, Haus und Leben Ihm geweiht sind!

In der römischen Kirche war es Grundsatz, dass jede Abweichung von der kirchlichen Lehre als Verbrechen behandelt wurde. Ungezählte Scheiterhaufen, Ströme von Blut und Tränen bezeichnen die erbarmungslose Härte, mit welcher die Gewissen vergewaltigt und teure Kinder Gottes geopfert wurden. Auch in den protestantischen Ländern Deutschlands und der Schweiz sind in der nachreformatorischen Zeit Hunderte den Märtyrertod gestorben, weil man ihnen ihre biblische Gewissensüberzeugung zum todeswürdigen Verbrechen machte. Dies gilt insbesondere für jene Bewegung, die im 16. und 17. Jahrhundert von der Schweiz durch Deutschland und Österreich bis nach Holland und England flutete, und die in der Glaubenstaufe der Erwachsenen ihren besonderen Ausdruck fand.

Diese ernsten geschichtlichen Ereignisse sollten uns lehren, die Überzeugung anderer Gläubiger zu achten, wenn es sich um ein dem Herrn hingegebenes Herz, um ein Leben des Glaubens, des Gebetes und der Gottesfurcht handelt. Es ist wichtig, dass dies von den Kindern Gottes verstanden wird, ob sie nun aus Überzeugung auf dem Boden der Landeskirche stehen, oder von den kirchlichen Anschauungen befreit sind.

Die Bibel bezeichnet die Gläubigen im Gegensatz zu den anderen Menschen als „die Hausgenossen des Glaubens" (Galater 6,10). Es liegt in der Natur der Sache, dass man zunächst diejenigen als Hausgenossen des Glaubens erkennt, die mit uns den gleichen Weg gehen, die gleichen Versammlungen besuchen und die gleiche Schriftauffassung haben. Wir sollten aber nicht übersehen, dass es daneben noch andere Gläubige gibt, die wir oft nicht persönlich kennen. Auch sie sind unsere Brüder und Schwestern in Christo, Hausgenossen des Glaubens und zugleich „Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes" (Epheser 2,19). Sie haben in gleicher Weise Anspruch auf unsere Liebe und Hilfe bis zu dem vollen Maße: „Auch wir sind schuldig, für die Brüder das Leben darzulegen" (1.Johannes 3,16). Wenn auch im täglichen Leben der Regel nach die Gelegenheit fehlt, dies zu verwirklichen, so sollten wir doch jede Möglichkeit mit Freuden benutzen, unseren Geschwistern in Christo brüderliche Liebe, Hilfe, Pflege und Unterstützung zu gewähren.

In einem zweiten Abschnitt, überschrieben

Der Geist der Kritik,

heißt es: Wir leben in Tagen großer Verwirrung unter den Gläubigen. Selbst unter denen, die den Herrn als ihren Erretter bekennen und für Ihn leben möchten, gibt es mancherlei irreführende, unbiblische Lehren. Wenn der Feind die Gläubigen entzweien, betrügen will, so wählt er seine Werkzeuge mit List. Es treten bestechende Männer auf, redegewandt, hochgebildet, liebenswürdig, wohltätig. Entscheidend aber ist, ob das, was solche Persönlichkeiten bringen, vor der nüchternen Prüfung am Worte Gottes bestehen kann. Gewöhnlich werden zunächst unerfahrene, leichtgläubige Geschwister von ihren Gefühlen fortgerissen, sich an solche Lehrer zu hängen, die etwas Neues unter dem Scheine der biblischen Begründung verkündigen.

Wie manche Kinder Gottes wurden durch Berichte über augenscheinliche Heilungen von der sogenannten Christlichen Wissenschaft eingenommen. Ihre biblische Gründung reichte nicht aus zu verstehen, dass sich Satan in unseren Tagen mancher wunderbaren Erscheinung bedient, um die Gläubigen zu betrügen. So begaben sie sich unter die Gewalt irreführender Geister und Schriften. Das gleiche gilt von den sogenannten Zeugen Jehovas. Wir erleben sogar, dass unklare Gläubige von den Schriften und Abgesandten der Mormonen eingefangen werden.

Ähnlich verhält es sich mit den traurigen, z e r s t ö r e n d e n Einflüssen der P f i n g s t b e w e g u ng und der Wiederbringungslehre, in welchen wir durch den Betrug des Feindes viele teure Kinder Gottes gefangen sehen. Die Folge ist: Zerspaltung und Verwirrung. Da bedarf es einer nüchternen Kritik, besonders auch an der christlichen Literatur. Weitaus die meisten Gläubigen sind der Sprachgewandtheit und List nicht gewachsen, welche ihnen in so vielen irreführenden Druckschriften begegnen. In der Meinung, sie könnten alles selber prüfen, vergessen sie, dass dazu Erfahrung und Begabung in einem Ausmaß gehören, das nicht jedermann besitzt. Wie bestechend klingen oft die Darlegungen der Wiederbringungslehrer! Sicherlich wird der Herr die Demütigen und Einfältigen bewahren; dennoch ist in unseren Tagen eine besonnene Prüfung, sowohl der Druckschriften als auch der lehrenden Persönlichkeiten dringend geboten. Wir erleben es z. B., dass ein Bruder, der gesegnet mit dem Worte gedient hat, sich später als Vertreter einer Irrlehre enthüllt. Es gibt Evangelisten und Lehrer, welche einst klar auf dem Boden der Schrift standen, die aber nachher Zugeständnisse an die Welt machten: nun tasten sie das Wort Gottes an und werden unfähig, das klare Evangelium zu verkündigen.

Hinzu kommt, dass manchen treuen und gesegneten Dienern wichtige Wahrheiten unbekannt bleiben. Das liegt bei einzelnen an ihrem Werdegange auf dem geistlichen Gebiete, bei anderen mangelt es am Forschen im Worte Gottes und der Beugung unter das Wort. Es gibt Männer von treuem Wandel, gesegnete Zeugen im Blick auf die Versöhnung, Bekehrung und praktische Nachfolge des Herrn; aber sobald sie auf die Ratschlüsse Gottes mit Israel und mit der Gemeinde Jesu oder auf die letzten Dinge zu sprechen kommen, erweisen sie sich als in der Theologie vergangener Jahrhunderte gefangen. Wichtige Wahrheiten, wie z. B. die Hoffnung der Entrückung der Gläubigen, sind manchen bewährten Dienern fast unbekannt.

Anderen, die persönlich gewissenhaft wandeln, fehlt die klare Unterscheidung zwischen Gesetz und Gnade. Es gilt deshalb, da, wo das Wort Gottes verkündigt wird, mit Aufmerksamkeit zu prüfen, ob das Gesagte mit dem Worte Gottes übereinstimmt.

Über diese Erscheinungen hinaus aber gibt es einen Geist der Kritik, welcher, statt sich am Worte Gottes und am Dienste eines Bruders zu erfreuen, beständig auf der Lauer liegt, etwas zu entdecken, was nicht in die eigene Schablone passt. Wo dieser Geist herrscht, wird sowohl die heilige Freude am Worte Gottes als auch der persönliche Gewinn aus der Wortverkündigung geschmälert. Dieser kritische Geist ist unbewusst (manchmal auch bewusst) dauernd auf der Suche nach irgend etwas, was man tadeln könnte. Wir haben es erlebt, dass durch kritische Schriften und Aufsätze in christlichen Blättern Geschwister in feindseligem Geiste herabgesetzt wurden, als ob an ihnen nichts Gutes zu finden wäre. Weil die brüderliche Liebe diesen Geschwistern gegenüber bei jenen Kritikern versagte, sahen sie den Wandel und die Anschauungen derer, die sie verurteilten, nur durch die eigene Brille ihrer persönlichen Anschauungen an.

Dieser Geist der Kritik, welcher die Liebe und die Freude tötet, nimmt zuzeiten teure Kinder Gottes so völlig gefangen, dass sie sich nicht mehr über das freuen können, was Gott im Leben anderer Kinder Gottes bewirkt, und zwar nur, weil diese Christen in einzelnen Punkten eine abweichende Anschauung vertreten und einen anderen Weg gehen.

... Es ist so wichtig, dass wir uns daran gewöhnen, das Werk Gottes mit Freude anzuerkennen, wo immer es uns begegnet, auch dann, wenn es nicht genau in den Rahmen passen will, von dem wir überzeugt sind, dass er biblisch ist. Gott gibt noch heute Seiner ganzen Gemeinde Evangelisten, Lehrer und Hirten, und Er weiß trotz aller Zerspaltung und Verwirrung Seine Diener zu legitimieren. Jedes demütige Kind Gottes sollte mit Freude den Dienst solcher treuen Zeugen anerkennen und davon Nutzen ziehen.

Es gibt einen Geist der Kritik auch unter den Gläubigen, der dem Redenden die Freimütigkeit nimmt und beim gemeinsamen Gebet Herz und Lippen verschließt, weil man sich vor der Kritik fürchtet, die ein einziges Wort hervorrufen könnte, das von diesem oder jenem Bruder nicht als korrekt befunden würde. Dieser Geist hindert uns, von solchen Geschwistern etwas zu lernen, die anders geführt wurden. Der Herr lässt uns manche Gläubigen begegnen, die zwar nicht mit uns auf dem Wege wandeln, den wir als den gottgewollten Weg der Wahrheit erkannt haben, von denen wir aber, was Hingebung, Anspruchslosigkeit und Eifer für die Sache des Herrn betrifft, vieles z u lernen haben.

Sehr beachtenswert ist ferner, was der Verfasser in einem dritten Abschnitt sagt über das

Reden hinter dem Rücken.

Das Ansehen des Glaubens der Welt gegenüber wäre viel makelloser, wenn die Gläubigen nicht gegenseitig übel voneinander redeten. Es handelt sich dabei nicht nur um die Spaltungen und die von manchen Gläubigen vor den Kindern der Welt mit Worten und Drucksätzen geführten Bruderkriege, sondern noch viel mehr um die herabsetzende, oft auch verleumderische Rede hinter dem Rücken anderer Kinder Gottes.

Alles, was einem Gläubigen angetan wird, fühlt der Herr als gegen Sich Selbst gerichtet. Er sagte zu Saulus von Tarsus nicht: „Was verfolgst du meine Jünger?", sondern: „Was verfolgst du mich?" Den Pfeil böser Rede, welcher gegen einen Gläubigen abgeschossen wird, empfindet der Herr als gegen Sich Selbst gerichtet. Möchten wir dies bedenken, wenn wir ungünstige Nachrichten über einen Bruder erzählen, über seinen Dienst, seine Person ein hartes Urteil fällen oder seinen Weg und seine Absichten verdächtigen.

Der Jakobusbrief spricht von Kriegen und Streitigkeiten unter den Gläubigen und bezeichnet die Zunge als ein kleines Feuer, welches imstande ist, einen großen Wald anzuzünden. Durch ungeheiligte, lieblose Reden, die von anderen gierig aufgenommen, weitergetragen und vergröbert wurden, sind schon oft teure Geschwister entfremdet, blühende Gemeinschaften zerstört, gesegnete Arbeiter der Kraft beraubt worden. Die Zungen der Gläubigen haben dem Satan schon an vielen Stellen gedient; Jakobus belehrt uns, dass sie sogar von der Hölle angezündet werden können (Jak 3,6). Wir erleben es zuweilen, dass diese satanische Arbeit unter Kindern Gottes mit planmäßiger Energie durch Monate und Jahre betrieben wird. Da werden aufhetzende Briefe geschrieben, heimlich Pläne geschmiedet, um solche Geschwister ihres Dienstes und Ansehens zu berauben, welche Gott zum Segen gesetzt hat. Dies hat schon Paulus erleben müssen, und mancher treue Diener erlebt es heute noch: „Sie haben ihre Zunge geschärft gleich einem Schwerte, ihren Pfeil angelegt, bitteres Wort, um im Versteck zu schießen auf den Unsträflichen: plötzlich schießen sie auf ihn und scheuen sich nicht" (Psalm 64,3. 4). Es ist zum Weinen, wenn dies unter Gläubigen geschieht, und doch geschieht es! Mit Schmerz fragt man sich: Wie ist es möglich, dass Satan unter Gläubigen solche Macht ausüben kann zum Verderben?

Die Antwort kann nicht zweifelhaft sein. Nur die Unwachsamkeit der Gläubigen über ihr Herz und ihre Lippen ist schuld daran und gibt dem Satan Gelegenheit einzudringen und seine giftigen Pfeile zu schießen. Jede solche Erscheinung sollte die Treuen um so mehr zur Wachsamkeit und zum Gebet treiben.

Schon viele Kinder Gottes haben ihre Brüder, denen sie unter keinen Umständen Geld stehlen würden, um Güter von unbezahlbarem Werte betrogen, nämlich um die Liebe, die Hochachtung, das Vertrauen ihrer Geschwister.

Es gehört zu den ersten Forderungen einer achtbaren Familie, dass die Familienmitglieder sich gegenseitig verteidigen und füreinander eintreten. Aber wie oft verstoßen die Kinder Gottes gewissenlos gegen diesen Grundsatz! Einst klagte ein Bruder, dass in seiner Gemeinschaft, sobald von anderen Gläubigen die Rede sei, diesen etwas Arges oder Herabsetzendes angehängt werde. Wie traurig ist das! Wie ernst warnt das Wort Gottes: „Du sollst nicht als ein Verleumder umhergehen unter deinen Völkern!" (3. Mose 19,16). „Ein verkehrter Mann streut Zwietracht aus, und ein Ohrenbläser entzweit Vertraute" (Sprüche 16,28). „Redet nicht widereinander, Brüder" (Jakobus 4,11). „Leget nun ab ... alles üble Nachreden" (1. Petrus 2,1). Die Kritik hinter dem Rücken ist fast immer ungerecht, oftmals sogar lügenhaft. In vielen Fällen liegt unbewusst der Wunsch vor, sich darüber zu rechtfertigen, dass man sich von diesem oder jenem treuen Kinde Gottes fernhält. Man malt die Person oder den Dienst eines Bruders, der da oder dort genannt wird, in ungünstigen Farben, damit der eigene Weg, die eigene Berechtigung um so unantastbarer dastehe. Dieses Gemälde hält aber vor Gott nicht stand.

Wenn die Gläubigen in dem Bewusstsein der Gegenwart Gottes wandelten, so würden sie über Abwesende kein ungünstiges Wort reden, welches sie diesen nicht persönlich gesagt oder geschrieben hätten. Dies bezeugt das Gewissen schon einem edeldenkenden, unbekehrten Menschen – wie viel mehr sollte es unter Kindern Gottes so sein! Jeder abwesende Bruder, der angegriffen oder verurteilt wird, sollte in den anwesenden Gläubigen seine Verteidiger finden. Es ist eine gute Inschrift, wenn über der Wohnung der Christen geschrieben steht: „Hier wird kein Schutt abgeladen!" und es ist ein guter Weg, wenn man den Verleumder auffordert, sogleich Auge in Auge mit dem Verleumdeten zu wiederholen, was man hinter seinem Rücken gegen ihn vorgebracht hat. Paulus warnt: „So urteilet nicht etwas vor der Zeit, bis der Herr kommt, welcher auch das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen und die Ratschläge der Herzen offenbaren wird; und dann wird einem jeden sein Lob werden von Gott" (1. Kor 4,5). Wie beschämend wird für viele Kinder Gottes jene Stunde vor dem Richterstuhl des Christus sein, in welcher der Herr das Leben, die Treue, die Hingabe, die Demut, die Selbstlosigkeit jedes einzelnen der Seinigen auf gerechter Waage wiegen und offenbar machen wird!

Wie manches Mal schon wurden wir beschämt, wenn wir Brüder näher kennenlernten, über welche wir in unseren Gedanken herabsetzend geurteilt hatten, und dann eine Liebe, Treue und Hingebung erkennen mussten, hinter der unser eigenes Christentum weit zurückstand!

Die üble Nachrede, die verleumderischen Worte gleichen dem Unkrautsamen, welchen der Wind dahinträgt. Wer kann ihn aufhalten? Niemand! Er wird weithin über das Land verstreut, geht auf und breitet sich aus. Dass die Welt die treuen Kinder Gottes zu verdächtigen und herabzusetzen sucht, ist natürlich und unvermeidlich. Aber wie schmerzlich ist es, wenn Gläubige darin dem Feinde als Bundesgenossen dienen!

Dies gilt in erhöhtem Maße von Druckschriften, in denen Kinder Gottes herabgesetzt werden. Alle diese Schriften und Artikel in christlichen Blättern, in welchen herabsetzend oder verletzend über andere Gläubige geurteilt wurde - gemeint sind hier nicht die Aufsätze, welche die Herde Jesu vor gefährlichen Irrlehren und Irrlehrern warnen und bewahren wollten - waren nicht zum Nutzen, sondern nur zum Unheil und zur Beschämung. Es wären viel Schaden und Schmerz und viel Unehre für die Sache Gottes erspart worden, wenn diese Auslassungen nicht geschrieben worden wären. Das Wort Gottes warnt uns, über andere Kinder Gottes zu richten ...

Wenn es je eine Zeit gegeben hat, welche die Verbindung derer, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen (2. Tim 2,22) in Einheit und Liebe erforderte, so ist es gewiss die gegenwärtige Zeit.

@@@@@@@@@@@@

Betrachtungen über das Buch Nehemia

Bibelstelle: Esra

Botschafter des Heils 1914 S. 57ff

Kapitel 4 - Hindernisse von außen

Das 3. Kapitel hat uns einen vollständigen und übersichtlichen Bericht von der Wiederherstellung der Mauern Jerusalems gegeben; das 4. Kapitel teilt uns mit, was sich während der Dauer dieser Arbeit zutrug. "Und es geschah, als Sanballat hörte, dass wir die Mauer bauten, da wurde er zornig und ärgerte sich sehr. Und er spottete über die Juden, und er sprach vor seinen Brüdern und dem Heere von Samaria und sagte: Was machen die ohnmächtigen Juden? Wird man es ihnen zulassen? werden sie opfern? werden sie es an diesem Tage vollenden? werden sie die Steine aus den Schutthaufen wieder beleben, da sie doch verbrannt sind? Und Tobija, der Ammoniter, stand neben ihm und sprach: Was sie auch bauen; wenn ein Fuchs hinaufstiege, so würde er ihre steinerne Mauer auseinander reißen" (V. 1‑3)!

Diese erbitterten Feinde hassten die Juden um so mehr, weil sie selbst einigermaßen Kenntnis von dem wahren Gott besaßen. Sanballat stand an der Spitze der Streitkräfte von Samaria, wo der Götzendienst nicht völlig von dem Dienst Jehovas abgesondert war. Ähnliches wird man immer finden. Die Vermengung des Wahren mit dem Falschen in religiösen Dingen steht dem christlichen Zeugnis feindlicher gegenüber, als das einfache Heidentum. Die Welt, die ihre Religion aus der Bibel und den Evangelien geschöpft und ihr Glaubensbekenntnis aus gewissen Wahrheiten der Schrift gebildet hat, steht häufig an der Spitze dieser Gegnerschaft. Sie kann die, welche die Mauer und die Tore der Stadt Gottes bauen, nicht ertragen, denn diese Schutzwehren richten sich gegen sie. Ihre Feindschaft beginnt mit dem Spott, der die Furchtsamen mehr erschreckt, als der Hass. Spott war eine der Waffen Sanballats (Kap. 2, 19; 4, 1). Wir alle unterliegen leicht dem Einfluss, wenn unsere Herzen frühere Verbindungen mit der Welt nicht gebrochen haben. Wir fürchten uns dann vor dem Verlacht‑ und Verachtet werden und weichen zurück vor der öffentlichen Gemeinschaft mit dem erniedrigten Volk, mit "diesen ohnmächtigen Juden", die sich anmaßen, die Breschen wieder auszubessern und ihren Brüdern zu helfen, die Angriffe der Feinde zurückzuweisen.

In den Versen 4 und 5 ruft Nehemia die Rache Gottes auf diese Menschen herab, die Ihn "angesichts der Bauenden gereizt haben". Wir können heute nicht eine solche Bitte an Gott richten, denn unser Ruf zu Ihm ist und kann nur der Ruf der Gnade sein; wir wissen aber, dass Gott die Feindschaft der Welt gegen die Familie des Glaubens wie eine persönliche Beleidigung fühlt. "Es ist bei Gott gerecht, Drangsal zu vergelten denen, die euch bedrängen" (2. Thess. 1, 6). Andererseits sind wir gewiss, dass der Widerstand des Feindes nicht verhindern kann, dass das Werk Gottes erfüllt wird. Wir haben nur den Glauben nötig, der auf Gott vertraut, und den Geist, der unsere Herzen für das Werk stärkt. Nehemia fügt hinzu: "Aber wir bauten weiter an der Mauer; und die ganze Mauer wurde bis zur Hälfte geschlossen, und das Volk hatte Mut zur Arbeit" (V. 6). Ob es sich darum handelt, Jerusalem in Verteidigungszustand zu setzen, oder es zu erobern, die Grundsätze bleiben dieselben. Tobija sagt: "Wenn ein Fuchs hinaufstiege, so würde er die steinerne Mauer auseinander reißen"! aber Nehemias Erwiderung lautet: "Wir bauten weiter an der Mauer". So hatten auch die Jebusiter einst zu David gesagt: "Du wirst nicht hier hereinkommen, sondern die Blinden und die Lahmen werden dich wegtreiben"; aber "David nahm die Burg Zion ein" (2. Samuel 5, 6. 7).

Der Widerstand, den die Erbauung der ersten Hälfte der Mauer Jerusalems fand (V. 6), war also bitter; als aber die Risse sich zu schließen begannen, vermehrte sich der Zorn der Feinde. "Sie verschworen sich alle miteinander zu kommen, um wider Jerusalem zu streiten und Schaden darin anzurichten" (V. 8). Was sollte jetzt aus diesem armen Volk werden? Es handelte sich nicht mehr um den Widerstand einzelner Personen, sondern um eine von den gleichen mörderischen Absichten beseelte Vereinigung. Wir hören in Vers 9, dass in einem solchen Fall zweierlei notwendig ist: "Da beteten wir zu Gott und stellten aus Furcht vor ihnen Tag und Nacht Wachen gegen sie auf". Das erste ist also das Vertrauen auf Gott allein und die Abhängigkeit von Ihm; beides wird durch das Gebet ausgedrückt. "Wir beteten zu unserem Gott". Er ist die große Hilfsquelle. Diese Überzeugung veranlasste Nehemia ein wenig später, zu sagen: "Fürchtet euch nicht vor ihnen! Gedenket des Herrn, des großen und furchtbaren" (V. 14); und weiter in Vers 20: "Unser Gott wird für uns streiten Da liegt auch unsere Kraft: sie ist in Gott und wird uns stets gewährt, wenn wir eine Stellung der Abhängigkeit vor Ihm einnehmen. ‑ Das zweite ist die Wachsamkeit: "Wir stellten Tag und Nacht Wachen gegen sie auf". Doch diese beiden Dinge sind unzertrennlich. "Seid besonnen, und seid nüchtern zum Gebet" (1. Petrus 4, 7)!

Trotz dieser Worte wird Juda von Entmutigung erfasst. "Und Juda sprach: Die Kraft der Lastträger sinkt, und des Schuttes ist viel, und so vermögen wir n i c h t mehr an der Mauer zu bauen" (V. 10). Wie manchmal, wenn die Arbeit drückend und der Feind mächtig war, haben wir gesehen, dass Entmutigung sich zeigte, oder wir haben sie bei uns selbst verspürt! Die Last ist zu. schwer, des Schuttes zu viel; wir können nicht bauen. Sicher hatten die, die so redeten, sich nicht dem Gebet Nehemias und dem Aufstellen der Wachen angeschlossen. Anstatt auf Gott zu blicken, blickten sie auf sich selbst und auf die Hindernisse.

Was wäre aus Juda geworden, wenn Nehemia auf diese Klagen gehört hätte? Denn inzwischen hätte der Feind aus dem allen Nutzen gezogen. "Sie sollen es nicht wissen, noch sollen sie es sehen", sprachen die Gegner, "bis wir mitten unter sie kommen und sie erschlagen und dem Werke Einhalt tun" (V. 11).

Noch ein anderes schlimmes Element verbindet sich mit dieser Verwirrung. Die Juden, "welche neben den Feinden wohnten", kamen wohl zehnmal, um die Arbeiter Jerusalems zu warnen. Diese Juden hatten jedenfalls keine bösen Absichten; aber ihre Verbindungen mit den Gegnern waren nicht das, was zur Befestigung des Herzens des Volkes notwendig war. Wie oft haben auch wir in unruhigen Tagen ähnliche, von jener Seite kommende Warnungen gehört: "Man will an euch! Der Feind ist mächtig. Nehmt euch in acht! wenn ihr so fortfahrt, werdet ihr einen allgemeinen Sturm wachrufen"! Man beachte, dass diese Warner kein Hilfsmittel vorzuschlagen hatten und darum die Angst der Schwachen nur vermehrten. Doch der Mann Gottes, der schon den einzuschlagenden Weg klar vor sich sieht, schöpft aus ihren Warnungen nur neuen Mut und wird gestärkt. Dank der Kraft, die er in der Gemeinschaft mit seinem Gott findet, ändert sich die Szene, und die aus dem Volk, die bis dahin nur Arbeiter waren, werden Streiter, die bereit sind, den Feind zurückzutreiben.

Wir Christen müssen auch, um in den bösen Tagen, durch die wir gehen, in wirksamer Weise an dem Werke Gottes zu arbeiten, diese beiden Eigenschaften besitzen: wir brauchen Ausdauer und Energie. Man findet hier verschiedene Klassen von Streitern. Im ersten Augenblick, wenn der Angriff nahe bevorsteht, greifen alle ohne Unterschied zu den Waffen. "Ich stellte das Volk auf nach den Geschlechtern, mit ihren Schwertern, ihren Lanzen und ihren Bogen" (V. 13). So war alles vorgesehen: das Schwert für den Kampf Mann gegen Mann, die Lanze, um den Feind von sich abzuhalten, der Bogen, um ihn aus der Ferne zu erreichen. Für uns enthält das Wort Gottes alle diese Waffen zugleich; ihr Zweck ist, "für unsere Brüder (man beachte, dass sie an erster Stelle stehen), für unsere Söhne und unsere Töchter, unsere Weiber und unsere Häuser zu, streiten" (V. 14).

Nachdem diese entschlossene Haltung den Plan der Feinde vereitelt hatte, "kehrten alle zur Mauer zurück, ein jeder an sein Werk" (V. 15). "Von jenem Tage an arbeitete die Hälfte meiner Diener an dem Werk, während die andere Hälfte die Lanzen und die Schilde und die Bogen und die Panzer hielt", das heißt die Angriffs‑ und die Verteidigungswaffen. Die Lastträger und die, welche aufluden, arbeiteten mit einer Hand und hielten mit der anderen eine Waffe, und die Bauenden hatten ein jeder sein Schwert um die Lenden gegürtet (V. 17. 18).

Alle diese Tatsachen sind voll Belehrung für uns. Das Werk Gottes gegen den Feind zu verteidigen, ist bei gewissen dringenden Gefahren die Pflicht aller. Zu anderen Zeiten könnte ein so ausschließliches Verhalten das Werk verzögern. Die Waffen zum Angriff oder zur Verteidigung sind dann mehr gewissen Brüdern unter uns anvertraut. Doch die, welche bei der Arbeit helfen, und selbst die, die ganz darin stehen, dürfen nie in ihrer Wachsamkeit nachlassen. Wenn sie nicht mit einer Hand die Waffe halten können, mögen sie das Schwert um ihre Hüfte gürten. Kein Kind Gottes sollte den Gebrauch des Wortes, dieses zweischneidigen Schwertes, gänzlich anderen überlassen. Einige mögen fähiger sein als andere, es in jedem Augenblick und unter allen Umständen zu schwingen; aber es bleibt darum nicht weniger wahr, dass wir alle es überall tragen sollen, und dass jedes Glied der Familie Gottes imstande sein muss, es bei Gelegenheit zu benutzen.

Ein solches Verhalten passt augenscheinlich dem Feinde nicht. In dem Augenblick, da die Arbeiter das Schwert um die Hüfte gürteten, hätte er ihnen sagen können: Vertraut eure Schwerter doch anderen an, die besser zum Streite taugen als ihr. Beschäftigt euch mit eurer Arbeit, und sucht nicht zwei Dinge zugleich zu tun. Zudem braucht ihr euch nicht zu beunruhigen, es wird schon alles gut gehen". Doch der Arbeiter antwortet: Nein, es wird nicht alles gut gehen, wenn ich mich bei euren Worten beruhige. Den Herrn handeln lassen, ist ein unschätzbares Vorrecht; aber habe ich nicht für Ihn zu streiten? Zu sagen: Der Herr wird handeln, wenn ich das Schwert des Geistes, die Wachsamkeit, das Gebet, die Ausdauer aufgebe, heißt einer gewissen Niederlage entgegen. gehen.

Doch auch das genügt noch nicht. Nehemia spricht zu den Vorstehern: "Das Werk ist groß und weltläufig, und wir sind auf der Mauer zerstreut, einer von dem anderen entfernt. An dem Orte, wo ihr den Schall der Posaunen hören werdet, dahin versammelt euch zu uns. Unser Gott wird für uns streiten" (V. 19. 20)!

Soll eine Arbeit in wirksamer Weise geschehen, so muss sie gemeinschaftlich ausgeführt werden. Wenn der Feind sich zeigt, dürfen die Gläubigen nicht zerstreut sein; findet er auf dem angegriffenen Punkt keinen gemeinsamen Widerstand , so werden sie sicherlich unterliegen. Der Gegner zieht Nutzen aus der Zerstreuung der Kinder Gottes, und am meisten ist ihm ihr Zusammenkommen zuwider, denn er weiß, dass ihre Kräfte dadurch verzehnfacht werden. Auch ist sein erstes Bemühen, wenn er sie angreift, darauf gerichtet, Zwietracht und Trennung unter ihnen anzurichten. Darum erschallt der Zuruf Gottes: "Versammelt euch"! heute, wie in den Tagen Nehemias, von allen Seiten. Wir haben einen Sammelpunkt. Versammeln wir uns um den Anführer! Die Posaune ist laut genug erschollen, um von allen gehört zu werden. Beeilen wir uns deshalb und lasst uns nicht sagen: Die Arbeit genügt mir. Nein, sagt der Anführer, sie genügt nicht; denn der Feind wird, wenn er dich vereinzelt findet, dich und dein Werk zerstören. Die Gefahr ist drohend. Sammeln wir uns, anstatt uns zu zerstreuen! Lasst uns Ohren haben, zu hören, was der Geist den Versammlungen sagt! Es ist sehr gut, vor seinem Hause zu bauen, aber die allgemeinen Interessen des Volkes Gottes erfordern unsere Kraft angesichts unserer Brüder. Dazu ruft uns die Posaune zusammen. Bald, wenn der Kampf zu Ende ist, wird sie uns zum letzten Male zusammenrufen, dorthin, wo es nichts mehr zu. bauen noch zu verteidigen gibt, sondern wo wir in Frieden eine ewige Ruhe genießen werden.

Kapitel 5 - Hindernisse von innen

Das 4. Kapitel hat uns die Notwendigkeit gezeigt, gewappnet zu sein, um das Werk des Herrn auszuführen, denn man kann jeden Augenblick berufen werden, den Feind zu bekämpfen.

Das 5. Kapitel zeigt uns ein sehr demütigendes Schauspiel. War das Zeugnis des Volkes nach außen hin von einer lobenswerten Tätigkeit begleitet, so ließ es im Innern viel zu wünschen übrig; ja, es wurde durch anstößige Tatsachen gehemmt. Wo waren die brüderlichen Beziehungen zwischen den Gliedern des Volkes Gottes? Fand man Hingebung, Erbarmen, Mitgefühl mit den Armen, und offenbarte sich die Liebe, wie sie es hätte tun sollen? Nein; "es entstand ein großes Geschrei des Volkes und ihrer Weiber gegen ihre Brüder, die Juden" (V. 1). Ein großes Geschrei; Klagen, Beschuldigungen, die übrigens vollkommen gerechtfertigt waren!

Die Armen verlangten Getreide zum Leben (V. 2). Wo war die Liebe? Es wäre nötig gewesen, dass die Reichen nach dem Beispiel Christi ihr Leben für die Brüder gelassen hätten, und nun halfen sie ihnen nicht einmal in den gewöhnlichen Dingen des Lebens! "Wer aber der Welt Güter hat und sieht seinen Bruder Mangel leiden und verschließt sein Herz vor ihm, wie bleibt die Liebe Gottes in ihm" (1. Johannes 3, 17)? Oder wie es an einer anderen Stelle heißt: "Wenn aber ein Bruder oder eine Schwester nackt ist und der täglichen Nahrung entbehrt, und jemand unter euch spricht zu ihnen: Gehet hin in Frieden, wärmet euch und sättigt euch! ihr gebet ihnen aber nicht die Notdurft des Leibes, was nützt es? Also ist auch der Glaube, wenn er nicht Werke hat, an sich selbst tot" (Jakobus 2, 15‑17

"Und es waren, die da sprachen: Wir mussten unsere Felder und Weinberge und unsere Häuser verpfänden, dass wir Getreide erhielten in der Hungersnot" (V. 3). Und wer hatte von ihnen Nutzen gezogen, als sie Hunger leidend, Brot haben mussten? Ihre eigenen Brüder! Und doch verbot das Gesetz Moses das ausdrücklich. Der Israelit konnte den Nationen leihen, aber er sollte keinen Zins nehmen von seinem Bruder (5. Mose 23, 19. 20; 2. Mose 22, 25). So hatte die Liebe zum Gewinne sie diese große Sünde begehen lassen. ).

"Und es gab solche, die da sprachen: Wir haben Geld entlehnt auf unsere Felder und unsere Weinberge für die Steuer des Königs. Und nun, unser Fleisch ist wie das Fleisch unserer Brüder, unsere Kinder sind wie ihre Kinder; und siehe, wir müssen unsere Söhne und unsere Töchter dem Knechtsdienst unterwerfen; und manche von unseren Töchtern sind schon unterworfen, und es steht nicht in der Macht unserer Hände, sie zu, lösen; unsere Felder und unsere Weinberge gehören ja anderen" (V. 4 u. 5). Da der Tribut für den König (Esra 6, 8; 4, 20) eingetrieben wurde, hatten diese Leute auf ihre Felder und Weinberge Geld von ihren Brüdern entlehnt; weil sie nun ihre Schuld nicht zurückzahlen konnten, gehörte ihnen nicht mir das Land nicht mehr, sondern sie mussten auch ihre Kinder zu Knechten hingeben, ohne sie zurückkaufen zu können. Ihre Felder waren ja in den Händen ihrer Brüder! Welch ein elendes Los!

Wie zeigt uns das, dass ein richtiges Zeugnis nach außen hin uns keine Gewähr dafür bietet, dass es auch in anderer Beziehung gut mit uns steht! Im Gegenteil, jenes Zeugnis kann sogar bezüglich unseres praktischen Lebens eine große Schlinge für uns werden, indem die Befriedigung darüber, dass wir einen Platz der Absonderung von der Welt einnehmen, unseren geistlichen Stolz nähren und uns über unsere sittliche Schlaffheit in unseren Beziehungen zu den Brüdern hinwegsehen lassen kann. Gegen diese Gefahr warnt auch Jeremia das Volk: „Verlasset euch nicht auf Worte der Lüge, indem man spricht: Der Tempel Jehovas, der Tempel Jehovas, der Tempel Jehovas ist dies! Sondern wenn ihr eure Wege und eure Handlungen wirklich gut machet, wenn ihr wirklich Recht übet zwischen dein einen und dem anderen, den Fremdling, die Waise und die Witwe nicht bedrücket . . . . so will ich euch an diesem Ort wohnen lassen" (Jeremia 7, 4‑6).

Angesichts dieser Unordnung wurde Nehemia sehr zornig. Er fragte niemand um Rat, was er jetzt zu tun habe, eben so wenig wie in der Nacht, da er den Rundgang um die Mauern Jerusalems machte. "Mein Herz", sagte er, "pflegte Rats in mir". Er wusste bei sich selbst, was seine Pflicht war, sowohl bezüglich des öffentlichen Zeugnisses wie auch betreffs des sittlichen Lebens des Volkes. Er fürchtete sich nicht, die Angesehenen vor einer großen Versammlung bloßzustellen; das menschliche Ansehen hielt ihn nicht zurück, wenn es sich um die Wahrheit handelte. So tadelte auch Paulus den Petrus vor allen in Antiochien und widerstand ihm ins Angesicht, weil er dem Urteil verfallen war (Galater 2, 11‑14). Hier zeigte Nehemia den Edlen und Vorstehern, dass ihre Brüder, die unter den Nationen wohnten, ganz anders und viel besser handelten als sie. jene hatten ihre Brüder, die den Nationen als Sklaven verkauft waren, losgekauft, und sie wollten sie verkaufen! Und zwar „uns sollen sie sich verkaufen" (V. 8)? Welche Schande!

Können wir hieraus nicht eine Belehrung für uns selbst ziehen? Brüder, die noch auf mancherlei Art mit der Welt verbunden sind, geben durch ihre Aufopferung für ihre Brüder oft ein weit besseres Zeugnis, als andere, die mit Kraft auf der äußeren Absonderung bestehen. Wenn diese beiden Dinge nicht zusammengehen, so hat das christliche Zeugnis keinen wirklichen Wert. Aber lasst uns nicht vergessen, dass die Welt mehr getroffen wird von einem Zeugnis, das unter der Form brüderlicher Liebe abgelegt wird, als unter der Form einer äußeren Absonderung. Darum sagt Nehemia zu den Vornehmen: "Solltet ihr nicht in der Furcht unseres Gottes wandeln, dass wir nicht den Nationen, unseren Feinden, zum Hohne seien" (V. 9)?

Seine eigene Stellung, die rückhaltlose Hingebung für sein Volk, die völlige Verzichtleistung auf seine eigenen Interessen erlaubten Nehemia so zu reden. Er hatte sein Verhalten im Privatleben mit seinem Auftreten in der Öffentlichkeit in Übereinstimmung gebracht. Er konnte sagen: "Ich aber tat nicht also, aus Furcht vor Gott. Und auch an dem Werke dieser Mauer griff ich mit an; und wir kauften kein Feld; und alle meine Diener waren daselbst zum Werke versammelt" (V. 15 u. 16). Er hatte als Statthalter das Recht, auf Kosten des Volkes seinen Unterhalt zu empfangen; aber auch darauf hatte er völlig verzichtet. So handelte auch der Apostel Paulus zu Korinth. Wer des Altars wartet, hat das Recht, vom Altar zu leben; und so ist es mit allen Dienern. Doch Paulus hatte nichts von den Korinthern genommen, um dieser geliebten Versammlung in der Gefahr von seiten derer, die sie beraubten, als Vorbild zu dienen. Nehemia verwandte seine eigene Habe, um täglich 150 Juden und Vorsteher zu speisen, ungerechnet die gelegentlichen Gäste. Er war also imstande, zu ermahnen oder vielmehr zu fordern, dass dieser böse Zustand aufhöre.

Gott sei Dank! er hatte die Freude, eine Antwort zu bekommen. Ob die Ermahnungen des treuen Mannes das Gewissen derer, die gesündigt hatten, tief trafen, können wir nicht sagen. Jedenfalls klingen ihre Worte ein wenig matt für gedemütigte und zerknirschte Leute: "Wir wollen es zurückgeben und nichts von ihnen fordern; wir wollen also tun, wie du sagst" (V. 12). Doch wie dem auch sei, sie gehorchten, und diese einfache Tat des Gehorsams brachte in Israel Freude hervor: "Und die ganze Versammlung sprach: Amen! und sie lobten Jehova" (V. 13).

Sodann wendet sich Nehemia zu Gott, wie er es weiterhin noch oft tut: „Gedenke mir, mein Gott, zum Guten alles was ich für dieses Volk getan habe" (V. 19)! Sein einfältiges Herz hat die Gewissheit, dass Gott ihn anerkennt. Mit einem guten Gewissen kann er vor Gott und Menschen stehen. Er hat alle seine Rechte als Tirsatha für den Dienst Jehovas und Seines Volkes aufgegeben, und er zweifelt nicht daran, dass Gott Wohlgefallen daran hat, ‑ Was jedoch seinen Ermahnungen eine solche Autorität gab, war, dass er in völliger Wahrheit sagen konnte: „Wandelt wie ihr mich zum Vorbilde habt.“

@@@@@@@@@@@@@

Abraham in 1. Mose 18 und 19

Bibelstelle: 1. Mose 18 und 19

Botschafter des Heils 1914 S. 70ff

Die Stellung, welche Abraham in 1. Mose 18 u. 19 einnimmt, ist wegen ihrer Erhabenheit sehr bemerkenswert.

Er scheint den göttlichen Fremdling und Seine beiden Gefährten, die Engel, sogleich als solche erkannt zu haben, ohne dass es irgend einer Vorstellung oder Offenbarung bedurft hätte; gerade so wie es bei Josua, Gideon und anderen, die sich in ähnlichen Umständen befanden, der Fall war. Er war, wie ein anderer gesagt hat, an die Gegenwart Gottes gewöhnt. Das gibt uns den Schlüssel zu den beiden wunderbaren Kapiteln.

Der Herr kommt nicht, um bei Abraham irgend etwas in Ordnung zu bringen, oder um ihn in sittlicher Hinsicht zu belehren. Abraham steht vor Ihm in der Stellung, dem Charakter und der Haltung eines Menschen, der für die Gegenwart Jehovas völlig vorbereitet war.

Dementsprechend macht der Herr ihn auch mit Seinen Wegen und Gedanken bekannt, wie ein Mann es seinem Freunde gegenüber tut. Er offenbart ihm Geheimnisse, die ihn selbst nicht unmittelbar angehen. Hätte es sich dabei um Abraham gehandelt, so hätte er gewissermaßen einen Anspruch darauf gehabt, sie zu vernehmen, und der Herr würde sie ihm sicherlich mitgeteilt haben. Aber er hat keinen persönlichen Anteil an den mitgeteilten Dingen. Es sind Gedanken und Absichten des Herrn über eine Stadt und ein Volk, mit denen Abraham nicht den geringsten Verkehr hatte. Die Sodomiter waren Fremde für ihn, wie er es für sie war; und das nicht zufällig, sondern mit Vorbedacht. So verkehrt der Herr jetzt mit Abraham wie mit einem Freunde, nicht wie mit einem Jünger "oder gar einem Sünder; nein, Er verkehrt mit ihm" wie mit einem Freunde.

Abraham verstand das sehr wohl, und es war sein gutes Recht. Die Gnade erwartet, verstanden zu werden, und es ist sicherlich ihre Freude, wenn es geschieht. Wir sollten, wenn der Herr uns zu irgend etwas auffordert, bereit sein zu gehen; wenn Er uns naht, sollten wir Ihm nahen.

So geht es hier. Die Engel, den Sinn ihres Herrn erfassend, ziehen sich zurück. Abraham dagegen naht dem Herrn und verwendet sich für die gottlose Stadt und ihre Bewohner. Für sich selbst hat er nichts zu bitten. Er hatte nichts zu bekennen, auch keine Anliegen betreffs seiner selbst vorzutragen; nein, so wie der Herr zu ihm über Sodom gesprochen hat, so redet er jetzt mit dem Herrn über den gleichen Gegenstand. Er tut Fürbitte als jemand, der Gott nahe steht; was ihn selbst betrifft, so ist alles in Ordnung, und er hat Zeit und Muße, anderen zu dienen.

Alles in diesem Gemälde ist voll Gnade und Würde. Da gibt es nichts Schwaches oder Dunkles. Alles ist Kraft und Erhabenheit.

Aber es geht noch weiter.

Am nächsten Morgen in aller Frühe begibt sich Abraham an den Ort, wo er über Sodom zu dem Herrn geredet hatte. (Die Art der Mitteilung im 19. Kapitel lässt darauf schließen, dass dieser Ort irgendwo auf den Bergen von Judäa lag und einen Überblick über die Jordanebene oder das Tal Sittim, in welchem Sodom lag, gewährte.) Dort sieht er den Brand der Stadt, wie sie von dem vom Himmel fallenden Feuer verzehrt wird. Er sieht das Gericht des Herrn. Er sieht es von der Höhe aus, wo er und der Herr am Tage vorher ihre Unterredung betreffs dieser Stadt gehabt hatten.

Dieses Ereignis trägt denselben Charakter wie alles übrige. Wir erblicken Abraham immer noch in einer Stellung der höchsten Erhabenheit. Denn was wir hier sehen sind gleichsam die Beziehungen des Himmels zum Gericht, oder Gottes eigene Beziehungen zu demselben. Abraham wurde nicht aus dem Gericht .befreit wie Lot, er wurde auch nicht durch dasselbe geführt wie Noah, noch einfach hinweggenommen, ehe es kam, wie Henoch, sondern, über all diesen Männern stehend, wird ihm des Himmels Platz in Bezug aus das Gericht gegeben. Er schaut zu, wie es an anderen ist ausgeübt wird, und hat selbst nichts damit zu tun; ebenso wenig wie er von dem Schauplatz weggenommen zu werden braucht, ehe es kommt, oder sicher hindurchgeführt werden muss, wenn es da ist. Ich wiederhole also: er steht in keinem niedrigeren Verhältnis zu ihm wie der Himmel selbst.

Das ist fürwahr eine große Sache. Es ist die Stellung, welche die Kirche (Gemeinde) in dem Buche der Offenbarung einnimmt, nicht ihre Stellung nach 1. Thess. 4, sondern mehr als das: ihre Stellung in der Offenbarung. Die gekrönten Ältesten sind droben, wenn die Gerichte in der Ebene oder unten auf der Erde ihren Lauf nehmen. Gleich Abraham sehen sie die Gerichte wie von der Stätte Gottes aus. Es ist nicht die bloße Ausnahme in den Himmel, bevor sie hereinbrechen, wie bei Henoch (die hat dann bereits stattgefunden), noch ein Hindurchgeführtwerden, nachdem sie hereingebrochen sind, wie bei Noah ; nein, sie schauen, wie Abraham es tat, von oben ihrer Ausführung zu. Wie Abrahams Stellung im 18. Kapitel der gegenwärtigen Stellung der Gemeinde entspricht, indem auch ihr Gottes Geheimnisse kundgetan werden (vgl. Joh. 15, 15), so entspricht seine Stellung im 19. Kapitel der der Kirche in der Offenbarung, wo sie den Gerichten des Herrn auf der Erde zusieht. Abraham wurde zuerst von der Tatsache in Kenntnis gesetzt; dann schaute er, ohne dass er etwas mit der ,Sache selbst zu tun hatte, der Erfüllung der Tatsache zu. Diese wunderbaren Kapitel geben indessen noch zu einem allgemeinen Gedanken über die Gerichte Gottes Anlass. Wir können eine ganze Reihe dieser Gerichte verfolgen: zur Zeit Noahs, Lots, Israels in Ägypten, Israels am User des Roten Meeres, Deboras im Buche der Richter, der Kirche aus der Erde, wovon wir in 1. Kor. 11 lesen, der verherrlichten Kirche in Offb. 5, des treuen Überrestes in Offb. 15, der Himmel in Offbg. 19. Und bei jeder dieser Gelegenheiten sehen wir das Volk Gottes in anderer, unterschiedlicher Weise in Tätigkeit. Schönheit, Kraft und Bedeutsamkeit finden wir überall, denn die Art und Weise, wie der Glaube sich betätigt, entspricht, wie wir gleich sehen werden, dem Charakter des Gerichts.

Noah war Zeuge des göttlichen Gerichts über die Sünde, und durch die Gnade zugleich Zeuge seiner eigenen Befreiung aus demselben. Nachher betete er an, indem er dem Herrn ein Brandopfer darbrachte. (1. Mose 8).

Lot wurde befreit, wie durchs Feuer gerettet; und dieser Tatsache entsprechend finden wir bei ihm weder Altar noch Opfer. Er wurde aus der Umkehrung entsandt; das war alles (1. Mose 19).

Israel in Ägypten war, wie Noah, Zeuge des göttlichen Gerichts über die Sünde und wurde, gleich ihm, durch Gnade bewahrt. Auch beteten die Israeliten an, wie er, indem sie ihre Befreiung durch eine Opfermahlzeit feierten, durch das Essen des Lammes, dessen Blut sie beschirmte (2. Mose 12).

Im Unterschied davon wurde Israel am Ufer des Roten Meeres aus der Hand der Feinde befreit, deren Gericht sie als Augenzeugen beiwohnten. Sie hatten deshalb auch ein Lied, wie es sich bei einer derartigen Gelegenheit für sie geziemte. (2. Mose 15.) Debora befand sich in der gleichen Lage und in der gleichen Beziehung zu dem göttlichen Gericht. Sie war Zeugin des Gerichts Gottes über die Feinde ihres Volkes, und so hatten sie und Barak, gerade wie Israel am Roten Meere, ein Lied (Richter 5).

Die Kirche aus Erden ist gleichfalls Zeugin des Gerichts Gottes über die Sünde, und sie feiert, wie Israel in 2. Mose 12, durch ihr Festmahl ihre eigene Erlösung. Sie verkündigt im Abendmahl mit Danksagung die Rettung Gottes (1. Kor. 11).

Die verherrlichte Kirche ist Zeugin der Gerichte Gottes über die Welt, womit ein Vorausempfangen ihres eigenen Königtums verbunden ist. Infolge dessen hat sie, ebenso wie die Israeliten am Roten Meere, oder wie Debora im Buche der Richter, ein Lied für ihre himmlischen Harfen bereit (Vgl. Offb. 5).

Auch die Überwinder in Offb. 15 haben ein Lied, denn das Gericht, von welchem sie singen, wird an den Feinden vollzogen, die sie bedrückt hatten, gerade so wie es bei Israel am Roten Meere der Fall war.

Die Himmel triumphieren mit lauter Stimme, wenn die, welche die Erde mit ihrer Hurerei verderbt hat, unter der Hand des Herrn fällt (Offb. 19).

Es herrscht also ein bemerkenswerter Unterschied in der Art, wie der Glaube sich an einem Tage göttlichen Gerichts betätigt. Wir haben zu unterscheiden zwischen Gerichten über Sünde und solchen über Feinde, und zwischen den entsprechenden Befreiungen durch Gnade und durch Macht. Es ist durchaus am Platze zu singen, wenn ein Gericht an unseren Feinden vollzogen worden ist, während die Macht Gottes uns daraus befreit hat. Aber ein Gericht über die Sünde und unsere Befreiung aus demselben (denn wir selbst waren schuldig und dem Gericht verfallen) sollte mehr durch Anbetung im Geiste der Demut verherrlicht werden. Wir finden deshalb in 2. Mose 12 kein Lied, während es in 2. Mose 15 mit Recht erklingt.

Die Handlungsweise und das Verhalten Abrahams in den uns beschäftigenden Abschnitten ist so schön, passend und bedeutsam wie nur irgend etwas in den angeführten Fällen. Sein Auge überblickte eine Stätte, wo das Gericht über die Sünde vollzogen worden war — er selbst war nicht in Gefahr gewesen, von ihm betroffen zu werden, denn er hatte keinen Anteil an der Sünde gehabt, die gerichtet wurde. Er hatte mit den Städten der Ebene nichts zu tun gehabt. Hierin unterscheidet sich seine Geschichte von der Noahs, denn Noah befand sich aus dem Schauplatz des Gerichts; ebenso von derjenigen Israels in Ägypten oder der Kirche Gottes aus Erden. Beide sind Zeugen von dem Gericht über die Sünde, aber mit dem Unterschiede, dass sie ihm selbst ausgesetzt gewesen und nur durch Gnade und Jesu Blut von ihm befreit worden sind. Nicht so — Abraham im 19. Kapitel. Er bedurfte keiner persönlichen Befreiung von dem Gericht, das die Städte der Jordanebene heimsuchte; er schaut ihm von oben her zu. Seine Beziehungen zu demselben waren himmlischer Art. Von derselben Höhe, wo er tags zuvor mit dem Herrn zusammen gewesen war, sah er das Gericht hereinbrechen.

@@@@

Aus einer Besprechung über die Feste Jehovas

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 77ff

Auf das Fest der Erstlinge folgte für Israel eine lange festlose Zeit, die Zeit seiner Beiseitesetzung infolge der Verwerfung des Messias.“,Denn die Kinder Israel werden viele Tage ohne König bleiben und ohne Fürsten und ohne Schlachtopfer.“ (Hos. 3, 4.) Aber obgleich Israel für eine so lange Zeit dahingegeben ist, bleibt es doch stets ein Gegenstand des liebenden Interesses Gottes.

Mit Vers 26 beginnt ein ganz neuer Abschnitt in der Geschichte dieses Volkes. Wenn Gottes Tun mit den Nationen vollendet und ihre Zeit vorübergegangen sein wird, tritt Gott wiederum in Verbindung mit Seinem irdischen Volke. Die drei letzten Feste fallen alle in den siebenten Monat; das will sagen: sobald Gott wieder für Israel eintritt, werden die Ereignisse sich so drängen, dass die Ratschlüsse Gottes in Bezug aus Sein Volk recht schnell zur Ausführung kommen werden.

„Und Jehova redete zu Mose und sprach: Rede zu den Kindern Israel und sprich: Im siebenten Monat, am ersten des Monats, soll euch Ruhe sein, ein Gedächtnis des Posaunenhalls, eine heilige Versammlung. Keinerlei Dienstarbeit sollt ihr tun, und ihr sollt Jehova ein Feueropfer darbringen“ (Vers 23 - 25).

Es ist das geistliche Erwachen Israels aus Jahrtausende langem Todesschlaf, das uns hier vorbildlich gezeigt wird. Der Sohn des Menschen wird kommen auf den Wolken des Himmels. „Und Er wird Seine Engel aussenden mit starkem Posaunenschall, und sie werden Seine Auserwählten versammeln von den vier Winden her, von dem einen Ende der Himmel bis zu ihrem anderen Ende“ (Matth. 24, 31). „Der Israel zerstreut hat wird es sammeln und wird es hüten wie Seine Herde“ (Jer. 31, 10). „Wie ein Hirt sich seiner Herde annimmt . . ., also werde ich mich meiner Schafe annehmen und werde sie erretten aus allen Orten, wohin sie zerstreut worden sind . . . Und ich werde sie herausführen aus den Völkern und sie aus den Ländern sammeln und sie in ihr Land bringen“ (Hes. 34, 12. 13). Das Gedächtnis des Volkes ist allezeit vor Gott, „in Seine beiden Handflächen hat Er es eingezeichnet“ (Jes. 49, 16), aber Er wird ihm dann seine traurige Geschichte ins Gedächtnis rufen. Es wird Israel am Ende der Tage ergehen, wie einst den Brüdern Josephs, welche sagten: „Wir sind schuldig wegen unseres Bruders“, und: „Gott hat die Missetat deiner Knechte gefunden“ (1. Mose 42, 21; 44, 16). Sie werden mit tiefem Erschrecken inne werden, dass sie ihren eigenen König und Messias ermordet haben.

Auch am Feste des Posaunenhalls durfte keine Dienstarbeit getan werden. (Vers 24.) Das Aufwecken und das Sammeln Israels ist allein Gottes Werk. Ferner wurde dieses Fest am ersten des Monats, am Tage des Neumondes, gefeiert. Jeder Neumond musste festlich begangen werden, aber dieser im 7. Monat deutete in ganz besonderer Weise auf das Wiedererscheinen des Lichtes Israels hin.

Wie bei Israel, so muss es auch im Leben des Einzelnen einmal ein Fest des Gedächtnisses, des Auswachens und der Erinnerung an begangene Sünde geben. Soll es nach langer, finsterer Nacht Licht werden, so muss Gott in das tote, gefühllose Herz des Menschen hineinposaunen und sein Gewissen aufwecken. Und Gott tut es, Er lässt sich an keines Menschen Herz unbezeugt. „So sind wir nun Gesandte für Christum, als ob Gott durch uns ermahnte, wir bitten an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2. Kor. 5, 20). Wohl dem, der den Ton der Posaune Gottes hört und ihm folgt!

Neun Tage später war der Versöhnungstag.

„Und Jehova redete zu Mose und sprach“: Doch am zehnten dieses siebenten Monats ist der Versöhnungstag; eine heilige Versammlung soll euch sein, und ihr sollt eure Seelen kasteien, und ihr sollt Jehova ein Feueropfer darbringen. Und keinerlei Arbeit sollt ihr tun an diesem selbigen Tage“ (V. 26 -28). Der Versöhnungstag ist ganz besonders durch Seelenbetrübnis, durch Buße, gekennzeichnet. An diesem Tage durfte nicht nur keine Dienstarbeit, sondern überhaupt „keinerlei Arbeit“ getan werden; als ein Sabbat völliger Ruhe musste er gefeiert werden. Jede Bemühung seitens des Menschen war streng untersagt. (Vgl. 3. Mose 16, 29 -31.) Was könnte auch ein Mensch im Blick auf die Vergebung seiner Sünden tun? Gott hat in Christo ein Werk vollbracht, vorgebildet durch den Bock des Sündopfers, dessen Blut ins Heiligtum, in die Gegenwart Gottes, gebracht werden musste. Auf Grund dieses Werkes kann heute jeder errettet werden, und auch Israel kann am Ende der Tage Vergebung seiner schweren Blutschuld finden. Dankbaren Herzens und in voller Gewissheit des Glaubens kann der Gläubige singen:

Ruhe fand hier mein Gewissen,

denn Sein Blut — o reicher Quell!

hat von allen meinen Sünden

mich gewaschen rein und hell.

Die Grundsätze, die wir hier finden, gelten für alle Zeiten. ,“Jede Seele, die sich nicht kasteit“, d. h. die nicht aufrichtig Leid trägt über ihre Sünden, „soll ausgerottet werden“ (V. 29). Auf Gnade ruhen wollen ohne Selbstgericht heißt Gott versuchen. „Und jede Seele, die irgend eine Arbeit tut an diesem selbigen Tage'', d. h. die durch eigene Werktätigkeit dem Sühnungswerke noch etwas hinzufügen will, selbige Seele will Gott selbst aus der Mitte des Volkes vertilgen. (V. 30.) Sie wird, mit anderen Worten, in ganz besonderer Weise dem Gericht Gottes anheimfallen, weil sie jenes Werk geringschätzt und das Ergebnis ihres eigenen armseligen Wirkens neben Christum stellt. Wie könnte Gott so etwas ungestraft lassen?

Nach der Seelenbetrübnis des Volkes Israel am Ende der Tage, die ihren Höhepunkt erreichen wird, wenn sie ihren Hohenpriester mit den Wundenmalen in Seinen Händen sehen, und auf ihr Befragen erkennen werden, dass sie selbst es sind, die Ihm diese Wunden geschlagen haben (vgl. Sach. 13, 6; auch Jes. 53), kommt für sie die Erfüllung des großen Versöhnungstages: sie werden inne werden, dass ihre Sünden getilgt sind und nie mehr vor Gott ins Gedächtnis kommen werden. Unmittelbar daran schließt sich dann das Laubhüttenfest, die Einführung des Volkes in die Sabbatruhe Gottes.

„Und Jehova redete zu Mose und sprach: Rede zu den Kindern Israel und sprich: „Am fünfzehnten Tage dieses siebenten Monats ist das Fest der Laubhütten sieben: Tage dem Jehova . . . Wenn ihr den Ertrag des Landes eingesammelt habt, sollt ihr das Fest Jehovas feiern sieben Tage; am ersten Tage soll Ruhe sein," und am achten Tage soll Ruhe sein“ (V. 33. 34. 39).

Das Laubhüttenfest ist ein Erntefest. Das Fest der Webebrote war das auch, doch in einem anderen Sinne: es war das Fest der Erstlinge, welche dem Jehova dargebracht wurden. Hier ist die ganze Ernte beendet, und das Fest der Einsammlung aller Früchte wird gefeiert. All die mühevollen Wege Gottes in Bezug aus Sein irdisches Volk, ja, auch im Blick auf die Schöpfung sind erfüllt. Israel ist gerettet und gesegnet, und der Strom des Segens geht von ihm aus über die ganze Erde.

War der Versöhnungstag durch Trauer und Seelenbetrübnis gekennzeichnet, so wird am Laubhüttenfest nur Freude und Jubel gesehen. „Ihr sollt euch vor Jehova, eurem Gott, freuen sieben Tage“ (V. 40; vgl. 5.Mose 16, 13 - 15.) Doch ist in Verbindung mit dem Laubhüttenfest noch ein besonderer Umstand bemerkenswert. Es gab einen achten Tag, oder wie wir sagen würden, einen ersten Tag der Woche.

Dieser achte Tag ist, vorbildlich betrachtet, der Auferstehungstag,. der erste Tag der neuen Schöpfung. An diesem letzten, dem großen Tage des Festes stand Jesus im Tempel zu Jerusalem und rief: „Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke!“ (Joh. 7, 37). An diesem Tage fand eine „heilige Versammlung'' statt, eine „Festversammlung“ (V. 36). An den übrigen Tagen mussten die Israeliten in Hütten wohnen, die sie aus Palmzweigen und Zweigen von Laubhölzern erbaut hatten. Dieser achte Tag weist hin auf die Verbindung einer tausendjährigen Ruhe und Segnung im Reiche mit dem ewigen Zustand, einer noch höheren Ordnung der Dinge, wenn alles neu gemacht sein wird. Dann wird das Wort in Erfüllung gehen: „Siehe, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden Sein Volk sein, und Gott selbst wird bei ihnen sein, ihr Gott“ (Offb. 21, 3).

Der leitende Gedanke bei den Festen Jehovas ist also: Gott will Sein Volt um sich sammeln und es teilnehmen lassen an Seiner Ruhe. Die Ruhe, welche der erste Mensch im Garten Eden genoss, wurde durch die Sünde unterbrochen. Aber Gott hat den Gedanken, bei den Menschen zu wohnen, nicht aufgegeben. Eine andere Ruhe wird kommen, und all die Wege und Ratschlüsse Gottes zielen dahin, Sein Volk an dieser Ruhe teilnehmen zu lassen. Zugleich schaut das Herz des Gläubigen sehnend nach dieser Ruhe aus. Der Sabbat war der Tag der Ruhe in Verbindung mit dieser Schöpfung. Er ist deshalb all den anderen Festen vorangestellt, um anzudeuten, dass es eine Ruhe gibt, in welche Gott den Menschen einführen will, und um die Bedeutung der übrigen Feste von vornherein zu kennzeichnen.

Das Eingangstor oder der Anfang der Wege Gottes mit den Gläubigen ist das Kreuz, vorgebildet im Passah.

Im Anschluss daran folgt das Fest der ungesäuerten Brote, worin Gott zeigt, dass in dem ganzen Verkehr und Wandel des Gläubigen hienieden der Sauerteig, die Sünde, ausgeschlossen sein soll.

Die Erstlingsgarbe stellt Christum dar, den Erstling der Entschlafenen, auferstanden aus den Toten. Nachdem Er droben eingegangen ist, können die Früchte Seines vollbrachten Werkes genossen werden. Die Erstlingsbrote, derselben Ernte entnommen, welcher die Erstlingsgarbe angehörte, sind ein Bild von der Kirche; in ihr, die aus allen Völkern" der Erde, aus Juden und Heiden, gesammelt wird, wird Gott ein neues Speisopfer dargebracht. Die Sünde ist noch in ihr - die Brote sind mit Sauerteig gebacken — soll aber nicht wirken. „Haltet euch der Sünde für tot!“

Aus der Verordnung, den Rand des Feldes nicht abzuernten und keine Nachlese bei der Ernte zu halten — für den Armen und Fremdling sollte es stehen bleiben — erkennen wir, dass Gott auch nach der Ausnahme der Kirche noch ein Zeugnis unter den Nationen haben wird.

Israel ist inzwischen als Volk beiseitegesetzt, angedeutet durch die lange festlose Zeit, aus welche im siebenten Monat das Gedächtnis des Posaunenhalls folgt. Am Tage des Neumondes, dem Zeichen der Wiederherstellung Israels oder seines Wiedererscheinens in der Welt, tritt Gott von neuem mit Seinem irdischen Volke in Verbindung. Er gedenkt der Vertriebenen Israels und sammelt sie aus allen Ländern. Sie erwachen aus ihrem Schlafe und kommen zur Einsicht und Buße.

An dem unmittelbar daraus folgenden Versöhnungstage wird Gott ihren Ungerechtigkeiten gnädig sein. Er kann das, weil durch den Tod Christi eine gerechte Grundlage geschaffen ist, auf welcher Er, unbeschadet Seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit, ja, kraft derselben, Seinem Volke vergeben und es, von allen seinen Sünden rein waschen kann. Gott ruht aus dem Opfer Christi, und Sein nunmehr erlöstes Volk darf an Seiner Ruhe teilnehmen. Das wird uns in dem Laubhüttenfest, dem Vorbild der tausendjährigen Sabbatruhe dieser Schöpfung, gezeigt. Der achte Tag endlich, der Tag der Auferstehungsherrlichkeit, gleitet über in die ewige Ruhe Gottes. Dann wird Gott in Seiner Hütte bei den Menschen der neuen Erde wohnen. Alle Seine Ratschlüsse sind erfüllt. Jede Träne ist abgewischt, Tod, Trauer und Schmerz sind für immer vergangen. „Und der auf dem Thron saß sprach: Siehe, ich mache alles neu . . . Es ist geschehen“ (Offb. 21, 5 - 6). Auch der Sohn wird dann Dem unterworfen sein, der Ihm alles unterworfen hat, auf dass Gott alles in allem sei.

Amen, Amen! brich dein Schweigen,

lass uns nicht getrennt mehr gehen;

lass uns bald in sel’gen Reigen

dort um dich versammelt stehn.

Komm, o Jesu, komm behende,

zeig’ uns deiner Liebe Macht!

Amen, Amen! O vollende,

was dein kostbar Blut gebracht!

@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@@

Betrachtungen über das Buch Nehemia

Bibelstelle: Esra

Botschafter des Heils 1914 S. 85ff

Kapitel 6 - Persönliche Angriffe

Wir haben weiter oben darauf hingewiesen, dass das 3. Kapitel ein Gesamtbild der ganzen Zeit enthält, in welcher die Mauer wiederaufgebaut wurde. Die Kapitel 4 ‑ 6 berich­ten dann von den Schwierigkeiten, denen das Volk während dieser Arbeit begegnete. Das 4. Kapitel zeigte uns die Bemühungen der Feinde, um die Arbeiter zu veranlassen, ihre Arbeit niederzulegen. Diese Bemühung wurde durch die Energie Nehemias vereitelt, der die Männer von Juda anleitete, die Waffen zu ergreifen, ohne indes ihren Beruf als Arbeiter aufzugeben. Im 5. Kapitel sahen wir die Tätig­keit Satans, um zwischen Brüdern, die zu einem gemeinsa­men Werk berufen waren, Unzufriedenheit und Hader her­vorzurufen. Hier war es das Vorbild Nehemias (der seine Rechte und Interessen dem Wohl seiner Brüder opfer­te), das außerordentlich viel dazu beitrug, die Geister zu, beruhigen und Zufriedenheit und Frieden wiederherzu­stellen. Das 6. Kapitel endlich, mit dem wir uns nunmehr beschäftigen wollen, zeigt uns den Angriff der Feinde unter einer neuen Form: die Gegner suchen Nehemia, das in diesen schwierigen Umständen von Gott benutzte Werkzeug, zu beseitigen. Gelang ihr Plan, so war vorauszusehen, dass das ganze Werk mit dem Diener, dem Gott es anvertraut hatte, fallen würde. Wie dieser Versuch, der gefährlichste von allen, vereitelt wurde, werden wir im Laufe unseres Kapitels sehen. Nehemia zeigt hier seltene Eigenschaften, um dem Angriff des Feindes zu begegnen; allen anderen voran leuch­tet sein unerschütterliches Vertrauen auf Jehova und sein gänzlichen Misstrauen im Blick auf sich selbst. Das erste findet in Vers 9 in den Worten Ausdruck: "Und nun, stärke meine Hände"! Nehemia weiß, dass er keine Kraft hat, und er sucht die Kraft, die in Gott ist.

Der gegen die Person Nehemias gerichtete Angriff trägt zwei aufeinanderfolgende Charakterzüge, die beachtenswert sind. Der gefährlichste kommt, wie immer, zuletzt. Der Feind bedient sich bei seinem Unternehmen einer geschick­ten Steigerung, und erst am Ende sendet er seine Truppen gegen den, den er vernichten will. In den Versen 1‑9 kommt der Angriff von außen; in den Versen 10‑14 erscheint er innerhalb der Umwallung Jerusalems und ist deshalb un­endlich gefährlicher. Beschäftigen wir uns zunächst mit dem Angriff von außen. Die Mauer war wiederaufgebaut, nur die Torflügel waren noch nicht eingesetzt. Noch wenige Tage, und die Stadt war vor einer Überrumpelung sicher. Der Feind beeilte sich deshalb, diesen Zustand der Nicht­vollendung sich zunutze zu machen. Es handelte sich in erster Linie darum, den Führer des Volkes zu beseitigen. Sanballat und seine Genossen laden ihn zu einer Zusammenkunft "in einem der Dörfer im Tale von Ono" ein. Nehemia antwortet ihnen mit wahrer Klugheit: "Ich führe ein großes Werk aus und kann nicht hinabkommen. Warum sollte das Werk ruhen, wenn ich es ließe und zu euch hinabkäme" (V. 3)7 Er stellte dem Schritt, durch den man ihn zu überlisten sucht, die Bedeutung des Werkes entgegen. Werden wir nicht unwillkürlich an das "Lebe darin" von 1. Timotheus 4, 15 erinnert?

Diese Weigerung schreckt den Feind nicht ab. Es geschieht ja oft, dass man ihm beim ersten Mal eine abschlägige Ant­wort erteilt und schließlich doch, "des Kopfes müde", ihm nachgibt. Nach vier erfolglosen Versuchen (V. 4) kommt er daher zum fünften Mal wieder mit seiner gefährlichen List. Er sendet seinen Diener mit einem offenen Brief in seiner Hand". Jeder konnte also Kenntnis von dem Inhalt nehmen, und der Feind ließ es sich nicht entgehen, ihn bekanntzu­machen; denn die in dem Brief enthaltenen Anklagen und Drohungen mussten zu den Ohren des Volkes kommen, da Sanballat auf diese Weise Bundesgenossen zu gewinnen hoffte.

Diese Anklagen und Drohungen enthielten fünf Haupt­punkte: 1. Unter den Nationen verlautet, und Gaschmu sagt es, dass ihr, du und die Juden, euch zu empören gedenket. 2. Die Erbauung der Mauer geschieht zu keinem anderen Zweck. 3. Es geht das Gerücht, (wie oft erschreckt man die Seelen mit den Worten: Es geht das Gerücht!) dass du ehrgeizige Absichten habest. Man sagt, du denkest daran, König zu werden, und so wird man dich anklagen, dass du die Autorität des Oberherrn beseitigen und dich an seine Stelle setzen wollest. 4. Diesen Plan suchst du, nach den umlaufenden Gerüchten, durch Propheten aus­zuführen, die du selbst bestellt hast, um auszurufen: Es ist ein König in Juda! 5. Und nun wird der König diese Gerüchte vernehmen.

Das war allerdings etwas, um den Mutigsten verzagt zu machen. Der Charakter und die Absicht des Dieners Jehovas wurden verdächtigt, und er musste befürchten, dass sein Ver­halten bei dem König, der sein ganzes Vertrauen auf ihn gesetzt hatte, verleumdet werde. Am Schluss dieses Briefes wurde dann zum fünften Mal die Einladung wiederholt: "So komm nun, dass wir uns zusammen beraten".

Nehemia durchschaute die Absichten des Feindes. Er wusste, dass er ihm widerstehen musste, um ihn zur. Flucht zu ver­anlassen. Er stellt den Lügen, die den Zweck haben, ihn zu erschrecken, die Wahrheit gegenüber. "Da sandte ich zu ihm und ließ ihm sagen: Es ist nicht geschehen nach diesen Worten, die du, sprichst; sondern aus deinem eigenen Herzen erdichtest du sie" (V. 8). Dann begleitet er, nach seiner Gewohnheit, seine Handlungen mit dem Gebet zu Gott: "Und nun, stärke meine Hände"! O wie gut tat er daran, dass er sich auf Gott verließ! Wenn der Feind auf uns zu­kommt, lasst uns ihn nicht fürchten: wir werden zur richti­gen Zeit die Rettung finden, wenn wir im Gebet ausharren.

Der zweite Besuch Satans, wie gesagt ein noch gefähr­licherer als der eben erwähnte, kommt in Jerusalern selbst zum Vorschein (V. 10‑14). Schemja, vielleicht ein Mann aus priesterlichem Geschlecht, tritt in der Rolle eines Propheten auf und wendet sich als solcher an Nehemia. "Er sprach diese Weissagung wider mich" (V. 12).

„Er hatte sich eingeschlossen", als Nehemia zu seinem Hause kam, indem er Furcht heuchelte, während es doch nichts zu fürchten gab. Dieser Mann war von Tobija und Sanballat gedungen ; die Geldliebe hatte ihn zu einem Verräter gemacht. Wir hören ihn sagen: "Lass uns im Hause Gottes, im Innern des Tempels, zusammenkommen und die Türen des Tempels verschließen; denn sie werden kommen, um dich zu ermorden; und zwar werden sie bei der Nacht kommen, dich zu, ermorden" (V. 10). Um den Mördern zu entgehen, gab es nach seinen Worten für Nehemia keine andere Wahl, als entweder von Furcht getrieben zu fliehen, oder im Tempel, zu dem die Priester allein Zutritt hatten, Zuflucht zu suchen. Aber wenn er geflohen wäre, so hätte man ihn eines bösen Gewissens beschuldigt; wenn er im Tempel Zuflucht gesucht hätte, hätte er sich der Entweihung des Tempels und der Übertretung der bestimmten Gebote Gottes schuldig gemacht. Die Schlinge war also schlau gelegt: in jedem Falle wäre Nehemia auf einen Weg der Sünde geraten, und die Folge davon wäre ein böses Gerücht und Verlästerung für ihn gewesen (V. 13).

Die Antwort des Mannes Gottes ist ein Beispiel von Würde und Demut zugleich. Den Menschen antwortet er: "Ein Mann wie ich sollte fliehen"? Hatte er nicht das Volk zu dem Werke veranlasst? Hatte er es nicht mutig bewaffnet? War er nicht bei den Uneinigkeiten seiner Brüder mit Autorität ins Mittel getreten? Meinte man, dass er vor solch lügnerischen Anklagen seinen Charakter verleugnen werde? Welch eine Würde! Aber Nehemia spricht auch ein Wort der Demut, wichtiger noch als das erste: "Wie könnte einer, wie ich bin, in den Tempel hineingehen und am Leben bleiben‑ (V. 11)? Ein Mann wie ich ! Er ge­braucht dasselbe Wort wie das erste Mal, aber hier geschieht es, um sich in Demut in die Gegenwart Gottes zu stellen. Man hätte ihn im ersten Falle des Stolzes bezichtigen kön­nen; im zweiten beweist er. dass der Stolz von seinem Herzen weit entfernt war. Wie sollte e r in den Tempel hinein­gehen, was Gott nur den Priestern erlaubt hatte? Ein König von Juda hatte das einst gewagt, indem er sich als König über die Priesterschaft erhoben hatte; aber er war dafür mit dem Aussatz bestraft worden (2. Chronika 26, 16‑21). Dachte Nehemia daran, ebenfalls eine so gottlose Tat aus­zuüben? Hatte ein Mann wie er irgend einen besonderen Wert vor Gott, oder ein Recht, seine Gebote zu übertreten? Das war ein Vorschlag, der von der alten Schlange kam. So hatte Satan von Anfang an gehandelt, indem er Adam Zum Ungehorsam verleitete.

Nach der entschiedenen Ablehnung, sich auf einen solch bösen Weg einzulassen, geht Nehemia keinen Schritt weiter, sondern überlässt die Sache der Hand Gottes. Das ist wieder­um beachtenswert. Er hätte das Volk gegen Schemaja aufwie­geln und ihn anklagen können, dass er ein falscher Prophet sei; er hätte ihn öffentlich des Verrats überführen und zu­gleich das schändliche Verhalten Sanballats und Tobijas aufdecken können. Aber er tut nichts dergleichen! Er über­lässt Gott das Urteil: "Gedenke es, mein Gott, dem Tobija und dem Sanballat nach diesen ihren Werken, und auch der Prophetin Noadja und den übrigen Propheten, die mich in Furcht setzen wollten" (V. 14)! Der Name des Gegners des Volkes kommt zuerst, der Name Schemajas wird hier überhaupt nicht erwähnt. Ein schönes Beispiel von einem Herzen, das sich keinerlei bitteren persönlichen Gefühlen hingibt gegen den, der ihm ein so schweres Unrecht angetan hatte! Zugleich auch ein schönes Beispiel von Zartgefühl einem Bruder gegenüber, von dem Nehemia wusste, dass er bestochen und erkauft war, und zu dem er hätte sagen können: Gehe hinter mich, Satan! Noadja wird nur hier erwähnt. Sie war wohl eine wahre Prophetin, hatte aber mit den übrigen Propheten die Hand zu diesen Ränken geboten. Diese Frau war ebenso wenig zu entschuldigen wie ihre Ge­fährten; die Ungerechtigkeit, die sich unter dem Prophe­tenmantel verbirgt, muss an den Tag gebracht werden!

So hielt Nehemia den Angriffen und Fallstricken des Gegners stand. Vor seinen Augen stand ein unveränderliches Ziel, und um es zu erreichen, fügte er zu dem Glauben die Tugend , den sittlichen Mut der alle Schwierigkeiten über­windet, indem er die leicht umstrickende Sünde abweist.

Trotz allen Widerstandes wurde die Mauer am 25. Tag des Monats Elul vollendet, des sechsten Monats des jüdi­schen Jahres, das mit dem Monat Abib begann, in dem die Ähren reiften, der zugleich der Monat des Passahs und des Auszugs aus Ägypten war. Dank. dem Eingreifen der gött­lichen Macht waren nur 52 Tage notwendig gewesen, um diese große Arbeit zu einem guten Ende zu führen. Es war in den Augen aller Nationen ringsum ein Beweis, dass "dieses Werk von unserem Gott aus geschehen war". Es war daher nicht zu verwundern, dass sie sich fürchteten als sie dies hörten, "und sie sanken sehr in ihren Augen".

Doch nun erhebt sich eine letzte Gefahr, hervorgerufen durch die Angesehenen unter dem Volk. "In jenen Tagen ließen Edle von Juda viele Briefe an Tobija abgehen, und solche von Tobija kamen an sie. Denn es gab viele in Juda, die ihm geschworen hatten". Warum hatten sie sich ihm unterworfen und seine Autorität anerkannt? Ach! eine trau­rige und leider so viel verbreitete Sache: sie fanden da ihren Vorteil, Tobija war, wie wir weiter oben schon gesagt haben, ein Schwiegersohn Schekanjas, des Sohnes Arachs, einem der Angesehensten unter dem Volk; und Jochanan, der Sohn Tobijas, war selbst Schwiegersohn Meschullams, des Sohnes Berekjas, aus priesterlichem Geschlecht. Diese Edlen von Juda waren doppelherzig; sie suchten Nehemia zu gewinnen, indem sie vor ihm von den "guten Taten" Tobijas redeten. "Er ist ein liebenswürdiger Mann" sagten sie jedenfalls, "der ein Bündnis mit dem Volke Got­tes gesucht hat". ‑ Wieder eine bekannte Sache: wie oft haben wir die persönlichen Eigenschaften eines Widersachers rühmen hören, um so seine Feindseligkeit abzuschwächen und die Seelen dahin zu bringen, ihn als Genossen anzu­nehmen! Doch dieselben Ränkemacher berichten dem Tobija die Worte Nehemias. Der ganze Briefwechsel sollte keines­wegs bezwecken, den Feind zu gewinnen, sondern vielmehr den Führer des Volkes in Schrecken zu setzen (V. 16‑19).

So führte der Widersacher alle seine Hilfstruppen zum Angriff auf einen einzelnen Mann. Doch Gott war da und stärkte die Hände Seines Knechtes. Wie einst zu Jeremia, so konnte Er zu diesem neuen Zeugnis sagen: "Ich werde dich diesem Volk zu einer festen ehernen Mauer machen, und sie werden wider dich streiten, aber dich nicht überwältigen; denn ich bin mit dir, um dich zu retten und dich zu befreien, spricht Jehova. Und ich werde dich befrei­en aus der Hand der Bösen und dich erlösen aus der Faust der Gewalttätigen" (Jeremia 15, 20. 21).

Kapitel 7 - Ordnung des Hauses, Regierung der Stadt, und Geschlechtsverzeichnisse

Die Mauer war gebaut, die Tore waren errichtet und die Riegel angebracht; der Feind, in allen seinen Versuchen ge­täuscht, gibt schließlich seine Unternehmungen auf. jetzt richtet sich die erste Sorge Nehemias auf die Einrichtung des Dienstes Jehovas. Die Torhüter oder die Hüter des Hauses, die Sänger, welche die Lobgesänge leiteten, die Leviten, denen der Dienst am Wort oblag (Kap. 8, 7), ‑ denn die Leviten hatten nicht mehr, wie in der Wüste, das Amt, die geheiligten Gegenstände der Stiftshütte zu tragen ‑, alle diese Männer werden in ihre Ämter eingesetzt.

Doch es bedarf noch einer Überwachung, und sie muss Führern anvertraut werden, die das Recht haben sich Gehör zu verschaffen. Durch die Autorität, die Gott ihm verliehen hat, erwählt Nehemia hierzu zwei Männer. So sehen wir später, wie Paulus kraft seiner apostolischen Autorität Timo­theus und Titus erwählte. Diese Autorität, andere zu beauf­tragen, ist in der Kirche Christi nicht mehr vorhanden, und es würde nichts als Anmaßung sein, wenn man auf ihr bestehen wollte; doch trotz des Verfalls lässt der Herr Seine Kirche nicht ohne Hilfsmittel, und Sein Geist reicht ihr die nötigen Unterstützungen dar. Nie wird die Tätigkeit des Geistes ihr fehlen.

Nehemia geht bei seiner Wahl mit Weisheit von oben zu Werke. Sein Bruder Hanani war der erste gewesen, der ihm die Nachricht von dem Elend Jerusalems gebracht hatte. (Kap. 1, 2). Es geziemte sich daher, dass der, welcher die Schmach der heiligen Stadt auf dem Herzen getragen hatte, und der, um sie aus ihren Trümmern wieder erstehen zu sehen, die weite Reise nach Babel nicht gescheut hatte, einen mit Autorität bekleideten Platz unter dem Volke erhielt.

Der zweite dieser Männer war Hananja, der Oberste der Burg. In dem beschränkten Wirkungskreis, der ihm in der eigentlichen "Stadt Davids" anvertraut gewesen war, hatte er gelernt. Doch nicht nur das; er besaß noch andere Titel. Wir hören von ihm: "Er war ein sehr treuer Mann und got­tesfürchtig vor vielen" (V. 2). Der Dienst Gottes kann nur treuen Männern anvertraut werden. Wenn sie es nicht sind, wie sollten sie zu Führern taugen? So umgab sich auch Paulus in späteren Tagen mit Dienern Christi, die erprobt und treu erfunden waren (1. Korinther 4, 17; Epheser 6, 21; Kolosser 4, 7. 9; 1. Timotheus 1, 12. Siehe auch 1. Petrus 5, 12; Offbg. 2, 13). Selbst heute, wo wir der apostolischen Einrichtung entbehren, müssen die Führer diesen Charakter tragen. Die Gemeinden in ihrer Gesamtheit werden sehr selten treu ge­nannt, nicht einmal in den Tagen der Apostel. Tatsächlich wird dieser Ausdruck nur zweimal (Epheser 1, 1 u. Kolosser 1, 2) auf sie angewendet. Wollte Gott, dass es da, wo die Einheit des Leibes Christi durch das Zusammenkommen der Kinder Got­tes verwirklicht wird, anders stände! Aber es war zu aller Zeit eine überaus seltene Sache. Da wo man sich anmaßt, "Gemeinden‑ zu bilden durch die Verbindung der Christen mit der Welt, ist es von vornherein unmöglich. jedenfalls findet man in dem Worte die Treue des Ganzen nur da, wo die himmlische Stellung in Christo gekannt und verwirklicht wird, wie in der Versammlung zu Ephesus; oder da, wo der Wert der Person Christi, des Hauptes Seines Leibes, (wie in Kolossä) geschätzt wird, trotz der Anstrengungen des Fein­des, den Genuss davon den Gläubigen zu rauben.

Es wird auch von Hananja gesagt, dass er "gottesfürchtig war vor vielen". Die Gottesfurcht ist immer von Demut be­gleitet; man kann sich keinen Wert beilegen, wenn man vor Ihm steht, und das ist eine der wahren Quellen der Auto­rität eines Führers. Wer etwas zu sein glaubt, lebt nicht in Gottesfurcht, und sein Dienst wird für die Heiligen nicht nützlich sein. Wenn Gott einen solchen benutzen will, so muss Er ihn früher oder später demütigen, uni ihn so zu ei­nem nützlichen Werkzeug zu machen.

Beachten wir noch, worin die Dienstverrichtungen dieser beiden Männer bestanden. Sie hatten sorgfältig die Tore zu überwachen (V. 3). Nichts durfte unbeobachtet in die heilige Stadt kommen. Nehemia hatte eine solche Furcht vor der Möglichkeit, dass fremde Elemente unter dem Schutze der Nacht oder selbst im Halbdunkel in die Stadt eingeführt wer­den könnten, dass er den Befehl gab, die Tore nicht eher zu öffnen, als bis die Sonne heiß scheine. So konnte niemand sich unbemerkt in Jerusalem einschleichen. Heute ist es nicht anders. Außer dass wir es mit geistlichen Feinden zu tun haben, müssen wir auch darüber wachen, dass nicht Lehren in die Stadt Gottes eindringen, die dem Christentum feindlich sind. Es handelt sich nicht notwendigerweise um Ketzereien. Wir begegnen oft Lehren, die bis zu einem ge­wissen Maße wahr, aber aus ihrer Stelle und ihren Beziehun­gen gerückt sind, und die, durch diese Versetzung verfälscht, nun umso gefährlicher wirken. Zu aller Zeit haben die Füh­rer, die dieses Namens würdig waren, darüber wachen müs­sen, dass solche Elemente nicht unter dem Schutz der Nacht oder des Halbdunkels kamen, um sich unter den Kindern Gottes einzunisten.

Beachten wir auch, dass, die beiden mit der Aufsicht über Jerusalern betrauten Führer persönlich über das Schlie­ßen der Tore wachen mussten, Sie durften diese Fürsorge nicht anderen anvertrauen, denn jede Sorglosigkeit in dieser Beziehung wäre verhängnisvoll gewesen; auch musste eine beständige Überwachung stattfinden.

Aber nicht nur die Führer, auch die B e w o h n e r Jeru­salems hatten ihre Pflichten: "Ihr sollt Wachen aus den Be­wohnern Jerusalems aufstellen, den einen auf seine Wache und den anderen vor sein Haus". In unseren Tagen liegt die Wachsamkeit bezüglich des Bösen gleichfalls allen ohne Unterschied ob. Jeder muss „vor seinem Haus" Wache halten. Lassen wir den Feind in unsere Häuser eindringen, so wird er das Volk Gottes ebenso verderben, wie wenn er durch die Tore eindränge. Wir müssen bezüglich alles Bösen wachsam sein, mag es sich um böse Lehren oder um Weltlichkeit handeln. Weltlichkeit ist freilich noch gefährlicher als böse Lehren, denn sie entspricht so sehr allen Neigungen unseres natürlichen Herzens, dass wir nicht wach­sam genug sein können, sie zurückzuweisen.

Eine weitere Schwierigkeit zeigt sich. Die mit Mauern umge­bene Stadt war geräumig und groß, aber das Volk darin war spärlich, und „keine Häuser waren gebaut“. Nicht dass gar keine Häuser da gewesen wären, denn nicht alle waren zer­stört worden, und bei der Rückkehr des Volkes unter der Führung Serubbabels hatten viele Familien ihre alten Wohnungen wieder aufgesucht und waren sogar damit beschäftigt gewesen, sie zu schmücken und zu täfeln (Haggai 1,4), während man die Arbeit am Hause Gottes hatte liegen lassen. Bei unserer Betrachtung hörten wir ja auch von vielen, die die Mauer vor ihrem Hause ausbesserten. Unsere Stelle will einfach sagen, dass die zerstörten Häuser nicht wiederaufgebaut worden waren. Es gab ohne Frage in Jeru­salem weite ganz leere Strecken. Daniel spielt auf diese Ar­beit an, die in den Tagen Nehemias begann. Er unterscheidet die sieben ersten ‑ Jahrwochen von den übrigen zweiundsechzig, die bis zur Ankunft des Messias verfließen sollten, und fügt hinzu, dass während dieser neunundvierzig Jahre „“Stra­ßen und Gräben wiederhergestellt und gebaut werden wür­den, und zwar in Drangsal der Zeiten“ (Dan 9, 25). Die Straße oder der Platz ist der Ort, wo sich der Verkehr der Stadt zusammendrängt und der zuerst mit Häusern bebaut wird; der Graben ist ein Verteidigungsmittel, die Stadt zu beschützen. Das Wort Gottes führt uns geschichtlich nicht bis zu der Zeit der Drangsal, von welcher der Prophet Daniel redet, einer Zeit, über die auch das Zeugnis der Geschichte wenig bestimmt ist.

Von V. 5‑73 finden wir dann die Wiederholung der im 2. Kapitel des Buches Esra enthaltenen Geschlechtsverzeich­nisse. Die Rationalisten haben nicht verfehlt, diese Stelle anzufechten. Achtzehn der in Esra angegebenen Zahlen lauten hier anders; einige sind niedriger, die meisten höher. Des Volkes, der Priester, der Diener des Heiligtums usw. sind in Esra 29 818 Personen; die Gesamtzahl, einschließlich der Nichtverzeichneten, ist in beiden Büchern 42360. Von dieser Gesamtzahl bezeichnet Nehemia 31089 Personen als nicht verzeichnet. Indem wir die Annahme (die ebenso leicht wie unwahrscheinlich ist), dass durch die Schuld der Abschrei­ber Fehler entstanden seien, beiseite lassen, stellen wir folgendes fest: 1. Die Aufzählung der Führer des Volkes in Nehemia 7 enthält einen Namen, Nachamani (V. 7), der in Esra 2 nicht erwähnt wird. 2. Die von Serubbabel aufge­stellten Geschlechtsverzeichnisse kommen während einer mehr oder weniger langen Zeit zustande (Siehe Nehemia 12, 23). 3. Beachtenswert ist, dass, wenn man dem Geschlechtsver­zeichnis Esras die 1 396 Personen hinzufügt, die nach dem Bericht von Neh. 11 kamen, um in Jerusalem zu wohnen, man für das Volk auf 25 540 kommt, auf eine Zahl also, die ziemlich genau mit der in Nehemia 7 angegebenen von 25 406 übereinstimmt.

Wir könnten noch andere Einzelheiten anführen; doch wie es auch mit unseren Vermutungen stehen mag, wir lernen jedenfalls hier wie immer, dass wir unserer Vernunft nicht trauen dürfen, selbst wenn es sich um materielle Einzel­heiten des Wortes Gottes handelt, und dass wir bezüglich ihrer Erklärung auf den Herrn warten müssen, bis Er es für gut findet, uns zur rechten Zeit die nötigen Aufklärungen zu geben. Jeder dem Worte unterworfene Leser hat diese beglückende Erfahrung gewiss schon manchmal gemacht.

@@@@@@@@@@

Hingebung

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 99ff

„Du sollst Jehova, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft. . . . Jehova, deinen Gott, sollst du fürchten und Ihm dienen“ (5. Mose 6, 5 u. 13).

So sprach einst das Gesetz zu dem Volke Israel betreffs seiner Hingebung an Jehova. Ein Gehorsam, nicht dem bloßen Buchstaben nach, sondern ein Gehorsam im Geiste der Liebe und der Furcht wurde gefordert. Eine völlige Liebe zu Gott, verbunden mit heiliger Furcht, war die Vorbedingung zu einem Gott wohlgefälligen Dienst; denn sie hatten es mit einem Gott zu tun, der nicht allein Güte und Rettung ihnen erwiesen hatte, sondern der auch ein heiliger Gott war.

Aus vielen Beispielen der Heiligen Schrift sehen wir, dass man sich der Güte und Menschenliebe Gottes nicht wirklich erfreuen kann, ohne gleichzeitig an Seine Heiligkeit erinnert zu werden. „Große Dinge hat der Mächtige an mir getan“, singt Maria, um dann gleich fortzufahren: „und heilig ist Sein Name“ (Luk. 1, 49). Der erste Vers in Hannas Lobgesang (1. Sam. 2) preist die Rettung Jehovas, und schon der zweite rühmt Seine Heiligkeit. Im Jauchzen über die göttliche Liebestat Seiner Rettung denkt sie alsbald daran, dass „Jehova heilig ist, und keiner außer Ihm“. So singt auch das erlöste und befreite Volk jenseits des Roten Meeres: „Du hast durch deine Güte geleitet das Volk, das du erlöst, hast es durch deine Stärke geführt zu deiner heiligen Wohnung“ (2. Mose 15, 13). Und David, „der Liebliche in Gesängen Israels“, betet: „Ich aber, ich werde in der Größe deiner Güte eingehen in dein Haus, ich werde anbeten in deiner Furcht gegen deinen heiligen Tempel“ (Ps. 5, 7).

Der natürliche Mensch liebt sich selbst und nicht Gott. Er kennt keine Furcht Gottes in seiner Seele und dient der Sünde. So ist er völlig unfähig, Gott mit ganzer Seele zu lieben und Ihm in Furcht zu dienen. „Die Gesinnung des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott, denn sie ist dem Gesetz Gottes nicht untertan, denn sie vermag es auch nicht“ (Röm. 8, 7). Nur Einer hat die ernste Forderung des Gesetzes, die unsere Betrachtung einleitet, erfüllt, und dieser Eine ist unser Herr Jesus Christus, betrachtet als „geboren von einem Weibe, geboren unter Gesetz'“ (Gal. 4, 4).

Für Ihn war das Gesetz nicht, wie für alle anderen, die sich darunter befanden, der tötende Buchstabe, sondern es rief in Seinem Herzen nur die Antwort hervor: „Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust, und dein Gesetz ist im Innern meines Herzens“ (Ps. 40, 8). Und nicht nur das: Er kam, um das Gesetz zu erfüllen, d. h. in seiner ganzen Fülle darzustellen. (Vgl. die sogenannte „Bergpredigt“).

Und wie ist es heute mit uns? Von Natur ist es dem Menschen heute wie immer unmöglich, das Gesetz zu erfüllen. Selbst wenn sein Wille erneuert und Leben aus Gott ihm geschenkt ist, vermag er die als heilig, gerecht und gut erkannten Gebote nicht zu vollbringen. Er muss erfahren, dass in ihm, das ist in seinem Fleische, nichts Gutes wohnt, und dass er in Jesu Christo „von diesem Leibe des Todes gerettet“ werden muss (Röm. 7). Dann aber kann das Recht des Gesetzes in ihm erfüllt werden. Indem er nicht mehr nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste wandelt, bringt die Gnade in ihm hervor, was das Gesetz nicht vermochte, ja, weit mehr als das: das Bild Christi kommt (wenn auch selbstverständlich schwach) in ihm zur Darstellung, d. i. nicht nur das, was der Mensch vor Gott sein sollte, wird in ihm geschaut, sondern das was Christus war (Röm. 8, 4).

Dem Herrn sei daher Preis und Dank, dass wir nicht mehr unter Gesetz, sondern unter Gnade stehen! (Röm. 6, 14). Unter dem Gesetz fordert Gott von dem Menschen, unter der Gnade gibt Er. Darf nun das Fleisch daraus einen Vorteil ziehen? Darf unsere Hingebung, weil wir unter Gnade sind, von niedrigerem Charakter sein, als unter dem Gesetz? Im Gegenteil. Nur werden wir im Neuen Testament in ganz anderer Weise zur Hingebung aufgefordert, als in 5. Mose 6.

Paulus schreibt an die Gläubigen in Rom: „Ich ermahne euch nun, Brüder“, — nicht etwa auf Grund der Forderungen des Gesetzes oder gar durch die Schrecken des Gerichts, denn von beiden waren sie errettet, sondern — „durch die Erbarmungen Gottes, eure Leiber darzustellen als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Schlachtopfer, welches euer vernünftiger Dienst ist“ (Röm. 12, 1). Und er ermahnt die Epheser: „Seid nun Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder, und wandelt in Liebe, gleichwie auch der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch''. . (Eph. 5, 1. 2.)

Also: au Grund der Erbarmungen Gottes, die sie erfahren hatten, und als Nachahmer Gottes selbst, wie Christus hienieden gewandelt hat. Die treibende Kraft zu unserer Hingebung ist nicht, wie unter dem Gesetz, das Bewusstsein davon, was wir vor Gott sein sollten oder wozu wir uns verpflichtet fühlen; nein, es ist das, was Er für uns ist und was Er für uns getan hat. Nicht die von außen kommenden Forderungen des Gesetzes, nicht das Gefühl der Pflicht, sondern das innerliche Erfassen und Verwirklichen der Erbarmungen Gottes in der Kraft der Liebe, die in unsere Herzen ausgegossen worden ist, mit einem Wort, die Liebe soll unsere Hingebung (und zwar eine heilige Hingebung) hervorbringen, nur sie soll der Antrieb zu unserem Dienen sein, dem Beispiel entsprechend, das Christus uns hinterlassen hat. Durch den Hinweis auf die Erbarmungen Gottes wird unsere Hingebung ganz aus dem Kreise des Gesetzes herausgenommen und auf einen Boden gestellt, aus dem jeder Ruhm unserseits ausgeschlossen ist. Das eigene „Ich“ hat da keinen Platz. „Auf dass sich vor Ihm kein Fleisch rühme“, so lautet der unumstößliche göttliche Grundsatz. Gott muss alles sein, alles tun, alles geben.

„Und das ist kein hartes Gebot; nein, „wir lieben, weil Er uns zuerst geliebt hat“ (1. Joh. 4, 19), — nicht weil es uns geboten ist. Wir können gar nicht anders. Der Liebe unseres Herrn schulden wir unser ganzes Sein, zu lieben ist gleichsam auch unsere Natur geworden. So geben wir uns Gott hin mit einem Herzen, welches in die Liebe des Herrn einzugehen versteht, in einem Leben, das in Christo und aus Christo ist und in der Kraft des Heiligen Geistes gelebt wird. Es ist ein Gesetz der Freiheit, welches uns leitet, und durch das Befolgen dieses Gesetzes wird unsere Liebe zu Gott gepflegt und unsere Furcht in Seiner heiligen Gemeinschaft erhalten.

Wahre Hingebung kann nur aus einem liebenden Herzen hervorfließen, und sie muss den Charakter der heiligen Furcht tragen, wenn sie wie ein lieblicher Wohlgeruch nach oben steigen soll. Ohne Liebe ist alles wertlos vor Gott. „Gib mir, mein Sohn, dein Herz!'' (Spr. 28, 26): Nicht deinen Kopf, nicht deine Hand, nein, dein Herz! Durch das Herz unterweist uns der Heilige Geist auf unserem Wege. So betete der Apostel Paulus für die Heiligen in Ephesus, „dass sie erleuchtet werden möchten an den Augen ihres Herzens“, und „dass Christus durch den Glauben in ihren Herzen wohne“ (Eph. 1, 18; 3, 17).

Wie beweist sich nun die Echtheit unserer Liebe? In der Selbstverleugnung und in dem völligen Ausgehen des eigenen Willens in den Willen des Herrn. „Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt“, sind des Herrn eigene Worte (Joh. 14, 21). Ohne Selbstverleugnung ist es unmöglich, sich selbst Gott darzustellen als ein Lebender aus den Toten oder seinen Leib als ein heiliges Schlachtopfer, Gott wohlgefällig. Sich selbst verleugnen bedeutet, wie ein Bruder sich ausdrückt: seinen Willen, d. h. sich selbst, als gar nicht daseiend betrachten. Es handelt sich nicht bloß darum, meinen Willen einzuschränken, ihm Zügel anzulegen, nein, ich kenne mich selbst nicht mehr, mein Wille geht mich gar nichts mehr an, er ist für mich nicht mehr da. So war es mit unserem geliebten Herrn. Er war nicht vom Himmel herniedergekommen, um Seinen Willen zu tun, sondern Er verleugnete sich selbst und opferte sich völlig auf. Nicht als ob bei Ihm ein eigener böser Wille zu überwinden gewesen wäre, wie bei uns. Keineswegs. Aber in allem, was Er tat, war nur des Vaters Wille Sein Beweggrund: „Ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun“ (Hebr. 10, 7). „Meine Speise ist, dass ich den Willen Dessen tue, der mich gesandt hat“ (Joh. 4, 34.) Er gehorchte auch nie aus Furcht vor den Folgen des Abweichens vom Worte Gottes, sondern weil Er Seine Wonne am Gehorsam fand.

Zu diesem Gehorsam sind auch wir berufen. (1. Petr. 1, 2.) Wie sollten wir da bei jedem Schritt prüfen, was „der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes“ ist! Wir sind ja leider oft so träge in diesem Prüfen und begnügen uns so leicht mit einer Leitung durch die Umstände des Lebens. Die Schrift nennt das ein Geleitetsein durch „Zaum und Zügel“, während doch der Gläubige die Verheißung hat: „Ich will dich unterweisen und dich lehren den Weg, den du wandeln sollst; mein Auge aus dich richtend, will ich dir raten“ (Ps. 32, 8). Es ist unser Vorrecht, Gott nahe genug zu sein, um durch den Blick Seines Auges geführt und unterwiesen zu werden. Vergessen wir aber nicht, dass nur derjenige sich durch das Auge eines anderen bestimmen lässt, dessen eigener Wille gebrochen ist, und der nun auf den Willen des anderen wartet.

Eine besonders gefährliche Schlinge für den Gläubigen ist die Weltförmigkeit, weil ihn diese aus der Nähe des Angesichts Gottes bringt. Deshalb ruft Paulus den römischen Christen, nachdem er sie eben erst zur Darstellung ihrer Leiber als heilige Schlachtopfer aufgefordert hat, warnend zu: „Seid nicht gleichförmig dieser Welt, sondern werdet verwandelt durch die Erneuerung eures Sinnes“ (Röm. 12, 2). Die Welt liebt Genuss, Wohlleben, Luxus, Unabhängigkeit, Ehre und Ansehen, kurz alles was der Natur gefällt. Der erneuerte Sinn bildet sich nach Christo. Gleichförmigkeit mit der Welt kann wohl bestehen neben viel äußerer Liebestätigkeit und religiösem Eifer, nicht aber neben einer Hingebung in Liebe und Furcht.

Zu einer solchen gehört ein ungeteiltes Herz, das sich selbst vergisst und in seiner Liebe so weit geht, dass es sich um des Geliebten willen gleichsam ausziehen lässt, wie wir das bei dem Sohne Sauls sehen. „Jonathan liebte David „wie seine Seele“; darum beraubte er sich alles dessen, was ihm gehörte, um David damit zu schmücken, der in seinen Augen dessen würdiger war. „Und Jonathan zog das Oberkleid aus, das er anhatte, und gab es David, und seinen Waffenrock (diese Zeichen seiner königlichen Würde) und bis auf sein Schwert und seinen Bogen (die Mittel zu seinen Siegen) und den Gürtel (seine Kraft)“ (1.Sam. 18, 4).

Auch wir, wenn wir den Herrn „lieben wie unsere Seele“, fühlen uns gedrängt, Ihm, „dem Ausgezeichneten vor Zehntausenden“, Ihm, „an dem alles lieblich ist“, alles zu übergeben, was unser ist, weil Er um unsertwillen sich auch selbst vergessen und alles hingegeben hat. Und unser hochgelobter Herr erkennt es an, schätzt unsere Hingebung und wird einst, wie David von Jonathan, von jedem Treuen sagen: „Holdselig warst du mir sehr!“ (2. Sam. 1, 26).

Welche Gnade! Ja, noch mehr: Jeden Dienst der Liebe, den wir unseren Geschwistern erweisen, und wäre es nur ein freundlicher Blick, ein ermunterndes Wort, ein tröstender Brief, ja, nur ein einfacher Becher Wasser, welcher einem der Kleinsten gereicht wird aus Liebe zu Christo, betrachtet der Herr als Ihm dargereicht; er geht durch Seine Hände, um „als Trankopfer Gott, dem Vater“, dargebracht zu werden. Denn alles was für Christum getan wird, ist für Gott getan, und Gott nimmt es, durch Christum dargebracht, als ein vortreffliches Opfer an.

Eine ergreifende Schilderung dieses Gedankens finden wir in der Geschichte Davids, wenn wir den Sohn Isais in seinem vorbildlichen Charakter, als den von Menschen Verworfenen, aber von Gott Gesalbten, betrachten. David, wie ein Rebhuhn über die Berge gejagt, fand in der Höhle Adullam eine Zufluchtsstätte. Eines Tages sehnte er sich nach einem Trunk Wasser aus dem Brunnen von Bethlehem, und drei seiner Getreuen waren bereit, seinen Wunsch zu erfüllen, obgleich sie ihr Leben dabei aufs Spiel setzen mussten. „Da brachen die drei Helden durch das Lager der Philister und schöpften Wasser aus der Zisterne von Bethlehem, die am Tore ist, und trugen und brachten es zu David. Aber er wollte es nicht trinken und goss es aus als Trankopfer dem Jehova“ (2. Sam. 23, 16). Der Wohlgeruch eines solchen Opfers der Liebe und Hingebung war viel zu herrlich, als dass er in seinem Hinaufsteigen zu dem Throne Gottes hätte aufgehalten werden dürfen.

So gießt auch unser Herr, wenn wir uns mit Ihm, dem von Menschen Verworfenen und Gehassten, eins machen, alles, was wir Ihm zu Liebe tun, gewissermaßen vor unserem Gott und Vater als Trankopfer aus. „Wenn jemand mir dient, so wird der Vater ihn ehren“ (Joh. 12, 26). „Wenn jemand mich liebt, so wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen“ (Joh. 14, 23).

David sehnte sich nach dem Trunk Wasser, und unser Herr verlangt nach unserer Hingebung und weiß sie zu schätzen. Wir wissen aus Lukas 7, dass der Herr die Zeichen der Hingebung bei dem Pharisäer Simon vermisste, und dass Er ihn mit den Worten: „Ich habe dir etwas zu sagen“, darauf aufmerksam machte. Das Herz des sündigen Weibes, das in das Haus Simons trat, war wahrhaft ungeteilt, ihre Hingebung war eine Hingebung in Liebe und Furcht. Ihre Liebe zeigte sich nicht in etwas Großem, das sie tat, sondern darin, dass sie alles Ihm tat. Sie fragte niemand um Rat, „ahmte auch nicht anderen nach; sie gab einfach alles für Ihn dahin. Wie verstand sie es, Ihn zu begrüßen, Ihn zu erquicken, Ihm den Kuss und das Wasser auf Seine Füße zu geben, ja, nicht allein das, sondern auch Ihn zu ehren, indem sie Seine Füße salbte mit der Salbe! Wahrlich, das war eine völlige Hingebung im Geiste der Liebe und Furcht!

Zeigen wir dieselbe Hingebung, lieber Mitpilger! Der Herr ist ja ebenfalls in dein und mein Haus gekommen, und Er kam auch zu uns in reinster Gnade, obschon wir nichts weniger als liebenswert waren. Wohl haben wir alle am Tage unserer Errettung Ihn bewillkommt, und dadurch Sein Herz erfrischt; denn aus der Geschichte des Weibes am Jakobsbrunnen wissen wir, dass darin, dass wir Ihm und Seinem Worte geglaubt haben, ein lieblicher Willkomm und eine herzliche Erfrischung für Ihn liegt. Aber — Hand aufs Herz! — haben wir immer noch denselben Willkommsgruß und die gleichen Erfrischungen für Ihn bereit, wenn Er sich mit uns beschäftigt, wie in den ersten Tagen nach unserer Bekehrung? Wird unser Herz immer noch brennend in uns, wenn Er aus dem Wege zu uns redet, wie es damals der Fall war?

Vergessen wir andererseits nicht, dass wir niemals aus uns selbst Gott etwas bringen können. Unsere natürlichen Herzen möchten zwar gern Gott zum Schuldner machen; aber das ist unmöglich, denn „Geben ist seliger" als Nehmen'' (Apg. 20, 35) und: „ohne allen Widerspruch wird das Geringere von dem Besseren gesegnet“ (Hebr. 7, 7). Wollen wir Gott zum Schuldner unserer Liebe machen, so lautet Seine Antwort auf solches Begehren: „Wenn mich hungerte, ich würde es dir nicht sagen; denn mein ist der Erdkreis und seine Fülle“ (Ps. 50, 12). „Und der Libanon reicht nicht hin zum Brennholz, und sein Wild reicht nicht hin zum Brandopfer“ (Jes. 40, 16).

Immer ist Gott der Geber und der Mensch der Empfänger. „Wie soll ich Jehova alle Seine Wohltaten vergelten?'' fragt der Psalmist, und die Antwort lautet: „Den Becher der Rettungen will ich nehmen und anrufen den Namen Jehovas“ (Ps. 116, 12. 13). Mit anderen Worten: „Willst du Gott Seine Wohltaten vergelten“, Ihm „etwas wiedergeben“ für all das Gute, das Er an dir getan hat, so nimm und betrachte dankbaren Herzens die guten Gaben Seiner Hand. Als ein Empfänger der Gnade anbetenden Herzens Ihn preisen, verherrlicht Gott mehr, als alles, was wir Ihm im werktätigen Dienst darbringen könnten.

„Martha nahm Jesum in ihr Haus auf“, in das Haus, das ihr gehörte. Sie tat es mit aller Herzenswilligkeit und bereitete das Beste, das sie hatte, für Ihn zu. Sie liebte den Herrn, dachte an Seine leiblichen Bedürfnisse und sorgte für Seine Erquickung. Sie ist in diesem Sinne ein Vorbild für uns, wie man die Liebe zum Herrn zur Tat macht.

Und doch war die Hingebung der Maria eine tiefere. Sie hatte kein Haus, in das sie Ihn hätte aufnehmen können, aber sie öffnete Ihm ein Heiligtum und hieß Ihn dort willkommen, als Herrn des Tempels. Sie nahm ihren Platz zu Seinen Füßen ein und hörte Seinem Worte zu. Sie wusste ebenso wohl wie Martha, dass der Herr ermüdet war; sie wusste aber auch, dass in Ihm eine Fülle wohnte, die trotzdem noch geben konnte. Martha sah die Müdigkeit des Herrn und wollte Ihm geben; Marias Glaube aber erfasste die Fülle, die sich unter der Müdigkeit verbarg, und wollte daraus nehmen. Sie verriet dadurch, dass sie Seine göttliche Herrlichkeit erkannt hatte; sie fühlte, dass sie von Ihm erfrischt und gestärkt werden müsse. Das war eine Ehrenerweisung, eine Hingebung im Geiste der Liebe und Furcht, die der Herr besonders schätzte.

„Vermehrte Segnungen führen zu vermehrter Hingabe“, bemerkt treffend ein anderer Bruder. Je mehr Segnungen wir vom Herrn erbitten und wirklich genießen, mit umso volleren Händen können wir Ihm wieder dienen; und der Reichtum Seiner Segnungen ist unerschöpflich. Es geht damit, wie mit dem Strom, welcher im Tausendjährigen Reiche als Leben und Segen bringende Macht vom Throne Gottes ausgehen wird. Die Wasser nehmen zu, je weiter der Strom kommt. Anfangs gehen sie nur bis an die Knöchel, dann bis an die Knie, dann bis an die Hüften, und schließlich breiten sie sich in überströmender Fülle weit über das Flussbett hin aus. (Vgl. Hesekiel 47.)

Wenn wir nun aus dieser Fülle geschöpft haben, und es in wahrer Hingebung als Frucht unserer Liebe auf den Altar Gottes legen, dann werden wir ebenso wie David sagen, als sein Auge auf den reichen Vorräten ruhte, die er „mit all seiner Kraft“ für den Bau des Tempels bereitet hatte: „Wer bin ich und was ist mein Volk, dass wir vermöchten, auf solche Weise freigebig zu sein? Denn von dir kommt alles, und aus deiner Hand haben wir dir gegeben“ (1. Chron. 29, 14).

Von uns, die aufrichtig so sprechen, nimmt der Herr in Seiner Gnade gern alles entgegen, was unsere Liebe auf dem Wege der Hingebung Ihm darbringt. Wir selbst aber werden im Blick auf unser Tun — im Geiste der Seraphim von Jes. 6 — unser Angesicht und unsere Füße, die die hingebenden Dienste verrichteten, bedecken; unser Mund wird schweigen von allem, was wir getan haben, und nichts anders zu sagen wissen als: „Heilig, heilig, heilig ist Jehova der Heerscharen! Die ganze Erde ist voll Seiner Herrlichkeit.“

@@@@@@@@

„Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist Sein Mitberater gewesen? Oder wer hat Ihm zuvor gegeben, und es wird ihm vergolten werden? Denn von Ihm und durch Ihn und für Ihn sind alle Dinge. Ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit! Amen“ (Röm. 11, 36).

@@@@@@@@@@@

Es gibt ein Land

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 112ff

Es gibt ein Land — es liegt in weiter Ferne,

hoch über dieser Erde Neid und Streit;

des Pilgers Glaube weilet dort so gerne,

nur leise ahnend seine Herrlichkeit.

Die Erde, ach! die Stätte vieler Tränen,

nicht stillet sie der Seele heißes Sehnen;

sie beut nur Träber, zieht nur niederwärts,

sie hat nicht Trost, nicht Speise für das Herz.

Es gibt ein Land, wo alle Wünsche schweigen,

wo jedes Auge ganz gesättigt ist;

wo aller Haupt anbetend sich wird neigen,

Wo du, o Herr, für jeden alles bist.

Hier hegt das Herz manch törichtes Begehren,

hier heißt’s so vielen seiner Wünsche wehren;

das Lob ist karg, der Dank so matt und schwach,

und statt der Lieder tönt gar manches Ach.

Es gibt ein Land, darin ein Strom sich breitet

mit heller, wunderbar kristallner Flut,

an dessen Ufern mich mein Heiland leitet,

an dessen Wassern sich’s so wonnig ruht.

Hienieden sind nur löchriche Zisternen,

Nur Gaukelbilder, die in grauen Fernen

Mir malen einen palmenreichen Strand —

Und komm ich hin, ist’s dürrer Wüstensand.

Es gibt ein Land, ihr milden Weggenossen,

das eine ew’ge Fülle für uns hat·

Es gibt solch Land! — Drum pilgert unverdrossen

Schon winkt das Ziel, des Weges Ende naht!

Vielleicht e i n Schritt nur noch, ein kurzes Warten,

Dann öffnet sich des Paradieses Garten,

Dann führt der Herr uns ein ins Vaterhaus.

Wir sind daheim! Wer misst die Freude aus

@@@@@@@@@

Betrachtungen über das Buch Nehemia

Bibelstelle: Nehemia

Botschafter des Heils 1914 S. 113ff

Kapitel 8‑10 Der religiöse Zustand des Volkes

Kapitel 8 - Das Buch des Gesetzes und das Fest der Laubhütten

Die Kapitel 8‑10 beschäftigen sich mit dem religiösen Zustand des Volkes und bilden eine Art Einschaltung, indem das 11. Kapitel sich unmittelbar an das 8. anschließt.

Eine gewisse Ordnung war hergestellt, die Mauer war Vollendet, das Volk wohnte in seinen Städten. Und jetzt sehen wir, wie es sich "wie ein Mann" versammelt (in Esra 3 war bei der Errichtung des Tempels das gleiche ge­schehen), und zwar auf dem Platz vor dem Wassertor, in der unmittelbaren Nähe des Tempels, mit dem einzigen Verlangen, das Wort Gottes zu hören. Dieses Verlangen war in ihren eigenen Herzen entstanden, es war ihnen nicht von anderen eingegeben worden: "Sie sprachen zu Esra, dem Schriftgelehrten, dass er das Buch des Gesetzes Moses bringen sollte, welches Jehova Israel geboten hatte" (V. 1). Beachten wir indes, dass es im siebten Monat war, am ersten Tage des Monats, der dem Feste des Neumondes oder des Po­saunenhalls (3. Mose 23, 23‑25; 4. Mose 10, 3‑10; Psalm 81, 3) entsprach, dem Bilde der Erneuerung des zeitweilig ver­schwundenen Lichtes Israels. In Esra 3 war gelegentlich des­selben Festes der Altar (der Gottesdienst) wiederhergestellt worden; jetzt fühlt das ganze Volk das Bedürfnis, die Unter­weisung der Schriften zu empfangen. Diese beiden Dinge, der Gottesdienst und das Interesse am Wort, kennzeichnen wohl immer eine dauernde, Gottes Gedanken entsprechende Erweckung. Das Bedürfnis, sich auf die Bücher Moses zu stützen, füllt alle diese Kap. aus (Siehe Kap. 8, 1. 14. 18; 9, 3; 10, 34; 13, 1). Und siehe da, von dem Augenblick an,> da es sich um das Wort handelt, erscheint Esra wieder, denn Seine Gabe und seine Aufgabe war es, im Wort zu unterweisen und So zur religiösen Entwicklung des Volkes beizu­tragen. Obgleich Nehemia mit der hohen Würde des Tir­satha bekleidet war, trat er doch sogleich seinen Platz an Esra ab. Wie schön ist es, wenn die Gaben ausgeübt werden in gegenseitiger Gemeinschaft, ohne irgendwelchen Neid, und ohne dass die einen in das Gebiet der anderen einzugreifen suchen! Nehemia übt die Regierung von seiten Gottes aus; Esra unterrichtet und wendet das Gesetz Moses an.

Die ganze Versammlung vereinigt sich, um das Vorlesen des Gesetzes zu hören, die Männer samt den Frauen, ja selbst die, die „Verständnis hatten, um zuzuhören", das will sagen, die Kinder, die so weit herangewachsen waren, dass sie das Gelesene begreifen konnten. So trägt Gott in rührender Weise Sorge dafür, dass selbst die Kinder aus Seinem Wort Nutzen ziehen können.

Esra stand, wie einst Josia (2. Könige 23, 3), „auf einem Gerüst von Holz", die Alten, oder die Häupter der Vater­häuser, zu seiner Rechten und Linken. Feierlich öffnet er das Buch vor den Augen des ganzen Volkes und über ihren Köpfen, indem er so dem Gesetz den ihm gebührenden Platz der Autorität gibt. Dann preist er Jehova, den großen Gott . Gewiss, in diesem Buch hatte Gott Sich geoffenbart und forderte Gehorsam.

Alle sprechen ihr Amen zu dem Gebet Esras; sie heben die Hände empor, verneigen sich und werfen sich nieder.

Die Leviten, die jetzt nicht mehr die geheiligten Geräte zu tragen haben (1. Chronika 23, 26), erfüllen ihre Verrich­tungen als Diener des Wortes, indem sie das Gesetz dein Volke v e r s t ä n d 1 i c h machen; und man sieht, mit wel­cher Sorgfalt sie es tun (V. 8). Sie lesen d e u t 1 i c h . Das ist wichtig. Wie oft hört man Arbeiter des Herrn das Wort leise lesen, oder zu schnell, oder gar in nachlässiger Weise! Manche scheinen sich zu beeilen, um selbst Zum Reden zu kommen, als ob es nicht wichtiger wäre, das Wort Gottes Zu hören, als ihr Wort. In unserem Kapitel handelt es sich zu allernächst darum, das Volk mit dein Gesetz in unmittel­bare Verbindung zu bringen, dann dessen Sinn anzugeben, Lind schließlich, es allen verständlich zu machen (V. 8). Die Leviten spielen hier gleichsam die Rolle von Schullehrern, und das ist um so eindrucksvoller, weil die Kinder an diesem Unterricht teilnahmen, eine Sache, die man nie vergessen sollte. Ein guter Lehrer gönnt sich keine Erholung, bis alle seine Schüler das, was er ihnen erklären will, verstanden haben.

Der Tag, an dem Esra dies und alles Folgende tat, ist mit gutem Recht „der Tag der geöffneten Bibel“ genannt worden. Sie wandte sich zu gleicher Zeit an das Herz und Gewissen des Volkes, und es ist rührend, das Ergebnis da­ Voll zu sehen. Alle werden traurig und weinen, als sie die Worte des Gesetzes hören. Aber Esra spricht zu ihnen: "Dieser Tag ist Jehova, eurem Gott, heilig; seid nicht traurig und weinet nicht"! Und weiter: „Betrübet euch nicht, denn die Freude an Jehova ist eure Stärke" (V. 9. 10).

Lasst uns dieses große Wort nie vergessen! Die Demütigung, so kostbar und nötig sie ist, gibt uns keine Kraft. Wenn es sich darum handelt, Schwierigkeiten die Stirn zu bieten, finden wir die dazu nötige Kraft nur in der Beschäf­tigung mit dem Herrn, der Liebe in Seinem Worte geoffenbart hat. Ihn zu betrachten ist eine Quelle unaussprechlicher Freude für unsere Seelen, und die Freude an Jehova ist unsere Stärke. Hat nicht auch der Apostel, der von Leiden aller Art umgeben war, gerade dies den Philippern aus eige­ner Erfahrung empfohlen? „Freuet euch in dem Herrn allezeit"!

In einer anderen Stelle (Jesaja 30, 1.5) finden wir eine zweite hierher gehörende Wahrheit. Es heißt dort: "Durch Umkehr und durch Ruhe würdet ihr gerettet werden; i n Stille-sein und in Vertrauen würde eure Stärke sein“. Wie oft haben wir das erfahren! Indem der Christ es dein Feinde überlässt, sich aufzuregen und seine Angriffe zu verdoppeln, bleibt er selbst völlig ruhig in dem Bewusstsein, dass alle die Tätigkeit des Menschen nur das Werk Gottes schwächen kann, Lind mit der vollen Gewissheit, dass Gott ohne ihn zu handeln vermag.

In Nehemia gehorcht das Volk der Aufforderung seiner Führer; es hört auf, traurig zu sei, und zu weinen, und feiert ein großes Freudenfest. Es hatte „die Worte verstanden, die man ihnen kundgetan hatte“. Möchte das auch unser Teil sein!

Wie in Esra 3 (wir haben bei der Betrachtung dieses Buches die Ursache davon angedeutet) übergeht Nehemia auch hier mit Stillschweigen den großen Versöhnungstag, der am zehnten Tage des siebten Monats stattfand. Ab" am zweiten Tage des Monats versammelten sich die Häupter der Väter, die Leviten und die Priester zu Esra, "um aufzumerken auf die Worte des Gesetzes" (V. 13). Die, welche eben erst das Volk unterwiesen hatten, kamen zusammen, um selbst von Gott unterwiesen zu werden. So sollte es immer bei den Arbeitern des Herrn sein; es genügt nicht, dass sie die anderen belehren. Sie selbst sind schwach und erkennen nur stückweise; sie müssen daher zu ihrem eigenen Gebrauch neues Licht in dem Worte finden, um "verständig zu werden“. So geschah es hier. Indem die Versammelten die Belehrung der Schriften suchten, entdeckten sie etwas, das sie vorher nicht gekannt hatten. "Sie fanden im Gesetz geschrieben, dass Jehova durch Mose geboten hatte, dass die Kinder Israel am Feste im siebten Monat in Laubhütten wohnen sollten, und dass sie verkündigen und einen Ruf ergehen lassen sollten durch alle ihre Städte und durch Jerusalem, und sagen: Gehet hinaus auf das Gebirge und holet Zweige vom wilden Ölbaum und Myrtenzweige und Palmzweige und Zweige von dichtbelaubten Bäumen, um Hütten zu machen, wie geschrieben steht" (V. 14 u. 15; vergl. 3. Mose 23, 33‑44)!

Sobald sie das gelernt hatten, teilten sie es dem Volk mit, und dieses beeilte sich es auszuführen. Alle wussten jetzt, wie das Laubhüttenfest gefeiert werden sollte. Die flachen Dächer, die Höfe der Häuser, die Vorhöfe des Tempels, die Plätze am Wassertor und am Tore Ephraim, die außer der Umwallung lagen, alles wurde mit Hütten bedeckt (V, 16), Dar Fest war seit den Tagen Josuas beim Einzug des Volkes ;n Kanaan nicht mehr in dieser Weise gefeiert worden (V. 17). Wohl hatte man es in Esra 3 begangen, aber nicht den Einzelheiten der Verordnung entsprechend. Damals deutete es nur an, dass das Land dem Volke wieder geöffnet war, nachdem die Gefangenschaft ihm den Zugang dorthin verschlossen hatte. Im Buch Nehemia wird es nach den Vorschriften des Gesetzes gefeiert, und diese Tatsache ist die glückliche Folge des allgemeinen brennenden Eifers, die Unterweisungen des Wortes entgegen zu nehmen.

War es nicht etwas Außergewöhnliches, dass eine so klare und bestimmte Stelle den Priestern und Leviten bis dahin entgangen war? Nein, es ist eine zu allen Zeiten in der Geschichte des Volkes Gottes wiederkehrende Erscheinung. Viel wichtigere Wahrheiten, wie zum Beispiel die Wiederkunft des Herrn vor den Gerichten, haben achtzehnhundert Jahre lang verborgen sein können, obwohl das Neue Testament voll davon ist. Es bedarf der Wirksamkeit des Geistes Gottes, um solche Dinge zu entdecken; der schärfste menschliche Verstand ist dazu unfähig.

Das Laubhüttenfest in Nehemia und Esra ist ein Vorempfang der zukünftigen nationalen Erweckung. Dasselbe Fest wurde auch in Matthäus 21, 8, Markus 11, 8 und Johannes 12, 12. 13 gleichsam angedeutet durch die Zweige und Palmen beim Einzug Jesu in Jerusalem, als die Volksmenge Ihn als Sohn Davids und König Israels anerkannte. In Lukas 19 finden wir weder Palmen noch Zweige; die Jünger preisen allerdings den König, der da kommt im Namen des Herrn, aber sie sagen: „Friede im Himmel", nicht Friede auf Erden (vergl. Luk 2, 14), und man sieht Jesum über Jerusalem weinen (Vers 41). Das wahre Laubhüttenfest, das endgültige Fest, wird nach Sacharja 14, 16 erst in der Zukunft gefeiert werden, aber dann wird der große Versöhnungstag vorhergegangen sein (Sacharja 12 10‑14), den wir weder in Esra noch in Nehemia, noch in den Evangelien finden.

In einem Sinne können wir Christen das Laubhüttenfest feiern als die im voraus empfangene Freude der Herrlichkeit eine "sehr große Freude" (V. 17), oder, wie Petrus sagt, „eine unaussprechliche und verherrlichte Freude" (1. Petrus 1, 8).

Vom ersten bis zum letzten Tag des Festes (V. 18) wurde das Wort Jehovas vor dem Volke gelesen. Das Wort allein war imstande, die Freude im Herzen aller wach zu erhalten .

Kapitel 9 – Demütigung, Absonderung und Bekenntnis

Das Laubhüttenfest war das letzte in der Reihe der jüdi­schen Feste (3. Mose 23). Das vor uns liegende Kapitel hat indes mit den Verordnungen des 3. Buches Mose nichts zu tun. Erst am vierundzwanzigsten Tage, das heißt nach dem letzten großen Tage des Laubhüttenfestes, das mit dem drei –Und zwanzigsten Tage zu Ende ging, versammelten sich die Kinder Israels in Trauer Lind Demütigung (V. 1). Diese Hand­lung stand auch ebenso wenig in Beziehung zu dem großen Versöhnungstag, der am zehnten Tage des Monats stattfin­den musste, und den Esra und Nehemia, wie wir gesehen haben, nicht ohne Grund unerwähnt lassen

Dieses 9. Kapitel bildet eine Art Ergänzung des 10. Kapi­tels von Esra, in dem das Volk sich von den durch die Ehe geschlossenen Verbindungen mit den Nationen frei gemacht hatte, von Verbindungen, welche die israelitische Familie Mit den Feinden Jehovas und Seines Volkes eins machten. Doch die unter Esra vollzogene Reinigung genügte nicht. Das Voll, War gehalten, ein feineres Übel zu verurteilen, und wäre dieses Übel nicht bekanntgeworden, so wären die Ent­ronnenen notwendigerweise in die unheiligen Verbindungen zurückgefallen, die sie eben verlassen hatten. Wir meinen die Vermengung , die dadurch begünstigt worden war, dass man die Nationen an dem Leben des Volkes hatte teilnehmen lassen. Um von dieser Vermengung mit der Welt wirklich befreit zu werden, war mehr nötig, als sich von dieser oder jener anstößigen Sünde, wie z. B. von den frü­heren unheiligen Verbindungen, abzusondern; es bedurfte einer wahrhaftigen Verurteilung des Herzenszustandes, der zu der Vermengung geführt hatte, und diese Verurteilung finden wir im 9. Kapitel.

Das sind Tatsachen voll tiefer Belehrung für uns Christen. Wir haben nicht nur diesen oder jenen begangenen Fehler zu verurteilen, sondern die Weltlichkeit zu richten, der wir Bürgerrecht unter uns gegeben haben, und welche die Ursache unserer Fehler ist. Wir bedürfen einer wahren Absonderung von der Welt, denn nur sie wird uns vor groben Sünden bewahren, welche die traurige Folge jener Vermengung sind.

Um die Absonderung vollziehen zu können, bedurfte das Volk der Demütigung und des Bekenntnisses. Wie viel Mühe macht es heutzutage oft, diesen Dingen bei einzelnen Personen oder bei Versammlungen zu begegnen, welche Fehler gemacht haben! Wenn es sich um etwas augen­scheinlich Böses handelt, ist man ziemlich leicht bereit zu einer gemeinsamen Demütigung, soweit diese einen nicht zwingt, persönlich seine Sünden und verkehrten Taten zu bekennen. Man nimmt jeden Mittelweg, jeden Vergleich eher an als das. O wie wahr ist es, dass das Volk Jehovas ein halsstarriges Volk ist, das nicht weiß, den Nacken zu beu­gen und sich vor Gott zu nichts zu machen!

In diesem Kapitel ist es nicht so: das Volk demütigt sich wirklich, und alle fasten, in Sacktuch gekleidet und mit Erde auf ihren Häuptern (V. 1). Das ist Trauer, Betrübnis, Buße. Doch die Demütigung gibt sich nicht nur in diesen äußeren Zeichen kund, sie drückt sich auch durch Hand­lungen aus: "Der Same Israels sonderte sich ab von allen Kindern der Fremde" (V. 2).

Wo hatten sie die Kraft dazu gefunden? An derselben Quelle, aus der sie vorher geschöpft hatten. Soeben, bei Ge­legenheit des Laubhüttenfestes, hatte das Volk verwirklicht, dass "die Freude an Jehova seine Stärke war". Mit der so er­langten Kraft konnte es sich demütigen, sich ohne Zögern vom Bösen trennen und seinen Zustand bekennen. Wahre Demütigung und wahres Bekenntnis dulden keinen Aufschub; die Tat begleitet die Worte. "Der Same Israels sondert sich ab von allen Kindern der Fremde; und sie traten hin und bekannten ihre Sünden und die Ungerechtigkeiten ihrer Väter" (V. 2).

Noch einer anderen mächtigen Segenskraft begegnen wir in Vers 3: "Und sie standen auf an ihrer Stelle und lasen in dem Buche des Gesetzes Jehovas, ihres Gottes, ein Viertel des Tages. Und ein anderes Viertel des Tages bekannten sie ihre Sünden und warfen sich nieder vor Jehova, ihrem Gott". Ohne das Wort kann kein Bekenntnis vollkommen sein. Nur durch das Wort lernen wir verstehen, was Gott ist, was mit seinem Wesen unvereinbar ist, und was wir selbst gewesen sind. Wer sehen hier ferner, dass das Bekenntnis des Volkes in unmittelbarem Verhältnis zu dem stand, was das Wort ihm geoffenbart hatte: ein Viertel des Tages war dem Lesen des Gesetzes und ein Viertel des Tages dem Bekennen ge­weiht. Gerade so wie sie im Buch des Gesetzes die Quelle ihrer Kraft kennengelernt hatten (Kap 8, 3. 12), lernen sie jetzt in demselben Buch ihren Zustand verurteilen, um ihn dann rückhaltlos vor Gott zu bekennen.

Die Leviten spielen in diesem allen eine sehr schöne Rolle. Sie hatten das Volk unterwiesen (Kap 8, 8), dann hatten sie treu ihren Dienst ausgeführt und Verständnis erlangt bezüglich der Einzelheiten des Gesetzes (Kap 8, 13), indem sie so zu einer genaueren Kenntnis der bereits geoffenbarten Dinge gelangten; hier sehen wir sie auf die Erhöhung tre­ten und "mit lauter Stimme zu Jehova, ihrem Gott, schreien" (V. 4). Ihre Treue und ihre Gemeinschaft mit Gott befähigen sie, öffentlich der Mund der Versammlung zu werden, wenn es sich darum handelt, deren Sünde zu bekennen.

Dieses Bekenntnis, das fast das ganze 9. Kapitel, vom 5. bis zum 37. Vers, ausfüllt, ist überaus beachtenswert. Die Leviten beginnen damit, Jehova zu preisen. Man kann sich nicht in Wahrheit vor Gott befinden als Ihm angehörend, ohne den Charakter des langmütigen und barmherzigen Got­tes, den man verunehrt hat, anzuerkennen. "Bei dir ist Ver­gebung, damit du gefürchtet werdest" (Psalm 130, 4). Das war auch das Gefühl Davids, als er sagte: "Gegen dich, gegen dich allein habe ich gesündigt" (Psalm 51, 4).

Die an Gott gerichteten Lobpreisungen bestehen in Folgendem: In den Versen 5 ‑ 6 preist das Volk Gott als den Schöpfer und Erhalter aller Dinge, der immer derselbe ist, Jehova. In den Versen 7 ‑ 8 erkennt es Ihn an als den Gott der Verheißungen, der Abraham berufen und erwählt hat. In den Versen 9 ‑ 11 verherrlicht es Ihn als den Erlöser‑Gott und den Besieger des Feindes, der Sein Volk aus Ägyp­ten erlöst hat.

In den Versen 12 ‑ 15 reden sie dann von ihrer Verantwortlichkeit . Gott hatte ihnen das Gesetz gegeben, dem sie Gehorsam schuldeten, nachdem Er sie durch Seine Gnade bis an den Fuß des Berges Sinai geleitet hatte. Aber selbst nach dem Sinai hatte Er Seine Hilfsquellen gegen sie geöffnet, um sie in der Wüste zu ernähren und zu beschützen, und Er hatte sie aufgefordert, das Land Kanaan in Be­sitz zu, nehmen.

In den Versen 16 ‑ 21 erkennen sie an, in welcher Weise sie alle diese Gnadenerweisungen beantwortet hatten: "Aber sie, nämlich unsere Väter, waren übermütig und sie verhär­teten ihren Nacken und hörten nicht deine Gebote. Und sie weigerten sich zu gehorchen, und gedachten nicht deiner Wunder, welche du an ihnen getan hattest". Weiter hatten sie Gott, ihren Führer, verlassen, um sich ein Haupt zu wäh­len, das sie nach Ägypten zurückführen sollte. Endlich hat­ten sie ihrer Verachtung Jehovas dadurch die Krone aufge­setzt, dass sie das goldene Kalb machten und "große Schmä­hungen" gegen Gott verübten. Dann wurden sie verurteilt, vierzig Jahre in der Wüste umherzuziehen. Trotzdem hatte Gott Sich gegen sie als ein Gott der Güte erwiesen, soweit Sein heiliges Gesetz Ihm erlaubte, Sich in diesem Charakter zu offenbaren (V. 17). Ihre Empörung hatte alle Gnadenwege Gottes gegen sie gehemmt, aber dennoch hatte Jehova über, sie gewacht.

Endlich hatten sie aus reiner Gnade von dem Lande der Verheißung Besitz genommen (vergl. die letzten Kapitel des vierten Buches Mose), und durch die große Güte Gottes „ließen sie sich's wohl sein" (V. 25). Aber kaum in das Land eingezogen, empörten sie sich wiederum, und trotz all der vorangegangenen Gerichte verübten sie von neuem „große Schmähungen" gegen Jehova (V. 26), Er übergab sie daraufhin der Hand ihrer Bedränger, rettete sie aber trotz allem noch teilweise durch die Richter.

Unter den Königen wiederholten sich die Empörungen. Die Propheten zeugten wider sie ‑‑‑ ohne jeden Erfolg. Den­noch "hatte Gott ihnen nicht den Garaus gemacht" (V. 28‑31).

Den Schluss des Gebets (V. 32‑38) bildet die Anerkennung der Vollkommenheit aller Wege Gottes in Bezug auf das ganze Volk, vom Größten bis zum Kleinsten: "Doch du bist gerecht in allem, was über uns gekommen ist; denn du hast noch der Wahrheit gehandelt, wir aber, wir haben gesetzlos gehandelt". Sie suchen nicht sich zu rechtfertigen, noch sich den Folgen ihrer Sünde zu, entziehen: "Siehe, wir sind heute Knechte; und das Land, welches du unseren Vätern gegeben hast, um seine Früchte Lind seine Güter zu genießen, ‑­siehe, wir sind Knechte in demselben! Und seinen Ertrag mehrt es für die Könige, die du um unserer Sünden willen über uns gesetzt hast; und sie schalten über unsere Leiber und über unser Vieh nach ihrem Wohlgefallen, und wir sind in großer Bedrängnis".

So ist dieses Bekenntnis: einfach, vollständig, wahr, ohne Entschuldigung und ohne Ausflüchte. Es erkennt die Fehler aller seit dem Beginn an, es heißt das Gericht, die Folge dieser Fehler, gut, aber verkündet auch die Gnade Lind die unerschöpfliche Barmherzigkeit Gottes, die das Volk bis dahin geleitet hatten.

Fügen wir noch eine Bemerkung hinzu, die zu aller Zeit für das Volk Gottes, wenn es gesündigt hat, wichtig ist. Dreierlei ist dann nötig: Demütigung, Absonderung vom Bösen und Bekenntnis, und zwar in der Ordnung, die uns im Anfang dieses Kapitels gezeigt wird. Demütigung ohne Absonderung und Bekenntnis ist eine wertlose Handlung. Absonderung ohne Demütigung und Bekenntnis ist eine Handlung geistlichen Stolzes, und deutet nur auf einen sektiererischen Geist hin. Ein öffentliches und rückhaltloses Bekenntnis schließt notwendigerweise auch die beiden anderen Stücke ein; und gerade darum haben unsere stolzen und verzweifelt bösen Herzen oft so viel Mühe, in ein solches Bekenntnis einzuwilligen. Wenn das Bekenntnis nicht stattfindet, fehlt es der Absonderung an Wirklichkeit, und das wird in aller Kürze einen Rückfall zur Folge haben, mag es sich nun um einzelne Personen oder um ganze Versammlungen handeln. Nehmen wir uns daher ein Beispiel an diesem armen, gedemütigten Volk, das mit „lauter Stimme" zu Jehova, seinem Gott, schrie!

In Vers 38 sehen wir das Volk, da es ein Volk unter Gesetz war, den Bund erneuern: „Und bei diesem allen machten und schrieben wir einen festen Bund; und auf der untersiegelten Schrift standen die Namen unserer Obersten, unserer Leviten und unserer Priester". Wir wissen, dass sie als Volk im Fleische, unter dem Gesetz, den Bund nicht halten konnten. Dennoch können wir auch aus dieser Erneuerung des Bundes eine ernste Lehre für uns ziehen. Nach dem Bekenntnis unserer Sünde muss unser Wandel auf einer neuen Grundlage beginnen: auf einer viel gründlicheren und wirksameren Absonderung von der Welt, die uns in das Böse hineingezogen hatte, und in deren Mitte wir fortan als Fremdlinge zu wandeln haben, die ein anderes Vaterland suchen.

@@@@@@@@@@@@@@@@

Es hat ja Christus einmal für Sünder gelitten

Bibelstelle: 1. Petrus 3,18

Botschafter des Heils 1914 S. 127ff

Der Apostel Petrus redet in seinem ersten Briefe viel von Leiden. Die „auserwählten Fremdlinge“, an die er schreibt, konnten auch in einer Welt der Sünde und der Feindschaft des Menschen nichts anders als Leiden erwarten, vorausgesetzt dass sie in den Fußstapfen ihres Herrn und Meisters wandeln wollten. Der Weg zu dem unverweslichen, unbefleckten und unverwelklichen Erbteil, das für sie aufbewahrt wurde in den Himmeln, führte durch eine Welt, deren Fürst Satan war, und darum durch Leiden verschiedenster Art. Da gab es neben den mancherlei Versuchungen, die zur Bewährung ihres Glaubens dienten (Kap.1), Verleumdungen und in besonderen Fällen Beschwerden, die sie um ihres Gewissens vor Gott willen ertragen mussten. (Kap. 2, 12. 19.) Zu diesen beiden Arten von Leiden kommen im 3. Kapitel Leiden um der Gerechtigkeit willen hinzu (V. 14), und im 4. Kapitel Leiden um Christi willen (V. 12 - 14), d. h. Verfolgungen seitens derer, welche Christum hassten. Den letztgenannten Arten von Leiden begegnen wir schon in der „Bergpredigt“. In Matthäus 5, 10 preist der Herr die glückselig, welche um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, und fügt dann im nächsten Verse hinzu: „Glückselig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und jedes böse Wort lügnerisch wider euch reden werden um meinetwillen“. Den Leiden um des Herrn willen steht ein „großer Lohn“ in den Himmeln in Aussicht, der „bei der Offenbarung Seiner Herrlichkeit« ausgezahlt werden wird, Wenn ihr im Namen Christi geschmäht werdet, glückselig seid ihr! denn der Geist der Herrlichkeit und der Geist Gottes ruht aus euch. (Vgl. Matth. 5, 12 mit 1. Petr. 4, 13. 14).

Das Gewissen des Gläubigen ist geübt bezüglich dessen, was gut und böse ist. Er liebt das Gute und hasst das Böse. Er wandelt, wenn anders es recht um ihn steht, in der Gegenwart Gottes und deshalb im Licht. Er sieht und beurteilt alles mit Gottes Auge; sein eigener Wille ist zum Schweigen gebracht, und er fragt nur noch nach dem ,,Willen Gottes. (Kap. 4, 2.) Eigentlich müsste es ihm nun, gemäß der Regierung Gottes, von welcher Petrus immer wieder redet, gut gehen, „denn die Augen des Herrn sind gerichtet auf die Gerechten,. und Seine Ohren auf ihr Flehen“, während Sein ,,Angesicht wider die ist, die Böses tun“. (Kap. 3, 12.). Aber Satan ist, wie gesagt, noch der Fürst dieser Welt, und die Zeit für die bestimmte Durchführung der Grundsätze der Regierung Gottes ist noch nicht gekommen. Gott handelt jetzt wohl im Stillen nach diesen Grundsätzen, in den Wegen Seiner „Vorsehung“, aber erst im Tausendjährigen Reiche, wenn Satan gebunden ist, wird, allen offenkundig. „zur Gerechtigkeit zurückkehren das Gericht“, und „der Unterschied zwischen den Gerechten und den Gesetzlosen“ wird wieder voll und ganz gesehen werden. (Ps. 94, 15; Mal. 3, 18; vgl. Ps. 58, 11.) Heute ist infolge der Sünde alles in Verwirrung, und Gott erlaubt, dass der Gesetzlose, indem er dem Gericht entgegenreift, in Wohlfahrt ist, während der Gerechte leidet. (Ps. 73).

In der Umgebung, in welcher der Gerechte sich befindet, kann er also gar nicht anders als leiden. Einerseits ist er gebunden, Gott mehr zu gehorchen als Menschen und muss infolge dessen um seines Gewissens willen Beschwerden erdulden; anderseits steht alles, was ihn in dieser Welt umgibt, in Widerspruch mit dem, was er liebt und zur Ausführung zu bringen bemüht ist. Auf dem Pfade der Gerechtigkeit wandelnd, stößt er überall auf Dinge, gegen die er zeugen muss, die er nicht mitmachen kann. Die Welt hasst solches Zeugnis, selbst wenn es nur in einer schweigenden Ablehnung besteht; es ist ihr ein Gräuel, weil es sie verurteilt und stört. Deshalb hasst und beeinträchtigt sie den, der es ablegt. Die Weise, wie dieser Hass sich kundgibt, mag je nach Person und Umständen verschieden sein, aber vorhanden ist er, ja er hat sich seit den Tagen Kains und Abels in nichts geändert.

Die Hoffnungen des Christen samt den Quellen seiner Freude können deshalb nicht in dieser Welt liegen. Sie liegen außerhalb, droben, da wo sein Herr weilt. Naturgemäß ist sein Herz da, wo sein Schatz ist. Die Welt kann ihn deshalb auch nicht verstehen, wie sie den Herrn nicht verstanden hat. Sie bereitet ihm notwendigerweise Prüfungen und Schwierigkeiten. Kommt nun noch ein treues, entschiedenes Zeugnis für Christum hinzu, so fehlen auch die Leiden um Seines Namens willen nicht, obwohl sie anderer Art sind als die um des Gewissens und der Gerechtigkeit willen.

Aller dieser Leiden braucht der Christ sich nicht zu schämen. Im Gegenteil, sie sind sein Schmuck, sein Ehrenkleid; er darf sich ihrer freuen und Gott dafür danken. Niemals aber sollte ein Christ „sündigen und geschlagen werden“, niemals „für Bösestun“ leiden. (Kap. 2, 20; 3, 17.) Redet man von ihm als einem „Übeltäter“, so sollten die Ankläger stets als Verleumder erfunden werden. „Denn“, sagt der Apostel, „es hat ja Christus einmal für Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, aus dass Er uns zu Gott führe.“ Welch ein ergreifender Beweggrund für den Gläubigen, die Sünde zu fliehen und gewissenhaft zu wandeln! Als unser geliebter Herr, der Gerechte, — der Einzige, der diesen Namen verdiente, — es unternahm, uns, die Ungerechten, Gott nahe zu bringen, musste Er sich notwendigerweise mit unseren Sünden beschäftigen. Jede andere Möglichkeit war ausgeschlossen. Die Sünden waren da, und sollten wir in die Gegenwart des heiligen Gottes geführt werden, so mussten sie entfernt werden. Christus musste die Strafe dafür tragen, Er musste für sie leiden. Er hat es getan, ein für allemal, Gott sei dafür gepriesen! und nun sollten wir niemals mehr für Sünden zu leiden brauchen. Ist es der Wille Gottes, dass wir für Gutestun leiden, gut; es geschieht uns nichts Seltsames, denn die Zeit, da Christus alles ordnen und zurechtbringen wird, ist noch nicht gekommen. Nie aber sollte ein Christ in die Lage kommen, um irgend einer Sünde willen von Gott oder Menschen leiden zu müssen. Das ist gar nicht mehr unsere Sache, nachdem Christus einmal für Sünden gelitten und diese Frage für immerdar geordnet hat. Durch Ihn zu Gott geführt und in Ihm einer ganz neuen Natur teilhaftig geworden, sind wir berufen und fähig gemacht, ,,durch Gutestun die Unwissenheit der unverständigen Menschen zum Schweigen zu bringen“. (Kap. 2, 15.)

Der Apostel setzt diesen Gedanken im 4. Kapitel fort, wenn er sagt: „Da nun Christus für uns im Fleische gelitten hat, so wappnet auch ihr euch mit demselben Sinne; denn wer im Fleische gelitten hat,“ ruht von der Sünde, um die im Fleische noch übrige Zeit nicht mehr den Lüsten der Menschen, sondern dem Willen Gottes zu leben“ (V. 1. 2).

Diese Stelle hat schon zu vielem Fragen und Reden Anlass gegeben und ist wohl auch oft falsch verstanden und ausgelegt worden. In Verbindung mit dem 18. Verse des 3. Kapitels aber erscheint sie nicht so schwierig, wenngleich die Redeweise des Apostels Petrus unserem Verständnis oft mehr Schwierigkeiten darbietet, als die des Paulus. Für einen Gläubigen aus den Juden lag die Sache wohl umgekehrt. (Vgl. 2. Petr. 3, 15. 16.)

Christus hat hienieden im Fleische gelitten. Jetzt ist Er droben, zur Rechten Gottes erhöht. Engel, Gewalten und Mächte sind Ihm unterworfen, und Er z steht bereit, Lebendige und Tote zu richten. (Kap. 3, 22; 4, 5). Aber auf Erden hat Er gelitten. Er kam in diese Welt, um zu gehorchen, und Er wollte lieber alles, selbst den Tod am Kreuze, erdulden, als ungehorsam sein. Der gefallene Mensch wandelt aus genau entgegengesetzter Bahn. Er liebt es, seinen eigenen Willen zu tun, den Gedanken und Neigungen seines natürlichen, bösen Herzens zu folgen. Das ist Ungehorsam oder, wie Johannes es nennt, „Gesetzlosigkeit“. Jede Sünde ist grundsätzlich Ungehorsam, ein Ausüben des Willens des Fleisches, der sich in den Lüften und Begierden des Fleisches kundgibt. Der Wille des Menschen wendet sich immer gegen Gott und zu dem hin, was das Fleisch begehrt. Darum: „Jeder, der die Sünde tut, tut auch die Gesetzlosigkeit“ (1. Joh. 3, 4).

Bei unserem geliebten Herrn war es also umgekehrt. Er wollte lieber sterben, als einen Willen haben neben dem Willen Gottes, als irgendetwas tun, was nicht Gottes Wille war. Er wurde in allem, bis aufs Äußerste,"versucht; aber je heißer die Proben wurden, desto klarer kam es zum Vorschein, dass nur Gehorsam, vollkommener Gehorsam, in Ihm war. Er erwies sich in allem als der vollkommen abhängige, heilige Mensch. Er ging durch alles hindurch, was geeignet war, den eigenen Willen anzuregen, oder richtiger einen solchen in Ihn einzuführen, aber alles erwies sich als außerstande dazu. Die Sünde hatte keinen Raum in Ihm, fand keinerlei Eingang. Nichts war in Ihm, das ihr als Anknüpfungspunkt hätte dienen können. Er litt unendlich, indem Er versucht wurde, aber nichts als Vollkommenheit, als Wohlgeruch und Lieblichkeit trat zu Tage.

Da Er für uns den Weg ging, musste dieser notwendig zum Kreuze führen. Nur dort konnte Er für uns im Fleische leiden, nur dort konnte mit allem, was mit uns als gefallenen Geschöpfen in Verbindung stand, auch mit der Sünde, ein Ende gemacht werden. Unser teurer Herr musste dem Tode in seiner schrecklichsten Form und Gestalt begegnen, als dem, worin sich die Schwachheit des Menschen, die Macht Satans und der Zorn Gottes wider die Sünde kundgab — aber lieber wollte Er in Schwachheit gekreuzigt werden, lieber den Tod als Sold der Sünde schmecken und den bitteren Kelch des Zornes Gottes trinken, als nicht gehorchen. Anbetungswürdiger Heiland!

Indem Er so für uns im Fleische litt, ist Er, wie Paulus es ausdrückt, „ein für allemal der Sünde gestorben“ -- die nicht in Ihm, sondern in uns war, zu der Er aber gemacht, die Ihm zugerechnet wurde. Gott hat in Ihm „die Sünde im Fleische verurteilt“. (Röm. 6, 10; 8, 3.) Paulus beschäftigt sich an den angeführten Stellen mit der Wurzel, der Quelle des Bösen in uns, Petrus redet immer von den praktischen Ergebnissen der verderbten Natur, von den Früchten des schlechten, faulen Baumes. Darum sagt er: „Wer im Fleische gelitten hat, ruht von der Sünde“, d. h. er hat praktisch mit ihr abgeschlossen, tut sie nicht mehr, sie ist nicht mehr wirksam. Die vergangene Zeit ist ihm genug, seinem eigenen bösen Willen und den Lüsten der Menschen gefolgt zu sein; fortan möchte er nur noch dem Willen Gottes leben. Christus ist, nachdem Er für uns im Fleische gelitten hat, in die Ruhe droben eingegangen. „Was Er jetzt lebt, lebt Er Gott.“ Und nun sind wir berufen, uns (der Belehrung des Paulus gemäß) „der Sünde für tot zu halten, Gott aber lebend in Christo Jesu“, oder (nach Petrus), „den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit zu leben“(1.Petr. 2, 24).

Wenn ich dem Willen meines Fleisches zu wirken erlaube, so ruhe ich nicht von der Sünde, im Gegenteil. Ich waffne mich dann nicht mit demselben Sinne, wozu der Apostel uns im 1. Verse ermahnt, und leide deshalb auch nicht. Ich leide nur insoweit, wie ich der Gnade erlaube, in mir zu wirken und mich in das Bild Christi umzugestalten. Wenn ich dem Fleische folge, so habe ich keine Verurteilung und Feindschaft seitens der Welt zu fürchten, ich brauche mich dann auch nicht selbst zu verleugnen und meine alte Natur im Tode zu halten. Diese findet vielmehr ihre Befriedigung und genießt, anstatt zu leiden. Wenn ich aber in der Kraft des Heiligen Geistes den Trieben der neuen Natur folge, dem Fleische keinen Willen, keine Regung erlaube, wenn ich in der Gesinnung des abhängigen, gehorsamen Menschen den Willen Gottes in allem zu tun begehre, so ruhe ich von der Sünde, ich vollbringe sie nicht, sie hat keine Gewalt über mich. Freilich werde ich in demselben Maße als Mensch leiden, aber zugleich auch in steigender Kraft die selige Gemeinschaft mit Christo genießen und die Kostbarkeit Seines Friedens und Seiner Freude schmecken. Selbstverständlich ist, so lange wir in diesem Leibe, in welchem die Sünde wohnt, wallen, alles unvollkommen, eine Frage des Fortschreitens und Wachsens. Die Verwirklichung ist und bleibt Stückwerk und wird zu einer Zeit größer, wirklicher sein als zu einer anderen. Aber grundsätzlich ist es so, wie wir soeben gesagt haben, und in demselben Maße wie ich im Fleische leide, es im Tode halte, findet die Sünde keinen Raum in mir, weder in meiner Gedankenwelt, noch in meiner Gesinnung, noch in meinem ganzen Wesen und Tun.

So lasst uns denn der Aufforderung des Apostels folgen und uns waffnen mit demselben Sinne! Es gilt einen Kampf, geliebter Leser. Wir sind von Welt, Sünde und Satan umgeben, und in uns ist das Fleisch, das hoffnungslos verderbte, unverbesserlich schlechte Fleisch. Hier genügen nicht Worte und schöne Reden. Hier heißt’s: Waffnet euch! und zwar mit demselben Sinne. Christus hat einmal für Sünden gelitten, Er ist ein für allemal der Sünde gestorben. Wir sind in Ihm gerichtet, „unser alter Mensch ist mitgekreuzigt worden, auf dass der Leib der Sünde abgetan sei, dass wir der Sünde nicht mehr dienen“. So lasst uns diese ernste, kostbare Wahrheit im Glauben erfassen und sie mit Herzensentschluss, in der Gnade und Kraft Gottes, zu verwirklichen trachten!

Wir wissen nicht, wie kurz oder lang die im Fleische noch übrige Zeit währt, wie lang wir noch Gelegenheit haben werden, hienieden zu beweisen, dass wir nicht mehr uns selbst angehören, sondern eines Anderen geworden sind, des aus den Toten Auserstandenen. (Röm. 7, 4.) Sollte nicht auch uns die vergangene Zeit genug sein? Und wenn wir schon länger auf dem Wege sind und Schläfrigkeit uns übermannt hat, sollten wir nicht aufwachen und aufstehen aus den Toten, damit der Christus uns leuchte? (Eph. 5, 14).

@@@@@@@@@@

Endlos

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 136ff

Hienieden hat alles Maß und Ziel. Kaum hat der Tag begonnen, so neigt er sich schon seinem Ende zu. Die Stunden rollen, fliegen. Wochen, Monate, Jahre, eilen dahin in schier unbegreiflicher, beängstigender Geschwindigkeit. Eben erst ist ein neues Werk angefangen worden, und schon denkt man an seine Vollendung.

Alles hienieden endet. Die schönsten Tage verfließen — ach, nur zu schnell! — und auch die Tage des Wehs, des Kummers und Elends gehen vorüber. „Eitelkeit der Eitelkeiten! spricht der Prediger, alles ist Eitelkeit.“

Noch etwas geht, ja drängt dem Ende zu. Das ist die Gnadenzeit. In den Tagen Noahs harrte die Langmut Gottes hundertundzwanzig Jahre. Hundertundzwanzig Jahre lang legte dieser gottesfürchtige Mann, „der Prediger der Gerechtigkeit“, wie er genannt wird, ein treues Zeugnis ab von dem, was da kommen, von dem Ende, das die alte Erde treffen sollte. Die Menschen hörten nicht aus seine warnende Stimme; sie lebten, wie sie bis dahin gelebt hatten, sie aßen und tranken, kauften und verkauften, heirateten und wurden verheiratet; sie dachten an nichts. Böses, bis plötzlich,“ „zu einer Stunde, da sie es nicht meinten“, die Flut kam und, bis auf einige wenige Seelen, alle umbrachte. Die Langmut Gottes hatte lange Jahre geharrt, aber auch sie fand ein Ende.

Auch heute harrt die Langmut Gottes. Der Abfall und die Bosheit des Menschen haben den Gipfelpunkt erreicht. Alles atmet beschwert, bedrückt. „So kann es nicht lange mehr weitergehen“, sagt man. Ja, es hat der ganzen Langmut und Geduld Gottes bedurft, um all das Böse bis heute zu ertragen, und bald ist das Maß voll. Aber noch währt die Gnadenzeit, noch sendet Gott Seine Boten überallhin und lässt den Menschen bitten — o höre es, lieber Leser! — der große, allmächtige Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde, lässt dich bitten, dich mit Ihm versöhnen zu lassen. In Seiner Liebe zu dem Sünder hat Er einen Weg gefunden, auf dem Rettung und Entrinnen für ihn möglich ist. Und Er lässt dich jetzt bitten, diesen Weg zu betreten und von Seiner Gnade Gebrauch zu machen.

Dieser Weg ist Jesus.

Er, der ewige Sohn, wurde Mensch, nahm Knechtsgestalt an und erniedrigte sich bis zum Tode am Kreuze. Dort starb Er für Sünder, der Gerechte für die Ungerechten, der Reine für die Unreinen, damit sie Vergebung ihrer Sünden finden möchten. Er wurde von Gott geschlagen und verlassen, um so dem glaubenden Sünder freien Zugang zu Gott zu verschaffen.

„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“, so spricht Jesus selbst, „niemand kommt zum Vater, als nur durch mich“ (Joh. 14, 6). Um Seines Todes willen kann Gott jetzt dem Menschen Gnade anbieten. In Ihm wird der Sünder Gott nahegebracht. In Jesu wird ihm Heil und ewiges Leben zuteil, so dass er in Bezug aus die Ewigkeit völlig ruhig und getrost sein kann. Denn eine ewige Herrlichkeit liegt vor ihm.

Und diese frohe Botschaft von Jesu Opfertod wird jetzt noch überall verkündigt. Jedermann wird heute die Gnade umsonst angeboten. Aber wie lange noch? Das weiß Gott allein. Wir wissen nur, dass die Gnadenzeit unaufhaltsam ihrem Ende zueilt. Und was kommt dann? Die endlose Ewigkeit, die keine Veränderung, keinen Wechsel mehr bringt.

In dieser Zeit ist nicht nur alles vorübergehend, zeitlich, es ist auch alles dem Wechsel unterworfen. Schmerz und Freude, Krankheit und Gesundheit, Armut und Reichtum, Krieg und Frieden, alles reiht sich in stetem Wechsel aneinander. „Heute rot, morgen tot“, sagt ein Sprichwort. Wer heute noch in voller Lebenskraft dasteht, weiß nicht, ob er nicht vielleicht morgen schon sterbenskrank daniederliegt; wer heute noch reich und angesehen ist, ob er nicht morgen am Bettelstabe geht. In der Ewigkeit ist es anders. Entweder ist man aus immerdar völlig glücklich, in Frieden, in Herrlichkeit und Segnung bei Gott im Licht, oder man ist aus immerdar völlig unglücklich, in Pein und bitterer Seelenqual, fern von Gott in der Finsternis. .

In dem Gleichnis von dem König, der seinem Sohne Hochzeit machte, wird über den, der kein Hochzeitskleid anhatte, gesagt: „Bindet ihm Hände und Füße, nehmet ihn und werfet ihn in die äußere Finsternis, da wird sein das Weinen und das Zähneknirschen“ (Matth. 22, 13; vgl. Kap. 8, 12; 25, 30). Und bei dem letzten Gericht vor dem großen weißen Thron heißt es: „Wenn jemand nicht geschrieben gefunden wurde in dem Buche des Lebens, so wurde er in den Feuersee geworfen“ (Offbg. 20, 15; vgl. Kap. 21,8).

Es gibt eine böse, in unseren Tagen weitverbreitete Irrlehre, die die Wahrheit von der ewigen Verdammnis in Abrede zu stellen sucht. Die Verkündiger dieser Lehre behaupten wohl, dass es eine ewige Herrlichkeit gebe, aber sie verwerfen die Wahrheit von der ewigen Verdammnis. Welch eine Torheit und welch ein Betrug Satans! Warum, fragt schon der natürliche Verstand, sollte es bei dem gerechten Gott nur eine ewige Herrlichkeit, aber nicht eine ewige Verdammnis geben? Doch höre das Wort Gottes, lieber Leser, den einzigen untrüglichen Zeugen, den wir besitzen, und erkenne, in wie ernster, jeden Zweifel ausschließender Weise es von der furchtbaren Tatsache der ewigen Verdammnis redet.

Schon von den durch die göttliche Gerechtigkeit von der Erde hinweg gefegten bösen Städten Sodom und Gomorra sagt Judas im 7. Verse seines kurzen, aber gerade für die gegenwärtige Zeit so bedeutungsvollen Briefes, dass sie „des ewigen Feuers Strafe leiden“. In Hebr. 6, 2 spricht der Apostel von dem „ewigen Gericht“. Vor allem aber redet unser Herr Jesus selbst an manchen Stellen von dem Gericht der ewigen Verdammnis. In Matth. 18, 8 spricht Er von dem Geworfenwerden „in das ewige Feuer“, und in Kap. 25, 46 desselben Evangeliums von dem Hingehen „in die ewige Pein“. Und dass die Verdammten in alle Ewigkeit die Qual des Gerichts empfinden werden, geht klar aus den Worten hervor: „Es ist dir besser, als Krüppel in das Leben einzugehen, als mit zwei Händen in die Hölle hinabzufahren, in das unauslöschliche Feuer, wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt“ (Mark. 9, 43. 44). Auch wird von den Menschen, die am Ende der Tage das Tier und sein Bild anbeten, gesagt: „Und der Rauch ihrer Qual steigt aus von Ewigkeit zu Ewigkeit, und sie haben keine Ruhe Tag und Nacht“ (Offbg. 14, 11).

Angesichts dieser Stellen (es gibt noch manche andere), welche die Endlosigkeit der Verdammnis, die Qual und Verzweiflung des unversöhnt mit Gott in die Ewigkeit hinübergegangenen Menschen klar ans Licht stellen, möchte ich die ernste Frage an den noch nicht erretten Leser stellen:

Wo wirst du die Ewigkeit zubringen?

Du musst wählen zwischen Leben und Tod, Himmel und Hölle, Herrlichkeit und Verdammnis. Ein Mittelding gibt es nicht. Gott selbst stellt dich vor die Entscheidung. Du musst wählen. Du musst entscheiden. O mache es nicht wie so manche, die da sagen: „Lass mich in Ruhe! Die Sache hat noch Zeit''. Oder: „Wenn es der Wille Gottes ist, dass ich errettet werde, so wird schon alles in Ordnung kommen“. Sieh, auch das ist ein Betrug Satans. Die Sache leidet keinen Aufschub, und: welche Beschlüsse Gott über dich hat, darüber steht dir kein Urteil zu. So viel steht fest, dass Er niemand zum ewigen Verderben bestimmt hat. Nein, der Apostel Paulus bezeugt: Gott „will, dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“; und der Apostel Petrus sagt: „Der“ Herr ist langmütig gegen euch, da Er nicht will, dass irgendwelche verloren gehen, sondern dass alle zur Buße kommen“ (1.Tim. 2, 4; 2. Petr. 3, 9). Es steht jetzt also bei dir, ob du dich zur Buße leiten lassen willst oder nicht. Lies, ich bitte dich, Offbg. 20, 11 - 15. Glaubst du, dass du mit solch leeren Entschuldigungen, wie die obigen, vor den Flammenaugen, Dessen bestehen kannst, der einst Gericht halten wird, und vor dessen Angesicht Erde und Himmel entfliehen werden? Nein, sage ich dir, du wirst verstummen und das gerechte Verdammungsurteil aus dem Munde des Gottes anerkennen müssen, dessen Gnade du in deinem Leben zurückgewiesen hast.

Darum lass dir noch einmal sagen: „Wer an den Sohn glaubt“, — d. h. wer als ein verlorener, bußfertiger Sünder im Glauben zu Ihm kommt - „hat ewiges Leben; wer aber dem Sohne nicht glaubt, wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm“ (Joh. 8, 86).

@@@@@@@@@@@@@

Betrachtungen über das Buch Nehemia

Bibelstelle: Nehemia

Botschafter des Heils 1914 S. 141ff

Kapitel 10 - Die Erneuerung des Bundes S 141

Auf das Bekenntnis folgt, wie wir soeben gesehen haben, die Erneuerung des Bundes, wie das auch früher unter dem König Josia der Fall gewesen war. (2. Könige 23, .3). Dieser Bund fugte auf dem Boden des Gesetzes; er wurde deshalb auch ebenso schnell gebrochen wie der vorn Berge Sinai, ja, wie jeder andere unter gleichen Bedingungen geschlos­sene Bund. Indes sind diese Bündnisse für den Menschen eine Gelegenheit, in gründlicher Weise zu erfahren, was das Fleisch ist; darum ist das Gesetz als Verpflichtung nötig. Wir können dieses Kapitel natürlich nicht so ohne weite­res auf uns anwenden, da unsere Beziehungen zu Gott auf Gnade gegründet sind; aber wir können die Erneuerung der Gemeinschaftsbeziehungen mit Gott darin erblicken, wenn unsere Untreue keine Trübung bewirkt hat. Zugleich begeg­nen wir der wichtigen Tatsache, dass, sobald das Bekenntnis der Vergebung wirklich und vollständig gewesen ist, wir nicht allein die Gemeinschaft mit Gott, sondern auch die Gemeinschaft untereinander wiedererlangen.

Die Obersten des Volkes, der Statthalter, die Priester, die Leviten, die Fürsten der Vaterhäuser ‑ alle setzen ihr Siegel unter den Bund, im Ganzen 84 Personen, die mehr als 40 000 Menschen vertreten. Aber dann heißt es: "Und das übrige Volk, die Priester, die Leviten, die Torhüter, die Sänger, die Nethinim, und alle, welche sich von den Völ­kern der Länder zu dem Gesetz Gottes abgesondert hatten, ihre Weiber, ihre Söhne und ihre Töchter, alle, die Erkennt­nis und Einsicht hatten, schlossen sich ihren Brüdern, den Vornehmen unter ihnen, an und traten in Eid und Schwur, nach dem Gesetz Gottes, welches durch Mose, den Knecht Gottes, gegeben worden ist, zu wandeln und alle Gebote Jehovas, unseres Herrn, und Seine Rechte und Seine Satzungen zu. beobachten und zu tun" (V. 28. 29). Das ist die Folge einer wahren Demütigung, einer wahren Abson­derung und eines wahren Bekenntnisses. Keinerlei Meinungs­verschiedenheit ist mehr vorhanden: Alte und Junge, Söhne und Töchter, Weiber und Kinder, Priester und Sänger, Leviten und Nethinim, alle "schließen sich ihren Brüdern an', indem sie dem, was die 84 Führer getan haben, zu­stimmen. Kein Widerspruch erhebt sich von irgend einer Seite. Unter dem ganzen zahlreichen Volk sieht man niemand einen eigenen Weg einschlagen; keiner will nach rechts, während der andere links geht. Keine Sonderbündelei, kein Häuflein, das einen besonderen Beschluss fasst, unabhängig von den anderen! Auch die Frauen und Jungfrauen haben ihren Platz bei dieser allgemeinen Zustimmung.

Ist das nicht sehr belehrend? Gott erlaubt Meinungsver­schiedenheiten und Zwistigkeiten unter Seinen Kindern, wenn das Bekenntnis der Fehler mangelt oder unvollständig ist, sei es bei einzelnen oder bei ganzen Versammlungen. Aber von dem Augenblick an, da dieses Bekenntnis wirklich und vollständig wird, indem keiner mehr daran denkt, sich zu rechtfertigen oder zu entschuldigen, ist die Gemeinschaft untereinander wiederhergestellt.

Der Bund umfasst drei Punkte: 1. Die Verweigerung der unheiligen Ehen, wie in Esra 10. (V. 30). 2. Die völlige Heiligung des Sabbats, der das Zeichen des Bundes war, und dessen Feier den Charakter einer gänzlichen Absonde­rung von den Nationen trug, 3. Die Beobachtung des Sab­batjahrs, womit man es seit der Verkündigung des Ge­setzes wohl niemals genau gehalten hatte. ‑ Man ersieht aus diesen Vorschriften, wie sich alle mit den tatsächlichen Unterweisungen der Schrift vertraut gemacht hatten; aber sie blieben dabei nicht stehen.

In den Versen 32‑34 legen sie sich selbst Gebote auf und beweisen dadurch ein wahres Verständnis der Gedanken Gottes. Sie hatten keine besonderen Schriftstellen für ihr Handeln; aber da „in dem Gesetz geschrieben" stand, dass die Opfer dargebracht werden sollten, so genügte das einem jeden, um sich nicht nur völlig an der vereinbarten Abgabe zu beteiligen, sondern auch Holz zum Hause Gottes zu bringen. Das Gesetz sagte von einer solchen Lieferung nichts; aber die Männer waren gewiss, den Gedanken Gottes gemäß zu handeln, wenn sie an diesem Dienst teilnahmen, ohne den eine Darbringung der Opfer unmöglich gewesen wäre.

Was die Erstlinge und die Zehnten betraf, so brauchten sie sich nur an das zu halten, was "im Gesetz geschrieben war". In jedem einzelnen handelten sie mit allgemeiner Zustimmung. Alles erscheint einfach und leicht, wenn Ge­meinschaft unter den Brüdern besteht, und noch mehr, wenn der einzige Beweggrund für ihr Handeln der Dienst am Hause ihres Gottes ist (V. 39).

Kapitel 11 - Jerusalem wird wieder bevölkert

Wir haben weiter oben bemerkt, dass dieses Kapitel sich unmittelbar an das 7. Kapitel anschließt. Der Altar war errichtet, die Grundlagen, der Tempel, die Mauer waren erbaut; "die Stadt aber war geräumig und groß, und das Volk darin spärlich, und keine Häuser waren gebaut" (Kap. 7, 4). Nun erhob sich die Frage: Hatte man die Stadt wieder aufgebaut, damit sie öde und ohne Bewohner bleibe' Was für einen Zweck hatte es, sie in Verteidigungszustand zu setzen, wenn niemand sich dort versammelte? Und doch hatte Gott Sein Volk für diese Sammlung zubereitet, zuerst durch Sein Wort (Kap. 8), dann durch die Absonderung von den Heiden (Kap. 9). Die Treuen beginnen zu verstehen, dass dieses Sammeln nicht nur grundsätzlich angekündigt, sondern verwirklicht werden musste. Jerusalem sollte wieder bevölkert werden, und wäre es auch nur mit eine in Juden aus zehn (V. 1). In die heilige Stadt zu ziehen erforderte viel Selbstverleugnung und Hingebung. Das Erbteil, dem der fromme Israelit vor allem anhing, musste aufgegeben, Ver­wandte und Freunde, Weinstock und Feigenbaum mussten verlassen werden. Man musste sich trennen von Dingen, an denen der Israelit ein Recht hatte zu hangen, weil sie ihm von Gott gegeben worden waren, ‑ und zwar zu keinem anderen Zweck, als um Jerusalem wieder zu bevölkern. Allerdings wurde er ermuntert durch den erhabenen Beweg­grund, der diesem Verzicht zu Grunde lag: Zion war "die heilige Stadt" (V. 1 u. 18), die Stadt der freien Wahl Got­tes, die Er mehr liebte als alle Wohnungen Jakobs; Lind dieser Grund war genügend, um ihr in seinen Augen einen höheren Wert zu verleihen als seiner eigenen Wohnung.

Doch Jerusalem war gering geworden, zu Boden geworfen, und keine Häuser waren in der Stadt gebaut. Ihr Zustand bezeugte, dass sie nicht war, wie Jehova sie haben wollte. (Siehe Psalm 48, 2; 87, 5‑7; Jesaja 33, 20; 60). Doch in dieser Zeit des Verfalls, selbst bevor die Mauer wieder aufgebaut war, hatte Sacharja über sie geweissagt: "Als offene Stadt wird Jerusalem bewohnt werden wegen der Menge Menschen und Vieh in seiner Mitte" (Sacharja 2, 4). Jerusalem konnte in sei­nem tatsächlichen Verfall für das Volk Gottes nichts An­ziehendes haben, es sei denn, dass es mit den Augen des Glaubens vom Gesichtspunkt seiner künftigen Herrlichkeit aus betrachtet wurde. Nach Jerusalem hinaufziehen, unter Aufgabe alles Übrigen, dazu. war ein Entschluss nötig, den der Glaube allein eingeben und den die Hoffnung allein aufrechterhalten konnte. Es konnte nur eine Tat der Liebe und der freiwilligen Hingebung für die Stadt des großen Königs sein, eine Entsagung, die nicht aller Teil war, und die Gott nicht von ihnen forderte. Nichtsdestoweniger stand das Volk, das, wie wir gesehen haben, innerlich wiederher­gestellt war, in voller Gemeinschaft mit denen, die jenen Entschluss fassten: "es segnete alle Männer, die sich frei­willig erboten, in Jerusalem zu wohnen" (V. 2).

Reden diese Tatsachen nicht zu uns von der Pflicht und der Aufgabe der Erlösten in der gegenwärtigen Zeit? Wie das Jerusalem Nehemias, so liegt auch die Kirche heute in Trümmern. Doch die Grundsätze, auf denen sie aufgebaut ist, der Altar: das Kreuz Christi, die Grundlage: ein auferstandener Christus, der Tempel: das Wohnen Christi inmitten der Seinigen, die Mauer: die Heiligkeit, die einer solchen Wohnung geziemt, alles das ist durch das Wort wieder ans Licht gebracht worden; und es handelt sich jetzt für die Treuen darum, ihre Wohnungen zu ver­lassen, um diese zerstörte Stadt zu bewohnen mit einem Herzen' das sie liebt und die Gefühle des Herzens Gottes für sie teilt. der Glaube allein kann diese Hingebung hervorrufen.

Könnte man heute sagen, dass das Volk Gottes die segnet, die sich freiwillig dieser Aufgabe widmen? Ist es nicht vielmehr wahr, dass es sie bekämpft und verachtet? Doch es muss ihnen genügen, die Billigung des Herrn zu haben. Die Namen jener Männer wurden auf gleiche Weise eingeschrieben wie die, die im Anfang mit Serubbabel her­aufzogen (V. 3‑19); und wir haben einige Ursache zu ver­muten, dass ihre Namen denen des ersten Verzeichnisses hinzugefügt wurden. Man beachte auch, dass trotz der Ver­wüstung Jerusalems ein jeder von denen, die kamen, um in der Stadt zu wohnen, einen Platz auszufüllen fand. Wir hören von solchen, „welche die Geschäfte im Hause verrichteten" (V. 12), von solchen, die „über die äußeren Ge­schäfte des Hauses Gottes gesetzt waren" (V. 16), von einem, "der den Lobgesang beim Gebet anstimmte" (V. 17), von Torhütern (V. 19), von Sängern (V. 22) ‑ mit einem Wort, jeder von ihnen erfüllte seine Verrichtungen, wie wenn alles in bester Ordnung gewesen wäre, und Gott trägt dem Rech­nung. Alles findet freilich in einer Zeit des Elends und des Verfalls statt; aber ist es in Gottes Augen etwas Geringes, dass man die von Ihm eingesetzte Ordnung anerkennt, und dass man trotz des Verfalls diese Ordnung verwirklicht im Blick auf eine Zeit zukünftiger Vollkommenheit? Dieser arme Überrest von Jerusalem hatte die edle und kostbare die der Aufgabe, in Tagen der Erniedrigung und der Schmach Zeiten der vergangenen Herrlichkeit Salomos mit denen kommenden Herrlichkeit des Messias zu verbinden!

Die Verse 25 ‑ 36 zählen die Städte Judas und Benjamins auf, die von den aus Babel Zurückgekehrten bewohnt wur­den. Hier ist die Ordnung allerdings noch nicht vollkommen; Juda geht sogar etwas über seine Grenzen hinaus, bis Beer­seba. Aber diese Mängel sind von dem aufrichtigen Begeh­ren des Einzelnen begleitet, den ihm von Gott angewiesenen Platz einzunehmen. So wohnten auch die Nethinim auf dem Ophel (V. 21), einem Teil der Stadt Davids, der sich außer­halb der neuen Mauer befand, in der Nähe des Tempels, zu dem sie durch das Wassertor gelangten.

Kapitel 12 - Die Einweihung der Mauer

Dieses Kapitel beginnt mit der Wiederholung der Namen der Priester und Leviten, "welche mit Serubbabel hinauf­zogen". In den Versen 10 u. 11 finden wir die Aufzählung der Hohenpriester; sie fängt mit Jeschua aus dem Buch Esra an. Auf ihn war sein Sohn Jojakim gefolgt. Eljaschib, Jojakims Sohn, der das Priestertum zur Zeit Nehemias aus­übte, ist der letzte Hohepriester, den das Alte Testament uns in der Ausübung seiner Amtsverrichtungen zeigt. Das,13. Kapitel wird uns diesen Mann mit Farben schildern, die ihn zu einem Gegenstand des Tadels machen. Jojada folgte seinem Vater Eljaschib, der nach Kapitel 13, 6. 7 noch nach dem Jahre 443 vor Christi Geburt Priester gewe­sen war; keinerlei Einzelheit wird uns von ihm berichtet. Jonathan oder Jochanan (V. 11 u. 23), Sohn Jojadas und Enkel Eljaschibs, wird in Vers 23 (auch in Esra 10, 6), nach der häufigen Gewohnheit der Juden, Sohn Eljaschibs genannt. Er lebte, ohne das Priestertum auszuüben, als Esra in Jerusalem ankam. Jaddua ist der letzte Hohepriester, der im Alten Testament genannt wird. Er übte seinen Dienst unter der Regierung Darius', des Persers, aus (336­330 vor Chr.) und war, wenn man sich auf die Geschichte verlassen darf, Hohepriester beim Einfall Alexanders des Großen in Palästina. Wie es in den geschichtlichen und prophetischen Büchern öfter der Fall ist, ist diese Stelle, (obwohl inspiriert wie alles übrige) später dem Buch Nehe­mia hinzugefügt worden, um die von dem geweihten Schrei­ber gegebenen Auskünfte zu vervollständigen.

In den Versen 27‑43 finden wir die Einweihung der Mauer. Ähnliche Feste fanden zu wiederholten Malen in der Geschichte Israels statt: 1. als David die Bundeslade aus dem Hause Obed‑Edoms holte (2.Samuel 6, 12). 2. Bei der Einweihung des Tempels Salomos (1. Könige 8, 12‑66). 3. Als der Grund zum Tempel gelegt wurde (Esra 3, 10‑13). 4. Bei der Einweihung des Hauses (Esra 6, 16‑18). Unsere Stelle ist also die fünfte in der Reihe. Diese Feste, welche mit einer Ausnahme nur der Freude Ausdruck gaben, wurden aus eigenem Antrieb gefeiert und bildeten keinen Teil der Verordnungen des Gesetzes. Die Freude, die sich dabei kundgab, stand immer in Beziehung zu dem Hause Got­tes . 'Wir können hieraus den tröstlichen Schluss ziehen, dass das Gefühl des Niedergangs in keiner Weise unsere Freude schwächen soll; denn die Segnungen, die der Herr heute über Seine Versammlung ausgießt, haben ebenso viel Wert wie in den glücklichsten Zeiten der Geschichte der Kirche. "Freuet euch in dem Herrn allezeit", wird uns gesagt, und zwar in Tagen, als der Verfall immer schärfer hervortrat.

Bei der Einweihung der Mauer scheinen die Leviten, deren Verhalten in diesen Büchern manchmal an Gleichgültigkeit grenzt, wiederum wenig eifrig gewesen zu sein um herbei­zueilen; denn „man suchte die Leviten aus allen ihren Orten" (V. 27). Die Sänger versammelten sich von selbst zu dem großen Fest. Wohl aus Vorsorge für ihren Dienst im Hause Gottes hatten sie sich in der Umgebung von Jeru­salem Dörfer gebaut (V. 29).

Vor dem Fest mussten die Priester und die Leviten sich reinigen, ein sehr charakteristisches Kennzeichen der Herr­schaft des Gesetzes, im Gegensatz zu der der Gnade (Hebräer 7, 27); ohne diese Reinigung waren sie außerstande, das Volk, die Tore und die Mauer zu reinigen. Das Fest selbst und der Zug hatten als Zielpunkt das Haus Gottes. Die Heiligung Jerusalems und des Volkes hatte keinen anderen Zweck, als Den zu verherrlichen, dem es wohl ge­fiel, dort Seinen Wohnsitz zu nehmen.

Nehemia stellte die beiden Dankchöre auf der Mauer in der Nähe des Misttores auf. Von da zog der erste Chor gegen Osten und gelangte über „die Stufen der Stadt Da­vids" zum Wassertor, das die Umwallung des Tempels im Süden abschloss. In diesem Teil des Zuges, der der wichtigste war, gab Nehemia den ersten Platz "Esra, dem Schriftge­lehrten" (V. 36). Dieser ging voran. Es ist rührend, in die­sem Buch zu sehen, wie Nehemia sich in den Schatten stellt und sich vor einer geistlichen Autorität, die die seinige übertraf, ganz zu nichts macht. Indem er Esra auszeichnete, gab er tatsächlich dem Wort Gottes, dessen Vertreter Esra war, seinen ganzen Platz. Und er, der Tirsatha, der gewiss berechtigt war, den ersten Platz in dem zweiten Chor ein­zunehmen, wählt auch hier den letzten: „Und der zweite Dankchor zog nach der entgegengesetzten Seite, und ich ging hinter ihm her" (V. 38). Dieser Chor blieb beim "Gefängnistore" stehen, nördlich vom Tempel. Beide Dank­chöre vereinigten sich schließlich in den 'Vorhöfen des Hauses Gottes (V. 40), um Opfer darzubringen und Seinen Namen zu. erheben. "Und sie freuten sich, denn Gott hatte ihnen große Freude gegeben; und auch die Weiber und die Kinder freuten sich. Und die Freude Jerusalems wurde bis in die Ferne hin gehört" (V. 43).

Alles das war sicher weit davon entfernt, der Herrlichkeit der Tage Davids und Salomos gleichzukommen; aber die Freude war genau so groß, denn es war die Freude eines heiligen, Jehova geweihten Volkes, das von Ihm anerkannt wurde und Sein Wort zu seiner Leitung hatte.

In den Versen 44‑47 sehen wir die Wirkungen der Wid­mung des Volkes für Gott trotz der Erniedrigung, in der es sich befand. Vieles fehlte: denn vor alters, in den Tagen Davids und Asaphs, gab es Häupter der Sänger, und Preis­ und Lobgesänge für Gott". Doch die Ordnung fehlte nicht, zunächst weil das Volk seine Zuflucht zu dem nahm, was im Anfang von David und Salomo angeordnet war (V. 45), sodann weil der Eifer, der stets mit einer großen Freude verbunden ist, die Lücken ausfüllen half (V. 44 u. 47). Man sieht hier, wenn auch nur für einen Augenblick, eine Folge der gemeinschaftlichen Freude: die praktische Verwirkli­chung der ersten Liebe.

@@@@@@@@@@@@

Gedanke

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 151

Das Werk Jesu Christi stillt das Gewissen, die Person Jesu Christi das Herz. Das erstere verleiht den Frieden mit Gott, die letztere den Frieden Gottes. Der Ungläubige und Unbekehrte hat weder den einen noch den anderen Frieden. Alle wahren Gläubigen haben Frieden mit Gott, aber nicht alle genießen den Frieden Gottes.

@@@@@@@@@@@@@

Kraft und Führung

Bibelstelle: Nehemia

Botschafter des Heils 1914 S. 152ff

Nachdem Gott die Kinder Israel aus Ägypten erlöst und durch die Wüste bis an die Grenzen des Landes Kanaan gebracht hatte, verhieß Er ihnen das Land „von der Wüste und diesem Libanon bis zum großen Strome, dem Strome Phrat, das ganze Land der Hethiter, und bis zum großen Meere gegen Sonnenuntergang" (Jos 1,4), und forderte sie auf, sich dieses ganze Land zu eigen zu machen. Die Grenzen des Landes - die Wüste, der Libanon, der Euphrat und das Mittelländische Meer - waren von Jehova genau festgesetzt. Was sich innerhalb dieser Grenzen befand, gehörte ihnen; doch war der wirkliche Besitz an eine Bedingung geknüpft: „Jeden Ort, auf den eure Fußsohle treten wird, euch habe ich ihn gegeben" (Jos 1,3). Sie mussten also zu ihren Besitztümern hingehen und alle ihnen entgegentretenden Hindernisse mit der Hilfe und Macht Gottes überwinden, und konnten sich nur insoweit als Eigentümer betrachten, als sie ihren Fuß auf das Land gesetzt hatten. Vorher würden sie in Wirklichkeit keinen Ort besitzen. So ist es denn auch tatsächlich geschehen. Niemals haben sie den Besitz des ganzen verheißenen Landes angetreten; voraussichtlich werden sie es erst im Tausendjährigen Reiche tun. Wir wissen nun, dass „alles, was zuvor geschrieben ist, zu unserer Belehrung geschrieben ist" (Römer 15,4), und dass „alle diese Dinge jenen als Vorbilder widerfuhren und geschrieben worden sind zu unserer Ermahnung, auf welche das Ende der Zeitalter gekommen ist" (1. Korinther 10,11). Die Zeit, in der wir leben, ist ja das Ende der Zeitalter, weil alle Beziehungen, in die Gott zu dem Menschen getreten ist, um ihn auf die Probe zu stellen (ohne Gesetz und unter Gesetz), zu einem Abschluss gebracht und im Tode Christi zu ihrem Ende gekommen sind. Der Mensch hat keine der Proben bestanden, aber Gott ruht jetzt in dem vollendeten Werke Christi und hat in Ihm eine neue Schöpfung hervor gerufen. In dem Lichte der damaligen israelitischen Geschichte dürfen wir uns jetzt in unserem Kanaan betrachten, zwar nicht in Kanaan als dem Orte der Ruhe (im bildlichen Sinne) des Volkes Gottes,' sondern in Kanaan als dem Platz der geistlichen Kämpfe, die den wahren Gläubigen den Genuss der Verheißungen Gottes sichern.

In dieses Kanaan sind alle Gläubigen, was ihre Stellung betrifft, versetzt; aber wir treten in Wirklichkeit erst ein, wenn wir den Jordan durchschritten, d. h. die Wahrheit verstanden und erfasst haben, dass wir mit Christo gestorben und auferstanden sind. Gerade wie das gelobte Land von der Wüste, dem hohen Gebirge, dem großen Strom und dem großen Meere umgrenzt war, haben auch wir dann mit der Wüstendürre, mit der Macht, der Wohlfahrt und der steten Unruhe der uns umgebenden Welt nichts mehr zu tun. Und ebenso wie die Kinder Israel das Schwert ziehen mußten, um von dem verheißenen Lande Besitz zu nehmen, müssen auch wir kämpfend unsere Fußsohle auf alle Besitztümer, die wir in Christo haben, setzen, und dann den wirklichen Besitz zum Zeugnis von der Welt und vor den geistlichen Mächten der Bosheit in den himmlischen Örtern behaupten. Dabei durchmessen wir, ebensowenig wie die Kinder Israel, so lange wir hienieden sind, die ganze Ausdehnung unseres Erbteils. Wir erkennen nur stückweise, doch nähern wir uns von Tag zu Tage mehr dem Augenblick, wo das Vollkommene gekommen und jedes Stückwerk weggetan sein wird, und wo wir erkennen werden, wie wir erkannt sind.

Bis dahin währt ein steter Kampf, der nur in der Waffenrüstung Gottes gekämpft werden kann, und dem der Sieg nur dann sicher ist, wenn zwei wichtige Dinge von uns beachtet werden die Kraft Gottes und die Führung Gottes. Seine Kraft muss uns erfüllen, uns aufrechthalten auf dem Wege, uns stark und mutig machen; und Seiner Führung müssen wir uns im Gehorsam völlig überlassen.

Vergleichen wir den Befehl Jehovas an Josua, als es galt, das Volk auf dem Wege der Besitzergreifung anzuführen. Nachdem der Herr ihm zunächst Seine Kraft mit den Worten zugesichert hat: „Niemand soll vor dir bestehen alle Tage deines Lebens; ...ich werde dich nicht versäumen und dich nicht verlassen", fährt Er fort: „Nur sei sehr stark und mutig, dass du darauf achtest, zu tun nach dem ganzen Gesetz, welches mein Knecht Mose dir geboten hat. Weiche nicht davon ab zur Rechten noch zur Linken, auf dass es dir gelinge überall, wohin du gehst. Dieses Buch des Gesetzes soll nicht von deinem Munde weichen, und du sollst darüber sinnen Tag und Nacht, auf dass du darauf achtest, zu tun nach allem was darin geschrieben ist; denn alsdann wirst du auf deinem Wege Erfolg haben, und alsdann wird es dir gelingen" (Jos 1,5-8).

In der Kraft, die Gott uns darreicht, sollen und können wir allein stark und mutig sein; denn geistliche Stärke und Glaubensmut sind notwendig, damit unser Herz frei sei von den Befürchtungen, Einflüssen und Beweggründen, die auf den natürlichen Menschen wirken. Erfüllt von dieser Kraft, sind wir fähig, dem Worte Gottes zu folgen und im Gehorsam weder rechts noch links davon abzuweichen.

Die Kraft Gottes und die Führung Gottes sind also nötig, wenn wir unsere Fußsohle auf die Besitztümer, die wir in Christo haben, setzen und uns damit als wirkliche Besitzer erweisen wollen. Die neue Natur in uns ist, was die Kraft Gottes betrifft, von der Gegenwart Gottes abhängig, und was die Führung Gottes betrifft, von dem Worte Gottes.

Soll Gott sich nicht allein an uns, sondern auch in uns als der starke Gott offenbaren, so muss Er Sein Auge in Gnade auf uns persönlich richten. Er muss uns lernen lassen, dass wir in uns keine Kraft haben, dass Er sie aber für uns hat. Diese Kraft ist immer für den Gläubigen vorhanden, aber nur diejenigen können sie benutzen, deren Zustand sie nicht hindert, die Kraft zu empfangen. Nur ein leeres, von seiner eigenen Schwachheit überzeugtes Gefäß kann Gott füllen.

Als Gideon von dem Engel Johovas zum Führer im Kampf gegen Midian berufen wurde, trat sogleich zutage, dass Gideon nicht nur das gerechte Gericht Gottes über sich und sein Volk anerkannte, sondern auch sich seiner völligen Schwachheit bewusst war, dass aber Jehova Kraft für ihn hatte. „Jehova wandte sich zu ihm und sprach: Gehe hin in dieser deiner Kraft, und rette Israel aus der Hand Midiansi Habe ich dich nicht gesandt? Und er sprach zu ihm: Bitte, mein Herr! womit soll ich Israel retten? Siehe, mein Tausend ist das ärmste in Manasse, und ich hin der Jüngste im Hause meines Vaters". Und auf dieses Bekenntnis folgte alsbald die Antwort: „Ich werde mit dir sein, und du wirst Midian schlagen wie eine n Mann" (Richter 6).

„Siehe", sagt der Prophet Jeremia bei seiner Berufung, „ich weiß nicht zu reden, denn ich bin jung". Aber der Herr antwortet: „Sage nicht: ich bin jung; denn zu allen, wohin ich dich senden werde, sollst du gehen, und alles, was ich dir gebieten werde, sollst du reden. Fürchte dich nicht vor ihnen, denn ich bin mit dir ... Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund" (Jer. 1,7. 9). Und denken wir daran, dieses schwache Gefäß wurde in der Kraft Gottes „zu einer festen Stadt und zu einer eisernen Säule und zu einer ehernen Mauer wider das ganze Land" (Jer. 1,18)!

Gott wählt stets Werkzeuge aus, die in sich ohne Kraft und Wert sind, oder die er sogar, falls sie in den Augen der Menschen als wertvoll geachtet werden, zuvor zerbricht. So machte Er es mit Saulus von Tarsus; erst nachdem das geschehen war, heißt es von ihm: „Dieser ist mir ein auserwähltes Gefäß, meinen Namen zu tragen, sowohl vor Nationen als Könige und Söhne Israels" (Apg. 9,15).

Je schwächer das Gefäß, um so wirkungsvoller die es füllende Kraft. Sie macht ihren Träger fähig, für Gott zu wirken, unabhängig von den Menschen und ihrem Urteil.

Diese Kraft war es, die N o a h eine Arche bauen ließ, als das noch gar nicht notwendig zu sein schien.

Diese Kraft zeigte sich in Abraham, als er sich von 11 allem, was ihm naturgemäß teuer war, losriß, von Vaterland, Haus und Familie, um auf unbekannten Wegen in ein unbekanntes Land zu wandern, erhaben über alles, wodurch sonst die menschliche Natur berührt wird.

Auch Joseph war ein Mann voll Kraft, er war Herr über sich selbst in göttlicher Lauterkeit.

Nur natürliche Kraft war es, als Mose den Ägypter erschlug. Geistliche Kraft zeigt sich nie heftig; sie bleibt sich bei jeder Gelegenheit, groß oder klein, völlig gleich. Er handelte aber in wahrer Kraft, als er das Haus des Pharao verließ und „sich weigerte, ein Sohn der Tochter Pharaos zu heißen, lieber wählend, mit dem Volke Gottes Ungemach zu leiden, als die zeitliche Ergötzung der Sünde zu haben, indem er die Schmach des Christus für größeren Reichtum hielt als die Schätze Ägyptens" (Hebräer 11,15. 26).

Wo der Glaube an Gott ist, indem man auf Ihn rechnet als auf den lebendigen Gott, da ist immer diese Kraft zu finden. Ein solcher Glaube vertraut einfach auf den Herrn und schließt alles Selbstvertrauen aus.

In der Kraft dieses Glaubens überwand auch Josuaa die Schwierigkeiten, die sich ihm in Gestalt der scheinbar uneinnehmbaren Festung Jericho entgegenstellten. „Durch Glauben fielen die Mauern Jerichos, nachdem sie sieben Tage umzogen waren" (Hebräer 11,30).

In der gleichen Kraft stieß Gideon mutig in die Posaune, um Israel zum Streit zu versammeln. Sein Schwert war „das Schwert Jehovas" (Ri 7,20), welches die Feinde, die „zahlreich wie die Heuschrecken im Tale lagerten", zerschmetterte. Und diese Kraft behauptete sich noch in den vom Kampf ermatteten Kriegern, die „ermattet und nachjagend" den Feind verfolgten, bis er aufgerieben war (Ri 8,4); denn wir haben es mit einem Gott zu tun, „der dem Müden Kraft gibt und dem Unvermögenden Stärke darreicht in Fülle" (Jes 40 29).

Nun, dieselbe Kraft, die uns auf dem Wege aufrechthält, befähigt uns auch, im Gehorsam gegen Gottes Wort Seiner Führung mutig zu folgen.

Die Heilige Schrift ist die Stimme Gottes: das geschriebene Wort ist der Ausdruck des lebendigen Wortes. Dieses Wort zeigt uns die verborgenen Herrlichkeiten Christi, sowie alle anderen Reichtümer, die wir in Gott haben. Es enthüllt indes seine Schätze des Lebens nur dem Glauben und dem Bedürfnis der Seele durch die Belehrung des Heiligen Geistes. Aber es erinnert uns nicht allein an die Besitztümer, die wir in Christo haben, sondern es zeigt uns auch den Weg, den wir einschlagen müssen, um unseren Fuß darauf zu setzen. Wohl wachsen wir durch das Lesen des Wortes in der Erkenntnis, aber wir schreiten in wirklicher, nutzbringender Erkenntnis nur in dem Maße fort, wie wir das in unserem Leben durch die Tat verwirklichen, was wir erkannt und verstanden haben.

Beachten wir ferner: wenn auch das Wort unser untrüglicher Wegweiser, unser Licht auf dem Wege ist, so ist es doch nicht genug, es bloß zu lesen. Wir haben nötig, fortwährend darüber zu sinnen, bei Tag und bei Nacht. Zwar gibt uns die Schrift manche unmittelbare Weisung, doch ist sie kein Regel­ oder Nachschlagebuch, in dem man, ohne Übung des Herzens und Gewissens und ohne Rücksicht auf den persönlichen geistlichen Zustand des Lesers, einfach ablesen kann, wie man sich in den jeweiligen Umständen verhalten soll. Das sichere Erkennen der Führung und des Willens Gottes hängt viel von unserem Seelenzustand ab. Wenn unser Auge einfältig ist, wird unser ganzer Leib licht sein (Mt 6,22). Aber Gott schenkt uns nicht immer sofort klares Licht, wenn wir Ihn auch darum bitten. Er läßt es zu, dass wir lange über etwas zu sinnen haben und tief darüber geübt werden.

Überaus wichtig ist es, über das Wort Gottes zu sinnen. Es ist voll von Christo, und jeder, der es in Gemeinschaft mit Gott fleißig liest, indem Christus seines Herzens Gegenstand ist, wird reichlich belohnt durch tiefe und weite Blicke in „den unausforschlichen Reichtum des Christus" (Eph 3,8). Es bringt ihm auch einen großen Nutzen, denn: „Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nütze zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, auf dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu jedem guten Werk völlig geschickt" (2. Tim 13,16. 17).

Zugleich ist das Wort unsere Nahrung auf dem Wege. Außerdem eine Quelle des Trostes und der Freude durch die Versicherung der Nähe des Herrn, aus der uns allein die Kraft zufließt, wie wir oben gesagt haben. Es ist notwendig zur Entfaltung der Kraft auf dem Wege des Gehorsams. Auch ist es das Schwert des Geistes, dem der Feind nicht zu widerstehen vermag. Wir wissen ja, vor einem in einfältigem Glaubensgehorsam ausgesprochenen: „Es steht geschrieben!" muß er zurückweichen.

Jeremia, ein Mann der Kraft, konnte sagen: „Deine Worte waren vorhanden, und ich habe sie gegessen, und deine Worte waren mir zur Wonne und zur Freude meines Herzens" (Jer 15,16). Dass der Prophet dieses Wort befolgte, ergab eine scharfe Trennung zwischen ihm und dem Bösen rings um ihn her. Und indem das Wort ihm zur Wonne und zur Freude seines Herzens war, machte die Kraft des Herrn ihn „zu einer festen Stadt und zu einer eisernen Säule und zu einer ehernen Mauer wider das ganze Land".

In Seiner Kraft, unter Seiner Führung - das ist also die Stellung, die wir einzuhalten haben, und in der wir uns nicht nur gegen die geistlichen Feinde verteidigen können, die uns hindern wollen, unseren Fuß auf unsere Besitztümer zu setzen, sondern die uns auch in den Stand setzt, jene zu besiegen und diese uns wirklich zu eigen zu machen. Die Kraft zu unserem Handeln, die Weisheit für unseren Weg, beide sind in dem Herrn und nicht in uns. Der Gott, der „mich mit Kraft umgürtet", macht auch „meinen Weg vollkommen" (Vgl. Ps. 18,32). Darum: „Seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke" (Eph. 6,10)! Indem unsere Augen beständig auf Ihn gerichtet sind, lasst uns im Lesen des Wortes Seinen Willen zu erforschen suchen!

„Jeden Ort, auf den eure Fußsohle treten wird, euch habe ich ihn gegeben ... Nur sei sehr stark und mutig, dass du darauf achtest, zu tun nach dem ganzen Gesetz ... Habe ich dir nicht geboten: Sei stark und mutig? Erschrick nicht und fürchte dich nicht! Denn Jehova, dein Gott, ist mit dir überall, wohin du gehst". Ja, du brauchst dich nicht zu fürchten. Sei nur dessen eingedenk, dass du durch die Macht Gottes in Christo jedem Feinde mehr als gewachsen bist (Eph. 1,18-23).

Je höher wir Seine Kraft schätzen und Sein Wort lieben, und je mehr wir beide in dem Kampfe gebrauchen und sie uns zunutze machen, um so leichter werden wir den Feind überwinden und über ihn triumphieren können in Dem, Der ihn schon längst überwunden hat.

Und Gott ist uns „Sonne und Schild", wenn wir in der Kraft und Führung unseres teuren Herrn unseren Fuß fest auf die unendlichen Reichtümer in Christo setzen und sie zum Zeugnis gegenüber einer gottentfremdeten Welt behaupten, verwirklichen und genießen.

@@@@@@@@@@@@@@@

Nicht unter Gesetz sondern unter Gnade

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 162ff

Im 5. und 6. Kapitel des Briefes an die Römer behandelt der Apostel die Wirkung des Todes und der Auferstehung Christi, und zwar zunächst im Blick auf unsere Sünden oder unsere Schuld, und dann hinsichtlich unseres Zustandes von Natur. Unsere Sünden sind durch Sein Blut getilgt, ,,gerechtfertigt durch "Glauben haben wir Frieden mit Gott''; und unser alter" Zustand, ,,der Leib der Sünde'', ist in Christo gerichtet, wir stehen als Gerechte auf einem ganz neuen Boden vor Gott. Mit Christo am Kreuze einsgemacht (eig. verwachsen) in der Gleichheit Seines Todes, ist der Gläubige gestorben oder, wie der Apostel es ausdrückt, ,,unser alter Mensch ist mitgekreuzigt worden, aus dass der Leib der Sünde abgetan sei, dass wir der Sünde nicht mehr dienen''. (Kap. 6, 6.) Als ein neuer Mensch, eine neue Schöpfung, ist er nunmehr fähig gemacht, Dem zu leben, der für ihn gestorben ist und ist auferweckt worden. (2. Kor. 5, 15.) Ja, er ist berufen, sich als ein Lebender aus den Toten Gott darzustellen, und "seine Glieder Gott zu Werkzeugen der Gerechtigkeit; und" wenn er so vor Gott und mit Gott wandelt, hat er eine kostbare Frucht: er wächst in der Heiligung. Früher in Dingen wandelnd, deren er sich jetzt mit Recht schämt, hat er nunmehr, von der Sünde freigemacht und ein Sklave Gottes geworden, ,,seine Frucht zur Heiligkeit, als das Ende aber ewiges Leben''. (Kap. 6, 13. 22.)

Wunderbare Ergebnisse des Todes und der Auserstehung Christi! Gleichwie früher die Sünde geherrscht hat im Tode, also herrscht jetzt ,,die Gnade durch Gerechtigkeit——zu— ewigem Leben durch . Jesum Christum, unseren Herrn''. (Kap. 5, 21.) Einst Sklaven der Sünde,-sind wir jetzt ihrer Herrschaft entrückt und können, —der Sünde gestorben, in Neuheit des Lebens —zur Ehre. Gottes wandeln. ,,Denn«, sagt der Apostel, »ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade.« (Kap. 6,.14.) .- Das führt uns zu der Belehrung des 7. Kapitels. In diesem Kapitel behandelt der Apostel die Frage: In welcher Beziehung steht die bisher betrachtete Wahrheit ,zu dem Gesetz? Ist das Gesetz, welches in den bekannten zehn Geboten die Forderungen eines heiligen Gottes an Seine Geschöpfe enthält, beseitigt? Keineswegs! Dieses Gesetz besteht auch heute noch in seiner ganzen herben Majestät. Es verliert, so lange es Menschen auf dieser Erde gibt, nie seine Gültigkeit, nie seinen heiligen, verpslichtenden Ernst. Das soeben angeführte Wort, dass der Gläubige nicht unter. Gesetz, sondern unter Gnade ist, berührt inekeiner Weise das Gesetz als solches. Es steht heute wie immer da als das heilige, gerechte und gute Gebot Gottes. Es ist durchaus noch an cseinem Platze,«wenn, wie Paulus an sein Kind Timotheus schreibt, ,,jem-and es gesetzmäszig gebraucht'', ";d.. h. wenn er es aus solche anwendet, für die es gegeben ist: Gesetzlose und Zügellose, Gottlose und Sünder sc. (1. Tim. 1, 8 ss.)

Das Gesetz ist die von Gott gegebene Richtschnur für ,,den Menschen im Fleische«, den Nachkommen Adams, so wie er in dieser Welt steht und lebt. Es sagt ihm: Tue dies ——— lasse jenes! ,,Liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst.« ——— ,,Lass dich nicht gelüsten'' u. s. w. Übertritt der Mensch eines dieser Gebote, so ist er des ganzen Gesetzes schuldig. Wer nun darf sagen, dass er Gott über alles geliebt habe und seinen Nächsten wie sich selbst? Niemand! Wer könnte gar behaupten, dass er nie ein Gelüste, nie ein Verlangen nach irgend etwas Verbotenem, ihm nicht Gehörendem, gehabt habe? Keiner! Die Forderung: ,,Lass dich nicht gelüsten!'' einem sündigen, gefallenen Menschen gegenüber ist sozusagen gleichbedeutend mit: Sei kein Mensch! Diese Forderung zeigt ihm mit einem Schlage sein ganzes hoffnungsloses Verderben., Denn nicht einmal, nein, unzählige Male hat er "dieses Wort übertreten, ja, er übertritt es täglich, stündlich;" und nicht nur dieses eine Gebot, nein, auch die übrigen. Die durchschnittliche Lebensdauer des Menschen beträgt ' etwa 32 Jahre. 32 mal 365 Tage, und jeder Tag mit vielen Versehlungen, Begehungs- und Unterlassungssünden — welch eine zahllose Menge von Sünden, welch eine vernichtende Schuldenlast birgt ein einziges Menschenleben !

Das Gesetz Gottes tritt also nur mit Forderungen an den Menschen heran, und diese Forderungen sind gerecht und gut, geben aber dem Menschen keine Kraft, sie zu erfüllen. Das ist der Charakter des Gesetzes: es gibt nichts, es kann nur fordern und verurteilen. So ist es mit jedem Gesetz, auch mit dem menschlichen. Vergegenwärtigen wir uns einen überführten Verbrecher vor dem Schwurgericht. Sein Verbrechen ist erwiesen; er macht auch gar keine Anstrengungen, seine Tat zu leugnen oder zu beschönigen.

Er bekennt sie aufrichtig, bereut und betrauert sie. Der Fall liegt so, dass Richter und Geschworene von tiefem Mitgefühl für den armen Menschen ergriffen sind. Aber — was können sie tun? Dürfen sie das Gesetz brechen und den Mann freisprechen? Unmöglich. Sie müssen nach dem Buchstaben des Gesetzes urteilen. Das Gesetz kennt keine Gnade. Der Mann muss verurteilt werden, mag er auch die bittersten Anklagen gegen sich selbst erheben, mag er sich die Augen ausweinen oder gar sich verwünschen und verfluchen wegen seiner bösen Tat. Das Gesetz fordert unerbittliche Sühnung, gerechte Strafe.

Nun, gleich jenem überführten Verbrecher stehen alle Menschen vor Gott da, schuldig tausendfacher Übertretungen Seiner heiligen Gebote. Was muss das Ende der Gerichtsverhandlung sein? Tod und Verdammnis! Gott kann die Forderungen Seines Gesetzes nicht mildern, den Maßstab Seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit nicht herabsetzen. Er kann nicht, um einen landläufigen Ausdruck zu gebrauchen, durch die Finger sehen, nicht Gnade vor Recht ergehen lassen. Er ist nicht der ,,liebe Gott'', wie manche sich Ihn vorstellen, der es nicht so genau nimmt, sondern gegenüber unseren Versehlungen ein Auge zudrückt. Nein, Gott ist Liebe, aber Er ist auch Licht, und Er ist beides in göttlicher Vollkommenheit.

Wie ist denn nun ein Entrinnen möglich? Wie kann ein Mensch dem Urteil des Gesetzes entfliehen? Nur dann, wenn dem Gesetz Genüge geschieht. Ganz recht, sagst du, aber wenn dem Gesetz Genüge geschieht, so bedeutet das eben meinen Tod, mein Verderben.

Es wäre so, wenn Gott nicht in Seinem Erbarmen und in Seiner Liebe zu dir einen Ausweg geschaffen hätte. Denke dir, Gott habe einen Stellvertreter für dich gesunden, ein reiner, heiliger, gerechter Mensch' habe die ganzen schrecklichen Folgen deiner Sünden und "deines verderbten Zustandes auf sich genommen; dieser" « Mensch sei in dem vollen Umfangs des Wortes als verantwortlicher Bürge an deine Stelle getreten und habe den Fluch eines gebrochenen Gesetzes sich selbst treffen lassen, und Gott habe diese Stellvertretung als gültig angenommen und betrachte dich in ihm als gestorben, in ihm als gerichtet. Wie wäre es dann? Nicht wahr ? dann wärest du den furchtbaren Folgen deiner Sünden für ewig entronnen. Denn hat sie ein Anderer für dich getragen, so bist du in ihm, unbeschadet der Gerechtigkeit Gottes, nein, nicht nur unbeschadet, sondern auf Grund der Gerechtigkeit Gottes, ein Befreiter. Du bist von dem Flache des Gesetzes, ja, von dem Gesetz selbst befreit. Du bist dem Gesetz gestorben! —

Wenn ein Mensch den Tod verdient hat und er erleidet die Todesstrafe, zu welcher das Gesetz ihn verurteilt, so hat das Gesetz keine Ansprüche mehr an ihn. Er ist tot, dem—Gesetz entrückt. Das Gesetz hat, nachdem ihm Genüge geschehen ist, keinerlei Rechte mehr an den Schuldigen. Sein Recht ist ihm geworden.

Gott sei gepriesenl So ist es mit allen denen, die an Jesum geglaubt haben und mit Ihm in Seinem Tode und Seiner Auferstehung eine Pflanze geworden sind. Wir, die Gläubigen, sind sozusagen unter dem Gesetz weggestorben. Das Gesetz ist nicht gestorben, es bleibt immer in seiner ganzen Heiligkeit bestehen; aber ihm" ist Genüge geschehen, indem wir gestorben sind. Von dieser Wahrheit redet der Apostel also im 7. Kapitel. Er entwickelt sie zunächst, wie er es gewöhnlich tut, in lehrhafter Weise, um dann nachher seine Anwendungen zu machen und die praktischen Folgen aus ihr zu ziehen.

Er beginnt mit den Worten: ,,Oder wisset ihr nicht, Brüder, (denn ich rede zu denen, die Gesetz kennen), dass das Gesetz über den Menschen herrscht, so lange er lebt?'' Das Gesetz kann, wie eben gesagt, einem gestorbenen Menschen nichts mehr anhaben, kann seine Rechte an ihn nicht mehr geltend machen. Zur Erläuterung dieses Punktes gebraucht der Apostel ein Bild. Er redet von einer verheirateten Frau. Wie ist es mit einer solchen? Sie ist durch das Gesetz an ihren Mann gebunden, so lange er lebt. Wenn sie also bei Lebzeiten desselben eines anderen Mannes wird, bricht sie die Ehe. Sobald aber der erste Mann gestorben ist, kann sie eines anderen Mannes werden, ohne sich dadurch des Ehebruchs schuldig zu machen. Sie ist durch den Tod des Mannes von den Verpflichtungen, die auf ihr als Weib ruhten, entbunden. Sie steht unter diesem Gesetz, dem Ehegesetz, nur so lange der Mann lebt. So weit das Bild. Nun die Anwendung: ,,Also seid auch ihr, meine Brüder, dem Gesetz getötet worden durch den Leib des Christus''. Wie wir- sehen dreht der Apostel in der Anwendung das Bild um. Das "Gesetz kann nicht sterben; es ist Gottes heiliges, ewig" bestehendes Gesetz, das will sagen, ,,ewig« in dem Sinne: s so lange diese Erde besteht. (Vgl. Ps. 89, 36. 37.)

Der Tod muss aber eintreten, um das Verhältnis zu "lösen. Nun, der Apostel sagt: ,,Ihr seid getötet worden'';" und zwar wie? ,,durch den Leib des Christus''. Ein bemerkenswerter Ausdruck! Christus war ein wahrhastiger Mensch. Immer wieder betont der Apostel diese Tatsache. Er redet deshalb auch hier nicht einfach von Christo, sondern von dem Leibe des Christus, um daran zu erinnern, dass Er einen menschlichen Leib angenommen, ,,an Blut und Fleisch teilgenommen hat''. (Hebr. 2, 14.) Er musste ein wahrhaftiger Mensch sein wie wir, anders hätte Er unseren Platz nicht einnehmen "können; und doch wieder ein ganz einzigartiger Mensch" ——— ein heiliger Mensch, obwohl dem sündigen Menschen gleichgestaltet, Gottes Sohn und Mariens Sohn. (Schluss folgt.)

@@@@

Gedanken

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 168ff

Bußtränen müssen Liebestränen sein, sonst sind sie Gott nicht lieb. Beweine ich nur den Schaden und nicht die Schuld, die Strafe und nicht die Sünde, so fallen meine Tränen auf die Erde und nützen nichts. Beweine ich aber nicht so sehr das Leid, das mir geschehen ist durch Gottes Züchtigung, als das Gott zugefügt ist durch meine Sünde, so fallen sie in Gottes Herz und werden mir zum Segen.

Dr. Heinr. Müller, + 1675.

------------------

Ich weiß nicht, was ich am meisten bewundern soll, Gottes Barmherzigkeit und Geduld, die mich, als ich ein Sünder war, gerettet hat, oder Gottes Langmut und Huld, die mich seitdem als Sein Kind getragen und begleitet hat.

@@@@

Betrachtungen über das Buch Nehemia

Bibelstelle: Nehemia

Botschafter des Heils 1914 S. 169ff

Kapitel 13 - Die persönliche Energie des Glaubens S 169

Wie wir gesehen haben, hatte das Volk unter verschiede­nen Umständen sein Interesse an dem Worte Gottes und seine Achtung vor dem Wort an den Tag gelegt; der An­fang unseres Kapitels zeigt uns aufs neue, wie sie aufmerk­sam auf das Lesen des Buches Moses achteten. Es entging ihnen bei dieser Gelegenheit nicht, dass sie eine Vorschrift dieses Buches vernachlässigt hatten. Wir lasen: "Und es fand sich darin geschrieben, dass kein Ammoniter und Moabiter in die Versammlung Gottes kommen sollte ewig­lich, weil sie den Kindern Israel nicht mit Brot und mit Wasser entgegengekommen waren, und Bileam wider sie gedungen hatten, um sie zu verfluchen; aber unser Gott wandelte den Fluch in Segen. Und es geschah, als sie das Gesetz hörten, da sonderten sie alles Mischvolk von Israel ab" (V. 1 ‑ 3).

Es ist nicht zu verwundern, dass der Gedanke, sich von Ammon und Moab abzusondern, nicht vor allem anderen im Geiste des Volkes aufgekommen war. Diese beiden Völker waren Israels Brüder nach dem Fleische und, trotz ihres schmählichen Ursprungs, Abkömmlinge des "gerechten Lot", der als Abrahams Bruder betrachtet wurde; und in einem Sinne waren sie ebenso mit Israel verwandt, wie die Nachkommen des ungöttlichen Esau.

Die Weggeführten hatten sich schon abgesondert von den Kindern der Fremde (Kap. 9, 2) und von den Völ­kern der Länder (Kap. 10, 28), aber sie hatten bis auf diesen Tag nicht an das Mischvolk gedacht, an dessen Gegenwart sie gewöhnt waren. Doch siehe da, das Wort Gottes machte dieses ausdrücklich namhaft, und sie hatten es nicht beachtet! Wirklich, 5. Mose 23, 3‑6 redet deutlich: „Es soll kein Ammoniter noch Moabiter in die Versammlung Jehovas kommen; auch das zehnte Geschlecht von ihnen soll nicht in die Versammlung Jehovas kommen ewiglich; deshalb weil sie euch nicht mit Brot und mit Was­ser entgegengekommen sind auf dem Wege, als ihr aus Ägypten zoget; und weil sie Bileam, den Sohn Beors, aus Pethor in Mesopotamien wider dich gedungen haben, um dich zu verfluchen. Aber Jehova, dein Gott, wollte nicht auf Bileam hören, und Jehova, dein Gott, wandelte dir den Fluch in Segen; denn Jehova, dein Gott, hatte dich lieb. Du sollst ihren Frieden und ihr Wohl nicht suchen alle deine Tage, ewiglich".

Das hier berichtete war ungefähr tausend Jahre früher geschehen, und es ist sehr wichtig zu beachten, dass die seitdem verflossene Zeit die Strafbarkeit Ammons und Moabs durchaus nicht vermindert hatte. Der Richterspruch Gottes gegen sie blieb bestehen, weil Gott sich nie verän­dert und tausend Jahre vor Ihm sind wie ein Tag. Man meint oft, dass es, ähnlich wie in menschlichen Dingen, auch bezüglich einer gegen Christum oder gegen das Volk Gottes begangenen Sünde eine Verjährung gebe. Warum, sagt man, muss man solche Dinge wieder ins Gedächtnis zurückrufen? Seitdem sie geschehen sind, ist eine so lange Zeit verflossen, dass kein Mensch sich ihrer erinnert. Kann man sie deshalb überhaupt noch in Rechnung ziehen? Solche Überlegungen finden von Seiten dessen, was es in unserer sündigen Natur Liebenswürdiges gibt, immer Zustimmung. Der Gedanke, das Böse wie mit einem Schwamme auszuwischen, erscheint uns auf den ersten Blick sehr empfehlenswert; aber wir vergessen dann, dass die Frage von dem Gesichtspunkt Gottes aus betrachtet werden muss. Was denkt Er über das Unrecht, das Ihm oder Seinem Volke angetan worden ist? Tatsache ist, dass Er von Anfang an über das "Mischvolk" ein end­gültiges Urteil gesprochen hatte; darum hatte Israel nicht auf das zu sehen, was ihm passend erschien, sondern auf das, was Gott über die Seinem Namen zugefügte Schmach dachte. Die Zeit hat nicht das Geringste geändert, weder an der Sünde Moabs und Ammons, noch an der Verpflich­tung, sich von ihnen abzusondern. Was die Kinder der Frem­de betraf und das Volk des Landes, d. h. also alle, die Kanaan bei der Eroberung bewohnten, so hatte das 5. Buch Mose befohlen, sie gänzlich auszurotten, kein Bündnis mit ihnen zu machen, ihnen keine Gnade zu, erweisen und sich auch nicht durch Heirat mit ihnen zu verbinden, damit sie das Volk nicht zum Götzendienst verleiteten (5. Mose 7, 1‑4). Doch in Bezug auf Ammon und Moab lag der Fall ganz anders; und was die unheiligen Heiraten betraf, so hatte das Volk sie schon in Esra 10 verurteilt und sich von ihnen gereinigt. Hinsichtlich dieser beiden Völker handelte es sich vielmehr darum, sie nicht als einen Teil der Gemeinde Je­hovas zu betrachten.

Sobald denn das Volk die Worte über Ammon und Moab hörte, sonderte es das ganze Mischvolk aus seiner Mitte ab. Doch vor diesem hatte Eljaschib der Hohepriester selbst dem Volk das Beispiel der Untreue gegeben und seine be­vorzugte Stellung wie seine Autorität machten die Abwei­chung vom Gesetz um so gefährlicher. Eljaschib war ver­bunden mit Tobija, dem Ammoniter, der wiederum in großer Gunst stand bei Edlen von Juda, die ihm geschworen hatten. Er war bekanntlich ein Schwiegersohn Schekanjas, des Sohnes Arachs; und sein Sohn Jochanan war gar ein Schwiegersohn Meschullams, des Sohnes Berekjas, eines Mannes aus priesterlichem Geschlecht (Kap. 6, 18), viel­leicht desselben, der in Esra 10, 15 sich der Rücksendung der fremden Frauen widersetzt hatte. Zudem ersehen wir aus Vers 28, dass ein Enkel Eljaschibs ein Schwiegersohn Sanballats, des Horoniters, eines Moabiters , war. So hatte der geistliche Führer des Volkes nach beiden Seiten hin das Gebot Moses übertreten, einerseits durch sein poli­tisches Bündnis mit Ammon (denn es wird uns nicht gesagt, dass er mit Tobija durch Heirat verbunden gewesen wäre), andererseits durch ein Ehebündnis mit Moab.

Die Verbindung mit Tobija hatte Eljaschib dahin gebracht, jenem nicht nur einen Platz in der Gemeinde Israels, son­dern sogar eine Wohnung im Hause Gottes einzuräumen! Er hatte ihm die Zelle für die Zehnten eingerichtet, wohin man vordem die Speisopfer legte, den Weihrauch und die Geräte und den Zehnten vom Getreide, Most und Öl, das für die Leviten und die Sänger und die Torhüter Gebotene, und die Hebopfer der Priester" (V. 5).

Hatte Eljaschib anfangs, wie das Volk, in Unwissenheit gehandelt, was für einen Hohenpriester schon nicht zu entschuldigen war, so hätte er doch dem Beispiel der Gemeinde folgen sollen, als diese beim Hören des Gesetzes sofort das Mischvolk von Israel absonderte. Aber er tat nichts dergleichen. Welch eine Schande für das geistliche Haupt des Volkes! Ganz allein hatte er sich über das Gesetz Gottes gestellt, über das geschriebene Wort, indem er fort­fuhr, das Beispiel für solch ein Ärgernis zu geben, und das Volk hatte ihn gewähren lassen!

Die Rückkehr Nehemias war nötig, um diesem schänd­lichen Missbrauch ein Ende zu machen. Während diese Dinge sich zutrugen, war er bei dem König in Sufa gewe­sen, da sein Urlaub abgelaufen war (vergl. Kap. 2, 6; 5 14). Bei seiner Rückkehr konnte ihm ein solcher Zustand selbst­verständlich nicht verborgen bleiben. Wenn auch alle diesen Zustand duldeten, durfte er doch nicht von Nehemia gedul­det werden. Dieser treue Gottesmann ließ keine Entschuldi­gung für das Böse zu. Er rechnete nicht mit der Stellung dessen, der es begangen hatte, und schonte ihn nicht. Ohne Zögern reinigte er das Haus Gottes, die durch die Anwesen­heit jenes Ammoniters verunreinigten Zellen, und gab sie ihrer ersten Bestimmung zurück, nachdem er vorher alle Hausgeräte Tobijas hatte hinauswerfen lassen.

Doch welche Folgen hatte die Sünde eines anscheinend einzelnen Mannes hervorgerufen in allem, was das Heilig­tum anging! Die Zahlung der Zehnten war vernachlässigt worden, seitdem es keinen Ort mehr gab, wo man sie auf­bewahren konnte; und da es den Leviten und den Sängern an dem zu ihrem Unterhalt Nötigen fehlte, waren sie „ein jeder auf sein Feld" entflohen. Infolge des Mangels an Leviten hatte wiederum der Dienst des Hauses Gottes ge­litten. So hatte die eine Sünde unberechenbare Folgen nach sich gezogen für das, was gerade den Mittelpunkt des reli­giösen Lebens des Volkes bildete.

Beim Anblick dieser Unordnung gab es für Nehemia ebenso wenig ein Zögern, wie vorher bezüglich der Zelle des Tobija. Das Haus Gottes war verlassen! Hier war kein Abwarten am Platz. Die erste Handlung der Energie musste eine zweite hervorrufen. Nehemia versammelte die Vorsteher und stellte sie an ihre Stelle (V. 11). Er vertraute die Ver­teilung der Zehnten Männern an, die er aus Priestern, Schriftgelehrten und Leviten auswählte, das heißt aus denen, die durch ihre Amtsverrichtungen in unmittelbarer Beziehung zum Hause Gottes standen; und ihnen zur Seite stellte er „treu geachtete" Männer.

Noch andere Dinge waren die Folge der an hoher Stelle begangenen Untreue; wenigstens können wir annehmen, dass die in den Versen 15‑18 erzählte Tatsache notwendiger­weise aus der Erschlaffung bezüglich des Gottesdienstes hervorgehen musste. Der Sabbat wurde nicht mehr beobach­tet. Wenn das Volk bezüglich der Leviten sehr schnell das aufgegeben hatte, was es in glücklicheren Tagen, getrieben durch die erste Liebe, für sie getan hatte (Kap. 12, 47), so hatte es, und das war noch ernster, betreffs des Sabbaths das vergessen, wozu. es sich bei der Erneuerung des Bundes (Kap. 10, 31) feierlich verpflichtet hatte!

Der Sabbat war gleichsam die Grund‑Verordnung des Gesetzes. Es war das einzige Gebot unter den zehn Worten, das nicht eine sittliche Frage zum Ausgangspunkt hatte. Es war einfach der Ausdruck des Willens Gottes und Seines Wortes; durch sie war dieses Gebot eingesetzt worden. Der Sabbat diente zum "Zeichen zwischen Gott und den Kindern Israels auf immerdar". Ihn beobachten war eine Frage des einfachen Gehorsams, ohne dass man sich dafür auf Gründe, die auf dem Gewissen fußten, berufen konnte, und gerade darin bestand seine besondere Wichtig­keit.

Aber was sah Nehemia? "In jenen Tagen sah ich einige in Juda, welche am Sabbat die Keltern traten, und Garben einbrachten und auf Esel luden, und auch Wein, Trauben und Feigen und allerlei Last, und es am Sabbattage nach Jerusalem hereinbrachten; und ich zeugte wider sie an dem Tage, da sie die Lebensmittel verkauften. Auch Tyrer wohn­ten darin, welche Fische und allerlei Ware hereinbrachten und sie am Sabbat den Kindern Juda und in Jerusalem verkauften" (V. 15. 16).

Die Sorge um ihre persönlichen Geschäfte, das Trachten nach Gewinn hatte die Juden von diesem großen Gebot abgewandt, und infolgedessen duldeten sie, dass Fremde, die Tyrer, das gleiche taten. Ihr Wohlergehen, verbunden mit den Bequemlichkeiten des Lebens, hatte sie zu diesen Über­tretungen gebracht. Sie waren dahin gekommen, sowohl selbst den Sabbat zu entheiligen, als auch ihn zu ihrem Nutzen von den Tyrern entheiligen zu lassen.

Nehemia wendet sich dieser halb an die Vorsteher und handelt in Bezug auf sie, wie er zuerst gegen das Haupt des Priestertums gehandelt hatte. "Da zankte ich", sagt er, "mit den Edlen von Juda und sprach zu ihnen: Was ist das für eine böse Sache, die ihr tut, dass ihr den Sabbattag entheiliget? Haben nicht eure Väter ebenso getan, so dass unser Gott all dieses Unglück über uns und über diese Stadt brachte? Und ihr mehret die Zornglut über Israel, in­dem ihr den Sabbat entheiliget" (V. 17. 18)! Doch er be­schränkt sich nicht auf diesen Tadel; er schließt auch die Tore Jerusalems' vor Anbruch des Sabbats (V. 19). Wozu dienten denn die Tore, auf deren Wiederaufbau er so viel Ausdauer verwendet hatte, wenn sie dem Bösen und der Übertretung offen blieben? Er behandelt das Böse scho­nungslos, ebenso wie die Autorität Gottes verfährt, wenn wir uns durch sie leiten lassen. Sie ergreift keine halben Maßregeln, wenn es sich darum handelt, Seinem Wort Ach­tung zu verschaffen.

In den Versen 23‑28 begegnen wir einem neuen Ergebnis der Untreue Eljaschibs. Während die Mehrzahl des Volkes sich gereinigt hatte, war eine gewisse Anzahl von ihnen widerspenstig geblieben. Die Augen des eifrigen Dieners, denen nichts entging, entdeckten sie bald. Kein Ammoniter und kein Moabiter wurde mehr in der Versammlung Gottes geduldet, aber einzelne Personen, ermuntert durch die Vor­kommnisse in der Familie Eljaschibs (V. 28), hatten die ehelichen Verbindungen mit Ammon und Moab nicht ge­brochen. Sie hatten Kinder, und zwar schon große, welche die jüdische Sprache nicht kannten und asdoditisch sprachen, denn zu jenen beiden Nationen war noch eine andere hinzu­gekommen, die Philister in dem Gebiet, das zu Asdod gehörte. So waren die drei beständigen Feinde des Volkes Gottes (ohne von Edom zu reden) in die Familien aufge­nommen worden und brachten da Söhne in ihrem Bilde hervor; denn das Bündnis mit der Welt ist niemals zum Nutzen des Volkes Gottes. Man hört hier nicht, dass die Kinder der Asdotiterinnen die jüdische Sprache erlernt hätten.

Nehemia erweist diesen Männern, die gleich nach einem feierlichen Bunde so handeln konnten, keinerlei Mitleid. "Ich zankte vor ihnen und fluchte ihnen, und schlug einige Männer von ihnen und raufte sie. Und ich beschwor sie bei Gott: Wenn ihr eure Töchter ihren Söhnen geben werdet, und wenn ihr von ihren Töchtern für eure Söhne und für euch nehmen werdet“(V. 25)! Er zeigt ihnen, wohin diese Verbindungen Salomo, den größten der Könige Israels, gebracht hatten. Gerade bei den Moabitern und Ammo­nitern hatte er zuerst Frauen gesucht und hatte sich dann deren Götter zugewandt (1. Könige 11, 1‑8).

Was gab es noch ferner zu tun? Den Sohn Jojadas, den Enkel Eljaschibs, von sich wegzujagen! "Gedenke es ihnen, mein Gott“, sagt Nehemia, "wegen der Verunreini­gung des Priestertums und des Bundes des Prie­stertums und der Leviten" (V. 29)!

So war in diesem Augenblick das Volk "von allen Frem­den gereinigt" (V. 30).

Diese Treue, das wusste Nehemia, würde ihre Belohnung haben. jedoch, er tat diese Dinge nicht um der Belohnung willen; nur war es ihm bekannt, dass Jehova treu war und Seines Dieners gedenken würde. Sicher hatte er kein Recht auf irgend etwas von seiten Jehovas, aber er wusste, dass Gott mit der Treue der Seinen rechnet, und dass es Seine Freude ist, wenn der Augenblick der Abrechnung kommt, zu, ihnen zu sagen: „Wohl, du guter und treuer Knecht! über weniges warst du treu, über vieles werde ich dich setzen". In demselben Geiste konnte Paulus sagen: "Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe den Glauben bewahrt; fortan liegt mir bereit die Krone der Gerechtigkeit, welche der Herr, der gerechte Richter, mir zur Vergeltung geben wird an jenem Tage".

Möchten auch wir am Ende unserer Laufbahn gleich dem treuen Nehemia sagen können: "Gedenke es mir, mein Gott" (V. 14. 22. 31)!

Wenn wir zum Schluss fragen: Hat der in diesem Kapitel mitgeteilte Zustand der Reinigung lange gewährt? so lautet die demütigende Antwort: Nein, er war nur von kurzer Dauer. Maleachi, der ohne Zweifel nach den im Buche Nehemia berichteten Ereignissen (aber nicht sehr lange nachher) ge­weissagt hat, zeigt uns, dass zu der Gleichgültigkeit des Priestertums Gott gegenüber eine weitgehende Verachtung der von Gott eingesetzten Ehe hinzugekommen war, eine Verachtung, die schon den gerechten Unwillen Nehemias erregte. Das alles enthält eine ernste Unterweisung für‑uns: Die größte Gefahr, die der Versammlung Gottes drohen kann, ist gerade die Duldsamkeit gegenüber dem „Mischvolk"; tatsächlich ist sie die Hauptursache des Verfalls der Kirche. Es ist verhältnismäßig leicht, sich von den "Söhnen der Fremde", der Welt im eigentlichen Sinn des Wortes, zu trennen. Die Gefahr, ihr zu folgen, ist weniger groß, als die Gefahr, mit solchen zu. wandeln, die ein gleiches Be­kenntnis und anscheinend die gleiche Herkunft haben, ohne den Glauben zu besitzen. Solche nehmen das Recht in An­spruch, an dem Werke Gottes mitzuarbeiten, und unter dem Deckmantel des christlichen Bekenntnisses verführen sie die wahren Gläubigen durch scheinbar sehr nützliche Verbindungen.

Der Herr wolle uns vor diesem Geiste bewahren und uns von solchen Verbindungen frei machen! Sie haben stets eine geistliche Schwächung zur Folge, die den Familienkreis, wo sie eingedrungen sind, bald weit überschreitet und sich notwendigerweise auf das Leben der Versammlung ausdehnt und so der Verherrlichung Gottes und der Reinheit Seines Hauses in dieser Welt Abbruch tut.

Das Buch Nehemia zeigt uns, was der Gläubige in diesen schweren Tagen sein soll, wo der Niedergang unheilbar ist, und wo es sich darum handelt, Gott zu verherrlichen in einer Umgebung, die infolge des Verfalls dem, was im An­fang da war, nicht mehr gleicht, wo aber trotzdem, und das ist ein charakteristischer Zug, die Autorität des Wortes Gottes anerkannt und verkündigt wird. Seit der Ankunft des Schriftgelehrten Esra in Jerusalem sehen wir tatsächlich das Wort Gottes bei jeder Gelegenheit eine große Rolle spielen; es wird gehört und geschätzt. Zu ihm nimmt das Volk seine Zuflucht, ihm unterwirft es sich. In beiden Büchern nimmt das: "Wie im Gesetz geschrieben steht", einen Haupt­platz ein. Der Wunsch, Verständnis zu erlangen in den Worten des Gesetzes, treibt die Führer an, auf das Gesetz zu hören. Das Volk selbst verlangt, dass es vorgelesen werde, und leiht ihm das Ohr. Esra und die Leviten lesen es laut und deutlich vor allen. Esra, der Vertreter des ge­schriebenen Wortes, führt bei der Einweihung der Mauer den ersten Chor an; und in dem eben betrachteten Kapitel lernt das Volk seine Pflicht durch das Buch des Gesetzes.

Die „geöffneten Schriften" bilden also einen der Haupt­ Charakterzüge des Buches Nehemia und kommen diesem Manne Gottes bei seiner ganzen Tätigkeit zu Hilfe, obwohl seine Tätigkeit nicht gerade darin besteht, zu lehren; dieses Gebiet gehört mehr zum Dienst Esras. Esra könnte man den Mann der Demut nennen, einer Demut indes, die keines­wegs den festen Vorsatz ausschließt, das Volk dahin zu bringen, sich vom Bösen abzusondern. Esra ist außerdem der Mann, durch den Gottes Wort wieder zu Ehren gebracht wird. Und die Würdigung, welche die Schriften hier empfangen, sei es durch seine Vermittlung oder durch die Annahme des Wortes seitens des Volkes ohne äußere Einwirkung, bleibt im ganzen Buche Nehemia dieselbe.

Was Nehemia betrifft, ihn kennzeichnet von Anfang an eine nie rastende Tätigkeit für die Wiederherstellung und Verteidigung seines armen Volkes. Die ungeheure Arbeit des Wiederaufbauens der Mauer hängt ganz von seinem An­trieb ab. Aber sein Eifer ist ebenso brennend gegen das Böse wie für das Gute. Er zankt mit den Edlen und Vor­stehern, die ihre Brüder bedrücken, und gibt persönlich das Beispiel der Entsagung, denn Eifer ohne Selbstverleugnung hat wenig Wert. Er steht an der Spitze derer, die den Bund unterzeichnen, und unterwirft sich ihm treu. Bei der Einweihung nimmt er den letzten Platz ein, um Esra den ersten zu geben. Schließlich zeigt er eine Energie, die kein Unterhandeln, keinen Vergleich kennt, wenn er sieht, dass das Böse sich unter dem Schutz des Hohenpriesters selbst in die Gemeinde einschleicht. Ohne Zögern und ohne Rück­sicht auf Eljaschib wirft er alles hinaus, was Tobija gehört. Er zankt mit den Vorstehern über die Behandlung der Levi­ten, wie er es einst getan hatte bezüglich der Art, wie sie ihre Brüder behandelten. Er erhebt Einspruch bezüglich des Sabbaths und zankt mit den Edlen von Juda; er verwarnt die Kaufleute, die an diesem Tage ihre Waren nach Jeru­salem brachten. Er zankt, verflucht und schlägt sogar die, die trotz ihres Schwurs die fremden Frauen nicht fortschick­ten. Man kann von Nehemia sagen, was von einem Größe­ren als er gesagt ist, dessen Schuhriemen aufzulösen er nicht würdig war: "Der Eifer um dein Haus hat mich ver­zehrt". Auch er weiß, wie sein göttlicher Meister, eine Geißel von Stricken zu machen, um die Verkäufer und die, welche das Priestertum entweiht hatten, aus dem Tempel hinauszujagen.

Ein solcher Eifer ist notwendig in den Zeiten, in denen wir leben. Wie oft hört man sagen: Lasst uns das Böse ertragen, lasst uns warten, bis Gott es richtet! Was würde aus der Gemeinde Israel geworden sein, wenn Nehe­mia sich einen solchen Grundsatz angeeignet hätte? Lasst uns ihn zum Beispiel nehmen, aber lasst uns vor allem den Fußspuren Christi folgen! Die Energie des Geistes ist genau so notwendig wie die Liebe und die Gnade. Die eine kann nicht der anderen den Platz überlassen; alle beide sind gleich nützlich für das Gedeihen des Volkes Gottes. Diese Eigen­schaften sind in den Büchern Esra und Nehemia getrennt, weil die Männer Gottes durchgehends den einen oder den anderen dieser Charakterzüge in besonderer Weise hervor­treten lassen. Siehe z. B. die Energie eines Petrus und die Sanftmut eines Johannes, oder in neuerer Zeit, als weit geringere Beispiele, den Mut eines Luthers, und die Mäßi­gung eines Melanchthon.

In Christo allein waren alle Eigenschaften eines Dieners Gottes unzertrennlich und in vollkommenem Gleichgewicht vereinigt. Seine Seele war, wie jemand gesagt hat, eine Harfe, bei der jede Saite im rechten Augenblick in einer Weise ertönte, dass unter den Händen des obersten Meisters, der wunderbare und göttliche Akkorde erklingen ließ, eine vollkommene Harmonie hervorkam.

Fußnote:

*) "Gott des Himmels" ist der in Esra und Nehemia beständig vorkommende Name Gottes, als Desjenigen, der die Herrschaft den Nationen gegeben hat. Er wird nicht mehr der Gott der Erde genannt, denn da Er als solcher das Land Seinem Volke gegeben hatte, und dieses wegen seiner Untreue Lo‑Ammi (Nicht‑mein‑Volk) heißt, hatte Gott diesen Titel aufgegeben und wird ihn erst später wieder annehmen (Siehe Esra; Dan 2, 18.19.28.37.44).

*) Eine gewisse Unklarheit des Textes könnte vermuten lassen, dass die Chaldäer diese Seite der Mauer (wie auch die "breite Mauer") nicht völlig zerstört hätten, nämlich die Seite, an der das hier nicht erwähnte „Tor Ephraim" lag (Siehe Kap 8, 16). Der früher von der Mauer umschlossene "Platz" am Tor Ephraim scheint nicht in den Wiederaufbau einbegriffen gewesen zu sein.

@@@

Gedicht - Bitte

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 182ff

Autor: Spitta

Herr, das Böse willig zu erleiden, ·

aber selbst mit allem Ernst zu meiden,

dazu mache Du mich stets bereit!

Lass im Streit mich niemals widerstreiten,

ob ich leide, niemals Leid bereiten,

so mich schicken in die böse Zeit! ,

@@@@@@

Nicht unter Gesetz sondern unter Gnade

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 183ff

Wir sind also durch den Leib des Christus dem Gesetz» getötet worden (V. 4), wir sind dem Gesetz gestorben. Zu welchem Zweck? Um fortan ungesetzlich oder gar gesetzlos zu sein, um unserem eigenen Willen, den Trieben unserer alten Natur zu folgen? Ach, das wäre viel schrecklicher, als unter Gesetz zu stehen. Nein, wir sind dem Gesetz getötet worden, „um eines Anderen zu werden«. Das Weib in dem Gleichnis des Apostels wird eines anderen Mannes. So sind auch wir eines anderen Mannes geworden. Das Gesetz war sozusagen der erste Mann, dessen Herrschaft nur Seufzer und Klagen hervorrufen konnte; das arme Weib vermochte trotz aller Anstrengungen seinen Forderungen nicht zu entsprechen. Wer ist denn nun der zweite Mann, dessen sie geworden ist? „Der aus den Toten Auferweckte“ Wiederum erhebt sich die Frage: Zu welchem Zweck ist sie des Anderen geworden? Um nunmehr mit Seiner mächtigen Hilfe das Gesetz zu erfüllen? Nein; mit dem Gesetz haben wir für immer abgeschlossen, wir sind ihm getötet worden, . . . „auf dass wir Gott Frucht brächten“; oder, um mit den Worten des Apostels im 6. Kapitel zu reden, damit wir uns fortan Gott darstellen als Lebende aus den Toten, als Menschen, die berufen und fähig gemacht sind, ihre Glieder zu Werkzeugen der Gerechtigkeit zu gebrauchen (Röm. 6, 13.) Wir sind eines Anderen geworden, um jetzt in Seinem Leben, lebendig gemacht mit Ihm, gestärkt und gehalten durch Seine Gnade, Gott Frucht zu bringen. Das war vorher unmöglich. Denn wenn wirklich ein Mensch das Gesetz zu halten vermocht hätte (es war ja unmöglich), so würde das Ergebnis doch nur eine menschliche Gerechtigkeit gewesen sein, die vor Gott keinen Wert hat. - Aber nicht nur das. Wir lesen weiter: „Denn als wir im Fleische waren, wirkten die Leidenschaften der Sünden, die durch das Gesetz sind, in unseren Gliedern, um dem Tode Frucht zu bringen«. Das war unser früherer Zustand: wir waren im Fleische, und, anstatt die Forderungen des Gesetzes zu erfüllen, brachten wir dem Tode Frucht. An dieser Stelle möchte ich beiläufig an die bekannte Tatsache erinnern, dass zwischen dem Worte „im Fleische sein“ und dem „das Fleisch noch in sich haben“ ein großer Unterschied besteht. Der Gläubige hat wohl noch das Fleisch in sich, aber er ist nicht mehr „im Fleische“, d. h. er steht nicht mehr in seinem natürlichen Leben, in der Stellung des ersten Adam, vor Gott. Im Gegenteil, im 8. Kapitel wird den Gläubigen gesagt:Ihr seid nicht im Fleische, sondern im Geiste“ (V. 9.) Gottes Geist wohnt und wirkt in ihnen. Sie stehen in einer ganz neuen Stellung, in einem ganz neuen Leben vor Gott, obwohl das Fleisch, wie gesagt, noch in ihnen ist, wider den Geist gelüstet (Gal. 5, 17) und so der steten Verurteilung bedarf. Früher wirkten also die Leidenschaften der Sünden in uns, und diese Leidenschaften waren, wie der Apostel es ausdrückt, „durch das Gesetz“. Ein bemerkenswertes Wort! Sind denn die Leidenschaften der Sünden wirklich durch das Gesetz in uns hervorgebracht worden? Nein, sie waren da, aber sie befanden sich gewissermaßen in einem Schlummerzustande. Beobachten wir ein Kind. Sobald ihm ein Gebot gegeben und sein Wille durch eine Verfügung des Vaters oder der Mutter eingeschränkt wird, regt sich das Verlangen in ihm, gerade jetzt das Verbotene zu tun. Das Beispiel von der verdeckten Schüssel ist bekannt. Ein Häuflein Kinder spielt vergnügt in einem Zimmer. Auf dem Tische in der Mitte steht eine verdeckte Schüssel. Die Kinder kümmern sich nicht darum. Da tritt die Mutter herein und sagt: „Kinder, dass mir keines von euch den Deckel von der Schüssel hier abhebt!“ Kaum hat sie das Zimmer verlassen, so steht die ganze Schar um den Tisch her und wirft begehrliche Blicke auf die Schüssel. Ein anderes Beispiel: Da steht neben der Straße ein Pfahl mit der Inschrift: „Verbotener Weg“. Vielleicht würde es niemand in den Sinn kommen, über das betreffende Feld zu gehen; jetzt aber, wo das Verbot dasteht, bleibt mancher stehen, besteht sich den Pfahl und überlegt, ob er nicht gerade den verbotenen Weg gehen sollte. So ist der Mensch. Frau Torheit spricht: „Gestohlene Wasser sind süß, und heimliches Brot ist lieblich“ (Spr. 9, 17). Ein jeder von uns weiß aus Erfahrung, wie sich, wenn ein Gebot oder Verbot an uns herantritt, sogleich die Lust in uns regt, demselben entgegen zu handeln. So wirkten denn einst die Leidenschaften der Sünden, die durch das Gesetz sind, in uns. Sie wurden durch das Gesetz hervorgelockt, ans Licht gebracht, und was war das Ergebnis? „Wir brachten dem Tode Frucht“ Wir übertraten das Gesetz, und das Gesetz verurteilte uns. „Jetzt aber sind wir von dem Gesetz losgemacht, da wir dem gestorben sind, in welchem wir festgehalten wurden, so dass wir dienen in dem Neuen des Geistes und nicht in dem Alten des Buchstabens“ (V. 6.) Standen wir früher unter der Sklaverei des Gesetzes, so befinden wir uns jetzt auf dem Boden der Gnade, in dem Neuen des Geistes.Was sollen wir nun sagen?“ Mit dieser Frage leitet der Apostel seine Schlussfolgerungen ein. Wenn durch das Gesetz die Leidenschaften in mir ans Licht gezogen, hervorgelockt wurden, dann könnte man ja zu der Meinung kommen, das Gesetz sei Sünde. „Das sei ferne!“ antwortet der Apostel. Das Gesetz ist nicht Sünde, aber es lässt mich die Sünde erkennen, bringt sie mir zum Bewusstsein. „Denn auch von der Lust hätte ich nichts gewusst, wenn das Gesetz nicht gesagt hätte: Lass dich nicht gelüsten!“ Ohne das Gesetz hätte ich nicht gewusst, dass die Lust Sünde ist. Heute noch denken die meisten Menschen, was sich da tief in ihrem Innern rege, die Neigungen und Wünsche ihres natürlichen Herzens, seien doch nicht Sünde! Aber sie irren sich. Die Lust, in welcher Form sie sich auch offenbaren mag, ist Sünde! — „Lass dich nicht gelüsten!« sagt das Gesetz. Im Jakobusbriefe heißt es freilich: „Die Lust, wenn sie empfangen hat, gebiert die Sünde“, indem so scheinbar nicht die Lust, sondern nur die Tatsünde als böse hingestellt wird. Aber es handelt sich im Jakobusbriefe nicht um den Zustand des Menschen vor Gott, so wie Gott den Menschen sieht und beurteilt, sondern um sein Erscheinen, sein Dastehen vor den Augen der Menschen. Ein Mensch kann mir nicht ins Herz sehen, er sieht nur meine Taten und Wege; Gott aber sieht das Herz an. Er schaut hinein in die verborgensten Winkel des Herzens und erkennt dort all die bösen Keime der Sünde. — Darum: „Lass dich nicht gelüsten!“ Dann hat also doch das Gesetz die Sünde in mir bewirkt, „denn von der Lust hätte ich nichts gewusst, wenn nicht das Gesetz, u. s. w.“ Ach nein! Hören wir nur, was der Apostel weiter sagt: „Die Sünde aber, durch das Gebot Anlass nehmend, bewirkte jede Lust in mir, denn ohne Gesetz ist die Sünde tot“ (V. 8). Die Sünde, d. i. das unreine Element in mir, der böse Grundsatz, der meine ganze Natur beherrscht, war da, ehe das Gesetz kam, aber er trat erst infolge des Gesetzes in seiner ganzen Hässlichkeit ans Licht. Derselbe Gedanke also, den wir schon wiederholt aussprachen, und den der Apostel, noch genauer und bestimmter als bisher, in die Worte kleidet: „Ich aber lebte einst ohne Gesetz, als aber das Gebot kam, lebte die Sünde aus“ (V. 9)! Aus diesem Verse geht, beiläufig bemerkt, unzweideutig hervor, dass der Apostel in seiner ganzen Beweisführung nicht an sich denkt, als schildere er einen Zustand, in welchem er sich selbst befunden habe, oder als sei das, was er beschreibt, der regelrechte Zustand eines Christen. Wie könnte er, der doch der strengen Sekte der Pharisäer angehört hatte, sagen: „Ich lebte einst ohne Gesetz“? Nein, er spricht ganz allgemein von dem Menschen, der einst ohne Gesetz war und bei welchem sich, als das Gebot kam, die Sünde in ihrer ganzen verabscheuungswürdigen Gestalt zeigte. Sie wachte mit aller Kraft aus, die Folge war der Tod:Ich starb“. — „Denn das Gebot, das zum Leben gegeben war, das erwies sich mir zum Tode“ Das Gebot, obwohl „heilig, gerecht und gut“ und nur zum Leben gegeben, erwies sich mir zum Tode. Wieder erhebt sich die Frage: „Dann hat also das Gute mir zum Tode gereicht“ (V. 13)? Nein, die Sünde, die in mir wohnende Kraft des Bösen, mein Zustand von Natur, hat mir durch das Gute den Tod gebracht. „Die Sünde, durch das Gebot Anlass nehmend, täuschte mich und tötete mich durch dasselbe“ (V. 11). Sie sollte in ihrem durch und durch hässlichen Charakter, als Auflehnung gegen Gott und Sein Wort, in ihrer ganzen Unverbesserlichkeit und Unheilbarkeit, als Sünde, erscheinen; sie sollte, indem sie gar durch das Gute mir den Tod bewirkte, überaus sündig werden durch das Gebot“ (V. 13). Denn wir wissen, dass das Gesetz, geistlich ist“ (V. 14). Mit diesen Worten beginnt der Apostel einen ganz neuen Gedankengang. Bisher hat er von dem Menschen in seinem natürlichen Zustande als Nachkomme des ersten Adam gesprochen. Jetzt beginnt er die Erfahrungen zu schildern, welche der erneuerte Mensch unter dem Gesetz macht. „Wir (d. h. wir Christen) wissen, dass das Gesetz geistlich ist«; wir erkennen seine Forderungen als durchaus richtig und Gott gemäß an. —- Aber neben dieser christlichen Erkenntnis, die wir erlangt haben, lernen wir durch das Gesetz noch etwas anderes. Das Gesetz zeigt uns unsere ganze Ohnmacht, selbst wenn wir das Gute tun wollen. Der wiedergeborene, aber noch unbefreite Mensch lernt, dass er „fleischlich ist, unter die Sünde verkauft“. Beachten wir indes den Wechsel der Person in dieser Stelle. Es heißt nicht: „wir sind fleischlich“, wie vorher: „wir wissen“, sondern: 2ich bin fleischlich“. Das ist von außerordentlicher Wichtigkeit. Der Apostel gibt in dem zweiten Teile des Satzes nicht einer Wahrheit von allgemeiner Anwendung Ausdruck, sondern beschreibt das Ergebnis einer persönlichen Erfahrung, die den armen Gläubigen ganz in Verlegenheit und Verwirrung bringt. Er erkennt gar nicht mehr, was er vollbringt: „denn nicht was ich will, das tue ich, sondern was ich hasse, das übe ich aus“ (V. 15). Es ist in der Tat etwas ganz Unerwartetes und überaus Schmerzliches für einen Menschen, der Annahme bei Gott gefunden hat, Gottes Gebote liebt und meint, es bleibe jetzt nur noch Freude und Glück für ihn übrig, die Entdeckung zu machen, dass es in ihm eine unausgesetzt wirkende Macht des Bösen gibt, die ihn gefangen hält und, je mehr er sich anstrengt, ihre Fesseln zu sprengen, ihm umso mehr beweist, dass er ihr ohnmächtiger Sklave, dass er »unter die Sünde verkauft ist. Das ist eine furchtbare Entdeckung. Aber Gott sei Dank! er lernt auch noch etwas anderes. Während er einerseits dem Gesetze beistimmt, dass es recht ist, d. h. dass es ihn rechtmäßig verurteilt — denn er tut ja gerade das was er als böse erkannt hat und was er infolge dessen hasst ——, kommt er andererseits zu der Erkenntnis, dass nicht er das Böse tut, sondern die in ihm wohnende Sünde. Der Weg zu dieser Erkenntnis ist allerdings hart und dornenreich. Der Gläubige hat ,,Wohlgefallen an dem Gesetz Gottes nach dem inneren Menschen“ (V. 22), aber indem er sich bemüht, das Gute zu tun und das Böse zu lassen, findet er, dass er beides nicht fertig bringt. Er macht gute Vorsätze, fasst neue Entschlüsse, er schreit zu Gott, er fängt immer wieder von vorne an, aber alles bleibt beim Alten, ja, es wird von Tag zu Tage schlimmer, unerträglichen Je mehr er sich bemüht, je heißer er ringt und kämpft, desto mehr muss er erfahren, dass nichts Gutes in ihm wohnt, dass er fleischlich, unter die Sünde verkauft ist· Er stimmt dem Gesetz bei: er sollte Gott über alles lieben und keine böse Lust mehr im Herzen haben, aber er findet bei sich das Gegenteil. Meint er zuweilen, Fortschritte gemacht zu haben, so belehrt ihn ein Fall, tiefer als je, dass er sich einer Täuschung hingegeben hat.

@@@@

Gottes liebende Sorge um die Seinigen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 190ff

Wenn irgend etwas das Herz des Christen auf seiner Reise durch die Wüste, inmitten all der Gefahren und Schwierigkeiten, die ihn umgeben, zu beruhigen vermag, so ist es das Bewusstsein der nie ermüdenden, liebenden Sorge Gottes um die Seinigen. Gott kann uns nicht versäumen, nicht allein lassen. Dabei sind nicht so sehr unsere Bedürfnisse und deren Abhilfe der Beweggrund Seiner Bemühung um uns, als vielmehr die Liebe und das Mitgefühl Seines Herzens. Seine Liebe findet ihre Befriedigung und Freude darin, sich um uns zu bemühen.

Die mancherlei Kümmernisse und Versuchungen dieses Lebens haben den Zweck, uns zu erziehen und zuzubereiten, aber gerade deshalb bieten sie unserem Gott und Vater immer wieder neue Gelegenheiten, uns zu zeigen, wie innig Er uns liebt und mit uns fühlt. Wie ist dieses Bewusstsein dazu angetan, unser Herz in allen Umständen ruhig zu erhalten, ja, mit Lob und Dank zu erfüllen! Zugleich bewahrt es uns vor aller Selbsthilfe, die Ihn ja nur verhindert, sich an uns zu verherrlichen, und lässt uns auf Seine Güte harren.

Wenn wir die Geschichte des Volkes Gottes oder auch der einzelnen Gläubigen in der Schrift verfolgen, so begegnen wir auf ihrer Seite oft einem Mangel an Vertrauen und gläubigem Warten auf Gott; eins aber finden wir nie, und das ist das Fehlen oder Nachlassen der Treue und Güte Gottes. Überall begegnen wir den Spuren Seiner Liebe. Sein Auge wacht, Sein Ohr ist geöffnet, Sein Arm ist ausgestreckt, Sein Mund zum Trösten bereit und Sein Herz von zärtlichem Mitgefühl bewegt. Und wie wir Ihn in Seinem Wort kennenlernen, so erweist Er sich in Seinem Tun auch heute noch. Seine Sorge um die Seinen ist so unveränderlich wie Seine Liebe und Treue.

Wie schon angedeutet, hat diese Sorge nicht zunächst unsere Bewahrung und Durchhilfe in den Umständen des täglichen Lebens im Auge, obwohl sie sicherlich auch daran denkt; vielmehr ist sie darauf bedacht, dass unsere innere Erziehung, unser Wachstum in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn Jesus Christus gefördert wird. Sie möchte uns mehr und mehr in Sein Bild verwandeln und uns Gottes eigener Heiligkeit teilhaftig machen (Hebräer 12,10). Unsere Gedanken und Erwartungen mögen oft mehr auf das erste gerichtet sein; aber ein treuer, gewissenhafter Vater ist vor allem um die Erziehung seiner Kinder besorgt, und sollte der „Vater der Geister" hinter „unseren Vätern nach dem Fleische" zurückstehen? Im Alten und im Neuen Testament finden wir zahlreiche Beispiele von dieser erzieherischen Tätigkeit Gottes, und Er hat sich nicht verändert.

Blicke nur in dein eigenes Leben, und du wirst mit mir bekennen müssen: Gott hat es weder an Gelegenheiten noch an Mitteln fehlen lassen, um mich zu unterweisen und zu einem würdigen Wandel anzuleiten. Aber wie haben wir uns demgegenüber verhalten? Das ist die ernste Frage. Wie hast du die nie endende und nie ermüdende Mühe Gottes um dich gewürdigt und beantwortet? Was hast du auf dem Wege gelernt? Sagst du mit dem Psalmisten: „Es ist gut für mich, dass ich gedemütigt ward, damit ich deine Satzungen lernte?" (Psalm 119,71) - Du hast das Wort Gottes, die Offenbarung Seiner Gedanken und Seines Willens, das Licht für deinen Pfad. Forschest du heute eifriger darin als früher? Hast du mehr gelernt, dich in dem Licht Seiner alles durchforschenden Wahrheit zu richten und deine Gedanken und Herzensgesinnungen darin beurteilen zu lassen?

Mehr noch. Ich setze voraus, dass du das köstliche Vorrecht hast, dich mit anderen Gläubigen zum Brotbrechen, zum Gebet, zur gegenseitigen Erbauung, Ermahnung und Belehrung zu versammeln. Ist dir dieses Vorrecht mit der Zeit immer lieber geworden? Oder hast du angefangen, „das Zusammenkommen zu versäumen?" Erkennst du in diesen Zusammenkünften mit herzlicher Dankbarkeit die treue Sorge deines himmlischen Vaters um das Wohl deiner Seele? Oder gehst du mehr hin aus Gewohnheit und um eine Pflicht zu erfüllen? Nimmst du aus den Stunden, in denen du mit den Kindern Gottes versammelt bist, etwas mit für dein Haus, deine Familie, dein Geschäft, dein tägliches Leben? Dienen sie dazu, dich immer mehr mit der Erkenntnis Seines Willens zu erfüllen und zu einem treueren und würdigeren Wandel anzuspornen?

Gott hat dir nicht nur Sein Wort in die Hand gegeben, sondern Er reicht dir auch Schriften dar, die dir zur Belehrung und Ermahnung dienlich sind. Was für einen Gebrauch machst du von solchen Schriften? Hat dein Interesse dafür zugenommen? Erkennst du auch in dieser Gabe ein Geschenk Seiner Hand und einen Beweis Seiner väterlichen Fürsorge? Liest du diese Schriften mit wachsendem Eifer und steigendem Nutzen für deine Seele? Oder hast du den Geschmack daran verloren und greifst gern nach anderem Lesestoff, der das Herz leer lässt und den Geist mit wertlosen Dingen erfüllt?

Schließlich erweist Gott Seine Fürsorge auch in besonderen brüderlichen Ermahnungen, die dir zuteil werden. Was für einen Wert hat diese Segnung für dich? Sind dir solche Ermahnungen willkommen? Betrachtest du sie als die treue Bemühung Gottes um dich? Oder sind sie dir lästig, und kritisierst du nur die Art und Weise der Ermahnung und nennst die Ermahner gar zudringlich und anmaßend?

Gott schenke dir und mir Augen, um zu sehen, ein Herz, um zu verstehen!

Stand die

Sonne still?

Ist das tatsächlich passiert?

Vielleicht ist das meist belachte Wunder der Bibel der Bericht im Buch Josua, wo Gott nach dem Kampf Israels gegen die Amoriter auf das Gebet Josuas hin den Sonnenuntergang aufhielt. Man kann die Zweifel der Ungläubigen begreifen. Hast du einmal versucht, ein schweres, rasch rotierendes Rad anzuhalten? Man überlege nur, welche Energie nötig wäre, die riesige Masse der Erdkugel zu stoppen, die am Äquator mit der Geschwindigkeit von etwa 1670 km pro Stunde rotiert.

Wir haben James W. Crowe gefragt, den Wissenschaftler bei IBM, der das schwierige Problem des Phasenschlusses bei Laserstrahlen für die beabsichtigte Verbindung zum Mars löste. Er berechnete die kinetische Energie der Erdrotation zu 2,138 • 1036 erg, was der Energie von 20 Millionen Billionen unserer schwersten Wasserstoffbomben entsprechen würde! Er ist ein überzeugter, bibelgläubiger Christ, und er fügt hinzu, dass er in seinem Herzen nicht den geringsten Zweifel hegt, dass dies wirklich geschehen IST. Auch alle anderen Wunder, die die Bibel als Wunder Gottes berichtet, glaubt er voll und ganz.

Viele Gelehrte stimmen mit ihm überein

Es stimmt uns immer froh, wenn wir wieder einmal den Mythos zerstört sehen, dass jemand, dessen Name in der wissenschaftlichen Welt etwas gilt, nicht an die Bibel glauben könne. Es gibt viele Wissenschaftler, große Männer, die mit ihrem ganzen Herzen Christen sind und von der Autorität und Inspiration der Bibel zutiefst überzeugt sind. Wussten Sie, dass ein agnostischer Astronomieprofessor der Yale-Universität ein ganz entschiedener Christ wurde, als er entdeckte, dass seine astronomischen Messprotokolle und der biblische Bericht von Josuas „verlorenem Tag" tatsächlich übereinstimmten? Erst neulich wurde dieses Wunder im Maryland Raumforschungszentrum in Green Belt auf bemerkenswerte Weise durch Computer bestätigt, sehr zum Erstaunen vieler moderner Wissenschaftler dort. Es ist fast nicht zu glauben, wie oft archäologische Funde und Entdeckungen anderer wissenschaftlicher Disziplinen in den letzten Jahren Aussagen der Bibel bestätigt haben, die von „nüchternen Denkern" als hebräische Mythen und Märchen abgetan worden waren. Inzwischen sind so viele Beweise für die absolute Glaubwürdigkeit der Bibel vorhanden, dass ein Gläubiger, der sich intensiv mit der Materie beschäftigt hat, einem Atheisten oder Agnostiker in der Diskussion überlegen sein muß. Einer meiner besten Freunde war der bekannte Rechtsanwalt und Christ Irwin H. Linton, Mitglied der höchsten amerikanischen Richtervereinigung und Verfasser einiger hervorragender Bücher zum Beweis der Glaubwürdigkeit der Bibel, wie z. B. „Ein Rechtsanwalt untersucht die Bibel". Er nahm als einzelner immer wieder gern die Diskussion mit einer ganzen Versammlung bekannter atheistischer und agnostischer Rechtsanwälte und Richter in New Jersey auf und gewann regelmäßig. Er betonte dabei stets, dass seine Überlegenheit nicht in seiner Debattierkunst lag, sondern darin, dass er auf Gottes Seite stand, auf der Seite, die die besseren und stärkeren Argumente hat.

Ein Professor der 'Yale-Universität bekehrt sich

Ich werde nie vergessen, wie unser Bruder Linton uns erzählte, wie sich ein ungläubiger Astronomieprofessor der Yale-Universität durch das beharrliche und von viel Gebet begleitete Zeugnis des alten, gläubigen Professors Totten, der damals dort auch noch Vorlesungen hielt, bekehrte. Der Astronomieprofessor war dabei, den chronologischen Ablauf anhand alter Berichte zurückzuverfolgen, und stieß dabei auf die Tatsache, dass in dem Zeitschema, das sich durch alle natürlichen und normalen Berechnungen aus den unveränderlichen Bewegungen der Himmelskörper ergibt, 24 Stunden fehlen. Er diskutierte sein Problem mit Professor Totten, und der sagte ihm sofort, dass die Bibel schon längst die Antwort darauf hat. Auf die Frage, wo das in der Bibel stehe, sagte der schlaue Totten nur: „Nicht allzu weit vom Anfang der Bibel. Fangen Sie ruhig einmal vorne an!" Totten kannte seinen Kollegen und wusste, wie hartnäckig dieser eine Fährte, die ihm lohnend schien, verfolgen konnte; er wollte ihn dazu bringen, ein tüchtiges Stück der Bibel zu lesen. Ziemlich bald darauf sprach der Astronom Totten an und meinte, die Bibel sei aber doch jedenfalls teilweise im Irrtum. Er gab jedoch zu, wie erstaunt er sei, daß die Zeit, in die nach seinen astronomischen Unterlagen der „verlorene Tag" fallen musste, wirklich mit der Zeit Josuas übereinstimmt. Allerdings ergab sich für diese Zeit nur ein Fehlbetrag von 23 Stunden und 20 Minuten, während die Zeitdifferenz heute volle 24 Stunden ausmacht. Totten lächelte nur etwas und sagte ihm, er werde beim Weiterlesen der kleinen Differenz auch noch auf die Spur kommen!

Mein Herr und mein Gott!"

Unser Astronomieprofessor las also in seiner Bibel weiter, bis er im zweiten Buch der Könige in Kapitel 20 auf den Bericht von dem Handeln Gottes mit dem König Hiskia stieß. Hiskia war ein gottesfürchtiger König gewesen, und als er nun in seiner Krankheit den Herrn um Verlängerung seines Lebens bat, da ließ Gott ihm durch den Propheten Jesaja sagen, dass sein Gebet erhört sei. Als Zeichen dafür würde er den Schatten an der Sonnenuhr 10 Grade rückwärts gehen lassen. Diese 10 Grade, das wusste der Astronomieprofessor gut, bildeten die völlige Erklärung für jene fehlenden 40 Minuten! Es wird uns berichtet, dass der Professor auf seine Kniee fiel und wie der ungläubige Thomas ausrief: „Mein Herr und mein Gott!"

Bestätigung im Forschungszentrum in Green Belt

Inzwischen haben die großen Computer des Raumforschungszentrums in Green Belt die modernste Bestätigung der zu Josuas und Hiskias Zeit geschehenen Wunder geliefert. Harold Hill aus Baltimore/Maryland, ein Spezialist für das Raumprogramm dieser Komputer, hat den folgenden Bericht genehmigt:

„Eines der erstaunlichsten Dinge, die Gott uns heute erleben läßt, passierte neulich unseren Astronauten und Raumforschern in Green Belt/Maryland. Sie berechneten die Positionen für Sonne, Mond und die Planeten für 100 Jahre und für 1000 Jahre voraus. Wir müssen diese Stellungen kennen, um zu vermeiden, dass wir einen Satelliten starten, der schließlich später auf seinem Umlauf mit einem dieser Himmelskörper zusammenstößt. Wir müssen die Umlaufbahnen mit Rücksicht auf die Lebensdauer des Satelliten und die Positionen der Planeten festlegen. Dann ließen sie die Computer die Jahrhunderte zurückrechnen, bis plötzlich eine Stockung eintrat. Es erschien ein rotes Signal, und das bedeutete, dass entweder eine eingegebene Information fehlerhaft war, oder die Resultate im Rahmen des Üblichen nicht stimmen konnten. Die herbeigerufenen Leute vom Komputer-Service konnten nur feststellen: „Computer in Ordnung!" Ihr Betriebschef fragte: „Was soll da nicht stimmen?" „Nach den Berechnungen müsste im Ablauf der verflossenen Jahrhunderte ein Tag fehlen." Die Spezialisten kratzten sich am Kopf und rauften sich die Haare; niemand wusste eine Antwort! Schließlich sagte einer aus dem Team: „Früher habe ich in der Sonntagsschule etwas davon gehört, dass die Sonne einmal stillstand." Das erschien den Experten jedoch zu unglaubwürdig. Weil sie aber keine andere Antwort wussten, sagten sie nach einer Weile: „Zeig uns, wo das steht!" Er holte eine Bibel, schlug das Buch Josua auf, und da fanden sie diese Sätze, die den „gesunden Menschenverstand" reichlich lächerlich anmuten. Der Herr sagt dort zu Josua: Fürchte dich nicht vor ihnen, denn ich habe sie in deine Hand gegeben; kein Mann von ihnen wird vor dir standhalten." Josua war aber doch beunruhigt, weil er von Feinden umgeben war; wenn die Dunkelheit hereinbrechen würde, lief Israel Gefahr, von ihnen überwältigt zu werden. Deshalb richtete Josua an den Herrn die Bitte, die Sonne stillstehen zu lassen! „Sonne, stehe still zu Gibeon, und du Mond im Tale Ajjalon! Und die Sonne stand still, und der Mond blieb stehen... Und die Sonne blieb mitten am Himmel stehen und eilte nicht zum Untergang, ungefähr einen ganzen Tag" (Josua 10,8. 12. 13). „Da ist der fehlende Tag!" sagten die Raumfahrtexperten. Sie kontrollierten die Computer während des Zurückrechnens bis in die Zeit Josuas und fanden, dass die Sache fast genau stimmte, aber eben doch nicht ganz genau. Die Zeitspanne, die durch Josuas verlängerten Tag fehlte, betrug 23 Stunden und 20 Minuten - nicht genau 24 Stunden. Sie lasen in der Bibel nach, und dort hieß es „ungefähr einen ganzen Tag."

Diese kleinen Wörter in der Bibel sind wichtig. Die Leute waren aber immer noch in der Verlegenheit, denn wenn man keine Erklärung für die 40 Minuten hat, dann besteht 1000 Jahre später immer noch dieselbe Schwierigkeit. Alles hing jetzt davon ab, dass man diese 40 Minuten fand, denn sonst müssten sie sich ja beim weiteren Umlauf der Gestirne entsprechend vervielfachen. Nun fiel dem einen, der sich in der Bibel etwas auskannte, ein, dass irgendwo in der Bibel davon die Rede ist, die Sonne sei rückwärts gegangen; aber damit kam er bei seinen Kollegen erst recht schlecht an. Es ließ ihnen aber doch keine Ruhe, und so las er aus dem 2. Buch der Könige die Geschichte, wo Hiskia auf seinem Sterbebett vom Propheten Jesaja besucht wird und erfährt, daß er noch nicht sterben würde. Hiskia bittet um ein Zeichen als Beweis dafür. „Und Jesaja sprach: Soll der Schatten W Grade vorwärts gehen, oder soll er 10 Grade zurückgehen? Und Hiskia sprach: Es ist dem Schatten ein Leichtes, 10 Grade zu fallen; nein, sondern der Schatten soll 10 Grade rückwärts gehen. Da rief der Prophet Jesaja zum Herrn; und er ließ den Schatten an den Graden, die sie (die Sonne) am Sonnenzeiger Ahas' niederwärts gegangen war, um 10 Grade rückwärts gehen" (2. Könige 20,9-11). Zehn Grade entsprechen genau 40 Minuten! 23 Stunden und 20 Minuten bei Josua, plus 40 Minuten bei Hiskia ergeben genau die fehlenden 24 Stunden, auf die die Raumfahrtexperten im Logbuch des Universums gestoßen waren!"

Ist das nicht sehr erstaunlich? Unser Gott stößt ihre Nasen auf Seine Wahrheit! Joel Darby

(Übersetzt aus Grace and Truth, Jul. 75)

@@@@@

Sehet zu wie ihr höret

Bibelstelle: Lukas 8,15-16

Botschafter des Heils 1914 S. 194ff

Es handelt sich in dieser Stelle nicht so sehr um die Errettung der Seele, als vielmehr um die praktischen, in dieser Welt sichtbar werdenden Ergebnisse des ausgestreuten Wortes und um dessen Wachstum in der Seele, welches nicht verborgen bleiben kann. „Ihr seid das Licht der Welt.“ Diejenigen, in welchen das Wort in Wahrheit wirkt, sind wie ein Licht aus dem Leuchter. Als Christus auf Erden war, war Er das Licht der Welt. Jetzt haben wir, die wir „Licht im Herrn“ geworden sind, diese Ausgabe empfangen, und ein jeder ist verantwortlich für das, was er gehört hat. Wenn wir das Wort hören und keine Frucht bringen, so wird es seiner Zeit gewisslich offenbar werden, dass wir es gehört und verloren haben, und mit ihm die geistliche Kraft, die es besitzt. Ja, es wird selbst bei Gläubigen also sein, wenn sie hören, ohne Frucht zu bringen oder Kraft aus dem Gehörten zu ziehen. „Denn es ist nichts verborgen, was nicht offenbar werden, noch geheim, was nicht kundwerden wird und ans Licht komme. Sehet nun zu, wie ihr höret“. Christus sucht die Ergebnisse, welche Sein Säen gehabt hat. Es muss nicht nur ein Hören da sein, sondern ein Ergreifen und Besitzen des Wortes und das Bewusstsein, dass wir dafür verantwortlich sind; und wenn wir das Wort bewahren, das wir gehört haben, so wird uns mehr gegeben werden. Das Wort wird nur dann zur Nahrung und Kraft für meine Seele, nur dann habe ich es, wenn ich es beim Hören nicht bloß mit Freuden aufnehme, sondern es bewahre als mein eigen; und das verleiht dann auch die Fähigkeit, mehr zu empfangen. Wenn wir z. B. die Wahrheit von der Wiederkunft des Herrn verstehen lernen sowie unsere Berufung als Seine Braut, wir ergreifen sie aber nicht praktischerweise und haben Gemeinschaft mit Gott darüber (denn also haben wir das Wort), so werden wir auch bald aufhören, Sein Kommen zu erwarten, werden vergessen, wie das uns eine von der Welt getrennte Stellung gibt, und nach und nach wird uns diese Wahrheit wieder entschwinden, weil wir sie in unseren Seelen nicht vor Gott festhielten; wir werden abgestumpft und gleichgültig. Lebt aber jemand wirklich in der Erwartung des Herrn vom Himmel, so kann er keine Pläne für die Zukunft machen, noch um den morgenden Tag besorgt sein. Er wird mehr und mehr von dem kennen lernen, was mit dieser Wahrheit in Verbindung steht und aus ihr hervorfließt, und wird im Wandel in der Wahrheit bewahrt bleiben. Was nützt es, die Lehre zu haben, dass der Herr schon morgen kommen könnte, wenn wir dabei leben, wie wenn Er noch hundert Jahre nicht käme? Wie kann die Wahrheit Seines Kommens meiner Seele Trost und Segen geben, wenn ich in meinem Herzen sage: »Mein Herr verzieht zu kommen«? Wenn ich auch das ewige Leben nicht verlieren kann, so doch die Wahrheit und das Licht, das ich einmal hatte; teils mit Christo und teils mit der Welt gehe ich dann dahin, wie ich gerade getrieben werde, und alle Kraft des Lebens Christi fehlt in mir. Wird dagegen die Wahrheit in Gemeinschaft mit Gott festgehalten, so sondert sie uns ab für Ihn. Wahrheit soll die Seele aufbauen und Frucht hervorbringen, ja, wir besitzen in Wirklichkeit eine Wahrheit nicht, wenn sie nicht Frucht in uns trägt. Das liegt schon in den Worten des Herrn: „Heilige sie durch die Wahrheit: dein Wort ist Wahrheit“ (Joh. 17, 17). Christus soll uns kostbar werden in und durch die Wahrheit, welche wir hören. Hat sie nicht diese Wirkung, so wird sie wieder von uns „genommen werden“. Wenn wir Christum nicht aus Liebe um Seiner selbst willen erwarten, so wird die bloße Wahrheit Seines Kommens bald ausgegeben werden.

@@@@

Gedanken

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 196ff

Man hört Gläubige so oft fragen, ob sie dies oder jenes tun oder nicht tun dürfen. Wenn wir aber ein rechtes Bewusstsein davon erlangen, was es ist, eins zu sein mit dem Christus, der zur Rechten Gottes sitzt, so ist unser Weg sehr einfach und leicht erkennbar, denn wir haben hienieden „so zu wandeln, wie Er gewandelt hat“. Die Welt zwar möchte uns überall daran hindern, aber die Macht Christi hat alles aus dem Weg geräumt und für den Glauben ist jede Schwierigkeit beseitigt durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi. Wenn wir erkannt haben, dass wir eins sind mit Ihm, so lernen wir auch einsehen, dass die Gedanken und Wünsche des Hauptes droben den Charakter und Wandel der Glieder auf Erden bestimmen sollen.

@@@@@

Nicht unter Gesetz sondern unter Gnade

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 207ff

Das sind also die Erfahrungen einer Seele, die unter dem Gesetz sich abmüht, das Gute zu tun, sich selbst zu bessern. Wohin kommt sie endlich? Sie entdeckt zu ihrem tiefen Schmerz, dass in ihr, d. i. in hrem Fleische, nichts Gutes wohnt. Zweitens lernt sie unterscheiden zwischen dem erneuerten Ich, das das Gute will, und der in ihr wohnenden Sünde, die das Böse liebt: „Nun aber vollbringe nicht mehr ich dasselbe, sondern die in mir wohnende Sünde“ (V· 17). Mit anderen Worten: Wenn ich das Gute tun will und doch das Böse ausübe, so lerne ich dadurch, dass in mir zwei Mächte wirken, dass es zwei Naturen in mir gibt. Vergegenwärtigen wir uns immer wieder, dass wir es hier mit einem Menschen zu tun haben, der Leben aus Gott besitzt, der nach seinem inneren Menschen Wohlgefallen hat am Gesetz, Gottes, aber noch nicht das volle Heil in Christo kennt. Der natürliche Mensch hat kein Wohlgefallen an dem Gesetz Gottes, ist ihm auch nicht untertan. „Die Gesinnung des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott.“ Ich wiederhole also, die wiedergeborene, aber noch nicht befreite Seele kommt zu der Erkenntnis, dass zwei Mächte in ihr wirksam sind. Nicht sie vollbringt das Böse, sondern die in ihr wohnende Sünde. „Denn ich weiß, dass in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes wohnt; denn das Wollen ist bei mir vorhanden, aber das Vollbringen dessen, was recht ist, finde ich nicht. Denn das Gute, das ich will, übe ich nicht aus, sondern das Böse, das ich nicht will, dieses tue ich. Wenn ich aber dieses, was ich nicht will ausübe, so vollbringe nicht mehr ich dasselbe, sondern die in mir wohnende Sünde“ (V. 18—20). Beachten wir, dass in dem 17. und 20. Verse das Wörtchen „ich“ gesperrt gedruckt ist. Es ist im Griechischen hervorgehoben, und das nicht ohne Absicht. Es will in ganz besonderer Weise das erneuerte Ich, den inneren oder neuen Menschen bezeichnen, der, nach Gott. geschaffen in wahrhastiger Gerechtigkeit und Heiligkeit (Eph. 4, 24), das Gute liebt und das Böse hasst. Als Drittes lernt die Seele, dass die Sünde mächtiger ist, als sie es je geahnt hat, dass alle ihre Bemühungen, die Sünde zu bekämpfen und zu besiegen, (so ernst und ausrichtig sie gemeint sein mögen,) erfolglos sind. Sie, die das Rechte ausüben will, findet das Gesetz (den ernsten, unabänderlichen Grundsatz) für sich, dass das Böse bei ihr vorhanden ist. „Denn ich habe Wohlgefallen an dem Gesetz, Gottes nach dem inneren Menschen; aber ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meines Sinnes widerstreitet und mich in Gefangenschaft bringt unter das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist“ (V. 21——23). Wie niederschmetternd ist diese Entdeckung! Der innere Mensch in mir hat Wohlgefallen an dem Gesetz Gottes und möchte ihm in allen Punkten gehorchen; aber in meinen Gliedern ist ein anderes Gesetz, das mich überwältigt und in Gefangenschaft bringt. Es erweist sich stärker, als mein erneuerter Wille, und mit blutendem Herzen oder mit knirschenden Zähnen (je nach Gemütsart) muss ich mich in das Unabänderliche ergeben. Ich bin nicht imstande, das Böse in meinem Fleische zu überwinden oder auch nur im Schach zu halten, noch weniger, es aus mir zu verbannen. Jahrelanges Bemühen, ein ernstes, verzweifeltes Ringen, der im Herzen gefühlten und anerkannten Verantwortlichkeit zu entsprechen, hat kein anderes Ergebnis als: die Sünde ist da, bleibt da und erweist sich stärker als mein Wille, mächtiger als das Gesetz meines erneuerten Sinnes. Endlich, endlich, wenn alle Kraft erschöpft und die letzte Hoffnung aufgegeben ist, entringt sich der gequälten Seele der Schrei: „Ich elender Mensch! Wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes“ (V. 24)? Beachte, mein Leser, den Unterschied in der Redeweise. Vom 13. bis zum 23. Verse einschließlich heißt es immer: ich, ich, mir, mich. Fast vierzigmal, in der einen oder anderen Form, redet die Seele in den wenigen Sätzen von sich und ihrem Tun. Von Christo ist keine Rede, von der Gnade in Christo oder von dem Heiligen Geiste hören wir kein Wort; nur von den Erfahrungen und dem Ringen einer erneuerten Seele unter Gesetz, von ihren Kämpfen und Bemühungen und deren Fehlschlägen wird gesprochen. Ist es da ein Wunder, wenn der Mensch, von seinem Jammer und Elend überführt, sich endlich nach Hilfe und Rettung umschaut? Wohl redet er auch jetzt noch von sich, aber nur, um seiner ganzen Hilflosigkeit Ausdruck zu geben: „Ich elender Mensch!“ und einen Retter herbeizurufen: „Wer wird mich retten?“ Am Ende alles Wollens und Könnens, aller guten Vorsätze und Entschlüsse angelangt, wendet sich das Auge nunmehr von der eigenen Person ab und schaut aus nach Hilfe von außen. Und siehe da, mit der Frage kommt auch schon die Antwort. Sie war längst bereit, von Gott gegeben, kann aber erst verstanden werden, wenn der Mensch jene ernsten Erfahrungen gemacht hat und mit sich zu Ende gekommen ist. Und wie lautet die Antwort? „Ich danke Gott durch Jesum Christum, unseren Herrn“ (V. 25). Herrliche, sieghafte Antwort! O ich Tor, der ich gemeint habe, über die Sünde in meinen Gliedern herrschen zu können, die doch nur im Tode Christi am Kreuze zu ihrem Ende kommen konnte —— „denn was Er gestorben ist, ist Er ein für allemal der Sünde gestorben,“ und: „Das dem Gesetz Unmögliche . . . tat Gott, indem Er, Seinen eigenen Sohn in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde und für die Sünde sendend, die Sünde im Fleische verurteilte“ (Kap. 6, 10; 8, 3). Ich Tor, der ich gar nicht daran gedacht habe, dass ich dort nach meinem alten Zustande gerichtet worden bin, und dass Gott mich nicht mehr in diesem Zustande vor sich sieht, sondern in Christo, dem Auferstandenen! Ja, Gott sei gepriesen! ich bin jetzt ein Mensch in Christo, für den es keine Verdammnis mehr gibt, dessen Sünden nicht nur vergeben find, sondern der auch freigemacht ist von dem Gesetz der Sünde und des Todes, und der sich nun, anstatt mit sich selbst, mit Christo beschäftigen und aus Seiner Fülle Gnade um Gnade, Kraft um Kraft nehmen kann. Die Rettung ist nicht etwa zukünftig, nein, sie ist gegenwärtig; nicht erst droben, in einer fernen Zukunft, wenn ich einmal diesen sündigen Leib abgelegt haben werde, nein, heute, während ich noch hienieden walte, ist diese Befreiung mein Teil. Ich danke Gott — nicht dafür, dass Er mich retten wird, sondern dass Er mich gerettet hat, —- durch Jesum Christum, unseren Herrn. In dem Tode Christi bin ich der alten Natur, die mich so unglücklich und elend gemacht hatte, gestorben, ich bin mit mir selbst völlig und für immer zu Ende gekommen. Die Befreiung ist vollkommen und endgültig. Wie aber gestaltet sich nun der Weg des Gläubigen? Kann er fortan untätig und sorglos seine Straße ziehen, ohne Kampf, ohne Beschwerde? O nein. Der Kampf dauert fort, so lange der Gläubige in diesem Leibe wallt. Die beiden Naturen bleiben in ihrem Gegensatz zueinander in ihm bestehen, aber die durch Gott bewirkte Befreiung von der Macht und Herrschaft der Sünde bleibt als eine dem Glauben bekannte Tatsache ebenfalls bestehen. Das 8. Kapitel unseres Briefes beschreibt sie noch näher und zeigt, wie sie von dem Gläubigen in fortschreitender Erkenntnis und wachsender Kraft erfasst und verwirklicht wird. An dieser Stelle schließt der Apostel feine Belehrung mit den Worten: „Also nun diene ich selbst mit dem Sinne Gottes Gesetz, mit dem Fleische aber der Sünde Gesetz“ (V. 25). Das Fleisch bleibt Fleisch und kann nicht anders, als der Sünde dienen. Es ist zu nichts Gutem tauglich. Ihm gebührt allein das Todesurteil, und in demselben Maße wie ich es im Tode halte, bzw. wie ich mich der Sünde für gestorben halte, werde ich mit meinem erneuerten Sinne Gottes Gesetz dienen ——— nicht dem Gesetz vom Sinai, den „zehn Worten“, sondern dem ganzen Willen Gottes, so wie ich ihn jetzt in Christo kenne. Ich bin nunmehr fähig, als ein Befreiter des Herrn Gottes Willen zu tun, indem ich meine Kraft in Ihm suche und finde, der mich befreit hat. Früher völlig kraftlos, ohnmächtig, unter die Sünde verkauft, vermag ich jetzt alles „in Dem, der mich kräftigt“. Die Erkenntnis des Mangels jeglicher Kraft in mir hat mich zu der Quelle aller Kraft in einem Anderen, in Christo, geführt, und hier darf ich täglich, stündlich nehmen was ich bedarf. Statt ernste Vorsätze und gute Entschlüsse zu fassen, die doch nie zur Ausführung kamen, klammere ich mich jetzt an Ihn, und Seine Kraft wird in meiner Schwachheit vollbracht. Aus dem Gesagten geht ganz von selbst hervor, dass der Weg eines siegreichen Gläubigen nicht der eines gleichgültigen, sorglosen Menschen ist. Im Gegenteil, es ist der Weg eines Menschen, der stets auf seiner Hut ist, stets wachsam, stets im Gebet, denn er schreitet durch das Reich Satans, durch eine Welt der Sünde, während in ihm selbst die Sünde -noch wohnt und stets auf eine Gelegenheit lauert, sein Herz zu betören und feine Füße zu umstricken. In dem Glauben, der die göttliche Wahrheit erfasst, muss, unter Anwendung allen Fleißes, die Tugend dargereicht werden, jene geistliche Energie, welche die erkannte Wahrheit in die praktische Wirklichkeit umsetzt, sie auslebt. (Vergl. 2. Petr. 1, 5 ff). Gott sei Dank, dass Seine göttliche Kraft uns alles in betreff des Lebens und der Gottseligkeit gegeben hat, und dass Seine Gnade für alle Erfordernisse genügt! Wie bereits gesagt, der Kampf bleibt, aber er trägt einen anderen Charakter als früher; und während er einst unter Gesetz völlig nutzlos war und nur zu Niederlagen führte, ist er jetzt, unter der Gnade, gesegnet und führt zu Siegen. Niemand denke, dass der Apostel mit seinen Schluss-Worten sagen wolle, der regelrechte, gesunde Zustand eines Christen bestehe darin, dass er zu gleicher Zeit mit dem Sinne Gottes Gesetz und mit dem Fleische der Sünde Gesetz diene. Wie wäre das möglich? Das eine schließt ja das andere aus. Ich kann nicht zu gleicher Zeit Gott und der Sünde dienen. Nein, Paulus redet von der Gesinnung der beiden Naturen in uns und von dem unveränderlichen Gegensatz, der zwischen ihnen besteht. Die eine Natur zeigt die Gesinnung und den Herzensvorsatz des erneuerten Menschen: „ich selbst diene mit dem Sinne Gottes Gesetz«; die andere, „mein Fleisch“, offenbart ebenfalls, was sie ist: „sie dient der Sünde Gesetz“. Das „Ich“ ist jetzt also, wie ein anderer Schreiber so kurz wie schlagend gesagt hat, in der richtigen Stellung; es ist weder unter Gesetz, noch gesetzlos. Wenn ein Christ sündigt, so tritt er gleichsam aus der Stellung heraus, in welche die Gnade ihn versetzt hat. „Meine Kinder, ich schreibe euch dieses, aus dass ihr nicht sündiget“ (1. Joh. 2, 1). Er tut etwas, was seiner neuen Natur und seiner Berufung völlig zuwider ist. Anstatt mit dem erneuerten Sinne Gott zu dienen in der Kraft, die Er darreicht, dient er mit dem Fleische, das noch in ihm ist und dem er aufzuleben erlaubt, der Sünde! Wie ernst und groß ist seine Verantwortlichkeit, nachdem er so viel Gnade empfangen hat! Gott helfe uns allen, dem lähmenden, zu Boden ziehenden Einfluss des Geistes unserer Tage zu entrinnen und, indem wir in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn Jesu Christi wachsen, von Kraft zu Kraft zu gehen, von Sieg zu Sieg zu schreiten! Das ist ein herrlicher Weg, auf welchem wir glücklich sind und wo Gott verherrlicht wird, ein Weg aber auch, den Weltsinn und geistliche Trägheit nimmermehr gehen können.

@@@@

Ruben und Simeon

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 214ff

„Alles was zuvor geschrieben ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben“ (Röm. 15, 4). Darum reden alle im Worte Gottes beschriebenen Personen, sowohl in ihren Vorzügen als auch in ihren Schwächen und Fehlern, eine eindringliche Sprache zu uns. Wir machen dieselben Lebenserfahrungen durch wie jene, mögen auch Zeit und Umstände die Art derselben geändert haben. Hier wie dort dasselbe Herz, dieselben Gemütsbewegungen, dieselben oder doch ähnliche Versuchungen. Unser ganzes Leben spiegelt sich in den biblischen Persönlichkeiten wieder, denn „wie im Wasser das Angesicht dem Angesicht entspricht, so das Herz des Menschen dem Menschen“ (Spr. 27, 19). So finden wir auch in den zwölf Söhnen Jakobs bzw. in den ihnen entsprossenen Stämmen je eine besondere Eigenart, einen besonderen Charakter und ein bestimmtes Temperament, gerade so wie es bei uns heute der Fall ist. In Ruben, dem Erstgeborenen, haben wir einen Mann vor uns, der ruhig, überlegend, aber träge und unentschlossen ist, einen Volksstamm, der mit den Überlegungen des Herzens nicht zu Ende kommt und daher nie frisch zur Tat schreitet. Ganz anders ist Simeon. Er fährt schnell begeistert auf, sucht seine Kraft im Eifer und Ungestüm, seine Macht im feurigen Wort und lässt sich hinreißen zur Leidenschaft und zum Fanatismus. In beiden finden wir etwas, was den Gläubigen unserer Tage zieren sollte: Besonnenheit und eifriges Wirken; in beiden aber auch Eigenschaften, die nicht löblich sind und auch uns oft zur Untreue verführen, nämlich: Trägheit und fleischlichen Eifer. Jene Ruhe und Besonnenheit, im Gefühl der Kraft, welche Ruben in erster Linie auszeichnen, gaben ihm in der Welt einen „Vorzug an Hoheit, Vorzug an Macht“, wie es Jakob in seinem Segen auf dem Sterbebett aussprach. (1. Mose 49, 3.) Ruben war auch gutherzig. Er gab seinen Brüdern den Rat, Joseph nicht zu töten, sondern ihn in eine Grube zu werfen, aus welcher er ihn dann erretten und dem alten Vater zurückbringen wollte (1. Mose 37, 21. 22). Mit diesen Vorzügen verband sich aber eine große Trägheit, welche ihn — wie sie es so gern tut —- zur sinnlichen Lust verführte (1. Mose 35) und seinen Nachkommen den Stempel der Unentschlossenheit ausdrückte. Der Ton der Posaune, welche zur Zeit der Richter das Volk Israel gegen Sisera zusammenrief, drang nicht bis ans Herz des Stammes Ruben. Er beteiligte sich nicht an dem Kampfe für Jehova; von ferne stehend wollte er erst abwarten, wie die Sache auslaufen würde. Diese war ihm zwar nicht gleichgültig, ,, an den Bächen Rubens waren große Beschlüsse des Herzens und große Beratungen des Herzens“ (Richter 5, 15. 16), aber dabei ließ er es bewenden. Er kam aus seinen Überlegungen nicht heraus· Er besaß viel Vieh und pflegte in seiner Trägheit lieber der Ruhe zwischen den Hürden, als das; er mit dem Feinde gekämpft hätte; das Blöken der Rinder und die Töne der Hirtenflöte waren seinem Ohr angenehmer, als der Klang der Kriegstrompete. „Warum“, fragt Debora, „bliebest du zwischen den Hürden, das Flöten bei den Herden zu hören“ (Richt. 5, 16)? Fragen wir uns, ob nicht auch unser Zeugnis für Christum oft unter einer ähnlichen Charakteranlage leidet. Vielen von uns fehlt es bei allem guten Willen an Entschiedenheit und Fleiß. Wohl sehen wir mit Interesse dem Streite des Volkes Gottes zu, wünschen auch dringend, dass die Sache des Herrn den Sieg davontragen, und dass noch manche Seele für Christum gewonnen werden möge - aber allerlei Überlegungen des Herzens halten uns träge zwischen den Hürden zurück, die unseren irdischen Besitz umschließen, und verhindern uns, in den Reihen treuerer Brüder mitzukämpfen. Anstatt mit Entschiedenheit in selbstlosem, hingebendem Dienst Gott zu verherrlichen, entdecken wir Hindernisse aller Art und finden gern einen bequemeren Weg» auf dem es sich angenehmer wandeln lässt. Das an die Philipper gerichtete Wort, „dass es ihnen in Bezug auf Christum geschenkt worden sei, nicht allein an Ihn zu glauben, sondern auch für Ihn zu leiden“ (Phil. 1, 29), hat wenig Verlockendes für uns, und wir kommen viel leichter dahin, an unsere Bequemlichkeit und an gegenwärtige Vorteile zu denken, als frisch entschlossen auf den Kampfplatz zu eilen. Wir lassen uns gehen und vergessen, dass bei einem solch beschaulichen Christentum alle Tatkraft verkümmert. Eilen, eilends handeln ist einer der Hauptcharakterzüge des Glaubens. Als Abraham bei den Terebinthen Mamres von Jehova besucht wurde, da „eilte er ins Zelt zu Sara und sprach: Nimm schnell drei Maß Feinmehl, knete und mache Kuchen! Und Abraham lief zu den Rinden: und nahm ein Kalb, zart und gut, und gab es dem Knaben; und der beeilte sich, es zuzubereiten“ (1. Mose 18, S. 7.) „Die Hirten kamen eilends und fanden sowohl Maria als Joseph, und das Kind in der Krippe liegend“ (Luk. 2, 16). „Und Zachäus stieg eilends hernieder und nahm Jesum auf mit Freuden“ (Luk. 19, 6). „Martha rief ihre Schwester Maria heimlich und sagte: Der Lehrer ist da und ruft dich. Als jene es hörte, steht sie schnell auf und geht zu Ihm“ (Joh. 11, 28. 29). „Der Engel sprach zu den Weibern: Gehet eilends hin und saget den Jüngern, dass Jesus von den Toten auferstanden ist“ (Matth. 28, 7). „Die Zeit ist gedrängt“ (1. Kor. 7, 29), gedrängt für die Heiligen, um zu wirken, gedrängt für den Sünder, um errettet zu werden. Machen wir uns deshalb auf! Schütteln wir unsere Trägheit ab! Es ist wirklich nicht an der Zeit, müßig zu stehen. Mit stillem, stetem Schritt kommt die Ewigkeit immer näher. Der Herr ist nahe! Die Zeit unseres Wirkens ist bald vorbei. Rund um uns her gehen Tausende von Seelen dem Verderben entgegen. Darum: „Am Morgen säe deinen Samen, und des Abends ziehe deine Hand nicht ab (d. h. lass nicht ab, fahre unermüdlich fort), denn du weißt nicht, welches gedeihen wird: ob dieses oder jenes, oder ob beides zugleich gut gehen wird“ (Pred.11, 6). Ja, die Zeit ist gedrängt. Dass doch . . „die Weinenden seien als nicht Weinende, und die sich Freuenden als sich nicht Freuende, und die Kaufenden als nicht Besitzende und die der Welt Gebrauchenden als ihrer nicht als Eigentum Gebrauchende“ (1.Kor. 7-Z0. 31)! Lasst uns mit frischem Eifer uns gürten zum Dienste Christi! Noch ist es nicht zu spät für eine wahre Hingabe. Wohl ist Sein Kommen nahe, aber noch ist es Zeit, als wachende und wartende Knechte dazustehen. Noch können wir die Zeit auslaufen in Bezug auf unsere Gedanken, auf unsere Unterhaltungen und auf unser Wirken.“ Wir verschwenden Zeit (abgesehen von anderen üblen Folgen), wenn wir unsere Gedanken nicht im Zaume halten, sie nicht „unter den Gehorsam des Christus gefangen nehmen« und die eitlen, umherschweifenden nicht aus der Seele bannen. Denn das Bekennen des Herrn Jesu geschieht nicht allein durch Worte und Handlungen, sondern auch durch unseren ganzen Zustand, durch das was zunächst nur Gottes Auge sieht und Sein Ohr hört. Ist unser Gedankenleben durch die Erkenntnis Christi geheiligt, dann legt unser ganzes Leben und Wesen Zeugnis davon ab, das; wir in Ihm gelehrt worden sind, wie die Wahrheit in dem Jesus ist“ (Eph. 4, 21). Zeitverschwendung ist es, wenn unser Wort nicht allezeit in Gnade, mit Salz gewürzt ist (Kol. 4, 6), und so „den Hörenden nicht Gnade dargereicht wird“ (Eph. 4, 29.) Da heißt es besonders wachsam sein, weil wir wissen, dass Satan, wenn Christen zusammenkommen, nur zu gern sich einfindet (vergl. Hiob 1, 6), um sie auf müßige Gespräche zu bringen und zu eitlen Worten zu verleiten, wodurch nur die Zeit totgeschlagen wird. Und wie mancher Christ kauft seine Zeit nicht aus, wenn es sich um seine Tätigkeit handelt! Er ist beschäftigt von früh bis spät, aber nicht für den Herrn und Seine Sache. Ja, mancher, der die ganze Woche für sich und sein Geschäft lebt, macht nur am Sonntag einen schwachen Versuch, etwas für den Herrn zu tun. Wahrlich, so sollte es nicht sein! Wir alle sollten mehr Gebrauch machen von der Gnade und Erkenntnis, die Gott uns gegeben hat, und die gedrängte Zeit, in welcher wir getreu und fleißig mit unseren Talenten handeln sollten, nicht nutzlos vertändeln· Es sieht mit unserem Christentum nicht gut aus, wenn es nicht das Gepräge der Eile, der gedrängten Zeit hat. „An dem Acker eines faulen Mannes kam ich vorüber«, heißt es in Sprüche 24, „und an dem Weinberge eines unverständigen Menschen. Und siehe, er war ganz mit Disteln überwachsen, seine Fläche war mit Brennesseln bedeckt und seine steinerne Mauer eingerissen . . . Ich sah es, empfing Unterweisung: Ein wenig Schlaf, ein wenig Schlummer, ein wenig Händefalten, um auszuruhen —— und deine Armut kommt herangeschritten, und deine Not wie ein gewappneter Mann.“ So erscheinen Disteln, dieses Zeichen des Missfallens Gottes, statt »Sprossen Seiner Pflanzungen zu Seiner Verherrlichung“ (Jes. 60, 21), und Brennesseln statt fruchttragender Sträucher. Die steinerne Mauer der Absonderung, die einst so fest und entschieden dastand, ist abgebröckelt, eingerissen, so dass jede unheilige Verbindung Eingang finden kann. Und geht der Gläubige lange in einem Zustande der Trägheit, des Schlummerns und Händefaltens dahin, so kommt die Armut herangeschritten wie ein gewappneter Mann, und Magerkeit erfüllt seine Seele. Wie viele, nie wiederkehrende Gelegenheiten, von dem Herrn zu zeugen und Ihn zu verherrlichen, lässt auch der Träge unbenutzt vorübergehen! Wie wenig beachtet er die Mahnung des Predigers: „Alles was du zu tun vermagst mit deiner Kraft, das tue“ (Pred. 9, 10)! Lasst uns auf diese Mahnung achten und treu die gelegene Zeit auskaufen, damit wir unserer vierfachen Verantwortlichkeit: gegen Gott, gegen Seine Kinder, gegen unsere Mitmenschen und gegen die eigene Seele, entsprechen! Alles aber geschehe in der uns von Gott geschenkten Kraft, nicht im Eigenwillen, auch nicht bloß bei uns passenden Anlässen, sondern bei den von Gott herbeigeführten Gelegenheiten! Es kommt vor, dass man in dem Wunsche, von der Ruben’schen Trägheit befreit zu werden, in den Fehler Simeons fällt. Während Ruben schwerfällig, langsam, unentschlossen ist und alle Mühseligkeiten gern meidet, ist Simeon ungestüm, eigenwillig, stürmisch. Leidenschaft und ungebrochener Wille beherrschen ihn. Jakob nennt Simeon ein Werkzeug der Gewalttat; er verflucht seinen Zorn, der gewalttätig, seinen Grimm, der grausam war. (1.Mose 49, 7). Simeon empfindet tief die Schmach, die seiner Familie in Sichem angetan war. Und nun will er dagegen angehen und vermischt Glauben mit heftigem Zorn. Als seine Schwester Dina den Lohn ihrer Untreue empfangen hat, zieht Simeon sein Schwert, und seine Lust ist: Morden. Während Ruben mit den Überlegungen seines Herzens nicht zu Ende kommt, liegt Simeons Stärke in seiner schnellen Entschlossenheit, in seinem ungebundenen Eifer, in seiner feurigen, leidenschaftlichen Rede. In den Zeiten der Reformation finden wir manche Simeons unter den damaligen Christen. Welch gewalttätiger Zorn, welch grausamer Grimm kam zu jener Zeit hie und da zum Ausbruch ——— und alles angeblich zur Ehre Gottes! Eine solche Natur muss gefesselt werden, wenn aus dem Dienst für den Herrn etwas herauskommen soll, und so dürfen wir vielleicht ein „Vorbild in dem Umstand erblicken, dass „Joseph den Simeon aus ihrer Mitte nahm und ihn band vor ihren Augen“ (1. Mose 42, 24). Feuereifer ist gut, aber er muss erst zu heiliger Glut geläutert werden. Sobald der Herr uns Gelegenheit gibt, uns auffordert, etwas für Ihn zu tun, so heißt die Losung: Eilet! Seid eifrig! Die Zeit ist gedrängt! Im Blick auf uns selbst aber bedürfen wir stets der Mahnung, besonnen zu sein und von Ihm zu lernen, der sanftmütig und von Herzen demütig, still und gelassen Seinen Weg durch diese Welt ging. „Wer glaubt, wird nicht ängstlich eilen“, (Jes. 28,16) ist ein Wort, das auch hierher gehört. Als die Samariter den Herrn Jesum nicht in ihrem Dorfe aufnehmen wollten, „weil Sein Angesicht nach Jerusalem hin gerichtet war“, da erfasste die Jünger ein heftiger Eifer wegen dieses ihrem Herrn zugefügten Unrechts, und sie hätten sie gern mit Feuer vom Himmel vernichtet. Der Herr aber strafte sie und sprach: Ihr wisset nicht, wes; Geistes ihr seid“ (Luk. 9, 55). Er nahm den Schimpf geduldig auf sich und ging ruhig nach einem andern Dorfe. Auch Paulus zeigt uns, dass nicht Feuereifer, nicht die Ausübung der Autorität Seelen gewinnen lässt, sondern vielmehr ein heiliges, Christo ähnliches Ausharren. Wenn er die Korinther in 2. Kor. 6 und 12 auf die Zeichen seines Dienstes und Apostelamtes aufmerksam macht, so weist er in erster Linie nicht auf die Ergebnisse seines Dienstes hin, sondern auf den geduldigen Geist, auf das Ausharren, mit welchem er sich bemüht hatte, ihre weltlichen Herzen zum Fuß des Kreuzes zu bringen. Ferner ermahnt er uns, „in Sanftmut die Widersacher zurechtzuweisen“ (2. Tim. 2, 25), „die Wahrheit in Liebe festzuhalten“ (Eph. 4, 15). Eigenwillige Tätigkeit, natürlicher Eifer find nur hinderlich. In solchem Eifer war Paulus einst ein Verfolger der Versammlung (Phil. 3, 6), ein Eiferer für das Gesetz (Apstgsch. 21, 20) und für die väterlichen Überlieferungen (Gal. 1, 14) gewesen. So kann man auch in unseren Tagen mit Eifer für die Kirche, für den Glauben erfüllt sein, ohne dass Gott irgendwelchen Anteil daran hat. Nicht den Eifer eines Simeon müssen wir zum Dienst mitbringen, sondern den Geist des sanften, andauernden Eiferns eines Paulus, der im Blick auf seinen Dienst in Ephesus sagen konnte: „Gedenket, dass ich drei Jahre lang Nacht und Tag nicht aufgehört habe, einen jeden mit Tränen zu ermahnen“ (Apstgsch. 20, 31). Dieses stille Wachen über die Seelen, dieses ruhige Abwarten des Segens unseres Herrn mögen wir uns auch vor Augen stellen, wenn wir der Welt die frohe Botschaft verkünden. Wie sind wir doch so geneigt, nach augenblicklichen, handgreiflichen Erfolgen zu trachten, ein schnelles Zeitmaß in dem Einsammeln der Ernte herbeizuführen, Zahlen und in die Augen fallende Eroberungen zu sehen! Der Glaube an die stillwirkende Macht des Wortes Gottes geht da vielfach verloren, obschon dieses Wort die Verheißung hat, nicht leer zurückzukommen. Durch Feuer der Rede, durch menschliche Zutaten sucht man nachzuhelfen, und vergisst, dass Gott des Menschen, wenn er auch noch so hervorragend rednerisch befähigt ist, gar nicht bedarf, dass Er durch die arme, kleine Sklavin des Syrers Naaman Seine Gnadenabsichten gerade so gut zur Ausführung bringen konnte, wie durch die hervorragendsten Apostel. Der Herr schenke uns Gnade, dass wir mit Fleiß jede Gelegenheit auskaufen, den Menschen Buße und Vergebung zu predigen, dass wir aber als Seine Jünger beachten, was· von Ihm selbst geschrieben steht: „Er wird nicht streiten noch schreien, noch wird jemand Seine Stimme auf den Straßen hören; ein geknicktes Rohr wird Er nicht zerbrechen, und einen glimmenden Docht. wird Er nicht auslöschen“ (Matth. 12, 19. 20). Wir werden dann eifrig, in Geduld säen, werden nicht Früchte vor dem Blühen erwarten, auch nicht denken, dass jede Blüte Frucht bringen werde. Wir werden alles mit Eifer und von Herzen tun und uns doch immer dabei sagen, dass alles hätte besser von uns getan werden können, mit mehr Eifer, mit mehr Demut, mit mehr Selbstverleugnung. Wir alle werden uns das sagen müssen, gleichviel ob wir von Natur den Charakter Rubens oder Simeons haben. Unser Charakter war ja meist schon gebildet, ehe wir von Gott lebendig gemacht wurden. Die Stunde der Bekehrung fand uns schon in einer bestimmten, mehr oder weniger ausgeprägten Gemütsart, welche wir von Natur, durch Erziehung und durch die Einflüsse unserer Umgebung besaßen; und es ist eine ernste Sache, dass wir sie, nachdem wir aus dem Geiste geboren sind, mit uns tragen bis ans Ende. „Die Kreter sind immer Lügner“ (Tit. 1, 12). Vielleicht klebt uns dauernd etwas von dem Charakter der Kreter an, vielleicht ähneln wir dem Ruben oder dem Simeon oder wer es nun sei. Jedenfalls ist es unsere ernste Pflicht, diese natürliche Anlage zu überwachen und, wo es nötig ist, ernst zu verurteilen, damit wir gesund seien im Glauben. (Tit. L, 13.) Lasst uns auch, welchen Charakter wir nun tragen mögen, den eines Ruben oder den eines Simeon, nicht versäumen, allezeit heilige Hände aufzuheben ohne Zorn (eines Simeon) und ohne zweifelnde Überlegung (eines Ruben)!

@@@@

Mache dir zwei Trompeten von Silber

Bibelstelle: 4. Mose 10, 1 - 10

Botschafter des Heils 1914 S. 225ff

Das Volk Israel hatte auf seiner Reise durch die Wüste eine unfehlbare Leitung, einen Führer, der nie versagte. Dieser Führer war die Wolke, die Wohnstätte Jehovas, die am Tage wie eine Decke über ihnen ausgebreitet war und des Nachts die Finsternis erleuchtete. Vom Schilfmeer an für sie tätig, lagerte sie sich, sobald die Stiftshütte vollendet war, auf diese. „An dem Tage, da die Wohnung aufgerichtet wurde, bedeckte die Wolke die Wohnung des Zeltes des Zeugnisses . . . Die Wolke bedeckte sie, und des Nachts war es wie das Ansehen eines Feuers“ (4. Mose 9, 15. 16). So war es beständig, und so lange die Wolke über dem Zelte lagerte, blieben die Kinder Israel an dem Ort, wo sie waren; sobald sie sich erhob, brachen sie auf. „Nach dem Befehl Jehovas lagerten sie sich, und nach dem Befehl Jehovas brachen sie auf“ (V. 20). In ähnlicher Weise wird auch heute das Volk Gottes geleitet; allerdings nicht durch einen sichtbaren Führer — alles was bei Israel sichtbar, körperhaft war, ist für uns heute unsichtbar, geistlich —— aber deshalb nicht weniger wirklich. Unser Führer ist der Heilige Geist, der uns gegeben ist, damit Er bei uns sei in Ewigkeit, unsere Schritte lenke und uns sicher ans Ziel führe. Wir sind Kinder, Söhne Gottes, und werden als solche durch Gottes Geist geleitet. (Röm. 8, 14.) Freilich bedarf es eines einfältigen Auges, um die Weisungen des Geistes zu erkennen, und eines willenlosen Gehorsams, um diesen Weisungen zu folgen; aber wo diese beiden Eigenschaften vorhanden sind, wird sich ein Gläubiger nie über Mangel an Leitung zu beklagen haben. Neben der Wolke, die das Ziehen und Lagern des Volkes bestimmte, gab es aber für Israel noch eine andere göttliche Vorsorge, die ihr Verhalten im Lager oder später im Lande, in Tagen der Ruhe und in Zeiten der Bedrängnis, regelte. Das waren die beiden silbernen Trompeten, die von den Priestern, welche sich stets in der unmittelbaren Nähe Gottes aufhielten, geblasen werden mussten. Naturgemäß bemerkten die Priester die Bewegungen der Wolke zuerst, und sie mussten, sobald diese sich erhob, das Volk durch zweimaliges Lärmblasen zum Aufbruch auffordern. Beim ersten Male mussten die Lager aufbrechen, welche gegen Osten lagerten, beim zweiten Male die, welche gegen Süden lagerten. Der Abbruch der Stiftshütte erfolgte zu gleicher Zeit, und nachher der Aufbruch der übrigen Lager, in der von Gott befohlenen Reihenfolge. Alles vollzog sich in musterhafter Ordnung, den Geboten Gottes entsprechend. Keiner aus dem Volke hatte für sich zu wählen, keiner irgendwelche Sonder-Bestimmungen zu treffen, der Ton der Trompeten regelte alles. Erinnert uns dies nicht mit Macht an die Vorsorge, die Gott heute für uns getroffen hat, an das Zeugnis, das Er in der Gegenwart aufgerichtet hat, damit es uns leite und das Licht für unsere Füße sei, an Sein teures, untrügliches Wort? An das Wort, das durch die Kraft des Heiligen Geistes aus unsere Herzen und Gewissen wirkt, und das durch Werkzeuge, die Er zubereitet, durch Männer, die Gott nahe und von Ihm dazu begabt sind, uns vermittelt und deutlich gemacht wird? Wenn das aber so ist, dann gewinnt alles, was mit dem Bilde in Verbindung steht, Wert und Bedeutung. Bemerkenswert ist da zunächst die Zahl, der Stoff und die Arbeit der Trompeten. Es mussten zwei Trompeten sein, denn jedes Zeugnis soll wenigstens aus zweier Mund bestätigt werden. Bei jeder Berufung des Volkes und jedem Zeugnis von allgemeiner Bedeutung mussten beide Trompeten benutzt werden, nur bei der Berufung der Fürsten des Volkes zu Mose eine. — Der Stoff war Silber, das bekannte Bild der Sühnung, des Lösegeldes. Jeder männliche Israelit, der zu den Gemusterten überging, musste als ,,Sühne seiner Seele« einen halben Sekel Silber geben, und das so gesammelte Sühngeld musste für die Arbeit des Zeltes der Zusammenkunst verwandt werden. (2. Mose 30, 11—16; vergl. Kap. 38, 25 sf.) Wie anders hätte Israel das göttliche Zeugnis vernehmen und befolgen können, als auf Grund der gesschehenen Sühnung? — Was schließlich die Arbeit betrifft, so wurde zu Mose gesagt: ,,in getriebener Arbeit sollst du sie machen“, in einer Weise also, die Bestand, Sicherheit vor Verletzungen und Unveränderlichkeit des Tones verbürgte. Weiter mussten die Trompeten verschiedenartig gehandhabt werden: zu gewissen Zeiten sollten die Priester nur in sie stoßen, bei anderen Gelegenheiten mussten sie Lärm blasen. Die Zeiten und Gelegenheiten sindd eben verschieden, und je nachdem ist ein gelinderes oder ein lautes, durchdringendes Zeugnis nötig. Wenn die Häupter der Tausende Israels sich zu Mose versammeln sollten, wurde, wie bereits bemerkt, nur in eine Trompete gestoßen; sollte aber die ganze Gemeinde zusammengerufen werden, so mussten beide erklingen. „An euren Freudentagen und an euren Festen und an euren Neumonden, da sollt ihr in die Trompeten stoßen bei euren Brandopfern und bei euren Friedensopfern; und sie sollen euch zum Gedächtnis sein vor eurem Gott“ (V. 10). Mit welcher Freude wird der treue Israelit den Ton der Trompeten vernommen haben, der ihn zur Sammlung um Gott rief, sei es um Sein Wort aus dem Munde der Priester zu vernehmen, oder um an den Freudenfesten Ihm die gebotenen Opfer darzubringen! Mit welch lieblichem Klang werden die Trompetenstöße im Jubeljahre an das Ohr des verarmten Israeliten gedrungen sein, der sich seinem reicheren Bruder hatte verkaufen müssen — denn nun war seine Not vorbei, er kam wieder zu den Seinigen, und alle Knechtschaft hatte ein Ende! (Vergl. 3. Mose 25, 8 ss.) Wie eifrig werden, wenn es gut stand in Israel, alle zusammengeströmt sein, um als ein Volk, das Volk Gottes, vor Seinem Angesicht zu erscheinen! Sind auch wir in den Tagen der Ruhe und des Friedens, die hinter uns liegen, mit gleicher Freudigkeit und Willigkeit dem Tone der silbernen Trompeten gefolgt? Hat sich überall die ganze Gemeinde wie ein Mann versammelt, nur das Eine begehrend, auf Gottes Gebot zu lauschen und Ihm die Opfer des Lobes, die „Brandopfer und Friedensopfer“, darzubringen? Ach! hat nicht statt dessen viel Uneinigkeit, Hader und Streit geherrscht? Sah es nicht so aus, als wollten die Trennungen zwischen den verschiedenen Häuflein der Gläubigen nur immer zahlreicher, die Entfernungen und Entfremdungen nur immer größer werden? Hat es nicht außerdem zwischen vielen einzelnen Gläubigen, in Versammlungen und Familien, Uneinigkeiten und Verstimmungen gegeben, die trotz aller Bemühungen brüderlicher Liebe nicht zu entfernen, nicht beizulegen waren? O wie hart und stolz war da oft das Herz, wie fest geschlossen der Mund, wenn es galt, dem Bruder, der Schwester entgegen zu kommen, oder in Demut zu sagen: „Ich habe gefehlt; vergib mir!“ Doch wir sind mit unseren Fragen noch nicht fertig. Haben sich nicht, wie einst bei Israel oder später in Korinth, Ungerechtigkeit und Übervorteilung in mancherlei Formen gezeigt, während andererseits über viel Untreue, Mangel an Gewissenhaftigkeit und treuem Fleiß Klage geführt werden musste? Sind nicht mit der wachsenden Wohlhabenheit wieder Gepflogenheiten eingezogen, die man für immer hinweggetan gewähnt hatte? „Umhängen von Gold und Anziehen von Kleidern“, wovor der Apostel Petrus die Schwestern so ernstlich warnt, haben wieder Eingang in die Mitte der Gläubigen gefunden. Was unsere alten, heute meist heimgegangenen Geschwister vor Jahrzehnten in Treue und Hingebung abgelegt hatten, ist wieder hervorgesucht worden, zuweilen in einer Weise, dass man sich zu der Frage versucht fühlte: Hast du wirklich ein Kind Gottes, einen Jünger, eine Jüngerin Jesu vor dir? Selbstverleugnung, Fremdlingschaft, himmlische Gesinnung u. s. w. sind bei vielen Worte geworden, die sie nur dem Klange nach kennen, und die uns allen so natürliche Neigung zur Bequemlichkeit, zu Luxus und Wohlleben hat vielfach eine wahrhaft beängstigende Gestalt angenommen. Hie und da, besonders bei jüngeren Geschwistern unter uns, haben sich Zustände herausgebildet, die zu den ernstesten Befürchtungen Anlass gaben. Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit in Wort und Wesen waren an der Tagesordnung. Manche Gläubige haben das seit langer Zeit gefühlt und es vor den Herrn gebracht, haben auch dagegen gezeugt. Aber hatten die Trompeten nicht mehr denselben klaren Ton wie früher? wurde nicht mehr mit der Kraft und Frische hineingestoßen, wie in vergangenen Tagen? Gewiss, die Schuld liegt nicht nur auf einer Seite, sie ist gemeinsam. Unser aller ist „die Beschämung des Angesichts“, und der heilige Gott, der alles gesehen, von allem Kenntnis genommen, der auch das Seufzen und Flehen mancher Seiner Knechte und Mägde gehört hat, ist mit gewaltiger Hand dazwischengefahren und hat uns in eine Bedrängnis gebracht, wie keiner von uns sie je erlebt hat, wie wir sie selbst in unseren ernstesten Befürchtungen kaum für möglich gehalten hätten. Er hat in einer Weise an Herzen und Gewissen gepocht, dass selbst die im untersten Schiffsraum in tiefen Schlaf gesunkenen Schläfer (Josua 1, 5) aufgewacht sind, ja, dass durch unser ganzes Volk und Land ein Beben gegangen ist, vor dem die frechsten Spötter verstummten und manche ungläubige Lippe erblassend flüsterte: „Es gibt doch einen Gott!“ So liegen die Dinge. Was sollen wir tun? Sollen wir verzagend niedersinken? Sollen wir verzweifeln? „Hat Gott vergessen, gnädig zu sein? Hat Er im Zorn verschlossen Seine Erbarmungen“ (Ps. 77, 9)? Nein, Sein Name sei dafür gepriesen! Seine Güte ist noch nicht zu Ende, die Reichtümer Seiner Barmherzigkeit sind noch nicht erschöpft. Er ist „reich an Vergebung“, und wie Er kein Gefallen hat am Tode des Gesetzlosen, sondern daran, dass er umkehre. und lebe, so ist auch Sein Inneres mit Erbarmen bewegt gegenüber Seinem irrenden, aber umkehrenden Volke. Er zieht wohl tiefe Furchen, aber Er pflügt Sein Ackerland nicht den ganzen Tag, Er zermalmt nicht das Korn, noch drischt Er es unaufhörlich. „Er ist wunderbar in Seinem Rat und groß an Verstand“ (Jes. 28, 23—29). Darum wollen wir nicht mutlos werden. Was aber liegt uns ob zu tun? Dasselbe, was in Joel 2, 1 dem Volke Israel zugerufen wird: „Stoßet in die Posaunen auf Zion, und blaset Lärm auf meinem heiligen Berge!“ Schon hat unter der gnädigen Leitung Gottes das Lärmblasen begonnen, entsprechend dem Worte: „Und wenn ihr in eurem Lande in den Streit ziehet wider den Bedränger, der euch bedrängt, so sollt ihr mit den Trompeten Lärm blasen; und es wird euer gedacht werden vor Jehova, eurem Gott“ (4. Mose 10, 9) .An vielen, vielen Orten unseres irdischen Vaterlandes sind die Gläubigen zusammengeströmt, nicht einmal und nicht zweimal, nein viele Male, Abend für Abend, um das Wort zu lesen und im Anschluss daran niederzusinken und in anhaltendem Gebet zu Gott zu rufen. Bekenntnisse über persönliche und gemeinsame Schuld sind laut geworden, und mancher Mund hat sich geöffnet, der früher selten oder nie in der Versammlung der Gläubigen sich auftat. Die Bänke, die so oft gähnende Lücken aufwiesen, waren allabendlich dicht besetzt, und sicher ist auch das Gebetskämmerlein, das für manche ein fremder, unbekannter Ort geworden war, wieder mehr aufgesucht worden. Das Wort hat wieder einen ganz anderen Klang bekommen, es ist, wie wenn ihm mit einen mal eine ganz neue Kraft und Bedeutung eingehaucht worden wäre. Freilich, das Wort hat sich nicht verändert, der Wechsel hat sich in den Ohren und Herzen der Hörenden und Lesenden vollzogen. Aber er ist da und wird empfunden. Und diese tiefe Bewegung hält an. Der Gott aller Gnade lässt die äußeren Umstände, die Einberufung so vieler Gatten und Väter, so vieler Söhne und Brüder, den Stillstand in Handel und Wandel, den schweren Druck, der auf aller Herzen liegt, die Sorge ums tägliche Brot, um die Zukunft, oder auch um teure Angehörige in Feindesland — Gott lässt alle diese Dinge und so vieles andere mitwirken, um die ernsten Eindrücke zu vertiefen, die Gewissen auszuwerfen und die Herzen empfänglich zu erhalten für Sein Wort und die Wirkungen Seines Geistes. Ja, mehr noch, Er hat viele, viele Seelen in den letzten Tagen und Wochen errettet, besonders viele Söhne gläubiger Eltern, deren Herzen bis dahin unempfänglich geblieben waren, oder die es immer wieder aufgeschoben hatten, ihr Heil zu suchen. O Er hat unser Flehen wunderbar erhört und unser gedacht in unserer Bedrängnis. Er hat gehört, noch ehe wir riefen, noch ehe uns der ganze Ernst der Sachlage zum Bewusstsein gekommen war. Fürwahr, Er ist reich an Barmherzigkeit und zum Vergehen bereit. Dafür wollen wir Ihm danken, anhaltend und innig. Aber wir wollen Ihn auch bitten, dass der Zweck Seiner ernsten Wege mit uns und im weiteren Sinne mit unserem Volke erreicht werde;“ dass wir wieder mehr Seiner Heiligkeit teilhaftig werden, indem die friedsame Frucht der Gerechtigkeit sich als Ergebnis der Züchtigung bei uns findet, und dass unser Volk zu Gott und Seinem Worte umkehre, und vielen unserer Volksgenossen die schwere Drangsal zum ewigen Heil ausschlage. Ja, wir wollen Ihn bitten, dass auch für die Länder unserer Gegner aus der furchtbaren zeitlichen Heimsuchung, die über sie zu kommen scheint, eine reiche Segensernte für die Ewigkeit hervorgehen möge. „Und wenn ihr in eurem Lande in den Streit ziehet wider den Bedränger, der euch bedrängt, so sollt ihr mit den Trompeten Lärm blasen; und es wird euer gedacht werden vor Jehova, eurem Gott, und ihr werdet gerettet werden von euren Feinden“ (4· Mose 10, 9.) Das Wort berichtet uns von einem besonderen Fall aus der Geschichte Israels, wo diese Anordnung pünktlich vollzogen wurde zum Segen des Königs und zum Heile seines Volkes. Ich bitte den freundlichen Leser, seine Bibel zur Hand zu nehmen und das 13. Kapitel des 2. Buches der Chronika zu lesen. Es berichtet von einem Kriege zwischen Juda und Israel kurz nach der Teilung des Reiches in diese beiden Bruchstücke.· Jerobeam, der König von Israel, der Erbauer der beiden goldenen Kälber in Bethel und Dan, der Verächter Jehovas und des Tempels zu Jerusalem, tritt Abija, dem Könige von Juda, mit weit überlegenen Streitkräften entgegen. Abija erinnert Jerobeam daran, dass er sich von Jehova abgewandt habe und den Nicht-Göttern diene, während auf seiner Seite die Priester Jehovas seien und der ganze von Gott geordnete priesterliche Dienst. Er schließt mit den Worten: „Und siehe, Gott ist mit uns an unserer Spitze und seine Priester, und die Lärmtrompeten, um Lärm zu blasen wider euch. Kinder Israel! streitet nicht wider Jehova, den Gott eurer Väter; denn es wird euch nicht gelingen“ (V.12)! Aber Jerobeam hörte nicht auf diese Vorstellungen, sondern teilte seine Heeresmacht in zwei Haufen und brachte Juda durch eine Umgehung zwischen zwei Feuer. Die Lage Judas war überaus ernst; „sie hatten den Streit von vorn und hinten. Da schrien sie zu Jehova, und die Priester bliesen mit den Trompeten, und die Männer von Juda erhoben ein Kriegsgeschrei . . . Da schlug Gott Jerobeam und ganz Israel vor Abija und Juda. . . und Gott gab sie in ihre Hand“ (V. 13—16). Es ist nicht nötig, darauf aufmerksam zu machen, dass Israel das Eigentumsvolk Gottes war und Jehova sein Bundesgott, was heute von keinem Volke der Erde gesagt werden kann. Aber grundsätzlich wird es immer wahr bleiben, dass ein Volk, welches sich auf Gott stützt, und dessen König seine Knie vor Ihm beugt, das also, um in der Sprache des Vorbildes zu reden, die Lärmtrompeten bläst, auf Gottes Hilfe rechnen darf. Und wie Gott zu helfen vermag, das haben die letzten Wochen wieder einmal gezeigt. Er ist ein Gott, „der Wunder tut, Er allein. Gepriesen sei Sein herrlicher Name in Ewigkeit“ (Ps. 72, 18. 19)!

@@@@@

Betrachtungen über das Buch Esther

Bibelstelle: Esther

Botschafter des Heils 1914 S. 235ff

Inmitten dieser Umstände, in diesem kalten Nebel, der die Gefangenen einhüllt, wacht, und das ist der hervortretende Charakterzug des Buches Esther, eine verborgene V o r s e h u n g über sie. Der ganze Bericht ist ein Beweis davon; bei der Behandlung der Einzelheiten werden wir immer wieder Gelegenheit finden, diese Bemerkung zu machen. Das kommt daher, weil Gott treu ist, und weil Er, wenn Er auch gezwungen sein mag, Sein Angesicht zu verbergen, doch nie Sich Selbst verleugnen kann. Seine Verheißungen sind unbereubar, und mag Er sie zuweilen auch mit gänzlichem Stillschweigen übergehen, so gedenkt Er ihrer doch durchaus. Er kann diesen Charakter nicht offenbaren, so lange auf dem Volk das schwere Urteil lastet, das Er im Wege Seiner Regierung über sie bringt, und dessen Spruch sich in der Ausführung befindet. Wenn Er gegenüber dem nach Jerusalem zurückgekehrten Volk in anderer Weise handelt, so geschieht es im Hinblick auf die Ankunft Christi in ihrer Mitte, wie die drei letzten Propheten es bezeugen; hier im Buch Esther findet sich nichts dergleichen; aber im Schweigen bleibt Gott derselbe, und Gott ist Liebe. Er ist nicht nur der heilige Gott. Er bleibt, was Er immer gewesen ist, ein Gott, dessen Inneres von Mitleid erregt ist gegen dieses schuldige Volk. Daher die unaufhörliche Fürsorge Seiner Vorsehung.

Wir können die Vorsehung Gottes unter zwei Gesichtspunkten betrachten. Zunächst haben die Menschen täglich die öffentliche Darstellung, die unbestreitbare Offenbarung dieser Vorsehung, vor Augen, wie der Apostel sagt: "Gott hat sich nicht unbezeugt gelassen, indem Er Gutes tat und euch vorn Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gab, eure Herzen mit Speise und Fröhlichkeit erfüllend" (Apostelgesch. 14, 17). Der zweite Gesichtspunkt ist der einer Vorsehung, die in ihren Wegen und ihrem Zweck v e r b o r g e n ist, so dass die Menschen sie erst durch das schliessliche Ergebnis erkennen können. So wurde auch Mose, ‑ und solcher Beispiele gibt es viele ‑, durch die Wege der Vorsehung aus dem Wasser gerettet und in gleicher Weise an den Hof des Pharao gebracht, um dann der Retter des Volkes zu werden. Diesem zweiten Charakter der Vorsehung werden wir im Buche Esther fortwährend begegnen. Obwohl die Vorsehung verborgen bleibt, leitet sie doch die Ereignisse; aber nur der Glaube weiß, dass sie am Werk ist, und rechnet auf sie. Darum ist auch Glaube nötig, um dieses Buch zu verstehen. Wir finden in ihm, um es kurz auszudrücken, die geheime Vorsehung, die inmitten der schrecklichsten Gefahren handelt (die das Volk unter dem Zorn der Regierung Gottes bestürmen können), um ihm durch die Rache an ihren Feinden Ruhe zu geben und so das Friedensreich einzuführen.

Es gibt noch ein anderes wichtiges Kennzeichen des Buches Esther, das wir hervorheben müssen. Einer der wunderbarsten Züge des Alten Testamentes, ‑‑ und wir denken hier nicht nur an die prophetischen Schriften, sondern auch an das Gesetz, die geschichtlichen Bücher und an alle übrigen Schriften‑, besteht darin, dass es entweder sittliche Grundsätze vorstellt, die zu allen Zeiten gültig sind und über den Zeitabschnitt, in welchem sie aufgestellt wurden, weit hinausgehen, oder aber, dass es kommende Ereignisse und zukünftige Personen vorher zeichnet. Die Sache, von der wir reden, mag, den verschiedenen Schriften entsprechend, nicht immer in gleicher Stärke hervortreten, aber sie ist beständig da. Selbst wenn Gott sich verbirgt, wie im Buch Esther, fühlt man, dass Er die handelnden Personen auswählt, und man erkennt hinter der Szene den Meister, der in geheimnisvoller Weise das Vorbild der kommenden Ereignisse oder Persönlichkeiten zubereitet. Für diejenigen, die das Wort Gottes mit Gebet zu erforschen suchen, ist die Tatsache, dass wir sogar in einem Buch wie das Buch Esther V o r b i 1 d e r finden, von großer Wichtigkeit. Die ganze Erzählung macht auf unseren Geist einen vertraulichen Eindruck. Dieses Ereignis und jene Person leiten unsere Gedanken auf zukünftige, oft betrachtete Dinge. Die Ereignisse schlingen sich ineinander, die Personen treten auf oder verbinden sich auf charakteristische Weise. Hier ist eine Anspielung, dort ein dem oberflächlichen Leser gleichgültiger Name, die mit einem Schlage einen unerwarteten Wert gewinnen, wie von einem plötzlichen Licht übergossen erscheinen. Und es gehört nicht zu den kleinsten Schönheiten des göttlichen Buches, uns einen Gedanken entdecken zu lassen, der wie ein unterirdisches Wasser still dahinfließt, der Allgemeinheit unbekannt, die über die Oberfläche hinschreitet, ohne eine Ahnung von seinem Dasein zu haben, bis ihm der Geist Gottes einen Ausfluss gibt und es auf einmal, gleich einem artesischen Brunnen, vor den Augen derer hervorsprudelt, die vorher sein Vorhandensein bestritten.

So ist es auch mit dem Buch Esther. So lange man bei der Oberfläche stehen bleibt, scheint es kaum etwas weniger Erbauliches zu geben, als diese Geschichte.

Aus diesem Grunde haben manche Ausleger Gedanken hineingeschoben, gottesfürchtigen Überrest, der die Rechtmäßigkeit seiner Züchtigung anerkennt und nun aus der Tiefe zu Gott schreit in dem Bewusstsein, dass er nicht entrinnen kann, wenn Gott auf seine Sünden achtet. Im Gegenteil, hier, wo jede Verbindung mit Gott abgebrochen ist, sieht das nicht mehr "geliebte" Volk keine Möglichkeit der Rettung mehr. Nur ein einzelner Mann, Mordokai, der das Werkzeug der Befreiung sein soll, weiß, dass sie kommen wird. Die im Buche Esther ausgedrückten Gefühle sind ganz anders als die Gefühle des Überrestes, der unter Serubbabel und Esra nach Jerusalem hinaufzog. Dieser ist Lo‑Ammi: nicht mein Volk, aber er hat das Bewusstsein seiner Beziehungen zu Jehova. Auch ist im Buche Esther die Angst größer und brennender, obwohl eigentlich der in Jerusalem wohnende Überrest in den zukünftigen prophetischen Zeiten umkommen oder als Märtyrer leiden wird. Hier ist die Not, wie gesagt, beängstigender, sie bewirkt ein "großes und bitterliches Geschrei", und doch fällt schließlich in dem fremden Land nicht ein Haar von dem Haupte der Israeliten. Ihre Lage ist wie die Lage des Weibes, das von dem Drachen verfolgt wurde in Offbg. 12, 16, während uns die Lage des in Juda und Jerusalem zurückgebliebenen Überrestes in Vers 17 desselben Kapitels vor Augen gestellt wird, Bei diesem begegnen wir einem tätigen Glauben, einem tiefen Sündengefühl, der Buße, der Hoffnung, die sich in den Psalmen durch die Worte: "Bis wann?" ausdrückt, und der Erwartung der Erscheinung des Messias. Bei den Erstgenannten wird die schreckliche Angst vor einem anscheinend nahen und unvermeidlichen Untergang noch durch das Bewusstsein vermehrt, dass sie einen Teil von Juda und Benjamin bilden; angesichts ihres drohenden Untergangs haben sie keine Gewissheit, aber doch, trotz allem einen Hoffnungsschimmer. "Vielleicht . . .", "Wer weiß? . . ." sagt Mordokai (Kap 14). *)

*)Man vergleiche bezüglich der großen Trübsal Jeremia 30, 4 ‑ 11; Dan. 12, 1; Matth. 24, 21‑22.

@@@@

Levi und Juda

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 241ff

Lea nannte ihren dritten Sohn Levi, und den vierten Juda. Es waren natürliche Gründe, welche sie gerade diese Namen wählen ließ. Schon lange litt Lea unter den Qualen der Eifersucht, weil Rahel die Zuneigung Jakobs besaß, während sie „gehasst“ war. Jetzt nun, da sie ihm das dritte Kind geschenkt, glaubte sie, dass ihr Mann sich zu ihr halten werde, und sie nannte den Knaben: Levi, d. h. Anschließung, Anhänglichkeit. „Sie sprach: Nun, diesmal wird sich mein Mann an mich anschließen, denn ich habe ihm drei Söhne geboren! Darum gab man ihm den Namen Levi“ (1. Mos. 29, 34). Und als Gott ihr noch ein viertes Kind schenkte, da gewann auch der Dank gegen Jehova in ihr Ausdruck, „und sie sprach: Diesmal will ich Jehova preisen! Darum gab sie ihm den Namen Juda, d. h. Lobpreis oder Gegenstand des Preises“ (1. Mose 29, 35). Wenn nun auch Lea bei der Namensnennung der beiden Kinder nur an sich und an ihre Umstände dachte, so weissagte sie doch auch zugleich. Sie tat es unbewusst, ähnlich wie der Hohepriester Kajaphas, als er im Synedrium die prophetischen Worte aussprach, dass es nützlich sei, „dass ein Mensch für das Volk sterbe, und nicht die ganze Nation umkomme“ (Joh. 11, 50). Symbolisch betrachtet - meint ein anderer Schreiber — hatte ja Israel einen Mann, ·und dieser Mann war Jehova, der Herr. Das Liebesbund wurde zerrissen, nicht durch den Mann, sondern durch die Untreue des Weibes. Israel brach den Frieden. Eine Aussöhnung musste gesucht, der Entzweiung ein Ende gemacht werden, (und der, welcher das tun musste, war Levi, der Stamm des priesterlichen Dienstes,) auf dass Israel wieder seinem Gott nahen, und der Herr wie- der Sein Volk besuchen könne. Während also Levi, der anschließende, anhängliche Diener, der Priesterstamm war, erscheint Juda als der königliche Stamm, als der Gegenstand des Preises, der die Oberhand unter seinen Brüdern hatte“ (1. Chron. 5, 2.) Von den zwölf Söhnen Jakobs war er der vornehmste, gleichsam der adlige; aus ihm sollte „der Fürst« kommen, das köstliche „Reis aus dem Stumpf Isais, der Schössling aus seinen Wurzeln“ (Jes. 11), der Immanuel. Um Ihn, den Messias, dreht sich ja alles in der Geschichte Israels, und als der Geist den sterbenden Jakob ergriff, überging dieser im Suchen nach dem Messias den Ruben, Simeon und Levi und rief, als die Reihe an Juda kam: „Dich, Juda, dich werden deine Brüder preisen . . . Nicht weichen wird das Szepter von Juda, noch der Herrscherstab zwischen seinen Füßen hinweg, bis dass Schilo kommt, und Ihm werden die Völker gehorchen“ (1. Mose 49, 8. 10). Die Kinder Levi waren, im Unterschied von den anderen Stämmen, zu einem ganz besonderen Platz und Dienst berufen. Sie wurden (nach 4. Mose 1) nicht unter den übrigen Stämmen gemustert, sondern „Über die Wohnung des Zeugnisses bestellt und über all ihr Gerät, und über alles, was zu ihr gehörte; sie sollten die Wohnung und all ihr Gerät tragen und sie bedienen, und sich rings um die Wohnung lagern. Beim Aufbruch hatten sie die Wohnung abzunehmen, und wenn sie sich lagerte, mussten sie sie wieder aufrichten. Jeder, der nicht zu Levi gehörte und herzuzunahen wagte, musste es mit dem Tode büßen. Und während sich alle übrigen Israeliten, ein jeder in seinem Lager, und ein jeder bei seinem Panier, nach ihren Heeren lagern mussten, wurde den Leviten ihr Platz rings um die Wohnung des Zeugnisses her angewiesen. Sie bildeten ein abgesondertes Volk, waren Gottes besonderes Eigentum. Sie nahmen den Platz aller Erstgeborenen in Israel» ein, den Platz jener, die durch das Blut des Lammes vom Schwerte des Würgengels gerettet worden waren. (4. Mose 3, 45.) So waren sie vorbildlich ein gestorbenes, auferstandenes und für Gott abgesondertes Volk, das Gott dem Aaron, dem Hohenpriester, als Gabe schenkte, damit es den Dienst an der Wohnung des Zeugnisses verrichte. Warum wurde aber gerade der Stamm Levi so vor allen ausgezeichnet und für einen so hohen Dienst bestimmt? War Levi besonders fromm und heilig unter den zwölf Söhnen Jakobs? Nein, weder seiner Natur noch seinem Verhalten nach. „Simeon und Levi sind Brüder, Werkzeuge der Gewalttat ihre Waffen. Meine Seele komme nicht in ihren geheimen Rat, meine Ehre vereinige sich nicht mit ihrer Versammlung! Denn in ihrem Zorn haben sie den Mann erschlagen, und in ihrem Mutwillen den Stier gelähmt. Verflucht sei ihr Zorn, denn er war gewalttätig, und ihr Grimm, denn er war grausam!« sagt Jakob 1. Mose 49, 5—7. Also Levi war eigenwillig, gewalttätig und grausam. Das war seine Natur. In den Rat eines solchen Mannes kann Gott unmöglich kommen. Er kann mit Eigenwillen, Gewalttätigkeit und Grausamkeit nichts zu tun haben. Was war es aber, das Levi in Gottes Rat einführen, das ihn mit Seiner Versammlung vereinigen konnte? was war es, das ihn aus seiner mit den Werkzeugen der Gewalttat angefüllten Wohnung herausnahm und in die Stiftshütte mit ihren heiligen Geräten brachte? Nur die freie, unumschränkte Gnade. Welch ein Abstand zwischen dem in gewalttätiger Lust murrenden Levi in 1. Mose 34 und den zum heiligen Dienst berufenen Familien Levis in 4· Mose Z und 4.1 Welch ein Unterschied zwischen dem eigenwilligen Levi in Sichem und dem begnadigten, wilIenlosen Levi, der sich im Tore des Lagers zu Muse stellte, als dieser rief: „Her zu mir, wer für Jehova ist“ (2. Mose 32)! Gnade war es, nichts als Gnade. Dieselbe Gnade, welche auch den eigenwilIigen, gewalttätigen und grausamen Verfolger der Versammlung Gottes, Saulus von Tarsus, die Worte aussprechen ließ: „Herr, was willst Du, dass ich tun soll?“ Dieselbe Gnade hat auch uns zu Dienern berufen. An uns konnte Gott ebenso wenig · wie an Levi irgend Etwas anerkennen. Er musste an uns dieselbe vollkommene Gnade, die Gnade, welche durch Gerechtigkeit herrscht, erweisen und auch dieselbe Reinigung vornehmen, wie an Levi in 4. Muse 8, 5-—-7. Wir lesen an dieser Stelle, dass Mose, als der Vertreter der Ansprüche Gottes, die Leviten den göttlichen Ansprüchen gemäß reinigen musste. Er musste zunächst Entsündigungswasser auf sie sprengen und sie dadurch fähig machen, das Schermesser über ihr ganzes Fleisch gehen zu lassen, also über alles, was ein bloßes Erzeugnis der Natur war. Sodann mussten sie ihre Kleider waschen und sich reinigen. In dieser vorbildlichen Weise begegnete Gott allem, was dem natürlichen Zustande Levis und seinen früheren Wegen angehörte, seinem Eigenwillen, seiner Gewalttätigkeit, seiner Grausamkeit. Nicht eher durfte der Levit den Geräten des Heiligtums nahen, nicht eher feinen Dienst antreten. So auch bei uns. Die Taufe stellt dar, dass unser alter Mensch, unsere gefallene Natur, völlig beseitigt ist, und dass wir in eine neue Stellung versetzt sind. Nutzlos ist jeder Versuch, den Menschen zu verbessern und die Natur in den Dienst Gottes zu stellen. Nur das Wasser und das Schermesser können hier etwas ausrichten. Über die Natur ist das Todesurteil gesprochen, und über alles, was die Natur hervorbringt, muss das Gericht ausgesprochen werden, das Schermesser muss darüber gehen — das ernste Selbstgericht Tag für Tag. Ferner müssen wir unsere Kleider waschen, uns reinigen von all unseren alten Gewohnheiten und Neigungen. Aus Levis Berufung strahlt die göttliche Gnade hervor, in seiner Reinigung zeigt sich Gottes Heiligkeit. So sind auch alle Arbeiter Gottes aus göttlicher Gnade zum Werke berufen und entsprechend den Ansprüchen göttlicher Heiligkeit zum Werke befähigt. Wir sind nur insofern tüchtig zum Werke Gottes, als die Natur unter die Kraft des Kreuzes und unter das scharfe Messer des Selbstgerichts gestellt ist. Unser ungeborener Eigenwille. ist im Dienste Gottes unbrauchbar. Dem Herrn angehören — das setzt das Aufhören des eigenen Willens, ja das Aufgeben unser selbst voraus. Levi hat es bewiesen, dass die Gnade bei ihm diese Frucht hervorgebracht hatte, als er das Schwert umgürtete und Brüder, Freunde und Nachbarn tötete. Das Wort des Herrn war gebieterisch. Seine Rechte standen in Frage, als »sie die Herrlichkeit vertauschten gegen das Bild eines Stieres, der Gras frisst (Ps. 106, 20) —— und durch die Gnade leisteten die Leviten einen völligen, bereitwilligen Gehorsam. „Die Söhne Levis taten nach dem Worte Moses“ (2. Mose 32, 28). Das war der Boden, auf dem Levi stand; Maleachi 2, 4—6 bestätigt uns das. Sein Anrecht, in dem Dienst des Herrn verwandt zu werden, bestand darin, dass er „seine Eltern nicht sah, seine Brüder nicht kannte und von seinen Söhnen nichts wusste“, wie es Mose in seinem Segen über Levi in 5. Mose 33, 9 anspricht. Die Gnade hatte den eigenwilligen Stamm befähigt, die Rechte der Natur vollkommen beiseite zu setzen und die Rechte Jehovas anzuerkennen. Das ist auch die einzig wahre Grundlage des Charakters eines Dieners unserer Tage. Beachten wir das ernste Wort unseres Herrn: „Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater und seine Mutter und sein Weib und seine Kinder und seine Brüder und Schwestern, dazu aber auch sein eigenes Leben, so kann er nicht mein Jünger sein“ (Luk. 14, 26). Niemand möge bei diesen Worten denken, dass er ohne natürliche Liebe sein solle“. Das hieße ja, sich in sittlichem Sinne mit dem Abfall der letzten Tage verbinden, wo nach 2. Tim. 3, Z die Menschen „ohne natürliche Liebe“ sein werden. Wenn wir aber den Ansprüchen einer natürlichen Liebe und Zuneigung erlauben, unserem ungeteilten Dienste Christi in den Weg zu treten, oder wenn wir der Liebe zu unserer Familie einen höheren Platz einräumen, als der Treue gegen Christum, so sind wir zu Seinem Dienst unfähig und des Namens eines Jüngers Jesu unwürdig. Weil Levi an jenem bösen Tage auf Seiten Gottes stand, wurde er mit dem Priestertum beehrt, mit der höchsten Würde, die ihm übertragen werden konnte. Simeon, der seine alte Natur mit ihm gemein hatte, hatte die Gnade nicht kennen gelernt, nicht auf den Ruf Moses gehört, und Mose hat deshalb in dem Segen, womit er die Kinder Israel vor seinem Tode segnete (5. Mose 33), keine Worte für ihn. Sehr bemerkenswert ist es auch, dass die Arbeit eines jeden Leviten genau bestimmt war. Die Söhne Levis waren Gerson, Kehath und Merari. (1. Mose 46, 11.) Die Abkömmlinge von Gerson und Merari mussten die ,,Wohnung« und „die Umhänge des Vorhofs« samt allem Zubehör tragen, während Kehath berufen war, „die Geräte des Heiligtums“ zu tragen. (4. Mose 4.) Gerson hatte nichts zu tun mit den Brettern und Pflöcken, Merari nichts mit den Vorhängen und Decken. Für jeden war der Wirkungskreis bestimmt. Ist es nicht gerade so bei uns? Gott hat auch einem jeden von uns einen Platz gegeben, den wir ausfüllen, ein Werk, das wir tun sollen. Keiner möge die Stellung eines anderen einzunehmen oder das Werk eines anderen zu tun suchen. Nur durch das kräftige Zusammenwirken aller Glieder, nach dem Maße eines jeden Teiles, wird die Auferbauung des ganzen Leibes gefördert. Möchten wir doch alle demütig mit unserem Gott wandeln, mit Seinem Willen zufrieden sein, und uns begnügen, einen vielleicht geringen Platz auszufüllen, ein vielleicht bescheidenes Werk zu tun! Gerade das Werk zu tun, das Er uns zu tun gibt, und gerade den Platz, einzunehmen, den Er uns bestimmt, das ist wahres Glück, wahre Würde. Hätte das der Levit Korah mit seiner Rotte beachtet, er wäre nicht in den Abgrund gestürzt worden. Seine Arbeit als Kehathiter bestand darin, einige der kostbaren Geräte des Heiligtums zu tragen, aber er trachtete nach dem Priestertum, womit Aaron und seine Familie betraut war. Für den begabten Diener Gottes ist Wachsamkeit besonders nötig. Je höher der Standpunkt, desto tiefer ist der Fall, wenn wir nicht wachsam sind. Ist es dem Feinde gelungen, den Gläubigen „von seiner Höhe zu stoßen“ (Ps. 62, 4), so wird er auch sein Möglichstes tun, ihn drunten zu behalten. Dieselben Kinder Levi, von denen gesagt wurde: „Sie haben dein Wort beobachtet, und deinen Bund bewahrten sie. Sie werden Jakob lehren deine Rechte und Israel dein Gesetz; sie werden Weihrauch legen vor deine Nase und Ganzopfer auf deinen Altar (5. Mose 33, 9. 10) — derselbe so hochstehende Stamm Levi musste später das Schelten Jehovas über sich ergehen lassen: „Ihr aber seid abgewichen von dem Wege, habt viele straucheln gemacht im Gesetz, ihr habt den Bund Levis zerstört, spricht Jehova der Heerscharen“ (Mal. 2, 8). Wenn wir das Volk Israel, „die Versammlung in der Wüste“ (Apstgsch. 7, 38), betrachten, so bemerken wir, dass es aus drei Teilen, aus Kriegern, Arbeitern und Anbetern bestand. Es gab da ein Volk von Kriegern, an deren Spitze Juda stand, einen Stamm von Arbeitern, den Levi bildete, und eine Familie von Anbetern, die Familie Aarons vom Stamme Levi. Gleich der Versammlung in der Wüste, ist auch die Versammlung Gottes in der Welt ganz auf den lebendigen Gott geworfen. Israel war nicht von der Wüste, sondern zog nur durch sie hindurch; so ist auch die Kirche Gottes nicht von der Welt, strebt aber durch sie dem himmlischen Kanaan zu. Doch ein Unterschied ist vorhanden. Wir, die wir das Leben des lebendigen Gottes haben, sind Krieger, Arbeiter und Anbeter zugleich. Als Krieger sind wir berufen, zu streiten, als Leviten sind wir verantwortlich, zu dienen und das Gegenbild der Stiftshütte, d· i. Christum, durch den Schauplatz dieser Wüste zu tragen, und als Priester stehen wir täglich vor unserem Gott und Vater. So wie Levi der Stellvertreter der Arbeiter und Anbeter war, so dürfen wir in Juda das Oberhaupt der Kämpfer und Krieger erblicken. Diese Bedeutung Judas zeigt sich schon darin, dass während des langen Aufenthalts Moses auf dem Berge Sinai die Stellvertretung des Mannes Gottes in den Händen Aarons, des Leviten, lag und Hurs, eines angesehenen Mannes aus dem Stamme Juda (2. Mose 24, 14). Diese beiden Männer waren es auch, die im Kampfe gegen Amalek die Hände Moses stützten. (2. Mose 17, 10.) Juda, dem „Krieger“, waren andere Vorschriften gegeben als Levi, dem „Diener“. Aus dem 4. Buche Mose, dem Buche der Wüstenwanderung, erfahren wir, dass bei der Ausmusterung des ganzen Volkes — mit Ausnahme der Leviten, die, wie wir weiter oben sahen, nicht gemustert wurden — der Stamm Juba die meisten Krieger, 74600 Mann, stellte (Kap. 1, 27), und dass sein Panier unmittelbar dem Zelte der Zusammenkunft gegenüber, gegen Osten hin, lagerte (Kap. 2). Da nach göttlicher Anordnung jeder Krieger seiner Abstammung gemäß seinen Platz bei dem bestimmten Panier einnehmen musste, so war es für jeden Israeliten besonders wichtig, sein Geschlechtsregister angeben und so sein Panier erkennen zu können. So ist auch für uns die gesegnete Gewissheit unserer himmlischen Abstammung, unserer geistlichen Geburt, und auch die genaue Kenntnis unseres Paniers für die Wüstenreise nötig. Unsere Abstammung ist himmlisch. Unser Stammbaum wurzelt in dem Boden der neuen Schöpfung. Der Tod kann die Verbindung nicht zerstören, weil die Auferstehung sie gebildet hat. Und das einzige Panier Gottes und jedes Kriegers, der in der Wüste der Welt lagert, um mit den Heeren des Bösen Krieg zu führen, die Schlachten des Herrn zu schlagen, ist Christus. Inwiefern ist nun Juda für uns ein Vorbild? „Juda ist ein junger Löwe“ (1. Mose 49, 9), hören wir aus dem Munde des sterbenden Jakob. „Höre, Jehova“, sagt Mose in seinem Segen an das Volk Israel, „die Stimme Judas und bringe ihn zu seinem Volke; seine Hände seien mächtig für ihn und hilf ihm von seinen Bedrängern“ (5. Mose 33, 7). Also Mut und Gottvertrauen, diese beiden wichtigsten Eigenschaften des Kämpfers, sind bei Juda zu finden. Von ihm sagt der Psalmist: „Bekannt ist Gott in Juda“ (Ps. 76, 1); und der Prophet ruft: „Aus den Wassern Judas ist hervorgegangen, der da schwört bei Jehova und des Gottes Israels rühmend gedenkt“ (Jes. 48, 1) Insoweit ist Juda unser Vorbild. Auch wir sollen Gott loben und mit Mut und Gottvertrauen für Gott und Christum zu kämpfen gewillt sein. Ja, Juda steht hoch, und doch bringt die Sünde ihn tiefer als Ruben, der träge und unentschlossen in den Hürden blieb, tiefer als den Simeon mit seinem wilden Übereifer, tiefer selbst als den sich überhebenden Levi — denn „Juda hat treulos gehandelt und das Heiligtum Jehovas entweiht“ (Mal. 2, 11). Ebenso spricht Jeremias von der „treulosen Schwester Juda“ (Jer. 3, 7), und „mit Juda hat Jehova einen Rechtsstreit, weil er noch immer zügellos ist gegen Gottund gegen den Heiligen, der treu ist“ (Hosea 12, 1. 3). Der Herr tadelt diese Treulosigkeit, diesen entehrendsten Fehler, in welchen ein Kämpfer fallen kann, und doch lässt Er Juda noch eine Hoffnung, denn „es war in Juda noch etwas Gutes“ (2. Chron. 12, 12). Welche Gnade! Wie viele Fehler sehen wir doch bei diesen beiden am meisten begabten Söhnen Jakobs, bei dem heiligen. abgesonderten Levi und bei dem königlichen Juda! Aber auch welchen Reichtum der Gnade! In dem Gläubigen, der in Christo, dem Sohne des lebendigen Gottes, das Leben besitzt, finden sich die göttlichen Ehrungen dieser beiden Stämme gewissermaßen vereinigt. Wir werden ein heiliges und ein königliches Priestertum genannt, entsprechend den beiden Bereichen, in welchen wir unser Priestertum ausüben. Als heilige Priester bringen wir gemeinsam und einzeln Gott die Lob- und Dankopfer dar, durch welche wir Seinen Namen preisen, stellen auch unsere Glieder dar als ein lebendiges Schlachtopfer, Ihm wohlgefällig durch Jesum Christum. Aber als ein königliches Priestertum haben wir die Tugenden Dessen zu verkünden, der uns berufen hat aus der Finsternis zu Seinem wunderbaren Licht. (1. Petr. 2, 9.) Unser Herr selbst wird dieses doppelte Priestertum einst in Vollkommenheit ausüben, wenn Er als König und Priester zurückkehren wird. Dann wird Er auf Seinem Throne sitzen und herrschen, und Er wird Priester sein auf Seinem Throne, und der Rat des Friedens wird zwischen ihnen beiden sein“ (Sach. 6, 13). Als solche, die schon jetzt Könige und Priester sind, haben wir die Reichtümer der Herrlichkeit und Gnade, die uns von Gott geschenkt sind, auch anderen mitzuteilen, vor anderen kundwerden zu lassen. Und dazu haben wir jetzt, wo die Schrecken und Röte eines furchtbaren Krieges uns umgeben, ganz besondere Gelegenheit. Als Könige sind wir ja reich und können viele Wohltaten ausstreuen. Nicht bloß können wir -— der eine mehr, der andere weniger, aber alle etwas -— von unseren irdischen Gütern austeilen, denn „an solchen Opfern hat Gott Wohlgefallen“ (Hebr. 13, 16), sondern wir dürfen auch von dem unerschöpflichen Schatz, den wir alle besitzen, von den unendlichen Reichtümern der Gnade, anderen etwas zukommen lassen. In Ausübung unseres königlichen Priestertums haben wir das Vorrecht, all den Armen, Verwundeten, Bekümmerten, mit denen uns Gott zusammenführt, die Tugenden Christi zu verkünden, alles, was in Ihm zu finden ist, der da bittet: „kommet her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen!“ Wir dürfen kundwerden lassen, was Er für uns ist an Macht, an Gnade, an Liebe, an Trost. Gott gebe, dass wir viel aus Ihm schöpfen, um viel mitteilen zu können!

@@@@@

Betrachtungen über das Buch Esther

Bibelstelle: Esther

Botschafter des Heils 1914 S. 253ff

Historisch gesehen gehört der Überrest im Buch Esther, der in Persien geblieben ist, genauso zu Juda wie die Juden, die nach Palästina zurückgekehrt sind. In den prophetischen Zeiten des Endes wird das ebenso sein. Die einen werden in Jerusalem bleiben, die anderen werden zu den Nationen fliehen (Matthäus 24, 15‑19). Das Wort zeigt uns hier nicht zwei Überreste von Juda, sondern den Überrest Judas in zwei verschiedenen Situationen: Einmal finden wir Glauben und Gehorsam, die nötig waren, um in das Erbteil zurückzukehren und den Tempel wieder aufzubauen.

Auf der anderen Seite finden wir das Volk in seiner Gleichgültigkeit und seinem Unglauben. Nur benutzt Gott die Umstände des in Persien gebliebenen Volkes, um uns im Buche Esther eine Vorstellung von der zukünftigen äußersten Not und Angst Israels zu geben. Das Wrack gewordene Schiff hat sein Steuerruder, seinen Kompass, seine Masten und seine Segel verloren; es wird in der Nacht hin‑ und hergeschleudert und auf die Riffe geworfen, an denen es im nächsten Augenblick zu zerschellen droht. Nirgends ist Hoffnung, nirgends Hilfe! Aber während dieser Zeit bereitet eine geheime Hand die Rettung durch ein Ereignis vor, das die tobenden Wogen zur Ruhe bringt und das "Schiff in den ersehnten Hafen führt". Und dieser Hafen ist die Gnade, die das Volk in Frieden in die Freude und Herrlichkeit des Reiches einführen wird. So ist auf den wenigen Seiten des Buches Esther die ganze prophetische Geschichte Israels im Vorbild zusammengefasst: die Nation ist verworfen und geknechtet; die jüdische Gemahlin, zuerst eine Sklavin, wird in Gnaden angenommen und wird zur Königin der Nationen; während der großen Trübsal fällt im fremden Lande kein Haar vom Haupt des Überrestes; die Widersacher trifft das Gesetz; die Friedensherrschaft wird eingeführt!

Das Buch Esther ist also die Geschichte der zukünftigen Zerstreuung Israels unter die Nationen, und in einem Sinn könnten wir es auf die Zerstreuung anwenden, die auf den Tod Christi bis auf unsere Tage folgte; indes geht die Erzählung, wie wir bereits sagten, weit über die gegenwärtige Zeit hinaus; sie erstreckt sich vorbildlich auf die Geschichte des Überrestes Judas, der an einem zukünftigen Tage unter die Nationen zerstreut sein wird, während ein Teil des Überrestes sein Zeugnis in Jerusalem fortsetzen wird. Alle werden in ihrem Gewissen tief berührt werden, aber das Wort erwähnt im Buch Esther diese innere Übungen nicht, um unsere ganze Aufmerksamkeit hinzulenken auf die unterbrochenen Beziehungen zwischen dem Volk und Gott, auf die Tiefe seiner Not und Angst und auf die Größe der Gnade, die ihre Rettung bewirkt.

Kapitel 1 - Ahasveros und Vasti

Die Erzählung beginnt mit der Beschreibung der selbst für unsere Zeit beispiellosen Festlichkeiten, die vom König Ahasveros (Xerxes) in Susa, der Hauptstadt des persischen Reiches, sechs Monate lang gefeiert wurden. Der Prophet Daniel hatte diese Pracht vorher mit den Worten angekündigt: "Siehe . . . der vierte (König von Persien) wird größeren Reichtum erlangen als alle; und wenn er durch seinen Reichtum stark geworden ist, wird er alles gegen das Königreich Griechenland aufregen" (Dan 11, 2). "Das dritte Jahr seiner Regierung" stimmt nach der Geschichte mit dem überein, in dem der furchtbare Kriegszug des Xerxes gegen Griechenland, das schon seinem Vater Darius siegreichen Widerstand geleistet hatte, beschlossen wurde. Wir zweifeln nicht daran, dass die ganze Entfaltung von Pracht und Macht nur den Zweck hatte, diesen Zug vorzubereiten, indem der König die Gelegenheit benutzte, um sich mit den Fürsten, den Edlen und Anführern der hundertundsiebenundzwanzig Provinzen dieses ungeheuren Reiches zu verabreden. Eine besondere Bezeichnung, die einige Männer kennzeichnet, scheint uns diese Absicht anzudeuten. Es ist die Rede von M ä c h t i g e n , die in erster Linie nach den Fürsten des Reiches kommen. Dieses Wort "die Mächtigen" bedeutet eigentlich die bewaffnete Macht, d. h. die Anführer oder Generäle des Heeres. Außer dieser Einzelheit wird nicht die geringste Andeutung über den Zweck dieses prunkvollen Empfanges gemacht. Wie wir schon in der Einleitung gesagt haben, haben alle die ungeheuren Vorbereitungen in dem Worte nur insoweit Interesse, wie sie das Volk Gottes angehen, oder, ‑ wie es hier der Fall ist ‑, wie sie den Sturz des Reiches der Nationen vorbereiten, nachdem die Nationen der Absicht Gottes nicht entsprochen haben, der ihnen infolge der Untreue Seines Volkes die unumschränkte Macht anvertraut hatte. Wie verkleinert diese Tatsache für den Gläubigen alle politischen Pläne der Menschen! Gott braucht zu dem Meer, das die Welt wieder zu bedecken droht, nur zu sagen: Bis hierher und nicht weiter! und seine Kraft erlahmt, wie der Wind, der es entfesselt hat. Und Gott verfährt so, weil Er inmitten dieses nie dagewesenen Prunks, ‑ denn neben seinem fabelhaften Reichtum regierte Ahasveros über 127 Provinzen, während Darius der Meder, so mächtig er auch war, nur 120 unter seinem Szepter vereinigt hatte (Dan 6, 1) ‑, weil Er an ein zerstreutes, zu nichts gemachtes Volk, einen Gegenstand der Verachtung und des Hasses seiner Unterdrücker, dachte. Dieses Volk werden wir gleich auf dem Schauplatz erscheinen sehen.

Lasst uns vorher noch einige Worte über Ahasveros sagen und sehen, wie das Wort ihn uns schildert. Sein natürlicher Charakter tritt in diesem Buch in treffender Weise ans Licht, und die Ähnlichkeit des biblischen Bildes könnte, wenn das nötig wäre, durch das was die Geschichte über ihn mitteilt, bestätigt werden. Ahasveros zeigt eine eigentümliche Mischung von Stolz und Schwäche. Sein Stolz wird durch den bei jeder Gelegenheit von den Großen und Statthaltern betonten Brauch genährt, dass das Gesetz der Meder und Perser unwiderruflich sei. Dieser Brauch erweckte bei dem König die falsche Meinung, dass er selbst eine geheiligte, unveränderliche Persönlichkeit sei, während er zugleich den Großen ein Mittel in die Hand gab, sich der Willkür des Thrones zu entziehen. Darauf hatten sich einst die Großen unter Darius, dem Meder, berufen, um den Propheten Daniel zu verderben. Binnen 20 Tagen sollte in dem ganzen Reich nur von Darius etwas erbeten werden, was ihn, als Herrscher, zu göttlichem Range erhob.

Der Stolz des Ahasveros treibt ihn an, den übertriebensten Prunk zu entfalten, um seine Großen und sein Volk zu blenden. Es wird außerdem bestimmt, dass, wenn jemand unaufgefordert vor ihm erscheine, er getötet werden solle. Niemand kann das Angesicht eines Gottes sehen und am Leben bleiben, es sei denn, dass der König, ein neuer Beweis seines selbstherrlichen Willens, ihm sein goldenes Szepter reiche und ihn in Gnaden empfange.

Das stolze Bewusstsein von seiner Allmacht ist bei Ahasveros mit einem schrecklichen Jähzorn verbunden, der ausbricht, wenn sich auf seinem Wege ein Hindernis oder ein Widerstand zeigt. Oftmals lesen wir in dieser Erzählung, dass der König ergrimmte und sein Zorn in ihm entbrannte (Kap. 1, 12; 2, 1; 7, 7 u. 10). Jähzorn ist nie das Zeichen von Kraft, sondern zeigt im Gegenteil die Schwäche eines Mannes, der unfähig ist sich selbst zu beherrschen. Diese Schwäche offenbart sich weiter in der Tatsache, dass Ahasveros, obwohl er sich anmaßt ein Gott ähnlicher Herrscher zu sein, der Spielball seiner Günstlinge ist; er erlaubt ihnen, sich seinen Platz zuzueignen, ist aber bereit, sie seine Rache fühlen zu lassen, wenn sie einmal sein Missfallen erregt haben sollten. Fügen wir noch hinzu, dass der König, als er bezüglich der Königin Vasti eine Entscheidung zu treffen hatte, die nur ihn angeht, sich mit Ratgebern umgibt, die ihn überzeugen, dass die Handlung der Königin sogar die Staatseinrichtung berühre.

Doch wie Ahasveros schwach und jähzornig ist, so ist er auch gleichgültig gegen das Elend seiner Untertanen; er heißt die grausamsten Handlungen gut, wenn sie ihm nur die Mühe einer Untersuchung ersparen, und liefert Tausende von Köpfen in seinem Reiche einem Bösen, seinem Günstling, aus. Wirklich, dieser schreckliche Mensch ist ohne Charakter, trotz des Anscheins der Allmacht.

Und doch, so seltsam es lautet, finden wir in Ahasveros, der sich göttliche Vorrechte anmaßt, ein Abbild der Macht G o t t e s ; denn zu einer Zeit, wo Gott Sein Angesicht vor Seinem Volke verbirgt, hat Er die Oberherrschaft den Häuptern der Nationen anvertraut. Also, Gott benutzt diesen Herrscher ‑ dessen zügelloser Ehrgeiz nichts anderes sucht, als sich Ihm gleichzustellen, indem er seinen Leidenschaften freien Lauf lässt ‑, um uns zu zeigen, wie die göttliche Autorität und Macht in unumschränkter Weise ausgeübt wird in der Absicht, Seinem Volke Gnade zu, erweisen und die ausübende Macht dem Manne Seiner Wahl zu übertragen. So hat auch der Höchste allein das Recht, Gnade zu üben; und diese unter Schatten verborgene Wahrheit brachte diesem unglücklichen und elenden Volk einigen Trost. Wir können dies hier nicht genug betonen. Während Gott Sich von Seinem Volk abgewandt hatte, blieb, dem Auge des Glaubens erkennbar, ein Autoritäts‑Grundsatz, das Recht, zu erhöhen und zu erniedrigen, das Recht, Gnade zu erweisen ‑, in der Person des wegen Untreue des Volkes von Gott bestimmten Hauptes bestehen. So besitzt Ahasveros, der in Wirklichkeit den Platz Gottes widerrechtlich einnahm, vorbildlicherweise die göttliche Autorität und stellt sie dar. Er hat die höchste Gewalt; das wird uns bildlich in diesem Buch mitgeteilt, in dem Gott verborgen ist, in dem Er uns aber, wo es Ihm gefällt, zeigt, dass Seine Autorität trotz allem besteht. Ahasveros ist, wie wir später sehen werden, auch die bildliche Darstellung der göttlichen Macht gegenüber der Esther und für den Mordokai.

Diese Wahrheit, die denen bekannt ist, die mit den Vorbildern des Alten Testamentes vertraut sind, führt uns zu anderen Feststellungen. In dem vorliegenden Kapitel sehen wir, dass Vasti, die heidnische Gemahlin, sich widerspenstig Lind ungehorsam gegen den zeigt, dessen Gunst sie auf den Thron gehoben hatte. Stolz auf ihre Stellung und ihre Vorrechte fürchtet sie sich nicht, ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Haupt, von dem sie abhängig ist, an den Tag zu legen, und weigert sich, ihre Schönheit öffentlich Zu zeigen. Diese Empörung hat ihre Verstoßung als Gemahlin zur Folge, und die gefangene jüdische Jungfrau wird berufen, einen Platz einzunehmen, den sie nie gehabt hat, nämlich den der Gemahlin des großen Königs.

Nach dem Urteil der Weisen, die Ahasveros umgeben, würde die Empörung Vastis, wenn man sie duldete, dahin führen, dass überall im Reiche die persönliche Unabhängigkeit gutgeheißen wurde. Es war deshalb nötig, dass der Befehl gegeben wurde: die heidnische Gemahlin ist völlig verstoßen. Und das ist es, was mit der aus den Nationen hervorgegangenen Kirche geschehen wird, betrachtet in ihrer Stellung als verantwortliche Christenheit. Sie wird ihrem Schicksal überlassen werden und für den Höchsten nicht mehr gelten als die geringste der Huren. Sie wird verschwinden und nie mehr erwähnt werden.

Auch vom sittlichen Gesichtspunkt aus hat dieses 1. Kapitel seine Unterweisung. Die grenzenlose Macht des Ahasveros wird durch ein schwaches Weib, das ihm widersteht, in Schach gehalten. Ein Sandkorn macht den ganzen Stolz dieses unermesslichen und so gut eingerichteten Reiches zu Schanden. Vasti kann verstoßen werden, aber ihre Tat bleibt bestehen, und der gedemütigte König ist nicht imstande, sie zum Erscheinen zu zwingen. Wenn sie sich gebeugt hätte, was würde die Folge davon gewesen sein? Hier finden wir von Anfang an die verborgene Vorsehung Gottes am Werke. Der Mensch ist voll von großartigen Plänen; ein siebentägiges Fest, die Krönung dieser langen Reihe von Festlichkeiten, führt die Auflehnung Vastis gegen die Bestimmung des Königs herbei. Ihre festgesetzte und unwiderrufliche Verstoßung geht erst bei der Rückkehr des Ahasveros in Erfüllung, wenn die durch die Vorsehung bereitete jüdische Gemahlin auf dem Schauplatz erscheinen kann und im gewollten Augenblick an die Stelle der heidnischen Gemahlin gesetzt wird.

@@@@@

Dan und Naphtali

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 260ff

Lea hatte dem Jakob bereits vier Söhne geschenkt, während Rahel kinderlos geblieben war. Im Gefühl der Herabsetzung und aus Neid gegen ihre glücklichere Schwester gab nun Rahel ihre vertraute Sklavin Bilha ihrem Manne zum Weibe. Aus dieser Verbindung gingen zwei Knaben hervor: Dan und Naphtali. Diese empfingen ihren Namen nicht von der Mutter, denn Bilha hatte sie unter Rahels Hut geboren und trat lediglich für Rahel ein. Darum sind auch beide Namen nur Namen äußerlicher Beziehung, ohne charakteristische Bedeutung.

Dan, d. h. „einer, der Recht verschafft", wurde von Rahel so genannt, weil Gott ihr Recht verschafft und auch auf ihre Stimme gehört und ihr einen Sohn gegeben hatte (1. Mose 30,6).

„Naphtali, d. h. „mein Kampf", erhielt seinen Namen, da Rahel sprach: „Kämpfe Gottes habe ich mit meiner Schwester gekämpft, habe auch obgesiegt" (1. Mose 30,8).

Beide Söhne Jakobs hatten mütterlicherseits die niedere Herkunft und infolgedessen die geringere Stellung in Israel gemein; sie waren nicht wie Levi zum heiligen Dienst, oder wie Juda zum Thron berufen. Auch standen sie in ihrer Veranlagung den älteren Brüdern nach, und ein gewisser Mangel an Charakter prägte sich in ihrem Leben aus.

„Dan wird eine Schlange sein am Wege, eine Hornotter am Pfade, die da beißt in die Fersen des Rosses, und rücklings fällt sein Reiter" (1. Mose 49,17).

„Naphtali ist eine losgelassene (oder anmutige) Hindin; er, der schöne Worte gibt" (1. Mose 49,21).

Beiden fehlt der Heldenmut, die offene ehrliche Kraft; sie besitzen dagegen Hinterlist und schmeichlerische Gewandtheit. Und doch schmückte göttliche Gnade auch diese unedlen Naturen!

„Dan wird sein Volk richten, wie einer der Stämme Israels" (1. Mose 49,16). „Er ist ein junger Löwe, der hervorspringt aus Basan" (5. Mose 33,22). Und von Naphtali wird gesagt: „Er ist gesättigt mit Huld und voll des Segens Jehovas! Westen und Süden nimm in Besitz" (5. Mose 33,23)!

Dans Naturanlage ist also eine sehr niedrige; mit der Gewalttätigkeit des Löwen verbindet sich die Hinterlist der Schlange. Die gleichen Eigenschaften, die den Teufel kennzeichnen, geben dem Wesen Dans ihr Gepräge. Der Teufel geht ja „umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge" (1.Petrus 5,8). Auch werden wir aufgefordert, „den Listen" der „alten Schlange", welche Teufel und Satan genannt wird, zu widerstehen (siehe Epheser 6,11; Offenbarung 12,9). In diesen beiden Charakterzügen des Erstgeborenen der Bilha trat von jeher der Teufel dem Volke Gottes gegenüber. Was er durch Balak und Bileam nicht fertig brachte, das gelang ihm durch die Töchter Moabs (4. Mose 24 u. 25). Was er nicht durch die hohen Mauern von Jericho erreichen konnte, das gelang ihm in Gibeon durch listige Ränke (Josua 9).

Es ist begreiflich, dass der sterbende Jakob angesichts einer so gefährlichen bösen Charakterveranlagung seines Sohnes Dan den Segensspruch mit dem Ausruf schloss: „Auf deine Rettung harre ich, Jehova" (1. Mose 49,18)!

Gewalttätigkeit im Verein mit listigen Ränken finden sich in der Geschichte Dans, soweit das Wort uns darüber Auskunft gibt, wieder. Selbst die Art und Weise, wie Simson, der einzige Richter aus dem Stamme Dan, sein Richteramt versah, hing mit dieser angeborenen Gemütsart zusammen. Welch gewaltige Kraft zeigt sich in dem Helden, der „einen jungen Löwen zerriss, wie man ein Böcklein zerreißt, und er hatte gar nichts in seiner Hand" (Richter 14,6), der „die beiden Mittelsäulen, auf welchen das Haus ruhte, mit kräftigem Arm umfasste, dass das ganze Gebäude zusammenstürzte" (Richter 16,29)! Und zugleich welch feine berechnende List, durch die er die Philister Zug um Zug in das Netz lockte und darin fing!

Wie den anderen Stämmen war auch dem Dan durch Josua ein Erbteil im gelobten Lande überwiesen worden. Die Grenzen des ihm durch das Los zugefallenen Gebiets finden wir in Josua 19,41-46 aufgezeichnet. Seine Aufgabe war es gleichfalls, „seine Fußsohle darauf zu setzen" (Josua 1,3) und es sich kämpfend zu eigen zu machen. Aber der starke Dan zeigt sich so glaubensschwach, dass er sich von den Amoritern ins Gebirge zurückdrängen lässt (Richter 1,34). Statt mit der Hilfe Jehovas den Kampf fortzusetzen, den Feind niederzuringen und ihn vom Erbteil zu vertreiben, suchen sich die Kinder Dan anderweitig Wohnsitze. Sie kundschaften ein Land aus am äußersten Ende Kanaans, fern von dem Auge und den Zeugen Jehovas, und ihr Blick fällt, gerade wie vormals das Auge Lots, auf „einen Ort, wo es an nichts mangelte von allem was auf Erden ist" (Richter 18,10).

Dort lag eine Stadt, Leschem, auch Lais genannt, und die Kundschafter „sahen das Volk, das darin war, in Sicherheit wohnen, nach Art der Zidonier, ruhig und sicher; und niemand, der die Herrschaft besessen hätte im Lande, tat ihnen irgend etwas zuleide; und sie waren fern von den Zidoniern und hatten mit Menschen nichts zu schaffen (Richter 18,7).

Ja, das war etwas für den feigen, hinterlistigen Dan, für die Schlange am Wege, die da beißt in die Fersen des Rosses, und rücklings fällt sein Reiter! Sie überfielen hinterlistig die nichtsahnende Stadt „Lais, ein ruhiges und sicheres Volk, und schlugen es mit der Schärfe des Schwertes; und die Stadt verbrannten sie mit Feuer. Und kein Erretter war da; denn die Stadt war fern von Zidon, und sie hatten nichts mit Menschen zu schaffen" (Richter 18,27-28). Zu dieser Tat war Dan willig, aber vor den Amoritern, den Feinden seines Landes, zog er sich furchtsam zurück. Und wo war D a n zu finden, als Barak gegen Jabin und dessen Heerobersten Sisera den Kampf Jehovas stritt? Debora fragt in ihrem Lobgesang: „Und Dan, warum weilte er auf Schiffen" (Richter 5,17)? Ihm lag der Handel näher, als die Sache Jehovas. Ebenso hatte er auch sein Erbteil gering geschätzt und einen sicheren behaglichen Platz in der Welt dafür eingetauscht. Der „schweren Hand des Hauses Joseph" überließ er es, sich die Amoriter fronpflichtig zu machen (Vergl. Richter 1,35). Ob nicht gerade in dieser Tatsache die Erklärung dafür zu suchen ist, weshalb Dan in der Aufstellung der zwölf Stämme in Offenbarung 7 fehlt und durch Manasse, den Sohn Josephs, ersetzt ist?

Nachdem sie nun die Stadt Lais verbrannt hatten, „bauten sie die Stadt wieder auf und wohnten darin; und sie gaben der Stadt den Namen Dan nach dem Namen Dan, ihres Vaters ... Und sie stellten sich das geschnitzte Bild Michas auf, das er gemacht hatte, alle die Tage, da das Haus Gottes in Silo war" (Richter 18,28. 29. 31). - Bemerken wir das stufenweise Fortschreiten der Sünde Dans. Sie begann mit dem Mangel an Wertschätzung des ihnen von Jehova geschenkten Erbteils und dem Mangel an Glauben, es zu erkämpfen, dann richteten sie mit dem Auge Lots ihre begehrlichen Blicke dahin, „wo es an nichts mangelte von allem, was auf der Erde ist", und nannten die eroberte Stadt nach ihrem Vater, Dan, dessen Name für sie bedeutsamer war als der Name Jehovas. Und endlich kam das Schlimmste: an Stelle der Anbetung errichteten sie das geschnitzte Bild Michas. Sie verfielen in eine falsche, verbotene Form des Gottesdienstes, in den Bilderdienst. Und Später war es gerade diese Stadt, in der Jerobeam I. die Sünde Dans wiederholte und dem Kälberdienst ein Heiligtum eröffnete.

Bilder- oder Kälberdienst ist (ebenso wie der Höhendienst) noch kein Götzendienst, wenn er auch in den schlimmen Zeiten eines Ahab und eines Manasse damit zusammenfiel. Ein solcher Gottesdienst war dem Gott Israels gewidmet, er war also noch nicht eine Anbetung toter Götzen aus Gold, Silber oder Stein. Beides war aber nach dem Gesetz vom Sinai nicht erlaubt. Das erste Gebot: „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir", verbot den Götzendienst; das zweite Gebot: „Du sollst dir kein geschnitztes Bild machen, noch irgend ein Gleichnis dessen, was oben im Himmel, und was unten auf der Erde, und was in den Wassern unter der Erde ist. Du sollst dich nicht vor ihnen niederbeugen und ihnen nicht dienen" - dieses zweite Gebot verbot den Bilderdienst, die falschen Formen der Anbetung.

Es gab damals zwei Formen des Bilderdienstes. Die eine rührte aus Ägypten her, die andere, die sich mehr im Verborgenen hielt, aus Chaldäa, der Heimat Israels.

In Ägypten wurden die Götter nicht bloß in Tierbildern, sondern auch in lebenden Tieren verehrt, so der Gott Osiris in dem heiligen Stier Apis und der Sonnengott zu Heliopolis in dem Stiere Mnevis. Wir haben das Seitenstück dazu in dem goldenen Kalbe, das Aaron auf Verlangen des Volkes als eine Vergegenwärtigung Jehovas machte (2. Mo 32). Dieses Bild sollte den Gott bedeuten, der Israel aus dem Lande hernufgeführt hatte (V. 1), also Jehova Selbst, wie Aaron im 5. Verse sagt. Dieser traurige Vorgang wurde später von Jerobeam, der vor seiner Thronbesteigung als politischer Flüchtling in Ägypten gelebt hatte, wieder aufgenommen. In Dan und Bethel - dem nördlichsten und südlichsten Punkt seines Reiches - wurden zwei Tempel erbaut und in ihnen goldene Kälber, als Bilder von Jehova, aufgestellt; „er machte Priester aus sämtlichem Volke, die nicht von den Kindern Levi waren" (1. Könige 12,31). Diese Sünde, womit Jerobeam Israel sündigen machte, wird im Worte Gottes stets bestimmt vom Baals- und Götzendienst unterschieden.

Die andere aus Chaldäa stammende Form des Bilderdienstes war der Dienst der Teraphim (1. Mose 31,19. 34). Das waren, wie wir aus 1. Samuel 19,13-16 wissen, menschenähnlich geformte Bilder von Hausgöttern, die auch als glückbringend verehrt wurden, und denen man die Kraft der Wahrsagung zuschrieb. In der Zeit der Richter wurden diese Hausgötter mit dem hohenpriesterlichen Ephod in Verbindung gebracht, und zwar durch den Ephraimiten Micha (Richter 17). Dieser Mann machte sich ein Gotteshaus imd stellte ein Bild Jehovas hinein, um den Gott Israels so recht zu seinem Hausgebrauch zu haben. Dazu schaffte er sich ein dem hohenpriesterlichen nachgebildetes Ephod an, mit Theraphim, (vielleicht an Stelle der Urim und Thummim) und schließlich nahm er einen Leviten (einen Enkel Moses) in Dienst, als Priester bei seinem Gottesdienst.

Diese ganze Einrichtung des Bilderdienstes - „das geschnitzte Bild, und das Ephod und die Teraphim und das gegossene Bild, mitsamt dem Priester" - raubten die Kinder Dan und stellten alles in der neuerbauten Stadt Dan auf (Richter 18).

Soweit war es mit Dan gekommen, dass er ein Heiligtum mit einem Bilde, das von Menschenhand zur Verehrung Jehovas gemacht war, dem Platz der Anbetung vorzog, wo der Herr Selbst wohnte in der Wolke über der Lade des Bundes, wo der Hohepriester war, der „im Licht und Recht" (Urim und Thummim) Gottes untrügliche Stimme an das Volk richtete. Was hilft aber alle Pracht, alle Herrlichkeit, wo die Gegenwart des Herrn fehlt? Was nützen Heiligtümer ohne Gott, in denen nur Bilder zur Erinnerung an die göttliche Gegenwart zu finden sind?

So ist auch heute noch der Teufel bereit, den Menschen alles Mögliche anbeten zu lassen, die Bibel, das Kreuz und was sonst noch, wenn es nur nicht Gott Selbst ist. Er sieht ruhig zu, wenn man sich vor Bildern beugt, statt vor dem gegenwärtigen Herrn. Und welch ein bunter Bilderdienst hat sich durch die List des Teufels schon in die verfallene Kirche eingeschlichen! Sogar in den Händen und Schriften wahrer Gläubiger erblickt man oft Bilder und Darstellungen von unserem teuren Herrn und tut damit den ersten Schritt zum Bilderdienst. Man denkt nicht daran, dass im Evangelium die äußere Erscheinung Jesu in keiner Weise beschrieben ist, und dass überhaupt jede menschliche Darstellung den teuren Herrn, Der, hochgelobt in Ewigkeit, höher geworden ist als alle Himmel, nur erniedrigen kann.

Die böse Dans-Natur ist es, die die Christenheit bis zum Bilderdienst gebracht und sie in Aberglauben versenkt hat, und möchten wir, im Gedenken daran, auch mit Jakob seufzen: „Auf deine Rettung harre ich, Jehova"!

Satan tritt dem Menschen nicht nur als „ein brüllender Löwe" oder als „eine zischende Schlange" gegenüber, sondern nimmt je nachdem auch die Gestalt eines „Engels des Lichts" an (2. Korinther 11,14). In dieser Verkleidung wirkt er besonders verführerisch auf solche, die die Natur und Anlage eines Naphtali haben. Naphtali war schön, anmutig wie eine Hindin, seine Stimme fesselte durch ihren Liebreiz. Der Sinn und die Gabe für das Schöne lag in ihm, und daher war er besonders empfänglich für all die Reize einer Welt, deren Fürst und Gott Satan ist. Leicht windet sich der Strick des Weltsinnes um die Füße eines mit so vielen äußeren Vorzügen begnadeten Menschen. Wie oft wurde schon Schönheit zu einem Fallstrick! Selbst von Satan, der „das Bild der Vollkommenheit war, voll von Weisheit und vollkommen an Schönheit" sagt der Prophet: „Dein Herz hat sich erhoben ob deiner Schönheit" (Hesekiel 28,12. 17).

Manche Menschen können sich dieser Schönheit, die nur Wert bei Menschen hat, rühmen. Zum Beispiel Saul „war jung und schön, und kein Mann von den Kindern Israel war schöner als er" (1. Sam 9,2). Von Absalom sagt das Wort: „In ganz Israel war kein Mann wegen seiner Schönheit so sehr zu preisen, wie Absalom; von seiner Fußsohle bis zu seinem Scheitel war kein Fehl an ihm" (2. Samuel 14,25). Er hatte auch eine Tochter, ihr Name war Tamar; „sie war ein Weib, schön von Ansehen".

Es gibt aber eine andere Art von Schönheit, die bei den Gläubigen wohl mit äußerer Schönheit gepaart sein kann, die aber vor Gott Wert hat, weil sie der Widerschein Seines Charakters ist. Denken wir nur an die außen und innen hervorstrahlende Schönheit eines Joseph, eines Daniel oder an die Davids, „des Lieblichen in Gesängen Israels". Aber was ist die innere Schönheit dieser Männer, verbunden mit der äußeren, angesichts der Schönheit Jesu Christi? Er hatte kein äußeres Ansehen, Sein Aussehen war entstellt, aber der volle Glanz Seiner Herrlichkeit strahlte aus Seinem Angesicht. „Du bist schöner als die Menschensöhne, Holdseligkeit ist ausgegossen über deine Lippen" (Psalm 45,2).

Und gerade auf Naphtalis Erbteil erhob sich der Bergabhang, auf dessen Höhe in der Bergpredigt die Holdseligkeit von diesen Lippen ausströmte; und in Naphtalis Stamm lag Kapernaum, lagen alle die Flecken und Dörfchen im „Westen und Süden" des Sees Genezareth, die durch die Fußtapfen des „Schönsten unter den Menschensöhnen" verewigt worden sind.

„Naphtali ist eine anmutige Hindin, er, der schöne Worte gibt. Naphtali, gesättigt mit Huld und voll des Segens Jehovas!"

Ja, Naphtali war sehr gesegnet mit äußeren Vorzügen. Der Sinn und die Gabe für das Schöne erfüllte ihn, darum war er auch berufen, mit an dem Tempel des Herrn zu bauen. Als Salomo an den Teil des Baues kam, dessen Ausführung Kunst- und Schönheitssinn erforderte, da ließ er Hiram von Tyrus holen, den Sohn einer Witwe aus dem Stamme Naphtali, (1. Könige 7,13. 14) „einen kunstverständigen, einsichtsvollen Mann, der zu arbeiten wusste in Gold und in Silber, in Erz, in Eisen, in Steinen und in Holz, in rotem Purpur, in blauem Purpur und in Byssus und in Karmesin, und allerlei Schnitzarbeit zu machen, und allerlei Kunstwerk zu ersinnen" (2. Chronika 2,13. 14). Die ehernen Säulen mit ihren geschmückten Kapitalen, das eherne Meer, die ehernen Rinder, kurz, alles, was Kunstsinn verlangte, wurde von dem Künstler aus Naphtalis Stamm angefertigt.

Eine große Gefahr bedroht nun gerade den für das künstlerisch Schöne empfänglichen Sinn: die Liebe zur Welt mit ihrem schönen Schein, der Weltsinn, die Weltförmigkeit. Hirams Mutter hatte die Grenze der Absonderung bereits überschritten und sich mit einem Heiden aus dem schönen heidnischen Tyrus verheiratet (1. Könige 7,14). Sobald Jünger des Herrn dem Sinn für das Schöne nachgeben und dem Satan in der Lichtgestalt eines Engels ihr Ohr leihen, verlassen sie ihre innere Kraft; sie haben dann wohl schöne Worte wie Naphtali in der Beurteilung göttlicher Dinge, haben zwar eine Form der Gottseligkeit, aber verleugnen deren Kraft.

Dasselbe Volk, das, wie Debora sang, seine Seele dem Tode preisgeben konnte im Kampfe für Jehova (Richter 1,33) war zu schwachen und kraftlosen Charakters, um die Bewohner von Beth-Semes und Beth-Anath aus ihrem Erbteil auszutreiben, und „wohnte inmitten der Kanaaniter" (Richter 1,33).

Dieselbe Charakterschwäche sehen wir auch in Barak, der ja auch aus Naphtali stammte. Er weigerte sich gegen Sisera zu kämpfen, wenn nicht das Weib Debora ihm helfend zur Seite stehen würde (Richter 4,8).

__________

Wir lernen aus der Geschichte Dans und Naphtalis, wie Satan stets an unsere natürlichen Anlagen anknüpft und die entsprechenden Fallstricke gebraucht, um uns die Welt in irgend einer Form wieder nahe zu bringen, diese Welt, deren Fürst und Gott er ist, die nichts anderes anbieten kann als die Lust des Fleisches, die Lust der Augen und den Hochmut des Lebens. Es ist daher gut, dass wir seine Kampfesweise kennen, dass wir wachsam sind, ganz gleich, ob er in der Gestalt eines Löwen, einer Schlange oder eines Engels des Lichtes kommt. Seine Kraft brauchen wir nicht zu fürchten, wenn wir uns nur nahe bei dem Herrn halten, der ihn bereits überwunden hat. Es wird uns auch nicht gesagt, dass wir seine Macht, wohl aber, dass wir seinen Listen widerstehen sollen; sobald wir seine Schlingen sehen, können wir sie vermeiden. Bedenken wir aber, daß nicht das Erkennen Satans uns befähigt, seine Anschläge zu vereiteln, sondern allein unser Bleiben in der Gegenwart Gottes. Bevor wir durch Jakobus ermahnt werden, dem Teufel zu widerstehen, wird uns gesagt: „Unterwerfet euch nun Gott" (Jak 4,7)! Unsere Natur - mag sie die Dans oder die Naphtalis sein - ist ja die Natur des eigenen Willens; sie steht in völligem Gegensatz zu Ihm, der sagte: „Ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun" (Heb 10,7), und Der durch diese Unterwerfung und durch Gehorsam gegen Sein Wort dem Teufel widerstand und ihn durch alle Versuchungen hindurch besiegte.

Also Gott unterworfen sein und die ganze Waffenrüstung Gottes ergreifen (Epheser 6,13), das ist die notwendige Vorbedingung zu einem siegreichen Kampfe mit dem Erzfeind unserer Seelen.

Wie steht es da mit uns? Wie erscheinen wir manchmal bei einem Aufruf unseres Heerführers? Wie tief kann Weltförmigkeit den Gläubigen erniedrigen!

Der Gürtel der Wahrheit umschließt uns vielleicht locker, der Brustharnisch der Gerechtigkeit sitzt lose, weil „wir uns nicht geübt haben, allezeit ein Gewissen ohne Anstoß zu haben vor Gott und den Menschen" (Vergl. Apg. 24,16). Am linken Arm hängt der Schild herunter, und die Rechte hat das Schwert fallen lassen. Über allem weiß man nicht recht, wie der Helm sitzt und ob man wirklich das Heil besitzt und errettet ist. Und nicht allein der Kopf ist unbedeckt, auch die Füße sind unbeschuht, der wahre stille Frieden ist verloren gegangen. Sollte man beim Anblick eines solchen Zustandes nicht auch mit Jakob aufseufzen: Auf Deine Rettung harre ich, Jehova?

Der Aufforderung des Jakobus: „Widerstehet dem Teufel, und er wird von euch fliehen"! folgen die Worte: „Nahet euch Gott, und er wird sich euch nahen, säubert die Hände, ihr Sünder, und reiniget die Herzen, ihr Wankelmütigen" (Jakobus 4,8).

Welch ein glücklicher Wechsel! Satan ist in der Flucht, wir nahen Gott und Er Sich uns. Wohl hat Sich Gott genaht, um uns zu retten; hier handelt es sich aber um die Verwirklichung dieser Nähe, um die Innigkeit Seiner Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft zu genießen ist das Vorrecht aller Seiner Kinder. Aber wir müssen von den tausend bösen Dingen und Gedanken, die sich in unser Herz einschleichen, befreit sein, müssen unsere Hände, die wir, wie Dan, verunreinigt haben, säubern und unsere wankelmütigen Naphtal-Herzen erst reinigen, um mit gutem Gewissen Gott nahen zu können.

Als Gott den Jakob aufforderte, nach Bethel zu ziehen, und da einen Altar zu machen, verstand Jakob zugleich, was Jehova von ihm forderte, und „sprach zu seinem Hause und zu allen, die bei ihm waren: Tut die fremden Götter hinweg, die in eurer Mitte sind, und reiniget euch, und wechselt eure Kleider; und wir wollen uns aufmachen und nach Bethel hinaufziehen, und ich werde daselbst einen Altar machen dem Gott, der mir geantwortet hat am Tage meiner Drangsal und mit mir gewesen ist auf dem Wege, den ich gewandelt bin" (1. Mose 35,2. 3).

So wollen wir, wenn unser bisheriger Gottesdienst nur etwas von der Sünde, von dem Bilderdienst Dans befleckt war, oder wenn unsere Naphtali-Natur uns die Welt hat lieb gewinnen lassen, die fremden Götter aus unserer Mitte hinwegtun, uns reinigen von den Neigungen nach dieser Welt, unsere in der Wüste beschmutzten Kleider wechseln, und dann von neuem uns Gott nahen. Tun wir das, so wird es uns ebenso gehen, wie dem Jakob in Bethel (1. Mose 35,9-12). Gott wird uns Seinen Namen offenbaren, wird uns Seine Gemeinschaft geben und von neuem kundtun, was Er uns alles in Christo geschenkt hat.

@@@

Wo sollen wir unser Licht leuchten lassen?

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 274ff

„Man zündet nicht eine Lampe an und stellt sie unter den Scheffel, sondern auf das Lampengestell, und sie leuchtet allen, die im Hause sind“ (Matth. 5, 15.) Wo sollen wir unser Licht leuchten lassen? Vor den Menschen, und zwar zuerst vor unserer nächsten Umgebung, im Familienkreise. Das ist ein so alter, bekannter Satz, dass man meint es sei überflüssig, ihn zu wiederholen. Und doch wissen wir aus schmerzlicher Erfahrung, dass wir nichts so leicht vergessen wie gerade ihn. Wir bemühen uns, freundlich, geduldig, nachgiebig u. s. w. zu sein, wenn wir uns außerhalb unseres Hauses, bewegen, aber daheim meinen wir, mit dem bequemen Hausrock auch die Erlaubnis zu einem gewissen Sichgehenlassen. anziehen zu dürfen. Ja, mancher ist, während er draußen ein verbindliches Lächeln auf den Lippen trägt, zu Hause mürrisch und unzufrieden. Frau, Kinder, Dienstboten -— niemand vermag es ihm recht zu machen. Wie würde der Herr so etwas nennen, auch wenn es noch nicht gerade diese ausgeprägte Form angenommen hätte?-— Heuchelei! Ein scharfes Wort! Und doch wie. wahr! Gott gebe uns Gnade zu einer ernsten - Selbstprüfung in dieser Beziehung! Zur „Aufweckung unserer lauteren Gesinnung“ sei hier an eine kleine. Geschichte erinnert, die manchem von uns schon bekannt sein dürfte; aber wir haben uns ja bereit“ gesagt, dass wir der „Erinnerung« bedürfen“ (Vergl. 2. Petr. 3, 1). Ein Christ erzählt: Ich war einmal der Gast eines als sehr fromm bekannten Mannes. Er begann den Tag mit einem langen Gebet, in welchem er den Herrn bat, ihn vor Sünde zu bewahren und ihm die Gesinnung Jesu zu geben. Es war ein treffliches Gebet, und unwillkürlich dachte ich: Dieser Mann muss ein vortrefflicher Christ sein. Eine Stunde später, als ich über den Hof ging, hörte ich ihn schelten und schimpfen. Bei meiner Rückkehr ins Haus wurde es noch schlimmer. Nichts war ihm recht. Er war aufgeregt und voll Ungeduld. Nach dem Abendessen konnte ich mich nicht enthalten ihn zu fragen: „Sie haben heute wohl eine große Enttäuschung erlebt?“ Wieso? Ich verstehe Sie nicht.“ „Ich meinte heute Morgen, dass Sie ein großes Geschenk erwarteten. Es ist aber anscheinend nicht eingetroffen“. „Ich ein Geschenk?" fragte er ganz erstaunt. „Ja wohl, ich habe Sie davon reden hören“. Mich von einem Geschenk reden hören? Da müssen Sie wohl geträumt haben, denn ich habe gar kein Geschenk erwartet.“ „Vielleicht nicht“, entgegnete ich ruhig; »aber gesprochen haben Sie davon, und ich habe erwartet, dass Sie es erhalten würden.“ Als er mich ganz verständnislos ansah, erklärte ich ihm den Sinn meiner Worte und sagte: „Sie erinnern sich doch, dass Sie heute früh in Ihrem Gebet Gott dringend gebeten haben, Sie vor Sünde zu bewahren, Ihnen Christi Sinn zu geben und Ihr Herz in Seiner Liebe zu erhalten?“ „Ach, das meinen Sie!“ erwiderte mein Gastgeber in einem Tone, der mir zeigte, dass er unangenehm berührt war, und in fast schroffer Weise gab er dem Gespräch eine andere Wendung.

@@@

Der Herr ist nahe

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 277ff

(Aus einem alten Briefe.)

Geliebte Brüder und Schwestern im Herrn! Der Tag des Abfalls nähert sich mit schnellen Schritten, und damit auch der Augenblick, wo der Herr die Seinigen zu sich entrücken wird. Wer ein geöffnetes Auge für die Zeichen der letzten Zeit hat, kann nicht im Zweifel darüber sein, dass der Tag der Gnade bald zu Ende sein wird. Wenn je, so ist es in dieser ernsten Stunde wichtig, dass wir uns offen fragen, wie es mit uns steht, und wie unser Verhalten als Jünger und Jüngerinnen Christi ist. Ich hoffe deswegen, ihr werdet das Wort der Ermahnung ertragen, das ich mich gedrungen fühle an euch zu richten. Wenn ihr durch die Gnade, die umso heller erstrahlt, je mehr ihre Zeit zu Ende geht, errettet worden seid von der Gottlosigkeit und dem Unglauben, welche die Christenheit völlig zu durchdringen drohen, so handelt es sich jetzt für euch darum, ob ihre eure Verantwortlichkeit fühlt und die gesegnete Stellung, die ihr eingenommen habt, wertschätzt, so dass ihr darin wandelt als solche, die göttlich erleuchtet worden sind. Glaubt mir, der gegenwärtige Augenblick hat in der ganzen Geschichte der Welt nicht seines gleichen gehabt, und unter euch besonders sucht Satan sein verderbliches Werk zur Vollendung zu bringen, das umso gefährlicher ist, weil er es listiger als je anfängt. Seine Absicht ist immer, euch praktisch von Christo zu entfernen, selbst während ihr vielleicht auf dem Boden der Wahrheit steht und daher nichts befürchten zu müssen meint. Er kann sich selbst der Wahrheit bedienen, um euch zu schaden. So befindet ihr euch z. B. wohl auf sicherem Boden, so lange ihr in Gemeinschaft mit Gott bleibt und Christus euch alles ist. Sobald aber irgend Etwas zwischen Ihn und die Seele tritt, verwandelt sich der philadelphische Charakter in denjenigen von Laodicäa. Eure richtige Stellung hilft euch dann nichts mehr, eure Kraft schwindet, und ihr seid so schwach und unfähig zum Widerstand, wie irgend ein anderer Mensch. Viele von euch sind jung, sind erst kürzlich bekehrt worden und kennen nicht die Tiefen Satans. Wie sehr wünsche ich, solche ernstlich zu warnen. Der Feind, ich wiederhole es, hat es besonders aus euch abgesehen und sucht auf die eine oder andere Weise die Welt zwischen euch und Christum zu bringen. Die Mittel, deren er sich bedient, erscheinen oft gar unbedeutend. Es ist erstaunlich, welch geringfügige Dinge er braucht, um seinen Zweck zu erreichen. Er greift nicht gleich zu groben Fal1stricken (später zwar weiß er auch die zu benutzen, wenn ihr ihm nachgebt), sondern er bedient sich im Anfang ganz gewöhnlicher, anscheinend unschuldiger Dinge, welche an und für sich niemand verurteilen könnte, die aber nichtsdestoweniger das langsam wirkende Gift enthalten, das euch vom Herrn entfernen und euer Zeugnis vernichten soll. Und wenn ihr fragt, was ich damit meine, so zeigt das allein schon die einschläfernde Wirkung dieser Tätigkeit des Feindes. Hütet euch, ihr lieben Brüder und Schwestern, vor dem Geist dieses Zeitlaufs! Eure Reden, eure Kleidung, euer Benehmen, euer Mangel an geistlicher Gesinnung verraten deutlich genug, dass ihr euch von ihm habt anstecken lassen. Lastet es nicht als Folge davon oft wie ein Alp auf uns, macht sich nicht vielfach ein trauriger Mangel an Kraft fühlbar? Die Form der Gottseligkeit ist vorhanden, aber wo ist ihre Kraft? Wenn man sich der Welt gleichstellt, so gleitet man notgedrungen bald auf den gleichen Boden mit ihr hinab, und die bevorzugte Stellung, die wir einnehmen, gereicht uns dann, statt zum Segen, nur zum Gericht. Entweder Christus oder die Welt. Ihr könnt, ihr dürft nicht Christum und die Welt haben. Gott, der euch in Seiner Gnade von der Welt befreit hat, kann nicht zugeben, dass ihr diese Gnade missbraucht und nicht den geraden Weg wandelt; denn ihr seid nicht mehr von der Welt. Die Stellung, welche Kinder Gottes in dieser letzten Zeit einzunehmen berufen sind, ist kostbar. Seit mehr als 1800 Jahren, diese ganze lange Nacht hindurch, hat es Christen gegeben, welche für ihren Herrn im Kampfe dastanden und wachen mussten, während ihr euch jetzt dem Augenblick nähert, wo die Posaune erschallen wird und ihr befreit und durch den Herrn Jesum selbst eingeführt werdet in das Haus des Vaters. Deshalb erwacht aus eurer Schläfrigkeit, schlummert nicht länger, und der Christus wird euch leuchten. Werft eure Götzen weg, reinigt eure Kleider und demütigt euch vor Gott in ernstem Selbstgericht. Wenn ihr Ihm also nahet, werdet ihr in Ihm ungeahnte Schätze der reichsten Güte finden. O möchte doch die Schmach Ägyptens wirklich von euch abgewälzt werden! Möchten eure Gespräche den Herrn und Seine Interessen zum Gegenstand haben, anstatt, wie es so oft der Fall ist, eher alles andere als Ihn! Möchte man nicht beständig euer Fehlen unter denen zu beklagen haben, die sich regelmäßig zum Gebet versammeln! Ach, nie war es nötiger zu beten als jetzt. Vernachlässigt auch nicht die Gelegenheiten, euch zur Betrachtung des Wortes zu versammeln; schöpft täglich Licht und Kraft aus demselben, denn durch dieses Wort allein werdet ihr bewahrt vor den Pfaden des Verderbers. Trachtet danach, dass euer Leben eine Darstellung der Belehrung sei, welche ihr aus diesem Wort empfangt, und von der Wahrheit, wie sie in dem Jesus ist. O Geliebte, ihr gehört Christo an, und Christus ist euer. Verleugnet nicht in eurem Wandel diese heilige Verbindung! Wofür solltet ihr euch verführen und abwendig machen lassen von der Treue und Einfalt gegen Christum? Für leere Träber und bittere Früchte, zu deren Erwerb ihr die kurze Zeit hienieden gebrauchen müsstet, die ihr für den Herrn verwenden solltet, und die also euch selbst reichen Segen bringen würde? Denn alles was ihr hier tut in der Kraft des Geistes wird euch am Tage Christi zum Ruhm gereichen; und ihr werdet das Wohlgefallen dessen ernten, dem ihr als Eigentum angehört. Wolltet ihr Ihm diese Freude verderben? Ist das eure Antwort auf die Mithin! Seiner Seele? O denkt an Seine Hingabe, in welcher Er sich ans Kreuz schlagen ließ, mitten zwischen zwei Übeltätern, ein Schauspiel für Menschen und Engel, und alles dies für euch! Er hätte die Welt in Besitz nehmen können, ohne durch den Tod zu gehen· Aber dann hätte Er euch eurem Schicksal überlassen müssen, und das wollte Er nicht. Und ihr, die ihr durch Seine Armut, durch Seine bitteren Leiden und Seinen Tod reich geworden seid, ihr wolltet euch der Welt gleichstellen oder euch wenigstens durch sie leiten und beeinflussen lassen und Jesum Christum tatsächlich beiseite setzen? Wahrlich nicht. Gewiss braucht eure lautere Gesinnung nur aufgeweckt zu werden in Bezug auf diese Dinge. Wir haben viel Schwäche, viel Mangel an Entschiedenheit und Hingabe miteinander zu beklagen, was uns sicher ernst machen sollte. Aber lasst uns Mut fassen und aufs neue uns aufraffen, um dem Herrn nach zu wandeln, der in Seiner Treue und Barmherzigkeit uns stets wieder aufwecken und aus einem Zustand der Erschlaffung herausbringen will. Mögen unsere Herzen auf diese Bemühungen unseres Herrn antworten, und möge nichts uns hindern zu rufen: Komm! Dann werden wir nicht beschämt werden vor Ihm bei Seiner Ankunft.

@@@@

Der Herr ist nahe

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 277ff

(Aus einem alten Briefe.)

Geliebte Brüder und Schwestern im Herrn! Der Tag des Abfalls nähert sich mit schnellen Schritten, und damit auch der Augenblick, wo der Herr die Seinigen zu sich entrücken wird. Wer ein geöffnetes Auge für die Zeichen der letzten Zeit hat, kann nicht im Zweifel darüber sein, dass der Tag der Gnade bald zu Ende sein wird. Wenn je, so ist es in dieser ernsten Stunde wichtig, dass wir uns offen fragen, wie es mit uns steht, und wie unser Verhalten als Jünger und Jüngerinnen Christi ist. Ich hoffe deswegen, ihr werdet das Wort der Ermahnung ertragen, das ich mich gedrungen fühle an euch zu richten. Wenn ihr durch die Gnade, die umso heller erstrahlt, je mehr ihre Zeit zu Ende geht, errettet worden seid von der Gottlosigkeit und dem Unglauben, welche die Christenheit völlig zu durchdringen drohen, so handelt es sich jetzt für euch darum, ob ihre eure Verantwortlichkeit fühlt und die gesegnete Stellung, die ihr eingenommen habt, wertschätzt, so dass ihr darin wandelt als solche, die göttlich erleuchtet worden sind. Glaubt mir, der gegenwärtige Augenblick hat in der ganzen Geschichte der Welt nicht seines gleichen gehabt, und unter euch besonders sucht Satan sein verderbliches Werk zur Vollendung zu bringen, das umso gefährlicher ist, weil er es listiger als je anfängt. Seine Absicht ist immer, euch praktisch von Christo zu entfernen, selbst während ihr vielleicht auf dem Boden der Wahrheit steht und daher nichts befürchten zu müssen meint. Er kann sich selbst der Wahrheit bedienen, um euch zu schaden. So befindet ihr euch z. B. wohl auf sicherem Boden, so lange ihr in Gemeinschaft mit Gott bleibt und Christus euch alles ist. Sobald aber irgend Etwas zwischen Ihn und die Seele tritt, verwandelt sich der philadelphische Charakter in denjenigen von Laodicäa. Eure richtige Stellung hilft euch dann nichts mehr, eure Kraft schwindet, und ihr seid so schwach und unfähig zum Widerstand, wie irgend ein anderer Mensch. Viele von euch sind jung, sind erst kürzlich bekehrt worden und kennen nicht die Tiefen Satans. Wie sehr wünsche ich, solche ernstlich zu warnen. Der Feind, ich wiederhole es, hat es besonders aus euch abgesehen und sucht auf die eine oder andere Weise die Welt zwischen euch und Christum zu bringen. Die Mittel, deren er sich bedient, erscheinen oft gar unbedeutend. Es ist erstaunlich, welch geringfügige Dinge er braucht, um seinen Zweck zu erreichen. Er greift nicht gleich zu groben Fal1stricken (später zwar weiß er auch die zu benutzen, wenn ihr ihm nachgebt), sondern er bedient sich im Anfang ganz gewöhnlicher, anscheinend unschuldiger Dinge, welche an und für sich niemand verurteilen könnte, die aber nichtsdestoweniger das langsam wirkende Gift enthalten, das euch vom Herrn entfernen und euer Zeugnis vernichten soll. Und wenn ihr fragt, was ich damit meine, so zeigt das allein schon die einschläfernde Wirkung dieser Tätigkeit des Feindes. Hütet euch, ihr lieben Brüder und Schwestern, vor dem Geist dieses Zeitlaufs! Eure Reden, eure Kleidung, euer Benehmen, euer Mangel an geistlicher Gesinnung verraten deutlich genug, dass ihr euch von ihm habt anstecken lassen. Lastet es nicht als Folge davon oft wie ein Alp auf uns, macht sich nicht vielfach ein trauriger Mangel an Kraft fühlbar? Die Form der Gottseligkeit ist vorhanden, aber wo ist ihre Kraft? Wenn man sich der Welt gleichstellt, so gleitet man notgedrungen bald auf den gleichen Boden mit ihr hinab, und die bevorzugte Stellung, die wir einnehmen, gereicht uns dann, statt zum Segen, nur zum Gericht. Entweder Christus oder die Welt. Ihr könnt, ihr dürft nicht Christum und die Welt haben. Gott, der euch in Seiner Gnade von der Welt befreit hat, kann nicht zugeben, dass ihr diese Gnade missbraucht und nicht den geraden Weg wandelt; denn ihr seid nicht mehr von der Welt. Die Stellung, welche Kinder Gottes in dieser letzten Zeit einzunehmen berufen sind, ist kostbar. Seit mehr als 1800 Jahren, diese ganze lange Nacht hindurch, hat es Christen gegeben, welche für ihren Herrn im Kampfe dastanden und wachen mussten, während ihr euch jetzt dem Augenblick nähert, wo die Posaune erschallen wird und ihr befreit und durch den Herrn Jesum selbst eingeführt werdet in das Haus des Vaters. Deshalb erwacht aus eurer Schläfrigkeit, schlummert nicht länger, und der Christus wird euch leuchten. Werft eure Götzen weg, reinigt eure Kleider und demütigt euch vor Gott in ernstem Selbstgericht. Wenn ihr Ihm also nahet, werdet ihr in Ihm ungeahnte Schätze der reichsten Güte finden. O möchte doch die Schmach Ägyptens wirklich von euch abgewälzt werden! Möchten eure Gespräche den Herrn und Seine Interessen zum Gegenstand haben, anstatt, wie es so oft der Fall ist, eher alles andere als Ihn! Möchte man nicht beständig euer Fehlen unter denen zu beklagen haben, die sich regelmäßig zum Gebet versammeln! Ach, nie war es nötiger zu beten als jetzt. Vernachlässigt auch nicht die Gelegenheiten, euch zur Betrachtung des Wortes zu versammeln; schöpft täglich Licht und Kraft aus demselben, denn durch dieses Wort allein werdet ihr bewahrt vor den Pfaden des Verderbers. Trachtet danach, dass euer Leben eine Darstellung der Belehrung sei, welche ihr aus diesem Wort empfangt, und von der Wahrheit, wie sie in dem Jesus ist. O Geliebte, ihr gehört Christo an, und Christus ist euer. Verleugnet nicht in eurem Wandel diese heilige Verbindung! Wofür solltet ihr euch verführen und abwendig machen lassen von der Treue und Einfalt gegen Christum? Für leere Träber und bittere Früchte, zu deren Erwerb ihr die kurze Zeit hienieden gebrauchen müsstet, die ihr für den Herrn verwenden solltet, und die also euch selbst reichen Segen bringen würde? Denn alles was ihr hier tut in der Kraft des Geistes wird euch am Tage Christi zum Ruhm gereichen; und ihr werdet das Wohlgefallen dessen ernten, dem ihr als Eigentum angehört. Wolltet ihr Ihm diese Freude verderben? Ist das eure Antwort auf die Mithin! Seiner Seele? O denkt an Seine Hingabe, in welcher Er sich ans Kreuz schlagen ließ, mitten zwischen zwei Übeltätern, ein Schauspiel für Menschen und Engel, und alles dies für euch! Er hätte die Welt in Besitz nehmen können, ohne durch den Tod zu gehen· Aber dann hätte Er euch eurem Schicksal überlassen müssen, und das wollte Er nicht. Und ihr, die ihr durch Seine Armut, durch Seine bitteren Leiden und Seinen Tod reich geworden seid, ihr wolltet euch der Welt gleichstellen oder euch wenigstens durch sie leiten und beeinflussen lassen und Jesum Christum tatsächlich beiseite setzen? Wahrlich nicht. Gewiss braucht eure lautere Gesinnung nur aufgeweckt zu werden in Bezug auf diese Dinge. Wir haben viel Schwäche, viel Mangel an Entschiedenheit und Hingabe miteinander zu beklagen, was uns sicher ernst machen sollte. Aber lasst uns Mut fassen und aufs neue uns aufraffen, um dem Herrn nach zu wandeln, der in Seiner Treue und Barmherzigkeit uns stets wieder aufwecken und aus einem Zustand der Erschlaffung herausbringen will. Mögen unsere Herzen auf diese Bemühungen unseres Herrn antworten, und möge nichts uns hindern zu rufen: Komm! Dann werden wir nicht beschämt werden vor Ihm bei Seiner Ankunft.

@@@@@

Gad und Aser

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 289ff

Jakob war bereits Vater über sechs Söhne, als ihm von der Silpa, einer vertrauten Magd der Lea, Gad und Aser geboren wurden.

Es ist bezeichnend, dass diese, und die zwei anderen von einer Sklavin abstammenden Söhne, einen ausgesprochen weltlichen Charakter tragen. An den hinterlistigen Dan und den schmeichlerischen Naphtali schließt sich der auf seinen starken Arm vertrauende Gad und der genussliebende Aser an. Die Namen der letzteren haben fast die gleiche Bedeutung. Gad heißt: „Glück" und Aser „glückselig". Die von den Menschen am höchsten geschätzten und sein Glück ausmachenden Güter: Kraft und Gesundheit, Wohlleben und Reichtum, finden sich in Gad und Äser verkörpert.

Gad, der siebente Sohn Jakobs, selbst Vater von sieben Söhnen (1. Mose 46,16) - schon durch die Zahl sieben gewissermaßen als Glückssohn bezeichnet - besaß hervorragende Kraft und starkes Selbstbewusstsein. Aus seinem Stamm „sonderten sich ab zu David, nach der Bergfeste in die Wüste, tapfere Helden, Männer des Heeres zum Kriege, mit Schild und Lanze gerüstet, deren Angesichter wie Löwen-Angesichter, und die den Gazellen auf den Bergen gleich waren an Schnelle" (1. Chronika 12,8). Von ihm sagt Mose: „Gesegnet sei, der Gad Raum schafft! Wie eine Löwin lagert er und zerreißt Arm und Scheitel" (5. Mose 32,20); und von den Lippen des sterbenden Jakob hören wir: „Gad, Scharen werden ihn drängen, und er, er wird ihnen nachdrängen auf der Ferse" (1. Mose 49,19). Ganz im Gegensatz zu G a d tritt in den Segenssprüchen für Äser insbesondere der Hinweis auf Wohlleben und Reichtum hervor. „Von Aser kommt Fettes, sein Brot; und er, königliche Leckerbissen wird er geben" (1. Mose 49,20). Gesegnet an Söhnen sei Aser; er sei wohlgefällig seinen Brüdern, und er tauche in öl seinen Fuß! Eisen und Erz seien deine Riegel, und wie deine Tage, so deine Kraft" (oder wie andere übersetzen: "dein Leben lang daure deine Ruhe") (5. Mose 33,24. 25)!

Alles das deutet hin auf Reichtum, Genuss, sicheres Wohnen und ungestörte Ruhe. Aser aß sein Brot nicht trocken, sondern fett; er hatte Überfluss an Öl und konnte ein sorgloses, behagliches Leben führen.

Das Erbteil, das den beiden Stämmen zufiel, entsprach ihrer Charakteranlage. Gad erkor sich das fruchtbare Hirtenland Gilead, ein Land, das für feindliche Angriffe von Osten und Süden offen lag und dazu von den fast unbezwingbaren Amoritern bewohnt war.

Das Stammgebiet Aser lag hingegen an den geschützten Abhängen des Libanon, von der Sonne erwärmt und von den kühlen Seewinden erfrischt. Das blühende Phönizien war sein Nachbar; Tyrus und Sidon tauschten für Gold „die königlichen Leckerbissen" ein, die das fruchtbare Land hervorbrachte; und durch den zunehmenden Reichtum kam Wohlhabenheit und Überfluss, Pracht und Üppigkeit in die lieblichen Gefilde Äsers hinein.

Gad sowohl wie Äser waren nach menschlichen Begriffen „glücklich" zu nennen und führten ihren Namen nicht mit Unrecht. Kraft und Gesundheit waren bei dem einen, Reichtum und Wohlleben bei dem anderen zu finden. Und doch fehlte ihnen das wahre Glück, weil sie der Selbstsucht und der Liebe zur Welt nachgaben. Das machte sie geteilten Herzens, untreu und unentschieden gegen Jehova, ihren Gott. Debora musste bei Gelegenheit des Kampfes mit Sisera klagen: „Gilead ruhte jenseits des Jordan ... Aser blieb am Gestade des Meeres, und an seinen Buchten ruhte er" (Richter 5,17).

Wir dürfen uns freuen und Gottes Güte preisen, wenn wir in der Kraft eines Gad dastehen, oder wenn uns der Reich« turn eines Aser zufällt.

Es ist durchaus nicht nach Gottes Willen, wenn wir unsere körperliche Kraft missachten, vernachlässigen, oder Speise und Trank, diese guten Gaben Gottes, ausschlagen und verurteilen. Die Natur hat ihre Rechte, und diese werden in der Schrift anerkannt. „Lehrt euch nicht selbst die Natur?" fragt Paulus in 1.Korinther 11,14; und auch unser Herr liebte den reichen Jüngling von Markus 10, obschon wenig mehr als Natur bei ihm war. Es besteht ein großer Unterschied zwischen Natur und Fleisch. Natur wird im Worte anerkannt, das Fleisch verurteilt. Wir sind der Sünde, nicht aber der Natur gestorben. So ist es denn durchaus keine Sünde, für die Ausbildung der Körperkraft Sorge zu tragen, zu turnen usw., oder sich an Speise und Trank zu erquicken. Die Natur selbst stellt dabei die Grenzen fest und unterwirft sie unserer Überwachung. Sobald wir aber unseren natürlichen Neigungen erlauben, diese Grenzen zu überschreiten, sobald das Genießen Selbstzweck wird, und wir dabei den Genuss der himmlischen Dinge - der geistlichen Kraft und der Seelenspeise - missachten, tritt die Sünde ein. Ich erinnere nur an die Zeit, als die Kinder Israel die Wüste durchzogen. Jehova gab ihrem Wunsche nach Brot und Fleisch nach. Er ließ zu ihrer Sättigung Wachteln heraufkommen und das ganze Lager bedecken, und ließ Brot vom Himmel regnen. An beidem, an dem himmlischen Man und an dem irdischen Fleisch, durften sie sich dankbaren Herzens erfreuen (2. Mose 1,16). Später aber, als sie zum zweiten Male nach Fleisch begehrten, weil sie des himmlischen Mans überdrüssig geworden, war ihnen Gott zwar wiederum zu Willen, jedoch diesmal zu ihrem Schaden (4. Mose 11). „Er gab ihnen ihr Begehr, aber er sandte Magerkeit in ihre Seelen" (Psalm 103,15).

Christus soll unser ganzes Leben beherrschen; dieser heilige Grundsatz wird in der Schrift auch auf die Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse angewandt. Wir können den Willen Gottes selbst in Bezug auf die Nahrung, die wir zu uns nehmen müssen, erfüllen. „Wer isst, isst dem Herrn, denn er danksaget Gott" (Römer 14,6). „Ob ihr nun esset oder trinket oder irgend etwas tut, tut alles zur Ehre Gottes" (1. Korinther 10,31). - Wir mögen also beachten, dass das Wort sagt: „Die leibliche Übung ist zu wenigem nütze, die Gottseligkeit aber ist zu allen Dingen nütze, indem sie die Verheißung des Lebens hat, des jetzigen und des zukünftigen" (1. Tim 4,8). „Wirket nicht für die Speise die vergeht, sondern für die Speise, die da bleibt ins ewige Leben, welche der Sohn des Menschen euch geben wird" (Johannes 6,27).

Wir sollen das Gute dankbar genießen, aber das Bessere darüber nicht vernachlässigen. „Der Schmuck der Jünglinge ist ihre K r a f t", heißt es in Sprüche 20,29, und doch „ist Weisheit besser als Kraft", wie der Prediger mahnt (Kap. 9,16). Wohl wünschte Johannes dem geliebten Gajus, dass es ihm körperlich ebenso wohlgehen möchte, wie es seiner Seele wohlging (3. Johannes 2), doch ist das Letztere wichtiger, denn die Worte der Wahrheit „sind Leben denen, die sie finden, und Gesundheit ihrem ganzen Fleische" (Sprüche 4,22). Der von Natur gesunde, kräftige Gläubige läuft leicht Gefahr in Selbstvertrauen, im Stolz auf den eigenen Arm vorwärts zu gehen. Ein solcher möge es sich sagen lassen, dass „ein Held nicht befreit wird durch die Größe seiner Stärke, dass das Auge Jehovas auf die gerichtet ist, welche ihn fürchten und auf seine Güte harren" (vergl. Psalm 33,16. 18). Er möge sich vorhalten, dass Gott nicht Lust hat an der Stärke des Rosses, noch Gefallen an den Beinen des Mannes, Jehova hat Gefallen an denen, die ihn fürchten, an denen, die auf seine Güte harren" (Psalm 147,10. 11).

Das gleiche gilt für den Reichtum. Er ist auch eine Gabe Gottes, für die wir zu danken haben. „Jehova macht arm und macht reich" singt Hanna (1. Sam. 2,7); und „es ist für jeden Menschen, welchem Gott Reichtum und Güter gegeben, und den er ermächtigt hat, davon zu genießen und sein Teil zu nehmen und sich bei seiner Mühe zu freuen, eben dieses eine Gabe Gottes" (Prediger 5,19). Sobald aber der Gläubige „seine Hoffnung auf die Ungewissheit des Reichtums setzt, anstatt auf Gott, der alles reichlich darreicht zum Genuss", oder „auf seinen Reichtum vertraut, so wird er fallen" (1. Timotheus 6,17; Sprüche 11,28). Es mag auch zur Warnung dienen, dass erfahrungsgemäß jeder übermäßige Genuss verweichlicht, und dass ein zu behagliches Teil die Seele verhungern läßt. Wir dürfen die Herrschaft über alle Wünsche der Natur nicht verlieren, und wir müssen alle irdischen Segnungen jederzeit den himmlischen unterordnen. „Ein Tor ist der, der für sich Schätze sammelt, und ist nicht reich in Bezug auf Gott" - sind des Herrn eigene Worte (vergl. Lk. 12,21).

So mögen denn alle unter uns, die durch Gottes Gnade die Körperkraft eines Gad oder den Reichtum eines Äser besitzen, sich dankbar dieser Segnungen erfreuen, aber die ernsten Worte des Propheten beachten: „Der Weise rühme sich nicht seiner Weisheit, und der Starke rühme sich nicht seiner Stärke, der Reiche rühme sich nicht seines Reichtums; sondern wer sich rühmt, der rühme sich dessen: Einsicht zu haben und mich zu erkennen, dass ich Jehova bin, der Güte, Recht und Gerechtigkeit übt auf der Erde; denn daran habe ich Gefallen, spricht Jehova (Jeremia 9,23. 24).

Die natürliche Kraft versagt, und Besitz und Reichtum verlieren ihren Wert, sobald die Dinge mit Gott in Frage kommen. Eine andere Kraft, an Stelle der natürlichen, eine neue Speise, anstatt der irdischen, ist da nötig. Christus muss unsere Kraft, unsere Speise, unser Leben ausmachen. „Glückselig der Mensch," sagt der Psalmist, „dessen Stärke in dir ist, in deren Herzen gebahnte Wege sind" (Psalm 84,5)! Nur in der Kraft, „mit welcher mich Gott umgürtet" (Psalm 18,32), kann ich allezeit siegen und mir dabei ein ungeteiltes, aufrichtiges Herz für Gott, „ein Herz mit gebahnten Wegen" bewahren.

Das Herz Gads war nicht ungeteilt. Zwar haben die Gaditer, mit Rüben und dem halben Stamm Manasse, an der Spitze des ganzen Volkes mutig den Jordan durchschritten, um in Kanaan für ihre Brüder zu kämpfen, aber ihre Selbstsucht, ihr Selbstvertrauen hatte sie eine andere Grenze wählen lassen als die, welche der Jordan bildete. Weltliche, eigennützige Rücksichten, das was das Auge sah - „Sie sahen das Land Jaser und das Land Gilead", - eine Schätzung des Erbteils nach ihren eigenen Interessen, ohne irgendwelches Fragen nach dem Willen Gottes - „der Ort ist ein Land für Vieh, und wir haben Vieh", - das alles hatte sie bestimmt, das Erbteil „diesseits des Jordan" zu wählen (4. Mose 32,1-5). Das Land „diesseits" zog sie an, während ihre Brüder jenseits des Flusses, im friedlichen Genuss der Segnungen des Landes, mit Freuden in dem Jordan die Schranke erblickten, die sie von allem trennte, was fortan keinen Wert mehr in ihren Augen hatte. Der Mangel an göttlicher Kraft trug Schuld, dass ihnen zwei wichtige Dinge unbekannt blieben: Der Wert des Landes Kanaan und die Wichtigkeit der wahren und geistlichen Stellung des Todes und der Auferstehung (von der der Jordan ein Bild ist), dass sie anstatt Besitzer, gewissermaßen nur Grenznachbarn des gelobten Landes waren.

Diese Halbherzigkeit, die mehr ihr eigenes sucht, statt das, was Gottes ist, dieses Zurückbleiben hinter dem göttlichen Ziel trotz all ihres Kampfesmutes hatte auch den großen Streit unter Brüdern zur Folge, der uns in Josua 22 geschildert wird. Die zweieinhalb Stämme bauten am Ufer des Jordan, an der Grenze ihres Gebietes, „angesichts des Landes Kanaan" einen Altar, „groß von Ansehen". Er sollte ein Zeugnis von der Gemeinschaft mit ihren durch den Jordan getrennten Brüdern sein. Dieser Altarbau war menschlich ersonnen und ließ verschiedene Beurteilung zu. Angeblich war er zur Aufrechterhältung der Einheit bestimmt, er konnte aber auch als ein Versuch zum Bruch der Einheit aufgefasst werden und als eine feindliche Gegenüberstellung angesichts des Zeltes in Silo gelten. Jedenfalls war die Gefahr da, dass Unabhängigkeit von Gottes Willen zum Schaden der Einheit sich in der Mitte des Volkes Eingang verschaffte. Es war eben die zweideutige Herzensstellung der zweieinhalb Stämme, die diese Gefahr heraufbeschwor, wenn sie auch, da Treue gegen den Ewigen bei ihnen vorhanden war, ohne Schaden vorüberging. In unserer Mitte - wenn wir an die vergangenen Jahrzehnte zurückdenken - sind auch solche aus zweideutiger und der Abhängigkeit ermangelnder Herzensstellung herrührende Schwierigkeiten entstanden, und leider ist es da keinem Pinehas gelungen, Spaltungen unter Brüdern zu verhindern.

Wir haben alle darüber zu wachen, dass unsere Stärke in Gott ist, dass in unseren Herzen gebahnte Wege sind, damit wir nicht hinter unserer wahren Stellung, unserem eigentlichen Ziel zurückbleiben. Hinweg denn mit aller zweideutigen Halbherzigkeit! „Jehovas Augen durchlaufen die ganze Erde, um sich mächtig zu erweisen an denen, deren Herzen ungeteilt auf ihn gerichtet ist" (2. Chronika 16,9). An solchen, die mit einer Hand Christum festhalten und mit der anderen nach der Welt hinlangen, kann Gott sich nicht mächtig erweisen. In Herzen, die von Selbstvertrauen und Unabhängigkeit erfüllt sind, kann sich die Kraft Christi nicht offenbaren. Es ist so schwierig zu lernen, dass „sich schwach fühlen" der Weg zur göttlichen Kraft ist. Unser Wille muss gebrochen werden, auf dass uns Gott dazu bringe, uns allein auf Seine Kraft zu stützen.

Das musste auch Jakob erfahren, als er nach zwanzigjähriger Zucht in den ihm verheißenen Besitz eintreten sollte. Es war auf dem späteren Erbteil unseres starken, selbstbewußten Gad, an der Furt des Jabbok, wo der Patriarch mit Gott rang. Sein Wille musste gebrochen werden, auf dass Gott ihn dahin brachte, wo Er ihn segnen konnte. Und in diesem Kampfe mit Gott wurde Jakob dahin geführt, dass er in Gott seinen einzigen Ausweg sah. „Ich lasse dich nicht los, du habest mich denn gesegnet". Er ist ganz auf Ihn geworfen und kann keinen Schritt weiter, als bis Gott ihn nicht nur segnet, sondern ihn auch Sich unterwirft. So ging er denn mit dem tiefen Gefühl seiner eigenen Schwachheit, deren Ausdruck er bleibend an sich trug: „das Hüftgelenk Jakobs ward verrenkt" (1. Mose 32). Nachdem dies geschehen ist, betritt er das verheißene Land durch Glauben, als ein Israel, als ein Gotteskämpfer, gedemütigt und gesegnet, und findet Rettung von der Hand Esaus, seines Bruders.

Unser Kampf gilt nun nicht allein den Schrecken des Feindes, sondern auch den verderblichen Reizen dieser Welt. Damit wir aus beiden als Sieger hervorgehen, kommt Gott uns nicht allein mit Seiner Kraft zu Hilfe, sondern Er richtet zugleich unseren Blick auf die reichen zukünftigen Segnungen, die unser warten. Wir sehen es bei Mose. Dieser Mann Gottes verließ in der Kraft des Glaubens Ägypten, ohne die Wut des Königs zu fürchten, und er weigerte sich, ein Sohn der Tochter Pharaos zu heißen, indem er die Schmach des Christus für größeren Reichtum hielt als die Schätze Ägyptens; denn er schaute auf die Belohnung (Hebräer 11).

Geistliche Kraft und die Hoffnung auf zukünftige Güter - beides vereint führt zum Ziel. Aus dem Gesetz des Nasirs im Alten Testament lernen wir, daß sich diese Kraft in unserer Schwachheit offenbart, und dass diese Hoffnung in uns lebendig wird, wenn wir den Geschmack an den irdischen Segnungen verlieren. Das lange Haar des Nasirs drückte seine Unterwerfung unter Gottes Willen aus (vergl. 1.Korinther 11,10); sein gänzliches Enthalten von der Frucht des Weinstocks bedeutete seine Trennung von den Freuden der Welt.

Wir dürfen sagen, dass Gott es uns in Wirklichkeit leicht gemacht hat, uns von allem Irdischen fern zu halten und gegen die Reichtümer dieser Welt gleichgültig zu sein. Alles, was wir hier brauchen, Nahrung und Kleidung, kommt uns (soweit es gut für uns ist) in der Fülle der göttlichen Gnade zu, unmittelbar aus der Hand „des himmlischen Vaters, welcher weiß, dass wir dies alles bedürfen" (vergl. Mt. 6,32). Unsere Hilfsquellen reichen also nicht bloß bis zur Macht Gottes, sondern bis zum Herzen des Vaters, und jedes Kind Gottes kann mit dem Apostel vertrauensvoll sagen: „Mein Gott wird alle eure Notdurft erfüllen nach seinem Reichtum in Herrlichkeit in Christo Jesu" (vergl. Phil. 4,19).

Außerdem hat er uns noch reich gemacht mit aller „geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern" und „in Christo selbst", und lässt uns alle diese Reichtümer schon jetzt genießen durch den Heiligen Geist. Wir sind außerordentlich reich, denn was könnte man uns noch hinzugeben, da wir Erben Gottes, Miterben Christi sind? Sind nicht, gleichwie Er ist, auch wir in dieser Welt? Liebt uns der Vater nicht mit derselben Liebe, wie Er Seinen Sohn geliebt hat? (1. Johannes 4,17; Johannes 17,23. 26) Wahrlich, die menschliche Sprache kann unseren Reichtum nicht mit höheren Worten ausdrücken, und die schönste irdische Herrlichkeit verblasst vor solchen Segnungen. Und doch - man sollte es nicht glauben! - gelüstet es uns so oft, „fettes Brot zu essen, unseren Fuß in öl zu tauchen, die Leckerbissen dieser Welt zu wählen", die Segnungen Äsers den himmlischen vorzuziehen. Wir lassen uns beschämen von der Prophetin Anna, die aus dem Stamme Äser war, aber von den himmlischen Reichtümern erfüllt war, so dass „sie nicht vom Tempel wich, indem sie Nacht und Tag mit Fasten und Flehen diente" (Lk. 2,37).

Die Neigung auf das Irdische zu sinnen, ist schon manchem zum Fallstrick geworden. Fragen wir uns nur selbst. Irdische Genusssucht war es auch, die in der Seele I s a a k s den Gedanken an den ihm geoffenbarten Ratschluss Gottes verdrängte, und die sein Urteil verwirrte. „Bereite mir", sagte er zu seinem Sohne Esau, „ein schmackhaftes Gericht, wie ich es gern habe, und bringe es mir her, dass ich esse, damit meine Seele dich segne, ehe ich sterbe" (1. Mose 27,4). Das „schmackhafte Gericht" ließ ihn vergessen, dass bei der Geburt der Zwillinge den Eltern kundgetan war, dass der Ältere dem Jüngeren dienen solle (1. Mose 25).

Und wie hat es Esau gemacht? Er verkaufte sein Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht, zog die Befriedigung des Augenblicks, das was dem Fleische zusagte, der ganzen Fülle der göttlichen Verheißungen vor. Gleichen wir nicht oft diesem Esau und verachten den himmlischen Segen und jagen den vergänglichen Dingen dieser Welt nach, von denen wir doch nichts mitnehmen können? Opfern wir nicht auch manchmal in unserer Torheit gleichfalls ewige Dinge dem augenblicklichen Genuss, der flüchtigen Freude am Zeitlichen?

Das Wort nennt Esau einen „Ungöttlichen" (Hebräer 12,16. 17). Welch eine ernste Mahnung für unsere genusssüchtige Zeit!

Was wir nötig haben, das sind Männer, feste, treue Männer, die sich allein auf Gottes Kraft stützen und dieser Welt fremd gegenüber stehen, Männer wie Paulus, der in guten und trüben Tagen seine Kraft und seinen Genuss allein in Christo fand. Nichts konnte ihn aufhalten; in der Kraft Christi vermochte er alles zu tun. Alles, was die Welt, selbst die religiöse Welt bot, konnte er fahrenlassen und als Dreck achten, weil er seinen Reichtum, sein ewiges Teil, in Christo erkannte. Er war stark, und er war reich; obschon nichts habend, besaß er alles, und er wusste Überfluss zu haben, ohne sich zu erheben; er war Gad und Äser in einer Person, stark und reich.

Gad heißt „Glück"; sein Glück bestand in der körperlichen Kraft. Und Aser bedeutet „glückselig"; er war es wegen seines Reichtums. Das Glück des Apostels und auch unser Glück liegt aber nur in der Unterwerfung unter Gottes Willen, und unsere Glückseligkeit in dem Vertrauen zu Ihm und zu Seinen reichen Verheißungen; denn immer bleibt der Weisheit alter Spruch wahr:

„Wer auf das Wort achtet, wird Glück erlangen; und wer auf Jehova vertraut, ist glückselig" (Sprüche 16,20).

@@@@@@@

Warum?

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 302ff

Warum all das Leid und all der Jammer? Warum der schreckliche Krieg? Diese Frage liegt auf aller Lippen. Warum raubt der Tod das blühende Leben so vieler, die uns nahegestanden, die unserer Seele teuer und unentbehrlich waren; warum wird so mancher lebensfrohe Jüngling verwundet, verstümmelt; warum so mancher Ernährer seiner Familie aufs Krankenlager geworfen, so dass er im günstigsten Fall seinem Beruf nur mit gebrochener Kraft nachgehen kann? Warum diese Fülle von Elend, Not und Weh, welche der Krieg über die Menschheit ausschüttet? Warum? Die Sünde ist in die Welt gekommen, und mit ihr Tod, Krankheit, Elend, Not. Die Sünde hat all das Unheil mitgebracht, das der jetzige Krieg im Gefolge hat· Die ganze Weltgeschichte ist zugleich ein Weltgericht. Sie bezeugt Gottes Heiligkeit und Gerechtigkeit. „Deine Bosheit züchtigt dich“, sagt das Wort, „und deine Abtrünnigkeiten strafen dich; so erkenne und sieh, das; es schlimm und bitter ist, dass du Jehova, deinen Gott, verlässt, und dass meine Furcht nicht bei dir ist, spricht der Herr, Jehova der Heerscharen“ (Jer. 2, 19). Gott ist es, welcher den Menschen wegen seiner Sünde straft, der es ihn fühlen lässt, wie schlimm und bitter es ist, wenn man Ihm den Rücken kehrt. Und es ist noch Gnade, dass Er es tut. Würde Er den Abgefallenen einfach sich selbst überlassen, sich um den Sünder nicht kümmern, dann wäre ja alles hoffnungslos verloren. So aber weist die strafende Hand auf die rettende Macht des Blutes Jesu Christi hin und treibt durch die Bitterkeit des Wehs den Armen zum Kreuze des liebenden, helfenden, tröstenden Heilands. Elend und Leid sollten darum nicht das Herz des Menschen im Zorn verhärten, auch es nicht trotzig sich auflehnen lassen gegen die schmerzenden Schläge der göttlichen Strafe. Über die Sünde, die Quelle aller Leiden, — darüber sollte er lieber weinen. „Was beklagt sich der lebende Mensch? Über seine Sünden beklage sich der Mann“ (Klagel. B, 39)! Gerade um ihn zu einem solchen Klagen und zur Rückkehr zu Gott zu bringen, dazu benutzt Gott den Krieg, dazu alles Elend und alles Leid. Warum dieser Krieg? Warum trifft uns so viel Leid? so fragen auch die Gläubigen, die zu Gott umgekehrt sind. Sie tun es nicht trotzig, wie so manches Weltkind, sondern in der tiefsten Überzeugung, dass Gott gerecht ist in allem Seinem Tun. Sie sind überzeugt, dass Gott ein unumschränktes Verfügungsrecht über Seine Geschöpfe hat, und erblicken in diesem Kriege ein Ereignis, welches uns auf die baldige Vollstreckung des längst über die Welt wegen ihrer Verwerfung Christi ausgesprochenen Urteils hinweist. Zugleich finden sie auf diesem Wege der Schrecken Gedanken des Friedens, die Gott für die gefallene Menschheit sowohl, als auch für Seine Kinder hat. Wie viele Sünder mögen in diesen Zeiten der Not zu Gott schreien und so errettet werden für Zeit und Ewigkeit! Wie manche gläubige Seele mag auch unter dem Druck der schweren Not zu der kostbaren Gemeinschaft mit dem Herrn zurückgeführt sein, in welcher sie früher so glücklich war, und die sie nach und nach vernachlässigt hatte! Ja, Gott ist Liebe. Sein Auge wacht beständig über Seine Kinder. Er benutzt auch die Leiden, welche der Krieg über alle bringt, wie bei Israel dazu, um „uns zum Herzen zu reden“, um „uns zu demütigen und zu versuchen, damit Er uns wohltue am Ende“. Er beugt durch Trübsale unsere Seelen, lässt sie durch den Schmelztiegel gehen, damit „die Bewährung unseres Glaubens zu Lob und Herrlichkeit und Ehre erfunden werde in der Offenbarung Jesu Christi“. Wir haben einen Vater, der uns wohl von Herzen liebt, der aber auch über Seine Kinder regiert und sie in Ordnung haben will. Und Er regiert umsichtig, gebraucht die Rute nicht aufs Geratewohl, sondern weiß genau, wann und wie Er uns züchtigen muss. „Denn wer ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt?“ (Hebr.12, 7). Niemand unter uns wird sich verhehlen, dass die Zeit, in welcher wir leben, eine traurige, tief demütigende ist, soweit es unser Zeugnis betrifft, dass sie das Gepräge von Laodicäa — lau, weder kalt noch warm —- hat. Und manche unter uns werden aus den Leiden dieses Krieges die an Laodicäa gerichteten Worte des Herrn heraushören: „Ich überführe und züchtige, so viele ich liebe“ (Offbg. Z, 19.) Der Herr sagt einem jeden von uns· heute etwas, worüber wir ernstlich nachzudenken haben. Vielleicht liegt aus der Vergangenheit eine Sünde auf unserem Wege, die wir dem Herrn noch nicht bekannt haben; und der Herr bringt sie durch Leid und Trübsal in unser Gedächtnis. Es heißt in Ps. 99, 8. 9: „Jehova, unser Gott, du hast ihnen geantwortet! ein vergebender Gott warst du ihnen und ein Rächer ihrer Taten . . ·. denn heilig ist Jehova, unser Gott“. Lasst uns deshalb, wenn unser Herz uns verurteilt, das Versäumte schnell nachholen und unsere Schuld zu Jesu Füßen legen, damit Er unsere Seele wiederherstelle und wir mit dem Propheten sagen können: „Ich preise dich, Jehova, denn du warst gegen mich erzürnt: dein Zorn hat sich gewendet, und du hast mich getröstet“ (Jes. 12, 1). Hat Er uns getröstet, dann sind wir wahrlich getröstet, und Er wird — wie im selben Kapitel des Jesaja gesagt ist — wieder „Unsere Stärke“ und „unser Gesang“, und wir „schöpfen von neuem mit Wonne Wasser aus den Quellen des Heils“. Es kann auch sein, dass wir im Großen und Ganzen die Welt liebgewonnen haben, dass unser Herz irdisch gesinnt gewesen und nicht die Gesinnung Christi gezeigt hat, und da lässt uns der Herr denn die Leiden des Krieges fühlen, um dem Bösen Einhalt zu tun und uns zur Besinnung zu bringen. Er naht mit Heimsuchungen, gebraucht das Feuer der Läuterung, um uns von allem zu reinigen, was uns von Seiner Liebe abirren ließ. Er nimmt uns sichtbare Güter und irdische Freuden, damit wir die himmlischen Güter, die wir in den Tagen, wo äußerlich alles gut ging, missachteten, wieder schätzen lernen. Er bringt uns in große Herzensnöte; wir lernen von neuem das Rufen aus der Tiefe und kommen so zur Erkenntnis, dass wir den lebendigen Gott nicht missen, Seine Gemeinschaft nicht entbehren können. Wir sehnen uns nach dieser verloren gegangenen Gemeinschaft, sprechen es unter dem Druck der Leiden vor Ihm aus. Wir flehen zu Ihm, erkennen an, dass »wir irrten, bevor wir gedemütigt waren“ (Ps. 119, 67), und klammern uns, wie Jakob, an den Herrn an: „Ich lasse dich nicht los, du habest mich denn gesegnet«. (1. Mose 32, 26.) Welch ein herrliches Ergebnis, wenn wir so als Sieger durch die schwere Prüfung hindurchgehen, und welch eine Verherrlichung für den Namen des Herrn! Darauf läuft ja alle Züchtigung hinaus, sie soll Segen für uns, Frucht für den Herrn hervorbringen. Wir lesen ja in Joh. 15, dass nicht nur die unfruchtbaren Reben als untauglich entfernt werden, sondern dass auch die fruchtbaren einer Reinigung unterworfen werden, nicht weil sie nicht fruchtbar wären, oder in Gefahr ständen, nicht so fruchtbar zu bleiben wie bisher, sondern aus dass sie mehr Frucht bringen.“, Hierin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringet“ (Joh. 15, 8). Es ist auch möglich, dass wir, ähnlich wie Paulus einen Dorn ins Fleisch erhielt, leiden müssen, damit das Böse, das sich nachträglich zeigen könnte, unten gehalten wird. Der Keim zu vielem Schlechten ist in unseren Herzen, aber die Leiden ersticken ihn oder hindern seine Entwicklung. In dem Tiegel der Trübsale will uns der Herr von allem befreien, was uns hindert, Frucht zu bringen zu Seiner Ehre. Wie aber der Schmelzer das Stück Gold nicht nur ins Feuer wirft, um es von allen Schlacken zu reinigen, sondern auch, um das edle Metall noch glänzender zu machen, so bewirkt auch bei uns die Läuterung durch Leiden, dass wir mit ungeteiltem Herzen für Gott dastehen und leuchtende, lesbare Briefe Christi werden für eine im Dunkel befindliche Welt, dass wir in allen Kämpfen und Stürmen, sie mögen so schwer sein, wie sie wollen, treu zu Ihm halten und dabei strahlenden Auges dem Psalmisten nachsprechen können: „Wen habe ich im Himmel? und neben dir habe ich an nichts Lust auf der Erde“ (Ps. 73, 25). Das kann nur einer sagen, der den Herrn in eigener Leidenszeit kennen gelernt hat, dessen Tränen von Ihm getrocknet, dessen Wunden von Ihm verbunden, und dessen schmerzliche Herzensleere von Seinem Mitgefühl ausgefüllt ist. Unser Herr weiß, was ein tiefbetrübtes Herz fühlt und nötig hat, weil Er selbst ein Mensch geworden ist und in der Herrlichkeit noch vollkommen das Herz eines Menschen hat. Er begleitet uns, und das Licht Seines Antlitzes und die zarte Liebe Seines Herzens halten uns aufrecht in den schweren Stunden. Er erlaubt es vielleicht, dass die Leiden lange schmerzen und nicht aufhören wollen; inzwischen aber lässt Er das zerrissene Herz Seine Teilnahme genießen auf eine Weise, dass wir uns wegen des überschwänglichen Trostes, den wir empfangen, gern unter die Trübsal beugen. Das Größte aber, was der Krieg uns gebracht, das ist wohl die durch ihn in unseren Herzen wieder lebendig gemachte Erwartung des baldigen Kommens unseres Herrn. Die Frage nach dem „Warum“ dieser Kriegszeit ist in Bezug aus den Gläubigen beantwortet, sobald er durch all das Leid um ihn her dazu gebracht ist, diese Hoffnung als eine lebendige Wirklichkeit im Herzen zu fühlen, beständig nach dem Aufgehen des glänzenden Morgensterns auszuschauen und sehnend auszurufen: Komm, Herr Jesu!

@@@@@@@

Sicher in Jesu Hand

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 308ff

Du bist für mich am Kreuz gestorben,

hast mich erlöst mit Deinem Blut;

Was Du so teuer Dir erworben,

das bleibt Dir auch ein teures Gut.

Hast Du so viel an mich gewandt,

Reißt mich auch nichts aus Deiner Hand.

Spitta. ·

@@@@@@

Betrachtungen über das Buch Esther

Bibelstelle: Esther

Botschafter des Heils 1914 S. 309ff

Kapitel 3 - H a m a n

Indem wir zur Betrachtung des 3. Kapitels übergehen, dürfen wir seine Verbindung mit den vorhergehenden Kapiteln nicht unbeachtet lassen. Der Hauptgegenstand des 1. Kapitels ist, wie wir hörten, der Ungehorsam der heidnischen Gemahlin. Nach diesen Begebenheiten (Kap. 2, 1) tritt im 2. Kapitel die jüdische Gemahlin auf. Sie ist bezüglich der Abstammung noch vor aller Augen verborgen, wird aber von dem Herrscher schon vor der großen Trübsal, welche über den Überrest von Juda und Benjamin kommen wird, geliebt und anerkannt. Nach diesen Begebenheiten (Kap. 3, 1) haben wir im 3. Kapitel das Auftreten des Erbfeindes, der von dem Haupt der Nationen unterstützt wird und von diesem seine Machtbefugnis erhält. Er wird unter Mitschuld des Reiches der Urheber der großen Trübsal; doch die Gnade Gottes rettet das Volk aus der Hand des Feindes, um Mordokai und Esther den ersten Platz im Königreich zu geben.

Suchen wir jetzt über die Herkunft und den Charakter Hamans Klarheit zu erlangen. Er war ein Sohn Hammedathas, des Agagiters (V. 1). Agag ist der Titel der, amalekitischen Könige, und wahrscheinlich ein Gattungsname wie „der Pharao", der Titel des Königs von. Ägypten (Vergl. Sam. 15, 9. 32; 4. Mose 24, 7). Haman war also aus königlichem Geschlecht. Amalek, das Volk Hamans, stammte durch Eliphas von Esau ab: Ursprünglich ein Fürst, wird er hernach ein Volksstamm von Edom (Siehe 1. Mose 36, 12. 16). Unter Hiskia sieht man tatsächlich, dass der Überrest von Amalek unter den Edomitern wohnte, das heißt auf dem "Gebirge Seir", dem Wohnsitz der Edomiter (l. Chron 4, 41‑43). Amalek bewohnte die südöstliche Gegend der Berge von Seir und wahrscheinlich einen Teil der Wüsten Sin und Paran.

Diese geographische Lage erklärt das große Interesse, das Amalek daran hatte (2. Mose 17), sich dem Zuge Israels nach Kanaan in den Weg zu stellen; er bewohnte die ersten Ausläufer der Berge Palästinas und verteidigte dessen Südgrenze (4. Mose 13, 29, 14, 45; 1. Sam 15, 7; 27, 8), von woher dieses Land am leichtesten zugänglich war.

Wiederholt sehen wir Amalek mit anderen Völkern gegen Israel verbündet; so in Richter 3, 12 Lind 13 mit Moab, was die Erwähnung Agags in der Weissagung Bileams gegen Balak, den König von Moab erklärt (4. Mose 24, 7). In Richter 6, 3 erscheint er in gemeinsamem Hag gegen das Volk Gottes mit Midian verbunden. Die Amalekiter wurden von Saul (1. Sam 15), und schließlich von David (1. Sam 27 u. 30) geschlagen, gemäß der Weissagung Bileams über "den Stern, der hervortritt aus Jakob und das Szepter, das sich erhebt ans Israel". Weiterhin sagt der Prophet: "Die erste der Nationen war Amalek, aber sein Letztes wird dem Untergang verfallen" (4. Mose 24, 17‑20). Die Weissagung von diesem Stern ist bereits in David erfüllt, sie ist noch zukünftig in Christo, dem Sohn Davids.

Wir haben es also bei Amalek mit dem Feinde des Volkes Gottes zu tun. Amalek war der erste, der sich dem Zuge Israels, als es aus Ägypten auszog, in den Weg stellte (2. Mose 17), der die Schwachen, die Nachzügler eines von dem Wege durch die Wüste ermatteten Volkes ohne Barmherzigkeit verfolgte und niederschlug. Er ist, mit einem Wort, der Feind, das Bild des Satans, des Feindes im vollen Sinne des Wortes; er widersetzt sich den Gnadenabsichten Gottes gegen Sein Volk.

Ohne die Fürsprache Moses auf dem Berge und ohne Josua hätte er das Volk vernichtet. Als dieses dann von dem Lande Besitz ergriffen hatte, suchte er das Vernichtungswerk im Einzelnen fortzusetzen. Schließlich von David endgültig besiegt, hält er den Kampf noch immer nicht für beendet. jetzt, wo das Volk in Gefangenschaft, durch seine Untreue aufs tiefste erniedrigt ist, treibt Satan Haman den Agagiter an, die armseligen Überreste dieses Volkes auszurotten. ja, sein geheimer Zweck ist, was wir nicht vergessen wollen, Israel Christo, dem König der Ratschlüsse und Verheißungen Gottes, zu entreißen. Kann es einen schlimmeren Plan satanischer List geben als diesen? In seinen Bemühungen getäuscht, wie dieses Buch uns zeigt, hält sich Satan dennoch nicht für geschlagen. Er wagt sich an das Haupt Israels Selbst, an Christum. Er versucht, Ihn bei Seiner Geburt töten zu lassen durch einen neuen Agag, den Mörder von Bethlehem. Aufs neue enttäuscht, wiegelt er am Kreuz die ganze Welt gegen Christum auf; aber gerade in dem Augenblick, wo er im Tode zu triumphieren glaubt, wird er endgültig besiegt. Dennoch wird er bis zum Ende hin gegen Jehova, Seinen Gesalbten und Sein Volk auftreten. Deshalb hat Jehova geschworen: "Krieg hat Jehova wider Amalek von Geschlecht zu Geschlecht" (2. Mose 17, 16). Israel sollte nicht vergessen, das Gedächtnis Amaleks unter dem Himmel auszutilgen (5. Mose 25, 19), ein schreckliches Gericht, dem nichts im Worte zu vergleichen ist, es sei denn das Gericht Edoms, von dem Amalek einen Teil bildete!

Kehren wir jedoch zum Buch Esther zurück. Israel ist in Knechtschaft, ohne Schutz und verstoßen; nur einer, der Spross einer königlichen, aber verworfenen Familie, widersteht dem Agagiter. Alles muß dessen Absichten fördern. Aber wenn er das Volk haßt, so ist dessen H a u p t , an das er will, der einzige, der sich weigert das Knie vor ihm zu beugen und ihm zu huldigen, ein schwaches Bild von Dem, Der in einer späteren Zeit Sich weigert Satan anzuerkennen, als er Ihm von der Höhe des Berges alle Reiche der Erde zeigte. Wird dieser Nachkomme Agas, der plötzlich, man weiß nicht woher, auf dem Schauplatz erscheint, aber gleich mit der höchsten Würde bekleidet wird von dem König der Nationen, der ihn erhebt und seinen Stuhl über alle Fürsten stellt, dieser geschworene Feind Israels, wird dieser B ö s e mit seinen Plänen Gelingen haben? Wenn wir uns an das Ende der prophetischen Geschichte Israels versetzen, werden wir uns noch genauer von allem, was diese Szene bedeutet, Rechenschaft geben können. Wir finden in der Offenbarung eine Art satanischer Dreieinheit, die gegen Christum und Sein Volk verbündet ist.

Da ist zunächst Satan, dessen Geist die Mächte der Welt beseelt; dann das Haupt des vierten Weltreichs, wie Ahasveros das Haupt des zweiten ist; und schließlich der A n t i c h r i s t . Dieser wird, wie Haman von Ahasveros, von dem Herrscher des vierten Reiches erhöht werden. Wird Israel, dieser arme, furchtsame Vogel, dem Netz des Vogelstellers entrinnen können? ja. wir erfahren durch die Prophezeiung, dass der ganze satanische Plan, den Überrest Israels zu vernichten, ebenso wenig gelingen wird, wie er in Esthers Geschichte gelungen ist.

Wir haben bereits den Charakter des Ahasveros und den der Esther zu schildern gesucht und uns vorbehalten, den Charakter Mordokais nachher im Laufe der Geschichte näher zu beleuchten und dann kurz zusammenzufassen; doch wir können sogleich das Bild des Feindes zeichnen, der hier so unvermutet auftritt. Dieses Bild setzt sich zusammen aus unbeugsamem Stolz, Überhebung, Selbstvergötterung und grausamem Hass gegen das Volk Gottes und dessen Vertreter. Um sich an diesem zu rächen, will er die ganze Nation opfern. Das Bild wird vervollständigt durch die List und die teuflische Klugheit, die Haman bei diesem Massenmord anwendet. Mit einem Wort, er ist die Verkörperung des Geistes des Bösen. Meint man nicht die Stimme dessen zu. hören, der sagt: Kommet und lasset uns vertilgen, dass sie keine Nation mehr seien, dass nicht mehr gedacht werde des Namens Israel" (Ps. 83, 4)? Wird Mordokai, der arme, schutzlose Mann, widerstehen können? Wird die wunderbare Rettung des Volkes sich wiederholen, jetzt, wo Israel nicht mehr das Volk Gottes ist, wo es keinen Moses und keinen Aaron mehr gibt, um für das Volk Gottes ins Mittel zu treten, keinen Josua mehr, um es zu führen, und wo ein einziger Befehl des Königs genügt, es ganz zu vernichten? Wird Amalek hier triumphieren, wo Israel ohne Waffen und ohne Hilfsmittel ist?

Hat der Feind über Christum triumphiert, sei es in Bethlehem, oder in der Wüste, oder am Kreuz? Bei allen diesen Gelegenheiten ist der Sieg Christi vollkommen gewesen, und zwar zu Gunsten Seines Volkes: am Kreuz durch die Hingabe Seiner Selbst, in der Wüste durch die einfache Abhängigkeit von dem Worte Gottes. Doch für Mordokai ist das Wort Gottes stumm. Man findet es nirgends in dieser Erzählung erwähnt, und das aus guten Gründen, (obwohl es tatsächlich inmitten des Volkes vorhanden war). Hat Mordokai nun ein Mittel, um dem Tode zu entrinnen? Nichts leichter als das, könnte man sagen. Er braucht ja nur das Gebot des Königs anzunehmen und Haman zu, huldigen. Aber nein: Mordokai denkt daran, dass für immer Krieg sein soll gegen Amalek. Er wird sich ebenso wenig vor dem Agagiter niederwerfen, wie Daniel einst vor Darius. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Männern ist, dass es Daniel verboten wurde, sich vor Gott niederzuwerfen, während Mordokai g e b o t e n wird, sich vor Haman in den Staub zu beugen. Als ein wahres Vorbild von Christo weigert Mordokai sich dessen; er kann wie sein Meister sagen: "Geh hinter mich, Satan"! Er hat beständig Krieg mit Amalek.

Freilich kann er seiner Umgebung keinen anderen Grund für seine Weigerung angeben als die Tatsache, dass er ein J u de ist (V. 4). Er kann nicht, wie Daniel, durch sein Verhalten öffentlich bezeugen, dass er ein Knecht Gottes ist, denn alle könnten zu ihm sagen: "Wo ist dein Gott"? Das gibt uns die Erklärung dafür, dass Mordokai, obwohl er Esther verbietet, ihre Abstammung kundzutun, gehalten ist, seine Abstammung kundzumachen.*) Diese Kundmachung lässt uns an das schöne Wort des Herrn in Gethsemane denken: "Ich bin's". Aber während dies das Gericht über Christum allein bringt, zur Befreiung der Seinigen, zieht das Bekenntnis Mordokais seinem ganzen Volk die Rache zu. Dieses Verhalten Mordokais ist keineswegs Stolz; er erkennt die Rechte des Hauptes der Nationen über ihn und sein Volk, Rechte, die von Gott als Züchtigung angeordnet sind, völlig an, nicht aber die Rechte Amaleks.

_____________

*) Dieses schöne, Bekenntnis ist das einzige Zeugnis, das er als Beweis für seine Verbindung mit dem Gott Israels ablegen kann, aber ein Zeugnis, das genügt, den Zorn des Feindes gegen ihn zu entfesseln.

Obwohl er unter dem Gericht steht, obwohl er mit dem verworfenen königlichen Geschlecht dem Fleische nach verwandt ist, und Gott dieses nicht mehr anerkennt, g e h o r c h t er dennoch dem Wort Gottes, das er in seinem Herzen bewahrt hat, dadurch, dass er sich nicht vor Amalek beugt.

Der Charakter Mordokais ist von großer Schönheit. Wir haben bereits seine liebevolle und zartfühlende Fürsorge für die gefangene Tochter Israels gesehen; wir sehen jetzt seinen mutigen Entschluß, dem Gebot Gottes zu gehorchen, indem er, was es ihn auch kosten möge, fest und unerschütterlich in der Würde eines Israeliten wandelt, der allerdings so tief wie nur möglich gesunken ist, trotz allem aber der Gegenstand der unbereubaren Verheißung und der Auserwählung Gottes bleibt.

Ähnlich der Wut des Antichristen gegen die, welche seine Macht und Autorität nicht anerkennen und seine Malzeichen nicht an Stirn und Hand annehmen wollen, kennt die Wut gegen einen Mann, der seine Person verachtet und sein Joch nicht auf sich nehmen will, keine Grenzen. Doch es wäre in seinen Augen eine verächtliche Sache gewesen, Mordokai allein umzubringen; er soll in seinem ganzen Volk getroffen werden. Haman wirft das Pur (das Los), um zu erfahren, wann diese Ausrottung stattfinden soll. Er glaubt an diesen abergläubischen Brauch, ähnlich wie der Antichrist später den "Gott der Festungen" um Rat fragen wird, denn der ungläubigste Mensch, der Gottesleugner und abergläubisch zugleich ist, muß eine Religion haben, eine Tatsache, die man jeden Tag beobachten kann.

Vasti hatte sich im dritten Jahre des Ahasveros empört, Esther wird des Königs Gemahlin im siebten, und das Los wird im Beginn des zwölften Jahres seiner Regierung geworfen. Das Pur weist für die Ermordung der Juden den zwölften Monat an. Warum nicht den dritten oder den vierten, um dem unterdrückten Volke jede Möglichkeit des Entrinnens zu nehmen? Leitet nicht auch hier wie immer die verborgene Vorsehung alles? Was vermag "der Widersacher der Juden" gegen die geheimen Ratschlüsse der Vorsehung? Er ist gezwungen dem Los, das er befragt hat, zu gehorchen. Hier beginnt bereits sein reißend schneller Lauf dem Tode und Gericht entgegen. Es kostet ihn keine Mühe, den König von der Notwendigkeit, die Juden umzubringen, zu überzeugen. "Da ist ein Volk", sagt er ihm, "zerstreut und abgesondert unter den Völkern in allen Landschaften deines Königreiches; und ihre Gesetze sind von denen jedes anderen Volkes verschieden, und die Gesetze des Königs tun sie nicht; und es ist für den König nicht geziemend, sie gewähren zu lassen". Haman macht dem König den Vorschlag, ihn durch die Vertilgung dieses Volkes zu bereichern. Ach will zehntausend Talente Silber in die Hände derer darwägen, welche die Geschäfte besorgen, dass sie es in die Schatzkammern des Königs bringen". Ahasveros weist das Geld zurück und liefert das Volk dem Haman aus, "auf dass er damit tue, wie es gut sei in seinen Augen". Welch eine Gleichgültigkeit und Herzenshärtigkeit bei diesem König! Der Name Israel hat für ihn keine Bedeutung: Er erklärt Jehova, den seine Väter gekannt hatten, den er aber nicht kennt, den Krieg, und das Schicksal einer Menge seiner Untertanen ist ihm völlig gleichgültig. Ein Günstling, ein böser Mensch, hat, ‑ es ist schrecklich ‑, in den Augen eines Herrschers, dem an seinen Völkern gelegen sein sollte, größeres Gewicht als das Bestehen einer ganzen Nation! Wie ganz anders geartet ist er als sein Vater Darius und Vorfahr Kores! Dieser Befehl, der alle Provinzen des Reiches umfaßt, wird ohne Zweifel auch den Überrest in Jerusalem treffen und vertilgen, der auf Befehl Kores wieder dorthin gebracht und durch seine Nachfolger dort erhalten worden ist. Aber der König denkt daran nicht. "Tue, wie es gut ist in deinen Augen", sagt er. Das heißt: Tue das Böse ungestraft! Der königliche Ring schmückt Hamans Hand, die damit das Siegel auf die Mordbefehle drückt.

Haman schreibt "im Namen des Königs" und gibt sich damit den Anschein, als ob er in dein, was er selbst beschlossen hat, der ergebene Diener des Königs sei. Ähnliche Umstände werden sich am Ende der Zeiten wiederholen.

Der Antichrist wird sich zum Diener des römischen Tiers machen (Offbg. 13, 14‑16), um seine eigenen Pläne zur Ausführung zu bringen. Der satanische Plan Hamans hat zum Ausgangspunkt den Stolz und Ehrgeiz des Menschen, der lieber alles unter seine Füße zertreten will, als es Christo unterworfen zu sehen. Der Erlaß gelangt schnell in die Provinzen des ungeheuren Reichs vermöge einer für die damalige Zeit bewunderungswürdigen Beförderungsart.

„Der König und Haman saßen und tranken" während dieser Zeit. Auf der einen Seite war Gewissenlosigkeit, auf der anderen satanische Freude am Bösen. Der Wein, aus dem der Mensch Vergessen schöpft, der ihn in seiner Gleichgültigkeit erhält, der Gewalttat erzeugt und Freude an dem sittlichen Verderben auf dem Trümmerfelde, das der Mensch geschaffen hat, der Wein besiegelt dieses vertrauliche Bündnis zwischen dem Fürsten der Finsternis und dem vergötterten Herrscher der Nationen.

Die Stadt Susan, an alles andere als an solche Schlächtereien gewöhnt, die Stadt des Prunks, der Vergnügungen und einer verfeinerten Kultur, war in Bestürzung, während die große Zahl der dort wohnenden Juden durch diese unerwarteten Nachrichten buchstäblich zermalmt wurde.

Noch zwölf Monate, und das Morden wird vorüber sein. Alle Beute des Volkes wird dem Amalekiter gehören. Noch zwölf Monate . . . doch der vor aller Augen verborgene Gott wacht, und Sein Gericht ist nahe.

Kapitel 4 - Die große Drangsal

Das Todesurteil ist gesprochen. Der ganze Überrest von Juda und Benjamin wird von diesem Verderben bedroht, und kein menschliches Gesetz kann etwas daran ändern, denn der Erlaß ist unwiderruflich.*)

_____________

*) Wie wir weiter oben gesagt haben, wird in Esther, entsprechend dem ganzen Plan dieses Buches, das eine bildliche Zwischenhandlung in der Geschichte des gefangenen Volkes darstellt, von dem nach Judäa zurückgekehrter. Volk nicht geredet. Dennoch unterliegt es keinem Zweifel, dass auch dieses von dem Blutbad betroffen werden soll; denn man sieht in Esra und Nehemia den eingefleischten Hass seiner Feinde.

Mordokai läuft mit zerissenen Kleidern, mit Sacktuch bedeckt und mit Asche auf seinem Haupt, durch die Stadt und macht seinem Schmerz durch ein "lautes und bitterliches Geschrei" Luft. Er hat selbst keinen Zutritt mehr in das Tor des Königs, denn Trauer und Seufzer werden in Gegenwart des Königs nicht geduldet. Oberall in den Landschaften ist Trauer bei den Juden, Fasten, Weinen und Wehklage. Esther selbst gerät sehr in Angst. Erblicken wir hier nicht ein schwaches Bild von der zukünftigen " g r o ß e n Drangsal , dergleichen von Anfang der Welt bis jetzthin nicht gewesen ist, noch je sein wird", so dass, "wenn jene Tage nicht verkürzt würden, kein Fleisch gerettet werden würde" (Matth. 24, 21. 22)? Doch wie kann man überhaupt von Hilfe reden, wenn es deren k e i n e gibt, und wenn jeder Zugang zu einem gerechterweise erzürnten Gott abgeschnitten ist? Das ist es, was tatsächlich das Wesen dieser beispiellosen Drangsal ausmachen wird. Wenn das Haupt der Nationen, gleichgültig gegenüber dem Bösen, die Juden den Händen ihres herz‑ und gewissenlosen Feindes überliefert, zu wem sollen sie dann ihre Zuflucht nehmen? Da ist kein Hoffnungsstrahl mehr!

Doch, einer bleibt noch, allerdings ein sehr schwacher, nämlich dass Esther "zu dem König hineingehe, ihn uni Gnade anzuflehen und für ihr Volk vor ihm zu bitten". Mordokai gebietet es ihr; doch wozu nutzt dieses Gebot, da selbst der Zugang zum König verschlossen ist? Esther trägt ihrem Boten auf, diese Tatsache Mordokai mitzuteilen: "Alle Knechte des Königs und das Volk der Landschaften wissen, dass für einen jeden, Mann und Weib, der zu dem König in den inneren Hof hineingeht, ohne dass er gerufen wird, ein Gesetz gilt, nämlich dass er getötet werde; denjenigen ausgenommen, welchem der König das goldene Szepter entgegenreicht, dass er am Leben bleibe; ich aber bin seit nunmehr dreißig Tagen nicht gerufen worden, um zu dem König hineinzugehen" (V. 11). Wenn Esther vor Ahasveros erscheint, ohne dazu aufgefordert zu sein, und er hat sie seit dreißig Tagen vernachlässigt, so wird sie getötet werden, es sei denn, ‑‑ ein schwache Möglichkeit dass es dem König gefallen sollte, ihr das goldene Szepter entgegenzureichen. Das einzige Mittel zu entrinnen ist also d i e G n a d e dessen, der mit der höchsten Gewalt bekleidet ist. Kann aber Esther auf diese Gnade r e c h n e n ? Keineswegs; alles hängt vom Wohlgefallen des Königs ab. Kann man aber auf das Wohlgefallen eines Mannes hoffen, der gerade mit einem Wort ein ganzes Volk von der Liste der Lebenden gestrichen hat? Soll man sich an Gott wenden? Gott verbirgt sich. Sich demütigen? Ja, gewiss, trauern, seufzen, klagen, die Sünde anerkennen, die das Volk, das früher das Volk Gottes genannt wurde, in eine so schreckliche Lage gebracht hat. Wird aber auch das laute und bitterliche Geschrei ein Echo finden? Wer weiß es? Diese Drangsalszeit kann also nur durch ein aus dem Munde des höchsten Richters kommendes Wort der Gnade beendet werden. Mordokai versteht das. Denke nicht in deinem Herzen", sagt er, "dass du im Hause des Königs allein vor allen Juden entkommen werdest", wenn du nicht das eine und alleinige Mittel dazu ergreifst. "Denn wenn du in dieser Zeit irgend schweigst, so wird Befreiung und Errettung für die Juden von e i n e m a n d e r en 0 r t e h e r erstehen; du aber und deines Vaters Haus, ihr werdet umkommen". Hier zeigt sich der Glaube Mordokais: Er hält entschlossen an der Rettung fest, wie und woher sie auch kommen möge. "Und wer weiß ob du nicht für eine Zeit, wie diese, zum Königtum gelangt bist?" Könnte es nicht sein, dass die verborgenen Wege der Vorsehung dich im Blick auf diese Zeit der höchsten Not auf den Thron gebracht haben? Esthers Antwort an Mordokai zeigt ihre Weisheit, ihren Glauben, ihre Hingabe, ihre Aufopferung und Liebe für ihr Volk: "Gehe hin, versammle alle Juden, die sich in Susa befinden; und fastet meinethalben, und esset nicht und trinket nicht drei Tage lang, Nacht und Tag; auch i c h werde mit meinen Mägden ebenso fasten. Und alsdann will ich zu dem König hineingehen, was nicht nach dem Gesetz ist; und wenn ich umkomme, so komme ich um!" Der ungewisse, aber durch anscheinend unübersteigliche Schwierigkeiten versperrte Ausweg, dass sie vielleicht G n a d e finde, lässt sie das Gesetz als nicht bestehend betrachten, und wenn sie keine Gnade findet, will sie, wenn es sein muss, den Tod, den das Gesetz androht, erleiden. Esther gehorcht dem Befehl Mordokais, und dieser tut nach allem, was Esther ihm geboten hat.

Fürwahr, ein wunderbares Schauspiel! Die Drangsal erweckt in den Herzen dieser Gläubigen eine völlige Gemeinschaft und alle die Gefühle der Hingebung und Aufopferung, die Gott billigen und anerkennen kann. Die Wege Gottes mit ihnen bringen bei diesen Heimgesuchten den Glauben hervor, da sie nur in der Gnade eine noch ungewisse Hilfsquelle haben, deren sie sich nicht würdig fühlen. Doch wie dem auch sei, "der Glaube ist eine Verwirklichung dessen, was man hofft", und da, Wort Mordokais: "Befreiung und Errettung wird von einem anderen Orte her erstehen", ist der Beweis davon. Ist es nicht das Gegenstück der Worte: "Bis wann?" die in den Psalmen unter ähnlichen Umständen so oft wiederkehren?

Doch das alles führt zu dem Schluss, dass es jetzt nötig ist , dass Esther sich zu erkennen gibt: Die große Drangsal bringt den Charakter des jüdischen Überrestes ans Licht. Bis dahin war Esther verborgen geblieben, aber jetzt, in der Prüfung, wird ihre Herkunft offen zutage treten. In dem Augenblick, wo Gott einschreitet, wird die Nation öffentlich anerkannt werden. Das Zeugnis der Gemahlin sprosst aus der Verfolgung hervor, wird in seiner ganzen Schönheit erglänzen und entsteht in der Drangsal; aber es ist gegründet auf die G n a d e.

Die Stunde wird endlich schlagen, wo die Nationen nicht mehr sagen werden: "Wo ist dein Gott?"

@@@@@@

Issaschar und Sebulon

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 323ff

Nach einer längeren Unterbrechung, während der dem Jakob von den beiden Mägden vier Knaben geboren wurden, brachte Lea wiederum zwei, und zwar ihre letzten Söhne, zur Welt, den Issaschar und später den Sebulon.

Mit verschiedenartigen Gefühlen nahm die Mutter sie aus der Hand Gottes an.

Als Issaschar geboren wurde, sagte sie: „Gott hat mir meinen Lohn gegeben, dass ich meine Magd meinem Manne gegeben habe! Und sie gab ihm den Namen ,Issaschar’, d. h.: „Er bringt Lohn" oder „Gott hat mir gelohnt". Dagegen begrüßte sie die Ankunft ihres Jüngsten mit den Worten: „Mir hat Gott ein schönes Geschenk gegeben; diesmal wird mein Mann bei mir wohnen, denn ich habe ihm sechs Söhne geboren! Und sie gab ihm den Namen ,Sebulon', d. h. Wohnung (1. Mose 30,18-20).

In Issaschar erblickte Lea einen Lohn für ihre Mühe, in Sebulon ein unverdientes gnädiges Geschenk.

Viele Mühe hatte sich Lea gegeben, um die Liebe Jakobs von Rahel auf sich zu lenken. Und als eines Tages ihr Sohn Rüben auf dem Felde Dudaim (Alraunen, oder auch, wie in Hohelied 7,13, Liebesäpfel genannt) gefunden hatte, brachte sie es über sich, diese nach damaligem Aberglauben Glück und Fruchtbarkeit bringende Frucht ihrer Schwester unter der Bedingung zu überlassen, dass die Zuneigung Jakobs an sie abgetreten würde (1. Mose 30,14. 15).

Vor der Geburt Sebulons hatte sie dagegen auf alle Mühe, auf alle Berechnung, um Jakobs Liebe an sich zu ziehen, verzichtet. Da ging es ihr nicht um Lohn, sondern um lauter Liebe. Sie betrachtete das Kind als ein Gnadengeschenk Gottes und war der frohen Hoffnung, dass von jetzt ab ihr die Liebe des Mannes gesichert sei und dass Jakob dauernd bei ihr wohnen würde. Darum nannte sie das Kind Sebulon, d. h. Wohnung.

Die Gedanken und Empfindungen, die die Mutter bei der Geburt der beiden Kinder erfüllten, finden sich in dem späteren Leben der heranwachsenden Knaben in einigen Stücken ausgeprägt und geben ihrem Charakter eine gewisse Färbung.

Der, dem es um Lohn geht, scheut weder Mühe noch Arbeit. Der Gedanke an den Lohn versüßt ihm alle Anstrengung. Ein Lohnsüchtiger läuft sogar Gefahr, seine persönliche Freiheit zum Opfer zu bringen, sich für andere zu plagen, anderen knechtisch zu dienen, nur um des Lohnes willen. So wundert uns denn die Weissagung Jakobs auf dem Sterbebett nicht: „Issaschar ist ein knochiger Esel, der sich lagert zwischen den Hürden. Und er sieht, dass die Ruhe gut und das Land lieblich ist; und er beugt seine Schulter zum Lasttragen und wird zum fronpflichtigen Knecht" (1. Mose 49,14. 15). Der Vergleich mit dem „knochigen Esel" wird uns verständlich, wenn wir uns daran erinnern, dass, nach Berichten aus dem 2. und 5. Buch Mose, die Esel außer den Rindern die einzigen Arbeitstiere in Kanaan waren. Issaschar ließ dann auch die Gelegenheit zu lohnendem Verdienst bei durchreisenden Kaufleuten, die sich auf seinem in Jos 19,17-22 beschriebenen Erbteil vielfach bot, nicht unbenutzt, und erfreute sich einer wohltuenden Ruhe in seinem den Landbau und die Viehzucht reichlich lohnenden Lande. Und da ein jeder, dem der Lohn seiner Mühe vor Augen schwebt, immer berechnender wird, so bekam auch dieser Sohn der Lea mit der Zeit einen scharfen Blick und klaren Verstand zur Ausnutzung jedes Vorteils. So wird denn den zu David gekommenen Hauptleuten aus Issaschar nachgerühmt, dass sie „Einsicht hatten in die Zeiten, um zu wissen, was Israel tun musste; alle ihre Brüder folgten ihrem Befehl" (1.Chronika 12,32). Sie waren Männer, die eine klare Beurteilung der jedesmaligen Zeitverhältnisse und eine praktische Klugheit besaßen, allemal das für den Augenblick Ersprießlichste zu erkennen und das Volk demgemäß zu leiten.

Ganz anders geartet war Sebulon.

In den beiden von Jakob und von Mose über ihn ausgesprochenen Segensworten ist von Kraft oder von einer Anstrengung, die belohnt wird, keine Rede; aller Segen kommt ihm aus freier Gnade, als ein Geschenk von oben zu. „Sebulon, am Gestade der Meere wird er wohnen, und am Gestade der Schiffe wird er sein, und seine Seite gegen Sidon hin" (1. Mose 49,13). „Sie werden saugen die Fülle der Meere und die verborgenen Schätze des Sandes" (5. Mose 33,19).

Im Gegensatz zu Issaschar, der in der Bebauung seiner heimatlichen Scholle seinen Beruf fand und dem zugerufen wurde: „Freue dich, Issaschar, deiner Zelte!" wird Sebulon auf den Handel außerhalb seines Erbteils hingewiesen. „Freue dich, Sebulon, deines Auszugs" (5. Mose 33,18)!

Issaschar, der fleißige Landmann, mußte tüchtig arbeiten, pflügen, säen, ernten, um den Lohn seiner Mühe einzuholen. Der Boden gab seinen Ertrag nicht umsonst.

Sebulon dagegen wurde auf das Meer hingewiesen, das nicht verpachtet, und dessen Benutzung nicht bezahlt wird. Die See gibt ihre Schätze auch nicht als Lohn für vorherige Arbeit heraus, sondern erlaubt ein freies Nehmen. Alles fällt dem Fischer gleichsam aus Gnaden zu. Er braucht seine Netze nur ins Wasser zu werfen und sie, wenn sie mit den von Gott hineingesandten Fischen gefüllt sind, wieder herauszuholen. Und dieser Segen ward dem Sebulon als ein unverdientes, ihm erbrechtlich gar nicht zustehendes Geschenk. Sein Stammgebiet (Josua 19,10-16) berührte weder das Mittelländische Meer, noch den See Genezareth; und von den Vorteilen des sidonischen Küstengebiets, der Schifffahrt und der Fischerei, konnte er nur auf Kosten seiner Grenznachbarn Gebrauch machen. So hat es denn, wie die Geschichte lehrt, Sebulon verstanden, sich durch Beteiligung am Seehandel, durch Fischerei und durch das Sammeln der wertvollen, den Purpur liefernden Meerschnecken außerordentlich zu bereichern, gerade wie Mose es vorausgesagt hat: „Sie werden saugen die Fülle der Meere und die verborgenen Schätze des Sandes" - Die kostbaren Schätze göttlichen Segens wurden aber der Gegend von Sebulon zuteil, als „dem Volke, das im Finstern wandelte, ein großes Licht" erschien (Jesaja 9), als unser Herr dort wohnte und das Land durchpilgerte. Nazareth lag in Sebulon und ebenso Kana, wo das Wasser der Reinigung in den Wein der Freude für das Hochzeitsfest verwandelt wurde.

Auch uns fallen alle göttlichen Segnungen unverdient zu, nicht als eine Belohnung für unser Tun, nicht als ein Lohn, der uns gebührt. Durch eigenes Kämpfen und Ringen können wir nichts davon erlangen, wir können nur in der Stille vor Gott den Reichtum Seiner Gnade, den Er uns umsonst und ohne irgendeine Gegengabe unsererseits anbietet, uns zueignen. Mit unserer eigenen Kraft und Mühe waren wir zu Ende, als wir das herrliche Geschenk: Vergebung, Gerechtigkeit, Frieden und Freude als unverdiente Gabe aus Seiner Hand empfingen. Und selbst in dem täglichen Kampf mit Welt und Sünde, die uns dieses Geschenk immer wieder streitig machen wollen, siegen wir nicht durch eigene Anstrengung, sondern nur dadurch, daß unser Blick unverwandt auf Christum gerichtet ist, der das Geheimnis des Sieges in Seiner Hand hält.

Ja, alle Gnadengaben, nach denen unsere erneuerte Seele sich sehnt, können wir nicht durch Anstrengung erwerben, wir können sie aber erlangen. In Jesu sind sie für uns da und warten auf uns. Wir brauchen nur zuzugreifen. Unsere Aufgabe ist, zu „ergreifen", nicht zu „erwerben". Fallen denn diese Segnungen uns einfach in den Schoß? Haben wir gar nichts dabei zu tun? O ja! Sebulon musste die Netze auswerfen, musste sich mühen, den Segen aus dem Wasser zu holen, musste die Fische zubereiten und mit Fleiß in den Handel bringen, bevor er den Segen sein eigen nennen konnte. Genau so ist es bei uns. Die Fülle der Gnade und Kraft, die in Christo ist, zu erwerben, durch unsere Arbeit zu erkaufen, ist einfach unmöglich; sie liegt als ein Geschenk vor uns, aber unsere Aufgabe ist, diese Fülle zu ergreifen und zu verwerten.

Dieser Verwertung stellt sich unser Ich, die Welt und Satan hindernd in den Weg, und es bedarf nicht nur eines einmaligen Herzensentschlusses, sondern auch einer dauernden geistlichen Energie, einer rückhaltlosen Selbstverleugnung und eines treuen hingebenden Fleißes, um dem Herrn in wohlgefälliger Weise dienen zu können und den Segen zu erlangen, der in einem solchen Dienste liegt.

Wir sind Knechte und Mägde Jesu Christi, aber nicht in dem Sinne, als hätten wir uns Ihm freiwillig für eine gewisse Zeit vermietet, als hätten wir uns Ihm gegen einen bestimmten Lohn für eine bestimmte Arbeit verpflichtet, so dass wir frei wären, das Verhältnis nach vorhergegangener Kündigung beliebig zu lösen. Nein, wir waren einst Feinde Christi, wollten nichts von Ihm wissen; wir waren Sklaven Satans, des Fürsten dieser Welt, der uns durch die Lüste unserer Herzen gefangen hielt. Aus diesem elenden Zustande wurden wir befreit, als wir das Evangelium Gottes im Glaubensgehorsam annahmen und wir sind von da ab nicht mehr Sklaven Satans, sondern Sklaven Jesu Christi, unseres Befreiers, Leibeigene unseres Herrn. Er hat uns um einen hohen Preis erkauft, und wir gehören Ihm nun nach Leib und Seele für immer an. Deshalb nennen wir Ihn auch freudigen Herzens unseren Herrn, erkennen Seine Autorität und Sein Recht, uns zu gebieten, willig an, beugen uns vor Seinem Wort und begehren Ihm zu gehorchen. Sein Wille ist allein für uns maßgebend. Er ist unser Herr, und wir sind Seine Sklaven, die kein Recht mehr haben, über sich selbst zu bestimmen, das aber auch gar nicht wollen, denn sie sind nicht Sklaven in dem gewöhnlichen Sinne dieses Wortes, Menschen, die unter einem harten, schweren Joch seufzen und nach Befreiung sich sehnen. Nein, ihr Herr liebt sie mit der treuesten Liebe. Er betrachtet sie nicht als Knechte, die einfach die Gebote ihres Herrn zu empfangen und auszuführen haben, sondern hat sie in ein nahes, inniges Verhältnis mit Sich Selbst gebracht. Als Er noch auf Erden war und Seinen Jüngern Gebote gab, sagte Er ihnen, dass, wer Ihn liebe, Seine Gebote halten würde (vergl. Johannes 14,21). Ja noch mehr. Er berief sie zu der Vertrautheit von Freunden. „Ich nenne euch nicht mehr Knechte" (Sklaven), so sagte Er, „denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut; aber ich habe euch Freunde genannt, weil ich alles, was ich von meinem Vater gehört, euch kundgetan habe" (Johannes 15,15).

Das ist unser Verhältnis zu Christo: wir sind Seine Sklaven und zugleich Seine Freunde. Er hat Sein Leben für uns gelassen. Er ist gestorben und auferweckt worden, und wir mit Ihm. Wenn wir daher für Ihn zu leben, in allem nach Seinem Willen, nach Seinen Gedanken zu fragen und ohne Zögern danach zu handeln begehren, so ist das das naturgemäße Ergebnis eines dankbaren, liebenden Herzens. Wir sind mit Freuden Seine Sklaven und singen:

Dein Sklave sein ist größ're Ehre,

als König über Land und Heere.

Wir sind nicht Knechte, die mit ihren eigenen Gedanken zu Rate gehen und Lohn für ihr Tun beanspruchen können, oder jederzeit aus dem Dienstverhältnis austreten dürfen. Liebe, nicht Pflichtgefühl, ist die Kette, die uns an Seinen gesegneten Dienst fesselt, wie einer, der sich freudig Sklave Christi nennt (Phil. 1,1), gesagt hat: „Die Liebe des Christus drängt uns" (2. Korinther 5,14). Wir haben Seine Liebe zu uns erkannt und erfahren, und die unsrige leuchte nun in jeder Dienstleistung. Liebe ist der einzige Beweggrund unseres Dienens, und wir ergreifen die Gnadengaben aus der Hand unseres teuren Herrn als ein unverdientes Geschenk. Seinen Willen als unsere einzige Regel kennend, dienen wir Ihm mit einfältigem Herzen, und Er schenkt uns die Ehre, als Seine Streiter dazustehen und Siege für Ihn zu erringen. Stets bereit, Seinem Rufe zu folgen, kämpfen wir in Ordnung, streng nach Seinen Gedanken und mit einem ungeteilten Herzen, so wie es das Wort von Sebulon rühmt: „Sie zogen zum Heere aus mit allen Kriegswaffen, zum Kampfe bereit, und zwar um sich in Schlachtreihen zu ordnen mit ungeteiltem Herzen" (1. Chronika 12,33).

@@@@@

Einsam und elend

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 331ff

„Einsam und elend bin ich“, klagt David in Psalm 25, 16. ,,Einsam und elend« -— eine Welt von Schmerz umfassen diese zwei Wörter. Und heute, wo der schreckliche Krieg grausam in so viele Familienleben hineingegriffen und hier den Mann oder Sohn, dort den Vater, Bruder oder Bräutigam durch den Tod hinweggerafft hat, gibt es auch in unserer Mitte so manche müde, trauernde Seele, die mit David zu Gott schreit: „Wende Dich zu mir und sei mir gnädig! denn einsam und elend bin ich.“ Oft hat sie vordem erfahren, dass Gott gnädig ist und jedes Seiner Kinder unaussprechlich liebt —— und nun dieser schmerzende Schlag! Oft hat sie sich früher an den Tröstungen des Herrn erquickt, „der mit den Müden ein Wort zu reden weiß zur rechten Zeit“ —- jetzt aber fühlt sie keinen Trost. Dieses Leiden ist zu schwer; einsam und elend pilgert sie dahin. Die Seele ist zu niedergedrückt, als dass sie von ihrem Schmerz abzusehen und vertrauensvoll nach oben zu blicken vermöchte; vielleicht ist sie auch durch das Leid erbittert und weigert sich, sich trösten zu lassen. Es geht ihr dann, wie dem Liedersänger Asaph in Psalm 77, der sich auch der Verzweiflung nahe fühlte und zwar „am Tage der Drangsal den Herrn suchte“, aber nicht bis in Seine Gegenwart drang, dahin, wo man selbst nichts, und Gott alles ist. Ruhelos, ohne Schlaf wälzte er sich aus seinem Nachtlager; unruhig „war seine Hand ausgestreckt“, sein erbitterter Geist wandte sich ab, „seine Seele weigerte sich getröstet zu werden“. „Er stöhnte in dem Unwillen darüber, dass Gott ihn, der doch so manches Loblied zum Preise Jehovas gesungen und „des Nachts mit seinem Saitenspiel“ begleitet hatte, ein solches Leid hatte treffen lassen. Stumpf von allem Grübeln, wird er endlich ganz in sich gekehrt und „redet nicht“ mehr mit Gott. Aber sein Geist beschäftigt sich umso mehr mit sich, mit seinem Schmerz, mit seiner Trauer, bis er ermattet“; und schließlich schleicht der Zweifel an Gottes Güte und Treue in sein wundes Herz. „Ist zu Ende Seine Güte für immer? Hat das Wort aufgehört von Geschlecht zu Geschlecht? Hat Gott vergessen gnädig zu sein? Hat Er im Zorn verschlossen Seine Erbarmungen?“ Asaphs Kummer war so groß, dass er sich völlig vergaß und wie ein Ungläubiger redete; jetzt war er wirklich einsam und elend. Aber Gott sei gepriesen! Er blieb nicht in dieser Tiefe. Gott sendet Licht in seine verdüsterte Seele und führt ihn zu lichten Höhen. Er richtet das Auge des Tiefbekümmerten auf „die rechte Hand des Höchsten“, erinnert ihn „an die Taten des Jah“ und „an Seine Wunder von alters her“ und bringt ihn „zum Nachdenken über all Sein Tun“, „zum Sinnen über Seine Taten“. Vor den Augen des unglücklichen Asaph steht wieder der Gott, der ,,gerecht ist in allen Seinen Wegen und gütig in allen Seinen Taten“ (Ps. 145, 17), und er findet die sich geziemende Ehrfurcht, die im Schmerz verlassene demütige Stellung wieder. „Gott!“ sagt er, „Dein Weg ist im Heiligtum; wer ist ein großer Gott wie Gott?“ Jetzt war der Augenblick gekommen, wo dieser große Gott sich ihm offenbaren konnte als der Erlöser Seines Volkes, als der Rächer an Seinen Feinden, und als der Jehova, „dessen das Verborgene ist“ (5. Mose 29, 29), vor dessen Rätseln der menschliche Mund verstummen muss. „Im Meere ist Sein Weg, und Seine Pfade in großen Wassern, und Seine Fußstapfen sind nicht bekannt. „Asaph durfte das tröstende und ihn wieder aufrichtende Wort hören, dass Jehova Sein Volk durch die Wüste geleitet hatte, in aller Sorgfalt, in aller Liebe, „wie eine Herde“ — Er, der große, heilige Gott, der treue Hirte. Teurer Leser! Blutet dein Herz unter der Last des Kummers? Möchte dann die Erinnerung an Asaph dich ermutigen, dein ganzes Inneres dem Herrn auszuschütten! Er will so gerne trösten. „Wie einen, den seine Mutter tröstet, also werde ich euch trösten; und in Jerusalem sollt ihr getröstet werden« (Jes. 66, 13), so lässt Er Seinem irdischen Volke durch den Propheten sagen. Denke daran, dass das Herz Jesu voll des zärtlichsten Mitgefühls ist. Er fühlt deinen Kummer mit, zählt deine Seufzer, sammelt deine Tränen. Dort auf dem Throne Gottes, zur Rechten der Majestät in den Himmeln, schlägt ein Herz, auf dessen Mitgefühl du sicher rechnen kannst. Dein vereinsamtes Leben fühlt eine schmerzliche Leere — o gehe hin zu Ihm und lass diese Leere ausfüllen mit den reichen Tröstungen, die Seinem Herzen entfließen! Dein beunruhigter und geängstigter Geist wird erquickt werden. Denke daran, dass Er gesagt hat: „Ich will dich nicht versäumen, noch dich verlassen“ (Hebr. 13, 5), und lass dir an Seiner Gnade genügen! Du bist Sein, und weil du Sein bist, darfst du mit dem Psalmisten das kürzeste aller Gebete vor Gott bringen: „Ich bin Dein, rette mich!“ (Ps. 119, 94.) Er hat dich in Seine Arme genommen, gerade wie man ein geliebtes Kind in seine Arme nimmt. Das ist mehr als Errettung und Sündenvergebung. Ist dein Kummer noch so groß und die Bürde noch so schwer, du kannst doch immer sagen: „Unter mir sind ewige Arme“. (5. Mose 33, 27). Du brauchst nichts allein zu tragen. „Tag für Tag trägt Er unsere Last“ (Ps. 68, 19). Und Er wird nicht müde von diesem Tragen, denn Sein sind ,,ewige Arme«. So ergib dich denn in Seinen Willen, welcher Schmerz dich auch getroffen haben mag, lege alles in Seine Hände und sage: Dein Wille, nicht der meinige geschehe! Sage es in aller Demut, nicht in oberflächlicher Weise und mit stolzem Mut, wie der Feldherr Joab: „Jehova wird tun was gut ist in Seinen Au-gen« (2. Sam. 10, 12); sage es auch nicht in stumpfer Ergebung, wie der alte Eli: ,,Er ist Jehova; Er tue was gut ist in Seinen Augen“ (1. Sam. 3, 18). Nein, sprich in festem Vertrauen, wie einst David, als er vor Absalom floh: „Hier bin ich, mag Er mit mir tun, wie es gut ist in Seinen Augen“. (2.Sam. 15,26.) Sage es schweigend, in völligem Aufgehen des eigenen Willens in den Willen Gottes — so wie es von der Versammlung in Cäsarea geschrieben steht, die in der Furcht, Paulus zu verlieren, im Gebet und in Tränen versammelt war und den Apostel bat, nicht nach Jerusalem hinaufzuziehen. „Als Paulus sich aber nicht überreden ließ, schwiegen wir und sprachen: Der Wille des Herrn geschehe!“ (Apstgsch. 21,14.

@@@@@@@

Gedanken

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 335ff

Wenn wir auf die Menschen oder auf die Umstände schauen und von ihnen etwas erwarten, werden wir schwach und immer schwächer. Schauen und harren wir aber auf Gott, so wird Er uns Kraftlosen fort und fort die Stärke mehren. Wir können die Waffenrüstung Gottes in all ihren einzelnen Teilen wie Kunstverständige« betrachten und sie bewundern, ohne sie anzuziehen. Die einfache Seele zieht sie an, während eine andere, vielleicht mit mehr Erkenntnis begabte, sich damit begnügt, sie zu untersuchen.

@@@@@

Zur Jahreswende

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1914 S. 136ff

Sinnend schaut zur Jahreswende

manches Auge in die Ferne;

Was das neue Jahr wohl bringe,

ach! man wüsste es so gerne!

Würde Gott den Schleier lüften,

wäre es willkommne Gabe?

Schon im voraus trauernd stehen

an so mancher Hoffnung Grabe?

Statt im Glauben aufzuschauen,

—— Eines Kindes hohe Würde —-

Schmerz und Leiden sich zu mehren,

doppelt tragen jede Bürde?

Nein, der Vater, dessen Güte

uns umgibt auf unsrem Pfade,

der mit Namen uns gerufen,

schenkt uns ungleich größ’re Gnade.

Höret, was Er Seinem Knechte

einst am Sinai versprochen,

als das Volk, das heißgeliebte,

eben Gottes Bund gebrochen:

Sieh, mein Angesicht geht mit dir

fürchte nicht der Wüste Schrecken!

Und dir werd’ ich Ruhe geben

meine Rechte wird dich decken.

Ja, bei mir, auf Felsenboden,

ist ein Ort, da sollst du stehen,

in der Felsenkluft geborgen,

Sollst du mich von hinten sehen.

R. B.

Kommentare

Keine Beiträge gefunden.

Rezension verfassen