Botschafter des Heils in Christo 1916

02/06/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger
Botschafter des Heils in Christo Inhaltsverzeichnis: 1916Seite
Hierin ist bie Liebe."1
Die Stunde der Versuchung und der Tag des Zornes11
Das Geheimnis des Lebens24
Ein beherzigenswertes Wort27
Alles in Jesu (Gedicht).28
Der von Gott Verordnete38
Eure Rede sei: Ja, ja; nein, nein!45
Die Doppeldrachme51
Folge mir nach!68
Zwelerlei Danksagen82
Ich sinne nach (Gedicht).84
Der Mensch vom Himmel und der Himmlische96
Drei kostbare Dinge107
Eines111
Fürchte dich nicht!"113
Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei."124
D Christenvolk, du Gottes Licht! (Gedicht)133
Drei Aber".134
Der Hirtendienst in schwerer Zeit141
Die Erwartung der Gläubigen von Thessalonich151
Der Name Gottes in 2. Mose 6 und 34167
„Nahe ist Jehova allen, die Ihn anrufen." (Gedicht)168
Das Abendessen in Bethanien169
Das Vaterunser"184
Des Herrn Tag..192
Der Berg der Verklärung und der Hügel Golgatha195
Aquila und Priscilla.197
Jabez219
Herunter vom Wagen!"222
Ein Wort über den Prediger253
Vier Merkmale auf dem Wege des treuen Gläubigen.234

Botschafter des Heils in Christo

Vierundsechszigster Jahrgang

Elberfeld – Verlag von R. Brockhaus

1916

Hierin ist die Liebe

Bibelstelle: Lukas 15

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 1ff

„Hierin ist die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass Er uns geliebt und Seinen Sohn gesandt hat als eine Sühnung für unsere Sünden“ (1. Joh. 4, 10).

Über Lukas 15 ist schon viel geredet und geschrieben worden. Was mir Freimütigkeit gibt, auch meinerseits einige Gedanken über diesen Abschnitt zu Papier zu bringen, ist vor allem die Überzeugung, dass die Gnade Gottes hier in ganz außergewöhnlicher Weise dargestellt ist. Auf diese kostbare Gnade, die auf das praktische Leben des Gläubigen stets ihren gesegneten Einfluss ausübt, können wir nie zu oft hingewiesen werden. Der Strom der Liebe Gottes verliert nie seine erquickende Wirkung für die Seele. In Verbindung gebracht mit dem Abgrund, in welchen der Mensch durch die Sünde versunken ist, lässt sie uns immer wieder ihre rettende Kraft schauen.

Was uns in diesem schönen Kapitel als erster wichtiger Umstand entgegentritt, ist die Veranlassung zur Erzählung der drei Gleichnisse: „Es nahten aber zu Ihm alle Zöllner und Sünder, Ihn zu hören“. Die Pharisäer und Schriftgelehrten murren über den vertraulichen Verkehr des Herrn mit solchen Menschen. Anstatt sich dadurch zurückhalten zu lassen, benutzt der Herr vielmehr die Gelegenheit, um diese armen Leute mit dem Heilsweg bekannt zu machen, den Gott in Seiner Gnade für den verlorenen Menschen gebahnt hat. Indem Er aber das darstellt, was den Bedürfnissen dieser Zöllner und Sünder entsprach, verlässt Er gänzlich den Boden des Judentums. Was hätte es auch nützen können, mit ihnen über die Forderungen des Gesetzes zu reden? Es hätte ja nur zu ihrer Verurteilung gereicht. Aber deshalb waren sie nicht zu Ihm gekommen. Überdies hatten weder der „Weinstock“ noch der „Feigenbaum“ (beides Bilder von Israel) Frucht gebracht, wie gut der Boden auch war, in welchen Gott sie gestellt, und wieviel Mühe und Arbeit Er. auch aus sie verwandt hatte. Gott erwartete nichts mehr von einem System, welches das Wohl oder Wehe des Menschen von seinen Werken abhängig machte, und das in Verbindung stand mit der Verantwortlichkeit des Menschen. Er hatte lang genug gewartet und Geduld gehabt, um zu sehen, ob es möglich sei, den Menschen auf dem Wege des persönlichen Gehorsams zu segnen. Dieser Weg hatte nur zu seiner völligen Verurteilung geführt (Vergl. Röm. 3).

Nachdem sich so die Untauglichkeit und Strafbarkeit des Menschen herausgestellt hat, ist Gott nur gerecht, wenn Er den Menschen verurteilt und ihm nach seinen Werken vergilt. Jeder Mund ist verstopft und die ganze Welt dem Gericht Gottes verfallen. Während aber niemand etwas gegen Gottes Gerechtigkeit vorzubringen vermag, ist Gott andererseits frei, an dem, an welchem Er will, Gnade zu üben. Und diese Gnade ist es, welche uns in ihrer ganzen Fülle in Luk. 15 vorgestellt wird, die Gnade, wie Gott sie allein in Christo jedem Sünder erzeigen kann.

Die Zöllner und Sünder waren zu Johannes gekommen, um sich von ihm taufen zu lassen, indem sie ihre Sünden bekannten. Dadurch hatten sie Gott in Seinem Urteil über den Menschen gerechtfertigt. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten dagegen hatten als solche, die keine Gnade nötig hatten, in Bezug auf sich selbst den Ratschluss Gottes wirkungslos gemacht. Dadurch hatten sie sich mit dem ältesten Sohn in dem dritten Gleichnis auf einen Boden gestellt. Wer irgend Gnade annimmt, rechtfertigt Gott in Seinem Urteil über ihn; er erkennt an, dass er nichts anderes als Gericht verdient hat. Der selbstgerechte Mensch dagegen klagt über die Härte und Lieblosigkeit Gottes, weil Er ihm das vorenthalte, worauf er Anspruch zu haben glaubt. Seine Sprache lautet: „Siehe, so viele Jahre diene ich dir, und niemals habe ich ein Gebot von dir übertreten; und mir hast du niemals ein Böcklein gegeben, ans dass ich mit meinen Freunden fröhlich wäre“.

Was der Herr diesen Zöllnern und Sündern im dritten Gleichnis vorstellt, übertrifft die Gnaden-Offenbarung Gottes unter dem alten Bunde, so wie die Aufrichtigen und Frommen jener Zeit Ihn gekannt hatten, bei weitem. Er verkündigt ihnen Gott in Seiner höchsten Offenbarung, als Vater, so wie die Briefe des Apostels Johannes Ihn darstellen. Durch diese Offenbarung Gottes bringt der Herr jene Verachteten in unmittelbare Verbindung mit dem Himmel. Ihr Auge wird auf die innigste Beziehung und auf den höchsten Platz gelenkt, die es — geben kann. Mit nichts Geringerem konnte das Herz Gottes im Blick auf den armen, verlorenen Menschen zufrieden sein. (Vergl. 1.Joh. 3, 1 - 3.) Möchte das von allen Erretteten besser verstanden und mehr genossen werden!

Obwohl ich in dieser Betrachtung hauptsächlich bei dem letzten Teile von Luk. 15 zu verweilen gedachte, möchte ich doch zunächst ein kurzes Wort über die Verbindung des dritten Gleichnisses mit den beiden vorhergehenden sagen.

Ein Gleichnis, wie das vom verlorenen Sohne, würde nicht genügt haben, um uns das Gnadenwerk Gottes in Seinem ganzen Umfang und Reichtum vorzustellen; denn wir sollten nicht nur mit der Liebe Gottes bekannt gemacht werden, wie sie sich in der Errettung des verlorenen Menschen offenbart, und wie sie in so ergreifender Weise in der Geschichte des verlorenen Sohnes geschildert wird. Nein, dieselbe göttliche Liebe gab sich auch in dem rastlosen Suchen des Hirten, in welchem wir Jesum, unseren Herrn, erblicken, nach dem verlorenen Schafe kund. Ebenso finden wir sie wieder in dem geduldigen und fleißigen Suchen des Weibes nach der verlorenen Drachme, diesem schönen Bilde von dem Werke des Heiligen Geistes.

Die drei Gleichnisse stellen uns also in ihrer Gesamtheit das Wirken Gottes vor, und zwar jedes von ihnen dem Zustand entsprechend, in welchem das ,,Verlorene« sich befindet. In den ersten beiden Gleichnissen ist der Zustand ein anderer, als in dem letzten. In dem Gleichnis von dem verlorenen Schafe sowohl wie in dem von der verlorenen Drachme haben wir es mit einem Zustande der Untätigkeit zu tun, vor allem in dem zweiten. Das verlorene Schaf muss gesucht werden, da es sich selbst nicht helfen kann. Es ist lediglich in Gefahr, sich immer weiter zu verirren und obendrein vom Wolf angefallen und zerrissen zu werden. Wenn man nicht nach ihm suchte, würde es nie wieder zurechtkommen. Der Hirt tut alles, was zur Rettung des Schafes nötig ist. —- Der Zustand des verlorenen Sünders, vorgestellt in der verlorenen Drachme, kennzeichnet sich durch ein ruhiges Verbleiben in der Finsternis der sündigen Welt. Die Lampe und das fleißige Suchen des· Weibes sind das Mittel, um den Winkel zu entdecken, wohin die Drachme gerollt ist, und so das hochgeschätzte Geldstück wieder zu bekommen. Die Drachme selbst ist natürlich zu nichts anderem fähig, als still liegen zu bleiben. Das dritte Gleichnis zeigt uns dann das Werk Gottes in der Seele eines Menschen, der als Verlorener umherirrt. Durch Seine Wege mit dem verlorenen Sohne sucht Gott diesem sowohl seinen Zustand offenbar zu machen als auch das Verlangen (und das ist der Hauptunterschied von den vorigen Gleichnissen) in seinem Herzen zu wecken, zum Vater zurückzukehren.

In allen drei Gleichnissen ist es einzig und allein das Tun Gottes, wodurch das Verlorene gesunden wird. Das Verlorene selbst hat keinen Anteil daran. Dem scheinen freilich die Worte des Sohnes: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen“, zu widersprechen, aber die Bemerkung des Vaters: „Dieser war tot und ist wieder lebendig geworden«, die wir zweimal, im 24. und 32. Verse finden, bestätigt unsere Behauptung. Tote lebendig machen, das vermag Gott allein, und gerade dieses Wort zeigt uns den wahren Zustand, in welchem der Mensch sich als verlorenes Geschöpf befindet. (Vergl. auch Eph. 2.) Nur das Dazwischentreten Gottes in Gnade rettet und bewahrt den „Verlorenen“. Gott allein also gebührt alle Ehre und aller Dank. Welcher Errettete möchte dem nicht zustimmen?

Der Zustand des Verlorenen ist darum auch in allen drei Gleichnissen der gleiche, nur mit dem Unterschied, dass in dem letzten, wo von einem Menschen die Rede ist, die Verantwortlichkeit betont wird, von der wir in den beiden vorhergehenden Gleichnissen naturgemäß nichts finden. Diese Verantwortlichkeit bessert den Zustand des Verlorenen nicht, macht ihn im Gegenteil noch ernster, denn durch sie wird er schuldig und verdammungswürdig. Er bedarf Vergebung, was in den beiden anderen Gleichnissen nicht zum Ausdruck kommt.

Ein anderer Charakterzug, den die drei Gleichnisse gemeinsam haben, ist die Freude über das Wiedergefundene.

Betrachten wir den Hirten! Er ist für sich selbst voll Freude, sobald er das verlorene Schaf gefunden hat, aber seine Freude tritt erst recht ans Licht, wenn er mit dem wiedergefundenen Schatz nach Hause kommt. Dann „ruft er die Freunde und die Nachbarn zusammen und spricht zu ihnen: Freuet euch mit mir!“ Es ist, wie wenn es keinen glücklicheren Menschen auf Erden gäbe als den Hirten, der sein verlorenes Schaf wiedergefunden hat. Er hat sich, wie gesagt, bereits für sich allein gefreut (s. V. 5), aber jetzt tut er es in Gemeinschaft mit anderen, indem er sie dazu auffordert.

Tritt uns in dieser Darstellung nicht das Herz des Herrn Jesus als unseres guten Hirten vor Augen?

Die erste Freude gehört Ihm allein, nachdem Er das Verlorene, dem Er nachging und das Er suchte, gefunden hat. „Denn der Sohn des Menschen ist gekommen, zu suchen und zu erretten was verloren ist“ (Luk. 19, 10). Eine zweite Kundgebung Seiner Freude folgt später, und zwar, wie mir scheint, im Himmel, wenn Er das wiedergefundene Schaf sicher nach Hause gebracht hat, wo es jeder Gefahr enthoben und für ewig geborgen ist. Er bringt das Schaf nicht zur Herde oder in den Stall. Nein, nach Hause gekommen, ruft Er Seine Freunde und Nachbarn zusammen.

Lasst uns auch die Liebe und Sorge des Hirten beachten! Er nimmt das Schaf auf seine Schultern und trägt dessen Last den ganzen Weg, bis er nach Hause kommt. So trägt auch unser guter Hirte uns während unserer Pilgerfahrt hienieden. Er allein trägt die ganze Last, bis Er uns ins Vaterhaus gebracht hat, wo die Freude vollkommen und die Sicherheit verbürgt ist. Er übergibt die Last keinem anderen. Er hat es übernommen, uns an den Platz unserer Bestimmung, d. i. in die Herrlichkeit, zu bringen. Nicht wahr? Einen solchen Hirten bedurften wir.

Die Freude des Weibes, das die verlorene Drachme wiederfindet, ist nicht weniger groß. Auch sie „ruft die Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und spricht: Freuet euch mit mir!“ In diesen beiden ersten Gleichnissen wird die Freude in Verbindung gebracht mit dem Himmel. (Siehe V. 7 u. 10.) Dies stimmt ganz mit dem Charakter des Evangeliums Lukas überein, wo alles, was der Herr tut oder spricht oder was von Ihm bezeugt wird, durch den „Vater“ mit himmlischem Lichte bestrahlt wird. Afsfallend ist indessen, dass der Herr das Wirken des Heiligen Geistes in dem zweiten Gleichnis unter dem Bilde eines Weibes dargestellt hat. Denn wenn hier auch die Lampe (das Licht) den vornehmsten Platz einnimmt, als Bild der ersten Tätigkeit des Heiligen Geistes zur Entdeckung des Sünders, so ist es doch, dünkt mich, nicht weniger wahr, dass der Herr mit dem von Ihm gebrauchten Bilde auf das Werk des Geistes im allgemeinen hindeuten will. Offenbar ist dieses Werk ein ganz besonderes, unterschiedlich von dem des Vaters und des Sohnes. Auf die einzelnen Unterschiede hier näher einzugehen, würde zu weit führen. Jedenfalls aber ist die Darstellung des Herrn hier wie immer vollkommen und das Bild treffend gewählt. Wenn es von der Tätigkeit des Heiligen Geistes, die in 1. Mose 1, 2 zum ersten mal erwähnt wird, heißt: „Und der Geist Gottes schwebte (brütend) über den Wassern“, so denkt man unwillkürlich an ein Werk, dessen Charakter weibliche Züge trägt. Durch „Hegen, Brüten“ dem Leben mitzuteilen, was in sich selbst tot ist, ist das Werk des Heiligen Geistes. Er bringt Leben hervor, bewirkt Wachstum und lässt das Leben erstarken bei denen, die sich Seinem Einfluss und Seiner Leitung unterwerfen.

Die Freude des Vaters im dritten Gleichnis ist mit Erbarmen gepaart. (Vergl. V. 20.) Er ist innerlich bewegt, wenn er den zurückgekehrten Sohn in seinem jammervollen Zustande wiedersieht. Bevor er jedoch andere einladet, sich mit ihm zu freuen, entfernt er alles, was irgendwie an den verlorenen Zustand des Sohnes erinnern könnte. Seine Ehre wird wiederhergestellt, und er wird als Sohn angenommen und anerkannt, nicht allein von dem Vater, sondern auch von allen, die eingeladen sind, um sich mit dem Vater zu freuen. (Vergl. V. 27.) Wie groß die Freude des Vaters ist, geht aus Vers 23 und 32 hervor. Zweimal gibt er ihr Ausdruck, das eine Mal dadurch, dass er denen, die in seinem Hause sind, zuruft: „Lasset uns essen und fröhlich sein!“ (V. 23) und das andere Mal (V. 32) durch die Aufforderung an den ältesten Sohn, auch an seiner Freude teilzunehmen. Und zwar spricht der Vater diesen Wunsch aus, nachdem der Sohn ihm harte Vorwürfe gemacht hat über seine Freude (s. V. 29 - 30), sowie über die Art und Weise, wie er sie kundgetan hatte.

„Ihm hast du das gemästete Kalb geschlachtet!“ wirft er dem Vater vor. Welch eine schmerzliche Enttäuschung für das Herz des Vaters, eine derartige Gesinnung bei dem ältesten Sohne zu finden! Dieser Sohn will wohl auch fröhlich sein (V. 29), aber nicht in Gemeinschaft mit dem Vater noch mit denen, die mit ihm sich freuen, sondern in Gesellschaft seiner Freund e, die seine Gesinnung teilen und, gleich ihm, mit dem Zurückgekehrten nichts zu tun haben wollen. Wie wäre es auch anders möglich? Wie könnte der selbstgerechte Mensch, der es nicht fassen kann, dass es noch andere Glückseligkeiten gibt als die, welche auf dem Felde der Selbstgefälligkeit wachsen, sich in dem erfreuen, was mit diesen in unmittelbarem Widerspruch steht? Selbstgerechtigkeit und Gnade, siehe da, zwei Pole, die nie miteinander vereinigt werden können und die, welch große Veränderungen in der Natur auch eintreten mögen, nie etwas von ihrem weiten Abstand verlieren. So ist es von Anfang an gewesen, und so wird es bleiben bis ans Ende. Selbstgerechtigkeit war es, was sich zuerst bei Kain, dem Brudermörder, zeigte, und Selbstgerechtigkeit in ihrer vollsten Entfaltung wird sich am Ende bei dem Antichristen zeigen, der in seinem Hochmut und seiner Selbstverherrlichung Gott von seinem Throne stürzen möchte, um sich selbst darauf zu setzen.

Wie glücklich find demgegenüber die zu achten, welche im Festsaal an der Freude des Vaters teilhaben und in seinen Zügen die Freude und das Glück seines Herzens lesen darüber, dass er den geliebten Sohn wie· der hat, dessen er so lange Zeit beraubt gewesen war!

Von Deiner Gnade will ich singen,

die mich erfüllt mit sel’ger Ruh’,

Anbetung Deiner Liebe bringen,

wer liebt, o Gott, wer liebt wie Du!

Fußnote:

*) Eine der letzten Arbeiten aus der Feder unseres heimgegangenen Bruders G. P. Bronkhorst.

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Die Stunde der Versuchung und der Tag des Zorns

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 11ff

Der Prophet Daniel weissagt im 9. Kapitel seines Buches, dass über das Volk Israel und Über die heilige Stadt (Jerusalem) ein Zeitraum von 70 prophetischen Wochen, oder 490 Jahren —- die Woche zu 7 Jahren gerechnet — bestimmt sei. Am Schluss derselben „solle der Abfall zum Abschluss gebracht, den Sünden ein Ende gemacht, die Ungerechtigkeit gesühnt eine ewige Gerechtigkeit eingeführt und ein Allerheiligstes gesalbt werden«. (V. 24.) Im 25. Verse heißt es dann weiter: „Vom Ausgehen des Wortes, Jerusalem wiederherzustellen und zu bauen, bis auf den Messias, den Fürsten, sind sieben Wochen und zweiundsechzig Wochen«. Nehemia war es, der von dem persischen König Artasasta die Erlaubnis zum Wiederaufbau Jerusalems erhielt. Wenn wir nun von diesem Zeitpunkt an rechnen, so sind bis zum öffentlichen Einzug Christi in Jerusalem, als König der Juden, 69 Wochen oder 483 Jahre verflossen. Dann aber ist eine Unterbrechung eingetreten; die siebenzigste Woche ist in bedeutungsvoller Weise von den übrigen getrennt. „Nach den zweiundsechzig Wochen wird der Messias weggetan werden und nichts haben.“ Mit jenem Einzug Christi hörte die Zählung der Wochen auf.

Christus ist am Ende der 69. Woche als König der Juden erschienen und als solcher verworfen worden. Er hat „als Sohn Davids“ nichts empfangen. Ebenso sind Jerusalem und das Heiligtum, nach den Mitteilungen Gabriels an Daniel, durch das Volk des kommenden Fürsten, die Römer, zerstört worden, liegen bis heute wüste und werden wüste bleiben „bis ans Ende“ (V. 26). Aber die im 27. Verse berichteten Ereignisse der letzten Woche und die unmittelbar darauf folgende Befreiung Israels sind bis jetzt noch nicht eingetroffen. Die letzte, die siebenzigste Woche liegt also noch in der Zukunft. Sie trifft ein zur Zeit des Endes.

In der Zeit nun, die zwischen der 69. und 70. Woche liegt, findet die Sammlung der Kirche, der Braut Christi, statt. Davon konnte Daniel nicht reden, da die Kirche damals noch ein in Gott verborgenes Geheimnis war. Die Zeit, in welcher wir leben, ist die Zeit der Gnade, „die wohlangenehme Zeit, der Tag des Heils“ (2. Kor. 6, 2.) In ihr werden viele Sünder dem kommenden Gericht entrissen, und die Gläubigen werden durch Versuchungen aller Art geprüft, um sie im Zeugnis treu zu machen und sie immer mehr in das Bild Jesu Christi zu verwandeln. Mit dem Tage ihrer Entrückung hört die Gnadenzeit für die Welt auf, die Zeiten des Endes beginnen, und die Stunde der Versuchung mit dem ihr folgenden Tage des Zornes Gottes überfällt alle, die „auf der Erde wohnen“. Die Kirche selbst bleibt davon unberührt; sie steht ja außerhalb der Wege Gottes mit der Welt. Ihre Erwählung vor Gundlegung der Welt, ihre Verbindung mit einem auferstandenen und verherrlichten Christus und ihr Platz in den himmlischen Örtern verleiht ihr einen durchaus himmlischen Charakter, der mit dieser Schöpfung in gar keinem Zusammenhang steht. Darum ist die hier und da ausgesprochene Annahme, dass die Gläubigen noch durch diese Gerichte gehen müssten, unvereinbar mit dem Ratschluss Gottes über sie, sowie mit ihrem Verhältnis zu Christo und mit ihrer himmlischen Berufung und Erwartung. Die Kirche hat die Verheißung, „bewahrt zu werden vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird“ (Offbg. 3, 10). Erst wenn sie aufgenommen und vom irdischen Schauplatz verschwunden ist, beginnen „die Zeiten des Endes“; erst dann entwickeln sich die ernsten Wege Gottes mit der Welt in der prophetisch vorgezeichneten Weise.

Diese Zeiten des Endes kann man, ohne eine genaue Abgrenzung machen zu wollen, in zwei Abschnitte teilen. Wir haben diese bereits angedeutet als die „Stunde der Versuchung« und den „Tag des Zornes Gottes“. Beide haben die ernste Tatsache gemeinsam, dass die Gnade für die lebende Christenheit völlig aufgehört hat. Wie sie sich aber in ihrem Charakter voneinander unterscheiden, lehrt uns im Beispiel die Geschichte des Pharao zur Zeit Moses, als derselbe das Volk Israel nicht ziehen lassen wollte und dafür mit schweren Plagen gestraft wurde. Wir lesen, dass er bei den ersten fünf Plagen sein Herz verhärtete und verstockte. Es war für den Pharao die Stunde der Versuchung, wo Reue noch möglich war. In den übrigen Plagen aber verhärtete Jehova, wie das Wort ausdrücklich erwähnt, das Herz des Königs, so dass er nicht mehr hören noch bereuen konnte.

So ist es auch bei den Menschen, die in den letzten Zeiten „auf der Erde wohnen“. Während der „Stunde der Versuchung“ meinen sie, -— so groß werden ihre Leiden sein, und so gering ist ihre Kenntnis von dem Charakter Jesu, — dass „der große Tag des Zornes des Lammes gekommen sei“ (Offbg. 6, 16. 17.) Aber sie irren. Wenn auch die Zeit der Gnade vorüber ist, wäre doch noch Gelegenheit zur Buße vorhanden, wenn sie Buße tun wollten. Diese hört jedoch auf, sobald der „Tag des Zornes“, der noch schrecklichere Gerichte bringen wird, angefangen hat. Dieser entsetzliche Tag beginnt wohl mit dem Augenblick, wo Satan, „der Ankläger der Brüder“, der den ganzen Erdkreis verführt, aus dem Himmel auf die Erde geworfen wird (Offbg. 12, 7 — 12). Seinem

Einfluss sind von da ab die Menschenkinder völlig unterworfen. Auch verhärtet Gott selbst ihre Herzen, wie einstmals das Herz des Pharao. „Er sendet ihnen eine wirksame Kraft des Irrtums, dass sie der Lüge glauben, auf dass alle gerichtet werden, die der Wahrheit nicht geglaubt, sondern Wohlgefallen gefunden haben an der Ungerechtigkeit“ (2. Thess. 2, 11. 12). „Die sieben Schalen des Grimmes Gottes werden auf die Erde ausgegossen« (Offbg. 16, 1), rufen jedoch keine andere Wirkung hervor, als dass die Menschen Gott lästern und nicht Buße tun von ihren bösen Werken (Offbg. 16, 21; vergl. Kap. 9, 21).

Es ist der Tag der Herrschaft des „Tieres“ und „des falschen Propheten“ (des Antichrists), welche im Verein mit der „alten Schlange“ die satanische Dreieinheit bilden.

Er ist der Tag des Gerichts über die abtrünnige Christenheit, welche als die große Hure, als das große Babylon bezeichnet wird.

Zugleich ist es die Zeit der „großen Drangsal“, welche Satan hervorruft, die aber Gott benutzt, um wieder mit dem jüdischen Volke anzuknüpfen, sich aus ihm einen gläubigen Überrest zu erwählen und um durch die Predigt „des Evangeliums des Reichs“ mittelst gläubiger Israeliten eine große Menge aus den bis dahin noch nicht mit Christo in Beziehung gebrachten Heiden zu retten.

Alle übrigen Menschen, „die auf der Erde wohnen“, sind unrettbar verloren. „Der Überrest wird umkehren, der Überrest Jakobs zu dem starken Gott. Denn wenn auch dein Volk Israel wie der Sand des Meeres wäre, nur ein Überrest wird umkehren. Vertilgung ist fest beschlossen, sie bringt einherflutend Gerechtigkeit“ (Jes. 10, 21. 22).

Den letzten Abschnitt dieses Tages des Zornes bildet das Kommen des Herrn aus dem Himmel mit Seinen Kriegsheeren, um die Feinde zu vernichten und „zu treten die Kelter des Weines des Grimmes des Zornes Gottes, des Allmächtigen“. Christus tritt die Herrschast an. Öffentlich· wird Er ausgerufen als „König der Könige und Herr der Herren“ (Offbg. 19, 15. 16). Damit nimmt dann der Tag d es Herrn seinen Anfang, jener herrliche Tag, der nach dem Gericht die gesegneten Zeiten des Tausendjährigen Reiches einführt und der währen wird, bis ein neuer Himmel und eine neue Erde, der ewige Zustand, an die Stelle des zeitlichen tritt und der Tag Gottes (2.Petr. 3, 12) beginnt.

Damit wären „die Zeiten des Endes“, der Verlauf der für Israel bestimmten letzten Woche von Daniel 9, kurz angedeutet.

Diese Zeiten zeigen, wie wir gesehen haben, zwei Arten der Gerichtsentfaltung. An die „Stunde der

Versuchung“, auch „Anfang der Wehen“ genannt, schließt sich unmittelbar „der Tag des Zornes“, oder „der Tag der großen Drangsal“ an. Die Vertreibung Satans aus dem Himmel ist der Beginn des Tages des Zornes Gottes über die Welt und zugleich auch der Anfang der großen Drangsal, welche vom Feinde hervorgerufen wird, um das Zeugnis Gottes, das in den Händen des jüdischen Überrestes liegt, zu unterdrücken. Der Teufel nimmt seinen ersten Anlauf in Palästina, wohin das jüdische Volk inzwischen im Unglauben zurückgekehrt ist. Die Aufrichtung eines Götzenbildes, „eines verwüstenden Gräuels“ (Dan. 12, 11) in dem Tempel zu Jerusalem, gibt das Signal zu der schweren Drangsalsstunde. Der Herr mahnt deshalb in Matth. 24, 15 Seine Jünger, auf das Aufrichten dieses „Gräuels der Verwüstung“ zu achten; denn damit beginnt die letzte halbe Woche der Prophezeiung von Daniel, oder die dreiundeinhalb Jahre der großen Drangsal und des Zornes Gottes.

Die Zeitlänge des „Tages des Zornes“ wird uns durch verschiedene Stellen im Worte bestätigt (vergl. Dan. 7, 25; 9, 27; 12, 7; Offbg. 11, 2. 3; 12, 6 u. 14; 13, 5), während wir über die Dauer des vorhergehenden Zeitabschnittes, der „Stunde der Versuchung“ oder des „Anfangs der Wehen“, in Unkenntnis gelassen sind.

Eine eingehende Schilderung der Stunde der Versuchung oder des Anfangs der Wehen finden wir, soweit es sich um den jüdischen Überrest und die durch ihn Bekehrten handelt, in der Rede des Herrn an Seine Jünger in Matth. 24, und zwar von V. 4 — 14. Nach dem abschließenden Urteil über Jerusalem und das jüdische Volk, das Ihn verworfen hatte: „Siehe, euer Haus wird euch öde gelassen, denn ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt ab nicht sehen, bis ihr sprechet: Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ (Matth. 23, 38. 39), trat der Herr hinaus, ging von dem Tempel hinweg (24, 1) und sagte den Jüngern, welche Ihm die Gebäude des Tempels zeigten, dass hier nicht ein Stein auf dem anderen gelassen werden würde — eine Prophezeiung, die sich ungefähr 30 Jahre später (im Jahre 70 n. Chr.) wörtlich erfüllte. Die Jünger fragen dann, wann dieses (die Zerstörung des Tempels) geschehen würde, was das Zeichen Seiner Ankunft (von der Er vorher in Kap. 23, 39 gesprochen hatte), und was das Zeichen der Vollendung des Zeitalters sei.

Die erste Frage beantwortet der Herr hier nicht; genauere Mitteilungen über die Zerstörung des Tempels finden wir in Luk. 21, 12 — 24. Aber auf die beiden anderen Fragen geht Er näher ein. So spricht Er zunächst von der „Stunde der Versuchung“ mit ihren furchtbaren Erschütterungen. „Ihr werdet von Kriegen und Kriegsgerüchten hören“. „Nation wird sich wider Nation erheben und Königreich wider Königreich, und es werden Hungersnöte und Seuchen sein und Erdbeben an verschiedenen Orten“ (V. 6 u. 7). Falsche Christi werden sich erheben und viele verführen; die jüdischen Gläubigen (die „Brüder“ des Herrn, Matth. 25, 40) werden gehasst und verfolgt werden von den Nationen, und viele werden getötet werden. (V. 5. 9. 10.) Endlich wird „das Evangelium des Reiches“ gepredigt werden auf dem ganzen Erdkreis, „allen Nationen zu einem Zeugnis“ (V. 14).

Diese so unruhige und drangsalsvolle Zeit ist indessen für die Welt nur ein „Anfang der Wehen“. „Es ist noch nicht das Ende“; das wird erst nach der Verkündigung des Evangeliums des Reiches kommen. „Dann“, sagt der Herr, „wird das Ende kommen“ (V. 6. 8. 14).

In der Offenbarung finden wir die Schilderung dieser „Stunde der Versuchung“ wohl in den Kapiteln 6 — 9, welche die sieben Siegel und die sechs ersten Posaunen behandeln. Indes dürfen wir nicht vergessen, dass es sich in der Offenbarung vornehmlich um Gerichte handelt, welche die Christenheit treffen, während das Evangelium Matthäus von den Leiden spricht, welche die jüdischen Gläubigen in demselben Zeitraum durchmachen. Diese werden im Blick auf die kommende Zeit der Drangsal geprüft und versucht. Gott gestaltet sie zu Seinen Werkzeugen, um den Überrest aus den Nationen, der mit ihnen die kommende Drangsalsstunde durchschreiten muss, darauf vorzubereiten, den Herrn zu empfangen, wenn Er in Seinem Reiche kommt.

Der Zeitabschnitt, welcher der „Stunde der Versuchung« folgt, ist, wie wir schon gesagt haben, für den Überrest „die große Drangsal“, für die Welt „der Tag des Zornes Gottes«, für alle „die Vollendung des Zeitalters“. Also es kommt ein Tag des Zornes Gottes für die Welt. Dieser Zorn ist, nach Röm. 1, 18, bereits vom Himmel her über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen geoffenbart. Er wird ausgeübt „am Tage des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes“ (Röm. 2, 5). Von diesem Tage lesen wir in Matth. 24 von V.15 - 28 und in der Offenbarung von Kap. 10 — 19.

Ein besonderes Ereignis, das Hinabwerfen Satans aus dem Himmel, leitet diesen Tag ein. (Offbg.12, 7—12). Er weiß, dass er wenig Zeit hat, und benutzt in seiner Wut drei schreckliche Werkzeuge, um seine Herrschaft hienieden zu behaupten und Gott durch Vernichtung der Heiligen zu widerstehen.

Diese drei Werkzeuge sind: das Tier (Kap. 13, 1--10;17,7 ff.), das andere Tier (Kap. 13,11 ff.) und Babylon, die große (Kap.17 u. 18).

Das Tier stellt das einst zum Tode getroffene, aber am Ende wiedererstehende römische Reich und zugleich sein Haupt, den römischen Kaiser zu Rom, dar. Dieses Reich mit seinen zehn Hörnern, welche zehn Könige oder Reiche bedeuten, steigt aus dem Meere heraus. (Kap.13, 1.) In der bildlichen Sprache der Prophezeiung bedeutet das wogende Meer einen Zustand der Anarchie der Völker. Von diesem kommenden Zustand zeigt die gegenwärtige Einrichtung und Verfassung der Nationen noch wenig, aber es ist möglich, dass der augenblicklich tobende Weltkrieg ihn vorbereitet.

Das zweite Werkzeug Satans ist „das andere Tier“ von Kap. 13, 11: der Antichrist, der falsche Prophet, der falsche Messias, der Mensch der Sünde. In diesem Menschen hier sehen wir die geistige, satanische, verführerische, gotteslästerliche und götzendienerische Macht vereinigt. Das „andere Tier“ steigt aus der Erde auf. Sein Ursprung ist also nicht, wie der des ersten Tieres, die aufgeregte Masse der Völker, sondern, bildlich gesprochen, eine feste, politische und religiöse Einrichtung, die in Beziehung zu Gott zu stehen bekennt. Mag diese Einrichtung der Zukunft nun jüdisch-national oder wie anders sein, bezeichnend ist es, dass sie nur zum Gegenchristentum führt. Sie wird ihren Vertreter in einem Menschen finden, der sich einerseits den Titel des Messias aneignen und andererseits der christlichen Wahrheit sich widersetzen wird, indem er den Vater und den Sohn leugnet.

Das dritte Werkzeug Satans ist Babylon, die große, die abtrünnige Christenheit, die falsche, grausam verfolgende Kirche, „die Mutter der Huren und der Gräuel der Erde“, die letzte Entwicklung des durch Thyatira vorgebildeten götzendienerischen Systems. Die große Babylon wird sich anmaßen, das römische Tier, die kaiserliche Macht mit ihren zehn Königen, zu beherrschen, und wird schließlich vernichtet werden.

Alles das wird in Matth. 24 nicht erwähnt. Der Grund ist einfach. Wir deuteten ihn bereits an. Dieses Kapitel behandelt nicht, wie die Offenbarung, die Endgeschichte der Christenheit, sondern die Umstände, welche der Überrest der letzten Tage während des dunklen Tages des Zornes Gottes über die Welt durchmachen muss. Satan, herabgeworfen aus dem Himmel, wo er nicht mehr die Heiligen der Gnadenzeit, die dort eingeführt sind, anklagen kann, wird seine Wut gegen die Treuen des Überrestes richten. Er wird alle irdischen Mächte und „die Menschen, die auf der Erde wohnen“, aufbieten gegen Gott und Seinen Christus, den er in der Person Seiner Zeugen verfolgen wird. Die Offenbarung erwähnt diesen jüdischen Überrest nur nebenbei, um ihn in das Gemälde der Endereignisse einzufügen; so redet sie von den 144 000 Versiegelten in Kap. 7, von den „beiden Zeugen“, deren Geschichte in „dem Büchlein in der Hand des Engels“ erzählt ist (Kap.

10 — 11, 13), und von dem „Weibe“, das von dem Drachen verfolgt wird und eine Zufluchtstätte in der Wüste findet (Kap. 12, 13 — 17). Dagegen hebt die Offenbarung das Dasein eines Überrestes aus den Nationen, einer ,,großen Volksmenge, die niemand zählen kann“ und die durch die Predigt des „Evangeliums des Reiches“ bekehrt werden wird, besonders hervor und berichtet uns von den Leiden und dem endlichen Triumph desselben.

Drei Klassen von Menschen sind es also, welche die große Drangsalszeit durchleben müssen.

Erstens: die abtrünnige Christenheit, die in der Jetztzeit durch Thyatira, mit dem Weibe Iesabel, welche sich eine Prophetin nennt (Offbg. 2, 20), dargestellt und später „Babylon, die große“, oder „die große Hure“ genannt wird. Sie findet ihr Endgericht in Offenbg. 18. An einem Tage werden ihre Plagen kommen: Tod, Traurigkeit, Hungersnot und Feuer. (V. 8.) In einer Stunde kommt ihr Gericht (V. 10.) Die große und starke Stadt, in welcher alle, die Schiffe auf dem Meere hatten, reich wurden von ihrer Kostbarkeit, in einer Stunde wird sie verwüstet werden (V. 19).

Zweitens: „die große Volksmenge, die niemand zählen konnte, aus jeder Nation und aus Stämmen und Völkern und Sprachen“ (Kap. 7, 9). Diese, zu welchen das Evangelium der Gnade der Jetztzeit nicht gedrungen ist, haben sich beim Hören des Evangeliums des Reiches bekehrt. Sie werden „das Reich erben, das ihnen bereitet ist von Grundlegung der Welt an“ (Matth. 25, 34) und in Sicherheit und Frieden leben, tausend Jahre lang, unter dem glücklichen Szepter des „Königs der Nationen“.

Drittens: der jüdische Überrest, der in Jerusalem und in Judäa, nach der Rückkehr des Volkes nach Palästina, sich bilden und am Ende durch das Erscheinen seines Messias auf dem Ölberg befreit werden wird. (Sach. 14, 4; Apstgsch. 1, 11). Es ist der Überrest, von welchem in Matth. 24, Offbg. 11, 1 — 3; 12, 13 —17 und an vielen anderen Stellen die Rede ist.

„Wir, die Gläubigen der Jetztzeit, haben weder mit „der Stunde der Versuchung“ noch mit dem „Tage des Zorns“ etwas zu tun. Wir werden, zu seiner Zeit vor beiden bewahrt, in der Herrlichkeit bei Ihm sein, „der uns errettet von dem kommenden Zorn“ (1. Thess. 1, 10.) Wir warten auf Sein Kommen. Er wird uns zu sich nehmen, ehe die Gerichte zu toben beginnen. Aber sollten wir deshalb den hier besprochenen Ereignissen gleichgültig gegenüberstehen? Sicherlich nicht. In Tit. 2, 13 schreibt Paulus von der „glückseligen Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit“ unseres Herrn und Heilandes. Das Kommen des Herrn und Sein Erscheinen werden hier zusammen genannt. Die ,,glückselige Hoffnung«, zu Ihm aufgenommen zu werden, und „Seine Erscheinung“ in geoffenbarter Herrlichkeit, in welcher Er auf Erden den Ihm zukommenden Platz als „Herr von allen“ einnehmen wird, machen gemeinsam unsere Erwartung aus. Gewiss wird der Herr allem, was Er schon an uns getan hat, dadurch die Krone aufsetzen, dass Er uns einen Herrlichkeitsleib gibt, der dem Seinigen gleich- gestaltet ist, aber außerdem sollen wir noch in Herrlichkeit mit Ihm geoffenbart werden als Seine Miterben, als die, die mit Ihm herrschen. „Wenn wir ausharren, so werden wir auch mitherrschen“ (2. Tim. 2, 12).

Doch wie steht es? Haben wir ,,Seine Erscheinung« lieb? Brennen unsere Herzen bei dem Gedanken an Seine Offenbarung und an die Anerkennung, die Ihm dann von der ganzen Schöpfung zuteil werden wird? Wenn es so ist, dann werden wir Seine Verwerfung in der Gegenwart umso tiefer fühlen. Die Erwartung der glückseligen Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres Herrn übt dann sicherlich eine ernste praktische Wirkung auf uns aus, sie lässt es uns angelegen sein, den kommenden Herrn um jeden Preis zu verherrlichen.

Wenn die Möglichkeit unser Herz erfüllt, dass der Herr uns vielleicht noch vor Mitternacht zu sich aufnimmt, so können wir unmöglich heute in irgend etwas fortfahren, von dem wir wissen, dass es Ihm missfällt. Und wenn wir Sein Erscheinen erwarten, so kann unser Herz nicht anders, als sich freuen, dass der einst so erniedrigte Jesus von Nazareth bald die Ihm gebührende Stellung auf der Erde einnehmen und König der Könige und Herr der Herren sein wird. Wir können nicht anders, als Ihm treu sein.

Wie bald mögen wir Seinen „gebietenden Zuruf“ vernehmen! Lasst uns Ihm denn bis dahin treu dienen und Ihn zu verherrlichen suchen! Ja, lasst uns „besonnen und gerecht und gottselig leben in dem jetzigen Zeitlauf, indem wir erwarten die glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesu Christi, der sich selbst für uns gegeben hat, auf dass Er uns loskaufte von aller Gesetzlosigkeit und reinigte sich selbst ein Eigentumsvolk, eifrig in guten Werken!“ (Tit. 2, 12 — 14).

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Das Geheimnis des Lebens

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 24ff

Mit großer Kraft belehrt uns die Schrift über das Geheimnis des Lebens. Tief sucht sie unseren Seelen das Verständnis darüber einzuprägen, dass wir das Leben verloren hatten, aber dass Christus es für uns besitzt.

Das kreisende Flammenschwert in der Hand des Cherubs, der den Weg zum Baume des Lebens versperrte, brachte diese Tatsache zum Ausdruck, sobald die Sünde verübt und der Tod aus den Schauplatz getreten war. Dieses Zeichen ließ Adam verstehen, und uns alle mit ihm, dass das einmal verlorene Leben nie wieder zu erlangen war.

Das Evangelium lehrt an vielen Stellen dieselbe große Wahrheit. Es lässt keinem Menschen irgendwelchen Grund, die Tatsache in Frage zu ziehen, dass er tot ist, tot in Sünden und Übertretungen, dass er als ein völlig Kraftloser sich nie wieder zu erholen, nie wieder aufzuleben vermag. Er hat das Leben verloren, unwiederbringlich verloren.

Mit der gleichen Eindringlichkeit, wie diese Wahrheit, wird aber auch das andere große Geheimnis enthüllt, nämlich dass das Leben in Christo ist, dem Sohne Gottes, und zwar in Ihm für uns.

Es war Petrus, dem zuerst die Erkenntnis geschenkt wurde, dass das Leben in Christo ist, und dass Christus kein Geringerer war als der Sohn des lebendigen Gottes. Und auf sein Bekenntnis hin schickt der Herr sich sogleich an, die weitere Wahrheit zu offenbaren, dass jenes Leben, dessen Vorhandensein in Ihm anerkannt worden, ein sieghaftes Leben war, ein Leben, das für die Kirche nutzbar gemacht werden sollte (Siehe Matth. 16).

Ich will jetzt nicht bei den schönen Beweisen verweilen, die der Dienst des Herrn uns von diesem Leben gibt, von dem Leben des „lebendig machenden Geistes“, das in Jesu war all die Zeit hindurch, die Er hienieden pilgerte. In herrlichster Weise sehen wir es nach Seinem Tode zur Schau gestellt. Das leere Grab, welches wir in Joh. 20, 5 — 7 erblicken, legt im besonderen Zeugnis davon ab, dass ein Überwinder in dem Reiche des Todes gewesen war. Und dieser Überwinder wurde, wie wir wissen, nach Seiner Auferstehung vierzig Tage lang von den auserwählten Zeugen gesehen.

Die große Tatsache, dass dieses sieghafte Leben in Jesu, dem Sohne Gottes, für uns ist, wird uns in den ersten drei Kapiteln des Hebräerbriefes in besonders schöner Weise gezeigt. Dort wird Er uns vorgestellt als Der, welcher tot war, aber wieder lebt, und wir werden belehrt, dass Sein Tod für uns geschehen ist. Er starb nicht nur, um als Sieger erwiesen zu werden, d. h. um zu zeigen, dass Er, wenn Er sich auch im Hause des Starken befand, doch der Stärkere war, sondern Sein Tod wird uns als für uns geschehen vorgestellt. Der ganze Abschnitt zeigt uns, wie der Sohn (was Matth. 16, 18 ja verbürgt hatte) Sein sieghaftes Leben für die Kirche nutzbar macht.

Er ist gestorben als Der, welcher durch sich selbst die Reinigung unserer Sünden gemacht hat. Er hat, durch Gottes Gnade, für uns den Tod geschmeckt. Er ist, durch den Tod, dem begegnet, der uns durch Todesfurcht das ganze Leben hindurch in Knechtschaft hielt (Kap. 1 u. 2).

Im Anfang des dritten Kapitels werden wir aufgefordert, Ihn zu betrachten, der treu war, treu auch in dieser Hinsicht, nämlich treu Dem gegenüber, der Ihn dazu bestellt hatte, uns durch den Tod das Leben zu erwirken. Zur Stärkung unseres Glaubens und zum Trost für unsere Seelen sollen wir Ihn betrachten, indem wir uns mit diesem großen Geheimnis bekannt machen, dass der Sohn des lebendigen Gottes im Kampf mit dem Tode und im Tode gewesen ist, um uns das Leben wiederzubringen, uns, die wir es unwiederbringlich verloren hatten.

Und wie wir ermahnt werden, Ihn zu betrachten, so werden wir auch aufgefordert, zu Ihm zu halten, fest und treu. „Wir sind Genossen des Christus geworden, wenn wir anders den Anfang der Zuversicht bis zum Ende standhaft festhalten“ (V. 14).

Wir finden in diesem Abschnitt indes auch eine Warnung. Und wie muss diese lauten, nachdem wir

eine solche Belehrung empfangen haben? Der 12. Vers sagt es uns: „Sehet zu, Brüder, dass nicht etwa in jemand von euch ein böses Herz des Unglaubens sei in dem Abfallen vom lebendigen Gott«. Wie einfach, und doch wie notwendig, ja, wie gesegnet! Kein Geringerer als der „lebendige Gott“ selbst ist unser geworden in Jesu, und deshalb ergibt es sich gleichsam ganz von selbst, dass für uns alles davon abhängt, ob wir treu und fest an Ihm halten.

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Ein beherzigenswertes Wort

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 27ff

Autor: J. N. D.

Varnona, September 1879.

. . . Ich habe oft gesagt, dass „die Brüder“ ihren Weg begonnen haben mit der praktischen Absonderung von der Welt. Gott hatte ihnen auch gewisse, für die Zeiten des Endes besonders bedeutungsvolle Wahrheiten geschenkt, aber was die Welt an ihnen sah, war, dass sie nicht von der Welt waren. Wird dieses Zeugnis auch heute gesehen? Viele Fehler sind in jenen ersten Tagen gemacht worden, aber was die Brüder kennzeichnete und unterschied, war diese heilige Absonderung in den Familien, im Verkehr und persönlichen Verhalten . . . Gott redet ernst, aber Er ist überaus gnädig. Viele sind auch heute in ihren Gewissen ausgewacht; mögen ihre Herzen folgen im Vertrauen aus Gottes Güte! Wir lesen in Ps. 63, 8: „Meine Seele hängt dir nach, es hält mich aufrecht deine Rechte“.

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Alles in Jesu

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 28ff

Jesu, Du bist meine Ruh,

meines Lebens Sonne;

Gottes Sohn und Menschensohn,

Aller Himmel Wonne!

Bist mein Stecken und mein Stab,

drauf ich mich kann stützen,

wirst vor jedem bösen Feind

treulich mich beschützen.

Alle Fülle ist in Dir,

brauche nur zu nehmen;

Du wirst den, der Dir vertraut,

nimmermehr beschämen.

Bist der Anker, der mich hält

auch im Sturrngebrause,

meines Weges Kraft und Licht

bis zum Vaterhause.

Alles was mir nötig ist

auf dem Pilgerpfade,

Bietet unermüdlich dar

Deine reiche Gnade.

Güte seh’ ich nur und Huld,

wie ich mich mag wenden;

Noch ein Weilchen, und mein Lauf

wird bei Dir, Herr, enden.

Sch.

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Hierin ist die Liebe

Bibelstelle: Lukas 15

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 29ff

Bei der Betrachtung des Gleichnisses vom verlorenen Sohne verweilt man gewöhnlich besonders bei dem Augenblick, da der Sohn auf seinem Wege der Sünde den Gipfelpunkt erreichte, bei der Stunde nämlich, wo er alles verzehrt hatte und nun seine Zuflucht zu der erniedrigenden und für einen Israeliten unerlaubten Tätigkeit des Schweinehütens nehmen musste. Das Böse war jedoch bereits bei ihm vorhanden, als er noch zu Hause weilte und seinen Vater aufforderte, ihm den ihm zufallenden Teil des Vermögens zu geben. Das war der Anfang von allem später Folgenden. Der Sohn war nicht mehr zufrieden im Vaterhause. Sein Auge blickte anderswohin und spiegelte sich dort ein Glück und einen Genuss vor, den er im Vaterhause nicht finden konnte. Um dieses vermeintliche Glück zu finden, musste er fort aus dem Gesichtskreise des Vaters, an einen Platz, wo auch dessen Wort ihn nicht mehr zu erreichen vermochte. „Wenn die Lust empfangen hat“, das will sagen, wenn der Lust in unseren Gedanken Raum gegeben wird, statt dass man sie als Sünde verurteilt, so „gebiert sie die Sünde“ (Jak. 1, 15). Das ist ein sehr ernster Gedanke für uns alle. Als

der jüngere Sohn seinen Vermögensteil forderte, war noch nichts Böses von ihm verübt worden. Aber die Forderung selbst war böse, denn sein Herz war verunreinigt. Er weilte bereits mit seinen Gedanken in dem fernen Lande, wo er später als ein Verlorener auf dem Pfade der Sünde wandelte.

Auf dieselbe Weise beginnt der Lebenspfad eines jeden Menschen, wenn auch nicht alle auf dem Wege der Sünde gleich weit gehen. Der eine treibt’s schlimmer als der andere. Viele gleichen im Blick auf die Größe der Verfehlung dem verlorenen Sohne vielleicht nicht. Alle jedoch haben Gott den Rücken gekehrt, haben kein Gefallen daran, Ihm zu dienen, und fragen nicht nach Seinem Willen. Im Gegenteil, man will frei und unabhängig sein, den eigenen Willen tun und den Wünschen des Herzens Befriedigung gewähren. Wir erblicken diese Züge bereits in der Geschichte des ersten Menschenpaares. Oder war Eva sittlich nicht ebenso schuldig, als sie die Begierde nach der verbotenen Frucht in ihrem Herzen nährte, wie hernach, als sie von der Frucht gegessen hatte? In den Sprüchen heißt es: „Da ist ein Weg, der einem Menschen gerade erscheint, aber sein Ende sind Wege des Todes“ (Kap. 14, 12). So ist es mit dem ersten Menschen gegangen. Und wenn der Herr Jehova sich nicht über den gefallenen Menschen erbarmt hätte, so wäre nichts anderes als Gericht und ewiges Verlorensein sein Teil gewesen.

Aus unserem Gleichnis ersehen wir, dass Gott in Seiner großen Gnade auf den Augenblick wartet, wo der Sünder zurückkehrt, um ihm alsdann zeigen zu können, dass Er keine Luft hat an seinem Tode, sondern ihm ewiges Wohlergehen schenken möchte.

„Und nach nicht vielen Tagen brachte der jüngere Sohn alles zusammen und reiste weg in ein fernes Land, und daselbst vergeudete er sein Vermögen, indem er ausschweifend lebte“ (V. 13). Es ist schon öfter die Frage erhoben worden, mit welchem Recht der jüngere Sohn die Forderung an den Vater gestellt habe, ihm das ihm zustehende Vermögen zu geben. Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir das 16. Kapitel mit dem 15. in Verbindung bringen. Dort finden wir in dem Gleichnis von dem ungerechten Verwalter die Antwort aus jene Frage. In diesem Gleichnis weist der Herr Seine Jünger hin auf das, was Gott als Schöpfer dem Menschen anvertraut hatte (Vergl. 1. Muse 1, 26). Die Herrschaft über die ganze Tierwelt, ja, über die ganze Erde war ihm übergeben worden, ähnlich wie der „reiche Mann“ dem Verwalter „seine Habe“ anvertraut hatte. Beide waren nicht treu, und den Verwalter trifft, sobald er der Untreue angeklagt wird, das ernste Wort: „Lege die Rechnung von deiner Verwaltung ab, denn du wirst nicht mehr Verwalter sein können“. Gerade so hat Gott dem Menschen, nachdem er gesündigt hatte, die Verwaltung abnehmen müssen. Bemerkenswert, sowohl in dem Gleichnis von dem Verwalter als auch in der Geschichte des Menschen, ist dabei, dass beide nichtsdestoweniger im Besitz von Hab und Gut ihres Herrn geblieben sind. Der ungerechte Verwalter konnte auch noch nach dem über ihn gefällten Spruch über das Vermögen seines Herrn zu seinem Nutzen verfügen (Luk. 16, 4 — 8). Ebenso hat Gott den Menschen nach dem Sündenfall im Besitz alles Erschaffenen gelassen. Auf Grund dieser Tatsachen können wir verstehen, warum der jüngere Sohn das ihm zustehende Vermögen fordern, und auch, dass er es dazu benutzen konnte, ein ausschweifendes Leben zu führen. Mit dem Wort: „Du wirst nicht mehr Verwalter sein können“, wird dem Betreffenden die Habe noch nicht genommen.

In Psalm 8 wird der Sohn des Menschen als der wahre, treue Verwalter in den Besitz der ganzen Schöpfung gesetzt, nachdem der Mensch in seiner Untreue offenbar geworden ist. In der Zukunft wird diesem anderen Verwalter alles übergeben werden, und Er wird die Habe nicht für sich selbst benutzen, sondern in Treue zur Ehre Gottes verwalten. Dann wird das Wort seine Erfüllung finden: „Jehova, unser Herr, wie herrlich ist dein Name auf der ganzen Erde!“ (Ps. 8, 1). Die Erde in ihrer ursprünglichen Herrlichkeit, so wie sie von Gott erschaffen worden ist, ist nach dem Sündenfall das ferne Land geworden, ein Bild von der Welt, in welcher der Mensch fern von Gott lebt und sein Vermögen zu seinem Vergnügen verprasst. So stellt der Herr es uns in diesem Gleichnis vor, doch weist Er zugleich darauf hin, dass Gott in Seiner Gnade etwas ganz Neues geschaffen hat, das Himmlische. Die Reichtümer dieser Welt, betrachtet im Licht der zukünftigen, haben ihren Wert verloren, es sei denn dass man sie zu Zwecken verwendet, die mit dem Himmel in Verbindung stehen, wie wir lesen: „Machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, auf dass, wenn er zu Ende geht, ihr aufgenommen werdet in die ewigen Hütten (Kap.16, 9). Aus demselben Abschnitt ersehen wir auch, dass die Reichtümer dieser Welt oft ein Hindernis sind für den Eingang ins Reich der Himmel. (V. 19 — 31; vergl. auch Kap. 18, 11 — 30). Glückselig diejenigen, welche sich durch nichts in dieser Welt behindern lassen, Jesu nachzufolgen; denn ihnen gilt das ermunternde Wort des Herrn: „Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Eltern oder Brüder oder Weib oder Kinder verlassen hat um des Reiches Gottes willen, der nicht Vielfältiges empfangen wird in dieser Zeit, und in dem kommenden Zeitalter ewiges Leben“.

Von all dem Elend, das über den jüngeren Sohn kam, ist das Geschiedensein vom Vater wohl das größte. So lange noch nicht alles verzehrt war, fühlte er das nicht, aber später, als die Not den Höhepunkt erreicht hatte, begann er darüber nachzudenken, und da stellte er Vergleiche an zwischen der Lage der Tagelöhner im Hause seines Vaters und seiner eigenen als Sohn. So ist auch das Geschiedensein von Gott die schrecklichste von all den traurigen Folgen der Sünde. Welche Lei- den man sich auch als Folge der Sünde ausdenken mag, mit dem Geschiedensein von Gott sind sie nicht zu vergleichen. So lange jemand unbekehrt ist und der Welt dient, findet er in diesen Dingen Befriedigung für das Fleisch und denkt nicht daran, wie schrecklich es ist, seinen Weg ohne Gott zu gehen. Aber für jeden Menschen kommt die Stunde, wo er, ebenso wie der Sohn in dem Gleichnis, alles verzehrt haben wird, und wo ihm dann die Kraft fehlt, sein Leben auf dem Wege der Sünde fortzusetzen.

Doch hatte für den verirrten Sohn die Stunde zur Rückkehr noch nicht mit dem Augenblick geschlagen, wo er alles verzehrt hatte. Gott musste erst noch zulassen, dass „eine gewaltige Hungersnot über jenes Land kam“, wodurch er „anfing Mangel zu leiden“. Aber auch das genügte noch nicht, um ihn zur Rückkehr zu veranlassen. Lieber die verächtlichste Arbeit verrichten: Schweine hüten und seinen Bauch mit Träbern füllen, — falls die Menschen ihm dies nicht verwehrten —- als sich so tief erniedrigen und zum Vater zurückkehren! So weit musste es kommen. Da endlich kam der Verlorene zu sich selbst und begann nachzudenken über den Zustand, in welchem er sich befand. Der Mangel hatte ihn noch nicht dahin gebracht, erst das Verweigern der Schweineträber brachte ihn zur Besinnung. Zweifellos hatte er in dem fernen Lande, wo er nicht bekannt war, den Eindruck erweckt, ein reicher Mann zu sein, denn er lebte ausschweifend und machte großen Aufwand. Doch wie bald trat zu tage, dass alles nur Schein und

Selbstbetrug gewesen war!

Wie eindrucksvoll schildert der Herr hier die Welt und diejenigen, welche ihr dienen und sie lieben! Mit all ihrem gleißenden Schimmer von Reichtum und Genuß ist sie nichts als Lug und Trug. In harter, grausamer Weise verweigert sie dem, der ihr gedient hat, in der Zeit der Not und Drangsal selbst „die Trüber, welche die Schweine fressen“. Von der Welt hat man nur Enttäuschung zu erwarten. Wie sehr ist deshalb jeder zu beklagen, der ihr dient und seine Hoffnung auf sie gesetzt hat! Und wenn es auch, wie bereits früher bemerkt, wahr ist, dass nicht alle gleich weit gehen auf dem Wege der Sünde, so ist das Ende doch für alle das gleiche; denn am Ende wird die Welt in ihrem Lügen und Beträgen offenbar, und da werden alle ihre Diener das Wort bestätigt finden: „Alles was in der Welt ist, die Lust des Fleisches und die Lust der Augen und der Hochmut des Lebens, ist nicht von dem Vater, sondern ist von der Welt. Und die Welt vergeht und ihre Lust; wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit“ (1. Joh. 2, 16. 17). Auf Grund des Zeugnisses, das uns in diesen ernsten Worten von der Welt und allem, was in der Welt ist, gegeben wird, werden diejenigen, welche der Welt entflohen sind und ihren Fürst, „den Bösen“, überwunden haben, ermahnt, „nicht die Welt, noch was in der Welt ist, zu lieben“. Je mehr ein Gläubiger als Kind Gottes die Welt kennen gelernt hat in ihrer Feindschaft gegen Gott, desto entschiedener wird er sich von ihr abwenden und von allem, was ihren Charakter trägt, weil die Liebe zur Welt unvereinbar ist mit der Liebe zum Vater.

Die Macht Satans ist groß, um diejenigen, welche in der Welt sind, davon abzuhalten, ihr zu entfliehen. Er weiß sie auf allerlei Weise an sich zu fesseln, wenn es im Grunde auch nur Schweineträber sind, die er darreicht. Glücklicherweise ist aber die Macht Gottes noch größer; sie ist imstande, uns zu erlösen und zu sich zurückzubringen, wie wir das in so herrlicher Weise in unserem Gleichnis beschrieben finden.

„Als er aber zu sich selbst kam, sprach er: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Überfluss an Brot, ich aber komme hier um vor Hunger“. Ernst, aber gesegnet ist der Augenblick in dem Leben des verlorenen Sohnes, der uns im 17. Verse geschildert wird. Die Not ist hoch gestiegen, aber die Rettung auch nicht mehr fern. Das durchgegangene Ross ist zum Stehen gebracht worden. Das Verweigern der Schweineträber hat als Zaum und Zügel dazu dienen müssen. Das Zusichselbstkommen ist der erst Halt auf dem Wege der Sünde, wozu jeder Sünder gelangen muss.

In Ps. 32, 9 heißt es: „Seid nicht wie ein Ross, wie ein Maultier, das keinen Verstand hat“. Und in Sprüche 9, 4 lesen wir: „Zu den Unverständigen spricht sie: „Kommet, esset von meinem Brote, und trinket von dem Weine, den ich gemischt habe! Lasset ab von der Einfältigkeit und lebet, und schreitet einher auf dem Wege des Verstandes!“ Und in V. 17 des gleichen Kapitels ruft die Sünde, die unter dem Bilde eines törichten Weibes dargestellt wird, dem Unverständigen zu: „Gestohlene Wasser sind süß, und heimliches Brot ist lieblich“. Alle diese Schriftstellen weisen aus einen Charakterzug hin, der jedem Sünder eigen ist. Er wird als ein Unverständiger, als einer, der keinen Verstand hat, gekennzeichnet. Jemand, der an dem Bösen seine Freude hat, der auf dem Wege der Sünde wandelt, denkt nicht nach. Er beschäftigt sich lediglich mit dem gegenwärtigen Augenblick, um das zu vollbringen, woran er seine Lust hat. Um das, was das Ende dieses Weges der Sünde sein muss, kümmert er sich nicht.

Als solch ein Unverständiger hatte auch der verlorene Sohn dahingelebt. Aber jetzt, zu sich selbst gekommen, begann er nachzudenken, und da sah er denn, dass er als Sohn trauriger daran war, als die Tagelöhner im Hause seines Vaters. Erniedrigung und Not hatten kommen müssen, damit er zu dieser Erkenntnis gebracht wurde.

Ich möchte hier ein Wort anfügen über die falschen Schlüsse, welche Ungläubige und Vernunftgläubige aus diesem Gleichnis ziehen. Sie suchen nämlich die Behauptung darauf zu stützen, dass, um zu Gott zu kommen, das Werk Christi nicht nötig sei. Aber wie töricht ist das! Wie viele Schriftstellen beweisen das Gegenteil! Doch ist es ja bekannt, wie oberflächlich und willkürlich diese Leute die Schrift anwenden! Was in ihr System nicht passt, wird einfach als unwahr verworfen. Für dieses ihr System scheint das Gleichnis vom verlorenen Sohn ja freilich gute Dienste zu tun, weil von einem Sühnopfer in ihm keine Rede ist. Aber, möchte ich fragen, wie könnten wir erwarten, in jedem Abschnitt der Heiligen Schrift die ganze Heilslehre entfaltet zu finden? In dem einen Abschnitt wird diese, in dem anderen jene Seite der Wahrheit hervorgehoben. Die verschiedenen Belehrungen des Wortes Gottes zusammengefasst ergeben das Ganze, und jede Belehrung enthält einen besonderen Teil der Wahrheit für sich, so wie wir es nötig haben. Der Zweck des vorliegenden Gleichnisses war nicht, eine Vorstellung zu geben von der Rechtfertigung aus Glauben durch unseren Herrn Jesus Christus, wie wir sie im Römerbrief haben. Der Herr wollte uns vielmehr aus die Gnade und Liebe Gottes als Vater hinweisen, eine Liebe, die selbst ein ganz armer, verlorener Sünder kennen lernen kann, wie dies Tausende von weit Abgeirrten und Verlorenen bereits erfahren haben. Wie hätte aber der Mensch je diese Gnade und Liebe kennen lernen können, wenn der eingeborene Sohn, der sie allein in ihrer ganzen Fülle kannte, sie uns nicht verkündigt hätte?

Auch hier gilt das Wort des Apostels: „Ich rede als zu Verständigen“, und: „Wer unweise ist, sei unweise!“ Jene Ungläubigen sind „blinde Leiter der Blinden", von denen der Herr einst gesagt hat: „Lasst sie!“

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Eure Rede sei: Ja, Ja; nein, nein!

Bibelstelle: Matthäus 5,37

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 38ff

Petrus ermahnt uns im 1. Kapitel seines zweiten Briefes, allen Fleiß anzuwenden, um in unserem Glauben eine Reihe von Tugenden, u. a. „die Enthaltsamkeit“ darzureichen.

Der Ausdruck „,Enthaltsamkeit“ bedeutet weit mehr als Mäßigung im Essen und Trinken; er umfasst die völlige Selbstbeherrschung im Wandel und in der ganzen Lebensweise. Im Sinne dieser Stelle ist derjenige enthaltsam, welcher sich selbst beständig im Zügel hält und seine Gedanken, Worte und Handlungen beherrscht. Fragt nun jemand: Wie ist das möglich? Wie kann ich mich so völlig beherrschen? — so lautet die einfache Antwort: „Alles vermag ich in Dem, der mich kräftigt“ (Phil. 4, 13). Diese Enthaltsamkeit oder Selbstbeherrschung ist eine Frucht der Heiligung, welche die Gnade Gottes bei uns bewirkt, wenn wir den Blick des Glaubens auf Christum gerichtet halten, in welchem wir nicht nur die lebendige Verkörperung aller jener Tugenden sehen, sondern der uns auch von Gott zur Heiligkeit gemacht worden ist.

Und wo ist Selbstbeherrschung nötiger, als bei der Zunge, diesem kleinen Gliede, mit welchem wir gleicherweise segnen und fluchen können? (Vergl. Jak. 3). Wie wichtig ist es, sie zu beherrschen! Das Wort dringt sehr darauf. „Aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden“ (Matth. 12, 37). Gerade im Beherrschen der Zunge fehlen wir viel. „Wir alle straucheln oft, sagt Jakobus; »wenn jemand

nicht im Worte strauchelt, der ist ein vollkommener Mann, fähig, auch den ganzen Leib zu zügeln“ (Jak. 3, 2.) Und wenn wir selbst einen Mose in einem unbewachten Augenblick also straucheln sehen, so sollte uns das die Notwendigkeit tief fühlen lassen, beständig und gewohnheitsmäßig die Zunge zu zügeln· Es war, nach Ps. 106, 37, ja nur ein unbedachtes Wort, das dieser „Sanftmütigste aller Menschen“ (4. Mose 12, 3) an dem Wasser von Meriba sich zu schulden kommen ließ, ein Wort, welches wir vielleicht geringfügig nennen würden, das aber Gott streng ahndete.

Gott verfährt eben mit den Seinigen viel genauer, als mit den Kindern der Welt. Die Sünde ist bei einem Gläubigen weit ernster, als bei einem Ungläubigen, weil die Ehre Gottes dabei in Frage kommt. Was der Welt als Kleinigkeit erscheinen mag, ist es durchaus nicht für uns, die wir den Maßstab des Heiligtums an all unser Tun, Reden und Denken legen sollen. Wir können daher den Ernst der Stelle verstehen: „Wenn jemand sich dünkt, er diene Gott, und zügelt nicht seine Zunge, sondern beträgt sein Herz, dessen Gottesdienst ist eitel“ (Jak.1, 26).

Wir tun also wohl, auf unsere Zunge zu achten, damit „unser Wort allezeit in Gnade, mit Salz gewürzt sei“ (Kol. 4, 6), und dass „dem Hörenden Gnade dargereicht werde“ (Eph. 4, 29). Auch empfiehlt es sich, die Zügel zu gebrauchen, was die Menge der Worte betrifft, und sparsam, statt freigebig mit ihnen zu sein. „Bei der Menge der Worte fehlt Übertretung nicht; wer aber seine Lippen zurückhält, ist einsichtsvoll“, heißt es in den Sprüchen Salomos (Kap. 10, 19).

Satan benutzt gern unsere natürlichen Neigungen zu unserem Schaden. Nur zu gern gesellt er sich den Gläubigen zu, wenn sie sich zusammengefunden haben (vergl. Hiob 1, 6), um sie auf nichtige Gespräche zu bringen oder zu eitlen Worten zu verleiten. Zuweilen kommt er auch zu ihnen mit der Versuchung zu unheiligem Zorn, zu Übertreibungen und törichten Beteuerungen, wie damals zu den Jüngern in Lukas 9. Diese dachten gar nicht daran, woher das Feuer war, das in ihnen aufflammte, bis der Herr ihnen sagte: „Ihr wisset nicht, wes Geistes ihr seid“ (Luk. 9, 55).

Unser Mund sollte überhaupt nur die einfache Wahrheit ohne irgendwelche Übertreibungen aussprechen, wie uns Jakobus ermahnt: „Es sei aber euer Ja ja, und euer Nein nein, auf dass ihr nicht unter Gericht fallet“ (Jak. 5, 12.) In Ruhe und Gelassenheit haben wir mit ja oder nein das zu bestätigen, was wir zu antworten haben, ruhig, in der Furcht Gottes. Gott ist stets gegenwärtig, und wenn wir es bei unserem Reden an dieser Ruhe und Mäßigung fehlen lassen und uns in bekräftigenden Behauptungen und Beteuerungen ergehen, beweisen wir damit, dass wir Seine Gegenwart vergessen haben. Wer im Lichte Gottes steht und dieses Licht auf sich wirken lässt, fühlt auch gar nicht das Bedürfnis, seine Worte zu beteuern. Es ist ganz selbstverständlich für ihn, dass er die Wahrheit spricht.

„Vor allem“, sagt Jakobus, „schwöret nicht, weder bei dem Himmel, noch bei der Erde, noch mit irgend einem anderen Eide.“ Wenn man schwört, wenn man den Namen Gottes zu Eitlem in den Mund nimmt, um eine Behauptung zu bekräftigen, oder ein Versprechen zu unterstützen, oder auch wenn man irgend ein Geschöpf oder eine Eigenschaft, wie die menschliche Ehre oder was es sonst sein mag, an Stelle Gottes mit der Autorität bekleidet, die Gott allein gehört, dann vergisst man die Majestät Gottes und lässt die Ungeduld des fleischlichen Herzens wirken. In solchem Verhalten liegt Mangel an Ehrerbietung, zeigt sich ein ungebrochener Wille und Unabhängigkeit des Geistes. Jede Anwendung eidlicher Bekräftigungen bei der „Rede“ ist für den Gläubigen unstatthaft und steht durchaus unter seiner Berufung.

Die Mahnung des Apostels Jakobus war besonders für die gläubigen Juden am Platze, weil das Schwören im gewöhnlichen Verkehr bei den Juden gang und gäbe war. Im Gesetz findet sich keine unmittelbare Beschränkung dieser Sitte. Sein Verbot richtete sich nur gegen den Missbrauch des heiligen Namens Gottes, — „du sollst den Namen Jehovas, deines Gottes, nicht zu Eitlem aussprechen“, — vor allem im Dienst der Unwahrheit. So sagt auch unser Herr in Matth. 5, 33: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gejagt ist: Du sollst nicht fälschlich schwören, du sollst aber dem Herrn deine Eide erfüllen“.

„Ihr sollt nicht falsch schwören bei meinem Namen, dass du den Namen deines Gottes entweihest. Ich bin Jehova“ (3. Mose 19, 12), hieß es im Gesetz. Auch wurde das Schwören der abgöttischen Israeliten bei den Götzen ernstlich verurteilt (siehe 2. Mose 23, 13; Jos. 23, 7; Jer. 5, 7; Hos. 4, 15; Am. 8, 14; Zeph.1, 5); dagegen war das Schwören bei dem Namen Jehovas nicht nur erlaubt, sondern galt als ein Zeichen der Anhänglichkeit an den allein wahren Gott. „Jehova, deinen Gott, sollst du fürchten, Ihm dienen, und bei Seinem Namen sollst du schwören“, wird zweimal in 5. Mose 6, 13 und 10, 20 gesagt.

Im Alten Bunde war es also nicht verboten, zur Beteuerung einer Aussage oder eines Versprechens im allgemeinen Verkehr, dem Glauben an den lebendigen Zeugen und Richter im Himmel im Schwur feierlich

Ausdruck zu geben. Auch war es dem Israeliten nicht bestimmt untersagt, sich durch Verwünschung und andere Beteuerungen für den Fall unwahrer Aussage oder unerfüllter Zusage aufs ausdrücklichste an den Eid gebunden zu erklären. So waren denn auch zur Zeit, als der Herr auf der Erde war, Schwüre bei dem Himmel, bei den Engeln, bei der Erde, bei Jerusalem, bei dem Tempel und bei seinem Golde (d. h. den goldenen Tempelgeräten), bei dem Altar, und allem, was auf ihm war, ganz allgemein verbreitet. (Vergl. Matth. 5i u. 23.) Eine gewisse äußere Ehrfurcht vor Gott veranlasste die Schwörenden, anstatt bei Gott selbst, lieber bei irgend etwas zu schwören, was Ihm geheiligt war oder in irgendwelcher Beziehung zu Ihm stand.

Gegen dieses gewohnheitsmäßige Schwören wendet sich nicht nur Jakobus (5, 12), sondern auch unser

Herr selbst in der sogenannten Bergpredigt, in welcher Er die Grundsätze des Reiches darstellt. (Matth. 5).

„Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht fälschlich schwören; du sollst aber dem Herrn deine Eide erfüllen. Ich aber sage euch: Schwöret überhaupt nicht, weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Thron, noch bei der Erde, denn sie ist Seiner Füße Schemel, noch bei Jerusalem, denn sie ist des großen Königs Stadt; noch sollst du bei deinem Haupte schwören, denn du vermagst nicht ein Haar weiß oder schwarz zu machen. Es sei aber eure Rede: Ja, ja; nein, nein; was aber mehr ist als dieses, ist aus dem Bösen“ (Matth. 5, 33 — 37).

Mögen diese Worte des Herrn auch uns zur Mahnung dienen, damit wir auf unsere Zunge achten, uns vor

jeder Bekräftigung und eidlichen Beteuerung hüten und uns mit einem einfachen, klaren Ja oder Nein begnügen!

„Schweigen hat seine Zeit, und Reden hat seine Zeit“, lehrt der Prediger. (Kap. 3, 7.) Wir mögen beides beherzigen. Reden wir aber, so sei unser Ja ja, unser Nein nein (Jak. 5, 12), und unsere Rede sei stets nur: Ja, ja; Nein, nein (Matth. 5, 37); denn alles was darüber ist, ist vom Übel.

Ich möchte bei dieser Gelegenheit noch hinzubemerken, dass an beiden, aus dem Wort angeführten Stellen (Jak. 5 u. Matth. 5) von einem gerichtlichen Eid, oder von irgendwelchem Schwur vor einer öffentlichen Behörde oder einem öffentlichen Beamten gar nicht die Rede ist. Wird ein solcher Eid mir auferlegt, um die Wahrheit, die ganze Wahrheit, an den Tag zu bringen, oder um mich in meinen Verpflichtungen rechtskräftig zu binden, so darf ich mich der obrigkeitlichen Forderung nicht entziehen. Ich würde unrecht vor Gott tun, wenn ich den Eid, falls die Obrigkeit ihn von mir verlangt und in der Form des

Eides nichts liegt, was mein Gewissen verletzt, der Behörde verweigerte· Wenn auch vielleicht die Obrigkeit in dem Eide Gott nicht anerkennt, so bin ich doch gebunden, Gott in der Obrigkeit anzuerkennen. Sie ist für den Christen eine Dienerin Gottes in den äußerlichen Dingen dieser Welt.

Wir lesen auch nirgend im Wort, dass diese Einrichtung im Neuen Testament aufgehoben sei. Nach wie vor ist „der Eid für die Menschen ein Ende alles Widerspruchs zur Bestätigung“ (Hebr. 6, 16). Hätte der Herr die Absicht gehabt, dem Christen die öffentliche Eidesleistung zu verbieten, so würde Er in der Bergpredigt als Beispiel wohl den Eid angeführt haben, der damals vor den Behörden üblich war.

Im Blick auf die hier gemachte Unterscheidung zwischen dem Beteuerungsschwur, dessen wir uns enthalten sollen, und dem öffentlichen Eid, den uns die Obrigkeit auferlegt, ist das Verhalten unseres Herrn, als Er vor dem Hohenpriester stand, bemerkenswert. Er schwieg, bis der Hohepriester Ihm den Eid

auflegte; dann aber antwortete Er sogleich.

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Der von Gott Verordnete

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 45ff

Wenn wir das Evangelium Johannes lesen, so fällt uns die eifersüchtige und entschiedene Art auf, mit

welcher der Herr Jesus jede Verherrlichung abweist, womit die Menschen Ihm nahen mochten. Ihm lag

nur daran, vor armen Sündern die Gnade Gottes oder die Liebe des Vaters, die in Ihm und durch Ihn war, zu entfalten. Nur die Herrlichkeit der Gnade sollte von Ihm ausstrahlen, in keiner anderen Herrlichkeit wollte Er gesehen werden. Die Menschen mochten einen Ausleger von Geheimnissen, einen Wundertäter, einen König, einen Richter oder was irgend sonst aus Ihm machen wollen, — Er weist alles mit bestimmtem, ja, selbst unwilligem Ernst zurück. Er will nur als der Diener der göttlichen Gnade, der Gnade des Vaters für arme Sünder, anerkannt und aufgenommen sein.

Andererseits können wir wahrnehmen, wie eifersüchtig Gott alles beiseite tut, was sich neben Christum stellen, was den Platz mit Ihm teilen oder gar wagen will, Ihn von Seinem Platz zu verdrängen. Er macht Ihm Raum, Ihm allein, als dem Einen, den Er verordnet hat.

Der Hebräerbrief nimmt in dieser Beziehung eine führende und endgültige Stelle ein. Aber auch in früheren Zeiten hat es schon treffende und schöne Beweise für die Tatsache gegeben, dass Gott nichts neben Seinem Geliebten sehen kann und will.

Doch ehe wir darauf eingehen, möchte ich auf die liebliche Übereinstimmung hinweisen, die zwischen den beiden eben genannten Erscheinungen besteht. Christus hält sich selbst verborgen, damit nur die Gnade des Vaters während Seines Dienstes hienieden von Ihm ausstrahle, und Gott zeigt zu allen Zeiten, sowohl vor wie nach diesem Dienste, wie eifersüchtig Er darüber wacht, sei es durch das Wirken Seiner Vorsehung, sei es durch die inspirierten Kundgebungen Seines Geistes, dass Christus und nur Christus geehrt werde.

Betrachten wir jetzt kurz einige der Beweise und Zeugnisse, von denen wir sprachen.

Nadab und Abihu setzten in ungläubigem Wagemut das Feuer beiseite, welches vom Himmel herabgekommen war und so den Dienst Aarons, als eines Vorbildes von Christo, besiegelte. Was geschah? Die Hand Gottes brachte ein der Tat entsprechendes, schreckliches Gericht über die beiden Männer, indem sie aus der Stelle vom Feuer verzehrt wurden. Feuer des Gerichts rächte das fremde Feuer, das an Stelle des Feuers dargebracht worden war, welches als ein Zeugnis für Christum brannte. Das war bedeutungsvoll.

Mose und Aaron setzten sich einem gleichen Gericht aus; ich meine gleich, was seinen Charakter betrifft.

Im übrigen bestand ja ein großer Unterschied zwischen ihnen und jenen beiden Männern. Nicht im Frevelmut des Unglaubens, sondern als vom Volke herausgefordert und gereizt, verunehrten sie bei den Wassern zu Meriba den Christus Gottes. Aber die Sache fand doch statt. Sie heiligten Gott nicht in Seiner Verordnung. Sie erkannten den Fels nicht, der Israel nachfolgte, welcher Christus war. Sofortige Strafe traf sie: sie durften nicht ins Land hinein.

So schnell ahndete Gott alles, was die Rechte und die Ehre Seines Christus antastete. Ich wiederhole, es bestand ein großer innerer Unterschied zwischen der Untreue Nadabs und Abihus und der Unbedachtsamkeit von Mose und Aaron. Aber Gott ahndete unmittelbar alles, was gegen Seinen Christus gefehlt wurde, von wem es auch geschah.

In den Tagen des Neuen Testaments begegnen wir demselben Geist auf dem heiligen Berge. In Unkenntnis, nicht wissend, was er sagte, schlug Petrus vor, Mose, Elia und Jesu drei Hütten zu bauen, indem er so den beiden Helden des Alten Bandes den gleichen Platz mit Jesu gab. Aber die Stimme, die aus der prachtvollen Herrlichkeit kam, schwieg nicht dazu. Es war nur Unkenntnis auf seiten des Jüngers, wenn man will; aber Gott duldet niemals, dass die Ehre Seines Christus von irgend jemand angetastet wird. Es mag nur Unwissenheit bezüglich der Person oder der Stellung des Herrn sein, weder Geringschätzung oder ungläubiger Frevelmut wie bei Nadab, noch eine gereizte Stimmung wie bei Mose; aber Gottes Hand oder Gottes Stimme ist da, um alles gebührend zu ahnden. Petrus muss sich sagen lassen, dass der „geliebte Sohn“ allein gehört werden soll.

In Johannes dem Täufer verrichtet der Geist, wenn auch auf eine andere Weise, dasselbe Werk. Seine Jünger waren ein wenig darüber aufgebracht, dass die Menge ihren Meister zu übergehen schien. Sie bringen ihre Gefühle hierüber zum Ausdruck, ähnlich wie Josua es einst seinem Herrn gegenüber tat, als Eldad und Medad zu weissagen begannen (4. Mose 11). Johannes aber vertritt mit aller Treue die Sache Christi und gibt den Unzufriedenen eine bei aller Zartheit entschiedene Antwort. Er zieht sich, gleichsam im Namen all seiner Brüder, der Propheten, zurück, damit Jesus allein gesehen und gehört werde. Er ist hier Elias, der in der Sprache der prachtvollen Herrlichkeit auf dem heiligen Berge redet. Die Stimme dort rief Mose und die Propheten vor dem Auge und Ohr des Petrus hinweg; Johannes stellt hier durch sein Wort sowohl sich selbst als auch alle seine Mitknechte, die Freunde des Bräutigams, angesichts seiner Jünger und aller anderen in den Hintergrund, damit derselbe „geliebte Sohn“ allein vor aller Blicken stehe.

Johannes und die prachtvolle Herrlichkeit haben die gleichen Gedanken über Jesum.

In allem diesem nehmen wir eine herrliche Übereinstimmung wahr. Es ist kostbar zu sehen, wie die Hand und der Geist Gottes sich vereinigen, um Jesum zu verherrlichen.

Die Briefe beteiligen sich ebenfalls an diesem Dienst, oder besser noch, der Heilige Geist in ihnen. Es bedarf keiner besonderen Beweise oder der Anführung von Einzelheiten, um diese Behauptung zu begründen. Jeder Brief bezeugt es auf seine eigene Weise. Einen hervorragenden Platz in dieser Hinsicht nimmt der Kolosserbrief ein. In vorderster Reihe aber steht, wie schon oben bemerkt, der Hebräerbrief. In diesem Briefe nehmen wir am deutlichsten wahr, wie der Geist jenen Zweck durch den ganzen Brief hindurch verfolgt. Eine Sache nach der anderen wird beiseite gesetzt, nur damit der Herr Jesus, der Christus Gottes, der von Gott Verordnete, vor unseren Augen und Herzen stehe.

Und zwar wird alles mit starker Hand beiseite gesetzt, wie in früheren Tagen.

Die Engel verschwinden zunächst vor unseren Blicken, und Er, der einen vorzüglicheren Namen vor ihnen ererbt hat, wird eingeführt; und zwar geschieht dies aus Grund einer ganzen Anzahl von Schriftstellen. (Kap. 1 u. 2).

Dann wird Mos e beiseite gesetzt, als der treue Diener im Hause eines Anderen, um Dem Platz zu machen, der Herr über Sein eigenes Haus ist (Kap. 3).

Josua vermochte Israel nicht in die Ruhe einzuführen und ist deshalb wie nichts und niemand, aber Jesus, der wahre Josua, verleiht Gottes eigene Ruhe (Kap. 4).

Aaron muss Melchisedek weichen, denn das durch das Gesetz eines fleischlichen Gebots gebildete Priestertum ist schwach und nutzlos und muss dem Priestertum des Sohnes Platz machen, welches in der Kraft eines unvergänglichen Lebens errichtet ist (Kap. 5 u. 7).

Auch der alte Bund muss verschwinden; der aber, welcher Christum zur Grundlage hat, bleibt ewig neu (Kap. 8).

Das Heiligtum unter dem Gesetz vermochte den nicht vollkommen zu machen, der den Gottesdienst übte, sondern hielt ihn auf immer fern von der göttlichen Gegenwart. Es musste also abgebrochen werden zu Gunsten jenes anderen Heiligtums, welches mittelst eines zerrissenen Vorhangs die Volllommenheit des Anbeters bezeugt (Kap. 9).

Das Schlachtopfer unter dem Gesetz schließlich konnte niemals das Sühnungswerk vollbringen, aber das eine Opfer Christi hat für immer das Gewissen gereinigt (Kap. 10).

So wird also der von Gott Verordnete an Seinen Platz geführt, an den Platz, den Er ganz allein einnimmt. Engel, Mose, Josua, Aaron, der alte Bund, die erste Hütte, das Opfer unter dem Gesetz, alles muss weichen und den ganzen Schauplatz, mit allem, was zu ihm gehört oder ihn ausfüllt, Ihm allein überlassen. Und der aus diese Weise durch den Geist Gottes eingeführt wird, bleibt vor unseren Seelen bestehen bis in alle Ewigkeit. „Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit.“

Und was der Geist in Seinen Gefäßen, in den mit Autorität bekleideten Lehrern, tut, das tut gleicherweise der Glaube der Auserwählten, der ja durch denselben Geist gewirkt ist. Paulus sagt: „Von mir sei es ferne, mich zu rühmen, als nur des Kreuzes unseres Herrn Jesu Christi“. Und ist nicht dieses Rühmen in Jesu, dieses Sich-des-Kreuzes-Rühmen, das gemeinsame, sich ganz von selbst ergebende Eigentum jeder erneuerten Seele, das naturgemäße Urteil eines jeden Erretteten?

Und welch wunderbare Harmonieen haben wir hier! Alles klingt zusammen in einer herrlichen Melodie: Himmel und Erde, Zeiten und Verwaltungen, die „prachtvolle Herrlichkeit“ und arme irdene Gefäße! Alles, alles vereinigt sich, um das, was Christo nicht entspricht, gebührend zu ahnden und den Einen, von Gott Verordneten zu ehren.

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Die Doppeldrachme

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 51ff

Die Geschichte von der Doppeldrachme im Maule des Fisches (Matth. 17, 24 — 27) ist eine der schönsten Erzählungen, die wir im Neuen Testament finden. Der Herr hatte gerade vorher Seinen Jüngern das Ende Seines Dienstes unter den Juden angekündigt und ihnen geboten, niemand zu sagen, dass Er der Christus sei. Er stand im Begriff, als Sohn des Menschen zu leiden, und sie mussten mit Ihm leiden. Darauf hatte Er dreien von ihnen Seine Herrlichkeit als Sohn des Menschen gezeigt, um ihren Glauben zu stärken, wenn sie Ihn von Israel und all den religiösen Autoritäten verworfen sehen würden.

Kurz darauf wird Petrus vor eine Frage gestellt, die darauf hinauslief, ob sein Herr und Meister wirklich ein guter Jude sei.

Petrus antwortet im bejahenden Sinne; wenn er dann aber ins Haus tritt, kommt Jesus ihm zuvor, indem Er ihm Seine göttliche Kenntnis von dem Vorgegangenen kundtut und ihm zugleich zu verstehen gibt, dass Er als Sohn des Herrn des Tempels von der Steuer frei sei — die Könige der Erde erheben doch von ihren Söhnen keine Steuer! Mit diesen Worten versetzte Er in unendlicher Gnade den Petrus, und mit ihm grundsätzlich uns alle, mit sich in dieselbe Stellung. „Demnach sind die Söhne frei. Auf dass wir ihnen aber kein Ärgernis geben.“ Und so handelt der Herr, gerade nachdem Er Seine göttliche Kenntnis des Vorgegangenen und der Gedanken des Petrus geoffenbart hat.

In einer Weise, die dem Petrus von seiner früheren Beschäftigung her besonders verständlich war, zeigt Er dann, dass Er nicht etwa, wie Sein Jünger gemeint hatte, ein Schuldner des Tempels war, sondern dass Er über die ganze Schöpfung verfügte, wenngleich Er sich in Gnade den Menschen unterwarf. Und nach dieser Offenbarung Seiner göttlichen Macht und Gewalt über die Schöpfung macht Er wiederum Seinen armen Jünger mit sich eins, indem Er sagt: Nimm den Stater und „gib ihnen für mich und dich“.

Ganz abgesehen von der rührenden Gnade, die uns aus der Mitteilung des Herrn an Petrus entgegenstrahlt, können wir aus Seinen Worten noch mancherlei herauslesen. Wir erkennen darin z. B. Seinen wahren Charakter in Bezug auf den Tempel und die Beiseitesetzung desselben, obwohl Er selbst sich willig dem Verhältnis unterwarf, in welchem Er als Jude zu ihm stand. Wir erblicken ferner die göttliche Herrlichkeit Seiner Person in Weisheit und Macht, sowie die Macht der Erlösung, die zu vollbringen Er im Begriff stand; denn Er, der Sohn des Herrn, des Tempels, wollte Seine Jünger in dieselbe Beziehung zu Gott bringen, in welcher Er stand.

In welch rührender, zarter und dabei doch herrlicher Weise tadelt der Herr ferner den Unglauben des Petrus! Welch eine Fülle von Wahrheit tritt zugleich bei dem in diesem Teile der Evangelien behandelten Gegenstand, dem Übergang von den alten zu den neuen Dingen, ans Licht! Die Gründung der Kirche und das Reich werden mit Christi Stellung als Sohn des lebendigen Gottes in Verbindung gebracht, und dann tritt Seine Herrlichkeit als Sohn des Menschen in Erscheinung. Im Begriff, das untreue und verkehrte Volk zu verlassen, stellt Er den Seinigen das wunderbare neue Verhältnis vor Augen, in welches Er sie bringen wollte, die, angezogen durch die Herrlichkeit Seiner Person und Seines Werkes, auf Ihn vertrauten.

In der Tat, es gibt kaum eine schönere und in jeder Hinsicht eindrucksvollere Stelle als die vorliegende, und doch wird sie von den Ungläubigen so viel bekrittelt. Sie liefert ein Beispiel von der Unfähigkeit des Unglaubens, die Tragweite und Wichtigkeit der Tatsachen der Heiligen Schrift zu beurteilen, und zeigt die inneren Beweise, die der Gläubige besitzt, und an die der Unglaube nicht rühren kann — Beweise, welche

dartun, dass der Ungläubige über die Anfangsgründe einer richtigen Beurteilung sich in völliger Unwissenheit befindet.

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Vergiss nicht

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 53ff

Die Worte: „Vergiss nicht!“ oder: „Vergesset nicht!“ finden sich häufig in der Heiligen Schrift, im Alten wie im Neuen Testament. Nicht ohne Grund. Gott weiß sehr wohl, wie vergesslich wir sind, und deshalb richtet Er immer wieder diese Ermahnung an uns. Schon in 5. Mose 4, 23 ruft Er durch Mose Seinem irdischen Volke zu: „Hütet euch, dass ihr nicht des Bandes Jehovas, eures Gottes, vergesset“, und im 6. Kapitel: „Hüte dich, dass du Jehovas nicht vergessest“ (V. 12). In Sprüche 3, 1 lesen wir: „Mein Sohn, vergiss nicht meine Belehrung!“, in Kap. 4, 5: „Vergiss nicht und weiche nicht ab von den Reden meines Mundes«; und so geht es weiter das ganze Alte Testament hindurch.

Im Neuen Testament werden wir aufgefordert, der Gastfreundschaft nicht zu vergessen (Hebr. 13, 1), des Wohltuns und Mitteilens nicht zu vergessen (Hebr. 13, 16), oder der Herr lässt den Seinen zurufen, dass sie „der Ermahnung vergessen“ hätten. An anderen Stellen heißt es: „Gedenket« -— „Deshalb seid eingedenk“ — „Halte im Gedächtnis“ (Jud. 17; Eph. 2, 11; 2. Tim. 2, 8) usw. usw. Alles das zeigt uns, wie leicht wir vergessen. Das Leben mancher Glaubenshelden beweist das Gleiche. So die Geschichte Davids. In Psalm 63, 7 jubelt er: „Du bist mir zur Hilfe gewesen“, aber in Psalm 142, 4 klagt er: „Ich habe ja niemanden, der mich erkennt; verloren ist mir jede Zuflucht, niemand fragt nach meiner Seele“. Vergleichen wir auch 1. Sam. 27. Nachdem er eben erst die wunderbarste Rettung Jehovas erfahren hat, wird er plötzlich ganz kleinmütig und spricht: „Nun werde ich eines Tages durch die Hand Sauls umkommen“. Und dann macht er sich auf und sucht Zuflucht bei den Feinden seines Volkes. Welch ein Vergessen der Wundertaten Jehovas! Nicht ohne Grund ruft er deshalb in Psalm 103 seiner eigenen Seele zu: „Preise Jehova, meine Seele, und vergiss nicht alle Seine Wohltaten!“

Es ist nur Gnade, wenn der Herr in Seiner fürsorgenden Liebe unserer Vergesslichkeit zu Hilfe kommt. Eine große Hilfe in dieser Hinsicht ist das Gedächtnismahl, das Seine Liebe kurz vor Seinem schrecklichen Tode für die Seinigen eingesetzt hat. Was wäre mehr imstande, uns diese Liebe ins Gedächtnis zu rufen, als das Mahl des Herrn? Hier sehen wir die Zeichen Seines Leidens und Todes vor unseren Augen; hier werden wir an den bitteren Kelch erinnert, den Er trinken musste, damit wir ewig leben und glücklich sein möchten; hier sehen wir Den in unserer Mitte, der sich mit Sehnsucht danach gesehnt hat, das letzte Passah mit Seinen Jüngern zu essen, ehe Er litt (Luk.22,15), Ihn, der „die Seinigen, die in der Welt waren, liebte bis ans Ende“ (Joh. 13, 1). Hier werden wir auch in ganz besonderer Weise an die Liebe Gottes erinnert, der Seinen Sohn, Seine Wonne, den Eingeborenen, den „Er lieb hatte“, für solche hingab, wie wir waren.

Gerade in unserer Zeit tut es not, ,,nicht zu vergessen«. Es gibt heute so manches, was das Herz niederbeugen, was mutlos, verzagt, ja, selbst bitter und unglücklich machen will. O lasst uns da immer wieder alles dessen gedenken, was wir von unserem geliebten Herrn erfahren haben, was Er an uns getan hat, was Er für uns ist und sein will! Lasst uns gedenken der zahllosen Wohltaten unseres Gottes! „Die Gütigkeiten Jehovas will ich besingen ewiglich“, jauchzte einst der Psalmist, und Paulus schrieb aus dem Gefängnis in Rom an die Philipper: „Freuet euch in dem Herrn allezeit!“ Beide Männer gedachten nicht an die Umstände, die oft so niederdrückend sein können, sondern ruhten in dem Frieden Gottes. Sie vergaßen die Umstände über der Freude an Gott und Seiner Güte. 56

So sollen auch wir es machen. Ja, wir sollen nicht nur die Umstände vergessen, sondern auch alles das, was uns hienieden als Gewinn erscheinen könnte. So machte es der Apostel. Er vergaß, was dahinten war, achtete alles für Dreck, was ihm einst Gewinn gewesen war, und streckte sich nach dem aus, was vor ihm lag. „Das Ziel anschauend jagte er hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christo Jesu“ (Vergl. Phil. 3, 14.) So konnte er inmitten der schwierigsten Umstände, inmitten von Verfolgung, Leid und Not überströmend glücklich sein. Denn nicht jene Dinge, sondern der Herr stand vor seiner Seele, Seine Schönheit, alles, was er in Ihm besaß und bald völlig erkennen würde.

Wir wollen von ihm lernen: vergessen und nicht vergessen!

Vergiss es nicht,

was dort für dich geschehen,

als Gottes Lamm ertrug die Todeswehen,

für deine Sünden Gottes Strafgericht!

Vergiss es nicht!

Vergiss es nicht,

wie treu Er jetzt dich pfleget,

Dich täglich neu mit großer Langmut träget;

an Seinem Wort und Trost es nie gebricht.

Vergiss es nicht!

Vergiss es nicht,

was Er für dich bereitet

im Vaterhaus, wohin Sein Pfad dich leitet.

Bald schaust du jubelnd Ihn von Angesicht.

Vergiss es nicht!

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Hierin ist die Liebe

Bibelstelle: Lukas 15

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 57ff

Im vorigen Abschnitt ist darauf hingewiesen worden, wie der verlorene Sohn, der infolge der Not zu sich selbst kam, aus dem Sündenschlaf aufwachte und zu sich sagte: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen“. Im 20. Verse nun sehen wir, dass er es nicht bei diesem Vornehmen bewenden ließ, sondern dem Entschluss die Tat folgen ließ: „er machte sich auf und ging zu seinem Vater“. Der Sündenschlaf ist ein Todesschlaf. Und wenn Gott nicht auf irgend eine Weise, sei es durch Leiden, Krankheiten, Schwierigkeiten oder durch Sein Wort, den Sünder aufweckte, so würde er weiter schlafen bis ans Ende und die Wahrheit des Wortes in Jak. 1, 15 erfahren: „Die Sünde, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod“.

Es ist Gottes Wirken in der Seele, wenn ein Sünder dahin kommt, sich auszumachen und zu Gott zurückzukehren, von dem er sich so weit entfernt hat. Scheinbar geht ja alles von dem Sünder aus, denn es heißt in unserem Gleichnis: „Ich will mich aufmachen“, und: „er machte sich auf“; aber je mehr man sich selbst kennen gelernt hat, desto mehr kommt man zu der Erkenntnis, dass Gott es ist, der den Eigenwillen zerbricht, der die Augen geöffnet und im Herzen gewirkt hat, so dass man mit Entschiedenheit den Weg der Sünde verließ. Und in dieser Erkenntnis preisen wir Gott für das Werk des Heiligen Geistes in uns. Es stimmt zu demütigem Dank, wenn der Gläubige sich daran erinnert, welche Wege oder Mittel Gott gebraucht hat, um ihn aus der Macht der Sünde oder aus den Schlingen des Unglaubens zu befreien. Möchten alle, die den Herrn kennen, mehr davon durchdrungen sein! Dann wird man auch im Zelte der Frommen Gott preisen hören für die empfangene Gnade und Güte, mehr noch als Israel es je getan hat für eine irdische Befreiung.

Als der verlorene Sohn seine Schritte dem Vaterhause zulenkte, wo, wie er wusste, Überfluss an Brot war, da wartete seiner das, was von dem treuen Überrest in Jes. 60, 1 gesagt wird: „Stehe auf, leuchte! Denn dein Licht ist gekommen, und die Herrlichkeit Jehovas ist über dir aufgegangen“. Welch ein Unterschied, aus dem Wege der Sünde umherzuirren und Mangel zu leiden, oder aus dem Pfade zu wandeln, der zum Vaterhause führt, wo nicht allein kein Mangel mehr herrscht, sondern wo Fülle von Freude wohnt!

„Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen, und will zu ihm sagen.“ Ja, was will er denn sagen? Soll er sich entschuldigen? Soll er den Vater bitten, das Geschehene nicht so ernst zu nehmen, weil er bei seiner Jugend nicht imstande gewesen sei, den vielen an ihn herantretenden Versuchungen zu widerstehen? Oder soll er versprechen, fortan ein anderes Leben zu führen, wenn nur der Vater ihn noch einmal aufnehmen wolle? Nein, er will sagen: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir“; ja, mehr als das: „Ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen; mache mich wie einen deiner Tagelöhner“. Hätte sein Vater ihn angenommen auf das Versprechen hin, fernerhin nicht mehr in Sünde und Ausschweifung zu leben, hätte er ihm das begangene Böse nachgesehen, dann wäre der Bruch äußerlich beseitigt worden; aber es wäre eine Heilung gewesen, wie sie in Jerem. 6, 14 beschrieben wird: „sie heilen die Wunde der Tochter meines Volkes leichthin und sprechen: Friede, Friede! und da ist doch kein Friede“. Bei einer solchen Annahme würden die Liebe und die Gnade, die in ihrer Schönheit und Vollkommenheit erst dem wahren Bekenntnis folgen können, weder geoffenbart noch genossen worden sein.

Es ist bemerkenswert, dass in dem Bekenntnis des Sohnes der „Himmel“ genannt wird: „Ich habe gesündigt gegen den Himmel“. Wir finden dadurch die frühere Bemerkung bestätigt, dass der Herr in Luk. 15 das jüdische System verlässt und den Geretteten mit dem Himmel in Verbindung bringt. Zugleich aber müssen wir diesen Ausspruch wohl in Beziehung bringen zu dem ausschweifenden Leben, durch welches der Sohn unpassend geworden war für den Himmel. Der Verunreinigte kann an dem Erbe der Heiligen in dem Lichte keinen Anteil haben. Von dem himmlischen Jerusalem lesen wir: „Nicht wird in sie eingehen irgend etwas Gemeines“ (Offbg. 21, 27).

Dem ersten Bekenntnis fügt der Sohn als zweites hinzu: „und vor dir“. Er fühlte nicht nur, dass er durch sein ausschweifendes Leben und alles, was damit in Verbindung stand, gesündigt hatte, was schließlich bei jedem Weltkinde, das in der Sünde lebt, der Fall sein kann, sondern dass er auch gegen den Vater selbst gesündigt hatte. Und von dem, was er dem Vater sagen wollte, war dies wohl das Wichtigste. Nicht nur hatte er dem Vater durch sein sündiges Leben Unehre bereitet, er hatte ihn auch tief betrübt dadurch, dass er das Vaterhaus verließ. Mit bitterem Schmerz, mit verwundetem Herzen hatte der Vater ihn fortgehen sehen, ihn, seinen jüngsten Sohn, seinen Benjamin. Würde er ihn je wiedersehen? Ist je ein Mensch aus eigenem Antriebe zurückgekehrt aus dem finsteren Lande der Sünde? Hat je ein Mensch aus eigener Kraft sich losmachen können aus ihren starken Banden? Wenn wir auf dem Wege der Erfahrung dahin gekommen sind, diese Fragen mit Nein zu beantworten, dann ist das Wort: „Was bei Menschen unmöglich ist, ist möglich bei Gott!“ (Luk. 18, 27) von großem Trost.

Noch einmal denn: Das in Sünde verbrachte Leben, der dem Vater bereitete Schmerz, die über ihn gebrachte Schande, das war es, was den verlorenen Sohn zur Erkenntnis seiner Unwürdigkeit und zu dem Ausspruch gebracht hatte: „Ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen“. Wo es so steht, da bleibt nichts wie Gnade übrig. Ein Glück, dass der arme Mann so reden konnte vor Einem, der reich war an Gnade. Doch ist zu bemerken, dass in den Worten: „Mache mich wie einen deiner Tagelöhner!“ ein gesetzlicher Gedanke liegt. Der Vater ließ sie deshalb nicht zur Aussprache kommen; bevor der Sohn sie sagen konnte, lag er in des Vaters Armen. Im Gefühl der eigenen Unwürdigkeit mag man sich mit einem niedrigeren Platze zufrieden geben, als Gott ihn geben will. So kann man nicht selten die Worte hören: „Wenn ich nur ein Plätzchen an der Türe im Hause des Herrn bekomme!“ Aber Gott macht einen Sohn nicht zu einem Tagelöhner oder Türsteher. Ist man wirklich ein Sohn, so ist jeder andere Platz ausgeschlossen. Die Liebe des Vaters kann nicht dulden, dass der Errettete einen niedrigeren Platz als den eines Sohnes erhält. Unser Gleichnis zeigt uns dies in herrlicher Weise. Der Sohn mag sich dieses Platzes unwürdig gemacht haben, für das Herz des Vaters kann es keinen anderen für ihn geben. Welch ein Blick wird uns hier vergönnt in das Herz des Vaters, in das Herz Gottes! Aber wie lehrreich ist es auch, bei dem verlorenen Sohn jene beiden Dinge zu finden, die von jedem Sünder wie auch von jedem abgeirrten Gläubigen erkannt werden müssen: Schuld und Unwürdigkeit. Schuldbewusstsein wird ja noch öfter gesunden, aber zu dem zweiten will man sich so schwer verstehen.

Wir können uns wohl vorstellen, dass die Erkenntnis seiner Unwürdigkeit bei dem verlorenen Sohne außer der Bitte: „Mache mich wie einen deiner Tagelöhner“, manche Erwägungen hervorgerufen haben mag. Auf dem Wege, der ihn zum Vater zurückbringen sollte, hatte er Zeit genug zum Nachdenken. Sollten da nicht Fragen wie: „Ob mein Vater mich wohl aufnehmen wird?“ oder: „Wie wird er mich nach allem Vorgefallenen empfangen?“ in seinem Herzen laut geworden sein? Und je näher er kam, desto mehr wird das Gewicht dieser Fragen sich fühlbar gemacht haben. Er besaß kein Wort der Offenbarung, das ihm die Gedanken des Vaters kundgetan hätte. Das Einzige, was er wusste, war: Ich besitze einen Vater, und im Hause meines Vaters ist Überfluss an Brot. Dieses Bewusstsein veranlasste ihn, seinen Weg fortzusetzen mit dem Vertrauen und der Hoffnung im Herzen, dass, wenn der Vater ihn auch nicht als Sohn anerkennen, er ihn doch nicht von der Tür weisen, sondern ihn an den Vorrechten eines Tagelöhners teilnehmen lassen würde.

O wie können wir Gott danken für das Wort, das Er uns gegeben, durch welches wir jeden Abgeirrten und jeden Sünder auf die Liebe und Gesinnung des Vaters hinweisen können! Der Apostel Johannes sagt: „Meine Kinder, ich schreibe euch dieses, auf dass ihr nicht sündiget; und wenn jemand gesündigt hat – wir haben einen Sachwalter bei dem Vater, Jesum Christum, den Gerechten“, und: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist Er treu und gerecht, dass Er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit“.

„Als er aber noch fern war, sah ihn sein Vater“. Der Vater hier im Gleichnis wusste nicht, dass sein Sohn sich auf dem Wege nach Hause befand. Wohl hatte er jeden Tag Ausschau gehalten, ob er nicht endlich heimkehre. Da plötzlich sieht er ihn! Andere, die ihn früher gekannt hatten, hätten ihn vielleicht nicht wiedererkannt, aber das Vaterauge erkennt ihn sofort. Wenn auch sein Aussehen ihm Berechtigung gegeben hätte zu der Frage: „Sollte das mein Sohn sein?“ erkennt er doch sogleich in ihm das so weit abgeirrte Kind. Das jämmerliche Aussehen des Sohnes verringert nicht die Freude des Vaters· Sie macht nur das Erbarmen größer.

„Er lief hin und fiel ihm um seinen Hals und küsste ihn sehr.“ Der Vater wartete nicht, bis der Sohn zu ihm gekommen war, um ihn dann seinem Bekenntnis gemäß zu behandeln, wie dies — es kann ja auch in vielen Fällen nicht anders sein -—- gewöhnlich unter uns Menschen geschieht. Ach! wie wenig erkennen und verstehen wir davon, wie die Liebe im Allgemeinen und die Liebe Gottes im Besonderen sich offenbart! Die Liebe lässt sich nicht an Formen binden, wenn sie auch die Grenzen der Schicklichkeit niemals überschreitet. (Siehe 1. Kor. 13.) In unserem Gleichnis findet sich nichts, was einen richterlichen Charakter trüge. Denn in diesem Falle würde der Vater den ihm zukommenden Platz im Haus eingenommen und hier gewartet haben, bis sein Sohn zu ihm kam und die Knie vor ihm beugte. Weiter würde er ruhig angehört haben, was der Sohn ihm zu sagen hatte, und danach seine Antwort eingerichtet haben. Nein, was der Herr uns hier vor Augen stellen will, ist die Liebe Gottes, des Vaters, in all ihrer Kostbarkeit. Möchten wir sie mehr erkennen lernen! Wie glücklich würde es unsere Herzen machen, selbst in dem Falle, dass wir Ihm mit dem Bekenntnis einer Schuld zu nahen hätten!

Bei dem Vater in unserem Gleichnis genügte das Erblicken des Sohnes und die Gewissheit, dass er der war, den er verloren hatte, um seine Liebe in Taten umzusetzen -· eine Liebe, die keine Grenzen kannte, und welche die höchsten Erwartungen übertraf. Die zerlumpten, schmutzigen Kleider hinderten den Vater nicht, dem Sohn um den Hals zu fallen. Und das durch Hunger abgezehrte und wohl auch durch die Ausschweifungen verfallene Gesicht des Heimkehrenden hielten ihn nicht ab, ihn ebenso herzlich zu küssen wie damals, als er noch zu Hause war. Noch ehe der Sohn irgend ein Bekenntnis abgelegt hatte, war der Vater ihm zuvorgekommen, um ihm das Bekenntnis zu erleichtern und zugleich um ihn — gerade durch dieses Verhalten -— seine Unwürdigkeit noch tiefer fühlen zu lassen, als es bis dahin der Fall gewesen war.

Gegen einen heiligen und gerechten Gott gesündigt zu haben, ist schrecklich in seinen Folgen; aber gegen die Liebe gesündigt zu haben, verleiht dem Bösen noch einen weit ernsteren Charakter, wenn das ja auch häufig leider nicht so erkannt wird. Die Sünde des geistlichen Ehebruchs, dessen das Volk Israel sich schuldig gemacht hatte, war viel schwerer als der Götzendienst der Heiden, obwohl dieser in unmittelbarer Beziehung stand zu den Dämonen. Auf das Bekenntnis folgt die Vergebung, wie in 1. Joh. 1, 9 geschrieben steht: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist Er treu und gerecht, dass Er uns die Sünden vergibt“. Dass der Vater seinem Sohne alle Sünden vergab, ist zweifellos, wenn es auch nicht besonders betont wird. Aber es geschah noch mehr. Durch die Sündenvergebung allein war dem Sohne noch nicht geholfen. Er hatte mehr nötig. Das Glück eines Menschen, der eine große Schuld nicht bezahlen kann, und der dann plötzlich jemand findet, der alles bezahlt, so dass nicht ein Pfennig mehr zurückbleibt, ist gewiss groß. Aber wieviel Ursache zur Freude er auch haben mag, er ist und bleibt doch ein armer Mann, der nicht imstande ist, sich das Nötigste anzuschaffen. Will man ihn völlig aus der Not retten, so muss man mehr tun, als nur seine Schuld bezahlen. In unserem Gleichnis sehen wir (lies V. 22 u. 23), dass der Vater im weitesten Maße für alles sorgt.

Das Gesagte zeigt uns also, dass die Gewissheit der Vergebung aller unserer Sünden, so wichtig und freudevoll sie ist, doch allein noch nicht genügt. Gott sei gepriesen! Aus Grund des Todes und der Auferstehung Christi sind nicht nur alle unsere Sünden vergeben, sondern wir sind auch in einen Zustand versetzt, in welchem das Alte vergangen und alles neu geworden ist, so dass Gott Sein Wohlgefallen an uns finden kann. Ja unserem Gleichnis wird dies durch alles das, was der Vater an dem verlorenen Sohne tut, zum Ausdruck gebracht.

Kaum hatte der Sohn das letzte Wort seines Bekenntnisses: „Ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu. Heißen“, gesprochen, als der Vater Befehl gab, das beste Kleid herbeizubringen. Es war, wie wenn er hätte sagen wollen: Wenn du dich selbst für unwürdig hältst, dann will ich deine Unwürdigkeit wegnehmen und dich besser kleiden, als du je zuvor gekleidet warst. Dem Grundsatz nach handelt Gott immer so. So lange der Mensch seine Unwürdigkeit nicht anerkennen will, erklärt Gott ihn für schuldig und muss ihn verurteilen.

So war es bei Israel. In seiner Verblendung fragte es: „Womit haben wir deinen Namen verachtet?“ „Womit haben wir dich verunreinigt?“ „Womit haben wir Jehova ermüdet?“ usw. (Vergl. Mal. 1. 2.) Auf diese bösen Fragen hin kündigte der Herr ihnen das Gericht an. Ähnliches finden wir im 32. Psalm. Dort bekennt der Psalmist: „Als ich schwieg, verzehrten sich meine Gebeine“. So lange wir das Böse zuzudecken suchen, macht Gott es offenbar. Wir erfahren dann, was der Psalmist mit den Worten ausdrückt: „Tag und Nacht lastete auf mir deine Hand“. Bekennen wir Ihm dagegen unsere Sünden, so deckt Er sie zu, schenkt Vergebung und führt uns in Seine Gemeinschaft zurück.

Der Befehl des Vaters an die Knechte, das beste Kleid für den zurückgekehrten Sohn herbeizubringen, erinnert uns an das Wort des Engels in Sach. 3 betreffs des Hohenpriesters Josua· Bevor der Sohn an dem Mahle teilnehmen konnte, das der Vater um seinetwillen bereiten ließ, musste alles hinweggetan sein, was irgendwie an sein früheres Leben oder an seinen früheren Zustand erinnerte, geradeso wie die schmutzigen Kleider verschwinden mussten, mit denen Josua angetan war, als er vor dem Engel Jehovas stand. Mit schmutzigen Kleidern und einem unreinen Kopfbund konnte er nicht in der Gegenwart des Herrn weilen oder den Dienst im Tempel Gottes verrichten. Gott sorgte dafür, dass alles passend gemacht wurde für die Stellung, zu welcher Er Josua berufen hatte. So hat Gott auch in Seiner Gnade durch das Werk Christi jeden verlorenen Sünder, der zu Jesu gekommen ist, herrlich angetan, so dass nichts mehr übriggeblieben ist, was im Widerspruch steht mit Seiner Gegenwart, oder was für Seinen Dienst nicht passt.

Der Vater gab Befehl, das beste Kleid herzubringen. Das ist von tiefer Bedeutung. Welche Segnungen Gott auch über Adam ausgeschüttet hatte, das Beste hat Adam nie gekannt, ebenso wenig wie Israel, das Volk, für welches Jehova ein so herrliches Land als Erbteil bereitet hatte. Das Beste hat Gott für die an Christum Glaubenden aufbewahrt. Der Apostel spricht es aus, wenn er in Eph. 1, 3 sagt: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi, der uns gesegnet hat mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christo!“

Beachten wir auch die Tatsache, dass das beste Kleid, der Ring und die Sandalen dem Sohn angelegt wurden, bevor er sich mit den zum Mahle Geladenen im Vaterhause an den Tisch setzte. Der geöffnete Festsaal im Hause des Vaters stellt den Himmel dar; bevor nun der Sohn in diesen Saal geführt wurde, erhielt er alles, was nötig war, um seinen Platz mit Ehren dort einnehmen zu können. Geradeso ist es mit dem Gläubigen heute. Von ihm heißt es schon jetzt: „Welche Er zuvor bestimmt hat, diese hat Er auch berufen; und welche Er berufen hat, diese hat Er auch gerechtfertigt; welche Er aber gerechtfertigt hat, diese hat Er auch verherrlicht“ (Röm. 8, 30). Gott sieht jetzt schon den Gläubigen verherrlicht vor sich, so wie Er ihn durch das Werk Christi vor sich hingestellt hat, obgleich wir noch im Leibe der Niedrigkeit wandeln.

Wie sollte uns das antreiben, den Wert und die Bedeutung dieses Werkes, so wie es vor Gott ist, mehr zu erkennen zu suchen! Auch lasst uns nicht vergessen, dass Röm. 12, 1 mit dem eben angeführten Verse in innigem Zusammenhang steht; denn die Kapitel 9 — 11 bilden eine Einschaltung und beschäftigen sich mit dem Volke Israel, so dass Kap. 12, 1 den Gedanken von Kap. 8 wieder aufnimmt. Und was wird uns in diesem Verse gesagt? Ich ermahne euch nun, Brüder, durch die Erbarmungen Gottes, eure Leiber darzustellen als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Schlachtopfer, welches euer vernünftiger Dienst ist.“ Die Ermahnung gründet sich also auf die Erbarmungen Gottes. Lasst sie uns deshalb zu Herzen nehmen, damit unser Wandel das Siegel drücke auf die empfangene Gnade!

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Folge mir nach

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 68ff

„Wenn jemand mir nachkommen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf täglich und folge mir nach“ (Luk. 9, 23).

Jesus sprach diese Worte „zu allen“, zu der Volksmenge sowohl wie zu Seinen Jüngern (Vergl. Mark. 8, 34). Wer irgend Ihm nachfolgen will, muss in Seine Fußstapfen treten, und Sein Pfad war ein Pfad steter Selbstverleugnung, eine Kette unaufhörlicher Leiden, die am Kreuze ihren Höhepunkt erreichten: „Der Sohn des Menschen muss vieles leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten, und getötet und am dritten Tage auferweckt werden«. (V. 22.) Von dem sühnenden Charakter der Leiden Christi ist hier keine Rede — an diesen kann niemand teilhaben; der Herr spricht nur von Seiner Verwerfung auf dem Pfade des Gehorsams, von Seinen Leiden seitens der Menschen, die Ihn hassten. Nun, ein Jünger ist nicht über seinen Meister. Wenn daher jemand Jesu nachkommen will, so muss er sich selbst verleugnen und das Kreuz der Schmach und Verwerfung aufnehmen Tag für Tag, bis ans Ziel der Reise. Eine andere Möglichkeit, Christo nachzufolgen, gibt es nicht. Aber Er, der uns erlöst, reicht auch die zu Seiner Nachfolge nötige Kraft dar. Dennoch denke niemand, dass er Leiden und Selbstverleugnung entgehen könne. Wenn Christus litt, so kann der Christ nicht Wohlergehen und Anerkennung in dieser Welt erwarten. Das Kreuz zeigt ihm klar seinen Weg.

Die Erlösung ist ein freies Geschenk. Das Erste, was der Herr auch heute noch den Mühseligen und Beladenen, die nach einem Heiland ausschauen, zuruft, ist: „Kommet her zu mir; ich werde euch Ruhe geben“. Ist man diesem freundlichen Rufe gefolgt und hat die drückende Sündenlast am Fuße des Kreuzes niedergelegt, so lenkt der Heilige Geist den Blick der aufatmenden Seele aus den Herrn Jesus als ihr großes Vorbild und bereitet das Ohr zu, um auf Seine Aufforderung zu achten: Folge mir nach! Und indem sie das tut und von Ihm lernt, erfährt sie, dass Sein Joch sanft und Seine Last leicht ist.

Völlige Selbstverleugnung, d. i. das gänzliche Aufgeben seiner selbst, das Verzichten auf alle berechtigten Ansprüche auf Anerkennung, Berücksichtigung seitens anderer, Bequemlichkeit und dergleichen, kennzeichnete, wie gesagt, den Pfad des Herrn Jesus hienieden von Anfang bis zu Ende. Und Er, der vollkommene Mensch, ging diesen Weg in beständiger Abhängigkeit von Seinem Gott und Vater. Er konnte sagen: „Ich habe Jehova stets vor mich gestellt“ (Ps. 16, 8). Schmach, Verachtung, Verlust waren Sein Teil bis Golgatha; alles nahm Er willig aus sich in unbedingten: Gehorsam gegen Gott, aber zugleich in ununterbrochener Gemeinschaft mit Seinem Vater. Es gab keinen Augenblick, in welchem diese Gemeinschaft unterbrochen gewesen wäre, als bis Er für uns zur Sünde gemacht und um unserer Übertretungen willen verwundet und um unserer Missetaten willen zerschlagen wurde – in jenen furchtbaren drei Stunden auf dem Kreuze, als sich Seinem heiligen und liebeerfüllten Herzen, in tiefster Seelenangst, der schmerzlichste Ruf, den je die Welt gehört hat, entrang: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Abhängigkeit, Gehorsam und Gemeinschaft kennzeichneten den Weg des gesegneten Menschen Christus bei den täglich auf Ihn einstürmenden Leiden und Bedrängnissen. Er hielt standhaft aus und genoss in Seiner Seele die damit verbundenen Segnungen: Ruhe, Freude und Frieden. Und Er, der durch geduldiges Ausharren auf diesem Wege überwand, sagt uns: Folge mir nach! und: Lernet von mir!

Dieser Weg der Selbstverleugnung ist ein schmaler Pfad, an dem so mancher Dornbusch steht, der uns die Finger zerreißt. Aber wollen wir Ihm nachfolgen und Seine Gemeinschaft genießen, so dürfen wir uns dadurch nicht abschrecken lassen. „Wer sein Leben -— d. i. das Leben ohne Verbindung mit Gott, in Selbstsucht und Eigenwille -— liebt, wird es verlieren“, sagt der Herr in Joh. 12, 25, „und wer sein Leben in dieser Welt hasst, wird es zum ewigen Leben bewahren.“ Und in unmittelbarer Verbindung damit: „Wenn mir jemand dient, so folge er mir nach; und wo ich bin, da wird auch mein Diener sein“. Wir haben schon daran erinnert, dass wir an Seinen sühnenden Leiden, an dem, was Er durch die Hand Gottes für die Sünde litt, keinen Anteil haben können; wohl aber treffen uns in schwachem Maße die Leiden, die Er von seiten der Menschen, durch den Widerspruch der Sünder, erfuhr. Wir wissen freilich — im Gegensatz zu den damaligen Jüngern — wenig davon, was es heißt, für den Namen Jesu zu leiden. Jene mussten ihre Nachfolge oft mit schwerer Misshandlung, zuweilen sogar mit dem Tode bezahlen. Daher galt ihnen die Mahnung des Herrn, „sich selbst zu verleugnen“, in ihrer vollsten Bedeutung. Aber wenn uns auch ein leichteres Los zugefallen ist, so können wir doch der täglichen Selbstverleugnung nicht entgehen in all den Dingen, die uns an der Nachfolge hindern wollen; zugleich bedürfen wir eines beständigen Ausharrens in dem Vertrauen auf Seine Hilfe.

Es ist ein Weg des Glaubens, nicht des Schauens, der vor uns liegt, und Glaube ist Abhängigkeit von Gott, unter Aufgebung des Vertrauens auf sich selbst und jede menschliche Stütze. Abraham wurde berufen, auszuziehen, „nicht wissend, wohin er komme“ (Hebr. 11, 8). So liegen auch für uns die Führungen Gottes auf dem Wege im Dunkeln· Er lässt uns Seine Wege und das Wie und Wann Seiner Hilfe im Voraus nicht wissen, damit unser Glaube geübt werde.

Der Gedanke an die vielen Schwierigkeiten und Gefahren, denen wir von Satan, der Welt und unserer alten Natur auf dem Wege ausgesetzt sind, könnte uns nun mit Recht bange machen.· Wir dürfen aber festhalten, dass „Gottes Angesicht mit uns geht“, und wir „durch Seine Macht bewahrt“ werden. Diese Bewahrung geschieht jedoch, wie der Apostel hinzufügt, „durch Glauben“ (1. Petr. 1, 5). Die ganze Macht Gottes, auf welche wir zählen dürfen, ist in erster Linie tätig, unseren Glauben aufrecht zu erhalten. So sagt auch der Herr zu Petrus: „Der Satan hat euer begehrt, euch zu sichten wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebetet, auf dass dein Glaube nicht aufhöre“ (Luk. 22, 31. 32).

Ist der Glaube in uns lebendig, so vertrauen wir zu allen Zeiten und in allen Einzelheiten unseres flüchtigen Daseins auf Ihn, der uns „als der Anfänger und Vollender des Glaubens“ (Hebr. 12, 2) vorangegangen ist und uns ein Beispiel hinterlassen hat, auf dass wir Seinen Fußstapfen nachfolgen sollen. Wirkt der Glaube mächtig in uns, dann blicken wir nicht auf die Umstände, nicht auf uns selbst, nicht auf menschliche Hilfe, sondern wir verbinden die vollkommene Liebe Gottes mit den großen und kleinen Angelegenheiten dieses Lebens, mögen sie schmerzlich oder angenehm für uns sein. In treuer Nachfolge des Herrn schreiten wir vorwärts, indem wir auf Seine Hand achten, auf Seine Stimme hören und uns auf Seine Kraft, Weisheit und Liebe stützen. In der Kraft des Glaubens bleibt der Geist ruhig, das Herz still. Man weiß, dass Gott alles in Seiner Hand hält, nach Seiner Liebe und Weisheit für uns plant und alles zum Guten mitwirken lässt. Im Gefühl der Abhängigkeit sucht man selbst die widrigsten Umstände nicht zu ändern; man lernt vielmehr dann im Gehorsam das Haupt zu beugen mit einem: „Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig vor dir“. Das war die Sprache unseres Herrn, der bis zum Tode am Kreuze gehorsam war, und der uns auffordert, von Ihm zu lernen. Und dieser treue Herr lässt uns nicht allein auf diesem Wege. Er wandelt mit uns und lässt uns Seine Gemeinschaft genießen.

So dienen denn alle Schwierigkeiten des Weges dazu, uns in Abhängigkeit und Gehorsam zu üben und uns den Segen der Gemeinschaft verstehen zu lassen, „auf dass die Bewährung unseres Glaubens erfunden werde zu Lob und Herrlichkeit und Ehre in der Offenbarung Jesu Christi“.

Die drei eben genannten Dinge: Abhängigkeit, Gehorsam und Gemeinschaft, oder mit anderen Worten: los von sich selbst sein, dem Willen Gottes unterworfen und abgesondert sein für Ihn, bilden die drei Hauptwahrzeichen der Nachfolge Christi.

Derselbe Gedanke liegt der dreifachen Verordnung über das Nasiräat in 4. Mose 6 zu Grunde. Wie es für uns ein gnädiges Vorrecht ist, dem Herrn, dem wahren Nasir, nachfolgen zu dürfen, so war es auch Gnade von Gott, dass Er Seinem irdischen Volke das Recht gab, sich Ihm völlig zu weihen, Nasire zu werden. Es war Sein Wille, dass „Israel Ihm ein Königreich von Priestern, eine heilige Nation sein sollte“ (2. Mose 19, 6). Das Volk in seiner Gesamtheit hatte durch die Sünde dieses Vorrecht verwirkt. Die Gnade öffnete aber für jeden, der sich für eine gewisse Zeit, deren Dauer sein Herz bestimmen konnte, Gott ganz hingeben wollte, einen Weg. Ein solcher tat das Gelübde eines Nasirs, um sich Jehova zu weihen, sich für Ihn ganz abzusondern. Das Gelübde legte ihm drei Gebote auf: 1. sich des Weines zu enthalten, 2.sein Haar nicht scheren zu lassen und 3.mit keiner Leiche in Berührung zu kommen. Der Nasir hatte diese drei Verordnungen buchstäblich zu erfüllen, für uns haben sie eine geistliche Bedeutung. Die Absonderung unter dem Judentum war rein äußerlich, unter dem Christentum ist sie geistlich und innerlich.

Zunächst also durfte der Nasir keinen Wein oder irgend ein starkes Getränk trinken. Alle Tage seiner Weihe war die strengste Enthaltung von allem, was vom Weinstock bereitet wird, „von den Kernen bis zur

Hülse“, geboten. Die Natur durfte nicht durch den Genuss von Wein und dergl. erregt werden.

Diese Aufforderung entspricht der Aufforderung des Herrn an jeden, der Ihm nachkommen will: Verleugne dich selbst! Halte dich von allem fern, worin die Natur ihre Befriedigung findet, was einen zerstreuenden und schwächenden Einfluss auf deinen Geist ausübt!

Wie vieles derartiges bietet uns die Welt zu jeder Zeit!

Unsere Umgebung, unsere Beschäftigungen, die Gesellschaft, in welcher wir uns bewegen, die Bücher und Zeitungen, die wir lesen, alle diese Dinge sind geeignet, einen nachteiligen Einfluss auf uns auszuüben; und Satan ist immer beschäftigt, unsere schwache Seite zu entdecken und uns durch das zu verführen, wofür wir am meisten zugänglich sind. Unsere Charaktere weichen voneinander ab, Neigung und Geschmack sind je nach Temperament und Erziehung verschieden; so lässt sich keine bestimmte Regel darüber ausstellen, was für den Einzelnen in besonderer Weise als „Wein und starkes Getränk“ wirkt. Es gehört kein großes Unterscheidungsvermögen dazu, um „die fleischlichen Lüste, die wider die Seele streiten“ (1. Petr. 2, 11), als böse zu erkennen; aber ein geübtes Gewissen ist nötig, um manche Dinge, die an und für sich nicht böse sind, von denen wir aber angezogen und nachteilig beeinflusst werden können, als solche zu erkennen und richtig zu beurteilen.

„Trauben, frische oder getrocknete“, (V. 3) scheinen sehr harmlos zu sein; aber sie kommen vom Weinstock. So gibt es auch Dinge, die in sich ganz harmlos sind, die sich aber, wenn wir uns von ihnen gefangen nehmen und leiten lassen, als „Wein“ enthaltend erweisen und uns in der treuen Nachfolge Christi hemmen und schwächen. Gott hat Seinen Kindern manche natürlichen Freuden geschenkt und reicht ihnen vieles „reichlich dar zum Genuss“. Er scheint sogar bei der Zucht, welcher Er die Seinen unterwirft, in der Entziehung dieser natürlichen Freuden oft zu zögern; aber wenn wir ihnen einen Platz einzuräumen beginnen, der Seinen Gedanken entgegen ist und uns an der Nachfolge Christi hindert, so muss Er einschreiten.

Wir machen immer wieder die Erfahrung, dass die sichtbaren Dinge leicht unsere Herzen so erfüllen, dass der Geschmack für das Unsichtbare verloren geht und der geistliche Eifer, „das Trachten nach dem Reiche Gottes und nach Seiner Gerechtigkeit“, nachlässt. Wie schade ist das! Dazu kommt nach, dass an und für sich schon eine wirkliche Tatkraft des Glaubens dazu erforderlich ist, um in der Zeit der Verwerfung mit ganzem Herzen an Ihm zu hangen und für Ihn zu zeugen, der da sagen konnte: „Der Eifer um dein Haus verzehrt mich“. Darum ist es gut, sich immer wieder in der Selbstverleugnung zu üben, die natürlichen Neigungen zu zügeln und den Lockungen der Annehmlichkeiten und Gemächlichkeiten des Lebens durch Enthaltsamkeit aus dem Wege zu gehen. Gar wenige von uns können Sonnenschein ertragen, d. i. Zeiten, wo alles glatt und angenehm verläuft. Manche lassen sich durch keine Schwierigkeiten auf dem Wege abschrecken, brechen aber zusammen, sobald es ihnen nach außen hin wohl geht. Möchten wir doch mehr das Beispiel der dreihundert Krieger Gideons vor Augen behalten, die den natürlichen Hang zur Bequemlichkeit dem Eifer für Jehova unterordneten! (Richter 7.) Sie tranken das Wasser in Eile, ohne zu viel Zeit darüber zu verlieren, indem sie nur „mit ihrer Hand zu ihrem Munde leckten“. Das Wasser, welches ihren Durst löschte und ihren Körper erfrischte, nahm ihre Gedanken gleichwohl so wenig in Anspruch, dass sie steh gar nicht die Zeit nahmen, Rast zu halten. Ihr ganzes Herz war aus das Werk gerichtet, das sie für Jehova unternommen hatten, und um dessen Ausführung es ihnen wirklicher, heiliger Ernst war.

Wollen wir mit diesem ganzen Ernst für unseren Herrn einstehen, so kann das auch nur aus dem Wege täglicher Selbstverleugnung geschehen. Gott wünscht solche in Seinem Dienst zu haben, die stark sind in

der Gnade, die in Christo Jesu ist, die sich selbst Ihm bewährt darstellen, die Trübsal zu leiden vermögen als gute Kriegsleute Jesu Christi und sich nicht in die Beschäftigungen des Lebens verwickeln (Vergl. 2.Tim. 2). Und wer treu in der Nachfolge des Herrn verharren will, der muss lernen, „seinen Leib zu zerschlagen und in Knechtschaft zu führen“ (1. Kor. 9, 27). Welch ein nützliches Werkzeug in der Hand seines Herrn und welch ein treuer Nachfolger Jesu ist doch der, der die Worte Pauli nicht bloß als einen Grundsatz erfasst hat, sondern wirklich nachsprechen kann: „Ich habe gelernt, worin ich bin mich zu begnügen. Ich weiß sowohl erniedrigt zu sein, als ich weiß, Überfluss zu haben; in jedem und in allem bin ich unterwiesen, sowohl satt zu sein, als zu hungern, sowohl Überfluss zu haben, als Mangel zu leiden. Alles vermag ich in Dem, der mich kräftigt“ (Phil. 4, 11 —13).

Der Nasir durfte ferner all die Tage seines Gelübdes kein Schermesser über sein Haupt gehen lassen. Sein langes Haupthaar drückte, wie wir aus 1. Kor. 11, 10 ersehen, seine Unterwerfung unter Gottes Macht aus, die völlige Aufgabe des eigenen Willens, all seiner natürlichen Rechte als Mann.

So sollen auch wir in der Nachfolge Jesu unseren eigenen Willen vor Gott völlig ausgeben und willig das für uns bestimmte Kreuz täglich aufnehmen. Willenlos zu sein ist dem innersten Wesen unserer Natur zuwider. Christus hat uns in diesem wie in allem anderen ein Vollkommenes Vorbild gegeben· Anstatt Seine Rechte als Mensch und als Sohn des Menschen zu behaupten, hat Er sich selbst völlig aufgegeben. Er lebte von jedem Worte, das aus dem Munde Gottes hervorging, und tat in allem nicht Seinen Willen, sondern den Willen Dessen, der Ihn gesandt hatte.

Nun kann es sein, dass der ausrichtige Wunsch bei uns vorhanden ist, dem Herrn auch hierin nachzufolgen, und dass wir uns befleißigen, Gott zu gefallen, ohne dass aber unser Wille wirklich dem Willen Gottes unterworfen ist. Wir meinen schon, der Eigenwille sei gebrochen, wenn wir gelernt haben, uns ruhig in das Unvermeidliche zu fügen. Der Wille hat aber erst von dem Augenblick an seine Herrschaft über uns verloren, wenn wir alles, was uns aus dem Wege der Nachfolge trifft, — so schwer und schmerzlich es sein mag, — deshalb als gut und weise anerkennen, weil es der Wille Gottes für uns ist. Lasst uns auch in dieser Hinsicht aus unseren Herrn blicken. Während ein Jeremias in bittere Klagen ausbricht und ein Hiob sich selbst rechtfertigt, bis seine Freunde ihm nichts mehr zu antworten wissen, finden wir bei Jesu nie etwas anderes als vollkommene Ergebung in Gottes Willen, vollkommene Unterwürfigkeit. Was Seinem Vater wohlgefiel, das gefiel auch Ihm. Als Er von den Menschen verworfen, als Seine Liebe schnöde zurückgewiesen wurde, „zu jener Zeit“ — so lesen wir in Matth. 11, 25

— „hob Jesus an und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dieses vor Weisen und Verständigen verborgen hast und hast es Unmündigen geoffenbart. Ja, Vater, denn also war

es wohlgefällig vor dir.“ Und in „jener Zeit“ war es auch, dass Er von der Ruhe sprach, die Er geben, und welche diejenigen finden würden, die Ihm nachfolgten. Diese Ruhe ist unser Teil, wenn wir auf dem Wege des Gehorsams von Ihm lernen, dem Sanftmütigen und von Herzen Demütigen; sie flieht aber von uns, sobald wir unseren eigenen Willen tun, unseren eigenen Weg gehen wollen.

Es gab noch ein drittes Gebot für den Nasir. Nicht bloß musste er sich des Weingenusses enthalten und sein Haar wachsen lassen, er durfte auch keinen Toten berühren.

In dieser letzten Verordnung erblicken wir einen Hinweis auf die Sünde, deren Sold der Tod ist. Jede Berührung mit der Sünde ist zu vermeiden. Wie ist das aber möglich? Die Sünde, die so böse ist in den Augen Gottes, umringt uns ja von allen Seiten, so lange wir in der Welt sind. Man mag sich hinwenden und hinblicken, wohin man will, man mag sich beschäftigen, womit man will, überall stößt man auf Dinge, die verunreinigend wirken. Die Sünde umgibt uns wie die Luft. Selbst wenn wir uns verleugnen und unser Kreuz willig aufnehmen, können wir aus der uns umgebenden Lust nicht heraus. Da gibt es auch nur eine Möglichkeit des Entrinnens, und diese ist der Aufenthalt in der Nähe des Herrn, die ununterbrochene Gemeinschaft mit Ihm. Dahin dringt die Sünde nicht; in der Gemeinschaft des Herrn liegt sie hinter uns. Da schweigt die Welt mit ihren Lockungen, da verstummen Satan und unser „Ich“. Da ist Ruhe, Freude, Friede und Segen.

Wie leicht aber —- wir haben es oft erfahren — wird diese Gemeinschaft gestört Und unterbrochen! Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Lassen wir es an der Wachsamkeit und an dem Gebet fehlen, wozu der Herr uns so dringend ermahnt, so regt sich das Fleisch. Ehe man es nur ahnt, hat man ihm Raum gegeben. Und, sollte man es für möglich halten? zuweilen sucht und findet man sogar eine Entschuldigung für seine Regungen, statt ihm sofort und entschieden entgegen zu treten. Und wie ernst sind die Folgen! Bei dem Nasir war mit der Verunreinigung auch seine Weihe, seine Absonderung für Jehova, verfallen; er musste sich scheren, am achten Tage sein Opfer bringen und sich dann nochmals für Jehova absondern, „denn die vorigen Tage waren verfallen, seine Weihe war verunreinigt worden“ (V. 9 —12).

Gerade so ist es mit uns. Haben wir die Nähe des Herrn, die Gemeinschaft mit Ihm, verloren, so ist unsere Weihe verunreinigt, unsere Absonderung für den Herrn verfallen. Was nun? Gott sei gepriesen, dass Er, der uns alles in Betreff des Lebens und der Gottseligkeit gegeben, uns auch ein Heilmittel geschenkt hat, falls unsere Herzen der Reinigung bedürfen! Wir wissen: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist Er treu und gerecht, dass Er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit“, und: „Wenn jemand gesündigt hat — wir haben einen Sachwalter bei dem Vater, Jesum Christum, den Gerechten“ (1. Joh. 1, 9; 2, 1). Das Bekennen ist zwar demütigend und schmerzlich, aber es ist der einzige Weg zur Wiederherstellung und Zurückführung in die Gemeinschaft Dessen, der ein unbedingtes Recht an uns hat, und Dem gegenüber wir schuldig sind, unsere Glieder darzustellen als Werkzeuge der Gerechtigkeit. Durch ein aufrichtiges Bekenntnis, auf Grund des Dienstes unseres hochgelobten Sachwalters droben, wird unser Herz wieder zur Gemeinschaft mit Ihm fähig. Darum, wenn du dich verirrt hast, eile und kehre zurück in Seine Gegenwart! Zögere keinen Augenblick!

Es ist beschämend, aber wahr, dass wir der beständigen Zucht bedürfen, um in der Gemeinschaft des Herrn erhalten zu bleiben und so Ihm nachfolgen zu können. Aber wie gut ist es, dass die erziehende und wiederherstellende Gnade Gottes sich immer wieder an uns betätigt! Sie führt uns zurück, wenn wir vom Wege abgewichen sind, demütigt uns und treibt uns zu Ihm hin, der einst Seinen Jüngern zurief: „Bleibet in mir, und ich in euch . . . Wer in mir bleibt und ich in ihm, dieser bringt viel Frucht, denn außer mir könnt ihr nichts tun“; und gleich nachher: ,,Hierin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringet, und ihr werdet meine Jünger werden“ (Joh. 15, 4. 5. 8).

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Zweierlei Danksagung

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 82ff

In 1. Thess. 5, 18 ergeht die bestimmte Ermahnung an uns: „Danksaget in allem, denn dieses ist der Wille Gottes in Christo Jesu gegen euch“. Diese Aufforderung, in allem zu danksagen, ist ohne weiteres verständlich, denn welcher Gläubige sollte nicht anerkennen, dass es seine Pflicht, ja, sein Vorrecht ist, Gott in allen Umständen und Prüfungen seinen Dank darzubringen? Der Christen Weg mag durch Kummer oder Leiden führen. Betrachten sie ihn aber im Lichte und in der Gegenwart Gottes, so finden sie dennoch reichlich Grund zum Loben und Danken. Überdies ist es „der Wille Gottes in Christo Jesu gegen uns“. Das stellt die Sache noch auf einen anderen Boden. Es zeigt uns, was der wohlgefällige Wille Gottes betreffs unser ist, und wie wohlannehmlich Ihm die Danksagungen der Seinigen sind in guten und bösen Tagen.

Von solchem Danksagen ist auch in Eph. 5, 20 die Rede, hier jedoch nicht in Form einer Ermahnung. Es steht vielmehr mit dem Inhalt der vorhergehenden Verse in ursächlichem Zusammenhang. Wir werden in V. 18 ermahnt, uns nicht mit Wein zu berauschen, in welchem Ausschweifung ist, sondern mit dem Geiste

erfüllt zu fein. Drei Dinge werden sodann als Folgen eines solchen Zustandes genannt. Unsere Herzen werden überfließen von Lob, indem wir „in Psalmen und Lobliedern und geistlichen Liedern zueinander reden und dem Herrn in unserem Herzen singen und spielen“; zweitens werden wir „allezeit für alles dem Gott und Vater im Namen unseres Herrn Jesu Christi danksagen“, und drittens „einander unterwürfig sein

in der Furcht Christi“.

Beachten wir also, dass wir an dieser Stelle nicht aufgefordert werden, stets für alles zu danken, wie es der Fall ist in Bezug auf das Danksagen in allem. Der Grund ist wohl der, dass jenes Danken sich nur bei uns zeigen kann als eine Frucht des Erfülltseins mit dem Geiste. Es ist nicht so sehr eine Pflicht oder ein Vorrecht, als vielmehr eine Folge jenes Zustandes. Denn um für alles danksagen zu können, muss unser Wille dem Willen Gottes unterworfen sein, wir müssen alles aus Seiner treuen Vaterhand nehmen in dem Bewusstsein, dass Sein Wille gut ist, und dass alles, was auch kommen mag, Seine Liebe zur Quelle hat.

Wie steht es nun damit bei uns? Danken wir allezeit für alles? Wir werden es, wie wir soeben hörten, nur insoweit können, als wir mit dem Geiste erfüllt sind. Das aber setzt eine beständige Selbstverleugnung voraus und eine unaufhörliche Wachsamkeit, um nicht mit Wein berauscht, d. h. erregt und hingerissen zu werden von den Freuden dieser Erde. Wer mit dem Geiste erfüllt ist, trägt auch stets das Sterben Jesu am Leibe umher, auf dass auch das Leben Jesu an feinem Leibe offenbar werde. Ein solcher ist imstande,

allezeit für alles Gott zu danken.

Fürwahr, es ist etwas Großes, für alles danken zu können. Nur die Gnade kann das bewirken. Aber diese Gnade ist vorhanden. Wir brauchen nur zu nehmen. „Er gibt aber größere Gnade“ (Jak. 4, 6), auch hierfür. Und gewiss sollte keiner von uns sich mit einem niedrigeren Ziele begnügen, als mit diesem Erfülltsein mit dem Geiste und dessen gesegneten Folgen. Welch eine Veränderung würde unser tägliches Leben dadurch erfahren! Welch eine Kraft würde unseren Wandel und Dienst kennzeichnen! Nun, wenn wir denn danksagen können in allem, so lasst uns Gnade suchen, dass unser Zustand so sei, um durch die Kraft des Heiligen Geistes auch allezeit danken zu können „für alles dem Gott und Vater im Namen unseres Herrn Jesu Christi“!

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Ich sinne nach

Bibelstelle: Hiob 7,17

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 84ff

Was ist der Mensch- dass Du ihn hochhältst, und dass Du Dein Herz auf ihn richtest ? (Hiob 7, 17.)

Wenn sich in heil’ger Stille mein Geist, o Gott, erhebt

und Dich sucht zu erfassen, Den, der da ewig lebt—

Dann fühl- ich mich so selig, so frei und uubeschwert

von all’ den nicht’gen Dingen auf dieser armen Erd’.

Dann sinn’ ich, wie so weise und göttlich wohl durchdacht

Du mich ins Dasein riefest durch Deine Schöpfermacht.

sinn’ nach, wie ich gefallen. — O Gott, Dir sei’s geklagt,

dass ich, der Ungerechte, niemals nach Dir gefragt!

Und dennoch, welche Liebe! — Wollt’st mein Verderben nicht;

ein Andrer sollte sterben, erdulden mein Gericht.

Dein Sohn, der Eingeborne, Er hat das Werk vollbracht

und mich aus lauter Gnade zu Deinem Kind gemacht.

Ja, nicht nur Kind, auch Erbe soll ich aus ewig sein;

mich all der Herrlichkeiten in Christo stets erfreun.

So hast Du mich getragen voll Langmut und Geduld,

mir Tag und Nacht erwiesen den Reichtum Deiner Huld.

Ich sinn’ und sinne weiter — : Wohin ich mich auch wend’,

seh’ ich nur Deine Liebe und Gnade ohne End’. —-

O Gott! Was soll ich sagen? Gab ich Dir je zuvor,

dass Du so reich mich segnest, mich hebst zu Dir empor?

Wer bin ich, dass ich „Vater“ Dich nennen darf und kann,

und Du mit Wohlgefallen mich schaust in Christo an?

AlImächt’ger, sei gepriesen schon hier in dieser Zeit!

Anbetung Dir und Ehre in alle Ewigkeit!

W.

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Hierin ist die Liebe

Bibelstelle: Lukas 15

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 85ff

Als der jüngere Sohn das Vaterhaus verließ, war er zweifellos in ein Gewand gehüllt, das dem Ansehen und der Würde seines reichen Vaters entsprach. Geradeso war es, dem Grundsatz nach, als Gott den Menschen schuf. Von allem, was Er erschaffen hatte, konnte Gott sagen, dass es „gut war“. Und als ob Er nach Erschaffung des Menschen noch einen besonderen

Nachdruck auf das Wort gut hätte legen wollen, lesen wir: „Und Gott sah alles was Er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“ (1. Mose 1, 25. 31). In diesem Zustand oder, wenn man will, in diesem schönen Gewande, das der Würde und Herrlichkeit des Schöpfers entsprach, stand der Mensch im Paradiese vor dem Angesicht Gottes.

Wenden wir uns jetzt aber zu Römer 3 und lesen dort die Verse 10 — 20, so sehen wir, was von diesem „sehr gut“ übriggeblieben ist! Ach! alles ist verloren. Der Zustand des Menschen ist um nichts besser, als der des verlorenen Sohnes, welcher, in Lumpen gehüllt und außerstande, seine Blöße zu bedecken, aus dem fernen Lande zurückkehrte.

In welch einem Glanze erstrahlt demgegenüber die Gnade Gottes, der Seinen eigenen Sohn aus dem Himmel herabsandte und Ihn zur Sünde machte, auf dass wir Gottes Gerechtigkeit würden in Ihm!

Das „beste Kleid“, das der Vater für den verlorenen Sohn herbeibringen ließ, war das Gewand,

welches seinem Haufe Ehre machte. So hat Gott auch den Sünder in das beste Kleid gehüllt· Er hat ihn gleichsam mit Christo selbst bekleidet, damit er so zum Preise der Herrlichkeit Seiner Gnade sein möchte. Wie kostbar ist doch alles, was Gott uns in Seiner Liebe in und durch Christum geschenkt hat! Von alledem weiß der arme Weltmensch nichts. Treffend hat jemand gesagt: „Traurig ist der Anblick des Menschen, der sich anmaßt, aus Giftbeeren einen Saft zu pressen, der nur vom Weinstock zu erhalten ist“.

Aber der verlorene Sohn wurde nicht nur mit dem besten Kleid angetan, es wurde ihm auch ein Ring an die Hand gesteckt. Der Ring diente nicht bloß als Zierrat (vergl. Jak. 2, 2), er galt auch als Zeichen der Treue. Und dieses Zeichen von der Treue seines Vaters war nun beständig vor den Augen des Sohnes. Er konnte die Hand nicht erheben, ohne daran erinnert zu werden, dass die Liebe des Vaters sich trotz allem Geschehenen gleich geblieben war. Das hatte der Sohn erfahren, welcherlei Zweifel in Bezug hierauf sein Herz auch im Anfang beunruhigt haben mochten. Aber konnte es nach einer Begegnung, wie sie zwischen ihm und dem Vater stattgefunden hatte, noch irgendwelche Zweifel oder Befürchtungen geben? Unmöglich.

Es war die Freude des Vaters, den Verlorenen also zu empfangen. Sobald die glaubende Seele das verstanden hat, empfängt sie Frieden und Ruhe. Nichts anderes vermag ihr diese kostbaren Güter zu geben. In Christo hat Gott sich uns völlig geoffenbart. Der Herr selbst antwortet auf die Bitte des Philippus, den Jüngern den Vater zu zeigen: „So lange Zeit bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.“

Der Befehl, dem Sohne Sandalen anzuziehen, beweist, dass dieser barfuß nach Hause gekommen war. Das Barfußgehen kennzeichnet in der Schrift mancherlei Zustände. In 2. Sam. 15, 30 ist es ein Zeichen der Trauer, in Jes. 20 kündet es beschämende Gefangenschaft an, im allgemeinen kennzeichnete es den Sklavenstand. Die Sklaven im Haufe des Vaters gingen barfuß. Ring und Sandalen trug nur der freie Mann, das Kind des Hauses. Zweifellos hat der verlorene Sohn im fernen Lande die durch das Barfußgehen gekennzeichneten Zustände durchgemacht. Sollte z. B. das Zusichselbstkommen nicht gepaart gewesen sein mit der Trauer darüber, dass er das Vaterhaus verlassen und dem Vater so viel Kummer und Schmerz bereitet hatte? Der Gedanke an diese Dinge ist gewiss nicht bloße Verstandessache gewesen. In der Rückkehr und dem Bekenntnis des Sohnes dürfen wir vielmehr den Beweis erblicken, dass „die Betrübnis Gott gemäß eine nie zu bereuende Buße zum Heil bewirkt“ hatte, so wie sich dies bei einer jeden wahren Bekehrung zeigt.

Welch ein Glück, dass der Herr in Seiner Gnade auf Trauer Freude folgen lässt, selbst dann wenn die Trauer die Folge von Sünden oder von Untreue im Wandel ist, wie wir es in unserem Gleichnis und auch in 2. Sam. 15 finden! Einmal erscheint für uns alle, die betrübt waren über das, was zwischen uns und Gott vorgekommen ist, der Augenblick, wo wir in die schönen Worte von Ps. 30, 11. 12 einstimmen werden: „Meine Wehklage hast du mir in einen Reigen verwandelt, mein Sacktuch hast du gelöst, und mit Freude mich umgürtet, auf dass meine Seele dich besinge und nicht schweige. Jehova, mein Gott, in Ewigkeit werde ich dich preisen!“

Bevor der entscheidende Ausspruch aus dem Munde des verlorenen Sohnes kam: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen“, wurde er gleich einem Gefangenen dahin getrieben, sich weiter und weiter vom Vaterhause zu entfernen und sich mehr und mehr in den Schlingen der Sünde zu verstricken. Nicht Not und Armut, kein noch so nagender Hunger vermochten sein hochmütiges Herz zur Einsicht darüber zu bringen, dass das sündige Begehren, das Vaterhaus zu verlassen, ihn in ein so schreckliches Elend gestürzt hatte. Sich

in sein Los zu schicken und wenn nötig selbst ein Tischgenosse der Schweine zu werden, erschien ihm wünschenswerter, als dem demütigenden Gedanken Raum zu geben, dass er sich schändlich betrogen hatte, als er im fremden Lande ein Glück zu finden vermeinte, das dem Weilen beim Vater vorzuziehen sei.

In denselben Ketten der Gefangenschaft befindet sich jeder Sünder, und zwar so lange, wie ihm ein Leben in der Sünde, fern von Gott, begehrenswerter erscheint als der Gedanke, zu Ihm zu kommen, der uns allein aus den Banden der Sünde zu erlösen vermag und uns „freimacht von der Knechtschaft des Verderbnisses zu der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (Röm. 8, 21).

Selbst mit dem Letzten, wovon das Barfußgehen ein Zeichen ist, hat der verlorene Sohn Bekanntschaft machen müssen. Er, der Sohn eines reichen Vaters, hängte sich, durch die Not dazu gezwungen, „an einen der Bürger des Landes; der schickte ihn auf seine Äcker, Schweine zu hüten“. So war er denn auf die niedrigste Stufe herabgesunken, ein armer, niedriger Knecht geworden.

O wie weit muss es manchmal mit einem Sünder kommen, bis er zu sich selbst kommt! Der Sohn war nun ein Knecht geworden, der obendrein noch von sich sagen musste: „Ich komme hier um vor Hunger!“

In diesem Zustand wurde er vor die Wahl gestellt, entweder zum Vater zurückzukehren, dahin, wo die Sklaven Überfluss hatten an Brot, und dem Lande der Sünde Lebewohl zu sagen, oder zu bleiben, wo er war, und da Hungers zu sterben. Die Entscheidung fiel. Es gab kein Hin und Her zwischen zwei Gedanken, kein Zögern mehr. Das Land der Sünde wurde endgültig verlassen. Nie wieder würde er dahin zurückkehren, keinen Blick mehr dahin zurückwenden. „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen!“ Das war der einzige Gedanke, der jetzt noch vor seiner Seele stand. Glücklich alle, die zu demselben Entschluss gekommen sind!

Im Hause des Vaters wird ein Fest gefeiert, ein Fest außergewöhnlicher Art, zu welchem „das gemästete Kalb geschlachtet“ wird! Was ist geschehen? Horch, der Vater verkündigt es: „Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden“. Alle, die im Hause des Vaters weilten, erhielten Kenntnis von diesem großen Ereignis und nahmen teil an der Freude, denn der Vater hatte nicht gesagt: „Ich will fröhlich sein“, sondern: „Lasset uns essen und fröhlich sein!“ Wohl war es der Vater, der den Ton des Liedes anstimmte, das gesungen wurde, und sicherlich war seine Freude höher als die der anderen, aber doch war die Freude allgemein. Nur einer war da, der an der Freude des Vaters nicht teilnehmen konnte, und der auch nicht wusste oder verstand, weshalb das Fest gefeiert wurde. Das war der ältere Sohn, der vom Felde kam. „Und als er kam und sich dem Hause näherte, hörte er Musik und Reigen“. Voll Erstaunen erkundigte er sich, „was das wäre“. Und als er es erfuhr, „wurde er zornig und wollte nicht hineingehen“. Sieh da den Selbstgerechten, der zu sich sagt: „Wenn solch ein Fest gefeiert wird wegen der Heimkehr eines Menschen, der das

Vermögen seines Vaters auf schlechten Wegen durchgebracht hat, was wird dann aus all den Taten meiner Gerechtigkeit? Was haben dann die vielen Jahre zu bedeuten, die ich dem Vater gedient, und in denen ich nie eines seiner Gebote übertreten habe?“ Über solches Rühmen freut sich indes kein Mensch, weder der Vater noch die, welche in seinem Hause sind, höchstens der Selbstgerechte selber, der sein Verdienst mit eigenem Maßstabe misst!

Die Selbstgerechtigkeit ist nicht nur Selbstsucht, sondern geradezu Sünde. Genügte zur Befriedigung des Vaterherzens der Umstand, dass der Sohn seine Feldarbeit treu verrichtet hatte? Und dabei hatte dieser noch eine besondere Anerkennung erwartet: nämlich dass ihm ein Böcklein gegeben werde, damit er ohne die Gemeinschaft des Vaters mit seinen Freunden fröhlich sein könnte! War sein Betragen, waren die Antworten, welche er dem Vater gab, in Übereinstimmung mit dem Gebot: „Ehre deinen Vater und deine Mutter“? Was war bei ihm von dem vorhanden, worauf ein Vater zu allererst Wert legt, und das die Stelle ausdrückt: „Gib mir, mein Sohn, dein Herz!“? Welch eine Verhärtung nehmen wir bei diesem Manne wahr! Welch eine Lieblosigkeit sprach auch aus dem Urteil, das er über das Betragen des Bruders fällte! Der Knecht, bei dem er sich erkundigte (V. 26), schwieg bescheiden über den Zustand, in welchem der verlorene Sohn daheim angelangt war; er aber nennt in seiner Antwort an den Vater das Schlimmste, was auf dem Wege der Sünde vorfallen kann, ohne zu bedenken, wie sehr dies das Herz des Vaters betrüben musste. Für ihn ist der Bruder kein Bruder, der Vater kein Vater mehr. Einen derart schlechten Menschen als Bruder anzuerkennen, das war zu viel verlangt von einem, der sittlich so hoch stand! Und den Mann, der ein so großes Fest veranstalten konnte aus Freude über die Rückkehr eines solchen Sohnes, nein, den wollte er nicht. länger als Vater anerkennen.

Das Wesen des Pharisäertums wird in unserem Gleichnis in der Person des älteren Sohnes so düster wie nur möglich geschildert. Aber auch jeder einzelne Zug für sich genügt schon, um uns mit dem inneren Wesen desselben bekannt zu machen. Das Pharisäertum mag ein schönes Äußeres haben, aber dadurch wird seine Feindschaft gegen die Gnade nicht zugedeckt. Können wir im Hinblick auf das, was von dem älteren Sohne gesagt wird, nicht mit vollstem Recht die Frage stellen, ob er, wenn er auch nie das Vaterhaus verlassen hatte, nicht vielleicht in einem anderen fernen Lande noch weiter vom rechten Wege abgeirrt war, als es je bei dem jüngeren Sohne der Fall gewesen? So weit der jüngere auch gegangen sein mochte, waren doch nie solche Gedanken über den Vater, wie sie sich bei dem älteren Sohn offenbarten, in seinem Herzen aufgekommen. Ach, der arme ältere Sohn! Er bildete sich ein, so viel besser zu sein als sein jüngerer Bruder; aber wir wissen, dass er es nicht war. Wahrlich, auch für ihn passen die Worte, welche in Joh. 8, 7 u. 10 an seine Freunde, die Pharisäer, gerichtet wurden.

Denken wir jedoch nicht, dass aus den Herzen derer, die, wie der verlorene Sohn, zum Vater zurückgekehrt sind, der pharisäische Geist für immer ausgerottet sei. Hohe Gedanken über das eigene Ich und Geringschätzung anderer, deren Gebrechen man genau sieht, während man den Balken im eigenen Auge nicht wahrnimmt, entspringen derselben Quelle. Möge die uns von Gott zuteil gewordene Gnade uns vor solchem Geist bewahren! Je mehr diese Gnade von uns erkannt wird, desto kleiner und geringer werden wir in unserer Selbsteinschätzung.

Es ist gesegnet für unsere Herzen zu beachten, dass die Freude des Vaters nicht durch die Unterredung mit dem älteren Sohn beeinträchtigt wurde, wenn er auch für einen Augenblick den Festsaal verlassen und hinausgehen musste. Sein Herz war zu voll von der Freude über die Heimkehr dessen, der verloren gewesen war! Wir entnehmen das seinen Worten an den

älteren Sohn: „Es geziemte sich aber, fröhlich zu sein und sich zu freuen; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, und verloren und ist gefunden worden“. Die Freude des Vaters wurde nicht gestört, wenn er auch darüber trauert: musste, dass es einen gab, der an dieser Freude nicht teilnehmen wollte.

Geradeso ist es bei Gott, und wohl uns, dass es so ist! Verhinderte das Murren der Pharisäer und Schriftgelehrten den Herrn Jesus irgendwie, den Menschen die vollkommene Liebe und Freude des Vaters über das Sichzurückfinden des Verlorenen vorzustellen? Niemals! Ebenso wenig hinderte es Ihn, den Pharisäern und Schriftgelehrten den wahren Zustand ihrer Herzen durch die Schilderung des älteren Sohnes vorzuhalten.

Der Vater verlangt von dem älteren Sohne nicht, dass er sich freuen soll, weil er, der Vater, sieh freute. Nein, er musste aus sich selbst heraus sich freuen. So geziemte es sich. So musste es sein. Denn der Wiedergefundene war sein Bruder! (V. 32). Alle müssen sich freuen, namentlich die, welche zur Familie gehören. Ja, nicht nur im Himmel, sondern auch auf Erden ist Freude über die Bekehrung eines Sünders. Er gehört jetzt zur Familie. Die Engel genießen dieses Vorrecht nicht, wie es an einer Stelle heißt: „Denn Er nimmt fürwahr sich nicht der Engel an, sondern des Samens Abrahams nimmt Er sich an“ (Hebr. 2, 16).

Noch auf zwei Dinge möchte ich hinweisen in Verbindung mit dem, was uns über das Verhalten des älteren Sohnes mitgeteilt wird.

Wir lesen im 28. Verse, dass der Vater, nachdem der Sohn zornig geworden war und nicht ins Haus gehen wollte, hinausging und in ihn drang. Wird uns hier nicht die vollkommenste Geduld dargestellt, die Gott mit den Juden selbst dann noch hatte, als sie Christum verworfen und gekreuzigt hatten? In welch treffender Weise wird die wunderbare Geduld Gottes in der Apostelgeschichte geschildert! „Anfangend von Jerusalem“, hatte der Herr nach Seiner Auferweckung aus den Toten zu den Jüngern gesagt, als Er von der Predigt der Buße und der Vergebung der Sünden zu ihnen redete (Luk. 24, 47). Dieses Wort hat seine Erfüllung nicht allein am Pfingsttage gefunden, sondern ist auch beständig von denen zur Richtschnur genommen worden, die der Herr zu „Zeugen hiervon“ berufen hatte. Selbst das ganze Werk des Apostels der Nationen, Paulus, beweist uns, wie treu auch er sich an das Wort des Herrn gehalten hat. „Sowohl dem Juden zuerst als auch dem Griechen“, schreibt er in seinem Brief an die Gemeinde in Rom (Röm. 1, 16). Von diesem Gedanken durchdrungen, richtete er überall, wohin er kam, seine Schritte zunächst zur Synagoge der Juden, um sie mit dem Evangelium des auferstandenen Christus bekannt zu machen. Erst wenn sie, wie der ältere Sohn im Gleichnis, sich weigerten „hineinzugehen“, wenn, mit anderen Worten, die Aufforderung zur Umkehr ergebnislos blieb, wandte er sich von ihnen ab und ging zu den Nationen. Die unglücklichen Juden aber machten auf diese Weise das Maß ihrer Sünden voll, worauf dann schließlich der Zorn völlig über sie kam (Vergl. 1. Thess. 2, 15. 16).

Weiter hören wir in V. 31 den Vater sagen: „Kind, du bist allezeit bei mir, und all das Meinige ist dein“. Erinnern uns diese Worte nicht unwillkürlich an den Anfang von Röm. 3? „Was ist nun der Vorteil des Juden? . . . Viel, in jeder Hinsicht. Denn zuerst sind ihnen die Aussprüche Gottes anvertraut worden.“ Die Juden waren das bevorzugte Volk, mit dem Gott einen Bund gemacht, und dem Er Seine Verheißungen gegeben hatte zum Unterschied von allen anderen Völkern. Wenn nun auch diese Vorrechte sie nicht davor bewahrt haben, ebenso schuldig, ja noch schuldiger zu werden als die Völker, denen Gott diese Vorrechte nicht geschenkt hatte, so sind dadurch doch die Beziehungen Gottes zu Seinem Volke nicht gelöst worden. Sie sind und bleiben „Geliebte um der Väter willen“. Mag auch die Verwerfung Christi Veranlassung gegeben haben, dass diese Verbindung durch die Verhärtung ihrer Herzen gegenwärtig nicht mehr anerkannt werden kann, so bleibt sie doch bestehen.

Wir aber, die wir „aus den Nationen“ sind, wollen Gott danken, dass Er sich, trotzdem die jüdischen Vorrechte nicht unser Teil waren, dadurch nicht hat abhalten lassen, Seine Gnade ganz allgemein an Sündern groß zu machen. Möchten wir uns viel mit dem eben betrachteten Kapitel beschäftigen! Es wird uns immer wieder veranlassen, die unverdiente Liebe und Gnade

unseres Gottes zu preisen durch unseren Herrn Jesus Christus.

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Der Mensch vom Himmel und der Himmlische

Bibelstelle: 1. Korinther 15, 47. 48

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 96ff

Mannigfaltig und kostbar sind die Namen und Titel unseres geliebten Herrn. Es ist das besondere Geschäft und die Freude des Heiligen Geistes, „von Ihm zu zeugen“, uns Seine wunderbare Person unter immer neuer Beleuchtung vor Augen zu stellen und so unsere Anbetung wachzurufen und unsere Herzen mit Freude und Dankbarkeit zu erfüllen. ,,Er wird mich verherrlichen«, sagt der Herr Jesus selbst, „denn von dem Meinen wird Er empfangen und euch verkündigen“ (Joh. 15, 26; 16, 14).

In 1. Kor. 15, 45, im Anschluss an eine längere Auseinandersetzung über die Auferstehung, nennt der vom Heiligen Geist inspirierte Apostel Ihn „den letzten Adam“. Er sagt: „So steht auch geschrieben: „Der erste Mensch, Adam, ward eine lebendige Seele“, der letzte Adam ein lebendig machender Geist“. Beachten wir: Er ist nicht der letzte Mensch — nach Ihm sind viele Millionen von Menschen geboren worden und werden noch geboren; nein, Er ist der letzte Adam. Der erste Mensch, Adam, wurde als solcher das Haupt eines Geschlechts, Vater einer zahlreichen Familie, und zwar einer gefallenen, sündigen Familie; der zweite Mensch wurde als der letzte Adam das Haupt eines neuen, erretteten, geheiligten Geschlechts. Nach Ihm gibt es keinen Adam mehr; in Ihm werden alle Ratschlüsse Gottes zu ihrer ewigen Erfüllung und Verwirklichung kommen.

Wie wichtig ist es, genau auf jeden Ausdruck in Gottes Wort zu achten! „Adam“ bedeutet nichts anderes als „Mensch“, und doch besteht ein großer Unterschied zwischen den beiden Wörtern. Adam ist ein Titel, Mensch einfach ein Gattungsname. Christus ist der zweite Mensch, und als solcher hat Er, in völliger Verurteilung des ersten Menschen und seiner Geschichte, auf ganz neuer Grundlage die Geschichte des Menschen von neuem begonnen und führt sie glorreich zu Ende. Zugleich ist Er als der zweite Mensch „der Mensch vom Himmel“.

„Der erste Mensch, Adam, ist von der Erde, von Staub.“ So lesen wir in 1. Mose 2, 7: „Und Jehova, Gott, bildete den Menschen, Staub von dem Erdboden, und hauchte in seine Nase den Odem des Lebens; und der Mensch wurde eine lebendige Seele“. Der Leib Adams war ein „natürlicher“ (seelischer) Leib (1. Kor. 15, 44.) Das Leben des Menschen, soweit es seinen Leib betrifft, ist kein anderes als das der übrigen Geschöpfe. In diesem Sinne „haben alle einen Odem, und da ist kein Vorzug des Menschen vor dem Tiere. . . . Alles geht an einen Ort; alles ist aus dem Staube geworden, und alles kehrt zum Staube zurück“ (Pred. 3, 19. 20). Sie werden alle ohne Unterschied „lebendige Seelen“ genannt, deren „Odem in ihrer Nase ist“, und die verscheiden, sobald es Gott gefällt.

Wir brauchen nicht zu sagen, dass der Mensch andererseits weit über jedes andere Geschöpf erhaben ist, indem Gott ihn „in Seinem Bilde“ schuf und „in seine Nase den Odem des Lebens hauchte“ und so den Menschen in eine Beziehung zu sich brachte, in welcher kein anderes Geschöpf zu Ihm steht. Während das Tier nur aus Leib und Seele (Fleisch und Blut —- „denn die Seele alles Fleisches ist sein Blut“, 3. Mose 17, 14 u. a. St.) besteht, hat der Mensch Leib, Seele und Geist (1. Thess. 5, 23). Er wird in Luk. 3, 38 deshalb auch „Sohn Gottes“ genannt, und in Apstgsch. 17, 28 lesen wir: „Wir sind auch Sein Geschlecht“. Der Mensch war verantwortlich, diese Beziehung aufrecht zu halten, und Gott hatte sich ihm in einer Weise geoffenbart, wie sie mit dieser Beziehung als einer im Bilde Gottes geschaffenen lebendigen Seele übereinstimmte. Leider hat der Mensch dieser Verantwortlichkeit nicht entsprochen.

Der erste Adam ward also „eine lebendige Seele“. Er besaß Leben, konnte aber niemand Leben mitteilen. Er war ein Mensch, nicht mehr; ein unschuldiger, reiner Mensch, ehe er fiel, aber ein Mensch. Der letzte Adam ward ein lebendig machender Geist. Christus besaß die Macht des Lebens und konnte Leben mitteilen, lebendig machen. Von Ihm heißt es: „In Ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen«, und: der Vater „hat dem Sohne gegeben, Leben zu haben in sich selbst“; darum „machte der Sohn auch lebendig, welche Er wollte“ (Joh. 1, 4; 5, 26. 21). Wenn ferner von uns, den Gläubigen, gesagt wird: »Gott hat uns ewiges Leben gegeben“, so wird sogleich hinzugefügt: „und dieses Leben ist in Seinem Sohne. Wer den Sohn hat, hat das Leben“ (1. Joh. 5, 11. 12). Obwohl unser teurer Herr ein wahrhaftiger Mensch war, geboren von einem Weibe, hatte Er doch Leben in sich selbst. Ja, Er konnte sagen: „Ich bin das Leben“. Er war aus dem Himmel herniedergekommen, um der Welt Leben zu geben (Joh. 14, 6; 6, 33). Das Natürliche, das was nur natürliches (seelisches) Leben besaß, war zuerst; das Geistige, das was sein Leben von der Macht des Geistes herleitet, kam danach (V. 46).

Dieser Unterschied ist von der allerhöchsten Bedeutung. Zwischen dem ersten und dem zweiten Menschen gab es von dem ersten Augenblick ihres Erscheinens an einen unermesslichen Abstand. „Der erste Mensch ist von der Erde, von Staub, der zweite Mensch vom Himmel." (V. 47.) Der erste Mensch wurde von Gott aus dem Staube der Erde gebildet, geschaffen, der zweite Mensch ist von Gott gezeugt und kam aus dem Himmel. Der erste Mensch wurde als ein erwachsenes Wesen durch die Hand des Schöpfers in diese Welt hineingestellt, der zweite Mensch wurde vom Weibe geboren und wuchs heran zum Knaben und Manne, indem Er in alle diese Verhältnisse des menschlichen Lebens Seine unendliche Vollkommenheit hineintrug und, heranwachsend, immer nur „zunahm an Gunst bei Gott und Menschen“.

Der erste Mensch, obwohl zum Herrn der Schöpfung bestellt, war ein abhängiges Geschöpf; der zweite Mensch, obwohl freiwillig und in Gnaden in die Stellung eines gehorsamen Menschen eintretend, war der allmächtige Schöpfer aller Dinge. Er trägt deshalb auch wenn Er Mensch wird den Titel »Erstgeborener *) aller Schöpfung“, weil Ihm alles gehört, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare; denn alles ist durch Ihn und deshalb auch für Ihn geschaffen. Als der erste Mensch geschaffen wurde, waren Himmel und Erde schon da; der zweite Mensch war vor allem, und alles besteht zusammen durch Ihn (Kol.1, 15 — 17).

Der erste Mensch ist aus Staub gebildet, in diesem Sinne also ein Sohn der Erde, der zweite Mensch ist der Mensch vom Himmel, „der Sohn des Höchsten“. Von Ihm bezeugt Gott: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt“. „Der Mensch vom Himmel“ stand als solcher ganz allein da, war Seiner Natur nach ganz einzigartig: wahrhaftig Mensch und wahrhaftig Gott. Er hat teilgenommen am Fleisch und Blut, aber indem Er das tat, war Er „das Heilige“, das von Maria geboren wurde. Es gibt nur einen „Menschen vom Himmel“ und kann nie mehr geben. In dieser Beziehung war eine Verbindung zwischen Ihm und dem Menschen unmöglich. Sollte das „Weizenkorn“ viel Frucht bringen, so musste es vorher in die Erde fallen und sterben; anders wäre es für ewig allein geblieben (Joh. 12, 24). Sollte der Sohn des Menschen eine Nachkommenschaft sehen, so musste Er in Angst und Gericht kommen und aus dem Lande der Lebendigen abgeschnitten werden. Seine heilige Seele musste das Schuldopfer stellen. (Jes. 53.) Erst nachdem das Kreuz eine Tatsache geworden war und Gott Seinen Geliebten aus den Toten auferweckt hatte, konnte die Botschaft erfolgen: „Gehe hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, und zu meinem Gott und eurem Gott“ (Joh. 20, 17). Erst nachdem Jesus von den Hörnern der Büffel erhört worden war, konnte Er den Namen Gottes Seinen Brüdern verkündigen (Ps. 22, 21. 22).

Aus diesem Grunde heißt es denn auch an unserer Stelle (V. 48) nicht: „Wie der von Staub ist, so sind auch die, welche von Staub find, und wie der Mensch vom Himmel, so sind auch die Menschen vom Himmel“, sondern: „und wie der Himmlische, so sind auch die Himmlischen“. Unser geliebter Herr ist erst Haupt eines neuen Geschlechts geworden, als Er gestorben und wieder auferstanden war. Vorher war Er völlig allein. Geradeso wie der erste Mensch erst nach seinem Falle Haupt seines Geschlechts geworden ist, so konnte der zweite Mensch erst nach Seinem Tode und Seiner Auferstehung als der lebendig machende Geist in die Mitte der Seinigen treten und als das auferstandene Haupt der neuen Schöpfung den Odem des neuen Lebens in sie hauchen. Nur auf diesem Wege konnte ihnen das verheißene „Leben in Überfluss“ (Joh. 10, 10) zu teil werden.

Der „Himmlische“ — „das ist also der neue Titel, den unser geliebter Herr trägt, — und wunderbar! stand Er vorher, als der Mensch vom Himmel, ganz allein, seht hat Er Genossen, viele Brüder! Er hat „Samen gesehen. War Er vorher allein der Gegenstand der Freude und Wonne des Vaters, jetzt teilen andere diesen herrlichen Platz mit Ihm!

Er ist der „Himmlische“ — nicht als ob Er früher nicht der himmlische Fremdling und Pilgrim gewesen wäre, Er war das — Er ist der Himmlische Seiner neuen Stellung nach. Von der Welt verworfen, von Seinem irdischen Volke ans Kreuz geschlagen, hat Er als das Haupt der himmlischen Familie Seinen Platz droben zur Rechten Gottes eingenommen. Er ist der verherrlichte Mensch in der Höhe, der Mittelpunkt aller Gedanken und Ratschlüsse Gottes, der einst wegen des Leidens des Todes ein wenig unter die Engel erniedrigt war, nun aber mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt ist, dem Gott alles unterworfen und den Er gesetzt hat über die Werke Seiner Hände. Er ist der Himmlische, dem Gott selbst diesen erhabenen Platz zu Seiner Rechten gegeben hat, weil Er Ihn in Seinem Tode vollkommen verherrlichte und die Frage der Sünde in einer Weise löste, dass Gottes Verherrlichung und die Sühnung unserer Sünden nun für ewig nebeneinander und miteinander bestehen.

„Wie der von Staub ist, so sind auch die, welche von Staub sind“ — lauter elende, unreine, gefallene Wesen, Adam, ihrem Haupt und Muster entsprechend; „und wie der Himmlische, so sind auch die Himmlischen“. Herrliche Worte, fast zu groß, um wahr zu sein! Und doch sind sie wahr, göttlich wahr. Zwei Geschlechter mit ihren bezüglichen Häuptern stehen hier vor uns: zwei Adams mit ihrer Nachkommenschaft, mit denen, die nach ihrem Bilde geschaffen sind. Wir verstehen ohne weiteres, warum es im zweiten Falle nicht heißen kann: „Menschen vom Himmel“. Solche sind wir nicht und können es auch nie werden — das Bild unseres Heilandes, wie Er einst hienieden war, werden wir nie tragen. Wir sind nicht, wie Er war; wie wäre das möglich? Nein, Johannes sagt: „Gleichwie Er ist, sind auch wir in dieser Welt“ (1. Joh. 4, 17). „Wie der Himmlische, so auch die Himmlischen.“ Der zur Rechten Gottes sitzende, verherrlichte Menschensohn, der Himmlische, ist das Muster, das Bild und zugleich das Haupt Seines Geschlechts. Die überschwängliche Größe der Kraft- Gottes, welche in Christo gewirkt hat, als Er Ihn aus den Toten auferweckte, hat auch in uns, den Glaubenden, gewirkt. (Eph.1, 19. 20). Nicht nur haben wir in Ihm „die Erlösung durch Sein Blut, die Vergebung der Vergehungen“, nein, wir sind mit Ihm gestorben und mit Ihm lebendig gemacht worden, sind eins mit Ihm in Seinem Tode und in Seiner Auferstehung. Ja, als „Söhne“ sind wir mit Ihm, dem „Erstgeborenen“, in einer neuen Natur, heilig und tadellos vor Gott hingestellt. Deshalb kann gesagt werden: „Sowohl Der, welcher heiligt, als auch die, welche geheiligt werden, sind alle von einem, um welcher Ursache willen Er sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen“ (Hebr. 2, 11).

Stehe hier einen Augenblick still, mein gläubiger Leser, und betrachte staunend, was Gottes unbegreifliche Liebe dir in Christo geschenkt hat. Auch du gehörst zu den „Himmlischen“, und auch dir gilt das Wort: „Wie der Himmlische, so auch die Himmlischen“. Sein Leben ist dein Leben, Sein Platz dein Platz, Seine Wohlgefälligkeit vor Gott deine Wohlgefälligkeit, Sein Wert dein Wert, Seine Herrlichkeit deine Herrlichkeit, Sein Teil dein Teil, Sein Erbe dein Erbe usw. usw. Dass Er als der einige, eingeborene Sohn Gottes eine besondere, persönliche Herrlichkeit besitzt, die kein Geschöpf teilen kann, die wir nur schauen werden, ist selbstverständlich; so auch, dass Er in all den Beziehungen, in welche Er uns in Gnaden zu sich gebracht hat, stets den Vorrang, den ersten Platz haben muss (Kol. 1, 18). Aber das erhöht nur noch unsere Freude und anbetende Bewunderung· Er, dem es gefallen hat, uns in solch innige Nähe zu sich zu bringen, ist niemand anders als der ewige Sohn Gottes, „dessen Ausgänge von der Urzeit, von den Tagen der Ewigkeit her sind“, in welchem „die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt“, „das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende“ (Mich. 5, 1; Kol. 2, 9; Offbg. 22, 13).

Noch einmal denn: „Wie der Himmlische, so auch die Himmlischen“. So heißt es heute, und die dankbare Seele wiederholt es immer wieder mit tiefster Freude und Bewunderung. Aber so groß und herrlich es ist, können wir doch auch hier hinzufügen: „Es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden“. In 1. Joh. 3, 2 heißt es weiter: „Wir wissen aber, dass, wenn es offenbar werden wird, wir Ihm gleich sein werden“; in unserer Stelle wird derselbe Gedanke ausgedrückt mit den Worten: „Wie wir das Bild dessen von Staub getragen haben, so werden wir auch das Bild des Himmlischen tragen“ (V. 49). Noch besitzen wir den Schatz in irdenen Gefäßen, noch ist unser äußerer Mensch dem Verfallen und Vergehen ausgesetzt, noch sind Tod und Verwesung unser Teil; aber Er, der Leben und Unverweslichkeit ans Licht gebracht hat durch das Evangelium, unser siegreiches, verherrlichtes Haupt, „der Anführer unserer Errettung, der uns vorangegangen ist in die Herrlichkeit, — Er steht im Begriff zurückzukehren und »unseren Leib der Niedrigkeit umzugestalten zur Gleichförmigkeit mit Seinem Leibe der Herrlichkeit“ (Phil. 3, 20. 21). „Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden in einem Nu, in einem Augenblick, bei der letzten Posaune“ (V. 51. 52). Dann wird dieses Verwesliche Unverweslichkeit und dieses Sterbliche Unsterblichkeit anziehen, und das Wort wird erfüllt werden: „Verschlungen ist der Tod in Sieg“. 105

Heute noch tragen wir das Bild „dessen von Staub“, ein im Beginn so schönes, aber durch die Sünde verderbtes und verzerrtes Bild — eine Ruine, welche die einstige Kraft und Schönheit wohl nur noch ahnen lässt. Aber bald werden wir diesen „Leib der Niedrigkeit“ ablegen; ein geistiger, verklärter Leib, der dem Leibe der Herrlichkeit Christi gleichförmig ist, wird uns geschenkt werden. Wir werden nicht nur unserer Stellung nach dem Himmlischen gleich sein, auch unser Leib wird der herrlichen Folgen des Sieges Christi teilhaftig werden. Denn welche Gott „zuvor erkannt hat, die hat Er auch zuvor bestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit Er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern“ (Röm. 8, 29). „Wir werden Ihm gleich sein, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist“ (1. Joh. 3, 2.) Um das zu können, müssen wir einen verherrlichten, himmlischen Leib haben, der imstande ist, den überwältigenden Glanz Seiner Gegenwart und Herrlichkeit zu ertragen. „Fleisch und Blut“, der menschliche Leib in dem gegenwärtigen Zustande, vermag das nicht. (Vergl. Dan. 10, 8 ff.; Offbg. 1, 17). „Dies aber sage ich, Brüder, dass Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht ererben können, auch die Verwesung nicht die Unverweslichkeit ererbt“ (V. 50).

Das Bild des Himmlischen tragen -— wer hätte je so etwas ausdenken, in wessen Herz hätte es kommen können! Gott allein konnte einen solchen Plan ersinnen; niemand ist Sein Mitberater dabei gewesen. Er hat dieses wunderbare Teil denen bestimmt, „die Ihn lieben“, denen, die Er Seinem Sohne aus der Welt gegeben hat. Seine Kinder sollen das Bild Seines geliebten Sohnes tragen, in wunderbarer Einheit und doch unendlicher Mannigfaltigkeit es wiederspiegeln vor Seinem Vaterantlitz, zu Seiner Freude, von Ewigkeit zu Ewigkeit. „Ohne Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen“, sollen sie vor Ihm stehen, mit dem Erstgeborenen vieler Brüder in ihrer Mitte, sollen aus- und eingehen mit Dem, der sie geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat. In der seligen Schar der Kinder, die Gott Ihm gegeben hat, will Er die Herrlichkeit und Schönheit Seines Geliebten sehen und sich ewiglich daran ergötzen.

Fußnote:

*) Die Bezeichnung „Erstgeborener“ hat, wie schon oft bemerkt worden ist, nichts zu tun mit der Geburt des Herrn in der Zeit, sondern ist, wie aus dem Nachsatz klar hervorgeht, ein Titel, der mit Seiner Würde als Schöpfer in Verbindung steht und sich auf diese gründet. Wenn es dem Schöpfer aller Dinge gefiel, in diese Schöpfung einzutreten, so konnte es nur als „Erstgeborener“ sein, d. h. als Der, dem alles gehört und der mit Macht über alles verfügt. (Zur Erklärung der Bedeutung des Wortes vergleiche auch Ps. 89, 27).

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Drei kostbare Dinge

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 107ff

In dieser schweren Zeit will die Last manchen erdrücken· Wie ist die Erde erfüllt von Weh und Leid, Blut und Tränen! Gatten, Väter und Söhne wurden dahingerafft. Auch die wirtschaftlichen Verhältnisse drücken. Da braucht es Kraft, um nicht zusammenzubrechen unter den Lasten.

Aber wo ist die Kraftquelle? —— Menschen versagen hier völlig. Sie sind zu eigenliebig und selbstsüchtig, und selbst, wenn sie mitfühlen, können sie doch nicht Trost und Kraft gewähren. Auf Menschen vertrauen bringt zu Fall. Lasst uns deshalb, ich sage nicht, den Menschen misstrauen, aber — lieber als auf sie — unser Vertrauen auf den lebendigen Gott setzen, der in Christo unser Vater ist! Er ist die Kraft- und Trostquelle. Wer sich auf Menschen stützt, der stützt sich auf einen „geknickten Rohrstab“, der bald bricht und gewöhnlich so bricht, dass er uns die Hand durchbohrt und gar auch das Herz verwundet. Lasst uns deshalb nicht zu viel von denen erwarten, die uns früher oder später, vielleicht ohne es zu wollen, wahrscheinlich doch enttäuschen!

Drei Dinge haben wir indes nötig für unseren Weg, dass sie uns halten und stützen. Zunächst brauchen wir ein Wort, das uns nicht betrügt — und solch ein Wort gibt es! Die Heilige Schrift nennt es in Jak.1, 21: „das eingepflanzte Wort“; als solches sollen wir es „mit Sanftmut empfangen“. In Tit. 1, 9 heißt es: „das zuverlässige Wort“; ihm sollen wir anhangen. In Phil. 2, 16 wird es „das Wort des Lebens“ genannt, das wir darstellen sollen. Und in 2. Tim. 2, 15 heißt es: „das Wort der Wahrheit“, das wir „recht teilen“ sollen. Auf dieses kostbare Wort dürfen wir uns stützen. Es bringt Licht in unser Dunkel. Es ist des Fußes Leuchte und das Licht für den Weg. Ja, das Wort Gottes ist wahrhaftig, und was Gott zusagt, das hält Er gewiss. Dagegen heißt es von den Menschen: „Alle Menschen sind Lügner“, und es bleibt dabei: „Gott allein ist wahrhaftig“. Das Wort Gottes betrügt uns nie. Alles mag vergehen, aber Sein Wort bleibt in Ewigkeit. Deshalb sagt auch Petrus: „Herr, wohin sollen wir gehen? — Du hast Worte ewigen Lebens“. Traue diesem Wort! Glaube das, was Gott sagt! Glaube Ihm! Das wird dich aufrecht halten im Sturm der Zeit; es wird deine Seele erquicken. Der Apostel sagt: „Ich weiß, wem ich geglaubt habe, und bin überzeugt, dass Er mächtig ist . . . zu bewahren“ (2. Tim. 1, 12).

Wir brauchen aber nicht nur ein sicheres Wort, sondern auch ein Herz, das uns versteht und uns nie vergisst, selbst wenn Himmel und Erde vergehen. Und ein solches Herz gibt es! Es ist das Herz des Herrn Jesus. So wie Sein Wort nie trügt, so verleugnet uns Sein Herz nie und nimmer. Denken wir an das größte Verhör der Weltgeschichte. Der Herr Jesus steht vor Kajaphas und wird vernommen. Unter anderem fragt Ihn Kajaphas nach Seinen Jüngern. Der Herr sagt über diesen Punkt kein Wort. Warum dieses Schweigen? Weil es nicht Sache unseres Anwalts ist, Seine Jünger anzuklagen. Er hätte antworten können: „Wohl magst du fragen, wo sie sind. Die Feigherzigen haben mich verlassen! Als sich einer als Verräter erwies, liefen die anderen davon. — Du fragst, wo meine Jünger sind? Dort ist einer, der beim Feuer sitzt und sich wärmt. Er hat mich soeben unter Fluchen und Schwören verleugnet.“ Aber nein; Er wollte kein Wort der Anklage äußern. Er, dessen Lippen mächtig sind in der Fürbitte für die Seinen, wird nie gegen sie sprechen. Satan mag verleumden, aber Christus vertritt. Der Fürst des Friedens ist stets unser Anwalt vor dem ewigen Thron. In Sein treues Herz dürfen wir jede Sorge, jeden Kummer legen.

„Und all meine Sorgen und jeglichen Schmerz

nimmt Er, wenn ich lege mein Haupt an Sein Herz.“

Drittens brauchen wir eine Liebe, die Treue hält bis in Ewigkeit. Und eine solche Liebe gibt es!

„Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt«, spricht der Herr. Diese Liebe ist unwandelbar und ist nicht abhängig von uns. Der Grund Seiner Liebe liegt nicht in uns, sondern in Ihm. In dieser Liebe starb Er für uns und bereitete unsern Weg und unser Ziel. Selbst das Schwere auf unserem Weg und Leben hat Er in großer Liebe hineingeordnet. Er mag uns einmal scheinbar alles Licht und alle äußeren Segnungen entziehen — aber Seine Liebe entzieht Er uns nie. Wen Er liebt, den liebt Er ewig; was Er hält, das hält Er auf immer. Halten wir das unter allen Umständen fest: Seine Liebe hält Treue bis in Ewigkeit. „Wer in Finsternis wandelt und welchem kein Licht glänzt, vertraue auf den Namen Jehovas und stütze sich auf seinen Gott!“ (Jes. 50, 10).

Mögen denn das Wort, das Herz und die Liebe Gottes in dieser schweren Zeit deine und meine Zuflucht sein! Dann wird der Herr sorgen, dass wir aus den Leiden der Jetztzeit den denkbar größten Gewinn haben. Wir werden merken, dass Er selbst in die Finsternis Schätze gelegt hat, verborgene Schätze. (Jes. 45, 3, Anmerkung) Auch in dieser dunklen Zeit liegen reiche Segnungen für uns. Wir mögen Verluste haben, das Herz mag bluten -— aber der Herr beraubt uns nicht. Wenn Er nimmt, dann will Er gewiss Besseres geben. Einst werden wir sehen, wie Er es gemeint hat. Wir werden jauchzend rühmen: „Er hat alles wohl gemacht!“ — „Werfet deshalb eure Zuversicht nicht weg, die eine große Belohnung hat!“ — Nicht mehr lange, dann bricht der „Morgen ohne Wolken“ an. Dann werden Kummer und Seufzen entfliehen, und wir werden Wonne und Freude erlangen! O welche Wonne, wir werden Ihn sehen, den unser Herz liebt, an den wir glauben, und wir werden bei Ihm sein allezeit!

Du, mein Jesus in der Höhe,

bist’s, auf den ich wartend sehe,

bis Du kommst entgegen mir;

Dem die Heimat Du bereitet,

den Dein Auge hat geleitet

durch die öde, weite Wüste hier.

Bis dahin, aus allen Tritten,

ist der Pfad, den Du geschritten,

stets mein Trost und meine Freud’.

Bin mit Deinem Stab zufrieden,

bis, von diesem Staub geschieden,

ich Dich droben schau’ in Herrlichkeit.

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Eines

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 111ff

Es gibt viele Dinge, die des Wissens wert sind, aber eins übertrifft sie alle unendlich; und doch wissen dieses Eine verhältnismäßig nur wenige. Sie gleichen darin den Juden, die seiner Zeit von dem Herrn Jesus sagten: „Wir wissen, dass dieser Mensch ein Sünder ist“. Sie meinten, Wissende zu sein, und waren doch unwissend und blind, geistlich tot. Nur einer war da, der ihnen entgegnet: konnte: „Ob Er ein Sünder ist, weiß ich nicht; eines weiß ich, dass ich blind war und jetzt sehe“ (Joh. 9).

Weißt auch du dies Eine?

Es gibt auch viele Dinge, die des Erbittens wert sind. So sagt z. B. der weise Agur zu Gott: „Zweierlei erbitte ich von dir; verweigere es mir nicht, ehe ich sterbe: Eitles und Lügenwort entferne von mir, Armut und Reichtum gib mir nicht, speise mich mit dem mir beschiedenen Brote“ (Spr. 30, 7 — 9). Gewiss, eine gute Bitte; aber es gibt Besseres. David sagt in Psalm 27, 4: „Eines habe ich von Jehova erbeten, nach diesem will ich trachten: zu wohnen im Hause Jehovas alle Tage meines Lebens, um anzuschauen die Lieblichkeit Jehovas und nach Ihm zu forschen in Seinem Tempel“.

Erbittest auch du dies Eine?

Es gibt ferner vieles, was des Erwählens wert ist. Martha erwählte gewiss ein gutes Teil, als sie den Herrn in ihr Haus aufnahm und Ihm mit ihrer Habe zu dienen suchte, aber es war nicht „das gute Teil“. Darum musste sie aus dem Munde des Herrn die Worte hören: „Martha, Martha, du bist besorgt und beunruhigt um viele Dinge; eines aber ist not. Maria aber hat das gute Teil erwählt, welches nicht von ihr genommen werden wird“ (Luk. 10, 41. 42). Und worin bestand dieses gute Teil, das Eine, was not ist? Anstatt unruhig und geschäftig hin und her zu laufen, saß Maria -— still, ganz still -— zu Jesu Füßen und hörte Seinem Worte zu (V. 39).

Erwählst auch du immer wieder dies Eine, was not ist, das gute Teil?

Es gibt schließlich vieles, was des Tuns wert ist. Wie viele Dinge zählt das Wort auf, die wir tun können und tun sollten zu Gottes Ehre! Nennen wir nur eines: „Geliebter, ahme nicht das Böse nach, sondern das Gute. Wer Gutes tut, ist aus Gott“ (3. Joh. 11). Oder: „Wer das Leben lieben und gute Tage sehen will, der enthalte seine Zunge vom Bösen, und seine Lippen, dass sie nicht Trug reden; er wende sich ab vom Bösen und tue Gutes, er suche Frieden und jage ihm nach“ (1. Petr. 3, 10. 11). Aber dürfen wir nicht auch hier sagen: Eines übertrifft sie alle, alle? Wie schreibt der Apostel Paulus an die Philipper? „Eines aber tue ich: Vergessend was dahinten, und mich ausstreckend nach dem, was vorn ist, jage ich, das Ziel anschauend, hin zu dem Kaufpreis der Berufung Gottes nach oben in Christo Jesu“ (Kap. 3, 14).

Tust auch du dies Eine?

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Fürchte dich nicht

Bibelstelle: Offenbarung 1, 9 - 18

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 113ff

Der Zuruf: „Fürchte dich nicht!“ findet sich an manchen Stellen des göttlichen Wortes. Seine Wirkung ist immer die gleiche, unter welchen Umständen er auch erfolgen mag. Ob die Worte am Ufer des Roten Meeres einem verzagenden, jammernden Volke zugerufen werden (vergl. 2. Mose 14, 13), ob der Prophet Jesaja sie an das Volk Israel richtet, welches Jehova nach langer Züchtigung von neuem segnen und herrlich machen will (vergl. Jes. 10, 24 — 27; 41, 10. 13. 14; 43, 1 usw.), ob sie sich wenden an die Jünger auf dem sturmbewegten See (Mark. 6, 50), ob an einen Apostel bei verderbendrohender Meerfahrt (Apstgsch. 27, 24), oder ob schließlich in unserer Stelle an den zitternden Propheten — stets offenbaren sie ihre Kraft, erfüllen das Herz mit Ruhe und Frieden und bewirken ein neues Ausharren auf dem Pfade des Glaubens.

Wenn wir nun heute einen Augenblick bei dem „Fürchte dich nicht!“ in Offenbarung 1 verweilen wollen, dann verlohnt es sich, zunächst die Umstände näher zu betrachten, unter denen es ausgesprochen

Johannes, der geliebte Jünger, der so oft an der Brust Jesu geruht hatte, der wie kein anderer befähigt gewesen war, die Gedanken des Herrn entgegen zu nehmen, war in der Verbannung auf der Insel Patmos. Seine Treue hatte ihn an diesen Ort gebracht, denn er wurde dorthin verbannt „um des Wortes Gottes und des Zeugnisses Jesu willen“.

Um des Wortes Gottes willen! Das Wort Gottes war und ist zu jeder Zeit der Maßstab für das Verhalten wie auch die Richtschnur für den Wandel des Gläubigen. Es hält ihn in Verbindung mit seinem Gott, richtet sein Auge auf die göttlichen Verheißungen und reicht ihm dadurch auch die nötige

Kraft dar, um, selbst in schweren Zeiten, auszuharren auf dem schmalen Pfade des Glaubens. Von diesem Worte sollte der Apostel lassen, dem Worte, das den ganzen Inhalt seines Lebens ausmachte. Das konnte er nicht. Ehe er etwas davon aufgab, wozu der Feind ihn so gern gebracht hätte, ging er lieber in die Verbannung.

So hat uns dieser treue Jünger des Herrn ein leuchtendes Vorbild gegeben in Bezug auf das Festhalten am Worte, und zwar an dem ganzen Worte! Lasst uns ihm nachahmen! Auch heute ist es Satans heißer Wunsch, dem Worte Abbruch zu tun. Und bei vielen ist ihm seine Absicht nur zu gut gelungen. Ganz abgesehen von den völlig Ungläubigen, die das Wort Gottes als Erfindung des Menschen bezeichnen, gibt es unter denen, die als Christen gelten, gar manche, die das Wort nicht anerkennen „wie es wahrhaftig ist, als Gottes Wort“, sondern die sich durch Satans List das eine und andere davon haben rauben lassen. Ach, dass es also ist! Dass es solche gibt, denen man die Bekehrung kaum abstreiten kann, aber die, wie der Prophet so treffend sagt, die Worte Gottes nicht „gegessen haben“, denen sie nicht „zur Wonne und zur Freude des Herzens“ (vergl. Jer. 15, 16) geworden sind, die nicht die ernste Ermahnung des Apostels beachtet haben: „Halte fest das Bild gesunder Worte. . . Bewahre das schöne anvertraute Gut“! (2. Tim. 1, 13. 14.) Solche scheinen das Wort des Herrn vergessen zu haben, dass wohl „Himmel und Erde vergehen werden, aber nicht Seine Worte“ (Matth. 24, 35), dass nicht ein Jota, nicht ein Strichlein davon unerfülIt bleiben wird. (Vergl. Matth. 5, 18). Um des Wortes willen ging der alte Apostel in die Verbannung, um des Wortes willen haben Tausende gelitten und gestritten und lieber den Tod erduldet, als ein Tüttelchen davon aufgegeben.

In unmittelbarer Verbindung mit dem Worte Gottes stand das „Zeugnis Jesu“. Dieses Zeugnis war dem Apostel, wie aus seinen Schriften hervorgeht, in besonderer Weise anvertraut, und er wachte eifersüchtig darüber. Er hatte ja selbst die Herrlichkeit Jesu Christi angeschaut, „eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater“ (Joh. 1, 14); aus ,,Seiner Fülle hatte er empfangen Gnade um Gnade“ (V. 16). Er war auch mit Ihm auf dem Berge der Verklärung gewesen, hatte dort die messianische Herrlichkeit des Herrn geschaut und die Stimme des Vaters vernommen: ,,Dieser ist mein geliebter Sohn; Ihn höret«. Auch hatte er Ihn am Kreuze gesehen (Joh. 19, 26. 27), und war hernach in das leere Grab gegangen (Kap. 20, 3 — 8). Mit einem Wort, das was er jetzt verkündigte, hatte er „mit seinen Augen gesehen und mit seinen Händen betastet“ (1.Joh. 1, 1). Diese wunderbare Person hatte einen solchen Wert für ihn, dass er um Seines „Zeugnisses willen“ gern alles aufgab.

Sicher hat Satan triumphiert, als er den treuen Zeugen Jesu, den Verfechter der Wahrheit, auf der kleinen öden Felseninsel wusste, fern von seinem bisherigen gesegneten Wirkungskreise. Aber wie sehr hat er sich verrechnet, wenn er meinte, ihn dort unschädlich gemacht zu haben! Denn gerade die Einsamkeit des wilden Eilandes war der rechte Platz für Gott, um sich dem Apostel zu offenbaren und ihm die Botschaft zu geben an seine „Brüder und Mitgenossen in der Drangsal und dem Königtum und dem Ausharren in Jesu“, die Botschaft, welche wiederum „das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu Christi“ genannt wird (Vers 2).

Es war des Herrn Tag, an welchem Johannes „im Geiste“ war. Die Gelegenheit, sich mit den Geliebten des Herrn zu versammeln, um Seinen Tod mit ihnen zu verkündigen und Seinen Namen zu erheben, war ihm genommen. Dieser Umstand aber, so schmerzlich er an und für sich sein mochte, konnte ihn nicht daran hindern, sich im Geiste mit der Person seines über alles geliebten Herrn zu beschäftigen und Ihn in Seiner Huld und Gnade vor den Augen des Herzens zu haben.

Auch dieser Hinweis enthält große Belehrung für uns, und wir finden reichen Trost darin. Die wenigen Worte des Apostels: „ich war im Geiste“, machen uns darauf aufmerksam, dass wir uns mit dem Herrn beschäftigen können, in welcher Lage und in welchen Schwierigkeiten wir uns auch befinden mögen. Und die Beschäftigung mit dem Herrn muss dem Gläubigen unter allen Umständen Gewinn bringen. Möchten wir Brüder, die wir im Felde stehen und jetzt schon so viele, viele Monate das Vorrecht entbehren müssen, uns mit den Geliebten des Herrn zu versammeln, dies vor allem im Gedächtnis behalten! Gewiss, wer von uns dächte nicht mit wehmütigem Verlangen an diese Stunde, wenn der Tag des Herrn herannaht? Wie kostbar aber ist es andererseits, dann erfahren zu dürfen, dass die Umstände kein Hindernis zu sein brauchen, um „im Geiste“ zu sein; wie kostbar, zu schmecken, dass, je größer die Schwierigkeiten sind, der Geist Gottes umso mehr bemüht ist, unsere Herzen zu der Liebe Gottes hinzulenken und uns erfahren zu lassen, dass der Herr sich so gern einem jeden offenbart, der sich nach Ihm sehnt!

Ich weiß wohl, dass das „ich war (eig. Ich ward) im Geiste“ hier eine besondere Bedeutung hat (vergl. Kap. 4, 2), viel weiter gehend als ein noch so inniges Beschäftigtsein mit Jesu und mit geistlichen Dingen; aber grundsätzlich dürfen wir es doch wohl auf uns anwenden.

Der Herr offenbarte sich Seinem Jünger hier in Seiner Herrlichkeit als der Sohn des Menschen. Diese

Offenbarung wirkte so auf den Apostel, dass er wie «tot zu Seinen Füßen niederfiel. Wir brauchen uns

darüber nicht zu wundern. Denn welcher Mensch vermöchte mit seinen natürlichen Augen solche Herrlichkeit anzuschauen? »Nicht kann ein Mensch mich sehen und leben“, sagte Gott einst zu Mose (2. Mose 33, 20). Für Fleisch und Blut ist das unmöglich. Dann aber trat der Herr zu dem zu Boden gesunkenen Propheten und sprach freundlich Sein: „Fürchte dich nicht!“

Wie überaus ernst, aber auch wie köstlich ist das, was sich hier vor unseren Augen entfaltet! Der Herr

tritt in dem Buche der Offenbarung nicht auf als der demütige Jesus von Nazareth. Er wandelt „inmitten der sieben goldenen Leuchter“. Die in den Versen 13 —16 gegebene Beschreibung von Ihm ist zugleich herrlich und furchtbar. Er erscheint als Der, welcher Herzen und Nieren prüft, vor dem „alles bloß und aufgedeckt ist«, der alles auf der Waage des Heiligtums abwägt. Selbst für den treuen,

geliebten Jünger war diese Erscheinung des Sohnes des Menschen überwältigend. Sie brachte ihn auf den Boden. Trotz der Furchtbarkeit Seiner Erscheinung war der Herr aber nicht gekommen, um Seinen Jünger zu vernichten, sondern um ihm neuen und größeren Segen zuzuwenden. Welch ein Bild! Der König der Könige, der Richter der ganzen Erde, in all Seiner Majestät, und zu Seinen Füßen Sein zitternder Jünger! „Und Er legte Seine Rechte auf mich.“ Erinnert uns diese Handlung nicht an eine Mutter, die ihr erschrecktes Kind beruhigt und tröstet, so wie das nur eine Mutter vermag? Zärtlich legt sie die Hand auf das Haupt des Kindes, und diese Bewegung der Mutterhand bewirkt eine wunderbare Veränderung. Die Furcht schwindet, und vertrauensvolI lauscht das Kind den Tröstungen und Belehrungen der geliebten Mutter.

Wie schon gesagt, der Herr wandelt in der Offenbarung als Richter „inmitten der sieben goldenen Leuchter“, Sinnbildern der Versammlungen oder Gemeinden, von denen in den zunächst folgenden Kapiteln die Rede ist. Damit soll natürlich nicht gesagt sein, dass Gott die Seinen wegen ihrer Sünden ins Gericht bringen werde. Dieses Gericht ist ein für allemal auf Golgatha an ihrem großen Stellvertreter vollzogen worden. Wohl aber kann es für die Gläubiger! Gerichte geben, und es gibt solche. Steht nicht geschrieben: „Auch unser Gott ist ein verzehrendes Feuer“, und: „Seinem Hause geziemt Heiligkeit auf immerdar“? (Hebr. 12, 29; Ps. 93, 5.) Ja, wir rufen Den „als Vater an, der ohne Ansehen der Person richtet nach eines jeden Werk“. Und der Apostel Paulus schreibt an die Korinther: „Wenn wir uns selbst beurteilten, so würden wir nicht gerichtet. Wenn wir aber gerichtet werden u.s.w.“ (1. Kor. 11, 31. 32). In 1. Petr. 4 lesen wir sogar, dass „die Zeit gekommen sei, dass das Gericht anfange bei dem Hause Gottes“.

Mit dem Geschenk der „größten und kostbaren Verheißungen“, für welche wir Gott nicht genug danken können, ist eine große Verantwortlichkeit verbunden. Diese aber wird leicht von uns vergessen. Angesichts der Größe der Gnade, die uns zuteil geworden ist, kann es sein, dass die Heiligkeit des Herrn ein wenig aus dem Auge verloren wird; oder unsere armen, schwachen Herzen werden gleichgültig, das Zartgefühl für das, was dem Herrn gefällt oder mißfälIt, geht verloren, und wenn auch noch festgehalten wird an der Lehre betreffs unserer Stellung, so übt diese Wahrheit doch keinen Einfluss mehr auf das abgestumpfte Gewissen aus. Hier nun tritt der Herr, der die Seinen zu sehr liebt, um sie aus solchem Wege vorangehen lassen zu können, ihnen entgegen. Er offenbart sich ihnen gleichsam in der Erscheinung, wie sie in Offenbarung 1 beschrieben wird. Seine Augen, die „wie eine Feuerflamme“ sind, decken auf, was in den tiefsten Falten des Herzens verborgen ist, durchschauen die Beweggründe alles Tuns und Handelns und sehen, inwieweit das Herz für Ihn schlägt. Das „scharfe, zweischneidige Schwert, welches aus Seinem Munde geht“, durchdringt alles und scheidet genau zwischen Geist und Fleisch; es bringt alles in Sein Licht, und Seine Weisheit findet Mittel und Wege, oft „unausspürbar“ und „unausforschlich“, um die Seinen wieder zurecht zu bringen.

Als der furchtbare Völkerkrieg ausbrach, da war es vielen von uns so, als ob der Herr uns in dieser Seiner Majestät erschienen wäre. Da warf sich mancher, bei dem Gleichgültigkeit und Weltförmigkeit Platz gegriffen hatten, zerknirscht und gebeugt zu Seinen Füßen nieder mit einem rückhaltlosen Bekenntnis seiner Untreue. Welch eine Freude muss ein solches Sichbeugen für das liebende Herz des Herrn gewesen sein! Da konnte Er, nachdem Sein Zweck erreicht war, auch gleichsam Seine Hand auf das Haupt des Betreffenden legen und ihm zurufen: „Fürchte dich nicht!“ Denn ein –zerbrochenes und zerschlagenes Herz« verachtet Er nicht. Mit Wohlgefallen blickt Er auf den, der sich also vor Ihm befindet, und wenn es auch gewiss traurig ist, wenn der Herr durch Züchtigungen die Seinen in die Stellung zurückbringen muss, die sie verlassen haben, so ist es doch in jedem Falle köstlich, am Ende Sein tröstliches „Fürchte dich nicht!“ vernehmen zu dürfen. Aber wir wollen auch nicht vergessen, dass unsere Herzen sehr trügerisch sind und gar bald wieder in den früheren Zustand zurücksinken können, selbst wenn die Züchtigung noch andauert. Es ist ganz erstaunlich, wie rasch man sich selbst an einen schweren Druck gewöhnen und dann den Segen verlieren kann, den jener bringen soll und anfänglich auch gebracht hat. Der Herr schenke uns ein offenes Auge und ein wachsames Herz!

Es gibt auch Gläubige, welche durch tiefe Wasser geführt werden, obwohl sie in dem treuen Begehren, dem Herrn wohlzugefallen, ihren Weg gegangen sind. Auch solchen hat dieser Krieg tiefe Wunden geschlagen. Gar manche haben teure Familienglieder verloren, andere ihr ganzes Besitztum. Und nun stehen sie da mit blutendem Herzen, können vielleicht die Wege des Herrn mit ihnen nicht verstehen, und der Feind, der Zeit und Stunde wohl auszunutzen versteht, ist eifrig bemüht, in ihren Herzen Zweifel zu Werken bezüglich der Liebe des Herrn.

Teure Geschwister, die ihr euch in solcher Lage befindet, lasst euch durch den Feind der Seelen nicht

betören! Wenn ihr auch durch den Schrecken des Herrn zu Seinen Füßen niedergesunken seid, so werfet doch euer Vertrauen nicht weg! Schaut im Glauben zu Ihm auf! Dann werdet auch ihr die sanfte Berührung Seiner Hand verspüren und Seine freundliche Stimme vernehmen: „Fürchte dich nicht!“ Wie könnte Er einem der geliebten Seinigen Schaden zufügen? Er ist „derselbe gestern und heute und in Ewigkeit“. Die Liebe, die Ihn einst in den schrecklichsten Tod trieb, wohnt auch heute noch in Seinem Herzen. Bei Ihm, wie bei dem Vater droben, gibt es keine Veränderung noch einen Schatten von Wechsel. Seine Liebe wird euch nicht preisgeben. Sie bringt euch durch bis ans Ziel. Warum Er euch eine so schwere Last auferlegt, das weiß Er. Vielleicht gibt Er euch heute noch keinen Aufschluss über Sein Tun, aber ganz gewiss wird Er euch die Kraft schenken, das euch Auferlegte zu tragen und Ihn durch Stillsein zu verherrlichen. Die zärtliche Berührung Seiner Hand macht ruhig und still, wirkt erquickend und lindernd, und Sein „Fürchte dich nicht!“ klärt den Blick des trüben Auges, verscheucht alle Furcht des zagenden Herzens und füllt es mit köstlichem Frieden. Wohl mögen die Tränen noch fließen, aber das wunde Herz empfindet die wohltuende Wirkung des ausgelegten Balsams.

„Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes

und des Hades.“ 122

Welch einen Ausblick gewähren diese Worte! Er war tot. Diesen Tod schmeckte Er als Lohn der Sünde. Aber als Sieger über Tod und Hades kam Er aus dem Grabe hervor und lebt jetzt von Ewigkeit

zu Ewigkeit. Aber nicht nur Er lebt in alle Ewigkeit, Er hat auch durch Seinen Sieg „Leben und Unverweslichkeit ans Licht gebracht“ (2. Tim. 1, 10). Er hat „die Schlüssel des Todes und des Hades“, mit anderen Worten: Er hat Macht über Leib und Seele; Tod und Hades haben alle Gewalt verloren, ihr endliches Teil ist der Feuersee (Offbg. 20, 14). Mit Ihm leben alle, die durch Seinen Tod aus Satans Macht befreit und Gott erkauft worden sind. Wohl müssen viele Gläubige, besonders in der jetzigen Zeit, durch den leiblichen Tod gehen. Aber das bedeutet für sie nur den Eingang ins ewige Leben. Und der Tag kommt — und Er kommt bald! — wo Jesus persönlich erscheinen, die Toten in Christo auferwecken und die Seinigen, die dann noch auf Erden sind, verwandeln und sie alle mit sich einführen wird ins Vaterhaus droben. Dann werden Leben und Unverweslichkeit, wie sie durch Ihn ans Licht gebracht worden sind, sich in ihrer ganzen Kraft erweisen; dann werden wir Ihn sehen, der sich selbst die Auferstehung und das Leben nennt, und werden mit neuen Augen den Sieg Christi in seiner ganzen Größe schauen. Dann wird auch die Zeit gekommen sein, wo weder Trauer noch Geschrei noch Schmerz mehr sein werden. „Ewige Freude und Wonne“ wird über dem Haupte aller Erlösten des Herrn sein, „überströmende Erquickung“ ihr Teil immer und ewiglich.

Diese Hoffnung ist geeignet, unsere Herzen schon jetzt völlig glücklich zu machen. Sie reicht Kraft und Stärkung für den Weg dar, selbst wenn er durch Kummer und Schmerz führen sollte. Darum „ermatten wir nicht. .. denn das schnell vorübergehende Leichte unserer Drangsal bewirkt uns ein über die Maßen überschwängliches, ewiges Gewicht von Herrlichkeit, indem wir nicht das anschauen, was man sieht, sondern das, was man nicht sieht“ (2 .Kor. 4, 17. 18.) „Lasst uns denn mit Ausharren laufen den vor uns liegenden Wettlauf!“ (Hebr. 12, 1).

Wo ist die Nacht,

wo sind die Kummertränen,

o Jesu, dann, wenn Du gestillt mein Sehnen,

und ich Dich schau’ in Himmelspracht?

Ja, dann ist fern, ·

was hier mich je beschweret;

Ich hab’ genug — hab’, was mein Herz begehret,

hab’ Dich, o Jesu, meinen Herrn.

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Glaube Hoffnung Liebe diese drei

Bibelstelle: 1. Korinther 13,13

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 124ff

Es fehlt uns heute im allgemeinen nicht an Erkenntnis. Aber Wissen ohne praktischen Glauben, ohne tätige Liebe ist zu wenigem nütze. Im Gegenteil, es bläht auf! Wenn wir die Briefe des Apostels Paulus sorgfältig lesen, so wird uns auffallen, dass er fast immer sein Augenmerk zunächst nicht auf die Erkenntnis seiner Leser richtet, sondern auf ihren Zustand im Blick auf „Glaube, Liebe und Hoffnung“. Erst nachdem er hierüber sich ausgesprochen hat, belehrt er sie weiter über die Grundsätze der Wahrheit.

Im Eingang des 1. Briefes an die Thessalonicher gedenkt er ihres Werkes des Glaubens, ihrer Bemühung der Liebe und des Ausharrens der Hoffnung. Auch den 2. Brief beginnt er mit einer Danksagung an Gott, weil ,,ihr Glaube überaus wuchs und die Liebe jedes einzelnen von ihnen überströmend war“ (1. Thess. 1, 2. 3; 2. Thess. 1, 3). Darauf folgt in beiden Briefen die Belehrung zur Förderung in der Erkenntnis der Wahrheit Gottes.

Auch in dem Briefe an die Epheser spricht der Apostel zunächst von ihrem Glauben an den Herrn Jesus, der in ihnen sei, von ihrer Liebe zu allen Heiligen und bittet dann, dass „der Vater der Herrlichkeit ihnen den Geist der Weisheit und Offenbarung in der Erkenntnis Seiner selbst gebe, auf dass sie wissen möchten, welches die Hoffnung Seiner Berufung sei“ (Vergl. Eph. 1, 15 — 23).

Ebenso lesen wir in dem Brief an die Heiligen in Kolossä: „Wir danken dem Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus . . ., nachdem wir gehört haben von eurem Glauben in Christo Jesu und der Liebe, die ihr zu allen Heiligen habt, wegen der Hoffnung, die für euch aufgehoben ist in den Himmeln“. Und dann bittet der Apostel für sie, dass „sie erfüllt sein möchten mit der Erkenntnis Seines Willens in aller Weisheit und geistlichem Verständnis“ (Kol. 1, 3 — 5. 9).

Ja, „Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei“ — wertvolle, nein, notwendige Stücke für den Pilger in der Nachfolge Christi! Wollen wir Seinen Fußstapfen nachfolgen und das Ziel erreichen, so müssen wir angetan sein „mit dem Brustharnisch des Glaubens und der Liebe, und als Helm mit der Hoffnung der Seligkeit“ (1. Thess. 5, 8).

Da wir also berufen sind, durch Glauben zu wandeln, so dürfen wir uns nicht durch Sichtbares regieren und leiten lassen. Wir haben einen unsichtbaren Gott, welcher durch den natürlichen Verstand nicht erfasst werden kann, auf den aber der Gläubige seinen Blick unverrückt gerichtet hält. Auf diesen Gott blickte auch Mose, von welchem der Geist Gottes bezeugt, dass „er standhaft aushielt, als sähe er den Unsichtbaren“ (Hebr. 11, 27).

Der Glaube hat auch kein sichtbares Ziel vor sich. Er schaut „nicht das an, was man sieht, sondern das, was man nicht steht; denn das, was man sieht, ist zeitlich, das aber, was man nicht sieht, ewig“ (2.Kor. 4, 18). Der Gläubige besitzt ferner für sein Herz einen unsichtbaren Gegenstand im Himmel: den verherrlichten Christus zur Rechten Gottes, und trägt in sich eine unsichtbare Kraftquelle, den Heiligen Geist. Sein Leib ist der Tempel des Heiligen Geistes. Wenn wir nun unser Herz auf unseren Weg richten und uns prüfen, inwieweit unser Verhalten auf dem Glaubenswege dem Betragen entspricht, das sich für Glieder des Leibes Christi und Tempel des Heiligen Geistes geziemt, zu welchem Ergebnis kommen wir dann? Wir bekennen, dass wir mit Christo gestorben und auferweckt sind, dass unsere Berufung himmlisch ist, dass wir Pilger und Fremdlinge hienieden sind, die Gottes Sohn vom Himmel erwarten. Aber wie verwirklichen wir vor den Augen der Welt dieses hohe Bekenntnis? Wir sind noch in der Welt, aber nicht von der Welt, und davon muss unser Leben und Verhalten Zeugnis geben; und das Leben spricht lauter als die Lippen. So lange wir hienieden pilgern, ist der Verkehr mit den Ungläubigen nicht zu umgehen; aber wie sollten wir darüber wachen, dass wir uns nicht durch ein Eingehen auf ihre weltlichen Gespräche und Gepflogenheiten mit ihnen eins machen! Wir haben mit der Welt Geschäfte zu treiben; aber wie eifrig sollten wir suchen, uns von ihrer Gesinnung und Denkweise unbefleckt zu erhalten! Tun wir das nicht, so setzen wir uns in Widerspruch zu unserem Bekenntnis und werden nach und nach wie das Salz, welches „kraftlos geworden ist“ und hinfort „zu nichts mehr taugt“ (Matth. 5, 13).

Glaube heißt auch: abhängig von Gott und unabhängig von Menschen und Umständen sein. Der Gläubige stützt sich nicht auf seinen Verstand, sondern nur auf den unsichtbaren Gott und Sein untrügliches Wort. Er hält fest, dass der Weg, den Gott führt, immer der beste ist, wie beschwerlich und der Natur widerstreitend er auch sein mag. Selbst wenn er die Erfahrung machen muss, dass auf diesem Wege die Zucht Gottes ihn trifft, und dass die wiederherstellende Gnade des Herrn sich an ihm betätigen muss, lernt er doch verstehen, dass es nur geschieht, damit sein Glaube durch eine stets vermehrte Erkenntnis des Herrn gestärkt werde.

Glaube heißt ferner: sich selbst verleugnen und mit dem von Gott bestimmten Lose und Wege zufrieden sein. Nun, wir haben uns schon daran erinnert, dass wir uns Fremdlinge und Pilgrime nennen. Aber ist das nur ein Wort der Lippen, oder zeigen wir wirklich durch unsere Unabhängigkeit von den Dingen, die der natürliche Mensch so sehr begehrt, und durch unsere Gleichgültigkeit gegen das, wodurch er sich blenden und aufhalten lässt, dass wir ein besseres Vaterland suchen, und dass wir nicht für uns selbst wählen, sondern alles aus Gottes Hand annehmen?

Der Weg des Glaubens bringt manchen Kampf, manche Selbstverleugnung und manche Einbuße an dem Sichtbaren mit sich. Aber andererseits liegt auch auf ihm eine Fülle von Freude und Segen. Ist nicht schon das Bewusstsein der Liebe und Teilnahme des Herrn eine reiche Entschädigung für alles, was wir etwa einzubüßen haben? Er wandelt den Weg mit uns, tröstet, kräftigt und stützt uns. Aber noch mehr. Er richtet unseren Blick auf die Zukunft, zeigt uns das Ziel unseres Laufes und belebt unser Herz immer wieder durch die Hoffnung.

Die Hoffnungen des Volkes Israel waren ganz mit der Erde verknüpft, sie bezogen sich auf Fülle und Gedeihen in sichtbaren Dingen. Ein langes Leben, Wohlstand und Ehre waren Verheißungen, die der treuen Beobachtung der Gebote Gottes geschenkt waren. Unsere Erwartung ist eine ganz andere. Während ein Israelit naturgemäß den Genuss jener Verheißungen möglichst lang zu haben wünschte, wünschen wir im Gegenteil von dieser Erde bald weggenommen zu werden, um in den Vollgenuss der ewigen, himmlischen Dinge zu kommen, die uns er Hoffen ausmachen.

So lautet wenigstens unser Bekenntnis. Aber wieder wollen wir uns fragen: Ist das wirklich unser Wunsch? Sieht die Welt diese Erwartung an uns? Entdeckt sie nicht im Gegenteil an manchem Gläubiger! einen ungemein geweckten Sinn für irdische Güter, eine starke Neigung für die Ansprüche und Wünsche des ersten Adam? Müssen wir uns nicht alle mehr oder minder anklagen, dass wir noch sehr am Sichtbaren haften und dringend der Ermahnung bedürfen: „Suchet was droben ist, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes! Sinnet auf das was droben ist, nicht auf das was auf der Erde ist!“?

Die herrliche Hoffnung auf das „Kommen des Herrn“ ist bei gar vielen von uns wohl noch ein tröstlicher Glaubensartikel, aber nicht mehr eine Wahrheit, die in Kraft wirksam ist. Und es ist doch sicher: wenn wir diese Hoffnung nur als eine Lehre festhalten, oder wenn wir sie in einem Herzen tragen, das über des Herrn Verwerfung in der Welt nur kalte Empfindungen hat, so kann die Erwartung des Herrn nicht wirklich sein und deshalb keinen nachhaltigen Einfluss auf unser Leben und Verhalten ausüben. Nur dann wenn wir, Sein Kreuz tragend und Seine Erscheinung liebend, nach Seinem Wiederkommen ständig wartend ausschauen, wenn es unsere dauernde, freudige Erwartung ist, verwandelt zu werden und den Tod nicht zu sehen, nur dann drängt uns die Liebe Christi, Ihm bis zu dem Augenblick Seiner Ankunft eifrig zu dienen. Dann möchten wir keinen Tag, keine Stunde vorübergehen lassen, ohne für die Seinigen Sorge zu tragen, wie ja die Sorge für Sein Haus das besondere Kennzeichen eines treuen und klugen Knechtes ist (Matth. 24, 45). Dann können wir nicht gleichgültig sein betreffs der Rettung der armen, verlorenen Menschen, da wir wissen, dass mit dem Kommen des Herrn die Gnadenzeit zu Ende ist und der schreckliche Augenblick naht, wo der Richter in flammendem Feuer erscheinen wird, um Lebendige und Tote zu richten.

„Bei der Erwartung Seines Nahens“, sagt ein anderer Schreiber, „ist es mir, wie Elias an seinem letzten Tage, wo es ihn so unaufhaltsam vorwärts trieb. Wenn ich aufrichtig rufe: „Komm!“, bin ich in Wirklichkeit nur umso ernster, umso tätiger, umso eifriger besorgt um das, was Ihn hienieden betrifft, so dass mein letzter Tag vielleicht auch der geschäftigste meines ganzen Lebens ist.“

Wie wichtig und kostbar sind also der Glaube und die Hoffnung! Dennoch wird in 1. Kor.13 die Liebe als die größte und wichtigste unter den Dreien dargestellt.

Liebe ist das eigentliche Wesen des Christentums, gleichsam der Schlussstein des Gewölbes, welcher Glaube und Hoffnung beherrschen, ihre Kraft entfalten und in Tätigkeit halten soll. „Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; die größte aber von ihnen ist die Liebe“ (1. Kor. 13, 13). Liebe ist die Natur Gottes.

An einer anderen Stelle nennt sie das Wort „das Band der Vollkommenheit“ (Kol. 3, 14). Für unsere natürliche Selbstsucht ist es unmöglich, in der Liebe zu wandeln. Unter den herrlichen, vielfältigen Früchten des Geistes, welche das Wort uns nennt, steht deshalb die Liebe obenan. (Gal. 5, 22.) „Alles bei euch geschehe in Liebe!“ ruft uns der Apostel in 1. Kor. 16, 14 mahnend zu.

Die Quelle wahrer Liebe ist Gott selbst. „Wir lieben, weil Er uns zuerst geliebt hat“ (1. Joh. 4, 19). Seine Liebe hat erst die unsrige erzeugt, und wir sind von Gott gelehrt, einander zu lieben. Je ernster wir nun im Glauben wandeln, je lebendiger die Hoffnung im Herzen wirkt, desto reichlicher wird die uns erfüllende Liebe Gottes von uns ausstrahlen, um sowohl alle Glieder des Leibes Christi innig zu umfassen, als auch um sich in herzlichem Erbarmen um die zu bemühen, die Gott nicht kennen.

In demselben Maße, wie wir uns in die in Christo geoffenbarte Liebe Gottes versenken, wird unser Herz mit warmen Gefühlen für die Bedürfnisse unserer Geschwister erfüllt. Zugleich wird sich der Geist des Evangeliums in uns offenbaren und uns zu Evangelisten machen für die uns umgebende Welt. Das Werk der Errettung ist zwar von Anfang bis zu Ende Gottes Sache; aber Gott will uns als Seine Handlanger benutzen, will mittels deines und meines Eifers, mittels deiner und meiner Bemühungen wirken. Möchte deshalb die Liebe laut in unseren Herzen sprechen! Der Herr weinte über Jerusalem; und um dich herum ist eine Welt, über die du weinen kannst.

„Gott zu gefallen“ und „einander zu lieben“, das sind die beiden Angelpunkte, zwischen denen sich das ganze christliche Leben bewegt. In beidem erwartet der Herr von uns ein beständiges Wachsen. Es gibt da für den Gläubigen in seinen Fortschritten keine Grenze, kein Endziel.

Die Thessalonicher waren belehrt, wie sie wandeln sollten, um Gott zu gefallen, ja, sie wandelten in der Tat nach Gottes Wohlgefallen, — Paulus bestätigt es ausdrücklich, — und doch sollten sie nicht mit sich zufrieden sein, sondern „reichlicher darin zunehmen“ (1. Thess. 4, 1). Ebenso waren sie von Gott gelehrt, einander zu lieben· Auch darin waren sie folgsam. Sie zeigten, wie Paulus schreibt, Liebe gegen alle Brüder, die in ganz Mazedonien waren. Und dennoch werden sie wiederum ermahnt, „reichlicher zuzunehmen“ (1. Thess. 4, 10). Wie weit die Thessalonicher es in beiden Stücken gebracht haben mochten, bis zu welchem Ziele sie auch gelangt waren, niemals kam der Augenblick, wo einer von ihnen hätte sagen können: „Jetzt habe ich das Ziel erreicht, das Gott mir gesteckt hat, und kann nun ausruhen und genießen“. Sie durften nicht still stehen auf ihrem Wege, mussten vielmehr fortwährend zunehmen, wenn sie treue Zeugen der Kraft des Lebens Christi und ein Segen für andere bleiben wollten.

Ein solches Leben in der Kraft des Glaubens und der Hoffnung, durchdrungen von einer tätigen Liebe gegen alle, findet immer das Wohlgefallen Gottes. Es ist ein Wandeln mit Gott. Und „Wandeln mit Gott“ und „Gott wohlgefallen“ sind nach Hebr. 11, 5 zusammengehörende, untrennbare Begriffe. An dieser Stelle ist von Henoch die Rede, der durch den Glauben dem unsichtbaren Gott nahte, Seine Gegenwart verwirklichte und mit Ihm wandelte, indem er auf die Belohnung in der Zukunft schaute. Er wandelte mit Gott dreihundert Jahre, eine lange Zeit, und empfing vor — beachte es! — vor seiner Entrückung das Zeugnis, dass er Gott wohlgefallen habe. Seine Entrückung war nicht dieses Zeugnis, nein, Henoch hatte für sich selbst hier auf der Erde das Zeugnis von Gott, Ihm wohlgefallen zu haben. Er konnte in seinem Herzen diesen kostbaren Beweis einer persönlichen, als Folge seiner Treue verliehenen Gunst bewahren.

Es ist heute nicht anders. Wenn wir mit Gott wandeln, wenn Glaube, Hoffnung und Liebe den Inhalt unseres Lebens ausmachen, so erlangen wir schon hienieden, jeder für sich persönlich, das kostbare Zeugnis, dass wir Gott wohlgefallen. Ein Kind weiß sehr wohl, ob es die Anerkennung und das Wohlgefallen seiner Eltern auf seinem Pfade hat, oder ob nicht.

„Wenn jemand mich liebt“, sagt der Herr, „so wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn

lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen“ (Joh. 14, 23).

Denken wir zum Schluss auch noch an die persönliche, ergreifende Verheißung in der Offenbarung: „Dem, der überwindet, dem werde ich von dem verborgenen Manna geben; und ich werde ihm einen weißen Stein geben, und auf den Stein einen neuen Namen geschrieben, welchen niemand kennt, als wer ihn empfängt“ (Offbg. 2, 17).

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O Christenvolk, du Gottes Licht!

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 133

O Christenvolk, du Gottes Licht!

Es trägt, wer zu dir hält,

ein heilig Amt, die ernste Pflicht,

zu leuchten in der Welt.

Zu führen hier ein Leben, das

den Vater droben preist

und stille, doch ohn’ Unterlass,

den Weg zum Frieden weist.

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Drei aber

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 134ff

Das kleine Wörtchen „aber“ spielt im Menschenleben eine große Rolle. Es drängt sich in alle Wechselfälle des Lebens ein und beeinflusst sie in günstigem oder ungünstigem Sinne. Auch in Gottes Wort finden wir manche „Aber“, das eine sehr kostbar, das andere tief traurig. Auf drei unter ihnen möchte ich in den folgenden Zeilen hinweisen.

Das erste dieser „Aber“ finden wir in 2. Kön. 5, 1. Diese Stelle enthält eine kurze, aber treffende Beschreibung des syrischen Feldherrn Naaman. Gott schildert ihn als groß vor seinem irdischen Herrn, als einen angesehenen Mann und als einen siegreichen Kriegshelden. Dann aber kommt ein furchtbares „Aber“ — „er war aber aussätzig“. In der Tat, eine entsetzliche Ergänzung! Angesehen, auf den Höhen des Lebens stehend, reich, der bevorzugte Günstling des Königs und zweifellos auch der Liebling des Volkes, ein liebenswürdiger Charakter, wie der Verlauf der Erzählung beweist, aber mit einer ekelhaften, ansteckenden Krankheit behaftet, die unfehlbar zum langsamen Hinsterben und schließlichen Ausgestoßenwerden aus der menschlichen Gesellschaft führen musste.

Was diese Schilderung aber so außerordentlich eindrucksvoll macht, ist der Umstand, dass sie in ihrem Hauptpunkt auf jeden Menschen von Natur passt. In der äußeren Lage der Einzelnen bestehen ja große Unterschiede; da gibt es Reiche und Arme, Große und Kleine, Angesehene und Geringe, Hohe und Niedrige, Erfolgreiche und solche, denen nie etwas glückt. In einem Punkte aber, und zwar in dem wichtigsten von allen, sind alle gleich. Alle sind — in geistlichem Sinne natürlich — aussätzig; alle leiden an dem einen schrecklichen Übel, das unaufhaltsam, wenn auch zuweilen kaum merklich, an dem Marke des Menschen zehrt, das ihn allmählich herunterbringt, bis schließlich der ewige Tod, die Nacht der Verzweiflung, ihn aufnimmt. Und wie heißt dieses allgemein verbreitete Übel, das in dem Aussatz ein so ernstes Bild findet? Jedermann kennt es. Es heißt Sünde.

Wenden wir uns jetzt zu dem zweiten „Aber“. Wir finden es in Eph. 2, 4: „Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit, wegen Seiner vielen Liebe, womit Er uns geliebt hat, als auch wir in den Vergehungen tot waren. . . .“Wir haben hier das große „Aber“ Gottes, im Gegensatz zu dem „Aber“ des Menschen. Es muss darum der Mühe wert sein, einen Augenblick dabei zu verweilen.

Dieses „Aber“ Gottes hat sowohl Bezug auf Israel, das irdische Volk Gottes, als auch auf die Kirche, das himmlische Volk. Die ganze Geschichte des Volkes Israel, von Anfang bis zu Ende, ist eine Kette von Sünden, von leichteren Vergehungen und Fehltritten bis zum völligen Abfall von Gott; zugleich aber auch eine Kette von Wiederaufrichtungen durch die Gnade und Barmherzigkeit Gottes. Mochte das Volk noch so tief sinken, immer wieder trat das große „Aber“ Gottes in die Erscheinung, indem Er sich Seiner Verheißungen erinnerte und Seinem armen, gefallenen Volke zu Hilfe kam.

Denken wir, um nur ein Beispiel herauszugreifen, an Israel in Ägypten. In welch einem Zustande befand sich das Volk! Gab es wohl etwas Schönes, etwas Begehrenswertes an ihm? Wahrlich nicht. In Sklavenketten geschmiedet und in Götzendienst versunken, erinnerte es sich nur dann seines Gottes, wenn es sich gar nicht mehr anders zu helfen wusste. Ohne jede innere Neigung, Jehova zu dienen, stieß es anfänglich selbst die Hand seines Retters schnöde zurück. Das Volk befand sich in einer geradezu jämmerlichen Verfassung. Aber „Gott gedachte Seines Bandes mit Abraham, Jsaak und Jakob“ (2. Mose 2, 24), und handelte, wie David sich später ausdrückt, „um Seines Wortes willen und nach Seinem Herzen“ (2. Sam. 7, 21). Er stieg herab, um das Voll aus der Ägypter Hand zu erretten, und Er berief Mose zum Retter und Führer desselben. Ja, wundervolle Worte der Gnade musste Mose im Namen Jehovas zu dem Pharao reden: „So spricht Jehova: Mein Sohn, mein erstgeborener, ist Israel; und ich sage zu dir: Lass meinen Sohn ziehen, dass er mir diene!“ (2. Mose 4, 22. 23). Welch ein „Aber“ Gottes!

Und wie hat Gott in Bezug auf uns gehandelt? Unsere Geschichte, die Geschichte der Nationen, war nicht, wie diejenige Israels, eine Kette von Schäden und Heilungen, ein unaufhörliches Fallen und Wiederaufstehen; nein, unsere Geschichte war eine einzige, ununterbrochene Reihe von solch groben Sünden, Bosheiten und Schlechtigkeiten, dass man kaum davon reden mag. Das erste Kapitel des Römerbriefes enthält die Geschichte der Nationen. Gottes Griffel hat sie dort ausgezeichnet, und Röm. 3 zeigt uns mit furchtbarer Deutlichkeit unser eigenes Bild. Dass da von Anziehendem usw. auf unserer Seite nicht die Rede ist, bedarf überhaupt keiner Erwähnung. Der Apostel spricht das auch ganz klar in den Versen aus, die den oben aus Eph. 2, 4 angeführten Worten vorhergehen. Auf unserer Seite war nur Verdammenswertes, und wenn Gottes mächtiges „Aber“ nicht dazwischengetreten wäre, so wären wir für immer und ewig verloren gewesen. Aber bei Gott war „viel Liebe“ zu uns, selbst damals schon, als wir noch „in den Vergehungen tot“ waren. In dieser Liebe sandte Er Jesum, Seine größte Gabe, und machte uns mit Ihm lebendig. O Wunder der Gnade! In Ihm „mitauferweckt“, hat Er uns „mitsitzen lassen in den himmlischen „Örtern“. So will Er in den kommenden Zeitaltern den überschwänglichen Reichtum Seiner Gnade in Güte gegen uns erweisen. Einst fern von Gott, ohne jede Hoffnung und ohne Gott in der Welt, sind wir jetzt in Christo „nahe geworden“, dürfen an Gottes Herzen ruhen und zuversichtlich den Augenblick erwarten, wo unser Pilgerlauf im Vaterhause droben enden wird.

Teurer gläubiger Leser, lass uns Gottes „Aber“ nicht aus dem Auge verlieren! Wie ist es gerade in der jetzigen Zeit dazu angetan, unsere Herzen zu erquicken! Satan flüstert heute so mancher bekümmerten Seele zu: Wie? der Gott, der dir dein Liebstes genommen und dich in so große Not gebracht hat, sollte „Liebe“ sein? —- Lass dich nicht betören und betrügen, liebe Seele! Gottes „Aber“ der Liebe bleibt bestehen in allen Wechselfällen dieses Lebens. Er hat es auch für dich aufzeichnen lassen, da Er wusste, dass eine Zeit kommen würde, wo du es nötig hattest. Das Wort trügt nicht, wenn es in Bezug auf die Leiden der Jetztzeit sagt: Sie „sind nicht wert, verglichen zu werden mit der zukünftigen Herrlichkeit, die an uns geoffenbart werden soll“ (Röm. 8, 18).

Die letzten Erwägungen führen uns zu dem dritten „Aber“. Es findet sich in Luk. 18, 7: „Gott aber, sollte Er das Recht Seiner Auserwählten nicht ausführen, die Tag und Nacht zu Ihm schreien?“ Der Herr sprach diese Worte im Anschluss an das bekannte Gleichnis von der armen Witwe, die sich in ihrer Not an den ungerechten Richter wendet und so lange bittet und fleht, bis er ihr zu helfen verspricht. Er hatte dieses Gleichnis Seinen Jüngern erzählt, um sie anzuspornen, in ihren Gebeten nicht zu ermatten. Denn wenn selbst der ungerechte Richter auf das Bitten der Witwe antwortete, wieviel mehr wird Gott antworten! „Gott aber, sollte Er das Recht Seiner Auserwählten nicht ausführen?“ Wenn das Mahnwort des Herrn an Seine Jünger je beherzigenswert war, dann gewiss in der gegenwärtigen Zeit. Denn so wie die Dinge liegen, besteht in der Tat Gefahr, im Gebet zu ermatten. Aber mit Recht? Hat Gott etwa nicht auf das Rissen Seiner Kinder in der schweren Kriegszeit gehört? Ist Er uns nicht sehr gnädig gewesen, indem durch Seine Gnade fast unser ganzes Land vom Feinde frei geblieben ist? Hat Er nicht bisher alles Nötige dargereicht, wenn ja auch manches knapp geworden ist? (Ganz zu schweigen von dem Nutzen, der darin liegt, dass wir uns in unseren Bedürfnissen manche Einschränkung auferlegen müssen) Weiter: Hat nicht Gott auch unsere Bitten in Bezug auf die Errettung von Seelen erhört? Wie erfreulich lauten so manche Briefe aus dem Felde! Vielleicht vernehmen wir nicht so viel von Errettungen, wie wir wohl gern möchten. Aber was wissen wir von dem verborgenen Tun Gottes? Die Ewigkeit erst wird die ganze Frucht dieser Zeit offenbar machen.

Ja, Gott hat gehört. Freilich, - der Krieg ist noch nicht zu Ende. In dieser Hinsicht ist die Erhörung noch nicht gekommen. Gottes Gedanken sind eben nicht unsere Gedanken. „Gott ist erhabener als ein Mensch, und über all Sein Tun gibt Er keine Antwort“. „Er handelt erhaben in Seiner Macht. Wer hat Ihm Seinen Weg vorgeschrieben? Siehe, Gott ist zu erhaben für unsere Erkenntnis“ (Vergl. Hiob 33, 12, 13; 36, 22. 23. 26). Aus welchem Grunde Gott den Krieg bis heute hat andauern lassen, entzieht sich unserer Beurteilung. Jedenfalls ist es so nötig und nützlich. Aber sollten wir deshalb aufhören, dem Herrn unsere Not zu klagen, vor Ihm unsere Anliegen kundwerden zu lassen? Ganz gewiss nicht. Das Wort bleibt bestehen: „Rufe mich an am Tage der Bedrängnis: ich will dich erretten!“ geradeso wie es Sein Wille ist, dass wir Ihn für Seine Hilfe preisen sollen (Ps. 50, 15.) Ja, es ist Gottes Wunsch, dass wir Sein Angesicht fleißig suchen. Jesaja rief seiner Zeit den gläubigen Juden zu: „Ihr, die ihr Jehova erinnert, gönnet euch keine Ruhe, und lasst Ihm keine Ruhe!“ (Kap. 62, 6.) Ein bedeutungsvoller Ausspruch! „Lasst Ihm keine Ruhe!“ Das will nicht sagen, dass wir etwas von Gott erzwingen sollen. Nichts wäre verkehrter. Aber wir sollen nicht aufhören, Gott an alles zu erinnern, was unsere Herzen bewegt.

Man hört zuweilen von Gläubigen sagen: „Gott hat Seinen Plan mit der Erde und ihren Völkern;

den führt Er aus. Deshalb kann uns der Krieg ganz unberührt lassen. Wir sind himmlische Menschen!“ Freilich sind wir» schon jetzt in Christo „mitversetzt in die himmlischen Örter“ und sollten dementsprechend gesinnt sein und wandeln, aber wir sind deswegen noch nicht im Himmel, sondern befinden uns noch im „Tränental“ und haben teil an all den Nöten und Leiden, von denen es voll ist. Und sollten wir unsere Augen und unser Herz vor der Not unserer Mitmenschen verschließen? Nicht nur stehen viele Tausende unserer geliebten Brüder im Felde, nicht nur ist unser eigenes Land und Volk in Bedrängnis und Not, nein, Millionen und aber Millionen von Menschen liegen überall unter schwerem Druck und Leid, und zu Tausenden und Zehntausenden werden sie dahingerafft. Geht uns das alles nichts an?

Wie oft war unser geliebter Herr Jesus innerlich bewegt, wenn Er die Not, das Elend und den Jammer, die Folgen der Sünde, um sich her sah! Dieselbe Gesinnung sollten auch wir bekunden im Blick auf unsere Mitmenschen und die Dinge, die heute geschehen. Traurig genug, wenn Weltkinder achtlos an der großen Heimsuchung unserer Tage vorübergehen und — so lang sie nicht unmittelbar von ihr berührt werden —- leben, als ob alles in der schönsten Ordnung wäre. Wie aber sollten sich die Gläubigen verhalten? Der Apostel ermahnte einst die Kolosser: „Ziehet an, als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte: herzliches Erbarmen, Güte, Milde . . . Zu diesem allem aber ziehet die Liebe an, welche das Band der Vollkommenheit ist!“ (Kap. 3, 12. 14.) Wenn diese Tugenden bei uns vorhanden sind, werden wir nicht sagen, dass dieser schreckliche Krieg uns nichts angehe.

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Der Hirtendienst in schwerer Zeit

Bibelstelle: Hesekiel 34

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 141ff

Der Dienst eines treuen Hirten ist nie leicht. Er erfordert immer viel Liebe und Selbstverleugnung, besonders aber in einer Zeit allgemeinen geistlichen Niedergangs oder gar Verfalls. Eine solche Zeit war die Zeit des Propheten Hesekiel. Die Umstände in seinen Tagen waren im Vergleich mit den geordneten Verhältnissen zur Zeit der gottesfürchtigen Könige von Israel überaus schwierig. Israel befand sich unter dem Gericht Gottes; alles war in Verwirrung.

Milderte das aber die Verantwortlichkeit der Hirten des Volkes, oder verringerte es ihre Schuld, wenn sie untreu waren? Im Gegenteil. Gerade in Zeiten der Not und Gefahr gilt es, für die arme, schwache Herde einzutreten und sich jedes einzelnen Schäfleins in treuer, wachsamer Liebe anzunehmen. Gerade dann muss das Versagen des Hirtendienstes die ernstesten und tiefstgreifenden Folgen nach sich ziehen. Darum erwartet der Erzhirte in solchen Zeiten von Seinen Vertretern auf Erden doppelte Hingebung und Wachsamkeit.

Wir können es deshalb gut verstehen, wenn Jehova, der große Hirte Israels, zur Zeit Hesekiels in heiligem Eifer mit denen rechtete, welche die Ehre für sich in Anspruch nahmen, Hirten des Volkes zu sein, aber, anstatt der Herde, sich selbst weideten. Ach! sie geizten wohl nach Ehre vor den Menschen und nach äußerer Anerkennung ihres Amtes, aber Ehre und Anerkennung bei Gott suchten sie nicht. Darum lässt Er ihnen durch den Mund Seines Propheten ein feierliches Wehe zurufen: „Wehe den Hirten, die sich selbst weiden!“

„An den Verwaltern sucht man, dass einer treu erfunden werde2 (1. Kor. 4, 2.) Ein treuer Verwalter des Hirtenamtes denkt zu allererst an das Wohlbefinden und die Sicherheit seiner Herde. Er weidet und hütet sie. „Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?“ Aber die Hirten zur Zeit Hesekiels dachten anders. Der Herr musste ihnen sagen lassen: „Ihr esset das Fett und kleidet euch mit der Wolle, das fette Vieh schlachtet ihr; die Herde weidet ihr nicht“ (V. 3). Kalte Selbstsucht und gefühlloses Trachten nach eigenem Vorteil kennzeichneten diese sogenannten „Hirten“ Sie waren Wölfen gleich, die in die Herde entbrechen und die Schafe dem Verderben überliefern.

Wehe solchen Hirten! „Die Schwachen habt ihr nicht gestärkt, und das Kranke nicht geheilt, und das Verwundete nicht verbunden, und das Versprengte führtet ihr nicht zurück, und das Verlorene suchtet ihr nicht; und mit Strenge habt ihr über sie geherrscht und mit Härte“ (V. 4). Sie glichen in ihrem Tun genau dem bösen Hirten, der am Ende der Tage dem Volke Israel erweckt werden wird, dem Antichristen, der der Umkommenden sich nicht annehmen und das Gesunde nicht versorgen wird, „dem nichtigen Hirten, der die Herde verläßt“ (Vergl. Sach. 11, 15 — 17).

Infolge dieser Treulosigkeit wurden die Schafe zerstreut; sie wurden allen Tieren des Feldes zur Speise, irrten umher auf allen Bergen und auf jedem hohen Hügel, und da war niemand, der nach ihnen fragte, und niemand, der sie suchte (V. 5. 6).

Wie ergreifend ist die Wehklage des guten Hirten angesichts der Not Seiner Schafe! Wie bewegt sie unsere Herzen! Und Seine Gedanken und Gefühle haben sich seitdem nicht verändert. Als Jesus hienieden wandelte, war Er innerlich bewegt über Sein Volk, denn ,,sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben«. (Mark. 6, 34.) Und auch heute gedenkt Er Seiner schwachen Herde mit erbarmender Liebe und nimmt Kenntnis von allem, was ihr widerfährt: Gutes oder Böses. Wie sehnlich erwartete Er damals seitens der Hirten einen wahren Dienst der Liebe zu Gunsten Seiner schwachen, kranken, verwundeten und versprengten Schafe! Aber Eigenliebe, Scheu vor Selbstverleugnung und eine grenzenlos irdische Gesinnung standen als unüberwindliche Hindernisse im Wege. Was anders als ein schonungsloses Gericht konnte das Teil dieser Treulosen sein!

„Das Schwert über seinen Arm und über sein rechtes Auge! Sein Arm soll gänzlich verdorren, und sein rechtes Auge völlig erlöschen“ (Sach. 11, 17), heißt es im Blick auf den Antichristen; und hier „spricht der Herr, Jehova:. Siehe, ich will an die Hirten, und ich werde meine Schafe von ihrer Hand fordern, und machen, dass sie aufhören die Schafe zu weiden, damit die Hirten nicht mehr sich selbst weiden; und ich werde meine Schafe von ihrem Munde erretten, dass sie ihnen nicht mehr zur Speise seien“ (V. 10). Ja, nicht nur das. Wenn alles in seinen Grundfesten wankt und die Schafe hilflos dem Untergang geweiht zu sein scheinen, tritt der Herr selbst auf den Schauplatz. „Siehe“, sagt Er, „ich bin da, und ich will nach meinen Schafen fragen und mich ihrer annehmen. Wie ein Hirt sich seiner Herde annimmt an dem Tage, da er unter seinen zerstreuten Schafen ist, also werde ich mich meiner Schafe annehmen und werde sie erretten aus allen Orten, wohin sie zerstreut worden sind am Tage des Gewölks und des Wolkendunkels“ (V. 12). Glückliche Schafe, die sich der Liebe eines solch guten und treuen Hirten erfreuen dürfen! Wie werden sie dereinst jubeln, wenn sie, der Macht aller ihrer Feinde entronnen und der Raublust ihrer eigenen bösen Hirten entrissen, die sanfte Hut des einen Hirten erfahren werden, den Gott in Seiner Gnade über sie erwecken wird! (V. 23). Er, der da kommt mit Kraft, dessen Arm Herrschaft für Ihn übt, wird sagen: „Ich bin da“, und „Er wird die Lämmer in Seinen Arm nehmen und in Seinem Busen tragen, die Säugenden wird Er sanft leiten“ (Jes. 40, 10. 11). Er selbst wird Seine Schafe weiden und die ganze Sorge des Hütens und Lagerns für sie übernehmen. Er wird das Verlorene suchen und das Versprengte zurückführen, das Verwundete verbinden und das Kranke stärken (V. 15.16).

In den Versen 17 —- 22 redet Jehova zu der Herde selbst. Auch bei ihr gab es ernste Ursache zum Tadel. Da waren schwache und magere, und starke und fette Schafe, und Gott sagt, Er wolle richten zwischen Schaf und Schaf, und Widdern und Böcken. Warum? Weil die Starken die Schwachen mit Seite und Schulter von der guten Weide und vom Wasser verdrängten und sie so lang mit ihren Hörnern stießen, bis sie sie nach außen hin zerstreut hatten. Ja, die Fetten verkürzten nicht nur die Mageren in ihrer Nahrung, sondern sie verdarben diese. auch, indem sie die Weide böswillig mit ihren Füßen zertraten und das abgeklärte Wasser, sobald sie selbst ihren Durst gelöscht hatten, mit ihren Füßen trübten. Gericht sollte sie treffen. „Das Fette und das Starke werde ich vertilgen“, sagt Gott (V. 16). Vor Ihm ist alles Hochmütige und Stolze ein Gräuel. Er macht zunichte, was sich selbst weidet, die Segenskanäle für andere verdirbt und auf diese mit Geringschätzung herabblickt. Er liebt das „Schwache“ und hat das „Unedle“ und „Verachtete“ der Welt auserwählt (1. Kor. 1, 26 — 28). Er ist der Gott, der die „Niedrigen“ tröstet und bei dem wohnt, „der zerschlagenen und gebeugten Geistes ist“ (2. Kor. 7, 6; Jes. 57, 15). Seine Freude ist es, Seine Schäflein auf grünen Auen wandern zu sehen, Er führt sie zu stillen und frischen Wassern. Er macht ihre Sache zu der Seinigen, ja, es heißt von Ihm: „In all ihrer Bedrängnis war Er bedrängt . . . In Seiner Liebe und in Seiner Erbarmung hat Er sie erlöst; und Er hob sie empor und trug sie alle Tage . . . Gleich dem Vieh, welches in das Tal hinabsteigt, brachte der Geist Jehovas sie zur Ruhe“ (Jes. 63).

Es ist wunderbar, wie dieser selbe Geist in den Versen 23 — 31 so tröstlich und verheißungsvoll bezüglich der Zukunft zu der Herde redet. Es ist, wie wenn Er sie für die erfahrenen Unbilden, Leiden und Bedrängnisse entschädigen wolle durch die glückliche Hoffnung, die Er ihnen vor Augen malt. „Und sie werden wissen, dass ich, Jehova, ihr Gott, mit ihnen bin, und dass sie, das Haus Israel, mein Volk sind, spricht der Herr, Jehova“ (V. 30). Ja, mehr als das: „Ihr, meine Herde, Herde meiner Weide, ihr seid Menschen; ich bin euer Gott, spricht Jehova" (V. 31).

Man meint unwillkürlich, die Worte des guten Hirten in Joh. 10 zu vernehmen: „Ich kenne die Meinen und bin gekannt von den Meinen“. Ja, Er kennt Seine schwachen Schäflein ganz genau, hat ihre Fehler und Mängel eingehend kennen gelernt; aber die Ihm dadurch gewordene Mühe und Arbeit hat Seiner Liebe keinen Eintrag getan, Seine Sorge nicht geringer werden lassen. Im Gegenteil, das Bewusstsein, dass sie „Menschen“ sind, hat Seine Sorge für und um sie nur vermehrt. „Er kennt unser Gebilde, ist eingedenk, dass wir Staub sind“ (Ps. 103, 14). Unergründlich ist Seine Liebe, und unwandelbar Seine Treue! Berge mögen weichen und Hügel wanken, aber Seine Güte weicht nicht, noch wankt Sein Friedensbund mit Israel (Jes. 54, 10).

Die Zeit, mit welcher wir uns bisher beschäftigt haben, liegt etwa zweiundeinhalb Jahrtausende zurück. Eine lange Zeit! Geschlechter und Völker sind gekommen und gegangen, aber Gottes Gedanken und Grundsätze haben sich nicht verändert. Wir können nur sagen, dass wir der Erfüllung Seiner Verheißungen und Gerichte um so viel näher gekommen sind. Die Hirten jener alten Tage sind ins Grab gesunken, andere sind an ihre Stelle getreten, andere Menschen unter anderen Verhältnissen. Der „Richter aller“ ist Gott. So ist es auch nicht unsere Sache, gegen die Hirten Israels oder irgend einer anderen religiösen Körperschaft in der Vergangenheit Anklage zu erheben. Wir können uns nur, im Blick auf die tiefgreifenden Schäden der Gegenwart, vor Gott in den Staub beugen und Ihn um Langmut und Erbarmen bitten. Aber wenn es auch nicht unsere Sache ist, zu urteilen und zu richten, so sollen wir doch aus den Schriften Belehrung, Mahnung und Warnung schöpfen. „Alles was zuvor geschrieben ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben“ (Röm. 15, 4). So haben denn auch im Laufe der Jahrhunderte viele Gläubige durch Hesekiel 34 wichtige Belehrungen über den Hirtendienst erhalten, zum Segen für sich und andere. Auch für uns ist das teure Wort Gottes zu diesem Zweck aufbewahrt worden. Möchten wir mit dem Psalmisten sagen können: „Wie liebe ich dein Gesetz! es ist mein Sinnen den ganzen Tag“ (Vergl. Ps.119, 97 -— 105).

Die gegenwärtig auf Erden weilende Herde Gottes besteht, nachdem Israel für eine Zeit beiseite gesetzt ist, aus Juden und Heiden, alle teuer erkauft durch das Blut des Sohnes Gottes und mit Ihm, dem guten Hirten, und untereinander verbunden durch den Geist Gottes. Der „große Hirte“ Seiner Schafe oder der „Erzhirte“ ist Christus, der zur Rechten Gottes verherrlichte Menschensohn. Er gedenkt von dort aus mit unermüdlicher Liebe Seiner Herde hienieden, und hat sie Unterhirten anvertraut, auf deren Liebe Er rechnet. Als Petrus in Joh. 21 bekennen durfte: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe“, sprach der Herr zu ihm: „Weide meine Lämmlein“ (die schwachen und hilfsbedürftigen). Auf das zweite Bekenntnis seiner Liebe zu Jesu wurde ihm der Auftrag: „Hüte meine Schafe“, und als er auf die dritte herzandringende Frage des Heilandes antwortete: „Herr, du weißt alles, du erkennst, dass ich dich lieb habe“, da übergab ihm der Herr neben der Hut auch die Weide oder Pflege Seiner Schafe. Nur die in unserem Herzen wirkende Liebs Christi macht uns fähig und bildet uns zu diesem Dienste.

Wie der Apostel Paulus seinen Hirtendienst auffasste und ausübte, darüber gibt uns Apstgsch. 20, 17 — 35 eine ergreifende Darstellung. Auch die Briefe an die Korinther sind voll von Zeugnissen über die sich selbst vergessende, hingebende Liebe des Apostels. Und welch inniges, vertrauliches Verhältnis bestand zwischen ihm und den Philippern! Der Apostel lag als Gefangener im Kerker zu Rom, aber von welch liebender Sorge und heiligem Ernst zeugen die Kapitel 3 und 4 seines Briefes!

Wenn wir weiterhin den 2. Brief an Timotheus mit einem Blick auf die Gegenwart betrachten, so sehen wir, wohin es mit der Herde Christi gekommen ist, wie nötig, aber auch wie schwierig der Hirtendienst geworden ist.

Auch Petrus weist in seinem 2. Brief auf das hereinbrechende Verderben hin — für ihn ein Grund, so lang er in der irdischen Hütte war, mit allem Fleiß seinen Dienst fortzusetzen. Er wusste, dass das Ablegen seiner Hütte bald geschehen würde, und war deshalb mit doppeltem Eifer bemüht, die Schäflein der Herde Christi zu weiden und sie vor den kommenden Gefahren zu warnen. Auch im 5. Kapitel seines ersten Briefes ermahnt er die Ältesten: „Hütet die Herde Gottes, die bei euch ist, indem ihr die Aufsicht nicht aus Zwang führet, sondern freiwillig, auch nicht um schändlichen Gewinn, sondern bereitwillig, nicht als die da herrschen über ihre Besitztümer, sondern indem ihr Vorbilder der Herde seid. Und wenn der Erzhirte offenbar geworden ist, so werdet ihr die unverwelkliche Krone der Herrlichkeit empfangen“ (V. 2 — 4). Mein lieber gläubiger Leser! Ich weiß nicht, ob der Herr dir einen besonderen Dienst als Ältester oder Hirt anvertraut hat, ob du eine besondere „Gnadengabe« empfangen hast oder nicht — das Eine aber weiß ich, dass der gute Hirt dich aus dem Sumpf dieser Welt und aus dem Dorngestrüpp der Wüste befreit hat, dass Er dir einen Ruheplatz an Seinem Herzen gegeben, und dass du in Ihm alles das gefunden hast, was du in dir vergeblich suchtest: Heiligkeit und Gerechtigkeit, Friede und Freude, Trost im Leid und Kraft zu allem Guten. Auch weiß ich, dass du, je mehr du dich selbst im Lichte Gottes erkennst und als ein leeres Gefäß vertrauensvoll mit allen deinen Bedürfnissen zu Ihm kommst, umso mehr in Ihm die untrügliche, nie versiegende Quelle aller Gnade und aller Kraft findest. Wenn das aber so ist, so erweise dem treuen Herrn doch die Liebe und Dankbarkeit, dass du nach Kraft und Gelegenheit der Schwachen und Kranken gedenkest, der Verwundeten, Versprengten und Verlorenen dich annehmest! Sie sind ja die besonderen Gegenstände Seiner Liebe und Sorge! Und bist du schon älter geworden auf dem Wege und hast Erfahrungen gesammelt, bist dir sogar bewusst, von dem Erzhirten in der einen oder anderen besonderen Weise in Seinen Dienst gestellt und berufen zu sein, o dann werde nicht müde, auch wenn die Arbeit wächst, und nicht mutlos, auch wenn die Kraft bei zunehmendem Alter nachlässt! Geh mit wachsender Liebe und Treue den Schafen Christi nach und diene ihren so mannigfachen Bedürfnissen nach der Gnade, die der Herr darreicht. Denke nicht an deine eigenen Bedürfnisse, begehre nicht nach Silber und Gold (Apstgsch. 20, 33), sondern sei stark in der Gnade, die in Christo Jesu ist, und erdulde „um der Auserwählten willen“ gern Mühe und Beschwerde. (2. Tim. 2, 1. 10.) Der Herr hat verheißen, dass dem, der zuerst nach dem Reiche Gottes und nach Seiner Gerechtigkeit trachtet, Nahrung und Kleidung dazu gegeben werden sollen, und der Apostel sagt uns, dass niemand Kriegsdienste tue auf eigenen Sold. Der Arbeiter ist seines Lohnes wert (Matth. 6, 33; 1. Kor. 9 u. a. St.).

Diese Mahnung gilt ganz besonders den älteren dienenden und führenden Brüdern in den örtlichen Versammlungen, welche eine unmittelbare Verantwortung tragen für die Herde, die bei ihnen ist, deren Bedürfnisse sie kennen sollten. Ach! wenn die Sorge für und um andere erst beginnen soll, wenn es für uns selbst nichts mehr zu besorgen gibt, dann werden jene anderen und wir mit ihnen darben müssen. „Wer sparsam säet, wird auch sparsam ernten, und wer segensreich säet, wird auch segensreich ernten.“ Diese zunächst auf äußere Dinge sich beziehende Belehrung dürfen wir gewiss auch in geistlichem Sinne auf uns anwenden. (Vergl. 2. Kor. 9, 6 -15).

Es gilt, eine „unverwelkliche Krone der Herrlichkeit“ zu verdienen. „Daher, meine geliebten Brüder, seid fest, unbeweglich, allezeit überströmend in dem Werke des Herrn, da ihr wisset, dass eure Mühe nicht vergeblich ist im Herrn“ (1. Kor. 15, 58). Die ernsten Ereignisse unserer Tage erinnern uns auch mit Macht daran, dass die Zeit der Gnade ihrem Abschluss entgegeneilt, und dass die frohe Botschaft von der Gnade Gottes nicht lange mehr verkündigt werden wird. Aber noch währt der Tag des Heils, die Zeit der Annehmung. Wir haben das seit Beginn des Krieges in vielen gesegneten Beispielen erfahren dürfen. So lasst uns denn auch in dieser Beziehung die gelegene Zeit auskaufen! „Es kommt die Nacht, da niemand wirken kann“ (Joh. 9, 4).

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Die Erwartungen der Gläubigen von Thessalonich

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 151ff

Paulus hatte in Philippi die Feindschaft der Juden erfahren und kam von da nach Thessalonich, wo gleiche Leiden seiner warteten. (Apstgsch. 17.) In der Synagoge dieser Stadt unterredete er sich an drei Sabbaten mit den Juden und belehrte sie nach den Schriften, dass der ihnen verheißene Messias sterben und aus den Toten auferstehen musste, und dass der Jesus, welchen er verkündigte, dieser Messias sei. Auch hatte er, wie wir aus dem Munde seiner Ankläger hören, von dem Messias als „dem König“ gesprochen und in Verbindung damit seinen Zuhörern wohl die von den Propheten vorausgesagten Wahrheiten „über die Leiden des Christus und die Herrlichkeiten danach“ den Schriften gemäß ausgelegt.

Diese Predigt des Apostels hatte eine große Wirkung: Etliche der Zuhörer glaubten, außerdem „von den anbetenden Griechen eine große Menge, und der vornehmsten Frauen nicht wenige“ (V. 4).

Der Geist Gottes hatte, wie wir das aus dem ersten Briefe Pauli an die Thessalonicher erfahren, mächtig in ihren Seelen gewirkt. „Das Evangelium war bei ihnen gewesen nicht im Worte allein, sondern auch in Kraft und im Heiligen Geiste und in großer Gewissheit« (Kap. 1, 5); es war von ihnen „nicht als Menschenwort aufgenommen worden, sondern, wie es wahrhaftig ist, als Gottes Wort, das auch in ihnen, den Glaubenden, wirkte“ (Kap. 2, 13). Ja, sie hatten es aufgenommen „mit Freude des Heiligen Geistes“, so dass sie später allen Gläubigen in Mazedonien und in Achaja zu Vorbildern wurden. (Kap. 1, 6. 7.) Das Werk Gottes brachte Früchte in ihnen hervor, welche die Echtheit ihrer Bekehrung bewiesen und auch dem Apostel die zweifellose Gewissheit gaben, sie Auserwählte Gottes waren. „Wissend, von Gott geliebte Brüder, eure Auserwählung“, konnte er sagen. (Kap. 1, 4.) Glaube, Liebe und Hoffnung, diese nach 1. Kor. 13 wichtigsten Grundsätze des christlichen Lebens, waren bei ihnen vorhanden, und dieses Leben äußerte sich in Werken, in Bemühungen und Ausharren. In der Gemeinde von Ephesus finden wir, als sie ihre erste Liebe verlassen hatte, auch noch Werke, Bemühungen und Ausharren (Offbg. 2,2); aber hier in Thessalonich zeigte sich in aller Frische das Werk des Glaubens, die Bemühung, hervorgebracht durch die Liebe, und das Ausharren, genährt durch die Hoffnung. (Kap. 1, 2. 3.) Paulus dankt in seinem Briefe Gott dafür, dass seine geliebten Thessalonicher eine solch gesegnete Stellung in Glaube, Liebe und Hoffnung einnahmen.

Das brachte sie seinem warmen Herzen noch näher. Schon als er ihnen das Evangelium brachte, hatte er ihnen ein Herz voll Liebe gezeigt. Wie rührend klingen seine Beteuerungen: „Wir sind in eurer Mitte zart gewesen, wie eine Amme ihre eigenen Kinder pflegt. Da wir ein sehnliches Verlangen nach euch haben, gefiel es uns wohl, euch nicht allein das Evangelium Gottes, sondern auch unser eigenes Leben mitzuteilen, weil ihr uns lieb geworden waret.“ Und weiter: „Ihr wisset, wie wir jeden Einzelnen von euch, wie ein Vater seine eigenen Kinder, euch ermahnt und getröstet und euch bezeugt haben, dass ihr wandeln solltet würdig des Gottes, der euch zu Seinem eigenen Reiche und Seiner eigenen Herrlichkeit beruft“ (Kap. 2, 7. 8. 11. 12).

Die Ergebnisse der Arbeit entsprachen denn auch der Treue und dem Fleiße des Arbeiters. An allen Orten war der Glaube der Thessalonicher ausgebreitet worden. Jedermann redete davon, „dass sie sich von den Götzenbildern zu Gott bekehrt hatten, dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und Seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten“ (Kap. 1, 9. 10). Diese Erwartung der Thessalonicher, das Erwarten des Sohnes Gottes aus den Himmeln, war ein wesentliches Kennzeichen ihrer Bekehrung. Sie waren durch den Tod Jesu nicht nur dem ewigen Gericht entronnen, sondern warteten jetzt, da Er von den Toten auferweckt und über alle Himmel erhöht war, sehnsuchtsvoll auf Seine persönliche Wiederkehr. Sie hofften nicht durch den Tod in die Herrlichkeit einzugehen. Jesus hatte ja, ehe Er ans Kreuz ging, Seinen Jüngern die Verheißung gegeben: „Wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, auf dass, wo ich bin, auch ihr seiet“ (Joh. 14, 3). Auch hatten die Jünger, als ihr Herr zum Himmel auffuhr, von zwei himmlischen Boten die Bestätigung der Verheißung empfangen: „Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden ist, wird also kommen, wie ihr Ihn habt hingehen sehen in den Himmel“ (Apstgsch. 1,11).

Auf dieses Kommen warteten die Gläubigen in Thessalonich und hofften es noch zu erleben. Sie waren ja belehrt worden, dass bei Seiner Wiederkunft die Wünsche ihrer glaubenden und liebenden Herzen erfüllt werden würden. Als aber die Tage und Wochen vergingen, ohne dass Er, auf den sie beständig harrten, zurückkam, als dann auch der Tod begann, den einen und anderen aus ihrer Mitte hinweg zunehmen, da erschraken sie und wurden bestürzt. Sie befürchteten, dass nur die bei der Ankunft des Herrn noch lebenden Gläubigen die volle Freude derselben genießen könnten, und dass die inzwischen entschlafenen Brüder jenen nachstehen würden.

Paulus hatte von ihrer Besorgnis Kunde erhalten und schreibt an sie, um ihre betrübten Herzen aufzurichten. Er benutzt diese Gelegenheit, um ihnen die ganze Wahrheit von dem Kommen des Herrn auseinanderzulegen, indem er in seiner Belehrung eine klare Scheidung zwischen dem Kommen Christi zur Aufnahme der Gläubigen und Seinem Kommen auf die Erde mit Seinen Heiligen macht. Es scheint, dass der Apostel bei seinem verhältnismäßig kurzen Aufenthalt in Thessalonich — er wurde ja schon bald durch die Feindschaft der Juden aus der Stadt vertrieben — nicht dazu gekommen war, sich betreffs der Einzelheiten der Wiederkunft des Herrn eingehend mit ihnen zu beschäftigen, so dass in der Belehrung eine gewisse Lücke geblieben war, die Paulus gern ausgefüllt hätte. Wenigstens schreibt er in seinem Briefe: „Nacht und Tag flehend, dass wir euer Angesicht sehen und vollenden mögen, was an eurem Glauben mangelt“ (Kap. 3, 10).

Paulus tadelt die Thessalonicher durchaus nicht, dass sie die Rückkehr des Herrn so schnell erwarteten; auch tröstet er sie nicht etwa damit, dass sie selbst auch wohl bald sterben und so den Vorausgegangenen nachfolgen würden. Nein, er sagt vielmehr: Betrübet euch nicht, wie die arme Welt sich betrübt, die beim Tode eines der Ihrigen keine Hoffnung hat. Ihr glaubt ja doch, dass Jesus gestorben und auferstanden ist. Wenn das aber der Fall ist, so wird Gott auch die durch Jesum Entschlafenen bei Seiner Wiederkunft mit Ihm bringen. Mit anderen Worten: Jesus und die Seinigen gehören unauslöslich zusammen. Ist Er auferweckt so werden auch sie auferstehen, und wenn Er wiederkommt, so werden sie bei Ihm sein. Lasst eure Sorge deshalb fahren. „Denn“, fährt der Apostel fort, „wir, die Lebenden, (— nicht ihr, Paulus schließt sich selbst in die Zahl derer ein, welche möglicherweise den Augenblick des Kommens des Herrn erleben konnten) die übrigbleiben bis zur Ankunft des Herrn, werden den Entschlafenen durchaus nicht zuvorkommen“ (Kap. 4, 15). Die Mitteilung, die er den gläubigen Thessalonichern zu machen im Begriff steht, ist so wunderbar, dass er sie mit der Versicherung einleitet: „Wir sagen euch im Worte des Herrn“. Die Lebenden würden also vor den Entschlafenen durchaus nichts voraushaben; denn wenn „der Herr herniederkommen wird vom Himmel“, dann „werden die Toten in Christo zuerst auferstehen“, danach werden „die Lebenden, die übrigbleiben“, verwandelt und „zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft“.

Welch tröstende Worte, welch glückselige Hoffnung für die Thessalonicher und für uns alle! Also alle Gläubigen, die in Christo Entschlafenen und die Lebenden, treffen gemeinsam mit dem Herrn in der Luft, zwischen Himmel und Erde, zusammen, und Lobgesänge und Triumphrufe werden die Räume des Himmels erfüllen, wenn unser vielgeliebter Herr uns in das Haus des Vaters einführen wird, und wir „also allezeit bei dem Herrn sein werden“.

Und sind wir einmal droben, so kommt — nach der Sprache des jüdischen Propheten — „der Sohn des Menschen“ zu „dem Alten an Tagen“, welcher Ihm „Herrschaft und Herrlichkeit und Königtum geben wird“ (Dan. 7); oder —- um mit Johannes in Offbg. 5 zu sprechen — dann erscheint der Löwe aus Juda, das geschlachtete Lamm, und „nimmt das Buch aus der Rechten Dessen, der auf dem Throne sitzt“, um seine sieben Siegel zu brechen und die in dem Buch enthaltenen Ratschlüsse und Wege Gottes auszuführen; und wir alle werden uns mit Ihm freuen, dass die Zeit Seiner öffentlichen Herrschaft ihren Anfang zu nehmen beginnt. Die Stunde Seiner Wiederkunft auf die Erde ist herangerückt, in welcher Er, mit den Engeln Seiner Macht, in flammendem Feuer vom Himmel herabkommen wird, um die gottlosen Menschen zu richten, zugleich aber auch in Seinen Heiligen verherrlicht zu werden und bewundert in allen denen, die geglaubt haben (2. Thess. 1, 10). Er wird kommen mit den Wolken des Himmels -nicht allein, wie Er den Entrückten in der Luft entgegenging, um sie in ihre ewigen Wohnungen zu führen, auch nicht mit Seinen Heiligen in ihrem Charakter als Kinder des Vaters —- sondern mit ihnen als „den Kriegsheeren, die in dem Himmel sind, angetan mit weißer, reiner Leinwand“ (Offbg. 19, 14). Er wird kommen an Seinem Tage, um das Gericht an denen zu vollziehen, welche die Erde verderben.

Die Thessalonicher erwarteten also den Sohn Gottes aus den Himmeln, waren aber nur so weit belehrt, dass sie wussten, wenn der Herr Jesus in diese Welt zurückkommen würde, dann würden sie an Seiner herrlichen Offenbarwerdung teilnehmen. Auch waren sie belehrt worden, sich jeden Augenblick für Seine Ankunft bereit zuhalten, bei welcher dann Er und sie zusammen vor der Welt verheimlicht werden würden. Wie aber diese Erscheinung und Verherrlichung stattfinden würde, das wussten sie noch nicht. Paulus belehrt sie nun in Seinem Briefe über das Kommen des Herrn für sie und über Sein Kommen mit ihnen, und zeigt ihnen, dass diese beiden Ereignisse nach Charakter und Zeit völlig verschieden voneinander sind. Er sagt ihnen „im Worte des Herrn“, dass die gestorbenen Gläubigen nach ihrer Auferweckung mit den übriggebliebenen Lebenden dem Herrn entgegengerückt werden würden in die Luft, und zwar vor Seiner Offenbarung vor der Welt, und dass dann später alle mit Ihm auf die Erde zurückkehren würden in Herrlichkeit. Bis zu dieser Rückkehr, ja, allezeit würden sie droben beim Herrn sein. Das war die Hauptsache, ihr besonderes herrliches Teil: für immer bei Christo zu sein. Sie sollten mit Ihm in den Himmeln wohnen und mit Ihm in Herrlichkeit erscheinen. Diese Erscheinung des Herrn würde für die Welt ein schonungsloses Gericht bedeuten, dem niemand entrinnen würde.

Die lebenden Gläubigen warteten also immer auf ihren Herrn. Es gab „Zeiten und Zeitpunkte“, aber es war nicht nötig, mit ihnen darüber zu reden. Sie wussten, dass „der Tag des Herrn“ kommen werde wie ein Dieb in der Nacht; aber das war nicht für sie. Sie waren ja „Söhne des Lichtes und Söhne des Tages“, sie waren „nicht von der Nacht, noch von der Finsternis“, sondern „von dem Tage“; sie hatten teil an der Herrlichkeit, welche erscheinen wird, um das Gericht über die ungläubige Welt auszuführen, gehörten gleichsam zu ihr. Die Welt aber wird von diesem „Tage“ mit seinen Schrecken plötzlich überfallen werden. Wenn die Menschen sagen werden: „Friede und Sicherheit!“, d. h. wenn sie in aller Sorglosigkeit an die Dauer ihres Glücks und an das Gelingen ihrer Pläne glauben, kommt das Verderben über sie, „gleichwie die Geburtswehen über die Schwangere, und sie werden nicht entfliehen“.

Vor den Schrecken dieses Tages werden die Gläubigen ebenso bewahrt bleiben, wie Henoch vor der Sintflut bewahrt wurde, während der jüdische Überrest die Leidenszeit durchmachen muss, jedoch in ähnlicher Weise wie Noah, der durch die Wasser hindurchging, ohne dass ihm ein Haar gekrümmt wurde. Henoch wurde vor der Flut an einen Ort in Sicherheit gebracht, wohin das Wasser nicht dringen konnte, von wo es vielmehr herunterfloss.

Es ist bemerkenswert, dass unser Herr, wenn Er von dem zukünftigen Lose der gläubigen, durch die Gerichte gehenden Juden spricht, z. B. in Matth. 24, Noah zum Vergleich heranzieht, während Paulus in seinen Briefen an die Thessalonicher seine Ausdrücke über diesen Gegenstand der Entrückung Henochs entlehnt (1. Thess. 4, 17; 2. Thess. 2, 1).

Bei den Thessalonichern scheint trotz der eingehenden Darstellung des Paulus in seinem 1.Briefe eine gewisse Unklarheit über diese Dinge zurückgeblieben zu sein. Dazu kam noch, dass die damaligen Christenverfolgungen schwere Leiden und Drangsale für die jungen Gläubigen mit sich brachten, durch welche, verbanden mit den listigen Bemühungen falscher Lehrer, Satan ihre Gesinnung zu erschüttern suchte. Sie fragten sich, ob nicht „der Tag des Herrn“ schon gekommen sei, und meinten, weil die Leiden so groß wurden, schon unter seinen Schrecken zu stehen.

Um auch diese neue Sorge zu zerstreuen, schrieb der Apostel seinen zweiten Brief. Er setzt ihnen darin auseinander, dass »der Tag des Herrn« die Wiederkunft des Sohnes Gottes zum Gericht sei, um die Gottlosen in gerechter Weise zu bestrafen, aber nicht etwa um den Seinigen Leiden zu bringen. Sie würden an jenem Tage vielmehr mit dem Apostel Ruhe haben. Da sie ja auch vorher zu Christo hin versammelt werden würden, könne dieser „Tag“ unmöglich da sein. Sie würden doch mit Ihm kommen. Außerdem sei der Gesetzlose, der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens, der an diesem „Tage“ gerichtet werden solle, noch nicht offenbar geworden, so das; das Gericht noch gar nicht ausgeübt werden könne. Nur die, welche Gott nicht kennen und dem Evangelium Gottes nicht gehorchen, würden an diesem „Tage“ Strafe erleiden, ewiges Verderben vom Angesicht des Herrn und der Herrlichkeit Seiner Stärke; sie aber würden zu der Zeit Mitgenossen des Herrn Jesus sein (Kap. 1 und 2).

Und nachdem der Apostel seine Belehrungen an die in ihrer Erwartung beunruhigten Thessalonicher beendet und sie betreffs ihrer Befürchtung, dass der „Tag“ schon da sei, aufgeklärt hat, schließt er mit dem Zuruf: „Der Herr aber richte eure Herzen zu der Liebe Gottes und zudem Ausharren des Christus!“ (Kap. 3, 5).

Christus selbst wartet - köstlicher Gedanke! Mit Ihm sollen auch wir warten bis zu dem Augenblick, wo Sein Herz und unsere Herzen bei Seinem Kommen sich zusammen freuen werden. Der Herr Jesus, der in 1. Tim· 1, 1 ausdrücklich unsere „Hoffnung“ genannt wird, wird selbst kommen. Wir warten auf Jesum, nicht auf eine Krone, nicht auf die Herrlichkeit, nicht auf das Reich — sondern auf Ihn selbst. Diese glückselige Hoffnung ist unabhängig von allen prophetischen und anderen Ereignissen; wir können Ihn heute, in der nächsten Stunde, erwarten.

Nichts hilft uns mehr zu einem Wandel nach des Herrn Willen inmitten der sichtbaren Dinge, die uns umgeben, als ein beständiges Warten auf Ihn. Nichts nimmt der Welt, die Ihn, den unsere Seele liebt, verworfen hat und noch verwirft, mehr das Anziehende, als gerade diese Erwartung. Ein treugesinnter Diener, dem sein Herr nicht den genauen Tag seiner Rückkehr von der Reise mitgeteilt hat, wird sich von seinem plötzlich zurückkommenden Herrn nicht dabei überraschen lassen, seinem eigenen Vergnügen nachgegangen zu sein, sondern wird sich sagen: „Ich will gewissenhaft nach allem sehen, was meines Herrn ist, bis der Augenblick seiner Rückkehr kommt“. Auch eine Frau, die ihren für eine unbestimmte Zeit in der Ferne weilenden Mann liebt, wird in dem Sehnen nach ihm jeden Tag sich fragen, wenn sie die eine oder andere Anordnung im Hause trifft: „Wird er dies gern haben, wird er über das sich freuen, wenn er wiederkommt?“ Und es trifft sicherlich bei diesem Diener und dieser Frau zu, dass sie, je mehr sie danach streben, alles im Sinne ihres abwesenden Herrn oder Mannes zu tun, um so sehnlicher auf sein Kommen warten, um so inniger wünschen, ihn bald zu sehen.

Es ist schade, dass dieses Warten so viel an Frische und Wirklichkeit bei uns eingebüßt hat, das; wir das Kommen des Herrn vielfach nur als eine Lehre festhalten, - anstatt ihr einen bildenden, lebendigen Einfluss auf unser ganzes Leben zu gestatten· Ohne Frage würde weniger Weltförmigkeit und Irdischgesinntheit in Herz und Wandel zu finden sein, wenn wir uns herzlicher nach dem Augenblick sehnten, wo wir dem Herrn entgegeneilen werden, um allezeit bei Ihm zu sein. Diese Hoffnung redet so besonders zu unseren Herzen. Der Gedanke an Sein Kommen macht uns umso größere Freude, je mehr wir Ihn vermissen, mit anderen Worten, je mehr wir Ihn lieben und infolge dessen im Herzen eine Leere empfinden, die nur durch Seine persönliche Gegenwart ausgefüllt werden kann. Auch liegt in der „glückseligen Hoffnung“ noch der Trost, den die Thessalonicher in Betreff ihrer entschlafenen Lieben darin fanden. Ist es nicht außerdem für uns alle eine freudige Erwartung, verwandelt und überkleidet (statt entkleidet) zu werden, wie Henoch, welcher „entrückt ward, damit er den Tod nicht sehen sollte“? (Hebr. 11, 5; 2. Kor. 5, 2. 3).

Wir werden indes im Wort nicht nur aufgefordert, das Kommen des Herrn für uns, sondern auch Sein Kommen mit uns, d. h. Seine Erscheinung zu erwarten. Paulus fasst in seinem Briefe an Titus beides zusammen, wenn er sagt: „Erwartend die glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus“ (Tit. 2, 13), und er spricht in 2. Tim. 4, 8 von solchen, „die Seine Erscheinung lieb haben“. Ihnen wird an jenem Tage die Krone der Gerechtigkeit von Seiten des Herrn, des gerechten Richters, gegeben werden. Hier, wie an vielen anderen Stellen, wird die Erscheinung des Herrn mit unserem Verhalten und unserer Treue im Wandel in Verbindung gebracht. Während wir als die „Braut des Lammes“ auf die Ankunft des geliebten „Bräutigams“, als „Kinder Gottes“ auf die Einführung ins „Vaterhaus“, mit einem Wort auf das Kommen des Herrn für uns, warten, blicken wir als Seine Knechte und Mägde wartend auf Seine Erscheinung. Das erstere ist gänzlich Gnade, die letztere steht in Verbindung mit unserer Verantwortlichkeit. In dem einen Falle bin ich unmittelbar mit Ihm als dem glänzenden Morgenstern beschäftigt, der vor dem Aufgehen der „Sonne der Gerechtigkeit“ erscheint, in dem anderen Falle mit der Herrlichkeit, die mit dem Reiche verbunden ist, mit Ihm, der gesagt hat: „Ich komme bald und mein Lohn mit mir“ (Offbg. 22, 12).

An diesem Tage der Erscheinung, von welchem schon die Propheten des Alten Testamentes so viel geredet haben, wird „der Christus, unser Leben, geoffenbart, und wir werden mit Ihm geoffenbart werden in Herrlichkeit“ (Kol. 3, 4). Immer wieder richtet das Wort unseren Blick auf diesen Tag, um uns zu einem heiligen Wandel anzuspornen (vergl. z. B. 1. Thess. 3, 12. 13; 5, 23), um uns zur Treue im Dienst und Bekenntnis zu ermuntern (1. Tim. 6, 13. 14), um uns in Zeiten der Trübsal zur Geduld zu mahnen (Jak. 5, 7), um (wie wir es bei Paulus finden) unsere Liebe zu den Seinen zu erwärmen, und nicht zum Geringsten, um uns an die Belohnung zu erinnern. die wir von unserem Herrn und Heiland empfangen werden. (1. Thess. 2, 19. 20; 2. Tim. 1, 12. 18; 4, 8; 1. Joh. 2, 28; 2. Joh. 8 u. a. St.).

So verbindet sich ein großer Ernst mit unserer Erwartung der Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus. Aber ein aufrichtiges Herz kann dennoch erwartungsvoll auf jenen Tag blicken. Ja, es liebt „Seine Erscheinung“. Der treue Gläubige ist jetzt schon in seinem Gewissen vor Gott offenbar und verlangt nach dem vollen Licht der Gegenwart seines Herrn. Er blickt „jenem Tage“ mit Vertrauen entgegen, weil er weiß, dass ein „gerechter“ Richter auf dem Throne sitzen wird. Auch freut er sich im Voraus darauf, dass Er, dessen Haupt einst mit Dornen umflochten war, dann mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt sein wird, indem Engel und Fürstentümer und Gewalten Ihm unterworfen sind; er freut sich, dass der von den Menschen Verspottete und Gehasste dann auch auf dieser Erde den Ihm gebührenden Platz haben, dass jedes Knie sich vor Ihm beugen und jede Zunge bekennen wird, dass Er Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters.

Und wie wir schon weiter oben sagten, dieser Herr wartet auf uns, und wir warten auf Ihn. Dreimal ruft Er uns am Schlusse Seines Wortes, in dem letzten Kapitel der Offenbarung, zu: Ich komme bald!

„Siehe, ich komme bald! Glückselig, der da bewahrt die Worte der Weissagung dieses Buches!“ (V. 7). Glückselig find alle, die in der Zeit des Wartens auf Ihn Seine Weissagung bewahren, wach und gehorsam sind.

„Siehe, ich komme bald, und mein Lohn mit mir, um einem jeden zu vergelten, wie sein Werk sein wird“ (V. 12). Dieser Ruf erschallt aus dem Munde Dessen, der alle Dinge ins Dasein gerufen hat, der sich „das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende“ nennt (V. 13). Feierlich ernst dringt diese Ankündigung in unser Ohr. Sie erinnert uns an unsere Verantwortlichkeit in der Wartezeit und mahnt uns, tätig und in guten Werken eifrig zu sein. „Glückselig, die ihre Kleider waschen, auf dass sie ein Recht haben an dem Baume des Lebens und durch die Tore in die Stadt eingehen!“ (V. 14). Gerechtfertigt und kraft des Werkes Christi für Gott abgesondert, „waschen wir unsere Kleider“, d. h. wir bemühen uns, unser Verhalten als Heilige mit unserer Stellung und unserem Bekenntnis in Einklang zu bringen; und unser Lohn ist der Baum des Lebens: Christus selbst, mit dem wir auf dieser Erde verbunden waren, und unser Teil ist die Stadt, deren Tore weit für uns geöffnet sind. Ja, wir lieben Seine Erscheinung. Aber noch erwartungsvoller schauen wir nach dem Augenblick aus, wo wir Ihm entgegeneilen dürfen in die Luft, um Ihn zum ersten male so zu sehen, wie Er ist. Er erwidert unser Sehnen nicht nur, sondern das, was in uns nur schwach und unvollkommen ist, ist in Ihm stark und vollkommen, und in diesem Sehnen teilt Er uns zum dritten Male Seine baldige Ankunft mit (V. 20).

Dieses Mal fügt Er Seiner Ankündigung weder die Mahnung hinzu, die Worte der Weissagung zu bewahren, noch spricht Er von Seinem Kommen als Richter oder als Belohner. Er stellt sich Seinen teuer Erkauften als die Wurzel und das Geschlecht Davids, als der glänzende Morgenstern vor, d. i. als der Erfüller aller Verheißungen Gottes, sowohl im Blick auf Israel, als auch auf Sein Volk in der Gegenwart, die himmlische Braut.

Beim Hören dieser herrlichen und kostbaren Titel rufen der Geist und die Braut in Sehnsucht: Komm!, und wenn unser hochgelobter Herr, diese Bitte beantwortend, sagt: „Ja, ich komme bald!“, so erwidern sie sogleich: Amen, komm, Herr Jesu!

Ja, „noch über ein gar Kleines, und der Kommende wird kommen“; unser teurer Herr wird nicht verziehen. Bald, bald werden wir Ihm entgegengerückt werden, und dann „allezeit bei dem Herrn sein“. So durften es die Thessalonicher, die den Sohn Gottes aus den Himmeln erwarteten, zu ihrem Trost und zu ihrer Freude vernehmen, und dann fügt der Apostel für jeden Leser des Briefes die Mahnung hinzu, auf welche auch wir achten mögen:

„So ermuntert nun einander mit diesen Worten!“

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Der Name Gottes in 2. Mose 6 und 34

Bibelstelle: 2.Mose 6 und 34

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 167ff

Der Herr tut in 2. Mose 6 dem Volke Israel Seinen Namen kund: „Ich bin Jehova“. Dieser Name entsprach dem damaligen Zustande Israels. Das Volk seufzte in der Knechtschaft Ägyptens. Treiber und Aufseher bedrückten es auf das härteste. Und nun erscheint der Herr und gibt sich ihnen zu erkennen als der ewig treue, unveränderliche Gott, als der Gnädige und Starke, in Eigenschaften also, die der Lage entsprachen, in welcher Israel sich damals befand. Gott sagt Seinem Volke, dass Er an sie gedacht und ihr Wehklagen gehört habe, dass der Bund, den Er mit ihren Vätern aufgerichtet, nicht vor Ihm vergessen sei, und dass Er im Begriff stehe, zu ihrer Befreiung einzuschreiten. Sie waren bedrückt und geknechtet, und Er war ein Befreier. Darin lag alles. Eines solchen Gottes bedurften sie- Sein Name enthielt die Eigenschaften, welche ihre trostlosen Umstände in Ihm zu finden nötig hatten.

In 2. Mose 34 tut Er Seinen Namen abermals kund. Aber hier ist es ein ganz anderer Name, ein Name, der nichts mit starken und mächtigen Feinden zu tun hat, sondern für ein ungehorsames, aufrührerisches Volk passt, ein Name, nicht von befreiender Kraft, sondern voll vergebender Gnade. Ein neuer Name, wie der diesmalige Zustand Israels ihn erforderte. Das Volk hatte sich jetzt selbst in Trübsal gebracht, und es bedurfte der Vergebung. Als Ägypten es in Trübsal gebracht hatte, machten seine Verhältnisse einen Befreier und eine starke Hand nötig. In 2. Mose 34 bedurften sie eines Gottes, der „barmherzig und gnädig ist, langsam zum Zorn und groß an Güte und Wahrheit, der Güte bewahrt auf Tausende hin, der Ungerechtigkeit, Übertretung und Sünde vergibt“. Jedoch in Verbindung mit der Güte und Vergebung von Seiten Jehovas erfahren sie, dass Gott sie selbst bis ins dritte oder vierte Glied zurechtweisen oder züchtigen werde.

Wie wunderbar sind diese beiden Offenbarungen des Namens Gottes! Welch ein köstliches Zeugnis legen sie ab von der Tatsache, dass Er, wenn wir Ihn nur anrufen, mit uns handeln will, gerade so wie das jeweilige Bedürfnis unserer Seele es erfordert! Wenn andere gegen uns sind, so will Er erscheinen zu unserer Befreiung. Haben wir selbst Fehler begangen, so will Er uns zwar zurechtweisen, aber auch uns vergeben.

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Nahe ist Jehova allen, die Ihn anrufen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 168ff

Wie oft hab ich es erfahren

seit vielen, vielen Jahren,

dass Gott mir nahe ist!

Drum will ich fröhlich singen

und Lob und Dank Ihm bringen,

der nie der Sein schwaches Kind vergisst.

Ja, Seiner Gnaden Fülle

Macht mich getrost und stille,

gibt stets mir frohen Mut.

Geh ich dann auch durch Leiden,

bekenn ich doch mit Freuden:

Mein Gott macht alles gut!

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Das Vaterunser

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 169ff

Das Gebet, welches der Herr Seine Jünger lehrte und das nach dem Anfang seines Wortlauts gewöhnlich „Vaterunser“ (Pater noster) genannt wird, finden wir an zwei Stellen des Neuen Testaments, in Matth. 6, 9 - 13 und Luk. 11, 2 -— 4 (an der letzten Stelle allerdings nur fünf Bitten).

In Matth. 6 bildet es einen Teil der sogenannten Bergpredigt, in welcher sich der Herr an Seine jüdischen Jünger wendet, um sie aus ihrem bisherigen Fühlen und Denken in die Grundsätze des Reiches der Himmel, das Er aufzurichten gekommen war, einzuführen. Nach verschiedenen vorhergegangenen Belehrungen warnt Er die Jünger davor, zu beten „wie die Heiden, welche um ihres vielen Redens willen erhört zu werden meinen“, und fügt dann hinzu: „Betet ihr nun also:

Unser Vater, der du bist in den Himmeln, geheiligt werde dein Name; dein Reich komme; dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden. Unser nötiges Brot gib uns heute; und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir unseren Schuldnern vergeben, und führe uns nicht in Versuchung, sondern errette uns von dem Bösen“ (Matth. 6, 9 — 13).

In Lukas 11 wird das Gebet in anderer Weise eingeführt. „Einer Seiner Jünger sprach zu Ihm: Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrte. Er sprach aber zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprechet:

Vater, geheiligt werde dein Name; dein Reich komme; unser nötiges Brot gib uns täglich; und vergib uns unsere Sünden, denn auch wir selbst vergeben jedem, der uns schuldig ist; und führe uns nicht in Versuchung“ (Luk. 11, 1 - 4).

Dieses Gebet ist nicht, wie man gemeinhin annimmt, für das ganze Menschengeschlecht ohne Unterschied bestimmt. Das geht schon daraus hervor, dass nach Matthäus der Herr Seine Belehrungen nicht an die ganze Volksmenge richtete, sondern nur an den kleinen Kreis Seiner Jünger (Kap. 5, 1), und dass nach Lukas einer Seiner Jünger Ihn bat: „Lehre uns beten“. Es drückt auch nicht den Zustand, die Bedürfnisse oder Gefühle eines jeden Menschen aus, der ein gewisses Verlangen nach Gott oder Furcht vor dem kommenden Gericht hat. Der Zöllner, der im Bewusstsein seiner Schuld und seiner Unwürdigkeit zu Gott nahte, wagte nicht die Augen aufzuschlagen, geschweige denn zu sagen: „Vater“, oder: „Unser Vater, der du bist in den Himmeln“.

Der Umstand, dass der Herr nicht unmittelbar zu der Volksmenge, sondern zu Seinen Jüngern redete, wird vielfach übersehen; ebenso die Tatsache, dass Er diese gerade vorher ermahnt hatte, in das einsame, verschlossene Kämmerlein zu gehen, wenn sie beten wollten. Beides beweist, dass das Gebet nicht etwa der Ausdruck einer gemeinsamen Anbetung sein soll, sondern vielmehr die passende Sprache eines seine Bedürfnisse vor Gott bringenden Jüngers. Von „Anbetung“ ist überhaupt an dieser Stelle keine Rede, denn die sogenannte Doxologie: „Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit! Amen“, ist ein späterer, wenn auch sehr alter Zusatz, der nicht einmal in den Zusammenhang passt.

Die Jüngere bildeten eine Klasse von Personen, welche (Judas ausgenommen) Jesum in Wahrheit als den von Gott gesandten Messias aufgenommen hatten. Er hatte sie auserwählt und als Seine Zeugen um sich versammelt. Zwar konnten die Jünger das Versöhnungswerk noch nicht, aber sie besaßen einen lebendigen Glauben an den Herrn Jesus und waren dadurch in persönliche Beziehung zu dem Vater gebracht. In einem Sinne standen sie auf demselben Boden wie die alttestamentlichen Heiligen: sie wurden wie jene, kraft eines noch nicht vollbrachten, aber sichern Versöhnungswerkes, von Gott mit Nachsicht getragen, und waren in Seinen Gedanken, weil Er auf dieses Wert blickte, errettet. Außerdem aber besaßen sie das Vorrecht, den Sohn Gottes selbst in ihrer Mitte zu haben. Sie schauten und hörten etwas, was viele Propheten und Gerechte vergeblich zu sehen und zu hören begehrt hatten. (Vergl. Matth. 13, 17).

Gerade hatte der Messias ihnen in einer wunderbaren Auseinandersetzung die Grundsätze des Reiches vorgelegt und dabei voll Mitgefühl ihrer persönlichen Umstände, ihrer Lage und ihrer Bedürfnisse gedacht. Sie waren treue, gläubige Juden, die noch unter dem Gesetz standen, denen aber das Reich der Himmel als nahe angekündigt war, und die infolge dessen die baldige Aufrichtung dieses Reiches auf Erden erwarteten. Dieser Stellung trugen die Belehrungen des Herrn Rechnung. Auf sie bezog sich auch das Gebet, das Er ihnen gab. Noch hatte Er nicht als der gen Himmel Gefahrene die Verheißung des Vaters empfangen, um sie Seinen Jüngern zu geben. Sie besaßen den Heiligen Geist noch nicht. „Er war noch nicht da (d. h. noch nicht ausgegossen), weil Jesus noch nicht verherrlicht worden war“ (Joh. 7, 39). Dennoch standen diese Jünger, wie gesagt, in Verbindung mit Gott als ihrem Vater. Die Heiligung Seines Namens und die Ankunft Seines Reiches sollte deshalb vor allen Dingen ihre Gedanken beschäftigen· Zugleich waren sie hinsichtlich des täglichen Brotes von Ihm abhängig. Sie bedurften der Vergebung und der Bewahrung vor der Versuchung.

Mit einem Worte, es waren Juden, die Jesu als dem Messias nachfolgten, gläubige Juden, für welche Tod und Auferstehung noch nicht stattgefunden hatten, die von der in den Ratschlüssen Gottes verborgenen Versammlung oder Gemeinde, und von dem Herniederkommen des Heiligen Geistes noch nichts wussten. Zu diesen gläubigen Juden sagte Jesus: „Betet ihr nun also“.

Geheiligt werde dein Name.

Der Name bedeutet die Person selbst, „Jehova der Heerscharen, den sollt ihr heiligen“ (Jes. 8, 13). Die gläubigen Juden hatten wohl Anlass zu dieser Bitte; musste doch schon seit langer Zeit Jehova den schweren Vorwurf an Sein Volk richten: „Eurethalben wird der Name Jehova gelästert unter den Nationen“. (Röm. 2, 24; Hes. 36, 20 — 23). Gott wollte Seine Heiligkeit erweisen durch Gerichte, verbunden mit Befreiungen: „Jehova der Heerscharen wird im Gericht erhaben sein, und Gott, der Heilige, sich heilig erweisen in Gerechtigkeit“ (Jes. 5, 16). – „Als einen lieblichen Geruch werde ich euch wohlgefällig annehmen, wenn ich euch aus den Völkern herausführe und euch aus den Ländern sammle, in welche ihr zerstreut worden seid, und ich mich vor den Augen der Nationen an euch heilige“ (Hes. 20, 41).

An die Heiligung des Namens Jehovas knüpfen sich die großen Verheißungen, deren Erfüllung das Herz des treuen Jsraeliten ersehnte, und wir lesen in Hesekiel 36, dass die in diesem Kapitel angekündigten Segnungen, darunter auch die Heiligung des Namens Jehovas, ein Gegenstand des Gebets der Kinder Abrahams sein werden: „Auch um dieses werde ich mich vom Hause Israel erbitten lassen, dass ich es ihnen tue“ (V. 37).

Beachten wir indes, dass Gott hier als „Vater“ gekannt ist und als solcher angerufen wird.

Dein Reich komme. ·

Die Ausrichtung des Reiches, des Reiches für Israel unter der Herrschaft Jesu, sitzend auf dem Throne Davids zu Jerusalem, war vielfach von den Propheten angekündigt worden. Er, der König selbst, sandte die Zwölfe zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel, um zu predigen und zu sprechen: „Das Reich der Himmel ist nahe gekommen“ (Matth. 10, 5 — 7). Wir verstehen es sehr wohl, wenn der gläubige Israelit eine Zeit herbeisehnte und im Gebet erflehte, in welcher sein Volk zum Mittelpunkt der Macht und Segnung für die ganze Erde werden, und für Jehova ein Königreich von Priestern und eine heilige Nation sein würde. Und mit welcher Inbrunst wird gerade diese Bitte dereinst aus dem Herzen des treuen jüdischen „Überrestes“ emporsteigen! In immer flehentlicherem Rufen wird er am Ende der Tage vor Jehova hintreten, „bis Er kommt, welchem das Recht gehört“ (Hesekiel 21, 32). — Wir rufen heute: „Herr Jesu, komm!“ Die Erwartung der Braut Christi ist nicht das Reich, sondern der Himmel, das Vaterhaus.

Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden.

Wieder möchten wir Gottes Antwort auf dieses Gebet in den Prophezeiungen suchen. Ein himmlisches Volk hat, wenngleich es die Erfüllung dieser Bitte gewiss herbeisehnt, doch andere, ihm näher liegende Wünsche und Interessen, die mit dem zur Rechten Gottes erhöhten und verherrlichten Menschensohne in Verbindung stehen „Fremdlinge und Pilgrime“ hienieden, finden wir unsere Ruhe und Freude in den himmlischen Dingen und Segnungen und erwarten die Vereinigung mit Jesu droben: Ihm gleichgestaltet zu werden und Ihn zu sehen, wie Er ist.

Eine herrliche Beantwortung der dritten Bitte wird kommen, wenn Jehova mit Seinem Volke einen neuen Bund gemacht hat und sagen kann: „Indem ich meine Gesetze in ihre Herzen gebe, werde ich sie auch auf ihre Sinne schreiben“; und: „Ich werde ihr Gott, und sie werden mein Volk sein“ (Hebr. 10, 16; Jer. 31, 33); wenn die Zeit anbricht, wo „Er Seinen Geist in ihr Inneres geben und machen wird, dass sie in Seinen Satzungen wandeln und Seine Rechte bewahren und tun“ (Hesek. 36, 27); wenn „Er sie belehren wird aus Seinen Wegen, und sie wandeln wollen auf Seinen Pfaden“ (Micha 4, 2). Dann wird die ganze Erde voll sein der Erkenntnis Jehovas, und Gottes Wille wird geschehen, wie im Himmel also auch auf Erden. Das ist wohl der Sinn dieser Bitte. Wenn es auch heute schon jedem Gläubigen persönlich am Herzen liegen wird, Gott zu gehorchen und alles zu tun, was er Ihm schuldet, nach dem Worte des Psalmisten: „Lehre mich tun dein Wohlgefallen! denn du bist mein Gott“ (Ps. 143, 10), so dürfen wir doch die Erhörung der Bitte erst erwarten im Tausendjährigen Reiche und voll und ganz wohl erst in dem ewigen Zustande, wenn die Gerechtigkeit in der neuen Schöpfung „wohnen“ wird.

Unser nötiges Brot gib uns heute.

Während in den bisherigen drei Bitten die Wünsche des Beters hinsichtlich des Namens, des Reiches und des Willens Gottes zum Ausdruck gebracht wurden, sind die jetzt folgenden vier dem Zustande des Menschen, als dem bedürftigen, von der Gnade Gottes abhängigen Geschöpf, angepasst, zunächst gemäß seinen leiblichen, und dann nach seinen seelischen Bedürfnissen.

Das Brot, und zwar „das nötige Brot“, „das Brot für den Tag, für heute“, sollten die Jünger von ihrem Vater, der in den Himmeln ist, erbitten. In demselben Kapitel werden die Jünger ermahnt, ohne Sorgen zu sein und nicht zu fragen: Was sollen wir essen? oder was sollen wir trinken? oder was sollen wir anziehen? „Denn“, sagt der Herr, „nach allem diesem trachten die Nationen; denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr dies alles bedürfet“ (V. 32).

Die Jünger lernen also von ihrem Meister, den Vater um Brot zu bitten, nur um Brot, nur um das für den Tag nötige Brot. Sie werden belehrt, sich in ihren Wünschen zu mäßigen, in der Abhängigkeit von Gott zu leben und Ihm auch hinsichtlich ihrer täglichen Nahrung zu vertrauen. Wir werden dabei erinnert an das Gebet Agurs: „Armut und Reichtum gib mir nicht, speise mich mit dem mir beschiedenen Brote, damit ich nicht satt werde und dich verleugne und spreche: Wer ist Jehova? und damit ich nicht verarme und stehle und mich vergreife an dem Namen meines Gottes“ (Spr. 30, 8. 9). Auch erinnert diese Bitte an das Gelübde, das Jakob einst in seinem Traume beim Anblick der Himmelsleiter tat: „Wenn Gott mit mir ist . . . und mir Brot zu essen gibt und Kleider anzuziehen . . .“ (1. Mose 28); auch an das Manna, welches die Israeliten in der Wüste Morgen für Morgen neu sammeln mussten (2. Mose 16). Der Gott ihrer Väter war auch der Gott der Jünger, war immer noch Derjenige, der „Brot hervorbringt aus der Erde“ (Psalm 104, 14), der „Brot gibt den Hungrigen“ (Ps. 146, 7), der „dem in Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit Wandelnden Brot darreicht und sein Wasser nie versiegen lässt“ (Jes. 33,15.16).

Auch dieser Bitte um das nötige Brot kommt eine prophetische Anwendung zu, da nach Offbg. 12, 6 u. 14 in den Zeiten der großen Drangsal der Überrest aus Israel wieder „in der Wüste ernährt“ werden wird. Zur Zeit der Herrschaft des Antichrist, wenn niemand kaufen oder verkaufen kann, als nur wer „das Malzeichen des Tieres“ hat, seinen Namen oder die Zahl seines Namens (Offbg. 13, 16. 17), werden die treuen Zeugen des Endes jedenfalls ihr Auge mehr als je zuvor nach oben richten und um das tägliche Brot zu Gott schreien. Ein wenig erfahren wir schon in der gegenwärtigen schweren Zeit von der buchstäblichen Bedeutung dieser Bitte, aber welch eine feierliche Wirklichkeit wird sie einst in dem Munde der treuen Juden haben!

Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir unseren Srhuldnern vergeben.

Es handelt sich hier um Schulden gegen Gott, um Sünden und Übertretungen des heiligen Gesetzes des Herrn. Gott allein konnte diese Schulden vergeben, und zwar im Blick auf die vollkommene Erlösung, welche der Sohn des Menschen am Kreuz ausführen sollte. Bevor Jesus geboren war, hatte der Engel des Herrn zu Joseph gesagt: „Du sollst Seinen Namen Jesus nennen, denn Er wird Sein Voll erretten von ihren Sünden“ (Matth. 1, 21); und Er. selbst sprach: „Der Sohn des Menschen ist gekommen, um Sein Leben zu geben als Lösegeld für viele“ (Vergl. Matth. 20, 28). Aber beachten wir wohl, dass hier nicht Sünder aufgefordert werden, um Vergebung zu bitten, sondern Gläubige, Jünger des Herrn, wiedergeborene Menschen, die zwar die volle Vergebung der Sünden noch nicht kannten, aber um des Wortes willen, das der Herr zu ihnen geredet hatte, für „rein“ erklärt werden konnten (Joh. 15, 3). Sie vermochten mit Vertrauen dieses Gebet zu Dem emporsteigen zu lassen, welchen der Messias ihnen als „den Vater in den Himmeln« geoffenbart hatte. Gemäß der Vergebung, welche sie für sich erbaten, sollten sie aber auch willig sein, ihrerseits die Schulden ihrer Schuldner zu vergeben, entsprechend dem Worte des Herrn: „Wenn ihr im Gebet da stehet, so vergebet, wenn ihr etwas wider jemand habt, auf dass auch euer Vater, der in den Himmeln ist, euch eure Übertretungen vergebe“ (Mark. 11, 25). Geradeso fügt der Herr hier hinzu: „Denn wenn ihr den Menschen ihre Vergehungen vergebet, so wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben; wenn ihr aber den Menschen ihre Vergehungen nicht vergebet, so wird euer Vater auch eure Vergehungen nicht vergeben“. Wenn wir hart und unversöhnlich sind, kann auch unser Vater im Himmel uns unsere Verfehlungen nicht vergeben. Eine ernste, aber oft vergessene Wahrheit!

Und wenn wir nun wiederum an die prophetische Bedeutung der Bitte denken, weIch eine Freude, welch ein Jubel wird einmal aus den Hügeln und in den Tälern des Landes Emmanuels ausbrechen, wenn die Verheißungen des Gottes Abrahams erfüllt sein und Seine Boten die Friedensworte aussprechen werden: „Redet zum Herzen Jerusalems und rufet ihr zu, dass ihre Mühsal vollendet, dass ihre Schuld abgetragen ist“ (Jes. 40, 2), und wenn die gläubigen Israeliten als Gegenstände der Gnade gelernt haben werden, Gnade gegen ihre Nächsten zu üben, gegen die Nationen sowohl, als auch gegen ihre Brüder nach dem Fleische. Führe uns nicht in Versuchung.

Versuchung hat hier nicht den Sinn eines Antriebs zum Bösen, zur Sünde. Jakobus sagt in dem 1. Kapitel seines Briefes ausdrücklich: „Niemand sage, wenn er versucht wird: Ich werde von Gott versucht; denn Gott kann nicht versucht werden vom Bösen, und selbst versucht Er niemand“. Und gleich nachher spricht er von der Herkunft der Sünde: sie wird aus der Lust geboren, und, wenn sie vollendet ist, so gebiert sie den Tod. Versuchungen können in der Tat von zwei Seiten an uns herantreten. Sie rühren von Gott her, wenn das Herz oder der Glaube auf die Probe gestellt wird: „Gott versuchte Abraham“ (1.Mose 22, 1); sie kommen vom Feinde oder aus unserer alten bösen Natur, wenn das Fleisch durch sie angezogen und gelockt wird. So war es bei Lot, als „er seine Augen aufhob und die ganze Ebene des Jordan sah“ (1. Mose 13, 10).

Kümmernisse, Leiden, Drangsale, Verfolgungen und dergleichen können unter Gottes Zulassung zu ernsten Versuchungen für die Jünger Jesu werden, und in dem Bewusstsein ihrer leiblichen Schwachheit und ihrer geringen geistlichen Kraft sollten sie das Bedürfnis fühlen, ihren Vater in den Himmeln zu bitten, doch nicht zu schwere Prüfungen über sie kommen zu lassen. Im Blick auf die Tatsache, dass ihr Glaube schwach war und dass sie so leicht in Sünde fallen konnten, sollten sie demütig bitten, doch nicht gesichtet zu werden.

Wie oft wird auch gerade diese Bitte von dem treuen Überrest am Ende in den Mund genommen werden, „in der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu versuchen, welche auf der Erde wohnen“ (Offbg. 3, 10); in der Zeit, wann „eine große Drangsal sein wird, dergleichen von Anfang der Welt bis jetzthin nicht gewesen ist, noch je sein wird“, wann „falsche Christi und falsche Propheten aufstehen und große Zeichen und Wunder tun werden, umso, wenn möglich, auch die Auserwählten zu verführen“ (Matth. 24, 21. 24).

Errette uns von dem Bösen.

Es lässt sich nach dem griechischen Text nicht feststellen, ob hier das Böse (das Übel) gemeint ist, oder der Böse, wie Satan in Matth. 13, 19 und 38 genannt wird. (Vergl. 1. Joh. 2, 13, 14; 5, 18). Beides war für die Jünger von großer Wichtigkeit. Noch unter dem Gesetz stehend, welches keine Kraft gibt, um das Böse zu überwinden, bedurften sie in besonderer Weise, von oben bewahrt und gekräftigt zu werden. Zugleich aber konnten sie nur dringend wünschen, von dem Bösen, dem Satan, dem Fürsten dieser Welt, errettet zu werden. Und gerade dieses letztere Flehen wird am Ende beim Überrest wohl viel gehört werden.

Wenn wir nun alle sieben Bitten zusammenfassen, so brauchen wir nicht zu sagen, dass das Gebet in allen seinen Teilen göttlich vollkommen, in seiner Schlichtheit und Fülle unvergleichlich schön ist. Es drückt, wie jemand gesagt hat, tägliche Abhängigkeit aus, das Bedürfnis nach Vergebung, das Gefühl der Notwendigkeit einer Bewährung vor der Macht des Feindes, den Wunsch, nicht wie Hiob und Petrus vom Feinde gesichtet zu werden, das Rasen um Rettung von dem Bösen; vor allen Dingen verbunden mit dem Wunsche, dass des Vaters Wille auf Erden geschehe wie im Himmel, dass Sein Reich komme und Sein Name geheiligt werde. Es ist ein Gebet, das eine lebendige Verbindung mit dem heiligen und gnädigen Gott voraussetzt und daher für Unbekehrte durchaus nicht passt.

Der Herr begegnet, wie wir bereits sagten, den Jüngern aus dem Boden, den sie damals einnahmen, und lehrt sie das für ihren damaligen Zustand durchaus geeignete Gebet. Er konnte sie nicht als Anbeter betrachten, die, einmal gereinigt, kein Gewissen mehr von Sünden haben. (Hebr. 10, 2.) Von einem solchen Platz der Anbetung waren sie damals noch weit entfernt. Es findet sich in dem Gebet noch keine Spur von einer „Danksagung dem Vater gegenüber, der uns fähig gemacht hat zu dem Anteil am Erbe der Heiligen in dem Lichte, der uns errettet hat aus der Gewalt der Finsternis und versetzt in das Reich des Sohnes Seiner Liebe, in welchem wir die Erlösung haben, die Vergebung der Sünden“ (Kol. 1, 12 — 14). Alles das, und vieles andere, konnte damals nicht gesagt werden, weil das Werk der Erlösung wohl verheißen, aber noch nicht volIbracht war. Das Gebet passte sich genau dem Zustand der Jünger an, zur Zeit als unser Herr auf Erden weilte. Mit Seiner Verwerfung und Seinem Tode, .mit Seiner Auferstehung und Himmelfahrt, und —- wir müssen hinzufügen — mit dem Kommen des Heiligen Geistes am Pfingsttage wurde ihre Stellung eine ganz andere. Himmlische Hoffnungen und Verbindungen traten an die Stelle dessen, was sie bis dahin gekannt hatten. Denselben Jüngern, die der Herr dieses Gebet lehrte, sagte Er am Schlusse Seines Lebens, als Er schon im Geiste hinter dem Kreuze stand: „Was irgend ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, wird Er euch geben. Bis jetzt habt ihr nichts gebeten in meinem Namen“ (Joh. 16, 23. 24). Er stand im Begriff, zum Vater zurückzukehren, mit welchem sie durch Sein vollbrachtes Werk in die innigste Verbindung gebracht waren, und Er belehrte sie, von jetzt ab mit allen ihren Anliegen zu dem Vater zu kommen, und zwar in Seinem Namen, der dem Vater über-alles teuer war und der die Grundlage ihrer neuen Beziehungen zu Gott bildete.

In dem Namen Jesu beten heißt nun nicht nur im Bewusstsein dieses Namens und seiner Kostbarkeit zu dem Vater reden, sondern auch in lebendiger Gemeinschaft mit Christo, Seinem Wort und Willen unterworfen, von Ihm geleitet, Gott im Gebete nahen. Wenn der Apostel Judas für unsere Tage neben dem auferbauenden Worte Gottes das Gebet empfiehlt zu unserem Schutz und Segen, so sagt er: „Betend im Heiligen Geiste, erhaltet euch selbst in der Liebe Gottes!“ (V. 20).

Ich wiederhole: Das „Vaterunser“ war also für wahre Gläubige bestimmt, für welche aber die Erlösung noch in der Zukunft lag, und die den Heiligen Geist noch nicht empfangen hatten. Die Jünger befanden sich gewissermaßen noch im „Kindeszustande“, und der Herr gab ihnen ein Mustergebet, welches diesem Zustand entsprach. Später, als sie vergleichsweise Männer, Erwachsene, geworden waren, lehrte der H eilige Geist sie beten, und der Geist Gottes bedient sich keiner festgelegten Formen, da sie nicht passen für solche, welche die Schrift vollkommen (erwachsen) nennt (Kol. 4, 12; Phil. 3, 15.) ,,Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ (2. Kor. 3, 17), Freiheit in den Beziehungen zu Gott, und daher sind vorgeschriebene oder festgelegte Gebete nicht mehr am Platz.

Trotzdem mag es heute noch viele treue und einfältige Christen geben, die das Vaterunser mit Segen aussprechen, weil es ja die Worte des Herrn sind, eines Herrn, der voll Barmherzigkeit und Gnade für uns ist, und der auch dieses Gebet erhören wird, wenn auch nicht nach dem eigentlichen Sinn der Bitten, der dem Beter unbekannt ist, sondern nach dem aufrichtigen Wunsch des Herzens, wie es ihn in diesem Gebet zum Ausdruck zu bringen· sucht. Nichtsdestoweniger bleibt es wahr, dass für die Zeit des „Evangeliums der Herrlichkeit“ (2. Kor. 4, 4) dieses Gebet des Herrn nicht gegeben ist. Der Betende wendet sich zurück und stellt sich selbst — denn Gott tut es nicht — sozusagen vor die Erlösung, vor das Kreuz, statt dahinter. Er versteht nicht die kostbaren Vorrechte, die ihm in Christo geschenkt sind, und, ohne es zu wollen, schätzt er die Leiden und die Herrlichkeit des Herrn nicht so, wie er es sollte.

So finden wir denn auch im ganzen übrigen Neuen Testament keine Andeutung des „Vaterunsers“, obgleich uns verschiedene Gebete im Wortlaut mitgeteilt sind und auch oft von unserem Beten die Rede ist.

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Das Abendessen in Bethanien

Bibelstelle: Johannes 12,1 - 8

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 184ff

Die Erzählungen des Evangeliums Johannes tragen häufig einen geheimnisvollen und sinnbildlichen Charakter, und es bedarf langen Nachsinnens um ihren tiefen Sinn zu erfassen und die wunderbaren Schätze zu entdecken, welche sie bergen. So ist es auch mit der Geschichte des Abendessens in Bethanien. Die mannigfaltigen Einzelheiten derselben sind umso eindrucksvoller, als die Erzählung, abgesehen von Jesu Besuch im Tempel und der Speisung der fünftausend Mann, die einzige ist, welche Johannes mit den anderen Evangelisten gemein hat. Eine Vergleichung der verschiedenen Schilderungen des Abendessens in Bethanien wird uns nützliche Winke geben, um die sinnbildliche Tragweite der Erzählung des Johannes besser zu verstehen.

„Jesus nun kam sechs Tage vor dem Passah nach Bethanien“ (V. 1). Diese Zeitangabe finden wir in den Evangelien Matthäus und Markus nicht. Der erste Tag der Woche, unser Sonntag wird hier als Zeitpunkt des Abendessens genannt, wodurch das Passah, von Johannes „das Passah der Juden“ genannt (Kap. 2,13: 11,55; vergl. auch Kap. 6,4), mehr in den Hintergrund gedrängt wird. Weiter tritt an die Stelle des Passahmahles selbst, das in anderen Evangelien eine so große Rolle spielt, bei Johannes „das Abendessen“, von welchem es heißt, dass es „vor dem Passah“ stattgefunden habe. Bei diesem „Abendessen“ steht der Herr, nachdem Er „Seine Oberkleider abgelegt“ hat, auf, um sich zu umgürten und die Füße Seiner Jünger zu waschen. (Kap. 13, 1 -— 5.) In der sinnbildlichen Art des Johannes deutet diese Handlung an, dass der Herr mit dem Ablegen der Oberkleider eine neue Stellung einnimmt, in welcher Er eine Tätigkeit auszuüben vermag, die Seine Jünger in den Stand setzt, dort „ein Teil mit Ihm zu haben“, wohin Er ihnen vorausging.

Es war also der erste Tag der Woche, wie hier in so ausfallender Weise mitgeteilt wird, an welchem das Abendessen zu Bethanien stattgefunden hat. In den Evangelien Matthäus und Markus spielt sich der Vorgang im ,,Hause Simons, des Aussätzigen«, ab, eine Tatsache, die Johannes mit Stillschweigen übergeht. Er sagt einfach: „Sie machten Ihm nun daselbst (in Bethanien) ein Abendessen“. Wie interessant die Person des Lazarus für alle Anwesenden auch sein mochte, so war das Abendessen doch nicht ihm zu Ehren gemacht worden, sondern Dem, der ihn auferweckt hatte. Die Veranstalter des Abendessens verschwinden hier ganz und werden durch das Wörtchen „sie“ ersetzt. Die menschliche Tätigkeit, welche das Essen bereitete, wird gleichsam ausgeschaltet, um die große Tatsache zu betonen, dass es ein Abendessen für Ihn, und für Ihn allein, war. Dieser Umstand lenkt unwillkürlich unsere Gedanken auf den Tisch, den die Christen besitzen, und nicht aus das Passah der Juden. Das letztere wurde durch die Jünger zugerichtet. „Wo willst du“, sagen sie zu Jesu, „das; wir hingehen und bereiten, auf dass du das Passah essest?“ (Mark. 14, 12). Das Abendessen zu Bethanien trägt diesen Charakter nicht. Für uns Christen verhält es sich ebenso. Nicht wir decken den Tisch des Herrn. Wir finden ihn gedeckt und haben nichts anderes zu tun, als mit Jesu daran Platz zu nehmen, so wie Lazarus es beim Abendessen in Bethanien tat.

„Lazarus, der Gestorbene, welchen Jesus aus den Toten auferweckt hatte“, befand sich in Bethanien, und „Lazarus war einer von denen, die mit Ihm zu Tische lagen“. Es waren noch andere mit Jesu bei Tische, aber keiner von ihnen wird genannt, nur Lazarus. Er ist es, welcher die Gäste des Herrn an Seinem Tische kennzeichnet. Sie gruppieren sich gleichsam um diesen einen Namen, Lazarus. Der Grund ist der, dass Lazarus etwas an sich trug, was ihm unter den Gästen sein ganz besonderes Gepräge gab. Er war, beachten wir den Ausdruck wohl, „Lazarus, der Gestorbene“. Obwohl er durch seine Auferstehung aus den Toten ein neues Leben erworben hatte, blieb er doch, was sein ganzes vergangenes Leben bis zum Augenblick seiner Auferweckung betrifft, der Gestorbene. Sein früheres Dasein hatte im Tode sein Ende gefunden; er lebte jetzt in einem neuen Leben, das mit dem alten keine Verbindung mehr hatte. 186

Das ist also der einzige Charakterzug, welcher den Gästen, die mit Christo an dem Abendessen zu Bethanien teilnehmen, ausgeprägt erscheint. Genau so verhält es sich mit denen, die sich am ersten Tage der Woche um den Tisch des Herrn scharen, zu dem Mahle, das zu Seiner Ehre stattfindet. Der Charakter des Lazarus drückt dem Abendmahl eine große Feierlichkeit auf. Hier findet nichts Zugang, was noch dem Zustande des alten Menschen angehört. Nur solche nehmen teil daran, die von neuem geboren, die infolge der Auferweckung in ein neues Leben eingeführt sind. Nur sie können bekunden, dass das alte Leben sein Ende gefunden hat in dem Grabe, aus welchem die Macht Christi, der „die Auferstehung und das Leben« ist, sie herausgeführt hat.

Lazarus lag zu Tische mit Ihm. Ohne Ihn hätte er kein Recht gehabt, an Seinem Abendessen teilzunehmen. In sich selbst war er nur ein Gestorbener, aber mit Ihm war er der lebendige Zeuge, das Bild von der lebendig machenden Kraft Seines Heilandes, in Auferstehung.

Die Tatsache, dass Lazarus allein hier genannt wird, ist umso auffallender, weil die anderen Evangelien uns die Gäste in ganz anderer Weise vorstellen. Bei Matthäus sind alle Jünger zugegen (Matth. 26, 8). Markus redet von „etlichen“, die da waren (Mark. 14, 4). Hier dagegen richtet inmitten aller Anwesenden der Geist unsere Blicke ausschließlich auf Lazarus und auf Jesus, für den der Tisch gedeckt war.

Noch bemerkenswerter ist, dass Johannes nur eine einzige Familie, die von Bethanien, als Teilnehmerin an dem Fest erwähnt. Diese Familie besteht aus drei Personen: Lazarus, Martha und Maria. Wie wir noch sehen werden, stellen sie — was die Zahl betrifft, in göttlicher Vollständigkeit

—- die Charaktere der Familie Gottes dar, entsprechend der sinnbildlichen Bedeutung des ganzen Vorgangs.

Doch kehren wir zu Lazarus zurück. Aus seinem Munde kommt kein Wort, ja, niemand spricht hier außer Christo, dessen Herz voll und ganz das billigt, was sich während des Essens abspielt, und Judas Jskariot, der sich dem förmlich widersetzt. Lazarus redet, wie gesagt, nicht, aber er liegt zu Tische mit Ihm, und das genügt ihm. Er nimmt nicht, wie man annehmen könnte, beim Abendessen einen hervorragenden Platz ein. Obwohl ein so außerordentliches Wunder sich an ihm vollzogen hat, ist er doch nur „einer von denen, die mit Ihm zu Tische lagen“. Nicht er, sondern Christus, der Urheber seines neuen Daseins, steht im Vordergrunde. Lazarus nimmt teil an Seinem Abendessen; er ist in Gemeinschaft mit Ihm allein. Nicht als ob die Gemeinschaft mit den anderen Jüngern nicht vorhanden gewesen wäre; aber die Gemeinschaft der Heiligen unter einander wird hier gar nicht erwähnt, und zwar, wie ich nicht bezweifle, um die Gemeinschaft mit dem Herrn umso mehr hervortreten zu lassen.

„Martha diente.“ Matthäus und Markus erwähnen Martha ebenso wenig wie Lazarus, was zweifellos ein Beweis von der sinnbildlichen Bedeutung des Vorgangs im Evangelium Johannes ist. Marthas Dienst trägt hier einen sehr rührenden Charakter. In Luk. 10, 38 – 42 erscheint diese Frau zum ersten mal in der Geschichte; sie wird dort von dem Herrn getadelt bezüglich ihres Dienstes. Nicht als ob dieser an und für sich tadelnswert gewesen wäre, im Gegenteil; aber die Gedanken Marthas waren aus ihren Dienst gerichtet, und nicht auf den Herrn, der dessen einziger Gegenstand hätte sein sollen. Sicherlich war der Dienst an sich nützlich. Man könnte ihn selbst als die der Martha verliehene „Gnadengabe“ bezeichnen (Vergl. Röm. 12, 6. 7). Sie war von Gott dafür ausersehen. Aber bevor sie dem Herrn gab, hätte sie von Ihm nehmen sollen. Eine ähnliche Lehre wird dem Gesetzgelehrten in dem dieser Erzählung vorhergehenden Abschnitt erteilt (Luk. 10). Der Herr hatte diesem Manne durch das Gleichnis von dem Samariter zu verstehen gegeben, dass er zunächst als verlorener. Sünder Gnade empfangen musste, bevor er sie seinem Nächsten gegenüber ausüben konnte. „Geh hin und tue du desgleichen“, sprach Jesus zu ihm, nachdem Er ihm in dem Gleichnis seine eigene Geschichte und das, was der Heiland für ihn getan, vorgestellt hatte. Nun gehörte ja Martha nicht mehr zu der Klasse der Sünder, wie der Gesetzgelehrte. Sie war, wie Maria, ein Schäflein Christi; aber auch sie musste da beginnen, wo der Sünder beginnt: von Ihm nehmen, bevor sie ein Leben der Tätigkeit für Ihn beginnen konnte.

Am Grabe ihres Bruders Lazarus hatte Martha, neben vielem anderen, eine wichtige Belehrung empfangen: sie hatte die völlige Kraftlosigkeit des Menschen angesichts des Todes kennen gelernt. Unter solchen Umständen, wie sie da vorlagen, hatten sich ihr „die Auferstehung und das Leben« geoffenbart. Von da an konnte sie in ganz anderer Weise tätig sein als bisher. Ehedem war sie in ihrem Dienst unzufrieden gewesen mit ihrer Schwester, unzufrieden selbst mit Christo, weil ihr Dienst der Abgott ihres Herzens war. Jetzt aber dient sie, weil das die ihr angewiesene Verrichtung gegenüber dem Sohne des lebendigen Gottes ist, den sie als solchen bei der Auferweckung des Lazarus kennen gelernt hat, und der nun der Gegenstand ihres Herzens geworden ist. 190

Lazarus liegt zu Tische mit Jesu. Er genießt eine Gemeinschaft, welcher die äußere Tätigkeit fehlt. Aber es ist eine Gemeinschaft in der köstlichen Vertraulichkeit, welche dieses gemeinsame Mahl zwischen ihm und dem Wohltäter, dem er das Leben verdankt, bewirkt hat. Martha hat eine weit niedrigere Aufgabe, eine Tätigkeit voll Mühe und Hingebung, denn sie muss darauf achten, dass die Bedürfnisse aller befriedigt werden, damit niemand, vor allem nicht der Herr selbst, der nötigen Aufwartung ermangele. Dieser Dienst erfordert Selbstverleugnung, eine Sache, die dem Charakter Marthas bislang so gar nicht eigen war. Es ist eine bevorzugte, wenn auch wenig ins Auge fallende Stellung, die Martha hier einnimmt; denn sie geht, nachdem der Herr ihr Alles geworden ist, den Weg der Niedrigkeit des göttlichen Dieners, den sie vor Augen hat. Es heißt von ihr: „Martha diente“, nicht: sie diente Ihm. Alle Teilnehmer an dem Feste, dessen Mittelpunkt Christus war, waren in gleicher Weise die Gegenstände ihrer Für- sorge als solche, die von dem Meister nicht getrennt werden konnten, während Lazarus deren Vertreter war, er, der durch seine Auferstehung an dem Leben des Sohnes Gottes Anteil hatte.

Die dritte Person ist Maria. Was sie für den Herrn getan hat, soll überall verkündigt werden als der höchste Ausdruck der Anhänglichkeit an Seine Person, und zwar in einem Augenblick, als der Tod bereits über Ihm schwebte, und als der Verräter, der auch bei diesem Mahle zugegen war, schon darüber sann, wie er Ihn überliefern sollte. Wir werden später darauf zurückkommen. Zunächst möchten wir bemerken, dass das Abendessen zu Bethanien uns in diesen drei Personen die drei Grundsätze darstellt, welche das gesamte christliche Leben im Hause Gottes ausmachen. Diese drei Grundsätze sind Gemeinschaft, Dienst und Anbetung. Das Beispiel der beiden ersten haben wir in Lazarus und Martha gesehen, das dritte wollen wir jetzt in der Person Marias betrachten. Vergessen wir jedoch nicht, dass Der, welcher diese drei Personen um sich sammelt, Christus ist, der einzige Mittelpunkt, auf den diese Grundsätze, dargestellt in den drei Personen, Bezug haben. In der Tat finden wir in diesem zu Seiner Ehre veranstalteten Abendessen die Gemeinschaft mit Ihm, den Dienst für Ihn und den Gottesdienst oder die Anbetung, welche keinen anderen Gegenstand hat als Ihn.

Diese drei Grundsätze, die, wie gesagt, das ganze christliche Leben im Hause Gottes kennzeichnen, finden wir im Abendmahl, welches die Gläubigen am ersten Tage der Woche vereinigt, gleichsam zusammengefasst. Der Dienst, welcher bei dieser Gelegenheit ja scheinbar gar keine Rolle spielt, ist gleichwohl dort ebenso unentbehrlich wie die Gemeinschaft oder die Anbetung. Den Heiligen dienen, indem man ihnen zur Teilnahme am Abendmahl des Herrn behilflich ist, heißt dem Herrn dienen, der die Seinen mit sich eins macht. Ein Dienst, der bezweckt, die Gläubigen „Seiner Güter teilhaftig“ werden zu lassen, wie er an dem Tage geschieht, wo man sich zum Gottesdienst zusammenfindet, trägt keinen anderen Charakter. Darum sollte der demütige Dienst, dem man häufig so wenig Aufmerksamkeit schenkt, uns doch sehr kostbar sein, wenn wir uns also versammeln. „Martha diente“, und ihr Dienst bildete gleichsam das Band der Gemeinschaft.

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Des Herrn Tag

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 192ff

(Aus einem Soldatenbrief.)

. . . Ein neuer Sonntag ist angebrochen, der teure Tag des Herrn, an welchem die Erinnerungen lebendiger und lieblicher werden und die Einsamkeit und das Getrenntsein sich fühlbar machen, wo aber gleichzeitig auch der Herr Seine Liebe in besonderer Weise zu schmecken zu geben weiß. Die Stelle, welche Sie neulich aus dem Propheten Hesekiel anführten, ist ein schönes und nie fehlendes Verheißungswort: „Ich bin ihnen ein wenig zum Heiligtum geworden in den Ländern, wohin ich sie zerstreut habe«. (Hesekiel 11, 16). Er bleibt für Sein Volk Israel, das unter die Nationen zerstreut und des Altars und Tempels beraubt ist, das Heiligtum, wo der Glaube Ihn selbst findet. Für uns, die wir Gott als unseren Vater kennen und durch das Blut Christi Eintritt haben ins Innerste des Heiligtums, innerhalb des Vorhangs, ist Seine Gemeinschaft noch kostbarer. „Der Vater selbst hat uns lieb.“ Wir sind Seinem Herzen nahe gebracht worden. Und welch eine Freude, dort all die geliebten Kinder Gottes zu finden! Wenn unsere eigenen Herzen weniger kalt wären und mehr vertraut mit den Gedanken Gottes, so würden wir die Schönheit der Einheit Seiner Kinder vor den Augen des Vaters besser verstehen. Er sieht sie alle eins in Christo. Sie sind vollkommen in Ihm, der sie erlöst hat. „Siehe, o Gott, und schaue an das Antlitz deines Gesalbten!“ (Ps. 84, 9). Gott sieht uns nicht als arme Sünder, in unserem natürlichen unreinen Zustande, sondern in Christo. Er schaut Seinen Gesalbten an, und wir sind annehmlich gemacht „in dem Geliebten“, jetzt und auf immerdar.

Die Gemeinde ist in den Augen Christi und in den Augen Seines Vaters heute schon das, was sie in dem herrlichen Augenblick sein wird, wenn Er sie in die himmlischen Wohnungen einführt und sie sich selbst verherrlicht darstellt, heilig und tadellos, ohne Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen. Es tut wohl, sie unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten; es lässt diese arme Erde ganz vergessen. Wenn wir nur um uns her blickten, wie könnten wir dann singen: „Wie schön ist doch die Einheit deiner Kirche!“? Um uns her ist nichts als Verfall und Verwirrung. Die Gläubigen in der Welt zerstreut, vereinsamt, von den Ihrigen entfernt, Satan stets beschäftigt, zu zerstören und zu zerreißen, die christliche Welt in Tausende von Parteien und Sekten gespalten, selbst unter den wahren Christen Neid und Eifersucht, ja, Hass oder doch böser Wille — ist das Einheit? O wie demütigend ist das alles!

Aber das Haupt bleibt, und in Ihm bleibt auch die Einheit bestehen· „Was Gott vereinigt hat, soll der Mensch nicht scheiden.“ Wir wissen nur zu trennen, aber Gott hat uns alle in eins vereinigt und uns mit Christo verbunden, wie das Weib mit dem Manne. Wir sind und bleiben ein Leib. Die Kirche mag diese Wahrheit vergessen haben, selbst zahlreiche Gläubige mögen sich nicht darum kümmern, aber die Tatsache bleibt bestehen. Und unsere Herzen freuen sich, an diese kostbare Wirklichkeit Sonntag für Sonntag zu gedenken und sie zu feiern· Auch heute sammelt Ihr Lieben Euch alle um den Namen des Heilandes, um das Vorrecht zu haben, angesichts der Welt zu verkündigen, dass Christus für Seine Gemeinde gestorben ist und dass wir, trotz allem, ein Leib sind. In Gemeinschaft mit allen Heiligen werdet Ihr noch einmal bezeugen, dass wir in Christo eins sind. Für dieses kostbare Zeugnis ist Christus selbst in Eurer Mitte, die Ihr in Seinem Namen versammelt seid. Er vereinigt sich mit Euren Danksagungen und Lobgesängen. Ja, Er führt sie an —— in einer unsichtbaren, aber dem Herzen, das Ihn liebt, fühlbaren Gegenwart. „Inmitten der Versammlung will ich dir lobfingen.“ (Hebr. 2, 12; Psalm 22, 22).

Wie schön ist dieser Augenblick! Noch auf der Erde und doch schon im. Himmel — niemals werden wir ihn genug schätzen können. Wenn man einmal des Vorrechts beraubt ist, dann sieht man mit lebhaftem Bedauern und mit Demütigung, wie wenig Nutzen man daraus gezogen hat, trotzdem es so lange Zeit Woche für Woche wiederkehrte. Beraubt? nein, das ist zu viel gesagt. Wir alle, die wir von Euch entfernt, vereinsamt, in dem großen Heere wie verloren sind, dürfen uns doch nicht „verlassen“ nennen; wir können durch Gottes Gnade von ferne mit Euch teilnehmen an den Freuden des Versammeltseins. In dieser Stunde vereinigt Ihr Euch in Euren Gedanken mit allen Gliedern des Leibes Christi, Ihr seid in Gemeinschaft mit allen, bekannt oder unbekannt, nah oder fern. Und wir finden uns in unseren Gedanken mit Euch zusammen, um den Tod des Herrn zu verkündigen und Seine Liebe zu preisen. Wir begegnen uns im Heiligtum und verwirklichen so durch den Glauben hienieden schon die große Einheit, die im Himmel endgültig vollkommen sein wird.

Alle diese Gedanken dringen auf mich ein und sind mir sehr wertvoll an diesem Morgen und zu der Stunde, wo Ihr Euch anschickt, Euch zur Anbetung zu versammeln. O möchte unsere beständiger, unsere gewisse Erwartung nicht das Ende dieses Krieges sein, sondern die Ankunft des Herrn! Er kommt bald! Im Hohenliede spricht der Geliebte zu der Braut: „Der Winter ist vorbei, der Regen ist vorüber, er ist dahin. Die Blumen erscheinen im Lande, die Zeit des Gesanges ist gekommen, und die Stimme der Turteltaube lässt sich hören in unserem Lande.“ Und dann fordert Er sie auf, zu Ihm zu kommen. (Kap. 2, 11 — 13.) Lasst uns von ganzem Herzen sagen: „Komm, Herr Jesu!“

Ja, alles wird gut gehen. Gott selbst wird alles zu einem guten Ende für uns führen. Warten wir

nur mit Vertrauen auf Ihn, indem wir mit Dankbarkeit alles aus Seiner Hand annehmen! Die gegenwärtigen Prüfungen sind schwer, aber sie sind heilsam und gut. . . .

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Der Berg der Verklärung und der Hügel Golgatha (Gegensätze)

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 195ff

Den Berg der Verklärung übergoss die Wolke der Herrlichkeit mit strahlendem Glanze, den Hügel Golgatha umhüllte die Gerichtswolke des göttlichen Zornes mit Dunkel und Finsternis.

Auf dem Berge Tabor „wurden Seine Kleider weiß wie das Licht“, auf Golgathas Hügel losten römische Kriegsknechte um Sein Gewand.

Dort sonderte der Vater Ihn aus, indem Er Ihm „Ehre und Herrlichkeit" gab (2. Petr. 1, 17), hier war Er der von Gott zum Gericht Ausgesonderte.

Auf dem Berge erkannte die Stimme des Vaters Ihn an als „den geliebten Sohn“, auf Golgatha zerschlug die Rute Jehovas „den Mann der Schmerzen“.

Dort umringte Ihn die glückliche Schar der Seinigen, hier war Er ganz allein, von allen verlassen.

In der herrlichen Stunde der Verklärung bildete Jesus den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit; Er erscheint nicht als der Redende, sondern alle reden zu Ihm oder mit Ihm: der Vater, die beiden Himmlischen und die Jünger. Auf Golgatha schrie Er, aber Sein Schreien blieb ungehört, unbeantwortet. (Ps. 22, 2.)

Auf Tabor erschien Er in verherrlichter Gestalt, und „Sein Angesicht leuchtete wie die Sonne“; auf Golgatha war „Sein Aussehen entstellt“, Er war „Wie einer, vor dem man das Angesicht verbirgt“ (Jes. 52, 14; 53, 3).

Auf dem Berge der Verklärung wurden Ihm die Rechte und die Herrlichkeit zu teil, die Ihm gehörten, Er stand an Seinem Platze; auf Golgatha war Er von Gott verlassen, „ein Wurm und kein Mann“, weil Er unseren Platz einnahm.

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„Jesus nun, der alles wusste, was über Ihn kommen würde, ging hinaus und sprach zu ihnen: Wen suchet ihr? Sie antworteten Ihm: .Jesum, den Nazaräer. Jesus spricht zu ihnen: Ich bin’s. . .. Wenn ihr nun mich suchet, so lasst diese gehen.“ (Joh.18,4 - 8)

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Aquilla und Priscilla

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 197ff

Aquila und Priscilla, oder Priska *), zwei den Lesern des Wortes Gottes wohlbekannte Namen aus dem Neuen Testament! Sie begegnen uns zum ersten Mal in Apostelgesch. 18, 2, und zwar hören wir dort, dass die Träger derselben Juden waren. Der Mann stammte aus der südlich des Schwarzen Meeres gelegenen Landschaft Pontus; wo die Frau heimisch war, wird uns nicht gesagt. In Rom wohnhaft, mussten sie infolge einer Verordnung des Kaisers Klaudius, die alle Juden aus Rom verbannte, die Stadt verlassen und kamen so nach Korinth. Hier fand sie der Apostel Paulus bei seinem ersten Besuch der Provinz Achaja. Lukas berichtet kurz: Paulus „ging zu ihnen, und weil er gleichen Handwerks war, blieb er bei ihnen und arbeitete; denn sie waren Zeltmacher ihres Handwerks“.

Hatten sie bereits in Rom von dem Christentum gehört und dort bereits ernste Eindrücke empfangen? Waren sie gar schon bekehrt? Oder bildeten sie eine der ersten Früchte der Wirksamkeit Pauli in Korinth? Wir wissen es nicht. Das Wort sagt nichts darüber, und Paulus nennt sie niemals seine geistlichen Kinder, wie er es sonst wohl tut. Es ist ja auch unwichtig. Jedenfalls haben sie dem Zeugen des Herrn von vornherein Teilnahme und Liebe entgegengebracht und ihm in hingebender Treue gedient, und deshalb haben ihre Namen nicht nur einen Platz im Worte Gottes gefunden, sondern sie werden dort wiederholt in rühmender Weise erwähnt. Ja, es scheint so, als ob Priscilla, das Weib, ihren Mann noch übertroffen habe, denn wiederholt nennt Paulus ihren Namen an erster Stelle. Wie nichts im Worte Gottes von ungefähr ist, so auch gewiss dies nicht. Wir werden noch darauf zurückkommen. –

Der Apostel kam von Athen, der Hochburg der Künste und Wissenschaften. Hatte er in Athen nur bei einigen wenigen Gehör gefunden, hier, in der reichen und sittenlosen Handelsstadt Korinth, sollte eine zahlreiche Schar für Christum gewonnen werden. Der Herr hatte „ein großes Volk in dieser Stadt“ (V. 10). Wie wunderbar sind die Wege der Gnade! Sie geht an den Weisen und Verständigen vorbei und wendet sich zu den Unmündigen; sie verschließt sich den

Achtbaren und Angesehenen und öffnet ihre Reichtümer den Sündern und Armen. Hier in Korinth suchte und fand sie Hurer und Götzendiener, Ehebrecher und Knabenschänder, Trunkenbolde und Räuber. „Solches sind euer etliche gewesen“, schreibt Paulus in 1. Kor. 6, 11, „aber ihr seid abgewaschen, aber ihr seid geheiligt, aber ihr seid gerechtfertigt worden in dem Namen des Herrn Jesus und durch den Geist unseres Gottes.“

In der Tat, der ganze kostbare Wert dieses Namens und die ganze göttliche Kraft des Heiligen Geistes waren nötig, um Tiefen des Verderbens zu begegnen, wie sie sich hier vor den Augen des Apostels austaten. Auf seinem bisherigen Wege war er immer wieder den schrecklichen Folgen der Sünde und den furchtbaren Ergebnissen des Wirkens Satans begegnet, aber hier zeigten sie sich in einer Größe und Schamlosigkeit wie nie zuvor. Ist es ein Wunder, wenn dem gegenüber, wie auch angesichts der Anstrengungen des Feindes, sein Bollwerk mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln zu verteidigen, das Herz des Apostels von Befürchtungen erfüllt war? Doch der Herr erschien ihm in einem Nachtgesicht und rief ihm die ermunternden Worte zu: „Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht! denn ich bin mit dir, und niemand soll dich angreifen, dir Übles zu tun, denn ich habe ein großes Volk in dieser Stadt“ (V. 9. 10). Was vermögen weise und redegewandte „Schulstreiter dieses Zeitlaufs“ (1. Kor. 1, 20) gegen die Weisheit, was starke und wutschnaubende Feinde gegen die Kraft Gottes? „Das Törichte Gottes ist weiser als die Menschen, und das Schwache Gottes ist stärker als die Menschen.“

In diesem schweren Kampfe nun fand der Apostel eine Stütze in dem wackeren Ehepaar, das Gottes Vorsehung gerade um diese Zeit nach Korinth gebracht hatte. Ihr Haus wurde nicht nur eine Arbeits-, sondern auch eine Erholungsstätte für ihn. Hier fand er zwei Seelen, die mit Eifer auf seine Unterweisungen lauschten, denen er „den unausforschlichen Reichtum des Christus verkündigen“ konnte, und die seine treue Arbeit mit dankbarer Hingebung im Dienst der Liebe vergalten. Unbekümmert um die Gefahren, denen sie sich dadurch aussetzten, standen sie ihm während seines langen Aufenthaltes in Korinth zur Seite und erquickten sein Herz durch ihre Liebe. In Röm. 16, 3 nennt er sie „seine Mitarbeiter in Christo Jesu“ und fügt dann hinzu: „welche für mein Leben ihren eigenen Hals preisgegeben haben, denen nicht allein ich danke, sondern auch alle Versammlungen der Nationen“. Wann diese Preisgebung ihres Halses geschehen ist, ob schon in Korinth oder erst später in Ephesus, wo der Apostel gleichsam „mit wilden Tieren gekämpft hatte“, (so groß war die rasende Feindschaft der Gegner gewesen, vergl. 1. Kor. 15, 32,) wissen wir nicht; vielleicht an beiden Orten. Jedenfalls deutet die Ausdrucksweise des Apostels daraufhin, dass Aquila und Priscilla um seinetwillen in unmittelbarer Lebensgefahr geschwebt haben, aber keinen Augenblick vor dem Schlimmsten zurückgeschreckt sind.

Beachten wir bei dieser Gelegenheit die Ordnung der Namen. Wir sagten bereits, dass sie an den verschiedenen Stellen verschieden ist. Während bei der ersten Einführung des Paares in die geweihte Geschichte der Name des Mannes zuerst genannt wird, steht er bei späteren Gelegenheiten wiederholt an zweiter Stelle. So schon in Apostelgesch. 18, 18; vergl. auch Röm. 16, 3 und 2. Tim. 4, 19. Warum wohl? Der Mann ist doch das Haupt, und der Platz des Weibes ist naturgemäß- überall im Worte Gottes der der Zurückgezogenheit und Verborgenheit. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir die Ursache in einer innigeren Hingebung, vielleicht auch in einer höheren geistlichen Entwicklung bei Priscilla suchen. Sie ist ohne Frage insonderheit um den Apostel bemüht gewesen und hat dabei keine Anstrengung und Gefahr gescheut; auch mag sie wohl, wie einst Maria in Bethanien viel zu den Füßen Jesu saß und Seinem Worte zuhörte, eine besonders eifrige und gelehrige Schülerin des Apostels gewesen sein und raschere Fortschritte in der Erkenntnis gemacht haben als ihr Mann. Jedenfalls bedeutet die Umstellung der Namen eine hohe Ehrung dieser treuen Frau. Für alle Zeiten ist ihr Name mit dem, ja, vor dem ihres Mannes in dem Buche Gottes rühmend genannt. Christus, der Geliebte Gottes, war ihres Lebens Stern und Kern. Sie ist „keinem Anderen nachgeeilt“, sondern hat nur Einen gekannt, um dessentwillen sie alles andere vergaß, und dem sie in den Seinigen mit solcher Freude diente. Darum hat der Herr auch ihren Namen gern auf Seine Lippen genommen. (Psalm 16, 4). Ja, Er wird es ewiglich tun.

O von Ihm, dem ewig lebenden, allein wahren Gott, ehrend genannt- zu werden, mag die Welt auch den Namen nicht kennen, das ist mehr und begehrenswerter, als ein Denkmal in Stein und Erz, das sterbliche und irrende Menschen ihren Mitmenschen setzen! Wie mag es um meinen und deinen Namen in dieser Beziehung stehen, teurer Leser, werte Leserin?

Ein Jahr und sechs Monate hielt Paulus sich in Korinth auf, und als er dann Abschied nahm und nach Syrien segelte, begleiteten ihn Priscilla und Aquila. In Ephesus, der Hauptstadt der römischen Provinz Asien, wurde zunächst Halt gemacht. Paulus ging nach seiner Gewohnheit in die dortige Synagoge und unterredete sich mit den Juden. Trotzdem diese ihm anscheinend willig zuhörten. und ihn baten, längere Zeit zu bleiben, brach er doch bald wieder auf. Sein Herz trieb ihn nach Jerusalem und Antiochien, von wo er der Gnade Gottes «zu seinem Dienst befohlen worden war (Vergl. Kap. 15, 40). Aquila und sein Weib blieben in Ephesus. Gott hatte hier einen neuen gesegneten Wirkungskreis für sie.

Während der Apostel in Antiochien weilte und nachher der Reihe nach die galatische Landschaft und Phrygien durchzog, führte der Herr einen merkwürdigen Mann nach Ephesus. Wir lesen von ihm: „Ein gewisser Jude aber, mit Namen Apollos, aus Alexandrien gebürtig, ein beredter Mann, der mächtig war in den Schriften, kam nach Ephesus. Dieser war in dem Wege des Herrn unterwiesen und, brünstig im Geist, redete und lehrte er sorgfältig die Dinge von Jesu, wiewohl er nur die Taufe Johannes’ kannte“ (V. 24. 25).

Wie mannigfaltig und unumschränkt ist Gott in der Wahl und Ausrüstung Seiner Werkzeuge! Er handelt nie nach einer Schablone, bedarf auch keiner theologischen Lehrer oder Schulen, wenn Er einen Menschen für Seinen Dienst zubereiten will. Nicht als ob Lehrer und Schulen verwerflich wären — keineswegs. Sie sind von großem Wert und Nutzen an ihrem Platze, und Gott kann sie gebrauchen, hat sie aber nicht nötig. Auch sind die Lehrer und die Unterweisungsart, die Er benutzt, sehr oft ganz anders, als der Mensch sie wählen oder auch nur für passend erachten würde. Gott wirkt eben, durch wen Er will und wie Er will. Er ist an keinen Menschen gebunden und bindet sich an keinen.

Dass Apollos „in den Schriften mächtig“ war, ist an und für sich nicht verwunderlich. Aus Alexandrien gebürtig, der berühmten Weltstadt in Ägypten, wo viele Juden wohnten und, neben ihrer Synagoge, sogar einen eigenen Tempel besaßen, (hier entstand auch im 2. Jahrhundert v. Chr. die bekannte griechische Übersetzung des Alten Testaments, die sogenannte Septuaginta,) hatte er ohne Zweifel viel Gelegenheit gehabt, die alttestamentlichen Schriften zu erforschen. Wer aber hatte ihn weiter »in dem Wege des Herrn unterwiesen«? Schüler Johannes’ des Täufers? Wir wissen es nicht. Jedenfalls war er bis dahin weder mit einem der zwölf Apostel, noch mit Paulus zusammengetroffen. Dennoch war er ein Mann voll Heiligen Geistes und redete und lehrte sorgfältig „die Dinge von Jesu“. Er war ohne Frage durch die unmittelbare, mächtige Wirkung des Heiligen Geistes viel weiter gefördert, als die Jünger, welchen Paulus später in Ephesus begegnete, die auch nur die Taufe Johannes’ kannten (Vergl. Kap. 20, 1 — 7).

„Und dieser fing an, freimütig in der Synagoge zu reden. Als aber Aquila und Priscilla ihn hörten, nahmen sie ihn zu sich und legten ihm den Weg Gottes genauer aus“ (Vers 26). Jetzt kam die Gelegenheit für dieses würdige Paar, die „gesunden Worte“, die sie von dem Apostel gehört hatten, weiter zu geben (Vergl. 2. Tim. 1, 13; 2, 2.) Welch ein Vorrecht! Ja, welch ein gesegneter Dienst! In jenen ersten Tagen, als die Schriften des Neuen Testaments noch nicht bestanden, war ein solch mündlicher Dienst von weit größerer Bedeutung als heute, aber auch heute noch ist er von außerordentlichem Wert; und wie glücklich darf sich ein Bruder, eine Schwester schätzen, wenn sie ihn zur Ehre des Herrn und zur Förderung Seines Werkes ausüben dürfen!

Es ist ganz naturgemäß, dass bei dieser Gelegenheit der Name der Frau an zweiter Stelle steht. „Ein Weib lerne in der Stille, in aller Unterwürfigkeit. Ich erlaube aber einem Weibe nicht, zu lehren“, schreibt der Apostel an Timotheus (1. Tim. 2, 11. 12). Wenn aber ein Weib in Unterwürfigkeit gelernt hat, und Gott gibt ihr Gelegenheit, wiederum in der Stille, als Gehilfin eines Bruders, das Gelernte weiterzugeben, so steht dem gewiss nichts im Wege. Es wäre für Priscilla allein durchaus ungeziemend gewesen, Apollos in die göttlichen Wahrheiten weiter einzuführen, aber mit ihrem Manne vereint durfte sie diesen Dienst tun, zum Nutzen vieler. „Als aber Aquila und Priscilla ihn hörten, nahmen sie ihn zu sich und legten (also beide) ihm den Weg Gottes genauer aus. Und wie herrlich waren die Folgen! Von Ephesus reiste Apollos nach Achaja und kam so nach Korinth. „Dieser war, als er hinkam, den Glaubenden durch die Gnade sehr behilflich, denn kräftig widerlegte er die Juden öffentlich, indem er durch die Schriften bewies, dass Jesus der Christus sei“ (V. 27. 28). Paulus nennt ihn einen Diener und Arbeiter des Herrn, der seinen Dienst bei den Korinthern im Segen fortgesetzt habe. „Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen“, sagt er in 1. Kor. 3. Welchen Eindruck seine Wirksamkeit in Korinth gemacht hatte, geht auch daraus hervor, dass ein Teil der dortigen Gläubigen - freilich in großem Unverstand — sich nach seinem Namen nannten: „Ich bin des Apollos“ (1. Kor. 1, 12; 3, 4).

Wir dürfen nicht verfehlen, an dieser Stelle noch auf eine ganz besondere Tugend des treuen Ehepaars aufmerksam zu machen. Sie waren nicht nur „gastfrei ohne Murren“ (1. Petr. 4, 9), wenn die Gelegenheit an sie herantrat, sondern sie haben „nach Gastfreundschaft getrachtet“ (Röm. 12, 13). Sie haben gern und willig an den Bedürfnissen der Heiligen teilgenommen. Und so wurde ihnen das große Vorrecht geschenkt, sowohl die Apostel und Boten des Herrn zu bewirten und zu versorgen, als auch eine „Versammlung“ in ihrem Hause zu haben. Es ist kaum anzunehmen, dass die ganze Schar der Gläubigen in Ephesus sich in ihrem Hause versammelt habe; jedenfalls aber fanden regelmäßige Zusammenkünfte darin statt, so dass Paulus am Schluss seines 1. Briefes an die Korinther, den er während seines Aufenthaltes in Ephesus schrieb, einen Gruß von Aquila und Priscilla, „samt der Versammlung (oder Gemeinde) in ihrem Hause“, an die Korinther senden konnte. Auch hier, wo von einer „Versammlung“ (Gemeinde) die Rede ist, und es sich um einen Gruß an eine solche handelt, steht der Name des Mannes voran.

Der geistliche Zustand der Epheser war, wie wir dies aus dem Briefe des Apostels an sie und auch selbst noch aus dem „Sendschreiben an Ephesus“ (Offbg. 2) ersehen können, ein außergewöhnlich guter. Inwieweit Aquila und Priscilla daran beteiligt waren, können wir nicht beurteilen; ohne Zweifel aber haben sie während ihres Aufenthalts einen guten Einfluss auf die übrigen Gläubigen ausgeübt. Ihr Haus bildete eine Art von Mittelpunkt und gewiss auch eine liebe Heimstätte für viele ihrer Glaubensgenossen. Wie oft mag auch der treue Apostel selbst während seines zweijährigen Wirkens in Ephesus und der Umgegend bei ihnen aus- und eingegangen sein und sich an ihrer Liebe erquickt haben!

Solch offene, gastfreundliche Häuser von Gläubigen sind auch heute noch ein großer Segen. Sie tragen viel zur Erhaltung und Förderung der geschwisterlichen Gemeinschaft bei und befestigen dadurch das Band der Liebe, bewirken Danksagung gegen Gott und ermuntern zur Nachahmung. Der Segen, der auf das Haus selbst zurückfließt, ist gleichfalls unberechenbar. Nicht nur dass Gott nicht ungerecht ist, des Werkes und der Liebe zu vergessen, die man gegen Seinen Namen beweist, indem man „den Heiligen“ dient (Hebr. 6, 10), nein, alle Hausgenossen, Kinder und Dienstboten, wenn solche vorhanden sind, werden segensreich beeinflusst und haben Nutzen von dem Geiste, der das ganze Haus regiert — einen Nutzen, der vielleicht das ganze Leben hindurch sich fühlbar macht, ihm seine Richtung gibt. Auch hier gilt das Sprichwort: „Jung gewohnt, alt getan“. Wer in der Jugend daran gewöhnt wird, den Kindern Gottes, selbst unter Hintansetzung der eigenen Bequemlichkeit, Liebe zu erweisen, wird in späteren Jahren den Segen und die Befriedigung, die in solcher Tätigkeit liegen, nicht entbehren wollen, eingedenk des Wortes: „Die Bruderliebe bleibe, der Gastfreundschaft vergesset nicht, denn durch dieselbe haben etliche ohne ihr Wissen Engel beherbergt“ (Hebr. 13, 1. 2).

Wieder möchte ich hier auf die Ehre hinweisen, welche den beiden teuren Gläubigen zu teil geworden ist, indem sie unmittelbar mit den Versammlungen Asiens genannt werden: „Es grüßen euch die Versammlungen Asiens. Es grüßen euch vielmal im Herrn Aquila und Priscilla, samt der Versammlung in ihrem Hause. Es grüßen euch die Brüder alle“ (1. Kor. 16, 19. 20). Beachtenswert ist auch die besondere Wärme, die der Apostel ihrem Gruße beilegt. Alles zeugt von der hohen Achtung und Wertschätzung, welche die Beiden sowohl bei Paulus als auch bei den Korinthern genossen.

Nicht lange nach der Abreise des Apostels von Ephesus, beim Antritt seiner dritten Missionsreise (Apstgsch. 20), müssen Aquila und Priscilla Asien auch wieder verlassen haben und nach Rom, ihrem früheren Wohnort, zurückgekehrt sein. Denn der Apostel bestellt in seinem Briefe an die Römer, den er aller Wahrscheinlichkeit nach während seines zweiten Aufenthalts in Korinth geschrieben hat, Grüße an sie und empfiehlt sie der dankbaren Liebe der Gläubigen in Rom in geradezu rührender Weise: „Grüßet Priska und Aquila, meine Mitarbeiter in Christo Jesu, (welche für mein Leben ihren eigenen Hals preisgegeben haben, denen nicht allein ich danke, sondern auch alle Versammlungen der Nationen,) und die Versammlung in ihrem Hause“ (Röm. 16, 3. 4). Ja, wir sind heute noch diesen lieben Menschen dankbar für die aufopfernde Pflege und unermüdliche Sorge, die sie dem „Apostel der Nationen“ erwiesen haben, und bald werden wir ihnen in der Herrlichkeit droben unseren Dank aussprechen können. Wie hell wird der Name Dessen an ihren Stirnen glänzen, dem sie hienieden in Seinen Knechten so treu gedient haben, und wie werden wir uns mit ihnen freuen, wenn dann ein jeder seinen eigenen Lohn empfangen wird nach seiner eigenen Arbeit! (1. Kor. 3, 8.) Aber wie sollten sich auch unser aller Herzen danach sehnen, in unserem geringen Maße gleicher Ehre gewürdigt zu werden, auf Grund gleicher Treue! Der Herr gebe, dass dem Wunsche die Verwirklichung, den Worten die Taten folgen möchten!

Auch in Rom bildete das Haus Aquilas wieder eine Zufluchts- und Erquickungsstätte für die vielfach so bedrängte »kleine Herde«. Hier wie in Ephesus versammelten sich die Gläubigen in ihrem Hause zur Pflege der Gemeinschaft, zum Brechen des Brotes und zu den Gebeten (Vergl. Apstgsch. 2, 42). Hier wie dort wird Priscilla als eine „Lehrerin des Guten“ den übrigen Schwestern in allem Guten vorangegangen sein, als eine Frau, die ihren Schmuck nicht suchte in Haarputz und schönen Kleidern und goldenen oder silbernen Kleinodien, sondern „in dem sanften und stillen Geiste, welcher vor Gott sehr köstlich ist“, in einem Betragen, „wie es dem heiligen Stande geziemt“ (Tit. 2, 3; 1. Petr. 3, 3. 4; 1. Tim. 2, 9. 10.) Wenn von irgend einer Frau gesagt werden konnte, dass sie „Fremde beherbergt, der Heiligen Füße gewaschen, Bedrängten Hilfe geleistet habe, dass sie jedem guten Werke nachgegangen sei“ (1. Tim. 5, 10), dann gewiss von ihr.

Wie ein lieblicher Schlussakkord in dem Liede zu Ehren des gläubigen Paares klingt der Gruß des Apostels Paulus am Ende seines 2. Briefes an Timotheus. Wieder haben die Beiden ihren Wohnsitz gewechselt; sie befinden sich von neuem in Ephesus, wo Paulus den Timotheus, sein „echtes Kind im Glauben«, zurückgelassen hatte, damit er über die dortige Herde wache, mit dem Vorlesen, Ermahnen und Lehren anhalte und vor allem „das Bild gesunder Worte“ festhalte, die er von ihm gehört hatte, in Glauben und Liebe. (1. Tim. 1, 2 ff.; 4, 13. 16; 2. Tim. 1, 13. 14.) Zum zweiten Male gefangen gesetzt, seinen Tod bald erwartend, schüttet der bejahrte Knecht des Herrn noch einmal sein Herz vor seinem geliebten und „gleichgesinnten“ Mitarbeiter aus, gibt ihm seine letzten Lehren und Ermahnungen und befiehlt ihn der Gnade und Barmherzigkeit des Herrn. Sein Lauf war vollendet, der gute Kampf war ausgekämpft, und er stand im Begriff, in die Freude seines Herrn einzugehen. So auf der Schwelle der Ewigkeit stehend, sandte er seine letzten Grüße der Liebe an Timotheus und einige andere treue Weggenossen: „Grüße Prisla und Aquila (Priska steht wieder voran) und das Haus des Onesiphorus!“

Onesiphorus hatte den Apostel in Rom „fleißig aufgesucht und sich seiner Kette nicht geschämt", und oft war Paulus durch ihn erquickt worden. Auch in seiner Heimatstadt Ephesus hatte er viel gedient (2. Tim.1, 16 — 18). Sein Haus gehörte sicherlich auch zu den gottesfürchtigen, gastfreundlichen Häusern der Stadt, und so erinnert sich der scheidende Apostel dieses Hauses, im Verein mit Prisca und Aquila, in dankbarer Liebe. Er wünscht ihm, dass es mit seinem Haupte am Tage der Vergeltung dasselbe finden und empfangen möge, was es geübt hatte: Barmherzigkeit. Man hat oft gefragt, ob denn Onesiphorus nicht wirklich bekehrt gewesen sei, weil der Apostel einen solchen Wunsch für ihn und sein Haus ausspricht. Man vergisst dabei, dass es sich hier gar nicht um Errettung handelt, sondern um den Lohn, der an „jenem Tage“ ausgeteilt werden wird. Wie die Arbeit, so der Lohn. „Glückselig die Barm-herzigen, denn ihnen wird Barmherzigkeit widerfahren!“ (Matth. 5, 7).

Nur kurz sind die Berichte des ewigen Wortes über Aquila und Priscilla, anscheinend nur einige gelegentlich eingestreute Bemerkungen. Aber wie inhaltreich und bedeutungsvoll sind sie, und wie geben sie uns ein Bild von einem treuen, reichen Leben für den Herrn, lassen uns Blicke tun in ein Haus, dessen Tür die Inschrift trug: „Geheiligt dem Herrn!“, in einen Familienkreis, der, gleich dem von Bethanien, von himmlischer Gesinnung und göttlichem Frieden durchweht war! Fast zwei Jahrtausende sind vergangen, seitdem die teuren Namen genannt wurden, aber immer noch strahlen sie in unvergänglicher Schönheit und reden zu uns in einer Sprache, die unsere Herzen bis auf den Grund bewegt und den Wunsch in uns weckt: „Herr, lehre mich, in den Fußstapfe“ von Aquila und Priscilla zu wandeln! Lass mich „Mit ungeteiltem Herzen“ dir dienen und, gleich ihnen, in Einfalt und Treue das Werk tun, welches du mir aufgetragen hast!« .

Fußnote:

*) Priscilla ist nur eine Verkleinerung des Namens Priska, wie Annchen von Anna.

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Das Abendessen in Bethanien

Bibelstelle: Johannes 12,1-8

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 211ff

Beschäftigen wir uns jetzt etwas eingehender mit der Frau, welche die Hauptrolle in dieser lieblichen Familienzusammenkunft spielte. Sie stellt etwas Höheres dar als den Dienst, nämlich die Anbetung.

Die Gemeinschaft, das heißt das Teil und der Genuss, die wir mit Gott gemein haben, erfüllt das Herz mit einer ,,völ1igen Freude«. Es ist ja auch eine wunderbare Segnung, dass solch niedrig stehende Wesen, wie wir, zu dem Tische des allmächtigen Gottes geladen sind, als Kinder eines solchen Gottes, um uns hier von Christo zu nähren, der die ganze Wonne Seines Herzens ausmacht. Das erhebt uns auf den höchsten Platz, so hoch, dass das Vorrecht uns wohl stolz machen könnte, — eine Gefahr, die selbst ein Apostel für sich erkannte. Aber so groß das Vorrecht sein mag, es gibt eine Stellung, noch kostbarer als das bisher Gesagte, bei der jede Gefahr ausgeschlossen ist, und das ist, zu den Füßen des Sohnes Gottes den untersten Platz in einer Anbetung einzunehmen, bei der wir uns selbst nur vergessen können. Dann denkt man nicht an seine Vorrechte, noch an den Genuss der empfangenen Segnungen. Man steht der unergründlichen, göttlichen Liebe gegenüber, die sich in einem Menschen geoffenbart hat, der Gott ist. Man gießt dann, wie Maria es tat, eine kostbare Salbe über die Füße Jesu aus, deren Verlust den Menschen zwar als Torheit erscheint, deren Wohlgeruch aber das ganze Haus erfüllt wie der zarte Ton unsichtbarer Harfen.

Es handelt sich in Marias Fall nicht um das, was man in der Gemeinschaft empfindet, noch um das, was man im Dienste gibt und tut. Ein Gegenstand, Gott selbst, geoffenbart im Fleische — denn das ist der Charakter Christi im Evangelium Johannes — nimmt alle Gedanken und das ganze Wesen derart ein, dass für nichts anderes mehr Raum bleibt. Das Herz ergießt sich wie der Wohlgeruch der Salbe; es hat nichts, was vortrefflich genug wäre, um es über die Füße Dessen auszugießen, der Mensch wurde, um das Werk der Erlösung ausführen zu können. Maria salbt die Füße des Sohnes Gottes, der im Begriff stand zu sterben.

Lasst uns wohl beachten, wie sehr der Vorgang in unserem Kapitel sich von den Berichten bei Matthäus und Markus unterscheidet. In diesen beiden Evangelien wird Maria nicht genannt; es heißt dort einfach: „ein Weib“. Es ist dem Evangelium Johannes, in welchem der Herr „Seine eigenen Schafe mit Namen ruft“, eigen, uns den Namen des Weibes zu nennen, geradeso wie der Herr auch hier am Tage Seiner Auferstehung eine andere Maria mit Namen ruft. (Vergl. Kap. 20, 16). In den Evangelien Matthäus und Markus füllt das Weib den ganzen Schauplatz aus. Es gibt nur für den Heiland und für sie Raum. Trotzdem trägt ihre Handlung in beiden Evangelien einen weniger erhabenen Charakter als bei Johannes. Bei Matthäus (vergl. Kap. 26, 6 — 13) kommt sie zu Jesu und gießt ihre Salbe nicht über Seine Füße, sondern über Sein Haupt aus. Sie vollzieht die Salbung des Sohnes Davids, von welchem das Evangelium Matthäus zu uns redet. Sie salbt das Haupt des Königs, des verachteten und verworfenen Messias, und zwar in dem Augenblick, als Er im Begriff stand zu sterben. Sie macht so vor aller Augen Sein Anrecht an das Königtum kund, das Anrecht Dessen, der gerade den Platz eines Opfers einnehmen will. Ihre Salbe ergießt sich von dem Haupt auf den „Leib“ des Herrn. (Vergl. V. 12.) Allein würdig der Salbung zum Königtum, einer Salbung, welche durch die Glaubenstat eines schwachen, aber jene Würde erkennenden Weibes vollzogen wird, schickt der Sohn Davids sich an zu sterben. Sein Leib soll in die Erde gelegt werden. Aber Er kann nicht im Grabe bleiben. Und das war es, was der Glaube Marias fühlte, jedenfalls mehr fühlte als wusste. Später dachte sie nicht daran, wie andere es taten, Seinen Leib zu salben. Er musste ja wieder auferstehen, um, mit der kostbaren Salbung auf Seinem Haupte, in Sein Reich einzugehen. Aber sie erwies Ihm vor dem Kreuze die Ehrung, die Ihm gebührte, damit Er

sie noch auf Erden, unmittelbar vor Seinem Tode, empfange.

Judas tritt bei Matthäus überhaupt nicht hervor. Es heißt, dass die Jünger ihrem Unwillen über Marias Verschwendung Luft machten. Ach, sie erkannten das nicht als ein gutes Werk an, was für Christum geschah; sie legten nur der Freigebigkeit gegen die Armen diesen Namen bei. Aber indem sie das taten, gaben sie dem Herrn Gelegenheit, zu zeigen, was ein gutes Werk ist. Wenn ich alle meine Habe zur Speisung der Armen austeilen würde, was würde es mir nützen, wenn nicht die Liebe, wenn nicht Jesus selbst die Triebfeder meines Tuns wäre? Mit welchem Ernst, mit Betrübnis gemischt, nimmt der Herr die Verteidigung Seiner demütigen Dienerin in die Hand, indem Er nicht erlaubt, dass man sie in ihrer Hingabe verwunde und das Heiligtum ihres Herzens verletze! Wie leicht hätte der Widerspruch der Jünger ihrem empfindsamen Herzen einen tödlichen Stoß versetzen und sie dahin bringen können, sich in sich selbst zurückzuziehen mit der Frage, ob sie doch nicht vielleicht den Pflichten der Nächstenliebe zuwider gehandelt habe. Jesus aber schützt diese zartfühlende Seele; denn wer ist zartfühlend wie Er? „Was machet ihr dem Weibe Mühe?“ sagt Er.

Im Evangelium Markus (vergl. Kap. 14, 3 - 9) gießt „das Weib“, geradeso wie bei Matthäus, ihre Salbe auf das Haupt Jesu aus. Während in diesem Kapitel keiner der Jünger imstande ist, der Liebe, die Jesus ihnen bezeugt, zu entsprechen, macht Maria allein eine Ausnahme. Sie bringt dem Heiland ihre Salbe, und zwar tritt sie — ein überaus rührender Umstand — hier nicht vor den König, sondern vor den Diener, dessen Laufbahn ja bekanntlich den Gegenstand des Markus bildet. Sie gießt also ihre Salbe auf das Haupt des Dieners aus; darauf zerbricht sie das kostbare Alabasterfläschchen, welches die Salbe enthielt. Markus allein berichtet von dem Zerbrechen des Fläschchens. Nachdem es zur Salbung eines solchen Dieners benutzt worden ist, soll es niemals wieder Salbe enthalten, sei es für wen es will. Die Herrlichkeit des Dieners, der, sich selbst zu nichts machend, den Pfad des Gehorsams durch diese aufrührerische Welt schritt, der sich erniedrigte bis zum Kreuze, um Gottes Erlöser-Willen zu vollbringen, diese Herrlichkeit kommt der des Königs gleich. Was sage ich? Sie übertrifft sie noch bei weitem, und so ist das Haupt des Dieners der gleichen Salbung würdig. Es ist das Freudenöl, welches Ihn für immer über Seine Genossen erhebt. Maria tut alles, „was sie vermag“, um diese wunderbare Selbsterniedrigung anzuerkennen und zu preisen. Durch die Salbung des Hauptes des Heilandes erklärt sie, dass Er, nachdem Er sich zu nichts gemacht hat, „hoch erhoben“ werden wird. Jesus hebt deshalb auch die Tat dieses Weibes nach ihrer ganzen Bedeutung hervor: sie hat es „zu meinem Begräbnis“ getan, sagt Er. Eine solche Liebestat, eine solche Wertschätzung der Erniedrigung Christi verdiente so betrachtet zu werden, als ob Maria zum voraus ein Bewusstsein gehabt hätte von den Ergebnissen des Werkes, welches Jesus zu vollenden im Begriff stand. Was sie getan hat, ist nicht nur im Himmel angeschrieben, es wird auch auf Erden davon geredet werden, so lange das Evangelium verkündigt werden wird.

Im Evangelium Johannes finden wir die tiefe Anbetung der Maria, die zu den Füßen des Heilandes zu sitzen pflegte. (Vergl. Luk. 10, 39; Joh. 11, 32.) Sie treibt die Jüngern: Jesu an, zu Seinen Füßen niederzuknien. Alles andere hat für sie keine Wichtigkeit. Während Martha dem Herrn in den Seinigen dient, dient Maria nur Ihm. Wie könnte sie auch eine andere Stellung vor dem Sohne Gottes einnehmen? Vermöchte sie Sein Haupt zu salben? Maria denkt nicht daran; aber sie schickt sich an, die Füße dieses Menschen, welcher Gott ist, zu salben. Dieser Gedanke ist ihr übrigens vertraut, denn stets hat sie Ihn als Gott erkannt, sei es dass Er ihr durch Sein Wort den Schatz der ewigen Gedanken erschlossen, oder dass Er sich am Grabe des Lazarus in Macht als Sohn Gottes geoffenbart hat. Sie kann also hier dieses göttliche Haupt nicht salben, wohl aber die heiligen Füße, welche in vollkommener Reinheit diese Welt der Unreinheiten durchschritten haben, und die bis zum Ziele hingehen werden, bis zur ewigen Erlösung der Sünder. Sie erachtet sich höchstens für würdig, Seinen Füßen als Schemel zu dienen. Ihre Haare, „des Weibes Ehre“, sind gerade gut genug, um die Salbe damit abzuwischen, diese „echte und sehr kostbare Narde“, womit sie Seine anbetungswürdigen Füße salbt, die aber doch nicht genug Wert für sie besitzt, um sie da zu belassen. Aber indem sie die Salbe abwischt, erfüllt deren Wohlgeruch das ganze Haus und verherrlicht so die Liebe, welche den Sohn Gottes bis in den Tod hinabsteigen ließ.

Martha dient, so haben wir gesagt, Maria dient Ihm. Zugleich ist dies der einzige Fall, wo Jesus aus Erden wirklichem Mitgefühl begegnete. Er fand wohl hie und da Glauben, Vertrauen, Bewunderung, aber niemals wahres Mitgefühl. Wie musste Sein so unendlich zart empfindendes Herz darunter leiden! Bei Maria finden wir nicht Bewunderung, hier ist Liebe für Den, der im Begriff steht zu sterben, und den die Machenschaften des Verräters und des Hasses Seiner Feinde bereits umgeben, Liebe für das Lamm, das zur Schlachtbank geht, ohne Seinen Mund auszutun. Maria vollzieht die Salbung in Gegenwart ihres Bruders, des lebendigen Zeugen der Auferstehung; aber was sie zu den Füßen ihres Herrn niederwirft, ist nicht das, was Er für Lazarus getan hat, es ist die Unaussprechliche Liebe Dessen, der die Auferstehung und das Leben ist und doch freiwillig in den Tod geht. Sie handelt im Blick „auf den Tag Seines Begräbnisses“. Zweifellos hätte sie keine Gründe für ihr Tun angeben können, aber der Glaube ist einsichtsvoll und handelt niemals töricht. Tatsächlich war Maria mit ihrem einfältigen Glauben einsichtsvoller, als alle die heiligen Frauen zusammengenommen. Sie konnte sich nicht mit ihnen verbinden, um den Leib eines gestorbenen Christus zum Begräbnis zuzubereiten, eines Christus, der sich schon durch die Auferweckung des Lazarus als Sohn Gottes erwiesen hatte und sich unfehlbar durch Seine eigene Auferstehung als solcher offenbaren musste. Sie vereinigte sich auch nicht mit den Frauen, die ausgingen, um den Lebendigen unter den Toten zu suchen. Wie schon früher bemerkt, erwähnt Johannes auch Judas, dessen Gegenwart die anderen Evangelisten übergehen. Der finstere· Schatten dieses Opfers Satans fällt mitten in diese Szene, wo die drei Herzen der Familie zu Bethanien im Einklang mit dem des Heilandes schlagen. Judas schätzt den Wert der Salbe auf dreihundert Denare; dann geht dieser unselige Mensch hin, um feinen Herrn für einen zehnmal geringeren Preis zu verlaufen. Für diesen „herrlichen Preis, dessen Er von ihnen wertgeachtet ist“ (Sacharja 11, 13), ist er bereit, seinen Gott zu verkaufen!

Es gibt viel Übereinstimmendes zwischen Marias Tun und der Handlungsweife der großen Sünderin im Evangelium Lukas (Kap. 7, 36 — 50). Lukas berichtet, in Übereinstimmung mit dem wesentlich evangelistischen Zweck seines Buches, nur die Geschichte der Sünderin und fügt diese gleichsam an Stelle des Abendessens in Bethanien ein. Die Extreme berühren sich. Mag der Unterschied zwischen den beiden Frauen im allgemeinen noch so groß sein, ein Ding vereinigt sie in derselben Tat, begleitet von demselben Wohlgeruch, eine Sache führt die Sünderin zu den Füßen des Sohnes des Menschen und Maria zu den Füßen des Sohnes Gottes: die Liebe. Alle beide lieben viel, weil sie sich viel geliebt wissen; alle beide haben ein Bewusstsein von der Tiefe dieser göttlichen Liebe. Die eine kommt zu dem Mahl einer feindlichen Welt, ohne die Geladenen zu beachten, weil ihre Bedürfnisse sie zu der einzigen Quelle hinziehen, welche jene befriedigen kann; die andere kommt in Gemeinschaft mit den gesegneten Gästen von Bethanien, aber sie vergisst selbst diese, um die Liebe Gottes anzubeten, die sie in Christo kennen gelernt hat. Alle beide trocknen die Füße Jesu mit ihren Haaren, aber die Sünderin trocknet damit zugleich ihre Bußtränen, in dem Gefühl, dass selbst diese Buße der Liebe eines Heilandes unwürdig ist, dessen Füße sie mit ihren Tränen benetzt. Maria ihrerseits trocknet die ausgegossene Salbe, indem sie sogar ihre Anbetung als eines solchen Gegenstandes unwürdig erachtet. Die Sünderin wird mit ihren Sünden ins volle Licht gebracht, um da Gnade zu finden, und sie bezeugt ihre Dankbarkeit durch ihre Küsse. Maria kommt mit einem bereits gereinigten Herzen, um die Unermesslichkeit der Liebe Dessen anzubeten, der im Begriff steht zu sterben. Sie kommt nicht wie die Sünderin, um Heil, Vergebung und Frieden zu suchen und davonzutragen; sie kommt mit dem ganzen Mitgefühl eines liebenden Herzens und empfängt die Billigung des Herrn, der ihre Verteidigung übernimmt, indem Er dem Gegner ihre Handlung erklärt, eine Handlung, deren Tragweite sie selbst nicht ermisst. Sie empfängt überdies von dem Herzen des Heilandes das Zeugnis, Ihm vor Seinem Tode gefallen zu haben, und die Kunde von dem, was sie getan hat, ertönt noch heute vor aller Welt.

Beide, die arme Sünderin wie die geliebte Jüngerin zu Bethanien, nehmen einen hervorragenden Platz im Herzen des Heilandes ein und glänzen in Seinem Schatz als Edelsteine von hohem Werte.

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Jabez

Bibelstelle: 1. Chronika 4, 9. 10

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 219ff

Die Mutter des Jabez hatte ihren Sohn mit Schmerzen geboren und ihn deshalb Jabez, d. h. Schmerz, genannt. Diese Frau hatte für sich selbst die Folgen der Sünde geschmeckt und erkannte den Fluch an, der für den Menschen aus ihr entsprungen war. Gott hatte zu Eva gesagt: „Ich werde sehr mehren deine Mühsal . . . mit Schmerzen sollst du Kinder gebären“ (1.Mose 3, 16). Die Mutter des Jabez nahm diesen gerechten Urteilsspruch Gottes über das durch die Schlange betrogene Weib durch den Glauben so völlig an, dass sie ihn sogar auf ihren Sohn übertrug und ihm den Namen „Schmerz“ gab. Mit anderen Worten: sie erkannte an, dass seitens des Menschen durch den Sündenfall jede Hoffnung auf Glück verscherzt war, und dass der Schmerz sein gewisses Teil sein musste.

Die Geschichte des Jabez stand von Anfang an unter dem Eindruck dieser Überzeugung; deshalb war er auch „geehrter als seine Brüder“. Weiterhin „rief er zu dem Gott Israels“, in dem Bewusstsein, dass es einzig und allein von Jehova abhing, wenn er von dem Fluche der Sünde befreit werden sollte. Auch wusste er, dass diese Befreiung so vollständig sein konnte, dass sie aus ihm, Jabez (Schmerz), einen Menschen ohne Schmerz machte.

Jabez richtete vier Bitten an Gott. Wenn Er sie ihm gewährte, so würde das der Beweis seiner

völligen Befreiung sein.

Die erste Bitte lautete: „Wenn du mich reichlich segnest . . .“ Gott hatte den Menschen samt dem Erdboden, aus welchem er gemacht worden war, verflucht (1. Mose 3, 17). Er allein konnte diesen Urteilsspruch aufheben und ihn durch den Segen ersetzen: der erste Beweis von dem Aufhören des Schmerzes. Gott allein vermochte die Umstände so zu ändern, dass der aus Seiner Gegenwart vertriebene Sünder zu Ihm zurückgebracht werden konnte, um sich Seiner Gnade und Seiner bedingungslos gegebenen Verheißungen zu erfreuen. „Ich will dich segnen“, hatte Jehova einst zu Abraham gesagt. Jabez’ Glaube wandte sich zurück zu den Gnadenratschlüssen und Verheißungen Gottes, als alles im Verfall war. Seine Geschichte, die nur im 1. Buche der Chroniken berichtet wird, steht demnach ganz in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Charakter dieser Bücher, die uns ja einen vorausschauenden Blick über die Ratschlüsse Gottes tun lassen.

„Und Gott ließ kommen was er erbeten hatte.“ So hat Gott auch für uns durch das Opfer Christi alle Folgen der Sünde zunichte gemacht, so dass wir jetzt in Ihm mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern gesegnet werden können.

Die zweite Bitte lautete: „Wenn du meine Grenze erweiterst“. Die Geschlechtsregister, die wir im Anfang unseres Buches finden, heben öfter einzelne Personen hervor, deren Grenzen Gott im Lande der Verheißung erweiterte, und zwar zu einem Zeitpunkt, als die Masse des Volkes hinsichtlich der völligen Besitzergreifung des Erbteils versagte· Schon im zweiten Kapitel finden wir in Jair einen Beweis für diese Behauptung. Weiter sind die Namen Kaleb, Alsa, Othniel ebenso viele Beweise für die persönliche Tatkraft des Glaubens, der erweiterte Grenzen findet, wenn er auf Gott rechnet. Für uns liegen die Verhältnisse genauso: unsere geistlichen Grenzen in dem himmlischen Erbteil erweitern sich, während wir noch hienieden sind. Um sie in Besitz zu nehmen, ist es erforderlich, unseren unheilbaren Verfall anzuerkennen und damit die Unfähigkeit, selbst unsere Grenzen zu erweitern, ferner eine demütige Abhängigkeit zu bekunden, die sich auf Gottes Gnade zur Besitznahme der Grenzen stützt.

Als Drittes erwähnte Jabez: „Wenn deine Hand mit mir ist“. Er rechnete nicht auf seine natürliche Kraft zum Erwerb seines Besitzes, sondern auf die Macht Gottes. Dieser Umstand fällt umso mehr ins Gewicht, als das Geschlecht dieses Mannes durch seine Tatkraft berühmt war.

Schließlich, als Viertes, erbat Jabez: „Wenn du das Übel fern hältst, dass kein Schmerz mich trifft“. Das Übel oder das Böse, das den Schmerz in die Welt gebracht hat, ist nicht aus ihr verschwunden; es ist immer da. Jabez wusste das wohl; darum bat er nicht, dass es weggenommen, sondern dass es fern gehalten werden möchte. Zugleich erkannte er damit an, dass nicht sein Wille, sondern lediglich die Macht Gottes ihn zu bewahren vermochte.

Ein völliges Vertrauen auf die Gnade und die Macht Gottes ist das einzige Mittel, um alle diese

Dinge zu erlangen. Jabez erlangte sie. Wie hätte der Schmerz noch länger im Herzen dieses Mannes Gottes eine Stätte finden können, nachdem alle seine Bitten Erhörung gefunden. hatten? Zweifellos war der Schmerz ebenso wenig aus der Welt verschwunden wie das Böse, welches dessen Ursache ist, aber das Herz des Jabez, erfüllt mit den großen, ihm zugestandenen Dingen, hatte keinen Raum mehr für ihn.

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Herunter vom Wagen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 222ff

Ein Arbeiter des Herrn ist berufen, mit Eifer und Treue für seinen Herrn tätig zu sein. Deshalb dürfen aber andere Gläubige, die nicht in diesem besonderen Sinne für den Herrn arbeiten, nicht denken, dass es für sie nichts zu tun gebe. Ein Arbeiter des Herrn träumte einst, er müsse einen Wagen einen Berg hinaufziehen. Trotz aller Anstrengung brachte er den Wagen aber nicht von der Stelle. Schließlich wandte er sich um, um nach der Ursache zu forschen; und was erblickte er? Alle Gläubigen, die er an dem Ort kannte, saßen oben auf dem Wagen. Jetzt wurde ihm klar, weshalb er den Wagen keinen Zollbreit vorwärts zu bringen vermochte. Laut rief er: „Herunter vom Wagen! Helft mir ziehen!“ Die auf dem Wagen Sitzenden gehorchten, und bald war der Wagen oben.

So ist es auch im geistlichen Leben. Jedes Kind Gottes hat eine Berufung im Werke des Herrn. Kannst du kein Stern erster Größe sein, so sei ein kleiner Stern. Kannst du kein Stern sein, so sei eine Lampe, oder doch ein Lichtlein. In jedem Falle sei etwas!

Um etwas zu sein, braucht man nicht gerade sich öffentlich zu betätigen. Da ist neben manchem anderen das stille Gebet, die herzliche Fürbitte, das tröstende Wort, die helfende Hand, die milde Gabe, nicht zu vergessen das Forschen im Wort für uns selbst, wodurch wir früher oder später durch Gottes Gnade anderen nützlich sein können. Von einem berühmten —Maler urteilten seine Zeitgenossen einst: „Wie faul ist doch Leonardo Da Vinci! Da steht er wieder den ganzen Tag mit den Händen auf dem Rücken vor seiner Arbeit und rührt den Pinsel nicht an.“ Aber Da Vinci wusste, dass der, welcher etwas leisten will, seinen Gegenstand beherrschen muss. Geradeso ist es in den Dingen Gottes. Wir müssen Gottes Wort fleißig lesen, uns in des Herrn Willen vertiefen, um das dem Herrn Wohlgefällige recht tun und anderen einen Nutzen sein zu können.

Man erzählt, dass in Mexiko ein Baum wächst, der die merkwürdige Eigenschaft besitzt, die Feuchtigkeit der Luft aufzusaugen und sie in Tropfen aus seiner Rinde wieder auszuschwitzen. Zu jeder Jahreszeit hat dieser Baum Wasser die Fülle. Das ist ein lehrreiches Bild für den Gläubigen. „Wenn die Wolken voll Regen sind, so entleeren sie sich auf die Erde", sagt Salomo. Lassen wir uns durch den Heiligen Geist leiten und füllen, so werden Ströme lebendigen Wassers von uns ausfließen, wodurch andere getränkt werden.

Darum: nichts könnte verkehrter sein, als die Arbeit Einzelnen zu überlassen! Wir alle sind berufen, daran teilzunehmen. Möchte deshalb jeder seine Schulter darunter beugen und nicht „den Vornehmen“ in den Tagen Nehemias gleichen, „die ihren Nacken nicht unter den Dienst ihres Herrn beugten“! (Neh. 3, 5.) Weihe ein jeder willig dem Dienst des Herrn Kräfte und Gaben! Ja, möchten wir allezeit überströmend sein in dem Werke des Herrn, da wir wissen, dass unsere Mühe nicht vergeblich ist im Herrn“ (1. Kor. 15, 58).

Allezeit überströmend zu sein in dem Werke des Herrn, ist auch deswegen so nötig, damit der Herr bald kommen könne. Unsere Gedanken sollten nicht auf den Tod gerichtet sein. Kommt der Tod, so soll er uns bereitfinden. Aber wir sollten nicht auf ihn warten, sondern lieber nach Jesu Kommen ausschauen. Tue ich das, so kann ich nur mit Trauer an so viele denken, die dann nicht mitgehen werden, weil sie noch nicht an Jesum glauben. Und indem ich den Schrecken des Herrn kenne und durch die Liebe Christi gedrungen werde, wird mein Herz wünschen, diese

Vielen, so viel an mir liegt, mit Jesu bekannt zu machen. Ich fühle, dass die Zeit drängt. Der Herr ist nahe! Sind wir überströmend in dem Werke des Herrn, du und ich, wir alle?

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Ein Wort über den Prediger

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 225ff

Das Erdenleben wird von den Menschen im Allgemeinen von zwei entgegengesetzten Gesichtspunkten aus betrachtet. Die eine, jüngere Hälfte sieht es vor sich wie eine sich weithin eröffnende herrliche Aussicht, die andere, ältere, urteilt von dem Standpunkt eines Zurückschauenden, der alles Erlebte und Durchgemachte mit nüchternem Blick betrachtet. Gleich dem wolkenlosen Morgen eines langen Sommertages erscheint das Leben dem, der gerade die Kinderschuhe ausgezogen hat und nun, voll strahlender Hoffnungen, die Reise antritt, welche den Traum seiner Kindheit verwirklichen soll. Wie am trüben Ende eines nebligen Wintertages kommt sich so mancher vor, der die Grenze der dem Menschen gesetzten Zeitspanne erreicht hat und nun, als ein alter Mann, möglicherweise gequält durch die Erinnerung an so viele Verfehlungen, dem Grabe zuwankt. Beide haben ein Urteil darüber, was das Leben hienieden ist, aber der eine spricht von dem, was er erhofft, der andere von dem, was er gefunden hat. Doch wie ist beider Urteil zu bewerten? Man macht sich meist einen falschen Begriff von einem Wege, den man noch nicht gegangen ist, und so ist das Urteil eines Jünglings über das Leben im allgemeinen trügerisch. Aber können wir einem alten Manne, der den Weg gegangen ist, vertrauen dass er uns eine richtige Vorstellung davon zu geben vermag, was das Leben auf Erden in Wirklichkeit ist? Wohl kann er uns von seinen Erfahrungen erzählen, er mag uns auch von seiner eigenen Auffassung zu überzeugen suchen; aber das Bild wird immer einseitig gefärbt ausfallen, je nach den Prüfungen oder Freuden, die der Betreffende auf seinem Wege erfahren hat. Es sind eben immer nur die Erfahrungen eines Einzelnen.

Um zu einem richtigen Urteil über den Wert des Erdenlebens zu gelangen, brauchen wir also mehr. Aber wo ist die Wahrheit zu finden? Die Weisheit der Alten vermag sie uns nicht zu geben; auch die Forschungen derer, welche in unseren Tagen leben oder gelebt haben, können keine befriedigende Antwort erteilen. Ein richtiges Urteil vermag nur jemand zu fällen, der mit wahrer Weisheit begabt ist, jemand, der mit Einsicht von oben die Dinge auf Erden zu ergründen vermag. Und so können wir ruhig sagen: Nur ein Einziger von den Kindern Adams ist dieser Aufgabe gewachsen gewesen, und er ist zu ihrer Lösung geschritten. Was David, der Mann nach dem Herzen Gottes, nicht in vollständiger Weise zu schildern vermochte, das konnte und das tat sein Sohn. In dem Buche, das mit den Worten beginnt: „Worte des Predigers, des Sohnes Davids, des Königs in Jerusalem“, finden wir die Äußerungen des durch den Geist Gottes geleiteten Predigers, welche dem Menschen von Seiten Gottes, aber auch in den Erfahrungen des Weisesten der Menschen, die richtige Belehrung geben über die Frage, was das Leben für ein Kind Adams wirklich ist. Von Gott mit einer Weisheit ausgerüstet, die alles vor ihm Gewesene übertraf, -— „er war weiser als alle Menschen, als Ethan, der Esrachiter, und Heman und Kalkol und Darda, die Söhne Machols“ (1. Kön. 4, 31), — und an die keiner von denen heranreichte, die nach ihm kamen, König in Jerusalem, im Besitz eines Reichtums, wie ihn kein anderer Herrscher der Welt je gesehen hat, — „das Silber wurde in den Tagen Salomos für nichts geachtet« (1. Kön. 10, 21), — konnte er alles genießen, was Reichtum und Macht zu geben vermögen, sowie alles verstehen und beurteilen, was nur die Weisheit zu ergründen vermag. Denn „was wird der Mensch tun, der nach dem Könige kommen wird?“ „Wer kann essen und wer kann genießen außer mir?“ (Kap. 2, 12. 25).

Diese Worte waren nicht eitle Prahlerei. Ein Mann des Wohllebens und des höchsten Wissens, ein König der Könige, ein Herrscher, der seinen Untertanen gegenüber in vollendeter Weise Recht sprach, der alle die schwierigen Fragen der Königin von Scheba beantwortete, ein erfinderischer Geist, ein im Forschen weit Gekommener, ein Mann, der alles besaß, was den Wohlstand eines umherziehenden oder eines ansässigen und hoch zivilisierten Volkes ausmachen konnte, — welche Quelle der Freuden wäre ihm versagt, welches Feld der Erkenntnis aus Erden ihm verschlossen gewesen? Von all den Freuden, an denen der Mensch sich berauscht, hatte er in tiefen Zügen getrunken, während er zur gleichen Zeit Gottes Werke erforschte und die Gesetze studierte, welche das Leben und die Ordnung im Weltall regeln. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass Salomos Weisheit nicht bloß Geist und natürliche Befähigung war, oder die Frucht eines eingehenden Studiums, das Ergebnis einer außergewöhnlichen Beobachtungsgabe, nein, Gott hatte ihm Weisheit und Erkenntnis gegeben neben jenen Reichtümern, Gütern und Ehren, wie sie die Könige vor und nach ihm in gleicher Weise nie besessen haben. (Vergl. 2. Chr. 1, 12.) Derart war dieser Mann ausgerüstet, um getreulich das zu schildern, was das Leben des gefallenen Geschöpfes auf Erden ist und nur sein kann; gerade so wie Einer (und nur dieser Eine) während Seines Wandelns auf Erden richtig und vollkommen das dargestellt hat, was der Mensch sein sollte. Davids Sohn beschreibt das eine, Davids Herr hat das andere im Leben dargestellt.

Unser Buch ist deshalb von großem Werte. In ihm zu forschen würde den Weltmenschen unserer Tage nur nützlich sein. Sein Schreiber hatte keine Veranlassung, der Welt irgendwie zu grollen: sie hatte ihn, wie die Menschen sagen würden, gut behandelt; ein alle anderen überragender Platz, große, außergewöhnliche Ehre war ihm zuteil geworden, und seiner wunderbaren Weisheit ließ man volle Gerechtigkeit widerfahren. Denn „der König Salomo war größer als alle Könige der Erde an Reichtum und Weisheit. Und alle Könige der Erde suchten das Angesicht Salomos, um seine Weisheit zu hören, die Gott in sein Herz gegeben hatte. Und sie brachten ein jeder sein Geschenk: Geräte von Silber und Geräte von Gold und Gewänder, Waffen und Gewürze, Rosse und Maultiere, jährlich die Gebühr des Jahres“ (2. Chron. 9, 22 —24).

Ein solcher Mann war sicherlich zuständig, ein Urteil über das Leben abzugeben. Was hat er nun darüber zu sagen? Wie beschreibt er es? ,,Eitelkeit der Eitelkeiten! spricht der Prediger. Eitelkeit der Eitelkeiten! alles ist Eitelkeit“ (Kap. 1, 2). Wären diese Worte von einem Manne gesprochen, der nur Enttäuschungen erlebt und eine harte Behandlung auf dem Wege erfahren hätte, dessen Hoffnungen in grausamer Weise alle zerstört worden wären, so könnte sich niemand .über eine solche Einleitung wundern. Aber es sind die Worte des nach menschlichem Ermessen glücklichsten Menschen, den die Welt je gesehen hat. „Eitelkeit der Eitelkeiten“ — ein Hauch, ein Dunst, der über die Erde hinschwebt, um bald wieder zu verschwinden. Das ist die Erfahrung des Sohnes Davids, des Königs in Jerusalem, und zwar nicht nur betreffs eines, sondern betreffs aller Dinge.

„Eitelkeit der Eitelkeiten! spricht der Prediger; alles ist Eitelkeit“ Salomo nimmt hier einen Titel an, den man nur in diesem Buche findet. Er möchte seine Umgebung, alle, die zu hören bereit sind, um sich versammeln und sie unterweisen. Das ist die Bedeutung des Ausdrucks. Während andere Teile der Schrift von der Zukunft reden oder dem gegenwärtigen Pfade des Gerechten auf Erden, wendet sich dieses Buch an alle, die den Beschäftigungen des Lebens nachgehen und deren Herzen mehr oder weniger in der Welt sind. Es sagt ihnen, was diese Beschäftigungen in Wirklichkeit sind, sowie der Sohn des Königs sie erfahrungsmäßig kennen gelernt und durch die Feder der göttlichen Eingebung niedergeschrieben hat.

„Welchen Gewinn hat der Mensch bei all seiner Mühe, womit er sich abmüht unter der Sonne?“ Der Prediger nimmt den fleißigen, vielbeschäftigten, eifrig sich mühenden Menschen als Beispiel, den Mann, der in seinem Beruf viel zu tun findet, und der glücklich darin ist, der in den Geschäften des Lebens aufgeht. Aber weshalb nun dieser bittere Schrei des Predigers, der doch „angenehme Worte zu finden suchte“? (Kap. 12, 10.) Warum sieht er die Dinge so düster an? Das Geheimnis ist folgendes: „Ein Geschlecht geht und ein Geschlecht kommt; aber die Erde besteht ewiglich“. Die Erde bleibt, der Mensch nicht. Daher die Frage, die keiner Antwort bedarf: „Welchen Gewinn hat der Mensch bei all seiner Mühe usw.?“ Der Tod ereilt ihn! Daran erinnert zu werden ist für den Menschen gut. Der Tod ist der Sünde Sold. Doch wird er im Prediger nicht in dieser Eigenschaft betrachtet. Salomo verbreitet sich nicht darüber, wie der Tod in die Welt gekommen ist, sondern redet über sein Vorhandensein hier als ein Wurm, der an der Wurzel des Baumes der Vergnügungen nagt. (Vergl. Kap. 2, 15; 3, 19. 20; 5, 15; 6, 6; 9, 3.) Der Tod verdirbt jede Freude und macht jedes Vergnügen zunichte. Denn gerade dann, wenn der Mensch sich nach Jahren der Mühe niedersetzen möchte, um die Frucht seiner Arbeit zu genießen, ereilt ihn der Tod.

Wie ganz anders waren die Aussichten Adams vor seinem Fall! Wie ganz anders werden die Erfahrungen der Heiligen während des Tausendjährigen Reiches und die der Menschen auf der neuen Erde sein! Heute aber ist für den Menschen, der die Folgen des Sündenfalles trägt, der Tod der große Verderber, der alle seine Hoffnungen zerbricht. Das was nach dem Tode kommt, ist eine andere Sache. Darüber geben andere Schriftstellen Auskunft. Unser Buch betrachtet den Tod nur von dieser Seite des Grabes aus und zeigt, wie er sich trennend zwischen den Menschen und die Früchte seiner Arbeit stellt, die er eben zu ernten gedenkt. Das große Übel dabei ist dies: Nachdem der Mensch jahrelang gearbeitet hat, möchte er das, was er (nicht andere) aufgehäuft hat, auch genießen. Da muss er denn sehen, wie der Tod kommt und ihn hinwegrafft, während er alle Früchte seiner Arbeit anderen hinterlassen muss zum Genuss. „Denn" da ist ein Mensch, dessen Mühe mit Weisheit und mit Kenntnis und mit Tüchtigkeit geschieht: und doch muss er sie einem Menschen als sein Teil abgeben, der sich nicht darum gemüht hat“ (Kap. 2, 21).

Welch ein Ungemach ist daher der Tod, welch ein unwillkommener Besucher, den niemand von seiner Tür fernhalten kann! Er kommt ungebeten, kommt in den Augen des Menschen zu ganz ungelegener Zeit und nimmt seinem Opfer alles. Denn „gleich wie er aus dem Leibe seiner Mutter hervorgekommen ist, wird er nackt wieder hingehen, wie er gekommen ist; und für seine Mühe wird er nicht das Geringste davontragen, das er in seiner Hand mitnehmen könnte. Und auch dies ist ein schlimmes Übel: ganz so wie er gekommen ist, also wird er hingehen; und was für einen Gewinn hat er davon, dass er in den Wind sich müht?“ (Kap. 5, 15. 16). Mag der Mensch eine Stellung hienieden einnehmen, welche er will, schließlich gehen alle doch an einen Ort (Kap. 6, 6); der Reiche, der Arme, der Weise, der Tor, der Gerechte, der Böse, alle finden sich schließlich da wieder, wo die Fehlgeburt ist, die die Sonne nie gesehen hat. Der Tod, der große Gleichmacher aller Rangstufen, erniedrigt den Menschen unter sich selbst, ja, bis zum Tiere; „denn was das Geschick der Menschenkinder und das Geschick der Tiere betrifft, so haben sie einerlei Geschick: wie diese sterben, so sterben jene, und einen Odem haben sie alle; und da ist kein Vorzug des Menschen vor dem Tiere, denn alles ist Eitelkeit. Alles geht an einen Ort; alles ist aus dem Staube geworden, und alles kehrt zum Staube zurück“ (Kap. 3, 19. 20.) Wir können verstehen, das; der Mann, der die Entwicklung des Menschenlebens so vor sich sah — auf der einen Seite das Hervorkommen aus dem Mutterleibe, auf der anderen das Hinausgehen aus der Welt durch den Tod — der sah, wie alles nur das flüchtige Sein eines zum Hinwelken und Sterben geborenen Geschöpfes ist, dass dieser Mann zu dem Schrei kommen musste: „Welchen Gewinn hat der Mensch bei all seiner Mühe?“

Wenn nun einerseits der Tod einem Menschen den Genuss der Früchte seiner Mühe raubt, so redet andererseits das Leben selbst und alles, was den Menschen umgibt, von unaufhörlicher und immer wiederkehrender Mühe. Das angefangene Werk kommt nie zur Vollendung. Das bekunden schon die Gestirne am Himmel und die Dinge auf Erden. „Und die Sonne geht auf, und die Sonne geht unter; und sie eilt ihrem Orte zu, wo sie aufgeht“ (Kap. 1, 5.) Jeden Tag wird das Werk neu begonnen, um am nächsten Tage wieder von neuem ausgenommen zu werden. Jedes Jahr wird der zurückgelegte Lauf aufs neue zurückgelegt. Auch „der Wind geht nach Süden, und wendet sich nach Norden; sich wendend und wendend geht er, und zu seinen Wendungen kehrt der Wind zurück«. Die Flüsse strömen beständig zum Meere, „und das Meer wird nicht voll; an den Ort, wohin die Flüsse gehen, dorthin gehen sie immer wieder“. „Alle Dinge mühen sich ab: niemand vermag es auszusprechen; das Auge wird des Sehens nicht satt, und das Ohr nicht voll vom Hören“ So belehrt schon die Natur den Menschen, wenn er nur richtig zusteht, dass hienieden keine bleibende Ruhe genossen werden kann. Das Leben ist ein bewegter Schauplatz. Was gewesen ist, wird wieder sein, und es gibt nichts Neues unter der Sonne. Und um das Gemälde der Eitelkeit zu vollenden, heißt es: „Da ist kein Andenken an die Früheren; und für die Nachfolgenden, die sein werden, für sie wird es auch kein Andenken bei denen geben, welche später sein werden“. Das Vergessen des Früheren war nicht etwa ein Zug, der nur den Tagen Salomos eigentümlich gewesen wäre. Es hat zu allen Zeiten den Menschen gekennzeichnet und wird es auch fernerhin tun. Welchen Gewinn bringt also dem Menschen seine Arbeit? Was geschehen ist, wird wieder geschehen, und was gewirkt worden ist, wird vergessen werden.

Nachdem der Prediger dies gleichsam als Eingang zu seinem Buche gesagt hat, geht er dazu über zu zeigen, dass er nicht vom Hörensagen redet, noch die Weisheit anderer vorträgt, sondern dass er für sich selbst erprobt hat, was das Leben unter der Sonne für einen Angehörigen des Menschengeschlechts ist (Kap. 1, 12 — 2, 26).

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Vier Merkmale auf dem Wege des treuen Gläubigen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 234ff

Der Brief Pauli an die Philipper stellt uns den Wandel eines himmlischen Menschen durch diese Welt vor Augen und belehrt uns, wie die Gesinnung und das Verhalten eines solchen sein soll, der, obschon dem Leibe nach auf der Erde, dem Geiste nach im Himmel ist.

Der Brief betrachtet den Christen als einen Pilger in der Wüste, und seine Errettung oder Seligkeit als etwas, das am Ende der Reise erreicht wird. Die „Sünde“ wird darin gar nicht erwähnt. Das deutet darauf hin, dass der Gläubige, den Gott von der Sünde und ihren Folgen errettet hat, in seinem Verhalten nichts mehr mit ihr zu tun haben sollte. Selbst „das Fleisch“ wird nicht genannt, es sei denn, um uns zu warnen, unser Vertrauen darauf zu setzen.

So steht denn der Gläubige hier vor uns als ein im Wandel und Wesen himmlischer Mensch, als ein Mensch, der sich mit Christo in der Herrlichkeit verbunden weiß und diese als ein klares, bestimmtes Ziel vor Augen hat. Darum sondert er sich nicht nur von allem ab, was diese Welt, die den Herrn Verworfen hat, ihm bieten möchte, sondern er strebt auch unaufhaltsam vorwärts wie einer, der das Ziel, den Kampfpreis der Berufung, niemals aus dem Auge lässt. Das Licht, das von der Herrlichkeit her leuchtet, erhellt seinen Weg, der zwar voller Verleugnungen ist, aber durch des Herrn Teilnahme und Hilfe verschönt wird.

Es ist der Weg von Menschen, die in Wahrheit sagen können: „Wir sind die Beschneidung, die wir durch den Geist Gottes dienen und uns Christi Jesu rühmen und nicht auf Fleisch Vertrauen«« (Kap. 3, 3); der Weg solcher, von denen gesagt werden kann: „Unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten“ (Kap. 3, 20); kurz, der Weg aller, die im Wandel auf der Erde ihre Verbindung mit einem verherrlichten Christus zur Rechten Gottes durch den Glauben verwirklichen.

Solchen Gläubigen wird in diesem Briefe Christus in vierfacher Weise vorgestellt: als ihr Leben (Kap. 1), als ihr Vorbild (Kap. 2), als ihr Zweck und Ziel (Kap. Z) und als ihre Kraft (Kap. 4). Entsprechend dieser Vierteilung werden wir auch aus vier wichtige Kennzeichen eines treuen Nachfolgers Christi, auf vier Merkmale auf seinem Wege hienieden aufmerksam gemacht.

Zunächst erfahren wir, dass es der ernste Wunsch, ja, der Herzensentschluss des treuen Gläubigen ist: „dass Christus hoch erhoben werde an seinem Leibe, sei es durch Leben oder durch Tod" (Kap. 1, 20).

Was könnte auch schöner sein, als dass dasselbe Werkzeug, durch welches Satan Unehre auf den Namen Gottes und Jammer und Elend über die Schöpfung gebracht hat, nunmehr ein Werkzeug für Christum wird! Ist nun dieser Wunsch: „dass Christus hoch erhoben werde an meinem Leibe“, lebendig in mir, regiert der Grundsatz: „Das Leben ist» für mich Christus und das Sterben Gewinn“ (Kap. 1, 21), in meinem Leben, dann ist auch mein Wandel des Evangeliums Dessen würdig (Kap. 1, 27), zu dem ich emporschaue, und der in mir auf Erden ist. Wenn Christus in Seiner Herrlichkeit und Schönheit durch uns geoffenbart wird, so wird unser Wandel inmitten der Schwierigkeiten auf dem Wege himmlisch sein.

Als zweiter Lichtpunkt auf dem Wege des treuen Gläubigen erstrahlt die Gesinnung, die auch in Christo Jesu war, in Demut, Gnade und Selbstlosigkeit. (Kap. 2.) Sie wird ja auch in diesem Briefe bei Paulus, Timotheus und Epaphroditus gefunden.

Eine solche Gesinnung kann sich nur dann offenbaren, wenn man sich der Sünde und dem Fleische wirklich für gestorben hält und von Christo lernt. Christus und der Heilige Geist müssen an die Stelle des eigenen Ichs und des Fleisches treten, wenn wir wirklich dem Vorbilde entsprechen wollen, das uns in Christo vor Augen gestellt ist, der sich selbst erniedrigte und gehorsam ward bis zum Tode am Kreuze. Erst wenn wir in uns selbst nichts sind, kann Christus für uns alles werden.

Das dritte wichtige Merkmal auf dem Wege der Gläubigen ist ihr nach außen hin sichtbares Getrenntsein von den Dingen der Welt, auch der religiösen Welt, und ihr Streben nach dem „Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christo Jesu“. Ihr „Bürgertum (oder ihre bürgerlichen Verhältnisse) ist in den Himmeln, von woher sie auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten“ (Kap. 3, 20). Alles was dem Apostel hienieden wertvoll gewesen war, achtete er um Christi und Seiner Erkenntnis willen für Verlust und Dreck. Es gab für ihn nur noch eins: Christum zu gewinnen und in Ihm erfunden zu werden.

Es ist auch ein hohes Vorrecht, davon zeugen zu dürfen, dass wir im höchsten Sinne des Wortes Bürger einer Stadt sind, „welche Grundlagen hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist“ (Hebr. 11, 10). Nur in dem Maße aber, wie wir das Bewusstsein von diesem Bürgertum haben, werden wir uns auf Erden als Fremdlinge und Pilger benehmen. Niemand kann sich selbst zu einem Fremdling auf der Erde machen. Dieser Charakter prägt sich nur dann in uns aus, wenn der Geist und die Gesinnung Christi in uns wirken, und wir den Ort, wo Er sich befindet, als unsere wahre Heimat betrachten. Die Erhöhung Christi in die Herrlichkeit gibt uns, die wir Sein sind und Ihm nachzufolgen begehren, ein himmlisches Gepräge, und Seine Verwerfung seitens der Welt weist uns einen von der Welt getrennten Platz an.

Das vierte Kennzeichen des treuen Gläubigen verdient auch besondere Beachtung. Es besteht darin, dass er sich über die Umstände zu erheben vermag, dass er in Christo eine Kraft besitzt, welche ihn von allem unabhängig macht und ihn in Gott selbst ruhen lässt (Kap. 4). Ist Christus der alles beherrschende Gegenstand unseres Herzens, freuen wir uns allezeit in Ihm, so kann der Heilige Geist, durch welchen wir mit Ihm verbunden sind, die Seele von Ihm nähren· Die Wirkung davon zeigt sich in der Ruhe und der Kraft, mit der man sich über alles erheben kann, was den Weg schwierig und schmerzlich macht. Wir haben ein schönes Beispiel in Paulus selbst. Christus war ihm alles geworden. Ihm im Leben und im Tode gleichgestaltet zu werden, in Ihm, dem Verherrlichten, erfunden zu werden, ja, Ihn in der Herrlichkeit zu sehen, waren Hoffnung und Ziel dieses treuen Jüngers. Er hatte das Ziel natürlich noch nicht erreicht; er hielt sich selbst nicht dafür, es ergriffen zu haben. Aber das vorgesteckte Ziel immer anschauend, jagte er vorwärts, ihm entgegen, und in Dem, der ihn kräftigte, vermochte er alles. (Kap. 4, 13.) Er hatte gelernt, satt zu sein und zu hungern, Überfluss zu haben und Mangel zu leiden, und dabei vermochte er glücklich seine Straße zu ziehen, wenn auch niemand mit ihm ging. Allerseits von Schwachheit und Verfall umgeben, war er um nichts besorgt, sondern ließ in allem durch Gebet und Flehen mit Danksagung seine Anliegen vor Gott kundwerden. In Trübsalen wusste er sich im Herrn zu freuen, in schwierigen Umständen auf Ihn zu vertrauen. Er konnte ja auch die Dinge hienieden unbekümmert fahren lassen, weil er ein ewiges Teil in Christo besaß. Er wusste erniedrigt zu sein und doch nicht entmutigt, Überfluss zu haben, ohne sich selbst zu erheben. Nichts konnte ihn niederdrücken, nichts ihn in seinem Laufe aufhalten. Christus war seine Freude und Kraft. Er hatte gelernt, in allem sich zu begnügen.

Sein Herz ruhte in Gott, und der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, bewahrte sein Herz und seinen Sinn in Christo Jesu. So völlig hatte er auf dem beschwerlichen Wege durch diese Welt die Kraft Gottes und die durch dieselbe hervorgerufene Glückseligkeit an sich selbst erfahren, dass er beim Denken an die Philipper, deren Sorge um ihn sein Herz rührte, am Schlusse des Briefes sagen konnte: „Mein Gott wird alle eure Notdurft erfüllen nach Seinem Reichtum in Herrlichkeit in Christo Jesu“ (Kap. 4, 19),

So konnte Paulus, der treue Apostel, reden und dann —- beachten wir es! —- den Gläubigen in Philippi zurufen: „Seid zusammen meine Nachahmer, geliebte Brüder, und sehet hin auf die, welche also wandeln, wie ihr uns zum Vorbilde habt (Kap. 3, 17).

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Gerstenbrot

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 239ff

Wie wir im Evangelium Johannes lesen, war es Gerstenbrot, womit die fünftausend Mann durch den Herrn gespeist wurden, also die allergeringste Brotsorte, Armenbrot. Ist das nicht auffallend? Es liegt darin eine ernste Belehrung für uns, und zwar die, dass nicht etwa die schönen und hochtrabenden Reden menschlicher Weisheit es sind, die der Seele die nötige Speise geben wenngleich sie häufig genug als Brot dargereicht werden mögen. So behaupteten auch die Pharisäer und Schriftgelehrten, Brot zu haben. Aber fragen wir die große Sünderin, ob Simon, der Pharisäer, ihr Brot zu geben vermocht hätte! (Luk. 7, 39).

Gott bedient sich stets des Geringen, Unscheinbaren zur Vollziehung Seiner Wunder. Gideon, der Richter in Israel, durch den Gott so Großes für Sein Volk Israel getan hat, wird auch mit einem „Gerstenbrot“ verglichen (Vergl. Richtet 7, 13. 14). Das will sagen: er war ein Mann von wenig Bedeutung oder Ansehen; und er war das nicht allein vor Gott, sondern auch in seinen eigenen Augen. Hören wir nur, was er sagte, als Jehova ihn zur Erlösung Seines Volkes Israel berief: „Bitte, mein Herr! womit soll ich Israel retten? Siehe, mein Tausend ist das ärmste in Manasse, und ich bin der Jüngste im Hause meines Vaters“ (Richter 6, 15). Ich bemerke noch, dass Gideon nicht einfach mit „Gerstenbrot“, sondern mit einem „Laib Gerstenbrot“, oder, wie es in einer anderen Übersetzung heißt, mit „geröstetem Gerstenbrot“ verglichen wird, mit Brot also, das in besonderer Weise der Hitze des Feuers ausgesetzt worden war. Das ist ebenfalls bedeutungsvoll in seiner Anwendung. Gideon und sein Glaube waren durch Feuer erprobt worden. Das war dem großen und wunderbaren Werke vorausgegangen, welches Gott durch ihn in Israel tun wollte.

Bei der Speisung der fünftausend Mann hatte der Herr Seine Jüngere aufgefordert: „Gebet ihr ihnen zu essen“. Aber der Glaube der Jünger war nicht groß genug, um sie zu Werkzeugen Seiner Macht zu machen. Trotzdem wollte der Herr sie als die Kanäle dieser Macht gebrauchen. Das ist ein sehr tröstlicher Gedanke für uns, die wir, was die Schwachheit unseres Glaubens betrifft, den Jüngern oft so ähnlich sind. Was die Jünger zu tun hatten, war scheinbar ein geringes Werk. Sie mussten das Brot vom Herrn empfangen und es der Menge vorlegen. Dennoch war es in einer Hinsicht ein wichtiges Werk, denn sie hatten dafür zu sorgen, dass die Leute das Brot so erhielten, wie sie es aus der Hand des Herrn empfingen. Das muss auch unsere einzige Sorge sein, die Sorge eines jeden, der s1ch zu irgend einer Arbeit im Evangelium berufen glaubt, sei es unter Großen oder Kleinen, unter Gläubigen oder Ungläubigen· Wenn der Kanal nicht sauber ist, so wird das, was hindurchgeht, verunreinigt, zum Schaden der Empfänger. Wie manchmal kommt es vor, dass das als Wahrheit verkündigte Wort das Kennzeichen der Verunreinigung trägt! Der Apostel Paulus konnte sagen: „Ich habe von dem Herrn empfangen, was ich auch euch überliefert habe“ (1.Kor. 11,23). Er hatte dem Empfangenen nichts hinzugefügt und nichts davon abgetan; es war, wie wenn der Herr selbst es ihnen gegeben hätte. In dem Maße nun, wie die Gefahr in der Gemeinde Gottes größer wurde, das Brot mit allerlei Sorten Sauerteig zu vermengen, wuchs auch die Sorge dieses treuen Dieners des Herrn um sein geliebtes Kind Timotheus. Immer wieder warnt er ihn vor dieser Gefahr. So lesen wir in seinem zweiten Brief an ihn: „Halte fest das Bild gesunder Worte, die du von mir gehört hast, in Glauben und Liebe. . .· Bewahre das schöne anvertraute Gut durch den Heiligen Geist, der in uns wohnt“. Und nachher: „Was du von mir in Gegenwart vieler Zeugen gehört hast, das vertraue treuen Leuten an, welche tüchtig sein werden, auch andere zu lehren«. (2. Tim. 2, 2.) Glaube und Liebe waren nötig, um in der Kraft des Heiligen Geistes das Anvertraute zu bewahren.

Treue und tüchtige Leute mussten es sein, denen das von dem Apostel Empfangene weitergegeben werden musste. Das Urteil darüber, ob sie wirklich treu und tüchtig waren, stand nicht ihnen selbst zu. Da mochten wohl solche sein, die sich selbst dafür hielten, aber das Urteil hatte Timotheus zu fällen.

Es ist sicherer, uns von anderen beurteilen zu lassen, als auf unser eigenes Urteil zu vertrauen. Dazu aber bedarf es Niedriggesinntheit, und Timotheus selbst musste sich die Ermahnung des Apostels gefallen lassen, sich zu befleißigen, das Wort der Wahrheit recht zu teilen. (2. Tim. 2, 15.) Das will sagen: er musste so von der Wahrheit durchdrungen und mit ihr vertraut sein, dass er imstande war, sie in ihren verschiedenen Teilen nach den Gedanken Gottes und in Übereinstimmung mit dem Zweck, zu dem Gott sie geoffenbart hatte, zu verkündigen. Wie gesegnet wäre es, wenn alle, die sich an der Bedienung des Wortes beteiligen, hieran mehr denken wollten, wenn ein wahrer Eifer bei ihnen gefunden würde, die Wahrheit in jedem ihrer Stücke richtig geteilt zu bringen!

Das Wort: „Gebt ihr ihnen zu essen“, gilt heute auch für die Versammlung oder Gemeinde Gottes. Doch wo ist der Glaube, der da einfältig auf die Macht des Hauptes der Gemeinde rechnet? Ziehen wir nicht, wie einst die Jünger, auch so gern das wenige Vorhandene ängstlich in Rechnung? Die Sprache der Jünger lautete: „Wir haben nicht mehr als fünf Brote und zwei Fische“. Aber welch ein Glück! Mangelt es uns auch an Glauben, dem Herrn gebricht es nie an Macht. Außerdem trägt Er die Seinen auf Seinem Herzen. Er selbst sorgt für sie, und« wir dürfen auf Seine Liebe rechnen. Der Herr benutzte damals das Wenige, um viele Tausende damit zu speisen. Das ist ein großer Trost. Was die Jünger nicht vermochten, das vermochte Er, und darum konnte Er auch sagen: „Sie haben nicht nötig wegzugehen«. Dieses Wort wird bestehen bleiben, so lange es in der Wüste solche gibt, die der Speisung bedürfen.

Es ist auch bemerkenswert, dass der Herr hier nichts Neues schafft, wozu es Ihm ebenso wenig an Macht gefehlt hätte, wie zur Zeit, da Er Seinem Volke das Manna gab. Er, der verheißene Messias, war ja der Jehova des Alten Bundes! Und ist die Macht, welche vervielfältigt, nicht die gleiche, wie die, »welche schafft, durch welche einst das, was nicht war, gerufen wurde als ob es· da wäre? Ja, mit einem solchen Herrn haben wir zu tun, auf Ihn dürfen wir rechnen, „dem es ebenso wenig an Liebe wie an Macht gebricht. Das macht das auf Ihn vertrauende Herz glücklich, welcher Art die Bedürfnisse auch sein mögen, die sich auf dem Wege ergeben.

Mit dem Austeilen hat der Herr auch einen besonderen Segen verbunden. Nachdem die Menge gesättigt war, befahl Er die übriggebliebenen Brocken zu sammeln, welchem Befehl im Evangelium Johannes das so vielsagende Wort hinzugefügt wird: „auf dass nichts umkomme“. Das ist wahrhaft göttlich. Wie groß ist doch Er, der mit der Macht, welche einen derartigen Überfluss zu geben vermag, eine solche Sparsamkeit verbindet! Wir sehen hier das Göttliche in den Handlungen des Herrn in Fülle vereinigt. Er ist reich und mildtätig, aber Er will nicht, dass das Geringste verloren gehe. Er verurteilt die Habsucht, aber Er unterweist uns in der Sparsamkeit. Das alles weiß der Herr zu vereinigen. Paulus hat’s gelernt, und der Herr will es auch uns lehren.

Die übrigbleibenden zwölf Körbe erbrachten nicht nur den Beweis, dass alle gesättigt waren, sondern auch den, dass die Vorratskammer des Herrn noch nicht leer war. „Aus Seiner Fülle“ haben wir alle empfangen, und diese Fülle ist die Fülle Gottes, die nie ein Ende findet.

Was das Austeilen im Dienst betrifft, so hat der Herr, wie schon bemerkt, einen besonderen Segen damit verbunden. Die Jünger hatten nicht nur den Genuss, zu sehen, wie die große Menge durch ihren himmlischen Gastgeber gespeist wurde, sie konnten auch ein jeder für sich noch einen vollen Korb mit Brocken mitnehmen. Ferner blieben die Jünger. während des Austeilens in beständiger Verbindung mit dem Herrn; sie mussten immer wieder zu Ihm zurück, um das Brot zu holen, das sie der Volksmenge vorlegten. Wenn wir diese verschiedenen Einzelheiten an unserem Geiste vorübergehen lassen, so werden wir die letzte in ihrer Anwendung aus uns sicherlich als eine der wichtigsten erkennen. Es wird stets so sein. Bleiben wir in unserem Dienst nicht in beständiger Gemeinschaft mit dem Herrn, kommen wir nicht zu Ihm, um immer von neuem aus Seiner Hand zu empfangen, was andere nötig haben, so mögen wir wohl in mechanischer Weise eifrig tätig sein, aber es wird gar bald offenbar werden, dass wir kein aus der Hand des Herrn kommendes Brot bringen, nicht das Brot, welches allein zur Speisung brauchbar ist. Weiter werden wir durch die stete Gemeinschaft mit dem Herrn davor bewahrt, von unserem Dienst eingenommen zu sein oder mehr davon zu halten, als wirklich daran ist. Durch das fortwährende Zurückkehren zum Herrn wurden die Jünger ganz von selbst genötigt, auf Ihn zu sehen; und dadurch verloren sie sich selbst aus dem Auge. Der Herr gebe, dass alle, die zu Seinem Dienst berufen sind, dies zu Herzen nehmen und viel daran denken!

Im Evangelium Johannes (Kap. 6, 14) wird uns der Eindruck geschildert, den ·das Zeichen auf die Volksmenge machte. Sie erkannten den Herrn als den Propheten an, der in die Welt kommen sollte; ja, sie wollten sogar noch weiter gehen und ihn zum König ausrufen. Doch der Herr, der wohl wusste, dass die Zeit dazu noch nicht gekommen war, und dass nur fleischliche Beweggründe die Menge leiteten, ,,entwich wieder auf den Berg, Er selbst allein«. Was Er dort tat, brauchen wir nicht zu fragen. Wir wissen, dass Er die Zeit dieser stillen Absonderung im Gebet verbrachte, und dass Er von dort, als Finsternis und Sturm Seine geliebten Jüngers in Gefahr zu bringen drohten, ihnen zu Hilfe kam, indem Er sich zu ihnen gesellte, worauf das Schiff alsbald sicher landete. So handelt der Herr Jesus auch heute noch mit uns. Er betet für uns, während wir auf den Wogen des Lebens umhergeworfen werden. Er ist als unser Hoherpriester im Himmel tätig, während wir unseren Weg hienieden fortsetzen. Und bald, bald wird Er kommen! Dann werden auch wir durch Ihn in Sicherheit und zur ewigen Ruhe gebracht werden.

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Die Herrlichkeit des Eingeborenen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 246ff

„Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, . . . voller Gnade und Wahrheit.“

So hat Christus sich als Sohn geoffenbart, und so stellt Johannes Ihn durch den Geist dar. Diese Herrlichkeit, diese Fülle von Gnade und Wahrheit strahlt uns aus dem ganzen öffentlichen Dienst des Herrn entgegen, so wie Johannes ihn in den ersten neun Kapiteln seines Evangeliums darstellt·

Ich möchte gern auf zwei Kennzeichen dieser Herrlichkeit hinweisen, die mir beim Nachsinnen über jenen Dienst wichtig erscheinen.

  1. Die Herrlichkeit lehnt jede Verbindung mit einer anderen Herrlichkeit, welcher Art sie auch sei, ab.
  2. Die Herrlichkeit lässt sich durch Widerstände nicht in ihrer Entfaltung aufhalten.

Diese beiden Eigenschaften der Herrlichkeit beweisen einerseits den Wert, den sie in sich selbst hat, und andererseits die Festigkeit des göttlichen Vorsatzes, den Sünder, dessen Zustand und Bedürfnissen diese Herrlichkeit sich anpasst, zu segnen.

Zu dem ersten der beiden Punkte möchte ich folgendes bemerken:

Im 2. Kapitel wird Jesus von Seiner Mutter versucht, Seine Herrlichkeit in der Entfaltung Seiner Macht zu zeigen. In Kapitel 3 ladet Nikodemus Ihn gleichsam ein, als Lehrer aufzutreten. In Kapitel 6 will die Menge Ihn zum König machen. In Kapitel 8 wünschen die Pharisäer, dass Er die Donner des Berges Sinai im Gericht ertönen lasse. Aber alle diese Anregungen verfehlen ihren Zweck. Jesus will sich nicht anders offenbaren, als nur „voller Gnade und Wahrheit“, oder in der Herrlichkeit „als eines Eingeborenen vom Vater“. Er weigert sich, in einer anderen Herrlichkeit zu erscheinen oder in einem anderen Charakter zu handeln. Jene Herrlichkeit aber soll hervorstrahlen, in jenem Charakter will Er handeln, mögen die Widerstände noch so groß sein.

So ist wohl das 4. Kapitel eines derjenigen Abschnitte, aus welchen die Herrlichkeit der Gnade und Wahrheit in besonderer Weise hervorstrahlt. Und zwar tut sie das trotz der Hindernisse und des Widerstandes einer sehr bestimmten Richtung, „des Gesetzes der Gebote in Satzungen“. Die Juden verkehrten nicht mit den Samaritern. Aber der Lichtglanz, der von Jesu, dem Sohne Gottes, ausgeht, erstrahlt ebenso glänzend hier wie dort und lässt sich nicht behindern.

In Kapitel 5, wo es auch so viele Widerstände zu überwinden gab, setzte der Herr Seinen Weg ungestört in dem gleichen einfachen Charakter fort, trotz Widerspruch und Gefahr. Die Juden suchten Ihn zu töten, weil Er die Heilung eines Menschen am Sabbat vollbrachte. Aber Seine einzige Antwort auf diese Drohung lautete: „Mein Vater wirkt bis jetzt, und ich wirke“. Und so geht Er unbeirrt Seinen Weg, als der Zeuge der Gnade Gottes, wenn dies auch die Feindschaft und die Absicht der Juden, Ihn zu töten, nur noch vermehrt.

Auch im 6. Kapitel begegnet diese Herrlichkeit, in welcher Er Seinen Pfad fortsetzte, einem schmerzlichen Hindernis. Der Herr empfindet sichtlich den weiten sittlichen Abstand von der Menge, die Er gespeist hatte, und deren Sinn nur auf das Irdische gerichtet war. Diese Leute waren Ihm, wie wir sagen würden, zum Ärgernis. Sie hatten in gewisser Hinsicht das heilige Missfallen Seiner gerechten Seele erregt. Das geht wohl unzweifelhaft aus dem Zusammenhang hervor. Und so etwas empfindet das Herz als ein schmerzliches Hindernis. Trotzdem hält dies den Herrn nicht von einer weiteren Entfaltung Seiner, zu ihrer Segnung stets vorhandenen und bereiten Herrlichkeit ab. „Wirket nicht für die Speise, die vergeht“, sagt Er zu ihnen, „sondern für die Speise, die da bleibt ins ewige Leben, welche der Sohn des Menschen euch geben wird; denn diesen hat der Vater, Gott, versiegelt.“

Auch in Kapitel 7 setzt Jesus, wie im fünften, Seinen Weg ruhig fort, obwohl Seine Feinde sich

voller Wut gegen Ihn verschworen haben und ihre Diener senden, um Ihn zu greifen. Ja, nach allem diesem erstrahlt die „Herrlichkeit voller Gnade und Wahrheit“ in ihrem hellsten Glanze an dem letzten, dem großen Tage des Festes, als Jesus rief und sprach: „Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke“. Welch eine Kraft muss. es gewesen sein, die den Vorsatz Gottes trotz aller Widerstände und Hindernisse so triumphierend zur Durchführung bringen konnte!

Und so entfaltet sich diese Herrlichkeit, man kann wohl sagen, bis ganz zuletzt, in ungemessener Ausdehnung. Jesus „ging vorüber“, lesen wir im Anfang von Kap. 9. Er geht, wohin Er auch gehen mag, stets in dem gleichen Charakter dahin. Wo Er sich aufhält, das macht keinen Unterschied. Die Herrlichkeit ist immer voller Gnade und Wahrheit, die Herrlichkeit „als eines Eingeborenen vom Vater“. Jesus sieht einen Menschen, blind von Geburt; aber Er ist „das Licht der Welt“. Als Er ihn dann später wiederfindet, wie sie ihn hinausgeworfen haben, nimmt Er ihn auf für die Ewigkeit.

Ich wüsste nichts, was das Herz des Sünders völliger von dem Anteil überzeugen könnte, den er an dem Sohne Gottes hat, als gerade dies. Nichts vermag den Herrn auch nur für einen Augenblick von Seiner Absicht, die Sünder zu segnen, zurückzuhalten, weder Widerstand noch Versuchung irgendwelcher Art. Jene Herrlichkeit, die allein den Bedürfnissen der Sünder entspricht, strahlt bei jeder Gelegenheit hervor, wo wir Ihn sehen, wie Er sich den Weg durch jedes Hindernis hindurch bahnt und sich von jeder Ablenkung fernhält.

Was für Schlüsse können wir aus einer derartigen Festigkeit des Vorsatzes ziehen? Wenn man einen Menschen seine Arbeit tun sieht, unerschüttert durch Widerstand, nicht abgelenkt durch Lockungen irgendwelcher Art, so braucht man von der Herzenseinfalt und Entschiedenheit eines solchen nichts weiter zu wissen. So tritt uns auch der Sohn des Vaters in Seinem ganzen Tun und Handeln gegenüber. In der Herrlichkeit, die dem Bedürfnis des Sünders entspricht, und in dieser allein, strahlt Er hervor, mag die Finsternis, welche ihren Glanz verdunkeln möchte, noch so undurchdringlich sein.

O die kostbare, heilbringende Gnade! Wie sagt uns alles dieses gleichsam mit anderen Worten, dass es für Gott gesegneter ist zu geben, als zu nehmen! Jesus war das „Fleisch gewordene Wort“, „Gott, geoffenbart im Fleische“. Er hätte, wie die berührten Abschnitte beweisen, nur zu wollen brauchen, und das Lob der Menschen, die Bewunderung der Welt und die Krone des Reiches wären Sein Teil gewesen. Aber Er geht an allem vorüber. Sein Sinn ist nur auf das Eine gerichtet, wie arme Sünder göttlicher Segnung teilhaftig werden können.

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Über allgemeine und besondere Berufung *)

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 250ff

Man hört manchmal Gläubige sagen: Der Geist hat mich dies oder jenes tun oder diesem oder jenem Werke mich widmen heißen. Nun ist es ja richtig, dass der Heilige Geist uns leitet; aber die Frage ist, wie Er uns leitet. In Joh. 16, 13 wird uns gesagt, dass „der Geist der Wahrheit“ uns in die ganze Wahrheit leiten werde. Und in Joh. 17, 17 betet der Herr: „Heilige sie durch die Wahrheit: dein Wort ist Wahrheit“. Hieraus geht hervor, dass der Heilige Geist uns auch im praktischen Leben stets dem Worte Gottes gemäß leiten wird. Gottes Wort ist der Maßstab für all unser Tun. Sagt mir deshalb jemand: Gott hat so und so zu mir geredet, so gibt uns das noch keine Sicherheit. Der Betreffende kann sich täuschen oder sich durch seine Einbildung fortreißen lassen. Gottes Wort allein weist uns in allen Dingen den sicheren Weg. Nur auf dieses Wort können wir uns verlassen. Wenn deshalb unser Weg mit dem Worte Gottes nicht im Einklang ist, so dürfen wir sicher sein, dass nicht der Heilige Geist uns leitet.

In der Welt gibt es viele falsche Geister, die oft für den Geist Gottes gehalten werden. In 1.Joh. 4, 1 steht: „Glaubet nicht jedem Geiste, sondern prüfet die Geister, ob sie aus Gott sind“. Und nachher: „Wir (die Apostel) sind aus Gott; wer Gott kennt, hört uns; wer nicht aus Gott ist, hört uns nicht. Hieran erkennen wir den Geist der Wahrheit und den Geist des Irrtums“ (V. 6). Selbst fromme Menschen können als falsche Geister zu uns kommen. Es ist deshalb in allen Fällen von äußerster Wichtigkeit zu prüfen, ob Gott zu uns redet, mit anderen Worten: ob das uns Gebrachte mit Seinem Worte übereinstimmt.

Das Wort lehrt uns an vielen Stellen, dass an alle Gläubigen eine Berufung ergangen ist. (Vergl. 1. Kor. 1, 26; Eph. 4, 1; 2. Thess. 1, 11; 2. Tim. 1, 9; Hebr. 3, 1). Diese Berufung ist uns geworden in dem Stande, in welchem wir uns bei der Bekehrung befanden. Durch unsere Berufung hat Gott uns nun keineswegs aus jenem Stande herausgenommen. Wenn unser durch Gottes Wort erleuchtetes Gewissen uns nicht verbietet, an dem Platze zu bleiben, wo wir uns befinden, so setzen wir unseren Weg ruhig weiter fort. Das Wichtige ist nicht, welche Beschäftigung wir treiben, sondern dass der Herr durch uns verherrlicht werde. Dazu sind wir alle berufen. Wir denken vielleicht manchmal, Gott auf andere Weise besser dienen zu können. Aber Gott kann und will uns da segnen, wo wir uns befinden. Wenn wir nur stets bedächten, um welch einen teuren Preis wir erkauft worden sind!

Die Regel ist, dass „ein jeder in dem Beruf bleibe, in welchem er berufen worden ist“ (1. Kor. 7, 20). Allen aber geziemt es, da, wo sie stehen, treu zu sein.

Jeder hat ein Pfund empfangen. Bringt Gott uns in einen anderen Stand (macht Er z. B. den Sklaven frei), so nehmen wir das als von Ihm kommend an. Er hat einen Plan mit einem jeden von uns. Darum können wir uns ruhig Seiner Führung überlassen.

Derselbe Geist nun, der uns leitet, wirkt auch die Gnadengaben in uns, „einem jedem insbesondere austeilend, wie Er will“ (1. Kor. 12, 11). Auch diese Gaben haben wir in dem Kreise auszuüben, in welchem der Herr uns bei unserer Bekehrung gefunden hat.

Hat Gott eine besondere Berufung für uns, z. B. dass wir uns mit der uns verliehenen Gabe ganz in Seinen Dienst stellen sollen, so ist es wichtig, auf Ihn zu warten, wie Er uns führt.

Der Wunsch, ganz im Dienst des Herrn tätig zu sein, ist gewiss gut. Aber es hängt von dem Meister ab, ob und, gegebenen Falles, wie unser Wunsch in Erfüllung gehen kann. Davids Wunsch, Jehova einen Tempel zu bauen, war vortrefflich. Aber er durfte ihn nicht zur Ausführung bringen, sein Sohn Salomo war dazu ausersehen.

Lasst uns fleißig, treu und gut unsere Arbeit tun, indem wir dabei ein Herz haben für das Werk des Herrn und uns Ihm gern zur Verfügung stellen, aber andererseits auch still und ruhig auf den Beschluss des Meisters warten. Ein Sich-Vordrängen ist immer vom Übel. Die alttestamentlichen Gläubigen hatten dafür ein sehr feines Gefühl. Moses sagte: „Wer bin ich, das; ich zu dem Pharao gehen sollte?“ Und Jeremia: „Siehe, ich weiß nicht zu reden, denn ich bin jung“. Andere mussten eine klare und deutliche Berufung empfangen, ehe sie ihren bisherigen Wirkungskreis verließen. Obwohl alle wünschten, dem Herrn zu dienen, achteten sie sich dessen doch unwürdig.

Also noch einmal: Ein jeder diene dem Herrn da, wo er berufen worden ist, und wer den Wunsch hat, ganz in den Dienst des Herrn zu treten, der warte auf Ihn! Er ergreife jede Gelegenheit, die der Herr ihm sendet, und entziehe sich nicht, wenn der Herr ihn ganz losmachen will von seiner irdischen Beschäftigung; aber er warte auf den Herrn!

Der Herr geht mir voran. Sein Wort ist die Wahrheit. Der Geist leitet mich darin. Ich habe nur zu folgen, nicht unter gewissen Eindrücken oder Einflüssen zu handeln, nicht zu tun, was ich begehre, oder auf falsche Geister zu hören, die von Gott zu sein scheinen. Ich muss auf den Herrn warten, auf einen deutlich von Ihm bezeichneten Weg und — nicht zu vergessen — auch auf Übereinstimmung in den Herzen anderer treuer und einsichtsvolIer Gläubiger bezüglich meines Wunsches.

Wie gesegnet ein solcher Weg ist, das wird mancher aus Erfahrung bestätigen können.

Fußnote:

*) Von einem alten, vor mehreren Jahren entschlafenen Knechte des Herrn.

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Ein Wort über den Prediger

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 253ff

Salomo richtete sein Herz darauf, alles, was unter der Sonne geschah, mit Weisheit zu erforschen. Hierbei machte er guten Gebrauch von jener wunderbaren Gabe, mit der Gott ihn ausgestattet hatte. Er sah all die Taten, welche unter dem Himmel geschahen; „und siehe“, schreibt er, ,,alles ist Eitelkeit und ein Haschen nach Wind“. Unter welchen Bedingungen lebt doch der Mensch dahin! Er mag die vorhandenen Übelstände sehen, mag erkennen, was da mangelt, aber er ist außerstande, irgendwie Abhilfe zu schaffen. So lebt er auf Erden dahin als einer, der von Gott abgewichen ist. Tief muss er fühlen, wenn es ihm überhaupt zum Bewusstsein kommt, wie bitter die Folgen des Sichabwendens von dem lebendigen und wahren Gott sind. Er steht, was krumm ist, unterscheidet, was fehlt, aber er kann das Krumme nicht gerade machen, kann das Fehlende nicht ersetzen. „Es wanken alle Grundfesten der Erde“, drückt Asaph sich aus. „Alles ist Eitelkeit und ein Haschen nach Wind“, lautet die Erfahrung des Königsohnes. Und beachten wir wohl: Was Salomo sagt, ist nicht die Erfahrung des Sünders, der da erntet was er gesät hat, sondern die eines der alten Schöpfung angehörenden Menschen (wenn auch gewiss eines Sünders), der den Verfall und die Unordnung fühlt, welche die Sünde auf die Erde gebracht hat.

Der Mensch, so wie er ursprünglich von Gott geschaffen wurde, war dazu ausersehen, unvermischte Freude auf Erden zu finden; er hatte eine Natur, die wirkliche Freude zu genießen vermochte, einen unterweisungs- und entwicklungsfähigen Geist und einen Körper, der Anstrengungen aller Art gewachsen war. Alles um ihn her würde seinem Genuss gedient oder ihm Gelegenheit zur Entfaltung seiner Fähigkeiten gegeben haben.

Ist das aber auch heute noch der Fall? Lasst uns wieder die Worte des Predigers hören: „Ich sprach in meinem Herzen und sagte: Siehe, ich habe Weisheit vergrößert und vermehrt über alle hinaus, die vor mir über Jerusalem waren, und mein Herz hat Fülle von Weisheit und Erkenntnis gesehen; und ich habe mein Herz darauf gerichtet, Weisheit zu erkennen und Unsinn und Torheit zu erkennen: ich habe erkannt, dass auch das ein Haschen nach Wind ist. Denn bei viel Weisheit ist viel Verdruss; und wer Erkenntnis mehrt, mehrt Kummer“ (Kap. 1, 16 — 18.) Das ist menschliche Erfahrung, nicht die Erfahrung, die ein Mensch notwendigerweise hätte machen müssen, aber die Erfahrung aller Menschen, die unter den Folgen des Sündenfalles seufzen. Ein Mensch mag so groß auf Erden sein wie er will, seine Geisteskräfte mögen noch so umfassend, das Verlangen seines Herzens noch so tief sein, als ein Kind Adams kann er über den hier beschriebenen Zustand nicht hinaus. Gerade so wie man bei mancher schönen Ruine noch einzelne Spuren ehemaliger vorzüglicher Arbeit entdeckt, wodurch der Gegensatz zwischen der Absicht des Erbauers und dem gegenwärtigen Zustand so recht hervortritt, können wir auch aus den Gefühlen und Kräften des Menschen noch heute schließen, welche Fähigkeiten er ursprünglich besessen haben mag, während wir zugleich anerkennen müssen, dass nur noch ein Wrack von dem edelsten der Werke Gottes übriggeblieben ist.

Doch woher hatte der Prediger jene Erfahrung, die ihn befähigte, ein solches Gutachten über alles Trachten der Menschen unter der Sonne abzugeben? Er sagt uns über seine Unternehmungen: „Ich sprach in meinem Herzen: Wohlan denn, ich will dich prüfen durch Freude, und genieße das Gute! Aber siehe, auch das ist Eitelkeit. Zum Lachen sprach ich, es sei unsinnig; und zur Freude, was sie denn schaffe! Ich beschloss in meinem Herzen, meinen Leib durch Wein zu pflegen, während mein Herz sich mit Weisheit benähme, und es mit der Torheit zu halten, bis ich sähe, was den Menschenkindern gut wäre, unter dem Himmel zu tun die Zahl ihrer Lebenstage. Ich unternahm große Werke: ich baute mir Häuser, ich pflanzte mir Weinberge; ich machte mir Gärten und Parkanlagen, und pflanzte darin Bäume von allerlei Frucht; ich machte mir Wasserteiche, um daraus den mit Bäumen sprossenden Wald zu bewässern. Ich kaufte Knechte und Mägde, und hatte Hausgeborene; auch hatte ich ein großes Besitztum an Rind- und Kleinvieh, mehr als alle, die vor mir in Jerusalem waren. Ich sammelte mir auch Silber und Gold und Reichtum der Könige und Landschaften; ich schaffte mir Sänger und Sängerinnen, und die Wonnen der Menschenkinder: Frau und Frauen. Und ich wurde groß und größer, mehr als alle, die vor mir in Jerusalem waren. Auch meine Weisheit verblieb mir. Und was irgend meine Augen begehrten, entzog ich ihnen nicht; ich versagte meinem Herzen keine Freude, denn mein Herz hatte Freude von all meiner Mühe, und das war mein Teil von all meiner Mühe“ (Kap. 2, 1 — 10).

Das war die lange Reihe geistiger und leiblicher Freuden, welche Salomo auskostete. Es gab keine Freude, die ihm versagt geblieben wäre. Zugleich verblieb ihm, wie er sagt, während dieser Zeit seine Weisheit. Salomo war also sowohl aus persönlicher Erfahrung wie auch auf Grund der Weisheit, die ihn nie verließ, imstande zu beurteilen, was das Leben des Menschen wert ist. Hatte ein Mann wie er nicht alle Ursache, zufrieden zu sein mit dem, was das Leben ihm bot? Wenn andere, weniger Begünstigte enttäuscht waren, er wenigstens hatte ein volles Teil von allem was irgend er begehren mochte. Doch wie lautet das Urteil dieses Mannes, nachdem er aus dem Becher aller Freuden und Genüsse, die ein Mensch sich nur gestatten kann, mit vollen Zügen getrunken hat? „Siehe, das alles ist Eitelkeit und ein Haschen nach Wind; und es gibt keinen Gewinn unter der Sonne.“ Wohl unterschied er den Wert der Weisheit und sagt von ihr, dass sie „den Vorzug habe vor der Torheit, gleich dem Vorzug des Lichtes vor der Finsternis“, aber dennoch kommt für den Weisen der Tod ebenso gut wie für den Toren, und nach dem Tode fällt der Weise der Vergessenheit genauso anheim wie der Tor. Ja, der Weise stirbt hin gleich dem Toren. Daher hasste er das Leben; ja, er hasste all seine Mühe, womit er sich abgemüht hatte unter der Sonne, weil er alles Erarbeitete dem Menschen hinterlassen musste, der nach ihm sein würde. Und wer weiß, fragt er traurig, ob dieser ein weiser oder ein törichter Mensch sein wird? Die Geschichte gibt Antwort auf diese Frage und stellt in ergreifender Weise die Eitelkeit aller Dinge dar, so wie der Prediger sie erkannt und empfunden hatte. Rehabeam verließ den Rat der Alten, die vor seinem Vater Salomo gestanden hatten, und verscherzte durch sein törichtes Handeln die Ergebenheit der zehn Stämme. Er verließ auch den Herrn nach einer dreijährigen Regierung, musste sich den Einfall Sisaks, des Königs von Ägypten, gefallen lassen und verlor all die Schätze, die Salomo aufgehäuft hatte. Die „goldenen Schilde“ füllten fortan die Schatzkammern Ägyptens, und Rehabeam musste sie durch Schilde aus Erz ersetzen.

Nachdem Salomo von sich selbst gesprochen hat, wendet er sich zu anderen. Er gibt eine Übersicht über alles, was unter der Sonne geschieht, und erklärt, dass alles Eitelkeit sei. Reichtum hat seinen Nutzen. Wer ihn besitzt, sitzt „im Schatten“ (Kap. 7, 12). Er ist eine Gabe Gottes. Und doch, wie oft fühlen die Menschen auch die Eitelkeit des Reichtums! Der Mensch müht sich um ihn, jagt ihm nach, erwirbt Wohlstand, füllt seine Schatzkästen und ist doch unbefriedigt. Wenn er kinderlos ist und wünscht sich einen Nachkommen, so kann er ihn für sein Geld nicht kaufen, denn Kinder sind eine Gabe Gottes. Wenn er den Reichtum liebt, so wird er des Ertrages nicht satt. (Kap. 5, 10.) Wie sollten die Dinge aus Erden auch eine unsterbliche Seele befriedigen können? Wenn der Mensch sich heute an seinem Gelde weidet, wie schnell mag es durch irgend ein Missgeschick verloren gehen, und hat er einen Sohn, so ist sein eigenes Kind nur dazu geboren, um der Erbe eines Bettlers zu werden (V. 13. 14). Und wiederum, hat er bis ans Ende Gedeihen gehabt, ist sein Reichtum nicht davongeflogen, er muss ihn dennoch lassen; denn so wie er in diese Welt gekommen ist, muss er wieder von dannen gehen. Der Tod nimmt ihn hinweg, aber seine Reichtümer gehen nicht mit ihm. Alles was er hat bleibt zurück; und nackt wie er in diese Welt eingetreten ist, geht er durch die Todespforte wieder aus ihr hinaus· Reichtümer können die Seele nicht befriedigen, noch den Tod für einen Augenblick bannen; auch kann ihr Eigentümer sich ihren Besitz für morgen nicht sichern. So ruft denn Salomo seinen Mitmenschen zu: »Was für einen Gewinn hat er davon, dass er in den Wind sich müht?“

Dann redet der Prediger nochmals über die Weisheit. Er erkennt ihren Wert an. Keiner war ja dazu besser imstande als er. Die Weisheit macht den Weisen stärker als zehn Machthaber, die in der Stadt sind. Sie ist besser als Kraft und besser als Kriegsgeräte. (Kap. 7, 11 —19; 9, 16. 18.) Aber auch hier offenbart sich die Eitelkeit aller Dinge, die unter der Sonne geschehen. Denn wenn Salomo sein Herz darauf richtete, Weisheit zu erkennen und das Treiben zu besehen, welches auf Erden geschieht, wenn er sich wandte, um die Werke Gottes zu betrachten, so musste er finden, dass auch seinen Forschungen eine Grenze gesetzt war; und wenn er die Werke der Menschen überschaute und ihr Treiben besah, so kam ihm der durch die Sünde in die Welt gebrachte elende Zustand und Verfall nur noch schmerzlicher zum Bewusstsein.

Wie uns an anderer Stelle berichtet wird, hatte Salomo viel Verständnis über die Werke der Schöpfung. Aber der Mensch ist nur ein endliches Geschöpf und außerstande, das Unendliche zu erfassen. Salomo machte daher folgende Entdeckung: „Ich habe bezüglich des ganzen Werkes Gottes gesehen, dass der Mensch das Werk nicht zu erfassen vermag, welches unter der Sonne geschieht, indem der Mensch sich abmüht es zu suchen, aber es nicht erfasst. Und selbst wenn der Weise es zu erkennen meint, vermag er es doch nicht zu erfassen“ (Kap. 8, 17). Es gibt Gebiete der Erkenntnis, die der Mensch nicht nur nicht zu erforschen, sondern an die er nicht einmal heranzureichen vermag. Er mag wie Salomo dahin kommen, aus dem, was er weiß, zu lernen, wie wenig er weiß, zu sehen, wie die erworbene Erkenntnis nur eine Menge Fragen erzeugt, die kein Gelehrter beantworten kann, und zu erkennen, wie unfähig er ist, nur das zu erfassen, was er um sich her sieht. Aber weiter kommt er nicht; das muss auf Erden seine Stellung bleiben. Nur durch das Licht der Offenbarung können wir weiter blicken, zu jenem Tage hin, wo wir „erkennen werden, wie wir erkannt sind“; aber hienieden wird all unser Wissen nur ein armseliges Stückwerk bleiben.

Weiter mag der Mensch, wenn er sich daran macht, den Taten der Menschen nachzugehen, zu einer Erkenntnis des Bösen kommen, das unter der Sonne geschieht: der schreienden Ungerechtigkeit, der Gesetzlosigkeit, der Betrügereien und der vielen Bedrückungen, die beständig von den Menschen verübt werden; Aber während er alle diese Dinge sieht, muss er doch finden, dass er gänzlich machtlos ist, sie zu verhindern. (Vergl. Kap. 3, 16; 8, 14.) Ein anderer Arm ist dazu nötig, den Gesetzlosen in Schranken zu halten, ein anderer Geist, als der der gefallenen Nachkommen Adams, vermag allein das Heilmittel zu ersinnen. Der Tag des Sohnes des Menschen muss anbrechen, ehe der Eine auf Erden erscheint, der alle Dinge in Ordnung zu bringen vermag. Wie oft wird heute die Gerechtigkeit verdreht! Der Gerechte leidet, und der Schuldige geht frei aus. Die Torheit wird in große Würden eingesetzt, und der Reiche sitzt in Niedrigkeit. Knechte reiten auf Rossen, und Fürsten gehen wie Knechte zu Fuß. (Kap. 10, 6. 7.) Der Weise, um dessen Hilfe man wirbt in Zeiten dringender Not, wird vergessen, sobald der Druck nachlässt und die Stunde der Drangsal vorüber ist. (Kap. 9, 1. 5,) So dient die Weisheit nur dazu, um dem, der sie besitzt, zu zeigen, was verkehrt ist, und ihn die Bitterkeit davon fühlen zu lassen, während er in all der Zeit seine Ohnmacht empfindet, bessernd einzugreifen. — Gutes und Böses zu erkennen, „wie Gott zu sein“, das war der Köder, mit welchem die Schlange den Menschen zu fangen suchte. Der weise Mann erkennt nun klar das Böse, weiß auch, was geschehen sollte, macht aber die Erfahrung, dass er an dem bestehenden Zustand nichts ändern kann. Und das Weib, das ursprünglich aus Fürsorge für den Mann, als seine Gehilfin, geschaffen wurde, wird in der Hand Satans das Werkzeug zu

seinem ewigen Verderben (Kap. 7, 26 -— 29).

Diese Schilderung bereitet uns vor auf das Gemälde, das wir am Ende des Buches finden. Dort wird uns der Mensch, der doch im Bilde Gottes erschaffen worden ist und dem Tode nicht unterworfen war, als ein Wesen dargestellt, das dem Grabe zuwankt. Auf dem Wege dahin macht er, wie wir sahen, die Entdeckung, dass alles, was unter der Sonne geschieht, Eitelkeit ist, und am Ende seines Lebens liefert er in seinem Tode den überzeugendsten Beweis von der Richtigkeit des Ausspruchs des Predigers: „Alles ist Eitelkeit“. Die Beschreibung des Greisenalters im letzten Kapitel des Buches ist von hoher dichterischer Schönheit, aber der Sinn ist traurig. Während andere SchriftstelIer es vorziehen würden, von dem zu reden, was der Mensch hätte sein können, beschreibt Salomo, was er wirklich ist, und da redet er denn nicht von der Größe des Menschen oder von seinen Geistes- oder Körperkräften, sondern er schreibt von seinem Verfall. Der Mensch, zum Herrn geschaffen über Gottes Geschöpfe auf Erden, indem er die Macht des Geistes über den Stoff dartut; ein Zwerg freilich gegenüber den ewigen Hügeln, und doch fähig, gewaltige Werke zu vollbringen, die den Stürmen der Zeit zu trotzen scheinen; was Körperkraft anbelangt, weit unter vielen Tieren stehend, und doch fähig, sie zu zähmen und die Kräfte der Natur seinem Willen zu unterwerfen — was hätte dieser Mensch sein können, wenn die Sünde nicht in die Welt gekommen wäre! Aber wie steht er vor uns am Ende unseres Buches! Ein abgenutztes Gefäß, mit verfallenden Kräften, wankenden Knien, zitternden Händen, verfinsterten Augen und tauben Ohren. Alles was ihn einst ergötzte, hat jetzt jedes Interesse für ihn verloren. Nur noch ein Wrack, ein Schatten von dem, was er einst war, wartet er auf die Stunde, da er hingehen wird zu seinem ewigen Hause. So beschreibt ihn Salomo. Was Wunder, dass wir die niederschmetternden Worte, mit denen der Prediger seine Unterweisungen begann, am Ende wiederfinden? „Eitelkeit der Eitelkeiten! spricht der Prediger; alles ist Eitelkeit“ (Vergl. Kap. 1, 2 mit 12, 8).

Doch der Prediger berührt bei allem, was er von der Eitelkeit sagt, noch einen anderen Gegenstand; denn da er weise war, belehrte er das Volk. Nachdem er lang und breit über den Menschen und seine Werke gesprochen hat, redet er noch kurz über Gott und Sein Tun. Was er aber über Gott sagt (der Name Jehova begegnet uns in diesem Buche nicht), lässt den traurigen Zustand des Menschen nur noch stärker hervortreten. Der Mensch bleibt nicht: seine Gedanken vergehen, seine Werke zerfallen zu Staub, sein Name wird vergessen. Ursprünglich nicht dazu geschaffen, um zu sterben, wird er jetzt dazu geboren. Aber Gott bleibt. „Ich habe erkannt, dass alles, was Gott tut, für ewig sein wird: es ist ihm nichts hinzuzufügen, und nichts davon wegzunehmen“ (Kap. 3, 14).

Hier gibt es also auf dem Schauplatz des Vergänglichen etwas Bleibendes. Dies hatte Salomo gefunden, und sein Wunsch war, es auch anderen eindringlich vorzustellen (Vergl. Kap. 5, 1. 7; 11, 9; 12, 1). Er wollte dem Geschöpf von dem Schöpfer erzählen. Es ist nicht Gnade, mit deren Verkündigung er beauftragt ist, auch wird er nicht ermächtigt, das Heil Gottes anzubieten. Er will lediglich zu Gottes Geschöpfen reden, die als solche Ihm, der sie gemacht hat, verantwortlich sind. Er sagt ihnen, dass der Schöpfer von den Handlungen Seiner Geschöpfe Kenntnis nimmt und eine richterliche Untersuchung darüber anstellen wird. Dieser Untersuchung kann niemand entrinnen, und alle bedürfen der Erinnerung daran. Nachdem Salomo also die Eitelkeit aller Dinge, die unter der Sonne geschehen, eingehend begründet hat, spricht er ein Wort, das jeder Mensch beachten sollte: „Das Endergebnis des Ganzen lasst uns hören: Fürchte Gott und halte Seine Gebote; denn das ist der ganze Mensch“ (Kap. 12, 13). Das vollere Licht, welches wir heute besitzen, bestätigt alles, was Salomo von dem Menschen gesagt hat, wie es uns zugleich mehr über Gott sagt. Aber der hier niedergelegte Grundsatz bleibt für alle Zeiten bestehen: Das Geschöpf muss die Oberhoheit Gottes anerkennen und alledem einfältigen Gehorsam entgegenbringen, was Ihm gefällt dem Menschen aufzuerlegen. „Denn Gott wird jedes Werk, es sei gut oder böse, in das Gericht über alles Verborgene bringen.“

Noch eins. Genau an dem Punkte, wo der Prediger endet, beginnen die Sprüche. Der Prediger schildert die Eitelkeit aller Dinge hienieden. Die Sprüche reden zu uns von wahrer Weisheit. Der Prediger verlässt den Menschen in seinem Zustande des Verfalls und Todes als Mensch; die Sprüche verkündigen Leben und sagen uns, wie man weise wandelt auf Erden. In vollem Einklang damit stehen die Gegenstände ihrer Schlusskapitel. Im Gegensatz zu der Beschreibung des Greisen am Ende des Buches des Predigers reden die Sprüche in ihrem letzten Kapitel von Mann und Weib in ihren bezüglichen Wirkungskreisen. Wir sehen den Mann, König Lemuel, als Herrscher, und das wackere Weib, wie sie weise und trefflich den Haushalt führt. Wir sehen sie beide bei ihrer Arbeit, aber wir lesen von keinem Ende derselben. Es ist nicht von dem Tode die Rede, wie er ihre nützliche Laufbahn beendet oder sie, die vor Alter hilflos geworden sind, hinwegnimmt. Sie dienen vielmehr als Beispiele für die Belehrung Salomos an seinen Sohn über das, was aus dem Besitz« jener begehrenswerten Weisheit hervorgehen würde — nämlich das Leben. Bis zum Schluss des Buches bleiben die beiden Personen, der eine auf dem Thron, die andere im Hause. Das Buch geht zu Ende, aber die zwei Menschen, von denen es zuletzt redet, bleiben lebend und tätig zurück.

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Christus der Gegenstand des Glaubens

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 264ff

I.

In Röm. 10, 17 lesen wir: „Der Glaube ist aus der Verkündigung, die Verkündigung aber durch Gottes Wort“. Andererseits heißt es, dass Gott selbst ein Zeugnis abgelegt hat „Über Seinen Sohn“. (1. Joh. 5, 9.) Diese beiden Aussprüche der Schrift sind klar und bestimmt. Sie beantworten manche Fragen und Schwierigkeiten, welchen man gerade bei aufrichtigen Seelen oft begegnet. So wird immer wieder gefragt: Was ist eigentlich der Glaube, der in den Augen Gottes solchen Wert hat, und an welchen sich die Rechtfertigung knüpft? Ist das wahrer Glaube, der durch eine äußere, wenn auch persönliche Kenntnis des Herrn hervorgerufen wird, wie er sich z. B. bei denen vorfand, welche Zeugen Seiner Wunder gewesen waren? Oder fließt der Glaube aus den Worten hervor, die Er gesprochen hat?

Die Evangelien liefern Beispiele von zwei Arten des Glaubens. Jesus hat sich sowohl durch Seine Werke als auch durch Seine Worte zu erkennen gegeben. Seine Werke in Macht und Güte richteten sich an das Verständnis jedes aufrichtigen Herzens; aber von denjenigen, deren Glauben allein auf dieses Verständnis gegründet war, wird gesagt, dass Jesus „sich ihnen nicht anvertraute, weil Er alle kannte“. Er wusste, was im innersten Herzen des Menschen verborgen war (Joh. 2, 23 — 25). Nikodemus glaubte schon in dieser Weise, als er sich des Nachts zu Jesu begab, wie er es auch aussprach: „Wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen, denn niemand kann diese Zeichen tun, die du tust“. Aber der Herr ließ ihn verstehen, ·dass es für ihn nötig war, „von neuem geboren" zu werden, ein Beweis, dass Nikodemus in jenem Augenblick noch nicht wiedergeboren, noch nicht „aus dem Tode in das Leben übergegangen“ war (Joh. 3, 5 — 7; 5, 24).

Das samaritische Weib, welchem der Herr am Jakobsbrunnen begegnete, hatte dagegen die Wunder Jesu· nicht gesehen; aber sie wurde durch ein Wort ergriffen, welches ihr Gewissen erreichte und sie ausrufen ließ:: „Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist“. Sie erfuhr, dass Jesus sie gründlich kannte, das; Er bekannt war mit ihren Gedanken und ihrem ganzen Leben. Von diesem Augenblick an hatte sie nichts Eiligeres zu tun, als anderen von dem Mitteilung zu machen, was sie für ihr Herz empfangen hatte. Sie ließ ihren Krug, ohne ihn gefüllt zu haben, stehen und ging in die Stadt und sagte den Leuten: „Kommt, sehet einen Menschen, der mir alles gesagt hat, was irgend ich getan habe; dieser ist doch nicht etwa der Christus?“ (Joh. 4, 17 — 29). Könnte man ein einfacheres und überzeugenderes Beispiel von dem Glauben finden, der die Seele an die Person des Heilandes fesselt?

Der Evangelist Matthäus liefert uns ein anderes bemerkenswertes Beispiel von dem Gegensatz zwischen einem Gefühls- oder Verstandesglauben und dem Glauben, der durch eine göttliche Offenbarung in der Seele hervorgerufen wird. Nachdem der Herr auf dem hochgehenden Meere gewandelt und Petrus aus dem Wasser gerettet hatte, stieg Er in das Schiff, in welchem die Jünger sich befanden, und alsbald legte sich der Wind, und auf den Sturm folgte eine große Stille. „Die aber in dem Schiffe waren, kamen und warfen sich vor Ihm nieder und sprachen: Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn!“ (Matth. 14, 33). Schrecken und Aufregung, gemischt mit Gefühlen der Erleichterung, erfüllten ihre Herzen, und ihr Bekenntnis war begleitet von einem Akt der Huldigung, worin sie die Macht des Herrn anerkannten; aber dieser erwiderte kein Wort darauf.

Später beantwortet Petrus die durch Jesum an die Jünger gerichtete Frage: „Wer sagen die Menschen, dass ich, der Sohn des Menschen, fei?“ mit den bekannten Worten: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“! (Matth. 16, 16). Diesmal erwidert Jesus unmittelbar: „Glückselig bist du, Simon“, und gibt dann auch den Grund Seiner Anerkennung an, indem Er hinzufügt: „denn Fleisch und Blut haben es dir nicht geoffenbart, sondern mein Vater, der in den Himmeln ist“. Das Bekenntnis Petri floss aus einer göttlichen Offenbarung hervor; es gründete sich weder auf Gefühle noch auf Erfahrungen, noch weniger auf Erklärungen und Lehren betreffs der Person Christi. Wie wichtig die Offenbarung für die Seele Petri war, beweist sein 2. Brief, in welchem er die Aufmerksamkeit der Gläubigen auf die Verklärung des Herrn lenkt. Mühelos erkennt man den Wert, den er der Erklärung Gottes über Seinen Sohn beilegt, jener „Stimme“, die er „vom Himmel her erlassen“ hörte.

Damit stimmen auch die Worte des Apostels Johannes überein, eines anderen Zeugen der Verherrlichung Jesu auf dem Berge. Er sagt: „Wenn wir das Zeugnis der Menschen annehmen, das Zeugnis Gottes ist größer; denn dies ist das Zeugnis Gottes, welches Er gezeugt hat über Seinen Sohn“; und indem er die Wirkung der Annahme dessen, was Gott gesagt hat, zeigt, fährt er fort: „Wer an den Sohn Gottes glaubt, hat das Zeugnis in sich selbst“. Das Wort, welches er angenommen hat, nimmt Besitz von ihm, wie ein Teil seines Wesens; er hat nicht nur Gewissheit betreffs des Gegenstandes seines Glaubens, sondern er hat auch die Freude zu wissen, dass Gott ihn in die Wirklichkeit des Verhältnisses eintreten lässt, deren lebendigen Ausdruck er in der Person des Sohnes findet. Er sagt noch in demselben Kapitel: „Jeder, der da glaubt, dass Jesus der Christus ist, ist aus Gott geboren“ (1. Joh. 5, 1. 7 —- 10). Der Geist Gottes gibt dem Gläubigen mit seinem Geiste Zeugnis, dass er ein Kind Gottes ist und infolge dessen ein Gegenstand der Liebe, mit welcher der Vater den Sohn liebt (Röm. 8, 16. 39).

Das erscheint fast zu groß, um wahr sein zu können, aber der Herr lässt in dieser Hinsicht keinen Zweifel. Lesen wir nur unter anderen Stellen Joh.16, 27; 17, 23. Ist es zu verwundern, wenn der Apostel bei dem Gedanken daran in Entzückung gerät und ausruft: „Sehet, welch eine Liebe uns der Vater gegeben hat, dass wir Gottes Kinder heißen sollen!“? (1. Joh. 3, 1). Und der Apostel Paulus fügt auch sein Zeugnis noch hinzu, wenn er sagt: „Es gefiel Gott . . ., Seinen Sohn in mir zu offenbaren“ (Gal. 1, 16.) Der Sohn war ihm geoffenbart worden, aber nicht nur ihm, sondern auch in ihm, so dass er persönlich ein Beispiel von der Wahrheit geworden war, welche er in der Predigt des Evangeliums verkündigte. Weiterhin hielt ihn die Liebe des Herrn aufrecht in seinem ganzen Leben des Dienstes und des Kampfes (Gal. 2, 20). Die Briefe bestätigen überall die in den Evangelien dargestellte Wahrheit. Wie könnte es auch anders sein? Alles ist von Gott, und Sein Wort ist „die Wahrheit“.

II.

Wir haben also gesehen, dass die Zeugnisse der Heiligen Schrift betreffs des Charakters des Glaubens, durch welchen „der Gerechte lebt« (Röm. 1, 17), völlig übereinstimmend sind. Wenn nun der Apostel über die Lehre der Rechtfertigung redet, so beruft er sich auf das Wort Gottes, indem er fragt: „Was sagt die Schrift?“ Die Antwort ist kurz und bündig. Sie lautet: „Abraham glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet“ (Röm. 4, 3). Es war für den Patriarchen keine Sache der Untersuchung oder des Verstandes; nein, nachdem sein Gewissen in der Gegenwart Gottes in Übung gebracht war, glaubte er einfach was Gott ihm gesagt hatte. Das ist es, was auch wir zu tun haben.

Wir haben ferner gesehen, dass der große Gegenstand der unserem Glauben dargebotenen Mitteilungen die Person Christi ist. Indem man das Zeugnis Gottes annimmt, erfreut man sich alles dessen, was Gott über Seinen Sohn sagt. Indem wir glauben, dass Gott der Vater unseres Herrn Jesus Christus ist, können wir uns Ihm als Vater nahen, so an Ihn uns wenden, und wir erfreuen uns des Glückes, Seine Kinder zu sein, indem wir das uns geschenkte Verhältnis in der Person des Sohnes kennen. In Ihm haben wir das Leben, und wir finden andererseits in Seinem Sühnungswerk das, was unserem Zustand der Strafbarkeit vor Gott völlig begegnet. Das ewige Leben ist geoffenbart worden, und Jesus Christus ist dieses Leben (1. Joh. 5, 20).

Nun, das Leben war „das Licht der Menschen“. Als solches ist es geoffenbart worden, damit man es von Seiten Gottes empfangen könne. Dann lesen wir: „So viele Ihn aufnahmen, denen gab Er das Recht, Kinder Gottes zu werden“. Das Kindesverhältnis ist also eine Folge der Annahme Jesu; andererseits werden, wie bereits angedeutet, die bangen Fragen des Gewissens beantwortet in dem Worte: „Das Blut Jesu Christi, Seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde“ (Joh. 1, 12; 1. Joh. 1, 7). In Übereinstimmung damit schreibt der Apostel Paulus an die Epheser, dass Gott ,,uns zuvor bestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesum Christum für sich selbst nach dem Wohlgefallen Seines Willens, zum Preise der Herrlichkeit Seiner Gnade, worin Er uns begnadigt hat in dem Geliebten, in welchem wir die Erlösung haben durch Sein Blut, die Vergebung der Vergehungen, nach dem Reichtum Seiner Gnade“ (Eph. 1, 5 —- 7).

Das Kindesverhältnis und die Versöhnung gehen Hand in Hand. Das erste ist durch· das Leben Christi hienieden ans Licht gestellt worden, die Segnung der zweiten besitzen wir durch Seinen Tod. Je mehr wir uns mit dem Herrn beschäftigen und in Ihm das finden, was uns Gott nahe bringt, umso mehr werden wir auch den Wandel verstehen, welcher sich für ein Kind Gottes in dieser Welt geziemt. Denn „wer da sagt, dass er in Ihm bleibe, ist schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie Er gewandelt hat“ (1. Joh. 2, 6). Aber da die Welt gegen Gott und gegen Christum ist, so erfahren wir bald den Ernst des Ausspruchs des Herrn: „Wenn ihr von der Welt wäret, würde die Welt das Ihrige lieben; weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt auserwählt habe, darum hasst euch die Welt“ (Joh. 15, 19). Mit anderen Worten, es handelt sich für uns darum, zwischen der Welt und Christo zu wählen.

Alle, die das Christentum in einer weltlichen und oberflächlichen Weise betrachten, denken, es genüge zu sagen: „Ich bin ein Christ«; damit sei alles in Ordnung. Viele berufen sich dabei auf ihre Taufe; sie haben sich ja doch der in christlichen Ländern allgemein anerkannten religiösen Überlieferung unterzogen. Andere, welche die Sache ernster nehmen, reden von ihrer Zugehörigkeit zu irgend einer Kirche oder religiösen Benennung und von ihrer Teilnahme am Abendmahl. Aber selbst angenommen, dass dies im guten Glauben geschieht, bleibt es doch wahr, dass die meisten von ihnen behaupten, es sei eine Anmaßung zu sagen, dass man errettet sei; selbst ihre Lehrer und Prediger sind des eigenen Heiles nicht gewiss. Man beruhigt sich mit der unbestimmten Hoffnung, es „am Tage des Gerichts“ zu sein. Eine armselige Hoffnung, in der Tat! Denn falls man sich täuschen sollte, wie verschafft man sich dann das Heil, wenn einmal, nach dem feierlichen Ausspruch des Herrn, die Tür der Gnade „geschlossen“ ist? Alsdann wird Er von innen antworten: „Ich kenne euch nicht!“ (Matth. 7, 21 — 23; 25, 10 — 12.) Der Grund dieser Ungewissheit liegt darin, dass man das Zeugnis Gottes über das Kreuz Christi hinsichtlich der Vergebung der Sünden nicht annimmt; die Anwendung des Kreuzes auf das praktische Leben wird naturgemäß vollständig unbeachtet gelassen. Die meisten dieser sogenannten Christen wissen gar nicht, was es heißt, das Kreuz aufzunehmen und dem Herrn nachzufolgen; und doch sagt Er, dass das geschehen müsse, indem die Seele aufrecht gehalten wird durch die Hoffnung, an Seiner Herrlichkeit teilzuhaben (Matth. 16, 21 —28). Wo sind aber jene, die bereitwillig der Ermahnung des Heiligen Geistes gehorchen, „außerhalb des Lagers zu gehen, Seine Schmach tragend“? (Heb.13, 13).

Das große Hindernis, Christo nachzufolgen, ist die Liebe zur Welt. Ein jeder weiß, dass man in der Welt Vergnügungen, Zerstreuungen, Ehrungen finden kann. Und um diese Dinge zu haben, macht man sich, indem man den Namen „Christ“ beibehält, einen Christus nach seinem Belieben, d. h. einen Christus, der der Welt angepasst, aber der Schrift unbekannt ist. Der Apostel wollte sich nur des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus rühmen, des Kreuzes, durch welches ihm die Welt gekreuzigt war und er der Welt. (Gal. 6, 14.) Möchten wir durch den Herrn gekräftigt werden, um diesen Spuren mit Herzensentschluss zu folgen!

Alle Evangelien zeigen uns, dass Christus selbst von denen verworfen wurde, welche das größte Interesse daran hatten, Ihn aufzunehmen, den Juden. Sie hielten die Prophezeiungen in Händen, welche erklärten, was der Christus sein würde, Prophezeiungen, voll von Segnungen, die der Messias ihnen bringen sollte; aber weil Er diese Welt, so wie die Menschen sie gebildet hatten, nicht anerkannte, wollten sie auch Ihn nicht als den Messias anerkennen. Johannes sagt: „Er war in der Welt, und die Welt ward durch Ihn, und die Welt kannte Ihn nicht. Er kam in das Seinige, und die Seinigen nahmen Ihn nicht an.“ Und am Ende Seines Dienstes musste der Herr selbst das Zeugnis ablegen: „Wenn ich nicht die Werke unter ihnen getan hätte, die kein anderer getan hat, so hätten sie keine Sünde; jetzt aber haben sie gesehen und gehasst, sowohl mich als auch meinen Vater“ (Joh. 1, 10 u. 11; 15, 24). Das war auch schon durch den Psalmisten niedergeschrieben worden, lange bevor der Herr es den Juden mit den Worten in Erinnerung brachte: „Sie haben mich ohne Ursache gehasst“ (Vergl. Psalm 35, 19).

Ja, der „lebendige Stein“, die wahre Grundlage der Kirche, der Stein, der bei Gott so auserwählt und kostbar ist, wurde durch die Menschen verworfen. (1. Petr. 2, 4.) Der Herr hatte es wenige Tage vor Seinem Tode angekündigt unter Anführung des 118. Psalmes, den die Juden am Osterfest singen: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden“ (Matth. 2 1, 42). Einige Wochen später hoben die Apostel, als die Reihe des Verfolgtwerdens an sie kam, den Obersten des Volkes gegenüber dieselbe Tatsache hervor, indem sie sich dabei auf die Auferstehung des Herrn beriefen: „So sei euch kund, dass in dem Namen Jesu Christi, des Nazaräers, welchen ihr gekreuzigt habt, den Gott auferweckt hat aus den Toten, dass durch Ihn dieser gesund vor euch steht. Dieser ist der Stein, der von euch, den Bauleuten, für nichts geachtet, der zum Eckstein geworden ist. Und es ist in keinem anderen das Heil, denn auch kein anderer Name ist unter dem Himmel, der unter den Menschen gegeben ist, in welchem wir errettet werden müssen“ (Apstgsch. 4, 10 — 12).

Angesichts des Kreuzes Jesu sind wir deshalb gezwungen, den ganzen Ernst unserer Stellung anzuerkennen und uns bestimmt zu entscheiden, aus welcher Seite wir stehen. Sind wir von der Welt, die den Herrn gekreuzigt hat? Oder sind wir auf der Seite Gottes, welcher Ihn aus den Toten auferweckt hat, und stehen somit unter den Segnungen Seines Todes und Seiner Auferstehung? Der Mensch hat Ihn verachtet, gehasst und getötet, aber Gott hat zu Ihm gesagt: „Dieser ist mein geliebter Sohn, Ihn höret“ (Luk· 9, 35.) Am Kreuze ist der Krieg erklärt worden zwischen Gott und dem Menschen, ein Krieg, der in einem schrecklichen Gericht endigen wird, welchem die Welt entgegeneilt. Es ist nötig, zwischen diesen beiden Seiten zu wählen. Der Heilige Geist stellt an jedes Gewissen die Frage: „Wisset ihr nicht, dass die Freundschaft der Welt Feindschaft wider Gott ist? Wer nun irgend ein Freund der Welt sein will, stellt sich als Feind Gottes dar“ (Jak. 4, 4). Und der Apostel Johannes fügt hinzu: „Liebet nicht die Welt, noch was in der Welt ist. Wenn jemand die Welt liebt, so ist die Liebe des Vaters nicht in ihm“ (1. Joh. 2, 15).

Als Gott Seine ganze Liebe gegen uns kundtat, indem Christus unsere Sünden an Seinem Leibe trug und an unserer Statt das Gericht erduldete, das wir verdient hatten, da trat, wie nie zuvor, die ganze Feindschaft des Menschen gegen Gott ans Licht. Auf Gottes Seite offenbarte sich die Gnade gegen den Sünder in ihrer höchsten Entfaltung, auf der Seite des Menschen die Bosheit auf ihrem Gipfelpunkt· Der Mensch hat sich öffentlich zur Trennung von Gott und zur Feindschaft wider Ihn entschieden· Wer irgend nun mit der Welt es halten und sein Leben erretten will, wird es verlieren. „Denn“, sagt der Herr, „was wird es einem Menschen nützen, wenn er die ganze Welt gewänne, aber seine Seele einbüßte? Oder was wird ein Mensch als Lösegeld geben für seine Seele? Denn der Sohn des· Menschen wird kommen in der Herrlichkeit Seines Vaters mit Seinen Engeln, und dann wird Er einem jeden vergelten nach seinem Tun“. Dann wird auch der geheimste Gedanke eines jeden Herzens offenbar werden (Matth.16, 26. 27; 1. Kor. 4, 5).

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Petrus auf dem Berge

Bibelstelle: Matthäus 17, 1 - 8

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 275ff

Der Apostel Petrus war einer der drei Jünger, welche der Herr Jesus ausgewählt hatte, um Zeugen Seiner Verklärung zu sein. Etwa eine Woche vor dem Tage, an welchem Jesus die Jünger einlud, Ihn „auf einen hohen Berg“ zu begleiten, hatte Petrus seinen Herrn als „den Christus, den Sohn des lebendigen Gottes“, bekannt, und zwar gemäß einer Offenbarung von Seiten des Vaters, wie der Herr zu ihm sagte: „Glückselig bist du, Simon, Bar Jana; denn Fleisch und Blut haben es dir nicht geoffenbart, sondern mein Vater, der in den Himmeln ist“.

Schon „glückselig“ erklärt auf Grund der Offenbarung, die er von oben empfangen hatte, wurde Petrus des zweiten, wohl noch größeren Vorrechtes gewürdigt, die persönliche Herrlichkeit des Herrn zu sehen und mit seinen eigenen Ohren das Zeugnis des Vaters über Ihn zu hören. So wurde er mit seinen beiden Genossen Augen- und Ohrenzeuge hochwichtiger Dinge. Die Wichtigkeit dieses Zeugnisses, nicht allein für das Herz des Petrus, sondern auch für die Gläubigen aller Zeiten, geht aus dem hervor, was der Apostel in seinem zweiten Briefe darüber schreibt. Man kann seine Worte als ein letztes Lebewohl auffassen, das er an die Gemeinde auf der Erde richtete, in dem Augenblick als er selbst sie verlassen sollte, um zu seinem Herrn zu gehen.

Außer Johannes, der naturgemäß darüber schweigt, reden alle Evangelisten von der Verklärung auf dem Berge. Die Wichtigkeit des Ereignisses liegt in der Tatsache, dass die Person des Heilandes uns vor Augen gestellt wird, gemäß den Reichtümern Seiner Gnade, zu einer Zeit als es auf Seiten des Menschen nichts, auch gar nichts, gab, was eine solche Gnade irgendwie hätte verdienen können. Vielleicht möchte man in der Einladung der Jünger eine gewisse Belohnung erblicken, die dem Apostel auf Grund seines Bekenntnisses zu teil geworden wäre. Aber dem gegenüber muss bemerkt werden, dass derselbe Jünger, der, ehe er die Herrlichkeit des Herrn sah, die Wahrheit Gottes betreffs Seiner Person kundgetan hatte, nichts mehr zu sagen wusste, als er mit seinen Begleitern aus dem Berge in die „lichte Wolke“ eintrat.

Diese Wolke, in Verbindung mit der persönlichen Herrlichkeit des Herrn und alledem, was Ihn umgab, stellt wohl den Himmel selbst vor samt den himmlischen Heiligen, die dort ihre Stätte haben. Petrus betrachtet es wenigstens so in seinem Briefe. Für einen Augenblick sehen die Jünger den Himmel auf der Erde. Es war ein Gesicht von jener Herrlichkeit, nach welcher der Christ auf seiner irdischen Pilgerreise sich ausstreckt, ein Gesicht, das gegeben wurde, um ihn zu ermutigen inmitten der Mühen und Leiden des Weges, welchen Jesus verfolgt hat, und den zu gehen wir berufen sind, indem wir Seinen Fußstapfen nachfolgen· In Wirklichkeit konnte das Gesicht nicht andauern. Jesus hatte Seinen Jüngern ja eben erst gesagt, dass Er nach Jerusalem zurückkehren müsse, um dort getötet und am dritten Tage auferweckt zu werden.

Petrus verstand von alledem nichts. Schon hatte er gewagt, seinen Herrn zu tadeln, als dieser von Seinem nahen Tode sprach. Petrus liebte den Herrn innig. Er konnte den Gedanken, Ihn zu verlieren, nicht ertragen. Darum begrüßte er auch auf dem Berge mit solcher Freude die Erscheinung der Herrlichkeit. Das war etwas anderes, als Kreuz und Tod! Ja, er meinte für immer in dieser Herrlichkeit bleiben zu können. Und als er nun gar noch die Diener Gottes aus alter Zeit erblickte, welche ihren Lauf hienieden vollendet hatten und nun in derselben Herrlichkeit mit Jesu erschienen, was wäre da natürlicher für ihn gewesen, als diese Herrlichkeit zu betrachten und in ihr einen glücklichen Ausweg aus all der Not zu erblicken, welche die traurige Aussicht auf den Tod Jesu in seinem Innern hervorgerufen hätte?

Wenn man die einzelnen Vorgänge ins Auge fasst, die „auf dem heiligen Berge“, wie Petrus ihn nennt, sah vor unseren Blicken entrollen, so lassen sich, neben den Belehrungen, die wir über die Person Jesu und Seine Herrlichkeit empfangen, noch mancherlei praktische Betrachtungen daran knüpfen. Auf der einen Seite lernen wir z. B. dass die Herrlichkeit des Himmels nicht ausreicht, um einen Gläubigen weiser zu machen, als er ist, und andererseits, dass sie einem aufrichtigen Menschen nicht hilft, das Vertrauen aus sich selbst zu verlieren. Unsere Herzen sind immer in Gefahr, sich zu erheben. Das beweist die Geschichte unseres Apostels. Ein von Gott begnadigter Mensch, der auf Grund dieser Begnadigung glückselig gepriesen wird, vermisst sich, ein Gebiet zu betreten, das Gott allein gehört, indem er sagt: „Gott behüte dich, Herr! Dies wird dir nicht widerfahren“; und, ohne es zu wissen, macht er sich zu einem Werkzeug Satans. Und wenn derselbe Mensch bald nachher in die Herrlichkeit zugelassen wird, zeigt er, dass er aus der strengen Zurechtweisung, welche seine Torheit ihm eingetragen, noch keinen Nutzen gezogen hatte. Ja, es scheint fast so, als habe er das geringe Maß von Einsicht, das ihm noch geblieben war, dort gänzlich verloren. „Herr“, sagte er, „wenn du willst, lass uns hier drei Hütten machen, dir eine und Moses eine und Elias eine“ (V. 4). Als er so sprach, wusste er in der Tat nicht, was er sagte, und er bedurfte wiederum der Zurechtweisung und Belehrung. Während er noch redete, ertönte aus der „lichten Wolke“, die sie überschattete, eine Stimme: „Dieses: ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe“. Gott selbst trat für die Ehre Seines Geliebten ein. Was waren die großen Männer des Alten Bundes neben Ihm? Wer von diesen kann mit Ihm auf einen Boden gestellt werden? Alle verschwinden, und als die erschreckten Jünger ihre Augen aufhoben, „sahen sie niemand als Jesum allein“.

Wie hatte sich doch alles verändert, als später derselbe Apostel, getrieben durch den Heiligen Geist, es unternahm, das was er auf dem Berge gesehen und gehört hatte, wieder zu erzählen! Von Petrus hören wir jetzt gar nichts mehr. Obwohl er ganz glückselig ist, redet er doch nur von Jesu, auf dass der Herr allein erhoben werde, Petrus aber verschwinde. Sein Glück besteht darin zu wissen, dass ihm Christus, mochte er sein Leben auch als Märtyrer beendigen, für Zeit und Ewigkeit bleiben würde.

Müssen wir nicht bekennen, das; die Unterweisungen, welche Petrus empfing, sich in unseren Erfahrungen manchmal wiederfinden? In seinem Herzen gab es nur brennende Liebe zu seinem Heilande, so dass er meinte, sein Leben für Ihn lassen zu können. Aber diese Liebekonnte ihn nicht vor ernstem Fehlen und Fallen bewahren. Vergessen wir jedoch nicht, dass er, als er auf dem heiligen Berge war, den Heiligen Geist noch nicht empfangen hatte. Die Weisheit Gottes hat einen Menschen in den bestmöglichen Umständen vor unsere Augen stellen wollen, (der aber, wie gesagt, den Heiligen Geist noch nicht besaß), um uns verstehen zu lassen, was wir in uns selbst sind, zugleich aber auch um uns die Wirkung der Gegenwart des Heiligen Geistes zu zeigen, der jetzt in die Herzen der Kinder Gottes ausgegossen ist (Gal. 4, 6). Möchten wir nie vergessen, welch eine Verantwortlichkeit diese Tatsache uns auferlegt!

In den vier Evangelien finden wir wahre Gläubige als Begleiter des Herrn, während Er hienieden wandelte. Sie folgten Ihm nach und nahmen teil an dem Dienst, den Er ausübte. Aber ihr Verständnis war gering. Immer wieder nimmt man ihre Unfähigkeit wahr, die Worte und Wege ihres Herrn und Heilandes zu verstehen. Sie waren noch „Unmündige“ .In den Briefen finden wir dieselben Menschen wieder, aber wie sehr sind sie verändert! Sie haben den Heiligen Geist empfangen, der sie befähigt, die Wahrheiten zu erfassen, welche sie einst nicht verstehen konnten. „Noch vieles habe ich euch zu sagen“, lesen wir in Joh. 16, 12, „aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, gekommen ist, wird Er euch in die ganze Wahrheit leiten.“ Das ist eine Tatsache von allergrößter Wichtigkeit.

Aber wenn es auch in allem, was vom Menschen stammt, nichts Befriedigendes gibt noch geben kann, so lassen doch die Mängel auf unserer Seite die Gnade auf Seiten des Herrn nur umso mehr in den Vordergrund treten. Die Gnade schließt jedes Verdienst aus, sonst wäre sie ja nicht mehr Gnade (Röm. 11, 6). Weisheit, Erkenntnis, Treue, Demut -— alles mag bei uns mangelhaft sein oder gar gänzlich zu fehlen scheinen, aber die Gnade wird mit umso größerer Klarheit erglänzen und umso mehr von uns erkannt und geschätzt werden, je mehr wir entdecken, dass Gott uns segnet, nicht nach dem was wir sind oder zu sein hoffen, sondern einzig und allein auf Grund dessen, was Er ist (Vergl. Jes. 43, 25; Hes. 20, 9. 14. 22. 44).

Das einzigartige Schauspiel auf dem Berge hat also für den Gläubigen den großen Wert, dass es seinen Glauben stärkt und seine Hoffnung auf die zukünftige Herrlichkeit nährt, indem es ihn zugleich dahin leitet, sich selbst zu richten in der Gegenwart Gottes und sein Herz wurzeln zu lassen in der Liebe des Herrn. Der Gott, der Seinen Sohn für uns gesandt hat, will uns für alle Ewigkeit bei sich haben in Seiner Herrlichkeit; um dasselbe bittet der Sohn in Joh. 17, 24.

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Saulus der auch Paulus heißt

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 281ff

Die Feststellung der Tatsache, dass er das Evangelium nicht von einem Menschen empfangen und erlernt hatte, führt Paulus im Galaterbries dazu, seine Lebensgeschichte zu erzählen. Diese Geschichte war den Galatern ja bekannt, aber er erzählt sie ihnen noch einmal, weil sie die Quelle der Vollmacht enthielt, die er von Christo besaß, um das Evangelium zu verkündigen. Dieses Evangelium war ihm von Christo selbst geoffenbart worden, dessen himmlische Herrlichkeit er geschaut, und der ihn ausgesandt hatte, um es der ganzen Schöpfung, die unter dem Himmel ist, zu verkündigen. Und doch war Paulus ein Verfolger Christi gewesen, ein Eiferer für die Religion seiner Väter, und mit allen Kräften hatte er gesucht, den Namen Christi von der Erde auszurotten. Nach den strengsten Grundsätzen der strengsten Sekte seiner Religion lebend, hatte er die Gemeinde Gottes verfolgt. Zu den Füßen Gamaliels auferzogen, übertraf er seine Altersgenossen in der sorgfältigen Beobachtung der Satzungen und Überlieferungen der Väter.

Saulus war also ein eifriger, religiöser Mann, untadelhaft in seiner ganzen Lebensweise. Und diesen Mann, den Gott von seiner Mutter Leibe an abgesondert hatte, berief Er jetzt durch Seine Gnade, indem Er Seinen Sohn in ihm offenbarte, und bestimmte ihn dazu, Seinen Namen unter den Nationen zu verkündigen.

Die Wege Gottes bei dieser Gelegenheit sind äußerst bemerkenswert. Zuerst bereitete Er ein Gefäß zu, einen Mann, mutig und kühn, voll Energie und Eifer für die Sache, die er einmal zu der seinen gemacht hatte, einen Mann zugleich, der, was sein Leben unter dem Gesetz anging, sich nichts vorzuwerfen hatte, dessen Geist imstande war, in die höchsten Dinge einzudringen, und der sich doch so weit zu erniedrigen wusste, dass er sich mit den kleinsten Einzelheiten des täglichen Lebens beschäftigen und mit einem Herzen voll Liebe an die Umstände jedes Einzelnen denken konnte. Von Gott befähigt, die größten und herrlichsten Wahrheiten zu verstehen und wiederzugeben, vermochte er zu gleicher Zeit die Beziehungen eines armen Sklaven zu seinem Herrn, dem jener entflohen war, wiederherzustellen.

Alle diese und noch viele andere schöne Eigenschaften des Saulus wurden indes veranstaltet und verdeckt durch einen Willen, der nur sich selbst gefallen wollte und seinen eigenen Ruhm dadurch zu mehren bestrebt war, dass er die Ehre seiner Seite suchte und die Überlieferungen der Väter hochhielt. Zu diesem Zweck machte er Gebrauch von dem Namen Gottes und führte die Verfolgung der Gläubigen bis in ausländische Städte durch. So wurde die rücksichtslose Energie, die ihn kennzeichnete, das Mittel, um die bösen Leidenschaften in ihm zu befriedigen, welche den Namen Christi auszurotten trachteten.

Andererseits musste dieser starke Eigenwille des Saulus unter der Leitung Gottes dazu dienen, ihn von Jerusalem zu entfernen, wo die Apostel weilten, die bereits durch den Herrn berufen und durch den Heiligen Geist versiegelt worden waren. In Jerusalem würde es schwierig für ihn gewesen sein, ganz unabhängig von den anderen Aposteln zu bleiben; er wäre notwendigerweise unter ihren Machteinfluss und ihre Leitung gekommen. Seine Energie, so sehr sie auch in falscher Richtung tätig war, diente somit dazu, ihn dahin zu bringen, wo Gott ihn haben wollte. Auf seine Bitte erhielt er von dem Hohenpriester Briefe, die ihn ermächtigten, alle, welche in anderen Städten den Namen Jesu anriefen, zu binden und gefangen nach Jerusalem zu führen.

Mit dieser Vollmacht ausgerüstet, begab sich Saulus auf den Weg nach Damaskus. Jetzt war für den Herrn der Augenblick gekommen, mit ihm zu reden. Plötzlich, als er mit seinen Begleitern der Stadt nahte, umstrahlte den ganzen Zug ein Licht aus dem Himmel. Alle stürzten zu Boden. Alle sahen auch das Licht, aber Saulus allein sah den Herrn. Alle hörten einen Schall, aber die Stimme Dessen, der mit Saulus redete, vernahmen sie nicht. Die Begleiter waren also wohl Zeugen der himmlischen Erscheinung, aber Saulus allein empfing die Offenbarung vom Herrn. Als einer, der die Herrlichkeit des Herrn gesehen hatte, sollte er die Worte bezeugen, die der Herr persönlich zu ihm sprach. Infolge einer unmittelbaren und persönlichen Offenbarung sollte er sagen können: „Habe ich nicht den Herrn gesehen?“ (1.Kor. 9, 1). Beachten wir jedoch: es war der verherrlichte Herr, den er sah. Der verherrlichte Menschensohn zur Rechten Gottes sollte der Ausgangspunkt seines Dienstes werden. Den Herrn in Seiner Erniedrigung hatte Saulus nie gekannt.

Die anderen Apostel hatten den Herrn auf Seinem Pfade des Gehorsams begleitet, hatten Ihn gekannt als den Messias Israels in Seinem Leben der Gnade und Geduld. Sie waren Ihm nach Bethanien gefolgt und hatten Ihn gen Himmel auffahren sehen. Sie wussten, dass Er jetzt dort zur Rechten Gottes saß, aber sie hatten Ihn nach Seiner Himmelfahrt nicht wiedergesehen.

Saulus tritt zum ersten Mal bei der Steinigung des Stephanus hervor, in jenem Augenblick, als die Juden sich als Feinde des verherrlichten Christus erwiesen, geradeso wie sie sich vorher als Feinde des in Niedrigkeit erschienenen Christus gezeigt hatten; denn das Zeugnis des Stephanus hatte den Sohn des Menschen in Herrlichkeit zur Rechten Gottes zum Gegenstand. Die Geschichte des Stephanus ist gleichsam der Abbruch aller Beziehungen Gottes zu den Kindern des ersten Adam. Sie hatten das Maß ihrer Sünden voll gemacht, als sie Christum verwarfen, wie Er in Demut unter ihnen wandelte. Christus hatte aber auf dem Kreuze Fürbitte für sie getan, und Gott hatte Sein Gebet erhört und durch den Mund des Petrus beantwortet. (Apstgsch. 3). Petrus durfte seinen Landsleuten die frohe Botschaft bringen, dass Gott, nach Psalm 110, Christum zu Seiner Rechten gesetzt habe, und dass der Herr, wenn sie Buße tun wollten, von dort zu ihnen zurückkehren werde. Als Antwort auf diesen letzten Gnadenruf Gottes hatten sie Petrus ergriffen und ihm den Mund geschlossen. Und als schließlich Stephanus ihnen freimütig verkündete, was sein Auge sah, nämlich Christum in der Herrlichkeit droben, da stürzten sie rasend vor Wut auf ihn zu und steinigten ihn. So wurde der verherrlichte Christus von ihnen verworfen, geradeso wie der in Gnaden Gekommene von ihnen gekreuzigt worden war.

Im Auftrage derselben Leute, deren Vorgehen bei dem Tode des Stephanus Saulus durch Wort und Tat unterstützt hatte, finden wir ihn jetzt, Drohung und Mord schnaubend, auf dem Wege, der allen Anhängern des verhassten Jesus von Nazareth Tod und Verderben bringen sollte. Hier also trat Gott dem Apostel des Hasses des menschlichen Herzens wider Ihn und Seinen Christus entgegen, um ihn zum Apostel Seiner unumschränkten Gnade und der Herrlichkeit zu machen, deren Zeuge er hier wurde.

Welch eine Gnade von seiten Gottes! Und welch eine Veränderung bewirkt sie in dem Menschen! Es ist ja dieselbe Gnade, die sich gegen alle Erretteten erweist; aber Saulus war ein besonders wunderbares Zeugnis von ihr. Er war berufen, diese Gnade in seiner Person allen klar und verständlich darzustellen, wie er selbst sagt: „Das Wort ist gewiss und aller Annahme wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, Sünder zu erretten, von welchen ich der Erste bin. Aber darum ist mir Barmherzigkeit zuteil geworden, auf dass an mir, dem ersten, Jesus Christus die ganze Langmut erzeige, zum Vorbilde für die, welche an Ihn glauben werden zum ewigen Leben“ (1. Tim. 1, 15. 16).

Die Art und Weise, wie der Herr die beiden Hauptarbeiter unter Heiden und Juden für ihre bezügIiche Aufgabe vorbereitete, ist bemerkenswert. Petrus verleugnete fluchend und schwörend seinen Herrn; Paulus suchte Seinen Namen von der Erde auszurotten. Keiner von ihnen hätte seinen Mund im Dienst auftun können, ohne die Sünde des Menschen auf der einen Seite und die alles übersteigende Gnade Gottes auf der anderen laut zu verkündigen.

Doch worin bestand die Offenbarung, die dem Saulus zuteil wurde? Zunächst wurde ihm, wie gesagt, die himmlische Herrlichkeit Jesu Christi, des Sohnes Gottes, der immer noch Mensch war, gezeigt. Die Zwölfe waren dem Heiland gefolgt, bis die Wolke Ihn vor ihren Augen hinwegnahm; darüber hinaus konnten sie nicht Augenzeugen sein. Saulus hat den Herrn nur jenseits dieser Wolke gesehen; er lernte Ihn erst kennen, als Er schon in der Herrlichkeit war. Dem entsprach das Evangelium, so wie er es empfing. Ein auf Erden lebender Messias war für die Juden. Ein Christus, der gestorben und verherrlicht worden war, nachdem der Mensch Ihn verworfen hatte, wurde der Heiland der Welt. Er war für alle Menschen gestorben, und Gott hatte Ihn anerkannt, indem Er Ihn zu Seiner Rechten erhöhte in der Herrlichkeit, die Er bei dem Vater hatte, ehe die Welt war. Und doch war Er derselbe Jesus, der in Armut und Niedrigkeit, verspottet und verhöhnt von den Menschen, hienieden geweilt hatte, der Nazaräer (Apstgsch. 22, 8). Wunderbare Wahrheit!

„Ich bin Jesus, den du verfolgst«, so sprach die Stimme zu Saulus. Aber wenn Jesus sich im Himmel befand, wie konnte Saulus Ihn denn verfolgen? Die Worte zeigen uns die unbegreifliche Liebe des Herrn zu den Seinigen. Er betrachtet sie wie sich selbst, gleichsam als Sein eigenes Ich. Sie sind eins mit Ihm, so vollkommen eins durch den Heiligen Geist dass sie die Glieder Seines Leibes bilden. Er liebt sie, wie ein Mensch sein eigenes Fleisch liebt und es nährt und pflegt. Das Haupt und die Glieder stehen nur als eine Person vor Gott. Siehe da, mein Leser, die beiden großen Grundsätze des Christentums, wie Paulus sie lehrte: ein Christus, der nach vollbrachtem Werke verherrlicht worden ist, und Christen, eins gemacht mit diesem Verherrlichten, mit Christo, einem Menschen jenseits des Todes, jenseits der Sünde, die Er getragen hat, jenseits der Macht Satans und des Gerichtes Gottes über die Sünde.287

Sobald Saulus diese Offenbarung empfangen und entdeckt hat, dass der Herr selbst es ist, der mit ihm redet, ist es mit feinem Willen gänzlich und für immer zu Ende. Er unterwirft sich dem Willen des Herrn, der ihn zunächst in die Stadt sendet, damit er dort in Demut lerne, was dieser Wille ist. Mit anderen Worten: er unterwirft sich in jenem Augenblick dem Christentum, indem er dem Willen Christi folgt.

Aber warum wurde er denn blind? Es geschah wohl, um das Werk in ihm vollkommen zu Ende zu führen und ihn die gewaltige Änderung in seiner Seele vor Gott in ihrer wahren Kraft erfahren zu lassen. Jedes Hindernis von außen, jede Einmischung von Seiten des Menschen musste fern gehalten werden. Saulus sollte ganz allein sein mit Gott. Unter dem überwältigenden Eindruck des Geschehenen aß und trank er nicht drei Tage lang. Aber obwohl er in die Stadt gehen musste, um dort zu lernen, was er zu tun hatte, hing doch für sein späteres Leben Vieles und Großes von der ihm, und zwar ihm allein, gemachten Offenbarung ab.

Zuerst war ihm, wie schon erwähnt, der Herr erschienen, derselbe Jesus von Nazareth, welcher von den Menschen zwar verworfen, durch Seine Auferstehung aus den Toten aber in Kraft als Sohn Gottes erwiesen worden war. Das ist eine Wahrheit von unendlicher Bedeutung! Ein Mensch war jetzt im Himmel, und dieser Mensch war der Sohn Gottes. Er war dort, weil das Opfer für die Sünde vollkommen vollbracht und von Gott angenommen worden war, ein Opfer, so vollkommen, dass Der, welcher es dargebracht hatte, auf Grund der Gerechtigkeit Gottes, mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt, zur Rechten Gottes gesetzt worden war.

Zugleich erwies sich darin die ganze Bosheit und Verderbtheit des Menschen; denn er hatte Gott, als Er in vollkommener Güte und Menschenliebe unter den Menschen erschienen war, verworfen. Israel hatte alle seine Vorrechte samt seinen Ansprüchen an die Verheißungen verscherzt, als es Den »verwarf, in welchem alle Verheißungen Ja und Amen sind. Nicht nur war in Christo, dem Haupte der auf das Gesetz folgenden Einrichtung, des Gesetzes Ende gekommen, sondern es war auch durch Seine Verwerfung jeder Anspruch auf die Verheißungen verloren gegangen, und damit jede Beziehung Gottes zu dem Volke, dem Er einst das Gesetz gegeben hatte, abgebrochen. Die Nationen hatten nie das Gesetz besessen, waren nie in einem näheren Verhältnis zu Gott gewesen. Außerhalb der Israel gegebenen Verheißungen stehend, waren sie in die tiefste Finsternis versunken (Vergl. Röm. 1). So gab es denn gar keine Beziehungen des Menschen zu Gott mehr, als nur die von sündigen und aufrührerischen Geschöpfen ihrem Schöpfer gegenüber.

Auf der anderen Seite war die unumschränkte Gnade Gottes dem größten Sünder in der Welt geoffenbart worden, dem Apostel des Aufruhrs und der Verwerfung des Gesalbten Gottes, dem Apostel der Feindschaft des Menschen gegen Gott und Seinen Christus. Welch ein Wendepunkt also in der Geschichte des Menschen! Die Erlösung war vollbracht, und die Liebe des- halb frei, sich zu betätigen entsprechend der Gerechtigkeit und Herrlichkeit Gottes. Und was geschieht? Gott erhebt sieh über alle Sünde und Feindschaft des Menschen, um in unumschränkter Gnade zu wirken, nicht nur um Seine Liebe zu offenbaren, -— das hatte Er schon getan, als Er Christum auf die Erde sandte, — sondern um zu bewirken, „dass die Gnade herrsche durch Gerechtigkeit zu ewigem Leben durch Jesum Christum, unseren Herrn“ (Röm. 5, 21). Diese Gerechtigkeit hat Christum als Menschen zur Rechten Gottes gesetzt, weil Er als Mensch Gott vollkommen verherrlicht hat (Joh. 13, 31. 32; 17, 4. 5).

Doch noch mehr als das war in der Offenbarung des Herrn aus dem Wege nach Damaskus enthalten. Wir sprachen bereits von der neuen, aus das Gesetz folgenden Einrichtung der Gnade, die sich auf diese Offenbarung gründete. Es war nötig, dass die Seele des Saulus in einen Zustand gebracht wurde, der zu dem Dienste Gottes in dieser neuen Einrichtung passte. Und dies fand jetzt statt. Zunächst fielen alle die Dinge, auf welche Saulus vertraut hatte, einer gänzlichen Verurteilung anheim: durch Gott selbst gerichtet, hatten sie gar keinen Wert mehr. In seinem Herzen wurde alles auf den Kopf gestellt: das was er bis dahin als von Gott gegeben betrachtet hatte (was es bis zum Kreuze auch wirklich gewesen war), wurde beiseite gesetzt. Sein Gewissen — «denn er hatte gemeint, wider den Namen Jesu, des Nazaräers, viel Widriges tun zu müssen — hatte ihn betrogen. Sein Vertrauen auf das Gesetz als das von Gott gegebene Mittel, um Gerechtigkeit vor Gott zu erlangen, die Autorität der Häupter der jüdischen Religion, mit einem Wort, alles hatte ihn nur dahin gebracht, sich in offener Feindschaft gegen den Herrn zu befinden. Nichts war geblieben, worauf seine Seele hätte ruhen können. Ein Feind des Herrn selbst geworden, hatte er sich angemaßt, alle auszurotten, welche Gott liebte.

Saulus fühlte in der Gegenwart des Herrn, dass es so mit ihm stand. Er erkannte sich als den ersten der Sünder und als den Träger und Gesandten jenes Hasses, der den Herrn der Herrlichkeit auf Erden verworfen hatte und noch immer das Zeugnis des Heiligen Geistes verwarf, trotzdem Er als der Verherrlichte droben thronte. Zugleich aber offenbarte sich ihm dieser Herr der Herrlichkeit, der Sohn Gottes, in unumschränkter Gnade. Obwohl er das Gedächtnis Seines Namens auszulöschen gesucht hatte, wurde ihm ewiges Leben mitgeteilt, ewiges, vollgültiges Heil dargeboten auf Grund des vollbrachten Werkes Christi, der auch seine Sünden getragen hatte und durch die Wirksamkeit des Geistes Gottes nun Sein Werk in ihm zur Vollendung brachte. Es gefiel Gott, Seinen Sohn in ihm zu offenbaren.

Das ist wahre Bekehrung, wahrer Glaube. Die Gnade offenbart in uns den Sohn Gottes, einen verherrlichten Menschen und einen Heiland, der alle unsere Sünden getragen hat. Bei Saulus geschah diese Offenbarung noch zu dem besonderen Zweck, dass er Christum unter den Nationen verkündigen sollte.

So wurde der Mann, der so schrecklich gegen Christum und die Seinigen gewütet hatte, von dem Herrn selbst in Seinen Dienst gestellt und mit den bemerkenswerten Worten hinausgesandt: „Denn hierzu bin ich dir erschienen, dich zu einem Diener und Zeugen zu verordnen, sowohl dessen, was du gesehen hast, als auch worin ich dir erscheinen werde, indem ich dich herausnehme aus dem Volke und den Nationen, zu welchen ich dich sende, ihre Augen aufzutun, aus dass sie sich bekehren von der Finsternis zum Licht und von der Gewalt des Satans zu Gott, auf dass sie Vergebung der Sünden empfangen und ein Erbe unter denen, die durch den Glauben an mich geheiligt sind“ (Apstgsch. 26, 16 — 18).

Das war der Weg, auf welchem Saulus aus der Mitte der Juden weggenommen und von seiner Nation abgesondert wurde, um fortan Christo anzugehören; aber deswegen gehörte er doch noch nicht zu den Nationen. Von nun an war ein verherrlichter Christus sein Ausgangspunkt bei der Verkündigung dessen, was er gesehen hatte, und was durch die Macht der Gnade in seinem Herzen geoffenbart worden war. Wohl wurden ihm später noch andere Offenbarungen zuteil, aber auch sie redeten alle von einem Christus, der von der Welt verworfen und von Gott verherrlicht worden war. Und in dem Bewusstsein, dass die Gesinnung des Fleisches Feindschaft ist wider Gott, wie es auch seine Religion und sein ganzes vergangenes Leben gewesen waren, machte der verherrlichte Christus von nun an sein Alles aus: nicht nur ein Christus, der für ihn die Erlösung vollbracht und ihn von seinen Sünden gereinigt hatte, sondern ein Mensch im Himmel, auf den er wartete als den Erfüller der herrlichen Hoffnung der Seinigen, die Ihm angehörten, und die Er betrachtete als Sein Ich.

Nach einer solchen Offenbarung der Person des Herrn Jesus und einer solchen Berufung durch die Worte Seines Mundes, war es nicht an Saulus, hinzugehen und sich von anderen, wer sie auch sein mochten, belehren zu lassen. Er tut es auch nicht. Er hatte seine Sendung vom Herrn selbst empfangen, der sich niemals einem anderen so geoffenbart hatte wie ihm. Sicherlich war Er derselbe Herr für alle, und für alle gab es nur ein Heil, aber es handelte sich hier um eine besondere Offenbarung, welche ihren Charakter dem ganzen Dienst eines Knechtes des Herrn aufdrückte, der Christum jetzt nicht mehr nach dem Fleische, d. h. nicht mehr als den Messias der Juden auf der Erde, kannte.

Weil es aber notwendig war, dass Saulus alles dies erfahrungsgemäß in seiner Seele durchmachte, wurde er blind. Er sollte so von allem, was ihn von dem einen Gegenstande hätte abziehen können, abgesondert werden und ausschließlich mit der gewaltigen Umwälzung beschäftigt sein, die in ihm stattgefunden hatte. Die Offenbarung des Herrn sollte unverrückt vor ihm stehen, die völlige Umwandlung in dem Zustand und den Beziehungen seiner eigenen Seele sollte tief und ohne Unterbrechung von ihm gefühlt werden. Auch war es notwendig, dass das Verschwinden des Gesetzes, die Herrlichkeit der Person Christi, die Sünde, den Herrn der Herrlichkeit in Seinem Volke verfolgt zu haben, sowie die wunderbare Gnade, die ihn trotz allem berufen hatte, Wirklichkeiten für seine Seele wurden. Mit einem Wort, der neue Mensch sollte auf diese Weise in ihm gebildet werden.

Sich selbst völlig überlassen, denkt Saulus nicht daran, die übrigen Apostel in Jerusalem aufzusuchen. Der Herr hatte ihn nach Damaskus gerufen, und Saulus hatte seine Sendung von Ihm selbst empfangen. Er brauchte die Apostel nicht um Rat zu fragen, was er tun solle, denn der Herr hatte ihn für sich selbst auserwählt. Er war ein Knecht Christi, unmittelbar abhängig von Ihm. Er geht nach Arabien und kehrt nach Damaskus zurück. Nach drei Jahren geht er nach Jerusalem hinauf, um Petrus zu sehen, und bleibt fünfzehn Tage bei ihm. Die anderen Apostel sah er nicht. Ferner besuchte er noch Jakobus, den Bruder des Herrn. Er erzählt alle diese Einzelheiten so genau, damit die Galater verstehen möchten, dass er als Apostel nur unmittelbar mit dem Herrn selbst zu tun und den anderen Aposteln nichts zu verdanken hatte.

Aber obwohl Saulus vom Herrn erwählt und berufen worden war, musste er doch noch die bestimmte Weisung des Heiligen Geistes abwarten, um das Feld seiner apostolischen Arbeit betreten zu können; diese wurde ihm später in Antiochien zuteil. Lasst uns auf diesen so überaus wichtigen Grundsatz wohl achthaben: wir bedürfen, um dem Herrn gemäß zu wirken, nicht nur der Berufung des Herrn, sondern auch der bestimmten Weisung des Heiligen Geistes.

Als Christ bekannte Saulus sofort seinen Herrn; da wartete er keinen Augenblick. Die Echtheit seiner Bekehrung trat sogleich deutlich zutage, indem er von dem Herrn ohne Zögern öffentlich Zeugnis ablegte. Aber dann tritt er vom Schauplatz ab bis zu der Zeit, wo der Heilige Geist ihn als Zeugen für Christum in die Heidenwelt sendet. Nur solche Dinge werden hier berichtet, die geeignet waren, seine gänzliche Unabhängigkeit von Aposteln und Menschen zu zeigen. Er hatte seine Sendung oder sein Apostelamt nicht von Menschen oder durch einen Menschen empfangen, sei es Petrus oder einer der anderen Apostel, sondern von Jesu Christo selbst.

Paulus war den Versammlungen in Judäa von Angesicht nicht bekannt, als er hernach Syrien und Cilicien besuchte; sie hatten nur gehört, dass der, welcher sie früher verfolgt hatte, jetzt den einst von ihm bekämpften Glauben verkündige, und sie verherrlichten Gott an ihm. Und als er später zu den Nationen gesandt wurde, geschah es nicht von Jerusalem, sondern von Antiochien aus, und zwar durch den Heiligen Geist. (Vergl. Apstgsch. 13). Weder die Apostel noch die Gemeinden in Jerusalem hatten irgend Etwas damit zu tun; es war eine durchaus unabhängige Sendung, von der sie in jenem Augenblick nicht einmal Kenntnis hatten. Paulus verkündigte das Evangelium unter den Nationen (obwohl er den Juden, wo er solche fand, immer zuerst die frohe Botschaft brachte) und sammelte zu demselben Zweck verschiedene Brüder um sich, welche die Gnade für das Werk zubereitet hatte. Näheres darüber berichtet die Apostelgeschichte.

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Die Ermahnungen des Paulus an die Kolosser

Bibelstelle: Kolosser

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 295ff

Während der Brief an die Epheser den Gläubigen als mitversetzt in die himmlischen Örter in Christo darstellt, werden die Kolosser von dem inspirierten Schreiber als solche betrachtet, welche zwar mit Christo auferstanden und mit Ihm droben vereinigt sind, aber noch aus der Erde wandeln.

Gottes Gnade hat für eine vielseitige Belehrung der Gläubigen gesorgt. Die Treue der Versammlung in Ephesus gab dem Geiste Gottes Gelegenheit zu einer reichen Darstellung unserer Segnungen und Vorrechte, und gewisse Mängel bei den Kolossern wurden dazu benutzt, um uns unschätzbare, wichtige Unterweisungen zu geben.

Die Gläubigen in Kolossä standen nicht ganz auf derselben Höhe des Glaubens wie ihre Brüder zu Ephesus. Wohl konnte der Apostel von ihnen als solchen sprechen, die „in Christo waren“ (Kap. 1, 2), die der neuen Schöpfung angehörten und „in Ihm vollendet waren“ (Kap. 2, 10). Auch hatten sie mit den Ephesern das Zeugnis gemein, dass sie „Glauben in Christo Jesu“ und „Liebe zu allen Heiligen“ offenbarten. (Kol. 1, 4; Eph. 1, 15.) Es war bei ihnen nicht bloß ein Glaubensbekenntnis vorhanden. Der lebendige Glaube an den Herrn Jesus hatte in ihren Herzen Seine Gefühle und Seine Gesinnung hervorgebracht. Er liebt alle Heiligen, und so tun das gleicherweise alle aus Gott Geborenen: „sie lieben die Brüder“. Und diese brüderlichen Zuneigungen beschränkten sich bei den Kolossern nicht auf einzelne Personen, sondern umfassten alle Geschwister. Epaphras bezeugt von ihnen in Kap. 1, 8, dass „Liebe im Geiste“ vorhanden war, in dem Heiligen Geiste, der alle Glieder Christi untereinander verbindet.

Wie gut nun aber auch der Zustand der Kolosser im allgemeinen sein mochte, bedurften sie doch der Ermahnung, ihre Verbindung mit dem Haupte droben festzuhalten und mehr zu verwirklichen. Es war Gefahr auf dem Wege. Sie standen unter dem Einfluss zweier verderblicher Strömungen: der Philosophie und des Judaismus, und dieser Einfluss konnte sie leicht dazu verleiten, in die Elemente der Welt und des Fleisches, des toten, nicht mit Christo auferstandenen Menschen, zurückzufallen (Kap. 2, 8).

Gleich im Anfang des Briefes erinnert sie der Apostel daran, dass „ihnen eine Hoffnung in den Himmeln aufgehoben sei“ (Kap. 1, 5), und richtet im Blick darauf ihre Augen auf den Himmel, damit sie Christum dort sehen, das volle Bewusstsein ihrer Verbindung mit dem Haupte droben festhalten und ihren Wandel in Übereinstimmung mit Ihm bringen möchten. Um nun ein solches himmlisches Leben auf der Erde führen zu können, bedurften die Kolosser in erster Linie: ,,erfüllt zu sein mit der Erkenntnis Seines Willens in aller Weisheit und geistlichem Verständnis, um würdig des Herrn zu wandeln zu allem Wohlgefallen, in jedem guten Werke fruchtbringend, und wachsend durch die Erkenntnis Gottes“ (Kap. 1, 9. 10).

Ja, den Willen Gottes zu erkennen, das ist eine wichtige Sache. Diesen Willen finden wir im Worte mitgeteilt. Leider sind wir sehr geneigt, uns mit der Erkenntnis einiger Grundwahrheiten zufrieden zu geben und das Wort zu vernachlässigen, sobald wir genug erkannt haben, um betreffs unserer Zukunft beruhigt zu sein. Das ist aber nicht ein Suchen, „erfüllt zu sein mit der Erkenntnis des Willens Gottes“. Wenn es auch wahr ist, dass Gott uns Seine Leitung zuteil werden lässt, so steht doch das Erkennen derselben und Seines Willens überhaupt stets in Verbindung mit unserem Seelenzustande. „Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein“ (Matth. 6, 22.) Darum fügt der Apostel auch hier der Mahnung, mit der Erkenntnis Seines Willens erfüllt zu sein, die Worte hinzu: „in aller Weisheit und geistlichem Verständnis“.

Es ist gut für uns, dass Gott die Erkenntnis Seines Willens von unserem inneren Zustand abhängig macht. Manche möchten die Bibel gern als ein einfaches Nachschlagebuch besitzen, oder sie möchten ein anderes bequemes Mittel haben, um Gottes Willen zu erkennen, gerade so wie man zur Herstellung von irgend Etwas eine fertige Vorschrift zu bekommen sucht. Gott aber schenkt uns nicht immer sogleich das Licht, das wir von Ihm erbitten; im Gegenteil lässt Er es manchmal zu, dass wir in einer Sache recht lang und tief geübt werden. Und diese Übungen sind von großem Wert für unser geistliches Leben. Es ist eben unmöglich, Gewissheit über den Willen Gottes zu erlangen, ohne dass der Zustand unserer Seele dabei in Betracht käme. Dazu kommt noch, dass wir den Herrn genau kennen müssen, um zu wandeln, wie es Seiner würdig ist; und auf diese Weise wachsen wir in der Erkenntnis. Wir vergessen es leider häufig, den Maßstab, „würdig des Herrn zu wandeln“, an uns anzulegen, unser tägliches Leben danach einzurichten. Wir geben uns leicht zufrieden mit einem „äußerlich guten Wandel“ oder einem „Wandel ohne Anstoß“, statt uns zu befleißigen, uns in allen Dingen „würdig des Herrn« zu verhalten, dessen Gesinnung unsere Gesinnung sein soll, und der uns kräftigen will „mit aller Kraft, nach der Macht Seiner Herrlichkeit, zu allem Ausharren und aller Langmut mit Freuden“.

Der Apostel wünscht den Kolossern weiter, dass sie den Vater dafür preisen möchten, dass Er sie für diese Herrlichkeit passend gemacht habe: „Danksagend dem Vater, der uns fähig gemacht zu dem Anteil am Erbe der Heiligen in dem Lichte, der uns errettet hat aus der Gewalt der Finsternis und versetzt in das Reich des Sohnes Seiner Liebe, in welchem wir die Erlösung

haben, die Vergebung der Sünden“ (V. 12 — 14). Und nachdem er so den Sohn in Seinem Verhältnis zum Vater als den Mittelpunkt und Hauptgegenstand eingeführt hat, welcher das Herz der Kolosser einnehmen und sie von dem Joch aller Satzungen befreien sollte, schildert er die Herrlichkeit Christi, der unser Haupt ist.

Zunächst redet er von der Ihm naturgemäß zukommenden Herrlichkeit, wenn Er, der Schöpfer, in die Schöpfung eintritt: „Er ist das Bild des unsichtbaren Gottes“. Ferner „sind alle Dinge durch Ihn erschaffen, die in den Himmeln und die auf der Erde, die sichtbaren und die unsichtbaren . . . . alle Dinge sind durch Ihn und für Ihn geschaffen“. Darum ist Er auch „der Erstgeborene aller Schöpfung", dem alles gehört, und für den alles da ist (Kap. 1, 15. 17). Einen anderen, niedrigeren Platz konnte Er nicht haben.

Dann spricht Paulus von der von Christo erworbenen Herrlichkeit: „Er ist das Haupt des Leibes, der Versammlung, der Erstgeborene aus den Toten“ (V. 18). War jene Herrlichkeit, als Haupt der Schöpfung, Ihm eigen, diese hat Er erworben, und zwar durch den Tod.

Dieser zweifachen Herrlichkeit — Seiner Oberhoheit über die Schöpfung und über die Versammlung — entsprechen auch die zwei Arten der Versöhnung, von denen Paulus spricht, nämlich:

Die Versöhnung der — Dinge, über welche Christus gesetzt ist, d. i. aller Dinge im Himmel und auf Erden, die noch nicht versöhnt sind, für die aber das Sühnungs-Werk vollbracht ist, und die Versöhnung des Christen selbst, welche schon geschehen ist. (V. 19 — 22).

Den entsprechenden doppelten Charakter trägt ferner der Dienst des Apostels. Er ist „Diener des Evangeliums, das in der ganzen Schöpfung gepredigt worden ist« (V. 23), und er ist „Diener der Versammlung«, des Leibes Christi. (V. 25.) In letztgenannter Eigenschaft hat er das Wort Gottes vollendet durch die Verkündigung des von den Zeitaltern und den Geschlechtern her verborgenen, jetzt aber den Heiligen geoffenbarten Geheimnisses, des Geheimnisses nämlich, dass auch die Heiden auf den Boden der in Christo geoffenbarten Gnade gestellt und in Verbindung gebracht sind mit dem zur Rechten Gottes verherrlichten Sohne Gottes.

Und nun stellt der Apostel eine besondere Seite dieses Geheimnisses vor die Augen der mit Christo auferstandenen, aber noch auf der Erde wandelnden Kolosser, nämlich „Christus in ihnen, die Hoffnung der Herrlichkeit“ (V. 27). Das war etwas ganz Neues. Wohl war von alters her bekannt gewesen, das; ein Messias unter den Juden geoffenbart werden und in deren Mitte eine Herrlichkeit einführen sollte, an der die Nationen, soweit sie sich dem Volke Gottes unterwarfen, teilhaben würden; aber in dem jetzt enthüllten „Geheimnis“ war von einem Christus die Rede, der, wenn auch unsichtbar, in der Mitte der Nationen, ja, in ihnen wohnte; und was die Herrlichkeit betraf, so war Er die Hoffnung derselben. Das will sagen: Die Herrlichkeit war noch nicht geoffenbart und den Gläubigen geschenkt, sie lag noch vor ihnen, da wo der Herr der Herrlichkeit weilte; aber sie war ihnen in Christo gewiss. Ein Christus also, wohnend in den Herzen von Menschen, und zwar von solchen Menschen, die früher außerhalb aller Verheißungen standen, der aber jetzt diese Herzen mit Freude und Herrlichkeit erfüllte in dem Bewusstsein ihrer Vereinigung mit Ihm droben, das war das wunderbare Geheimnis, von welchem der Apostel hier redet.

Einen solchen Christus predigte er, zeigte Ihn den Kolossern in Seiner Fülle und stellte Ihn in Gegensatz zu der Philosophie und den menschlichen Überlieferungen (Kap. 2, 8.) In Ihm sind wir berufen zu wandeln, in Ihm sollen wir gewurzelt sein, in Ihm auferbaut werden. Ihn müssen wir stets vor unserer Seele haben. Er .allein ist die Antwort aus alle Fragen. „In Ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“ (V. 9). „Wir sind vollendet in Ihm“, bedürfen also nichts außer Ihm (V. 10). In Ihm erblicken wir einerseits Gott, wie Er sich in Seiner ganzen Fülle geoffenbart hat, und in Ihm besitzen wir andererseits die Vollkommenheit vor Gott.

Mit diesem Christus waren die Kolosser gestorben, mit Ihm waren sie auch auferweckt (Kap. 2, 11. 12). Zwei ernste Tatsachen, von denen der Apostel zwei Anwendungen macht.

In Kap. 2, 20 wendet er den Grundsatz des Todes auf alle Satzungen an, sowie auf die verwerfliche·Lehre der sogenannten Asketen, die den menschlichen Leib als etwas an sich Schlechtes betrachteten, das man schonungslos behandeln müsse. Und in Kap. 3, 1 wendet er den Grundsatz der Auferstehung auf alle Gläubigen an, um ihre Herzen zu einem höheren Standpunkt zu erheben und sie zu veranlassen, nach oben zu schauen, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Mit Christo auferweckt, sollten sie das suchen und auf das sinnen, was droben ist.

Zu gleicher Zeit nach oben und nach unten blicken — das geht nicht. „Wir sind gestorben“, haben also mit alledem, was unten ist, abgeschlossen, „und unser Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott“ (Kap. 3, 3). Wohl haben wir Glieder auf der Erde, aber was haben wir mit ihnen zu tun? „Tötet eure Glieder, die auf der Erde sind!“ Diese Glieder des alten Menschen hat der Gläubige, eben weil sie dem alten Menschen angehören, einfach zu verleugnen, da ja sein Leben dort ist, wo Christus wohnt. Er wandelte zwar einst in diesen Dingen, als er „noch darin lebte« (Kap. 3, 7), das ist aber nun nicht mehr der Fall. Er vermeidet jetzt nicht nur die groben Sünden (V. 5 u. 6), sondern auch die zahlreichen Wirkungen eines ungebrochenen Willens, all die Auswüchse der alten Natur, die Gott nicht kennt und nicht durch Gottesfurcht beherrscht wird. (V. 8 u. 9.) Er hat den alten Menschen mit seinen Handlungen ausgezogen und den neuen angezogen, „der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Bilde Dessen, der ihn erschaffen hat“ (V. 10). Er besitzt die Erkenntnis von der göttlichen Natur, und diese ist für ihn der Maßstab des Guten und Bösen. Er ist ja ein „Teilhaber der göttlichen Natur“ (2. Petrus 1, 4) geworden und hat das Licht Gottes.

Darum wird er ermahnt, „das Wort des Christus reichlich in sich wohnen zu lassen“ (V. 16). Auf diesem Wege entwickelt sich der neue Mensch der Vollkommenheit Gottes gemäß, und die Weisheit Gottes ist da, um ihn zu leiten. Paulus wünschte, dass die Kolosser dies völlig verwirklichen möchten· Das kann aber nur geschehen durch eine immer innigere Gemeinschaft mit dem Herrn, der den ersten Platz im Herzen hat und der Seele stets vor Augen steht.

Nachdem Paulus so die großen und wichtigen Grundsätze des neuen Lebens, welche der Gläubige auf Erden offenbaren soll, dargestellt hat, geht er in die verschiedenen Lebensverhältnisse ein, in denen wir uns, ebenso wie die Kolosser, befinden, sei es als Weiber oder Männer, Kinder oder Eltern, Knechte oder Herren. Er warnt vor den Gefahren, die diese natürlichen Verhältnisse mit sich bringen, und zeigt, was der christliche Charakter einer jeden dieser Lebensstellungen ist. (Kap. 3, 18 — 4, 1).

Daran knüpfen sich dann noch einige allgemeine Ermahnungen, wie:

„Beharret im Gebet und wachet in demselben mit Danksagung“ (Kap. 4, 2).

„Wandelt in Weisheit gegen die, welche draußen sind, die gelegene Zeit auskaufend“ (V. 5).

„Euer Wort sei allezeit in Gnade, mit Salz gewürzt“ (V. 6).

Wie leuchtend, wie fruchtbar wird unser Weg hienieden sein, wenn wir ihn wandeln in dem ständigen Bewusstsein von unserer Verbindung mit Christo, unserem Haupte; wenn wir ihn wandeln in der Kraft, die von dort zu uns herabfließt, die sich in uns befindet: Christus in uns, die Hoffnung der .Herrlichkeit!

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Psalm 92

Bibelstelle: Psalm 92

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 304ff

„Es ist gut, Jehova zu preisen, und Psalmen zu singen deinem Namen, o Höchster“, so sagt der Psalmist und rühmt dann die Güte und Treue Gottes, Sein wunderbares Tun und die Werke Seiner Hände. Drei gute Dinge sind es vornehmlich, die das Glück eines Geretteten voll machen: ein glückliches Herz in uns, ein segnender Gott über uns und ein nützliches Leben vor und hinter uns.

Ein glückliches Herz, das die Gnade erfahren hat und durch Gnade befestigt wird, verherrlicht Gott. Das ganze All preist Ihn -— und wir sollten es nicht tun? Die Engel, die Natur, Donner und Blitz, das rauschende Meer und der lispelnde Baum — alles preist Gott!

Mich, ruft der Baum in seiner Pracht,

mich, ruft die Saat, hat Gott gemacht!

Gebt unserm Schöpfer Ehre!

Gott hat gern glückliche Kinder. Manche Christen glauben, dass der Herr Wohlgefallen habe an sich kasteienden und wehklagenden Menschen. Andere meinen, Gott durch ein trauriges Gemüt zu ehren. Gewiss, es gibt Pflanzen, die im Schatten wachsen, und Gottes Kinder, die beständig unter einer Wolke leben – aber sollte es so sein? Hat Gott Seine Kinder zum Trauern und Klagen geschaffen? Nein! „Es ist gut, Jehova zu preisen, und Psalmen zu singen deinem Namen, o Höchster! Am Morgen zu verkünden deine Güte, und deine Treue in den Nächten“ (V. 1. 2; Klagel. 3, 22 — 24).

Aber können wir immer glücklich sein?

Ich antworte: Ist es etwas Geringes, im Schatten Seiner Güte zu wohnen und in Seiner Treue zu ruhen? Aber, sagst du, begrüßt uns nicht Sorge am Morgen und Schmerz am Abend? — Ja, aber im Herrn ist Kraft für alle Gebeugten! Wir dürfen Psalmen singen, wenn’s gut geht, aber Er gibt auch Gesänge in der Nacht. (Hiob 35, 10.) Der Grund unserer Freude ist das Tun Gottes für uns und an uns. (V. 4.) Wohin auch der Psalmist seine Blicke richten mochte, überall sah er Gottes Güte und Treue. Auch die dunkelste Wolke hat eine lichte Seite.

Diesen guten, treuen Gott wusste der heilige Sänger über sich. Von Ihm wusste er sich gesegnet. Ihn bewunderte er in Seinen Werken: „Wie groß sind deine Werke, Jehova!“ (V. 5). Groß an Zahl, an Ausdehnung, an Weisheit, an Herrlichkeit. „Das Unsichtbare von Ihm, sowohl Seine ewige Kraft als auch Seine Göttlichkeit, die von Erschaffung der Welt an in dem Gemachten wahrgenommen werden, wird geschaut“ (Röm. 1, 20.) Wir betrachten die Werke Gottes, unseres Vaters, und erkennen Seine ewige Kraft in ihnen. Und doch sind diese Werke gleichsam nur der Schatten Seiner Majestät. Vor dem Throne dieses Gottes dürfen wir unsere Knie beugen und Seine Liebe genießen.

Und „sehr tief sind deine Gedanken“. (V. 5). Haben wir je das Geheimnis von Golgatha verstanden? Oder Gottes Gedanken in den Wirren der Weltgeschichte erkannt? Oder haben wir den Schleier von den Geheimnissen unseres Lebens gezogen? Hat die Frau im Witwenschleier Seine Wege ergründet? Oder begreifen die Kinder, warum sie mutterlos wurden? Wir beugen uns vor den Geheimnissen Seines Waltens. Seine Gedanken sind sehr tief! Nur Toren meistern Ihn und Seine Wege (V. 6).

Dieser Gott bleibt ewiglich. (V. 7. 8.) Der Stempel der Welt ist Vergänglichkeit. Menschen sprießen auf und verdorren; aber Er bleibt, ist erhaben auf ewig. Welch ein Trost in einer sterbenden Welt, wo uns so oft das Gefühl der Vereinsamung beschleicht! Aber wenn alles wankt, wenn jede Stütze bricht, dann sagt uns das Wort Gottes: „Du aber bist erhaben auf ewig, Jehova!“ Hier ist ein Ruheort für unser Herz, ein fester Pol für unser wankendes Vertrauen. Hier ist Trost für Witwen und Waisen, für Lebende und Sterbende! Seine ganze Fürsorge wendet der Herr den Seinen zu. „Wer ist wie du, ein Volk, gerettet durch Jehova?“ (5. Mose 33, 29). Unsere Feinde sind Seine Feinde. „Denn siehe, deine Feinde, Jehova, denn siehe, deine Feinde werden umkommen. . ., aber du wirst mein Horn erhöhen gleich dem eines Büffels, und mit frischem Öle werde ich übergossen werden“ (V. 9. 10). In Ihm dürfen wir glaubend und vertrauend ruhen.

Eine arme, aber gläubige junge Frau musste sich einer Operation unterziehen. Als man ihr die Kopfkissen wegnehmen wollte, fragte sie: „Darf ich sie nicht behalten?“ Der Arzt sagte: „Nein, liebe Frau, wir müssen sie wegnehmen“. — „Nun“, meinte sie dann, „Sie können mir doch drei Kissen nicht wegnehmen; ich kann mein Haupt legen auf unendliche Kraft, auf unendliche Liebe und auf unendliche Weisheit.

„Ein solches Ruhen in Ihm und Sich-stützen auf Ihn wird ein nützliches Leben zur Folge haben. „Der Gerechte wird sprossen wie der Palmbaum, wie eine Zeder auf dem Libanon wird er emporwachsen. Die gepflanzt sind in dem Hause Jehovas, werden blühen in den Vorhöfen unseres Gottes. Noch im Greisenalter treiben sie, sind saftvoll und grün, um zu verkünden, dass Jehova gerecht ist. Er ist mein Fels, und kein Unrecht ist in Ihm“ (V.12 - 15).

Von Joram lesen wir: „Er ging hin, ohne vermisst zu werden“ (2. Chron. 21, 20). Er hinterließ keine Lücke. Er war niemand nützlich gewesen. Wo aber ein Leben gelebt wird zur Ehre des Herrn, da wird es reiche Frucht abwerfen für die Ewigkeit, und man geht nicht hin, ohne vermisst zu werden.

Der Herr möge uns Gnade schenken in dieser Zeit, wo so viele Menschen murren und klagen und mit Gott hadern über Sein Tun und über Seine Wege, dass wir Psalmen singen und Ihm danken für Seine Güte! „Denn gut ist Jehova; Seine Güte währt ewiglich, und Seine Treue von Geschlecht zu Geschlecht!“

Du pflegst uns ohn’ Ermüden

und trägst uns ohne Rast;

Du schenkst uns Deinen Frieden,

erleichterst jede Last.

O wohl uns, dass wir stehen

in Deiner Vaterhut!

Wir können freudig gehen,

Du machst es immer gut.

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..Und also werden wir allezeit bei dem Herrn sein. So ermuntert nun einander mit diesen Worten“

Bibelstelle: 1. Thessalonicher 4,17.18

Botschafter des Heils 1916 S. 308ff

Ja, Er kommt, an den wir geglaubt, und den unsere Seele liebt! „Noch über ein gar Kleines, und der Kommende wird kommen.“ Die Nacht ist weit vorgerückt. Lasst uns das in Einfalt festhalten und einander ermuntern, je schwerer die Zeiten werden und auf Herz und Gemüt drücken wollen! Bald, bald werden wir allezeit bei dem Herrn sein. Einst wollten die bedrängten Jünger ihren Herrn in ihr Schiff nehmen „und alsbald war das Schiff an dem Lande, zu welchem sie hinfuhren“ (Johannes 6,21).

Ist auch die Zeit in Dunkel jetzt gehüllt,

das bange Herz mit Kummer oft erfüllt,

schwankt selbst dein Schiff auf sturmbewegtem Meer,

dass du nach Hilfe ängstlich schaust umher –

o, zage nicht! der Hafen ist nicht fern.

Bald landen wir bei unserm teuren Herrn.

Wenn Trennungsschmerz durch deine Seele zieht,

weil dir geraubt der Tod ein teures Glied,

wenn dein Gebet mit Tränen steigt empor

zu Dem, der selbst den Raben leiht Sein Ohr –

Gott sendet Trost; wie hören wir es so gern:

Bald werden wir daheim sein bei dem Herrn!

Wir wissen nicht, was noch die Zukunft bringt,

das blöde Aug den Schleier nicht durchdringt,

doch wissen wir: die Stätte ist bereit,

und rasch zu Ende geht die Leidenszeit.

Sobald erstrahlt der helle Morgenstern,

sind wir daheim bei unserem treuen Herrn!

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Der Pfad und der Charakter des Christen

Bibelstelle: 1. Petrus 1, 1 - 7

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 309ff

In den Briefen des Apostels Petrus wird der Gläubige nicht als mit Christo im Himmel vereinigt betrachtet, er befindet sich vielmehr inmitten der Trübsale dieser Erde aus dem Wege zum Himmel. Beides ist von ihm wahr, und wir haben nötig, an beide Stellungen erinnert zu werden. Wir pilgern durch die Wüste dem Himmel zu; zu gleicher Zeit aber dürfen wir sagen, dass wir durch den Geist Gottes mit Christo droben vereinigt sind.

In dem obengenannten Abschnitt, 1. Petr. 1, 1 — 7, wird der Gläubige also nach der ersten Seite hin betrachtet. Er steht noch nicht im Besitz der himmlischen Segnungen, das Erbteil wird für ihn aufbewahrt; zugleich beschäftigen sich die Wahrheit und die Gnade Gottes mit den Umständen, in denen er sich hienieden befindet. Das zu wissen ist überaus tröstlich für uns, denn auf Erden warten unser einmal Prüfungen und Schwierigkeiten aller Art. Unser Leben ist ein Weg durch mancherlei Trübsale (die aber auch wiederum zu unserem Guten mitwirken); er führt zu dem ,,unverweslichen, unbefleckten und unverwelklichen Erbteil“, welches sicher für uns aufbewahrt wird, gleichwie auch wir, wie der Apostel hinzufügt, „durch Gottes Macht durch Glauben“ für dasselbe bewahrt bleiben.

Das ist also die Stellung, in welcher dieser Brief den Gläubigen betrachtet: er ist „wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi aus den Toten“. Petrus sagt nicht gerade, dass wir mit Christo auferstanden seien, aber er betrachtet den Herrn als auferstanden und in den Himmel eingegangen, wodurch die lebendige Hoffnung und „das unbefleckte und unverwelkliche Erbteil“ unser sind, sicher aufbewahrt für uns im Himmel. So sagt auch Paulus: „Ich weiß, wem ich geglaubt habe, und bin überzeugt, dass Er mächtig ist, das Ihm von mir anvertraute Gut auf jenen Tag zu bewahren“ (2. Tim. 1, 12). All sein Glück war im Himmel gesichert, und der Herr konnte es dort unversehrt für ihn aufbewahren. Dabei wissen wir, dass wir „durch Gottes Macht durch Glauben bewahrt werden zur Errettung“.

So stellt uns denn unser Abschnitt den Pfad und den Charakter des Christen vor Augen: neben der herrlichen, bewahrenden Treue des Herrn, die den Gläubigen auf seiner ganzen Laufbahn begleitet, finden wir das, was ihn auf dem Wege, der ihn dem Ziele droben zuführt, kennzeichnet, und zugleich ein wenig von den Schwierigkeiten des Weges dahin. Diese Dinge werden dem Gesetz und der Stellung, die Israel unter dem Gesetz einnahm, in eindrucksvoller Weise gegenübergestellt —- ein Gedanke, dem wir auch sonst im Neuen Testament begegnen, der sich aber hier durch das Ganze hindurchzieht.

„Auserwählt“, sagt der Apostel, „nach Vorkenntnis Gottes, des Vaters« Er gründet die Gläubigen auf diese kostbare Wahrheit. Sie sind nicht nur ein Volk, das als solches aus den anderen Völkern der Erde herausgenommen ist, sondern sie haben diesen ihren Platz durch die Vorkenntnis Gottes, des Vaters. Weiter sind sie durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes geheiligt, d. h. für Gott abgesondert.

Der praktische, gegenwärtige Zweck, zu welchem sie geheiligt sind, ist der Gehorsam und die Blutbesprengung Jesu Christi: die beiden Hauptelemente des Lebens Jesu und des Weges, den Er ging. Der große Gedanke, der uns allezeit beherrschen und durchdringen sollte, ist der Gehorsam Jesu Christi und die Blutbesprengung Jesu Christi, denn „Jesus Christus“ bezieht sich sowohl auf Gehorsam als auch auf Blutbesprengung.

Diese beiden Dinge stehen in unmittelbarem Gegensatz zum Gesetz, sowohl hinsichtlich seiner sittlichen Forderungen als auch seiner Opfer, und es ist zur Gestaltung unseres Wandels als Gläubige sehr wichtig, dass wir recht verstehen lernen, was dieser Gehorsam des Herrn Jesus war. Ein gesetzlicher Gehorsam ist sehr verschieden davon. Wir alle haben einen eigenen Willen. Das war nicht so bei Christo. Zwar hatte Er in gewissem Sinne als Mensch einen Willen, aber Er sagte: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“ Sein Wille brauchte nie gezügelt oder gebrochen zu werden, wie es bei uns der Fall ist. Wir haben einen eigenen, bösen Willen. Diesem EigenwilIen des Menschen tritt das Gesetz entgegen, und unser Begriff von Gehorsam ist gerade die Beugung dieses Willens vor dem Gesetz. Nehmen wir ein Kind zum Beispiel. Das Kind hat einen eigenen Willen und lässt sich durch ihn leiten. Beugt es diesen aber unter den Willen der Eltern und tut was ihm geheißen wird, oder hört auf zu tun was ihm verboten wird, so nennen wir das Kind gehorsam, und freuen uns, einen so gehorsamen Geist bei ihm zu finden.

Christi Gehorsam war aber nie von dieser Art. Er wünschte nie, Dinge zu tun, in denen Gott Ihm hätte entgegentreten müssen. Sein Gehorsam trug diesen Charakter nicht. Wir dagegen haben ein solches Entgegentreten nötig. Wir wissen das alle, wenn wir uns nur ein wenig kennen gelernt haben. Der Gehorsam Jesu trug einen ganz anderen Charakter. Selbstverständlich konnte Er nicht wünschen, dass Gottes Zorn im Gericht über die Sünde Ihn treffen möchte; darum betete Er, dass dieser Kelch an Ihm vorübergehe. Sein Gehorsam war ganz verschieden von gesetzlichem Gehorsam. Des Vaters Wille war Sein Beweggrund in allem, was Er tat. Seine Sprache war: „Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun“.

Wenn nun das die Art des Gehorsams Christi war, so sollte unser Gehorsam als Christen von derselben Art sein. Leider gleicht er aber oft der zuerst erwähnten Art, indem Gott unserem eigenen Willen entgegentreten muss, da wir die alte Natur noch in uns tragen. Das ganze Leben des Christen sollte sich indes immer mehr dadurch kennzeichnen, dass der Wille Gottes, des Vaters, geradeso bei ihm Beweggrund und Ursache alles Tuns wird, wie es bei Christo der Fall war. Als Satan an Ihn herantrat mit den Worten: „Sprich, dass diese Steine Brot werden“, antwortete Er: „Es steht geschrieben: „Nicht von Brot allein soll der Mensch leben, sondern von jedem Worte, das durch den Mund Gottes ausgeht“.“ Sein tägliches Leben, Sein ganzes Verhalten wurzelte in dem Worte Gottes, welches Ihn immer und überall leitete. Einen anderen Beweggrund kannte Er nicht.

Ach, wenn es so auch bei uns wäre! Wie würde es den ganzen Ton und Geist unseres Lebens verändern! Wie erstaunlich einfach wird alles, wenn nichts anderes als der Wille des Vaters unser Beweggrund ist! Wie vieles aus unserem Leben würde verschwinden, wenn wir nie etwas aus einem anderen Grunde zu tun wünschten, als weil es Gottes Wille so für uns ist! Wie wenig entsprechen wir dem in unserem praktischen Leben! Aber der Gehorsam Christi trug, das sehen wir klar, diesen Charakter.

Ein solcher Gehorsam ist auch der Grundsatz wahrer Frömmigkeit, denn wir werden dadurch in beständiger Abhängigkeit von Gott und in ununterbrochener Beziehung zu Ihm erhalten. Welch ein Trost liegt ferner für meine Seele in dem Gedanken, dass es keinen noch so geringfügigen Umstand in meinem Leben gibt, bezüglich dessen Gott als mein Vater nicht einen bestimmten Willen für mich hat und mich leiten will, ja, dass ich schon von dem Tage meiner Geburt an (obwohl man, solange man unbekehrt ist, nichts davon versteht) keinen Schritt tun kann, ohne dass Gott mir den Weg zeigen und mich führen will. Ich mag das vergessen und irregehen, aber im Gehorsam gegen das Wort und den Willen Gottes gelangt die Seele zu dem glücklichen Bewusstsein, dass die Gnade Gottes für alles gesorgt hat und für alles genügt. Ihre beständige Unruhe um dies und das hört aus, da sie weiß, dass sie keinen Schritt zu tun braucht, den Seine Liebe nicht zuvor für sie bereitet hat. Eine solche Seele kann in dem glücklichen Gefühl der Gunst Gottes und der Abhängigkeit von Ihm mit David singen: „Deine Rechte stützt mich.“ Moses sagte nicht zu Jehova: „Zeige mir einen Weg durch die Wüste“, sondern: „Zeige mir deinen Weg“. Des Menschen Wege sind was er selbst ist. So zeigen uns auch Gottes Wege was Gott ist.

Wer auf diesem Pfade wandelt, dessen Herz wird mehr und mehr für Gott abgesondert und nimmt zu in der Erkenntnis Gottes. Wenn ich weiß, dass dies oder jenes Gott gefällt, so weiß ich das, weil ich Ihn kenne. Aber nicht nur ist dies der Weg, auf welchem wir in Heiligkeit Gott gemäß wachsen können; diese beständige, liebende Beziehung des Herzens zu Gott ist auch allein wahre Frömmigkeit, und nach dieser sollen wir trachten. Wir finden dies in Vollkommenheit bei unserem Herrn. „Ich wusste“, sagt Er, „dass du mich allezeit erhörst“ (Joh. 11, 42). Das ist ein Vertrauen, welches aus innigen Beziehungen zu Gott herauswächst und aus Seine Macht sich stützt. Wenn der Gläubige nur Gottes vollkommenen Weg zu gehen und Seinen wohlgefälligen Willen zu tun sucht, so wird dadurch seine Verbindung mit Gott gepflegt, und, weil der Geist nicht betrübt ist, bleibt seine Gemeinschaft mit Gott ununterbrochen. Das also ist der Gehorsam Jesu Christi, zu dem wir berufen und abgesondert sind.

Weiterhin lesen wir in unserem Abschnitt, dass wir „auserwählt sind zur Blutbesprengung Jesu Christi“. Wenn die Priester im Alten Bunde geweiht wurden, so wurde das Blut auf ihr rechtes Ohr und auf Hand und Fuß getan, zum Zeichen dass Geist und Gemüt, Werke und Wandel in Übereinstimmung sein sollten mit ihrer heiligen Stellung (Vergl. 3. Mose 8, 23. 24). In Gottes Augen ist, wegen des Blutes, das für uns vergossen wurde, kein Flecken an uns, und entsprechend der Kostbarkeit dieses Blutes vor Gott sollten wir wandeln. Auf den Aussätzigen musste am Tage seiner Reinigung das Blut siebenmal gesprengt werden (3. Mose 14, 7), zum Vorbilde für die, welche für Gott geheiligt sind durch die vollkommene Kraft und Gültigkeit, die das Blut Jesu in Gottes Augen hat.

Dieses Abgesondertsein für Gott war im Leben und im Tode der Charakter Jesu. Selbst im Sterben war Sein Gehorsam in diesem Sinne Sein Leben. Es ist auch das Kennzeichen der an Ihn Glaubenden, das, wodurch sie fähig gemacht sind, sich mit Freuden ihres himmlischen Erbteils bewusst zu werden. Gott hat uns wiedergezeugt zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu aus den Toten. Christus ist jetzt droben. Der Tod hat keine Macht über Ihn, und durch Ihn steht nun nichts mehr zwischen mir und jenem Erbteil. Der Tod selbst ist überwunden, so gänzlich überwunden, dass, wenn der Herr Jesus heute kommen würde, wir gar nicht zu sterben brauchten. In jedem Fall aber werden wir mit Ihm verherrlicht werden. Statt dass der Tod über uns herrscht, triumphieren wir über ihn. „Alles“, sagt der Apostel, „ist euer, es sei Welt oder Leben oder Tod. es sei Gegenwärtiges oder Zukünftiges“ (1. Kor. 3, 22). Christus ist gekommen und hat die tiefsten und äußersten Folgen unseres Falles getragen und in Seiner Auferstehung jede Spur derselben getilgt. Nicht nur ist Sein Blut auf uns gesprengt worden, sondern jede Spur unserer Sünde und Schuld ist vor Gottes Augen hinweggetan, so dass, wenn wir auch sterben müssten, dies nur ein Gewinn für uns wäre, ein Schritt, durch den wir zu unserem unverweslichen Erbe gelangen würden.

Ein dritter Punkt in unserem Kapitel ist das Bewahrtwerden auf dem Wege. Der Weg birgt Schwierigkeiten, Prüfungen und Versuchungen für uns in sich. welche wir wohltun ins Auge zu fassen. Mag es auch im Leben für einige glatter abgehen als für andere, so gibt es doch für jeden Schwierigkeiten und Prüfungen genug, und wir haben alle Veranlassung, sorgfältig gerade Bahn für unsere Füße zu machen. Doch wie gut: wir „werden durch Gottes Macht bewahrt“! Das ist ein starker Trost; aber beachten wir den Zusatz: „durch Glauben“. Wir können auf die ganze Macht Gottes rechnen; diese ist jedoch in erster Linie tätig, unseren Glauben aufrecht zu erhalten. Der Herr sagte zu Petrus: „Ich habe für dich gebetet, auf dass dein Glaube nicht aufhöre“. Gott nimmt uns nicht immer aus den Prüfungen heraus. Wir lesen im Gegenteil: „Die ihr betrübt seid durch mancherlei Versuchungen“. Wenn wir in den Versuchungen auch nicht an Gottes Güte zweifeln, so kann dennoch der Druck des Kummers oder die Gefahr, auszugleiten, große Betrübnis bei uns hervorrufen. Immerhin sind wir diesen Dingen aber nur „für eine kleine Zeit“ und nur dann, »wenn es nötig ist“, unterworfen.

Lasst uns deshalb nicht beunruhigt sein! Gott ist es ja, der dieses „wenn es nötig ist“ für uns abwägt. Es ist Ihm keine Freude, uns zu betrüben. Die Prüfung kommt nur, wenn es nötig ist, und sie währt nur „eine kleine Zeit“. Sie gehört mit zu der Erziehung, die Gott uns erteilt, und wir dürfen nicht meinen, dass wir ihrer nicht bedürften. Das Wichtige für uns ist, volles Vertrauen auf die Liebe Gottes zu haben in der Gewissheit, dass alles von Ihm kommt, nicht auf die Umstände oder auf natürliche Ursachen zu blicken, sondern die Hand des Herrn in allem zu erkennen. Er bezweckt die Bewährung unseres Glaubens auf dem Wege. Wenn der Tag kommt, an welchem alles im Licht offenbar werden wird, werden wir erkennen, zu welch herrlichen Ergebnissen diese Trübsale und Versuchungen beizutragen hatten. Gott bringt uns hier mitunter in den Feuerofen, damit der Glaube in feiner ganzen Kostbarkeit aus ihm hervorgehe. Er gebraucht die Dinge in dieser Welt, das Böse, die Sünde, die Feindschaft anderer, und was es sonst in der Welt geben mag, einfach als Werkzeuge, um unseren Willen zu brechen, unsere Herzen zu üben, auf dass wir lernen einfältig zu gehorchen, und auf dass unser Glaube zu Lob und Herrlichkeit und Ehre erfunden werde bei der Offenbarung Jesu Christi.

Bei der Offenbarung Jesu Christi! Welch eine kräftigende Wirkung muss die lebendige Erwartung der Ankunft Christi auf uns haben! Bin ich auf der Reise, so lasse ich mich’s nicht allzusehr kümmern, wenn ich auch ein paar Tage in einem unbequemen Gasthause verweilen muss. Ich mag vielleicht wünschen, dass mein Aufenthaltsort angenehmer wäre, aber es macht mich nicht unglücklich, da ich ja nicht dort bleibe. So ist auch die Erde nicht unsere Wohnstätte, sondern vielmehr der Ort, wo wir sterben müssen, wo unser eigenes, altes Leben im Tode gehalten werden muss. Unser Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott, und wir warten auf die Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus, des Sohnes Gottes, aus dass Er uns einführe in das unverwesliche, unbefleckte und unverwelkliche Erbteil. Alles, was uns hier auf dem Wege begegnet, ist darauf berechnet, uns zuzubereiten für Ihn, der uns für immer bei sich haben will. Dieser Gedanke und dieses Warten auf den Sohn Gottes ist von dem allerwichtigsten praktischen Einfluss auf unseren täglichen Wandel und unseren Dienst. Bedürfen wir eines Ansporns für unseren Eifer, einer ernsteren Absonderung von allem Sichtbaren, so lasst uns daran denken, dass Jesus heute kommen kann. Suchen wir Trost für unsere Seele, so lasst uns Gottes Sohn vom Himmel erwarten.

Bedenken wir auch folgendes: Suche ich auf angenehmem Fuße mit der Welt zu leben, so wird Gottes Zucht mich erreichen. Erwarte ich aber Gottes Sohn aus den Himmeln, so werde ich die Führungen Gottes in meinem Leben zu dem Zweck erfahren, dass dieses Leben bei der Offenbarung Jesu Christi zu Lob und Ehre und Herrlichkeit erfunden werde.

Und nun möchte ich an einen jeden von uns die Frage richten: Wie würde das Kommen Christi uns finden, wenn es heute erfolgte? Würde es uns finden als solche, die sich in der seligen Hoffnung erfreuen, Ihn zu sehen, der uns aus den mannigfachen Versuchungen, durch die wir betrübt sind, herausnehmen wird? Oder würde es uns überraschen und uns von einer Menge Dinge zu trennen haben, an denen wir hangen und die wir zurücklassen müssten? Was empfindet unser Herz, ob jung oder alt, bei dem Gedanken an das Kommen des Herrn? Gibt es da noch allerlei hinweg- zutun, zu richten, über Bord zu werfen? Oder erfüllt uns jubelnde Freude bei dem Bewusstsein: Er kommt, auf den ich gewartet habe, damit Er mich zu sich nehme, dahin, wo alle Übungen des Herzens für immer ein Ende haben? In dieser Beziehung gibt es oft einen sehr großen Unterschied unter den Gläubigen. Wenn mein ganzes Leben in Seinem Willen wurzelt, wenn Er Beweggrund und Triebkraft desselben ist, so wird es mir zwar nicht an Übungen, auch nicht an der nötigen Zucht auf meinem Pfade fehlen, aber meine Seele wird mit einfältigem Verlangen auf Ihn warten, der da kommt, um mich dahin zu führen, wo Er ist.

Möge der Herr uns Aufrichtigkeit des Herzens Ihm gegenüber schenken und uns nie vergessen lassen, dass, wenn wir Christen sind, Christus unser Leben ist, und dass Er auf dieser Erde kein Teil hatte! Wenn wir Glauben haben, so verleiht uns gerade dieses Bewusstsein Freude, Friede, Ruhe und wahres Glück. Abraham fand auf dem einsamen Berge den Ort, wo er fürbittend mit Gott verkehren konnte, während Lot sagte: „Ich kann mich nicht auf das Gebirge retten, es möchte mich das Unglück erhaschen, dass ich stürbe“. So betrachtet der Unglaube den Pfad des Glaubens stets als den allerschwierigsten. Der Herr schenke uns, jenes Leben in uns herrschen zu lassen, welches wir leben „durch Glauben an den Sohn Gottes“!

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Ja, Er kommt, an den wir geglaubt, und den unsere Seele liebt! „Noch über ein gar Kleines, und der Kommende wird kommen.“ Die Nacht ist weit vorgerückt. Lasst uns das in Einfalt festhalten und einander ermuntern, je schwerer die Zeiten werden und auf Herz und Gemüt drücken wollen! Bald, bald werden wir allezeit bei dem Herrn sein. Einst wollten die bedrängten Jünger ihren Herrn in ihr Schiff nehmen „und alsbald war das Schiff an dem Lande, zu welchem sie hinfuhren“ (Johannes 6,21).

Ist auch die Zeit in Dunkel jetzt gehüllt,

das bange Herz mit Kummer oft erfüllt,

schwankt selbst dein Schiff auf sturmbewegtem Meer,

dass du nach Hilfe ängstlich schaust umher –

o, zage nicht! der Hafen ist nicht fern.

Bald landen wir bei unserm teuren Herrn.

Wenn Trennungsschmerz durch deine Seele zieht,

weil dir geraubt der Tod ein teures Glied,

wenn dein Gebet mit Tränen steigt empor

zu Dem, der selbst den Raben leiht Sein Ohr –

Gott sendet Trost; wie hören wir es so gern:

Bald werden wir daheim sein bei dem Herrn!

Wir wissen nicht, was noch die Zukunft bringt,

das blöde Aug den Schleier nicht durchdringt,

doch wissen wir: die Stätte ist bereit,

und rasch zu Ende geht die Leidenszeit.

Sobald erstrahlt der helle Morgenstern,

sind wir daheim bei unserem treuen Herrn!

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Die obrigkeitlichen Gewalten

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 320ff

„Jede Seele unterwerfe sich den obrigkeitlichen Gewalten; denn es ist keine Obrigkeit (Gewalt), außer von Gott, und diese, welche sind, sind von Gott verordnet. Wer sich daher der Obrigkeit widersetzt, widersteht der Anordnung Gottes; die aber widerstehen, werden ein Urteil über sich bringen“ (Röm. 13, 1. 2).

Es ist gut, uns von Zeit zu Zeit diese ernsten Worte des Apostels Paulus ins Gedächtnis zu rufen, und vor allem erscheint der gegenwärtige Augenblick dazu geeignet. Es wird in unseren Tagen viel geredet und gemurrt gegen die Obrigkeit. Man kritisiert und verurteilt ihre Maßnahmen, ist unzufrieden mit ihren Verordnungen, lehnt sich gar mit Wort und Tat gegen sie auf, und der Gläubige steht in Gefahr, von dem allgemeinen Geist angesteckt, von dem Strome mitfortgerissen zu werden. Deshalb wollen wir Sorge tragen, uns gegenseitig an diese Dinge zu erinnern, wiewohl wir sie wissen und in der gegenwärtigen Wahrheit befestigt sind (Vergl. 2. Petr. 1, 12). Wir vergessen gar zu leicht.

Am Ende des 12. Kapitels ermahnt der Apostel die gläubigen Römer, sich nicht von dem Bösen überwinden zu lassen, sondern das Böse mit dem Guten zu überwinden. So hat Gott es gemacht, und so geziemte es sich für sie als Kinder Gottes. Anstatt sich selbst zu rächen, sollten die Gläubigen in Rom feurige Kohlen auf die Häupter ihrer Feinde sammeln. Zugleich galt es für sie, in den Fußstapfen ihres Herrn und Heilandes zu wandeln, der sich willig der weltlichen Obrigkeit unterworfen und sogar das schreiendste Unrecht, das ihm von König, Statthalter und Hohenpriester angetan worden, still und geduldig ertragen hatte. Beide Ermahnungen waren in Rom, dem Mittelpunkt des heidnischen Widerstandes gegen das Christentum und dem Sitz der kaiserlichen Gewalt, besonders am Platze. Indes hatte auch der Apostel der Beschneidung die jüdischen Christen, die in der Zerstreuung lebten, in ähnlicher Weise ermahnt (Vergl. 1. Petr. 2, 13 — 17).

Wir haben nichts anderes zu tun, als das anzuerkennen, was Gott anerkennt, und zu handeln, wie unser geliebter Herr gehandelt hat, als Er hienieden wandelte. Er berief sich immer und bei allen Gelegenheiten auf Gott. Selbst in jener finstern Stunde der Ungerechtigkeit, als die Priester Gottes sich mit den Trägern der heidnischen Gewalt verbanden, um Ihn zu kreuzigen, sprach Er zu Pilatus: „Du hättest keinerlei Gewalt wider mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wäre“ (Joh. 19, 11). So unterwarf Er sich still der von Gott dem Menschen übertragenen Gewalt, wie widerrechtlich sie auch ausgeübt werden mochte, und übergab Seine Sache „Dem, der recht richtet“. An uns ist es, Seinem Beispiel zu folgen.

„Jede Seele unterwerfe sich den obrigkeitlichen Gewalten“, so beginnt der Apostel seine Unterweisung; nicht nur „jeder Gläubige“ oder „ein jeder von euch“. Der Heilige Geist hat ohne Zweifel mit Absicht diesen umfassenderen Ausdruck gewählt. Ob hoch oder niedrig, alt oder jung, Eltern oder Kinder, Herren oder Knechte, bekehrt oder nicht bekehrt —- jede Seele ist gebunden, sich zu unterwerfen (Vergl. Röm. 2, 9). Auch der Ausdruck „obrigkeitliche Gewalten“ umfasst jede Form von regierender Gewalt, mag sie nun monarchisch, aristokratisch oder republikanisch sein. Ausflüchte gibt es hier nicht. Der Geist Gottes besteht nicht nur auf den Rechten der Könige oder Fürsten, sondern sagt ausdrücklich: „Es ist keine Obrigkeit außer von Gott“. Mag deshalb ein Land seine Regierungsform oder Verfassung ändern, sollte selbst durch eine gewaltsame Umwälzung die eine Form gestürzt und eine andere an deren Stelle gesetzt werden, für den Christen heißt es einfach: „Diese, welche sind, sind von Gott verordnet“. Seine Interessen liegen ja nicht hienieden, alle seine Quellen sind vielmehr droben in Christo; dennoch ist er verantwortlich, das anzuerkennen, was unter Gottes Regierung oder Zulassung tatsächlich die Macht in Händen hält, indem er Gott alles weitere, alle möglichen Folgen überlässt.

Niemals hat der Gläubige ein Recht, sich gegen die Obrigkeit als solche aufzulehnen, denn das würde heißen, „der Anordnung Gottes zu widerstehen“, und die, welche widerstehen, werden ein Urteil über sich bringen. Es handelt sich bei diesem „Urteil“ selbstverständlich nicht um die ewige Strafe, sondern um ein menschliches Gericht, eine zeitliche Verurteilung. Andere Schriftstellen zeigen uns, dass es Gelegenheiten geben kann, wo eine Obrigkeit Forderungen stellt, die Gott beleidigen oder Seinen Geboten zuwider sind. So hat sie in den ersten Tagen der Christenheit bekanntlich gefordert, dass ein Apostel nicht mehr von Jesu reden, oder dass ein Christ den Götzen oder dem Kaiser Opfer darbringen sollte. Ähnliches könnte heute gefordert werden. In solchen Fällen müssen wir freilich Gott mehr gehorchen als Menschen, aber auch dann nicht in einem hochfahrenden Geiste, sondern still duldend, falls es uns nicht möglich ist, die Stätte der Verfolgung zu verlassen. Denn es ist offenbar, dass Gott uns unmöglich gebieten kann, einer Forderung zu gehorchen, die Ihn verunehrt oder gar Ihn leugnet. Die Regierung oder Obrigkeit untergräbt ja ihre eigene Machtvollkommenheit durch einen solchen Akt der Unbotmäßigkeit Ihm gegenüber, der sie eingesetzt hat.

Die Obrigkeit trägt das Schwert, und zwar „nicht umsonst“, wie der Apostel sagt. Sie ist „Gottes Dienerin“, um alles das zu rächen, was Seine Gebote verletzt. Es ist deshalb „notwendig, ihr untertan zu sein“, aber für den Christen nicht so „sehr der Strafe wegen, die sie über alles Böse zu verhängen berufen ist, sondern vielmehr „des Gewissens wegen“. Er sieht in der Obrigkeit Gott selbst, und deshalb richtet er seine Handlungen nicht nach der Strafe ein, die ihn etwa treffen könnte, sondern nach den Forderungen seines Gewissens. Er unterwirft sich willig den Anordnungen und Einrichtungen der Obrigkeit „um des Herrn willen“ (1. Petr. 2, 13). Für ihn sind die Vertreter der Obrigkeit „Gottes Beamte“ (V. 6), „Gottes Gesandte“. (1. Petr. 2, 14.) Darum entrichtet er auch ohne Murren und mit aller Gewissenhaftigkeit die auferlegte Steuer, den geforderten Zoll, die gebotene Furcht, und gibt jedem, auch dem untersten Beamten, die Ehre, die ihm gebührt. Er betrachtet die Beamten als solche, die von Gott in ihr Amt eingesetzt und „eben hierzu fortwährend beschäftigt sind“, indem sie die Ordnung im Lande aufrecht erhalten und darauf sehen, dass ein jeder seinen bürgerlichen Verpflichtungen nachkomme. So ehrt der Christ Gott auch in diesen äußeren Dingen und beweist, dass er nicht seine eigene Ehre oder seinen eigenen Vorteil sucht, sondern in jeder Beziehung darauf bedacht ist, „dass der Name Gottes und die Lehre nicht verlästert werde“. Und er tut das umso mehr, weil er weiß, dass »die Nacht weit vorgerückt und der Tag nahe ist“ (V. 12). Seine Errettung ist jetzt näher als an dem Tage, da er gläubig wurde.

Mit dieser „Errettung“, oder mit anderen Worten, mit dem Erscheinen seines Herrn, der alles für ihn ordnen, aber auch ihn selbst und sein Tun völlig ans Licht stellen wird, bringt der Gläubige alles in Verbindung. Er weiß, dass er hienieden keine bleibende Stadt hat, dass er nur ein Pilgrim ist, ein Fremdling, der auf Bürgerrechte keinen Anspruch macht, der die Unbilden der Reise zum Vaterhause willig erträgt und dankbar ist für jede, auch die kleinste, Erquickung. Wir haben freilich Tage hinter uns, die uns unsere Fremdlingschaft fast vergessen ließen und uns verführt haben, statt Zelten und Hütten „feste Wohnsitze“ zu bauen und uns hienieden heimatsberechtigt zu fühlen. Jahre der Ruhe und des äußeren Wohlergehens haben erschlaffend auf das geistliche Leben gewirkt und viele Gläubige auf einen Boden herabgezogen, der kaum höher ist als der eines achtbaren Kindes der Welt, manchmal vielleicht noch niedriger.

Da ist Gott ins Mittel getreten. Mit gewaltiger Stimme hat Er Sein: „Wache auf, der du schläfst, und stehe auf aus den Toten!“ in die Reihen der Gläubigen hineingerufen. Auf die heiteren Tage des Wohllebens sind ernste, dunkle Zeiten gefolgt, und manch schwere, drückende Last liegt auf der Gesamtheit wie auf den Schultern des Einzelnen. Aber unendlich schwerer ist die Last, die auf den Schultern der Regierenden und die Ordnung aufrecht Haltenden liegt. Daran sollten wir denken und zunächst mit anhaltendem Gebet „für Könige und alle, die in Hoheit sind“, vor Gott eintreten. Aber damit nicht genug, sollten wir unseren Mitmenschen gegenüber in Wort und Tat ein gutes Vorbild sein. Wie viel wird heute geschimpft über verkehrte Anordnungen, unpraktische oder gar ungerechte Einrichtungen, Übergriffe und selbstsüchtige Handlungen der Beamten, unnötige Plackereien usw. usw.! Und nicht selten stimmen auch Gläubige in diesen Ton ein, sind sogar tonangebend! „Dies, meine Brüder, sollte nicht also sein.“ Aus unserem Munde sollten keine bitteren, harte Worte und Urteile hervorgehen. Wir sollten nicht mit unserer Zunge den Herrn und Vater preisen und zugleich den Menschen fluchen, die nach dem Bilde Gottes geschaffen sind. Eine Quelle sprudelt doch nicht aus derselben Öffnung Süßes und Bitteres hervor! (Jak. 3, 9 — 11).

Nein, lasst uns lieber Öl auf die erregten Wogen gießen und unsere Mitmenschen, falls es wirklich einmal Grund zur Klage geben sollte, auf das viele Gute hinweisen, das wir von Seiten unserer Obrigkeit genießen. Wo ist ein Land, das besser regiert würde als das unsrige? Wo sind Ordnung und Recht, Gewissenhaftigkeit und Pflichtgefühl mehr zu finden als bei uns? Dass es überall unverständige, rücksichtslose Menschen gibt, dass ferner, in der gegenwärtigen Zeit ganz besonders, manche Härten und Beschwerden unausbleiblich sind, ist klar. Aber ein guter Wille, verbunden mit ein wenig Sanftmut und Geduld, hilft über viele Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten spielend hinweg. Und was den Verkehr mit hochfahrenden oder gar übelwolIenden Beamten betrifft, so sagt das Wort: „Ein Richter wird überredet durch Langmut, und eine gelinde Zunge zerbricht Knochen“ (Spr. 25,15).

Und der Herr Jesus sagt: „Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig“ (Matth. 11, 29). So werden wir nicht nur Ruhe finden für unsere eigenen Seelen, sondern auch anderen ein Segen werden. 32

Der Herr schenke uns denn, in diesen unruhigen Tagen wahre Friedensstifter zu sein! Jakobus sagt: „Die Frucht der Gerechtigkeit in Frieden wird denen gesät, die Frieden stiften“ (Jak. 3, 18). Beachten wir auch das Wort: „Lasset eure Gelindigkeit kundwerden allen Menschen; der Herr ist nahe“ (Phil. 4, 5). Noch über ein gar Kleines, und das Ziel ist erreicht. Der mühevolle Pfad liegt hinter uns, und wie werden wir uns dann freuen, ohne Beschämung auf ihn zurückblicken zu können! Ja, lasst uns durch unser ganzes Reden und Verhalten den Unverstand der unwissenden Menschen zum Schweigen bringen! So werden wir unsere Berufung als „das Salz der Erde“ und „das Licht der Welt“ auch in dieser Beziehung erfüllen zur Ehre Gottes und zum Wohle unserer Mitmenschen.

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Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen

Bibelstelle: Matthäus 25

Botschafter des Heils in Christo 1916, S. 327ff

Wir lesen im 2. Petri-Briefe (Kap. 1, 20), dass „keine Weissagung der Schrift von eigener Auslegung ist“, womit gesagt ist, das; keine prophetische Mitteilung für sich hingestellt und aus der Gesamtheit der Gedanken und Ratschlüsse Gottes herausgerissen werden darf. Nach dieser Regel wollen wir uns nun, bevor wir auf das Gleichnis von den zehn Jungfrauen näher eingehen, Vergegenwärtigen, wie, wo und wann der Herr dasselbe aussprach, und uns mit der ganzen Rede, von der dieses Gleichnis einen Teil ausmacht, kurz beschäftigen.

Wie uns im Anfang von Matthäus 24 berichtet wird, hatte Jesus den Jüngern, als sie Ihm die Gebäude des Tempels zeigten, gesagt: „Hier wird nicht ein Stein auf dem anderen gelassen werden, der nicht abgebrochen werden wird“. Daraufhin fragen Ihn die Jünger: „Sage uns, wann wird dieses sein, und was ist das Zeichen deiner Ankunft und der Vollendung des Zeitalters?“

Auf die erste dieser Fragen: „Wann wird dieses sein?“ geht der Herr hier nicht näher ein. Er tut das aber in Lukas 21, wo die Frage der Jünger bloß dieses Ereignis betrifft: „Wann wird denn dieses sein, und was ist das Zeichen, wann dieses geschehen soll?“ (V. 7). Da schildert Er ihnen in den Versen 12 — 24 die Zerstörung Jerusalems durch Titus im Jahre 70 n. Chr.

Die zweite Frage bezieht fiel) ihrem Wortlaut nach nicht auf den Weltuntergang, auf das Ende aller Dinge, sondern auf die „Vollendung des Zeitalters“, d. h. auf das Aufhören der gegenwärtigen Verwaltung Gottes auf Erden. Der Herr beantwortet diese Frage mit einer längeren Rede, welche Matth. 24, 4 beginnt und mit dem Schlusse von Kap. 25 endet. Zunächst (Kap. 24, 4 - 14) spricht Er von der Stunde der Versuchung, die einst über den ganzen Erdkreis kommen wird, und belehrt die Jünger, dass in derselben Verführer austreten würden, die sich fälschlicherweise den Titel Christus (Messias) beilegen würden, und dass diese schwere Zeit voll Krieg und Kriegsgerüchte sein werde, denen Hungersnöte, Seuchen und Erdbeben sich anschließen würden. Jedoch bemerkt Er dabei, dass das erst der Anfang der Wehen sei, das schreckliche Ende komme später, nachdem das „Evangelium des Reiches“ auf dem ganzen Erdkreis gepredigt worden sei, allen Nationen zum Zeugnis.

Die Schilderung dieser sich steigernden Wehen, den Verlauf des Tages des Zornes Gottes, finden wir dann in Kap. 24, 15 - 28.

Hat der Herr soeben von dem ganzen Erdkreis gesprochen, so versetzt Er jetzt Seine Zuhörer unmittelbar nach Jerusalem und nach dem Lande Judäa, und zwar zu einer Zeit, da „der Gräuel der Verwüstung an heiligem Orte stehen wird“ (Dan. 12, 11). Die „große Drangsal“ ist gekommen, „dergleichen von Anfang der Welt bis jetzthin nicht gewesen ist, noch je sein wird“ (V. 21), und die damit endet, dass der Sohn des Menschen plötzlich wie ein Blitz, wie ein Adler auf seine Beute, auf die dem Gericht verfallene Welt herniederfährt (V. 27. 28).

Unmittelbar nach der Drangsal findet eine Erschütterung der Kräfte des Himmels statt, und dann wird „das Zeichen des Sohnes des Menschen in dem Himmel erscheinen, und alle Stämme des Landes werden den Sohn des Menschen kommen sehen auf den Wolken des Himmels mit Macht und großer Herrlichkeit“ (V. 29. 30).

Dieser Ausdruck: Zeichen des Sohnes des Menschen ist vielleicht gewählt im Hinblick auf die Frage der Jünger: „Was ist das Zeichen deiner Ankunft und der Vollendung des Zeitalters?“ Der also gekommene und geoffenbarte Sohn des Menschen wird Seine Boten aussenden, um alle Auserwählten Israels von den vier Winden her zu sammeln, wie uns Kap. 24, 31 berichtet.

Jetzt unterbricht der Herr die Schilderung der Geschichte Seines Volkes, um in Kap. 25, 31 den abgebrochenen Faden wieder anzuknüpfen. Inzwischen mahnt Er die Jünger in Betreff des Dienstes und der Stellung, welche ihnen, in Verbindung mit Ihm, nun für die Zeit Seiner Abwesenheit anvertraut werden sollten. Während wir also bis dahin hauptsächlich den jüdischen Überrest vor uns hatten, treten wir jetzt auf den Boden des Christentums, um schließlich in Kap. 25, 31 ff. der Versammlung der Nationen vor dem Throne der Herrlichkeit des Menschensohnes zu begegnen.

Nachdem der Herr also anfangs (V. 32—44) von dem Zustand der Dinge in Israel und der dort befindlichen Jünger, sowie von der beständigen Erwartung, welche bei ihrer Unkenntnis von dem Augenblick der Erscheinung des Sohnes des Menschen geboten war, gesprochen hatte, wendet Er sich von Vers 45 an unmittelbar an die Jünger. Er belehrt sie, wie sie sich bis zu Seiner Wiederkunft verhalten sollten, und tut das mit Anwendung von drei Gleichnissen, in denen allen von Seinem Verzug und der dadurch auf die Probe gestellten Treue und Ausdauer der Jünger die Rede ist.

In dem ersten Gleichnis „von dem treuen und klugen Knecht“ werden die Jünger, „welche ihr Herr über sein Gesinde gesetzt hat, um ihm die Speise zu geben zur rechten Zeit“, auf ihre Verantwortlichkeit in diesem Dienst bis zur Rückkehr ihres Herrn aufmerksam gemacht. Darunter ist nicht der persönliche Dienst zu verstehen, zu welchem jeder Gläubige berufen ist, sondern der Dienst in der Versammlung (Gemeinde), mit anderen Worten, die öffentliche Stellung solcher, die in besonderer Weise im Dienste des Herrn stehen.

In dem zweiten Gleichnis „von den zehn Jungfrauen“ handelt es sich nicht um Dienst, sondern um das persönliche Erwarten des Herrn, und um den Besitz des nötigen Öls, um in dem herrlichen Gefolge des Herrn einen Platz zu haben. Wir hören hier nichts von Gericht und von Belohnung, sondern bloß von einem „bei Ihm sein“. Alle, die Öl für ihre Lampen besitzen, gehen mit dem Bräutigam zur Hochzeit ein — von einer besonderen Belohnung der Treue des einen vor dem anderen wird nichts erwähnt — und alle, welche das Öl nicht besitzen, haben an der Hochzeit keinen Teil. Die Erzählung bezieht und beschränkt sich auf den himmlischen Teil des Reiches; sie ist ein ,,Gleichnis vom Reiche der Himmel“ (Kap. 25, 1).

Eine andere Seite zeigt das dritte Gleichnis von „den Knechten“, denen der außer Landes reisende Herr seine Habe übergab. Während in dem vorigen Gleichnis die Erwartung des Bräutigams im Vordergrunde steht, kommt hier die persönliche Treue des einzelnen Knechtes im Dienst in Betracht.· Die treuen Knechte haben Vertrauen zu ihrem Herrn; sie arbeiten getreulich, unbekümmert darum, dass ihr Herr so lange ausbleibt (V. 19). Bei Seiner Rückkehr werden sie belohnt und gehen ein in die Freude ihres Herrn.

Nunmehr nimmt der Herr, wie bereits gesagt, den in Kap. 24, 31 abgebrochenen Faden der prophetischen Geschichte wieder auf, und ergänzt bis zum Ende von Kap. 25 alles, was die Regierung und das Gericht über die Erde betrifft. Die Nationen, welche zur Zeit Seiner Wiederkunft auf der Erde sind, werden die Folgen Seines Kommens unmittelbar erfahren. Vor Ihm, der sich auf den Thron Seiner Herrlichkeit setzen wird, versammelt, um, je nach ihrem Verhalten den Boten des Reichs gegenüber, belohnt oder bestraft zu werden, werden sie entweder eingehen in das Reich, das ihnen bereitet ist von „Grundlegung der Welt an“, oder in „das ewige Feuer“, das dem Teufel und seinen Engeln bereitet ist.

Die Boten, „welche das Evangelium des Reiches verkünden", sind „die Brüder“ des Herrn· (V. 40). Diejenigen unter den Nationen, welche sie aufnehmen, werden „Schafe“ genannt (V. 32. 33), die, welche die Botschaft verworfen haben, „Böcke“ (V. 32. 41).

Damit endet die Rede des Herrn an die Jünger. Beschäftigen wir uns jetzt noch einen Augenblick mit dem Teil derselben, welcher das Gleichnis von den zehn Jungfrauen behandelt, und zwar an Hand einer Betrachtung, die ein anderer Bruder vor langen Jahren über dieses Gleichni6 geschrieben hat.

Alle, die sich zu Christo bekennen — ob innerlich oder rein äußerlich —- werden in dem Gleichnis als Jungfrauen dargestellt, welche dem Bräutigam entgegen- gehen, um Ihm auf dem Wege zum Hause zu leuchten. Alle besitzen Lampen; die einen sind klug und haben Öl für ihre Lampen, die anderen sind töricht, denn sie haben kein Öl.

Der Bräutigam hier ist nicht der Bräutigam der Versammlung oder Gemeinde. Diesem geht niemand zu Seiner Hochzeit mit der Gemeinde im Himmel droben entgegen. Überhaupt beschäftigt sich dieses Gleichnis nicht mit uns als „der Braut“. Wäre von einer Braut die Rede, so würde Jerusalem auf der Erde diese Braut sein. Jerusalem könnte aber auch hier nicht die Braut vorstellen, denn der gottesfürchtige, gläubige Überrest Israels wird nicht ausgehen, um Ihm zu begegnen. Da gibt es kein Ausgehen, sondern vielmehr ein festes Hangen an ihrem Lande, weil der Messias, den sie erwarten, nach Judäa kommt, um sie dort zu segnen. Auch werden sie in jener wichtigen Mitternachtsstunde nicht schlafen, sondern seufzen und wehklagen.

Nein, es kann sich hier nur um Christen handeln, welche aus der Welt, aus dem Judentum, aus allem „ausgehen“, dem zur Hochzeit wiederkehrenden Bräutigam entgegen. Wir dürfen dabei weder an die Gemeinde als „Braut“, noch an die Gemeinde „als den Leib Christi“ denken. Was hier zum Ausdruck gebracht werden soll, ist nur die persönliche Verantwortlichkeit jedes Gläubigen, während der Abwesenheit Christi auf Ihn zu warten.

Das Gleichnis besteht aus drei Teilen, welche genau gewissen Zeitabschnitten im Laufe der Kirchengeschichte entsprechen.

1) Die Jungfrauen gingen aus, dem Bräutigam entgegen (V. 1)

2) Sie wurden alle schläfrig und, schliefen ein (V. 5).

3) Um Mitternacht ward ein Geschrei: „Siehe, der Bräutigam! gehet aus ihm entgegen!“ (V. 6).

„Die Jungfrauen gingen aus, dem Bräutigam entgegen.“

Das taten die Christen im Anfang. Jesus, der kurz vorher für sie gestorben war, war von ihnen weg zur Herrlichkeit zurückgekehrt und saß dort als Mensch zur Rechten der Majestät in den Himmeln. Doch hatte Er ihnen, bevor Er sie verließ, in Joh. 14, 3 die Verheißung gegeben: „Ich komme wieder“. Sie erwarteten die baldige persönliche Wiederkunft des Herrn (1. Thess. 1); und so sehr waren ihre Herzen von dieser gesegneten Hoffnung erfüllt, dass sie alle ausgingen, dem Bräutigam entgegen. Doch es blieb leider nicht so.

„Als aber der Bräutigam verzog, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein.“

Der Bräutigam verzog. Wochen, Monate, Jahre gingen dahin. Der Herr kam nicht, und ihr Glaube wurde sehr geprüft. „Ihr bedürfet des Ausharrens“, sagt der Schreiber des Hebräerbriefes, „denn noch über ein gar Kleines, und der Kommende wird kommen und nicht verziehen“ (Hebr. 10, 36. 37). Aber die Jungfrauen wurden des Wartens müde, und ihre Augen vom Schlaf beschwert. Auch die Welt wurde mit der Zeit der Verfolgungen müde und lullte mit ihren Reizen, mit ihrem Glanz und ihrer Bequemlichkeit nach und nach die Nachfolger Jesu in den Schlaf. So vergingen Jahrhunderte, und der Schlaf der Kirche dauerte fort. In keiner Schrift aus jener dunklen Zeit finden wir irgend ein Wort oder irgendwelche Anspielung auf die trostreiche und zugleich heiligende (1. Joh. 3, 3) Hoffnung von dem Kommen des Herrn für die Seinigen. Alle waren eingeschlafen. — Doch horch!

„Um Mitternacht ward ein Geschrei: Siehe, der Bräutigam! gehet aus ihm entgegen!“

Dieser Ruf wurde vor ungefähr 90—100 Jahren laut und übte eine starke Wirkung auf die schlafende Kirche aus. Der Herr, der sie immer geliebt hatte, so sehr sie Ihn auch vergessen haben mochte, leitete zu jener Zeit einige der Seinen dahin, die Prophezeiungen im Worte zu erforschen· Der Geist der Wahrheit öffnete ihnen die Augen und belebte wieder in ihren Herzen die alte, kostbare Wahrheit, welche die ersten Christen erfüllt und geleitet hatte, auszugehen, dem Bräutigam entgegen. Und überall hieß es: „Siehe, der Bräutigam! Er steht an der Tür. Wache auf, der du schläfst, es ist keine Zeit mehr zu schlummern. Die Geschichte der Kirche geht zu Ende, die Zeit ihrer Fremdling- und Pilgerschaft ist bald vorüber. Die Ankunft des Herrn ist nahe gekommen!“ —

So weit ist unser Gleichnis bereits erfüllt. Lasst uns jetzt, im Spiegel desselben, die Ereignisse verfolgen, welche bei der Ankunft unseres Herrn stattfinden werden. „Da standen alle jene Jungfrauen auf und schmückten ihre Lampen.“ Die Törichten und die Klugen beginnen ihre Augen zu öffnen; aber welche Entdeckung machen die einen: Sie haben kein Öl bei sich! Die Lampe des äußeren Bekenntnisses ist da, droht aber schon zu verlöschen. Und was nutzt eine Lampe ohne ÖI? Was nutzt das äußere Bekenntnis des Christentums ohne die innere Wirklichkeit, welche allein der Heilige Geist in der Seele bewirken kann? Eine Lampe ohne Öl wird bald verlöschen und ihren Träger in tiefer Dunkelheit zurücklassen.

Jetzt fangen die törichten Jungfrauen an, den Ernst ihrer Lage einzusehen. „Gebet uns von eurem Öl“ bitten sie, indem sie mit Schrecken ihre trocknen, glimmenden Dochte anstarren. Es ist aber zu spät; es ist den klugen Jungfrauen unmöglich, der Bitte zu willfahren, weil die Errettung die persönliche Sache jedes Einzelnen ist. Und nun kommt der Bräutigam, „und die bereit waren (nicht die, welche sich dann bereit machen wollen oder die, welche hoffen, bereit zu sein) gingen mit Ihm ein zur Hochzeit“.

Die Tür wird verschlossen, und die später kommenden törichten Jungfrauen werden nicht eingelassen.

Teurer Leser! Die Nacht ist weit vorgerückt, die Mitternachtsstunde ist vorüber. Der Ruf ist ausgegangen, und Unzählige rufen: Siehe, der Bräutigam! „So wachet nun, — ruft uns der Herr am Ende dieses Gleichnisses zu — denn ihr wisset weder den Tag noch die Stunde.“

Du, der du bloß dem Namen nach ein Christ bist, siehe zu, dass es dir nicht an Öl fehle, — und du, der du es wirklich bist, sorge dafür, dass deine Lampe geschmückt ist; denn es ist möglich, O! zu besitzen und doch dabei ein trübes Licht zu haben.

Der Herr ist nahe; jeden Augenblick können wir Ihn erwarten.

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Zur Jahreswende

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1916 S. 336ff

Ein frohes, ein herrliches Hoffnungswort

gibt uns durch die Wüste Geleite;

es klinget ein mächtiger, voller Akkord

aus harrenden Herzen ins Weite:

O komme, Herr Jesu, im neuen Jahr!

So flehet es tausendtönig —

o komm und erlöse uns wunderbar,

du Bräutigam, Israels König!

Erfülle, was einst Du den Deinen gelobt,

erscheine, Geliebter, im Segen!

O eile der Braut, die in Nöten erprobt,

Du sehnlichst Ersehnter, entgegen!

Sieh, hoffenden Blicks steht der Deinigen Schar

mit bittend erhobenen Händen:

O komme, Herr Jesu, im neuen Jahr!

Lass unsere Wartezeit enden!

K. B