Botschafter des Heils in Christo 1917

02/06/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger
Botschafter des Heils in Christo Inhaltsverzeichnis: 1917Seite
Gott mit uns1
Abgewaschen, geheiligt, gerechtfertigt15
Aus einigen Briefen24
„Unser nötiges Brot gib uns heute!"44
Friede! Friede!51
„Ich bin gekannt von den Meinen." (Gedicht)56
Sündenvergebung57
Allezeit gehorsam74
Einige Worte über das Beten im Öffentlichen81
Sorge um nichts! ((Gedicht)84
Die beiden Türen85
Unsere Kleinen94
Paulus und Jakobus105
Lehren der Trübjal113
Nähe und Gemeinschaft „Siehe, ich bin da!"122
Glaubst du an den Sohn Gottes?129
Ich lasse dich nicht los, du habest mich denn gesegnet."133
Gerechtigkeit143
Die Herrlichkeit jenes Lichtes147
Röcke von Fell153
Zwei Träume161
Ich werde von beidem bedrängt."166
Betet füreinander!.172
Kind Gottes, harre still und sein! (Gedicht)180
Das Gleichnis von dem „barmherzigen Samariter"181
Er konnte nicht verborgen sein."190
Hören und Folgen197
Für rein erklärt201
Die Ermahnungen in Hebr. 10, 119-39220
Herr, lehr mich beten! (Gedicht)228


Botschafter des Heils in Christo

Fünfundsechszigster Jahrgang

Elberfeld – Verlag von R. Brockhaus

1917

Gott mit uns

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1917, S. 1ff

Jesus war ungefähr 30 Jahre alt, als Er öffentlich aufzutreten begann. Sein Leben des Zeugnisses endete am Kreuze. Während eines Zeitraumes von etwa drei Jahren ist Er, „der in des Vaters Schoß ist“, *) der Welt als ein einfacher Mensch erschienen, sanftmütig, von Herzen demütig, zugänglich für alle, als Einer, der in Gnaden den Bedürfnissen aller begegnete und Seine schöpferische Allmacht ausübte, um Gutes zu tun und zu zeigen, dass Gott in Güte auf den Schauplatz getreten war, „die Welt mit sich selbst versöhnend“ (2. Kor. 5, 19). Während dieser drei Jahre war das Geheimnis einer vollkommenen Menschheit inmitten einer verderbten Umgebung zu schauen. Der einzige Mensch, der je auf dieser Erde nach dem Herzen Gottes gewandelt hat, trat vor den Augen der Menschen in einer vollkommenen und ununterbrochenen Abhängigkeit von Gott auf, indem Er in Wahrheit verwirklichte, dass es Seine Speise war, den Willen Dessen zu tun, der Ihn gesandt hatte, und Sein Werk zu vollbringen. (Vergl. Joh. 4, 34; 5, 19. 20; 6, 38; 7, 16. 29; 8, 28. 29).

Er war Immanuel: „Gott mit uns“; und was Er in Seiner Person war, das sollte Er durch Seine Worte und Werke offenbaren. Ja, Gott war da, war inmitten der Menschen erschienen, die Ihn sehen, hören, betasten und erkennen konnten. Johannes konnte sagen: „Wir haben Seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingebornen vom Vater«. Und Sein Weilen hienieden wurde durch Gnade und Wahrheit in einer bis dahin ungekannten Fülle gekennzeichnet (Joh. 1, 14. 16; vergl. auch 2.Tim.1,9.10; Tit. 2, 11 - 14).

Aber der Weg des Herrn sollte vor Ihm her bereitet werden. Johannes der Täufer kam, einem Ausspruch des Propheten Jesaja gemäß, zu diesem Zwecke; er kam auch, um noch eine andere Prophezeiung zu erfüllen (Jes. 40, 3—.5; Mal. 3, 1).

Er kam, wie der Engel seinem Vater Zacharias angekündigt hatte, in dem Geiste und in der Kraft des Elias; und er kam, indem er das Volk zur Buße rief (Luk. 1, 17).

Er war ein ganz anderer Prophet als seine Vorgänger, insofern er Ereignisse ankündigte, die ganz nah

bevorstanden. Und da außerdem der Herr im Lande Israels gegenwärtig war, war Johannes für die Volksmenge „der wiedererschienene Elias“ (Vergl. Mal. 4, 5). So glaubte sie und so redete sie. Ein volkstümlicher Aberglaube jener Tage verkündete die Wiederkunft oder die Auferstehung der großen Propheten für die Zeit der Ankunft des Messias. Etliche meinten selbst, dass Johannes der Christus sei," **) und um solchen Überlegungen entgegenzutreten, sagte Johannes: „Ich zwar taufe euch mit Wasser; es kommt aber der stärker ist als ich, dessen ich nicht würdig bin, Ihm den Riemen Seiner Sandalen zu lösen; Er wird euch mit Heiligem Geiste und Feuer taufen“ (Luk. 3, 15. 16). Jerusalem und die Bewohner von Judäa gingen zu Johannes und wurden von ihm im Jordan getauft, indem sie ihre Sünden bekannten. Auch die Galiläer kamen zur Taufe des Johannes, und unter ihnen kam Jesus selbst, wie. einer von ihnen, ohne sich irgendwie vorher anzukündigen. Welch eine ergreifende Gnade! Jesus, der heilige Sohn Gottes, hatte keine Sünde zu bekennen, aber trotzdem nahm Er Seinen Platz, unter denen ein, welche die Reue zu Johannes dem Täufer trieb.

Johannes kannte Ihn nicht, aber Gott bezeichnete Ihn mit den Worten: „Auf welchen du sehen wirst den Geist herniederfahren und auf Ihm bleiben, dieser ist es, der mit Heiligem Geiste tauft“ (Joh. 1, 33). Wir können verstehen, dass Johannes den Herrn zuerst nicht taufen wollte. „Ich«, sagte er, ,,habe nötig von dir getauft zu werden, und du kommst zu mir?“ (Matth. 3, 14.) Da das Gewissen des Johannes wach war, fühlte er in jeder Hinsicht seine eigene Unwürdigkeit. Aber Jesus beruhigte ihn mit den Worten: „Lass es jetzt so sein«; denn also gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen“. Kaum aber war Jesus aus dem Wasser gestiegen, da öffnete sich der Himmel: der Geist Gottes fuhr wie eine Taube auf Ihn hernieder, und eine Stimme kam aus den Himmeln, welche sprach: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe“ (Matth. 3, 15 — 17).

Der Taufe des Herrn folgte ein anderer, ebenso erstaunlicher Vorgang: die Versuchung in der Wüste. Die unsichtbaren Mächte mussten sich in Bezug auf Seine Person offenbaren, ehe der Mensch festzustellen Gelegenheit hatte, was Er in sich und was Er als Heiland ist. Der Herr wird von dem Heiligen Geist in die Wüste geführt, um hier durch den Feind versucht zu werden. Nachdem Er diesen besiegt hat, raubt Er ihm seine Habe und erfüllt so die Verheißung, die wie eine Herausforderung dem Feind ins Angesicht geschleudert wird, während sie zugleich die ganze Ohnmacht des Menschen zeigt, sich aus solcher Gewalt zu befreien (Vergl. Jes. 49, 24).

Jesus wird den Listen Satans ausgesetzt, dessen Anläufen der erste Mensch, Adam, nur zu leicht unterlegen war. Jesus tut den Willen Gottes an einem Platz, wo Er ganz allein und von Entbehrungen umgeben ist. Vergeblich fordert der Feind Ihn auf, Seine Macht zu gebrauchen, um sich dadurch Erleichterung zu verschaffen, oder um von sich selbst Zeugnis zu geben, oder endlich um das, was Ihm gehörte, in Unabhängigkeit von dem Willen Gottes zu genießen. Jesus zeigt, dass Er nicht gekommen war, um Seinen Willen zu tun, sondern den Willen Dessen, der Ihn gesandt hat. Er dachte an nichts anderes als an die Verherrlichung des Vaters auf der Erde, da wo der Mensch unaufhörlich Seinen Schöpfer verunehrt hatte. Selbst als der Feind unter der Maske des Glaubens erschien, indem er das Wort Gottes anführte, unterlag er Demjenigen, welcher das fleischgewordene Wort war und die Stellung des gehorsamen Menschen nicht verlassen wollte.

Bei seinem dritten Anlauf zeigt sich der Feind offen als Satan. Er schlägt Jesu einen leichten Weg vor, aus dem Er in den Besitz der Welt gelangen könne, ohne diesen Besitz von Gott zu empfangen (vergl. Ps. 2, 8), oder ihn durch Seinen Tod zu erkaufen (Siehe Matth. 13, 38. 44; Hebr. 2, 14.15). Jetzt verjagt Jesus den Feind durch ein Wort, indem Er den Platz des abhängigen Menschen bewahrt, und

der Teufel verlässt Ihn.

Nachdem Jesus Satan besiegt hat, geht Er hin, um die zu befreien, welche unter Satans Macht lagen,

und um das Reich der Himmel zu verkündigen, wobei Er unzählige und gewaltige Beweise von der Göttlichkeit Seiner Sendung gibt.

Doch wozu hatte Gott Ihn gesandt, worin bestand Sein Dienst? Er selbst hat die Erklärung gegeben, indem Er sich wiederum der Schriften bediente, welche die Juden ja in Händen hielten. In der Synagoge zu Nazareth las Er die Stelle vor, welche Seine Sendung klar kennzeichnet. Diese Sendung lässt sich in vier einfache Worte zusammenfassen. Sie war bestimmt für die Armen, die Gefangenen, die Blinden und die Zerschlagenen. Als Fünftes kam hinzu: sie sollte die Gedanken der Menschen auf den Gott-Heiland lenken. „Der Geist des Herrn ist auf mir“, so las der Herr, „weil Er mich gesalbt hat, Armen gute Botschaft zu verkündigen; Er hat mich gesandt, Gefangenen Befreiung auszurufen und Blinden das Gesicht, Zerschlagene in Freiheit hinzusenden, auszurufen das angenehme Jahr des Herrn“ (Luk. 4, 18. 19).

Dann, als aller Augen auf Ihn gerichtet waren, begann Er zu ihnen zu sagen: „Heute ist diese Schrift vor euren Ohren erfüllt“. Die schönen, vor so vielen Jahrhunderten angekündigten Tage waren also gekommen. Die angeführte Stelle aus dem Propheten Jesaja mag uns als Leitfaden dienen, um den wunderbaren Weg des Heilandes inmitten der Gegenstände Seiner Gnade zu verfolgen.

Die Sendung des Engels zu den Hirten Bethlehems hatte schon erkennen lassen, dass der Dienst Jesu den Armen und Elenden, den von den Großen der Welt Verachteten zugutekommen sollte. Sie waren in der Tat Gefangene. Und wenn wir fragen: Welcher Art war die Gefangenschaft, unter der das Volk Israel sich befand und unter welcher wir alle von Natur schmachten? so lautet die Antwort: Wir sind Gefangene Satans.

Von dem ersten Vorgang an, der uns aus dem Dienste Jesu mitgeteilt wird (vergl. Mark. 1, 21 - 24; siehe auch Luk. 4, 31 — 37), finden wir Ihn dem Feinde gegenüber, jetzt aber nicht mehr in der Wüste, um versucht zu werden, sondern mitten in der Synagoge. Wer hätte gedacht, dass der Teufel auch dort eingedrungen wäre? Er war aber da in der Person eines von einem unreinen Geiste besessenen Menschen. Wie traurig offenbart sich hier der Zustand der Welt, in welche der Sohn Gottes persönlich eingetreten war! Selbst da, wo man Gott anbetete, hielt Satan einen armen Nachkommen Abrahams gebunden! Er fürchtete sich nicht, seine Macht unmittelbar in der Gegenwart

Gottes zu zeigen. Hatte er es doch schon an der Person des Heilandes selbst versucht! Der Herr befreite den armen Gebundenen Satans.

Ein andermal befand sich Jesus in der Gegend von Tyrus und Sidon, als eine Frau aus dem verfluchten Geschlecht Kanaans ihn bat, ihre Tochter von dem Dämon, der sie gefangen hielt, zu befreien. Der Herr stellte das Weib zunächst auf die Probe, damit der Glaube, von dem ihre Seele erfüllt war, sich äußern konnte. Er sagte zu ihr: „Lass zuerst die Kinder gesättigt werden, denn es ist nicht schön, das Brot der Kinder zu nehmen und den Hündlein hinzuwerfen“. Der Herr war ja für Israel gekommen, „um die an die Väter geschehenen Verheißungen zu bestätigen“; dennoch hinderte Ihn das nicht, Seine Gnade gegen die Nationen auszuüben. Die Frau schien das zu verstehen, denn sie ließ sich nicht entmutigen. „Ja, Herr“, sagte sie, „denn es essen ja auch die Hündlein unter dem Tische von den Brosamen der Kinder.“ Diesem Glauben wurde eine unmittelbare Antwort zuteil. Die Frau urteilte, dass es bei dem Herrn etwas gab, was auch die Bedürfnisse dessen stillen konnte, der kein Recht darauf besaß, und der Herr erwiderte ihr: „Gehe hin; der Dämon ist von deiner Tochter ausgefahren“. Sie glaubt, geht nach Hause und findet ihre Tochter gesund.

Welch ein unwiderleglicher Beweis von der Größe und Macht der Gnade! Niemand kann sagen, dass die Gnade nicht für ihn da sei. Aber die Gnade ist mit der Wahrheit verbunden· Um die Gnade zu erfahren, muss man seinen wahren Zustand vor Gott anerkennen.

Wieder ein anderes Mal befreit der Herr einen armen Besessenen, der den Namen „Legion“ führte, denn er war von vielen Dämonen besessen. Die Dämonen, welche ihn quälten, fuhren auf das Gebot des Herrn aus und in eine Herde Schweine, und diese stürzte sich in den See.

Wie doch Satan mit feinen Opfern spielt! Wenn seine Macht gebrochen ist, freut er sich über das göttliche Gericht, das seine verblendeten Opfer trifft. Gott dagegen hat kein Wohlgefallen an dem Tode des Sünders. Das Gericht wird hier an den Schweinen vollzogen. Die Wahrheit triumphiert, und das Gewissen der Schuldigen wird getroffen. Der Herr entfaltet Seine Macht in Güte. Nicht allein befreit Er den Besessenen, sondern Er bekleidet ihn auch. „Bekleidet und vernünftig“ findet man ihn zu den Füßen Jesu. Er ist in Frieden. Jesus nimmt ihn sogar in Seinen Dienst· Er sendet ihn hin, um das Heil zu verkündigen, dessen er sich jetzt erfreute, in eine Welt, die den Heiland nicht haben wollte. Die Schuldigen bitten erschreckt Jesum, aus ihren Grenzen wegzugehen. Jesus tut es, lässt aber jenen glücklichen Herold Seiner Gnade zurück mit den Worten: „Gehe hin nach deinem Hause zu den Deinigen und verkünde ihnen, wieviel der Herr an dir getan und wie Er sich deiner erbarmt hat“. (Mark. 5, 19).

Gott war in der Tat inmitten Seines Volkes gegenwärtig. Wie wir bereits sahen, zeigte Er sich über alle Macht des Feindes erhaben. Der Herr predigte das Wort und lehrte die Menge mit einer bis dahin nie gesehenen Gnade und Kraft. Man las jeden Sabbat in den Synagogen die Schriften, die von Ihm redeten und welche die Hörer hätten verstehen lassen sollen, dass der Messias da war, wirksam unter

ihnen in Gnade und mit einer Macht, die allen ihren Bedürfnissen entsprach. Aber sie dachten nicht daran; sie suchten Gott nicht mit ihrem ganzen Herzen. Ihr Gewissen wachte selbst nicht angesichts der Wunder auf. Dieser Unglaube war ein Hemmnis für das Werk des Herrn (vergl. Matth. 13, 58); aber dennoch wurde Er nicht müde, zu offenbaren was Er war.

Die Macht des Herrn, die sich unmittelbar wider Satan richtete, offenbarte sich zu gleicher Zeit zum Besten aller Leiden der unter dem schrecklichen Joch der Sünde seufzenden Menschheit. Jesus heilte „jede Krankheit und jedes Gebrechen“. Er tat das nicht mit kalter und stolzer Hand, nein, Er tat es mit den Gefühlen eines teilnehmenden Herzens, welches wie kein anderes die ganze Verunehrung fühlte, die für Gott aus diesen Leiden entsprang, sowie aus der Unordnung in der Schöpfung, die doch Seine Hände gemacht hatten· Die unreinen Spuren des Feindes Gottes und der Menschen zeigten sich überall da, wo das Geschrei seiner ohnmächtigen Gefangenen zu den Ohren des Heilandes drang. Sein Auge nahm es wahr, Sein Herz fühlte es, und keiner, der Seine Güte in Anspruch nahm, ging weg, ohne dass Seine Macht dem Bedürfnisse entsprochen hätte, welcher Art es auch sein mochte.

Welches andere Herz wäre imstande gewesen, all die Früchte der Sünde zu ergründen und zu ermessen, der Sünde, in welcher die Menschen lebten, und woran sie ihr Vergnügen fanden? Er allein vermochte es, Er, der ,,Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut«, Er, der einzige Heilige inmitten all des Bösen, welches unaufhörlich das Seufzen Seines Herzens hervorrief. Aber die Unmöglichkeit, hienieden andere mitfühlende Herzen zu finden, hielt Ihn nicht ab, Seinen wohltätigen Dienst auszuüben. Er war gekommen, so sagte Er selbst, „um zu dienen“. Wo Er ging und stand, da richteten die von Krankheiten Niedergebeugten sich auf, um Ihn besser betrachten zu können. Die Tauben hörten, die Blinden sahen, die Stummen redeten und priesen laut Seine Güte. Die Hungrigen fanden in der Wüste einen Tisch, reich gedeckt nicht etwa aus Vorräten der Großen der Erde, sondern aus dem, was ein kleiner Knabe für seinen Tagesbedarf mitgebracht hatte. Die allmächtige und schöpferische Hand des Herrn begegnete allem. Gott hatte sich im Fleische geoffenbart, der Höchste hatte sich zum Wirt und Genossen der Ärmsten Seiner Geschöpfe gemacht, zum „Freunde der Zöllner und Sünder“. Die Allmacht Gottes hatte sich mit der Gnade verbunden, um zu segnen und hienieden zu offenbaren, was Gott ist.

Unter den Krankheiten, derentwegen man die Güte Jesu anrief, gab es eine, welche Gott allein heilen konnte; das war der Aussatz. Das Gesetz Moses ließ dem damit Behafteten keine Hoffnung, wenn es auch die Zeremonien vorschrieb, die nötig waren, um einen geheilten Aussätzigen wieder in die Gemeinschaft des Volkes aufzunehmen. Solange die Krankheit anhielt, war der Aussätzige angewiesen, für sich zu bleiben als ein aus der menschlichen Gesellschaft Ausgestoßener. Sobald er jemand von weitem kommen sah, musste er rufen: „Unrein! Unrein!“ Man konnte ihn nicht berühren, ohne selbst durch diese Berührung verunreinigt zu werden. Wie brennend bei einem solchen Menschen das Verlangen war, gereinigt zu werden, ist leicht verständlich. Wo konnte er Erleichterung, wo Teilnahme finden? — Die Gegenwart des Sohnes Gottes auf Erden löste die Schwierigkeit.

Ein Aussätziger wirft sich, als er Jesum sieht, vor Ihm nieder und ruft: „Herr, wenn du willst, kannst du mich reinigen!“ (Matth. 8, 1 - 4.) Diesem erstaunlichen, in seiner Einfachheit so kostbaren Glauben bleibt die Antwort nicht aus. Jesus rührt den Menschen an, welcher an Seine Macht glaubt, ohne jedoch Vertrauen in die Bereitwilligkeit Gottes im Blick aus einen Aussätzigen zu besitzen. Dadurch dass Er ihn anrührt, gibt Jesus den Beweis von Seiner vollkommenen, außerhalb aller befleckenden Einflüsse stehenden Heiligkeit. Weiter begleitet Er die Handlung mit einem Wort der Gnade und des Heils. „Ich will!“ sagt Er, „sei gereinigt“. Augenblicklich war der Kranke geheilt. Unmöglich konnte er seine Freude für sich behalten. Trotz des strengen ihm gegebenen Verbotes machte er das Werk der Gnade, dessen Gegenstand er gewesen war, öffentlich bekannt, so dass der Dienst des Herrn dadurch gehindert wurde (Mark. 1, 45).

Ein anderes Mal begegnet Jesus zehn solcher Unglücklichen auf einmal (Luk. 17, 12 -19). Von ferne

erheben sie ihre Stimme und rufen Sein Erbarmen an. Er sagt ihnen, sie sollten hingehen und sich, dem Gesetz, gemäß, den Priestern zeigen. Indem sie nun hingehen, werden sie gereinigt. Seine schrankenlose Gnade macht keinen Unterschied zwischen ihnen; alle haben teil daran. Aber nur einer kehrt zurück, um Ihm zu danken, indem er die Macht Gottes anerkennt, und der war „ein Samariter“! Er war der einzige! O meine lieben Freunde, die wir Gegenstände derselben Gnade geworden sind, haben wir es ebenso gemacht wie dieser Fremdling? Möge ein jeder sich die Frage stellen!

Der Aussatz, diese unheilbare Krankheit, ist ein bekanntes, treffendes Bild von der Sünde, für welche sie manchmal als Strafe diente. (Vergl. 4. Mose 12, 10. 11; 2. Könige 5, 27; 2. Chron. 26, 19 — 21). Nun, Jesus erwies in ihrer Heilung Seine Macht, Sünden zu vergeben, eine Befugnis, die, wie alle anerkennen müssen, nur dem heiligen Gott zusteht, der allein Leib und Seele zu richten vermag.

Ein armer Gelähmter kann nicht bis zu Jesu gebracht werden wegen der Volksmenge, die Ihn umringt, um Ihn zu sehen und zu hören oder geheilt zu werden. Vier Männer tragen ihn. Da sie nicht an Jesum herankommen können, steigen sie auf das Haus, eine nicht allzu schwere Sache in einem Lande, wo die Wohnungen im allgemeinen nur aus Erdgeschoß und einer als Dach dienenden Terrasse bestehen. Sie decken das Dach ab und lassen das Bettlein, aus dem der Mann liegt, hinab vor Jesum. Als Er ihren Glauben sieht, ruft Er: „Kind, deine Sünden sind vergeben“. Die dasitzenden Schriftgelehrten sind erstaunt und fangen an über die unerhörte Tatsache zu sinnen, dass ein Mensch es wagt, sich solche Gewalt zuzuschreiben; ihr Erstaunen aber nimmt zu, als Jesus den Beweis Seiner Machtvollkommenheit dadurch liefert, dass Erden Kranken heilt und ihn gesund und gerettet in sein Haus zurücksendet. Wer vermag zu vergeben, wenn nicht Der, der Gewalt hat, die Züchtigung aufzuheben? Nun, Jesus konnte beides tun (Mark. 2, 3 — 12). 13

Die Gnade Gottes geht aber noch weiter. Sie zeigt uns, dass der Sünder auch dann die Gegenwart des Heilandes aufsuchen kann, wenn es sich nicht um Befreiung von einer Krankheit handelt, sondern wenn er von dem sein Gewissen belastenden Sünden gedrängt wird. So findet ein armes sündiges Weib, welches durch ihr Elend und durch das Vertrauen auf die Gnade des Herrn zu Ihm getrieben wird, den Mut, in ein Haus einzudringen, wo sie ein Gegenstand der Verachtung und des Spottes für die werden musste, die nur ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten trachteten. Ihr Elend ist so groß, dass ihr die Hindernisse nichts gelten. Jesus antwortet ihrem Glauben und lässt ihr augenblicklich eine vollständige Vergebung zuteil werden, die als unmittelbares Ergebnis den Frieden ihrer Seele und die tiefste Anhänglichkeit an die Person des Heilandes zur Folge hat. Dieses Weib (lies Luk. 7, 36 -— 50) bleibt für alle Zeiten ein ganz einzigartiges und treffendes Beispiel von dem, was ein Sünder, der seine Schuld bekennt, stets bei dem Heiland finden kann. Heil, Friede und Vergebung sind sein Teil nach dem unwiderruflichen Ausspruch Dessen, der später auf dem Throne des Gerichts sitzen wird. Von Ihm steht geschrieben: „Er kann sich selbst nicht verleugnen“.

Bist du, teurer Leser, auch einmal dahin gekommen, unter deiner Sündenlast zu leiden, wie dieses Weib es tat? Und bist du, wie sie, zu Dem gegangen, der allein Vergebung und Frieden geben kann? Hast du die Gnade Gottes kennen gelernt, die sich in Jesu geoffenbart hat, eine Gnade, welche das Herz rührt und das Vertrauen gewinnt? Vergiss nicht, dass der Heiland selbst wiederholt und gern gesagt hat, dass „Heute“ der Tag der Gnade und des Heiles ist. Wenn du auch nicht wie dieses Weib in ein Haus gehen kannst, wo Er sich befindet, so weigert Er sich doch nicht, das Heil in dein Haus zu bringen, wie Er es einst bei Zachäus tat (Vergl. Luk. 19, 5. 7. 9).

Welch eine Zärtlichkeit, verbunden mit vollkommener Heiligkeit, erfüllte das Herz Jesu für die Ausgestoßenen und Enterbten dieser Erde, für die Verachteten der menschlichen Gesellschaft! Man empfindet geradezu Freudenschauer, wenn man die wunderbare Unterredung am Brunnen zu Sichar verfolgt, oder jene unvergessliche Antwort des Herrn vernimmt, durch welche die Ankläger einer anderen großen Sünderin zu Jerusalem in die Flucht geschlagen wurden: „Wer von euch· ohne Sünde

ist, werfe zuerst den Stein auf fiel“ (Joh. 8, 7). Der Mensch sucht sich auf den Trümmerfeldern eines gefallenen Menschengeschlechts einen guten Namen zu machen, so armselig das von ihm erreichte Ergebnis auch sein mag. Gott aber erreicht das Gewissen des Sünders, um ihm die Reichtümer Seiner Gnade und die verborgenen Schätze Seiner Wahrheit offenbaren und sein Herz damit überschütten zu können. Auch verleiht Er der Seele Kraft und bis dahin unbekannte Beweggründe, so dass sie sich durchdringen lässt von dem ernsten Wort: „Sündige nicht mehr“.

Fußnoten:

*) das heißt: welcher das ist in der Ewigkeit Seines unveränderlichen Wesens. Um die Kraft des Ausdrucks „der ist“ zu verstehen, lese man Römer 9, 5; Offbg. 1, 8 und vergleiche Joh. 8, 25. 58 mit Joh. 1, 18 und 3, 18.

**) Man beachte, wie weit der Unglaube des Volkes ging. Johannes tat keine Wunder, Jesus tat solche beständig. Aber trotzdem wollten die Juden Ihn nicht als ihren Messias anerkennen. Sie sagten zu Ihm: »Wenn du der Christus bist, so sage· es uns frei heraus“ (Joh. 10, 24).

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Abgewaschen, geheiligt und gerechtfertigt

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1917, S. 15ff

„Ihr seid abgewaschen, geheiligt, gerechtfertigt worden in dem Namen des Herrn Jesus und durch den Geist unseres Gottes2 (1. Kor. 6, 11).

So konnte Paulus an die Gläubigen in Korinth schreiben, obschon manche traurige Dinge in ihrer Mitte

vorgekommen waren. Sie waren in der Tat „abgewaschen“ durch die Waschung der Wiedergeburt (Tit. 3, 5), sie waren „geheiligt“, passend für die Gegenwart Gottes und fähig gemacht zu dem Anteil am Erbe der Heiligen in dem Lichte (Kol. 1, 12), und sie waren auch aus Glauben ,,gerechtfertigt«. (Röm. 8, 30.) Das war ihre gesegnete, unantastbare Stellung in Christo Jesu vor Gott. Sie war ihnen durch die Kraft des Heiligen Geistes nach dem Werte des Namens Jesu geschenkt, und daher vollkommen, unveränderlich, ewig.

Das ist auch die Stellung aller Kinder Gottes auf der Erde. Ganz unabhängig von ihren guten Werken oder ihrem heiligen Wandel ist dieses Gnadengeschenk durch den Heiligen Geist in der Seele gewirkt,

und gründet sich auf das ein für allemal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi. Jeder Gläubige, ob jung oder alt, schwach oder stark, ob Kind oder Vater in der Erfahrung, jeder, der an Christum glaubt und in Ihm ist, ist „abgewaschen“, „geheiligt“ und „gerechtfertigt“.

Die Waschung geschieht durch das Wort Gottes in der Kraft des Heiligen Geistes. Sie weckt den von Natur in Sünden toten Menschen auf, wirkt auf sein Gewissen und reinigt ihn von seinem Verderben. Der Sünder erkennt und bekennt seine Sünden, verabscheut und verurteilt sie vor Gott, und eine völlige Umkehr oder Wiedergeburt findet bei ihm statt. So wurde Saulus einst zu den Nationen gesandt, um, wie der Herr zu ihm sagt, „ihre Augen aufzutun, auf dass sie sich bekehren von der Finsternis zum Licht und von der Gewalt des Satans zu Gott, auf dass sie Vergebung der Sünden empfangen und ein Erbe unter denen, die durch den Glauben an mich geheiligt sind“. (Apstgsch. 26, 18).

Das Wort Gottes ist also das Mittel, durch welches die Bekehrung und Reinigung bewirkt wird. Dabei dürfen wir aber nicht aus dem Auge verlieren, dass die Reinigung durch das Wort, ebenso wie die durch das Blut, in unzertrennlicher Verbindung mit dem Tode Christi steht. „Dieser ist es, der gekommen ist durch Wasser und Blut, Jesus der Christus; nicht durch das Wasser allein, sondern durch das Wasser und das Blut“ (1. Joh. 5, 6). Das Wasser, welches in geistlichem Sinne reinigt, ergoss sich aus der Seite eines gestorbenen Christus. Er ist gekommen durch Wasser und Blut und hat so in Wahrheit die Abwaschung und Versöhnung bewirkt. Er konnte zu den Jüngern sagen: „Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe“ (Joh. 15, 3); sie waren durch das lebendig machende Wort Seines Mundes gereinigt, sie waren wiedergeboren.

Diese Waschung findet nur einmal statt, sie bedarf keiner Wiederholung. „Wer gebadet (wörtl.: ganz abgewaschen) ist“, sagt der Herr, „ist ganz rein“ (Joh. 13, 10).

Die Heiligung erfolgt nach der Abwaschung. Zwar ist beides eng miteinander verbunden und kann in einer Seele, welche unter die lebenspendende Kraft des Wortes Gottes gebracht worden ist, kaum voneinander getrennt werden. Nach Eph. 5 jedoch sind „Waschung“ und „Heiligung“ trotz ihrer Zusammengehörigkeit zwei für sich dastehende Begriffe. Der Apostel sagt dort im Blick auf die Versammlung oder Gemeinde: „Christus hat sich selbst für sie hingegeben, auf dass Er sie heiligte, sie reinigend (eigentl. gereinigt habend) durch die Waschung mit Wasser durch das Wort“ (V. 25. 26). Das Wort „heilig“ bedeutet sowohl „heilig sein“, als auch „zu einem heiligen Zweck abgesondert sein“. Alle Gläubigen sind geheiligt. Sie sind abgesondert von allem Bösen, von der Sünde und von der Welt, um nun auf Gottes Seite zu stehen und hm zu dienen. Sie sind geheiligt, was nicht heißen soll: sie sollen heilig sein, sondern sie sind es. Sie sind es durch ihre Vereinigung mit Ihm, der für sie in den Tod ging. Er, der Erstgeborene vieler Brüder, hat sie in dem vollen Werte Seines Werkes zu Gott gebracht und mit Seiner eigenen Wohlannehmlichkeit und Kostbarkeit vor Gott bekleidet.

In dieser Heiligung gibt es keine verschiedenen Rangstufen. Auch ist von einem Wachsen, von Fort-und Rückschritten nicht die Rede. ,,Durch Gottes Willen sind wir geheiligt durch das ein für allemal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi“ (Hebr. 10, 10). Für wie lange? Etwa bis wir einer Sünde unterliegen? O nein, Gott sei dafür gepriesen! Höre: „Durch ein Opfer hat Er auf immerdar vollkommen gemacht, die geheiligt werden“ (Hebr. 10, 14). Also: auf immerdar.

Die Rechtfertigung ist ebenfalls aller Gläubigen Teil. Was heißt „gerechtfertigt sein“? Röm. 4 gibt uns die Antwort:

„Abraham glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet“ (V. 3).

„Dem aber, der nicht wirkt, sondern an Den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet“ (V. 5).

Rechtfertigung ist die vom Richter zuerkannte oder zugerechnete Gerechtigkeit. Dass Gott uns für gerecht erklärt, das ist unsere Rechtfertigung. Das ist mehr als Vergebung, mehr als Freisprechung von Schuld. Der Grund, auf welchen sich unsere Rechtfertigung stützt, wird uns ebenfalls im Römerbrief mitgeteilt:

„Der Herr ist unserer Rechtfertigung wegen auferweckt“ (Kap. 4, 25).

„Wir sind gerechtfertigt worden aus Glauben“ (Kap. 5, 1.) —- „Wir sind durch Sein Blut gerechtfertigt“ (Kap. 5, 9).

Das Blut Jesu Christi ist es also, das uns rechtfertigt, und -— von unserer Seite aus betrachtet -— erlangen wir die Rechtfertigung aus Glauben, d. h. auf diesem Boden oder Grundsatz, nicht auf dem der Werke. Kraft des Werkes Christi, kraft Seines Todes und Seiner Auferstehung, stehen wir gerechtfertigt da vor Gott. Die Auferstehung unseres Stellvertreters ist der ewig gültige Beweis, „dass der heilige Gott im Blick auf unsere Sünden und unseren sündigen Zustand völlig befriedigt, ja, verherrlicht worden ist, so dass wir mit Paulus sagen können: „Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus“ (Röm. 5,1).

Das ist also die wunderbare Stellung, welche wir in Christo durch den Geist besitzen: wir sind „abgewaschen“, ganz rein, „geheiligt“ auf immerdar, und „gerechtfertigt“ in vollkommener Weise. Wir dürfen im Glauben einfältig auf Seinem vollendeten Werke ruhen, indem wir uns allein auf das stützen, was Er getan hat und was Er ist, nicht etwa auf irgendwelches Gute oder auf irgendwelche Gerechtigkeit, die wir besitzen oder zu besitzen meinen. Unsere Sünden sind hinweggetan, wir sind gereinigt vom bösen Gewissen und können als Gerechtfertigte jeden Augenblick in den Himmel eingehen.

Dieser herrlichen, dauernden Stellung steht nun unsere Verwirklichung derselben in der Kraft des Geistes, mit anderen Worten: unser tatsächlicher Zustand, d.h. unser Verhalten, unser Wandel auf der Erde gegenüber. Beides sollte miteinander im Einklang stehen, und die züchtigende Hand des Vaters ist zu diesem Zweck stets mit uns beschäftigt.

Die Stellung ist gegründet auf das unerschütterliche Werk Jesu Christi für uns; der Zustand, in welchem wir uns in Wirklichkeit befinden, steht in Verbindung mit dem Werk des Heiligen Geistes in uns, und ist ein Ausdruck unserer Treue vor Gott.

Wenn wir auch unserer Stellung nach ein für allemal gewaschen und ganz rein sind, so geht doch die

Reinigung unserer Gesinnung, unseres Wandels und Verhaltens das ganze Leben hindurch voran, bis zu unserer tadellosen Darstellung in Herrlichkeit. Dasselbe Wort, welches bei der Wiedergeburt das Mittel für die Waschung war, erweist sich fortlaufend an den Gläubigen auf ihrem Wege zur Herrlichkeit als „lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert“ (Hebr. 4, 12).

Die in der Stiftshütte dienenden Priester wurden am Einweihungstage ganz gewaschen, mussten aber, so oft sie zu ihrer Dienstverrichtung Gott nahten, „ihre Hände und Füße waschen“ (2. Mose 30, 21). Gleicher- weise bedürfen auch wir stets der Reinigung, der Fußwaschung. Wir sind zwar rein, ganz rein durch das Bad der Wiedergeburt, aber wir sind auf dem Wege zum Vaterhause fortwährenden Verunreinigungen ausgesetzt, die uns den Genuss der Gemeinschaft mit dem Herrn rauben. In Seiner Gnade aber ist der Herr unermüdlich beschäftigt, für uns zu beten und unsere Füße zu waschen, und an uns ist es, die Augen nicht vor unseren Fehlern zu verschließen und uns die Füße willig waschen zu lassen.

Unserer Stellung nach sind wir ein für allemal „geheiligt“, doch werden wir im Worte zu einer ständigen persönlichen Heiligung ermahnt. In Gottes Augen ist wegen des für uns vergossenen Blutes kein Flecken an uns, aber gemäß der Kostbarkeit dieses Blutes vor Gott soll auch unser Wandel sein. Weiter verlangt die Gegenwart des Heiligen Geistes in und unter uns Reinheit und Heiligkeit. Wir finden diese beiden Gründe« für die Heiligkeit schon im Alten Bunde. Wir lesen in 3. Mose 11, 44. 45: „Ihr sollt euch selbst nicht verunreinigen . . . Denn ich bin Jehova, der euch aus dem Lande Ägypten heraufgeführt hat, um euer Gott zu sein: so seid heilig, denn ich bin heilig«; ferner in 4. Mose 35, 34: „Du sollst nicht das Land verunreinigen, in welchem ihr wohnet, in dessen Mitte ich wohne; denn ich, Jehova, wohne inmitten der Kinder Israel“. So sollen auch wir auf Grund unserer vollkommenen Erlösung und wegen der Gegenwart des Heiligen Geistes in unserer Mitte in Reinheit und Heiligkeit, in einer entschiedenen Absonderung von allem Bösen, hienieden wandeln.

Dazu kommt, dass wir nach 1. Petri 2 zu einem heiligen Priestertum gemacht sind. Auch die Priester im Alten Bunde waren aus dem übrigen Volk abgesondert, um ganz im Dienst Jehovas zu stehen. Sie

hatten sich von allem fernzuhalten, was nicht zu dieser heiligen Stellung passte. Wie viele Vorschriften gab es für sie bezüglich der Heiligkeit, wie mussten sie sich mancher Dinge enthalten und durften manche nicht anrühren, weil sie Gottes heilige Priester waren! Wieviel mehr sollten wir wachsam sein, die wir als Gottes geliebte Kinder und als Glieder am Leibe Jesu Christi im Heiligtum droben Zutritt haben! „Jaget der Heiligkeit nach!“ ruft uns der Apostel zu. Wie bedeutungsvoll ist das Wort: Nachjagen! Es weist auf ein wertvolles Ziel hin, dem nachzujagen sich lohnt. Es erinnert auch an die Hemmnisse und Schwierigkeiten, die sich dem Läufer in den Weg stellen. Das Nachjagen erfordert Enthaltsamkeit in allem, Entschlossenheit und ernsten Eifer. Alles das erwartet der Herr von uns, wenn Er uns ermahnt, der Heiligkeit nachzujagen, ohne welche niemand den Herrn schauen wird. Dieser Zusatz verleiht der eindringlichen Ermahnung großen Ernst. Nichts Unheiliges findet Raum in der Gegenwart Dessen, der gesagt hat: „Seid heilig, denn ich bin heilig“, und der Gedanke an Seine Heiligkeit soll uns auf unserem ganzen Wege begleiten und leiten. Je aufrichtiger und treuer wir sind, mit desto größerem Eifer werden wir durch die Kraft des Geistes der Heiligkeit nachjagen, und auch desto größere Fortschritte darin machen. Ein schöner Lohn winkt uns: „Glückselig sind die Reinen im Herzen, denn sie werden Gott schauen“ (Matth. 5, 8).

Es ist ein schlimmes Übel, wenn Gläubige in dem Bewusstsein, dass sie ihrer Stellung nach „abgewaschen“, „geheiligt“ und „gerechtfertigt“ sind, nachlässig darin werden, ihre Seelen zu reinigen durch den Gehorsam gegen die« Wahrheit (1. Petr. 1, 22), der Heiligkeit nachzujagen (Hebr. 12, 14) und nach Gerechtigkeit zu streben (1. Tim. 6, 11).

Gott sei gepriesen, dass Er uns die Erkenntnis unserer unveränderlichen Stellung in Christo geschenkt hat, denn sie beseitigt jede Unruhe und Furcht, lässt uns die Gunst Gottes genießen und ruft das Verlangen in unseren Herzen wach, unserer gesegneten Stellung entsprechend zu wandeln. Da aber diese Stellung gerade das Gegenteil von dem ist, was nach der Natur unser Teil wäre, so genügt nicht die bloße Aufnahme dieser kostbaren Wahrheit in den Kopf — diese ist sogar verhängnisvoll — notwendig ist vielmehr ihre Einwirkung auf Herz und Gewissen. Das Bewusstsein unserer hohen Stellung gibt überhaupt aus sich selbst noch keine Kraft zum heiligen Wandel, noch befähigt es einen Menschen, Gottes Wohlgefallen zu tun. Wohl schenkt es Ruhe des Gewissens und Frieden, die Kraft aber steht in Verbindung mit oder hängt ab von der persönlichen Verwirklichung unseres Platzes und Teiles in Christo. Paulus schreibt an die Kolosser: „So tötet denn eure Glieder. . . . .“, — das setzt Kraft voraus. Diese Ermahnung schließt sich aber eng an das in den beiden vorhergehenden Kapiteln von dem Apostel Dargelegte an, nämlich an die Wahrheit, dass die Kolosser mit Christo gestorben und auferweckt waren. Gott will, — und es kann nicht anders sein, — dass wir unsere Stellung zum Maßstab für unsere Gesinnung, für unser Verhalten und unseren Wandel machen.

Wir verdanken alles dem Versöhnungswerk unseres Herrn. Sein Tod war das Mittel, um uns „abzuwaschen“, zu „heiligen“, zu „rechtfertigen“ und uns des ewigen Lebens und der ewigen Herrlichkeit teilhaftig zu machen. Er ist es auch wiederum, der uns für die Zeit unseres Hierseins Weisheit von Gott, Gerechtigkeit, Heiligkeit und Erlösung geworden ist. (1. Kor. 1, 30).

Das ganze Werk der Gnade wird durch die Erlösung am Ende vollendet werden, indem Gott die letzte Spur menschlicher Unvollkommenheit dadurch hinwegnimmt, dass Er uns einen Leib gibt, der dem verherrlichten Leibe Jesu gleichgestaltet ist.

Ist dieser glückliche Augenblick gekommen, so werden wir in Wirklichkeit und unserer Erfahrung nach das besitzen, was jetzt nur im Glauben unser Teil ist. Dann wird unser Zustand unserer Stellung, die Stellung dem Zustande entsprechen.

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Aus einigen Briefen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1917, S. 24ff

. . . Sie nennen in Ihren Ausführungen den Herrn Jesus den „Versöhner aller Sünder“. Ich glaube zu verstehen, wie Sie den Ausdruck meinen; aber er könnte leicht so aufgefasst werden, als ob Jesus alle Sünden gesühnt und alle Sünder mit Gott versöhnt hätte. Man hört ja oft sagen, dass der Mensch

nur deshalb verloren gehe, weil er nicht an den Herrn Jesus glaube, während das Wort Gottes sagt, dass der Zorn Gottes über die Menschen kommt ihrer Sünden und Gottlosigkeiten wegen. (Vergl. Kolosser 3, 6; Eph. 5, 6; Röm. 1, 18 u. a. St.) Der Mensch ist verloren (deshalb ist der Herr Jesus gekommen, zu suchen und zu erretten was verloren ist), und er bleibt verloren, Gottes Zorn bleibt auf ihm, wenn er nicht an den Sohn Gottes glaubt. Der Mensch ist also ein schuldiger, dem Gericht verfallener Sünder, aber er vermehrt seine Schuld durch seinen Unglauben um ein Beträchtliches. Geradeso wie wenn ein zum Tode verurteilter Verbrecher die ihm von seinem Landesfürsten angebotene Gnade verächtlich von sich weisen würde.

Wenn es wahr wäre, dass Jesus alle Sünden getragen hätte, so würde kein Mensch verloren gehen können. Das Wort Gottes redet auch nie so. Es spricht von der Vergebung der Sünden vieler, niemals aber aller. (Vergl. Matth. 20, 28; 26, 28; Mark. 14, 24; Röm. 5, 5-19 u. a. St.) Wohl ist Jesus für alle gestorben, das Lösegeld wird allen angeboten, die Sühnung ist im Blick aus alle geschehen, so dass der Evangelist freimütig alle einladen kann, zu kommen und umsonst die Gabe des ewigen Lebens zu nehmen; aber man kann nur von denen, die Jesum im Glauben angenommen haben oder annehmen, sagen, dass Er ihr Versöhner ist. Nur sie können Ihn nennen: mein Heiland, mein Erlöser.

Was das „Vaterunser“ betrifft, so haben Sie recht, dass es immer besser ist, die Wahrheit vorzustellen und diese urteilen zu lassen, anstatt selbst ein vielleicht richtiges, aber die Gefühle des anderen verletzendes Urteil zu fällen; eingedenk der Worte unseres Herrn: „Die Wahrheit wird euch frei machen“. Indes kann ich nicht glauben, dass das Vaterunser heute — wie Sie es ausdrücken — „in Vollkommenheit den Bedürfnissen aller derjenigen Jünger Jesu entspricht, welche sich entweder noch nicht zur Freude und zum Frieden der Kinder Gottes haben erheben lassen, oder denen in augenblicklicher Anfechtung die Kindesstimme und Kindesfreude getrübt ist“; vor allem das letztere nicht.

Ich kann wohl verstehen, dass viele Gläubige das Vaterunser noch beten, kann auch mit ihnen fühlen, aber ich wiederhole: Das Vaterunser entspricht nicht den Empfindungen und Bedürfnissen, welche der Heilige Geist heute in den Herzen, auch der schwächsten Gläubigen wachruft, ebenso wenig wie Gott heute in dem Herzen eines Gläubigen das Bedürfnis wecken kann, um den Heiligen Geist zu bitten. Denn jeder wahre Gläubige, ob alt oder jung, stark oder schwach, besitzt heute den Heiligen Geist, obwohl er selbst es vielleicht nicht zu sagen wagt. „Ihr seid, nachdem ihr geglaubt habt, versiegelt worden mit dem Heiligen Geiste der Verheißung“, schreibt der Apostel an die Epheser (Kap. 1, 13), und der Herr Jesus spricht in Joh. 7, 38 ganz allgemein von dem Geiste, welchen die an Ihn Glaubenden (also alle ohne Unterschied) empfangen sollten. (Vergl. Sie Eph. 4, 30; 2. Kor. 1, 22 u. a. St.) Der in Apostelgeschichte. 19 berichtete Fall kann heute wohl kaum in gleicher Weise eintreten.

Wohl gibt es heute viele Seelen, die, durch die Macht der göttlichen Gnade ergriffen, aus ihrem Sündenschlaf aufgewacht, aber noch nicht mit dem Heiligen Geiste versiegelt sind. Diese Seelen haben aber noch nie die Gewissheit der Vergebung ihrer Sünden, noch nie das Bewusstsein ihrer Gotteskindschaft gehabt. Sie sind zu einem tiefen Gefühl ihrer Sündhaftigkeit erwacht und verlangen nun sehnlichst nach Befreiung, sie hassen das Böse und wünschen das Gute zu tun, aber sie haben die reinigende Kraft des Blutes und die befreiende Wirkung des Todes Christi noch nicht erkannt. Sie sind deshalb im eigentlichen Sinne des Wortes noch keine Gläubige, obwohl Gott das in ihnen begonnene Werk sicher nicht unvollendet lassen wird; und sobald der Glaube an das vollbrachte Werk Christi in die Seele einzieht, versiegelt der Heilige Geist dieses Werk, indem Er Wohnung in dem Gläubigen macht . . .

. . . Die von Ihnen angeführten Stellen: Matth. 16, 28; Mark. 9, 1; Luk. 9, 27 besagen nicht, dass die dort Genannten den Tod nicht sehen würden, bis der Sohn des Menschen oder das Reich Gottes gekommen sei, sondern bis sie den Sohn des Menschen in Seinem Reiche (oder bis sie das Reich Gottes) hätten kommen sehen. An allen drei Stellen wird dann in unmittelbarem Anschluss an die Worte des Herrn die Verklärung des Herrn aus dem Berge erzählt. Dort (auf dem Berge) haben die Jünger das Reich und den Sohn des Menschen in Herrlichkeit und Macht gesehen, so Wie Er bei Seiner Wiederkunft zur Ausrichtung Seines Reiches erscheinen wird. Der Herr wurde vor ihnen umgestaltet, Sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und Seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Die drei Jünger sahen Seine Herrlichkeit (Lukas 9, 32); und neben Jesu erschienen Moses und Elias, das Bild der himmlischen Heiligen (der eine gestorben, der andere zum Himmel entrückt, ohne den Tod gesehen zu haben), ebenfalls in Herrlichkeit. Auf der Erde stehen die drei Jünger, das Bild der irdischen Heiligen im Tausendjährigen Reiche, und oben darüber, das Ganze überstrahlend, erscheint die Wolle, „die prachtvolle Herrlichkeit“, die Wohnstätte Gottes (2. Petr. 1, 16. 17). Es ist, mit einem Wort, das Reich mit seinem König und seiner Herrlichkeit, und das war es, was die Jünger sehen sollten, ehe sie starben, und sie haben es gesehen. Dass sie selbst die Sache so und nicht anders verstanden haben, geht aus der angeführten Stelle, 2. Petr. 1, 16. 17, klar hervor.

Die Annahme, unser geliebter Herr, der Sohn Gottes, habe das Ende des Zeitalters näher geglaubt, als es war, Er habe sich also getäuscht, ist durchaus böse. Er sagt freilich in Mark. 13, 32, dass selbst der Sohn von jenem Tage oder der Stunde nichts wisse; aber wir müssen bedenken, dass Markus uns den Herrn in Seinem Charakter als Diener und Prophet vorstellt, der dort als solcher vollkommen Seinen Platz einnimmt und in diesem Charakter redet. Er war aber nicht nur Diener und Prophet, Er war Gott, geoffenbart im Fleische, der da „wusste, was im Menschen war“ (Joh. 2, 25), der die Gedanken und Überlegungen kannte, also göttliche Kenntnis, göttliches Wissen besaß, sich daher niemals täuschen oder irren konnte. Die Verbindung von Menschheit und Gottheit in Ihm ist ein wunderbares Geheimnis, das wir nicht ergründen können. ,,Niemand erkennt den Sohn, als nur der Vater“ (Matthäus 11, 27).

Kein Mensch dies Wunder fassen kann,

kein Engel kann’s verstehen;

der Glaube schaut’s und betet an,

bewundert was geschehen.

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Gott mit uns

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1917, S. 29ff

Die Macht unseres Heilandes blieb indessen nicht bei den Dingen stehen, die sich auf dieser Erde vor den Augen der Menschen ereigneten; sie reichte und reicht darüber hinaus, bis zu den Dingen, welche der Mensch nicht zu erkennen vermag, es sei denn auf Grund einer göttlichen Offenbarung. Der Mensch sieht nur die Tür zu diesen Dingen, die schrecklichste aller Folgen der Sünde für ihn — den Tod. Denn der „Lohn der Sünde“, das für den Menschen bestimmte Gericht von Seiten Gottes, das was für ihn den „König der Schrecken“ ausmacht, ist der Tod. Und es heißt von Satan, dass er die

Macht des Todes habe. (Vergl. Hebr. 2, 14.)

Nachdem aber Jesus diesen Feind besiegt hat, hat Er jetzt auch Macht über den Tod. Das hat Er aufs

völligste geoffenbart, als Er siegreich aus dem Grabe hervorging, wohin noch mehr Seine Gnade als die Bosheit der Menschen Ihn geführt hatte. In Erwartung dieses großen Ereignisses tat Er, während Er Seinen Dienst in Galiläa ausübte, den durch den Tod angerichteten Verheerungen Abbruch.

Lukas berichtet in seinem Evangelium von drei Fällen, wo der Herr in dieser Weise ins Mittel trat. Zunächst als Antwort auf die Bitte des Hauptmanns, welcher den Juden die Synagoge gebaut hatte, und dessen wertgeschätzter Knecht „im Sterben lag“ (Kap. 7, 1 - 10). Der zweite Fall war die Auferweckung der Tochter des Jairus. Hier hatte der Tod sein Opfer schon ergriffen, so dass die Weinenden über das Ableben des Mädchens wehklagten. (Kap. 8, 49 — 56.) Drittens schritt der Herr ein, als die Witwe zu Naiv in trostloser Verzweiflung ihren eingeborenen Sohn zu seiner letzten Ruhestätte geleitete (Kap. 7, 11 — 17). Immer wieder entfaltete Jesus dieselbe Macht des Lebens zu Gunsten des Menschen, der infolge der Sünde die gewisse Beute des Todes geworden war. In dem Falle der Witwe wandte sich niemand an den Herrn, um Ihn für den Verstorbenen zu bitten. Keiner hielt das für zweckdienlich. Aber Er selbst, von Erbarmen gegen die betrübte Witwe erfüllt, kommt und sagt ihr: „Weine nicht!“ Dann berührt Er die Bahre, um sie anzuhalten, und spricht: „Jüngling, ich sage dir, stehe auf!“ Der Tote steht auf, und — welch rührende Gnade! -— Jesus „gibt ihn seiner Mutter“.

Johannes, auf dessen Mitteilungen wir noch näher zu sprechen kommen werden, berichtet von zwei Fällen eines derartigen Einschreitens des Herrn in Gnade. Der eine, im 4. Kapitel, gleicht ein wenig der Geschichte des Hauptmanns. Mit einem einzigen Wort antwortet Jesus, ohne mit dem Manne zu gehen, auf die Bitte des königlichen Beamten und erweckt bei ihm einen lebendigen Glauben, der sich auf „sein ganzes Haus“ ausdehnt- Der zweite Fall wird in Kapitel 11 erzählt. Hier offenbart sich die Macht des Sohnes Gottes nicht allein im Tode, sondern auch in der Aufhebung der ihm folgenden Verwesung. Jesus wartet, bis, von menschlichem Gesichtspunkt aus betrachtet, die leiste Hoffnung verschwunden ist und Lazarus schon vier Tage im Grabe liegt. Dann erst offenbart Er Seine Herrlichkeit, indem Er die für den entscheidenden Augenblick zurückgehaltene Erklärung abgibt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ -—

Bei einem Vergleich der Erzählung von Johannes 4 mit der Geschichte des römischen Hauptmanns in Luk. 7, 1 -— 10 tritt uns die Verschiedenheit der klar gezeichneten Charaktere der beiden Evangelien deutlich vor Augen. Ein großer Glaube erscheint in beiden; doch wird er von dem Herrn besonders in Lukas hervor- gehoben, wo bei dem Hauptmann das Gefühl von seiner persönlichen Unwürdigkeit sich mit der Anerkennung der Autorität des Herrn vereinigt, dessen Wort Gehorsam heischt. Johannes zeigt andererseits die Notwendigkeit der Bitte und die augenblickliche Wirkung des ausgesprochenen Wortes — eine große Ermunterung für christliche Eltern im Blick auf ihre Kinder.

Zu den Wundern Jesu, welche am meisten dazu dienen, die Wirksamkeit des Heiligen Geistes in Bezug auf die Errettung der Seele bildlich darzustellen, gehört wohl die Heilung des Blinden. „Die Augen auftun« bezeichnet jenes Werk der Gnade, von dem Saulus von Tarsus das göttlich erwählte Beispiel ist. (Vergl. 1. Tim. 1, 16.) Lasst uns auch Apostelgeschichte 26, 18, Kol. 1, 13 u. 2. Petr. 1, 9 mit der Zusammenfassung der Werke des Heilandes in der Stelle des Jesaja vergleichen, welche Jesus in der Synagoge zu Nazareth vorlas. (Luk. 4, 19.) Er war gesalbt worden, um „Blinden das Gesicht auszurufen“. Markus gibt uns auch ein denkwürdiges Beispiel davon, indem er eine zweite Wirksamkeit der Gnade hervorhebt. (Kap. 8, 22 -— 26). Johannes zeigt uns (Kap. 9), dass unser bejammernswerter blinder Zustand von Geburt an besteht, und dass allein das im Herzen aufgenommene und praktisch verwirklichte Wort des Herrn uns davon befreien kann.

Der Dienst des Herrn in Galiläa konnte nicht von Dauer sein. Es war nicht Seine Absicht, das verheißene Königreich in Macht aufzurichten. Als Er am See Tiberias die Armen Seines Volkes mit Brot gespeist hatte, und diese Ihn nun mit Gewalt zum König machen wollten, entwich Er ganz allein auf den Berg. (Joh. 6.) Wohl war Er derjenige, von dem geschrieben steht: ,,Habe doch ich meinen König gesalbt auf Zion, meinem heiligen Berge« (Psalm 2, 6); aber der Augenblick, wo „die Herrschaft auf Seiner Schulter ruhen wird«, war noch nicht da. Er war weder gekommen, um zu richten, noch um die verfahrenen Zustände aller Art, unter denen Sein Volk seufzte, in Ordnung zu bringen. Er war als Heiland gekommen und zeigte, was Gott, der heilige und gerechte Gott, in Gnaden mit dem Sünder zu tun vermag, was Er tun kann in einer Welt der Sünde.

Nichts kommt diesem Dienst der Gnade gleich. Es findet sich nichts Ähnliches in der ganzen Weltgeschichte. Der Herr tat Wunder in Fülle, die dem Notleidenden kundtaten, dass es für ihn eine Hilfsquelle in Gott gab, und in diesen Wundern vereinigte sich die herrliche Macht des Schöpfers mit dem vollkommenen Zartgefühl und der Liebe einer menschlichen Seele, die völlig rein war und jeder Art von Verunreinigung fern stand. Die Ihn umgebende Sünde vermochte weder die Freiheit Seiner Gedanken, noch die Behändigkeit Seines Dienstes irgendwie zu beeinflussen. Jesus, sanft und mild, ist jedermann zugänglich, immer bereit, einer ernsten Bitte zu antworten. Die Armen zu speisen, die Kranken zu heilen, die Dämonen auszutreiben, die Toten aufzuerwecken, fällt Ihm nicht schwerer, als auf dem Meere zu wandeln und Seine Jünger daselbst wandeln zu lassen, dem Sturme Einhalt zu gebieten, den Petrus in dem Maule des Fisches einen Stater finden zu lassen oder die Fische des Meeres zu sammeln, damit sie die Netze der Fischer füllen. Aber wenn man diese Wunder eingehend betrachtet, so entdeckt man in ihnen allen eine rührende Zartheit, die geradeswegs zu Herzen geht, die das Gewissen des Sünders trifft und das infolge der Sünde zaghafte und beschämte Herz gewinnt,

um es in Beziehung zu Gott zu bringen. Die den Bedürfnissen des Sünders angepasste unumschränkte Gnade Gottes erstrahlt in dem Heilande in einer Weise, wie sie niemals hienieden geschaut noch erfasst worden war, und das Herz des Menschen sieht sich durch diese in Macht geoffenbarte Gnade auf die Probe gestellt. Hat der Mensch diese Gnade gewollt?

Zwei Verse im Anfang des Evangeliums Johannes kennzeichnen die Wirkung, welche die Gegenwart des Sohnes Gottes in der durch Ihn erschaffenen Welt hatte. Sie lauten: „Er war in der Welt, und die Welt ward durch Ihn, und die Welt kannte Ihn nicht. Er kam in das Seinige, und die Seinigen nahmen Ihn nicht an“ (Kap. 1, 10. 11). Wahrlich, eine traurige Feststellung! Der Mensch wollte die Gnade nicht, so weit war sein Herz von Gott entfernt. Und hat sich dieses Herz seitdem geändert? Jedes irgendwie geübte Gewissen muss antworten: Nein.

Während Seines Dienstes hat der Herr nicht versäumt, von Seiner Verwerfung zu reden, welche tatsächlich schon bei denen zutage trat, die sich trotz der Wunder, deren Zeugen sie waren, nicht bekehren wollten. Die, welche die meisten Wunderwerke sahen, scheinen die Verhärtesten geworden zu sein. Kapernaum, wo Jesus sich oft aushielt, eine Stadt, die gleichsam der Himmel aus Erden hätte sein sollen, hatte nur noch das Gericht zu erwarten. Es wird „bis zum Hades hinabgestoßen“ werden. (Vergl. Matthäus 4, 13; 11, 23) Sein Endgericht wird schrecklicher sein, als dasjenige Sodoms.

Wie bereits gesagt, ging der Dienst der Gnade zu Ende, ohne dass er, menschlich gesprochen, viel Wirkung im Lande Galiläa gehabt hätte. Kaum drei Jahre genügten, um zu zeigen, was der Mensch war. (Vergl. Luk. 13, 7.) Und dennoch war die Gnade nicht erschöpft. Nachdem Jesus verworfen war, wird Er ein „Säemann“. Anstatt ferner Frucht an dem unsichtbaren Feigenbaum zu suchen, streut der Herr jetzt den göttlichen Samen, das Wort, aus, wobei alle die verschiedenen Hindernisse zutage treten, denen das Herz des Menschen unter dem Einfluss Satans so leicht nachgibt. Es ist nichts Gutes im Menschen, aber Jesus sät „das Wort Gottes“ in sein Herz. Da, wo es aufgenommen wird, wo es weder verdorrt noch erstickt, bringt es Frucht zur Verherrlichung Gottes und zum Nutzen des Menschen, der es aufnimmt. Wahres Verständnis des Wortes erweist sich nur an der Frucht, welche die bringen, die es aufgenommen haben. Aber um das Wort verstehen und verwirklichen zu können, muss man dem Rufe des Heilandes folgen: „Kommet her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen, und ich werde euch Ruhe geben“ (Matthäus 11, 28).

Jesus will indessen Galiläa nicht für immer verlassen, ohne Seine Jünger in den Stand gesetzt zu haben zu sagen, wer Er ist. Jene entscheidende Frage: „Wer saget ihr, dass ich bin?“ muss jedem menschlichen Gewissen auferlegt werden. Alle Wunder, so viele ihrer geschehen sind, genügen nicht, um in dem Herzen die gewünschte Antwort hervorzubringen. Es ist dazu eine Offenbarung von Seiten des Vaters nötig. Petrus empfängt diese Offenbarung und legt das daraus hervorgehende Bekenntnis ab. Dies gibt Jesu Gelegenheit, die Tatsache Seiner Verwerfung noch klarer als bisher mitzuteilen und den zweiten Teil Seines Werkes anzukündigen, der nur im Tode seinen Abschluss finden konnte. Am Kreuze endet die ganze Geschichte des Menschen. Da hat sich der Zustand seines Herzens aufs völligste geoffenbart. Er ist ein Feind Gottes.

Dasselbe Kreuz bezeichnet aber auch den Weg durch diese Welt, auf welchem der Christ Christo nachfolgen muss. Wer hat den Mut, im Hinschauen auf dieses Kreuz den Weg anzutreten? Es gehört etwas dazu! Und in der Tat, wenn es nur das Kreuz vor uns gäbe, dann wären wir, wie auch der Apostel sagt, „die elendesten von allen Menschen“ (1. Kor. 15, 19). Aber dem Tode folgt die Auferstehung, und dieser die Herrlichkeit. Die Herrlichkeit wird also als das eigentliche Ziel vor die Augen des Gläubigen gestellt. Darauf sollen seine Gedanken und seine Schritte gerichtet sein. So empfängt sein Herz Kraft, den Trübsalen der Gegenwart zu begegnen. Diese Herrlichkeit nun wollte Jesus Seinen Jüngern noch zeigen, bevor Er Galiläa verließ. Dann stieg Er von dem Berge herab und wandte sich gen Jerusalem (Luk. 9, 51).

Wir kommen damit zur letzten Reise unseres Herrn. Die Verhältnisse Seines Aufenthaltes hienieden werden andere. Er hatte sich denen als der Christus geoffenbart, welche Ohren hatten zu hören; nun geht Er hin, um das Sühnopfer zu werden, welches die Erlösung bewirkt. Ein anderer Abschnitt Seines Dienstes öffnet sich vor uns. Der Herr tut auch jetzt noch einige Wunder, Zeichen Seiner Macht, aber es handelt sich doch nicht mehr so sehr darum, sie zu tun, als vielmehr um die Offenbarung des Herzens Dessen, der sich auf dem Wege zum Kreuz befindet. Er lüftet den Schleier, der uns hindert zu sehen, was Gott ist, und zeigt uns die Freude, welche Gott darin findet, Gnade zu üben. Der von den Menschen verworfene, von Gott verherrlichte und als der Sohn Seiner Wonne anerkannte Jesus zeigt uns, wie weit diese Gnade geht und wie sie handelt.

Drei Dinge kennzeichnen diese Reise, welcher nicht weniger als zehn Kapitel im Evangelium des Lukas (Kap. 10 - 19) gewidmet sind:

1) Jesus ist von den Seinen verworfen.

2) Er verkündigt den Frieden allen ohne Unterschied. (Luk. 10, 5; vergl. auch Eph. 2, 17).

3) Er will, dass man Ihn erwarte, deswegen bestellt

Er siebzig Boten, welche Sein baldiges Kommen anzeigen sollen (Luk. 10, 1).

Diese drei Dinge kennzeichnen in Wirklichkeit auch das Evangelium, das Paulus gepredigt hat. Er bringt es den Heiden, die nichts von den Schriften kannten, und das Ergebnis war so gesegnet, dass alle, welche Zeugen davon waren, aufs höchste erstaunten (Vergl. 1. Thess. 1, 8 — 10; 2, 13).

Das ins Herz ausgenommene Wort brachte seine Wirkung hervor. Die Neubekehrten erwarteten den

Sohn Gottes aus dem Himmel.

Wie immer, widersteht das Herz des Menschen der Gnade. Der erste, der in dieser Hinsicht von sich reden macht, ist ein Gesetzlehrer, welcher, weit davon entfernt, sich als schlecht zu erkennen, die Bedingungen wissen will, unter denen er das ewige Leben ererben kann. Das Gesetz hatte ihm gesagt, dass er seinen Nächsten lieben solle. Der Herr zeigt ihm nun „einen Nächsten“, welcher liebte, „einen Nächsten“, den der Gelehrte nicht einmal zu unterscheiden vermochte. Jesus war gekommen, um den Menschen aus seinem Elend zu befreien, da auch der bestgestellte Mensch „kraftlos“ ist, unfähig, sich selbst zu helfen. „Unter Räuber gefallen“, bleibt er „halbtot“ liegen. Wenn er seinen Zustand nur anerkennen wollte, würde er unfehlbar die Gnade finden, die sich ganz nahe zu ihm herabgeneigt hat.

Ach! der Mensch ist aber mehr als kraftlos, er ist ein „Feind Gottes“ (Vergl. Römer 5, 6 - 10). Jesus zeigt das in vollkommener Gnade und in einer so zarten Weise, dass sie den Sünder mit Macht zu Ihm

zieht. Gott macht ein „großes Abendmahl“; aber die Geladenen, die Bevorzugten, die dieses Fest hätten genießen sollen, wollen nicht kommen. Trotzdem bleibt das Haus offen, und das Abendmahl findet statt, damit die Elendesten den Nutzen davon haben.

Der Mensch ist verloren wie ein verirrtes Schaf. Der Heiland aber nimmt es- auf Seine eigenen Schultern, um es bei sich in Seinem Hause zu haben.

Ein selbstsüchtiger, ausschweifender Mensch, der am Ende seiner Hilfsquellen angekommen ist, kehrt

entehrt, elend und zitternd nach Hause zurück. Sein Vater läuft ihm entgegen und küsst ihn, ohne ihm Zeit zu lassen, vorher sein: „Ich habe gesündigt!“ auszusprechen. Dann, nachdem er ihn in seine Arme genommen hat, befiehlt er, dass der Heimgekehrte entsprechend angetan werde, um im Hause wohnen zu können, wo ein großes Fest stattfinden soll, weil „der Verlorene gefunden worden ist“.

Jesus kennt alle Geheimnisse der Gnade. Wer kann sie aussprechen wie Er? Möchten wir alle an Seinen Lippen hangen, während Er uns zeigt, wie Gott nicht nach den Verdiensten handelt, die wir zu haben meinen, sondern der Liebe gemäß, welche in Seinem Herzen ist. Und der Gegenstand dieser wunderbaren Gnade ist der verderbte Mensch, der Sklave Satans!

In dem „verlorenen Schaf“ des Gleichnisses erkennt man den Räuber am Kreuz. In ihm sieht man, dass der Zustand des Sünders nicht allein schlecht ist vom Standpunkt jeder menschlichen und religiösen Gesellschaft aus, sondern dass er sich auch unter dem Gericht befindet, und dass, sollte er von ihm befreit werden, der Heiland selbst ans Kreuz erhöht werden musste.

Wer vermag uns all die Geheimnisse des Kreuzesweges kundzutun? Nur Er, der ans Kreuz gegangen ist, der allein wusste, was Seiner wartete, vermag die Tiefen und Reichtümer der Gnade zu entschleiern, deren der Sünder bedarf, selbst wenn dieser keine Erkenntnis hat über seinen Zustand und das ihm dargebotene Heil.

Schon im täglichen Leben ist es so, dass die Gleichgültigkeit ein liebendes Herz bricht. Und die Welt ist voll von dieser Gleichgültigkeit Gott gegenüber. Das Kreuz Christi ist der Beweis davon. Dieses Kreuz zeigt uns, was der Mensch ist. Aber es zeigt uns auch, was Gott ist, was Er ist zu Gunsten des Sünders. Der Weg, der dahin führt, ist derselbe, welchen der Christ gehen muss, wenn er seinem Herrn nachfolgen will. Er heißt: sein eignes Leben hassen und es verlieren, anstatt es sich angenehm zu gestalten. Man wird aber dabei aufrecht gehalten durch die Liebe des Herrn und durch die Herrlichkeit, welche ihr von Seiten Gottes entspricht. „Christus in uns, die Hoffnung der Herrlichkeit“, das ist der Inbegriff des Evangeliums, welches Paulus verkündigte (Kol. 1, 27). Die Menschen möchten stets den ersten Platz haben und machen alle Anstrengungen, um ihn zu erlangen. Christus dagegen nahm den letzten Platz ein, indem Er Sein Leben gab als Lösegeld für viele. Indem man Ihm

nun folgt, lernt man Ihn kennen.

Um uns die Bedeutung des Wortes: „Gott, geoffenbart im Fleische“, verstehen zu lassen, war ein besonderes Evangelium erforderlich, das des Johannes. Dieses Buch ist geschrieben worden, damit wir glauben möchten, „dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und auf dass wir glaubend Leben haben möchten in Seinem Namen“ (Joh. 20, 31). Wenn wir dieses Buch auch nur ganz kurz durchgehen würden, würde es uns doch weit über den Rahmen dieser Abhandlung hinausführen, die nur eine kurze Aufzählung der wunderbaren Taten aus dem Leben Jesu sein soll. Wir beschränken uns daher daraus, den besonderen Charakter der Wunder anzudeuten, die wir bei Johannes finden, und die sich meist von denen unterscheiden, welche uns von Matthäus, Markus und Lukas berichtet werden.

Johannes lässt uns Gott in der Person des Sohnes sehen. Mit anderen Worten: Christus ist die Offenbarung des Vaters, und infolge dessen findet man hier die Beziehung, welche zwischen dem Vater und dem Sohne besteht. Diese „Herrlichkeit“ ist „mitten unter uns“ geoffenbart worden. „Niemand hat Gott jemals gesehen; der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat Ihn kundgemacht“ (Joh. 1, 14. 18). Niemand konnte diese Offenbarung geben als nur der Sohn. Wenn daher jemand sie empfängt, so erkennt er den Vater; er „hat den Vater gesehen“ (Kap. 14, 7 - 11). Jesu Worte bekundeten, was Er war, Seine mächtigen Werke stellten es ans Licht.

Wie um die Schrift zu bestätigen, welche besagt, dass Seine „Wonne bei den Menschenkindern war“ (Sprüche 8, 31), beginnt Jesus damit, das Reinigungswasser, welches zuerst nicht in den beim Hochzeitsfest als Zierstücke dienenden Krügen vorhanden war, für die Armen zu Kana in Wein zu verwandeln. Und nach dem Zeugnis urteilsfähiger Leute war der Wein gut. Auf diese Weise offenbarte Jesus Seine Herrlichkeit, ohne Aufhebens davon zu machen, ohne irgendwelchen Prunk; und Seine Jünger glaubten an Ihn. Das war der Glaube, den Er immer suchte, ein lebendiger Glaube, der aus Seinem schöpferischen Worte hervorging, und der in Wirklichkeit eine ewige Beziehung zwischen den Gläubigen und Gott herstellte.

Ein zweites Wunder fand ebenfalls in Kana statt. Durch ein einziges Wort wird ein krankes Kind seinem Vater wiedergegeben, und der königliche Beamte aus Kapernaum „glaubte, er und sein ganzes Haus“. Glaube und Leben, das ist das beständige Thema des Evangeliums nach Johannes.

Der seit 38 Jahren kranke Mensch, welcher ohne Hoffnung am. Teiche Bethesda lag, hört fast wider seinen Willen auf das mächtige Wort: „Nimm dein Bett auf und wandle“. Beim Davongehen hat er Zeit, sich über das Wunder Rechenschaft zu geben, dessen Gegenstand er gewesen ist.

So gehorcht auch der Blindgeborene dem an ihn gerichteten Wort, und ohne jemals Jesum gesehen zu haben, erfährt er am Teiche zu Siloam, was es heißt, zu sehen. Durch die eifersüchtigen Pharisäer dazu getrieben, wird er zu der Bemerkung gezwungen, dass es „von Ewigkeit her nicht erhört sei, dass jemand die Augen eines Blindgeborenen aufgetan habe“. Dieses Wunder übertrifft alle anderen Fälle von Blindenheilung. Sein Zweck ist doppelter Art. Einerseits wollte Jesus zeigen, was „die Werke Gottes« zu Gunsten der Notleidenden waren, andererseits wollte Er, das; der Blindgeborene „den Sohn Gottes“ sehen und erkennen möchte (Kap. 9, 3. 37). Der Mensch glaubt und wirft sich vor Jesu nieder.

Schließlich, bei der Auferweckung des Lazarus, sieht man, dass die Verwesung des Leibes nicht die Erfüllung des mächtigen Wortes verhindern kann: „Lazarus, komm herauf!“ Es ist dies ein Hinweis darauf, was mit all den „entschlafenen“ und begrabenen Heiligen geschehen wird, während die, welche beim Kommen des Herrn noch leben, in demselben Augenblick „verwandelt“ werden. (Vergl. 1.Korinther 15, 51 - 55; 1. Thess. 4, 13 - 18). Jesus sagt: „Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist; und jeder, der da lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit“. Beachten wir in den Kapiteln 9 -— 11 die drei bemerkenswertesten Beweise der Macht Jesu. Erstens gibt Er dem Blindgeborenen das Gesicht. Zweitens hat Er die Macht, Sein eigenes Leben zu lassen und es wieder zunehmen (Kap. 10,17. 18). Und drittens ruft Er einen Menschen ins Leben zurück, der bereits die Verwesung gesehen hatte.

Hierbei hört die Volksmenge am Grabe des Lazarus die Stimme des Sohnes, wie Er sich an den Vater wendet; dann, im folgenden Kapitel, antwortet der Vater dem Sohne, und Jesus sagt ihnen: „Nicht um meinetwillen ist diese Stimme geschehen, sondern um euretwillen“ (Vergl. Kap. 11, 42 mit 12, 30).

Überall ist es Gott, der sich offenbart. Der Vater gibt sich in der Herrlichkeit des Sohnes zu erkennen, und zwar damit wir, die Glaubenden, das Leben haben möchten „in Seinem Namen“. Heute ist „!der Tag des Heils“; später kommt das Gericht. Dann werden, wie es im Garten Gethsemane auf das Wort „Ich bin’s“ geschah, alle Feinde zurückweichen und zu Boden fallen. (Kap. 18, 6). O möchten doch alle den Tag der Gnade benutzen, so lange er noch währt!

Wenn wir an all die Wunder Jesu denken, an Sein Lehren, an die Mühe, die Er sich gab, um leidende Unglückliche aufzusuchen, an die Sorge, mit welcher Er die Ursache alles Übels, die Sünde, aufzudecken trachtete, damit sie vergeben werden könne, dann wird unser Herz tief ergriffen. Wir verstehen, dass Der, welcher „Lust hat an der Wahrheit im Innern“ (Ps. 51, 6), die Gnade Gottes auf die Erde herabgebracht hat. Maria Magdalena, von welcher der Herr sieben Dämonen ausgetrieben hatte, konnte Christum nicht entbehren. Sie will Sein Grab nicht verlassen, ehe sie Ihn gesehen hat, und Jesus kommt ihrem Wunsch entgegen und befriedigt das Bedürfnis ihres Herzens. Er, der gute Hirte der Schafe, ruft sie mit ihrem Namen. Gewiss, wenn wir all die bekannten und unbekannten Sünder und Unglücklichen, nachdem sie die Gnade des Herrn geschmeckt, hätten fragen können, sie würden wie Petrus gerufen haben: „Er ist der Sohn des lebendigen Gottes“. Immanuel, Gott mit uns! Ja, wenn kein Mensch so sprechen würde, dann würden, wie der Herr selbst sagt, die Steine am Wege schreien! (Luk. 19, 40). Sie würden es kundtun, was Er ist.

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Unser nötiges Brot

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1917, S. 44ff

Zu den vielen Kümmernissen, die der Weltkrieg mit sich bringt, gesellt sich für die im Lande Bleiben den die Sorge um das tägliche Brot. Wenn diese nun auch das Gemüt lange nicht so schwer bedrückt wie das Bangen um das Wohl und Wehe unserer Lieben im Felde, so bringt sie es doch fertig: dem einen oder anderen seine Herzensruhe zu rauben. Große Sorgen treiben in die Nähe des Herrn, rufen heißes Beten und Flehen in uns wach; kleinere Sorgen dagegen, wie die Furcht vor Nahrungemangel, vor Entbehrungen in der Haushaltung, haben seltener eine Stimme für unser Gewissen, sie treiben uns nicht so zum ernsten Nachdenken darüber, was Gott uns mit dieser Heimsuchung sagen will. Dass alle großen Ereignisse in der Welt nach Gottes Willen geschehen und zum Guten derer, die Gott lieben, mitwirken sollen, ist uns ziemlich geläufig. Dass aber auch die unbedeutenden Einzelheiten des Lebens unmittelbar aus der Hand Gottes kommen und Seiner treuen Vatersorge für uns entspringen, beachten wir weniger.

Der heute drohenden Brotfrage darf der Gläubige im allgemeinen ja viel sorgloser gegenüberstehen, als der Mensch ohne Gott. Dieser setzt sein Vertrauen auf Geld und Besitz, aus Regierungshilfe und staatliche Einrichtungen; er glaubt in seinem Hochmut, dass sein Lebensunterhalt allein von seiner eigenen Anstrengung und Geschicklichkeit abhänge, und dankt sich selbst dafür, statt dem Geber aller guten Gaben. Anders dagegen der Christ. Er hat es mit einem Gott zu tun, der ihn „nicht versäumen, noch verlassen« will (Hebr.13, 5), und mit einem Vater, der, wie der Herr Jesus sagt, „weiß, was er bedarf, ehe er Ihn bittet“. (Matth. 6, 8). Und er darf Ihn im Vertrauen um alles bitten; wird er doch durch Sein Wort dazu aufgefordert: „Rufe zu mir, und ich will dir antworten“(Jer. 33, 3).

Unser Gott und Vater ist immer bereit zu helfen, ob wir. dringende oder geringfügige Not, ob wir große oder kleine Sorgen im Gebet vor Ihn bringen. Denn was heißt große Not für einen Gott, der so mächtig ist, „dass Völker von Ihm geachtet werden wie ein Tropfen am Eimer und wie ein Sandkorn auf der Waagschale“? (Jes. 40, 15.) Und kann eine Sorge so klein sein, dass sie nicht Beachtung finden sollte bei Ihm, der „die Haare unseres Hauptes alle gezählt hat“ (Matthäus 10, 30), und der „Sein Volk behütet wie Seinen Augapfel“? (5. Mose 32, 10). In der Gewissheit des Glaubens können wir mit König Asa beten: „Um zu helfen ist bei dir kein Unterschied zwischen dem Mächtigen und dem Kraftlosen“ (2.Chron.14, 11), und können mit Jonathan sprechen: „Für Jehova gibt es kein Hindernis, durch viele zu retten oder durch wenige“ (1. Sam. 14, 6).

Trotzdem ziehen wir es so oft vor, uns mit unseren Sorgen lange herumzuschlagen und uns mit eigener Kraft zu helfen, statt uns gleich an die wahre Hilfsquelle zu wenden. Vielleicht trifft auch manchen von uns ein Teil des Vorwurfs, den Jehova einst Seinem Volke Israel machen musste: „Ein Ochse kennt seinen Besitzer, und ein Esel die Krippe seines Herrn; Israel hat keine Erkenntnis, mein Volk hat kein Verständnis“ (Jes. 1, 3).

Alles was wir hier erleben, die großen und die kleinen Ereignisse auf dem Wege, will Gott zu unserer Erziehung benutzen. So hat Er auch heute jedem Seiner Kinder etwas damit zu sagen, wenn Er ihm, wie man zu reden pflegt, den Brotkorb höher gehängt hat. Es mag sein, dass wir Seine Absichten jetzt noch nicht klar verstehen; es kommt aber gewiss die Zeit, wo wir erkennen werden, was Gott durch den Propheten Hesekiel Seinem Volke sagen ließ: „Ihr werdet erkennen, dass ich nicht ohne Ursache alles getan, was ich getan habe“ (Hesekiel 14, 23).

Als Jehova die Kinder Israel durch die Wüste führte, „ließ Er sie hungern und speiste sie mit Man, um ihnen kundzutun, dass der Mensch nicht allein vom Brote lebe, sondern dass er von allem lebe, was aus dem Munde Jehovas hervorgeht“ (5. Mose 8, 3). Wir ersehen daraus, dass wir in erster Linie nicht von dem Brote, dem Ertrage des Feldes, leben, dass wir überhaupt nicht von dem leben, was unsere Hände erarbeitet haben. Gott sorgt für uns. Natürlich dürfen wir deshalb nicht einfach dahinträumen oder faulenzen; nein, wir sollen arbeiten. Aber wir arbeiten nicht, um Geld für die Zukunft zu sammeln, oder damit wir immer zu essen und zu trinken haben -— das ist nicht der Grund —, sondern weil wir treu erfunden werden möchten vor unserem Gott, der uns in Seinem Worte sagt: „Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen“ (2. Thess. 3, 10.) Die eigentliche Frage unseres Lebensunterhalts für Gegenwart und Zukunft ist durchaus nicht an unsere Arbeit oder unseren Erwerb gebunden Wir erfahren das, sobald der Herr uns den Erwerb nimmt oder uns arbeitsunfähig werden lässt. Wir leben von jedem Worte, das aus dem Munde Gottes hervorgeht. Es liegt nicht am Sammeln und Anhäufen irdischer Güter, nicht an unserem Sorgen und Wirken. Gott gibt jedem so viel, wie nach Seiner Weisheit für den Menschen gut ist. „Die Kinder Israel sammelten das Man; der viel und der wenig. Und sie maßen mit dem Ghomer. Da hatte, der viel gesammelt hatte, nicht übrig, und wer wenig gesammelt hatte, dem mangelte nicht. Sie hatten gesammelt, ein jeder nach dem Maße seines Essens“ (2. Mose 16, 17. 18). Darum, wenn wir nicht so viel gesammelt haben, wie wir gern möchten, ist es töricht, andere zu beneiden, die mehr haben als wir. Lege nur ruhig deine Sache in Gottes Hand, und du wirst später einsehen, dass Gott dir genau das gegeben hat, was gut und nötig für dich war; nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Trotz dieser Wahrheit bleibt sorgsames Sparen unsere dauernde Pflicht. Der Besitz an und für sich —-

wenn redlich erworben ist ja nicht verwerflich, sondern nur die untreue Verwaltung oder gar gottlose Verwendung des Besitzes, ob nun Geiz oder Selbst- und Verschwendungssucht die Ursache sein mögen. Doch der Sparende möge einerseits beachten, dass ein wichtiger Zweck der Arbeit der ist, „dem Dürftigen mitteilen zu können“ (Eph. 4, 28), und andererseits, dass „kein Habsüchtiger ein Erbteil hat in dem Reiche Christi und Gottes (Eph. 5, 5). Wenn auch immer der Grundsatz in unserem Leben bestehen bleibt: „Die Hand des Fleißigen macht reich“, und „wer im Sommer einsammelt, ist ein einsichtsvoller Sohn“ (Spr. 10, 4. 5), so dürfen wir doch nicht vergessen, dass Gott der alleinige Geber ist und wir die ganz und gar von Ihm abhängigen Empfänger. „Der Segen Jehovas, er macht reich, und Anstrengung fügt neben ihm nichts hinzu“ (Spr.10,22).

Der Herr lehrt uns durch die heutige Nahrungsmittelnot, dass wir aus Seiner Hand, in völliger Abhängigkeit von Ihm leben. Zugleich erinnert Er uns an den Gehorsam, den wir Ihm schuldig sind. Jehova gab Seinem Volke das Gebot, „den täglichen Bedarf an seinem Tage zu sammeln, damit Er es

versuche, ob es wandeln werde in Seinem Gesetz oder nicht“ (2. Mose 16, 4). Gleicherweise sind wir aufgefordert, alle unsere Anliegen in Unterwürfigkeit und Vertrauen vor Gott zu bringen und zu beten: „Unser nötiges (oder tägliches) Brot gib uns heute!“

Was heißt: nötiges oder tägliches Brot? Nun, das ist das Brot, das wir für jeden Tag unseres Lebens bedürfen —- nicht das Brot, das unser Magen, unser vielleicht verwöhnter Gaumen begehrt, sondern das Brot, das uns beschieden ist, welches Gott als für uns angebracht erachtet. Um dieses Brot betete Agur, der Sohn Jakes: „Armut und Reichtum gib mir nicht, speise mich mit dem mir beschiedenen Brote“ (Spr. 30, 8). Und nur um dieses Brot sollen auch wir bitten, nicht um das, was uns notwendig, dünkt. Gott kümmert sich nicht um die Begehrlichkeit unseres Sinnes. Wir sollten deshalb mehr darüber nachdenken, was wirklich zum Leben notwendig ist. Es ist sicher, dass wir ohne Schaden manche Lebensgenüsse entbehren können, ja, dass es sogar für viele unter uns gut wäre, von der einen und anderen Gewohnheit in ihrer Lebensweise losgelöst und entwöhnt zu werden. Wir werden nicht umsonst ermahnt: »Die Gottseligkeit mit Genügsamkeit ist ein großer Gewinn; denn wir haben nichts in die Welt hereingebracht, so ist es offenbar, dass wir auch nichts hinausbringen können. Wenn wir aber Nahrung und Bedeckung haben, so wollen wir uns da- ran genügen lassen“ (1. Tim. 6, 6 — 8).

Gott wünscht, dass wir dieses uns beschiedene Brot an jedem Tage neu erbitten und alle Sorge für die Zukunft Ihm überlassen. Wir haben um dieses Brot im Glauben zu bitten, unbekümmert darum, ob

unsere Keller und Speicher voll Lebensmittel sind, oder ob kein Brot mehr im Schranke und kein Öl mehr im Kruge ist. Dieses Gebet muss der Ausdruck unseres Vertrauens sein, dass Gott unsere Bedürfnisse kennt und sie befriedigen wird. Wir können umso ruhiger in diesem Geiste beten, weil wir Gottes Zusage in vielen Stellen des Wortes besitzen. Die Jehova fürchten und auf Seine Güte harren, werden am Leben erhalten in Hungersnot. (Ps. 33, 18. 19). Ihr Brot wird ihnen dargereicht, ihr Wasser versiegt nie (Jes. 33, 16).“ In der Zeit des Übels und in den Tagen des Hungers“, sagt David, „werden sie gesättigt werden“; und: „Ich war jung und bin auch alt geworden, und nie sah ich den Gerechten verlassen, noch seinen Samen nach Brot gehen“ (Ps. 37, 19. 25).

So lauten die Zusagen Gottes, und wie viele herrliche Beweise von Seiner Liebe und Macht, um den Seinigen in Zeiten der Not zu helfen, finden wir in Seinem Worte! Denken wir nur an die geängstigte Witwe, die sich in ihrem Kummer zu Elisa, dem Manne Gottes, flüchtete. Das Öl hörte erst auf zu fließen, als kein leeres Gefäß mehr aufzutreiben war, um es aufzunehmen. (2. Könige 4.) Denken wir auch an Elia, wie Gott sich seiner annahm! Wer hätte glauben können, dass der große Gott einen Kuchen bereiten und denselben mit gefülltem Wasserkrug durch einen Engel an Seinen entmutigten Knecht senden würde! Und Elias stillte nicht allein seinen augenblicklichen Hunger, sondern Gott sorgte auch für seinen Unterhalt auf dem Wege, dessen Bedürfnisse Er voraussah. Der Prophet aß und trank, was Gott ihm gab, und „ging in der Kraft dieser Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis an den Berg Gottes, den Horeb“ (1. Kön. 19. 8).

Und wie rührend sorgte unser Gott für den vielgeprüften Propheten Jeremia! Sein Leben war vor den vielen und mächtigen Feinden gesichert, und auch sein täglich Brot mangelte ihm nicht. Selbst als er im Gefängnishofe war, dachte Gott an ihn. „Man gab ihm täglich einen Laib Brot aus der Bäckerstraße, bis alles Brot in der Stadt aufgezehrt war“ (Jer. 37, 21). Und das nicht genug; als Jeremia nach Eroberung der Stadt gefangen nach Babylon geführt werden sollte, wurde er von seinen Ketten befreit und durfte hingeben, wohin er wollte. Er entschied sich für Mizpa, um dort mit dem zurückgebliebenen Teile seines Volkes zu wohnen, und da, so lesen wir, „gab ihm der Oberste der Trabanten Zehrung mit auf seinen Weg“ (Jer. 40, 5).

So handelt Gott mit Seinen Kindern in den Zeiten der Not. Darum, weg mit aller Sorge, mit den ungläubigen Fragen: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? — sie sind der Kinder eines solchen Vaters unwürdig -—, und auch weg mit unserer Neigung, Lebensmittelvorräte zu sammeln, Vorsorge zu treffen auf Wochen und Monate hinaus — sie schadet gleichfalls unserem Zeugnis in der Welt! Lasst uns nur vertrauensvoll jeden Morgen beten: „Unser nötiges Brot gib uns heute!“

Das ist ein Gebet, das Gott täglich aus unsere Lippen legt, und, wie ein anderer Schreiber sagt, „ein solches, von Gott kommendes Gebet steigt zu Gott empor mit der Gewissheit der Erhörung.“

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Friede! Friede!

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1917, S. 51ff

„Wenn sie sagen: Friede und Sicherheit! Dann kommt ein plötzliches Verderben über sie; . . . und sie

werden nicht entfliehen“ (1. Thess. 5, 3).

Noch während der gegenwärtige furchtbare Völkerkrieg tobt und die Kriegsgeisel in einer nie dagewesenen Härte und Schrecklichkeit Jammer, Elend, Tod und Verderben unter den christlichen Völkern Europas verbreitet, zu einer Zeit also, wo die Grundfesten des Christentums völlig erschüttert worden sind, spricht man in der ganzen Welt von der nahen Zeit eines unerschütterlichen Völkerfriedens. Dass das Sehnen der durch Hass und Streit zerfleischten, - aus tausend Wunden blutenden Menschheit dahin geht, ist verständlich. Es war schon so Jahre vor diesem gewaltigen Kriege, als man, erschreckt durch die furchtbaren Kriegsrüstungen der einzelnen Völker, die inzwischen eingetretene Katastrophe herannahen fühlte. Man bildete die sogenannte „Friedensgesellschaft«, welche die schwierige Frage eines dauernden Friedens auf Erden lösen sollte. Mit welchem Erfolg diese Gesellschaft gearbeitet hat, haben wir gesehen. Gerade ihre Hauptvertreter, die Großmächte Europas, die im eigens dafür erbauten Haager Friedenspalast an gemeinsamer Friedenstafel tagten, sind die Hauptbeteiligten an diesem Kriege, ja, sind deren Urheber! Ungeahnter Hass, unerhörte Feindschaft haben über Nacht ihre Herzen entflammt. Mit Bestürzung und Schrecken sieht die ganze Welt diesem entsetzlichen Schauspiel zu, und alle sind sich darüber einig, dass ein derartiges Unheil, wenn einmal beendet, nie wiederkehren dürfe.

Man greift aufs neue zu dem alten Mittel, sucht, wenn auch in etwas veränderter Form, zunächst von unbeteiligter Seite aus, einen Völkerfriedensbund zustande zu bringen, und erfreut sich bereits in der Aussicht auf einen diesmal unausbleiblichen Erfolg. So hofft man, wie vor einigen Jahren ein begeisterter Anhänger der in Trümmer gegangenen „Friedensgesellschaft“ vor einer Volksversammlung ausführte, die Welt in einen Zustand des Friedens zu versetzen, wo die Menschen „ihre Schwerter zu Pflugmessern schmieden werden und ihre Speere zu Winzermessern“, wo „nicht Nation wider Nation das Schwert erheben wird, und sie den Krieg nicht mehr lernen werden“ (Micha 4, 3).

Doch wie jener Redner damals, so versteht man auch heute nicht, was Gottes Wort in Bezug aus die „letzten Tage“ und die „schweren Zeiten“ sagt. Man übersieht ganz die Prophezeiung Joels, die derjenigen Michas vorausgeht: „Rufet dieses aus unter den Nationen, heiliget einen Krieg, erwecket die Helden; es sollen herankommen und herausziehen alle Kriegsmänner! Schmiedet eure Pflugmesser zu Schwertern und eure Winzermesser zu Speeren!“ (Joel 3, 9. 10).

Gerade das Gegenteil von dem, was man hofft, wird also eintreten. Und damit stimmt auch unser Schriftwort überein: „Wenn sie (d. h. die Menschen) sagen: Friede und Sicherheit! dann kommt ein plötzliches Verderben über sie, . . . und sie werden nicht entfliehen“. Ob diese Zeit mit dem Ende des gegenwärtigen Krieges oder bald nachher eintreten wird, muss dahingestellt bleiben. Sicher ist sie nicht fern; und jedenfalls sehen wir, dass die Gedanken der Menschen den Gedanken Gottes widersprechen. Nicht eher wird der Ruf „Friede auf Erden!“ zur Wahrheit werden, als bis die in Matthäus 24, Offbg. 6 — 18 und vielen anderen Schriftstellen vorhergesagten Gerichte vollzogen sind,

und Christus die Herrschaft aus Erden angetreten hat. Dann allerdings wird „Fülle von Frieden“ sein (Ps. 72, 7), unter dem Zepter des „Friedensfürsten“ wird der Friede kein Ende haben (Jes. 9, 6. 7). Aber bis dahin ist kein beständiger Friede zu erwarten. Die Menschen haben einst ihr Urteil selbst gefällt, indem sie die Herrschast des Herrn der Herrlichkeit verwarfen und Ihn ans Kreuz nagelten. Aber Er wird, „Er muss herrschen“, und deshalb wird Er bei Seiner Erscheinung „in Macht und Herrlichkeit“ Sein Reich mit siegender Gewalt einnehmen, d« h. auf dem Wege furchtbarer Gerichte. Der Friedensruf, der heute ertönt, ist also ein falscher Ruf. Der wahre, schriftgemäße Ruf in unseren Tagen lautet: „Siehe, der Bräutigam!“ (Vergl. Matth. 25, 1 — 13, u. 1. Thess. 4, 16. 17). Ehe der Tag des Gerichts anbricht, ehe „die Sonne der Gerechtigkeit“ aufgeht, wird der helle, glänzende Morgenstern erscheinen. Auf diesen glückseligen Augenblick der Wiederkunft ihres Herrn warten die Christen. Er wird den Endereignissen vorausgehen. (Offbg. 3, 10. u. a. St.) Hernach wird dann das plötzliche Verderben über alle diejenigen hereinbrechen, die „keine Hoffnung haben“, die also bei dem Kommen des Herrn zur Entrückung Seiner Braut zurückgelassen werden; und zwar wird das geschehen „bei der Offenbarung des Herrn Jesus vom Himmel mit den Engeln Seiner Macht, in flammendem Feuer, wenn Er Vergeltung gibt denen, die Gott nicht kennen, und denen, die dem Evangelium unseres Herrn Jesus Christus nicht gehorchen; welche Strafe leiden werden, ewiges Verderben vom Angesicht des Herrn und von der Herrlichkeit Seiner Stärke“ (2. Thess. 1, 7 -— 9).

Es wird den Menschen dann ergehen wie zur Zeit der großen Flut, wie geschrieben steht: „Gleichwie die Tage Noahs waren, also wird auch die Ankunft des Sohnes des Menschen fein. Denn gleichwie sie in den Tagen vor der Flut waren: sie saßen und tranken, sie heirateten und verheirateten, bis zu dem Tage, da Noah in die Arche ging, und sie es nicht erkannten, bis die Flut kam und alle wegraffte“ (Matth. 24, 27 — 39); oder wie jenem Bergmann, der eines Morgens wie gewöhnlich in den Schacht hinabstieg und, nachdem er mit einem Kameraden den Stollen genau untersucht und alles in bester Ordnung gefunden hatte, im Gefühl der Sicherheit zur Picke griff. Doch bei dem ersten Schlag brach das Gestein über ihm zusammen und zerschmetterte ihn auf der Stelle. Er hatte gemeint sicher zu sein, aber plötzlich kam das Verderben über ihn.

Also noch einmal, der -Friedensruf, der von Seiten der ungläubigen Welt erschallt, ist falsch, ist ein trügerischer Ruf. Aber neben ihm gibt es einen wahren Ruf „Friede“, und das ist der Friede, den Christus am Kreuze gemacht hat durch Sein Blut, der zunächst von Ihm selbst und dann von Seinen Boten verkündigt worden ist, „der Friede mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus, . . . welcher unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden ist«. (Röm. 5, 1 u. 4, 25.) Christus hat diesen Frieden gemacht für alle, für Nahe und Ferne, für Juden, Heiden und Namenchristen. Er ist gestorben, um den Menschen mit Gott zu versöhnen. Er, der Gerechte, hat für die Ungerechten gelitten, auf dass Er sie zu Gott führe. Und wer da will, darf von diesem Heil Gebrauch machen, kann Frieden finden. Jeder, der das Wort des Sohnes Gottes hört und Dem glaubt, der Ihn gesandt hat, „hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern er ist aus dem Tode in das Leben übergegangen“ (Joh. 5, 24). „Friede, tief wie ein Strom“ (Jes. 66, 12), durchflutet die Herzen der Glaubenden. Sie warten nicht auf eine nähere oder fernere Zukunft, um dann Frieden zu finden, nein, sie besitzen ihn jetzt schon, diesen wunderbaren Frieden, der ihre Herzen glücklich und getrost macht, mag um sie her vorgehen was da will. Dieser Friede ist ihr gegenwärtiges und bleibendes Gut. Und was die Zukunft betrifft, so werden sie bewahrt vor dem „plötzlichen Verderben«, das über alle hereinbricht, die auf der Erde wohnen. Denn bevor es kommt, werden sie in Sicherheit gebracht werden von und bei dem Herrn selbst.

Besitzest du diesen Frieden, teurer Leser? Wenn nicht, dann nimm heute, am Tage des Heils, Jesum als deinen Heiland an, damit du nicht unter denen gefunden werdest, über die „ihr Schrecken kommen

wird wie ein Unwetter und ihr Unglück wie ein Sturm“. Verschmähe nicht die Zucht des Herrn, die in den gegenwärtigen Zeitumständen auch für dich liegt, sondern erwähle Seine Furcht und nimm an Seinen Rat! (Spr. 1, 27 - 30).

Ich bin gekannt von den Meinen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1917 S. 56ff

Wie köstlich ist’s, zu wandeln

mit Jesu ein und aus!

Er leitet Seine Schäflein

getreu ins Vaterhaus.

Nichts kann mich jemals reißen

aus Seiner starken Hand,

Stets hält mich fest und sicher

der Liebe ew’ges Band.

Sollt’ alles hier auch schwinden,

worauf ich einst vertraut,

und selbst der Freund mich lassen,

auf den ich fest gebaut —

Ich weiß, mein Heiland-Jesus

hält, was Sein Mund verspricht,

trotz Welt, trotz Tod und Teufel

lässt Er mich ewig nicht.

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Sündenvergebung

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1917, S. 57ff

1.

Alle Vergebung gründet sich auf das Werk des Herrn Jesus. Aber es ist wichtig, zu unterscheiden zwischen der Vergebung, die uns ein für allemal von allen unseren Sünden vor Gott gereinigt hat, durch die wir gerechtfertigt sind und Frieden mit Gott haben, und der Vergebung, deren wir, die Gewissheit unserer ewigen Errettung vorausgesetzt, immer wieder auf dem Wege bedürfen.

Ohne das Werk Christi konnte ein heiliger und gerechter Gott, ein Gott der Wahrheit, in dem Menschen nur das sehen, was er in Wirklichkeit ist, nämlich ein schuldiger Sünder, der nach seinen Werken gerichtet werden muss. Und wir wissen von vornherein aus dem Worte Gottes, dass da „kein Gerechter ist, auch nicht einer“. Die Liebe Gottes, so groß sie ist, — und Er hat für uns Seinen eigenen Sohn nicht verschont! —- konnte nicht sagen, dass die Sünde nicht Sünde sei. Unmöglich konnte Gott Bösem und Gutem gleichgültig gegenüberstehen. „Er ist Licht, und keine Finsternis ist in Ihm.“ Er kann sich selber nie verleugnen. Und wenn Er richtet und den Menschen für sein Tun verantwortlich macht, so muss Er ihn nach Seiner Gerechtigkeit richten.

Überdies sind wir nach Herz und Sinn Gott entfremdet und schon deshalb verloren. Ich meine nicht, dass wir überhaupt nicht aus diesem Zustand gerettet werden könnten; aber wenn das „möglich ist, so ist es nur deshalb möglich, weil Christus gekommen ist, um zu suchen und zu erretten, was verloren war. Erscheint ein Mensch unbußfertig und ungläubig vor dem Richterstuhl Christi, so kann das Gericht nur seinen Werken entsprechen: die ewige Verdammnis ist sein Teil. Und alle haben gesündigt!

Aber Gott ist Liebe, Sein Name sei gepriesen! „Also hat Gott die Welt geliebt, dass Er Seinen eingeborenen Sohn gab, aus dass jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe.“ Gott ist jenem Gerichtstage in Gnaden zuvorgekommen. Derselbe hochgelobte Sohn Gottes, der als- Menschensohn auf dem Richterstuhl sitzen und Lebendige und Tote richten wird bei Seiner Erscheinung und bei Seinem Reiche, ist bereits vor jenem Tage als Heiland gekommen und für unsere Sünden gestorben. So haben es die Schriften bezeugt, und so ist es geschehen. Wer nun an den Sohn Gottes glaubt, wird errettet, wer nicht glaubt, wird verdammt werden. Das ist ebenso klar wie ernst und feierlich; es bedarf keiner weiteren Erläuterung. Wer in seinen Sünden stirbt, ist doppelt schuldig: er hat nicht nur gegen Gottes Heiligkeit gesündigt, sondern auch Seine Gnade verachtet.

Ich nehme an, dass mein Leser wirklich von Herzen an den Sohn Gottes geglaubt hat, und zwar mit einem Glauben, der durch den Heiligen Geist in ihm gewirkt worden ist, wobei das Gewissen die Notwendigkeit der Gnade und Sündenvergebung fühlte, denn das ist der wichtige Punkt. Es muss ein Glaube sein«, der wahre Buße hervorruft, jene „Betrübnis Gott gemäß2, verbunden mit dem Empfinden, dass man die Verdammnis verdient hat. Gerade das ist es ja, was uns Christum, Seine Gnade und Sein Werk so kostbar macht. Wir sind wahrscheinlich alle mehr oder weniger dazu erzogen worden, an den Herrn Jesus als eine geschichtliche göttliche Persönlichkeit zu glauben, aber das ist etwas ganz anderes, als an Ihn zu glauben als Den, der das Bedürfnis eines aufgewachten Gewissens zu stillen vermag.

Wenn ich nun diesen wahren Glauben an Jesum besitze, so sollte ich auch imstande sein, klar zu sagen, was Er für mich getan hat. Die Schrift legt mir die Worte selbst in den Mund. Sie drückt sich folgendermaßen aus:

„Er ist für unsere Sünden gestorben, nach den Schriften“ (1. Kor. 15, 3). „Er hat unsere Sünden an Seinem Leibe auf dem Holze getragen“ (1. Petrus 2, 24.) „Er hat gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, auf dass Er uns zu Gott führe“ (1. Petr. 3, 18).

Wenn ich nun, gestützt auf solche Worte, von ganzem Herzen glaube, dass Christus für mich gestorben ist, so kann es nicht anders sein, als dass ich bewußterweise eine vollkommene und ewige Vergebung und Erlösung, gemäß der Herrlichkeit Gottes, besitze. Eine ganze Anzahl anderer Schriftstellen gibt Zeugnis von dem Werte, den das Werk Christi für den besitzt, der in Wahrheit teil daran hat. Ich lasse mehrere von ihnen folgen:

„So sei es euch nun kund, dass durch diesen euch Vergebung der Sünden Verkündigt wird; und von allem, wovon ihr im Gesetz Moses nicht gerechtfertigt werden konntet, wird in diesem jeder Glaubende gerechtfertigt“ (Apostelgsch. 13, 38. 39). In welchem wir die Erlösung haben durch Sein Blut, die Vergebung der Vergehungen, noch dem Reichtum Seiner Gnade“ (Eph. 1, 7.) „Welcher unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden ist. Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus, durch welchen wir mittelst des Glaubens auch Zugang haben zu dieser Gnade, in welcher wir stehen, und rühmen uns in der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes“ (Röm. 4, 25; 5, 1. 2). „Durch den Gehorsam des Einen werden die Vielen in die Stellung von Gerechten gesetzt werden“ (Röm. 5, 19). »Welche Er gerechtfertigt hat, diese hat Er auch verherrlicht“ (Röm. 8, 30). „Mit Seinem eigenen Blute ist Er ein für allemal in das Heiligtum eingegangen, als Er eine ewige Erlösung erfunden hatte“ (Hebr. 9, 12).

Aber, möchte gefragt werden, ist die Vergebung auch ewig gültig?

Dass die Erlösung ewig genannt wird, hörten wir bereits in der zuletzt angeführten Stelle. In demselben Kapitel (Hebr. 9) wird gesagt, dass das Blut Christi unser Gewissen von toten Werken reinigt und Frieden mit Gott gibt. Aber die Schrift redet noch deutlicher. Sie sagt uns, dass Christus immer zur Rechten Gottes weilt, und dass Sein kostbares Blut stets vor Gottes Augen ist. Die Schrift redet sehr bestimmt über diesen Punkt. „Er aber, nachdem Er ein Schlachtopfer· für Sünden dargebracht, hat sich auf immerdar gesetzt zur Rechten Gottes.“ Es ist nicht wie bei den jüdischen Priestern, die täglich am Altar standen und Schlachtopfer darbrachten, „welche niemals Sünden hinwegnehmen konnten (Hebr. 10, 11). Er hat sich gesetzt, weil Er, was die Erlösung und Vergebung angeht, das ganze Werk vollbracht hat: „Denn mit einem Opfer hat Er auf immerdar vollkommen gemacht die geheiligt werden“ (Hebr. 10, 14). Er sitzt zur Rechten Gottes, bis alle Seine Feinde zum Schemel Seiner Füße gelegt sein werden. Dann wird Er zu ihrem Gericht erscheinen.

Alles nun, was Christus getan hat, hat Er für Seine Freunde, die wahren Gläubigen, getan. Er hat sich, nach Vollbringung des Werkes, gesetzt, zum Zeichen dafür, dass die, welche auf Grund dieses Werkes Gott nahen, kein Gewissen mehr von Sünden haben. (Vergl. Hebr. 10, 2.) Ihnen gelten die Worte: „Glückselig die, deren Gesetzlosigkeiten vergeben und deren Sünden bedeckt sind! Glückselig der Mann, dem der Herr Sünde nicht zurechnet!“ (Röm. 4, 7. 8). Aber bezieht sich nicht vielleicht diese Vergebung nur auf eine gewisse Anzahl von Sünden und Gesetzlosigkeiten? Nein, das wäre zwecklos. „Glückselig Her Mann, dem der Herr Sünde nicht zurechnet!“ Das ist umfassend, alles einschließend. Der Heilige Geist bezeugt dieselbe Wahrheit in dem wiederholt angeführten 10. Kapitel des Hebräerbriefes, wenn Er sagt: ,,Ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten werde ich nie mehr gedenken«. (V. 17.) Und um die Sache so klar wie möglich zu machen, fügt Er hinzu: „Wo aber eine Vergebung derselben ist, da ist nicht mehr ein Opfer für die Sünde“ (V. 18). Mit anderen Worten: wenn nicht alles völlig vergeben und ausgelöscht wäre, gäbe es kein Heilmittel mehr.

Je mehr wir über die Sache nachdenken, desto einfacher wird sie. Christus ist der Richter. Wenn ich nun durch den Glauben sagen kann, dass Er mich geliebt und mich von allen meinen Sünden rein gewaschen hat in Seinem Blute, wie kann Er dann noch, wenn ich vor Seinem Richterstuhl stehe, mir die Sünden zurechnen, die Er selbst getragen und hinweggetan hat? Er müsste ja den Wert Seines eigenen Werkes in Abrede stellen. Das aber ist natürlich unmöglich.

Ferner, wenn wir Gläubige sind, so werden wir in Herrlichkeit auferweckt werden. (Vergl. 1. Kor. 15, 43.) Ja, noch mehr: Christus wird selbst kommen, um uns zu sich zu nehmen. Er wird „unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten zur Gleichförmigkeit mit Seinem Leibe der Herrlichkeit“ (Phil. 3, 21). Wenn aber Christus selbst kommt, um uns zu holen und in die Herrlichkeit einzuführen, wie könnte dann noch irgend eine Frage betreffs unserer Sünden erhoben werden? Joh. 5, 24 sagt klar hierüber: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt Dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern er ist aus dem Tode in das Leben übergegangen“.

Und ich wiederhole: Dies ist nicht etwa so, weil Gott unseren Sünden gleichgültig gegenüber steht.

Unmöglich! Aber Er hat Seinen Sohn für uns gegeben. Christus hat unsere Sünden getragen, und darum kann Er sie denen nicht mehr zurechnen, welche an Ihn und den Vater, der Ihn in Liebe gesandt hat, glauben. Wir wissen, dass Er selbst gesagt hat: „Wenn ihr nicht glauben werdet, dass ich es bin, so werdet ihr in euren Sünden sterben“ (Joh. 8, 24). Aber wenn wir an Ihn glauben, so haben wir die Vergebung unserer Sünden, und zwar nicht nur einiger Sünden, um dann wegen der übrigen immer noch verdammt werden zu können. Nein, Gott sagt: „Ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten (d. h. also aller) werde ich nie mehr gedenken“; und Gott kann so reden, weil Christus ,,mit einem Opfer auf immerdar vollkommen gemacht hat die geheiligt werden“. In Ihm „haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden“ (Kol.1, 14).

Es musste also Buße und Vergebung der Sünden in Jesu Namen verkündigt werden. Mit deren Empfang findet eine gänzliche Umwandlung im Leben des Menschen statt. Der Christ hat von Christo neues Leben erhalten, das sich in seinem Wandel kundgibt. Er ist aus dem Geiste geboren, und der Glaube an Christum, durch den er Vergebung gesunden hat, macht Christum für ihn zu allem, wie auch in Kol. 3 geschrieben steht: „Christus alles und in allen“. Er ist „alles“ für unsere Herzen, und Er ist unser Leben, ist „in uns allen“.

Doch ich möchte jetzt nur über Erlösung und Vergebung reden.

Vergebung, in dem bisher besprochenen Sinne, ist also gleichbedeutend mit Erlösung und dem bleibenden Werte des Blutes Christi, so dass keine unserer Sünden uns mehr zugerechnet wird. Gott gedenkt unserer Sünden nicht mehr. Wir haben teil an dieser Vergebung durch den Glauben an den Herrn Jesus, und die Tür, durch die wir eintreten, ist die Buße zu Gott, welche der Glaube an das Wort Christi stets hervorbringt. Unsere Augen sind aufgetan worden, wir haben uns bekehrt von der Finsternis zum Licht, von der Gewalt Satans zu Gott, und wir haben Vergebung unserer Sünden empfangen und ein Erbe unter denen, die durch den Glauben an Jesum geheiligt sind. (Vergl. Apostelgeschichte 26, 18).

Unter dem Alten Bunde war diese völlige Vergebung nicht bekannt. Die Juden empfingen wohl eine Art Lossprechung für jede begangene Sünde. Der Eintritt ins Allerheiligste aber war ihnen durch den Vorhang versperrt, der vor der Stätte hing, wo Gott sich offenbarte. So heißt es in Hebr. 9, 9: „Wodurch der Heilige Geist dieses anzeigt, dass der Weg zum Heiligtum noch nicht geoffenbart ist, so lange die vordere Hütte noch Bestand hat“. Als nun aber das wirkliche Werk, von dem alle jene Dinge nur Vorbilder waren, in dem Tode des Heilandes vollbracht worden war, da zerriss der Vorhang des Tempels in zwei Stücke, von oben bis unten (Matth. 27, 51). Auf Grund dieses Werkes und der Vergebung unserer Sünden „haben wir jetzt Freimütigkeit zum Eintritt in das Heiligtum durch das Blut Jesu, auf dem neuen und lebendigen Wege, welchen Er uns eingeweiht hat durch den Vorhang hin, das ist Sein Fleisch“, und werden ermahnt, ,,hinzuzutreten mit wahrhastigem Herzen, in voller Gewissheit des Glaubens, die Herzen besprengt und also gereinigt vom bösen Gewissen“ (Hebr. 10, 17 — 22). Jenes ein für allemal geschehene, nie zu wiederholende Werk, das dem Gewissen Frieden zu geben vermag, ist der Boden, auf dem wir eine ewige Erlösung und volle Vergebung besitzen, so dass Gott unserer Sünden und Gesetzlosigkeiten nie mehr gedenkt. Wir haben kraft desselben Eintritt in Gottes Gegenwart und teil an dem ewigen Erbe der Kinder Gottes in Herrlichkeit.

Der große Unterschied in der Stellung der Gläubigen vor und nach dem Tode des Herrn wird in feierlicher Weise gelegentlich der Geburt Johannes’, des Täufers, des Vorläufers Christi, durch Zacharias zum Ausdruck gebracht, wenn er sagt: „um Seinem Volke Erkenntnis des Heils zu geben in Vergebung ihrer Sünden«. (Luk. 1, 77.) So ging denn auch der bußfertige Räuber unmittelbar mit Christo vom Kreuze ins Paradies. Und so sprach der Herr zu dem bußfertigen Weibe, das in der Stadt als Sünderin bekannt war, nicht nur: „Deine Sünden sind vergeben“, sondern: „Dein Glaube hat dich errettet“ (Luk. 7, 48 — 50).

Es gibt also für den Glauben eine gegenwärtige, aber ewig gültige Vergebung, die sich darauf gründet, dass Christus unsere Sünden in einem Werke getragen hat, das nie wiederholt, dessen Wert nie verringert, und dem andererseits nichts hinzugefügt werden kann. „Ohne Blutvergießung ist keine Vergebung.“ Gott hat Sein Wohlgefallen an diesem Werke dadurch bewiesen, dass Er Den, der es vollbracht hat, zu Seiner Rechten in Herrlichkeit erhöhte, wo Er bei Ihm als Sohn Gottes weilte, bevor die Welt war. Dieses Werk kann nicht wiederholt werden. „Der Christus ist nicht eingegangen in das mit Händen gemachte Heiligtum, ein Gegenbild des wahrhaftigen, sondern in den Himmel selbst, um jetzt vor dem Angesicht Gottes für uns zu erscheinen; auch nicht, auf dass Er sich selbst oftmals opferte, . . . sonst hätte Er oftmals leiden müssen von Grundlegung der Welt an; jetzt aber ist Er einmal in der Vollendung der Zeitalter geoffenbart worden zur Abschaffung der Sünde durch Sein Opfer. Und ebenso wie es den Menschen gesetzt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht, also wird auch der Christus, nachdem Er einmal geopfert worden ist, um vieler Sünden zu tragen, zum zweiten Male denen, die Ihn erwarten, ohne Sünde erscheinen zur Seligkeit« Für die, deren Sünden durch Sein erstes Kommen hinweggetan worden sind, erscheint Er zum zweiten Mal, um sie in die Herrlichkeit einzuführen; was sie angeht, hat Er nichts mehr mit der Sünde zu tun, da Er sie ja durch Sein Opfer hinweggetan hat.

2.

Es gibt aber noch ein Gericht anderer Art als das, von dem bis dahin die Rede war. Es gibt eine Regierung Gottes in dieser Welt über die, welche auf die oben beschriebene Weise erlöst sind, und diese Regierung hat es stets gegeben. Das Wort sagt: „Wen der Herr liebt, den züchtigt Er“. Diese Züchtigung geschieht stets in Liebe zu unserem Nutzen. Ist eine Seele in Wahrheit durch die Züchtigung gedemütigt, so nimmt Gott diese in Seiner Weisheit oft fort und vergibt, was Seine gegenwärtigen Regierungswege angeht, die Sünde, welche die Züchtigung erforderlich machte. Damit soll indessen nicht gesagt sein, dass alle Heimsuchungen von Gläubigen durch Sünden hervorgerufen sein müssen. Die Welt befindet sich durch die Sünde in einem Zustand des Jammers und Elends,

und alle Menschen sind dieser „Knechtschaft des Verderbnisses“, unter welcher die ganze Schöpfung seufzt, unterworfen. Das bestätigt der Herr auch in Joh. 9, 3, wenn Er bezüglich des Blindgeborenen sagt: „Weder dieser hat gesündigt noch seine Eltern“.

Auch die Heimsuchungen, die Gott wegen des Zustandes einer Seele sendet, brauchen nicht immer durch begangene Sünden verursacht zu sein. Sie sollen vielleicht dazu dienen, solche zu verhindern, unseren Willen zu brechen, oder uns über unseren geistlichen Zustand die Augen zu öffnen. So hatte Paulus einen Dorn im Fleisch, einen Engel Satans, der ihn mit Fäusten schlug, damit er sich nicht durch die Überschwänglichkeit der ihm gegebenen Offenbarungen überhebe. Dreimal flehte er zum Herrn, dass Er doch diesen Dorn von ihm wegnehmen möge. Aber die Bitte konnte nicht erhört werden, weil der Herr ihm die schmerzliche Prüfung zu seinem Nutzen gesandt hatte.

Von diesen Regierungswegen Gottes und der Vergebung hinsichtlich gegenwärtiger Strafverhängungen seitens Seiner Hand finden wir sowohl im Alten wie im Neuen Testament Beispiele.

Jehova hatte einst ein schreckliches Gericht über den König Ahab verhängt wegen seiner Gottlosigkeit. Als Ahab sich aber demütigte, sprach Gott zu Seinem Propheten Elia: „Hast du gesehen, dass Ahab sich vor mir gedemütigt hat? Weil er sich vor mir gedemütigt hat, will ich das Unglück in seinen Tagen nicht bringen; in den Tagen seines Sohnes will ich das Unglück über sein Haus bringen.“ Das hatte nichts mit der Errettung seiner Seele zu tun. Soweit die Mitteilungen des Wortes uns darüber unterrichten, ist Ahab in seinen Sünden gestorben. Aber betreffs dieses besonderen Gerichts auf Erden wurde ihm Vergebung zuteil.

Einen anderen Fall haben wir bei David. Als er, der ein Geliebter Gottes war, in einer Sache sehr böse gehandelt hatte, musste der Prophet Nathan ihm erklären: „Nun denn, so soll von deinem Hause das

Schwert nicht weichen ewiglich, darum dass du mich verachtet hast“. In seinem allgemeinen Wandel war David ein Mann nach dem Herzen Gottes, aber in diesem einzelnen Falle traf ihn Gottes Strafgericht. Zahlreiche ähnliche Beispiele könnten aus dem Alten Testament angeführt werden, wo die Sünde, was die gegenwärtige Züchtigung anging, vergeben wurde. David wurde verschont und nicht abgeschnitten, aber das Kind, die Frucht seiner Sünde, wurde ihm genommen.

Im 2. Buche Muse finden wir dasselbe. Wenn Gott das ganze Volk wegen seiner Halsstarrigkeit und seines Unglaubens zu vernichten drohte, und Mose Ihn alsdann aus Seine Verheißungen hinwies, so nahm Er das angedrohte Strafgericht zurück und sandte Seinen Engel zu ihrer Führung; aber Er erklärte zugleich: „Am Tage meiner Heimsuchung, da werde ich ihre Sünde an ihnen heimsuchen. Und Jehova schlug das Volk, darum dass sie das Kalb gemacht, welches Aaron gemacht hatte“ (2.Mose 32, 34. 35). Doch der Umstand, dass sie in der Wüste fielen, hatte nichts mit der Errettung ihrer Seelen zu tun. Mose und Aaron sind auch in der Wüste gestorben, und doch wissen wir von ihnen, dass sie Heilige Jehovas waren.

Das Gleiche finden wir im Buche Hiob. Im 33, Kapitel, V. 17 — 30, gibt Elihu eine Erklärung der Wege Gottes. In Kapitel 36, 7 spricht er ausdrücklich von einem gerechten Menschen, wenn er sagt: „Gott zieht Seine Augen nicht ab von dem Gerechten“. Trotzdem redet er von der Zucht, die Gott seiner Sünden wegen über diesen Menschen bringt. Und er warnt Hiob, nicht gegen Gott zu streiten. Hätte Hiob sich von Herzen gebeugt, so würde er aus der Bedrängnis gerettet worden sein (V. 16); wollte er sich aber durch die Wege Gottes mit ihm nicht warnen lassen, so sollte er sich wohl in acht nehmen, dass er nicht von der Erde abgeschnitten würde. Dabei war Hiob der gottesfürchtigste Mann auf der ganzen Erde; aber er bedurfte der Zurechtweisung, weil er angefangen hatte, gut von sich zu denken. (Lies Kap. 31, 16 ff. Vergl. auch Kap. 29, 11 und 42, 5. 6).

Im Neuen Testament haben wir Beispiele von derselben Züchtigung und Vergebung, die Gott dem Menschen auf Erden zu seinem Nutzen angedeihen lässt. So hatten die Korinther schwere Schuld auf sich geladen. Sie nahmen das Abendmahl des Herrn, als ob es ein gewöhnliches Mahl gewesen wäre. Die Armen unter ihnen hatten nicht genug zu essen, und die Reichen schwelgten in Speise und Trank. Infolge dessen waren viele unter ihnen krank, und ein gut Teil war selbst „entschlasen“, d. h. gestorben. Aber das alles hatte nichts mit ihrer ewigen Errettung zu tun; es war eine gegenwärtige Züchtigung, denn der Apostel sagt: „Wenn wir gerichtet werden, so werden wir vom Herrn gezüchtigt, auf dass wir nicht mit der Welt verurteilt werden“ (Vergl. I. Kor. 11, 30 — 32). Die Korinther wurden wegen ihrer Verfehlungen gezüchtigt, aber sie wurden deswegen nicht mit der Welt als Ungläubige verurteilt.

Ähnliches finden wir in 1. Joh. 5, 16. Diese Stelle gibt uns auch Verständnis darüber, was eine sogenannte „Todsünde“ ist. Es ist eine Sünde, die den leiblichen Tod als Züchtigung zur Folge hat; sie ist so geartet, dass Christen in diesem Falle nicht um das Leben ihres Bruders bitten können. In anderen Fällen war das wohl möglich. Da fanden die Gebete Erhörung, und das Leben dessen, der gesündigt hatte, wurde geschont. Er fand in diesem Sinne Vergebung. Hierher gehört der Fall von Ananias und Sapphira. Gegen beide entbrannte der Zorn des Petrus. Er hatte für sie kein Mitleid. Ihre Sünde brachte ihnen als ein gegenwärtiges Gericht den Tod.

Auch Jakobus 5, 14 — 16 möchte ich hier anführen. Wir lesen da: „Das Gebet des Glaubens wird den Kranken heilen, und der Herr wird ihn aufrichten, und wenn er Sünden begangen hat, wird ihm vergeben werden“. Der Betreffende wurde wieder hergestellt, und was das Tun Gottes in Seinen Regierungswegen auf Erden ihm gegenüber betraf, so wurde ihm seine Sünde vergeben.

Wir dürfen diese Art Vergebung, die auf Gottes Tun mit uns hier auf der Erde Bezug hat, und die Züchtigungen, die Seine Liebe uns entweder auferlegt, oder von denen Er uns auf Grund unserer Demütigung befreit, nicht mit der ewigen Errettung unserer Seele verwechseln, die uns geworden ist kraft der durch das Blut Christi vollbrachten Erlösung; deren Wert kann sich nie ändern, und an ihr kann nie gerüttelt werden. Daraus ergibt sich, dass Gott, geradeso wie Er eines Seiner Kinder zu seinem Nutzen züchtigt, so auch die Züchtigung eines unbekehrten Menschen, der sich demütigt, wegnehmen und in diesem Sinne das betreffende Vergehen vergeben kann, ohne dass die Errettung der Seele dabei irgendwie in Frage käme.

Ich möchte hier noch auf eine andere Stelle zu sprechen kommen. Wir lesen in Joh. 20, 21 — 23, dass der Herr nach Seiner Auferstehung zu den Jüngern kommt und ihnen den Frieden mitteilt, den Er gerade gemacht hat. Dann sendet Er sie aus, damit sie, nachdem Er selbst in den Himmel gegangen, nun auch anderen jenen Frieden verkündigen möchten. Indem Er sie so aussandte, wie der Vater Ihn gesandt hatte, gab Er ihnen apostolische Gewalt, auf Grund deren sie die Vergebung der Sünden allen denen erteilen sollten, welche an Christum glaubten und somit Christen wurden. Als daher die Juden von ihrer Sünde der Verwerfung Christi überzeugt wurden und, in der Sorge, durch diese ihre Sünde alles verloren zu haben, ängstlich fragten: „Was sollen wir tun, Brüder?“ da antwortete Petrus: „Tut Buße, und ein jeder von euch werde getauft auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden, und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen“. Indem sie so durch seinen Dienst Christen wurden, empfingen sie die vollkommene Vergebung, die Christus für sie bewirkt hatte. Ebenso ist es in Apostelgsch. 10, 43. Nur gab Gott, da es für Petrus selbst eine große Schwierigkeit war, Gläubige aus den Heiden auszunehmen, hier vor ihrer Aufnahme ein besonderes Zeugnis, so dass man dieser nichts in den Weg legen konnte. Das gleiche Zeugnis legt Paulus in Apstelgsch. 13, 38. 39 ab.

Bis zum heutigen Tage ist es »so geblieben. Glaubt ein Heide an Christum und wird er durch die Taufe ein Christ, so empfängt er volle Vergebung seiner Sünden. Nur besaßen die Apostel in dieser Hinsicht nicht bloß eine persönliche Machtvollkommenheit, sondern auch eine besondere Urteilskraft bezüglich der Wirtlichkeit des Glaubens aller derer, die da kamen. Diese fehlt uns heute in großem Maße. Als allgemeine Wahrheit aber bleibt bestehen: „In diesem wird jeder Glaubende von allem gerechtfertigt“ (Apostelgsch· 13, 39.)

Auch die Vergebung in den Regierungswegen Gottes ist heute die gleiche wie vor alters, und zwar ebenfalls mit dem gleichen Unterschiede. Petrus bat nicht für Ananias und Sapphira, weil es sich um eine Sünde zum Tode handelte; beide fielen tot zu Boden. Ebenso urteilte Paulus anlässlich des bekannten Falles im 1. Korintherbrief: „einen solchen dem Satan zu überliefern zum Verderben des Fleisches“ (Kap. 5, 3. 4. 5). Mit anderen Worten: wir finden hier apostolische Urteilskraft, Autorität und Gewalt miteinander vereinigt. Diese fehlen uns heute ganz oder teilweise. Daneben aber werden alle Gläubige aufgefordert, auf Grund ihrer Verantwortlichkeit als Versammlung Gottes zu handeln (1. Kor. 5, 12. 13), und Paulus macht sie in der Ausübung seiner Gewalt mit sich eins.

Die Apostel hatten keine Nachfolger. Dennoch gibt es eine von Gott anerkannte Nachfolge, deren Autorität von Christo ausgeht. Sie kommt da zur Geltung, wo Seine Gegenwart in Demut und Gnade verwirklicht wird. In Matth. 18, 18 lesen wir davon. Wenn einem Bruder ein Unrecht geschah, so sollte er mit dem, der das Unrecht getan hatte, reden und ihn zu gewinnen suchen. Gelang ihm das nicht, so sollte er mit zwei oder drei Zeugen zu dem Betreffenden gehen. Wenn auch das keinen Erfolg hatte, sollte er die Sache der Versammlung (Gemeinde) mitteilen – nicht etwa der Geistlichkeit oder einem Priester. Wenn nun der Bruder, der unrecht gehandelt hatte, auch nicht auf die Versammlung hörte, so war der andere frei, ihn als einen draußen Stehenden zu behandeln: „er sei dir wie der Heide und der Zöllner«. Der Grund hierfür war folgender: Da wo zwei oder drei in Jesu Namen zusammenkamen, sich wirklich um Ihn scharten und zu Ihm ausblickten, um in Wahrheit und in Demut in Seinem Namen zu handeln, mit Ihm (Seiner Verheißung gemäß) in ihrer Mitte, da sollte ihre Handlung der gewöhnlichen kirchlichen Zucht Christi Autorität haben; Er würde sie anerkennen und bestätigen.

Es ist an dieser Stelle nicht die Rede von persönlicher, apostolischer Gewalt — Petrus und Paulus kündigen beide an, dass diese nach ihrem Abscheiden verschwinden würde (Vergl. Apostelgsch. 20, 29 - 33). Es gibt auch kein Handeln in Christi Namen mehr wie einst bei Petrus, der sagen konnte: „Jesus, der Christus, heilt dich!“, oder wie bei Paulus, der ein Glied der Versammlung dem Satan überlieferte zum Verderben des Fleisches; man kann heute nur noch von Handlungen reden, die innerhalb der durch das Wort vorgeschriebenen Grenzen geschehen, von Handlungen, welche Christus, der in der Mitte der zwei oder drei zu Seinem Namen hin Versammelten wirkt, durch Seine Gegenwart und Autorität bestätigt. Voraussetzung ist dabei, dass die Betreffenden einträchtig um ihren Herrn versammelt sind, dass sie durch den Geist zu Ihm ausschauen, als dem Einzigen, der Autorität auszuüben vermag, und dass sie Sein Wort zum Führer nehmen. In diesem Falle ist dann nicht eigentlich die Versammlung, sondern Christus der Handelnde.

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Allezeit gehorsam

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1917, S. 74ff

Autor: K. L.

(Ein Brief aus dem Felde)

Im Herrn geliebte Geschwister! — Seitdem ich die letzten Zeilen an Euch schrieb, sind schon mehrere Wochen verflossen, und ich fühle mich gedrungen, wieder einige Worte an Euch zu richten.

Was meine Umstände betrifft, so dürfen die Geschwister mit mir dem Herrn für Seine überaus gnädige Leitung danken, aber ich bitte auch ferner nicht aufhören zu wollen, für mich und alle, die in gleichen Umständen sind, zu bitten um Kraft zum Ausharren und um Weisheit für den Verkehr mit solchen, die Jesum noch nicht als ihren Heiland und Erlöser kennen.

Teure Geschwister! Was ich Euch zuerst zurufen möchte, sind Worte, die Ihr in dem schönen Briefe an die Philipper findet. Da schreibt der betagte, treue Diener des Herrn den Gläubigen: „Daher, meine Geliebten, gleichwie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht allein als in meiner Gegenwart, sondern jetzt vielmehr in meiner Abwesenheit, bewirket eure eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern“ (Kap. 2, 12).

Der Apostel befand sich gefangen in Rom. Es gab solche, die seinen Banden „Trübsal zu erwecken gedachten“, indem sie Christum „nicht lauter“ verkündigten. Aber an seine geliebten Philipper, seine „Freude und Krone“, richtet er die Bitte: „Erfüllet meine Freude, dass ihr einerlei gesinnt seid, dieselbe Liebe habend“ u. s. w. (Kap. 2, 1 — 11). Dem Leibe nach in der Ferne weilend, beschäftigte er sich nichtsdestoweniger unaufhörlich mit den Heiligen und Geliebten in Philippi und nahm teil an allem, was sie betraf. Wurden sie gesegnet, so freute er sich mit; gab es Bedrängnis, so war er mitbedrängt; trachtete der Feind sie auf irgend eine Weise zu schädigen, so suchte er ihnen beizustehen und ihnen den Weg zu weisen, den sie zu gehen hatten.

Satan war bemüht, unter den gläubigen Philippern den Samen der Zwietracht und Uneinigkeit auszustreuen. Das betrübte den Apostel tief, und wenn schon der Diener betrübt wurde, wieviel mehr der Herr selbst! Die Freude Pauli bezüglich ihrer war nicht mehr so frei und voll wie ehedem, und so bittet er sie, seine Freude doch wieder voll zu machen, und er gibt ihnen auch den Weg dazu an, indem er ihnen die tiefe Erniedrigung des Herrn Jesus vor die Augen führt, zugleich aber auch auf den Platz hinweist, welchen Gott Ihm infolge dessen gegeben hat.

Indem er ihnen dies vorstellt und ihnen zuruft: „Diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christo Jesu

War“, rechnet er bestimmt darauf, dass seine Ermahnung nicht ohne Einfluss auf sie bleiben werde. Wie wäre es für einen Gläubigen auch möglich, Jesum zu betrachten, Seinen Pfad von der Krippe bis zum Kreuze zu verfolgen und dennoch unberührt zu bleiben? Ein solches Betrachten des Herrn in Seiner Erniedrigung muss alle seine Zuneigungen, die tiefen Gefühle seines Herzens wachrufen und ihn anspornen, in die Fußstapfen seines Herrn zu treten und, von Ihm lernend, Seine Gesinnung zu offenbaren. Der Grundsatz, welcher uns in diesem ganzen Kapitel entgegentritt, lautet: „Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt Er Gnade“ (1. Petr. 5, 5); oder, wie der Prediger es ausdrückt und so manches Beispiel im Worte Gottes es beweist: „Der Ehre geht Demut voraus“ (Sprüche 15, 33).

In lobender Weise hebt der Apostel den Gehorsam hervor, den die Philipper allezeit bewiesen hatten,

und erwartet, dass sie, wie in seiner Gegenwart, so noch viel mehr in seiner Abwesenheit ihn offenbaren würden. Lasst uns, teure Geschwister, diese Anerkennung des Apostels: „allezeit gehorsam“ besonders beachten! Welch eine willige, aufopfernde Hingabe, wie viel Entsagung und Selbstverleugnung ist darin enthalten! Gleich Abraham glaubend, bewiesen die Philipper ihren Glauben durch die tätige Liebe, und gleich David „hatten sie sich beeilt und nicht gesäumt, Seine Gebote zu halten“ (Ps. 119, 60). Der Herr hat dafür gesorgt, dass ihr Gehorsam uns zum Vorbilde mitgeteilt worden ist; zugleich dürfen wir wahrnehmen, wie das Herz des Apostels und noch viel mehr das Herz des Herrn durch diesen Gehorsam erfreut wurde. Wahrlich: „Gehorchen ist besser als Schlachtopfer“; aber Gehorchen und Opfern ist gewiss kostbar für das Herz Gottes.

Doch nun lasst mich fragen: Wie steht es um dieses: „allezeit gehorsam“ bei uns? Es ist leicht möglich, dass wir uns in Gegenwart anderer Geschwister willig und eifrig zeigen. Wie ist es aber, wenn wir uns in unseren Familien, im Geschäft oder in der Umgebung der Welt befinden? Kann auch da in jeder Hinsicht von uns gesagt werden: »allezeit gehorsam«? O dass wir uns nicht betrügen! Das Auge des Herrn sah den willigen Abraham, sah die eifrige Ruth, sah das hingebende Herz der Witwe am Schatzkasten, sah all die Treuen, welche glaubend und gehorchend lieber alles aufgaben und selbst den Tod erlitten, als ungehorsam zu sein. Freilich sah das Auge des Herrn auch einst einen Lot, als er die Augen aufhob und die schöne Ebene sah und sich dort niederließ bis nach Sodom hin, wo die Leute böse waren. Er sah den Achan, als er Untreue beging an dem Verbannten, sah den Gehasi, welcher da Lohn forderte, wo die Gnade sich in so herrlicher Weise offenbarte, sah, wo die Seinigen Verbindungen mit Gottlosen eingingen u. s. w. Er sieht einen jeden von uns und kennt die tiefsten Beweggründe unserer Herzen. Von jeder Tat des Glaubens und Gehorsams nimmt Er Kenntnis und wird durch sie erfreut, geradeso wie Er unsere Gleichgültigkeit, unseren Ungehorsam und unsere Untreue wahrnimmt und durch sie betrübt wird.

Der Herr Jesus ist gehorsam gewesen bis zum Tode, ja, bis zum Tode am Kreuze. So waren auch die Philipper bis dahin gehorsam gewesen; es tat aber not, auch fernerhin gehorsam zu sein hinsichtlich der Belehrungen, die ihnen durch den Apostel zu teil wurden. So viele unser Eltern sind, wissen wir etwas von der Freude, welche der Gehorsam unserer Kinder hervorruft. O wie sollten wir danach trachten, in jeder Hinsicht gehorsam zu fein, uns allen Forderungen, die der Herr an uns stellt, willig zu unterwerfen, um so das Wohlgefallen und die Freude unseres Gottes und Vaters auf uns herabzurufen!

Aber auch die Jüngeren unter uns und die Kinder der Gläubigen sollten dies beachten. Wie raubt sich schon ein Kind viel Freude und Segen, wenn es den Eltern ungehorsam ist! Noch viel mehr aber ist dies der Fall, wenn es die Belehrungen des Wortes Gottes nicht befolgt. Es bringt sich durch seinen Ungehorsam um zeitlichen und ewigen Segen. Wer durch die Gnade Gottes früh errettet ist, aber nicht willig den Belehrungen des Wortes Gottes folgt, der büßt unendlich viel ein; da gibt es verlorene Tage und Jahre, und das Versäumte kann nie wieder eingeholt werden. Darum, ihr jungen Gläubigen, beachtet doch den guten, bewährten Rat Davids, welcher, schon in jugendlichem Alter in Abhängigkeit von Seinem Gott wandelnd, einen großen Sieg über den mächtigen Riesen errang und so seinem ganzen Volke zum Segen wurde! Aus eigener Erfahrung belehrt er die Jugend, die den Pfad des Glaubens betreten hat: „Wodurch wird ein Jüngling seinen Pfad in Reinheit wandeln? Indem er sich bewahrt nach deinem Worte“ (Ps. 119, 9). Handelt ihr nach diesem Rat, so werdet ihr noch in späteren Jahren großen Segen davon haben und mit Freude an eure Jugendjahre zurückdenken, die ihr, im wahren Sinne des Wortes gehorsam, dem Herrn geweiht habt. Entscheidet euch völlig für Jesum und lasst euch von einer treuen Nachfolge des Herrn durch keine List des Feindes abbringen!

Es gab indes noch einen besonderen Grund, weshalb der Apostel den Gläubigen die Notwendigkeit ihres Gehorsams so eindringlich vorstellte. Sie waren noch nicht am Ziele angelangt, und auf dem Wege dahin hatten sie mit Feinden zu tun, und zwar mit Feinden von außen und von innen, welche sie auf Schritt und Tritt aus allerlei Art und Weise aufzuhalten suchten. Deshalb war es nötig für sie, auch fernerhin gehorsam zu sein und, in dem Bewusstsein der Abwesenheit des Apostels, dieses treuen Hüters der Herde Christi, und der steten Gegenwart des Feindes, ihre „eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern zu bewirken“.

Es ist heute nicht mein Vorhaben, über die grundsätzliche Bedeutung dieses Ausspruchs zu reden, — wir unterhielten uns ja schon oft darüber, — aber es ist mein heißer Wunsch, dass ein jeder sich selbst fragen möge: „Habe ich bis hierher danach getrachtet, meine eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern zu bewirken?“ Die richtige Erklärung einer Stelle ist zunächst gewiss wichtig, aber dann kommt es auf die richtige Anwendung der Worte aus Herz und Leben an. Sonst ist alles Verstehen wertlos. Teure Geschwister! Gesegnete Früchte werden bei einem Gläubigen hervorgebracht, der obige Worte auf sich persönlich anwendet. Ein solcher wird durch die Gnade Gottes befähigt, allen Nachstellungen des Feindes zu widerstehen. Wer wirklich mit Furcht und Zittern seine Seligkeit zu bewirken sucht, wird über die Beweggründe seines Herzens wachen und nicht erlauben, dass das eigene Ich in Tätigkeit tritt. Er nimmt in Demut gern den letzten Platz ein und achtet den anderen höher als sich selbst. Ja, je mehr er mit ,,Furcht und Zittern« seine Seligkeit zu bewirken sucht, umso mehr wird die Gesinnung, die auch in Christo Jesu war, sich bei ihm offenbaren, zum Segen für das eigene Herz, zum Nutzen für andere und zur Verherrlichung Gottes. Da seine Augen darauf gerichtet sind, den Weg des Gehorsams zu wandeln, wird er den Lockungen des Feindes nicht folgen. Gleich Joseph, Samuel, David, Daniel und seinen Freunden erwählt er „den Weg der Treue“, läuft „den Weg Seiner Gebote“ und« wird so bewahrt einerseits vor Überhebung, Verblendung und Selbstbetrug und andererseits vor Umstrickung durch die Welt und alle ihre Dinge. In welcher Gestalt die Welt auch an ihn herantreten mag, er wird keine Handlung begehen, die den Herrn verunehren und dem eigenen Herzen schaden könnte. Gleich Abraham kann er sagen: „Nichts für mich“. —-

Geliebte Geschwister! Da ich nicht persönlich mit Euch reden kann und mich dennoch ein wenig nützlich erweisen möchte, schreibe ich diesen Brief. Sollte er dazu dienen, einem jeden von uns dieses ,,mit Furcht und Zittern« von neuem feierlich ernst werden zu lassen, so dass wir es ins tägliche Leben umzusetzen suchen, sowohl im Blick auf uns persönlich, als auch auf unsere Häuser und alles was Gott uns anvertraut hat, so bin ich überzeugt, dass es zur Verherrlichung des Herrn ausschlagen und dazu dienen wird, dass wir alle miteinander mit glücklichem Herzen aus dem Pfade des Glaubens bewahrt bleiben werden, bis zu dem seligen Augenblick, wo unser Herr Jesus Christus als Heiland vom Himmel erscheinen wird, um unsere Leiber der Niedrigkeit umzugestalten zur Gleichförmigkeit mit dem Leibe Seiner Herrlichkeit. —— „Der Herr ist nahe!“

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Einige Worte über das Beten im Öffentlichen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1917, S. 81ff

Die nachstehenden Gedanken über das öffentliche Beten sind wiederholt in der Zeitschrift „Gnade und

Friede“ erschienen. In diesen Tagen wurden sie mir in einem Sonderdruck aus Amerika zugesandt. Dies veranlasst mich, sie den Lesern des „Botschafter“ ins Gedächtnis zu rufen (2. Petrus 1, 12). Der Herr aber segne die trefflichen Winke in der gegenwärtigen Zeit, wo man ja mehr noch als sonst zum gemeinsamen Gebet zusammenkommt!

1· Wenn du in der Gebetsversammlung betest, dann ermahne nicht und rüge nicht die Fehler anderer, und belehre nicht, sondern bete! Beten ist der Ausdruck unserer Anliegen mit Danksagung vor Gott.

2. Suche nicht nach schönen Worten und gewählten Ausdrücken. Rede so einfach, dass jedes Kind dich verstehen kann. Worte sind nicht Kraft.

3. Rede Gott, den Vater, oder den Herrn Jesus an, nicht die Versammlung! Halte Gott und Menschen keinen salbungsvollen Vortrag, sondern bete! Zähle darum auch keine Reihe von Wahrheiten auf, sondern trage Anliegen vor „durch Gebet und Flehen mit Danksagung“ (Phil. 4, 6).

4. Vergeude keine Zeit damit, dass du dem Herrn immer wieder sagst, wie groß und gerecht und gütig

Er ist. Vor allem vermeide die unehrerbietige und zeitraubende Wiederholung der Bitten durch beständige Umschreibung und Nennung der gleichen Dinge in anderen Worten. Dies betrübt den Geist Gottes und ermüdet die Mitbeter „Gott ist im Himmel, und du bist auf der Erde: darum seien deiner Worte wenige“ (Prediger 5, 2).

5. Bete für einen bestimmten Zweck, und zwar nicht um Dinge, die mehr persönlicher Art sind und dich selbst betreffen, was in dein Kämmerlein gehört. Denke an die Verherrlichung des Herrn und an Seine Sache, an Sein Werk und Volk nah und fern und an die Dinge, die unter uns vorliegen.

6. Sage nicht zu oft: „O Herr Jesus; o Gott und Vater“, u. s. w. Bisweilen muss man die Anrede am Anfang eines jeden Satzes neu hören. Auch dies betrübt den Geist Gottes und ist ungeziemend. Vergl. das Gebet des Herrn in Joh. 17.

7. Sage gerade heraus, was du meinst. Sei einfach, natürlich und ernst, und mache nie den Versuch, beredt zu sein. Bete niemals, um zu beten, d. h. um die Zeit auszufüllen, oder gar damit deine Stimme

auch einmal in der Versammlung gehört werde.

8. Mache deine Gebete nicht zu lang! Bete lieber mehrmals, wenn du viel auf dem Herzen hast. Im Kämmerlein, wo du allein bist, kannst du ja so lang beten, wie Zeit und Kraft da« ist, aber nicht öffentlich.

9. Rede so laut und deutlich, dass alle Anwesenden es verstehen können. Was für einen Nutzen hat die Versammlung davon, wenn sie dich nicht versteht, und wie kann sie zu deinem Gebet Amen sagen?

10. Vor allem lasst uns alle daran denken, dass wir berufen sind, „im Heiligen Geiste zu beten“ (Jud. 20), „heilige Hände“ zu Gott zu erheben und mit „reinem Herzen“ Ihn anzurufen! (1. Tim. 2, 8; 2. Timotheus. 2, 22).

Soweit die Winke. Ich möchte ihnen nur noch dies hinzufügen: Niemand denke, dass er im Öffentlichen mit Kraft und Salbung beten könne, wenn er nicht ein Gebetsleben führt, mit anderen Worten, wenn es nicht seine heilige Gewohnheit ist, auch für sich persönlich die Nähe des Herrn zu suchen und seine eigenen Anliegen in anhaltendem Gebet vor Gott zu bringen. Das Gebet heißt mit Recht der Odem des geistlichen Lebens. So wie im Leiblichen Herz und Lunge nur gebrauchsfähig bleiben durch fortgesetzte Übung, für besondere Anstrengungen nur erstarken in· guter, reiner Luft, so vermag auch nur der stete Verkehr mit Gott, das gewohnheitsmäßige Weilen in Seiner reinigenden und heiligenden Nähe, die Organe des geistlichen Lebens gesund zu erhalten und für besondere Gelegenheiten zu stärken.

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Sorge um nichts

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1917 S. 84ff

O sorg’ um nichts!

Dein Vater selbst will sorgen, -

Der Liebe ist, und dem auch nichts verborgen.

Er ist dein Gott — Sein teures Wort verspricht’s,

Drum sorg’ um nichts!

O sorg’ um nichts!

Die Sünde ist gerichtet,

des Lammes Blut hat sie am Kreuz vernichtet.

Du bist erlöst -— Sein teures Wort verspricht’s,

Drum sorg’ um nichts!

O sorg’ um nichts!

wenn Leiden dich umringen,

Gott selbst ist da und bringt aus allen Dingen

nur Gutes dir — Sein teures Wort verspricht’s,

Drum sorg’ um nichts!

O sorg’ um nichts!

wenn auch die Welt dich höhnet

und schilt und schmäht. — Bald wirst du dort gekrönet.

Der Herr ist nah’ — Sein teures Wort verspricht’s,

Drum sorg’ um nichts!

O sorg’ um nichts!

Siehst du den Feind auch walten,

durch seine List so manches Herz erkalten.

Der Herr bleibt treu — Sein teures Wort verspricht’s,

Drum sorg’ um nichts!

O sorg’ um nichts!

Um nichts! Dein Gott will sorgen;

vertrau’ auf Ihn, in Ihm bist du geborgen.

Er lässt dich nie — Sein teures Wort verspricht’s,

Drum sorg’ um nichts!

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Die beiden Türen

Bibelstelle: Johannes 10, 1 – 9

Botschafter des Heils 1917 S. 85ff

Über die in Joh. 10 enthaltenen Belehrungen des Herrn ist schon viel geredet und geschrieben worden. Dennoch begegnet man immer wieder mancher Unklarheit. Der Grund ist wohl der, dass man die Umstände nicht berücksichtigt, unter denen sie erteilt wurden. Auch unterscheidet man häufig nicht klar genug zwischen den beiden oder, wenn man will, den drei Türen, von welchen hier die Rede ist. —-

Im 9. Kapitel wird erzählt, wie der Herr einem Blindgeborenen das Gesicht wiedergab. Diese Heilung erweckte die Eifersucht der Pharisäer. Als der Geheilte treu bekannte, dass Jesus seine Augen geöffnet habe, warfen sie ihn aus der Synagoge. Jesus hörte davon, fand den Mann und offenbarte sich ihm als der Sohn Gottes. Das veranlasste den Geheilten zu dem Bekenntnis: „Ich glaube, Herr!“ Und im Anschluss daran ,,huldigte er Ihm“. Er war offenbar eines von den Schafen Christi, die ,,Seine Stimme hören«.

Im Anschluss an dieses Ereignis hielt der Herr Seine denkwürdige Ansprache von dem Hirten und den Schafen. Er begann, und zwar in Hörweite der Pharisäer, mit den Worten: „Zum Gericht bin ich in diese Welt gekommen, auf dass die Nichtsehenden sehen und die Sehenden blind werden“. Er benutzte also in Seiner vollkommenen Weisheit den eben geheilten Fall natürlichen Blindseins, um zu zeigen, dass eine der Wirkungen Seines Kommens als der treue Zeuge und das Licht der Welt darin bestand, Blinden, geistlich Blinden, das Gesicht zu geben, damit sie Ihn mit dem Auge des Glaubens sehen könnten. Andererseits sollten die, welche (wie die Pharisäer) sich für sehend, d. h. für fähig hielten, die göttlichen Dinge zu beurteilen und andere zu belehren, von ihrer Blindheit völlig überführt und darin bestärkt werden. Sie, die sich für Leiter der Blinden hielten, sollten durch die Gegenwart des wahren Lichtes erst recht blind werden.

Die Worte des Herrn trafen offenbar das Gewissen einiger der Pharisäer, denn wir hören sie zu Jesu sagen: „Sind denn auch wir blind?“ Der Herr erwiderte ihnen: „Wenn ihr blind wäret, so würdet ihr keine Sünde haben; nun ihr aber saget: Wir sehen, so bleibt eure Sünde“ (Joh. 9, 39 — 41). Wie eindringlich, ja, durchbohrend sind diese kurzen Äußerungen unseres anbetungswürdigen Herrn! Er verbindet darin das Erkennen des völlig Finster- und Blindseins mit der Vergebung der Sünden. So lange der Mensch sich für fähig hält, geistliche Dinge zu ergründen und zu beurteilen, liefert er damit den Beweis, dass er sich in natürlicher Finsternis und Schuld befindet, mit anderen Worten, dass er geistlich blind ist. Wenn er aber seinen Platz vor Gott als blind einnimmt, wenn er sein gänzliches Unvermögen anerkennt, die Dinge Gottes zu unterscheiden und zu beurteilen, so wird er ein Gegenstand der göttlichen Gnade und wird der Vergebung seiner Sünden durch den Glauben an den Herrn Jesus versichert. Welch eine Torheit, welch ein Selbstbetrug daher, zu sagen: „Wir sehen!“, wenn man noch blind und in seinen Sünden ist!

Die Worte des Herrn erinnern uns unwillkürlich an die des Elihu in Hiob 33, 27. 28: „Er wird vor den Menschen singen und sagen: Ich hatte gesündigt und die Geradheit verkehrt, und es ward mir nicht vergolten; er hat meine Seele erlöst, dass sie nicht in die Grube fahre, und mein Leben erfreut sich des Lichtes“.

Das Selbstvertrauen und die eingebildete Urteilskraft dieser Pharisäer waren also der Beweis, dass sie blind und in ihren Sünden waren. Daraufhin fährt der Herr fort: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer nicht durch die Tür in den Hof der Schafe eingeht, sondern anderswo hinübersteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. Wer aber durch die Tür eingeht, ist Hirte der Schafe“. (V. 1. 2.) Die Tür, um die es sich hier handelt, ist also die Tür in den Schafhof. Der Schafhof ist Israel. Die pharisäischen Leiter und Lehrer befanden sich in dem Schafhof, d. h. inmitten des jüdischen Volkes, aber sie waren, gleich allen denen, die vor dem Herrn behauptet hatten, Hirten und Leiter Israels zu sein, nicht auf dem göttlich gewiesenen Weg hineingegangen. Anstatt durch die Tür einzugehen, waren sie anderswo hinübergestiegen und hatten eigenwillig das Hüteramt über die an sich gerissen, welche in Beziehung zu Gott standen. Sie waren nicht wirkliche Hirten und Diener Gottes. Mit all ihrem äußeren Gepränge, ihren menschlichen Beglaubigungsschreiben, ihrem vermeintlichen Rang unter den Menschen waren sie von Gott nicht anerkannt. Die Schafe hörten nicht auf sie. Und statt in Liebe für diese zu sorgen, erwiesen sie sich als Diebe und Räuber. Sie dachten nur an ihren eigenen Nutzen und an ihre Ehre.

Ich wiederhole also: Die erste Tür, auf welche der Herr die Aufmerksamkeit Seiner Zuhörer lenkt, ist „die Tür in den Hof der Schafe“. Durch diese Tür ist unser Herr eingegangen, und der Türhüter hat Ihm aufgetan, weil Er alles mitbrachte, was Ihn als den Hirten Israels, den wahren Hirten der Schafe, beglaubigte. Schon lange vorher hatten die Propheten Seinen Charakter gekennzeichnet. Moses hatte von Ihm geschrieben als »dem Hirten, dem Stein Israels“,und zu den Söhnen Jsrael5 also von Ihm gesprochen: „Einen Propheten wird euch Gott aus euren Brüdern erwecken, gleich mir; Ihn sollt ihr hören“ (1. Mose 49, 24; Apstgsch. 7, 37). Ferner war gesagt worden, dass Der, welcher dastehen und Seine Herde weiden würde in der Kraft Jehovas und in der Hoheit des Namens Jehovas, von dem Samen Abrahams sein und aus den Lenden Davids hervorgehen würde; als der Jungfrau Sohn sollte Er in Bethlehem geboren werden, Er, „dessen Ausgänge von der Urzeit, von den Tagen der Ewigkeit her sind«· (Siehe 1.Mose 22, 18; Psalm 132, 11; Apstgesch. 3, 20; Jes. 7, 14; Micha 5, 2 - 4.) Weise, die durch Seinen Stern geleitet wurden, kündigten Sein Kommen in die Welt an. Engel des Herrn erschienen den Hirten, die des Nachts bei ihren Herden Wache hielten, und während die Herrlichkeit des Herrn sie umleuchtete, vernahmen sie die frohe Botschaft: „Euch ist heute ein Erretter geboren in Davids Stadt, welcher ist Christus, der Herr«. (Lies Luk. 2.) Auch der treue, göttlich unterwiesene Überrest Israels hieß Ihn mit Wonne in dem Schafhof willkommen. Simeon nahm das Kindlein auf seine Arme und rief in tiefer Freude aus: „Nun, Herr, entlässest du deinen Knecht, nach deinem Worte, in Frieden; denn meine Augen haben dein Heil gesehen, welches du bereitet hast usw.“; während Anna „von Ihm zu allen redete, die auf Erlösung warteten in Jerusalem«. Nachher war es an Johannes dem Täufer, Jesum, der zu der Zeit ungefähr dreißig Jahre alt war, öffentlich als den Sohn und das Lamm Gottes kundzumachen, indem er sprach: „Ich kannte Ihn nicht; aber der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, der sprach zu mir: Auf welchen du sehen wirst den Geist herniederfahren und auf Ihm bleiben, dieser ist es, der mit Heiligem Geiste tauft. Und ich habe gesehen und habe gezeugt, dass dieser der Sohn Gottes ist“ (Joh. 1, 33. 34).

So ist jeder erdenkliche Beweis erbracht worden, dass der Mensch Jesus Christus wirklich der Hirte Jehovas und der Genosse des Herrn der Heerscharen war, und Ihm hat der Türhüter (der Heilige Geist) aufgetan. Nachdem diese wichtige, grundlegende Tatsache festgestellt ist, fährt der Herr fort: „Und Er ruft Seine eigenen Schafe mit Namen“. Er rief sie alle zu sich, ob es nun Matthäus, der Zöllner, war, oder Maria von Magdala, von welcher Er sieben Dämonen austrieb, ob eine arme Ehebrecherin aus Samaria oder fleißige Fischer am See von Tiberias. Die, welche Er rief, hörten Seine Stimme und folgten Ihm. Er liebte Seine Schafe. Er kam, um ihnen Leben zu geben, „Leben in Überfluss“, um sie zu weiden und in zärtlicher Liebe für sie zu sorgen. Er führte sie heraus aus ihren bisherigen Verbindungen, kurz, Er tat alles für sie, was zu tun nötig war, und zwar alles „ohne Geld und ohne Kaufpreis«. Aus reiner Liebe ließ Er Sein Leben für sie, und Seine Absicht war, sie zu einer Herde zu versammeln (Vers 16). Aus allem ersehen wir klar, dass Er, der durch die Tür in den Schafhof eingegangen war, sich in jeder Hinsicht als „der Hirte der Schafe“ erwiesen hat.

Die zweite Tür in diesem schönen Abschnitt ist „die Tür der Schafe“. Diese Tür ist Christus selbst. Durch sie sollten die eigenen Schafe des Hirten aus dem Judentum heraus und auf einen ganz neuen Boden geführt werden. Der Hirte der Schafe rief sie nicht nur mit Namen, sondern führte sie auch heraus. (V. 3.) Es ist von großer Wichtigkeit, dies klar zu verstehen. Wie Johannes uns an anderer Stelle sagt, kam der Herr Jesus in das Seinige (zu Seinem geliebten Volke), und die Seinigen nahmen Ihn nicht an. Sie waren so tief in die Sünde verstrickt, dass sie Ihn ohne Ursache hassten und schließlich offen erklärten, dass sie einen Mörder ihrem eigenen, von· Gott gesandten Messias vorzögen. Das Volk war in schrecklicher Weise von Gott abgewichen. Obwohl sie sich beeiferten, den Sabbat zu beobachten und die von Gott verordneten Feste zu feiern, war doch alles zu einer bloßen Form geworden. Wir lesen in den Evangelien deshalb auch nicht mehr von den „Festen Jehovas“, wie sie im 3. Buche Mose genannt werden, sondern von dem „Passah, dem Fest der Juden“, und an anderer Stelle von dem „Fest der Juden, den Laubhütten“ (Joh. 6, 4; 7, 2.) Zugleich hatte Gott das Volk wegen seiner Sünden den Nationen in die Hand gegeben. Die Römer herrschten über sie. Der Herr brachte deshalb die Schafe nicht auf den Boden zurück, von dem Israel abgewichen war, -— was hätte das nützen können? -— sondern Er führte sie mit sich aus der ganzen verderbten Einrichtung heraus. Indem sie Christum kennen lernten und mit Ihm verbunden wurden, hörten sie nicht nur Seine Stimme, sondern wurden auch dahin geleitet, ja, genötigt, Ihm, der vor ihnen herging, zu folgen. Beachten wir also: Christus ist nicht nur der gute Hirte, der durch die Tür in den Schafhof eingegangen ist, sondern auch „die Tür der Schafe“, die Tür, durch welche die Schafe aus dem verderbten Judentum herausgeführt wurden, indem Er sie einzeln mit Namen berief.

Als in den frühesten Tagen der Geschichte Jsrael6 der Name Jehovas so schrecklich durch die Sünde des goldenen Kalbes verunehrt worden war, dass Gottes Gericht das Volk treffen musste, lesen wir: „Und Mose nahm das Zelt und schlug es sich aus außerhalb des Lagers, fern vom Lager, und nannte es: Zelt der Zusammenkunft. Und es geschah, ein jeder, der Jehova suchte, ging hinaus zu dem Zelte der Zusammenkunft, das außerhalb des Lagers war.“ Dort fand man Jehova; denn „es geschah, wenn Mose in das Zelt trat, so stieg die Wolkensäule hernieder und stand am Eingang des Zeltes, und Jehova redete mit Mose“ (2. Mose 33, 7—11). Wir sehen also, dass Mose, der Knecht des Herrn, die Treuen aus dem Lager hinausführte. Jeder, der Jehova suchte, ging hinaus. Der Weg der Wahrheit in dieser bösen Zeit war für alle, die den Herrn suchten, außerhalb des Lagers.

Ähnlich dem im Alten Testament Berichteten finden wir in den Briefen den Pfad der Treuen in den letzten Tagen, wenn die bekennende Christenheit sich mit allem möglichen Bösen eins macht und „eine Form der Gottseligkeit hat, deren Kraft aber verleugnet“, klar mit den Worten vorgezeichnet: „Von diesen wende dich weg!“ Auch jetzt führt der Herr die Seinigen hinaus. (Vergl. 2. Tim. 3, 1 — 5). An anderer Stelle wird den Treuen anbefohlen, „zu Ihm (d. i. zu Christo) hinauszugehen, außerhalb des Lagers, Seine Schmach tragend“ (Hebr. 13,13). In dem letzten Briefe, den· der Apostel Paulus schrieb, steht er ein schreckliches Verderben und eine völlige Abkehr von der Wahrheit voraus. Er schreibt von der sogenannten Christenheit, dass „böse Menschen und Gaukler im Bösen fortschreiten werden, indem sie verführen und verführt werden“. Indem er sich an die einzelnen Gläubigen wendet, fordert er sie zur Treue für den Herrn auf und drängt sie, sich von dem Bösen abzusondern. „Wenn sich nun jemand von diesen (d. h. den Gefäßen zur Unehre) reinigt, so wird er ein Gefäß zur Ehre sein, geheiligt, nützlich dem Hausherrn, zu jedem guten Werke bereitet“ (2. Tim. 2, 21). Diese und andere Schriftstellen zeigen, dass, wenn das Böse und der VerfalI eingerissen sind, den treuen Gläubigen nichts anderes zu tun übrigbleibt, als sich davon zu reinigen, weil das Böse nicht hinweggetan werden kann. Ja, Gott selbst will sie durch Sein Wort und Seinen Geist hinausführen.

Wie damals, als der Herr hienieden wandelte, ist Er auch heute noch sowohl „die Tür der Schafe“ als auch ihr Führer. Kein Mensch kann deshalb in einer richtigen Stellung sein, wenn er nicht persönliche Verbindung mit Ihm, der Tür der Schafe, hat und der Leitung Seines Wortes und Geistes unterworfen ist. Schwierigkeiten und Fragen werden nicht ausbleiben, aber sie verschwinden schnell, wenn die Seele sich wirklich und willig von Ihm leiten lässt, der vor Seinen Schafen hergeht. Schmach und Spott mögen ihr Teil sein, wie zur Zeit des Blindgeborenen, aber wenn der Herr Tür, Führer und Gegenstand für das Herz ist, so wird die Feindschaft der Menschen gern ertragen. Alle, die zu Ihm hinausgehen, dürfen versichert sein, dass Er ihnen auch heute mit Seinem Segen und Seiner Anerkennung nicht fehlen wird.

Die Tätigkeit des Herrn als die Tür der Schafe, die darauf hinauslief, die Seinigen aus dem verderbten Judentum herauszuführen, findet also in unseren Tagen der verderbten Christenheit ihr Gegenstück in dem göttlichen Grundsatz. nach welchem der Pfad des treuen Gläubigen auch heute aus alledem herausführt, was den Namen des Herrn verunehrt. „Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit!“ In dieser Absonderung findet er des Herrn Gegenwart und Segnung. Glücklich alle diejenigen, welche wissen, was es heißt, von dem Herrn geleitet zu werden und mit Ihm außerhalb des Lagers zu stehen, getrennt von allem, was Seinem Namen zuwider ist!

Zum dritten mal redet der Herr im 9. Verse unseres Kapitels von einer Tür, indem Er sagt: „Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich eingeht, so wird er errettet werden und wird ein- und ausgehen und Weide finden“. Er nennt sich hier nicht mehr die Tür der Schafe, sondern einfach die Tür, durch welche man eingehen muss, um errettet zu werden. Mit anderen Worten: Er ist die Tür des Heils· Niemand kann Leben, Freiheit und Weide finden, als nur in Ihm und durch Ihn. Wenn man nun auch nicht gerade sagen kann, dass wir hier eine dritte Tür vor uns haben, so ist es doch wahr, dass von Ihm als der Tür unter einem anderen Gesichtspunkt die Rede ist, als im 7. Verse.

Der Herr gebe uns allen ein tieferes Verständnis über diese Dinge!

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Unsere Kleinen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1917 S. 94ff

Nur einmal wird uns in den Evangelien berichtet, dass der Herr Jesus gezürnt habe. »Er blickte mit Zorn umher auf die Pharisäer«, die Ihn hindern wollten, den Menschen mit der verdorrten Hand am Sabbat zu heilen. (Mark. 3, 5.) Und nur einmal lesen wir, dass Er unwillig wurde, nämlich als die Jünger die Mütter zurückwiesen, welche ihre Kindlein zu Ihm bringen wollten, auf dass Er sie anrühre. (Mark. 10, 14.)

Es bewegt unsere Herzen, wenn wir unseren teuren Herrn bei dieser Gelegenheit sagen hören: „Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht!“ Wie immer, so offenbarte Er auch hier die Natur und die Gesinnung Gottes, dessen Erbarmen und Mitleid für die kleinen Kinder sich schon Jahrhunderte vorher bei Ninive erwiesen hatte, als Er betreffs der Zerstörung der großen Stadt Rücksicht nahm auf die 120000 unverantwortlichen Wesen, die zwischen ihrer Rechten und ihrer Linken noch nicht zu unterscheiden wussten. (Jona 4,11.) Es war die gleiche Liebe Gottes, in welcher „Jesus die Kindlein in Seine Arme nahm, die Hände auf sie legte und sie segnete“ (Mark. 10, 16).

In Gott finden wir sowohl ein Vater- als auch ein Mutterherz. Der Gedanke, dass Gott unser liebender Vater ist, ist uns wohl vertraut; wir übersehen aber oft, dass Seine Liebe auch mit der Mutterliebe verglichen wird. Die sanfte, zarte Berührung der mütterlichen Hand, der keine andere gleichkommt, die unbedingte Selbstlosigkeit der Mutter für ihr kleines Kind — ist auch in Gottes Herzen. „Ich gängelte Ephraim“, sagt Jehova in Hosen 11, 3, indem Er sich eines unmittelbar aus der Kinderstube entlehnten Ausdrucks bedient. Er „gängelte“ Ephraim! Welch ein Ereignis ist es für eine Mutter, wenn ihr Kleines zum ersten Mal auf seine Beinchen gestellt wird! Das Kind getraut sich noch nicht allein zu gehen, aber die Mutter hält es am „Gängelband“, oder streckt die schützenden Hände vor ihm aus, oder schwebt mit ausgebreiteten Armen um das zaghafte Persönchen her, immer bereit, es aufzufangen, wenn es fallen will. Das Laufen wird ja nicht mit einem Male gelernt. Das kleine, ungeschickte Wesen fällt häufig, aber die Mutter lässt es sich nimmer verdrießen; mit einem Kuss, oder mit einem fröhlichen: „Das macht nichts!“ stellt sie es wieder auf die Füße und lässt es von neuem gehen. Und je zarter und schwächer das Kindlein, desto mehr und desto sorglichere Mutterliebe wird ihm zuteil.

Die Liebe Gottes zu den kleinen Kindern fasst aber noch mehr in sich, als väterliches Wohlwollen und mütterliche Sorgsamkeit und Zärtlichkeit.

Wir lesen in Matth. 18, dass sich unter den Jüngern die Frage erhob, welcher von ihnen der Größte im Reiche der Himmel sei. Der Herr benutzte diesen Wortstreit als Anlass zu der Erklärung, dass das Heil in Christo auch für die Kindlein und gerade für sie gekommen sei. Er ruft ein Kindlein herzu, stellt es in ihre Mitte und sagt Seinen Jüngern vor allem anderen, dass man überhaupt nicht in das Reich der Himmel eingehen könne, wenn man nicht umkehre und wie die Kindlein werde. Er sagt aber noch mehr. „Wer irgend sich selbst erniedrigen wird, wie dieses Kindlein, dieser ist der Größte im Reiche der Himmel; und wer irgend ein solches Kindlein aufnehmen wird in meinem Namen, nimmt mich auf“ (V. 4. 5). Er stellt das in ihrer Mitte stehende Kindlein den Jüngern als ein Beispiel vor, als ein Bild jener Demut und Niedriggesinntheit, welche dem Gläubigen geziemen und die allein ihn „gross“ machen im Reiche der Himmel. Wer Christo nachfolgen will, muss eine Gesinnung haben, welche — im Gegensatz zu der in der Welt herrschenden — mit dem hält, was schwach und unansehnlich ist und nicht auf eigene Kraft vertraut. Wer das tut und irgend ein solches Kindlein aufnehmen wird im Namen Christi, nimmt Christum auf, und wer Christum aufnimmt, nimmt den Vater auf.

Dann, in Vers 6 und 7, redet der Herr von den „Kleinen (oder Geringen), die an Ihn glauben“, und spricht ein Wehe über die aus, welche diesen Seinen schwachen, in der Welt für nichts geachteten Jüngern einen Anstoß in den Weg legen, ihr Vertrauen zu Gott erschüttern. In den Versen 10 -14 kommt Er aber wieder auf die kleinen Kinder zurück. Man soll sich wohl hüten, sie zu verachten. Die Gefahr dafür ist da. Man hört häufig Ausrufe wie: „O, es ist nur ein Kind! — Kinder sind eine Plage! – Kinder sind einem immer im Wege!“ Man nimmt sich oft nicht die Mühe, liebende, sorgsame Rücksicht auf sie zu nehmen und an ihre kostbaren Seelen zu denken. Und doch sagt der Herr gerade von ihnen: „Ihre Engel in den Himmeln schauen allezeit das Angesicht meines Vaters, der in den Himmeln ist. Denn der Sohn des Menschen ist gekommen, das Verlorene zu erretten.“

Weit entfernt, sie zu verachten, zeigen diese Worte, wie die göttliche Gnade und Freundlichkeit sich zu den Kindern herablässt. Auch wendet der Herr hier, mit einiger Veränderung, das liebliche Gleichnis von Lukas 15 an, von dem Hirten, der gekommen ist, sein verlorenes Schaf zu suchen. Das Gleichnis ist hier allgemeiner gehalten, und die Ausdrücke in Bezug auf das Schaf sind weniger persönlich. Während es in Luk. 15 heißt: „Freuet euch mit mir, denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war“, und: „Also wird Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut“, lesen wir hier: „Also ist es nicht der Wille eures Vaters, der in den Himmeln ist, dass eins dieser Kleinen verloren gehe“ (V. 14). Die kleinen Kinder sind als solche alle zusammen in derselben Stellung vor Gott. In den Worten des Herrn ist von Buße und Umkehr keine Rede, wohl aber sagen sie deutlich, dass das Heil auch der kleinen Kinder durch Jesum Christum kommt. Warum schauen ihre Engel allezeit das Angesicht des Vaters, der in den Himmeln ist? Weil der Sohn des Menschen gekommen ist, „das Verlorene zu erretten“.

Zu diesen Verlorenen, wenn auch nicht Verirrten, gehören auch die kleinen Kinder. Sie sind „in Ungerechtigkeit geboren, in Sünde empfangen“ (Ps. 51, 5). „Was aus dem Fleische geboren ist, ist Fleisch“ (Joh. 3, 6.) »Wie könnte ein Reiner aus einem Unreinen kommen? Nicht ein Einziger!“ (Hiob 14, 4). Kleine Menschenkinder sind noch keine Gotteskinder, denn solche „sind nicht aus Geblüt, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren.« (Joh. 1, 13.) Aber wenn sie sterben, ehe sie zu einem Bewusstsein ihrer Verantwortlichkeit gelangen, so dürfen wir im Blick auf sie auf die Gnade Gottes vertrauen. Er rechnet ihnen das Werk Dessen zu, der gekommen ist, „um das Verlorene zu erretten“. Dasselbe gilt sicherlich auch für die Vielen, die nie in den Besitz ihrer Geisteskräfte gelangen, in diesem Sinne also bis an ihr Ende „Kinder“ bleiben.

Es hat Einige gegeben, die hinsichtlich der Vorrechte einen Unterschied zwischen Kindern gläubiger und nichtgläubiger Eltern zu finden meinten. Solche berufen sich unter anderem auf die Bibelstelle: „Euch ist die Verheißung und euren-Kindern“ (Apstgsch. 2, 39). Sie berücksichtigen dabei aber nicht die unmittelbar folgenden Worte: „und allen, die in der Ferne sind, so viele irgend der Herr, unser Gott, herzurufen wird“. Diese Worte beweisen zunächst, dass der Apostel in dem ersten Teil des Satzes an Israel denkt, welchem als Volk die Verheißung gehörte; und da sie sich auf die vorhergehende Ermahnung gründen: „Tut Buße, und ein jeder von euch werde getauft auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden“, so ist ein Hinweis auf die kleinen Kinder, im Gegensatz zu den herangewachsenen, oder die Kinder von Gläubigen im Gegensatz zu anderen, von vornherein ausgeschlossen.

Die Gnade wird vielmehr allen angeboten, sowohl den im Lande weilenden Israeliten, als auch ihren Landsleuten in der Ferne, ja, im weiteren Sinne allen von Gott Herzugerufenen, mögen sie nun dem auserwählten Volke oder den übrigen Völkern der Erde angehören.

Es ist deshalb nicht unberechtigt, wenn wir mit einem gewissen Schmerz auf unsere kleinen Kinder blicken, als auf solche, die „in Sünde empfangen und geboren“ und „von Natur Kinder des Zornes sind, wie auch die übrigen“ (Eph. 2, 3). Doch eine wichtige Sache haben die Kleinen den übrigen voraus. Sie sind, wie soeben gesagt, in ihren ersten Lebensjahren, bis das klare Bewusstsein von ihrer Verantwortlichkeit erwacht, für ihr Verlorensein nicht verantwortlich. Sie gehören bis dahin nicht zu denen, welche »die Wahrheit in Ungerechtigkeit besitzen“ (Röm. 1, 18). Das ist der Anklagepunkt für alle Menschen, da Gott sich Seinem verirrten Geschöpf niemals unbezeugt gelassen hat. Die verschiedenen Zeugnisse Gottes an den Menschen werden in Römer 1 angeführt: das Zeugnis der Schöpfung, das des Gewissens und das des Gesetzes, wozu noch das Zeugnis des Evangeliums heute hinzugekommen ist. Die Menschheit, im Ganzen genommen, hat auf keines dieser Zeugnisse geachtet und ist in der Gottlosigkeit geblieben. Kleinen Kindern kann das aber nicht zur Last gelegt werden, weil sie noch gar nicht unter die Verantwortlichkeit dieser für sie unverständlichen Dinge gestellt werden können. Dennoch stehen sie unter den Folgen der Sünde Adams und bedürfen der Erlösung. Sterben sie nun im ersten Kindesalter, so nimmt Gott sie als die Seinigen aus. Es ist nicht Sein Wille, dass eins dieser Kleinen verloren gehe. Er rechnet ihnen Christi Opfertod zu und errettet sie kraft Seiner oberherrlichen Gnade nach einer anderen Regel als der, welcher wir unterworfen sind. Da sie noch nicht unter die Verantwortlichkeit des Glaubens gestellt sind und demgemäß gerichtet werden können, so stellt Gott sie in der Unumschränktheit Seiner Gnade unter die Segnung des Todes Jesu Christi. Und so wird die große Zahl dieser kleinen Wesen mit unsterblichen Seelen allen denen hinzugefügt, die durch den Glauben, nach der regelrechten Ordnung der Verwaltung der Gnade, errettet worden sind.

Gottes große Liebe und Barmherzigkeit offenbaren sich so gegen diese kleinen, verlorenen Geschöpfe· Es geht also, so dürfen wir mit Gewissheit sagen, keines von ihnen deshalb in den Himmel, weil es ein Kind gottesfürchtiger Eltern ist; aber ebenso wenig ist eines von ihnen von dem Himmel ausgeschlossen, weil es etwa von Götzendienern oder Gottesleugnern abstammt. Die Kinder eines Mohamedaners, eines Chinesen oder eines ausgesprochenen Atheisten haben, wenn sie jung sterben, den gleichen Anteil an der Gnade Gottes wie das besterzogene Christenkind. Nicht ihrer Abstammung wegen werden sie errettet, auch nicht ihrer Werke wegen, denn sie haben keine getan. Ebenso wenig haben sie um ihrer Unschuld willen einen Anspruch auf den Himmel. Wäre das der Fall, dann würde ihre Unschuld auch genügt haben, um sie von Schmerz und Tod, diesen Folgen der Sünde, freizumachen.

Wann beginnt aber die Zeit ihrer Verantwortlichkeit, wann kommt die ernste Stunde, die mit einem Schlage alles ändert? Wir können diesen Zeitpunkt, der jedenfalls je nach Veranlagung und Erziehung der Kinder verschieden ist, nicht wissen noch bestimmen; das vermag Gott allein. Unsere ernste Pflicht ist es darum, unseren Kleinen so früh wie möglich von der Liebe Gottes in Christo Jesu zu erzählen, sie schon von ihren ersten Lebensjahren an — Schrittchen für Schrittchen - in der Zucht und Ermahnung des Herrn zu erziehen, und vor allem sie täglich der Bewährung Jesu, des großen Kinderfreundes, zu befehlen.

Was wird es sein, wenn einst Millionen und aber Millionen früh abgerufener Kinder mit uns ihre Lobgesänge im Himmel erschallen lassen werden! Wenn wir daran denken, erscheinen uns die erschütternden Unglücksfälle, die eine große Anzahl kleiner Kinder plötzlich mit in den Tod reißen, weniger schrecklich; wir erblicken selbst darin Gottes Liebe zu den Kindern. Und wie ein stillender Balsam legt es sich auf das blutende Herz der Mutter, die ihren kleinen Liebling hat hergeben müssen, wenn sie daran denkt, dass sie jetzt all ihrer Sorge um die ewige Errettung des geliebten Kindes enthoben ist, und dass sie es bei Jesu weiß, dort, wo es nur Glück und Freude und Friede gibt. Das gequälte Herz wird still, und Lob, Preis und Dank steigen zu dem Gott der Liebe empor.

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Wer wird mich mit Wasser tränken?

Bibelstelle: 2. Samuel 23, 15 – 17

Botschafter des Heils 1917 S. 102ff

Es war um die Erntezeit. Tag für Tag brannte die Sonne heiß vom Himmel. Da kamen drei von den dreißig Häuptern Davids zu ihm in die Höhle Adullam, wo er sich vor Saul verborgen hielt. Ihre Herzen waren mit dem Gesalbten Jehovas in seiner Niedrigkeit und Drangsal. Sie konnten mit Amasai sagen: „Dein sind wir, David, und mit dir, Sohn Isais!“ (1. Chron. 12, 18). Ihre Augen waren auf ihn gerichtet, und das Verlangen ihrer Herzen auf sein Wohlgefallen.

„Und David hatte ein Gelüste und sprach: Wer wird mich mit Wasser tränken aus der Zisterne von Bethlehem, die am Tore ist ?“ Wie manches Mal mochte er in früheren Tagen aus diesem Brunnen getrunken haben, denn auf den Fluren Bethlehems hatte er das Kleinvieh seines Vaters geweidet! Ach, wenn er auch jetzt ein wenig davon kosten könnte!

Die Männer, welche David umringten, vernahmen alle diesen Wunsch, aber nur drei von ihnen entschlossen sich, ihn zu erfüllen. Der Entschluss war nicht leicht, denn „eine Aufstellung der Philister (der Todfeinde Israels) war damals zu Bethlehem«. Es war ein gewagtes Unternehmen, ein Gang auf Leben und Tod. Und der Preis? Nur ein Trunk Wasser! War er eines solchen Wagnisses wert? War es nicht fast vermessen, um seinetwillen das Leben dreier Helden aufs Spiel zu setzen? David selbst urteilte nachher so, als die Männer das Wasser brachten. Er wollte es nicht trinken, sondern goss es als ein liebliches, Gott wohlgefälliges Trankopfer vor Jehova aus, indem er sprach: „Fern sei es von mir, Jehova, dass ich solches tue! Sollte ich das Blut der Männer trinken, die mit Gefahr ihres Lebens hingegangen sind?“

Aber die drei Helden dachten anders. Sie ließen sich nicht bestimmen durch die Größe oder Kleinheit der Sache, sondern allein durch den Wert, welchen die Person für sie hatte. Hier bot sich eine Gelegenheit, dem verachteten König Liebe und Ergebenheit zu beweisen, und der Entschluss der Drei war gefasst. Beachten wir auch: es handelte sich nicht um einen Befehl Davids, sondern nur um einen Wunsch. Wäre ein Befehl gegeben worden, so hätte der Gehorsam der Drei sich erweisen können; der bloße Wunsch aber ließ ihre Liebe zu David ans Licht treten. „Dein sind wir, David, und mit dir, Sohn Isais!“

„Da brachen die drei Helden durch das Lager der Philister und schöpften Wasser aus der Zisterne von Bethlehem, die am Tore ist, und trugen und brachten es zu David“ (V. 16). Sie brachen durch —- sie schöpften — sie trugen und — brachten das Wasser zu David. Nicht umsonst wird die Tat der Helden so umständlich berichtet. Es hat dem Geiste Gottes gefallen, bei den Einzelheiten zu verweilen, um das Schöne und Anerkennenswerte jeder einzelnen Handlung hervorzuheben. Will man den Wohlgeruch eines Gewürzes recht wirksam werden lassen, so zerstößt man es.

Die drei Helden haben gewiss nicht daran gedacht, dass ihre Handlung in dem Buche Gottes aufgezeichnet und von Tausenden und Millionen gelesen werden würde. Ihre Herzen waren nur mit David beschäftigt. Sie beseelte nur der eine Wunsch, ihn zu erfreuen und seinen Geist zu erquicken. Hatten sie gehandelt, um sich einen Namen oder Platz- zu erwerben, so würde ihre Handlung aller Schönheit und alles Wohlgeruchs entbehrt haben; sie hätten auch gewiss nicht in dem ewigen Worte Gottes eine ehrende Erwähnung gefunden. Nein,· sie handelten nur aus Liebe, und über dem Dienst, den sie dem König Israels erweisen durften, vergaßen sie alles andere.

O wie sollten wir nach einer ähnlichen Gesinnung dem wahren David gegenüber trachten! Welch ein Gedanke, Ihn tränken, einen Wunsch Seines Herzens erfüllen zu dürfen! Bewegt dieser Gedanke unsere Seele, so wird unser Blick nicht auf eine Belohnung, eine Krone oder einen Ehrenplatz-gerichtet sein, sondern nur der Wunsch wird uns leiten, Ihm zu gefallen, der uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat· Vergessen wir dabei nicht, dass nicht die Größe oder Bedeutsamkeit eines Dienstes dessen Wert vor Gott ausmacht, sondern die Gesinnung, in welcher er getan wird.

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Paulus und Jakobus

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1917 S. 105ff

Im Briefe an die Römer lehrt Paulus die Rechtfertigung allein durch den Glauben, während Jakobus in seinem Schreiben an die zwölf Stämme Israels den Nachdruck auf die Werke legt.

„Dem aber, der nicht wirkt“, sagt Paulus, „sondern an Den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet“ (Röm. 4, 5). Wiederum sagt Jakobus: „Ihr sehet also, dass ein Mensch aus Werken gerechtfertigt wird und nicht aus Glauben alIein“ (Jak. 2, 24).

Wenn man diese Stellen liest, meint man zunächst, die beiden Männer wichen in ihrer Auffassung der Rechtfertigungslehre durchaus voneinander ab; bei näherer Prüfung erkennt man aber, dass in Wirklichkeit der eine nur die Gegenstimme und der Dolmetscher des anderen ist.

Alle, die sich unter die göttliche Eingebung der ganzen Heiligen Schrift beugen, wissen von vornherein, dass sie es auch in dieser wichtigen Lehrfrage nicht mit Paulus und Jakobus, sondern mit dem Heiligen Geist zu tun haben, welcher sich gnädiglich dieser zwei Männer bedient hat, um Seine Gedanken niederschreiben zu lassen. Es ist für sie daher ausgeschlossen, dass zwei von Ihm inspirierte Schreiber einander widersprechen könnten; sie wissen, dass ein geübtes Auge bei näherer Prüfung unbedingte Übereinstimmung zwischen ihnen entdecken wird. Um das Wort zu beurteilen und auch richtig zu gebrauchen, sind wir ja stets auf die Leitung des Heiligen Geistes angewiesen. Selbst unser anbetungswürdiger Herr hat, als Er in der Wüste durch den Teufel versucht wurde, Worte der Schrift angeführt. Der Teufel hat es freilich auch getan zur Erfüllung seiner bösen Absichten und indem er ihre Bedeutung durch Kürzung abzuschwächen und zu verfälschen suchte. Es ist darum wichtig, wer die Schrift anführt, und zu welchem Zweck es geschieht. Satan tut es immer in böser Absicht; aber auch das in uns, „was nicht auf das sinnt, was Gottes, sondern auf das, was der Menschen ist“, (was übrigens der Herr in Matthäus 16, 23 unmittelbar auf Satan zurückführt) nennt gern ein Schriftwort, um sich in falschem Vertrauen, in unheiligem Eifer oder zur fälschlichen Beruhigung darauf zu stützen. Es heißt darum, auch in dieser Hinsicht wachsam und nüchtern zu sein.

Eine ernste Belehrung —— meint ein anderer Schreiber —-— liegt für uns darin, dass unser Herr in der Stunde der Versuchung den biblischen Anführungen Satans nicht ein „Dawider“, sondern ein „Wiederum steht geschrieben“, entgegenhält (Matthäus 4, 7). Daraus gehe hervor, dass nicht eine Stelle die andere aufhebe, auch nicht, dass etwa der eine Vers klar verständlich und der andere dunkel sei, so dass man sich nur an dem einen halten und den anderen nicht berücksichtigen solle. „Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nütze zur Lehre“ (2. Tim. 3, 16). „Wiederum“, nicht Dawider.

Wenn es sich nun um die Rechtfertigungslehre handelt, so entwickelt Paulus den inneren Grundsatz der Frage, Jakobus behandelt sie nach außen hin. Der eine stellt uns das verborgene, der andere das geoffenbarte Leben vor. Während Paulus den Menschen in seiner Verbindung mit Gott im Auge hat, beschäftigt sich Jakobus mit ihm in seinen Beziehungen zu den Menschen. Wir bedürfen des einen wie des anderen; denn der innere Grundsatz besteht nicht ohne äußeres Leben, wie auch dieses äußere Leben ohne die innere Grundlage weder Wert noch Kraft haben würde.

Beide Apostel stützen ihre Lehre auf das Beispiel von Abraham. Paulus beruft sich auf die Stelle 1. Mose 15, 6: „Abraham glaubte Jehova, und Er rechnete es ihm zur Gerechtigkeit“. Jakobus geht in seiner Darstellung von 1. Mose 22, 12 aus: „Nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und deinen Sohn, deinen einzigen, mir nicht vorenthalten hast«. „Ist nicht“, heißt es in seinem Briefe, „Abraham, unser Vater, aus Werken gerechtfertigt worden, da er Isaak, seinen Sohn, auf dem Altar opferte? Du siehst, dass der Glaube zu seinen Werken mitwirke, und dass der Glaube durch die Werke vollendet wurde“ (Jakobus 2, 21. 22).

Auf diese beiden Stellen aus dem 1. Buche Mose wollen wir näher eingehen.

„Abraham glaubte Jehova, und Er rechnete es ihm zur Gerechtigkeit“ Abraham wünschte einen Sohn, denn er wusste aus dem Munde Gottes selbst, dass Gott ihn zu einer großen Nation machen und ihm und „seinem Samen“ das Land geben wolle (Vergl. Kap. 12, 2; 13, 15. 16). Auf seine Klage: „Siehe, mir hast du keinen Sohn gegeben, und siehe, der Sohn meines Hauses wird mich beerben“, geschah nun das Wort zu ihm, dass ein aus seinem Leibe Hervorgehender ihn beerben würde, und dass sein Same wie die Zahl der Sterne sein sollte. Als Abraham das vernahm, glaubte er Jehova, und als die Jahre vergingen, ohne die Erfüllung der Verheißung zu bringen, blickte er nicht auf seinen eigenen ersterbenden Leib, noch auf den erstorbenen Mutterleib der Sarah, sondern „ward gestärkt im Glauben, Gott die Ehre gebend, und war der vollen Gewissheit, dass Er, was Er verheißen habe, auch zu tun vermöge“. Er glaubte an die Macht Gottes in Auferstehung. Die ihm zugerechnete Gerechtigkeit beruhte also auf seinem Glauben an den Gott, der Tote lebendig macht.

Gerade in diesem Charakter offenbart sich Gott in einer Welt, wo der Tod herrscht, und die Seele, welche an Ihn als solchen glaubt, wird von Gott als „gerecht“ anerkannt. Auf diesem Gebiet des Todes ist selbstverständlich der Mensch von jedem eigenen Mitwirken ausgeschlossen· Er vermag die Pforte des Grabes nicht zu öffnen, kann sich der Macht des Todes nicht entziehen und daher auch keine Gerechtigkeit erwirken. Nur Gott kann ihm diese zurechnen, und Er tut es auf Grund seines Glaubens an Ihn, als den Einen, welcher Christum aus den Toten auferweckt hat. Unter diesem Gesichtspunkt stellt uns auch Paulus den Glauben Abrahams vor Augen. Es ist nicht allein Abrahams wegen geschrieben, dass ihm der Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet worden, „sondern auch unsertwegen, denen es zugerechnet werden. soll, die wir an Den glauben, der Jesum, unseren Herrn, aus den Toten auferweckt hat“ (Röm. 4, 24). Der Gott der Auferstehung ist der Gegenstand unseres Glaubens und die alleinige Grundlage unserer Rechtfertigung, so dass wir in Demut mit Paulus sagen können:

„Durch Gnade, durch Glauben, ohne Gesetzeswerke!“ (Röm. 3, 28; Eph. 2, 8).

In 1. Mose 22, 12, auf welche Stelle Jakobus Bezug nimmt, sagt der Engel Jehovas zu Abraham, der gerade im Begriff stand, seinen einzigen Sohn Isaak zum Brandopfer zu opfern: „Strecke deine Hand nicht aus nach dem Knaben und tue ihm gar nichts! Denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und deinen Sohn, deinen einzigen, mir nicht vorenthalten hast“.

Den Beweis des ihm zur Gerechtigkeit gerechneten Glaubens hatte Abraham bis dahin noch nicht erbracht. Der Glaube war vorhanden, und Gott wusste das. Aber wir haben hier den für unsere Betrachtung so wichtigen Punkt, dass Gott Seine Anerkennung des Glaubens von dem handgreiflichen Beweis abhängig machte, den Abraham auf dem Berge Morija geben sollte und gegeben hat;

Der Glaube erweist sich stets durch Werke, die Furcht Gottes stets durch aus ihr hervorsprießende Früchte. „Ist nicht Abraham aus Werken gerechtfertigt worden, da er Isaak opferte?“ fragt Jakobus. Wer würde den Glauben Abrahams noch in Zweifel ziehen, nachdem er auf dem Berge Morija etwas getan hat, was er ohne Glauben nur als Mörder oder Wahnsinniger hätte tun können! Nur wenn wir seinen Glauben in Rechnung ziehen, steht Abraham vor unserer Seele als ein treuer, demütiger Anbeter, als ein gottesfürchtiger und gerechtfertigter Mensch. Aber der Glaube muss erwiesen sein. „Was nützt es“, fragt Jakobus, „wenn jemand sagt, er habe Glauben, hat aber nicht Werke?“ (Kap. 2, 14). Ein Bekenntnis ohne Kraft genügt weder Gott noch Menschen. Gott schaut nach der Wirklichkeit und ehrt sie, wo Er sie findet; und auch die Menschen haben nur Verständnis für einen Glauben, der sich in Werken kundgibt.

Man trenne nur für einen Augenblick die Werke Abrahams, wie Jakobus sie darstellt, von dem Glauben Abrahams, wie Paulus ihn erklärt, und frage sich, welche rechtfertigende Kraft die Werke dann besitzen würden. Der ganze Wert der Werke entspringt allein dem Umstande, dass sie die äußere Offenbarung jenes inneren Grundsatzes sind, kraft dessen Abraham bereits für gerecht erklärt worden war.

Jakobus zeigt uns, dass die Werke vom Glauben nicht zu trennen sind; es handelt sich bei ihm nicht um den Glauben, der uns vor Gott rechtfertigt, sondern um das, was dieser Glaube, durch den der Gläubige gerechtfertigt wird, vor den Menschen hervorbringt. Wenn vor Gott kein Mensch durch Gesetzeswerke gerechtfertigt wird, kann vor Menschen keiner ohne Glaubenswerke gerechtfertigt werden. Jakobus geht — und das ist wichtig — in seiner Lehre davon aus, dass der Mensch, um Frucht bringen zu können, aus Gott geboren, dass „das Wort, das seine Seele zu erretten vermag, in ihm eingepflanzt“ sein muss, und dass Gott einen solchen „nach Seinem eigenen Willen durch das Wort der Wahrheit gezeugt hat“, auf dass er zu der „gewissen Erstlingsfrucht Seiner Geschöpfe“ gehöre (Kap. 1, 18. 21).

So zeigt sich also eine völlige Übereinstimmung zwischen Paulus und Jakobus. In 1. Mose 15 glaubt Abraham dem Worte Gottes, obwohl dasselbe über seine menschliche Vernunft hinausging, und Gott rechnet es ihm zur Gerechtigkeit. Das bewies Abraham in jenem Augenblick durch nichts, als durch seinen Glauben; aber Gott sah diesen Glauben. In 1. Mose 22 tat Abraham ein Werk, welches aus dem Glauben hervorkam. Sein Glaube wurde da „vollendet“, die Schrift wurde erfüllt, welche sagt: „Abraham aber glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet“, und Abraham wurde „Freund Gottes“ genannt (Jak. 2, 23).

Es hat einmal jemand die Lehre des Paulus und Jakobus über die Rechtfertigung in einem Gleichnis darzustellen versucht:

„Ein Gartenbesitzer wollte sich eine bestimmte, als besonders köstlich bekannte Birnensorte zulegen. Der Gärtner Paulus verschafft ihm den gewünschten Baum und pflanzt ihn sorgfältig in den Garten. Der Eigentümer erhält kurz nachher den Besuch des Gärtners Jakobus und zeigt diesem rühmend den vielversprechenden Baum. Jakobus sagt aber achselzuckend: „Ich weiß nicht, ob das ein guter Baum ist“. — „Er ist es aber sicher«, meint darauf der Eigentümer, „denn Paulus hat mir ausdrücklich versichert, dass dieser Baum wirklich die gewünschte köstliche Birne tragen wird« — „Es ist möglich, aber ich weiß es nicht“, antwortet Jakobus; „ich glaube es erst, wenn ich die Früchte gesehen habe“.“

Wir leben in einer Zeit voller Religionsbekenntnisse. Die Sprache des Glaubens ist auf vielen Lippen, der Glaube selbst aber ist wie eine kostbare Perle, so selten wie diese. Und ohne Werke ist es unmöglich, seinen Glauben zu zeigen. Man kann glauben, dass Gott Einer ist. Alle Juden glaubten es, aber diese Überzeugung entsprang nicht dem lebendigen, rechtfertigenden Glauben. Auch die bösen Geister glauben, dass es einen Gott gibt, und der Mensch, der sich mit solchem Glauben begnügt, dessen Glaube ist eitel, ist tot.

So wollen wir uns denn freuen über die Lehre der Rechtfertigung, wie sie der Heilige Geist durch Seine beiden treuen Diener hat niederschreiben lassen.

Wollen Zweifel und Sorge uns im Blick auf uns selbst niederdrücken, oder kommen wir in Versuchung, auf unsere eigenen Werke zu bauen, so wollen wir uns an das trostreiche Wort erinnern: „Aus Gnade, und nicht aus Werken“.

Will uns dagegen eine falsche Sicherheit beschleichen, oder haben wir uns irgendwelcher Nachlässigkeit schuldig gemacht, dann lasst uns daran gedenken, dass Jakobus sagt: „Der Glaube ohne die Werke ist tot“.

Haben wir Paulus verstanden, dann wird Jakobus uns in der Gnade, in der wir stehen, befestigen. Wir erfassen dann den Glauben als eine von Gott dargereichte Kraft und ,,zeigen unsere Werke aus dem guten Wandel in Sanftmut der Weisheit“ (Jak. 3, 13).

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Lehren der Trübsal

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1917 S. 113ff

„Das, was man nicht sieht, ist ewig“ (2. Kor. 4, 18).

Im Nachstehenden möchten wir unseren Lesern die letzten Briefe eines Bruders zur Kenntnis bringen, der lange durch eine schreckliche Krankheit geprüft wurde und vor kurzer Zeit zu Jesu gehen durfte.

Über die Krankheit und den Heimgang unseres Bruders selbst schreibt dessen Witwe unter anderem:

Trotz der weiten, weiten Lücke, die der Heimgang unseres so innig Geliebten gerissen hat, können wir uns doch nur freuen, wenn wir an das Glück und die köstliche Ruhe denken, die er jetzt nach vier Jahren ununterbrochenen schmerzlichen Leidens bei seinem Herrn genießt. Seine Leiden wurden mit jedem Jahre schlimmer. Die letzten sechs Monate waren die schlimmsten. Da hatte er weder bei Tage noch bei Nacht Ruhe. Die ärztlichen Beruhigungsmittel blieben fast wirkungslos. Der Kranke wollte auch nicht, dass die Arzneimengen erhöht würden, aus Furcht, die Klarheit seines Geistes möchte dadurch getrübt werden. Lieber wollte er leiden, als einer Art Dämmerzustand anheimfallen, der ihn am Genuss der Dinge droben hätte behindern können. So lange es ihm möglich war, las und schrieb er. Ich erinnere mich nicht, je auch nur einen Laut des Murrens ans seinem Munde vernommen zu haben. Seine Unterwerfung und seine Geduld waren bewunderungswürdig, und er hörte nicht auf, die Gütigkeiten des Herrn ihm gegenüber zu rühmen. Für uns hatte er stets Worte der Ermunterung.

In den letzten acht Tagen ließen seine Leiden allmählich nach. Er, der monatelang mit hochgezogenen Knien auf der linken Seite hatte liegen müssen, konnte jetzt jede beliebige Lage einnehmen. Aber er war fortan so schwach, dass er nur noch sprach, wenn er seiner Freude, bald im Vaterhause zu sein, Ausdruck geben wollte.

Sein Heimgang war schön und friedlich. Unbeweglich waren seine Augen gen Himmel gerichtet. Sein Gesicht strahlte, und mehrmals sagte er: „Ich sehe Ihn! O ich sehe Ihn!« Einer von uns fragte ihn: „Siehst du uns denn nicht?“ „Nein“, erwiderte er, „ich sehe Ihn, Ihn“. Dann blickte er uns einen Augenblick an und fügte hinzu: „Ich sehe euch ein wenig“. Darauf richtete er die Augen wieder gen Himmel und wiederholte: „Ich sehe Ihn“.

Kurz vor seinem Heimgang wies er mit dem Finger nach oben. Dann verlor er das Bewusstsein.

Ein Freund, der Zeuge der Leiden unseres geliebten Entschlafenen gewesen ist, schreibt:

„Wie köstlich ist die Erinnerung an ihn für die Seinen und für alle, die ihn von Zeit zu Zeit gesehen haben während dieser vier Leidensjahre! Unser Bruder konnte von Anfang an die Prüfung aus der Hand des Herrn annehmen. Einmal sagte er zu mir: „Der Herr hat mich aus dem Geschäft genommen. Er hat mich beiseite gesetzt. Er weiß, weshalb. Jedenfalls aber ist es deshalb geschehen, damit ich mich nicht nach weiter mit diesen Dingen einlasse.“ Seine Glaubenskraft hat sich in seinen Fortschritten erwiesen, indem er sich trotz seiner Leiden immer mehr mit den himmlischen Dingen beschäftigte.

„Wenn wir dieses gesegnete Ergebnis betrachten, so verstehen wir besser die Weisheit der Wege des Herrn. Viel klarer als wir sieht Er solches Ergebnis von Anfang an voraus, und Er wird es auch zu seiner Zeit offenbar machen, gemäß dem Worte des Apostels: „Auf dass die Bewährung eures Glaubens, viel köstlicher als die des Goldes, das vergeht, aber durch Feuer erprobt wird, erfunden werde zu Lob und Herrlichkeit und Ehre in der Offenbarung Jesu Christi“ (1. Petr. 1, 7).

Wenden wir uns jetzt zu den letzten Briefen des Heimgegangenen.

Lieber Bruder!

. . . Haben Sie von dem Heimgang unseres Bruders V. gehört? Welch eine Erlösung nach langer und schmerzhafter Krankheit, die durch die Verhältnisse noch um so viel schwerer empfunden wurde! Seine Frau und Tochter haben mit Hilfe zweier Nachbarinnen den Entschlafenen selbst beerdigen müssen. Welch peinliche Umstände für diese Herzen, die ohnehin schon von Schmerz zerrissen waren! Aber unsere lieben Schwestern sind aufrecht gehalten worden, und sie preisen den Herrn dafür, dass Er den großen Leiden ihres Gatten und Vaters ein Ende gemacht hat. Was für schwierige, tief niederbeugende Verhältnisse gibt es doch, die wir nicht kennen und die noch drückender werden dadurch, dass die Betreffenden ganz allein hindurchgehen müssen! Aber dennoch, für uns, die Geliebten des Herrn, gibt es ja kein wirkliches AlIeinsein, denn Er selbst ist stets bei uns. Nichts kann uns scheiden· von Seiner Liebe. Welch ein Unterschied, lieber Bruder, besteht darin, ob wir diese Wahrheit in Trübsalsstunden genießen, oder in Zeiten, wo äußerlich alles gut geht! Im ersten Falle lernen wir Ihn immer besser kennen und immer mehr lieben, und bald werden wir Ihn für alles preisen. Es kommt mir so vor, als ob die Herzen der Heiligen bei Beginn der gegenwärtigen Ereignisse tiefer berührt gewesen wären, als heute. Ach, wie gewöhnen unsere armen Herzen sich doch an alles! Immerhin bleiben gewisse Gegenden unter ständiger Angst und Sorge. Wie könnte es auch anders sein gegenüber so vielen Trauerfällen, so vielen gebrochenen Herzen!

Betreffs der Gebetsversammlungen habe ich häufig dieselben Gedanken gehabt wie Sie· Gehen wir heute nicht alle durch Prüfungen? Und sollten unsere Herzen nicht eins sein in dem gemeinsamen Bedürfnis, beständig zum Herrn zu schreien? Lassen Sie uns darin nicht müde werden, geliebter Bruder! Lassen Sie uns unablässig zum Herrn rufen, wenn wir es auch allein tun müssen! „Das inbrünstige Gebet eines Gerechten vermag viel.“ Beten wir mit Verständnis, Vertrauen und Ausharren!

Der Herr segne Sie in der Verkündigung des Evangeliums! Er bereite die Herzen zu, damit sie Jesum aufnehmen, so lange noch der Tag der Gnade leuchtet! In der Prophezeiung des Jeremias lesen wir: „Der Pharao, der König von Ägypten, ist verloren; er hat die bestimmte Zeit vorübergehen lassen“ (Kap. 46, 17). Der Landpfleger Felix war wohl bereit, den Apostel „über den Glauben an Christum“ zu hören. Als dieser aber über das kommende Gericht redete in Verbindung mit Gerechtigkeit und Enthaltsamkeit, entgegnete er ganz erschrocken: „Für jetzt gehe hin; wenn ich aber gelegene Zeit habe, werde ich dich rufen lassen“ (Apstgsch. 24, 24. 25). Das Herz des Menschen ist heute nicht besser. Er denkt vielleicht, wenn er nur die groben Dinge vermeide, so werde er dem Gericht Gottes entfliehen. Und so verachtet er „den Reichtum Seiner Gütigkeit und Geduld und Langmut, nicht wissend, dass die Güte Gottes ihn zur Buße leitet“ (Röm. 2, 4).

Was mich selbst betrifft, so bessert sich mein Zustand nicht. Seit Ihrem letzten Besuch habe ich recht schlimme Zeiten durchlebt. Die Prüfung währt lange. Der Schmelztiegel ist heiß, aber es ist Gottes Tun. Er behält mich in Seiner Schule, bis die Aufgabe gut gelernt ist. Ein Bruder machte einmal in Bezug auf die Trübsal, die nach Jer. 48, 9 - 13 über Moab kommen wird, die Bemerkung, dass wir auch „von Fas zu Fass ausgeleert“, mit anderen Worten, von Prüfung zu Prüfung gebracht werden müssten, damit unser Geruch sich verändere. Moab hatte allezeit still auf seinen Hefen gelegen und war nie in die Gefangenschaft gezogen. Auch muss das Gefäß zerbrochen werden, lieber Bruder, damit der Töpfer ein anderes daraus mache, das ihm gefällt (Vergl. Jer. 18). Wie viele Erfahrungen müssen auf dem Krankenbett gemacht werden, da sie sonst wo nicht gemacht werden können! Ich hielt meine Liebe zum Herrn für stark, und gewiss habe ich Ihn auch geliebt; aber Er hat mir gezeigt, wie wenig ich Ihn noch liebte, weil ich Ihn nur wenig kannte. Er nimmt mir alles, aber Er nimmt mir eines; nach dem anderen, und Er gibt mir dafür größere Erkenntnis und größeren Genuss an Ihm selbst. Wie schwer fällt es einem doch, die sichtbaren Dinge für die unsichtbaren dahinzugeben! Wir möchten beide behalten. Aber das ist nicht möglich, denn die ersten verdunkeln die zweiten, und infolge dessen verdunkeln sie uns Christum. Ich bedarf Geduld und Mut, und ich finde beides, wenn ich den Blick nur auf den Herrn gerichtet halte. Noch ein Weilchen, und die Trübsal wird zu Ende sein. Ich weiß, dass die Zeit dafür bestimmt ist, und dass sie nicht überschritten werden wird. Meine liebe Frau folgt mir mutig auf dem Wege durch das Tal des Todesschattens und findet dieselben Tröstungen wie ich in dem Stecken und Stabe des guten Hirten. Wir wissen, dass der Weg im Vaterhause endet. Das ist ein köstlicher und bleibender Trost, und wir werden sicherlich nicht in unserer Erwartung getäuscht werden.

Zu einer späteren Zeit schrieb der liebe Kranke an einen Verwandten:

. . . Es scheint mir, dass der Herr, je weiter ich in der Prüfung voranschreite, mir umso mehr nimmt, bald das eine, bald das andere. Aber ich erhebe keinen Einspruch dagegen, und ich kann mit dem Psalmisten sagen, dass ich „gleich einem entwöhnten Kinde bei seiner Mutter bin“ (Vergl. Psalm 131). In der Tat, wenn Er mir auch die Dinge hienieden entzieht, so tritt Er selbst mir doch umso näher. Das Kind kann nicht immer Milch erhalten, aber wenn seine Mutter es auch entwöhnen muss, umgibt sie es doch mit umso größerer Sorge. Gerade so handelt der Herr mit uns. Es kommt auch vor, das; Er, wenn dies nötig ist, unseren Glauben auf die Probe stellt. Leider achten wir die Bedeutung dieses Eingreifens nicht so wie Er, und so fangen wir an zu seufzen und zu klagen, wenn das Leid zunimmt. Bruder P. schrieb mir, dass das, was Gott in uns tue, wichtiger sei als das, was wir für Ihn tun. Das ist Seine Arbeit, fügte er hinzu, die im Himmel geschaut werden wird. Da wir nun Seine Vollkommenheiten zurückstrahlen sollen, müssen wir hienieden dazu zubereitet werden. Gegenwärtig ist Leidenszeit, die Herrlichkeit wird später kommen. Warten wir mit Geduld! . . .

Was mich angeht, so kann ich nicht von großen Veränderungen reden. Ich fühle mich ein wenig wohler, als vor einigen Wochen. Doch kann ich das Bett nicht verlassen, und mein allgemeiner Zustand bessert sich nicht. Mein Vertrauen ist unentwegt auf den Herrn gerichtet. Er wird mir Kraft und Mut geben, die ich so sehr nötig habe, um alles zu ertragen, auf dass ich Ihn auf meinem Lager verherrlichen kann; denn da will Er mich ja haben. Meine liebe Frau folgt mir tapfer auf dem Trübsalswege. Doch ist sie stets außerordentlich müde; denn so viel Arbeit seit mehr als drei Jahren — wir befinden uns schon im vierten Jahre des Feuerofens — ohne jede Ruhe, führt schließlich eine ganz außergewöhnliche Ermüdung herbei, sowohl in leiblicher als auch in seelischer Hinsicht. Ich flehe zum Herrn, dass Er sie bis zum Ende aufrecht halte, denn unsere Hilfe kommt von Ihm allein.

Ganz kürzlich schrieb unser Bruder an den gleichen Verwandten:

Auf meinem Krankenbett habe ich oft über die Stelle nachdenken müssen, in welcher von dem „Vater der Erbarmungen und Gott alles Trostes“ die Rede ist. (2. Kor. 1, 3.) Will man einem leidenden Bruder Trost bringen, so muss man zunächst selbst getröstet worden sein; man muss selbst die Erfahrung gemacht haben, dass unser Gott der Gott alles Trostes ist. Wir haben es nicht mit einem vorübergehenden Trost zu tun. In 2. Thess. 2, 16 spricht der Apostel von einem „ewigen Trost“. Deswegen erfahren wir so viel Gutes von christlichen Besuchen . . .

Seit mehreren Wochen und auch in diesen letzten Tagen leide ich sehr. Die Schmerzen treten so schlimm auf, dass Tag und Nacht fast gleich sind. Ich bedarf sehr, dass der Herr mich aufrecht halte, dass Er mir Mut gebe und die nötige Geduld darreiche, um auf dem Wege nicht zu ermatten. Ich weiß, dass Er Seine Erbarmungen gegen mich nicht zurückhält, dass Er bei mir sein wird beim Durchschreiten der Wasser, und dass Seine Rechte mich hält. Ich kenne ja alle diese Wahrheiten, aber ich habe Ihn selbst nötig, um sie zu genießen.

Auf einem Krankenbett lernt man mancherlei Dinge. Es ist eine Schule, deren Unterweisungen nicht leicht zu behalten sind; aber wir haben es mit einem göttlichen Lehrmeister zu tun, der mild und geduldig ist. Er nimmt die gleiche Aufgabe so oft vor, wie es nötig ist, denn Er bereitet uns für den Himmel zu. Aber der Schmelztiegel ist heiß, mein lieber Freund! Dennoch wird der Herr nicht zulassen, dass ich darin verzehrt werde, denn ich soll ja Sein Bild zurückstrahlen.

Es sind für mich, wie ehemals für Hiob und für David, Dinge, deren Verständnis schwierig ist. Sie sind zu wunderbar, als dass ich sie für den Augenblick begreifen könnte. Aber das wird kommen, und der Herr wird, das weiß ich, mich bis zum Ende aufrecht halten, so schwer auch der Weg sein mag. Ich freue mich, in der Erwartung des Auferstehungstages, dass es einen Augenblick geben wird, wo ich bei dem Herrn sein werde, wie der geliebte Bruder B. im Genuss eines vollkommenen Friedens kurz vor seinem Tode sagte ….

Am 6. Januar schrieb der Kranke seinen letzten Brief an einen lieben Bekannten:

Ich habe Ihren Brief erhalten, und ich bin sehr dankbar für Ihr Mitgefühl, besonders in solch ernsten Augenblicken, denn ich werde immer schwächer. Aber welch köstliche Aussicht, bald meinen geliebten Heiland sehen zu dürfen! Ich möchte Sie so gern noch einmal auf dieser Erde sehen; doch kann ich jeden Augenblick zum Herrn gerufen werden. Ich hoffe, dass Er mir noch diese Freude gewähren wird. Sollten wir uns jedoch hienieden nicht mehr wiedersehen, dann droben. Dort wird für immer alles vorüber, alles beendet sein, was die gegenwärtige Zeit an Leiden hat. Darüber freue ich mich . . .

Am 2. Februar war unser Bruder daheim.

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Nähe und Gemeinschaft

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1917 S. 122ff

Im 23. Psalm rühmt der Psalmist die Güte des großen Hirten Seiner Herde. Es ist ihm eine Freude, die Einzelheiten der göttlichen Guttaten der Reihe nach aufzuzählen. Aber sein Glück beschränkt sich nicht auf den Genuss der unermüdlichen Sorge Jehovas, so kostbar deren Beweise für ihn auch sein mögen; die eigentliche Quelle seiner Freude ist die Tatsache, dass er sich in der unmittelbaren Nähe Dessen befindet, den er als seinen guten Hirten kennt. Diese Gunst gewährt ihm völligste Beruhigung. Sie ist seiner Seele überaus wertvoll. „Du bist bei mir“, sagt er, „dein Stecken und dein Stab, sie trösten mich.“

Aber David redet nicht allein von dem vollkommenen Trost, den seine Seele unter dem unmittelbaren Schutz des Hirten genießt, einem Trost, der bei keiner Mühsal, keiner Not aus dem Wege, selbst nicht angesichts des Todes, versagt, — eine ganz neue Segnung, die gewissermaßen alles Vorhergegangene krönt, wird ihm zuteil. Er fährt fort: „Du bereitest vor mir einen Tisch angesichts meiner Feinde; du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, mein Becher fließt über“.

Der gedeckte Tisch ist das bekannte Sinnbild der Gemeinschaft. Ja, in die innige Gemeinschaft mit dem Herrn selbst wird der treue Gläubige eingeführt. Der Herr wird das Teil seines Herzens. An Ihm darf und soll er sich stets erfreuen, mag er auch von Feinden umgeben sein. Was könnte an dem Glück eines Menschen fehlen, der eine derartige Segnung durch den Glauben sich wirklich zu eigen macht? Sein Becher fließt über.

Als auf eine treffende Erläuterung des Gesagten sei auf zwei Beispiele aus dem Leben des glücklichen Apostels Paulus hingewiesen.

Es ist kaum nötig zu betonen, dass dieser treue Zeuge Christi seinem Meister ganz nahe nachgefolgt ist, indem er Ihm diente mit einer Liebe, die unter Menschen ihresgleichen kaum hat. Er durfte deswegen auch des Herrn Gnade und Kraft in überströmendem Maße erfahren (Vergl. 2. Kor. 12, 9). Indem er in Wahrheit verwirklichte, was Jesus für den Gläubigen ist, drängte die Liebe Christi sein Herz (Vergl. Gal. 2, 20; 2. Kor. 5, 14). Vor allem aber durfte er am Ende seines Lebens, als die Schatten des Todes sich bereits auf seinen Pfad herabsenkten, die Gegenwart seines Herrn und Heilandes in ganz besonderer Weise schmecken. Er schreibt darüber in dem zweiten Brief an sein geliebtes Kind Timotheus. Nachdem er zuerst gedrückten Herzens hat sagen müssen: „Bei meiner ersten Verantwortung stand mir niemand bei, sondern alle verließen mich“, fügt er hinzu: „Der Herr aber stand mir bei und stärkte mich, . . und ich bin gerettet worden aus dem Rachen des Löwen. Der Herr wird mich retten von jedem bösen Werk und bewahren für Sein himmlisches Reich, welchem die Herrlichkeit sei von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ (Kap. 4, 16 -18). Welch eine Sicherheit verlieh ihm diese Nähe des Herrn in jenem Augenblick!

In einem andern Falle, zur Zeit seiner ersten Gefangenschaft, verwirklichte der Apostel ebenfalls in besonderer Weise die Kostbarkeit der Person Christi für sein Herz. Ein Gefangener in Ketten, verhindert, sich dem Werke zu widmen, das ihm so sehr am Herzen lag, getrennt von allen seinen Freunden, musste er mit Weinen von solchen reden, die einst zu den Freunden gerechnet worden waren, sich aber jetzt als Feinde des Kreuzes Christi erwiesen. Da, in dieser schmerzlichen Lage, wird ihm ein unschätzbares Teil, das niemand ihm zu rauben vermag. Der Herr selbst erweist sich als die Quelle tiefster, reinster Freude für Seinen gebeugten Knecht. Paulus ist so glücklich, dass er seine Weggenossen einladen kann, aus derselben Quelle zu schöpfen. Aus dem Gefängnis heraus schreibt er an seine geliebten Philipper: „Ich freue mich, ja, ich werde mich auch freuen«, „ich freue mich und freue mich mit euch allen. Gleicherweise aber freuet auch ihr euch und freuet euch mit mir“ — „erfüllet meine Freude“ — „ich habe mich in dem Herrn sehr gefreut“. Zweimal fordert er sie unter dem Schreiben auf, „sich in dem Herrn zu freuen“ (Phil. 3, 1; 4, 4).

Die Gefangenschaft mit allem, was sie an Entmutigendem und Niederdrückendem in sich barg, wurde durch die Gegenwart des Herrn ganz und gar umgewandelt. Wie wenn zur Frühlingszeit die erquickenden Sonnenstrahlen die noch in Winternacht und Kälte liegende Natur erwärmen und neues Leben hervorzaubern. Und dieses tiefe Glück, das die Seele des Apostels erfüllte, hat sicher nicht verfehlt, alle die zu ermutigen, an welche die Botschaft gerichtet war.

Bei einer früheren Gelegenheit, kurz vor der Abreise nach Rom, wurde der Apostel eines Tages vor einen der Großen dieser Erde gerufen (Apstgsch. 26). Da streckt er die mit Ketten beladene Hand aus und ruft dem König Herodes-Agrippa die Worte zu: „Ich wollte zu Gott, dass über kurz oder lang nicht allein du, sondern auch alle, die mich heute hören, solche würden, wie auch ich bin, ausgenommen diese Bande“ (V. 29). Das hieß mit anderen Worten: Alle seine Zuhörer sollten nicht nur Christen, sondern wahrhaft glückliche Christen werden, Leute, wie der vor ihnen stehende Gefangene einer war. Welch ein ergreifender Wunsch! Fürwahr, auch in diesem Augenblick stand es vor der Seele des Gebundenen Christi Jesu wie ein durch seinen Herrn selbst gedeckter Tisch angesichts seiner Feinde. Selbst in den Banden konnte der Apostel für seinen Herrn dieses wunderbare Zeugnis ablegen; sein Becher floss über. Wie unendlich weit geht dieses Glück über all die angeblichen Freuden der Erde hinaus! Paulus, der Gefangene, war glücklicher als der König auf seinem Thron, als die Großen der Erde in all ihrem Glanz. Nicht nur war der Herr mit Seinem Knechte, war ganz nahe bei ihm, um ihn zu stützen und ihm Mut einzuflößen, nein, Er war auch der Schatz« das höchste Gut seines Herzens. In Gemeinschaft mit Ihm war seine Freude völlig.

Mein lieber gläubiger Leser, dieses kostbare Teil ist auch für dich da, in Not und Gefahr sowohl wie in Zeiten äußeren Wohlergehens. Wo du dich befinden magst, in der Stille bei den Deinigen, in der Unruhe des Geschäftslebens, oder, wie es ja in unseren Tagen für so viele Jünger Jesu zutrifft, auf den Kriegsschauplätzen in tausend Nöten, Entbehrungen und Gefahren — überall hat der gute Hirt einen Tisch bereitet zu deinem Besten, und du bist herzlichst gebeten, daran Platz zu nehmen. Mache es wie Paulus oder auch wie Mephiboset, jener in mancher Hinsicht so bedauernswerte und doch so glückliche Gegenstand der Güte Gottes: weile allezeit in der Nähe des Herrn! Mephiboset war lahm an beiden Füßen, aber er wohnte zu Jerusalem, dem Wohnsitz des Königs David, und „er aß beständig am Tische des Königs“ (2. Sam. 9).

Christus, unser hochgelobter Heiland, ist das Teil des Herzens des Gläubigen. (Lies 1. Joh. 1). Genießt man Ihn in der köstlichen Nähe und Gemeinschaft, wovon wir soeben geredet haben, so wird es einem ergehen wie dem Psalmisten, der da jubelt: „Wie von Mark und Fett wird gesättigt werden meine Seele, und mit jubelnden Lippen wird loben mein Mund“ (Ps. 63, 5). Der Weg zu allem diesem ist der Glaube. Durch den Glauben treten wir als Sünder in Beziehung zu Gott, und durch den Glauben bleiben wir als Gläubige in der Verbindung mit Ihm.

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Siehe ich bin da!

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1917 S. 126ff

Dieses schöne, beruhigende Wort spricht Jehova zu dem Propheten Hesekiel (Kap. 34, 11) im Blick auf Seine Schafe aus dem Hause Israel in einer Zeit, als wahre, von Ihm gesandte Hirten fehlten und falsche, selbstsüchtige Hirten in der Mitte des Volkes tätig waren. Er selbst wollte sich Seiner Herde annehmen und nach Seinen Schafen fragen, um sie auf grüne Auen zu führen und dort gute Weide finden zu lassen. Lasst uns obige Worte auf unsere Zeit anwenden. Auch heute ist die geliebte Herde des Herrn durch den Völkerkrieg vielfach zerstreut worden. Viele Schafe sind von der Herde getrennt und müssen ihren Weg allein gehen. Die kostbaren Segnungen und Vorrechte, die sie in den gemeinsamen Zusammenkünften der Gläubigen jahrelang genossen haben, sind ihnen genommen. Scheinbar stehen sie verlassen da. Manche Brüder, vom Herrn begabt und berufen, den Gläubigen zu dienen, sind ebenfalls zum Heeresdienst eingezogen oder durch die Umstände, durch häusliche und geschäftliche Verhältnisse gehindert, den liebgewordenen, gesegneten Dienst in der Mitte der Gläubigen auszuüben. Ja, es scheint fast so, als sollte infolge der Lage der Dinge der Dienst nach außen hin ganz lahm gelegt werden. Das Reisen sowie der Aufenthalt an anderen Orten gestaltet sich immer schwieriger.

Da kann der wahre Knecht des Herrn nicht anders, als im Blick auf die Herde besorgt zu seinem Herrn aufzublicken. Es sind Tage der Finsternis und des Wolkendunkels. Ohne Frage hat auch Hesekiel in seinen Tagen es so gemacht. Er hat nach oben geschaut und zum Herrn gerufen, und der Herr hat geantwortet.

Wie kostbar ist es, dass wir auch für unsere Tage jenes schöne Wort besitzen: „Siehe, ich bin da!“ Es ist die Stimme des Erzhirten, des großen Hirten der Schafe. Er ist und bleibt derselbe gestern, heute und in alle Ewigkeit. Er ist da, und Er vermag jedes Seiner Schäflein so reichlich zu erquicken im Tale der Tränen und des Todesschattens, dass es auch sagen kann: „Mein Becher fließt über“.

„Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis zur Vollendung des Zeitalters“, rief derselbe Herr und Heiland Seiner kleinen Herde in Matth. 28, 20 zu, und mit segnend ausgebreiteten Händen schied Er von ihnen, so dass sie mit großer Freude nach Jerusalem zurückkehren konnten (Luk. 24, 50 - 53).

In späteren Tagen ließ Gott es der Macht Satans zu, Seinen Knecht Johannes nach der öden Insel Patmos zu bringen. Getrennt von „seinen Kindern“, weilte er dort als ein Verbannter. Aber nichts konnte den großen Sieger über Tod und Grab aufhalten, Seinen geliebter: Jüngers an Seinem Tage zu besuchen und sich ihm offenbar zu machen. Wohl mochte Traurigkeit das Herz des Johannes erfasst haben, aber seine Traurigkeit sollte zur Freude werden. Beachten wir auch, dass nur auf diesem Wege ihm die besonderen Offenbarungen zuteil werden konnten, deren Träger er geworden ist.

So war auch Paulus von allen verlassen, ein einsamer Gefangener in Rom, aber der Herr stand ihm bei und stärkte ihn. Die Predigt wurde vollbracht, Gottes Wort wurde ausgestreut, und alle aus den Nationen hörten es (2. Tim. 4, 16. 17).

So lasst uns denn dies festhalten: „Er ist da“! Er fehlt nicht, weder im Blick auf Sein Werk und die Seinigen in ihrer Gesamtheit, noch auch für jeden einzelnen, der vertrauensvoll zu Ihm aufschaut. Möchten aber auch alle, die vom Herrn dazu befähigt sind, und in deren Herzen die Liebe wirksam ist, an das Wort des Hirten Petrus denken: „Hütet die Herde Gottes, die bei euch ist“ (1. Petr. 5, 2), damit der noch ausführbare Dienst in Demut und Treue ausgeübt werde!

Für die Herde heißt es mehr. denn je: „Euch selbst erbauend auf euren allerheiligsten Glauben, betend im Heiligen Geiste, erhaltet euch selbst in der Liebe Gottes, erwartend die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus zum ewigen Leben!“ (Jud. 20. 21).

Gott sei gepriesen! Der große Hirte der Schafe weidet auch in diesem gewaltigen Völkerkrieg die Seinigen insgesamt, wie jeden persönlich, „nach der Lauterkeit Seines Herzens, und mit der Geschicklichkeit Seiner Hände leitet Er sie“ (Ps. 78, 72). Und wir, Sein Volk, die Herde Seiner Weide, können Ihn im Glauben jetzt schon für diese Tage preisen und werden es bald in Vollkommenheit droben tun, wo wir Sein Lob erzählen werden von Ewigkeit zu Ewigkeit. (Vergl. Ps. 79, 13).

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Glaubst du an den Sohn Gottes? *)

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1917 S. 129ff

Gott kann sich selbst nicht verleugnen, Seine Heiligkeit nicht aufgeben, noch Seine Augen vor unserer Sünde verschließen. Er kann vergeben, kann die Sünden und Missetaten austilgen, und wenn Er sie einmal ausgetilgt hat, gedenkt Er ihrer nicht mehr; aber Seine Heiligkeit kann Er nie preisgeben. Sogar wenn Er die Sünden vergibt, tut Er es auf eine Weise, die Seinen ewigen Hass wider die Sünde kundgibt und bestätigt.

Wie aber ist das möglich? - Das Kreuz Christi löst das Rätsel. Gott hat Seinen eigenen Sohn dahingegeben, um für die Sünde zu sterben. „Gott war in Christo, die Welt mit sich selbst versöhnend, ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnend, und hat in uns den Dienst der Versöhnung niedergelegt“ (2.Kor. 5, 19).

Wie aber kann ich diesen Segen erlangen, und wie kann ich wissen, dass er mein ist? — Gott sei gepriesen! So wichtig und ernst diese Fragen auch sind, es gibt betreffs der Antwort keine Ungewissheit. Denn Gott selbst hat sie beantwortet. Er hat den Befehl gegeben, dass Buße und Vergebung der Sünden im Namen Jesu gepredigt werde. Er sagt, dass in diesem Namen die Vergebung der Sünden Verkündigt werden dürfe, und dass jeder, der an Ihn glaubt, gerechtfertigt werden würde. Es ist nicht wahr, dass alle Menschen die Rechtfertigung erlangen; aber es ist gewisslich wahr, dass alle, die da glauben, gerechtfertigt werden.

Wie geht das aber zu? — Gott hat in Seinem Worte zu uns geredet. Wir hören dieses Wort. „Der Glaube ist aus der Verkündigung (oder aus dem Hören), die Verkündigung aber durch Gottes Wort“ (Röm. 10, 17). Darin liegt das eigentliche Wesen des Glaubens. Er hört Gott zu. Er nimmt an was Er sagt, und nichts anderes· Er versiegelt, dass Gott wahrhaftig ist. So hat Abraham es gemacht, und alle, die aus dem Glauben sind, werden mit dem gläubigen Abraham gesegnet.

Aber was darf ich glauben? Was kann Gott mir, dem Sünder, zu sagen haben? — Er spricht von Buße, von dem Bereuen meiner Sünden Ihm gegenüber, von der „Buße zu Gott“, und von dem „Glauben an unseren Herrn Jesus Christus“ (Apstgsch. 20, 21). An Ihn glauben ist nicht bloß ein Anerkennen dessen, was von Ihm oder über Ihn geschrieben steht, ein Annehmen, dass das alles wahr ist. Die Kraft des wahren Glaubens zeigt sich in der Buße, d. h. darin, dass der Sünder dahin geleitet worden ist, sich vor dem Urteilsspruch Gottes über ihn zu beugen, also sich selbst, seine Sünde und seinen Zustand vor dem Angesicht Gottes zu richten, um dann, von der Sünde überzeugt, sein Vertrauen auf Christum zu setzen, sich ganz und gar auf die Erlösung zu stützen, die in Ihm ist.

Gott zeigt mir, dass ich ein verlorener Sünder bin, und lenkt dann meinen Blick auf Jesum. Denn der Sohn des Menschen ist gekommen, um Sünder zu erretten. Gott tut mir kund, was Christus für Sünder getan hat. „Er erweist Seine Liebe gegen uns darin, dass Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist“ (Röm. 5, 8).

Gott zeigt mir ferner, dass ich tot bin. Was kann ein Mensch für Gott tun, wenn er wirklich tot ist in Vergehungen und Sünden? Aber dann zeigt Er mir Seinen Sohn und lässt mir sagen: „Dies ist das Zeugnis, das; Gott uns (d. h. denen, die da glauben) ewiges Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in Seinem Sohne. Wer den Sohn hat, hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht“ (1. Joh. 5, 11. 12). Der Herr Jesus selbst hat gesagt: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, dass die Stunde kommt und ist jetzt, da die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, und die sie gehört haben, werden leben“ (Joh. 5, 25).

Mein lieber Leser! Fange damit an. Nimm das Zeugnis Gottes betreffs deiner an, sowie das Zeugnis, das Er über Seinen Sohn gegeben hat. So, und nur so, kannst du Leben, ewiges Leben haben. Und um für Gott leben zu können, müssen wir das Leben von Ihm empfangen; aber Er gibt dir das Leben nicht, es sei denn durch Seinen Sohn. Wenn ich an Seinen Sohn glaube, wenn ich glaube, was Gott über Seinen Sohn gesagt hat, habe ich das Leben. Nachher darf ich für Ihn leben, und für Ihn allein. Denn, errettet durch Seine reiche Barmherzigkeit, sind wir „Sein Werk, geschaffen in Christo Jesu zu guten Werken, welche Gott zuvor bereitet hat, auf dass wir in ihnen wandeln sollen“ (Eph. 2, 10).

Ist es aber nicht vermessen, zu denken und zu sagen, dass wir, arme Sünder, die geglaubt haben, schon in dieser Welt das ewige Leben besitzen? Gewiss, es würde vermessen sein, wenn Gott nicht geredet hätte, wenn wir nicht von Seiner Seite die vollkommene, bestimmte Versicherung besäßen, dass es also ist. Wäre es da nicht viel mehr vermessen, das zu verwerfen oder auch nur in Zweifel zu ziehen, was Gott gesagt hat? Die allein wahre Demut besteht darin, Gott zu glauben. Nun, Gott hat durch Seinen Diener Johannes uns sagen lassen: ,,Dies habe ich euch geschrieben, auf dass ihr wisset, dass ihr ewiges Leben habt, die ihr glaubet an den Namen des Sohnes Gottes“ (1. Joh. 5, 13).

Ich bitte dich, mein Leser, richte deinen Blick auf den Sohn Gottes. Nur dann, wenn du Ihn anschaust, kannst du den Sieg über die Welt davontragen. „Wer ist es, der die Welt überwindet, wenn nicht der, welcher glaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist?“ (1. Joh. 4, 5.) Es gibt keine guten Werke, keine wahre Liebe, keine christliche Heiligkeit ohne Glauben.

„Glaube an den Herrn Jesus, und du wirst errettet werden“ (Apstgsch. 16, 31).

Fußnote:

*) Gefunden unter hinterlassenen Papieren unseres im Jahre 1882 heimgegangenen Bruders J. N. Darby. Der kleine, wertvolle Aufsatz ist in deutscher Sprache geschrieben, war also wohl für deutsche Leser bestimmt und findet nach langer Zeit endlich die beabsichtigte Verwendung.

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Ich lasse dich nicht los du habest mich denn gesegnet

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1917 S. 133ff

In dieser schweren Zeit mit ihrem vielgestaltigen Elend gibt es nichts, dessen ein Kind Gottes sich fröhlicher getrösten könnte, als dass es alle seine Anliegen vor Gott bringen darf. Wir wissen ja, dass der Herr hört und auf jedes Gebet der Seinigen in der einen oder anderen Weise antwortet, und dass Ihm unser Flehen und Bitten angenehm ist. Nur müssen wir uns in aufrichtigem Ernst und einfältigem Glauben an Ihn wenden, als Menschen, welche wirklich meinen, was ihre Lippen aussprechen, die von Herzen wünschen, um was sie bitten, und die zugleich erwarten, dass sie das Gewünschte erhalten werden.

Denn heute wie immer fragt der Herr: „Was willst du, dass ich dir tun soll?“ (Markus 10, 51), indem Er uns ermuntert, den Mund weit aufzutun, „damit Er ihn füllen kann. (Vergl. Ps. 81, 10). Er ist und bleibt Derselbe — gestern, heute und in Ewigkeit; und, obwohl Er jetzt auf dem Throne des Vaters in der Herrlichkeit sitzt, ist Er immer noch innerlich bewegt, wenn Er auf den Jammer und das Elend hienieden herabblickt und das Seufzen ·und Flehen vernimmt, das in unseren Tagen immer dringender zum Thron der Gnade emporsteigt. Immer noch ist unser teurer Herr, Er, „der groß an Rat und mächtig an Tat“ ist, an der Seite der schwachen und armen Gläubigen zu finden, hört auf ihr Rufen und ist allezeit bereit, ihnen mit Seiner Liebe, Macht und Weisheit zu dienen.

Wir haben das oft erfahren und Ihn dafür gepriesen; andererseits aber hört man auch manchmal aus dem Munde der Gläubigen die wehe Klage: „Ich habe schon so lang zu Gott gebetet, schon so oft Ihm ein bestimmtes Anliegen ernst und aufrichtig vorgebracht, aber Er antwortet nicht“. — Was ist darauf zu erwidern?

Halte zunächst einmal fest, dass niemals ein gläubiges Flehen unerhört geblieben ist, noch je unerhört bleiben wird, und dass jeder, der treu vor dem Herrn wandelt, mit dem Psalmisten sagen kann: „Ich liebe Jehova; denn Er hörte meine Stimme, mein Flehen“ (Ps. 116, 1). Sei daher nicht gleich entmutigt, wenn Gott dich mit Seiner Antwort etwas warten lässt; halte deine Gebete nicht für nutzlos oder verloren, denn ihre Beantwortung wird sicher nicht ausbleiben. Beeifere dich lieber, ein stilles Warten, ein geduldiges Ausharren zu lernen, was in Gottes Augen sehr kostbar ist, und woran Er so viele Segnungen knüpft. „Die auf mich harren, werden nicht beschämt werden“ (Jes. 49, 23). „Jehova ist gütig gegen die, welche auf Ihn harren“ (Klagl. 3, 25). „Die auf Jehova harren. gewinnen neue Kraft“ (Jes. 40, 31). „Jehova hat Gefallen an denen, die Ihn fürchten, die auf Seine Güte harren“ (Ps. 147, 11).

Darum höre auf den Zuruf des Psalmisten: „Harre auf Jehova! sei stark, und dein Herz fasse Mut, und harre auf Jehova!“ (Ps. 27, 14). „Das Ausharren aber habe ein vollkommenes Werk“ (Jak. 1, 4). Wir müssen Geduld und Ausharren zeigen, damit das vollkommene Werk Gottes seinen Lauf habe. „Siehe, wir preisen die glückselig, welche ausgeharrt haben. Von dem Ausharren Hiobs habt ihr gehört, und das Ende des Herrn habt ihr gesehen, dass der Herr voll innigen Mitgefühls und barmherzig ist“ (Jak. 5, 11). So wollen wir denn nach dem Ende des Herrn ausschauen und dabei doch aus dem Gleichnis von der Witwe und dem ungerechten Richter (Luk. 18, 1 — 8) lernen, wie wir beten sollen. Unermüdlich, Tag und Nacht, sollen wir unser Flehen zu Ihm erheben und ruhig harren, bis die Antwort erfolgt.

Wir brauchen dabei nicht bescheiden mit unseren Bitten zurückzuhalten; so barmherzig und voll innigen Mitgefühls ist unser Herr. So lang Abraham sich für Sodom verwandte, antwortete Gott auf jede seiner Bitten; als er aber aufhörte zu bitten, da schwieg auch Gott (1. Mose 18). Alle vorhandenen leeren Gefäße wurden der bedürftigen Witwe mit Öl gefüllt, und erst als kein leeres Gefäß mehr aufzutreiben war, stand das Öl (2. Kön. 4). Hätte Joas, der König von Israel, als Elisa ihn durch sein Tun zum Glauben und zur Tatkraft dem Bösen gegenüber ermuntert hatte, statt dreimal fünf- oder sechsmal auf die Erde geschlagen, so würde er die Syrer völlig vernichtet haben. (2.,Könige 13, 14 — 19).

Der Herr hat viele weise Gründe, warum Er manchmal so lang mit der Erfüllung unserer Bitten zögert. Er hat in allem, was Er mit uns tut, auch wenn es sich um die Erhörung unserer Gebete handelt, einen großen Zweck im Auge. Er will sich durch uns verherrlichen. „Rufe mich an am Tage der Bedrängnis: Ich will dich erretten, und du wirst mich verherrlichen“.

Um das in uns zu bewirken, muss Gott vielleicht mit manchem in uns aufräumen, manches hinwegtun, bevor Er unsere Gebete erhören kann. Wie mancherlei gibt es da oft in dem Herzen, worüber Er mit uns zu reden hat, worin Er sich als der erziehende und heilende Gott erweisen muss! Und wegen dieser Bemühungen verzögert sich vielfach die Erhörung unseres Flehens, oder die Antwort lautet anders, als wir erwartet haben. Ja, selbst bei Gebeten, von denen der Herr, wie einst dem David, uns sagen kann: „Du hast wohlgetan, dass es in deinem Herzen gewesen ist«, selbst da kommt es vor, dass Gott in einer uns geradezu erschütternden Weise antwortet. Vielleicht beten wir ehrlich und aufrichtig um ein besseres Wachstum am inneren Menschen, und Gott sieht den einzigen Weg, um diese Bitte zu erfüllen, darin, dass er eine dunkle und scheinbar harte Lebensführung über uns verhängt. Oder wir beten: Herr, vermehre unseren Glauben, belebe unsere schwachen Herzen, mache uns eifriger in deinem Dienst! — und der Herr kann dieses Flehen nicht anders erhören, als das; Er uns durch schmerzliche Leiden und schwere Prüfungen führt.

Manchmal antwortet Er auch durch weit Besseres, als wir begehren. Das erfuhr Paulus. Dreimal hatte er zum Herrn gefleht, das; Er ihn doch von dem „Dorn für das Fleisch“ befreien möge. Statt der Erhörung dieser Bitte erhielt er weit Herrlicheres, nämlich die gnädige Zusage: „Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht“ (2. Kor. 12, 7 — 9). Gott vermag eben „über alles hinaus zu tun, über die Maßen mehr, als wir erbitten oder erdenken“ (Eph. 3, 20).

Gott will uns nicht nur in Liebe und Macht, sondern auch in Weisheit zur Seite stehen, und muss daher oft eine Zeit lang zu unserem Gebet schweigen, um uns zu prüfen, ob wir uns in wirklichem Vertrauen zu Ihm, als dem einzigen Helfer, wenden. Wir können uns darin täuschen und setzen vielleicht in Wahrheit unser Vertrauen« auf unser Sparkassenbuch, auf die guten Freunde, die für den Notfall bereit stehen, oder auf den Arzt, der noch ein Mittel weiß. Alle diese menschlichen Stützen müssen uns genommen, alles Selbstvertrauen, das im Herzen tief verborgen liegt, muss zerstört sein, wenn unsere Augen über unseren wahren Zustand offen sein sollen.

Wer hätte denken können, dass Jakob, als er in einem so herzlichen Gebet sein unruhiges, sorgenvolles Herz vor Jehova ausschüttete, in dieser Beziehung so unklar über sich selbst gewesen wäre? „Gott meines Vaters Isaak“, so betete er, „Jehova, der du zu mir geredet hast: Kehre zurück in dein Land, und ich will dir wohltun! Ich bin zu gering all der Gütigkeiten und all der Treue, die du an deinem Knechte erwiesen hast…. Rette mich doch von der Hand meines Bruders, von der Hand Esaus! . . .. Du hast ja gesagt: Gewisslich werde ich dir wohltun und werde deinen Samen machen wie den Sand des Meeres, der nicht gezählt wird vor Menge“ (1.Mose 32, 9 — 12). Wer hätte denken können, dass ein solcher Beter im Grunde seines Herzens nicht einzig und allein auf die Hilfe Jehovas, sondern viel mehr noch auf das Geschenk vertraut hätte, mit welchem er Esau versöhnen wollte? Sorgfältig plante er, wie er am besten der Feindschaft seines Bruders entgehen könne, und traf wohlüberlegte Anordnungen, um dessen Zorn zu besänftigen.

Mit welcher Ruhe und Sicherheit hätte er Esau entgegengehen und den verheißenen Besitz antreten können, wenn er nur der vielen Zusicherungen gedacht hätte, die Gott ihm bereits gemacht! Aber außerstande, Gott rückhaltlos zu vertrauen, fürchtet er, dass der Becher, den Gott selbst ihm gefüllt, und damit sein Segen verloren gehen könne. Sobald er hört, dass Esau ihm mit vierhundert Mann entgegenziehe, zweifelt er und macht eigene Pläne. Er war der Gesegnete, aber er war nicht los genug von sich selbst, um in den vollen Besitz der Segnung eintreten zu können.

Konnte bei einem solchen Seelenzustand sein Gebet sofort Erhörung finden? Nein, Gott antwortet ihm nicht sogleich; und Jakob schickt seine Knechte und Herden voraus. Er übernachtete im Lager, „und das Geschenk zog vor ihm her“.

Denken wir aber nur nicht, dass Gott sein Gebet nicht gehört oder unbeachtet gelassen hätte! Er beschäftigte sich im Gegenteil bald mit Seinem Knechte. Nachdem Jakob seine Weiber, Mägde und Söhne über den Jabbok-Fluss geführt hatte, „blieb er allein übrig; und es rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte aufging“.

Wollen wir die Antwort Gottes auf unser Gebet hören und erfahren, wie der Herr über uns denkt, müssen wir, wie Jakob, allein gelassen sein mit Ihm — fern· von der Welt, fern von den eigenen Plänen, fern von allem, allein mit Gott. In diesen Stunden des Alleinseins rang ein Mann mit Jakob, nicht — man beachte es - rang Jakob mit dem Manne. Gott kämpfte mit Jakob, um ihn fühlen zu lassen, dass er in sich ein schwaches, hilfloses Geschöpf war. Die ganze Nacht hindurch hielt der Patriarch mit großer Hartnäckigkeit den Kampf aus, bis schließlich der Engel sein Hüftgelenk anrührte und es verrenkte. Als nun der Sitz, seiner persönlichen Kraft getroffen war, und der starke Mann, dem Hinfallen nahe, sich hilflos und erschöpft an den Engel klammerte, da hören wir ihn rufen: „Ich lasse dich nicht los, du habest mich denn gesegnet!“ Nicht eher sagte er diese Worte, als bis das Hüftgelenk verrenkt und das Vertrauen zur eigenen Kraft geschwunden war. Dann erst empfing er den Segen, der ihn für den Rest seiner Tage zum „Israel“, zum „Kämpfer Gottes“, machte und der ihn in den Stand setzte, das verheißene Land in Besitz zu nehmen und seine Segnungen zu genießen — ein Israel, gedemütigt und gesegnet.

Gerade so ist es mit uns. Wir müssen, wie Jakob in Pniel, in der Gegenwart Gottes, allein mit Ihm, unsere Kraftlosigkeit erkannt haben und, mit gebrochener Kraft am Boden liegend, Seinen Segen erflehen, um mit Jakob sagen zu können: »Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen, und meine Seele ist gerettet worden“ (V. 30).

Über Bitten und Verstehen erhörte Gott so das Gebet Jakobs, nachdem Er ihn eine kurze Zeit hatte warten lassen. In gleicher Weise muss auch unser Wille gebrochen werden, um dahin zu kommen, wo Gott uns segnen und unser Flehen beantworten kann. Ist das aber geschehen, so erquicken die Tröstungen Gottes in besonderer Weise das gequälte Herz, wenn wir es im Gebet vor Ihm ausschütten. Wir fühlen den kostbaren Trost, dass wir in dieser Welt des Elends, in unserer Not und unserer Schwachheit Einen besitzen, der unser Flehen hört, unseren Schmerz gleichsam zu Seinem eigenen macht und sich in erbarmender Liebe zu uns herabneigt. Wir fühlen, dass wir in uns nichts besitzen, worauf wir uns stützen könnten, dass wir von Gott allein abhängig sind. Wir hören Seine freundliche Stimme, fassen Seine Hand, lehnen uns auf Seinen Arm, und klammern uns Auge in Auge mit der flehentlichen Bitte an Ihn: „Ich lasse dich nicht los, du habest mich denn gesegnet!“

Und wie gern hört unser Herr diese Bitte herzlichen Verlangens!

Nur um den Jüngern von Emmaus die Worte: „Bleibe bei uns!“ zu entlocken, „stellte sich Jesus, als wolle Er weitergehen“ (Luk. 24, 28). Und als Er Seine Jünger ,,beim Rudern Not leiden sah“, lesen wir in Markus 6, kam Er zu ihnen und „wollte an ihnen vorübergehen“; aber auch da geschah es nur zur Anreizung der Jünger, zu denen Er dann ins Schiff stieg, um ihnen Mut zuzusprechen.

Ja, wenn wir geschmeckt haben, wie freundlich und gütig Er ist, dann können wir nicht von Ihm lassen, bis wir Seinen Segen verspüren, und Er lässt sich durch unsere Bitte, doch bei uns zu bleiben, immer wieder nötigen, wie damals in Emmaus, wo das Wort sagt: „Und Er ging hinein, um bei ihnen zu bleiben“.

Wie gut, dass wir in allen schweren Umständen im Gebet vor einen solchen Herrn hintreten können! In Seiner Gegenwart verstehen wir, was Er uns zu sagen hat. In dieser Stille wird alles lebendig vor der mit Leid und Schmerz ringenden Seele« Wir übergeben Ihm unsere Sorgen, klagen Ihm unser Leid und empfangen dafür den unaussprechlichen Frieden des Gottes, der das Ende von Anfang kennt. Wir klammern uns an Ihn und lassen Ihn nicht los, bis Er uns gesegnet hat. Und Er hört auch aus die Bitte: „Bleibe bei uns in dieser schweren Zeit, bleibe bei uns mit deinem Troste!“ — wie sie heute von so vielen der Seinen, die im Kriege eines ihrer Lieben verloren haben, emporsteigt. O es gibt so viele Wunden, die der Krieg geschlagen hat, die nicht aufhören zu bluten, so lange wir hienieden sind! Nur in der Stille Seiner Gegenwart lernt da das verwundete Herz, sich dem Willen des Herrn zu unterwerfen, der das Recht hat, zu geben und zu nehmen, wie Er will. Nur in dieser Stille kann man sich, ohne länger zu widersprechen, unter die Hand beugen, die so schmerzlich geschlagen hat. Bleiben wir aber allein mit dem Herrn, dann wird unser Herz so getröstet, dass aus der Tiefe der Leiden in demütiger Hingebung das: „Dein Wille geschehe!“ aus dem Herzen emporsteigt.

Sind wir dahin gekommen, so haben wir schon viel gewonnen· Es ist ein großer Unterschied zwischen einem betrübten, verwundeten Herzen, das noch nicht alle seine Quellen in Gott gefunden hat, und einem Herzen, dessen alleinige Zuflucht und sicherer Fels Er ist. Als Jakob seinen Sohn Joseph verlor, zerriss er seine Kleider, legte Sacktuch um seine Lenden und weigerte sich in seinem Schmerz, sich trösten zu lassen. (1. Mose 37, 34. 35.) Als aber dieser selbe Jakob nach Jahren der Zucht Gottes auch Benjamin zu verlieren fürchtete, da hören wir ihn sagen: „Ich aber, wenn ich der Kinder beraubt bin, so bin ich der Kinder beraubt« (Kap. 43, 14); mit anderen Worten: Ich unterwerfe mich, ich beuge mich unter die Hand Gottes. Mochte er auch da noch nicht ganz auf der Höhe des Glaubens stehen, so hatte er doch einen bedeutenden Schritt vorwärts gemacht.

Nach und nach wird in der Stille beim Herrn auch dein beschwertes Herz still, und wenn es einmal still geworden ist nach dem Psalmwort: „Gleich einem entwöhnten Kinde bei seiner Mutter ist meine Seele in mir“ (Ps. 131, 2), dann findest du auch die Kraft zum Tragen. Du machst kostbare, bis dahin nicht gekannte Erfahrungen von der Kraft Gottes, die in dem Schwachen mächtig ist, und erlebst neue Offenbarungen Seiner Liebe und Seines Mitgefühls. Du wirst erfahren, dass Er der Gott ist, ,,welcher Gesänge gibt in der Nacht“ (Hiob 35, 10), und du wirst, wenn auch vielleicht mit zitternden Lippen, Ihm Loblieder singen können, — trotzdem und alledem.

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Gerechtigkeit

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Botschafter des Heils 1917 S. 143ff

Wenn ein Richter einen überführten Verbrecher freispräche, so würde er damit eine ungerechte Handlung begehen; denn das Gesetz verlangt Sühnung, die Bestrafung des Übeltäters. Soll daher die Gerechtigkeit in unserem Lande aufrecht erhalten bleiben, so muss der Buchstabe des Gesetzes zur Ausführung kommen. Der Übertreter muss bestraft werden.

In einem weit höheren Maße gilt dieser Grundsatz in Bezug auf Gott, den „Richter der ganzen Erde“. Vor Ihm stehen nicht nur die groben Sünder, die schon nach menschlichem Urteil Strafe verwirkt haben, als Übeltäter da, nein der Beste, der Edelste unter uns ist Seinem Gericht verfallen. Der Maßstab, den Gott zur Beurteilung des Menschen anlegt, ist eben ein ganz anderer, als der eines menschlichen Richters. Er ist uns in dem Gesetz vom Berge Sinai, den sogenannten 10 Geboten, gegeben, deren erste und größte nach dem Ausspruch des» Sohnes Gottes also lauten: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstande“, und: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, und die in der Forderung ausklingen: „Lass dich nicht gelüsten!“

„An diesen Geboten gemessen, lautet der allumfassende Urteilspruch: „Da ist nicht ein Gerechter, auch nicht einer. Alle sind abgewichen, sie sind allesamt untauglich geworden; da ist nicht, der Gutes tue, da ist auch nicht einer.“ „Alle“, ohne Ausnahme, „haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes“ „Die ganze Welt ist dem Gericht Gottes verfallen“ (Vergl. Röm. 3).

Wenn uns nun trotzdem die Heilige Schrift sagt, dass Gott den Sünder rechtfertige, d. h. nicht nur begnadige, sondern ihn völlig freispreche, so entsteht ganz von selbst die Frage: Wie kann das sein? Auf welcher Rechtsgrundlage fußend, kann ein gerechter und heiliger Gott dem Menschen Vergebung und Freispruch anbieten? Die Antwort lautet: „Durch Seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christo Jesu ist“ (Röm. 3, 24).

Gott wollte nicht den Tod des Sünders, und weil wir unmöglich den gerechten Forderungen des Gesetzes entsprechen konnten, so sandte Er Seinen geliebten Sohn, damit Er sich selbst zum Lösegeld gebe für alle! (1. Tim. 2, 5. 6). „Der Mensch Christus Jesus« starb an unserer Statt, für uns zur Sünde gemacht; Er trug die Strafe, die wir verdient hatten, den Fluch eines gebrochenen Gesetzes, und nun dürfen die Gläubigen frohlockend sagen: „Er ist unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden“ (Röm. 4, 25). Oder: „Die Strafe zu unserem Frieden lag auf Ihm, und durch Seine Striemen ist uns Heilung geworden“ (Jes. 53, 5).

Unendlich ist der Wert des Blutes Christi in den Augen Gottes. Alle unsere Sünden werden, so groß sie auch sein mögen, in dem Augenblick, wo wir glaubend unsere Zuflucht zu diesem kostbaren Blute nehmen, völlig abgewaschen, so dass der Sünder rein und fleckenlosvor Gott dasteht. Gott hat das Werk Seines Sohnes angenommen, „und hat allen den Beweis davon gegeben, indem Er Ihn auferweckt hat aus den Toten“ und Ihn gesetzt hat „zur Rechten des Thrones der Majestät in den Himmeln“. Die große Schuld des an Jesum glaubenden Sünders ist also bezahlt und völlig getilgt, so dass Gott jetzt „gerecht ist, wenn Er den rechtfertigt, der des Glaubens an Jesum ist“ (Röm. 3, 26).

Tausende und Millionen haben zu allen Zeiten versucht, den Ansprüchen der göttlichen Gerechtigkeit auf anderem Wege zu entsprechen, ihnen durch eigene Anstrengungen, durch gute Werke, Almosen, Gebete usw. zu genügen. Sie gleichen Israel vor alters, das wohl „Eifer für Gott“ hatte, „aber nicht nach Erkenntnis“. „Denn da sie Gottes Gerechtigkeit nicht erkannten und ihre eigene Gerechtigkeit auszurichten trachteten, haben sie sich der Gerechtigkeit Gottes nicht unterworfen“ (Röm. 10, 2. 3). Eine einfachere und klarere Darstellung dessen, was Menschen, die nicht gleichgültig und sorglos über ihre Sünden und die Ewigkeit denken, vielfach zu tun sich bemühen, wird kaum zu finden sein. In Unkenntnis oder auch unter Abweisung des einzigen Mittels, das dem Gewissen wahre Ruhe vor Gott zu geben vermag, versuchen sie, etwas anderes an dessen Stelle zu .setzen. Durch Werke der Nächstenliebe, durch eifriges Beobachten religiöser Formen und Vorschriften, durch einen Wandel in Sittlichkeit und Achtbarkeit streben auch sie danach, eine eigene Gerechtigkeit auszurichten. Sie lassen sich dabei keine Mühe verdrießen. Sie tun ihr Bestes, wie man zu sagen pflegt. Und doch kann im günstigsten Falle niemals etwas anderes dabei herauskommen, als eine eigene Gerechtigkeit. Und die reicht, wie wir oben gesehen haben, nicht aus, um vor einem heiligen Gott bestehen zu können. „Alle unsere Gerechtigkeiten sind gleich einem unflätigen Kleide“, so rief einst klagend der Prophet im Namen des Volkes Israel aus (Jes. 64, 6). Und so ist es auch heute noch mit jeder eigenen Gerechtigkeit. Aber wie unsäglich schwer wird es dem stolzen Menschen, das einzusehen! Und doch, wenn schon jemand, der zu Hofe geladen wird, dort nicht in unpassender oder gar beschmutzter Kleidung zu erscheinen wagt, wie viel mehr sollte dann der Gedanke ausgeschlossen sein, vor Gott hintreten zu können in dem „unflätigen Kleide“ eigener Gerechtigkeit!

Wie ernst und groß die Anstrengungen daher auch Sein mögen, niemand vermag sich passend zu machen für Gottes heilige Gegenwart, niemand kann auf diesem Wege Ruhe und Frieden für Herz und Gewissen erlangen. Alle werden, um in der bildlichen Sprache des Propheten zu reden, die Erfahrung machen, dass „das Bett zu kurz ist, um sich auszustrecken, und die Decke zu schmal, um sich einzuhüllen“ (Jes. 28, 20).

Paulus legte eine lange Strecke zurück auf dem Pfade der gesetzlichen Gerechtigkeit, viel weiter als irgend einer von uns ihn je gegangen ist. Aber in dem Lichte der Herrlichkeit des Herrn erkannte er seinen Irrtum, wie er später an die Philipper schrieb: „nicht habend meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, sondern die durch den Glauben an Christum ist — die Gerechtigkeit aus Gott durch den Glauben“. Es ist wie wenn er hätte sagen wollen: „Ich bemühte mich, Heil und Gerechtigkeit zu erlangen durch meinen großen Eifer im Halten des Gesetzes; aber jetzt, wo ich etwas unendlich viel Besseres gefunden habe – Christum als meine Gerechtigkeit — lege ich meine eingebildete eigene Gerechtigkeit, samt allen meinen religiösen Vorzügen, beiseite als wertlosen Dreck".

Dahin muss es mit jedem Menschen, der wahre Ruhe für Zeit und Ewigkeit finden will, kommen. Auf diesem Boden allein erfreut man sich des Heils in Christo und der kostbaren Kindesstellung zu Gott, dem Vater.

Ach, wenn doch alle ihre nutzlosen eigenen Bemühungen, um Gerechtigkeit zu erlangen, ausgeben und in einfältigem Glauben das Heil ergreifen möchten, das Gott ohne des Menschen Zutun in Christo für sie bereitet hat! Ja, mein lieber, noch nicht bekehrter Leser, glaube an den Herrn Jesus Christus als deinen alleinigen, allgenügenden Erretter, und du wirst ,,Gottes Gerechtigkeit werden in Ihm«. Er wird dann allen Ruhm haben, und du wirst Friede, Freude und Ruhe finden für alle Ewigkeit.

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Die Herrlichkeit jenes Lichtes

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1917 S. 147ff

Nur das Ergreifen Christi, und zwar des verherrlichten Christus, vermag uns loszumachen von dem, was uns in der Welt umgibt, oder unempfindlich für alles, was sie an Schönen! und Anziehendem bietet. Diese Tatsache kommt in der Erzählung des Apostels Paulus von seiner Bekehrung zu eindrucksvoller Darstellung. Auf dem Wege nach Damaskus, wohin er zog, ausgerüstet mit Vollmachten gegen die Heiligen Gottes und erfüllt mit bitterer Feindschaft wider den Namen« Jesu, geschah es, dass um Mittag plötzlich ein großes Licht aus dem Himmel ihn umstrahlte. „Und ich fiel zu Boden und hörte eine Stimme, die zu mir sprach: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Ich aber antwortete: Wer bist du, Herr? Und Er sprach zu mir: Ich bin Jesus, der Nazaräer, den du verfolgst. Die aber bei mir waren sahen zwar das Licht und wurden voll Furcht, aber die Stimme Dessen, der mit mir redete, hörten sie nicht. Ich sprach aber: Was soll ich tun, Herr? Der Herr aber sprach zu mir: Stehe auf und gehe nach Damaskus, und daselbst wird dir von allem gesagt werden, was dir zu tun verordnet ist. Als ich aber vor der Herrlichkeit jenes Lichtes! nicht sehen konnte, wurde ich von denen, die bei mir waren, an der Hand geleitet und kam nach Damaskus“ (Apstgsch. 22, 6 —11).

Eine völlige Umwandlung hatte stattgefunden. Derselbe Mann, der eben noch von tödlichstem Hass gegen Christum und Sein Volk beseelt gewesen, war jetzt in einen wil1igen Sklaven Christi verwandelt worden. Die eine kurze Frage: „Was soll ich tun, Herr?“ gab Zeugnis von der Veränderung, die mit ihm vorgegangen war; sein ganzes ferneres Leben hat sie bestätigt. Zugleich erfahren wir, dass er« vor der Herrlichkeit des Lichtes, das ihn umstrahlt hatte, nicht sehen konnte. Das war einerseits in wörtlichem Sinne der Fall, andererseits veranschaulicht es uns aber auch die innere Wirkung, welche die Offenbarung der Herrlichkeit des Herrn auf den Apostel ausgeübt hatte. Von diesem Augenblick an hatte er für nichts anderes ein Auge als für Christum, sein ganzes Herz war nur noch von diesem einen herrlichen Gegenstand erfüllt. Alles was ihn bis dahin in Anspruch genommen, woran er gehangen und wofür er gestritten hatte, war fortan ohne Anziehungskraft für ihn; es zerfiel in nichts vor der alles überstrahlenden Schönheit und Herrlichkeit des Einen, der ihm auf dem Wege nach Damaskus erschienen war. Neben dem feinen Golde der göttlichen Gerechtigkeit, die er in einem verherrlichten Christus schaute, war seine eigene Gerechtigkeit wertloser Flitter; und über das, was bisher Gegenstand seines Trachtens und Rühmens gewesen war, sagt er selbst: „Was irgend mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Verlust geachtet; ja, wahrlich, ich achte auch alles für Verlust wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um dessentwillen ich alles eingebüßt habe und es. für Dreck achte, auf dass ich Christum gewinne“ (Phil. 3, 7. 8). Die Meinung, welche er steh auf den ersten Blick gebildet hatte, blieb die Meinung seines Lebens. Christus war ihm alles. Er brauchte nichts neben Ihm.

Wie belehrend ist das alles für uns! Die Geschichte des Apostels zeigt uns, wie im Eingang gesagt, dass nichts uns freimachen kann von der Gewalt der Dinge um uns her, als Christus selbst. Manche Seele wird in hilfloser Knechtschaft gehalten, weil sie diese Wahrheit nicht kennt und verwirklicht. Viele wünschen frei zu werden von dem Einfluss und der Macht der Dinge um sie her; sie klagen und kämpfen in ihrer Gefangenschaft und seufzen nach einer Befreiung, die nie kommt. Warum? Weil sie einen verkehrten Weg einschlagen. Anstatt auf Christum zu schauen und sich mit Ihm zu beschäftigen, blicken sie auf sich selbst und beschäftigen sich mit ihren Umständen. Die Folge ist, dass sie mit jedem Tage schwächer und kraftloser werden. Würden sie einfach die Wahrheit von ihrer gänzlichen Hilflosigkeit annehmen und den Blick aus Christum richten, so würden sie, anstatt zu stöhnen: „Ich elender Mensch! wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes?“ bald fröhlich in den triumphierenden Ruf einstimmen: „Ich danke Gott durch Jesum Christum, unseren Herrn!“

So wird zum Beispiel von den Thessalonichern gesagt, dass sie sich von den Götzenbildern zu Gott bekehrt hatten (1. Thess. 1, 9). Wenn diese Leute angefangen hätten zu suchen, sich von den Götzenbildern zu Gott zu bekehren, so würden sie bis zu ihrem Lebensende Götzendiener geblieben sein. Aber indem sie zuerst zu Gott emporblickten, der ihnen in dem Evangelium Seiner Gnade in Christo vor Augen gestellt worden war, wurden sie durch Seine gewaltige Macht der Knechtschaft Satans entrissen, unter welcher sie falschen Götzen gedient hatten. In dem Zöllner Levi haben wir ein anderes Beispiel von derselben Sache. Während er am ZolIhause sitzt, stellt der Herr Jesus sich ihm vor mit den Worten: „Folge mir nach! Und alles verlassend, stand er auf und folgte Ihm nach“ (Luk. 5, 27. 28). Die Anziehungskraft Christi löste ihn von allen Verbindungen, von allem, was ihn naturgemäß hätte zurückhalten können, und drängte ihn, von jenem Tage an Sein ergebener Jünger zu sein.

Das ist das Geheimnis jeder Befreiung für die Seele. Wenn unser Auge unverrückt auf Christum gerichtet ist, vermag nichts anderes uns zu fesseln. In Ihm ist Kraft genug, selbst den Elendesten und Jämmerlichsten frei zu machen. Aber es bedarf der steten Beschäftigung mit Ihm. Wer in Erhebung über sich und seine Umstände Christo nachfolgen will, in dem seligen Gefühl der Freiheit, der muss den Blick auf die Herrlichkeit gerichtet halten, die ihm aus Seinem unverhüllten Antlitz entgegenstrahlt. „Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit“ (2. Kor. 3, 18).

Hand in Hand mit der Befreiung aus der Macht der uns umgebenden Dinge geht noch etwas anderes, nämlich die Unempfindlichkeit ihren Reizen gegenüber. Saulus konnte nicht sehen wegen der Herrlichkeit jenes Lichtes. Er war allem gegenüber blind, ausgenommen der Schönheit Christi. Wie vor dem Sonnenlicht alle schwächeren Lichtquellen versagen, so löscht das Licht der Herrlichkeit durch seine bloße Ausstrahlung die glänzendsten Herrlichkeiten der Erde aus. Wenn wir zur Sonne emporgeschaut haben, vermögen wir für eine Zeitlang die Gegenstände um uns her nicht klar zu sehen; so werden auch, wenn wir die Herrlichkeit des Herrn angeschaut haben, unsere Augen für die Dinge dieser Welt gleichsam geblendet, für ihre Reize unempfänglich. Haben diese Dinge Anziehungskraft für uns, so ist das der sichere Beweis, dass Christus nicht der stete Gegenstand unserer Seelen gewesen ist. Andererseits liegt eine Warnung für uns darin, dass wir uns wohl hüten, nicht irgend etwas anderes neben unseren Herrn zu stellen. Als Petrus in seiner Verwirrung auf dem Berge der Verklärung zum Herrn sagte: „Lass uns hier drei Hütten machen, dir eine und Moses eine und Elias eine“, „da überschattete sie eine lichte Wolke, und siehe, eine Stimme kam aus der Wolke, welche sprach: Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe“. Gott duldet niemand neben Seinem geliebten Sohne. Darum, „als sie ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesum allein“ (Matth. 17, 5 — 9).

O möchten auch wir nichts anderes sehen, auf nichts anderes blicken! Er sei unser einziger, alles andere ausschließender Gegenstand! Wenn es so ist, dann haben wir Gemeinschaft mit dem Vater, und wir finden ganz von selbst Befreiung von den Dingen, die für unsere alte Natur so viel Anziehungskraft haben. Wir werden dann in Wahrheit und Wirklichkeit singen können:

Du, mein Jesus, bist mein Leben,

bist allein mein köstlich Teil;

Alles hast du hingegeben,

ja, dich selbst zu meinem Heil.

Darum kann auch nichts auf Erden

meines Herzens Wonne werden.

Du nur, Jesu, bist mein Teil.

Und der ergreifende Wunsch des gefangenen Paulus (V. 29), des einzig Glücklichen und Freien in jener glänzenden Versammlung, wird an uns in Erfüllung gehen zum Preise Dessen, der uns liebt.

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Röcke von Fell

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1917 S. 153ff

„Jehova Gott machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fell und bekleidete sie“ (1. Mose 3, 21).

Ein einfacheres und lieblicheres Bild von der tätigen Gnade Gottes ist in dem Worte Gottes kaum zu finden. Nach einer finstern und schrecklichen Nacht der menschlichen Geschichte bricht die Morgenröte des Evangeliums Gottes herein, als frühester Vorbote der vollen Gnade, die in Christo Jesu geoffenbart werden sollte. Wenn das erste Blatt der Bibel die Herrlichkeit und Allmacht Gottes in der Schöpfung hervorstrahlen lässt, so lesen wir auf dem zweiten Blatt trauernden Herzens die düstere Geschichte von dem Sündenfall des Menschen mit der darauf folgenden Strafverkündigung. Mit Recht sollte man nun ans dem dritten Blatt die Vollstreckung des angekündigten Gerichts an Adam und Eva erwarten. Aber stattdessen wird uns ein Bild vorgeführt, dessen liebliche Bedeutung den tiefen Schatten, welchen die Sünde auf die Schöpfung geworfen hatte, hinwegnimmt und uns sogar den Verlust des ersten Zustandes des Menschen im Paradiese nicht länger betrauern lässt.

Die Unschuld mochte neben dem Gott der Schöpfung Platz haben und mit Vertrauen aus die weiten, herrlichen Gefilde der Schöpfung blicken, wo alles, selbst für das Auge Gottes, „sehr gut“ war. Aber dieser Zustand währte nicht lange. Der unschuldige Mensch verwandelte sich in ein widerspenstiges, ungehorsames Geschöpf, und nun steht er zitternd vor dem Gott des Gerichts inmitten einer durch die Sünde befleckten und verderbten Schöpfung. Doch Gott sei Dank! wir dürfen uns von diesen furchtbaren Tatsachen wegwenden, Wer könnte es auch wagen, in die heilige Gegenwart des Gottes des Gerichts zu treten, wo alles, was Sein Gericht herausfordert, in unverhüllter Nacktheit vor Ihm steht? Wunderbare Gedanken und Gefühle bestürmen unsere Herzen, wenn wir den Gott des Gerichts als den „Gott aller Gnade“ vor unsere Seelen treten sehen, wie Er die Wunder der versöhnenden Liebe enthüllt und mit eigener Hand zwei arme, nackte Sünder bekleidet! Das ist ein Anblick für Menschen, die von Natur eben solche arme, nackte Sünder sind! Dabei dürfen wir stehen bleiben, dieses herrliche Bild dürfen wir staunend und eingehend betrachten. Denn es stellt uns lebendige Wirklichkeiten vor die Augen. Was Gott damals im Vorbilde getan hat, das tut Er heute in bleibender Wirklichkeit. Er bekleidet arme, nackte, hilflose Sünder, und zwar nicht mit Kleidern für eine kurze Erdenreise, sondern mit Gewändern ewiger Schönheit und Herrlichkeit, die für den Himmel bestimmt sind.

„Und Jehova Gott machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fell und bekleidete sie.“ Um die ganze Lieblichkeit dieser Handlung zu erkennen, müssen wir auf die voraufgehende Geschichte Adams und Evas zurückgreifen und zu erforschen suchen, welchen Anspruch sie hatten, in solch gnädiger Weise behandelt zu werden.

In Unschuld erschaffen und von Gottes Güte mit allem umgeben, was sie glücklich machen konnte, hatten sie ihren Wohltäter verachtet und sich gegen Seinen wohlbekannten Willen aufgelehnt. Daraufhin hatte Gott sie besucht und nach Seiner Gerechtigkeit von ihnen, als verantwortlichen Geschöpfen, Rechenschaft gefordert. Aber anstatt sich vor Ihm in den Staub zu beugen, hatten sie versucht, Seiner Gegenwart zu entrinnen. Und als Gott sie dann durch das „Wort Seiner Macht“ zwang, vor Ihm zu erscheinen, hatten sie Ausflüchte gesucht, andere beschuldigt und schließlich Gott selbst als die Ursache ihrer Übertretung hingestellt. Obwohl von der Sünde überführt, hatten sie keine Reue gezeigt.

So hatten sie alles, was in ihren Kräften stand, getan, um Gottes gerechten Zorn gegen sich herauszufordern, und nicht das geringste Zeichen der Reue, woran die Gnade Gottes hätte anknüpfen können, fand sich bei ihnen. Als nackte Sünder standen sie vor Ihm. Selbst wenn sie nur in einem Jota gefehlt hätten, wäre das Gericht ihr Teil gewesen; aber ihre Schuld war groß und ihr Zustand traurig, und nichts konnte von ihrer Seite geschehen, um diesem schrecklichen Übel zu begegnen. Aber wenn auch Adam und Eva in unbereuter Sünde vor Gott schwiegen, so konnte Gott doch in einer Gnade und Güte, die zur Buße leitet, mit Ihnen reden. „Wenn auch ihre Augen, durch die Sünde gehalten, nichts anderes als die Tatsache dieser Sünde und das verwirkte Gericht vor sich sahen, konnte Gott ihnen doch zeigen, was Sein Herz trotz allem für sie bereit hatte, was Seine Absicht und Sein Ratschluss für sie gewesen waren, noch ehe die Sünde mit ihren schrecklichen Folgen ans Licht trat. Er konnte sie darauf hinweisen, was ein Anderer für sie tun würde, und ihnen durch diesen Anderen Verheißungen für die Zukunft machen inmitten einer Gegenwart, die auf immer für sie verloren war. Er vermochte sie mit einem Gewande zu bedecken, mit welchem ihre eigenen Gedanken und Hände nicht das Geringste gemein hatten.

Es ist ein ergreifend ernstes Bild, diese beiden ersten Sünder vor ihrem Schöpfer stehen zu sehen, ohne irgend ein Anrecht auf Seine Gnade zu haben. Äußerlich nackt und innerlich leer, so befanden sie sich hoffnungslos in der Gegenwart des Herrn Jehova. Nichts anderes konnten sie Ihm bringen, als ihre Nacktheit und Sünde. Mit verschlossenen Lippen und leeren Händen, ohne irgendwelche Entschuldigung oder ein Geschenk, womit sie den Zorn Gottes hätten abwenden können, zeigen sie uns klar und deutlich, was wir in uns selbst als hilflose Sünder vor Gott sind.

Sie können sich nicht auf reumütige Bekenntnisse oder Tränen der Buße berufen; sie haben keine Almosen oder gute Werke aufzuweisen. Sie können nicht davon reden, dass sie irgend einer Kirche oder Gemeinschaft angehört haben; sie wissen nichts von der Erfüllung religiöser Satzungen und Gebräuche als Heilsmittel, können sich auch nicht darauf berufen, die Bibel fleißig gelesen und im Halten der göttlichen Gebote ihr Bestes getan zu haben. Die Torheit des menschlichen Herzens mag in unseren Tagen mit solchen Dingen glänzen wollen; aber als Adam und Eva vor Jehova Gott standen, vermochten sie nichts von dem allen anzuführen. In ihrer Verblendung hatten sie allerdings versucht, ihre Nacktheit zu verdecken — zweifellos ein Bild der gegenwärtigen Anstrengungen des Menschen, sein schuldbeladenes Gewissen zu beruhigen —- und sich hinter den Bäumen des Gartens zu verstecken. Aber durch diese Flucht aus der Gegenwart Gottes hatten sie ihre Lage nur verschlimmert, denn gerade sie offenbarte die Unbußfertigkeit ihrer Herzen. Doch der Gott des Gerichts folgte ihren fliehenden Fußtritten und brachte sie durch ein Wort in Seine Gegenwart, ohne dass sie Zeit gefunden hätten, irgend etwas zu tun, um die verdiente Strafe abzuwenden. Schuldig, verloren, ohne irgendwelche Möglichkeit des Entrinnens, so standen sie in Gottes heiliger Nähe. Doch wenn das Gericht der Sünde auf den Fersen folgte, schritt die Barmherzigkeit, die „sich wider das Gericht rühmt“, doch noch schneller einher. Sie wandte den Schlag der Gerechtigkeit ab und übergab alles der Hand der Gnade, die ,,durch Gerechtigkeit herrscht“.

„Und Jehova Gott machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fell und bekleidete sie.“ Alles was Adam und Eva dabei zu tun hatten, war: das anzunehmen, was die Gnade ihnen anbot. Gott selbst machte die Röcke und legte sie ihnen mit eigener Hand an. Er „bekleidete« sie. Von Anfang bis zu Ende war alles Sein Werk“. Alles was sie tun konnten, war: das zu tragen, was Er ihnen anzog.

Zweifellos haben sie die Gnade gepriesen, die so mit ihnen handelte, und wir dürfen wohl annehmen, dass ihre Herzen jetzt Leid trugen über die Sünde, durch welche diese neue Handlung Gottes notwendig geworden war. Und während in ihr Inneres Gefühle des Dankes einzogen, wird ihr Gewissen nicht untätig geblieben sein. Auch wird die Reue, die Gott selbst in dem Herzen jedes begnadigten Sünders wachruft, nicht gefehlt haben, als sie von dem Garten Eden hinweggingen, gekleidet in die „Röcke von Fell“, die Gottes Liebe ihnen angezogen hatte.

Allerdings waren sie jetzt nach der Regierung Gottes gezwungen, die lieblichen Gefilde Edens zu verlassen, hinter sich „die Flamme des kreisenden Schwertes“, um den Weg zum Baume des Lebens zu bewahren; alles um sie her erinnerte sie unaufhörlich daran, welch einen Verlust ihnen die Sünde gebracht hatte, und Schmerz und Kummer waren fortan ihr Teil auf einer Erde, die um ihretwillen verflucht war. Aber sie waren doch nicht länger mehr „nackt“! Blieben die Folgen der Sünde auch bestehen, so war die Sünde selbst doch zugedeckt. Die Unschuld, jene glückliche Unkenntnis des Guten und Bösen, die ihnen gestattet hatte, sich vertrauensvoll der in der Schöpfung geoffenbarten Güte Gottes zu erfreuen, war zwar für immer verloren, und mit ihr alle Freuden, die einst ihre einfältigen Herzen erfüllt hatten; aber sie trugen jetzt jene „Röcke von Fell“, die ihrem schuldigen Gewissen zuriefen, dass das Böse, dessen es sie überführte, für immer aus den Augen Gottes entfernt war, und in der Erkenntnis der Liebe Gottes genossen ihre Herzen jetzt eine Freude, die ihnen das Anschauen Seiner Güte in schöpferischer Allmacht niemals gewährt hatte. In Reue und Demut, sowie im Vertrauen auf den Gott, der sich ihnen in vergebender Gnade geoffenbart hatte, konnten sie sieh jetzt ihrer täglichen Arbeit zuwenden und in der Hoffnung auf Erfüllung der herrlichen Verheißungen ausharren, von denen ihr Glaube Besitz ergriffen hatte.

Andererseits hatte Gott im Anfang mit voller Genugtuung auf die beiden unschuldigen Geschöpfe inmitten Seiner Schöpfung herabschauen können, denn alles war „sehr gut“; aber mit welch veränderten Gedanken muss Er auf die zwei vor dem Gericht sichergestelIten Sünder herabgeblickt haben, die mit ihren „Röcken von Fell“ und mit Herzen, belebt durch Glaube und Hoffnung, jetzt Seinen Willen taten unter den selbstverschuldeten Sorgen und Mühen ihres Erdenlebens! Wer könnte das zärtliche Mitleid und die Liebe ermessen, mit denen Er die schwachen Gefäße Seiner Gnade begleitete auf dem unbekannten Pfade durch eine gefallene Schöpfung, wo Dornen und, Disteln sich ihrer Hände Arbeit entgegenstellten!

Ist es schwierig zu glauben, dass Adam und Eva mit ihren „Röcken von Fell“, mit ihren kostbaren Verheißungen und der sie umgebenden zärtlichen Liebe Gottes jetzt glücklicher waren als einst in ihrer Unschuld ? Sollen wir sagen: „Welch einen armseligen Tausch haben sie gemacht!«? Sollen wir uns nicht vielmehr niederbeugen vor dem hochgelobten Gott, der so über die Sünde triumphieren konnte, dass Er sie für Seine Geschöpfe zu einem Mittel größerer Segnungen und für sich zu einer Gelegenheit machte, um sich in den grenzenlosen Reichtümern Seiner Gnade zu offenbaren? Gewiss, wir haben in den „Röcken von Fell“ nur ein Vorbild vor uns, aber welche Geheimnisse in der versöhnenden Gnade und rettenden Liebe enthüllen sie vor unseren Blicken! Lasst uns noch einen Augenblick bei diesen wunderbaren Kleidern verweilen. Sie wurden von Dem bereit gehalten, der sie angefertigt hatte, und sie warteten auf die Annahme seitens derer, für die sie bereitet waren. Wo kamen sie her? Waren sie auf dem Webstuhl der Schöpfung gesponnen? Nein, es waren „Röcke von Fell“.

Sie haben ihre eigene Geschichte in den Augen Dessen, der mit Wohlgefallen auf sie herabschaut. Sie erzählen von einem für andere in den Tod gegebenen Leben. Der Tod ist eingetreten, Blut ist Vergossen worden. Ein Tier hat unter der Hand Gottes sein Leben hergeben müssen, um ein Fell zu liefern zur Bekleidung eines nackten Sünders.

Welch eine einfache und doch bedeutungsvolle Sprache, die das Auge hinlenkt zu den erhabenen Wirklichkeiten des Kreuzes Christi! Wir werden mit Macht an den Einen erinnert, der „unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden ist“, an Ihn, der „für uns zur Sünde gemacht wurde, auf dass wir Gottes Gerechtigkeit würden in Ihm“. Gottes vollendetes Werk, vollendet für den Sünder in dem Tod und der Auferstehung Seines geliebten Sohnes, wird uns in diesen „Röcken von Fell“ gezeigt, jene „Gerechtigkeit Gottes durch Glauben an Jesum Christum gegen alle und auf alle, die da glauben. Denn es ist kein Unterschied“ (Röm. 3, 22).

Und wie jene „Röcke von Fell“ von Adam und Eva aus der gnädigen Hand Gottes nur angenommen zu werden brauchten, so wartet auch heute das Kleid der „Gerechtigkeit Gottes“ nur auf die Annahme seitens des Menschen auf Grund eines einfältigen, nicht zweifelnden Glaubens. Alle bedürfen dieses Kleid, „denn alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes, und werden umsonst gerechtfertigt durch Seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christo Jesu ist“.

Ach! dass nun auch alle kommen und nehmen möchten, was ihnen in solch unergründlicher, freier Gnade angeboten wird! Gott will, dass ,,alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1. Tim. 2, 4). Zur Erreichung dieser Seiner Segensabsicht benutzt Er allerlei Mittel: unscheinbare Begegnungen und gewaltige Naturereignisse, kleine freudige Erlebnisse und große schmerzliche Prüfungen. Im Nachstehenden sei kurz berichtet, wie Er durch merkwürdige Träume zwei junge Menschen vom Tode zum Leben brachte.

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Zwei Träume

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1917 S. 161ff

Hoch oben in den Walliser Alpen treibt die Bevölkerung, der Beschaffenheit des Landes entsprechend, hauptsächlich Viehzucht. Da diese aber nur eine beschränkte Anzahl Menschen zu ernähren vermag, so sehen sich die jungen Leute vielfach gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und anderswo, in den Dörfern und Städten der Ebene, ihr Brot zu verdienen. In diesen hochgelegenen Gegenden, die mit den großen Mittelpunkten des Weltverkehrs so gut wie keine Verbindung haben, findet man noch allgemein Ehrfurcht vor Gott und Seinem Wort, und die Wirkungen dieser guten Einflüsse machen sich auch bei der Jugend bemerkbar.

Unter den jungen Leuten, die in einem Jahre das Dorf verlassen mussten, befand sich ein Mädchen, das in einem christlichen Hause auferzogen worden war. Sie selbst fürchtete den Herrn, war aber bisher in Unkenntnis geblieben über ihren Zustand vor dem heiligen Gott, sowie darüber, dass sie einen persönlichen Heiland bedurfte. Die meisten ihrer Jugendgespielen standen ebenso wie sie. Sie glichen in gewisser Beziehung dem Pharisäer, der da glaubte, mit seinen vermeintlich guten Werken vor Gott hintreten zu können.

Aber Gottes Auge ruhte mit Erbarmen auf dem jungen Mädchen. Sie sollte erkennen, dass, um vor Ihm zu bestehen, es nicht genügt, ein ordentliches Leben zu führen und einige christliche Wahrheiten zu kennen, und dazu bediente Er sich eines Traumes.

Sie sah sich im Traume an der Himmelstür. Hier wurde sie von einer ehrwürdigen Gestalt empfangen, die sie wie alle anderen, welche Einlass begehrten, in feierlicher Weise aufforderte, gleichsam als Ausweis, eine Stelle aus dem Worte Gottes zu sagen. Ihr fiel das bekannte Wort aus Johannes 3, 16 ein, und sie sagte den Vers sogleich fließend her. Aber wie erschrak sie, als ihr die Antwort zuteil wurde: „Den nicht! Einen anderen!“ Darauf wachte sie, im tiefsten Innern getroffen, aus dem Schlafe auf. „Was hat das zu bedeuten?“ fragte sie sich wieder und wieder. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.

Eines Tages hatte sie in der Stadt, wo sie jetzt wohnte, einen Ausgang zu machen. Plötzlich fiel ihr Auge auf ein Stück bedrucktes Papier, das der Wind vor ihr hertrieb. Neugierig, den Inhalt des Papiers kennen zu lernen, haschte sie danach. Es war ein Sonntagschulblatt, das die Stelle Joh. 3, 16, in großen Buchstaben gedruckt, enthielt nebst einer Erklärung. Sie las das Blatt. Doch wer beschreibt ihr Erstaunen, als ihr Auge auf die Worte fiel:

„Es genügt nicht, diesen Bibelvers richtig und fließend hersagen zu können. Um ewiges Leben zu empfangen, ist es nötig, von Herzen an den Herrn Jesus zu glauben, an Seinen Tod und Seine Auferstehung“ (Vergl. Röm. 10, 9. 10). Diese Worte packten das Mädchen mit zwingender Gewalt. Sie dachte an ihren Traum, und mit einmal wurde es ihr klar, was ihr noch fehlte. Sie verstand, dass bloßes Wissen nicht genügt, um in das Reich Gottes eingehen zu können. Und jetzt endlich machte sie es wie der bußfertige Zöllner. Sie schlug an ihre Brust, sie schrie um Gnade und Erbarmen, und noch an dem gleichen Tage fand sie Frieden mit Gott durch den Glauben an das Werk Christi (Röm. 5, 1). Sie erkannte und glaubte die Liebe Gottes, die Er in der Hingabe Seines eigenen Sohnes so wunderbar bewiesen hat (1. Joh. 4, 16). Jetzt wusste sie, dass der Eingang in die himmlische Stadt auch für sie frei war.

Begeben wir uns jetzt von den Alpen zum Jura, und zwar in eines der an seinem Fuß zerstreut liegenden zahlreichen Bauerndörfer! Dort lebte vor Jahren ein bedauernswerter Jüngling, eine Waise, arm an irdischen Gütern, arm an Verstand. Menschlich betrachtet, war er tief zu beklagen, aber der „Vater der Waisen“ hielt Sein Auge in Liebe auf das arme Geschöpf gerichtet. Er vergaß es, getreu Seinen Verheißungen, keinen Augenblick, ja, Er ließ ihm im Gegenteil einen überaus kostbaren Segen zuteil werden. Zuerst ließ Er den jungen Mann einen mitleidigen Verwandten finden, der ihn ins Haus aufnahm und gegen kleine Arbeiten kleidete und beköstigte. Doch das war nicht das Wichtigste. Blieb der Arme auf diese Weise auch vor äußerem Mangel bewahrt, so fehlte ihm doch noch das Eine, das allein seinem Leben Licht und Wärme zu geben vermochte. Wie sollte auch das göttliche Licht in sein dunkles Inneres dringen?

Aber wir sagten bereits: Gott ist reich an Mitteln. Er bediente sich auch hier eines Traumes, um das arme junge Menschenkind Seine Stimme der Liebe vernehmen zu lassen. Wenn der Geistesschwache auch in Bezug auf irdische Dinge recht beschränkt war, so hatte er doch ein gewisses Verständnis über seine Verantwortlichkeit vor Gott. So konnte man beobachten, dass er sich viel Mühe gab, ein gutes, ordentliches Leben zu führen. Aber auch er musste, wie alle Menschen, die Erfahrung machen, dass ein solcher Versuch nie zum gewünschten Ziele führen kann. Es wohnt nun einmal nichts Gutes in uns. Freilich fordert Gottes heiliges Gesetz das Gute von uns, aber es gibt keine Kraft, um es zu tun. Auf diesem Wege können wir niemals das Leben finden. Es ist allein „Gottes Gnadengabe in Christo Jesu, unserem Herrn“ (Röm. 6, 23).

In seinem Traume nun sah der junge Mann einen Engel in glänzendweißem Gewande. Der Engel wandte sich an ihn mit der Frage: „Willst du das Gesetz?“ Da der Arme keine Ahnung hatte, was diese Frage bedeuten sollte, erwiderte er kein Wort, und der Engel zog sich zurück. Dann erschien ein anderer Engel, dessen Gewand nicht weniger weiß war als das des ersten, und der fragte ihn: „Willst du die Gnade?“ Wieder antwortete der Jüngling nicht, da er außerstande war, seine Gedanken so schnell zu sammeln. Dies geschah zweimal. Beim zweiten Mal aber öffnete sich auf die Frage: „Willst du die Gnade?“ der Mund. des armen Burschen, und er stieß die Worte hervor: „O ja, die Gnade!“

Damit war der Traum zu Ende. Aber er übte eine wunderbare, nachhaltige Wirkung auf den jungen Mann aus. Es wurde bald offensichtlich, dass er die ihm im Traum angebotene Gnade in Wirklichkeit angenommen hatte. Eine völlige Veränderung trat bei ihm zutage. Sein Herz war in Wahrheit von der Liebe Gottes erfüllt. Seine Dankbarkeit war rührend. Oft konnte man hören, wie er den Herrn dafür pries, dass Er Seine Güte an ihm groß gemacht habe. Er befolgte mit glücklichem Herzen die so wichtige, an alle Gläubigen gerichtete Aufforderung: „Durch Ihn lasst uns Gott stets ein Opfer des Lobes darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die Seinen Namen bekennen“ (Hebr. 13, 15).

Wie herrlich ist Gottes Tun in alter und neuer Zeit! O wie werden wir bald, droben im Licht, Seine Gnade staunend bewundern, wenn wir alle ihre Wege und Führungen erkennen und Seine Gedanken und Wundertaten gegen uns (Psalm 40, 6) völlig verstehen werden!

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Ich werde von beiden bedrängt

Bibelstelle: Philipper 1, 23. 24

Botschafter des Heils 1917 S. 166ff

Der Apostel Paulus, von dem Heiligen Geist geleitet, stellt sich in seinen Briefen an die Korinther, Philipper, Thessalonicher usw. wiederholt als Vorbild vor die Heiligen und fordert sie dann auf, diesem Vorbilde nachzueifern. Schon seine Bekehrung war, wie wir in 1. Tim. 1, 16 lesen, eine vorbildliche Darstellung der Wege Christi mit anderen, und sein Dienst für Christum war ein Ansporn für die Arbeiter des Herrn zur Nachahmung (1. Kor. 4, 16). In seinem Bestreben, keinem Menschen einen Anstoß zu geben, sondern allen zu ihrem Vorteil gefällig zu sein, damit sie errettet würden, ahmte er Christo selbst nach und wurde so ein Muster für alle Gläubigen in ihrem Verkehr mit ihrer Umgebung. (1. Kor. 10, 32. 33; 11, 1). In seinem persönlichen Wandel war er gleichfalls ein Vorbild der Jünger des Herrn (Phil. 3, 17), und schließlich brachten ihn seine Leiden in solch gesegnete Gemeinschaft mit seinem Herrn und Meister, dass er mit Ihm ein Beispiel wurde für alle die, welche um Seines Namens willen Drangsal erdulden mussten (1. Thess. 1, 6). Wenn wir alles das in Betracht ziehen, so werden wir bereitwilligst zugeben, dass wir nicht nur die Belehrungen des Paulus anzunehmen, sondern auch unser ganzes Augenmerk auf seine Person zu richten haben.

Die Tatsache, dass es Gott gefallen hat, in Seinem Worte Andeutungen darüber zu geben, dass auch ein Paulus nicht zu aller Zeit auf der Höhe des Geistes gestanden hat, ändert daran nichts. Die Mängel, die wir selbst an einem so auserwählten Zeugen für Gott entdecken, lassen nur umso klarer und schöner den Einen, Unvergleichlichen hervortreten, dessen Fußstapfen Paulus folgte. Nur Einer ist dagewesen, welcher „der treue Zeuge“ genannt werden kann. Zugleich dürfen wir nicht vergessen, dass das, was man bei Paulus als Mängel empfinden mag, — weit davon entfernt, Abweichungen von dem als richtig erkannten Wege in Lehre oder Wandel zu sein, — lediglich darin bestand, dass er hie und da ein mehr untergeordnetes, aber dennoch göttliches Ziel verfolgte, oder dass er das richtige Ziel aus einem anderen Wege zu erreichen suchte als auf dem, welchen der Heilige Geist in dem betreffenden Augenblick für ihn ausersehen hatte. Mit einem Wort, es ist vorgekommen, dass Tätigkeit und Zeugnis des Apostels nicht ganz auf dem hohen Boden standen, den er hätte einnehmen sollen; sie fanden aber trotzdem insofern göttliche Anerkennung, als sie unter Gottes gnädiger Leitung zu gesegneten Ergebnissen und zum Preise Seiner Herrlichkeit führen mussten.

In dem 1. Kapitel seines Briefes schreibt der Apostel den geliebten Philippern davon, wie sein Leben in steter Gefahr war. Er befand sich in Rom, der Hauptstadt der heidnischen Völker, und anscheinend (doch wie wenig in Wirklichkeit!) unter der Gewalt des Hauptes des vierten Weltreiches, des damaligen Kaisers Nero. Der große Apostel der Nationen und das vierte Tier aus Daniels Traum begegnen sich so auf demselben Schauplatz. Wie wird der Ausgang dieses Zusammentreffens sein? Werden „die großen eisernen Zähne“, die in Nero und dem kaiserlichen Rom ihre Durstellung fanden, den wunderbaren Zeugen der göttlichen Gnade an die Nationen in Stücke zerreißen? Ja, rein äußerlich betrachtet, wird es so kommen. Früher oder später wird das Haupt des Reiches der Nationen an Paulus dasselbe tun, was die Leiter der Juden an dem Herrn Jesus getan haben. Jerusalem, dem geistlichen Sodom, wird Rom, das geistliche Babel, auf dem Pfade der Verfolgung der Zeugen Gottes folgen. Beide werden nacheinander und gleicherweise das Maß ihrer Schuld voll machen.

Aber hören wir, wie Paulus, „der Gefangene Jesu Christi“, die Frage selbst beantwortet. Seine „sehnliche Erwartung und Hoffnung“ war, dass „Christus hoch erhoben werde an seinem Leibe, sei es durch Leben oder durch Tod“ (V. 20). In diesem Sinne war der Ausgang in jedem Fall der gleiche: Christus würde verherrlicht werden! Nero und die Macht Satans, mochten sie nun in Tätigkeit treten oder nicht, würden nichts anderes als das bewirken können. Das Leben des Apostels war der erhabene Ausdruck davon gewesen, wie ganz und ungeteilt er für Christum war; sein Tod würde dartun, wie völlig Christus für Seinen Diener war. Auf jede Weise würde Christus hoch erhoben werden. Das vermochte weder der Kaiser noch Satan zu verhindern.

Ferner war der Apostel nicht nur, ob lebend oder sterbend, das Eigentum des Herrn, nein, es war bei ihm eine so völlige Selbstverleugnung und zugleich ein solch persönliches Einssein mit Christo und Seinen Interessen vorhanden, dass sein Leben hienieden in dem einen Wort: „Christus“, seinen schönen und vollständigen Ausdruck fand. Starb er, so war dies noch mehr der Fall; denn dann würde er unmittelbar zu Christo gehen. Der befreite Geist würde seinen Bergungsort bei Ihm finden, in Seiner unmittelbaren Gegenwart, im Paradiese Gottes. Paulus hatte bereits „alles eingebüßt« von den Dingen, deren der Mensch ihn berauben konnte. Oder, besser gesagt, er hatte sie freiwillig eingetauscht, um Christum dafür zu gewinnen; und war er dabei nicht der gewinnende Teil gewesen? Was er verloren hatte, achtete er für „Dreck“, während es ihm die Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, seines Herrn, als Gewinn eingetragen hatte.

Nichts als sein Leben war ihm geblieben. Alles andere war dahin. Wird es nun kein Verlust sein, wenn auch das Leben ihm genommen wird? Nein. Auch das wird nur Gewinn sein. Lange vorher, in seinem ersten Briefe an die Korinther, hatte er den Tod als etwas bezeichnet, das in dem persönlichen Besitz des Gläubigen steht: „Es sei Welt, oder Leben, oder Tod. . . alles ist euer“ (1. Kor. 3, 22). Es war also besser, unter dem Schwert des Kaisers zu sein als unter seinem Szepter. Tat Nero das Schlimmste, was er vermochte, so konnte er Paulus nur umso schneller in die Freuden der Gegenwart seines Herrn bringen. Aber es gab eine andere Erwägung. Wie würde sein Tod die teuren Menschen berühren, deren Liebe und Freigebigkeit der Apostel eben erst anerkannt hatte? Ja, nicht sie allein, sondern alle übrigen Gläubigen, die Versammlungen weit umher? Konnte er sie vergessen, wenn er überlegte, was er wählen sollte? So wurde die Entscheidung der Frage für den Apostel zu einer schmerzlichen Seelenübung. Er ging mit Gott durch diesen Kampf, aber er fühlte tief die dadurch entstehenden Übungen. Erwählte er das Leben, so bedeutete dieses Leben für ihn Christus, und Christus wurde an seinem Leibe hoch erhoben. Erwählte er den Tod, so war das für ihn Gewinn, denn er ging zu Christo, und auch in seinem Sterben wurde Christus verherrlicht. Nach dem Letzten verlangte seine Seele; bei Christo zu sein war sein brennender Wunsch. Das Sterben war so viel besser, als das Leben im Fleische, dass er, wenn er sein Herz befragte, dem Sterben den Vorzug gab; er hatte Lust, abzuscheiden und in der wolkenlosen Gegenwart Dessen zu sein, den er liebte. Aber die Befriedigung der Wünsche seines Herzens musste den Interessen der geliebten Heiligen untergeordnet werden, an welche er schrieb. Sein Bleiben im Fleische war nötiger um ihretwilIen.

Darin bestand also sein Kampf. Er hatte Freiheit, zu wählen. Gott brachte auf diese Weise seine Seele in Übung, um die Kraft des neuen Lebens und seine innersten Beweggründe auf die Probe zu stellen. Und für einen Augenblick zögert der Apostel. Sollte er den geistlichen Trieben des neuen Menschen folgen und dem Sehnen seines Herzens nachgeben? Sollte er sich nach den unaussprechlichen Segnungen ausstrecken, die nur die Herrlichkeit gewähren kann? Nein. Er findet in Christo selbst Beweggründe genug, um seine heißen persönlichen Wünsche hintanzustellen. Erwählte er den Tod, so geschah es um seinetwillen. Erwählte er das Leben, so war es um seines Herrn willen. Zu sterben war für ihn ein Gewinn, zu leben ein Gewinn für Christum. Deswegen sollten seine eigenen Interessen denen seines Herrn untergeordnet werden. Mit glücklichem Herzen hätte dieser seltene Mann sein Leben für die Brüder hingegeben. Aber war es für ihn nicht etwas Größeres, für sie zu leben, für die, für welche Christus gestorben war, sein Leben zu verwenden und ganz für sie verwendet zu werden? Sein Herr und Meister war willig bei Seinen Jüngern geblieben und war vierzig Tage lang nach Seiner Auferstehung von ihnen gesehen worden. Er hatte zu ihrer Förderung und Freude im Glauben mit ihnen über die Dinge geredet, die das Reich Gottes betreffen. Paulus hatte die Gesinnung seines Meisters erfasst und entscheidet deshalb die Frage mit den Worten: „In dieser Zuversicht weiß ich, dass ich bleiben und mit und bei euch allen bleiben werde zu eurer Förderung und Freude im Glauben, auf dass euer Rühmen in Christo Jesu meinethalben überströme durch meine Wiederkunft zu euch“.

Lieber gläubiger Leser! Was können wir von derartigen Übungen erzählen? Der Kampf, den der Apostel kämpfte, war die entscheidende Probe, wie weit seine geistliche Kraft und seine Selbstverleugnung um Christi willen gingen. Er bewies zugleich in unwiderleglicher Weise, wie rein die Beweggründe waren, die ihn beherrschten. Welch ein wunderbarer Diener eines noch unendlich wunderbareren Herrn war er doch! Auch aus dieser Prüfung ist er hervorgegangen als ein gesegnetes Vorbild für uns, ein· Zeugnis von dem, was die Gnade Christi in einem irdenen Gefäß zu tun vermag, wenn die Interessen des droben Verherrlichten alles andere überwiegen, weil das Herz nur Ihn zum Gegenstand hat. Könnte wohl einer von uns zu sagen wagen, dass er die Interessen Christi bezüglich Seiner Glieder hienieden in gleicher Weise im Auge hätte? Dass diese allein, soweit es sich um eine Wahl handelt, seine Seele abhielten, dahin zu gehen, wo Christus weilt und wo wir so gern sein möchten? Wer könnte sagen, dass er, in dem vollen Bewusstsein der Tatsache, dass es weit besser ist abzuscheiden und bei Christo zu sein, den Gewinn des Herrn über den eigenen stellt, dass er freiwillig den Schauplatz dieser Erde erwählt um Seinetwillen, weil er nur hier in seinem geringen Maße die Interessen des Herrn zu fördern vermag?

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Betet füreinander

Bibelstelle: Jakobus 5,16

Botschafter des Heils 1917 S. 172ff

Betet füreinander! — Einen schöneren und lieblicheren Dienst des einen Gläubigen für den anderen könnte es nicht geben· Er war zu aller Zeit am Platz, und ist es ganz gewiss besonders in dieser schweren, ernsten Zeit mit ihren Sorgen und Kümmernissen, Schmerzen und Tränen. In einer ähnlichen Zeit baten die Kinder-Israel Samuel, den Propheten: „Lass nicht ab, für uns zu Jehova, unserem Gott, zu schreien, dass Er uns rette“. Und ,,Samuel schrie zu Jehova für Israel, und Jehova erhörte ihn“. Und als sie später in ihrem Unglauben einen König begehrt hatten und nun Gottes Zorn über sie entbrannt war, da sagte der treue Mann: ,,Fern sei es von mir, dass ich gegen Jehova sündigen, dass ich ablassen sollte, für euch zu bitten“ 1. Samuel 7, 8. 9; 12, 23). Je ernster der Zustand des Volkes Gottes wird, desto mehr Fürbitte tut not. Davon ablassen würde heißen „wider Gott sündigen“.

Betet füreinander! — Die Ermahnung ist allumfassend; sie richtet sich an jeden Gläubigen, ob alt oder jung, gesund oder krank, reich oder arm; merkwürdig ist es allerdings, dass sie vielfach von denen am meisten beachtet und befolgt wird, die nach menschlicher Meinung selbst der Fürbitte bedürfen. Eigenliebig, vergesslich und undankbar, wie wir von Natur sind, haben wir es eben nötig, durch eigene schmerzliche Erfahrungen, durch eigenes Leid auf die Bedürfnisse und Leiden anderer hingelenkt zu werden. Wäre die Liebe mehr in uns wirksam, so bedürften wir solcher Erinnerungen nicht. Die Liebe sucht nie das Ihrige, sondern stets das, was des anderen ist.

Betet füreinander! — Welch ein Arbeitsfeld tut sich bei diesen Worten vor unseren Blicken auf! Zur Verkündigung des Evangeliums, zum Dienst an und unter den Gläubigen, zur Ausübung äußerer Liebestätigkeit sind Gaben und Kräfte, vielleicht auch Geldmittel erforderlich. Zum Gebet bedarf es alles dessen nicht. Ein demütigen gläubiger Sinn, ein dankbares, liebendes Herz, ein Geist, der sich von oben leiten und belehren lässt, genügen für diesen Dienst, sind allerdings auch unerlässliche Bedingungen für ihn. Eine Seele, die in lebendiger Verbindung mit der Quelle der Liebe steht und aus ihr trinkt, kann nicht anders als Liebe üben, liebend anderer gedenken.

Zugleich ist das Arbeitsfeld unermesslich weit, durch nichts begrenzt. Die Tätigkeit auf den oben genannten Gebieten beschränkt sich oft — muss sich beschränken — auf einen engeren oder weiteren Bekanntenkreis, auf gewisse Orte und Gegenden. Das Gebet umspannt Länder und Meere, reist mit Gedankenschnelle von Pol zu Pol, umfasst einzelne wie ganze Völker, betritt die Paläste der Könige und Fürsten und die Hütten der Armen und Ärmsten, besucht die Stätten der Freude und die Häuser der Trauer, lässt sich nieder an den Schmerzenslagern der Verwundeten und Kranken und besucht die Sterbenden, fleht für die Weinenden und Gebeugten und tritt ein für die Irrenden und Fehlenden, dankt mit den Dankenden und ruft um Gnade für die Abgeirrten und Verlorenen. Der Arbeiter im Werke des Herrn, wie sein Dienst in Wort und Schrift, der Bote des Evangeliums im fernen Heidenlande, wie der Bibelträger in der Heimat, der hochgestellte Beamte wie sein Untergebener, König, General und Soldat, Herren und Knechte, Eltern und Kinder — alle, alle sind Gegenstände der Fürbitte und erfahren ihre bewahrende, tragende und wiederherstellende Kraft. „Ich ermahne nun vor allen Dingen“, schreibt Paulus an Timotheus, „dass Flehen, Gebete, Fürbitten, Danksagungen getan werden für alle Menschen, für Könige und alle, die in Hoheit sind“ (1. Tim. 2, 1. 2).

Darum spanne deine Gebetsflügel oft und weit aus, gläubige Seele, übe sie fleißig und willig! Ihre Kraft wächst mit dem Gebrauch Sie tragen dich höher und höher hinauf, immer weiter wird dein Blick, immer größer dein Gesichtskreis nach allen Seiten hin. Mit Erstaunen bemerkst du, wie viele neue, bis dahin dir unbekannt gebliebene Anlässe zur Fürbitte sich zeigen, und wie die Freude am Bitten und Danken und damit die geistliche Kraft und Innigkeit deiner Gebete zunehmen, geradeso wie sie im umgekehrten Falle immer mehr schwinden, bis endlich die Schwingen so verkümmern, dass du kaum noch für Augenblicke vom Boden emporzuflattern vermagst.

Mose und Samuel, Jeremia und Daniel, Paulus und Jakobus (der Schreiber unseres Briefes) und manche andere nach ihnen waren Männer des Gebets, und Großes hat Gott durch sie getan, Ströme des Segens von ihnen ausfließen lassen. Wollen wir ihnen nicht ein wenig nacheifern und, unsere natürliche Trägheit und die Schwachheit unseres Fleisches überwindend, „besonnen und nüchtern sein zum Gebet“, „zu aller Zeit betend mit allem Gebet und Flehen in dem Geiste und eben hierzu wachend in allem Anhalten und Flehen für alle Heiligen«? (1. Petr. 4, 7; Eph. 6, 18.) Ist es solchen Worten gegenüber zu viel verlangt, wenn wir sagen: Jeder Tag sollte uns doch, abgesehen von unseren gewöhnlichen, gemeinsamen Gebeten, mindestens ein vierte! oder ein halbes Stündchen allein im Gebetskämmerlein finden? Leider, leider gehen bei vielen Gläubigen Tage und Wochen dahin, ohne dass sie sich dazu aufraffen können, einen so kleinen Teil ihrer Zeit diesem so notwendigen Dienst zu widmen. Ist es da ein Wunder, wenn auch unsere Gebetsversammlungen so schwach besucht sind, und oft so wenig Wärme und Frische sich in ihnen offenbaren? wenn so manches in den Familien und Kreisen der Gläubigen ungeordnet liegen bleibt und die geistliche Kraft zum Hinwegtun des Bösen so gering ist? Ganz abgesehen davon, dass so manches Gute unterbleibt, so manches „Vorzüglichere“ nicht unterschieden wird? O möchten wir doch über der täglichen Arbeit, über den Sorgen des Lebens nicht die ernsten Ermahnungen der Knechte des Herrn vergessen, nicht Seinen eigenen ergreifenden Zuruf: „Wachet und betet!“

Die Ermahnung zur gegenseitigen Fürbitte wird in unserer Stelle noch mit einem anderen ernsten Punkt in Verbindung gebracht. Jakobus sagt: „Bekennet denn einander die Vergehungen und betet füreinander, auf dass ihr geheilt werdet“.

„Bekennet einander die Vergehungen!“ Dieser Aufforderung wird wohl noch weniger entsprochen als der anderen. Denn zu einem solchen Bekenntnis gehören wahre Demut, Beugung unter den anderen und Ausrichtigkeit vor Gott. Und wenn es etwas Böses gibt, das unserer Natur, unserem armen Ich, in besonderer Weise anklebt, dann ist es Hochmut und Unaufrichtigkeit vor Gott und Menschen. Wie schwer wird es schon dem Kinde, den stolzen Nacken vor dem Vater oder der Mutter zu beugen und zu sagen: Ich habe gefehlt! Noch schwerer der Frau vor dem Manne, der Magd vor der Herrin, dem Arbeiter vor dem Meister; am schwersten vielleicht dem Manne vor der Frau, der Herrin vor der Magd usw. Aber ein jeder von uns hat den Segen eines solchen Bekenntnisses schon erfahren, wenn auch vielleicht erst nach harten Kämpfen und vielem Rufen zu Gott.

Bekennet einander! Das will nicht heißen: Sage allen deinen Brüdern oder Schwestern, was irgend du getan hast. Es gibt vieles, was nicht in die Öffentlichkeit gehört, manches, was man nur in der Stille vor Gott auszumachen hat, wo nicht einmal ein zweiter Mensch Zutritt haben sollte. Aber es gibt auch vieles andere, was nur durch ein offenes Bekenntnis vor Gott und Menschen wirklich und gründlich hinweggetan werden kann. Dahin gehören vor allem Verfehlungen gegen Menschen, Vergehungen gegeneinander, Verleumdungen, übles Nachreden, harte Urteile, scharfe, lieblose Worte usw. Solche Dinge sind nicht durch ein noch so umfassendes Bekenntnis vor Gott allein zu ordnen; sie sind auch dem anderen zu bekennen, ob er nun von der Verfehlung gegen ihn weiß oder nicht weiß. So lang solche Sünden nicht vor dem Geschädigten bekannt find, lasten sie auf dem Gewissen, hindern die Gemeinschaft und machen die Fürbitte unmöglich. O wie mancher Gläubige geht tage- und wochenlang unter einem Druck einher, ist dürr und unbefriedigt, weil er sich nicht beugen und das erlösende Wort nicht sprechen will! Ein armer, bedauernswerter Zustand!

„Bekennet einander die Vergehungen . . . auf dass ihr geheilt werdet.“ Auch das ist ein Wort von besonderer Bedeutung. Nichtbekannte Vergehungen, ungerichtete Sünden find vielfach die Ursache von leiblichen und geistlichen Übeln, von Krankheiten und traurigen Zuständen. Gott kann nicht helfen, nicht heilen, trotzdem man um Heilung bittet, weil Er der heilige Gott ist, der „Lust hat an der Wahrheit im Innern“ (Psalm 51, 6) und uns nur dann Seine Treue und Gerechtigkeit im Vergeben beweisen kann, „wenn wir unsere Sünden bekennen“ (1. Joh.1, 9). Wie aus dem Zusammenhang unserer Stelle hervorgeht, denkt Jakobus zunächst an körperliche Leiden und Krankheiten; aber böse geistliche Zustände, die oft viel ernster und schwerer zu heilen sind als jene, sind keineswegs ausgeschlossen. Wie oft sind denn auch langjährige innere Zerwürfnisse in der Familie, zwischen einzelnen Geschwistern oder auch in ganzen Versammlungen in ihren ersten Anfängen auf kleine, nicht gerichtete und nicht bekannte Verfehlungen, Lieblosigkeiten und dergl. zurückzuführen! In Apostelgeschichte 6 hat es angefangen, als griechische Juden sich den Hebräern gegenüber zurückgesetzt glaubten, und wie hat die Uneinigkeit seitdem zugenommen! Wie bald war die liebliche Einheit des Geistes vor den Augen der Welt zerstört, und welch betrübende, tief demütigende Bilder schauen die Menschen heute oft bei denen, die Jünger des Sanftmütigen und von Herzen Demütigen zu sein bekennen! Kinder „reden“ und „seufzen“ (Jak. 4, 11; 5, 9) wider ihre Eltern, Brüder wider Brüder, Arbeiter wider Arbeiter oder Arbeitgeber, Geschäftsleute wider Geschäftsleute — und, anstatt die Schuld bei sich zu suchen und dem anderen in Liebe und Aufrichtigkeit entgegen zu kommen, urteilt und verurteilt man scharf, richtet lieblos und macht so den Schaden immer größer. Von einer herzlichen Fürbitte des einen für den anderen ist gar keine Rede mehr — man ist bitter und macht bitter!

Darum: „Redet nicht widereinander, Brüder. Wer wider seinen Bruder redet, oder seinen Bruder richtet, redet wider das Gesetz und richtet das Gesetz“ — denn das Gesetz sagt: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst«, und: „Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen“. Und weiter: „Seufzet nicht widereinander, Brüder, auf dass ihr nicht gerichtet werdet. Siehe, der Richter steht vor der Tür“. Noch ein wenig, und unser Weg und Dienst ist beendet, das Ziel ist erreicht. „Der Herr kommt, welcher auch das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen und die Ratschläge der Herzen offenbar machen wird; und dann wird einem jeden sein Lob werden von Gott“ (1. Kor.4, 5).

Bei einem Menschen, der im Lichte Gottes wandelt und »sich selbst beurteilt«, wird man immer einem Geist der Gnade anderen gegenüber begegnen. Ein solcher urteilt milde, setzt nichts Böses voraus, vertraut dem anderen und ist stets bereit, ihm in vergebender Liebe entgegen zu kommen. Wo aber das eigene Gewissen nicht wach und zart ist, da gibt’s meist ein hartes, scharfes Urteilen; statt Liebe und Gnade herrscht ein gesetzlicher, unversöhnlicher Geist, der nicht auferbaut, sondern zerstört, der nur fordert, aber nie gibt. Umso schlimmer sind die Ergebnisse einer solchen Gesinnung, je inniger das Verhältnis oder die Beziehung ist, in welcher sie sich geltend macht. Wie schrecklich wirkt z. B. der Geist der Lieblosigkeit zwischen Eheleuten! Die angerichtete Verwüstung ist oft geradezu grauenhaft, und Heilung ist ganz unmöglich, weil keiner der beiden Teile seine Schuld bekennen und dem anderen die Hand der Versöhnung entgegenstrecken will. „Neid und Streitsucht“ sind an die Stelle der Liebe und Sanftmut getreten, und wo diese sind, „da ist Zerrüttung und jede schlechte Tat“ (Jak.3,16).

Der Herr schenke uns allen Gnade, mit der Strenge gegen uns selbst Liebe zueinander zu verbinden und so in der „Weisheit von oben“ zu wandeln, die „aufs erste rein ist, sodann friedsam, gelinde, folgsam, voll Barmherzigkeit und guter Früchte, unparteiisch, ungeheuchelt“! So wird uns „die Frucht der Gerechtigkeit in Frieden gesät“ werden, und wir werden die Glückseligkeit eines Menschen genießen, der in Lauterkeit des Herzens und in selbstverleugnender Liebe für andere sich einsetzt, anderen dient und so Ihm ähnlicher wird, der einst auf diese Erde kam, „nicht um bedient zu werden, sondern um zu dienen und Sein Leben als Lösegeld zu geben für viele“ (Mark. 10, 45).

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Kind Gottes, harre still und fein!

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1917 S. 180ff

Kind Gottes, harre still und fein,

wie dunkel auch dein Pfad,

lass alles Dem befohlen ·sein,

der immer Wege hat!

Und ziehen dunkle Wetter auf

und Wolken, schwarz und dicht,

folg’ du nur ruhig deinem Lauf:

Am Morgen wird’s doch Licht!

Kind Gottes, gib dich furchtlos hin,

Sein Arm dich fest umschließt;

Du darfst nur kindlich traun auf Ihn,

Weil du Sein eigen bist.

Und währt die Nacht auch noch so lang,

Kind Gottes, zage nicht!

Harr’ aus, trau’ Ihm und zage nicht,

am Morgen wird’s doch Licht!

Kind Gottes, bist du Ihm geweiht,

und willst du ganz Ihm traun,

dann gibt Er dir Sein sanft Geleit

auf grünen Friedensaun.

Drum traue still und harre sacht,

einst glänzt dein Angesicht,

und eh’ du’s weißt, ist hin die Nacht,

und dann geht uns das Licht!

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Das Gleichnis von dem barmherzigen Samariter

Bibelstelle: Lukas 10

Botschafter des Heils 1917 S. 181ff

Ein gewisser Gesetzgelehrter versuchte einst den Herrn mit der Frage: „Lehrer, was muss ich getan haben, um ewiges Leben zu ererben?“ Der Herr ging auf die Frage des Mannes mit den Worten ein: „Was steht in dem Gesetz geschrieben? Wie liest du?“ Der Gelehrte zeigte sich in der Gesetzeskunde bewandert. Er kannte nicht allein die zehn Gebote, sondern wusste auch, ohne sich lang besinnen zu müssen, in seiner Antwort die beiden Stellen der Schrift anzuführen, welche den Gesamtinhalt der Gebote kurz wiedergeben, nämlich 5. Mose 6, 5 und 3. Mose 19, 18: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft und mit deinem ganzen Verstande“, — „und deinen Nächsten wie dich selbst“. Diese Antwort war richtig. Jesus erkennt es an und fügt dann, gleich dem Gesetz, die Worte hinzu: „Tue dieses, und du wirst leben“.

Der Gedanke, seinen Nächsten lieben zu müssen wie sich selbst, beunruhigte das Gewissen des Schriftgelehrten in der Gegenwart des Herrn, und er verriet es durch die Frage: „Wer ist mein Nächster?“ — „Wer ist mein Gott?“ wagte er nicht zu sagen.

Jesus erzählt ihm daraufhin die Geschichte des barmherzigen Samariters, um ihn dadurch zu belehren, dass sein Gott sich zu seinem Nächsten gemacht habe. Das war etwas ganz Neues für den Gelehrten, der das ganze Gesetz sorgfältig gelesen hatte und vielleicht mit jenem Pharisäer sagen konnte: „Ich bin nicht wie die übrigen der Menschen“. Es war aber nicht genug, das Buch des Gesetzes zu kennen, und Jesus lässt ihn durch das Gleichnis, in welchem der Gesetzgelehrte als unter die Räuber gefallen und Er selbst als der helfende Samariter dargestellt wird, in ein Buch hineinschauen, das er noch nie gelesen hatte: das Buch der Gnade, einer Gnade, die sich an jeden wendet, unbekümmert ob er ein Anrecht an sie hat oder nicht.

Diese Gnade passt sich dem Unglücklichen an, der durch eigene Schuld in die Hände der Räuber gefallen und halbtot auf der Straße liegen geblieben ist. Er hatte Gott den Rücken gekehrt und Seine Güte vergessen; er hatte den Ort der Segnung verlassen, um nach der Stätte des Fluches zu gehen — von Jerusalem nach Jericho!

Auf diesem Wege, der von Räubern unsicher gemacht ist und auf dem der Tod lauert, befinden sich alle Menschen. Das was der-Mensch einst besaß, seine Unschuld vor Gott, sein Glück und seine Freude in der Abhängigkeit von Gott, ist dahin. Ausgeraubt, völlig zerschlagen, liegt er da. Gott ungehorsam geworden, fürchtet er nun Seine Nähe. Er hat aus Gott einen Richter gemacht, und er weiß es wohl. Keine andere Kraft ist ihm geblieben, als die körperlichen und die wohl noch größeren seelischen Leiden zu ertragen, die er der Sünde verdankt und für die er kein Heilmittel besitzt. Vergeblich strengt er sich vielleicht an, seinen traurigen Zustand vor sich selbst und vor Gott zu verheimlichen. Denn wenn, wie beim ersten Menschenpaar im Garten Eden bei der Kühle des Tages, der göttliche Ruf: „Wo bist du?“ an sein Ohr dringt, so gibt ihm weder die selbstgemachte Schürze von Feigenblättern Ruhe, noch schützen ihn die Bäume, unter welchen er sich zu verstecken sucht; er fühlt, dass er beraubt, nackt, schuldig ist, und dass die Zeit bald kommen wird, wo er vor dem Richter erscheinen muss. Seine Lage wird immer schlimmer, je näher der Tod heranrückt, und ein Entrinnen ist unmöglich.

Und dann? . · . ..

Gibt es denn keine Hilfe, keine Rettung für diesen unglücklichen Menschen? Streckt nicht das Gesetz ihm die Retterhand entgegen? Nein, es kann nichts für ihn tun. Priester und Levit, die beiden Vertreter des Gesetzes, gehen vorüber, ohne sich irgendwie um den armen, halbtoten, unter die Räuber gefallenen Unglücklichen zu kümmern. Sie sehen ihn, gehen aber kalt und teilnahmslos vorüber.

Der Priester hat nur seine Schlachtopfer, die man alljährlich ununterbrochen darbringt, und „welche die Hinzunahenden nicht vollkommen machen können. Denn würden sie sonst nicht aufgehört haben, dargebracht zu werden, weil die den Gottesdienst Übenden, einmal gereinigt, kein Gewissen mehr von Sünden gehabt hätten? Aber in jenen Opfern ist alljährlich ein Erinnern an die Sünden“ (Hebr. 10, 1 - 3.) Die Fruchtlosigkeit dieses Dienstes ist dadurch bewiesen, dass er fortwährend wiederholt werden muss; der arme Sünder wird in seinem Gewissen vor Gott nicht gereinigt. Diese Opfer find unvollkommen und erfüllen nicht, was die Heiligkeit Gottes fordert. Die Sünde in ihren inneren Tiefen, wie in ihren Wirkungen nach außen hin, ist damit nicht weggenommen vor Dem, der „zu rein von Augen ist, um Böses zu sehen“ (Hab. 1, 13). Die Sünde beschmutzt immer wieder das Gewissen, und ihre Verheerungen nehmen ihren Fortgang, „denn der Lohn der Sünde ist der Tod“ (Röm. 6, 23).

Und der Levit? — Von ihm heißt es: „Sie werden Jakob lehren deine Rechte und Israel dein Gesetz; sie werden Weihrauch legen vor deine Nase und Ganzopfer auf deinen Altar“ (5. Mose 33, 10). Das was ihre Amtsverrichtungen kennzeichnet und sie von denen des Priesters unterscheidet, ist: „Tue das und du wirst leben“.

„Tue das!“ Das kann man wohl einem Geschöpf sagen, das in guten Beziehungen zu seinem Gott steht und imstande ist, Gottes Befehlen nachzukommen. Die Aufforderung gefällt auch einem Menschen, der noch nie den ehrlichen Versuch gemacht hat, den Forderungen des Gesetzes zu gehorchen, und daher sein völliges Unvermögen noch nicht kennt. Was aber könnte sie einem Menschen nützen, der halbtot, ausgeraubt, zerschlagen auf der Straße liegt? Wie sollte der Arme der Aufforderung folgen können? -— Und doch steht geschrieben: „Verflucht ist jeder, der nicht bleibt in allem, was im Buche des Gesetzes geschrieben ist, um es zu tun!“ (Gal. 3, 10).

Der Levit, wie der Priester, geht „an der entgegengesetzten Seite« vorüber, ohne dem Verwundeten Hilfe zu bringen. Er lässt den Fluch des Gesetzes, das er vertritt, auf ihm.

Aber Gott sei gepriesen! das Gesetz offenbart nicht das Herz Gottes; es ist die Gnade, die das tut. Und „die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesum Christum geworden“ (Joh. 1, 17).

Der Gott, vor dem der Mensch sich verbergen zu können meint, den er vergessen möchte, verachtet und vielleicht lästert, hat sich dem armen Unglücklichen in Gnaden genähert. Er liebt ihn trotz allem, denn „Er ist Liebe“. Er befiehlt dem Menschen heute nicht, Ihn zu lieben aus seinem ganzen Herzen und mit seiner ganzen Seele, und seinen Nächsten wie sich selbst, obgleich Er das Recht hat, das zu fordern. Nein, Er hat sich vielmehr selbst zum Nächsten des Menschen gemacht! Der Sohn Gottes hat menschliche Gestalt angenommen, um die Wunden des Menschen zu unter- suchen, zu verbinden und zu heilen, und ihm weit Besseres als Ersatz für das Verlorene und ihm Geraubte zu geben, nämlich ein Teil und einen Platz mit Ihm in der himmlischen Herrlichkeit, in welche Er auf Grund Seines Gehorsams bis in den Tod eingegangen ist.

Ja, Jesus Christus ist es, der in unserem Gleichnis als der barmherzige Samariter vor unsere Augen tritt. Während Priester und Levit vorübergehen, kommt ein gewisser Samariter „seines Weges gezogen“.

Es war der Weg, auf welchem der unter die Räuber gefallene, halbtote Mensch lag. Diesen Weg hat unser Herr in Gnaden freiwillig betreten und im Gehorsam verfolgt. „Siehe, ich komme, in der Rolle des Buches steht von mir geschrieben«, so lesen wir von Ihm in Psalm 40, 7. Er, der Sohn, nahm Knechtsgestalt an, und in Seiner Gestalt wie ein Mensch erfunden, erniedrigte Er sich selbst, indem Er gehorsam ward bis zum Tode, ja, zum Tode am Kreuz (Phil. 2, 5 — 8). Nichts als Güte und Liebe gingen von Ihm aus auf dem ganzen Wege, wohin Er sich auch wenden mochte. Aber die, welche zu segnen Er gekommen war, nahmen Ihn nicht auf, sondern verhöhnten Ihn und kreuzigten Ihn endlich zwischen zwei Missetätern. Und doch wurde Er um ihrer Sünden willen verwundet, um ihrer Übertretungen willen zerschlagen. Die Strafe zu ihrem Frieden lag auf Ihm“ (Jes. 53). Alles das hat dieser von den Menschen Verlassene und Verachtete, der verächtlich „ein Samariter“ genannt wurde (Joh. 8, 48), getan. Er hat es getan für die unglücklichen Juden, die Ihn verachteten, hat es getan für den gefallenen, schuldigen Menschen.

„Er kam«, wie es in unserem Gleichnis heißt, „zu ihm hin, und, als er ihn sah, ward er innerlich bewegt, und er trat hinzu, verband seine Wunden und goss Öl und Wein darauf.“

Welch rührendes Bild von der Liebe Christi! Nicht nur ist uns durch Seine Striemen Heilung geworden, sondern Er gibt uns auch „Öl und Wein“. Der Heilige Geist ist dem Gläubigen gegeben und senkt Verständnis in sein Herz über die neue, „herrliche Stellung, in welche er durch den Tod und die Auferstehung Dessen eingeführt ist, der zu Maria Magdalena sagte: „Gehe hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, und zu meinem Gott und eurem Gott“ (Joh. 20, 17). Und der Geist will, dass wir uns hienieden darüber freuen in· der Erwartung Seiner Herrlichkeit. Die Freude, von welcher der „Wein“ ein Bild ist, ist eine Frucht des Geistes, wie wir in Gal. 5, 22 lesen.

Der Samariter tut aber noch mehr. „Er setzte ihn auf sein eigenes Tier und führte ihn in eine Herberge und trug Sorge für ihn.“ Der Arme, dessen Wunden „verbunden und mit Öl erweicht worden waren“ (vergl. Jesaja 1, 6) war noch schwach und bedurfte sorgfältiger Pflege.

Dasselbe ist auch bei uns der Fall. Obgleich wir erlöst sind, im Blute des Lammes gewaschen, ohne Fehl und ohne Flecken, und vor Grundlegung der Welt auserwählt und zu Kindern Gottes gemacht sind, bedürfen wir doch, um hienieden Zeugen Jesu sein zu können, Kraft für unseren Wandel. Bevor der Herr die Seinen verließ, die Brüder zu nennen Er sich nicht schämte, sagte Er zu ihnen: „Ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist, und ihr werdet meine Zeugen sein“ (Apstgsch. 1, 8).

Es steht auch geschrieben: „So viele durch den Geist Gottes geleitet werden, diese sind Söhne Gottes“ (Röm. 8, 14.) Und: »Wenn wir durch den Geist leben, so lasst uns auch durch den Geist wandeln“ (Gal. 5, 25). Durch den Geist genießen wir die Freude, dass wir Kinder Gottes sind, und durch Ihn erhalten wir auch die Kraft, die uns zu treuem Wandeln befähigt. Diese Kraft ist nicht aus uns; sie ist uns gegeben durch den Heiligen Geist, welcher ist »ein Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“ (2. Tim. 1, 7).

Nachdem der Samariter den Unglücklichen in die Herberge gebracht und ihm dort Pflege verschafft hatte, sagte er vor seinem Weggehen zu dem Wirt der Herberge, dem er zwei Denare vorausbezahlte: „Trage Sorge für ihn, und was irgend du noch dazu verwenden wirst, werde ich dir bezahlen, wenn ich zurückkomme“. Er wollte also für alle Kosten, die während seiner Abwesenheit aus der Pflege des Kranken erwachsen sollten, aufkommen, so sehr interessierte er sich für ihn. Es scheint auch, dass er an eine baldige Rückkehr dachte, weil er dem Wirt nur zwei Denare, den Tagelohn für zwei Tage, zurückließ.

Als unser Herr im Begriff stand, die Jünger zu verlassen, sagte Er zu ihnen: „Ich komme wieder und werde euch zu mir nehmen“ (Joh. 14, 3), und verschiedene Male ruft Er uns im Worte zu: „Ich komme bald!“ Und bis dahin hat Er uns der treuen Sorge unseres Gottes und Vaters und der Pflege des Heiligen Geistes übertragen.

Jesus hat dieses Gleichnis dem aufmerksam zuhörenden Gesetzgelehrten erzählt und stellt nun, — um zu seinem Herzen und Gewissen zu reden, — eine ganz einfache Frage: »Wer von diesen dreien (dem Samariter, dem Priester und dem Leviten) dünkt dich der Nächste gewesen zu sein von dem, der unter die Räuber gefallen war?“ Die Antwort war dem Gesetzgelehrten nicht schwer. Wir hören ihn sagen: »Der die Barmherzigkeit an ihm tat“.

„Jesus aber sprach zu ihm: Gehe hin und tue du desgleichen.“

Wir wissen nicht, ob der Gesetzgelehrte verstanden hat, was der Herr ihm damit sagen wollte. Wichtig aber ist es, dass wir selbst die Worte verstehen: Gehe hin und tue du desgleichen.

Wenn wir das Mitleid und die Erbarmungen Gottes erfahren haben, so ruft uns der Geist, indem Er uns daran erinnert, zu: »Ich ermahne euch nun, Brüder, durch die Erbarmungen Gottes, eure Leiber darzustellen als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Schlachtopfer“. (Röm. 12, 1). Das ist der Weg, auf dem wir dem Gebot, unseren Gott aus ganzem Herzen und ganzer Seele zu lieben, entsprechen. Ferner lesen wir: ,“Durch die Liebe dienet einander“ (Gal. 5, 13), und: ,,Hieran haben wir die Liebe erkannt, dass Er für uns Sein Leben dargelegt hat: auch wir sind schuldig, für die Brüder das Leben darzulegen“ (1. Joh. 3, 16.) Und weiter: „Seid nun Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder, und wandelt in Liebe, gleichwie auch der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch“ (Eph. 5,1. 2). — Folgen wir diesen Ermahnungen, so erfüllen wir das Gebot: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!2 denn die Liebe ist die Summe des Gesetzes nach Römer 13, 10. -— Diese beiden Gebote, »die Summe des Gesetzes«, sind ein Vorrecht und eine Pflicht für uns geworden, weil wir Kinder Gottes sind. Die Gnade, die wir erfahren haben, verpflichtet uns dazu, und die Gnade befähigt uns auch, das Vorrecht auszuüben.

Lag nicht aber in dem: „Gehe hin und tue du desgleichen“, für den Gesetzgelehrten zugleich eine Einladung, doch dasselbe für sich tun zu lassen, was der Samariter an dem unter die Räuber Gefallenen getan hatte? Vor ihm stand ja der wahre Samariter, Jesus, der Sohn Gottes, der für ihn auf dem Wege zum Kreuze war, um ihm das Heilmittel zu schenken, das er vergeblich von dem Priester und dem Leviten erwartete. Auf Ihn musste er blicken, nicht auf das Gesetz.

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Es konnte nicht verborgen sein *)

Bibelstelle: Markus 7,24

Botschafter des Heils 1917 S. 190ff

Der Gedanke: die Geschwister daheim beten für dich, erfüllt mich mit Freude und Dank. Ich bitte Euch, werdet nicht müde darin für alle Brüder, die im Heeres- dienst stehen! Nicht nur die auf den Schlachtfeldern bedürfen der Fürbitte. Sie gewiss in erster Linie; sind sie doch meist von tausend Gefahren umgeben und schauen dem Tode unmittelbar ins Auge. Aber in den Ruhestellungen und auf den sogenannten „guten Posten“ hinter der Front drohen andere Gefahren. Da schleicht die Sünde wie eine Pest im Finstern einher. Da bedarf der Gläubige heiliger Wachsamkeit, um sich fern zu halten von aller Art des Bösen (1. Thess. 5, 22). Also, aufgehobene Hände tun not!

Beim stillen Lesen des Wortes fiel mir kürzlich eine Stelle besonders auf. Sie enthält nur fünf Worte: „Er konnte nicht verborgen sein«. Sinnen wir ein wenig darüber nach. Wer ist dieser „Er“? — Jesus, der Sohn Gottes (Mark. 1, 1), der unermüdliche, gehorsame Diener, wie Marias, durch den Geist Gottes geleitet, Ihn vornehmlich uns vor Augen stellt. Er selbst sagt von sich: „Der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und Sein Leben zu geben als Lösegeld für viele“ (Mark. 10, 45.) Ein treuer Diener trachtet nur nach der Förderung der Interessen seines Herrn. Unter Hintansetzung der eigenen Person ist er mit Eifer bemüht, alle Wünsche seines Gebieters zu erfüllen und ihm wohlgefällig zu sein.

Ein solch treuer Diener war der Herr Jesus in vollkommenen! Maße, unermüdlich tätig — tätig in Liebe, entsprechend dem Vaterherzen Gottes. Wie oft lesen wir von Ihm: Er ward innerlich bewegt! Ein Leben der Behaglichkeit war Ihm fremd. Er suchte nichts für sich. „Siehe, ich komme, um deinen Willen zu tun“, hatte Er bei Seinem Kommen auf die Erde gesagt; und Sein ganzer Weg hat diese Worte bestätigt. Wir vermögen uns wohl kaum vorzustellen, mit welchem Fleiß dieser göttliche Diener Seine Aufgabe erfüllte. In Kap. 3, 10 heißt es: „Er heilte viele, so dass alle, welche Plagen hatten, Ihn überfielen, auf dass sie Ihn anrühren möchten“. Wie kam der gute Herr dabei ins Gedränge! Denke daran, liebe Schwester. wenn du nächstens im Gedränge stehst auf dem Rathaus oder beim Lebensmittel-Einkauf! —— Und in Kap. 6,31 lesen wir: „Derer, die da kamen und gingen, waren viele, und sie fanden nicht einmal Zeit, um zu essen“. Also noch Entbehrung bei aller Mühe! O wie gut wird doch ein solcher Herr die Seufzer unserer Tage verstehen!

Sehr bezeichnend für die ganze Art des Dienstes unseres Herrn ist auch Kap. 1, 32 - 39. Abends, als die Sonne unterging, brachten sie alle Leidenden und Besessenen zu Ihm; und die ganze Stadt war an der Tür versammelt. Und Er heilte viele und trieb viele Dämonen aus. Welch ein Abend der Unruhe, welch eine Erregung Seiner innersten Gefühle und Erbarmungen! Und am nächsten Morgen? Anstatt länger als sonst zu ruhen nach all den Mühen des vorigen Tages, „stand Er frühmorgens, als es noch sehr dunkel war, auf und ging hinaus und ging hin an einen öden Ort und betete daselbst“. O wie beugt sich unser Herz staunend und anbetend nieder, wenn es die Hingebung und Abhängigkeit dieses göttlichen Dieners betrachtet! Jesus betete, betete an ödem Orte, wo niemand und nichts stören konnte, vor Anbruch des neuen Tages mit seinen neuen Ansprüchen und Aufgaben. Er kannte die Quelle der Kraft und benutzte sie in Treue.

Diesem ununterbrochenen Leben des Gebets entsprach Sein Dienst. Er geschah in der Kraft Gottes. „Mit Gewalt gebot Er den unreinen Geistern“ (Mark. 1, 27). „Er lehrte sie wie einer, der Gewalt hat“, so dass alle erstaunten. Dann aber, wenn die Menge Ihn suchte, ging Er anderswohin (V. 37. 38). Er wollte nicht ein Gegenstand der Bewunderung sein. Er suchte keine Ehre für sich. Sein Genuss, Seine Speise war, den Willen Dessen zu tun, der Ihn gesandt hatte. (Joh. 4, 34). Wieder und wieder sehen wir Ihn demutsvoll zurücktreten. „Er war draußen in öden Örtern“(Kap. 1, 45). „Er entwich an den See“ (Kap. 3, 7). „Er gebot ihnen dringend, dass niemand dies erführe“ (Kap. 5, 48). „Er ging hin in das Gebiet von Tyrus und Sidon; und als Er in ein Haus getreten war, wollte Er, dass niemand es erfahre“ (Kap. 7, 24). Noch manche Stellen ließen sich anführen, welche zeigen, wie vollkommen unser Herr Seinen Platz als Diener ausfüllte. Doch wie sehr Er sich auch zurückziehen mochte, — „Er konnte nicht verborgen sein“.

O wie wäre das, auch möglich gewesen! Wo Er hinkam, wenn auch in dem unscheinbaren Gewande eines schlichten Menschen, der in Wirklichkeit der Letzte von allen und aller Diener war, da war ein Stück vom Himmel. Schon deshalb, weil Er der Sanftmütige und von Herzen Demütige war, konnte Er nicht verborgen bleiben. Einen solchen Menschen hatte man noch nie und nirgend gesehen. In Seiner Gegenwart zu weilen, war einfach wunderbar. Wie wusste Er den Müden durch ein Wort aufzurichten! Welche Freude für die Mütter, wenn Er die Kinder in Seine Arme nahm und sie segnete! Und welch ein Verständnis hatte Er für Mühsal und Gram! Die Alten, die Kranken, die Bekümmerten, die Schwachen, die Väter mit ihren Pflichten und Sorgen, die Mütter mit ihren Mühen und Beschwerden — alle fanden bei Ihm aufrichtige Teilnahme und völliges Verstehen.

Wir sind nicht imstande, uns auch nur annähernd eine Vorstellung zu machen von der Fülle sittlicher Herrlichkeit, welche von der Person Jesu ausstrahlte. Er war in der Tat „ein Mann aus dem Volke«, schlicht und einfach, „der Zimmermann“ (Mark. 6, 3). Inmitten der einfachsten Verhältnisse, im Schosse einer kinderreichen Familie aufgewachsen, arbeitete Er Jahre lang treu und fleißig auf dem Arbeitsplatze Josefs. So kennt Er des Handwerks Mühen aus eigener Erfahrung, weiß, wie ein Balken auf der Schulter drückt. Gottes Wort erzählt uns — und sicher mit weiser Absicht — keine Einzelheiten aus diesen Jahren. Aber wir dürfen überzeugt sein, dass die ältesten Leute von Nazareth und Umgegend nie einen Jüngling gekannt hatten, der so sittsam und rein, in ohne jeden Tadel dastand wie Er. Sein Auftreten war freundlich und besonnen, Sein Tun lauter und gewissenhaft, Seine Worte allezeit in Gnade, mit Salz gewürzt. Trug war Ihm völlig fremd. Und welch ein Vorbild war Er den jüngeren Kindern im Hause durch Unterwürfigkeit! Wie Er an Größe zunahm, so an Weisheit und an Gunst bei Gott und Menschen! (Luk. 2, 51. 52).

Dreißig Jahre harrte Er aus in der Verborgenheit (Luk. 3, 23.) Menschlicher Meinung nach hätte Er wohl eher hervortreten können; aber Er wartete still bis zu der vom Vater bestimmten Zeit. Der Mann Jesus in Nazareth war ebenso wunderbar wie das Kind und der Jüngling. Nie unsanft, nie unfreundlich, nie verletzt, stets mild und liebreich gegen alle, die Demut selbst. Wo irgend Er weilte, wurde das Haus erfüllt von dem lieblichen Duft der kostbaren Narde Seiner völligen Widmung für Gott. Und als Er nun Nazareth verließ und den Pfad Seines öffentlichen Dienstes betrat, wie hatte Er da verborgen sein können! Seine erste Handlung bestand darin, dass Er sich eins machte mit dem bußfertigen Überrest Seines Volkes und von Johannes getauft wurde, worauf der Himmel sich über Ihm öffnete und die Worte ertönten: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden“ (Luk. 3, 22). Die Himmel selbst gaben Ihm Zeugnis. Er konnte nicht verborgen sein. Dann zog Er hinaus, um in der Kraft des Heiligen Geistes Seinen Dienst zu beginnen. Indes führte Ihn Sein Weg zuerst in die Wüste, wo Er vom Teufel versucht wurde. Auch hier konnte Er nicht verborgen sein. Trefflich, wie nie ein anderer, schwang Er das Schwert des Geistes. Der Versucher musste welchen. Engel kamen und dienten Ihm (Matth. 4, 11).

Wenn nun schon die allezeit in herrlichem Glanze strahlenden Tugenden des Herrn Jesu es unmöglich machten, dass Er verborgen fein konnte, wieviel mehr noch Seine innerlichen Gefühle und Erbarmungen! Sein liebendes Herz war stets in Tätigkeit, wenn Er all das Elend anblickte, das die Sünde gebracht hat. Da konnte Er nicht verborgen sein. Alles was in Ihm wohnte und wirkte, kam zum Ausdruck, und Trost, Hilfe und Rettung wurden denen zuteil, die Ihm nahten.

Sollten wir die uns beschäftigenden Worte nicht auch anwenden dürfen auf die schwierigen Umstände der Gegenwart? Könnte unser treuer Herr sich wohl verborgen halten gegenüber dem Leid und Druck, den Tränen und Seufzern, dem Rasen und Flehen Seiner Geliebten? Nimmermehr! Scheint es auch, als habe Er für eine Zeit „im Zorn verschlossen Seine Erbarmungen“, da der Krieg mit seinen furchtbaren Begleiterscheinungen so gar lange währt, —- wir dürfen dennoch festhalten: Er kann nicht verborgen sein. Lasst uns Seiner Liebe vertrauen! Zu Seiner Zeit wird Er den herrlichen Ausgang all der schweren Wege uns zeigen. Dann werden wir staunen und — anbeten.

Erleben wir nicht bereits Wunder über Wunder in unseren Tagen, der Einzelne wie auch die Familien der Seinigen? Wieviel herrliche Gebetserhörungen, treue Durchhilfen, wunderbare Bewahrungen haben wir erfahren! Deshalb schweig, du Stimme des Zweifels und der bangen Fragen! Jesus ist da! Er nimmt sich Seiner Herde an, wie wir noch kürzlich in einem der letzten Botschafterhefte lasen. Er kann nicht verborgen sein.

Zum Schluss noch eins. Gleichen wir, du und ich, unserem teuren Herrn? Wir rühmen uns des Besitzes des ewigen Lebens, das bei Ihm so herrliche Früchte zur Ehre Gottes gezeitigt hat. Werden diese auch bei uns gefunden? Können die Leute auch von uns sagen: Er (oder sie) kann nicht verborgen sein? Wenn Kinder Gottes längere Zeit an einem Platze wohnen oder arbeiten und als solche verborgen bleiben, so ist das bedenklich. Dann stimmt etwas nicht. —

Die Gnade des Herrn hat mich recht freundlich geleitet. Er hat mir einen Platz gegeben, wo an meine Körperkräfte keine hohen Anforderungen gestellt werden. Infolge dessen geht es mir gesundheitlich gut· Die Gemeinschaft der Geschwister vermisse ich allerdings sehr. Eine besondere Freude schenkte der Herr mir an diesem öden Ort, indem Er mich unter der hier liegenden Besatzung einen lieben Bruder finden ließ, der schon seit Anfang des Krieges einsam und unverstanden seines Weges zog. Jetzt genießen wir beide schon die Wahrheit der Verheißung in Matth. 18, 20 und freuen uns.

Fußnote:

*) Von einem zum Heeresdienst eingezogenen Bruder.

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Hören und Folgen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1917 S. 197ff

„Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir“ (Joh. 10, 27). Es ist eine betrübende Erscheinung, dass es bei den Gläubigen vielfach am Ergreifen der beiden wichtigen Wahrheiten mangelt, die in unserer Stelle genannt sind: Hören und Folgen. –

Die köstliche Stille der Gemeinschaft mit Gott wird in den gegenwärtigen unruhigen Tagen nur wenig genossen. Vor lauter Unruhe und Geschäftigkeit kennen viele Gläubige die tiefe, persönliche Freude des verborgenen Umgangs mit dem Herrn kaum dem Namen nach.

Nur da, wo ein Herz sein volles Genüge findet in der persönlichen Nähe des Herrn, wo es Umgang mit Ihm pflegt aus reiner Freude daran, nur da kann von wahrer Gemeinschaft die Rede sein. Nur da sind die Gedanken des Meisters bekannt, was uns allein zu einem Dienst als vertraute Diener Christi befähigt. Ein eifriger Diener ist noch kein vertrauter Diener. Wir meinen allerdings oft, dass unser Eifer oder die Menge unserer Dienstleistungen uns zu vertrauten Dienern machten; aber wir täuschen uns.

Zwischen den beiden obengenannten Dingen: „hören und folgen“, besteht eine sehr innige Verbindung; ja, sie gehören unbedingt zusammen. Um aber ein guter Hörer zu sein, muss man frei sein und in Ruhe.

Aber wo sind Freiheit und Ruhe zu finden? Wiederum nur in Jesu, der in diese Welt der Knechtschaft und der Leiden herabgestiegen ist, um sowohl den Gefangenen Freiheit und den Gebundenen Lösung, als auch jeder Müden Seele Ruhe für Herz und Gewissen zu bringen. Er allein kann Freiheit und Ruhe geben.

Bei vielen Gläubigen der Gegenwart gleicht die Gemeinschaft mit Gott gewissermaßen einem Dämmerzustande; der volle Tag ist noch nicht angebrochen. Die Morgensonne steigt erst langsam über die Berge herauf. Anstatt einer gegründeten, friedlichen Ruhe erfüllen unbefriedigte Wünsche aller Art die Seele. Und doch verlangt Einer so innig danach, die Seinigen in den bewussten Besitz der Gemeinschaft mit sich, dem droben Verherrlichten, zu sehen! Aber, wie gesagt, nur insoweit das Herz in Ihm ruht, wird es frei von der Erde und ihren Dingen. Nur so ist die Seele imstande, zu hören, sich ganz in Ihn zu versenken, der ihre Ruhe ist.

Was könnte es Gesegneteres geben, als ein Ohr, das von dem eigenen Ich und allem, was es umgibt, losgelöst ist und nun allein lauscht auf die Worte Jesus? Wo ein solches Ohr ist, da „setzt man sich mit Wonne in Seinen Schatten, und Seine Frucht ist dem Gaumen süß“. Da tritt man in „das Haus des Weines“, in welches Er die Seinigen so gern führt, damit sie dort sich ergötzen während der ermüdenden Stunden der finstern Nacht. (Vergl. Hohel. 2, 3. 4.) Aber wie wenig wissen wir noch davon, was es heißt, in Wirklichkeit mit Gott allein zu sein! Und doch, wie ist es möglich, an persönlicher Erkenntnis Christi zuzunehmen, wenn wir nicht Seinen Umgang suchen und pflegen? Nichts vermag den Segen des stillen, sinnenden Alleinseins mit dem Herrn zu ersetzen, wie ein anderer Schreiber einmal kurz und schön gesagt hat: „Nie weniger allein, als wenn allein“.

In Verbindung mit dem Gesagten ist die Geschichte des Propheten Elia höchst lehrreich. So hervorragend dieser Mann als Diener Gottes auch war, ist es doch augenscheinlich, dass sein inneres Leben mit seinem äußeren Zeugnis nicht gleichen Schritt gehalten hatte. Als sein öffentliches Zeugnis, wie es gewöhnlich der Fall ist, den bitteren Hass des Feindes erregte, hielt sein Glaube dem Druck nicht stand, und Feuer, Wind und Erdbeben hatten allein noch Bedeutung für ihn. Aber wie zart belehrte Jehova Seinen Knecht!

Zunächst wird Elia aufgefordert, sich auf den Berg vor Jehova zu stellen, woraus hervorgeht, dass ein Alleinsein nichts nützt, wenn es nicht ein Alleinsein mit Gott ist. Man mag wie Elia unter einem Ginsterstrauch liegen oder in einer Höhle wohnen (vergl. 1. Kön. 19, 4. 9), aber das ist nur das Alleinsein der enttäuschten Natur. Da gibt es keine Freiheit und Ruhe, und darum auch kein Hören. Nein, wir müssen mit Gott allein sein. „Gehe hinaus“, lauten deshalb die Worte Jehovas an den Propheten, „und stelle dich auf den Berg vor Jehova!“

Zweitens darf den Forderungen der Natur nicht nachgegeben werden. Dies wird bildlich dargestellt durch das vierzig Tage und Nächte dauernde Fasten des Propheten. Durch Jehovas Vorsorge wurde er mit dem für ihn Nötigen versehen. Ein „auf heißen Steinen gebackener Kuchen“ und „ein Krug Wasser“ genügten für den Propheten. In der Kraft dieser Speise konnten alle Ansprüche der Natur beiseite gesetzt werden.

Die Folge dieser beiden Dinge war, dass der Prophet hörte. Er vernimmt „den Ton eines leisen Säuselns“, und nun ist er imstande, Mitteilungen und Aufträge zu empfangen, die ihm vorher unverständlich gewesen sein würden.

Noch eins: Der Herr Jesus sagt: „Meine Schafe hören meine Stimme . . . ., und sie folgen mir.“

Die Schafe hören und kennen des Hirten Stimme, und es ist der Hirte selbst, dem sie folgen. Er geht vor ihnen her. In Joh. 10 sehen wir, wie der Herr, verspottet und verschmäht, den alten jüdischen Schafhof verlässt, Seine eigenen Schafe herausführt und vor ihnen hergeht. Welch eine Sicherheit für die Schafe, dass ihr Weg der richtige ist! Sie folgen Ihm, mag kommen, was da will! Er ist ihr Bergungsort in aller Gefahr, der sichere Führer für den Weg.

Oft ist auch darauf hingewiesen worden, das; die Schafe Seine Stimme kennen (Vergl. V. 4. 5). Sie brauchen nicht all die falschen Stimmen der Fremden zu kennen. Ihre Sicherheit besteht darin, dass sie Seine Stimme kennen und also Ihm folgen. So werden sie nie sich verirren und auch auf dem Pfade des Dienstes stets nahe hinter Ihm hergehen. Sicher ist es gesegnet, Ihm dienen zu dürfen; aber manch einer dient, ohne Ihm in Einfalt zu folgen. Möchten wir doch mehr aus allem um uns her herausgehen, um einem verworfenen Herrn und Meister zu folgen! Es ist eine reine, heilige Freude, den Pfad zu gehen, den Er gewandelt hat! Er mag rau sein, aber Er selbst ist ihn gegangen, und Seine Spuren finden sich an jeder Rose und jedem Dorn.

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Für rein erklärt

Bibelstelle: 3. Mose 14, 1 – 10

Botschafter des Heils 1917 S. 201ff

„Mein Vater wirkt bis jetzt, und ich wirke“, so sprach einmal der Herr Jesus, als die Juden Ihn zu töten suchten, weil Er am Sabbattage einen Menschen geheilt hatte. Diese Worte erinnern uns daran, wie Gott einst, nachdem Er alles gut geschaffen hatte und nun am siebenten Tage von Seinen Werken ausruhte, zu neuem Wirken veranlasst wurde. Gott konnte ruhen, weil alles, was Er geschaffen hatte, sehr gut war. Aber diese Ruhe war nur von kurzer Dauer· Der Mensch fiel, übertrat das Gebot Gottes und richtete so durch die Sünde eine unübersteigliche Kluft zwischen sich und Gott aus. Die Sünde verdarb die ganze Schöpfung und brachte den Menschen mit seiner ganzen Nachkommenschaft unter das Urteil des Todes und der Verdammnis. Wie hätte der heilige Gott, der Gott der Liebe, noch länger in Seinen Werken ruhen können, nachdem die Sünde und mit ihr all das Elend, das sie im Gefolge hat: Krankheit, Not und Tod, in die Welt gekommen war?

In einer solchen Umgebung konnte Gott nicht mehr ruhen. Er begann wieder tätig zu sein, und die erste Handlung, welche uns berichtet wird, bestand darin, dass Er Adam und Eva aufsuchte und ihnen, nachdem Er ihnen gezeigt, was sie getan hatten und wohin sie gekommen waren, Röcke von Fell machte. Mit anderen Worten: von dem Augenblick an, da die Sünde in die Welt gekommen ist, hat Gott sich mit der Sünde und ihren Folgen beschäftigt. Er hat wieder gewirkt“, nicht in Macht gebietend und erschaffend, sondern in Gnade segnend und rettend.

Im Alten Testament hören wir von zahlreichen Opfern für die Sünde, von allerlei Wegen und Anordnungen Gottes, die alle darauf hinzielten (wenn auch nur vorbildlich), den gefallenen, sündigen Menschen mit Gott zu versöhnen« und die Sünde mit ihren Folgen hinwegzutun. Denn die Sünde hindert Gott, den Menschen zu segnen. Er ist der heilige Gott und kann nicht über die Sünde hinwegsehen. Die Menschen machen sich oft wunderliche Vorstellungen über Gott und Sein Verhältnis zu ihnen. Sie nennen Ihn den „lieben“ Gott und denken dabei, Er sei ein gnädiger Gott, der es mit der Sünde nicht so genau nehme; wenn man nur Leid· über sie trage und sich bemühe, Ihm fernerhin keine Ursache mehr zum Missfallen zu geben, so werde am Ende schon alles gut gehen. Ach! man vergisst, dass Gott „zu rein von Augen ist, um Böses zu sehen“, dass Er keinen Menschen in Seiner Gegenwart dulden kann, der auch nur einen Flecken von Sünde an sich trägt. Sie vergessen, dass die Frage der Sünde auf gerechter Grundlage gelöst sein muss, wenn anders Gott gnädig sein und dem Menschen einen Platz in Seinem Hause droben geben soll.

Kein Mensch vermag aber die Frage der Sünde zu ordnen. Was könnte ein Mensch tun, um das Böse, das er verübt hat, wieder gut zu machen? Er kann darüber weinen und jammern, kann Tag und Nacht wehklagen, aber all seine Reue, alle seine Tränen vermögen nicht eine Sünde wegzuwaschen oder ungeschehen zu machen. Auch kann kein Mensch für den anderen eintreten, so gern er es vielleicht möchte. Denken wir uns eine gläubige Mutter, die am Sterbebett ihres noch nicht bekehrten Kindes steht; sie sieht dessen Angst und Todesnot, hört sein bitteres Weinen. Aber was kann sie tun, um ihrem Kinde die Sündenschuld zu nehmen? Sie möchte sich wohl für ihr Kind opfern, an seiner Stelle sterben; aber würde das dem Kinde helfen? Ach nein! Das Kind muss Vergebung seiner Sünden finden von seiten des Gottes, der allein vergeben und erretten kann.

Genau so ist es mit jedem Menschen. Und Gott sei gepriesen, dass Er einen Weg bereitet hat, auf welchem jeder Mensch diese Vergebung finden kann! O könnte ich diesen Weg nur so einfach und klar, so verständlich und eindringlich beschreiben, dass alle, die mich heute hören, ihn erkännten und beträten! Freilich kommt es sehr darauf an, wie ein Mensch hört. Viele hören jahraus, jahrein und verstehen doch nicht, kommen keinen Schritt weiter, trotzdem es sich um so ernste, hochwichtige Dinge handelt. Der Herr Jesus sagt einmal: „Sehet zu, was ihr höret“. Mit anderen Worten: Gehet nicht an Orte, wo ihr böse, hässliche Dinge höret, gehet nicht zu Lehrern, die euch verkehrte Lehren, Irrlehren bringen! Seid vorsichtig, prüfet alles! Aber an einer anderen Stelle sagt Er auch: „Sehet zu, wie ihr höret!“ Habet acht, dass das gehörte Wort zu eurem Heil und Segen, zu eurer ewigen Errettung diene! Möchte denn auch heute ein jeder meiner lieben Zuhörer zusehen, wie er hört! Es muss eine persönliche Begegnung zwischen dem Menschen und Gott stattfinden. Sie geschieht entweder hier, in der Zeit der Gnade, und dann zum ewigen Heil des Menschen -— oder dort, in der Ewigkeit, und dann zu seiner ewigen Verdammnis.

Vielleicht denkt der eine oder andere in diesem Augenblick: „Wenn du über diese Frage reden willst, dann hast du doch wohl einen verkehrten Abschnitt vorgelesen. Da wären andere Kapitel eher geeignet gewesen. Eines der alten jüdischen Gebote, ein Abschnitt aus dem Gesetz Israels, sollte mir heute behilflich sein, um den Weg zu erkennen, auf welchem ich Frieden mit Gott finden kann?“ Mein Lieber! Auf den ersten Blick scheinst du recht zu haben; aber vergiss nicht, dass geschrieben steht: „Alles, was zuvor geschrieben ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben“ (Röm. 15, 4). Gott will uns auch durch diese gesetzlichen Verordnungen belehren, und diese Seine Belehrungen sind von wunderbarer Tiefe, von heiligem Ernst, zugleich auch von erstaunlicher Einfachheit, wenn wir nur in der rechten Weise auf sie acht haben und mit einem beschnittenen Ohr den Unterweisungen des Geistes lauschen.

Suchen wir denn einfältigen Herzens zu erfassen, was das Gesetz über den Aussätzigen „am Tage seiner Reinigung“ uns lehren will.

Wir alle haben schon von der furchtbaren Aussatz-Krankheit gehört, die den Menschen, der einmal von ihr befallen ist, nicht wieder loslässt, es sei denn dass Gott sich seiner erbarme und ihn heile. Der Aussatz vergiftet und entstellt allmählich den ganzen Körper eines Menschen, er spottet jeder menschlichen ärztlichen Kunst, heute wie immer; ja, wer sich mit seiner Behandlung und Heilung beschäftigt, setzt sich der ernsten Gefahr aus, selbst angesteckt und ein Raub seiner entsetzlichen Wirkungen zu werden. Er ist unrein und wirkt verunreinigend. Wenn deshalb ein Israelit von diesem Übel befallen wurde, so musste er hinausgetan werden aus der Mitte des Volkes; er durfte nicht mehr in seinem Zelte wohnen, die anderen Zeltbewohner würden ja mitangesteckt worden sein. Der Weg zur Stiftshütte war ihm fortan versperrt; kein Opfer durfte er bringen und nicht mehr mit dem übrigen Volke zur Wohnung Gottes wallen. Außerhalb des Lagers musste er wohnen, allein in der Öde der Wüste, höchstens im Verein mit seinesgleichen. Näherte sich jemand seiner Wohnstätte, so musste er seinen Bart verhüllen und mit entblößtem Haupt und zerrissenen Kleidern dem Kommenden schon von weitem rufen: „Unrein, unrein!“ So war der Unglückliche für immer von seiner Familie und von dem Volke Gottes ausgestoßen, und kein Mensch konnte ihm helfen. Welch ein furchtbares Los!

„Hoffnungslos verloren!“ So hätte man über den Eingang der Wohnstätte des Aussätzigen schreiben können. Hoffnunglos?“ Ja, bei Menschen war jede Rettung unmöglich. Dennoch gab es „einen Tag der Reinigung« für den Aussätzigen; das Verunreinigende des Aussatzes konnte entfernt und der Aussätzige in die Gemeinschaft des Volkes Gottes zurückgeführt werden. Wann war das? Hört es, meine lieben Freunde, und staunet! Dieser Tag kam, wenn das Auge des beschauenden Priesters an dem Manne vom Scheitel bis zur Zehe nichts anderes zu entdecken vermochte als Aussatz, mit anderen Worten: wenn der Aussätzige vom Scheitel bis zur Zehe weiß war wie Schnee. Dann war der Augenblick gekommen, wo er von dem Stellvertreter Gottes für geheilt und für rein erklärt werden konnte. Ist das nicht wunderbar? Ja, mehr als wunderbar.

Überaus wichtig und eindrucksvoll ist die Belehrung, die wir hier finden. Machen wir uns die Sache noch einmal klar: Wenn der Aussatz den ganzen Körper des Kranken so durchdrungen und überzogen hatte, dass alles weiß geworden war, „wohin auch die Augen des Priesters blickten“ (Kap. 13, 12), dann musste der Priester „den, der das Übel hatte, für rein erklären“. Warum? Weil dann die Krankheit ganz und gar nach außen getreten, „in der Haut ausgebrochen“ war, wie Gottes Wort sagt, und so aufgehört hatte, verunreinigend zu wirken. Der Priester sah kein „rohes Fleisch“ mehr (vergl. V. 14 — 16), alles war weiß geworden, der ganze Körper mit Aussatz bedeckt.

„Und besteht ihn der Priester, und siehe, das Übel ist in weiß verwandelt, so soll der Priester den, der das Übel hat, für rein erklären: er ist rein“ (Kap. 13, 17). Was können und sollen wir daraus lernen? Folgendes: So lang ein Mensch in seinen Sünden vorangeht, so lang er nicht die Sünde als Sünde sieht oder als Sünde bekennen will, kann Gott ihm nicht helfen. Der Mensch will dann auch nicht, dass ihm geholfen werde; er will in der Sünde weiter leben, er liebt die Welt und ihre Lust und will nicht umkehren. Es zeigt sich das „rohe Fleisch“ in seiner Hässlichkeit und Unreinheit, und das Ende des Weges des Fleisches ist der Tod, das ewige Verderben. Kommt aber ein Mensch darüber zur Einsicht, was die Sünde in ihm hervorgebracht hat und was sie in Gottes Augen ist, erkennt er mit Schrecken, dass er vom Scheitel bis zur Zehe mit Sünde bedeckt ist, und fängt nun an, sein Leben zu verurteilen, sich als verloren, als unrettbar dem Zorne Gottes und der ewigen Verdammnis verfallen zu sehen, den Stab über sich zu brechen — mit einem Wort: ist er fertig geworden mit sich und fragt in hoffnungsloser Verzweiflung: „Was soll aus mir elendem Sünder werden? Wehe mir! Ich bin verloren!“ - dann kommt Gott zu ihm und sagt: Jetzt, wo dazu Ende gekommen bist mit all deinem Tun und siehst, dass es in deinem Leben nichts anderes als Sünde gibt, wo du die Sünde bekennst und verurteilst und jede Hoffnung auf Hilfe und Rettung aufgegeben hast, jetzt ist die Zeit für mich gekommen zu handeln. Die Sünde, die in dir wirkt, hat dich zu dem gemacht, was du bist: ein armer, verlorener, durch und durch verderbter Sünder. So bist du. So stehst du da vor meinen Augen. Aber gerade jetzt, wo dir dein Fall ganz hoffnungslos erscheint, ist die Zeit für mich gekommen. Jetzt kann ich dir helfen, kann dich für rein erklären. Für wen anders habe ich meinen geliebten Sohn gesandt?

Ja, meine lieben Freunde, für wen kam der Herr Jesus? Für halb verlorene Sünder? Oder für solche, die in der Sünde verharren wollen, die keinen Heiland nötig haben? Kam Er für die Selbstgerechten, die Frommen, die da meinen, sie könnten durch ein eigenes, besonderes Türlein in den Himmel kommen? Nein, für alle diese nicht! Für wen denn? Doch nicht für die ganz Verlorenen, die nichts als Sünden haben? — Gerade für sie! „Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder“, so sagt Er selbst; und: „Der Sohn des Menschen ist gekommen, das Verlorene zu erretten“ (Matth. 9, 13; 18, 11). Nicht wahr? das ist frohe Botschaft für den, der sich als sündig und verloren erkannt hat und nun an sich keinen Flecken von Gutem mehr sieht.

Ist jemand hier, in dessen Leben das Auge Gottes hineingeschaut, dessen Herz das Licht von oben erleuchtet hat? Ist einer da, der sich ganz verloren fühlt? Wenn es der Fall ist, so darf ich ihm zurufen: Jesus kam für dich! Magst du auch Monate und Jahre, ja, selbst Jahrzehnte deine eigenen Wege gegangen sein und der Sünde gedient haben, ohne nach Gott zu fragen -— heute tritt Er vor dich hin und lässt dir sagen, dass Er trotz allem dich lieb hat und deinen Tod nicht will. O höre auf Seine Stimme!

Doch was musste am Tage der Reinigung des Aussätzigen geschehen? Er musste zu dem Priester gebracht werden. „Dies soll das Gesetz des Aussätzigen sein am Tage seiner Reinigung: er soll zu dem Priester gebracht werden“ (V. 2). Der Priester war in jenen Tagen der Stellvertreter Gottes, die Mittelsperson zwischen Gott und dem Menschen. Derselbe Priester also, der beim Ausbruch der Krankheit den Aussatz besehen und das Urteil über den Kranken sprechen musste, das diesen in die Wüste hinaustrieb, derselbe Priester musste, wenn der Tag der Reinigung gekommen war, den Kranken wieder besehen und dann alles tun, was zu dessen Reinigung nötig war.

Verstehen wir die Sprache des Vorbildes? Wer sagt uns, dass wir Sünder sind, gibt uns Licht über uns selbst? Wer allein kann unseren Zustand gerecht und wahr beurteilen? Gott! Wir mögen manches in unserem Leben sehen, wovon wir sagen müssen: dies war nicht richtig, jenes war nicht gut. Gott allein aber beurteilt alles nach Seiner göttlichen Wahrheit und Gerechtigkeit, und Sein Urteil lautet nicht etwa: „Da ist keiner, der nicht das eine oder andere Böse getan hat«, sondern: „Da ist keiner, der Gutes tue, auch nicht einer“. Alle sind abgewichen, alle sind untauglich geworden. Hinaus mit euch! Draußen, außerhalb des Lagers, ist euer Platz! — Gott ist ein gerechter Gott, und Sein Urteil ist unbestechlich. Aber Sein Name sei ewig gepriesen! Er ist nicht nur ein gerechter, sondern auch ein rettender und vergebender Gott, ein Gott-Heiland. Und mit Ihm muss der Sünder in Verbindung kommen. So wie niemand anders ihn richtig beurteilen kann, so kann auch niemand anders ihm helfen. Der Unreine und Verlorene muss zudem heiligen Gott gebracht werden.

Doch hier erhebt sich eine Schwierigkeit. Es war dem Aussätzigen verboten, ins Lager zu kommen; wie konnte er nun zum Priester gehen? Der Aussatz trennte ihn, wie wir hörten, von seinem Volke und von der Stiftshütte, dem Aufenthaltsort des Priesters. Geradeso ist es heute mit dem Menschen. Die Sünde trennt ihn von Gott. Wie könnte er zu Gott gehen, wie mit Ihm in Verbindung kommen? Ja, es wäre unmöglich, wenn Gott nicht auch in dieser Beziehung den ersten Schritt getan hätte. Wir lesen hier weiter: „Und der Priester soll außerhalb des Lagers Gehen“. Konnte der Aussätzige nicht ins Lager kommen, so konnte doch der Priester zu ihm hinausgehen, ihn in seinem Elend aufsuchen. Und das ist es gerade, was Gott in Seinem Erbarmen uns gegenüber getan hat. Wir konnten nicht zu Gott kommen, aber Gott konnte zu uns herabkommen, konnte uns in unserem Elend besuchen. Und das ist geschehen, gepriesen sei Sein heiliger Name in alle Ewigkeit! „Gott war in Christo, die Welt mit sich selbst versöhnend“ (2. Kor. 5, 19). Gott ist in der Person Seines geliebten Sohnes auf die Erde herabgestiegen. Der Herr Jesus war „das Licht, welches, in die Welt kommend, jeden Menschen erleuchtete“. So wie der Priester, als Gottes Stellvertreter, jeden Aussätzigen genau beurteilte, geradeso kannte der Sohn Gottes, das wahrhaftige Licht, jeden einzelnen Menschen. Er „wusste, was im Menschen war“, ohne irgend jemand fragen zu müssen, und Er stellte den Menschen ans Licht. Alle, die mit Ihm in Berührung· kamen, wurden von ihrem sündigen Zustand überführt, so wie das Licht der Sonne dir den Schmutz zeigt, der deine Kleider und Hände bedeckt, wenn du vielleicht im finsteren Keller gearbeitet hast. So lang ein Mensch in Finsternis dahingeht, weiß er nicht, dass er schmutzig ist“ Sobald er aber in das Licht Gottes kommt, erkennt er, dass er schmutzig ist vom Kopf bis zur Zehe, dass alles — Gedanken, Worte, Werke -— unrein ist.

Aber es wäre nicht genug gewesen, wenn der Herr Jesus nur gekommen wäre, um dem Menschen zu zeigen, was er ist, und ihn dann sich selbst zu überlassen. Das hätte ihn nur zur Verzweiflung bringen können. Was würde es einem armen, verschuldeten Menschen helfen, wenn man ihm alle seine Schuldbriefe vorlegte, so dass er seine Schuld bis zum letzten Pfennig klar aufgezeichnet vor sich sähe, ohne ihm eine Möglichkeit zu zeigen, wie er seine Schulden bezahlen könnte? Es würde seine traurige Lage nur verschlimmern.

Wäre das wahrhaftige Licht nur in die Welt gekommen, um dem Menschen die ganze Größe seiner Schuld und seiner Entfernung von Gott zum Bewusstsein zu bringen, so müssten wir alle verzweifeln. Aber Gott sei gepriesen! nicht nur die Wahrheit ist uns kundgetan worden, nein, „Gnade und Wahrheit ist durch Jesum Christum geworden“ (Joh. 1, 17). Und zwar steht die Gnade voran. Der Priester ging auf Gottes Geheiß zu dem Aussätzigen hinaus, und Gott ist in Seinem Erbarmen zu uns gekommen, nicht nur um uns unser Elend und unseren ganzen Jammer zu zeigen, indem Er den vollkommen Reinen und Heiligen vor unsere Augen stellte, sondern auch um uns aus diesem Elend herauszuführen.

Der Priester blieb nicht dabei stehen, den Aussätzigen zu betrachten, nein, er musste gebieten, „dass man für den, der zu reinigen ist, zwei lebendige, reine Vögel nehme . . . und dass man den einen Vogel schlachte in ein irdenes Gefäß über lebendigem (d. i. fIießendem Wasser. Den anderen Vogel soll er nehmen . . . und in das Blut des Vogels tauchen, der geschlachtet worden ist . . . und den lebendigen Vogel soll er ins freie Feld fliegen lassen.“

Merkwürdige Verordnung! Suchen wir in ihre wunderbare Bedeutung einzudringen. Zunächst ergibt sich aus ihr der ernste, ewig gültige Grundsatz, dass „ohne Blutvergießung keine Vergebung ist“. Keine Vergebung, keine Reinigung, keine Hilfe! Der Sold der Sünde ist der Tod, und zwar nicht nur der leibliche Tod, sondern der zweite Tod, der Feuersee! Das Urteil Gottes ist unabänderlich, es muss vollzogen werden. Und wenn es an dir vollzogen wird, so bedeutet es für dich ewige Verdammnis, ewiges Verlorensein. Aber Gott will nicht deinen Tod. „So wahr ich lebe, spricht der Herr, Jehova, ich habe kein Gefallen am Tode des Gesetzlosen, sondern dass der Gesetzlose von seinem Wege umkehre und lebe“ (Hesekiel 33, 11.) Wie ist das aber möglich, da Er als der heilige, gerechte Gott doch den Tod fordern muss? Wie kann Er der gerechte Gott bleiben, ohne irgend etwas von Seinen gerechten Forderungen nachzulassen, und dennoch den Sünder freisprechen? Er hat geboten, dass ein Opfer für uns dargebracht werde! Und das Opfer, das für uns dargebracht worden ist, war nicht ein Vogel, nicht ein Stier, ein Bock oder ein Schaf, wie ihrer Hunderttausende im Alten Bunde geopfert wurden, sondern ein Lamm ohne Fehl und ohne Flecken, das Lamm Gottes. „Weil die Kinder Blutes und Fleisches teilhaftig sind, hat auch Er (Christus) gleicherweise an denselben teilgenommen“, heißt es in Hebr. 2, 14. Nur so war Er fähig, für uns durch den Tod zu gehen, für dich und mich einzutreten, das, was wir verdient hatten, auf sich zu nehmen. Gott wollte, dass uns geholfen werde, und da war Einer, der bereit war, den Willen Gottes auszuführen. Er sprach: „Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun“. An den Opfern des Alten Bundes, so mannigfaltig und zahlreich sie waren, konnte Gott kein Wohlgefallen finden. Da kam denn der Sohn Gottes, um sich selbst zum Opfer darzubringen und so den Willen Gottes zu erfüllen. Und durch diesen Willen sind alle Glaubenden „geheiligt durch das ein für allemal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi“ (Hebr. 10, 5—10). Gott sei gepriesen! am Kreuze ist mein Stellvertreter für mich gerichtet worden. Dort hat Er in tiefster Not gerufen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Ja, warum? In Ihm gab es keinerlei Ursache, von Gott verlassen zu werden. Von Seiner Mutter Leibe an war Gott Sein Gott gewesen, von Mutterschoße an hatte Er nur Gott gelebt und des Vaters Herz erfreut. (Psalm 22.) Dennoch gefiel es Jehova, Ihn zu zerschlagen, wie der Prophet Jesaja sagt, Er hat Ihn an unserer Statt leiden lassen. Die Strafe zu unserem Frieden lag auf Ihm. Welch eine Botschaft für unreine, verdammungswürdige Sünder!

Hier in unserer Stelle wurde der eine Vogel geschlachtet, und der andere Vogel in das Blut des ersten getaucht und dann ins freie Feld hinausgelassen, so dass er, mit dem Blute des geschlachteten Vogels auf seinen Schwingen, dem Himmel zuflog. Wahrlich, ein eindrucksvolles, ergreifendes Bild von dem, was in und nach dem Tode unseres geliebten Herrn geschehen ist! Sein Blut floss. Er starb und stieg ins Grab hinab, ist dann aber als siegreicher Überwinder wieder auferstanden aus den Toten. So wie wir im Vorbilde einen toten und einen lebenden Vogel haben, so kennen wir in Wirklichkeit einen gestorbenen und einen auferstandenen Christus. Der Gestorbene ist in der Kraft eines unvergänglichen Lebens aus den Toten auferstanden und mit Seinem Blut ins Heiligtum droben eingegangen, um dort Sühnung für uns zu tun. Das Grab ist leer. Als die Weiber zum Grabe kamen, um den Leib des Herrn einzubalsamieren, riefen die Engel ihnen entgegen: „Was suchet ihr den Lebendigen unter den Toten? Er ist nicht hier, sondern ist auferstanden.“

Gott wollte uns die volle Gewissheit geben, dass das Werk Seines Geliebten vollbracht sei, und indem Er Ihn auferstehen ließ aus den Toten, hat Er den ewig gültigen Beweis erbracht, dass nichts mehr zu tun übriggeblieben, dass Er selbst völlig befriedigt ist. Die glaubende Seele sieht Jesum jetzt mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt und singt mit anbetender Freude:

Jesus lebt! Er hat gesiegt,

wer kann Seinen Ruhm verkünden?

Meine Sünd’ im Grabe liegt,

keine Schuld ist mehr zu finden.

Ja, Er lebt — ich sterbe nicht,

denn Sein Tod war mein Gericht.

Alle feindlichen Mächte sind besiegt. Der Sieger thront droben zur Rechten Gottes und kommt bald wieder, um Sein Werk zu vollenden, d. h. um alle die Seinigen dahin zu bringen, wo Er selbst ist. Geradeso wie der Aussätzige dem Vogel nachschauen konnte, der mit dem Zeichen der vollbrachten Sühnung ins freie Feld hinausflog, so schauten staunende Jüngeraugen dem Herrn nach, als Er vor ihren Blicken in den Himmel emporgehoben wurde. Dort sitzt Er nun zur Rechten der Majestät Gottes. Das Werk ist für immerdar vollbracht und kann nicht wiederholt werden. Darum: Wer irgend an Jesum glaubt, hat das ewige Leben und kommt nicht ins Gericht, er ist aus dem Tode in das Leben übergegangen.

Bei all dem bisher Betrachteten war der Aussätzige ein untätiger, wenn auch keineswegs unbeteiligter Zuschauer. Der Priester war die allein tätige Person. Der Priester geht hinaus, der Priester besteht, gebietet, sprengt und erklärt für rein. Der Aussätzige hört das Gebot und sieht zu, wie der Vogel für ihn geschlachtet wird, und wie das Blut in das lebendige Wasser fließt. (Blut und Wasser -— Sühnung und Reinigung; beides bedarf der Sünder) Er sieht zu, wie der lebendige Vogel in beides getaucht wird, und wie der Priester von dem Wasser und Blute nimmt und siebenmal, (geradeso wie der Hohepriester, wenn er am großen Versöhnungstage in das Allerheiligste trat) in göttlicher Vollkommenheit, auf ihn, den Aussätzigen, sprengt und ihn für rein erklärt. Er sieht endlich den lebendigen Vogel ins freie Feld fliegen.

Ich wiederhole: Alles geschieht durch den Priester, nichts von seiten des Aussätzigen; dieser sieht und hört nur zu. Auch die Reinerklärung spricht nicht der — Aussätzige aus, sondern der Priester. Genauso ist es heute. Wenn der Glaubende selbst sich für rein erklärte, so würde das wenig Kraft und Bedeutung haben. Wenn aber Gott selbst sagt, dass Er meiner Sünden und Übertretungen nie mehr gedenken will, dass das Blut Jesu Christi mich von aller Sünde reinigt, dann darf ich die kostbare Botschaft im Glauben annehmen und mit voller Zuversicht darauf ruhen. Welch ein Glück! Wenn es sich um die Errettung des Sünders handelt, so ist alles Gottes Werk. Der Sünder hat nichts, auch gar nichts damit zu tun. „Wir sind“, wie der Apostel Paulus an die Epheser schreibt, „Sein Werk geschaffen in Christo zu guten Werken“ .Die Vollbringung guter Werke ist eine spätere, zweite Sache. Aber die erste, die Errettung des Glaubenden, ist einzig und allein Gottes Werk von Anfang bis zu Ende. Gott ist zu uns herabgekommen, Gott hat Jesum als Opfer für uns dahingegeben, hat Ihm auferlegt, was wir verschuldet hatten. Gott hat Ihn „in den Staub des Todes gelegt«, und Gott hat Ihn auferweckt und zu Seiner Rechten erhöht. Gott ist es schließlich auch, der immer wieder erklärt, dass jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe. Das selige Teil des Sünders ist, „zu stehen und die Rettung des Herrn zu sehen“. Und wenn nun der Aussätzige, nachdem der Priester ihn für rein erklärt hatte, gefragt hätte: „Bin ich jetzt denn auch wirklich rein?“ was wäre das gewesen? Unglaube und nichts anderes? So ist es heute nichts als Unglaube, wenn ein Mensch das Zeugnis Gottes über Seinen Sohn nicht annimmt. Ein solcher „macht Gott zum Lügner, weil er nicht geglaubt hat an das Zeugnis, welches Gott gezeugt hat über Seinen Sohn“ (1. Joh. 5, 10). O wenn doch alle kommen und das Zeugnis Gottes annehmen möchten! Man nimmt das Zeugnis eines wahrheitsliebenden Menschen an, und „das Zeugnis Gottes ist größer“, wie Johannes sagt. Glücklich ein jeder, der es angenommen hat! Er steht auf Felsengrund. Würde man ihn fragen: „Wie steht es jetzt mit deinen Sünden?“ so würde seine Antwort lauten: Sie sind alle, alle vergeben. — „Woher weißt du das?“ — Weil Gott es mir sagt. Er selbst hat mich für rein erklärt. Die große Sünderin verließ einst — mit strahlenden Augen das Haus des Pharisäers. Das eben noch von Tränen überströmte Gesicht trug den Glanz einer tiefen, seligen Freude. Was war geschehen? Jesus hatte ihr gesagt: „Deine Sünden sind vergeben. . . . Dein Glaube hat dich errettet, gehe hin in Frieden“ (Luk. 7) Dieses Zeugnis hatte sie angenommen, sie hatte der Wahrheit geglaubt.

„Was ist Wahrheit?“ fragte vor alters der stolze Römer Pilatus. „Wer ist Jesus?“ fragt heute der vermessene Unglaube. Aber der Glaube ruht in der empfangenen Botschaft und betet an. Er weiß, wem er geglaubt hat. „Also hat Gott die Welt geliebt, dass Er Seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe“ (Joh. 3, 16) So lautet Gottes Wort, Gottes Botschaft an alle, die sie hören wollen. Wer ihr nicht glaubt, der macht Gott zum Lügner.

Nachdem der Aussätzige für rein erklärt war, durfte er ins Lager kommen, aber vorher musste er „seine Kleider waschen und all sein Haar scheren und sich im Wasser baden“. Danach erst durfte er das Lager betreten, musste aber immer noch sieben Tage außerhalb seines Zeltes bleiben. Wie merkwürdig! Mit einemmale werden jetzt Forderungen an die Tätigkeit des Mannes gestellt. Durste er bisher nur zuschauen, jetzt musste er handeln, ja, mit großer Gründlichkeit handeln. Am siebenten Tage mussten die Waschung und Reinigung des ersten Tages wiederholt, und sogar Bart und Augenbrauen geschoren werden. Dann erst war der Mann berechtigt, sein Zelt zu betreten und Opfer darzubringen. Wie ist das zu verstehen? Gott hatte ihn doch für rein erklärt!

Wenn ein Mensch heute von seinen bösen Wegen umkehrt und an Jesum glaubt, so ist er vor Gottes Augen rein; er kann, im Bewusstsein der Vergebung aller Schuld, glücklich von dannen gehen. Aber nun muss den Menschen gegenüber etwas geschehen. Woran sollen sie erkennen, dass er wirklich gereinigt, dass sein Bekenntnis echt ist? Er muss beweisen, dass er ein anderer Mensch geworden ist. Wir Menschen können nicht ins Herz blicken, wir können nur an den „Kleidern“, um in der Sprache des Bildes zu reden, an der äußeren Erscheinung eines Menschen, an seinem Reden und Tun, seinen Gewohnheiten und Neigungen, erkennen, ob wirklich eine Veränderung mit ihm vorgegangen ist. Der Aussätzige, der sich vorher außerhalb des Lagers in schmutzigen, zerrissenen Kleidern aufgehalten hatte und nun gereinigt ins Lager zurück- kehrte, musste sich als solcher erweisen. Ein unreiner, aussätziger Mensch war hinausgegangen, ein gereinigter Israelit, ein ganz neuer Mensch, kehrte ins Lager zurück. Ähnlich ist es heute mit denen, die an Jesum zu glauben bekennen. Es genügt nicht, augenblickliche, tiefe Gefühlserregungen zu haben und in diesem Gemütszustand die Kunde von Jesu anzunehmen. Eine wahre Umkehr, eine gründliche Sinnesänderung muss stattfinden. Die Kleider müssen gewaschen, die Haare geschoren, ja, der ganze Mensch muss in dem Bade des Wortes Gottes gewaschen werden. Es muss sich erweisen, dass das Alte vergangen, dass alles neu geworden ist. Sühnung und Reinigung sind, wie wir bereits sagten, notwendig. Unsere Errettung ist allein Gottes Werk. Gerechtfertigt durch Glauben, haben wir Frieden mit Gott. Aber wenn es sich um die Bestätigung dessen, was unser Mund ·bekennt, um unsere Rechtfertigung vor Menschen handelt, so heißt es: „Zeige mir deinen Glauben aus deinen Werken“. Der Glaube wird praktisch erst durch die Werke vollendet, ohne Werke ist er tot (Jak. 2, 17 -— 22).

Noch einmal denn: Bei der Rechtfertigung vor Gott sind die Werke des Menschen ausgeschlossen. Gott bedarf auch keiner äußeren Bestätigung des Bekenntnisses. Er sieht den Glauben des Herzens und antwortet darauf. Vor den Menschen aber muss der Gläubige beweisen, dass es wirklich anders mit ihm geworden ist, dass er alle die alten Verbindungen mit dem Unreinen aufgegeben hat, dass er die Sünde hasst, dass sein ganzes Wesen und Sein, sein Denken und Reden, sein Tun und Lassen jetzt unter der ordnenden und reinigenden Kraft des Wortes Gottes steht. Wiedergeboren durch die Kraft des Heiligen Geistes, als ein neuer Mensch in den Wegen Gottes wandelnd, kann er dann als ein Glied der Familie Gottes anerkannt werden und mit glücklichem Herzen in Gemeinschaft mit ihr einhergehen und Gott dienen.

Für rein erklärt, —- in Reinheit wandelnd, Gott schenke uns allen in Gnaden diese beiden kostbaren Dinge!

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Die Ermahnungen in Hebräer 10,19 - 39

Bibelstelle: Hebräer 10,19 - 39

Botschafter des Heils 1917 S. 220ff

Der Brief an die Hebräer ist an die aus dem Judentum hervorgegangenen Christen gerichtet. Es wird ihnen darin der große Gegensatz zwischen den Dingen, zu denen sie gelangt waren, und denen, die sie verlassen hatten, vorgestellt. Sie besaßen jetzt nicht mehr einen sichtbaren Messias auf der Erde, sondern einen himmlischen Christus, der, für das natürliche Auge zwar unsichtbar, zur Rechten Gottes weilte. Die vielen Satzungen des Gesetzes, das Hohepriestertum mit seinen mannigfachen Opfern, welche keine Sünde hinwegnehmen können, waren ersetzt durch ein vollkommenes Opfer und durch „einen großen Hohenpriester, der durch die Himmel gegangen ist“. Ein neuer Weg war gebahnt, der durch den zerrissenen Vorhang bis zu dem im Himmel aufgerichteten Gnadenstuhl führte. Anstatt Sinai der Berg Zion, an Stelle des irdischen ein himmlisches Jerusalem, anstatt der Versammlung Israels „die Versammlung der Erstgeborenen, die in den Himmeln angeschrieben sind“.

Alles war vortrefflicher geworden. Darum begegnen wir in diesem Briefe immer wieder dem Worte „besser". „Eine bessere Hoffnung“ – „ein besserer Bund“ – „bessere Verheißungen“ — „bessere Schlachtopfer“ — „Gott hat für uns etwas Besseres vorgesehen“ – „das Blut der Besprengung, das besser redet als Abel“ u. s. w. Auch stoßen wir beim Lesen oft auf den Ausdruck: vollkommen. „Durch ein Opfer hat Er auf immerdar vollkommen gemacht, die geheiligt werden.“ Alles ist vollendet. Alle Forderungen Gottes sind erfüllt. Gott ist vollkommen verherrlicht.

Alles dies, das Bessere, das Vollkommene, war jetzt ihr Teil in Christo, und so hatten sie, die gläubigen Juden, volle Freiheit, in das Heiligtum einzutreten.

Der Schreiber des Briefes — als welchen man Paulus annimmt - betrachtet sie wohl als Genossen der himmlischen Berufung, jedoch nicht als in die himmlischen Örter versetzt, wie das im Epheserbriefe geschieht. Aber eine vollkommene Erlösung war für sie geschehen; die Sünde war vollständig hinweggetan, Gott wollte ihrer Sünden nie mehr gedenken. Auch ihr Gewissen war vollkommen gemacht. Sie hatten kein Gewissen mehr von Sünden kraft des ein für allemal geschehenen Werkes Christi, und ihr Hoherpriester und Sachwalter war im Himmel als Zeuge dieses für sie erfüllten Werkes. Sie hatten daher zu jeder Zeit das Recht, in die Gegenwart Gottes selbst einzutreten.

Nach dieser Auseinandersetzung über ihre neue Stellung ruft der Apostel den gläubigen Hebräern ermunternd zu:

„Da wir nun, Brüder, Freimütigkeit haben zum Eintritt in das Heiligtum durch das Blut Jesu .. . .so lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen, in voller Gewissheit des Glaubens“. Und da die Rede davon ist, Gott im Allerheiligsten zu nahen, so fügt er, in Anspielung auf die Einweihung der Priester, die Worte hinzu: ,, . . . die Herzen besprengt und also gereinigt vom bösen Gewissen und den Leib gewaschen mit reinem Wasser«. Die Priester wurden ja mit Blut besprengt und mit Wasser gewaschen; nachdem das geschehen war, nahten sie, um Gott zu dienen.

Dieser Aufforderung zum Eintritt in das Heiligtum, in die Gegenwart Gottes, folgt dann die Mahnung: „Lasst uns das Bekenntnis der Hoffnung unbeweglich festhalten, denn treu ist Er, der die Verheißung gegeben hat“.

Die Treue Gottes zeigt sich in der Erfüllung Seiner Verheißungen, im Halten Seines Wortes. So dürfen wir denn in fröhliches: Zuversicht darauf zählen, dass wir einst alles in Wirklichkeit sich erfüllen sehen werden, was wir jetzt im Glauben besitzen und in Hoffnung bekennen. Er, der die Verheißung gegeben hat, bleibt treu. Den gläubigen Judenchristen, wie überhaupt uns allen, die mit Christo verbunden sind, gehört die herrliche Zukunft sicher an, und wir sind nun ermahnt, diese Hoffnung der Herrlichkeit unbeweglich, im Ausharren und Vertrauen auf Gottes Treue, festzuhalten.

Jedoch sollen wir dieses Vertrauen zu Gott nicht allein für uns selbst festhalten. Wir haben Geschwister, mit denen Er uns in die innigsten Beziehungen gebracht hat und denen gegenüber wir Liebespflichten haben. Darum heißt es weiter: „und lasst uns aufeinander achthaben zur Anreizung zur Liebe und zu guten Werken“.

Der Apostel hatte schon im Anfang seines Briefes die Hebräer ermahnt: „Heilige Brüder, Genossen der himmlischen Berufung, betrachtet den Apostel und Hohenpriester unseres Bekenntnisses, Jesum!“ (Kap. 3, 1). Hier fordert er sie auf, »aufeinander acht zu haben“. Beide Stellen stehen in lieblicher, enger Beziehung zueinander, schon dadurch dass im Urtext für „betrachten“ und „achthaben“ dasselbe Zeitwort gebraucht ist; ein Wort, das in dem ganzen Briefe nur an diesen zwei Stellen vorkommt und die Bedeutung hat: „etwas genau betrachten“, „seine Gedanken mit Ernst auf etwas richten“. Wir sollen also mit allem Ernst Jesum, den Apostel und Hohenpriester unseres Bekenntnisses, betrachten und mit allem Fleiß auf diejenigen achthaben, welche Ihm angehören.

Jesus kam zu uns als „Apostel“ von Gott, und ist als „Hoherpriester“ für uns wieder zu Gott zurückgekehrt. Als ,,Apostel redete Er zu uns von Gott und offenbarte Ihn unseren Herzen; als „Hoherpriester redet Er mit Gott über uns. Er ist für uns in der Gegenwart Gottes und trägt uns dort beständig auf dem Herzen. Er vertritt uns vor Gott, und durch Seine Bemühungen werden wir in der Stellung erhalten, in welche Sein Versöhnungswerk uns gebracht hat. Sein priesterlicher Dienst umfasst nach dem Hebräerbrief drei besondere Aufgaben. 1. Indem Er selbst in allem versucht worden ist, vermag Er denen zu helfen, die versucht werden, und Mitleid zu haben mit ihren Schwachheiten. (Kap. 2, 18; 4, 14 —16). 2. Indem Er immerdar lebt, um sich für uns zu verwenden, vermag Er völlig zu erretten, die durch Ihn Gott nahen (Kap. 7, 25). 3. Er ist stets für uns in der Gegenwart Gottes tätig, um unsere Lob- und Dankopfer Ihm darzubringen.

Je aufmerksamer und anhaltender wir nun Ihn betrachten, desto fähiger und bereitwilliger werden wir sein, auf alle achtzuhaben, die Ihm angehören. Es ist ja unmöglich, Christo nahe zu sein und nicht gleichzeitig mit zarter Liebe für alle erfüllt zu werden, die Sein sind. Wir können Ihn nicht betrachten, ohne an sie erinnert und angetrieben zu werden, ihnen in unserem kleinen Maße zu dienen und uns in Gebet und Mitgefühl um sie zu bemühen. Natürlich wird, wie ein Bruder meint, „dieses Gott wohlgefällige Achthaben aufeinander sich nicht durch unzarte Neugier oder durch unberechtigtes Einmischen in die Angelegenheiten anderer ausdrücken, die unter uns so oft den Verkehr der Christen hindern und verderben. Im Gegenteil. Es ist eine liebende, zarte Sorge, die sich in aller Art von verständigem, liebevollem Dienst offenbart, als eine liebliche Frucht unserer Gemeinschaft mit Christo“

Dieses „Achthaben aufeinander“ hat also nicht die Bedeutung eines Überwachens und Aufpassens, auch äußert es sich nicht in einem richtenden, gesetzlichen Geist, sondern der Achthabende erfreut sich vielmehr zunächst an der Gnade, die sich bei seinen Brüdern und Schwestern, den Teilnehmern derselben Gnade, findet, und wird durch den Anblick wiederum seinerseits zur Liebe und zu guten Werken angereizt.

Der Ermahnung, auf einander achtzuhaben, fügt der Apostel die Worte hinzu: „indem wir unser Zusammenkommen (wörtlich: die Versammlung von uns selbst) nicht versäumen, wie es bei etlichen Sitte ist, sondern einander ermuntern, und das umso mehr, je mehr ihr den Tag herannahen sehet“.

Die Hebräer werden also ermahnt, dieses „Versammeln von sich selbst« nicht zu versäumen; sie sollten das Zeugnis von ihrer Zusammengehörigkeit in dem öffentlichen, allgemeinen Bekenntnis des Glaubens nicht fehlen lassen. Der Apostel konnte feststellen, dass einige gewohnheitsmäßig dieses Zusammenkommen versäumten, indem sie etwa vorgaben, das gemeinsame Bekenntnis des Glaubens aufrecht zu halten, während sie es doch vermieden, sich öffentlich mit dem Volke Gottes in den Schwierigkeiten eins zumachen, die mit diesem Bekenntnis verbunden waren. Daher die Mahnung. Sie waren ja, wie der Apostel später schreibt, gekommen »zu der Versammlung der Erstgeborenen, die in den Himmeln angeschrieben sind“. Sie gehörten jetzt der christlichen Versammlung oder Gemeinde an, welche das vom Herrn in Matthäus 18, 20 erwähnte Vorrecht besaß: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte“ (Vergl. auch die vorhergehenden Verse und Joh. 20, 19 — 23).

Um den Gedanken Gottes zu entsprechen, und zu unserem eigenen geistlichen Wohl sind auch wir gehalten, uns dem Zusammenkommen der Gläubigen nicht zu entziehen. Wir sind mit ihnen unauflöslich verbunden als Glieder einer großen Einheit, welche Gott auf der Erde gebildet hat, und sind berufen, dem Ausdruck zu geben. Wir können uns auch nicht einfach so oder so versammeln, wie es uns gerade gefällt, mit einigen Brüdern nach unserer Wahl, oder ohne Unterscheidung der Gefäße der Ehre von den Gefäßen der Unehre, von denen wir uns vielmehr zu reinigen haben. Unser Zusammenkommen ist ein „Versammeln von uns selbst“, ein Versammeln der Gläubigen, wie und wo sie auch sind. Unser eigener Wille, unsere Wahl, unsere Gefühle kommen dabei nicht in Betracht, auch nicht der Grad der Erkenntnis oder die Stufe des geistlichen Gefördertseins der Brüder, mit denen wir uns versammeln. Gott hat der Versammlung die hinzugefügt, die Er in Christo angenommen hat, und mit diesen sollen wir zusammenkommen.

Dieses Zusammenkommen als öffentliches Bekenntnis fand auch darin einen neuen Beweggrund, dass „der Tag“ herannahte. Das Gericht ist hier der Gegenstand der Erwartung, damit es auf das Gewissen wirke, die Verantwortlichkeit wecke und den Gläubigen vor der Rückkehr zur Welt und vor dem Einfluss der Menschenfurcht bewahre — nicht so sehr die Ankunft des Herrn, um die Seinigen zu sich zu nehmen. Das Erinnern an »den Tag« führt zu der Warnung von Vers 26, die übrigens auf die Lehre der Kapitel 9 und 10 bezüglich des Opfers gegründet ist. Der Apostel besteht auf dem Beharren in einem vollen Bekenntnis Christi, denn es gibt nur ein Opfer, das ein für allemal dargebracht worden ist· Wenn daher jemand, nachdem er die Wahrheit erkannt hatte, das Bekenntnis Christi aufgab und statt dessen die Sünde wählte, so gab es kein anderes Opfer mehr für ihn; nichts als ein gewisses, furchtvolles Erwarten des Gerichts blieb übrig (V. 27).

Bei den Hebräern, an welche der Brief sich richtete, war aber die Frucht des Lebens vorhanden, und der Apostel erwartet von ihnen Besseres. Er erinnert sie daran, wie viel sie für die Wahrheit gelitten, dass sie sogar den Raub ihrer Güter mit Freuden ausgenommen hatten, weil sie wussten, dass es für sie eine bessere und bleibende Habe im Himmel gab. Sie sollten diese Zuversicht nicht wegwerfen, da die Belohnung derselben groß sein würde. Denn in Wahrheit bedürften sie des Ausharrens, damit sie, nachdem sie den Willen Gottes getan, die Verheißung davontrügen. Über ein gar Kleines würde der Kommende kommen; bis dahin, inmitten der Schwierigkeiten auf dem Wege, sollten sie aus Glauben leben.

Damit wollen auch wir uns getrösten. Der Tag ist nicht mehr fern, da jeder Erbe der Herrlichkeit sein unverwesliches, unverwelkliches und unbeflecktes Erbteil empfangen wird. Dann werden wir sehen, was wir jetzt glauben, werden erfahren, dass der Himmel kein Traumbild ist, das beim Erwachen zerrinnt. Und bis dahin wollen wir unter des Herrn Beistand freudig den Weg des Glaubens gehen und zu Seiner Gnade Zuflucht nehmen, welche uns Freimütigkeit gibt zum Eintritt in das Heiligtum und uns befähigt, das Bekenntnis der Hoffnung unbeweglich festzuhalten bis ans Ende. „Denn noch über ein gar Kleines, und der Kommende wird kommen und nicht verziehen“ (V. 37). Dann wird jenes „Versammeltwerden (das gleiche griechische Wort wie hier in Vers 25) zu Ihm hin“ erfolgen, um dessentwillen der Apostel die gläubigen Thessalonicher ermahnt, sich nicht in ihrer Gesinnung erschüttern noch erschraken zu lassen (2. Thess. 2, 1), und das uns alle für immer dieser Erde entrücken und in Herrlichkeit um Ihn scharen wird, den unsere Seele liebt.

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Herr, lehr mich beten!

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1917 S. 228

Herr, lehr mich beten! Dass ich stille werde,

Ganz still vor Deinem heil'gen Angesicht,

Verschließ mein Ohr den Stimmen dieser Erde,

So oft mein Mund zu Deinem Ohre spricht.

Herr, lehr mich beten! Nimm Du ganz gefangen

Mein schwaches Herz, o bring es ganz zur Ruh!

An Dir allein lass meine Seele hangen,

All mein Erwarten lenke Dir nur zu!

Herr, lehr mich beten, lehr mich für Dich leben

-Ein Leben des Gebets, Herr, schenke mir!

Ich weiß, Du kannst, Du willst es gerne geben,

Drum lass mich's dankbar nehmen, Herr, von Dir!

Herr, lehr mich beten, lehre mich vergessen

Um andrer willen eignes schweres Leid;

Lehr mich im Glauben bitten, ungemessen -

Ich weiß es - liegt Erhörung dann bereit.

Herr, lehr mich beten auch um Dein Erscheinen,

Ohn' Unterlass, mit stillem, heißem Flehn.

Und führst Du bald mich heim mit all den Deinen,

Lässt Du mich ganz die Frucht des Betens sehn.

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Der verlorene Sohn

Bibelstelle: Lukas 15

Botschafter des Heils 1917 S. 229ff

„Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen, und will zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen; mache mich wie einen deiner Tagelöhner“ (V. 18. 19).

Der verlorene Sohn wusste, dass es in dem Hause des Vaters gut war, während da, wo er sich befand, alles zu Ende ging. Seine traurige Lage, ja, alles rief ihm zu: „Kehre zurück!“, obwohl er die Fülle des Vaterhauses nicht ahnte.

Er folgte dem Rufe und kehrte zurück, froh, wieder nach Hause zu kommen; aber über das Herz des Vaters hatte er ganz falsche Vorstellungen. Er kannte dessen wahren Wert nicht. Unwürdig, länger „Sohn“ zu heißen, wollte er in die Stellung eines „Tagelöhners“ treten.

Das ist der Zustand einer Menge von Herzen rund um uns her. In dem Gefühl dessen, was sie waren und sind, verkleinern sie das Maß, wonach der Vater handeln soll. Man braucht dabei noch nicht an ausgesprochene Eigengerechtigkeit zu denken; nein, es sind Herzen, die, noch befangen in einem Geist der Gesetzlichkeit, den Platz eines Knechtes im Hause einnehmen möchten. Sie rechnen immer noch mit „Verdienst“, eine bedingungslose Gnade ist ihnen fremd. Aber Gott kann uns nur aus Gnaden aufnehmen, da wir alles durchgebracht, uns selbst zu Grunde gerichtet und jeden Anspruch an Ihn verwirkt haben. Betrachten wir die vorliegende Geschichte. Das „mache mich wie einen deiner Tagelöhner“ konnte das Herz des Vaters nicht befriedigen, obwohl es dem Sohne genügt haben möchte. Welch ein beständiges Leid wäre es für dieses Herz gewesen, und welch eine Herabsetzung für den Sohn, wenn er so empfangen und behandelt worden wäre! Die Stellung eines Knechtes würde eine unaufhörliche Erinnerung an seine Sünden gewesen sein.

Gerade so ist es mit uns. Unser Vater kann nicht Söhne als Knechte in Seinem Hause haben. Wenn unbegrenzte Gnade uns ins Haus führt, muss unsere Stellung im Hause der Liebe eines Vaters würdig sein.

Der verlorene Sohn war noch nicht dahin gekommen zu verstehen, dass ihm nur Gnade und nichts anderes helfen konnte. Doch der Vater ließ ihm keine Zeit. die Worte auszusprechen: „Mache mich wie einen deiner Tagelöhner“. Dem Bekenntnis seiner Sünden hörte er zu, aber dann lag er an dem Halse des Sohnes und verschloss seinen Mund mit Küssen· Wie hätte der Sohn da noch sagen können: „Mache mich wie einen deiner Tagelöhner“? Sein Vater hielt ihn ja umschlungen und gab ihm so zu verstehen, dass er immer noch ein Sohn war!

Das Urteil des Zurückgekehrten über des Vaters Herz gründete sich jetzt auf das, was der Vater wirklich ihm gegenüber war, und nicht auf irgendwelche allgemeinen Schlüsse darüber. Und das ist der wahre Weg zur Annahme des „Evangeliums der Gnade Gottes“. Es handelt sich nicht darum, was ich nach meiner Meinung vor Gott bin, sondern darum, was der Vater laut Offenbarung des Heiligen Geistes mir gegenüber ist. Er ist ein Vater, ich bin ein Sohn.

Lasst uns noch einmal sehen, wie der Sohn empfangen wurde. Er beschloss bei sich selbst, was er tun und was er sagen wollte, und bestimmte die Bedingungen seiner Aufnahme: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen, und will zu ihm sagen“ usw.; aber ehe er Zeit hatte, des Vaters Haus zu erreichen und alles das zu sagen, „als er noch fern war, sah ihn sein Vater — und wurde innerlich bewegt— und lief hin — und fiel ihm um seinen Hals und küsste ihn sehr!“

Weshalb fiel der Vater dem Sohne um den Hals und küsste ihn? Gab es irgend etwas in dem Sohne, das ihn dazu veranlasste? Nein, er tat es um der Liebe willen, die in seinem eigenen Herzen war. Die Lumpen des „fernen Landes“ hinderten ihn nicht. Er stutzte keinen Augenblick, um den Sohn vorher noch etwas zu fragen. Er wusste, dass dieser verkehrt gehandelt hatte. Es wäre auch zweck- und nutzlos gewesen zu sagen: „Du hast mich verunehrt und meinen Namen mit Schande bedeckt«. Das war klar zu sehen. Die Würdigkeit oder Tauglichkeit des Sohnes stand ganz außer Frage. Das Herz des Vaters urteilte nicht danach. Er handelte aus sich selbst und für sich selbst — eines Vaters würdig. Er lag am Halse des Sohnes, weil es ihm gefiel, da zu sein. Nur die Liebe Gottes, nicht aber irgend etwas Liebenswürdiges in dem Sünder, erklärt die überschwängliche Freigebigkeit Gottes in dessen Annahme durch Christum. Wenn ich weiß, dass meine Sünden vergeben sind, dass der Vater mich umarmt und küsst, so werde ich umso glücklicher, je tiefer ich meine Sünden erkenne und so des Vaters Liebe ermesse (Vergl. Luk. 7, 47). Nehmen wir den Fall an, ein Kaufmann habe Verbindlichkeiten, die er nicht zu erfüllen vermöchte, deren ganze Höhe er aber nicht kännte. Im Bewusstsein seiner Lage möchte er sich wohl fürchten, seine Bücher daraufhin genau durchzusehen. Nehmen wir nun weiter an, ein reicher Freund trete für ihn ein, bezahle die ganze Schuld und gebe ihm, nachdem alles bezahlt ist, noch die Gewissheit großer Reichtümer — wird er dann auch noch zögern, die Bücher durchzusehen? Im Gegenteil, die Entdeckung der Größe seiner Verpflichtungen wird ja die Liebe des Freundes nur umso mehr ans Licht treten lassen!

Die Gnade hat alles gut gemacht. Je mehr wir daher unsere Sünden erkennen, — vorausgesetzt dass wir uns ihrer Vergebung wirklich bewusst sind, —- desto besser werden wir die Größe der Liebe verstehen. Dass der Vater mich küsst, und zwar dass er es tut, während ich noch in meinen Lumpen bin, zeigt mir, welch eine Vergebung mir zuteil wird. Wer in der ganzen Welt würde meine Lumpen nicht betrachten, bevor er mir um den Hals fiele?

Doch kehren wir zu dem verlorenen Sohn zurück. Die Knechte werden herzu gerufen, um ihn würdiglich in das Hans einzuführen. „Der Vater aber sprach zu seinen Knechten: Bringet das beste Kleid her und ziehet es ihm an, und tut einen Ring an seine Hand und Sandalen an seine Füße; und bringet das gemästete Kalb her und schlachtet es, und lasst uns essen und fröhlich sein; denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden“ (V. 22 — 24).

Gott bekleidet uns mit Christo und bringt uns in das Haus, in welchem die Knechte sich befinden, mit nichts Geringerem angetan, als mit all den Ehren, die Er uns bereiten kann. Er will uns dort haben, völlig in Anspruch genommen von Seinen Gedanken über den Wert eines „Sohnes“. Das beste Kleid, der Ring, die Schuhe, das gemästete Kalb, das Freudenfest — all dieser Dinge war der heimkehrende Verschwender nach des Vaters Ansicht würdig, und es war des Vaters würdig, sie ihm zu geben.

Wie wenig würde es eines Vaters würdig gewesen sein, den Sohn wohl in Gnaden aufzunehmen, aber als einen Knecht im Hause zu behalten! Vielleicht mögen einige Leser dieser Zeilen es für Demut halten, nach dem Platz eines Knechtes zu trachten. Aber das ist nicht Demut, sondern nur Unkenntnis über die Gedanken des Vaters, von welchem geschrieben steht: „Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit, wegen Seiner vielen Liebe, womit Er uns geliebt hat, als auch wir in den Vergehungen tot waren, hat uns mit dem Christus lebendig gemacht, — durch Gnade seid ihr errettet, — und hat uns mitauferweckt und mitsitzen lassen in denhimmlischen Ottern in Christo Jesu, auf dass Er in den kommenden Zeitaltern den überschwänglichen Reichtum Seiner Gnade in Güte gegen uns erwiese in Christo Jesu“ (Eph. 2, 4 — 7). Wenn wir von dieser Seite aus die Sache betrachten, würde es dann Gottes würdig sein, wenn Er uns in Sein Haus brächte mit der immerwährenden Erinnerung an die Sünde und mit dem Zeichen der Schande unserer früheren Verkommenheit auf uns? Nein! Wenn irgend eine Empfindung. der Schande, wenn die geringste Spur aus dem „fernen Lande“ zurückbliebe, so würde es des Vaters unwürdig sein. „Die den Gottesdienst Übenden“ haben, „einmal gereinigt, kein Gewissen mehr von Sünden“. Alles, was in dem Hause Gottes sich befindet, muss Gottes würdig sein.

Wieder mögen unsere armen, ungläubigen Herzen einwenden: „Ja, das wird alles so sein, wenn wir einmal dort sind, wenn wir uns wirklich in dem Hause des Vaters befinden werden“. Doch lasst mich fragen: Was ist Glaube? Der Glaube urteilt, wie Gott urteilt. Die Sünde sehe ich in dem Lichte der Heiligkeit Gottes, und die Gnade erkenne ich in dem Herzen meines Vaters. Wer da glaubt, besiegelt, dass Gott wahrhaftig ist“ (Vergl. Joh. 3, 33). Der Glaube ist das einzige Mittel, welches Gewissheit gibt. Verstandesüberlegungen und Vernunftschlüsse mögen in den Dingen dieser Welt richtig und an ihrem Platze sein; aber wenn Gott spricht, so glaubt der Glaube. Der Glaube besiegelt, nicht: dass es „vielleicht so sein könnte“, sondern: „dass Gott wahrhaftig ist“.

„Abraham glaubte Gott« (nicht „an“ Gott, obwohl das auch wahr ist); er glaubte, dass das, was Gott sagte, wahr war. Was sagt mir Gott nun, wenn ich an Seinen Sohn glaube? Dass Er meiner Sünden und Übertretungen „nie mehr gedenken will“. Ich glaube es. Ferner, dass ich „ewiges Leben“ habe. Auch das glaube ich. Es würde Sünde sein, daran zu zweifeln. Das nicht glauben, was Er mir versichert, hieße Gott zum Lügner machen. Wenn ich Sohn bin, so befinde ich mich durch das Blut des Lammes in Gottes Gegenwart ohne einen Flecken von Sünde. Der Glaube ergreift das, weil Gott es gesagt hat.

Würde ich in dem Kleide meiner eigenen Gerechtigkeit dort stehen, so müsste es in Fetzen zerrissen werden. Aber es handelt sich hier um die Frage, wie hoch Gott den Wert des Blutes Christi schätzt. Was hat dieses Blut bewirkt? Hat es meine Sünden halb gereinigt? Nein! es reinigt von „aller Sünde“ (1. Joh. 1, 7). An einer anderen Stelle lese ich von Christo, dass „Er selbst unsere Sünden an Seinem Leibe auf dem Holze getragen hat“ (1. Petr. 2, 24). Bedeutet das einige unserer Sünden? Es heißt: „unsere Sünden“. Ich lese das und glaube, und während meine Seele so einerseits den Wert des Blutes des Lammes für Gott kennen lernt, versteht sie andererseits, dass alles der Liebe des Vaters entspringt. Und einer solchen Liebe und Gnade gegenüber, die bezeugt wird durch Christum selbst, verstummen alle Zweifel meines Herzens.

Könnte jemand, nachdem er diese wenigen Zeilen gelesen hat, in dem Geiste des älteren Bruders sagen, dass göttliche Gnade die Sünde gutheiße? (V. 28.) Dann möchte ich ihm antworten, dass „sein Vater hinausging und in ihn drang“. Welch eine Langmut der Liebe, nicht allein dem verlorenen Sohn gegenüber, sondern auch gegenüber diesem erbärmlichen Manne, der die allgemeine Freude nicht teilte! Die Knechte waren fröhlich; sie konnten sagen: »Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wieder erhalten hat«. Alle stimmten in den Ton der Freude ein, nur einer nicht. Und wer war das? Der, welcher nur sich und seine Eigengerechtigkeit kannte und in stolzem Selbstbewusstsein sprach: ,,Siehe, so viele Jahre diene ich dir, und niemals habe ich ein Gebot von dir übertreten«. Nichts als Herzenshärtigkeit war in ihm angesichts der Reichtümer der Gnade des Vaters. Und das ist der Mensch in seinem besten natürlichen Zustande!

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Von der Furcht Gottes zur Erkenntnis Gottes

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1917 S. 236ff

(Eine Mahnung für den Leser des prophetischen Wortes)

Die Gläubigen, von denen die Heilige Schrift uns berichtet, erhielten ihre Kenntnis der zukünftigen Ereignisse der Weltgeschichte meist unmittelbar aus dem Munde Gottes. Manche aber gewannen sie — gerade wie wir heutzutage — nur mittelbar, auf dem Wege des Glaubens und Forschens.

Während Abraham z. B. von Jehova selbst über die zukünftige Geschichte Israels belehrt wurde, erhielt sein Urenkel Joseph keine persönlichen Besuche vom Herrn. Joseph erfasste aber im Glauben das an Abraham gerichtete Wort Gottes, schenkte ihm volles Vertrauen und richtete sein Verhalten danach ein.

Jehova hatte zu Abraham gesagt: „Ich bin Jehova, der dich herausgeführt hat aus Ur in Chaldäa, um dir dieses Land zu geben, es zu besitzen . . . . . Gewisslich sollst du wissen, dass dein Same ein Fremdling sein wird in einem Lande, das nicht das ihre ist; und sie werden ihm dienen, und sie werden sie bedrucken vierhundert Jahre. Aber ich werde die Nation auch richten, welcher sie dienen werden, und danach werden sie ausziehen mit großer Habe“ (1.Mose 15).

So hatte Gott gesprochen. Das genügte Joseph. Er glaubte dem göttlichen Worte und hielt daran fest, obschon die Umstände zu seinen Lebzeiten gar nicht für die Wahrheit dieser Prophezeiung sprachen. Gerade in der Zeit, als die Söhne Israels die volle Gunst des Pharao genossen, als sie das fruchtbare Land Gosen als Wohnort besaßen und sie einen der Ihrigen auf dem zweithöchsten Platz im ganzen Reiche sahen, ja. gerade in der Zeit, als Joseph selbst sich in den denkbar glücklichsten Verhältnissen befand, als er „von Ephraim Kinder des dritten Gliedes sah und auch die Söhne Makirs, des Sohnes Manasses, auf seine Knie geboren wurden“, da hören wir ihn zu seinen Brüdern sagen: „Ich sterbe; und Gott wird euch gewisslich heimsuchen und euch aus diesem Lande heraufführen in das Land, das Er Abraham, Isaak und Jakob zugeschworen hat. Und Joseph ließ die Söhne Israels schwören und sprach: Gott wird euch gewisslich heimsuchen; so führet meine Gebeine von hier hinauf!“ (1. Mose 50, 24. 25).

Die Gunst der Gegenwart beirrte Joseph durchaus nicht in seinem Urteil. Das Vertrauen auf das Wort Jehovas schärfte im Gegenteil seinen Blick für die ferne Zukunft, wie wir das auch bei Noah sehen, der hundertundzwanzig Jahre hindurch das ihm von Jehova mitgeteilte Gericht bestimmt erwartete, trotzdem alljährlich Sommer und Winter, Saat und Ernte, Kaufen und Verkaufen, Pflanzen und Bauen ungestört ihren Fortgang nahmen.

Joseph erweist sich hier als ein wahrhaft an Gott Glaubender. Aus seinem Wandel mit Gott strahlen viele Handlungen des Lebens und der Gottseligkeit hervor, aber dieser lebendige Glaube wurde von Gott besonders geschätzt. Das Wort hebt die Worte des .sterbenden treuen Knechtes besonders hervor und zeichnet sie als eine Tat des Glaubens auf. „Durch Glauben gedachte Joseph sterbend des Auszugs der Söhne Israels und gab Befehl wegen seiner Gebeine“ (Hebr. 11, 22).

Joseph glaubte dem prophetischen Wort und handelte danach. Er deutelte nicht im Geringsten

an dem göttlichen Ausspruch an Abraham, suchte nicht etwa nach eigenem Verstand ihm eine Auslegung, einen Sinn unterzulegen, oder ihn in Berücksichtigung der augenblicklichen Umstände irgendwie abzuändern, sondern er fasste die Worte in der Einfalt des Glaubens so auf, wie der Geist Gottes sie ihm vor die Seele stellte, und zog für sich die nötigen Folgerungen daraus.

Ja derselben Einfalt sollte der Gläubige auch heute alles lesen und im Glauben in sich aufnehmen, was in dem Worte Gottes über die Zukunft dieser Welt und über unsere Hoffnung geschrieben steht. Nicht allein um uns in Seiner Herablassung. zu Vertrauten Seiner Pläne und Ratschlüsse zu machen, noch weniger, um unsere Wissbegierde zu befriedigen, lässt der Herr uns Blicke in die Zukunft tun, sondern Er bezweckt in erster Linie damit, dass das Licht einer noch unerfüllten Prophezeiung, im Glauben aufgenommen, auf unseren Weg zurückfalle, und dass dieses Licht allen denen, die darauf achten, zur Leitung und zum Segen diene. Wir lesen ja in 2. Petr. 1, 19: „Wir besitzen das prophetische Wort befestigt, auf welches zu achten ihr. Wohltut (als auf eine Lampe, welche an einem dunkeln Orte leuchtet) bis der Tag anbreche. . . .“ Darum ist es auch mit dem bloßen Bekanntwerden mit dem prophetischen Worte nicht getan. Das bringt der Seele nur wenig Nutzen, ähnlich wie die Aufnahme der biblischen Erzählungen ihrem rein geschichtlichen Inhalt nach nicht der Absicht Gottes völlig, entspricht. Zwar tritt uns in jeder derselben etwas Besonderes und in sich Belehrendes entgegen, was umso bedeutungsvoller ist, weil die Geschichte sich in Wirklichkeit genauso, wie sie geschrieben steht, zugetragen hat; aber Gott lässt alle die großen und kleinen Ereignisse geschehen und tut sie uns kund, damit wir an ihnen Vorbilder erkennen, an denen wir lernen sollen, was Er uns zu sagen hat. Es ist darum gut, wie ein anderer Schreiber meint, an alle im Worte beschriebenen Ereignisse in dem Geist heranzutreten, wie der Prophet in das Haus des Töpfers gehen musste (Jer. 18). Jeremia sollte dort eine tatsächliche Arbeit betrachten, Gefäße, die von der geschickten Hand des Töpfers gemacht wurden. Doch lag in dieser Arbeit zugleich eine Unterweisung, eine über das Sichtbare weit hinausgehende bildliche Bedeutung. Diese sollte der Prophet zu verstehen suchen, und an der Töpferscheibe Gott selbst sehen, nicht nur den Töpfer.

In demselben Geiste sollten wir uns auch mit den Prophezeiungen der Bibel beschäftigen. Gott will uns durch dieselben nicht bloß Tatsachen mitteilen, Wahrheiten, deren Wirklichkeit uns das inspirierte Buch verbürgt, sondern will jedem Leser damit etwas sagen, was sein Leben beeinflussen, seinen Glauben stärken und sein inneres Wachstum fördern soll. Es ist für einen denkenden Menschen ja nicht so schwer, sich von den geoffenbarten prophetischen Ereignissen ein Bild zu machen und sie sieh in geordneter Reihenfolge zurechtzulegen; aber ein solches oberflächliches Erforschen des Wortes Gottes bringt der Seele nur geringen Segen, unter Umständen sogar Schaden. Eine ganz andere Sache ist es, durch das Lesen in Herz und Gewissen berührt zu werden; denn der eigentliche Zweck alles Lesens im Worte Gottes ist: „die Furcht Jehovas zu verstehen und die Erkenntnis Gottes zu finden“ (Spr. 2, 5).

Beachte, dass das Verstehen der Furcht Jehovas der Erkenntnis Gottes vorausgeht, und beherzige das durch Seinen Propheten ausgesprochene Zeugnis Gottes: „Auf diesen will ich blicken: auf den Elenden und den, der zerschlagenen Geistes ist, und der da zittert vor meinem Worte“ (Jes. 66, 2). Es wird dich nicht nur vor der Vermessenheit bewahren, im Geiste stolzer Bibelkritik an Gottes Wort heranzutreten, sondern auch vor der bösen Neigung, die göttlichen Wahrheiten zum Gegenstand ungeziemender Spekulationen des menschlichen Geistes zu machen. Wenn du gelernt hast, die ,,Furcht Jehovas zu verstehen«, wirst du dich hüten, eigene Gedanken in das Wort hineinzulegen, und wirst nur Gottes Gedanken herauszufinden suchen. Vieles, was unserem Sinn entspricht, ist durchaus nicht in Übereinstimmung mit dem Worte Gottes, und nur wenn wir unsere Gedanken nach diesem beurteilen und richtig stellen, ja, unsere ganze Denkweise nach demselben bilden, werden wir vor Irrtümern bewahrt bleiben und können in „der Erkenntnis Gottes“ fortschreiten.

Möchten wir es doch mehr beherzigen, dass der Heilige Geist der einzige wahre Ausleger des Wortes Gottes ist! Nur wenn wir es in Abhängigkeit von Ihm lesen, sind wir fähig, »das Wort der Wahrheit recht zu teilen«. (2. Timotheus 2, l5.) Wir vergessen so leicht, dass die Bibel nicht ein Buch ist, an dem wir die Kräfte unseres Geistes üben sollen, oder welches unserer Beurteilung unterliegt. Es will in erster Linie zu Herz und Gewissen reden, nicht zu unserem Verstande. Fehlt diese Wirkung, so bringt ein noch so eifriges Lesen und Forschen der Seele keinen Nutzen.

Denn was nützt es, wenn wir aus Offenbg. 11 erfahren, dass es bald heißen wird: „Das Reich der Welt unseres Herrn und Seines Christus ist gekommen, und Er wird herrschen von Ewigkeit zu Ewigkeit“ — und wir fahren unbekümmert fort, an den politischen Bewegungen und Parteikämpfen unseres irdischen Vaterlandes teilzunehmen?

Was nützt es, wenn wir lesen, „dass am Ende die Erde und die Werke auf ihr verbrennen werden“ (2.Petr. 3, 10), und sinnen nach wie vor auf die Dinge, die doch dem Gericht verfallen sind?

Was nützt es, Näheres über den Zeitpunkt und die Begleitumstände der baldigen Erscheinung unseres Herrn im Worte zu erforschen, wenn wir doch Seine Erscheinung nicht wirklich lieb haben, wenn unsere Herzen nicht brennender werden bei dem Gedanken an Seine Offenbarung und an die« Anerkennung, die Ihm dann von der ganzen Schöpfung zuteil werden wird? Ja, was nützt es uns?

Was nützt selbst das Lesen und Reden von der glückseligen Hoffnung des Kommens unseres Herrn, um Seine Braut heimzuholen, wenn wir ihr nur einfach beistimmen, sie aber nicht als Wahrheit Gottes ins Herz ausnehmen und ihre große, heiligende Kraft innerlich erfahren? Denn nur so hat sie Macht über uns. Nur so wird sie zu einer hellleuchtenden Lampe, zu einer Kraft für unsere Seele. Wir können dann nicht anders, als unseren Wandel, unsere Gewohnheiten und Verbindungen prüfen, und bemühen uns, alles aufzugeben, dessen wir uns schämen müssten, wenn der Herr heute noch käme.

Jedem, der die prophetischen Mitteilungen nur oberflächlich in sich aufnimmt, droht indes noch eine weitere Gefahr. Wenn der Geist der Wahrheit nicht Herz und Sinn bewahrt, findet der Geist der Lüge leicht Eingang, wenn auch zunächst nur in versteckter Form. Erleben wir es nicht häufig in unseren Tagen, dass über das Kommen des Herrn in einer Weise gesprochen und geschrieben wird, die von der ungläubigen Denkweise unserer Zeit ganz bedenklich angesteckt ist? Indem man die eigene Einbildungskraft nicht ernst genug zügelt, lenkt man zugleich den Blick von dem Herrn selbst ab und richtet die Aufmerksamkeit mehr aus die unwichtigeren Begleiterscheinungen Seiner Wiederkunft, oder gar auf die Festsetzung der Zeit Seines Kommens. Manche wissen auch die verschiedenen Haushaltungen, in denen es Gott gefallen hat, sich Seinem irdischen Volke, den Juden, oder Seinem himmlischen Volke, der Gemeinde Christi, zu offenbaren, nicht auseinander zu halten, noch den doppelten Charakter der Wiederkunft unseres Herrn zu unterscheiden, die einerseits in Beziehung steht zur Kirche und andererseits in Beziehung zu Israel und zur Welt. Die Folge davon ist wiederum, dass das Wort der Wahrheit nicht recht geteilt und mancherlei verkehrten Lehren Tür und Tor geöffnet wird. So hat die List des Feindes unter anderem die Behauptung aufgebracht, dass unser Herr nicht, wie wir von Gott belehrt sind, jeden Augenblick, heute oder morgen, kommen könne, sondern erst nach dem Eintreffen gewisser, im Wort geoffenbarter Ereignisse.

Der Herr bewahre uns vor solchen Schlüssen unserer eigenen Vernunft! Beachten wir, was der Prediger im Anschluss an den oben angeführten Spruch weiter sagt: „Jehova gibt Weisheit; aus Seinem Munde kommen Erkenntnis und Verständnis. Er bewahrt klugen Rat auf für die Aufrichtigen; Er ist ein Schild denen, die in Vollkommenheit wandeln, indem Er die Pfade des Rechts behütet und den Weg Seiner Frommen bewahrt“ (Spr. 2, 6 — 8).

Ja, nur auf dem Wege der Furcht Gottes gelangen wir zur Erkenntnis Gottes. Darum lasst uns auch das prophetische Wort nur in dem Geiste des. Jeremias betrachten, als er die Werkstätte des Töpfers besuchte, indem wir das, was der Herr uns darin offenbart, in unsere Herzen aufnehmen und darin bewahren, so wie Joseph es tat -— bis Er kommt!

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Ernste Fragen

Bibelstelle(n): Römer 6, 1 - 2; Johannes 5, 24; 10, 27 - 29; Römer 8, 13; 1. Johannes 1, 6; 1. Korinther 6, 19; 2. Korinther 7, 1; 1. Johannes 5, 18; Jakobus 3. 2; 2. Timotheus 2, 19; Galater 6, 7

Botschafter des Heils 1917 S. 244ff

Kann ein Gläubiger, d.h. ein Mensch, der wirklich bekehrt ist, wieder verloren gehen? Nein; der Herr Jesus sagt: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht“, und: „Meine Schafe hören meine Stimme und ich kenne sie, und sie folgen mir, und sie gehen nicht verloren in Ewigkeit, und niemand wird sie mir aus meiner Hand rauben“ (Joh. 5, 24; 10, 27 - 29.

Wenn aber nun jemand, der errettet zu sein bekennt, in der Sünde lebt, was dann? Wir wissen, dass die Errettung nicht nur in der Zukunft von den Folgen der Sünde, dem Tod und der ewigen Verdammnis errettet, sondern auch in der Gegenwart von der Macht und Ausübung der Sünde befreit. Die Schafe Christi hören die Stimme des guten Hirten und folgen Ihm. Wenn also jemand in Sünden lebt und dennoch sich rühmt, seiner ewigen Errettung gewiss zu sein, so sind wir aufgrund dieses unlöslichen Widerspruchs berechtigt, an der Wahrheit seines Bekenntnisses zu zweifeln, ja, ihm zu sagen, dass er auf dem Weg, den er geht, nichts anderes als Tod und Gericht zu erwarten hat.

„Wenn ihr nach dem Fleisch lebt“, ruft Paulus den gläubigen Römern zu, „so werdet ihr sterben“; und der Apostel Johannes schreibt: „Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit Gott haben und wandeln in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit“ (Römer 8, 13; 1. Joh. 1, 6). Der Gläubige kann fallen, aber er wird wieder aufstehen; die Sünde kann ihn übereilen, aber er wird wiederhergestellt werden; er kann sich verirren, aber er wird wieder zurechtgebracht werden – denn der Herr vermag völlig zu erretten, die durch Ihn Gott nahen, und wird keines der Seinen, auch nicht das Schwächste verlieren (vgl. Hebräer 7, 25; Joh. 17, 12).

 

Kann der Heilige Geist in einem Herzen wohnen, das sich bösen und unreinen Gedanken hingibt? Die Schrift sagt, dass der Leib des Gläubigen der Tempel des Heiligen Geistes ist (1. Kor. 6, 19), und knüpft an diese Wahrheit die ernstesten Ermahnungen zur Reinheit und Heiligkeit in Wort und Wandel. Der Gläubige ist ermahnt, sich selbst zu reinigen von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes und die Heiligkeit zu vollenden in der Furcht Gottes (2. Kor. 7, 1). „Sich bösen und unreinen Gedanken hingeben“ ist also keineswegs der Wandel eines Christen.

Wiederum möchte ich sagen: Der Christ kann von bösen und unreinen Gedanken überfallen und geplagt werden, aber wenn es geschieht, so blickt er auf Christus, und die bösen Gedanken entfliehen. Der zu einem Christen passende Wandel wird in dem 1. Brief des Johannes einfach so beschrieben: „Wir wissen, dass jeder, der aus Gott geboren ist, nicht sündigt; sondern der aus Gott Geborene bewahrt sich, und der Böse tastet ihn nicht an“ (1. Johannes 5, 18). Das ist die göttliche Seite der Frage. Wir wissen, dass sie auch eine menschliche Seite hat; aber wir müssen die menschliche Seite immer nach der göttlichen beurteilen. Wir dürfen den göttlichen Standpunkt nie auf den Boden des menschlichen erniedrigen, sondern müssen der menschlichen Seite gegenüber immer die göttliche im Auge behalten. Wenn auch geschrieben steht: „Wir alle straucheln oft“ (Jak. 3, 2), so dürfen wir uns doch mit nichts Geringerem als der in 1. Johannes 5, 18 aufgestellten Regel zufrieden geben.

Je mehr und inniger wir auf unser vollkommenes Vorbild (Jesus) schauen, desto mehr werden wir durch die Macht des Geistes in Sein Bild verwandelt werden (2. Kor. 3, 18). Zu behaupten, man könne den Geist haben und sich dabei „bösen und unreinen Gedanken hingeben“, ist nichts anderes als gottlose Ungebundenheit, ein Sündigen auf Gnade hin, ein Verachten des göttlichen Geistes in uns, ja, aller göttlichen Grundsätze der Wahrheit.

 

Aber dann ist es doch böse zu sagen, wenn ein einmal Erretteter nicht mehr verloren gehen könne, komme es auf seinen Wandel nicht so sehr an; ein jeder könne leben und handeln, wie es ihm gut erscheint?

Das ist ganz gewiss sehr böse. Wer solche Fragen aufbringt, beweist, dass er noch nie wirklich verstanden hat, was wahres Christentum ist, ja, man muss ernstlich befürchten, dass er „weder Teil noch Anrecht an dieser Sache“ hat (Apg. 8, 21) und sich, gleich jenem Zauberer Simon, in einem höchst traurigen Zustand befindet.

Ein junger Mann hörte einmal einen Prediger sagen: „Einmal ein Kind, bleibt man immer ein Kind.“ Alles andere, was in Verbindung damit gesagt wurde, überhörte er. Leichtsinnig stürzte er sich jetzt in ein Leben der Sünde, geheim und öffentlich – ein Kind blieb er ja doch! Hatte der Prediger unrecht in dem, was er sagte? Nein. *). Aber der junge Mann beging ein großes Unrecht in dem, was er tat. Was würde man von einem Sohn sagen, der folgendermaßen überlegte: „Einmal ein Kind, immer ein Kind! Also kann ich tun und lassen, was ich will, egal ob ich das Herz meines Vaters aufs tiefste dadurch verwunde und Schande auf seinen Namen bringe“? – Wäre eine solche Sprache nicht schrecklich?

„Was sollen wir nun sagen? Sollten wir in der Sünde verharren, auf dass die Gnade überströme? Das sei ferne! Wir, die wir der Sünde gestorben sind, wie sollten wir noch darin leben?“ (Römer 6, 12.)

Wenn ein Mensch wirklich die Gnade und Liebe Gottes geschmeckt hat, so liebt er die Heiligkeit Gottes und pflegt sie. Die Regungen der alten Natur werden von ihm nicht entschuldigt oder gar gutgeheißen, sondern bekämpft, und er kann dabei auf die Gnade Gottes rechnen. Im entgegengesetzten Fall aber lästert er tatsächlich den Namen Christi, indem er bekennt, ein Christ zu sein, und sich dabei in der Sünde wälzt. Ein solches Verhalten bei solchem Bekenntnis schließt in sich, dass Christus ein Diener der Sünde sei.

Wir müssen alles an der Wahrheit Gottes messen und beurteilen und die Waage des Heiligtums gebrauchen, um nach ihr den Wert von allem und jedem festzustellen. Wir dürfen diese Waage nicht nach den Gedanken oder dem Gewicht eines Menschen richten, sondern alles und alle nach dieser Waage. Mögen deshalb auch manche bekenne, Kinder Gottes zu sein, und dabei in der Sünde leben und sterben, so kann das unser Vertrauen auf die Lehre von der ewigen Errettung nicht erschüttern. Gottes Wort bestätigt sie ausdrücklich wieder und wieder. Andererseits offenbart dieses Wort aber auch die Falschheit des oben genannten Bekenntnisses. Es sagt von solchen Bekennern: „Sie sind von uns ausgegangen, aber sie waren nicht von uns“ (1. Joh. 2, 19). „Wer Gott kennt“, hört Sein Wort, „wer nicht aus Gott ist“, hört es nicht (1. Joh. 4, 6). „Der feste Grund Gottes steht und hat dieses Siegel: Der Herr kennt die sein sind; und: Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit!“ (2. Tim. 2, 19.)

„Irrt euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten! Denn was irgend ein Mensch sät, das wird er auch ernten“ (Gal. 6, 7). Man kann nicht ungestraft von Gnade reden und doch nach dem Fleisch wandeln Dem Haus Gottes geziemt Heiligkeit.

Fußnote:

*) Dennoch beweisen solche Fälle, die nicht vereinzelt dastehen, wie vorsichtig man sein muss, um nicht eine Wahrheit einseitig zu betonen und so viel Schaden anzurichten

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Draußen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1917 S. 249ff

„Die draußen sind, richtet Gott“ (1. Kor. 5, 13).

Drinnen, im geordneten Familenkreise, regieren Eintracht und Friede. Liebe verbindet die Herzen und treibt sie an, selbst auf Kosten der eigenen Behaglichkeit das Wohl des anderen zu suchen. Drinnen wohnen Glück und Freude. Da ruht sich’s gut.

Draußen herrschen Neid und Streit. Man sucht zu erjagen und zu erraffen, so viel man kann, unbekümmert um das« Ergehen des anderen. Der Einzelne wie die Gesamtheit verfolgen eigene Interessen, selbstsüchtige Ziele. Was tut’s, wenn auch andere darunter leiden, vielleicht gar zu Grunde gehen! Draußen sind Unruhe und Unfrieden.

Und wie im Zeitlichen und Irdischen, so ist’s im Geistlichen. Auch hier gibt’s ein Drinnen und ein Draußen. Da ist eine Familie, eine Gemeinde Gottes, in deren Schoß der Gläubige wohlgeborgen ist, wo er sich daheim fühlt, Liebe gebend und Liebe empfangend. Da ist ein Kreis, von Gott selbst gezogen, den zwar der Eigenwille des Menschen weiter und weiter zu ziehen sucht, der aber nach Gottes Gedanken heute noch nur die in sich schließt, welche aus dem gegenwärtigen bösen Zeitlauf herausgenommen, aus Satans Macht errettet und für ewig in Sicherheit gebracht sind. Diese sind drinnen, durch Gottes Gnade in Sein Haus geführt. Alle anderen sind draußen. Äußerlich mögen sie drinnen sein, indem sie auf den Namen Christi getauft sind und sich Christen nennen; doch sie haben nur den Namen, dass sie leben, sind aber in Wirklichkeit tot, tot in Sünden und Vergehungen (Offbg. 3, 1; Eph. 2, 1). Sie sind nur ihrem Bekenntnis nach drinnen, in Wahrheit stehen sie draußen, sind „von der Welt“. Die drinnen sind stehen unter der Zucht des Hauses Gottes; die draußen sind, richtet Gott (1. Kor. 5, 12. 13).

Auch der Leser dieser Zeilen steht entweder drinnen oder draußen. Ja, mein Freund, du bist entweder ein Glied der Familie Gottes, für ewig erkauft durch das Blut des Sohnes Gottes, des einzigen Lösegeldes, das es gibt, oder du gehörst noch zu den „übrigen, die keine Hoffnung haben“, die auf breiter Straße einer finstern Ewigkeit zuwandern.

Und dieses „Entweder – oder“ setzt sich in der Ewigkeit fort. „Glückselig“, heißt es im Buche der Offenbarung, „die ihre Kleider waschen, auf dass sie ein Recht haben an dem Baume des Lebens und durch die Tore in die Stadt (das himmlische Jerusalem) eingehen!“ Alle diese glückselig Gepriesenen sind drinnen, da wo der Baum des Lebens steht, im Paradiese Gottes, wo nichts mehr an diese Erde und die furchtbaren Folgen der Sünde erinnert, wo alles neu geworden ist (Offbg. 21, 4. 5) „Draußen sind die Hunde und die Zauberei: und die Hurer und die Mörder und die Götzendiener und jeder, der die Lüge liebt und tut“ (Offbg. 22, 14. 15). Auch das Los dieser Draußenstehenden ist für ewig entschieden, steht unabänderlich fest. Der Zorn Gottes bleibt auf ihnen (Joh. 3, 36). Ihr Wurm stirbt nicht, und ihr Feuer erlischt nicht. (Mark. 9, 48).

So lehrt Gottes Wort, das ewig bleibende, von welchem, wie der Sohn Gottes selbst sagt, nicht ein Jota, nicht ein Strichlein unerfüllt bleiben wird. Wahrlich, eine Belehrung von erschreckender Deutlichkeit! Man sucht sich ihr zwar zu entziehen, sie zu vergessen oder zu entkräften, gerade so wie man sich bemüht, die lästige Stimme des Gewissens zum Schweigen« zu bringen. Aber das Wort redet, ob es dem Menschen unangenehm und lästig ist oder nicht. Zur Zeit des Propheten Hesekiel wollte auch niemand auf Gottes Stimme hören. Die Menschen taten damals auch, was ihrem Munde angenehm war, ihre Herzen gingen dem Gewinn nach. Genau wie heute! Doch Gott sprach: „Wenn es aber kommt (das angedrohte Gericht nämlich) —siehe, es kommt! — so werden sie wissen, dass ein Prophet in ihrer Mitte war“.

Das Gericht ist über das schuldige Volk Israel gekommen, die Worte des Propheten sind buchstäblich in Erfüllung gegangen. So wird’s auch am Ende der Tage gehen, und dieses Ende ist nahe, ganz nahe. „Schreibe!“ sagt Gott zu dem Propheten Johannes, „denn diese Worte sind gewiss und wahrhaftig“ Nichts wird fehlen, kein Wort wird zu Boden fallen.

Glückselig denn, die ihre Kleider waschen! Womit? Mit Seife oder Laugensalz? Nein, solche Mittel reinigen vor Gott nicht. Da gibt es nur ein Reinigungsmittel: das· Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes. Wehe dem, der dieses kostbare Blut für gemein. achtet! Er verachtet die Gnade Gottes und bringt ein Gericht ohne Barmherzigkeit über sich. Was das ist, wer könnte es ausdenken? „Es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.“ (Hebr. 10, 28 —31).

„Draußen sind die Hunde und die Zauberer und die Hurer und die Mörder und die Götzendiener und jeder, der die Lüge liebt und tut.“ Für ewig draußen! Mit Recht! Denn Hunde, Zauberer, Hurer u. s. w. passen nicht in die heilige Stadt. In diese kann nichts eingehen, was irgendwie gemein oder unrein genannt werden muss (Vergl. Offbg. 21, 27).

Die an dieser Stelle gewählten Ausdrücke sind stark, und manch einer möchte sich versucht fühlen zu sagen: Wer unter diesen Hunden, Zauberern, Hurern u. s. w. gemeint ist, weiß ich nicht; eins aber weiß ich, dass ich jedenfalls nicht dazu gehöre. — Lasst uns sehen!

Der Hund ist in der Sprache der Heiligen Schrift ein Bild alles Unreinen und Gemeinen. Man wird das besser verstehen, wenn man bedenkt, dass im Morgenlande die Hunde sich meist herrenlos auf den Straßen umhertreiben und von allem möglichen Unrat, Abfällen, Aas und dergl. leben. Wenn wir also lesen: „Draußen sind die Hunde“, so will das nichts anderes sagen als: Draußen sind die Unreinen. Auf den Straßen der heiligen Stadt gibt es keinen Platz für Hunde; sie würden da, wo kein Stäublein sich mehr an den Fuß des Wanderers hängt, auch weder Nahrung finden, noch sich daheim fühlen. „Die Straße der Stadt ist reines Gold, wie durchsichtiges Glas“ (Offbg. 21, 21).

Und nun, mein Leser, was denkst du? Passt du in jene heilige Stadt? Du mit all deinen unreinen Gedanken und Neigungen, mit deinen unnützen und eitlen Worten, von deinen Handlungen gar nicht zu reden? Würdest du dich wohl fühlen in diesem blendenden Licht, in dieser makellosen Reinheit, du, der Unreine und mit Sünden Befleckte? Wenn du ehrlich sein willst, wirst du mit einem bestimmten „Nein“ antworten müssen. Draußen ist dein Platz.

Und „Zauberer, Hurer, Mörder und Götzendiener“? Wieder wirst du dich entrüstet abwenden. Wer dürfte es wagen, dir solche Namen zu geben?! — Aber hast du noch nie gelesen, dass der Habsüchtige, der Geldliebende, ein Götzendiener ist? Und weiter: „Jeder, der seinen Bruder hasst, ist ein Menschenmörder“? und: „Jeder, der seinem Bruder zürnt, wird dem Gericht verfallen sein..., wer aber irgend sagt: Du Narr! wird der Hölle des Feuers verfallen sein«? (Eph. 5, 5; 1. Johannes 3, 15; Matth. 5, 22). Und weißt du nicht, dass der Herr ferner gesagt hat: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst nicht ehebrechen. Ich aber sage euch, dass jeder, der ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, schon Ehebruch mit ihr begangen hat in seinem Herzen“? (Matth. 5, 27. 28). Der Maßstab Gottes ist ein anderer als der der Menschen. Menschen sehen nur Taten, offenbare Vergehungen; Gott sieht ins Verborgene und prüft Herzen und Nieren. Er sieht jede geheime Begierde, jede auskeimende Lust und beurteilt sie nach Seiner Reinheit und Heiligkeit. Willst du demgegenüber noch an deiner vermeintlichen Ehrbarkeit und Unbescholtenheit festhalten? Meinst du nicht, dass du nach Gottes Urteil all jener Sünden schuldig bist, wenn du sie auch nicht in ihren gröbsten Formen begangen hast? Wenn das aber so ist, dann ist wiederum draußen dein Platz“.

Und wenn es in unserer Stelle schließlich heißt: Draußen ist „jeder, der die Lüge liebt und tut“, so wirst du wohl kaum noch den Mut finden, dich davon auszuschließen. „Alle Menschen sind Lügner“, sagt der Psalmist, und wie wahr ist sein Urteil! Wie viel Unwahrhaftigkeit und Unaufrichtigkeit findet sich selbst bei denen, die mit Recht als wahrheitsliebend gelten! Wie viel Heuchelei und Scheinwesen rund um uns her! Und man will es nicht anders. Der Mensch will täuschen und getäuscht sein. Warum war der Herr Jesus so verhasst hienieden? Weil Er auf die Frage: „Wer bist du?“ antworten konnte: „Durchaus das, was ich auch zu euch rede“ (Joh. 8, 25). Weil Er als „die Wahrheit“ alles- und jeden an seinen richtigen Platz stellte, weil Er als „das wahrhaftige Licht“ jeden Menschen beleuchtete. Er und keiner außer Ihm konnte in Wahrheit sagen: „Mein Gedanke geht nicht weiter als mein Mund“ (Ps. 17, 3).

Das Ergebnis unserer Untersuchung ist also niederschmetternd.

Selbst bei der Annahme, dass du der bravste, achtbarste und religiöseste Mensch wärest, den es je gegeben hat, würde dein Platz doch für ewig draußen sein. Draußen sind und draußen bleiben auf immerdar alle, die nicht in Jesu geborgen sind, die ihre Kleider nicht gewaschen haben in dem Blute des Lammes. Im Anfang des 21. Kapitels der Offenbarung, wo der ewige Zustand geschildert wird, heißt es im 8. Verse: „Den Feigen aber und Ungläubigen und mit Gräueln Befleckten und Mördern und Hurern und Zauberern und Götzendienern und allen Lügnern« — also fast dieselbe finstre Liste wie in unserer Stelle — „ihr Teil ist in dem See, der mit Feuer und Schwefel brennt, welches der zweite Tod ist«. Während die Erlösten in dem neuen Himmel und auf der neuen Erde ihr ewiges gesegnetes Teil finden, sind. die übrigen hinausgestoßen in die ewige Finsternis, dahin, wo Weinen und Zähneknirschen sein wird. Jene für immer und ewig drinnen, vor Gottes Herrlichkeit dargestellt mit Frohlocken. (Jud. 24.) Diese draußen, für immer und ewig draußen, in dem Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln.

Ich wiederhole: So redet, so lehrt Gottes Wort. Glücklich ein jeder, der es hört und sich vor ihm beugt! Wie furchtbar ist der Gedanke: auf immerdar draußen, in hoffnungsloser Qual! Aber noch stehen Schreiber und Leser diesseits der ewigen Entscheidung. Noch ertönt der Ruf: „Lasst euch versöhnen mit Gott!“ Und selbst wenn ein Mensch sagen müsste: Alle jene bösen Dinge, die unsere Stelle aufzählt, und mehr noch habe ich hundert- und tausendfach getan, unberechenbar ist die Summe meiner Sünden, unübersehbar der Berg meiner Schuld — dennoch ist Gnade da für ihn. „Wo die Sünde überströmend geworden, ist die Gnade noch überschwänglicher geworden« (Röm. 5, 20.) Gott will nicht den Tod des Sünders, sondern dass er sich bekehre und lebe

Darum bleibe nicht länger zögernd draußen stehen! Entfliehe dem Verderben um dich her und tritt ein in den Kreis der Familie Gottes, um schon hienieden an ihren Segnungen und bald droben an ihrer ewigen Herrlichkeit teil zu haben! Der Sohn Gottes spricht: ,,Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt Dem, der mich gesandt hat, hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht«, und: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen«. (Joh. 5, 24; S, 37.) Nie und nimmer werden die draußen sein, die Seiner Einladung folgen. Drinnen, im Hochzeitssaale des Königs, in den vielen Wohnungen des Vaterhauses ist ihr Platz für alle Ewigkeit.

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Mitgefühl und Trost

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1917 S. 265ff

Seitdem durch den Ungehorsam des Menschen die Sünde auf der Erde wohnt, sind Leid und Tränen keinem Menschen erspart geblieben. Indes glitt immer noch manches Leben einem stillen friedlichen Bächlein gleich dahin. Heute aber ist das Leid mit seiner Bürde kaum einem Hause fremd geblieben. Manch schwere Lasten hat es in Hütte und Palst auf die Herzen gelegt. Witwen in stummem Schmerz, unversorgte Kinder, gebeugte der Stütze beraubte Eltern, überall begegnen sie uns. Und kaum ein Tag vergeht ohne neue Trauerkunde. Wie schwer ist es da oft, ein Wort des Trostes zu finden! Der Druck der Umstände lässt uns in dieser Hinsicht unsere innere Armut, unser Nichts erkennen. Und es ist gut so.

Bei der reichen Erkenntnis, deren sich das Volk Gottes in unseren Tagen erfreut, fehlt es meist nicht an einer klaren, schriftgemäßen Beurteilung der verschiedenen Verhältnisse. Ein klares Urteil aber ist noch kein Beweis von einer Tätigkeit des Herzens; und ohne diese bleibt uns der Weg zu den Herzen der Gebeugten verschlossen. Wie schnell - obschon mit Recht - hat man gesagt: „Es ist der Herr!", wenn eines der Mitgeschwister von einem Unfall betroffen, von schwerer Krankheit heimgesucht wurde! Aber ist dem Betreffenden damit gedient? Wird sein Herz dadurch erquickt und nach oben gelenkt? In vielen Fällen nicht. Dass Gott mit ihm redet, handelt, weiß er selbst, es sei denn dass sein geistliches Auge durch einen Wandel in Gleichgültigkeit oder gar Sünde verdunkelt wäre. Nein, er hat etwas anderes nötig. Und wir wissen das auch. Ist es doch keinem von uns bei irgendeinem persönlichen Leid oder Kummer in erster Linie um Worte des Trostes zu tun. Uns verlangt nach Herzen, die mitfühlen, mittragen. Ein Gramm echten Mitgefühls ist mehr wert als ein Kilogramm der schönsten Trostworte, die nicht aus einem mitleidbewegten Herzen hervorkommen. Mitgefühl und Trost sind aber wie zwei unzertrennliche Zwillingsschwestern. Wo die erste weilt, kann die zweite nicht fehlen.

Mancher Trostbrief, der eine Fülle kostbarer Bibelstellen enthält, wird trotzdem unbefriedigt beiseite gelegt. Woran liegt's? Beweist es nicht einen schlechten Herzenszustand bei dem Empfänger? Vielleicht; aber gar oft mag es auch am Absender liegen. Er hat versäumt, mit dem Schlüssel des Mitgefühls das von Schmerz erstarrte Herz für die lieblichen Tröstungen des Wortes Gottes zu öffnen. Wer durch Wort oder Brief einem niedergebeugten Herzen zur Ermunterung dienen will, der muss sich notwendig zweierlei vorher erbeten haben: erstens die herzliche Teilnahme an dem Leid des Betreffenden, zweitens, im Bewusstsein der eigenen Unfähigkeit, die nötige Weisheit, um zart und rücksichtsvoll der Seele zu begegnen, und das rechte Wort, das der Herr allein geben kann. Ohne das wird der Dienst wenig Kraft haben.

Sorgen und Übungen, Schmerzen und Tränen, bleiben keinem Hause erspart. Sollten da die Kinder Gottes nicht gelernt haben und noch täglich lernen, einander zu verstehen, miteinander zu fühlen und zu tragen? Und doch fehlt es in dieser Hinsicht viel unter uns. Mancher geht mutlos dahin, von der Last der eigenen Umstände zu Boden gedrückt, und hat weder Auge noch Herz für das vielleicht viel schwerere Los seines Mitpilgers. Ohne Trost für sich, ohne Trost für andere! Gewiß, „lang hingezogenes Harren macht das Herz krank". (Sprüche 13,12) Die Prüfung dauert lang, zu lang nach menschlicher Meinung. Dass es da für viele Herzen Stunden schwerer Kämpfe gibt und Verzagtheit und Ermattung hier und da Platz greifen wollen, ist begreiflich. Wer wollte wagen, sie zu tadeln, wenn ihnen einmal der Mut sinken will? Nein, nicht Tadel, sondern herzliche, innige, tiefe Teilnahme gebührt ihnen. - Doch, wie gesagt, es ist so schade, dass manches Herz bei dem eigenen Leid stehenbleibt. Viel Segen geht dadurch dem Volke Gottes verloren und viel Freude dem Herzen Dessen, der „voll innigen Mitgefühls und barmherzig ist".

„O ich habe selbst den Trost so sehr nötig und kann unmöglich andere trösten!" - Das sollst du ja auch gar nicht. Du sollst, nein, du darfst - es ist dein Vorrecht - ein wenig von dem weitergeben an deine Mitgeschwister, was Gottes Herz dir täglich, stündlich in reichem Maße schenkt. Er ist der „Vater der Erbarmungen und der Gott alles Trostes" (2. Korinther 1,3). Alles Erbarmen hat seinen Ursprung in Seinem Herzen. Und diese Tätigkeit Seines Herzens, das uns in jeder Lage versteht und völlig mit uns fühlt, ist die Quelle des Trostes, womit wir getröstet werden in all unserer Drangsal. Leiden wir? Sein Herz fühlt mit uns. Und bei Ihm, am Thron der Gnade, finden wir Ihn, der in all unserer Bedrängnis bedrängt war. (Vergl. Jesaja 63,9)

Hast du das nicht oft erfahren auf dem Wege? Hat Er Seine Erbarmungen jemals gegen dich zurückgehalten? Hat Er nicht, wenn niemand dich verstand, sich dir geoffenbart als voll innigen Mitgefühls? Wurde dein verwundetes, gequältes Herz nicht mächtig angezogen von der Liebe Seines treuen Herzens? Gab Er dir nicht kostbaren Balsam, tiefe, überströmende Erquickung, während vielleicht noch Tränen in deinen Augen standen? Und nun solltest du nicht fähig sein, ein wenig von der Fülle dieser innerlichen Gefühle und Erbarmungen auf deine Mitgeschwister und alle Menschen um dich her zu übertragen? Nein, es bleibt dabei: wie einst der Apostel Paulus, so werden auch wir von Gott getröstet in all unserer Drangsal, damit wir die trösten können, die in allerlei Drangsal sind, durch den Trost, mit welchem wir selbst von Gott getröstet werden (2. Korinther 1,4).

Der erste und größte Trost für uns ist das Ruhen am Herzen Gottes, von dem wir wissen, dass es uns liebt, uns versteht und mit uns fühlt. So können auch wir andere am besten trösten durch Mitgefühl, das will sagen, durch ein Herz, das liebevoll versucht, sich in die Lage des anderen zu versetzen und seine Last mit ihm zu tragen. Wie tut es dem geprüften Herzen so wohl, verständnisvolle Teilnahme zu finden! Unter ihr schmilzt der Eispanzer, der sich um das Herz gelegt hat, der scharfe Stachel des Schmerzes weicht, und das Herz erschließt sich den Tröstungen des Wortes Gottes. Wo wahres Mitgefühl in Tätigkeit tritt, wird wahrer Trost nie fehlen.

Ein heißer Sommer zeitigt einen Wein von besonderer Güte. So soll auch die Trübsalshitze viel und besonders kostbare Frucht für Gott hervorbringen. Wir reden heute nur von einer Art Frucht. Aber sollte diese nicht reichlicher gefunden werden? Ach, wenn jedes gläubige Herz bewegt und in Tätigkeit versetzt würde durch den Blick auf all die Übungen, Sorgen und Tränen der anderen, welch ein Strom von Segen würde daraus hervorfließen! Jeder würde alles daran setzen, das Zusammenkommen nicht zu versäumen und die Gebetsversammlungen würden in lieblicher Weise Zeugnis geben von dem, was die Herzen bewegt.

Wir wollen auch nicht vergessen, dass der Weg zu wahrem Gewinn immer mit Mühe verbunden ist. Ohne Fleiß kein Preis. Wünschen wir unserem Glauben geistliche Energie und in Verbindung damit eine ganze Kette lieblicher Beweise des neuen Lebens hinzuzufügen, so müssen wir sogar „allen Fleiß anwenden". Gott hat uns alles in betreff des Lebens und der Gottseligkeit geschenkt, dazu die größten und kostbarsten Verheißungen gegeben und uns zu Teilhabern der göttlichen Natur gemacht (2. Petrus 1,1 - 11).

Das sind herzerquickende Worte von unvergänglicher Kraft, die das gläubige Herz in allen Umständen beleben können. So handelt nur Gott; aber so handelt Er stets. Er stellt den Erlösten auf eine unerschütterliche Grundlage, und dann sagt Er: Steh! Er stellt ihn auf einen gebahnten Weg, und dann sagt Er: Wandle! Er macht ihn zum Teilhaber Seiner Natur, und dann sagt Er: Sei ein Nachahmer Gottes, als ein geliebtes Kind! (Epheser 5,1). Denke, fühle, urteile, handle, wie es der göttlichen Natur entspricht. Welch eine Gnade! Die Gnade stellt Ansprüche an uns, aber unsere Herzen können nur mit einem freudigen „Ja!" darauf antworten. Und so ist es nur natürlich (d. h. der uns geschenkten göttlichen Natur entsprechend), wenn wir als Kinder des Vaters der Erbarmungen voll sind von herzlichem Erbarmen und innigem Mitgefühl gegeneinander und gegen alle. Steht es so mit uns, dann werden wir einander zum Trost und zur Ermunterung sein, oft auch ohne Worte.

Lasst uns noch kurz an unsere Begegnung mit dem „barmherzigen Samariter" zurückdenken. Beraubt und geschlagen, dem Tode verfallen, lagen wir am Wege. Da kam Er. Besser als wir selbst erkannte Er unser ganzes Elend. Er wurde „innerlich bewegt". Welch ein Bild! Die ewige Liebe steht erschüttert still bei ihrem Feind, einem schuldigen Sünder, der hoffnungslos dem schrecklichen Ende seines selbstgewählten Weges entgegensieht, und der nicht den geringsten Anspruch auf Erbarmen hat. Stand der Samariter lange Zeit bei dem Armen, dachte er lange nach, überlegte er lange? Nein. Er sah den Unglücklichen, wurde innerlich bewegt und handelte; das war alles eins. Von Worten hören wir nichts, wohl aber von einer siebenfachen, also göttlich vollkommenen Tätigkeit. Er trat hinzu - verband seine Wunden - goss Öl und Wein darauf - setzte ihn auf sein eigenes Tier - und führte ihn in eine Herberge - trug dort Sorge für ihn - und am folgenden Morgen übergab er ihn dem Wirt mit den Worten: „Trage Sorge für ihn ... ich werde bezahlen, wenn ich zurück komme". Welch eine Liebe! Wirklich, das ist das ewige Erbarmen, das alles Denken übersteigt! Auf dieser Grundlage ist uns ein ewiger Trost und eine gute Hoffnung gegeben worden. Möchte denn der Widerhall dieses Erbarmens in Herz und Leben stets laut erklingen zum Preis des teuren Jesusnamens!

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Salbung und Weihe

Bibelstelle: 2. Mose 29

Botschafter des Heils 1917 S. 263ff

Gott hat uns erlöst, um in unserer Mitte wohnen zu können (Vergl. V. 46). Dieser Zweck wird völlig erreicht sein, wenn einmal die Hütte Gottes bei den Menschen weilt (Offbg. 21, 3). Heute findet diese Segnung ihre teilweise Erfüllung darin, das; der Heilige Geist in unserer Mitte wohnt (Vergl. Eph. 2, 19 — 22). Wohl mag der Heilige Geist durch den Zustand der Kirche Gottes betrübt sein, aber Er ist deshalb nicht weniger da, um auf uns einzuwirken und uns zu lehren das Gute üben, den Herrn preisen und Sein Wort verstehen. Die gemeinsame Verantwortlichkeit der Gläubigen würde weit besser verstanden, die empfangene Kraft viel mehr verwirklicht werden, ja, weit größere Freude über Gottes Gegenwart würde in unserer Mitte herrschen, wenn wir alles mit dieser Gegenwart in Verbindung brächten und die große Wahrheit besser verständen, dass Gott uns aus der Welt herausgenommen hat, um in unserer Mitte zu wohnen. Vom Pfingsttage an wird von dem Heiligen Geiste nur noch als auf Erden bei der Kirche weilend gesprochen, obwohl Er, als Gott, selbstverständlich überall ist.

In dem vorliegenden Abschnitt wird uns die Weihe Aarons, des Vorbildes von Christo, geschildert, sowie diejenige Aarons und seiner Söhne, die in ihrer Gesamtheit stets ein Vorbild von der Kirche, der Gesamtheit der Familie Gottes, darstellen. Die Priesterweihe hat Verschiedenes gemein mit der bekannten Reinigung des Aussätzigen in 3. Mose 14. Tatsächlich müssen die Christen einerseits von der Sünde reingewaschen und andererseits Gott geweiht sein, um ein heiliges und königliches Priestertum bilden zu können. Wir sind dieses Priestertum dadurch, dass wir Gott angehören. Jeder wahre Christ ist ein Priester Gottes. Bei den Juden war es anders: Jude sein und Priester sein waren zwei verschiedene Dinge.

Die Opfer konnten für die Priester erst dargebracht werden, nachdem diese» gereinigt waren. Was die Heiligung betrifft, so ist sie für alle die gleiche, nämlich göttliches Leben. Quelle und Charakter dieses Lebens sind der Tod und die Auferstehung Christi. Das ewige Leben ist uns gegeben, und dieses Leben ist in dem Sohne: durch das Wasser, den Geist und das Blut wird ein dreifaches Zeugnis abgelegt (1. Joh. 5, 6 — 8). Das Wasser bezeugt die Reinigung, das Blut den Tod und die Sühnung, der Geist die Auferstehung. Solang Christus hienieden weilte, konnte Er nicht das Haupt der neuen Familie, der Kirche, sein. Von einem auferstandenen Christus kommt uns das Leben zu, ein Leben, dessen vollkommener Ausdruck Christus hienieden war.

Aaron nimmt für seine Person einen besonderen Platz ein. Nur von ihm wird gesagt, und zwar ohne dass vorher ein Sündopfer dargebracht worden wäre: „Nimm das Salböl und gieße es auf sein Haupt und salbe ihn“ (V. 7). Die Söhne wurden nachher, in Verbindung mit Aaron, mit dem Salböl besprengt (Vergl. V. 21. 22). So konnte auch Christus, der in sich vollkommen Reine, von dem Heiligen Geist Empfangene, ohne jede Vorbereitung mit dem Heiligen Geiste gesalbt werden. Aaron, das Vorbild von Christo, wird ohne vorhergehendes Opfer mit Ö gesalbt. Nicht nur in Seinem Tode, sondern auch als der hienieden lebende Mensch ist Christus von Gott völlig angenommen worden. Er wurde mit dem Heiligen Geist gesalbt kraft Seiner persönlichen Vollkommenheit.

Mit den Söhnen Aarons war es anders. Um den Dienst Jehovas ausüben zu können, musste für sie zunächst das Sündopfer dargebracht werden. Der Gläubige bedarf der Reinigung, um sich Gott weihen zu können. Das Blut Christi ist dafür erstes Erfordernis. Dieses Blut, das Blut Dessen, der für uns zur Sünde gemacht worden ist, stellt uns in der Vollkommenheit dieses Opfers vor Gott dar. Was die Anwendung des Opfers betrifft, so folgt sie der Heiligung. In diesem Sinne geht die Heiligung unserer Weihung für Gott und unserer Rechtfertigung voraus. Soll das Blut Christi in Seiner rechtfertigenden Wirkung auf uns angewandt werden, so muss der Heilige Geist uns zuerst von der Welt absondern. So musste auch im Vorbilde die Waschung mit Wasser stattfinden, bevor das Sündopfer dargebracht wurde (V. 4). (Es versteht sich von selbst, dass, wenn es sich um die tägliche Heiligung handelt, die Rechtfertigung vorangeht.) Nach dem Sündopfer wurde dann das Brandopfer dargebracht, weil wir vor Gott dargestellt sind entsprechend dem Wohlgeruch des Opfers Christi. 266

In dem Einweihungswidder findet man einen Gedanken mehr, als bei der Reinigung des Aussätzigen, die, wie bereits gesagt wurde, manche Berührungspunkte mit unserem Abschnitt aufweist. Dieser weitere Gedanke ist die Weihung für Gott. Alles in uns muss Gott geweiht werden gemäß der Reinheit des für unvergossenen Blutes und gemäß dem Vertrauen, das es vor Gott verleiht. Wir sind nicht Schuldner des Fleisches (Röm. 8, 12). Es hat keinerlei Rechte mehr an uns. Wir können ihm das Blut Christi entgegenstellen. Satan hat ebenso wenig irgendwelche Rechte an uns; denn der Tod Christi hat alle seine Rechte zunichte gemacht. In unserer Vereinigung mit Christo ist alles Gott geweiht. Die „Kleider“ stellen dabei das dar, was äußerlich bei uns in die Erscheinung tritt, unsere Gewohnheiten, unser Verhaltens unser Wesen u. s. w. Alles muss aus der Salbung hervorgehen, der Salbung mit dem Heiligen Geiste, die vorbildlich an Aaron und seinen Söhnen vollzogen wurde. Nichts weniger als die Zuneigungen und Gewohnheiten Christi sollen auch unsere Zuneigungen und Gewohnheiten sein; alles in uns muss gekennzeichnet sein durch unsere Verbindung mit einem Christus, der jetzt im Heiligtum droben weilt. Unser Charakter muss die Züge tragen, die diesem Heiligtum entsprechen: vollkommener Gehorsam, gänzliche Unterwürfigkeit, Vollkommenheit in allem, ein reines Leben u. s. w. Das Salböl stellt bildlich die Salbung mit dem Heiligen Geiste dar, der Verständnis über die genannten Dinge verleiht und Kraft gibt zu ihrer Verwirklichung. Infolge dieser Salbung verstehen wir, dass wir Himmelsbürger sind.

Auf diese Weise geweiht, waren die Priester in der Verfassung, die Opfer darzubringen.

Die Salbung mit dem Öl (dem Heiligen Geist) hängt von unserer vollkommenen Annahme vor Gott kraft des Opfers Christi ab. Die Gegenwart des anderen Sachwalters oder Trösters in unseren Herzen folgt aus unserer Annahme. Die Salbung Christi dagegen erfolgte, wie oben bemerkt, ohne Opfer, weil Er völlig sündlos war.

Haben wir diesen großen und ernsten Gedanken erfasst, dass alle Christen ausnahmslos nicht nur errettet, sondern auch Gott geweiht sind? und ferner, dass wir als ein ,,heiliges« Priestertum das Recht haben, in Gottes Gegenwart zu treten, und als ein „königliches“ Priestertum gesetzt sind, die Tugenden Dessen zu verkündigen, der uns berufen hat aus der Finsternis zu Seinem wunderbaren Licht? Möge Gott uns Freude und Kraft schenken zur Ergreifung dieser Tatsachen! Möge Er uns andererseits aber auch tief fühlen lassen, welch eine Verantwortlichkeit infolge dieser Weihung auf uns ruht!

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Wie geht’s sich gut

Bibelstelle: Sprüche 18,10

Botschafter des Heils 1917 S. 268ff

Der Name Jehovas ist ein starker Turm; der Gerechte läuft dahin und ist in Sicherheit. (Sprüche18,10)

Wie geht’s sich gut an Gottes Hand

durch Tiefen, über Höhen!

Nichts schreckt uns, wenn wir unverwandt

auf diese Hand nur sehen!

Wir achten dann nicht Drang und Not,

der Vater will ja sorgen!

Ein starker Turm ist unser Gott,

in Ihm sind wir geborgen.

Und tief im Herzen klingt`s so süß:

Er kann mich nimmer lassen,

Es wird in Sturm und Finsternis

des Vaters Hand mich fassen!

Sein starker Arm mich aufrecht hält,

Sein Wort hat nie getrogen,

Sein Licht die finstre Nacht erhellt,

Sein ,,Schweig!“ stillt Sturm und Wogen.

Und wenn wir Ihn ’mal nicht verstehn,

wenn alles uns entgegen,

nur still! — Er wird es wohl versehn,

Sein Ziel ist lauter Segen!

Wir wissen’s ja von vornherein:

bald folgt ein sel’ges Schauen.

Drum lasst uns sein geduldig sein

und blindlings Ihm vertrauen!

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Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1917 S. 269ff

Das Wort Gottes bietet dem Gläubigen für alle Zeiten und Verhältnisse das Nötige dar: Ermunterung und Ermahnung, Trost und Kraft, Belehrung und Unterweisung. Heute ist dieses mehr nötig, morgen jenes, je nach den Umständen des Weges und den Bedürfnissen des Gläubigen. Neben Abschnitten wie Psalm 23, Joh. 14, 1. Petrus 1 und anderen, die so ermunternd und tröstlich zu uns reden, gibt es« solche, die uns den Ernst unseres Weges und unsere Verantwortlichkeit vor Augen stellen, und wieder andere, die uns über Gottes Gedanken und Ratschlüsse belehren. Alles ist notwendig, alles; kostbar, und Gott sei ewig dafür gepriesen, dass Er den unerschöpflichen Schatz Seines Wortes in; unsere Hände gelegt hat!

Neben dem geschriebenen besitzen wir das lebendige Wort, das im Anfang aller Dinge, von Ewigkeit her war und Fleisch geworden ist: Ihn, den Eingeborenen vom Vater, der unter uns gewohnt hat „voller Gnade und Wahrheit“ (Joh. 1, 14). Er war der Prophet, von dessen Erscheinen Mose schon redete, der von Gott gekommene Lehrer, wie Nikodemus Ihn nennt, »Auf Ihn sollt ihr hören«, hatte Mose gesagt. (5. Mose 18, 15.) Und wo war je ein Lehrer wie Er? Holdseligkeit war ausgegossen über Seine Lippen (Ps. 45, 2). „Alle gaben Ihm Zeugnis und verwunderten sich über die Worte der Gnade, die aus Seinem Munde hervorgingen“ (Luk. 4, 22). Selbst die Diener der Pharisäer, die abgesandt waren, um Ihn zu greifen, mussten bekennen: „Niemals hat ein Mensch so geredet wie dieser Mensch“ (Joh. 7, 46). Hohepriester und Schriftgelehrte, Könige und Statthalter, Hauptleute und Kriegsknechte, Hohe und Niedrige — alle mussten sich vor dem gewaltigen Eindruck Seines Wortes beugen. Glücklich diejenigen, welche dieses Wort, die Stimme des Sohnes Gottes, in dem Sinne von Joh. 5, 25 hörten und lebten! Glückselig alle, die sie heute so hören!

Unter den Aussprüchen unseres teuren Herrn sind manche von außergewöhnlicher Lieblichkeit, Worte, die in besonderem Maße das Herz des Gläubigen anziehen und mit unwiderstehlicher Kraft auf seine inneren Gefühle wirken. Zu diesen gehört die Aufforderung des Heilandes an diejenigen, welche für ihr Gewissen Ruhe bei Ihm gefunden haben, indem sie ihre ganze Mühseligkeit und Last auf Ihn warfen: „Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig“.

Unbeschreiblich ist die Ruhe, die ins Herz des Sünders einzieht, wenn er mit seiner ganzen schweren Bürde im Glauben zu Jesu kommt. Früher dem aufgewühlten Meere gleichend, ist das Herz jetzt wie ein stiller, tiefer See. Früher voll Unruhe und Unfriede, Befürchtungen und Zweifel, ruht es jetzt in der Liebe Gottes und auf dem vollbrachten Werke des Heilandes. Früher mühselig und beladen auf dem breiten Wege sich hinschleppend, der in der Verdammnis endet, wandert der Gläubige jetzt frei und glücklich auf dem schmalen Pfade, der zur ewigen Herrlichkeit führt.

Allerdings gibt es auf diesem Wege neue Aufgaben zu lernen; neue, bis dahin nicht gekannte Schwierigkeiten tun sich auf, und es entsteht ganz von selbst in manchem Herzen die Frage: Wie werde ich dem allen begegnen? Wie kann ich die Aufgaben lösen und in den Schwierigkeiten bestehen? Selbstvertrauen wäre hier am allerwenigsten am Platz, aber auch nicht übertriebene Ängstlichkeit, kleingläubiges Sorgen. Der Herr kennt unsere schwachen Herzen, und um uns vor bitteren Enttäuschungen und unruhevollen Stunden zu bewahren, fordert Er in unmittelbarer Verbindung mit der Einladung an die Mühseligen, zu Ihm zu kommen und bei Ihm Ruhe zu finden, uns auf: „Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir, . . . und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen“.

Der Gott dieser Welt sucht den Menschenkindern, bevor sie ihre Zuflucht zu Jesu nehmen, die Nachfolge des Herrn mit möglichst düsteren Farben vor die Augen zu malen, um sie so abzuhalten, sich dem Herrn zu ergeben. Da er aber der große „Lügner von Anfang“ ist, so tun wir gut, uns von ihm abzuwenden und auf die Worte Dessen zu lauschen, der sich selbst „die Wahrheit“ nennt. Sie klingen so tröstlich und ermutigend. „Ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen“, sagt Er, „denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“ Satan sucht uns einzuflüstern: Siehe doch die Entsagungen, die Opfer, die Verachtung, die Verzichtleistung auf alles, was die Welt dir bietet -— was wird dir dafür werden? Diese letzte Frage beantwortet er dann nicht der Wirklichkeit entsprechend, sondern stellt es so hin, als sei es vergeblich und darum höchst töricht, allem zu entsagen und Gott zu dienen. Die Heilige Schrift aber und die Erfahrungen, welche die Gläubigen" heute schon machen, beantworten die Frage der Wahrheit gemäß, und, bald am Ziele angelangt, wird uns überaus herrlich beantwortet werden, was das Teil derer ist, die sich zu Jesu gewandt haben und Ihm hier treu nachgefolgt sind. Hingerissen von der Herrlichkeit der Gegenwart des Herrn, werden auch wir voll Bewunderung und Staunen rufen: „Nicht die Hälfte ist mir berichtet worden; du übertriffst an Weisheit und Gut das Gerücht, das ich gehört habe“ (Vergl.1.Kön. 10, 7).

An Beispielen, wie Satan lohnt und wie schwer sein Joch ist, ist die Heilige Schrift voll. Wir brauchen nur zu denken an das erste Menschenpaar, an Kain, an die Geschichte des Volkes Israel, an Judas. Aus den vielen Bildern des Neuen Testamentes möchten wir die unvergleichliche Geschichte des verlorenen Sohnes herausgreifen. Wie klar sehen wir darin, wie Satan es vergilt, wenn man seinen Einflüsterungen Gehör schenkt!

Wie ganz anders handelt der Herr! Zunächst nimmt Er der Seele die Last ihrer Sünden ab, gibt ihr Ruhe und befreit sie von der Sklaverei Satans, und dann erst stellt Er Ansprüche an sie. Bevor Er etwas fordert, gibt Er. So finden wir es stets in der Schrift. Manche Gläubige verstehen das nicht und suchen deshalb immer wieder an dem verkehrten Ende anzufangen. Sie fordern Seelen, die noch nicht Ruhe gefunden haben im Werke Christi, auf, ein neues Leben zu beginnen, dies und jenes aufzugeben, gute Vorsätze zu fassen, dies oder das zu tun. Weil das aber in eigener Kraft nicht geht, ist das Ergebnis nur Misslingen und Enttäuschung. Ich wiederhole darum: Wie ganz anders beschäftigt sich unser anbetungswürdiger Herr mit den Seelen! Wie vollkommen ist Sein Tun!

An solche, die Ihn kennen gelernt haben als Den, der ihre Schuld am Stamme des Kreuzes getragen und hinweggetan hat, die da sagen können: „Um unserer Übertretungen willen war Er verwundet, um unserer Missetaten willen zerschlagen; die Strafe zu unserem Frieden lag auf Ihm, und durch Seine Striemen ist uns Heilung geworden. Wir alle irrten umher wie Schafe, wir wandten uns ein jeder aus seinen Weg, und Jehova hat Ihn treffen lassen unser aller Ungerechtigkeit“ (Jes. 53, 5. 6) — ja, an solche richtet der Herr die Aufforderung: „Nehmet auf euch mein Joch“.

Da wo die Liebe des Herrn Jesus in Wahrheit erkannt worden ist und genossen wird, offenbaren sich naturgemäß Dankbarkeit und Gegenliebe in einer herzlichen, selbstlosen Hingabe. So finden wir es bei dem Apostel Paulus. Er könnte sagen: „Ich achte alles für Verlust wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um dessentwillen ich alles eingebüßt habe und es für Dreck achte, auf dass ich Christum gewinne und in Ihm erfunden werde“ (Philipper 3, 8).

Solang Satan Herrscher ist, hat man seinen Verkehr unter den Söhnen des Ungehorsams, in den Lüsten des Fleisches; man tut den Willen des Fleisches und der Gedanken. Sobald aber Christus der alleinige Gebieter wird, erwacht in dem Herzen die Frage: „Was willst du, Herr, dass ich tun soll?“ Und die Antwort lautet: „Nimm auf dich mein Joch und lerne von mir“

Bei dem Worte „Joch“ möchte einem ein wenig bang werden; man stellt sich unwillkürlich vor, es gelte eine große, schwere Last aufzunehmen. Aber hinsichtlich des .Joches Jesu trifft das nicht zu. Denn Sein Joch ist sanft, und Seine Last ist leicht. Um das zu verstehen, ist es notwendig, den Weg des Herrn Jesus an unseren Augen vorüberziehen zu lassen. Der Herr wusste, was Seiner hienieden wartete; aber nichtsdestoweniger erklärt Er von vornherein bedingungslos: „Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun“. Mit Ehrerbietung dürfen wir so sehen, wie Er völlig entschlossen war, das Joch, das der Vater Ihm auferlegen würde, zu tragen. Von Seiner Mutter Leibe an war Gott Sein Gott (Ps. 22, 10). Schon beim Betreten dieser Welt wurde Ihm deshalb Verwerfung zu teil. Es gab nicht einmal Platz für Ihn in der Herberge, eine Krippe musste Den aufnehmen, dessen die Erde und ihre Fülle ist. Der König Herodes, fürchtend um seinen Thron, trachtete nach Seinem Leben. „Die Seinigen“, denen Sein Kommen zu ihrer Befreiung und Segnung durch die Propheten längst angekündigt worden war, „nahmen Ihn nicht an“. Ging Er wohltuend und heilend umher, so erntete Er dafür den Hass und Neid der Pharisäer und Schriftgelehrten. In seiner Vaterstadt fragte man: „Ist dieser nicht der Sohn des Zimmermanns?... Woher nun diesem dies alles?“ (Matth. 13, 53 — 58).

Man entblödete sich selbst nicht, Ihn einen Besessenen zu nennen und Seine Gewalt über die bösen Geister Satan zuzuschreiben. Aber das alles, so schmerzlich es war, konnte Ihn nicht aufhalten auf Seinem Wege. Stets finden wir Ihn da, wo der Vater Ihn haben will. Weist man Ihn in einem Orte ab, so wandert Er still und ergeben zum nächsten, um dahin die gute Botschaft zu bringen.

Selbst Seine Jünger verstanden den Herrn so wenig. Wenn Er in einem Dorfe der Samariter keine Aufnahme findet, wollen sie Feuer vom Himmel auf die Bewohner herabfallen lassen, und Er muss ihnen sagen: „Ihr wisset nicht, wessen Geistes ihr seid“. (Luk. 9, 51—56). In Gegenwart des erniedrigten Herrn, des „Dienenden“, streiten sie, wenn Er von Seinem Leiden und Sterben redet, wer von ihnen der Größte sei, und kurz nachher überliefert Ihn einer von ihnen um schnöden Preis, ein anderer verleugnet Ihn unter Flüchen und Verwünschungen, und alle ärgern s1ch an Ihm. Und wie verhält sich der Herr dem allen gegenüber? Seine Gefühle hinsichtlich des Judas werden uns prophetisch in Psalm 41, 9 und 55, 12 -14 mitgeteilt; ja, Er ruft diesem verblendeten, geldsüchtigen Manne, für den es besser gewesen wäre, wenn er nie geboren worden, wehmütig und bewegt zu: „Freund, wozu bist du gekommen?!“ Dem Petrus sagt Er zugleich mit der Ankündigung, dass er Ihn dreimal verleugnen würde voll erbarmender Liebe: „Ich aber habe für dich gebetet, auf dass dein Glaube nicht aufhöre“. Und selbst wenn Er gebunden vor dem Hohenpriester steht und verspien und geschlagen wird, denkt Er in Gnaden an Seinen Jünger! Welch ein Blick muss es gewesen sein, der den armen, gefallenen Jünger traf und zur Besinnung brachte! Schließlich ungerecht verurteilt, lässt Jesus sich willig hinführen, um als ein Missetäter zwischen zwei Räubern gekreuzigt zu werden, und dann— betet Er für Seine Feinde!

Schmerzlich und dornenvoll war der Weg unseres Herrn in jeder Beziehung, aber völlig ergeben in des Vaters Willen ging Er ihn. Des Vaters Wort und Gebot war Seine Lust, Seinen Willen zu tun, Seine Speise. Das Joch war nicht drückend, die Last nicht schwer. Sein Herz genoss die süße Gemeinschaft mit dem Vater und ruhte in Seiner Liebe und Seinem Wohlgefallen. Darum konnte Er, selbst wenn ein Johannes an Ihm irre wurde und die Städte, in welchen Seine meisten Wunderwerke geschehen waren, Ihn nicht annahmen, ausrufen: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies vor Weisen und Verständigen verborgen hast und hast es Unmündigen geoffenbart. Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig vor dir“ (Matthäus 11, 25. 26). Die Freude, den Willen des Vaters zu tun, und der Ausblick in die herrliche Zukunft — „alles ist mir übergeben von meinem Vater“ — ließ Ihn die Leiden und Mühen der Gegenwart gering achten. Das Bewusstsein Seiner völligen Abhängigkeit von und Seiner Übereinstimmung mit dem Vater erfüllte Sein Herz als Mensch mit süßem Frieden und tiefer Freude.

Wie war schon in der Wüste, gelegentlich der Versuchung durch Satan, diese vollkommene Abhängigkeit ans Licht getreten! Wenn auch nach vierzigtägigem Fasten „Ihn hungerte“, half Er nicht sich selbst, sondern wartete auf das Wort aus Gottes Mund. Und später am Rande des Jakobsbrunnens sitzend, durstig und hungrig zugleich, findet Er Trank und Speise darin, den Willen des Vaters zu tun; und wie ist Er gesättigt worden, indem Er die arme Sünderin, die Gott Ihm begegnen ließ, dem Vaterherzen zuführen konnte!

Vom Vater als der Sohn des Wohlgefallens und der König der Herrlichkeit anerkannt, behält Er dennoch Sein Fremdlingskleid und gebietet den Jüngern, niemand von dem zu erzählen, was auf dem Berge geschehen war. Wenn Satan ihm all die Schrecken des Todes als Lohn der Sünde vorstellt, und Ihm das Verlassensein von Gott in all seiner Furchtbarkeit vor die Seele tritt, so dass Er „in ringendem Kampfe“ ist und Sein Schweiß wie große Blutstropfen zur Erde fällt, spricht Er: „Nicht mein Wille, sondern der deine geschehe!“ Beim Herannahen der Häscher weist Er, völlig ergeben in den Willen Seines Gottes und Vaters, jede menschliche Hilfe ab mit den Worten: „Den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, soll ich den nicht trinken?“ Darum konnte Er auch am Ende Seines Weges vor den Vater hintreten und sagen: „Ich habe dich verherrlicht aus der Erde; das Werk habe ich vollbracht, welches du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte“ (Joh. 17, 4).

Und dieser Herr, der Jehova stets vor sich stellte und, was immer auf Ihn einstürmen mochte, alles aus Seines Vaters Hand annahm und so das Joch der vollkommenen Unterwerfung unter des Vaters Willen trug, der zufrieden war, der Allerverachtetste und Unwerteste zu sein, wenn es dem Vater so gefiel, dem der Vater infolge dessen einen Tisch bereitete angesichts Seiner Feinde, und dessen Becher überfloss — dieser Herr, sage ich, ruft uns zu: „Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir“. Er erhebt uns in Seine Gemeinschaft und macht uns zu Seinen „Genossen“. Welch eine wunderbare Gnade, welch ein hohes und gesegnetes Vorrecht! Wir dürfen jetzt Sein Joch tragen und von Ihm lernen. Wir dürfen mit Ihm gehen, an Seiner Seite wandern, und indem wir das tun, erfahren wir, dass das Gehen mit Ihm und das Lernen von Ihm dem Herzen eine wunderbare Ruhe verleiht.

O dass wir alle mehr von dieser .Ruhe kennen möchten! Es ist leider zu befürchten, dass viele Herzen sie nur wenig und selten genießen, und doch möchte der Herr so gern, dass sie unser aller volles und stetes Teil wäre.

Und wie bedürfen wir gerade heute so dringend dieser Ruhe! Möchtest du sie finden, mein lieber Mitpilger? Sie muss gesucht werden, und unsere Stelle weist dir den Weg dazu an. Auf Ihn, den sanftmütigen und demütigen Herrn, schauend, an Seiner Seite wandelnd und von Ihm lernend, wird es dir nicht schwer werden, den eigenen Willen in den Tod zu geben und, gleich Ihm, alles aus der guten und treuen Hand des Vaters zu nehmen. So wirst auch du erfahren, dass das Joch sanft und die Last leicht ist. Freilich, in uns ist keine Kraft, nicht einmal für eine leichte Last; aber Seine Kraft macht uns fähig, auch im Leiden still zu fein, uns selbst zu verleugnen und alles getrost zu tragen, in dem Bewusstsein, dass Er es uns auferlegt hat.

Und das Lernen von Ihm, welch einen Wandel schafft das auf allen Gebieten! Der Vorgesetzte wird unterwiesen, wie er zu handeln, und der Untergebene, wie er seinen Platz einzunehmen hat. Der Reiche empfängt Belehrung, und der Arme kostbaren Trost. Der Mann findet Weisheit und Gnade, um seinen Platz würdig einzunehmen, und die Frau empfängt Kraft für die mannigfaltigen Vorkommnisse des täglichen Lebens, sei es ihrem Mann gegenüber, sei es im Blick auf die Erziehung« und Versorgung der Kinder. Wenn man von Jesu lernt, ordnet sich alles, alles von selbst. Aber dieses Lernen muss Stunde um Stunde geübt werden, da die alte Natur sich immer wieder geltend machen will. Jedermann weiß, dass da gerade unsere Tage uns besondere Aufgaben stellen, aber keiner von uns wolle sich zu entschuldigen suchen durch den Hinweis auf seinen Charakter, seine besondere Veranlagung, die Umstände oder dergleichen mehr!

Durch ein hingebungsvolles Tragen des Joches unseres Herrn und durch unser Lernen von Ihm wird auch ein wirksames Zeugnis unserer Umgebung gegenüber abgelegt, und unser geliebter Herr wird verherrlicht. So bewirke Er denn bei Schreiber und Leser den Herzensentschluss, von Ihm lernend und Seine Gesinnung offenbarend in Seinen Fußstapfen zu wandeln bis zu dem heißersehnten Augenblick Seiner Wiederkunft und unserer Einkehr ins Vaterhaus! Dort in der ewigen Sabbatruhe des Volkes Gottes, in der wolkenlosen Herrlichkeit Seiner Gegenwart werden wir Ihn sehen, wie Er ist, und Ihm gleich sein. Dort werden uns keine Feinde und keine Umstände mehr die Ruhe Gottes streitig machen, und kein erkältender Hauch wird sich je wieder auf die Zuneigungen unserer Herzen legen, wie es hier leider so oft der Fall ist.

Dort wird Ihn mein Auge sehen,

Dessen Lieb’ mich hier erquickt,

Dessen Treue mich geleitet,

Dessen Gnad’ mich reich beglückt.

Dort besingt des Lammes Liebe

Seine teu’r erkaufte Schar,

bringt in Zions sel’ger Ruhe

Ihm ein ew’ges Loblied dar.

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Ein Brief aus dem Jahre 1879

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1917 S. 280ff

Geliebte Brüder!

Nie habe ich ein solches Gefühl von Misstrauen gegen mich selbst empfunden wie jetzt, da ich diese Zeilen an euch richte, und ich wünsche ebenso wohl zu meinem eigenen Gewissen als zu euch zu reden. Ich sollte gar nicht anders schreiben, als indem ich mich auf den niedrigsten Platz stelle; er ist immer der beste, und jetzt ganz besonders der einzig wahre und richtige. Der Niedrigste und Demütigste wird stets der Gesegnetste sein. . . .

Ist es nicht für jedes nachdenkende Gewissen klar. dass der Geist der Welt unter uns eingedrungen ist? Wohl gehen wir nicht in-Gesellschaft, und wenn wir beisammen sind, lesen wir die Schrift und erbauen einander. Die Zucht wird, wie ich voraussetze, mit einer gewissen Treue hinsichtlich alles tatsächlichen und offenbar gewordenen Bösen ausgeübt. Ich übertreibe das Übel nicht. Ich zweifle nicht daran, dass viele christlich gewandelt haben, ja, wohl besser als ich selbst; aber wenn es sich um den Lauf dieser Welt handelt, müssen wir dann nicht sagen, dass wir in hohem Maße deren Gewohnheiten angenommen haben? Nicht, wie gesagt, handgreifliche Weltförmigkeit — aber fand sich nicht bei uns dieses Mit-dem-Strome-schwimmen, dieses Sichgehenlassen, welches den Geist Gottes betrübt und demzufolge jede geistliche Energie, sowie auch das geistliche Verständnis für die Zucht und für den Sinn des Herrn in all unserem Wandel ·abschwächt, — das Unvermögen, das zu prüfen, was das „Vorzüglichere“ ist, um lauter und unanstößig zu sein auf den Tag Christi, erfüllt mit der Erkenntnis Seines Willens in aller Weisheit und geistlichem Verständnis, in allem guten Werke Frucht bringend"? Stehen wir als solche da, die als ein Eigentumsvolk für Ihn gereinigt sind, die nicht sich selbst angehören, sondern um einen Preis erkauft sind? Als Briefe Christi, gekannt und gelesen von allen Menschen, die durch Ihn, nahe bei Ihm und für Ihn leben, wie geschrieben steht: „Christus alles und in allen“, so dass alles, was irgend wir tun, im Namen des Herrn Jesus geschieht? War Christus unser einziger und steter Beweggrund, oder folgten wir den gewöhnlichen Beweggründen der Welt? Waren unser Kaufen und Verkaufen, unsere Häuser und Kleider nach Grundsätzen eingerichtet, die Christus, wenn Er anwesend wäre, billigen würde? Ich möchte sogar fragen: Wandeln wir, wie wir einst gewandelt haben? War ein hingebender Dienst unter den Armen und Bedürftigen vorhanden? Besuchten wir die Waisen und Witwen in ihrer Trübsal, und erhielten wir uns selbst unbefleckt von der Welt? Es steht geschrieben: „Seid nicht gleichförmig dieser Welt, sondern werdet verwandelt durch die Erneuerung eures Sinnes“. Haben wir unsere Leiber zu einem lebendigen Schlachtopfer dargestellt, heilig, Gott wohlgefällig, als unser vernünftiger Dienst, prüfend was da sei der gute und wohlgefälIige Wille Gottes, gleichwie Christus sich selbst geopfert hat bis in den Tod? Welchen Platz hatte und hat Er in unseren Herzen? Leben wir für Ihn, Der in Liebe für uns starb? Wenn das Zeugnis Gottes hinsichtlich der Wahrheit bei den Brüdern war, war es „die Wahrheit, wie sie in dem Jesus ist“, dass wir abgelegt hatten den alten Menschen und den neuen angezogen haben, der nach Gott geschaffen ist in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit? . . .

Ich richte die Frage an mich, ich richte sie an euch: Inwiefern können wir sagen: „Das Leben ist für mich Christus«? Das ist jetzt für uns alle die ernste Frage. Ich möchte nicht entmutigen, im Gegenteil. Der Herr hat uns in Seiner großen Barmherzigkeit nicht verlassen, so sehr wir auch gefehlt haben. Er hat sich überaus gnädig an uns erwiesen, als wir das Gegenteil hätten erwarten können. Wie bald musste der Apostel sagen: „Alle suchen das Ihrige, nicht das was Jesu Christi ist“. Er hat sich voll Barmherzigkeit und Gnade gegen uns gezeigt, und wonach mich jetzt verlangt, ist, dass unsere Herzen dieser Gnade gemäß zu Ihm sich kehren.

„Deshalb, da wir ein unerschütterliches Reich empfangen, lasst uns Gnade haben, durch welche wir Gott wohlgefällig dienen mögen mit Frömmigkeit und Furcht. Denn auch unser Gott ist ein verzehrendes Feuer.“ So handelt Er hier in Seiner Regierung, aber trotzdem haben wir Freimütigkeit zum Eintritt in das AIIerheiligste. Möchten unsere Gedanken dort gebildet werden, indem wir dabei nicht vergessen, dass Er regiert!

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Des Christen Mundschenk

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1917 S. 283ff

Der Glaube ist für den Christen dasselbe, was einst Nehemia für den König Artaxerxes war. (Vergl. Neh. 2, 1 ff.) Er ist der Mundschenk des Christen, der ihm alle Segnungen der Gnade darreicht. Christus allein ist die Quelle der Segnungen, aber der Glaube schöpft aus Christo, nimmt dann den gefüllten Becher und erquickt und erfreut das Herz des Christen. Der Glaube ist gleichsam auch ein Kundschafter, der, durch den Geist Gottes geleitet, alle Fülle in Christo entdeckt und der Seele über alles, was er in Ihm erblickt und erkennt, Bericht erstattet. Indem er so die Dinge Christi dem Herzen vermittelt, bewirkt er das Wachstum des inneren Menschen und befähigt uns, das zu verwirklichen, was uns in Christo geschenkt ist.

In Psalm 23, 5 sagt David aus gewisser Glaubenserfahrung·: »Du bereitest vor mir einen Tisch angesichts meiner Feinde; du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, mein Becher fließt über“. Aber wenn der Glaube seine Flügel hangen lässt und der Blick sich fragend und zagend auf die Umstände richtet, — o wie matt und traurig sitzen wir dann an dem reichgedeckten Tische der Verheißungen und Segnungen Gottes! Gleich Hanna weinen und trauern wir. Zugreifen und essen? Ach nein, so dreist dürfen wir nicht sein. Sobald aber der Glaube aufwacht und wirkt, greift man ohne Bedenken zu, und die Seele genießt in der Tat ein. reiches Mahl. Wie von Mark und Fett wird. sie gesättigt, und mit jubelnden Lippen frohlockt der Mund (Ps. 63, 5). Kein Gericht ist auf dem Tische, oder der Glaube muss es kosten! Er weiß ja nur zu gut, dass Gott die Speisen nicht aufsetzt, damit sie unberührt gelassen werden. Der Glaube ist demütig und kühn zugleich. Er weiß, dass er in Gottes Hause willkommen ist, umso willkommener, ja freimütiger er zugreift und je zuversichtlicher er von Gottes Güte Gebrauch macht.

Drei Dinge werden in besonderer Weise von dem Glauben ausgesagt, nämlich: er reinigt das Herz (Apstgsch. 15, 9), er wirkt durch die Liebe (Gal. 5, 6), und er überwindet die Welt. Drei überaus wichtige und kostbare Dinge! Der Glaube wirkt reinigend und erneuernd auf die Quelle unserer Gefühle und Zuneigungen; er übt eine heiligende Wirkung aus auf alle unsere Beziehungen und Verhältnisse hienieden, und er macht uns zu Überwindern über die uns umgebenden Umstände und Einflüsse.

„Dem Glaubenden ist alles möglich.“