Botschafter des Heils in Christo 1922

02/06/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger
Botschafter des Heils in Christo Inhaltsverzeichnis: 1922Seite
„Er ist die Sühnung für unsere Sünden"1
Fragen aus dem Leserkreise15
„Wir rühmen uns auch der Trübsale"28
Zeichen der Zeit44
Immer näher! (Gedicht)53
Heilbringende, unterweisende und heilende Gnade56
Auch ein Beweis für die wörtliche Eingebung der57
Schriften74
Aus einem alten Briefe79
Wohin sollen wir gehen?82
Der Kluge" und der „gute" Anecht85
Die letzte Station95
Mit Sehnsucht107
Betende Diener113
Das Leben des Christen125
Im ungleichen Joch141
Nicht ein Geist der Furchtsamkeit, sondern der Kraft"154
Der Fels: vollkommen ist Sein Tun"160
Daheim beim Herrn165
Umsonst (Gedicht)168
Fremde Sachen!169
Wüstengnade179
Das Salz der Erde189
Der Tod ist unser192
Gedanken195
Wer ist ein großer Gott wie Gott!" (Gedicht)196
Ein Gott des Wissens197
Bosheit und Verblendung218
Am ersten Wochentage219
Aus einem alten Liede224
Die Sprüche225
Nabe am Ziel235
Herr, es will Abend werden! (Gedicht)252
Uebrigens253
Liebe in Tat und Wahrheit263
Der Prediger276
Der Unterschied zwischen Abendmahl und Tisch des Herrn281

Das Lied der Lieder297
Vertrauen (Gedicht)308
„Meine Hilfe kommt von Jehova"317
Er ist dein Herr, so huldige Ihm!" (Gedicht)325
Bekehrung und Versieglung326


Botschafter des Heils in Christo

Neunundsechszigster Jahrgang

Elberfeld – Verlag von R. Brockhaus

1922
Er ist die Sühnung für unsere Sünden

Bibelstelle: 1. Johannes 2,2

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 1ff

Ein Wort über Versöhnung, Sühnung und Stellvertretung. Anschauungsunterricht ist eines der besten Unterrichtsmittel, um den Begriffen und Gedanken eines Schülers zur Grundlage zu dienen, oder seinen Gedankenkreis zu erweitern und da, wo es nötig ist, zu berichtigen. So hat es auch Gott gefallen, uns in Seinem Worte in mancherlei Weise Anschauungsunterricht zu geben; und wer vermöchte zu unterrichten wie Er? Ach, wenn wir nur aufmerksamere und gelehrigere Schüler wären! Aber wie viel Geduld und Langmut muss Er mit uns haben, wie oft dieselben Unterweisungen wiederholen, bis wir sie endlich erfassen und festhalten!
Vor allein ist es die Person und das Werk Seines geliebten Sohnes, worüber Gott von jeher in immer neuen, lieblichen oder auch ernsten und ergreifenden Bildern und Vorbildern geredet hat. „Niemand erkennt den Sohn, als nur der Vater“, ist freilich ein Wort, das ewiglich wahr bleibt. „Die Vereinigung von Gottheit und Menschheit in einer Person wird selbst auch dann noch ein Geheimnis für uns sein, wenn wir Jesum sehen werden, „wie Er ist“. Aber das was Er war und ist als Sohn Gottes, als Sohn des Menschen, als Diener und Prophet, als König Israels, als Lamm Gottes, als Hoherpriester und Sachwalter, als Haupt Seiner Versammlung, der Gemeinde usw. usw., alles das dürfen wir mit wachsender Erkenntnis und steigender Bewunderung in dem Worte Gottes, in der Schule des Heiligen Geistes, betrachten. Und wer das mit Fleiß und Treue, in Abhängigkeit von oben tut, wird kostbare Unterrichtsstunden erleben.
Heute wollen wir uns ein wenig mit dem beschäftigen, was Gott uns im Alten Testament in vorbildlicher Weise sagt über die Grundlage unserer Beziehungen zu Ihm als Gläubige, d. h. über das große Werk der Versöhnung, wie es durch unseren Herrn und Heiland einst am Kreuze vollbracht worden ist. Zur Veranschaulichung dieses Werkes diene uns die Verordnung über den Versöhnungstag Israels in 3. Mose 16, jenem wunderbaren Kapitel, das man wohl den Kern und Mittelpunkt jenes ganzen, Opfer- und Priesterdienst behandelnden Buches nennen kann.
Der Versöhnungstag war eines der drei Hauptfeste Israels, an welchem alle Männlichen aus dem Volke vor dem Angesicht des Herrn Jehova erscheinen mussten (2. Mose 23, 14 -17). Es wurde gefeiert am zehnten Tage des siebenten Monats, kurz nach dem Feste des Posaunenhalls und wenige Tage vor dem Laubhüttenfest, dem letzten in der ganzen Reihe der Feste. Jeder Israelit musste an diesem Tage „seine Seele kasteien“, sich vor Gott in Buße und SeIbstgericht niederbeugen, und „keinerlei Arbeit“ durfte an ihm getan werden; denn an diesem Tage wurde „Sühnung getan für ihre Sünden, um sie von allen ihren Sünden vor Jehova zu reinigen“ (3. Mose 16, 30). Wer seine Seele nicht kasteite, 3 musste ausgerettet werden aus seinen Völkern, und wer irgend eine Arbeit an diesem Tage tat, den wollte Gott selbst aus der Mitte Seines Volkes vertilgen. (Kap. 23, 28 - 30). Warum dieser heilige Ernst, diese unerbittliche Strenge? Eben weil an diesem Tage immer wieder (denn das Gesetz konnte nichts zur Vollendung bringen) die Grundlagen der Beziehung Gottes zu Seinem Volke erneuert wurden. Es war der Tag der Versöhnung, an welchem nur Gott tätig sein konnte und der Mensch seinen Platz im Staube einnehmen musste. Damit kommen wir zu der Frage:

Was ist Versöhnung?
Das im Neuen Testament für „Versöhnung“ gebrauchte griechische Wort (eg kommt nur in Röm. 5, 11; 11, 15 und 2. Kor. 5, 18. 19 vor; das Zeitwort „versöhnen“ nur in Röm. 5, 10; 1. Kor. 7, 11 und 2. Kor. 5, 18 — 20) bedeutet eigentlich „Ausgleichung, Auswechslung“ (beim Geldgeschäft), dann im weiteren
Sinne „Vergleich, Aussöhnung“. Es bezeichnet also die Entfernung alles Störenden und Trennenden zwischen zwei Parteien, die Zurückführung zu Einheit, Friede und Gemeinschaft zwischen solchen, die einander entfremdet sind, oder sich feindlich gegenüberstehen. Wenn wir das Gesagte auf das Verhältnis zwischen uns und Gott anwenden, so muss nur hinzugefügt werden, dass die Entfremdung und Feindschaft allein auf unserer Seite lag. Bei Gott gab es keine Entfremdung, nur eine gerechte Verurteilung der Sünde in dem Menschen, und diese Gerechtigkeit musste befriedigt werden, wenn anders das gefallene und von Gott entfremdete Geschöpf zu Ihm zurückgebracht oder gar in den Genuss der Ratschlüsse Gottes in Christo eingeführt werden sollte. 
Dass Gott mit uns versöhnt worden sei, ist ein ganz schriftwidriger Gedanke. Wir sind mit Gott versöhnt. Es bedurfte keiner Handlung oder Anregung irgend welcher Art, um Gottes Sinn zu ändern. Er handelte völlig frei und unbeeinflusst, Seiner Natur und Seinen Ratschlüssen entsprechend. In der Liebe Seines Herzens „sandte Er Seinen Sohn als eine Sühnung für unsere Sünden“ (1. Joh. 4, 10), für den gefallenen Menschen, und zwar nicht, um ihn in das frühere Verhältnis, das durch die Sünde völlig zerstört und verwirkt worden war, zurückzuführen, sondern um ein ganz neues Verhältnis zu schaffen, welches sich auf das Erlösungswerk gründet und Gottes Gnadenratschlüsse zur Darstellung bringt. Dennoch ist es eine Zurückführung in die göttliche Gunst, die verloren worden war. 
Die Versöhnung hat in der Heiligen Schrift einen doppelten Charakter oder, vielleicht richtiger ausgedrückt, sie ist zwiefach in ihrer Bedeutung und Wirkung. Sie bezieht sich auf Dinge und Menschen — ein Punkt, der gar oft übersehen wird, und doch redet die Schrift so einfach und klar darüber. So lesen wir z. B. in Kol. 1, 19 und 20: „Es war das Wohlgefallen der ganzen Fülle (der Gottheit) in Ihm (Christus) zu wohnen und alle Dinge mit sich zu versöhnen — indem Er (oder „sie“) Frieden gemacht hat durch das Blut Seines Kreuzes -— durch Ihn, es seien die Dinge aus der Erde oder die Dinge in den Himmeln“. Gott wollte, dass die ganze Schöpfung, das ganze All, von der Verunreinigung und dem Fluche der Sünde befreit und in ihre wahre Ordnung und ihr richtiges Verhältnis Ihm gegenüber gebracht werde. Das Werk dafür ist vollbracht, die gerechte Grundlage ist gelegt worden -— Christus hat Frieden gemacht durch Sein am Kreuze vergossenes Blut —, wenn auch die gesegneten Folgen des Werkes heute noch nicht von uns gesehen werden. Noch „seufzt die ganze Schöpfung und liegt in Geburtswehen“. Aber nicht mehr lange, so werden „die Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge“ kommen (Apstgsch). 3, 21), und schließlich werden ein neuer Himmel und eine neue Erde Zeugnis geben von der Vollkommenheit des auf Golgatha geschehenen Versöhnungswerkes.
Was uns, die Gläubigen, anbetrifft, so kann der Apostel hinzufügen: „Und euch, die ihr einst entfremdet und Feinde wart . . . , hat Er (oder sie) aber nun versöhnt in dem Leibe Seines Fleisches durch den Tod“. Wir sind versöhnt und genießen heute schon, abgesehen von unserem Leibe, der noch dieser Schöpfung angehört, die vollen Ergebnisse der Versöhnung.
Wenn wir über diese Dinge reden, werden wir ganz von selbst an eine andere Stelle erinnert, die schon viel Anlass zu verkehrten Schlussfolgerungen gegeben hat. Wir meinen 2. Kor. 5, 18 — 20, vor allem den 19. Vers: „Gott war in Christo, die Welt mit sich selbst versöhnend“. Was will die Stelle sagen? Es heißt nicht: Gott ist in Christo. Die Stelle redet vielmehr davon, dass der damalige Dienst des Apostels an die Stelle des persönlichen Dienstes Christi getreten war und sich auf die Tatsache gründete, dass Gott Den, der keine Sünde kannte, am Kreuze für uns zur Sünde gemacht hat, auf dass wir Gottes Gerechtigkeit würden in Ihm. Mit anderen Worten: Gott erschien einst in Christo in dieser Wert, in de: Absicht, die Welt mit sich selbst zu versöhnen. Er bot der Welt gleichsam eine Rückkehr zu Ordnung und Segnung an, indem Er in bedingungslos Gnade den Menschen ihre Übertretungen nicht zurechnete. Er rief dem Sünder zu: Ich bin nicht gekommen, zu richten und zu strafen; nein, kehre um zu mir, und ich will vergeben, kehre um, und ich will des Vergangenen nie mehr gedenken! Die Welt aber hat dieses Anerbieten schroff von sich gewiesen. Sie wollte Jesum nicht und hasste Gott. Ihr Zustand war hoffnungslos böse, keiner Wiederherstellung fähig.
Ist nun Gottes Absicht unerfüllt geblieben? Nein, wenn die Gesamtheit Ihn verwirft, so nimmt Er den einzelnen aus dem furchtbaren Zustand, in welchem er ist, heraus und stellt ihn auf einen ganz neuen Boden — „wenn jemand in Christo ist, da ist eine neue Schöpfung“. Freilich gibt es für die Welt als solche jetzt kein Rettungsmittel mehr; sie hat das beste und einzige in ihrer gottfeindlichen Gesinnung
zurückgewiesen, und nun bleibt nur noch Gericht für sie übrig. (Vergl. Joh. 12, 31.) Gott beschäftigt sich in diesem Sinne jetzt nicht mehr mit der Welt. Nachdem Er ihr den höchsten Beweis Seiner Liebe gegeben (Joh. 3, 16), ihr Heil und Leben angeboten hat (Joh. 3, 17; 6, 33. 51), und sie dieses Anerbieten mit tödlichem Hasse beantwortet hat, nimmt Gott nur noch einzelne aus der Welt heraus, an welchen Er Sein Erbarmen groß macht. Fortan heißt es: „auf dass   jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe“ — „wenn jemand in Christo ist“ — „wer da will, der komme“ usw. Und: „Wer nicht glaubt, wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm“ (Joh. 3, 36).
Aber auch in anderer Beziehung wird Gottes Absicht nicht unerfüllt bleiben. Christus kam in diese Welt, »und die Welt ward durch Ihn“ (Joh. 1, 10). Alle Dinge sind durch den Sohn Gottes und für Ihn geschaffen, und sie werden, wie wir bereits hörten, dereinst, auf Grund des Versöhnungswerkes, in einen regelrechten Stand ihres Verhältnisses zu Gott zurückgebracht werden. Sie, die nicht „mit Willen“, wie der Mensch, „der Eitelkeit unterworfen worden sind“, (die geschaffenen Dinge haben keinen Willen, sondern sind durch den bösen Willen des Menschen in die Sklaverei des Verderbnisses mithineingezogen worden) warten sehnsüchtig auf die Offenbarung der Herrlichkeit der Kinder Gottes (Röm. 8, 19 - 22). Auch sie werden dann eine „Wiedergeburt“ erfahren, wie der Herr Seinen Jüngern in Matth. 19, 28 sagt: „In der Wiedergeburt, wenn der Sohn des Menschen auf Seinem Throne der Herrlichkeit sitzen wird, werdet auch ihr usw.“. Es ist dasselbe Wort, welches in Tit. 3, 5 durch den Heiligen Geist auf die Gläubigen angewandt wird. Dass bei der Schöpfung, die keinen Willen hat, nicht von einer Erneuerung dieses Willens, von einer inneren Umwandlung und dergl. gesprochen werden kann, wie bei uns, ist selbstverständlich. Dennoch nennt die Schrift das, was sie dereinst erfahren wird, „Wiedergeburt“.
Man redet und schreibt heute viel von einer „Allversöhnung“. Wenn man mit dem Worte sagen will, dass auch das All, alle Dinge, einmal die gesegneten Wirkungen der durch Christum vollbrachten Versöhnung genießen wird, so ist das gut und schriftgemäß. Schließt man aber die Errettung aller Menschen und schließlich gar auch Satans und seiner Engel darin ein, so ist es schriftwidrig und von Grund aus böse und kann nicht entschieden genug zurückgewiesen werden.
Römer 5, 10. 11 wird nach dem Voraufgegangenen leicht verstanden werden; eher möchten die Worte des Apostels in Röm. 11, 15 dem einen oder anderen Leser Schwierigkeiten bereiten. Es heißt dort: „Wenn ihre (der Juden) Verstoßung die Versöhnung der Welt ist was wird die Annahme anders sein, als Leben aus den Toten?“ Der Sinn der Stelle ist einfach und bestätigt nur das, was wir bisher ausgeführt haben. Die Juden hatten bis zur Verwerfung ihres Messias in einem geordneten Verhältnis zu Gott gestanden, wenn sie auch untreu darin gewesen waren. Die Welt hatte gar keine Beziehungen zu Gott; die Menschen in ihr waren „entfremdet dem Bürgerrecht Israels und Fremdlinge betreffs der Bündnisse der Verheißung“, ohne jede Hoffnung und ohne Gott in der Welt. Nach dem Falle Israels wurde das anders. Gott ließ nun alle Menschen allenthalben auffordern, Buße zu tun. Nach den „Zeiten der Unwissenheit“ (Apstgsch. 17, 30) wurde jetzt das Evangelium Gottes aller Welt angeboten, das Wort der Versöhnung der ganzen Welt ohne Unterschied verkündigt. Wenn nun Israels Verstoßung eine solche Segenswelle über die Welt gebracht hat, welche Folgen muss dann erst Israels Wiederherstellung haben, wenn Gott am Ende sich Seines Volkes wieder annehmen und ihm alle Seine Verheißungen erfüllen wird!
Stellen wir uns jetzt, zu unserem Kapitel zurückkehrend, die Frage, wie die bisher behandelte Wahrheit dort zur Darstellung kommt, so werden wir mit Erstaunen finden, dass die Reinigung des Heiligtums und des Zeltes der Zusammenkunft gerade die Sache war, welche am Versöhnungstage zuerst in Betracht kam. Erst· in zweiter Linie werden Priester und Volk genannt. Die heiligen Ansprüche Gottes mussten zunächst im Blick auf Sein Wohnen inmitten Seines Volkes befriedigt werden. Aaron musste mit dem Blute des Opfertieres „Sühnung tun für das Heiligtum wegen der Unreinigkeiten der Kinder Israel und wegen ihrer Übertretungen, nach allen ihren Sünden“ (V. 16). Die Stiftshütte in der Wüste war in ihren drei Abteilungen ein Bild des Weltalls, und so wie der Hohepriester mit dem Sühnungsblut durch das ganze Zelt bis ins Allerheiligste ging, so ist auch Christus durch die Himmel gegangen und als Hoherpriester ins· Heiligtum eingetreten. Im Alten Bunde wurde alles, Hütte und Altar, durch Blut gereinigt, und so wird Gott einmal alles, was im Himmel und auf Erden ist, mit sich versöhnen durch das Blut Seines geliebten Sohnes. Die Grundlage dafür ist, wie bereits gesagt, im Kreuze Christi gelegt, das Sühnungsblut ist geflossen, das Ergebnis wird im Tausendjährigen Reiche und in der neuen Schöpfung gesehen werden. In gewissem Sinne ist das Weltall das Haus, die Wohnung Gottes. Der Himmel ist Sein Thron, und die Erde der Schemel Seiner Füße. Er lässt sich herab, in dem zu» wohnen, was Christus erschaffen hat, und diese Seine Wohnung muss und wird von der Verunreinigung, die sie durch des Menschen Schuld erfahren hat, gereinigt werden; und dies konnte und kann nur geschehen durch eine vollgültige Sühnung, durch die
„Abschaffung der Sünde“, wie es in Hebr. 9,26 heißt. Das führt uns aber zu der weiteren Frage:

Was ist Sühnung?
Im allgemeinen denkt man, wenn von dem Sühnungswerke Christi die Rede ist, an das Hinwegtun unserer Sünden, an die Bezahlung der Schuld, die wir vor Gott hatten. Man hält das für das Wichtigste, wenn nicht gar für das Einzige. An die Erfüllung der gerechten und heiligen Forderungen Gottes und vor allem an Seine Verherrlichung durch jenes Werk denkt man selten, und doch ist dies gerade die erhabenste Seite der Sühnung, der wichtigste Teil des Werkes. 
Am großen Versöhnungstage mussten (außer dem besonderen Opfer, das der Priester für sich und sein Haus darzubringen hatte) zwei Blicke vor Jehova gestellt werden: der eine, durch das Los bestimmt, für Jehova, der andere für das Volk. Und beachten wir von vornherein wohl: Obgleich die Sünden des Volkes zu der ganzen „Opferhandlung Anlass gaben, wurden doch bei dem ersten Bock, der für Jehova war, diese Sünden gar nicht erwähnt. Sie wurden erst auf den Kopf des zweiten Bockes bekannt und von diesem in ein ödes Land getragen, wo niemand sie mehr sah. Mit dem Blute des ersten Bockes, der im Vorhof  geschlachtet wurde, ging der Hohepriester ins Allerheiligste, um einmal auf und siebenmal *) vor (oder an die Vorderseite) des goldenen Sühndeckels zu sprengen und so Sühnung zu tun für das Heiligtum und in weiterem Sinne für das Volk. „Denn das Blut ist es, welches Sühnung tut durch die Seele“ (Kap. 17, 11).
Warum musste aber das Blut ins Heiligtum gebracht werden? Weil hier der Thron des durch die Sünde verunehrten· und beleidigten Gottes aufgerichtet war. Seine Herrlichkeit erstrahlte über den beiden Cheruben, den symbolischen Wächtern über die Erfüllung Seiner gerechten Forderungen und die Ausführung Seiner richterlichen Wege. Ihre Angesichter waren allezeit gegen die Bundeslade hin gerichtet, in welcher die beiden Gesetzestafeln lagen, die feierliehen Zeugen wider das sündige Volk. Statt dass die zehn Gebote von Israel beobachtet worden wären, übten zahllose Übertretungen derselben ihre befleckende Wirkung auf die Wohnung Gottes aus und heischten Sühnung. Wer aber konnte eine gültige Sühnung vollziehen? Wer das dafür notwendige Opfer bestimmen und bereiten? Gott allein. Und Er tat es. Die beiden Böcke **) bildeten freilich nur ein schwaches Vorbild von jenem reinen und heiligen Opfer, das Gott schon vor Grundlegung der  Welt zuvor erkannt hat, und das allein Ihn wahrhaft befriedigen konnte; aber dennoch reden sie in überaus eindrucksvoller Weise zu uns: Ein Bock für Jehova, ein Bock für das Volk; ein Bock zur Befriedigung der heiligen Ansprüche Gottes, ein Bock zum Hinwegtun der Sünden des Volkes; ein Bock, um die Grundlagen für die Verherrlichung Gottes und Seine Gnadenwege zu legen, ein Bock, um die anklagenden Gewissen zum Schweigen zu bringen und den zagenden Herzen Ruhe zu geben. 
Noch einmal sei es betont: Diese Opfer, die „alljährlich ununterbrochen dargebracht wurden“, konnten die den Gottesdienst übenden niemals vollkommen machen, sie waren außerstande, einen festen Frieden und eine bleibende Ruhe zu geben -— das Bewusstsein der Sünde blieb; aber dennoch, welche Blicke lassen sie uns tun in das Wesen dieser Vorbilder, wie weisen sie uns hin auf den Körper dieser Schatten, auf Christum! „Der Körper aber ist Christi“ (Kol. 2, 17). So wie das Blut des „Bockes für Jehova“ ins Heiligtum gebracht und auf den Gnadenstuhl gesprengt wurde, vor die Angesichter der Cherube, sodass diese jetzt zwischen sich und dem gebrochenen Gesetz das Sühnungsblut erblickten, so ist Christus mit Seinem Blut in die Gegenwart Gottes, in den Himmel selbst, eingegangen, nachdem Er an der Stätte der Sünde, durch Seinen Tod am Kreuze, Gott im Blick auf die Sünde vollkommen verherrlicht hat. In Gleichgestalt des Fleisches der Sünde und für die Sünde gekommen, ist in Ihm dort die Sünde gerichtet worden und eine „ewige Erlösung“ zustande gekommen. 
Zugleich ist in jener Stunde, wie nie vorher und nachher, ans Licht getreten, wer Jesus und wer Gott ist. Zum Kreuze schreitend, konnte Er sagen: „Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht, und Gott ist verherrlicht in Ihm“(Joh. 13, 31.) Wer außer Ihm hätte die Verherrlichung Gottes mit der Ordnung der Frage der Sünde verbinden können? Indem Er sich zur Abschaffung der Sünde als Opfer dahingab, ist alles, was in Gott ist: Seine Majestät, Gerechtigkeit, Liebe, Gnade, Wahrheit, in herrlichster Weise zur Darstellung gebracht worden, und das Blut gibt jetzt auf immerdar Zeugnis davon im Heiligtum droben. 
Man vergisst immer wieder, dass neben den persönlichen Verschuldungen der Menschen die Sünde als solche in der Welt ist und wie eine feindliche Macht zwischen Gott und der Welt steht. Weil sie durch den Fall des ersten Adam in die Welt gekommen ist, musste der letzte Adam sich zuallernächst mit ihrem Vorhandensein, bzw. mit der Entfernung der vorhandenen Sünde beschäftigen. Vergegenwärtigen wir uns diese Tatsache, so verstehen wir den jubelnden Ausruf Johannes’ des Täufers: „Siehe, das Lamm Gottes, welches die Sünde der Welt wegnimmt!“ sowie die Bedeutung der Worte in Hebr. 9, 26: „Jetzt aber ist Er (Christus) einmal in der Vollendung der Zeitalter geoffenbart worden zur Abschaffung der Sünde durch Sein Opfer“. Was der erste Mensch in die Welt gebracht hat, muss durch den zweiten wieder aus ihr entfernt werden. Ich wiederhole: Es handelt sich hier nicht um Sünden, nicht um Schuld, sondern um die Sünde als solche, als Grundsatz oder Element. Nirgendwo heißt es in der Schrift, dass Christus die Sünden aller Menschen getragen habe; sie vermeidet diesen Ausdruck sorgfältig. Es kann auch nicht anders sein. Wie würde Gott sonst irgendeinen Menschen zur Rechenschaft ziehen und richten können? Wäre die Schuld aller bezahlt, so könnte an niemand mehr eine Forderung gestellt werden.
Freilich hätte Gott, nachdem die Sünde in die Welt gekommen war, sich in Seiner Gerechtigkeit des Sünders entledigen können, indem Er ihn das Gericht für seine Schuld treffen ließ. Aber was wäre dann aus Seiner Liebe und aus Seinen Gnadenratschlüssen geworden? Wie hätte Er Seine Herrlichkeit als der Gott, der Licht und Liebe ist, aufrecht halten, wie die Sünde wieder aus Seiner Schöpfung entfernen können? Alles das konnte nur dadurch geschehen, dass das heilige Lamm Gottes in die Welt kam, die Sünde der Welt auf sich nahm, sich zur Sünde machen ließ und, indem Er das tat, alledem entsprach, was die Majestät des Thrones Gottes forderte. Nachdem das geschehen ist, hat sich der Thron des Gerichts in einen Gnadenstuhl verwandelt, die Gnade kann sich frei und ungehindert entfalten, und der Anbeter darf mit Freimütigkeit ins Heiligtum eintreten. Auf Grund des vollbrachten Sühnungswerkes kann nun auch aller Welt Gnade und Vergebung angeboten und jeder Sünder eingeladen werden, von der ganzen Fülle der Gnade Gebrauch zu machen. Das Blut ist vor Gottes Auge, und Er sagt: „Sehe ich das Blut, so werde ich vorübergehen“. 
Im Hinblick auf die kommende Sühnung konnte der heilige Gott vor dem Kreuze eine schuldige Menschheit in Nachsicht tragen, und im Rückblick auf das geschehene Werk kann Er heute in Langmut und Gnade handeln, Seine Sonne ausgehen lassen über Gute und Böse und den feindlichen Menschen den ganzen Schatz Seiner Gnadenreichtümer aufschließen. Allen Forderungen Seines Thrones ist entsprochen, was Ihm gebührte, „Jehovas Teil“, ist Ihm geworden, die Taufe, von welcher Jesus in Luk. 12, 50 redet, ist vollbracht, und nun ist alle „Beengung“ aufgehoben, der Strom der göttlichen Liebe kann seine Schleusenöffnen und sich  ungehindert nach allen Seiten hin ergießen. Die Sünde ist gesühnt, Gott, ist im Sohne verherrlicht, „der durch Gottes Gnade für alles den Tod schmeckte“, und nun kann Gott Ihn wiederum verherrlichen und in Ihm und durch Ihn Seinen wunderbaren Heilsplan im Blick auf die ganze Schöpfung zur Darstellung und Ausführung bringen. Will das aber sagen, dass nun auch alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, wie das nach 1. Tim. 2, 4 Gottes Wunsch und Wille ist? Damit kommen wir zu dem letzten Teil unseres Gegenstandes, zur Beantwortung der Frage: Was ist Stellvertretung?

Fußnoten:
*) „Sieben“ ist die Zahl der Vollkommenheit in geistlichen Dingen, so wie „Zwölf“ eine Vollkommenheit in einer dem Menschen anvertrauten Regierung oder Verwaltung andeutet.
**) Es braucht kaum gesagt zu werden, dass die beiden Opfertiere einen Christus vorstellen, aber einen Christus in der doppelten Bedeutung Seines Opfers, in dessen Richtung Gottwärts und Menschenwärts.

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Gajus

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 15ff

Der Name „Gajus“ begegnet uns einige Male im Neuen Testament. Da jedoch keine Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass es sich immer um dieselbe Person handelt, so wollen wir uns heute nur mit dem Gajus beschäftigen, an den der Apostel Johannes seinen dritten Brief gerichtet hat. 
Wie schon in seinem zweiten Briese an die „auserwählte Frau“, redet Johannes hier nicht in seiner amtlichen Eigenschaft als Apostel, sondern nennt sich „Ältester“. Beide Briefe tragen einen vertraulichen, familiären Charakter; die Äußerungen eines mit apostolischer Machtvollkommenheit bekleideten Mannes fehlen nicht völlig, sind aber selten. 
Der Titel, den der Apostel sich beilegt, ist von besonderer Lieblichkeit. Der Älteste schaut sich um nach der Herde. Sein wachsames Auge entdeckt da viele Verführer, die in die Welt ausgegangen sind, und er warnt die auserwählte Frau vor ihnen. Hier sieht er einen hochmütigen Diotrephes, der seine Zunge sogar gegen ihn, den treuen Knecht des Herrn, in den Dienst des Bösen stellte. Beide Erscheinungen erfüllen das Herz des Apostels mit Kummer. Aber es gab auch Dinge, die ihn erfreuten: Nicht nur hatte er einige Kinder einer gläubigen Frau in der Wahrheit wandelnd gefunden, sein Auge nahm auch einen Gajus wahr, einen treuen Mann, dessen Treue auch von anderen bezeugt und bestätigt wurde, und dem gegenüber er nun sein Herz öffnen konnte. 
Er wendet sich an diesen Mann, der selbst vor einem Diotrephes nicht zurückschreckte, wie an einen vertrauten Freund und nennt ihn seinen „geliebten“ Gajus. Dieser Ausdruck ist für unseren Brief bezeichnend; er kommt viermal vor. Die Erlösten sind alle „Geliebte“. Die Gnade hat sich zu ihnen herabgeneigt und sie als Gegenstände der Liebe Gottes aus der gegenwärtigen, bösen Welt herausgenommen, so dass sie aus einem ganz besonderen Boden stehen und von den übrigen Menschen, wenngleich von Natur um nichts besser als sie, dennoch klar unterschieden sind. Jeder von ihnen ist mit einer Liebe geliebt, die wunderbar und überwältigend ist, die ihre Gegenstände nie aufgeben kann, sondern sie sicher geleiten wird bis zum Ziele. 
Aber hat es nicht noch eine besondere Bedeutung, wenn Gajus in unserem Briefe immer wieder als „Geliebter“ angeredet wird? Es ist anzunehmen. Die Schrift redet ja öfter von einzelnen Gläubigen, aber die Weise, wie sie es tut, ist verschieden. Daniel wird ein „Vielgeliebter“ genannt, an anderen Männern wird ihre Gottesfurcht, ihre Treue und Sanftmut gerühmt. (Vergl. auch die Grüße in Röm. 16.) Sollte es mit Gajus nicht ähnlich sein wie mit dem Apostel Johannes selbst, der in seinen jungen Jahren (und zwar er allein) genannt wird: »der Jünger, den Jesus lieb hatte“? (Vergl. Joh.13, 23; 19, 26; 20, 2; 21, 7. 20). Dass der Herr alle Seine Jünger in einem Sinne mit derselben Liebe liebte, ist selbstverständlich, und sie waren sich dessen auch mehr oder weniger bewusst. Auch wir sind es heute, und lieblich offenbart sich das in dem gemeinsamen Lobgesang der Erlösten in Offbg. 1, 5. 6:
„Dem, der uns liebt . . . .“ Fragen wir aber, ob alle Jünger die Liebe des Herrn in gleicher Stärke erwiderten, sodass Er sich auch allen in gleicher Weise offenbaren konnte, so müssen wir antworten: Nein, es gab Unterschiede. Einem Johannes, der sich viel in Seiner Nähe aushielt, ja, an Seiner Brust ruhend, mit Ihm in inniger Gemeinschaft stand, konnte der Herr sich ganz anders offenbaren, als den anderen Jüngern. 
Wir dürfen, wie gesagt, annehmen, dass auch Gajus, seinem Lehrer gleichend, sich den wohltuenden Strahlen der Liebe des Herrn oft und gern aussetzte und, von ihnen belebt und erwärmt, seiner Dankbarkeit in besonderer Weise durch ein treues, hingebendes Leben Ausdruck gab. Personen, von denen solches gesagt werden kann, betrachten zu dürfen, ist schon lieblich und wohltuend für uns; wer aber könnte sagen, was es für das liebende Herz unseres Herrn ist, wenn Er eine solche Antwort auf Seine Liebe von einem Seiner Heiligen erhält? Sollte es darum nicht unser aller herzliches Begehren und Bemühen sein, auf die Liebe unseres Herrn so zu antworten, dass unsere Dankbarkeit sich nicht allein in Worten zeigt, sondern auch in der tätigen Hingebung und Widmung eines ungeteilten Herzens? 
Der Apostel liebte Gajus „in Wahrheit“, oder „in der Wahrheit“, ein Ausdruck, der für seine beiden letzten Briefe kennzeichnend ist. Es war nicht eine Liebe in Worten allein, noch weniger eine erheuchelte Liebe; nein, die Herzen beider Männer waren in aufrichtiger Liebe miteinander verbunden. Kein Wunder auch! Der Apostel, von dem Herrn selbst berufen, das Wort des Lebens, das beim Vater war und uns geoffenbart worden ist, zu verkündigen, hielt die ihm anvertraute Wahrheit fest, wandelte darin und übte treu und hingebend seinen Dienst aus. Auf solchem Pfade muss aber ein Diener vielfach die Erfahrung machen, dass er nicht verstanden, oft auch falsch ausgelegt und selbst verleumdet wird. In solcher Lage ist es wohltuend, einen Geliebten des Herrn zu kennen, dem man in Wahrheit sich anvertrauen kann, bei dem man Verständnis findet für vorliegende Umstände und Verhältnisse. Nicht jedem kann man sich da zuwenden, um ihm das Herz zu öffnen und ihm seine innersten Gefühle zu offenbaren. Dem Gajus gegenüber konnte der Apostel das tun. Da standen keine Hindernisse im Wege. Mit ihm konnte er rückhaltlos reden, ohne befürchten zu müssen, missverstanden zu werden. 
Nach der kurzen Einleitung hebt Johannes seine Mitteilungen mit den Worten an: „Geliebter, ich wünsche, dass es dir in allem wohlgehe und du gesund seiest, gleichwie es deiner Seele wohlgeht“. Es scheint, dass Gajus durch Prüfungen zu gehen hatte, vielleicht auch körperlich nicht gesund war. Wie lieblich sind da die Gefühle, die der Älteste ihm gegenüber offenbart! Wie müssen sie Gajus ermuntert und aufgerichtet haben, wenn er wirklich Schweres zu erdulden hatte! Der Apostel hätte ihn heilen oder seine Umstände wenden können. Als Apostel war er dazu befähigt. Aber Gajus befand sich in der Erziehung seines Gottes und Vaters, und da wartete selbst ein Apostel ruhig ab und sah dem weisen und gesegneten Tun des himmlischen Erziehers zu. So schrieb auch einst Paulus: „Trophimus habe ich in Milet krank zurückgelassen“, und seinem magenleidenden Kinde Timotheus riet er, „nicht länger nur Wasser zu trinken, sondern ein wenig Wein zu gebrauchen“. Am Throne der Gnade sich für die geliebten Brüder zu verwenden und ihre Namen mit Freimütigkeit dort zu nennen, stand auch den Aposteln allezeit zu, und wie werden sie von diesem Vorrecht Gebrauch gemacht haben! (Vergl. Phil. 2, 27). Sie waren nicht gleichgültig und ohne Gefühle für den körperlichen Zustand ihrer Brüder. So wünscht Johannes seinem geliebten Gajus, dass es ihm wohlgehen und er gesund sein möge, aber die Erfüllung des Wunsches überlässt er Gott.
Der Nachsatz zu dem Wunsche des Apostels ist sehr schön: „. . . . gleichwie es deiner Seele wohlgeht“. Glücklicher Gajus! Wohl dir, dass du durch manche Probe und Übung zu gehen hast! Dein inneres Leben nimmt darin nicht ab, es verliert sich nicht; nein, deiner Seele dient es zum Wohle. Die Übungen treiben immer in die Nähe des Herrn. Dort, in dem untrüglichen Lichte des Angesichts Gottes, wird der eigene Wille zerschlagen, man lernt, von sich selbst abzusehen und sich den Händen und der Leitung des Herrn anzuvertrauen. Welch ein Gewinn deshalb, so geübt zu werden und in den Übungen sich zu bewähren! Der äußere Mensch mag da vielleicht verfallen; aber was  tut’s? wenn nur der innere Tag für Tag erneuert wird. Und die Schwierigkeiten, „das schnell vorübergehende Leichte unserer Drangsal, bewirken uns ein über die Maßen überschwängliches, ewiges Gewicht von Herrlichkeit“ (Vergl. 2. Kor. 4, 16 —18). 
„Wenn die Seele sich weidet an der Liebe Gottes, an der Person Jesu und an Seinem Worte, so muss
es ihr wohlgehen. Und redet es nicht mächtig zum Herzen, eine solche Seele in all« dem Schweren, das sie vielleicht zu durchleben hat, in jener Liebe ruhen und den tiefen Frieden Gottes genießen zu sehen, der allen Verstand übersteigt? — „Gleichwie es deiner Seele wohlgeht.“  Ach, nicht immer kann das von den Gläubigen gesagt werden. Vielfach ist das Gegenteil der Fall. Wie mancher ist in dieser Welt vorwärtsgekommen! Äußerlich geht es ihm wohl, er steht in nichts seinen unbekehrten Mitmenschen nach, vielleicht hat er gar viele von ihnen überholt — aber die Seele, wie steht es um sie? Geht es ihr wohl? Ach! der äußere Mensch ist gediehen, ist fett geworden, und der innere ist verfallen, die Seele ist abgemagert. Welch ein Verlust! 
Mein lieber gläubiger Leser! Trifft das entworfene Bild vielleicht bei dir zu? O dann erkenne und bekenne es! Reiße dich los aus den Fesseln, entrinne dem Strick des Vogelstellers! Dass die Tage des Wohlergehens große Gefahren in sich bergen, ist bekannt. Schon beim Volke Israel finden wir immer wieder, dass es die guten Tage nicht vertrug, und bei manchen Christen sehen wir heute dasselbe. Wie ernst richten sich auch an uns die mahnenden Worte: „Also lasst uns nun nicht schlafen“ . . sondern wachen und nüchtern sein! Denn die da schlafen, schlafen des Nachts, und die da trunken sind, sind des Nachts trunken. Wir aber, die von dem Tage sind, lasst uns nüchtern sein, angetan mit dem Brustharnisch des Glaubens und der Liebe usw.“ (1. Thess. 5, 6 — 8). Ja, lasst uns dankbar sein, wenn Gott uns durch mancherlei Prüfungen gehen lässt, und, eingedenk des gesegneten Zwecks derselben, ergeben und willenlos darin ausharren! Im Genuss der reichen Liebe Gottes und indem wir erfahren, was wir sind, aber auch was Er ist, wird es unserer Seele wohlgehen; und was könnte an Wert damit verglichen werden? So werden wir dann auch treue Zeugen und Zeuginnen des Herrn sein, und unser ganzer Geist und Seele und Leib wird tadellos bewahrt werden bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. 
Zu Johannes kamen ab und zu Brüder, die sich im Werke des Herrn bemühten. Sie hatten auf ihren Reisen auch Gajus kennen gelernt und sich davon überzeugen dürfen, dass er an der ihm anvertrauten Wahrheit festhielt. Mochten die Verführer, deren es schon in jenen Tagen so manche gab, oder selbst der eigenwillige Diotrephes kommen, Gajus, unterwiesen durch die „Salbung von dem Heiligen“ und im Herrn bleibend, war imstande, das schöne, anvertraute Gut so zu bewahren, wie er es von dem Apostel empfangen hatte. Fest und mutig trat er für die Wahrheit ein. Im Glauben hielt er fest an der ,,Lehre des Christus« und genoss so die Liebe des Vaters und des Sohnes (2. Joh. 7 — 9). Die von dem Apostel empfangenen Mitteilungen, „das was er von Anfang gehört hatte“, hielt er unversehrt und unverändert aufrecht.
Auch wandelte er in der Wahrheit, gleich den Kindern der auserwählten Frau. Der Wandel in der Wahrheit verursacht zu allen Zeiten Kämpfe und Schwierigkeiten. Der Mensch liebt sie nicht, weil sie für sein Ich und seinen Willen gar keinen Raum lässt. So war es schon damals, und so ist es in unseren Tagen; ja, heute ist der Weg für den Treuen noch ungleich schwieriger als im Anfang, weil die Verwirrung weit größer ist und der Verführer viele geworden sind. Andererseits sind wir besser daran, als die Gläubigen der ersten Tage, insofern wir die ganze geoffenbarte Wahrheit besitzen und gesammelt in Händen halten. 
Für das Herz des hochbetagten Apostels muss es eine große Freude gewesen sein, als er vernehmen
durfte, dass Gajus an der Wahrheit festhielt und in ihr wandelte. Sollte es das Herz unseres Herrn weniger erfreuen, wenn Er heute, inmitten des großen Verfalls, einige wenige Getreue entdeckt, die mit Entschiedenheit an der ganzen Wahrheit festzuhalten und in ihr zu wandeln begehren? Ein bloßes Bekenntnis ohne Wirklichkeit ist allerdings wertlos, ja, weniger als das; es kann nur das Missfallen des Herrn hervorrufen. Aber wo eine echte Liebe zur Wahrheit sich mit einem aufrichtigen, wenn auch schwachen und unvollkommenen Wandel verbindet, da wird Seine Anerkennung nicht fehlen. 
Das treue, entschiedene Festhalten an der Wahrheit setzt uns aber nicht nur Schwierigkeiten, sondern auch mancherlei Angriffen aus. Diese kommen oft selbst von Seiten derer, die dem Herrn anzugehören bekennen, aber meinen, es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen zu müssen. Zufrieden damit, errettet zu sein, möchten sie um des lieben Friedens und der äußeren Einheit willen jede Meinung gelten lassen. Man kann das vielleicht verstehen, wenn es sich um nebensächliche, untergeordnete Dinge handelt, aber im Blick auf ernste Grundsätze und wichtige Teile der Wahrheit trifft es nicht zu. Gajus hat nicht so gedacht. Mit allem Ernst war er daraus bedacht, das Empfangene zu verteidigen, für den einmal den Heiligen überlieferten Glauben zu kämpfen. Und wer sind wir, dass wir irgend einen Teil der uns anvertrauten Wahrheit preisgeben dürften? Ob es sich handelt um den Zustand des Menschen von Natur, oder um die Vollgültigkeit des ein für allemal vollbrachten Werkes Jesu Christi, ob um die ewige Verdammnis der Gottlosen oder um das ewige Heil derer, die im Glauben ihre Zuflucht zu Jesu genommen haben, ob um die Wahrheit von der Einheit des Leibes, der Versammlung, oder um die Darstellung dieser Einheit der Gläubigen in der Welt und die Reinheit des Hauses Gottes, ob endlich um die Auferstehung des Leibes oder um die hochgelobte Person des Herrn Jesus als Gottes- und Menschensohn — alles ist für den Treuen von größter Wichtigkeit, Dinge, über die er eifersüchtig wacht. Menschliche Meinungen und Vernunftgründe haben für ihn keinen Wert; nach dem Vorbilde seines Herrn sagt er immer wieder: „Es steht geschrieben“. Das war entscheidend für Gajus, und das sollte auch für uns alle Fragen entscheiden. Es muss auch den täglichen Wandel in jeder Beziehung beeinflussen, sodass die Widersacher keine Veranlassung darin finden, uns auf Grund unseres Bekenntnisses zu verurteilen (Vergl. Dan. 6,5.6). 
Gajus hat aber auch dem Worte des Apostels Paulus gemäß gehandelt: „die Wahrheit festhaltend in Liebe“. Sein Wandeln in der Wahrheit war mit praktischer Liebe verbunden. Die umherreisenden Brüder konnten Zeugnis ablegen von der Liebe, die er ihnen erwiesen hatte, und Johannes, oder vielmehr der Herr, konnte sagen: „Geliebter, treulich tust du, was irgend du an den Brüdern, und zwar an Fremden, getan haben magst“ (V. 5.) Es war auch in der Tat Treue und Entschiedenheit dazu nötig angesichts eines Diotrephes, der es nicht dulden wollte, dass man die Brüder an- und aufnahm, ja, der solche, die es taten, aus der Versammlung stieß. (V. 10.) Ob Gajus die Belehrungen der Apostel Paulus und Petrus hinsichtlich der Gastfreundschaft kannte, wissen wir nicht. Jedenfalls handelte er nach den Worten: „Seid gastfrei gegeneinander ohne Murren“, „der Gastfreundschaft vergesset nicht“, „nach Gastfreundschaft trachtet“. (1. Petrus 4, 9; Hebräer 13, 1; Römer 12, 13). Er nahm die Brüder vor allem um des Herrn willen auf, wissend: wer sie aufnahm, der nahm den Herrn auf, „wer aber den Herrn aufnimmt, nimmt Den auf, der Ihn gesandt hat“ (Joh. 13, 20.) Er liebte den Herrn und folglich auch die Brüder, und so waren Herz, Hände und Haus offen für sie. Es ist heute noch ein hohes Vorrecht, die Brüder aufnehmen zu dürfen, und welch ein Segen da- mit verknüpft ist und ins Haus einkehrt, das wissen die am besten, welche sich vom Herrn für die Aufnahme Seiner Knechte gebrauchen lassen. 
Jene Brüder, Diener des Herrn, waren nicht ausgegangen um schnöden Gewinnes willen, nicht um versorgt zu sein, sondern um Seines Namens willen. Sie waren ausgegangen aus Liebe zu ihrem Herrn und ließen sich von Ihm verwenden in Seinem Weinberg und unter Seiner Herde. Sich solcher Männer anzunehmen, ihnen in Liebe zu dienen und sie auf ihrem oft verleugnungsvollen Pfade „in gotteswürdiger Weise zu geleiten“, ließ Gajus sich angelegen sein; und gewiss, der Herr hat mit Wohlgefallen diese Liebesdienste wahrgenommen und droben verzeichnet. Die Belohnung wird nicht ausbleiben.
Die Wahrheit, welche jene Diener des Herrn brachten und verkündigten, gab sich in ihrem eigenen Auftreten kund. Vertraut mit den Verheißungen des Herrn hinsichtlich des Unterhaltes Seiner Knechte, verließen sie sich völlig auf Ihn und nahmen die Ungläubigen nicht in Anspruch. Wie einst Serubbabel und Jeschua nicht erlaubten, dass die Feinde Israels am Tempelbau mithalfen, indem sie ihnen antworteten: „Es geziemt euch nicht, mit uns unserem Gott ein Haus zu bauen“ (Esra 4, 1 — 3), so wiesen auch diese Knechte des Herrn jede Teilnahme der Unbekehrten am Werke des Herrn ab. Es geziemte sich nicht und geziemt sich heute nicht, in dieser Sache irgendwelche Gemeinschaft mit denen zu machen, die der Welt angehören, welche einst Jesum verwarf und heute Ihn hasst. Der Herr wird auch stets das Vertrauen Seiner Knechte lohnen, die so in Abhängigkeit von Ihm vorangehen.
Dem Gajus wird seine Liebestätigkeit ganz besonders hoch vom Herrn angerechnet. Die ganze Versammlung musste erfahren, mag er den Dienern des Herrn getan hatte, und wie sie durch seine Liebe erquickt worden waren. Ja, durch sein Tun wurde er noch in besonderer Weise ein „Mitarbeiter der Wahrheit“. Bezeichnend ist, dass der Apostel hinzufügt: „Wir nun sind schuldig, solche aufzunehmen“ (V. 8). Sind wir dieser Schuld immer eingedenk gewesen, und haben wir daran gedacht, solche Männer in ihrer Arbeit zu unterstützen? Nach allem, was wir von Gajus vernehmen durften, können wir gut verstehen, warum Johannes Vertrauen zu ihm hatte und hoffte, ihn bald zu sehen und mündlich sich mit ihm austauschen zu können. Einem solchen Mann konnte er von ganzem Herzen zurufen: „Friede dir!" 
Lieblich und lehrreich zugleich sind solche Mitteilungen des Wortes Gottes. Es tut dem Herzen wohl, sehen zu dürfen, wie der Herr sich so freundlich zu uns herablässt, wie Er auf alles eingeht, um alles sich kümmert. Seinem Auge und Herzen entgeht nichts, was für Seine teuer erkaufte Herde von Bedeutung ist. Darum, Geliebte, lasst uns aus diesem kurzen Briefe viel lernen! Möchten wir das „Gute“, das uns in Gajus so anziehend entgegentritt, „nachahmen“, und das „Böse“, wie es sich in Diotrephes zeigt, „meiden“! Es ist interessant, hier schon so manches Schöne von Gajus zu erfahren; wie wird es- aber erst an jenem Tage sein, wenn wir vor dem Richterstuhl Christi stehen werden, um zu empfangen, ein jeder „nach dem er gehandelt hat, es sei Gutes oder Böses“! 
Hier schon sind die Unterschiede groß, wir sprachen bereits davon. Das Zeugnis, das dem Demetrius in unserem Briefe gegeben wird, ist auch schön und begehrenswert, aber es steht doch nicht auf derselben Höhe wie das andere. So wird auch von Benaja, dem Sohne Jojadas, einem der Helden Davids, gesagt: „Vor den Dreißigen war er geehrt, aber an die ersten Drei reichte er nicht“ (2. Sam. 23, 23). Auch dann, wenn der wahre David auf Seinem Throne sitzen und Seine Belohnungen austeilen wird, werden große, vielleicht uns alle überraschende Unterschiede gesehen werden, und das sollte uns gewiss ernst stimmen und uns veranlassen, allezeit überströmend zu sein in dem Werke des Herrn. Aber zugleich dürfen wir versichert sein,  dass unser gnädiger und reicher Herr einem jeden. Seiner Getreuen unendlich mehr geben wird, als diese es sich je hätten träumen lassen: „ein gutes, gedrücktes und gerütteltes und überlaufendes Maß“ wird Er in unseren Schoß schütten. Nicht einen Becher kalten Wassers, der in Seinem Namen gereicht wird, will Er unbelohnt lassen. Ja, mit Wohlgefallen wird Er auch uns sagen: „. . . . insofern ihr es einem dieser meiner Brüder getan habt, habt ihr es mir getan“.

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Fragen aus dem Leserkreis

Bibelstelle(n): 1. Korinther 10, 16

Entnommen aus: Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 28

Darf man sagen, dass der Leib unseres Herrn Jesus am Kreuze „gebrochen“ worden sei?
Nein. Die Schrift sagt das niemals, und in Wirklichkeit ist es auch nicht geschehen. Im Gegenteil bezeugt Johannes in feierlicher Weise, dass die Kriegsknechte die Beine Jesu nicht gebrochen hätten, auf dass die Schrift erfüllt würde: Kein Bein von Ihm wird zerbrochen werden; dass aber einer von ihnen mit einem Speer seine Seite durchbohrt habe, wiederum zur Erfüllung einer anderen Schrift: „Sie werden Den anschauen, welchen sie durchstochen haben.“ Die in älteren Bibelübersetzung fast allgemein vertretene Wiedergabe der Worte des Herrn in ersten Korinther 11, 24: „Dies ist mein Leib der für euch gebrochen wird“, ist unrichtig. Das Wort „gebrochen“ fehlt in den besten Handschriften und ist von den Abschreibern später eingeschoben worden, im verständlichen Anschluss an das vorher berichtete Brechen des Brotes durch den Herrn. 
Bei der Feier des Abendmahls erinnert das eine Brot zunächst an den einen Leib – „denn ein Brot, ein Leib sind wir, die Vielen, denn wir alle sind des einen Brotes teilhaftig“. (1. Korinther 10, 17). Dann wird das Brot „gebrochen“, damit es das passende Bild von dem für uns dahingegebenen Leib unseres Herrn sei Schließlich „essen“ wir von dem gebrochenen Brote und „trinken“ aus dem ausgegossenem Kelch - beide, sowohl jedes für sich als auch in ihrer Trennung voneinander, sprechende Sinnbilder von einem gestorbenen Christus. Das, was der einzelne Teilnehmer tut, ist also nicht das Brechen des Brotes; der einzelne isst und trinkt. (Ersten Korinther 11, 26 - 29; Matthäus 26, 26. 27). Das Brechen des Brotes geht der eigentlichen gemeinsamen Handlung voran.

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Er ist die Sühnung für unsere Sünden

Bibelstelle: 1. Johannes 2, 2

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 29ff

Was ist Stellvertretung?
Es ist erstaunlich, wie wenig im allgemeinen der Unterschied zwischen Sühnung und Stellvertretung beachtet und in seiner tiefgehenden Bedeutung verstanden wird. Die ernsten Folgen davon sind einerseits ein unklares, unbestimmtes Evangelium und andererseits eine mehr oder weniger große Unsicherheit oder gar Friedelosigkeit in den Herzen der Gläubigen. Solche Folgen lassen uns verstehen, wie wichtig es ist, jenem Unterschied nachzuforschen und auf Grund des Wortes Gottes festzustellen, was denn beide Worte wirklich bedeuten. Der Herr wolle uns bei dieser Untersuchung behilflich sein durch die Leitung Seines Heiligen Geistes!
Über „Sühnung“ haben wir schon das eine und andere geredet. Das Wort „Stellvertretung“ erweckt von vornherein den Gedanken an Einzelwesen, an Personen, für die ein anderer eintritt, indem er ihre Rechte wahrnimmt oder, wie in dem vorliegenden Falle, ihre Verpflichtungen einlöst. Auf den Herrn Jesus und Sein Opfer angewandt, kann also im Blick auf die Schöpfung oder die Welt von einer „Stellvertretung“ nicht geredet werden. Während hier der Gedanke einer geschehenen „Sühnung“ durchaus am Platze ist, wäre  „Stellvertretung“ geradezu sinnlos. So lesen wir denn auch: „Er ist die Sühnung für unsere Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die ganze Welt“ (1.Joh. 2, 2). Der Gläubige darf sagen, dass alle seine Sünden gesühnt sind, und er kann hinzufügen, dass diese Sühnung in ihrem Werte und in ihrer Wirksamkeit sich auf die ganze Welt erstreckt, sodass jedermann, ob Jude, Heide, Mohammedaner oder Namenchrist, kommen und, gleich ihm, von derselben Gebrauch machen kann; ja, mehr noch, das ganze Weltall wird, wie wir in dem vorhergehenden Abschnitt gesehen haben, einmal die gesegneten Folgen dieses Sühnungswerkes genießen. Ganz falsch aber wäre es, wenn man aus den angeführten Worten den Schluss ziehen wollte, dass Christus die Sühnung der Sünden der ganzen Welt oder der ganzen Menschheit sei; Luther hat die Stelle wohl so verstanden, denn er übersetzt mit der Vulgata: „Nicht allein aber für die unseren, sondern auch für der ganzen Welt“ („Sünden“ nämlich). Aber diese Übersetzung ist unmöglich; sie stände auch mit der übrigen Belehrung des Wortes Gottes in unmittelbarem Widerspruch. Der Gedanke der Sühnung bzw. Entfernung der Sünden der Welt ist der Schrift völlig fremd. 
Nirgendwo lehrt sie, dass Christus alle Sünden getragen habe, oder mit anderen Worten, dass Er — und damit kommen wir zu der wahren Bedeutung des Wortes „Stellvertretung“ — für die Vergehungen und Schulden aller Menschen haftbar gemacht worden sei und an der Stelle der Schuldigen die gerechte Strafe von Seiten Gottes getragen habe. Wäre das geschehen, so könnte kein Mensch verloren gehen; Gott wäre ungerecht, wenn Er noch irgend eine Forderung an den Sünder stellen wollte; die Verdammnis wäre eine Fabel, die Lehre von einer ewigen Vergeltung eine Lüge usw. Wenn die Schrift von Sündenvergebung redet, so spricht sie immer nur von „vielen“, niemals von „allen“. 
Zur Erläuterung des Begriffs „Stellvertretung“ kann uns wiederum unser Kapitel (3. Mose 16) von großem Nutzen sein. Zwei Böcke mussten vor Jehova gestellt werden, aber nur das Blut des einen, für Jehova bestimmten Bockes wurde ins Heiligtum getragen und von dem Hohenpriester nach Gottes Anordnung dort verwandt. Von dem anderen heißt es: „Und der Bock, auf welchen das Los für Asasel (Abwendung) gefallen ist, soll lebendig vor Jehova gestellt werden, um auf ihm Sühnung zu tun, um ihn als Asasel fortzuschicken in die Wüste“. Wenn dann Aaron die Sühnung des Heiligtums und des Zeltes der Zusammenkunft vollendet hatte, musste er den lebendigen Bock herzubringen. „Und Aaron lege seine beiden Hände auf den Kopf des lebendigen Bockes und bekenne auf ihn alle Ungerechtigkeiten der Kinder Israel und alle ihre Übertretungen nach allen ihren Sünden; und er lege sie auf den Kopf des Bockes und schicke ihn durch einen bereitstehenden Mann fort in die Wüste, dass der Bock alle ihre Ungerechtigkeiten auf sich trage in ein ödes Land; und er schicke den Bock fort in die Wüste“ (V. 20 — 22).
Wenn der Israelit den Hohenpriester, der mit dem Blute des ersten Bockes ins Heiligtum gegangen war, zurückkehren sah, so wusste er, dass das Opfer von Gott angenommen und Sühnung für das Heiligtum geschehen war. Mit anderen Worten: Die Wiederkehr des Hohenpriesters bewies, dass die Grundlage für das Wohnen Gottes inmitten Seines Volkes wieder für ein Jahr gelegt, dass Israels Beziehungen zu Jehova, seinem Gott, wieder bis zum nächsten Versöhnungstage gesichert waren. Die Sünde, welche dem entgegenstand, war gesühnt, Gottes Heiligkeit befriedigt. *) Wie aber stand es mit den vielen Vergehungen, mit den zahllosen Übertretungen der heiligen Gebote Gottes, die auf den
Gewissen der einzelnen Glieder des Volkes lasteten? War auch die Frage der „Sünde“ Gottes Herrlichkeit entsprechend gerichtlich behandelt worden, von „Sünden“ war bis dahin keine Rede gewesen. Würde Gott nur ein halbes Werk tun? Würde Er die Beantwortung der aus persönlicher Schuld hervorgehenden Fragen unerledigt lassen? Nein, Er tut nichts halb. Er führt alles herrlich hinaus. Nach Erledigung der wichtigsten Frage, der Befriedigung der gerechten Forderungen des heiligen Gottes im Blick auf die Sünde, sollte auch die zweite, für den Menschen zunächst in Betracht kommende Frage: „Wie kann ich wissen, dass  meine Sünden, für die ich verantwortlich bin und die
mich verurteilen, vergeben sind?“ voll und ganz beantwortet werden. Und wie geschah das? „Asasel“, der Bock der Abwendung, gibt uns die Antwort. 
Nachdem dieser vor Jehova gestellt war, musste der Hohepriester, der Stellvertreter Gottes und zugleich der Vertreter des ganzen Volkes, seine beiden Hände auf den Kopf desselben legen, so seiner völligen Einsmachung mit ihm Ausdruck gebend, und dann alle Ungerechtigkeiten der Kinder Israel und alle ihre Übertretungen nach allen ihren Sünden auf ihn bekennen. Alle Sünden, mochten es ungerechte Handlungen im allgemeinen Sinne oder Übertretungen bestimmter Gebote sein, wurden so in göttlicher Weise, nach einer durch Gott vermittelten Erkenntnis, auf das Opfertier gelegt
und dann von diesem in die Wüste getragen, in ein ödes Land, wo niemand mehr ihrer gedachte. Der
Bock der Abwendung (oder: der abwendet, davongeht), musste sie an Stelle der Übertreter auf sich nehmen und aus Gottes Gegenwart sowie aus den Augen der Kinder Israel hinwegtragen. Im Anschluss an die Darbringung des ersten Bockes, der geschlachtet und dessen Fleisch samt Haut und Mist „außerhalb des Lagers verbrannt“ werden musste, diente dieser zweite Bock als Stellvertreter des schuldigen Volkes, bzw. der einzelnen Glieder desselben, „nach allen ihren Sünden“, um diese hinwegzutun und so die anklagenden Gewissen der Schuldigen, wenn auch nur unvollkommen und zeitlich, zur Ruhe zu bringen. Selbstverständlich, ich betone es immer wieder, konnte das nur in Verbindung mit dem ersten Bock geschehen; beide bilden ein Opfer, denn „ohne Blutvergießung ist keine Vergebung«. Das Blut ist das Zeugnis der Vollendung des ganzen Werkes; ohne Blut hätte der Hohepriester niemals ins Heiligtum eintreten dürfen. Aber so gewiss er dort eingetreten war, und nun alle Sünden Israels auf den Kopf des Bockes bekannte, so gewiss tat er jetzt auf ihm Sühnung für dieselben, sodass Gottes Auge sie nicht mehr sah. 
Soweit das Bild. Es redet in wunderbar ein- dringlicher und verständlicher Sprache von einem anderen, größeren Opfer. Was wir in jenem Bocke vorbildlich dargestellt sehen, ist in Christo zur Wahrheit, zum Wesen geworden. Der Schatten hat sich in die Wirklichkeit verwandelt. Zeigt uns der erste Bock Christum als Den, der für die Sünde Sühnung getan, der Gott im Blick auf sie verherrlicht und den Weg zu Ihm ins Heiligtum gebahnt hat, so erblicken wir in dem zweiten Bock Christum als den Stellvertreter Seines erlösten Volkes, als Den, der alle ihre Sünden getragen und für immer hinweggetan hat, sodass Gott ihrer nie mehr gedenkt und auch wir sie als für ewig getilgt betrachten dürfen. Der Gläubige darf sagen: Gott selbst hat alle meine Sünden, meine ganze unermessliche Schuld, nach Seiner göttlichen Kenntnis, (nicht nur so wie sie mir bekannt ist oder zum Bewusstsein kommt) auf Jesum gelegt, hat alle meine Ungerechtigkeiten und Übertretungen von meinem ersten bis zu meinem letzten Atemzuge auf Ihn gelegt, und Jesus hat sie an meiner Statt getragen, hat meine Schuld gebüßt, und nun darf ich da ruhen, wo Gott mit Wonne ruht, in dem kostbaren Werke Seines geliebten Sohnes. Alle, alle meine Sünden sind vergeben auf gerechter, göttlicher Grundlage. „Mit einem Opfer hat Er auf immerdar vollkommen gemacht, die geheiligt werden“ (Hebr.10, 14), sodass diese triumphierend fragen können: „Wer wird wider Gottes Auserwählte Anklage erheben? Gott ist es, welcher rechtfertigt; wer ist, der verdamme?“ (Röm. 8, 33). 
Die Nichtbeachtung des Unterschiedes zwischen „Sühnung“ und „Stellvertretung“, oder die einseitige Betonung der einen ohne gebührende Berücksichtigung der anderen hat von jeher Anlass zu theologischen Streitigkeiten und ernsten Spaltungen gegeben. Die eine Richtung, den Begriff der Gnade verallgemeinernd, drückt darauf, dass Christus für alle gestorben ist, indem sie damit das Tragen der Sünden, die Stellvertretung, verbindet; die andere, nur auf das Werk Christi für die Seinigen hinweisend, beschränkt die Gnade, hebt die „Gnadenwahl“ ungebührlich hervor und vergisst, dass Christus für alle gestorben ist. Die erste lehrt, dass, wenn Gott alle geliebt habe, Er nicht einige besonders lieben könne; das Ergebnis ist Ungewissheit im Blick auf die Errettung und vielfach ein Erheben des Menschen und seines Tuns. Die zweite lehrt, wenn Christus Seine Gemeinde geliebt und sich selbst für sie hingegeben habe, so könne es keine wirkliche Liebe für irgendetwas anderes geben, das Werk Christi sei nur für die Auserwählten geschehen; damit leugnet sie, dass Christus „sich selbst gab zum Lösegeld für alle“, und vergisst, dass „Gott Ihn dargestellt hat zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben an Sein Blut“ (1.Tim. 2, 6; Röm. 3, 25). Die erste setzt die Bedeutung des Bockes Asasel, die Stellvertretung, beiseite, die zweite lässt die Bedeutung des ersten Bockes, die Sühnung, außer Acht, und sieht nichts als Stellvertretung. Beide Richtungen teilen also das Wort der Wahrheit nicht recht (vergl. 2. Tim. 2, 15) und kommen so zu einseitigen, falschen Ergebnissen.
Nach diesen allgemeinen Ausführungen bleibt uns noch übrig, die verschiedenen Stellen des Neuen Testamentes, die von unserem Gegenstand reden und noch nicht berührt sind, einer kurzen Betrachtung zu unterziehen. Es wird nicht nur unserem Verständnis über die in Rede stehenden Punkte zu Hilfe kommen, sondern uns auch weitere Einblicke tun lassen in das Werk Christi überhaupt und so Anbetung und Dank in unseren Herzen erwecken. 
Wir haben schon mehrmals darauf hingewiesen, dass die Schrift niemals sage, dass der Herr Jesus die Sünden aller getragen habe. Bei der Einsetzung des Abendmahls sprach Er selbst nach Matth. 26, 28 in Verbindung mit dem Kelche die Worte: „Dieses ist mein Blut, das des neuen Bandes, welches für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden“ (Vergl. Markus 14, 24). So lesen wir auch in Hebr. 9, 28, dass Christus einmal geopfert worden ist, um vieler (nicht aller) Sünden zu tragen. 
An verschiedenen Stellen steht das Wort „alle“ geradezu im Gegensatz zu dem Wort „viele“ oder „die Vielen“. So z. B. in Röm. 5, 18. 19: „Also nun, wie es durch eine Übertretung gegen alle Menschen zur Verdammnis gereichte, so auch durch eine Gerechtigkeit gegen alle Menschen zur Rechtfertigung des Lebens“ — nicht dass alle gerechtfertigt werden, sondern die „Rechtfertigung des Lebens“ richtet sich gegen alle, und zwar, wie wir sahen, auf Grund des vollendeten Sühnungswerkes. Sie ist für alle da, für alle erreichbar. Dann aber heißt es weiter: „Denn gleichwie durch des einen Menschen Ungehorsam die Vielen in die Stellung von Sündern gesetzt worden sind, so werden auch durch den Gehorsam des Einen die Vielen in die Stellung von Gerechten gesetzt werden“ (Vergl. auch V. 15). Warum die Veränderung? Aus dem einfachen Grunde, weil in beiden Füllen es sich wohl um viele Menschen handelt, (in dem ersten auch um alle, denn alle stammen von dem ersten Adam ab) in dem zweiten aber nicht um alle, sondern nur um diejenigen, welche mit dem letzten Adam verbunden sind.
Hierher gehört wohl auch das bekannte Wort aus Röm. 3: „Jetzt aber ist, ohne Gesetz, Gottes Gerechtigkeit geoffenbart worden . . . Gottes Gerechtigkeit aber durch Glauben an Jesum Christum gegen alle und auf alle, die da glauben“ (V. 21. 22). Während diese Gerechtigkeit gegen alle gerichtet ist, allen umsonst angeboten wird, kommt sie doch nur auf alle, die da glauben. Gott rechtfertigt nur den, der des Glaubens an Jesum ist (V. 26). Allen übrigen dient Sein gnädiges Anerbieten nur zu vermehrter Verantwortlichkeit, zu verschärfter Strafe. (Vergl. Matth. 11, 20 — 24; Luk. 12, ,47. 48). 
Ein weiteres, sehr beachtenswertes Beispiel ist 1. Timotheus 2, 3 — 6, verglichen mit Matth. 20, 28 und Mark. 10, 45. In der ersten Stelle nennt Paulus Gott „unseren Heiland-Gott, welcher will, dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Denn Gott ist einer, und einer Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gab zum Lösegeld für alle“. Gott, der gerechte und rettende Gott (vergl. Jes. 45, 21) hat ein Mittel gefunden, durch welches allen Menschen geholfen werden kann, wenn sie sich desselben bedienen wollen. Ein Lösegeld ist bezahlt und von Gott angenommen worden, das für alle genügt und auch im Blick auf alle und zum Vorteil für alle bezahlt worden ist. Gott „will nicht, dass irgendwelche verloren gehen“, sondern dass alle zur Buße und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen (Vergl. 2. Petr. 3, 9.) Aber geradeso wie zur Zeit des Herrn Jesus die Pharisäer und die Gesetzgelehrten „den Ratschluss Gottes in Bezug auf sich selbst wirkungslos machten“, indem sie nicht Buße tun und ihre Sünden bekennen wollten, so weisen auch heute Millionen und abermals Millionen von Menschen die Gnade Gottes gleichgültig oder verächtlich von sich ab. Gott möchte sie erretten, aber „sie wollen nicht zu Ihm kommen, auf dass sie Leben haben“ (Johannes 5, 40). 
Demgegenüber könnte man einwenden: Wenn aber ein Lösegeld für alle bezahlt worden ist, so müssen doch auch alle des Segens und der Wirkung dieses Lösegeldes teilhaftig werden. Ich antworte: Ja, in dem oben beschriebenen Sinne, dass es für alle da ist und von allen benutzt werden kann; nein, in dem Sinne, dass die Schulden aller dadurch getilgt worden wären und deshalb nicht mehr eingefordert werden könnten. Wir lesen darum auch in den beiden anderen Stellen (Matth. 20 und Mark. 10): „Der Sohn des Menschen ist gekommen . . . , um zu dienen und Sein Leben als Lösegeld zu geben für viele“; und der des Griechischen kundige Leser wird überrascht sein, bei einer Vergleichung zu finden, dass das an diesen beiden Stellen mit „für“ übersetzte griechische Wort ein ganz anderes ist als in 1. Timotheus 2, 6. Während es dort den Sinn hat von: „im Blick (in Hinsicht) auf, zum Vorteil von“, hat es an den beiden Stellen in den Evangelien die bestimmte Bedeutung: „an Stelle von, in Stellvertretung für“. Wie genau ist doch Gottes Wort! Kein Wort zu wenig und keines zu viel, und jedes Wort an seinem Platze! 
Erinnert uns also 1. Tim. 2, 3——6 an die Bedeutung des ersten Bockes, an das allen Menschen, selbst der Schöpfung, zu Gute kommende Sühnungswerk Christi, so rufen uns die beiden anderen Stellen mit Macht die in dem zweiten Bock zum Ausdruck kommende Stellvertretung ins Gedächtnis zurück. Christus, der einzige Mittler zwischen Gott und Menschen, starb nicht nur für einen Teil der Menschheit, sondern für alle; aber stellvertretend setzte Er Sein Leben nur ein für viele, nur für die, die je an Ihn geglaubt haben oder noch an Ihn glauben werden, sei es in dem gegenwärtigen Haushalt der Gnade, oder in den zukünftigen Zeitaltern des Tausendjährigen Reiches. Nur ihre Sünden sind Ihm als die Seinigen angerechnet worden, nur ihre Schuld hat Er getilgt, und nur sie dürfen sagen, dass Er ihren Platz im Gericht vor Gott eingenommen hat, sodass Sein gegenwärtiger Platz zur Rechten Gottes wiederum auch ihr Platz ist.
Der Ausdruck „zum Lösegeld für alle“ führt uns von selbst zu einer anderen ähnlichen Stelle in 2. Kor. 5. Dort heißt es im 14. und 15. Verse: „Denn die Liebe des Christus drängt uns, indem wir also geurteilt haben, dass einer für **) alle gestorben ist und somit alle gestorben sind. Und Er ist für alle gestorben, aus dass die, welche leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern Dem, der für sie gestorben ist und ist auferweckt worden“. Wenn einer für alle sterben musste, so liegt darin, wie der Apostel sagt, der Beweis, dass alle gestorben bzw. dem Tode verfallen sind. Anders hätte Christus nicht zu sterben brauchen. Sein Tod ist der Beweis des Todeszustandes aller Menschen. Und weshalb ist Er für alle gestorben? Um alle aus ihrem Todeszustande herauszuführen und zu erretten? Ja, so lag es in der Liebesabsicht Gottes, aber die Bosheit des Menschen hat sie durchkreuzt; deshalb kann der Apostel nur im Blick aus die, welche sich bitten und mit Gott versöhnen lassen (V. 20), hinzufügen: „auf dass die, welche leben, d. h. sich vom Tode haben erretten lassen, nicht mehr sich selbst leben usw..“ Sie gehören fortan nicht mehr sich selbst an, sondern dem für sie Gestorbenen und aus den Toten Auferstandenen. Die anderen bleiben im Tode, unter dem Zorne Gottes. (Joh. 3, 36.) Für sie ist Christus „umsonst gestorben“. 
Im Anschluss an die eben besprochenen Stellen sei noch auf Röm. 11, 32 hingewiesen, eine Stelle, die von den Anhängern der Wiederbringungslehre auch gern für ihre Zwecke ausgenutzt wird. Wir lesen dort: „Denn Gott hat alle zusammen in den Unglauben (od. Ungehorsam) eingeschlossen, auf dass Er alle begnadige“. — Da steht es doch unzweideutig, so ruft man triumphierend aus, dass alle Menschen begnadigt werden sollen! — Aber ist das der Sinn der Stelle? Sehen wir zu! Sie steht am Ende einer längeren Abhandlung des Apostels über die Wege Gottes mit Seinem irdischen Volke. Israel stand, obwohl es die natürlichen Zweige des Ölbaums der Verheißung und Segnung bildete und
somit große Vorzüge vor den Heiden besaß, doch auf dem Boden des Gesetzes und hatte auf diesem Boden durch seinen Ungehorsam und Unglauben alle Anrechte an Segen und Leben verloren. Die Heiden, von Natur ungläubig und von Gott entfremdet, besaßen überhaupt keine Ansprüche, sie waren „ohne Gott und ohne Hoffnung in der Welt“ (Eph. 2, 12). Beide, Juden und Heiden, waren also vor Gott verloren, dem Gericht verfallen, und konnten nur auf dem Boden bedingungsloser Gnade Errettung finden. Es handelt sich hier also gar nicht um die Frage, ob alle Menschen errettet werden oder nicht, sondern einfach um das Ergebnis der Wege Gottes mit Israel und den Heiden, dass nämlich beide, als Gesamtheiten betrachtet, nunmehr unter die Begnadigung gekommen sind“ (V. 30. 31). Darum preist auch der Apostel am Schluss seiner Beweisführung nicht etwa die überschwängliche Größe der Gnade Gottes, wie z. B. in Eph. 1 und 2 und anderen Stellen, sondern er rühmt die Tiefe des Reichtums Seiner Weisheit und Erkenntnis und fügt dann hinzu: „Wie unausforschlich sind Seine Gerichte und unausspürbar Seine Wege! Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt, und wer ist Sein Mitberater gewesen?“ (Vergl. V. 33 - 36). 
Eine weitere Stelle, die von den Wiederbringern zur Begründung ihrer Behauptungen oft angezogen wird, ist 1. Kor. 15, 20 — 28, vor allem der 22. Vers: „Denn gleichwie in dem Adam alle sterben, also werden auch in dem Christus alle lebendig gemacht werden“. Wir brauchen kein Wort darüber zu verlieren, dass an dieser Stelle nur von der leiblichen Auferstehung, nicht aber von einem geistlichen Lebendigmachen die Rede ist. Was der Apostel im Anschluss an seine Widerlegung der Irrlehre, „dass es keine Auferstehung der Toten gebe“ (V. 12), zunächst vorstellen will, ist die Tatsache, dass die Leiber der Verstorbenen auferstehen werden, und zwar kraft der Auferstehung Christi aus den Toten; denn der Tod ist das Teil aller Nachkommen Adams als solcher. Obwohl aber nun die Auferstehung der Toten eine Wahrheit ist, die alle Menschen unterschiedslos angeht, kann man doch in unserer Stelle das Wörtlein „alle“ unmöglich von den Personen trennen, mit denen es jeweils in Verbindung steht. Die „alle“ in Adams Fall umfassen die gesamte Nachkommenschaft Adams, das ganze Menschengeschlecht, die „alle“ in Christi Fall notwendigerweise diejenigen, welche „in dem Christus sind“, Seine Familie. Wenn darüber noch irgendein Zweifel bestehen könnte, so würde der nächste Vers ihn beseitigen, in welchem wir lesen: „Ein jeder aber in seiner eigenen Ordnung: der Erstling Christus, sodann die, welche des Christus sind bei Seiner Ankunft“. Nur sie, und keine anderen, werden hier als diejenigen bezeichnet, die auf Grund Seiner Auferstehung aus den Toten „in Ihm lebendig gemacht“ werden sollen. Werden denn die übrigen Toten nicht auferstehen? Ohne Frage; aber der Apostel denkt hier in so abgeschlossenem Sinne an die erste Auferstehung, die Auferstehung des Lebens, dass er die zweite, die Auferstehung des Gerichts, gar nicht erwähnt. Nur die das Gute getan haben sind des Herrn, nur für sie hat Er den Sieg erstritten. 
Dass Christus auch der „Erstgeborene der Toten“ (Offbg. 1, 5) ist, also Gewalt hat über die Toten überhaupt, indem Er dem Tode die Macht genommen hat, bleibt davon unberührt. In unserer Stelle wird diese Auferweckung der „übrigen der Toten“ (Offbg. 20, 5) aber gar nicht genannt. Der Apostel fährt fort: „Dann das Ende, wenn Er das Reich dem Gott und Vater übergibt, wenn Er weggetan haben wird alle Herrschaft und alle Gewalt und Macht“ (V. 24). Wenn dieses „Ende“, die Übergabe des Reiches, in welchem Er regieren und richten wird, kommt, muss alles Gericht, jedenfalls also die Auferweckung der übrigen der Toten, vorüber sein. „Denn Er muss herrschen, bis Er alle Seine Feinde unter Seine Füße gelegt hat. Der letzte Feind, der weggetan wird, ist der Tod“ (V. 25. 26). 
Die zweite Auferstehung, die Auferstehung „der übrigen der Toten“, wird darum hier gar nicht erwähnt, sondern als selbstverständlich eingeschlossen betrachtet, als eine Handlung der richterlichen Gewalt, welche das Reich des Herrn kennzeichnet und in dem Hinwegtun des letzten Feindes, des Todes, ihren Abschluss finden wird. Er muss herrschen und alle Seine Feinde richten; darum wird die Auferstehung der Ungerechten, die dann nicht mehr unter der Macht des Todes und Satans liegen — denn beide werden in dem Feuersee ihr Ende bzw. ihr ewiges Teil finden — von dem Herrn ausdrücklich eine Auferstehung des Gerichts genannt. Die aus den Toten auserstandenen Heiligen werden mit dem Sohne des Menschen verbunden sein, wenn Er kommt, um Sein Reich zu übernehmen, und die Bösen werden gerichtet werden, wenn Er die Herrschaft in die Hände des Vaters zurücklegt, um dann selbst Dem unterworfen zu sein, der Ihm alles unterworfen hat; Der ewige Zustand von Offenbg. 21, 1 — 8 wird dann angebrochen sein.
Wir schließen hiermit unsere Betrachtung. Der Herr selbst aber wolle Schreiber und Leser weiter einführen in die Erkenntnis Seines kostbaren Opfers, und uns alle bewahren vor den immer stärker auf uns eindringenden Einflüssen falscher Lehre und ungesunder Lehrer! Sein Wort an Philadelphia: „Halte fest was du hast!“ gewinnt immer ernstere Bedeutung, je weiter die Dinge sich entwickeln und je näher wir dem Ziele kommen. 

Fußnoten:
*) So wird der gläubige jüdische Überrest am Ende der Tage erst dann wissen, dass seine Sache mit Gott geordnet und eine vollgültige Sühnung geschehen ist, wenn er den wahren Hohenpriester, Christus, aus dem Heiligtum wiederkehren sieht mit den Wundenmalen, den Zeichen des vollbrachten Werkes, in Seinen Händen und Füßen. Er wird sehen und glauben, wie einst Thomas in Joh. 20, 29. Wir, die Gläubigen aus den Nationen, glauben, ohne gesehen zu haben, und werden vom Herrn deshalb „glückselig“ gepriesen. Uns hat die Sendung des anderen Sachwalters, des Heiligen Geistes, bezeugt, dass das Blut unseres Stellvertreters eine „ewige Erlösung“ zustande gebracht hat.
**) Im Griechischen dasselbe Verhältniswort wie in 1. Tim. 2, 6.

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Wir rühmen uns auch der Trübsale

Bibelstelle: Römer 5, 3

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 44ff

Der Mensch dieser Welt und der Christ stehen in einem Gegensatz zueinander, wie er stärker kaum gedacht werden könnte. Was der eine sucht, das flieht der andere, worin der eine sich ergötzt, das stimmt den anderen traurig, was dieser fürchtet und meidet, dessen freut und rühmt sich jener. Was der natürliche Mensch Leben nennt, ist für den Christen Tod. Und warum ist das so? Weil der Christ in Christo eines neuen Lebens, der himmlischen und göttlichen Natur, teilhaftig geworden ist. Christus selbst ist sein Leben, und dieses Leben hat keinerlei Gemeinschaft mit der Welt und ihrer Gesinnung, seine Triebe und Neigungen sind himmlisch. Der Christ, aus Gott geboren, ist hienieden ein Fremdling, die Welt ist eine Wüste für ihn, die seiner neuen Natur nichts bietet als Kampf und Leid. Obgleich unter dem Schutze des Blutes des Lammes stehend und von Ägypten und dessen Fürsten befreit, befindet er sich doch noch an der Stätte der Proben und Versuchungen. 
Der Christ ist also nicht von der Welt, wie der Herr Jesus sagt, aber doch noch in der Welt, und neben der neuen Natur wohnt die alte noch in ihm. Das Fleisch in ihm gelüstet wider den Geist, und der Geist wider das Fleisch. Manche Gläubige begreifen wenig den Gegensatz zwischen dem neuen Leben in ihnen und dem Leben, oder richtiger dem Tode, der in der Welt herrscht. Sie folgen deshalb auch nicht treu den Mahnungen und Warnungen des Heiligen Geistes in ihnen; ihr Wandel ist halb christlich, halb weltlich, und deshalb genießen ihre Herzen wenig von dem Frieden Gottes, der allen Verstand übersteigt, und die Freude und der Trost des Heiligen Geistes sind ihnen wenig bekannte Dinge. Aber ein treuer und aufrichtiger Christ, der seinen Herrn liebt, wird sich unmöglich mit einem solchen Zustand begnügen können. In seinem Herzen lebt das Wort: »Diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christo Jesu war«, und so wird er auf Jesum schauen, von Ihm zu lernen und in Seinen Fußstapfen zu wandeln begehren. Und in demselben Maße, wie er das tut, wird in seinem Leben der oben beschriebene Gegensatz immer deutlicher zutage treten. Gott kommt Seinen Kindern auf diesem Wege zu Hilfe. Sein Name sei dafür gepriesen! Er tut es allerdings auf eine Weise, die dem Fleische nicht gefällt, die aber für das Wachstum des inneren Menschen von reichem Segen ist. Er führt uns durch mancherlei Versuchungen und Trübsale. Wir rühmen uns deshalb der Trübsale, wie der Apostel an die Römer schreibt. Es sind nur wenige, aber inhaltreiche Worte. Beim Betrachten derselben möchte ich besonders auf zwei Punkte aufmerksam machen, zunächst auf die Ursache des Rühmens, die wir schon kurz nannten, und dann auf das Rühmen selbst. Es gibt kaum etwas, was die Kinder dieser Welt mehr fürchten als Trübsale. Wenn wir sie nun auch fürchten, wo bleibt dann der Gegensatz zwischen ihnen und uns? Und leider gibt es mehr Christen, die sie fürchten, als solche,· die sich ihrer rühmen. Traurig genug! aber leider ist es so. Doch wo liegt die Ursache? Vielfach liegt Mangel an Hass wider die Sünde und das Fleisch, sowie an Liebe zu Gott und Seiner Heiligkeit zu Grunde. Manche verstehen aber auch nicht den reichen Segen, der in den Trübsalen für sie liegt.
Der Gläubige gehört zu denen, die „Gott lieben“ und „nach Vorsatz berufen sind“. Solchen aber müssen alle Dinge zum Guten mitwirken; nichts kann sie treffen, nichts kann ihnen begegnen, worin nicht ein Segen für sie läge. Das ist ganz besonders wahr im Blick auf die Trübsale, die Gott auf den Weg eines jeden von uns legt. „Wir rühmen uns der Trübsale, da wir wissen, dass die Trübsal Ausharren bewirkt“. Genau so  spricht Jakobus. Er fordert die Gläubigen sogar auf, es für lauter Freude zu achten, wenn sie in mancherlei Versuchungen fallen, da sie ja wissen, dass „die Bewährung ihres Glaubens Ausharren bewirkt«. (Jak. 1, 2. 3.) Wie wichtig aber das Ausharren für uns ist, sagt uns eine andere Stelle: ,,Denn ihr bedürfet des Ausharrens, auf dass ihr, nachdem ihr den Willen Gottes getan habt, die Verheißung davontraget“ (Hebr. 10, 36.) Und: „Wer ausharrt bis ans Ende, dieser wird errettet werden“ (Matth. 24, 13; vergl. auch Jak. 1, 12; Offbg. 2, 10).
Der natürliche Mensch wird es gar nicht begreifen können, dass Trübsale Ausharren bewirken sollen. Er wird im Gegenteil sagen: „Aus einem geraden und bequemen Wege werde ich wohl ans Ziel kommen, aber wenn mir immer neue Schwierigkeiten und Hindernisse entgegentreten, fürchte ich zu ermatten“. Er liebt es, wie einst Moab, „still auf seinen Hefen zu liegen“, anstatt »von Fass zu Fass ausgeleert zu werden«.
Darum »bleibt ihm auch sein Geschmack«, und »sein Geruch verändert sich nicht«. (Vergl. Jer. 48, 11.) Ein weltlich gesinnter Christ wird ähnlich denken und urteilen, aber Gott sagt: „Trübsal bewirkt Ausharren“. Sein Urteil steht in unmittelbarem Gegensatz zu dem des Menschen, und der einsichtsvolle Christ bestätigt Gottes Urteil. Er weiß aus Erfahrung, dass es richtig ist, und während der Mensch nur den Weg für sich wünscht, der dem Fleische gefällt, wählt der Christ den Weg Gottes, den Weg, auf welchem Christus einst selbst gewandelt hat, mag er auch mit Schwierigkeiten aller Art bedeckt sein.
Das Fleisch kann den Gläubiger: nur hindern, diesen Weg zu betreten und auf ihm auszubauen. Und weil
Gott weiß, dass das Fleisch in uns ist, und weil Er dessen Neigungen und Kraft kennt, kommt Er uns durch Trübsale und Prüfungen zu Hilfe. Er weiß, dass nichts so sehr imstande ist, unseren natürlichen Willen zu brechen, als schmerzliche Leiden und anhaltende Prüfungen. Wie gut und nötig ist es darum, dass unser Gott uns so treu demütigt und züchtigt! Wenn Er es nicht täte, wie bald würden wir, verlockt und betrogen durch das Fleisch, Seinen Weg verlassen und die Verheißung verlieren! Wir begrüßen deshalb die Trübsale als ein Segensmittel in der Hand unseres treuen Vaters.
Wir freuen uns nicht über die Schmerzen, die wir zu erdulden, oder über den Druck, durch den wir zu gehen haben, — das wäre unnatürlich -— aber wir rühmen uns der Prüfungen, weil wir ihren Zweck kennen. Die Trübsale des Weges haben für einen Christen ihren Charakter völlig verändert.
Mancher nicht geistliche oder noch wenig geförderte Christ meint vielleicht, das, was ihn auf seinem Wege treffe, sei mehr oder weniger zufällig, die Umstände und Verhältnisse brächten es so mit sich; es sei eben das Los aller Menschen und so auch das seinige, durch allerlei Trübes und Beschwerendes hindurchzugehen, und es handle sich nur darum, das Unvermeidliche mit möglichstem Gleichmut zu ertragen. Aber welch ein Verlust ist das! Dass Christen sich mit anderen Menschen oft in denselben schwierigen Umständen befinden, gebe«»«»ich zu, auch — und es ist dann ein besonders trauriger Fall —— dass sie sich ihrer Untreue wegen darin befinden können, aber das eine ist gewiss, dass nämlich der Zweck der vorliegenden Umstände bei einem Kinde Gottes stets ein anderer ist, als bei einem Kinde der Welt. Es ist sogar möglich, dass die Schwierigkeiten, in denen ein Christ sich befindet, nichts als ernste
Züchtigungen von seiten Gottes sind, aber dennoch, weil er ein Christ ist und Gott ihn liebt, sollen sie unter Seiner Gnade nur dazu dienen, ihn zu segnen. Gott will Sein Kind non seinem Eigenwillen befreien, von verkehrten Wegen zurückführen, will es von Unreinigkeit und Sünde reinigen und Seiner Heiligkeit teilhaftig machen. Er hat kein Wohlgefallen daran, selbst wenn Untreue und Torheit vorliegen, eines Seiner Kinder zu plagen. »Nicht von Herzen plagt und betrübt Er die Menschenkinder« (Klagel. 3, 33.) Wenn das aber im Blick auf die Menschen im allgemeinen so ist, wie sollte Er dann mit Seinen Kindern so handeln können, die Er doch um einen so teuren Preis erkauft hat? Nein, Er wird nie mehr auflegen, keinen bittern Tropfen mehr in den Kelch gießen, als nötig ist, um Seine Ziele zu erreichen und das Ausharren zu bewirken. (1. Petr. 1, 6. 7.)
Es könnte uns zwar befremden, wenn wir sehen, dass Gott gerade da die meisten Prüfungen über uns kommen lässt, wo wir am schwächsten sind, und uns oft an einer Stelle anfasst, wo es uns am meisten weh tut.
Aber gerade da sind sie am nötigsten; denn da, wo der Christ am schwächsten ist, übt das Fleisch seine stärksten Einflüsse aus, und diesen begegnet Gott. Sind wir besorgt um die Dinge dieses Lebens oder verzagt im Blick auf unser Durchkommen, offenbaren sich Habsucht, Eigenliebe, Ehrgeiz, unreine Lust oder wag es sonst sein mag in uns — Gott weiß allen diesen Erscheinungen immer in der rechten Weise zu begegnen.
Und Er ist allein weise und gut!
Doch nun noch eine Frage in Bezug auf den zweiten Punkt, teurer Leser! Sie lautet: Wie steht es mit dem Rühmen hinsichtlich der Trübsale unter uns? Du wirst mit mir sagen: Es ist eine betrübende Erscheinung, so vielen Klagen, so viel Sorge und Unruhe unter den Geliebten Gottes zu begegnen. Wie zeigt sich da der Gegensatz zu den Kindern der Welt? Dass sie unruhig und besorgt sind, wenn Trübsale und Schwierigkeiten über sie kommen, kann uns nicht befremden, denn sie setzen ihre ganze Hoffnung auf dieses Leben, und das Herz und die Hand Gottes kennen sie nicht. Aber der Christ? Sollte auch er mit Sorge und Unruhe erfüllt sein, klagen und jammern? Er offenbart dadurch nur, dass er mit diesem Leben noch nicht völlig gebrochen hat, und dass sein Auge nicht in allem die treue Hand und weise Fürsorge seines himmlischen Vaters entdeckt. Vielleicht sucht er — der Fall ist leider nicht selten -— auf alIe Weise den Prüfungen zu entgehen, müht sich ab, sein Los zu verbessern, den quälenden Dorn zu entfernen, und, anstatt Ausharren zu bewirken, rufen dann die Versuchungen Misstrauen wach gegen Gott und Seine Liebe, Neid und Eifersucht gegen andere, denen es anscheinend besser geht.
Geliebte Brüder! Möchte es nicht also unter uns sein! Wir rauben uns selbst damit den großen Segen der Trübsale und bringen Gott um die Verherrlichung Seines Namens. «
Sich der Trübsale rühmen geht freilich weiter, als geduldig in denselben ausharren. Es ist sicherlich Gnade, wenn ein Christ still und geduldig sein Kreuz trägt, aber noch reichere Gnade ist nötig, wenn er sich der Trübsale rühmen und es für lauter Freude achten soll, in mancherlei Versuchungen hineinzukommen. Aber auch diese Gnade kann und will Gott darreichen. Er reicht dem, der nimmt, ,,immer größere Gnade« dar.
Manche sagen: Ja, der Apostel sagt, oder: es steht geschrieben: „Wir rühmen uns der Trübsale“; aber die Frage ist, ob du sagst, ob es in deinem Herzen geschrieben steht: »Wir rühmen uns der Trübsale — wir achten es für lauter Freude, in mancherlei Versuchungen zu fallen«. Wenn das nicht der Fall ist, kann es dir wenig nutzen, was der Apostel sagt und was geschrieben steht.
Wenn die Trübsale hinter uns liegen, und wir ,,ihrer gedenken wie vorübergeflossener Wasser« (Hiob 11, 16), erkennen wir oft, wie gesegnet sie für uns waren. Das Schwinden des auf uns lastenden Druckes lässt uns klarer sehen und ruhiger urteilen. Dann ist es nicht schwer, uns der Trübsale zu rühmen und den Herrn für Seine freundliche Durchhilfe zu preisen. Wir werden dann auch besser erkennen, wie viel Ursache wir haben, uns unseres Kleinmuts oder gar unseres Unglaubens in denselben zu schämen. Aber sollte uns das genügen?
Nein, wir sollten gelernt haben, uns der gegenwärtigen Trübsal zu rühmen. Derselbe Gott der Liebe ist heute für uns bemüht, dieselbe starke und treue Hand für uns tätig, wie zuvor, und wir werden später auf die gegenwärtigen Versuchungen sicherlich ebenso dankbar zurückblicken, wie wir es jetzt auf die vergangenen tun.
Darum lasst uns allezeit im Glauben unsere Augen aufheben zu Dem, der uns schlägt, aber der es tut in Liebe und mit Maß (nicht ,,nach Gutdünken«, wie ein menschlicher Vater), und der uns keinen Augenblick versäumen kann, eben weil Er uns so unaussprechlich liebt und weil Jesus in uns verheimlicht ist! Lasst uns, wie Hiob, Ihm ,,nichts Ungereimtes zuschreiben«, sondern, „hinschauend auf Jesum, mit Ausharren laufen den vor uns liegenden Wettlauf!“
Dass das nicht immer leicht ist, wussten schon andere vor uns. So singt der bekannte Liederdichter Spitta:
Wie schwer ist's doch, ganz still zu sein,
wenn Gott wir nicht verstehen.
Wie redet man so bald Ihm drein,
als ob Er was versehen!

Wie stellt man Ihn zur Rede gar,
wenn Seine Wege wunderbar
und unbegreiflich werden!

Man fragt: Warum nur dies und das?
Man seufzt: Ach, wie wird's werden!
Man klagt: Wie geht’s ohn’ Unterlass
so niedrig mir auf Erden!
Man murrt: Mein Unglück ist zu groß.
ich hätte wohl ein bessres Los
verdient, als mir gefallen!

Das tun wir, und der Güt'ge schweigt,
bis Er durch Seiner Taten
glorreichen Ausgang uns gezeigt,
dass Ihm doch nichts missraten.
Dann kommt auch endlich unsre Stund",
wo voll Beschämung wir den Mund
vor Ihm nicht auftun mögen.

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Zeichen der Zeit

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 53ff

„Alle Athener aber und die Fremden, die sich da aufhielten, brachten ihre Zeit mit nichts anderem
zu, als etwas Neues zu sagen und zu hören“ (Apstgsch. 17, 21).
Mit obigen Worten kennzeichnet der inspirierte Schreiber der Apostelgeschichte den geistigen Zustand der Athener vor etwa 1900 Jahren. Diese Schilderung trifft zweifellos auch auf einen sehr großen Teil unseres Volkes in der Gegenwart zu und war immer ein Zeichen des Verfalls. Die Sucht nach Neuem, nach Abwechslung und Zerstreuung ist auf jedem, leider aber ganz besonders auf religiösen! Gebiet wahrzunehmen, und der Teufel sorgt dafür, dass der Stoff nicht ausgeht und die Menschen auf ihre Rechnung kommen. Irrlehrer ohne Zahl, sogar falsche Christi tauchen auf, und wer es am besten versteht, mit Geld und glänzenden Worten Reklame zu machen, hat die Gewähr für den größten Zulauf. Die einen wissen, auf Grund der Bibel, religiöse und politische Ereignisse bis in die allerfernste Zukunft mit allen Einzelheiten und genauesten Daten vorauszusagen, sogar Dinge, von denen Jesus sagt, dass niemand sie wisse. Andere haben Offenbarungen, Stimmen und Erscheinungen, welche sie an die Stelle des Wortes Gottes setzen; wieder andere haben Begegnungen mit Geistern und Dämonen, oder können Geister befragen, Wunder wirken. Um allem die Krone auszufegen und die Verwirrung vollständig zu machen, treten von Zeit zu Zeit Gelehrte auf, um nachzuweisen, dass Jesus überhaupt nie gelebt habe! Aber es steht geschrieben: „Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde,. so kann er das Reich Gottes nicht sehen“ (Joh. 3, 3.) Dieses Wort trifft auf alle Menschen zu, auch auf ungläubige Gelehrte. Dass die Bibel ganz oder teilweise als eine fromme Legende bezeichnet wird, ist längst nichts Neues mehr; auch nicht, dass sie andererseits als Beweis für die widersinnigsten Behauptungen und Spekulationen auf religiösem Gebiet herhalten muss. So konnte schon vor langer Zeit ein Gelehrter die Behauptung· aufstellen, mit der Bibel lasse sich alles beweisen Und nichts beweisen. Die neuen Lehren, welche in den letzten Jahren verbreitet werden, sind allerdings mehr nach dem Geschmack der Menschen, als das alte, hausbackene Brot.
Sie reden nicht mehr von Bekehrung, dafür stehen sie „wissenschaftlich höher“. Eine ewige Verdammnis gibt es nur noch in den Köpfen einiger altmodischer, ungebildeter Christen. Manche wollen uns sogar belehren, dass die Lehre von der Verdammnis auf Fehlern in der Übersetzung beruhe. Aber wenn ein Blinder einen Blinden leitet, so werden beide in die Grube fallen.
Angesichts dieser entsetzlichen Verwirrung möchte man fast mit einem unserer Dichter ausrufen: „Glücklich, wer noch hoffen kann, aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen!“
Aber der freundliche Leser wird wissen, dass alle diese Erscheinungen in Gottes Wort vorausgesagt sind. Oder weißt du nicht, dass geschrieben steht: „Denn es wird eine Zeit sein, da sie die gesunde Lehre nicht ertragen, sondern nach ihren eigenen Lüsten sich selbst Lehrer aufhäufen werden, indem es ihnen in den Ohren kitzeIt“? (2. Tim. 4, 3.)
Es ist der Geist des Antichrists, der sich immer breiter macht, des Übermenschen, nach dem die Menschen jetzt schon rufen und immer lauter rufen werden, je mehr die Verwirrung und die Ratlosigkeit der Völker überhand nehmen; „dessen Ankunft nach der Wirksamkeit des Satans ist, in aller Macht und allen Zeichen und Wundern der Lüge und in allem Betrug der Ungerechtigkeit denen, die verloren gehen, darum dass sie die Liebe zur Wahrheit nicht annehmen“ (2.Thess.2, 9.10).
Alle diejenigen, welche das Evangelium verwerfen, fallen zur Strafe diesen Irrlehren und Lügen zum Opfer. Gott selbst „sendet ihnen eine wirksame Kraft des Irrtums, dass sie der Lüge glauben“ (2.Thess. 2, 11.12.)
Lieber Leser! Die Sünden, die den Menschen von einem dreimal heiligen Gott trennen, können durch keine neue Lehre, keine neue Offenbarung, durch keine Geisterbefragung, auch nicht durch ungläubiges Leugnen getilgt werden, sondern einzig und allein durch Jesum und Sein vollbrachtes Werk. Ein schuldbeladenes Gewissen kann auch heute durch nichts befreit, ein wundes, zerrissenes,
unglückliches Herz durch nichts geheilt werden, als nur durch den kindlichen Glauben an das auf Golgatha geflossene Blut des Sohnes Gottes. Nur auf diesem, von Gott selbst vorgesehenen und zubereiteten Wege kann ein sündiges, gefallenes Geschöpf zu Gott kommen, mit Gott versöhnt werden. Trost, Vergebung, Friede, ewiges Leben. Alles, alles fließt nur vom Kreuze dir und mir zu.
Millionen von Menschen haben in der Vergangenheit die Kraft des Evangeliums durch Glauben an ihren Herzen und Gewissen erfahren und sind errettet worden. Hunderttausende sind freudig, um des Zeugnisses Jesu willen, in den Tod gegangen. Millionen rufen heute noch mit glücklichem Herzen ihren Mitmenschen zu: „Kommt zu Jesu! In Ihm werdet ihr Leben und volles Genüge finden für Zeit und Ewigkeit!“

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Immer näher!

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1922 S. 56ff

Immer näher führt zum Ziele
immer näher jeden Tag,
dahin, wo der Selgen viele
warten, und ich folgen mag.
Immer näher, welch Entzücken!
Immer näher rückt die Zeit,
wo ich Jesus wird erblicken,
schauen seine Herrlichkeit.

Immer näher – lass mich bauen,
Herr auf Dein Verheißungswort,
lehr mich wachen, still vertrauen
auf Dich selbst am fremden Ort!
Wo ich oft mit heißen Tränen
hin und her gewandert bin,
tief im Herzen stets ein Sehnen
nach der fernen Heimat hin.

Immer näher! – O wie nahe
bin ich wohl der Heimat schon,
wo das Erbteil ich empfange,
meines Glaubens Ziel und Lohn!
O wie nah! Wer kann es sagen?
Einen Schritt noch oder zwei,
und der Erde Leid und Klagen
sind für immer dann vorbei.

C. Sch.

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Heilbringend, unterweisende und heilende Gnade

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 57ff

Für ein Herz, das seine Bedürftigkeit erkannt hat, ist es wohltuend, mit Menschen zusammenzutreffen, die Verständnis haben für Bedürfnisse, denen nur die Gnade entsprechen kann -— Menschen, die den Wert der Gnade an sich selbst erfahren haben und nun fähig sind, anderen Gnade entgegenzubringen. Ein Mensch, der niemals Gnade für sich beansprucht hat, kann nicht wissen, wie wohltuend sie ist. Wer sie aber geschmeckt hat, kennt etwas von ihrem Wert; und diesen Wert kann sie auch dann nicht verlieren, wenn sie durch einen armseligen, menschlichen Kanal einem gnadebediirftigen Herzen zugeführt wird. Ein solches Herz, schuldbewusst und ob seiner Schuld gebeugt, hört begierig auf die Worte der Gnade, die aus dem Munde des einfältigen Friedensboten hervorgehen, und selbst die Füße solcher Boten sind lieblich in den .Augen derer, welche die Friedensbotschaft hören (Röm. 10, 15). Gnade Gottes! Bedeutungsvolles Wort, dessen Wert und Inhalt wir hier nur nach Maßgabe menschlicher Fähigkeit kennen lernen. Ja, wir sind eigentlich nur imstande, ihre Wirksamkeit wahrzunehmen, wie sie sich betätigt hat und fortdauernd betätigt, heilbringend den Menschen und uns, die Gefäße der Begnadigung, unterweisend und befähigend, Gottlosigkeit und Weltlust zu verleugnen und besonnen, gerecht und gottselig zu leben in dem jetzigen Zeitlauf, indem wir die glückselige Ankunft unseres Herrn erwarten (Titus 2, 11. 12). Die Elemente des Fleisches verleugnen und Besonnenheit, Gerechtigkeit und Gottseligkeit offenbaren -Dinge, die unserer Natur ebenso fremd sind wie die Gnade selbst -— kann nur ein Mensch, dessen Herz den Unterweisungen durch die Gnade geöffnet ist. Die Gnade ist unserer Natur völlig fremd; sie
tritt von außen an uns heran. Der Apostel Paulus sagt: „Seine Gnade gegen mich ist nicht vergeblich gewesen«. (1. Kor. 15, 10.) Und er zeigt auf seinem Wege, dass er, den Unterweisungen der Gnade folgend, Früchte aufzuweisen hatte, die da bewiesen, dass er die Gnade nicht vergeblich empfangen hatte. Das Werk der Gnade Gottes in ihm hatte Frucht für Gott und Segen für Menschen gezeitigt. Wir sehen somit, dass die Gnade nicht in dem Menschen wohnt, sondern dass sie an und in ihm ihre Größe und Macht zur Auswirkung gelangen lässt.
Auch die Wahrheit hat keine Wohnstätte in dem Menschen. Es steht geschrieben: »Gott hat den Menschen aufrichtig geschaffen, sie aber haben viele Ränke gesucht«. (Pred. 7, 29.) Der Mensch, im Bilde Gottes geschaffen, war vor seinem Falle frei von Unwahrheiten und Ränken. Aber so wenig er damals von Gnade wusste und wissen konnte, ebenso wenig wusste er von Wahrheit, eben weil Unwahrheit und Sünde ihm völlig fremde Dinge waren. Unmittelbar nach dem Falle aber „suchte er Ränke“. Er verbarg sich und begegnete den Fragen Gottes, anstatt mit einem offenen Bekenntnis, mit Worten der Unwahrheit und Unaufrichtigkeit: „Das Weib, das du mir beigegeben hast, sie gab mir von
dem Baume«, und: »Die Schlange betrog mich«.
Seitdem ist Unwahrheit das Lebenselement jedes natürlichen Menschen. Sie gehört zu ihm wie die Luft, die er atmet. Dann aber kam der Tag, an welchem die Gnade Gottes erschien, Mitbringend für alle Menschen; an welchem das Wort Fleisch ward und unter Menschen Wohnung nahm, denen Gnade und Wahrheit unbekannt war: »Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns . . . voller Gnade und Wahrheit«
Vielfältig und auf mancherlei Weise hatte Gott ehemals sich durch Menschen an den Menschen gewandt, und wo Er Offenbarung-M gab, da zeigten sich neben anderen Charakterzügen auch Gnade und Wahrheit; aber stets waren die Vermittler der göttlichen Offenbarungen lediglich Werkzeuge, die, unterwiesen durch göttliche Gnade, fähig waren, göttliche Wahrheiten den Menschen mitzuteilen. Aber die heilbringende Gnade Gottes war noch nicht erschienen, und die Wahrheit, wie sie in dem Jesus ist, noch nicht gekannt. Nun aber redete Gott im Sohne. „Die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesum Christum geworden« (Joh.1I, 17.) Beide hatten jetzt gleichsam Gestalt angenommen; und nicht nur ein gewisses Maß war da, sondern wir haben gelesen: „voller Gnade und Wahrheit“. Und dann heißt es weiter: „Aus Seiner Fülle haben« wir alle empfangen, und zwar Gnade um Gnade“.
Wenn es nun schon, wie anfangs gesagt» wohltuend und gesegnet ist, mit Menschen zusammenzutreffen, die infolge ihrer Erfahrungen von der Wirksamkeit göttlicher Gnade uns eine Hilfe auf dem Wege sind, was muss es dann erst sein, mit Dem in unmittelbare Berührung zu kommen, der die Fülle hat und ist! Ein Knecht des Herrn, mögen seine Erfahrungen von den Reichtümern der Gnade Gottes noch so tief und für ihn selbst—kostbar sein, ist doch immer nur der Kanal, der den Gnadenstrom der Verbrauchsstelle zuführt. Bekanntlich bedeuten aber Kanäle, Leitungen etc. unter allen Umständen Energieverluste für die durchströmende« Kräfte, die umso größer sind, je enger und
länger Kanal oder Leitung ist. Auch der Geschmack» und die Reinheit des frischen QuellwasserI leidet durch lange Leitungen. Beide Umstände sind beachtenswert. Je inniger ein Knecht des Herrn mit der Quelle in Verbindung bleibt, und je unmittelbarer er den für andere segenbringenden Strom weiterleitet, desto besser.
Die Quelle ist Der, in welchem die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt (Kol. 2, 9), und aus dem Reichtum dieser Quelle unmittelbar« zu nehmen, ist unser Vorrecht. Welch ein Bild muss es gewesen sein, einen Menschen voller Gnade und Wahrheit auf dieser Erde zu sehen, in einer Umgebung, die der Gnade geradeso bedürftig war, wie der Wahrheit entfremdet! Die Erde und ihre Bewohner sind unverändert dieselben geblieben, seitdem der Herr Jesus sie verlassen hat. Er selbst wohnte hier „voller Gnade und Wahrheit“ und gab jedem, der danach verlangte, aus der Fülle der Gnade, die in Ihm war. Seit Seinem Weggang hat Er Knechte hier, die aus Seiner Fülle volle, freie, schrankenlose Gnade empfangen haben, ohne Maß. Früher Knechte eines harten Dienstherrn, sind sie um einen hohen Preis erkauft, um nun Dem zu dienen, der sie erkauft und in Seinen Dienst «·gestellt hat. Sie sind berufen, mit dem, was sie als Gnadengeschenk empfangen haben, zu handeln, bis Er wiederkehrt. Es kommt für sie nur darauf an, fleißig Gebrauch zu machen von dem ,,Zugang zu der Gnade, in welcher sie ftehen«, und die Fülle der Quelle, aus der sie alles empfangen haben, treu zu benutzen.
,,Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus, durch welchen wir mittelst des Glaubens auch Zugang haben zu dieser Gnade, in welcher wir stehen.«« So schreibt Paulus an die Gläubigen in Rom. -Diese Worte kennzeichnen die Stellung jedes wahren Gläubigen auf Grund der Gnade. Auf einem anderen Boden find Rechtfertigung, Frieden mit Gott und Zugang zu dem Gott, der Licht ist, unmöglich. Aber an alle, die auf diesem Boden stehen, ergeht nun auch die Mahnung: »Seid Nachahmer
Gottes, als geliebte Kinder!« (Eph. 5, 1.) Dieser Mahnung oder Berufung können wir naturgemäß nur insoweit entsprechen, wie wir Nachahmer Dessen sind, der den Vater hienieden kundgemacht hat, und das können wir wiederum nur in dem Maße sein, wie unsere Herzen Ihn kennen. Man kann nur etwas nachahmen, was man gesehen, kennen gelernt hat. Aber es geht uns manchmal wie dem Philippus, dem der Herr sagen musste: »So lange Zeit bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus?“ (Joh. 14, 9).
Von der heilbringenden Gnade Gottes kann, wie bereits gesagt, nur der erzählen, der selbst Heil gefunden hat. Und ebenso vermag der Gläubige nur insoweit Menschen und Umständen Gnade entgegenzubringen, als er selbst sie geschmeckt hat und ihren Wert kennt.
Haben wir wirklich verstanden, dass wir uns von Natur in einem armseligen, erbarmungswiirdigen Zustand befinden, der die iibersttömende Fülle göttlicher Gnade nötig machte und täglich neu erfordert, und erfahren wir, dass dieser Reichtum der göttlichen Gnade allezeit unseren Bedürfnissen, so groß sie auch sein mögen, genügt, so ruhen unsere Herzen in dieser Fülle und weiten sich, um auch andere diesen Reichtum sehen und schmecken zu lassen. Da ist für Engherzigkeit kein Raum.
Wir rufen mit dem Psalmisten: ,,Schmecket und sehet, dass Jehova gütig ist!« (Ps. 34, 8.)
Ein schönes, bekanntes Bild des Tuns, zu dem die Gnade befähigt, zeigt uns das Handeln Davids mit Mephiboseth, einem Enkel des Mannes, der sich als sein Todfeind erwiesen hatte. David hatte Gott kennen gelernt, hatte Seine Güte gesehen und geschmeckt, und so begehrte er, „Güte Gottes“ zu erweisen an solchen, die ihrem Herkommen nach zu seinen Feinden zählten.
Er ließ Mephiboseth nach Jerusalem holen, und der, der so lange (wohl aus Furcht vor-Davids Rache) in der Ferne seinen Aufenthalt gehabt hatte, wohnte fortan in der Königsstadt und aß beständig an dem Tische des Königs. Obwohl ein Krüppel, lahm an seinen beiden Füßen, und auch deshalb schon ungeeignet für die Nähe des Königs (vergl. 2. ·Sam. 5, 8), war er doch ,,wie einer von den Königssöhnen«. Die ,,Güte Gottes« schenkte ihm diesen Platz, auf welchen ihm weder seine Abstammung noch seine Beschaffenheit ein Recht gaben. Und was befähigte David zu solchem Handeln?
Die Güte Gottes, wie er sie selbst kennen gelernt hatte. Ach, wenn wir nur mehr in wahrer, unmittelbarer Verbindung blieben mit Jesu, der Quelle und Fülle der Gnade! Es würde auch uns fähig machen, den« Dingen und Menschen des Alltags als Nachahmer Gottes zu begegnen, in denen etwas von der Fülle Dessen zu sehen wäre, der einst ,,voller Gnade und Wahrheit« unter bedürftigen Menschenkindern wohnte.
Paulus, dem treuen Knecht Gottes, wurde auf sein Flehen um Beseitigung des Dornes im Fleisch zugerufen: »Meine Gnade genügt dir«. (2. Kor. 12, 9.) Und er hat durch seinen Weg bestätigt, dass sie tatsächlich genügt hat. Den Gläubigen wird in Hebr. 12, Z gesagt: ,,Betrachtet Den, der so großen Widerspruch von den Sündern gegen sich erduldet hat, auf dass ihr nicht ermüdet, indem ihr in euren Seelen ermattet«. Wird so dem schwergeprüften Knecht der Reichtum und die Unversiegbarkeit der Quelle als genügende Sicherheit und kraftverleihende Stütze vor Augen gestellt, so werden die den widrigen Lebensverhältnissen fast erliegenden gläubigen Hebräer zum Schutz gegen Ermüdung und Ermattung der Seele auf Den hingewiesen, „der so großen Widerspruch von den Sündern gegen sich erduldet hat“, der ,,verachtet und verlassen von den Menschen. ein Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut“ war. Die Kenntnis und der Genuss der göttlichen Gnade, die wir in Jesu geoffenbart sehen, befähigen uns nicht nur, unserer Berufung gemäß treu und ausharrend die Tugenden Dessen zu verkündigen, der uns berufen« hat aus der Finsternis in Sein wunderbares Licht, sie schützen uns auch vor Ermüdung und bilden, wie wir dies bei Paulus sehen, eine Kraftquelle für den täglichen Weg. 
Aber auch heilende Kraft ist in der reichen Quelle der überströmenden Gnade Gottes zu finden. Unsere Zeit wirkt ermüdend aus Leib und Geist. Für solche Ermüdungszustände gibt es Erholungszeiten, die in der Regel den Gleichgewichtszustand wiederherstellen. Gefährlich ist unsere Zeit aber mit Rücksicht auf Zersetzungserscheinungen, die sich im inneren Leben der Gläubigen bemerkbar machen. Für diese Erscheinungen bildet die dem Körper und Geist nützIiche Erholungszeit
kein Mittel zur Abhilfe. Hier handelt es sich um ein Leiden der Seele, das nur durch den wahren Arzt und durch Seine Heilmittel behoben werden kann. Wenn wir dem Leibe nach erkranken, gehen wir [mitunter sehr eilig) zu einem Arzt, schildern ihm, so gut wir können, unsere Leiden und erwarten von ihm Hilfe. Wie schade, dass wir diesen im Blick auf körperliche Leiden uns notwendig erscheinenden Weg nicht gehen, wenn es sich um Leiden handelt, die nur der wahre Arzt der Seele kennt und heilen kann!
Warum gehen wir nicht zu Ihm, wenn wir wahrnehmen, dass unser Auge trübe geworden ist? Wir sehen die Dinge nicht mehr, wie sie sind; sehen vor allem Ihn nicht mehr klar und deutlich, der doch das Ziel unseres Weges ist, auf den wir unverrückt „hinschauen«, den wir „betrachten“ sollten in Seiner Treue. (Hebr. 3, 1. 2; 12, 2.) Der Anfang der Augentrübung mag weit zurückliegen. Vielleicht ist die Ursache Mangel an Nahrung oder der Genuss ungeeigneter, gar schädlicher Speise; vielleicht auch das Unterlassen der Reinigung nach Verunreinigung, ungerichtete Sünde.
Voraufgegangen ist offenbar Nachlässigkeit im ,,Suchen Seines Angesichts«. Ohne Seine Hilfe wird es nie besser; das Leiden kann sich nur verschlimmern; das innere Leben geht langsam an Zersetzung zugrunde. Aber bei Ihm ist Heilung, auch in verzweifelten Fällen. Seine Mittel versagen nie. Das Wort: »Meine Gnade genügt dir!« hat auch heute noch uneingeschränkte Gültigkeit. Ihm sei Dank dafür!
Was hindert uns, Ihn aufzusuchen, wenn im Alltagsleben, im Umgang mit unseren Mitmenschen, unsere „Nerven“ so oft versagen? Wenn ich das Wort Nerven zwischen Anführungszeichen setze, so will ich damit nicht sagen, dass von nervenschwachen oder nervenkranken Menschen keine Rede sein könne. Aber wir sind sehr geneigt, uns selbst zu betrügen (darum heißt es: „niemand betrüge sich selbst“, 1. Kor. Z, 18) und etwas auf das Konto »Nerven« zu setzen, das auf ein anderes Konto gehört. Wir gleichen dann den ersten Menschen und suchen uns von Schuld frei zu sprechen, wo ein
Bekenntnis am Platze wäre. "
Es gibt Menschen und Umstände, die unser Blut zum sieden bringen können, wenn wir uns mit ihnen einlassen und ihnen mit menschlichen Gefühlen begegnen. Aber wir kennen doch den großen, wunderbaren Arzt, der in solchen Augenblicken den fiebernden Kopf und das heiße Blut zu kühlen und das Ungestüm schlagende Herz zu beruhigen vermag. Wenn wir Ihn anschauen, der geschulten nicht wiederschalt, leidend nicht drohte, sondern sich Dem übergab, der recht richtet, so empfangen wir von Ihm, unserem gnadenvollen Herrn, alles was der Augenblick erfordert. Die in Jesu erschienene heilbringende Gnade Gottes unterweist uns dann, und wir folgen ihrer Unterweisung, besonnen und gerecht zu leben.
Und haben wir in solcher Stunde den Weg zu Ihm, der Gnadenquelle, nicht rechtzeitig gefunden, sodass sich in unserem Tun Böses geoffenbart hat, möchten wir dann doch nicht suchen, es zu entschuldigen, (das Böse wird auch durch ,,Nerven« nicht besser,) sondern ungesäumt» zu Ihm gehen, damit wir geheilt werden! Nochmals sei gesagt: Ohne Ihn gibt es keine Heilung.
Fortschreitende Zersetzung unseres inneren Lebens ist vielmehr unausbleiblich, wenn wir Heilung auf anderem Wege herbeizuführen suchen, oder gar hinsichtlich des Übels gleichgültig sind. Nur eine Offenbarung unseres Leidens Ihm gegenüber kann Heilung bringen; aber sie gibt Ihm auch Gelegenheit, Seine heilende und wiederherstellende Gnade auf uns anzuwenden. Und Er heilt völlig. „So viele Ihn anrührten, wurden völlig geheilt«. (Matth. 14, 36.)
In Joh. Z, 2(). 21 heißt es: »Jeder, der Arges tut, hasst das Licht und kommt nicht zu dem Lichte, auf dass seine Werke nicht bloßgestellt werden; wer aber die Wahrheit tut, kommt zu dem Lichte, auf dass seine Werke offenbar werden, dass sie in Gott gewirkt sind«.
Aus der Finsternis in Sein wunderbares Licht berufen,
ist es unser Vorrecht, als Kinder des Lichtes zu wandeln. »Wir sind nicht von der Nacht, noch von der
Finsternis« (1. Thess. 5, 5.) Wenn nun trotzdem Werke bei uns sind, mit denen wir gemäß unserer Berufung in Sein Licht nichts gemein haben sollten, so ist doch nichts natürlicher, als dass« wir solche Dinge in das Licht bringen, in das wir selbst gebracht sind, und sie diesem Lichte gemäß beurteilen. Freilich wird das ohne Demütigung und Beschämung für uns nicht abgehen; auch werden die Werke dadurch nicht besser, dass sie ins Licht kommen. Aber indem wir sie im Lichte bloßgesteIlt sehen, stellen wir sie an den Platz, an den sie gehören, trennen uns von ihnen und erweisen uns als solche, die ,,die Wahrheit tun«. In diesem ,,wunderbaten« Licht bleibt kein Ruhm für den Menschen; trotz aller Beschämung lernen wir hier, und nur hier, den Wert des kostbaren Wortes kennen: „Wenn jemand in Christo ist, da ist eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, alles ist neu geworden«. (2.Kor. 5, 17).
Mit glücklichem, dankbarem Herzen lernen wir hier singen:
»Ich kenne mich nicht mehr im Bilde
Der alten, seufzenden Natur;
Ich rühme unter Gottes Schilde:
Ich kenne mich in Christo nur.
In Christi Bild. Triumph und Schöne
Heb’ ich getrost mein Haupt empor
Und mische meine Harfentöne
Schon in der Sel’gen Siegeschor.«
Es gibt auch Dinge im Leben, (vorwiegend in jüngeren Jahren,) die wir Menschen nicht zu sagen wagen, Wünsche, bezüglich deren wir bei Menschen wenig Entgegenkommen finden, die gar beanstandet werden von solchen. bei denen wir ein besseres Verständnis vorausgesetzt hatten. Wenn wir aber mit allem diesem zu dem Herrn gehen, der es als Herzenskündiger ohnehin kennt, so erfahren mir, dass Er Verständnis für alles hat und uns niemals enttäuscht. Die Art Seiner Hilfe mag nicht immer unserer Erwartung entsprechen, aber wir können das »Wie« getrost Ihm überlassen und da, wo unser Verstehen aufhört, Ihm vertrauen. Er wird durch Sein Ende stets beweisen, dass Er „voll innigen Mitgefühls und barmherzig« ist.
Wichtig ist, dass wir Ihm mit Aufrichtigkeit begegnen und Dem Vertrauen entgegenbringen, der, „da Er reich war, um unsertwillen arm wurde, auf dass wir durch Seine Armut reich würden“ (2. Kor. 8, 9). Es ehrt Ihn, wenn wir, diese Gnade kennend, von ihr Gebrauch machen und uns auf sie stützen. Durch Aufrichtigkeit und Vertrauen nötigen wir Ihn (wenn der Ausdruck nicht unpassend ist), uns zu helfen.
Wenn z. B. der Herr Jesus den Kranken am Teiche Bethesda fragt: „Willst du gesund werden?“ so geschah das augenscheinlich, um von ihm selbst zu hören, wie es um ihn stand. Dass er 38 Jahre gelähmt war, wusste der Herr; auch, dass es sein Begehren war, gesund zu werden, weshalb hätte er sonst an jenem Teiche gelegen? Aber der Herr wünschte, aus dem Munde des Kranken sein Leiden zu vernehmen. Und sobald dieser dem gnadenvollen Retter, ohne Ihn zu kennen (Vers 13), seine ganze hoffnungslose Lage kundtut, erfährt er eine unerwartete und vollständige Heilung.
So handelt der Herr heute noch mit jedem Menschen. Der Sünder, der Ihm so naht, wird durch Ihn geheilt, völlig geheilt. Diese Heilung erfolgt auf dem Boden schrankenloser Gnade. Es gibt keinen anderen Boden, — möchten wir es nur wirklicher erfassen! — auf dem Beziehungen zu Gott als unserem Vater und zu Jesu als unserem Herrn bestehen können.
Und möchten wir mit dem Herzen stets auf diesem Boden stehen, um so, durch die Gnade unterwiesen, die Früchte hervorbringen zu können, die auf diesem Boden gedeihen und allein wahre Früchte genannt zu werden verdienen! Nur so wird unser Herz wahrhaft glücklich sein. Nur auf diesem Boden gibt es wirkliche Freude, unerschütterliche Ruhe für Herz und Gewissen und wahre „Danksagung dem Vater, der uns fähig gemacht hat zu dem Anteil am Erbe der Heiligen in dem Lichte (Kol. 1, 12). Nur so entsprechen wir auch unserer Umgebung gegenüber der Berufung: »Seid nun Nachahmer Gottes als geliebte Kinder«.
Wenn Zaghaftigkeit uns zurückhält, mit unseren Leiden und Mängeln zu dem großen Arzt zu gehen, wenn Ermüdung bei uns sich bemerkbar macht und andere Symptone sich zeigen, die das Verbundensein mit der Quelle vermissen lassen, so kann die Ursache auch darin liegen, dass wir das Herz unseres Herrn nicht genügend kennen. Wir gleichen dann jenem armen Aussätzigen in Matth. 8, 2, der wohl dem Herrn die Fähigkeit zum Helfen zutraute, aber nicht wusste, ob Er diese Fähigkeit auch ihm gegenüber betätigen wollte, und deshalb sagt: »Herr, wenn du willst, kannst du mich reinigen“. Der Herr antwortet dem Zaghaften: „Ich will, sei gereinigt!“ Der Arme ahnte nicht, dass schon sein Glaube an die Fähigkeit des Herrn Ihn zum Heilen veranlassen würde, ja, dass dieser Glaube etwas von Gott Gewirktes war. So geht es vielleicht auch manchem Gläubigen. Aber der Herr sagt auch heute in jedem einzelnen Falle: „Ich will!“ Wenn wir ein Bedürfnis nach Gnade haben, so ist auch das schon durch Ihn hervorgerufen, und mag das Bedürfnis unserseits auch in demütigendem, beschämendem Straucheln oder Fallen seine Ursache haben, Er ist dennoch allezeit bereit, Seine heilende, wiederherstellende Gnade bei uns in Anwendung zu bringen. So ging Petrus, durch den Blick seines von ihm verleugneten Herrn von seiner Schuld überführt, beschämt und tiefgebeugt hinaus. Die Erinnerung an die liebevolle Ermahnung des Herrn auf seine selbstbewussten Worte ließ ihn bitterlich weinen. (Luk. 22, 61.) Seine Wiederherstellung erfolgte wohl, als der Herr nach Seiner Auferstehung ihm zuerst und ihm allein erschien. Und dass Petrus in seinem Vertrauen zu der treuen. unveränderlichen Liebe seines Herrn trotz seines tiefen Falles nicht erschüttert worden war, das bewies er, als er mit Johannes zur Gruft ging. Hätte er das Herz seines Herrn nicht besser gekannt, als wir es oft kennen, so wäre er wohl nicht zur Gruft gelaufen, noch als Erster hinein gegangen. (Luk.
24, 12; Joh. 20, 6 — 8). Aber der Blick, mit welchem der Herr ihn angesehen und die Umkehr in seinem Innern hervorgebracht hatte, der hatte ihm auch gezeigt, dass die Erbarmungen dieses Herrn nicht zu Ende waren, noch für ihn je zu Ende gehen konnten.
Darum: Gehen auch wir allezeit zu Ihm, machen wir Gebrauch von dem Reichtum der Gnade, der in Jesu vorhanden ist! Wenn schon dem Gesetzlosen, dem Manne des Frevels, gesagt wird: „er kehre um zu Jehova, so wird Er sich seiner erbarmen, und zu unserem Gott, denn Er ist reich an Vergebung« (Jes. 55, 7), wenn Erbarmen und Vergebung jedem Menschen zu teil werden, der Verlangen danach hat, wie kostbar sollte es dann für uns sein, mit diesem Herrn, den wir doch kennen, in steter, lebendiger Verbindung zu bleiben!
Sie würde jeden Mangel ausschließen und uns befähigen, die Fülle, die in Ihm ist, auf unserem Wege auch anderen zu zeigen und für sie nutzbar zu machen. L) möchten wir dieses unser Vorrecht mehr kennen und ausüben!
Je mehr wir es tun, desto mehr werden wir auch von Ihm lernen, der einst gesagt hat: ,,Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig«. Von Herzen demütig war nie ein Mensch, nachdem die ersten Menschen dem Wort der Schlange:
„Ihr werdet sein wie Gott!« Eingang in das Herz gewährt hatten. Selbst dem „auserwählten Rüstzeug“, dem mit so reichen Gaben ausgestatteten, treuen Knecht Paulus, musste wegen der ihm gewordenen überschwänglichen Offenbarungen »ein Dorn für das Fleisch« gegeben werden, aus dass er, wie er selbst sagt, »sich nicht überhebe«. Diese Worte geben Zeugnis von einer Einsicht, die nur in der Gemeinschaft mit dem Herrn erlangt werden kann. Sie ist ein Ergebnis der uns unterweisenden Gnade. Sie macht uns klein in unseren eigenen Augen und kommt in unserem Verhalten der Umgebung gegenüber zum Ausdruck. „Die Einsicht eines Menschen macht ihn langmütig, und sein Ruhm ist es, Vergebung zu übersehen“ (Spr. 19, 11).
Der in aller Weisheit der Ägypter unterwiesene Moses besaß diese Einsicht und ihre Frucht, die Langmut, noch nicht, als er den Ägypter erschlug und im Sande verscharrte. Nachdem er aber vierzig Jahre in der Wüste in der Gegenwart Dessen gelernt hatte, dem kein anderer Lehrer gleichkommt und der ihm zurief: „Ziehe deine Schuhe aus!“ erlangte er die Einsicht, welche langmütig macht, und lernte alle die Fähigkeiten, die für ihn als Diener Jehovas und als Führer Seines Volkes erforderlich waren. Die Unterweisung in der Weisheit der Ägypten so nützlich sie ihm auf seinem Posten gewesen sein mag, war nicht ausreichend und befähigte ihn auch nicht zum Tragen der Last, die auf seine Schultern gelegt werden sollte. Zum Tragen gehört Kraft, und Kraft muss eine Quelle haben. Diese Quelle nun lernte Moses in der Wüste kennen, und sie verlieh ihm die Fähigkeit, sanftmütig zu sein, »Mehr als alle Menschen, die auf dem Erdboden waren“, sodass er selbst in wirksamer Fürbitte für die eintreten konnte, die ihn frevelnd angetastet und sich dadurch unter das Gericht Gottes gebracht hatten. (4. Mose 12, 13 — 15).
Wir denken im allgemeinen kaum genug daran, wie sehr unser Verhalten alle, die mit uns in Berührung kommen, in der einen oder andern Weise beeinflusst. Der Bereich des Einflusses eines Menschen mag je nach seiner wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Stellung verschieden sein, der Einfluss selbst aber wird durch andere Kräfte bestimmt. Der Einfluss der kleinen jüdischen Sklavin im Hause Naamans gab dem gewaltigen Heerobersten des syrischen Königs Veranlassung, den Propheten Jehovas Heilung begehrend aufzusuchen, und diente letzten Endes zur reichen Verherrlichung des Gottes Israels (2. Kön. 5, 17); während der König Hiskia, dem Jehova auf sein Flehen mit einem Wunder geantwortet hatte (2.Chron. 32, 24), kläglich verjagte, als Gott ihm eine schöne Gelegenheit gab, seinen Einfluss heidnischen Männern von Babel gegenüber zur Verherrlichung Gottes zu benutzen. (Jes. 39, 1. 2) Auch der Einfluss des treuen, gottesfürchtigen, aber in Gefangenschaft befindlichen Daniel am Hofe des Königs Darius war so groß, dass er den Hass und die Eifersucht der Neide: erregte, schließlich aber auch hier dazu diente, dass der« mächtige heidnische König den Namen Jehovas erhob. (Daniel 6, 27. 28.) Andererseits lesen wir von dem König Joram: »Er ging hin (starb), ohne vermisst zu werden«. Ein ernster- Wort über einen König des Volkes Jehovas!
Wie kostbar ist das Zeugnis der Heiligen Schrift über solche Männer und Frauen, die, wenn auch mit Mängeln und Unvollkommenheiten mancherlei Art behaftet, in ihrem Leben den Wohlgeruch Christi verbreiteten, indem sie, aus der Quelle aller Gnade und Kraft schöpfend, Seinen Spuren folgten und Seine Gesinnung offenbarten! Das ist der Weg, den auch wir beschreiten können, indem unsere Herzen, offen für die Unterweisungen der Gnade, mit Dem in inniger Berührung bleiben, dessen „Herablassung uns groß gemacht hat«. Dann merkt auch die Umgebung etwas davon, was wir durch Gnaden geworden sind: »ein auserwählte; Geschlecht, ein königliches Priestertum, eine heilige Nation, ein Volk zum Besitztum“ (1. Petr. 2, 9.) Wir dienen schon hier zum Preise der Herrlichkeit Seiner Gnade und gereichen zur Verherrlichung unseres Herrn an dem Tage, „an welchem Er kommen wird, um verherrlicht zu werden in Seinen Heiligen und bewundert in allen denen, die geglaubt haben“ (2. Thess. 1, 10).

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Auch ein Beweis für die wörtliche Eingebung der Schriften

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 74ff

„Öffne meine Augen, damit ich Wunder schaue in deinem Gesetz.« (Ps. 119, 18.)
Vor längerer Zeit war ich mittags bei einem gläubigen Verwandten zu Gast. Nach beendigter Mahlzeit
las der Hausherr, wie gewohnt, einen Abschnitt aus dem Worte Gottes vor. Der Schluss von Markus 15 war an der Reihe. Nach dem Lesen entspann sich eine kurze Unterhaltung über Joseph von Arimathia, die mich veranlasste, die Berichte der einzelnen Evangelisten über diesen Mann miteinander zu vergleichen. Das Ergebnis erweckte in mir tiefes Staunen. Was fand ich? Alle vier Evangelisten berichten das Tun dieses Mannes in einem Sinne ganz gleichmäßig. Joseph geht kühn zu Pilatus hinein und bitter um den Leib Jesu; dann nimmt er den Leib von dem Kreuze herab, wickelt ihn in feine Leinwand und legt ihn in eine in Felsen gehauene Gruft, in welcher noch nie jemand gelegen hatte. So weit ist zwischen den einzelnen Erzählungen kaum ein Unterschied. Die Handlung ist überall dieselbe, kann ja auch nicht verschieden sein, aber auffallend verschieden, und zwar immer in Übereinstimmung mit dem Charakter und Zweck der einzelnen Evangelien, ist die Beschreibung der Persönlichkeit des Handelnden. Matthäus, der in besonderer Weise den Messias, den Sohn Abrahams und Sohn Davids, dem Volke Israel vor Augen stellt und immer wieder an die Erfüllung der diesem Volke gegebenen Verheißungen erinnert, erzählt: „Als es aber Abend geworden war, kam ein reicher Mann von Arimathia, namens Joseph, der auch selbst ein Jünger Jesu war«; und nachher:
„Und Joseph nahm den Leib und wickelte ihn in reine, feine Leinwand und legte ihn in seine neue Gruft, die er in dem Felsen ausgehauen hatte“ (Kap. 27, 57 — 60). Der Prophet Jesaja hatte im Blick auf den kommenden· Herrn geweissagt: „Man hat Sein Grab bei Gesetzlosen bestellt, aber bei einem Reichen ist Er gewesen in Seinem Tode«. (Jes. 53, 9.) In genauer Erfüllung dieses Wortes musste ein reicher Israelit dem Leibe des Sohnes Davids in seiner neuen Gruft, die er in dem Felsen ausgehauen hatte, die letzte Ruhestätte bereiten. So war es geziemend für den Messias, und so musste Matthäus es erzählen. Markus, der den Auftrag hatte, den Herrn als Diener und besonders seinen Dienst als Prophet zu beschreiben, berichtet: „Und als es schon Abend geworden war . . . , kam Joseph von Arimathia, ein ehrbare: Ratsherr, der auch selbst das Reich Gottes erwartete, und ging kühn zu Pilatus hinein und bat um den Leib Jesu“. Pilatus, ganz erstaunt, dass Jesus schon gestorben sei, erkundigt sich bei dem Hauptmann und· schenkt Joseph dann den Leib (Kap. 15, 42 — 45). Zur Ehrung eines treuen Knechtes, der freiwillig sich selbst erniedrigt hatte und gehorsam gewesen war bis zum Tode am Kreuze, dessen Leib verschenkt werden konnte, musste ein ehrbarer, angesehener Ratsherr auftreten, zugleich ein gläubige: Mann, der, dem prophetischen Zeugnis Jesu glaubend, das
Reich Gottes erwartete. So war es geziemend für den Diener und Propheten, und so musste Markus die Dinge berichten. Lukas, dessen Evangelium Christum als den Sohn des Mensch en beschreibt, der in tiefster Erniedrigung auf der Erde die Reichtümer der Gnade Gottes entfaltete, schreibt: „Und siehe, ein Mann, mit Namen Joseph, der ein Ratsherr war, ein guter und gerechter Mann — dieser hatte nicht eingewilligt in ihren Rat und «in ihre Tat —— von Arimathia, einer Stadt der Juden usw.“ (Kap. 23, 50—-53). »
Dem viel geschmähten Sohne des Menschen musste ein guter und gerechter Mann, der sich von dem bösen Treiben seines Volkes und seiner Genossen fern gehalten hatte, die letzte Ehre, wie man zu sagen pflegt, erweisen. So war es geziemend für den Menschensohn, der hienieden nicht hatte, wohin Er Sein Haupt legen sollte. Dem Leibe des Dieners und Menschen bereitete, nach vollendetem Wege und Dienst, die Liebe eines angesehenen, guten und gerechten Menschen eine Ruhestätte in einer stattlichen, in Felsen gehauenen Gruft. Dass die Gruft dem Joseph gehörte, bleibt in beiden Fällen ganz unerwähnt. Dieser Umstand ist für Markus und Lukas unerheblich, während Matthäus ihn erwähnen muss.
Nachdem ich die drei Stellen gelesen und mit steigender Verwunderung die Unterschiede bemerkt hatte, sann ich einen Augenblick nach. Noch nie waren mir diese Verschiedenheiten, und vor allem nicht in solchem Lichte, aufgefallen. Dass jeder ·der Evangelisten seine besondere Aufgabe hat, und dass die unmittelbare Leitung des Heiligen Geistes bei der Erfüllung dieser Aufgabe in Hunderten von Einzelheiten klar hervortritt, wusste ich längst und hatte der Evangelien-Harmonie in diesem Sinne oft mit tiefer Freude nachgespürt; dass sich aber selbst in scheinbar so nebensächlichen Dingen, bei der Beschreibung einer nur ganz vorübergehend auftretenden Person, die leitende Hand des eigentlichen
Schreibers so deutlich zeigt, war mir geradezu überwältigend. –
Nun blieb noch Johannes übrig. Wie mochte er die Sache erzählen, der Jünger, der von dem Herrn als dem Sohne Gottes, dem ewigen Wort, dem Schöpfer und Erhalter des Weltalls, redet? Mit tiefer Bewegung las ich: ,,Nach diesem aber bat Joseph von Arimathia, der ein Jünger Jesu war, aber aus Furcht vor den Juden ein verborgener, den Pilatus, dass er den Leib Jesu abnehmen dürfe«. (Kap.19, 38.)
Der reiche Israelit, der vornehme Ratsherr, der gute und gerechte Mann —- alle verschwinden hier, und nur ein furchtsamer Jünger Jesu bleibt, der sich lang verborgen gehalten hat, in dieser Stunde aber, als alle den Herrn verlassen hatten, Mut fasst und, aus Liebe getrieben, um die Ehre bittet, den Leib Seines Heilandes, des hochgelobten Sohnes Gottes, bestatten zu dürfen. Waren in den ersten drei Fällen sein Reichtum, seine Stellung und sein guter Ruf dazu angetan, dem Begräbnis Jesu einen gewissen ehrenvollen Charakter zu verleihen — hier, wo es sich um den Sohn Gottes handelt, ist Joseph der Geehrte. Ihm wird das unermesslich große Vorrecht zu teil, mit Nikodemus, einem anderen ängstlichen Jünger Jesu (dessen Tun auch von keinem anderen Evangelisten erwähnt wird), „den Leib Jesu, wie es bei den Juden Sitte ist, zum Begräbnis zuzubereiten« und ihn dann in einem nahe gelegenen Garten, „in einer neuen Gruft, in welche noch nie jemand gelegt worden war“, zu bestatten. Dass diese Gruft Joseph gehörte, wird auch hier durch nichts angedeutet. Gnade war es, die diese beiden furchtsamen, aber aufrichtigen Männer zu ihrem gesegneten Werke erwählte, und Gnade war es, die ihnen solch große Auszeichnung vor allen anderen Jüngern Jesu schenkte. Der Sohn Gottes bedurfte wahrlich keiner Ehrung von seiten der Menschen. Er war es vielmehr, der denen Ehre verlieh, die sich mit Seinem Leibe beschäftigen durften; und die Gnade bestimmte und befähigte dazu nicht einen Johannes oder Jakobus, sondern einen Joseph und Nikodemus —— dieselbe Gnade, welche einen untreuen Israeliten, den Zöllner Matthäus. dazu ausersah, das Evangelium von Christo, dem Sohne Davids, zu schreiben, und den untreuen Diener Marias (vergl. Apstgsch. 15, 37 — 39) berief, um das Bild des allzeit treuen, bis ans Ende in bedingungslosem Gehorsam beharrenden Dieners zu entwerfen. Und diese Gnade hat uns durch diese und andere Werkzeuge die Heiligen Schriften gegeben, die, »von Gott eingegeben (eig. eingehaucht), nütze sind zur Belehrung usw.« (2.Tim. 3, 16.)

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Aus einem alten Briefe

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 79ff

Elberfeld, Oktober 1861.
. . . Seit einiger Zeit hat der Brief an die Philipper einen besonders tiefen Eindruck auf mich gemacht. Ich erblicke darin einen Christen mit denselben Gemütsbewegungen, wie wir sie haben, der sogar eines Dornes für sein Fleisch bedurfte, damit er sich nicht überhebe; und ich sehe diesen Christen erhaben über alle Umstände und Einflüsse, die ihn umgeben. Fleisch und Sünde werden in dem Briefe nicht einmal genannt, es sei denn um zu sagen, dass der Apostel kein Vertrauen mehr auf Fleisch hatte. Seine lebendige Erwartung und Hoffnung war, »dass jetzt, wie allezeit, Christus hoch erhoben werde an seinem Leibe, sei es durch Leben oder durch Tod“. Alles schlägt ihm zur Seligkeit aus. Er weiß, was es ist, sich über alles zu freuen und sich über nichts zu beunruhigen. Die Macht des Geistes erhebt ihn über alles. Nicht dass das Fleisch nicht vorhanden wäre; es ist da, aber es wird niedergehalten.
Und das Geheimnis dieser Kraft ist ein bedingungsloses Begrabensein des alten Menschen. Durch die Offenbarung Jesu Christi war Paulus, oder vielmehr Saulus, gestorben, und er war sich dessen bewusst. In drei Tagen, dürfen wir sagen, war alles beendet. (Vergl. Apstgsch. 9, 9.) Von da ab, durch
alles hindurch, war das Leben für ihn Christus. Auch wir halten uns für tot, und wir tun recht daran; aber Paulus hatte es verwirklicht, er trug allezeit das Sterben Jesu an seinem Leibe umher. Und das ist die regelrechte Erfahrung des Christen, die Verwirklichung seines wahren Zustandes, indem die Energie so völlig von Christo erfüllt ist, dass sie den Tod will — dieAbwesenheit von allem anderen, um nur Christum zu kennen. Man kann in diesem Zustande mancherlei Übungen begegnen, aber man vermag in ihm alles; denn wenn Paulus das am Ende seines Briefes sagen kann (Kap. 4, 13), so ist es nur deshalb, weil er auf dem ganzen langen Wege die Erfahrung davon gemacht hat.
Ich finde den Brief an die Philipper demütigend und zugleich ermunternd für uns: demütigend, wenn wir einen Vergleich zwischen uns und dem Apostel ziehen, ermunternd, wenn wir uns daran erinnern, dass die Kraft zur Verwirklichung dieser Dinge auch für uns in Christo ist. -
Was das Lesen des Wortes Gottes betrifft, so hängt unser Genuss desselben von zwei Dingen ab: zunächst von unserem allgemeinen geistlichen Zustand, und dann von der Wirksamkeit des Geistes Gottes in uns. Ganz naturgemäß steht der Grad unseres Genusses in Beziehung zu unserem geistlichen Zustand, aber er wird auch verschieden sein je nach den Wirkungen des Heiligen Geistes. Wenn wir nicht geistlich sind, so trägt der Genuss einen schwachen, oberflächlichen Charakter. Und weiter, wenn wir in der einen oder anderen Sache den Heiligen Geist betrübt haben, so kann Er den Worten wohl Kraft geben, um unser Gewissen auszuwerfen und uns wiederherzustellen, aber wir werden es dann nicht genießen. Unsere Nachlässigkeit-macht den Genuss unmöglich, weil wir von dem Geist abhängig sind sowie von dem Licht, das Er in unsere Herzen fallen lässt; und dieses Licht haben wir nur in dem Stande der Abhängigkeit. Fühlen wir diese Abhängigkeit nicht, so macht der Heilige Geist sie uns fühlbar: wir erfahren, dass unser Inneres bei dem Lesen des Wortes dürr und leer bleibt. Was mich betrifft, so habe ich diese Erfahrung wiederholt gemacht. Ich suchte in solchen Fällen mich selbst zu richten, und zu erforschen, warum ich keinen Genuss hatte. Andererseits habe ich niemals das Wort unter Gebet gelesen, indem ich Gott anflehte, mir in Seiner Güte etwas zu geben, ohne dass ich auch irgend etwas empfangen hätte. Ich glaube, dass das Hauptmittel, um aus dem Worte Gottes Nutzen zu ziehen, darin besteht, viel vor Gott über seine Seele zu wachen. Dann, allezeit, wenn man liest, Gott zu bitten, dass Er uns Nahrung gebe und sich dazu herablasse, unsere Seele in Gemeinschaft mit Ihm zu bringen, und zwar gerade mittelst des Wortes, das wir lesen. Denn die Gemeinschaft mit Ihm ist die Quelle und zugleich die beglückende Wirkung unseres Lesens; überdies vermehrt sie unsere Einsicht hinsichtlich Gottes selber und Seiner Wege in Christo, und das ist von unermesslichem Werte für uns.
Wenn du findest, dass du wenig oder gar keinen Genuss von dem Lesen hast, und dass Gott, trotz deiner Gebete, sich dir nicht offenbart (denn das ist der so überaus wichtige Punkt), so sei nicht zufrieden mit einer solchen Lage; denn Gott redet gerade durch Sein Schweigen zu dir. Es muss etwas zwischen deiner Seele und Gott stehen, sei es ein böser, nicht gerichteter Gedanke, sei es irgend eine Nachlässigkeit, Härte oder dergl» Suche Sein Angesicht und sieh zu, worin du nicht auf der Höhe des Apostels in dem Briefe an die PhiIipper gestanden hast. Die Gnade genügt für jeden Dienst, sei er klein oder groß. Wenn wir darum jene betrübende Erfahrung machen, so bleibt nur der Schluss übrig, dass wir nicht in dem praktischen Sinne gestorben sind, wie Paulus es; war ; aber Gott sei gepriesen! mL«3gen wir von Anfang an auch nicht so gestorben sein, wie er es war, und noch mancher Übüngen bedürfen, um es zu werden, — unser Herr bleibt treu, und Sein Ohr ist immer für uns geöffnet. . . . J. N. D.

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Wohin sollen wir gehen?

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 82ff

„Dies bekenne ich dir. dass ich nach dem Wege, den sie eine Seite nennen, also dem Gott meiner
Väter diene, indem ich allem glaube, mag in dem Gesetz und in den Propheten geschrieben steht, und die Hoffnung zu Gott habe, welche auch selbst diese annehmen, dass eine Auferstehung sein wird, sowohl der Gerechten als auch der Ungerechten“ (Apostelgeschichte 24, 14).
So verteidigt sich der Apostel Paulus vor dem Landpfleger Felix wegen seines Weges und seiner Lehre und gegen die Beschuldigung, dass er ein Anführer der Sekte der Nazaräer sei.
Aus den angeführten Worten geht klar hervor, dass die Kirche Christi im Anfang ihres Bestehens von
den Juden eine Sekte genannt wurde. Einen weiteren Beweis dafür finden wir in Apostelgeschichte 28, 22, aus welcher Stelle wir ersehen, dass dieser »Sekte« ·allenthalben widersprochen wurde.
Man brachte also alle Personen, welche sich durch die Nachfolge Jesu im Widerspruch mit der amtlichen Lehre und den Geboten der jüdischen Synagoge befanden, in den Ruf der Sektiererei, gleichviel ob es sich in Wirklichkeit um eine Irrlehre handelte oder nicht.
Derselbe oberflächliche Begriff von dem Wort „Sekte“ besteht auch heute noch fast allgemein, indem
irrtümlicher Weise alles als Sekte verrufen wird, wer sich außerhalb der bestehenden Staatskirchen befindet, ohne dabei zu bedenken, dass auch von den letzteren die eine aus der anderen hervorgegangen ist.
Wie verkehrt diese Auffassung ist, ergibt sich schon aus den angeführten Schriftstellen. Das Schmerzlichste dabei ist aber, dass dadurch unwissentlich (oft allerdings auch wissentlich) viele aufrichtige, heilsuchende Seelen, von denen die meisten den Staatskirchen praktisch ohnehin schon den Rücken gekehrt haben, vom Besuch solcher christlichen Versammlungen abgehalten werden, die als „Sekten“ gelten, es tatsächlich aber nicht sind.
Die Bezeichnung „Sekte“ oder „Sektierer“ kann auf gläubige Christen keine Anwendung finden, welche aus allen Parteiungen herausgetreten sind und sich nun ohne Sonderbekenntnis, einfach im Namen Jesu, auf Grund des Wortes Gottes versammeln und in Lehre und Wandel in Übereinstimmung mit der Schrift zu sein wünschen, indem sie dabei die Wahrheit festhalten und praktisch verwirklichen, dass sie mit allen gläubigen bzw. wiedergeborenen Christen den Leib Christi in dieser Welt darstellen.
Der Anfang zu den Spaltungen innerhalb der christlichen Kirche wurde in der Gemeinde zu Korinth) gemacht, in welcher bekanntlich Parteiungen entstanden, die dahin führten. dass sich die einen paulisch, die anderen kephisch, wieder andere apollisch oder christisch nannten, ein Vorgehen, das der Apostel in seinem ersten Briefe an die Korinther als menschlich und fleischlich (ungeistlich) scharf verurteilt. (1. Kor. 1, .12; 3, 3. 4.) Seit jener Zeit haben die Spaltungen in erschreckender Weise überhand genommen.
Ungläubige Menschen benutzen diesen Umstand gern, um ihre Gleichgültigkeit oder gar ihre Feindschaft gegen Gott und Sein Wort dahinter zu verbergen oder sich zu entschuldigen, mag ihnen aber vor Gottes Richterstuhl einst nichts nützen wird. Aber auch aufrichtige und gläubige Seelen könnte der Blick auf die heutigen Zustände in die größten Zweifel und Anfechtungen bringen, wenn nicht Gottes Wort selbst uns darüber belehrte, dass diese große Verwirrung infolge der Untreue und Verkehrtheit des Menschen eintreten würde und ganz besonders den Endzustand der Kirche, kurz vor dem Kommen des Herrn, kennzeichnen wird (Vergl. Apstgsch. 20, 30; 1. Tim. 4, 1; 2. Tim. 3, 1).
Angesichts dieser Tatsachen sollte es eigentlich niemand in den Sinn kommen, ernste Christen der Sektiererei zu bezichtigen, wenn sie, alle menschlichen Einrichtungen und Benennungen verlassend, zu dem zurückkehren, was von Anfang war, und nun wieder zu verharren begehren „in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und in den Gebeten“ (Apostelgeschichte 2, 42).
Den gläubigen Leser dieser Zeilen möchten wir an die Ermahnung erinnern: „Prüfet aber alles, das Gute haltet fest“ (1. Thess. 5, 21). Jenen aber, der seiner Errettung noch nicht gewiss ist, bitten wir herzlich, das Heil seiner unsterblichen Seele mit allein Ernst zu suchen und seine Zuflucht zu Jesu zu nehmen, da ganz gewiss eine erste und eine zweite Auferstehung sein wird, sowohl eine Auferstehung der Gerechten als auch der Ungerechten, wo alsdann alle, die zu der zweiten gehören, ob groß oder klein, vornehm oder gering, vor dem großen weißen Thron stehen werden, um gerichtet zu werden nach dem, was in den Büchern geschrieben steht, nach ihren Werken. (Offbg. 20, 11 —15).

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Der kluge und der gute Knecht

Bibelstelle: Matthäus 24 und 25

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 85ff

Wir leben in der Zeit der Abwesenheit des Herrn und erwarten Seine Wiederkehr. Immer wieder erinnert uns die Schrift daran, dass Jesus zurückkommt, und zwar geschieht das unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten, je nach der Stellung oder der Beziehung der Gläubigen zum Herrn, ·um die es sich handelt. Werden sie als die Braut Christi betrachtet, so ist alles Gnade; von Dienst und Verantwortlichkeit, von treuer Pflichterfüllung, von Arbeit und deren Belohnung ist keine Rede. Alles geht vom Herrn aus und ist ein Ergebnis Seiner Liebe. Als Bräutigam hat Er in Seinem Herzen nichts anderes als Liebe zu Seiner Braut, und Er setzt das Gleiche bei ihr voraus: sie liebt Ihn und wartet mit Verlangen auf Sein Kommen, und der Geist, der in ihr wohnt, lenkt all ihr Sinnen und Denken auf Ihn hin. Sobald Er sich darum am Ende des Buches der Offenbarung als die Wurzel und das Geschlecht Davids, als der helle, glänzende Morgenstern ankündigt, rufen Geist und Braut gemeinsam:
„Komm!“ Es ist die Herzensverbindung zwischen Bräutigam und Braut, die hier in Frage kommt, das innere, vertrauliche Verhältnis des Herrn zu Seiner Versammlung oder Gemeinde. Darum werden auch gar keine anderen Personen erwähnt. Es mag Gläubige geben, die mit der kostbaren Wahrheit von der Wiederkunft ihres geliebten Herrn noch nicht vertraut sind, und ihnen gilt wohl der Zuruf: „Wer es hört, spreche: Komm!“ — oder Menschen, die überhaupt noch nicht in Verbindung mit Christo stehen, und diese werden eingeladen, zu Ihm zu kommen; aber keiner, der nicht aus Gott geboren ist, könnte rufen: Komm! Für die Welt oder die bloßen Namenchristen würde die Beantwortung dieses Rufes ja nur gewisses, endloses Verderben bedeuten. Nein, nur Gläubige können wünschen, auf immerdar bei Jesu zu sein. Nur sie warten auf Ihn und lieben Sein Kommen, und sie tun das umso inniger und stärker, je ungetrübter der Geist Gottes in ihnen wirken kann. Deshalb ist es auch wohl ausgeschlossen, dass andere Augen dieses Kommen sehen werden, oder dass Klagetöne und Weherufe dabei ertönen könnten. Die Schrift redet auch niemals so. Es ist eine Familienszene voll reinster, unvermischtester Freude, an der nur Familien-Angehörige teilhaben und teilhaben können. Aber es gibt noch ein anderes Verhältnis, in welchem die Gläubigen zu Jesu stehen. Er ist nicht nur in gemeinsamem Sinne ihr Bräutigam, sondern jeder einzelne von ihnen kennt Ihn auch als seinen Herrn und Meister. Wir sind Seine Knechte und Seine Mägde. Sobald dieses Verhältnis in Betracht kommt, treten Pflicht und Verantwortlichkeit in den Vordergrund, und Wachsamkeit und Treue werden erwartet. Zugleich werden als Anerkennung gewissenhaften, fleißigen Dienstes Belohnungen in Aussicht gestellt: „ein jeder wird empfangen, was er in dem Leibe getan, nach dem er gehandelt hat, es sei Gutes oder Böses“ (2. Kor. 5, 10). Manche finden freilich Schwierigkeiten darin, diese beiden Wahrheiten miteinander zu vereinigen; aber wenn man, in Unterwürfigkeit unter das Wort, die zwei eben genannten verschiedenen Beziehungen beachtet, wird es kaum schwer fallen, die gemeinsame Segnung der Gläubigen seitens ihres in Gnade kommenden Herrn und die Vergeltung persönlicher Treue bzw. Untreue in den Belohnungen des Reiches klar voneinander zu unterscheiden. Wenn wir von den vielen Wohnungen im Vaterhause hören, wird niemand von uns daran denken, dass der eine herrlicher oder dem Vater näher und angenehmer sein könnte als der andere; alles beruht auf der Liebe des Vaters und dem vollkommenen Werke des Sohnes, alle sind gleich nahe, alle mit derselben Liebe geliebt. Aber dürfen oder möchten wir deshalb leugnen, dass »ein jeder seinen eigenen Lohn empfangen wird nach seiner eigenen Arbeit“, und dass in einigen Fällen »das Werk jemandes „bleiben“, in anderen „verbrennen“ wird? (1. Kor. 3, 8. 14. 15). Dementsprechend wird man auch finden, dass in der Schrift eine innige Verbindung besteht zwischen dem Tage Christi oder Seinem Erscheinen und den Ermahnungen zu gegenwärtiger Treue. So wird Timotheus ermahnt, „das Gebot unbefleckt, unsträflich zu bewahren bis zur Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus“, und der Apostel selbst spricht von „der Krone der Gerechtigkeit, welche der Herr, der gerechte Richter, ihm zur Vergeltung geben werde an jenem Tage, nicht allein aber ihm, sondern auch allen, die Seine Erscheinung lieb haben“ (1. Timotheus 6, 14: 2. Tim. 4, 8.) So erwarteten die Korinther in Verbindung mit den ihnen anvertrauten Gaben und deren Ausübung die Offenbarung unseres Herrn Jesus (1. Kor. 1, 7; vergl. 1. Petr. 1, 7. 13), die Philipper sollten „lauter und unanstößig sein auf den Tag Christ i« (Phil. 1, 10), die Thessalonicher als „Söhne des Tages“ wachen und nüchtern sein, dass nicht der Tag sie wie ein Dieb ergreife (1. Thess. 5, 4 — 11), die Hebräer „einander ermuntern“, je mehr sie den Tag herannahen sahen (Hebr. 10, 25) usw. usw. So ist es auch in den drei Gleichnissen, welche der Herr, im Anschluss an Seine Mitteilungen über die ernsten Wege Gottes mit Seinem irdischen Volke, in Matth. 24 und 25 erzählt. Obwohl wir hier die Ausdrücke „Erscheinung. Offenbarung. Tag usw.“ nicht finden — es ist nur von der „Gegenwart“ oder „Ankunft“ des; Herrn die Rede, ein Wort, das beides: Sein Wiederkommen in Gnade und Sein Erscheinen zum Gericht, in sich schließt -— weisen »doch die wiederholten Aufforderungen zur Wachsamkeit und, Bereitschaft und die Erinnerung an die „Diebe“ in Kap. 24, 43 deutlich darauf hin, dass es sich hier vornehmlich um Verantwortlichkeit handelt. Alle drei Gleichnisse: von dem „klugen“ und dem „bösen“ Knecht, von den „klugen“ und den „törichten“ Jungfrauen, von den „treuen“ Knechten und dem „faulen“ Knecht, beziehen sich auf die Zeit nach der Rückkehr Christi zum Vater — der Messias hat Sein irdisches Heim, Israel, verlassen und ist „außer Landes“ gereist —- mit einem Wort, auf die Geschichte der Christenheit hienieden. Es kommen
deshalb nicht nur wahre Gläubige in Betracht, sondern alle, die auf dem Boden des christlichen Bekenntnisses stehen, alle, welche sich in irgend einem Verhältnis, ob echt oder unecht, innerlich oder nur äußerlich, zu Christo befinden. In den beiden Gleichnissen von den Knechten handelt es sich selbstredend vornehmlich um solche Bekenner, die irgend einen besonderen Platz als Diener einnehmen. „Wer ist nun der treue und kluge Knecht, den der Herr über sein Gesinde gesetzt hat, um ihnen die Speise zu geben zur rechten Zeit?“ (.Kap. 24, 45). So fragt der Herr, und unwillkürlich erweckt die Frage den Gedanken, dass es solcher .Knechte wohl nicht viele gibt. Man muss nach ihnen forschen. Zugleich weist der Wortlaut darauf hin, dass es sich hier nicht etwa um die Verkündigung des Evangeliums handelt, sondern um den Dienst im Hause, die Sorge um die Versammlung oder Gemeinde. Der Grundsatz des Handelns nach außen hin mit den Talenten, d. h. mit den von dem Herrn anvertrauten Gaben, kommt mehr in dem letzten Gleichnis zum Ausdruck. -Hier ist die wichtige Sache die, dass dem Herrn, weil Er Seine Heiligen liebt („dessen Haus wir sind“, Hebr. S, 6), viel an der Ausübung des Dienstes in Seinem Hause liegt. Alter wahre Dienst ist von Gott, und nur der Herr setzt Diener über Sein Gesinde und befähigt sie, ihm die „zugemessene“ Speise (Luk. 12, 42) zur rechten Zeit zu geben; aber die Gefahr ist groß, das zu vergessen, und dann verliert der Dienst seinen eigentIichen Charakter. Anstatt Christi Diener in Seinem Hause zu sein, sind viele zu Angestellten irgend einer Körperschaft geworden, und dann fließt der Dienst nicht mehr allein und unmittelbar aus der einzigen Quelle, aus der er fließen kann und soll. Er .wird menschlich und passt sich" Menschen an. Aber auch wenn das nicht der Fall ist, bedarf es besonderer ,,Treue« und „Klugheit“, um der Absicht des Herrn zu entsprechen und immer zur rechten Zeit das rechte Wort zu reden, die Versammlung zu erbauen, die Unordentlichen zurechtzuweisen, die Kleinmütigen zu trösten, die Schwachen aufzurichten, die Unbesonnenen zu warnen, den Kindlein „Milch“, den Erwachsenen „feste Speise“ darzureichen, mit einem Wort, „ein guter Verwalter der mancherlei Gnade Gottes zu sein, als aus der Kraft, die Gott darreicht“ (Vergl. 1. Petr. 4, 10. 11). Wer irgend, vom Herrn dazu beauftragt und ausgerüstet, sich mit diesem Dienst beschäftigt hat, wird die Erfahrung gemacht haben und immer wieder machen, dass nur persönliche Treue, eine stete, verborgene Gemeinschaft mit dem Herrn, ein nie aufhörendes eigenes Schöpfen aus dem Reichtum Seines Wortes, die stille, ernste Zucht Seines Heiligen Geistes, verbunden mit den Unterweisungen, die man persönlich im Heiligtum empfängt, die „Klugheit“ darzureichen vermögen, die nötig ist, um den Dienst in gesegneter Weise zu tun. Freilich wird man auch immer von neuem erfahren, dass unser Herr ein überaus gütiger, freundlicher Herr ist, der, anstatt „zu nehmen, was Er nicht hingelegt hat“ (Luk. 19, 21), gibt, sich nie ausgibt, sondern über Bitten und Verstehen hilft und unserer Armut wunderbar zu. Hilfe zu kommen weiß. Das lebendige Bewusstsein: Der Herr hat mich an meinen Platz gestellt, Ihm bin ich verantwortlich, und Er kommt wieder, um dann Seinen Knechten ihren Lohn zu geben, wird dem ganzen Wege und Verhalten des treuen und klugen Dieners seinen, Stempel ausdrücken. Der „böse“ Knecht spricht in seinem Herzen: „Mein Herr verzieht zu kommen“. Wo das aber der Fall ist — beachten wir, dass es sich nicht um unrichtige Ansichten bezüglich des Kommens des Herrn handelt, sondern um den Zustand des Herzens -— verliert der Dienst seinen wahren Charakter, und als nächste Folge beginnt der Knecht seine Mitknechte zu schlagen. sich eine MachtvolIkommenheit anzumaßen, die ihm nicht gebührt, und mit der Welt, den „Trunkenen“, zu essen und zu trinken. Er mag sich selbst noch nicht betrinken, aber er macht Gemeinschaft mit denen, die es tun, und ,,böser Verkehr verdirbt gute Sitten«. Das ist die große Gefahr für solche Knechte, die bloß dem Bekenntnis nach, nicht von Herzen, Christum als ihren Herrn anerkennen. Welch eine Illustration bietet die Geschichte der bekennenden Kirche zu diesem einfachen Worte des Herrn, und wie erschreckend ist der Gedanke an das Ende solcher Knechte! Der Herr wird sie, so stellt das Gleichnis es dar, an ihrem Platze als Knechte finden, aber mit einer Autorität bekleidet, die Ihm allein gebührt, die Herzen mit der Welt erfüllt, und ein Schreckliches, schonungsloses Gericht wird sie treffen. Der Herr wird sie in zwei Stücke zerschneiden und ihnen ihr Teil setzen mit den Heuchlern. Und der treue und kluge Knecht? Er wird glückselig gepriesen in seinem Tun. Ja, der Herr, der ihn „also tuend finden wird“, will ihn „über Seine ganze Habe“, d. h. über alles Bestehende, setzen. Er war treu in Seinem Hause und im Blick auf Sein Gesinde an einem Tage kleiner Dinge und kleiner Kraft; so wird Er ihn zur Zeit Seiner Macht und Herrlichkeit über alles setzen, was Ihm gehört. Fürwahr, eine solche Verheißung ist dazu angetan,
uns zu zeigen, welch einen Wert der Herr auf die kleine, schwache Schar Seiner Geliebten legt, und wie hoch Er jeden Dienst, der ihnen in Liebe erwiesen wird, einschätzt. Ist es deshalb nicht ein Beweis von dem niedrigen Zustand der Christenheit, wenn man sieht, wie allgemein. selbst unter wahren Gläubigen, viel mehr von dem Dienst nach außen hin gehalten und geredet wird, als von dem weniger auffallenden, aber so gesegneten Dienst an den einzelnen Schäflein der Herde Christi? Muss man nicht sogar oft den Vorwurf der Trägheit oder gar der Proselytenmacherei über sich ergehen lassen, wenn man dem Auftrag des Herrn nachzukommen und Seinem Gesinde die zugemessene Speise zu geben sucht? „Gehet hinaus an die Hecken und Zäune und predigt denen, die von Christo noch nichts wissen, das heißt des Herrn Werk treiben!“ So oder ähnlich redet man, und gewiss, das Werk am Evangelium hat seine große, herrliche Bedeutung; wer wollte sie verringern? Aber man sollte das eine tun und das andere nicht lassen, und nicht vergessen, dass der Herr zu allernächst den Dienst im Hause hervorhebt, dass Er dem Knecht, der ihn in Treue und Klugheit ausübt, glückselig preist und ihm eine Belohnung in Angesicht stellt, die ganz überwältigend groß ist. Mögen andere ihn und sein Tun auch nicht anerkennen, viele ihn gar verurteilen Und seine Berechtigung zu dienen bestreiten, weil sie keine menschliche Autorität zu ihrer Quelle hat-  es beirrt ihn nicht. Er führt den Auftrag seines Herrn aus, den er liebt und auf den er wartet. Und er weiß, wenn dieser kommt, so wird Er alles in Ordnung bringen und an seinen richtigen Platz stellen. Die Knechte im letzten Gleichnis empfangen verschiedene Gaben, je „nach ihren Fähigkeiten“ , Auch diese Gaben teilt der Herr aus, und zwar gibt Er „von Seiner Habe“, dem einen Knecht fünf Talente, einem anderen zwei, einem anderen eins, nach Seinem Gutbefinden und entsprechend Seiner Kenntnis der Fähigkeiten eines jeden. *) Hier handelt es sich, wie  schon bemerkt, nicht um Dienst im Haushalt des Herrn, sondern die Knechte gehen aus und handeln mit dem ihnen Anvertrauten. Der erste gewinnt andere fünf, der zweite andere zwei Talente hinzu; der dritte vergräbt sein Talent in der Erde, weil er kein Vertrauen zu seinem Herrn und kein Interesse für dessen Sache hat. Der zurückkehrende Herr nennt die ersten beiden Knechte gute und treue Knechte, den dritten schilt Er böse und faul. Die beiden ersten, die über „weniges“ treu waren, werden über „vieles“ gesetzt und gehen ein in die „Freude ihres Herrn“. Dem dritten wird selbst das, was er hat, weggenommen, und er selbst wird in die „äußere Finsternis“ geworfen. überaus kostbar sind also auch hier die in Aussicht gestellten Belohnungen (vergl. Luk. 19, 17 - 19), aber an die „ganze Habe“ reichen sie doch wohl nicht hinan. Beachtenswert ist auch der Wechsel in der Bezeichnung der Knechte: sie heißen hier, im Blick auf ihre Aufgabe und ihren Dienst, nicht klug, sondern gut. Ist neben der Treue, als beiden unentbehrliche Eigenschaft, im inneren Dienst besonders geistliches Verständnis, göttliche Klugheit, erforderlich, so bedarf es im äußeren Dienst, im Verkehr mit den Menschen, in hervorragender Weise der Darstellung der Güte Gottes in Wort und Wandel. Neben dem Dienst am Evangelium sind diese Knechte sicherlich auch berufen, ihren Mitgläubigen die ganze Fülle der Gnade Gottes vor Augen zu stellen, sie in die ganze Wahrheit zu leiten, also nicht nur Seelen zu gewinnen, sondern auch, je nach der Fähigkeit eines jeden, sie in das Erkennen und Genießen der Habe ihres Herrn einzuführen. Vergessen wir« schließlich nicht, dass wir alle, wenn auch in diesen beiden Gleichnissen von .Knechten in besonderem Sinne gesprochen wird, Knechte und Mägde des Herrn sind, dass wir alle einen Auftrag von Ihm empfangen haben und Fähigkeiten besitzen, die Er benutzen will. Wie mancher Bruder, wie manche Schwester hat schon ein tröstendes, ermunterndes, mahnendes oder warnendes Wort sprechen dürfen, das sich als die passende, zugemessene Speise zur rechten Zeit erwies und reichen Segen brachte! Möchten wir nur treu sein und stets auf der Watte stehen, um je nachdem vom Herrn als kluge oder gute Knechte gebraucht werden zu können! Die Zeit der Arbeit, des Dienstes, der Aussaat ist bald vorüber. Der Mitternachtsruf: ,,Siehe, der Bräutigam!« ist längst ergangen. „Wachet also, denn ihr wisset nicht, zu welcher Stunde euer Herr kommt!“

Fußnoten:
„Fähigkeiten“ und „Gaben“ sind zwei ganz verschiedene Dinge. Fähigkeiten sind natürliche Eigenschaften eines Menschen, die ihn zu irgend einem Dienst passend erscheinen lassen, und die ausgebildet werden können. Der Herr wird z. B. niemand zum Predigen berufen, der seine Gedanken nicht in Worte zu kleiden weiß. Alle Knechte Gottes, die wir im Worte genannt finden, hatten von Hause aus ,,Fähigkeiten«, und oft leitete der Herr schon vor der Bekehrung die Umstände so, dass das Gefäß für den späteren Empfang und die Ausübung der „Gabe“ zubereitet wurde. Aber die Gabe ist an und für sich ganz unabhängig von den Fähigkeiten. Sie kann zwar auch ,,vernachlässigt« oder „angefacht“ werden (1. Tim. 4, 14; 2. Timotheus 1,6), und in dem ersten Falle sich vermindern oder gar sich verlieren, in dem zweiten wachsen und zunehmen; aber niemand besitzt sie von Natur, sondern sie wird ihm geschenkt. Es ist eine Gnadengabe, die unmittelbar von oben kommt und vom Herrn bestimmt wird. Es ist wichtig, diesen Unterschied zu verstehen und festzuhalten.

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Die letzte Station

Bibelstelle: 4. Mose 25

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 95ff

Die letzte Station der Wüstenwanderung war erreicht. Nicht mehr lange, und Israel sollte der Bundeslade durch den Jordan in das gelobte Land folgen. (Vergl. 4. Mose 25, 1 mit Jos. 3, 1.) Was lag doch alles hinter ihnen! Eine lange, furchtbare Knechtschaft unter dem Joche des Pharao, aus welcher Gottes starke Hand, in Beantwortung ihres Schreiens, sie erlöst hatte, um sie hinaufzuführen in ein gutes und geräumiges Land, ein Land, das von Milch und Honig floss. (2. Mose 3, 6 - 10). Das Blut des Passahlammes hatte sie in jener Nacht, als der WürgengeI das Land durchzog, vor dem Gericht geschützt, und unter der Leitung und Hut der Wolken- und Feuersäule waren sie durch das Schilfmeer gezogen. Da wo ein sicherer Tod sie bedrohte, hatte Gott einen Weg gebahnt, während ihre grausamen Verfolger in den Wogen untersanken wie Blei. Am jenseitigen Ufer stehend, durften sie Jehova, den Kriegsmann, besingen und Ihn preisen, der sie erlöst und geführt hatte zu Seiner heiligen Wohnung. 
Mit der Wüstenwanderung hatte die Offenbarung ihrer Widerspenstigkeit und ihres Unglaubens, aber auch der wunderbaren Gnade und Treue ihres Gottes begonnen. Am Ende eines vierzigjährigen Weges mussten sie bezeugen, dass ihre Kleider nicht verschlissen und ihre Füße nicht geschwollen waren, und dass Gott ihnen jeden Morgen von neuem den Tisch gedeckt und aus dem Kieselfelsen sie getränkt hatte. Und nun sind sie an der letzten Station, in Sittim, angelangt. 
Balak, der König der Moabiter, hatte gehört, was auf diesem ihrem Wege den Königen Sihon und .Og widerfahren war, und um dem auch ihm drohenden Verderben zu entrinnen, hatte er Bileam kommen lassen, damit er das Volk Israel verwünsche. Doch was war das Ergebnis gewesen? Selbst nachdem die Wüste immer wieder ans Licht gestellt hatte, was Israel war, hatte Gott gezeigt, dass Seine Gedanken stets dieselben sind, und dass Er nicht ein Mensch ist, der lügt oder bereut. Von dem Gipfel des Berges herab durfte Bileam nichts anderes reden, als ·was Jehova ihm in den Mund legte, und geradezu überwältigend sind die Worte, die dieser ungerechte Mann, von Gott gezwungen, aussprechen musste. Ein Spruch nach dem anderen schildert in dichterischer, glühender Sprache Gottes Gedanken über Sein Volk; es war nicht nur ein abgesondertes, erlöstes und gerechtfertigtes Volk, nein, bis zur Herrlichkeit geht es auf dem Pfade der Gnade hinauf: Bileam redete schließlich von einem jubilierenden und triumphierenden Volke. Kein Wunder, dass er wünscht: „Meine Seele sterbe den Tod der Rechtschaffenen, und mein  Ende sei gleich dem ihrigen!“ 
„Und Israel blieb in Sittim.“ Mit diesen Worten hebt das 25. Kapitel an. Nur noch einige Wegstunden trennten das Volk von dem Lande, welches die Gnade ihm zugedacht hatte. Sollte man nicht meinen, dass die Herzen von Verlangen nach diesem Lande gebrannt, und dass, so wie in jener denkwürdigen Nacht in Ägypten, alle mit umgürteten Lenden bereit gestanden hätten, nur noch wartend auf den Befehl zum Aufbruch? Oder, wie. am Roten Meere, überwältigt von der Gnade und Güte Gottes, mit einem Munde Ihn preisend als „ein Königreich von Priestern und eine heilige Nation“? 
Die Antwort auf diese Fragen bringt schon der zweite Satz in unserem Kapitel. Ach! nichts war da von dem, was naturgemäß hätte vorhanden sein sollen. Alles was uns berichtet wird, steht im schroffsten Gegensatz zu dem Inhalt der beiden vorhergehenden Kapitel. Das Volk knüpft unreine Verbindungen mit den Töchtern Moabs an, mit einer götzendienerischen Nation, die Jehova nicht kannte; es verbindet sich mit der Welt. O was ist der Mensch! Statt in heiliger Wachsamkeit und Ehrfurcht den Gedanken Gottes zu folgen, gibt er den Lüsten des Fleisches Raum, und was Satan als brüllendem Löwen nicht gelingt, das erreicht er als die listige Schlange. Und ist man einmal in seine Schlinge geraten, so geht es schnell abwärts: der fleischlichen Hurerei folgt die geistliche auf dem Fuße nach. „Und Israel hängte sich an den Baal-Peor.“ Gelübde und Vorsätze zerrinnen wie in einem Nu, um einer „eintägigen Schwelgerei“ willen wird alles vergessen. Die Antwort des Menschen auf die herrlichen Offenbarungen der Gnade Gottes ist Untreue, Befleckung und Finsternis.
Was nun? Kann Jehova den Ratschlüssen Seiner Gnade treu bleiben? Er kann es nur, indem Er züchtigend eingreift. Seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit muss Genüge geschehen. Durch Zucht muss das Volk zur Besinnung gebracht werden. Wenn Jehova mit ihm sein soll, so geziemt ihm Heiligkeit. Ein jeder, der sich an den Baal-Peor gehängt hat, darf nicht länger das Lager des Volkes Gottes verunreinigen, er kann nicht in Gemeinschaft bleiben mit einem Volke, dessen Gott heilig ist. Hier gibt es weder Nachsicht noch Schonung. Was Gott gebührt, muss Ihm werden, trotz aller Einwendungen eines verweichlichten und ungesunden Gewissens.
Und siehe da, inmitten der Untreue und des Abfalls des Volkes erscheint ein Mann, der in Absonderung von dem Bösen und in heiligem Eifer für die Ansprüche Jehovas auftritt, um das verunreinigte Lager zu säubern. Es ist Pinehas, der Sohn Eleasars, des Sohnes Aarons, des Priesters. 
Nicht viel ist es, was uns über Pinehas berichtet wird, aber das Wenige genügt, um uns die Gesinnung seines Herzens erkennen zu lassen. Sein Tun zeigt uns einen Mann, der im Lichte Gottes ist und in praktischer Gemeinschaft mit Ihm wandelt. Deshalb ist er imstande zu erkennen, was in einer solchen Zeit zu tun ist, und er besitzt die Kraft, um es auszuführen. Menschlich betrachtet war sein Auftreten angesichts der allgemeinen Untreue eine gewagte Sache, ja, es konnte als Vermessenheit betrachtet werden, gegen Simri, den Fürsten eines Vaterhauses der Simeoniter, so vorzugehen, wie er es tat» Aber Pinehas stand vor Jehova, und in dem Bewusstsein, für Ihn zu handeln, verhält er sich so, wie später Elia dem König Ahab und den Propheten des Baal gegenüber (1. Kön. 17, 1; 18, 40). Auch wenn er ganz allein bleiben sollte — das Böse durfte nicht stillschweigend übergangen werden. Nach menschlichen Überlegungen wäre es vorteilhafter gewesen sich mit Simri in Verhandlungen einzulassen und ihn durch Belehrungen von seiner Untreue zu überführen. Sollen aber menschliche Überlegungen zur Geltung gelangen, wenn der Wille des Herrn klar geoffenbart ist? Nein, wenn Gott Seinen Willen kundgetan hat, geziemt es uns, ihn unverzüglich auszuführen, ungeachtet aller Einwürfe des verkehrten und eigenwilligen Herzens des Menschen. 
Sollte das Volk sich auch fernerhin der Gegenwart Jehovas erfreuen, so gab es nur einen Ausweg: es musste gehandelt, und zwar unverzüglich gehandelt werden. Die Ehre des Namens Jehovas musste aufrechterhalten bleiben, das Böse musste entfernt und das Lager gereinigt werden. Ohne deshalb irgendwie auf Menschen zu blicken, handelte Pinehas im Ausblick zu Gott. Mochten andere sein energisches Vorgehen für unnötig halten oder es gar lieblos und hart nennen, er ließ sich durch nichts beirren. In Verbindung mit Jehova stehend, geleitet durch Sein Wort, unterschied sein ungetrübtes Auge klar und deutlich den Willen Gottes. 
Welch gesegnete Frucht die Tat Pinehas zeitigte, wird uns auch berichtet. Infolge des Gerichts über das Böse wird der bereits ausgebrochenen Plage gewehrt, die züchtigende Hand Gottes zieht sich zurück, und das Volk kann aufgefordert werden zum Kampfe wider die Midianiter. Wie verhängnisvoll ist es doch, wenn das Volk Gottes Verbindungen eingeht mit Dingen, die Gott niemals gutheißen kann! Man gibt damit nicht nur den Boden des Wortes Gottes auf, sondern verliert auch jede Kraft zum Kampfe; man schwimmt mit dem Strome — aber wohin?! Nur wenn alles nach den Gedanken Gottes geordnet ist kann das Schwert gezogen und der Kampf mit dem Feinde aufgenommen werden. Nur so kann man die Midianiter, die sich so listig, nach dem Rate des geldgierigen Bileam, an das Volk Gottes heranmachten und es zu Fall brachten, erfolgreich bekämpfen.
Was die Tat des Pinehas für Jehova war, ist aus dem zu ersehen, was ihm als Lohn zu teil wurde. Ein besonderer persönlicher Segen fiel ihm zu: Jehova gab ihm Seinen Bund des Friedens, der ihm und seinen Nachkommen zu einem Bunde ewigen Priestertums sein sollte. Jahrhunderte später, in den Tagen des Verfalls, als alles so traurig dastand, dass Jehova klagen musste: ,,Wäre doch nur einer unter euch, der die Türen verschlösse, damit ihr nicht vergeblich auf meinem Altar Feuer anzündetet“ (Mal. 1, 10) wird noch dieser Tat gedacht, und eingehend wird die Treue und das Verhalten des Pinehas hervorgehoben. Alles was Jehova in Mal. 2, 4 - 7 von Levi sagt, dürfen wir wohl auf Pinehas anwenden, und es ist unserer eingehendsten Betrachtung und Beachtung wert. Wir lesen dort: „Er fürchtete mich, und er, er zitterte vor meinem Namen“. Kostbares Zeugnis! Pinehas konnte unmöglich in Verbindung bleiben mit irgend Etwas, was mit dem Namen Jehovas unvereinbar oder Seinem Worte entgegen war. »Das Gesetz der Wahrheit war in seinem Munde, und Unrecht fand sich nicht auf seinen Lippen“. Ja, nicht nur ,,bewahrten seine Lippen Erkenntnis“ (V.7), auch sein persönlicher Wandel war treu und rein: „er wandelte mit mir in Frieden und Geradheit“. Und in dieser innigen Verbindung mit Jehova stehend, genoss er selbst den Frieden Gottes und wurde auch anderen zu reichem Segen: »viele brachte er von ihrer Ungerechtigkeit zurück“. Als der treue, eifrige „Bote Jehovas der Heerscharen“ wurde er so ein gesegnetes Vorbild von Jesu, dem wahren, vollkommenen Pinehas. 
Die Versammlung (Gemeinde) des Herrn befindet sich heute auf der Wanderung durch die Welt dem himmlischen Kanaan zu, und im Bilde können auch wir sagen, dass wir wohl die letzte Station erreicht haben. Die prophetischen Schriften des Neuen Testamentes, wie z. B. der 2. Brief an Timotheus, der Brief des Judas, das 2. und 3. Kapitel der Offenbarung, bestätigen es deutlich. Die Mitternachtsstunde ist längst vorbei, und die dritte Nachtwache ist da, in welcher wir unseren geliebten Herrn erwarten dürfen als den glänzenden Morgenstern, de: nach Seiner Verheißung die Seinigen heimholen wird ins Vaterhaus. „Die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe.“ Bald wird Er Seine Zusage einlösen, und dann werden wir ,,allezeit bei dem Herrn« sein. Wer wäre imstande, die Wonne zu beschreiben, die bei Ihm unser Teil sein wird! Und Er selbst harrt in liebenden: Verlangen dem Augenblick entgegen, wo Er Seine teure, erlöste Schar verherrlicht dem Vater darstellen kann. 
Welche Antwort geben nun unsere Herzen auf Seine Liebe, die droben zur rechten Gottes gleichsam nur auf den Wink des Vaters wartet, um aufstehen zu können und die köstliche Frucht der Mühsal Seiner Seele, Seine teure Braut, heimzuführen? Ja, noch einmal, was tönt Ihm als Antwort aus unseren Herzen entgegen? Auch wir sind, wie wir uns sagten, an der letzten Station· des Pilgerpfades angelangt. In fast greifbare: Nähe winkt das jenseitige Ufer herüber. O welche Freude! Bald sehen wir Ihn, den guten Herrn, von Angesicht zu Angesicht! Schlagen unsere Herzen nicht höher bei diesem Gedanken? Rufen wir nicht unwillkürlich mit dem Geiste und der Braut: „Komm!“? Geliebte Geschwister! Die Tatsache der baldigen Wiederkehr unseres Herrn sollte wahrlich bewirken, dass wir als wartende und wachende Knechte mit umgürteten Lenden und hell brennenden Lampen dastehen. Unser ganzes Verhalten sollte bezeugen, dass wir Fremdlinge sind, welche die Stadt erwarten und suchen, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist. Aber ist es so? Sind wir „bereit“, Ihm entgegen gerückt zu werden? Ist es wahr, was wir so oft im Liede zum Ausdruck bringen: „Heut' noch möcht’ ich zu dir gehen, ewig, ewig bei dir sein“? 
Der oben behandelte Abschnitt ist reich an wichtigen und ernsten Unterweisungen, die in den schweren Zeiten des Endes von ganz besonderer Bedeutung für uns sind. Mit Recht verweilen wir gern bei den Mitteilungen des Wortes Gottes über unsere Errettung, unsere unantastbare Stellung in Christo und die Segnungen in Ihm, deren Fülle wir hienieden nie ganz erfassen können. Auch dürfen wir mit Dank gegen den Herrn daran denken, dass Er manches aus Seinem Worte, was lange vergessen war, Seinem Volke wieder zu erkennen gegeben, und dass Er uns zurückgeführt hat zu dem, „was von Anfang war“. Aber nochmals möchte ich fragen: Was hat die vermehrte Erkenntnis, die Einführung in die ganze Wahrheit bewirkt? Was wird das Bewusstsein, dass wir wohl an der letzten Station unseres Weges angelangt sind, in uns hervorrufen? Werden wir dastehen mit herzlicherer Dankbarkeit als bisher, in heiligerer Treue, getrennt von der Welt und gereinigt vom Bösen, als Darsteller des Zeugnisses Gottes auf Erden, sowohl persönlich als auch gemeinschaftlich? Es kann uns nur zum Segen gereichen, wenn wir zuerst uns selbst in dem untrüglichen Spiegel des Wortes betrachten und dann einen Blick um uns her tun und untersuchen, inwieweit wir allein und gemeinsam dem eben entworfenen Bilde entsprechen. Ich bin überzeugt, dass der Herr uns dann manches zeigen wird, was mit unserer himmlischen Berufung und mit Ihm, dem bald Kommenden, nicht vereinbar ist. Wir alle wissen aus Erfahrung, wie leicht infolge eines Mangels an Wachsamkeit die Treue und Hingebung des Herzens sich verlieren oder doch ernstlich beeinträchtigt werden können. Wir haben Gelegenheit gehabt, das selbst bei solchen wahrzunehmen, wo wir es am allerwenigsten erwartet hätten. Der Feind ist gar listig und hat schon manchen betört, der einst ein schönes Zeugnis war. Mit Schmerz erinnern wir uns an manche Seelen, die den Pfad so hoffnungsvoll begannen und jetzt wie erschlagen am Wege liegen. 
Wird das Selbstgericht unterlassen, so verliert das Gewissen bald sein  Zartgefühl, und Gemächlichkeit, Leichtfertigkeit, Weltsinn und Weltliebe stellen, sich ein, das geistliche Unterscheidungsvermögen schwindet, das ganze innere Leben erschlafft. Es geht dann wie einst bei Israel. Dieselben Menschen, von denen Gott solch herrliche Dinge in Seinem Worte sagt, die Er so reich begnadigt und so hoch gestellt hat, sinken auf den Boden der Weltkinder herab, liebäugeln, bildlich gesprochen, mit den Töchtern Monds und schließen Verbindungen mit ihnen, die sie verunreinigen und zum Götzendienst verführen. Vergessen wir nicht, dass es noch andere Götzen gibt, als jene leblosen Bilder aus Holz oder Stein, Götzen, deren Dienst den inneren Menschen verunreinigt und die Seele vergiftet.
Und nicht nur Einzelne, nein, ganze Versammlungen können in einen solchen Zustand der Erschlaffung geraten. Wenn einzelne nicht treu sind und ungerichtete Sünden bei sich dulden, so wird der Geist Gottes in ihnen persönlich betrübt; wenn aber ganze Versammlungen die Mahnungen des Wortes überhören und sich wegen vorgekommener Untreue nicht vor Gott demütigen, so sind die Folgen überaus ernst und weittragend. Man kommt vielleicht noch regelmäßig zusammen, und es scheint so, als wäre alles in bester Ordnung; aber kaum entstehen Fragen und Schwierigkeiten, die früher, in besseren Tagen, als wirklich noch alles in Ordnung war, mit Leichtigkeit gelöst worden wären, da zeigt es sich, wie es tatsächlich steht: es ist weder Klarheit noch Kraft vorhanden, um so zu handeln, wie die Ehre des Herrn es erfordert und Sein Wort uns Anleitung gibt. Niemand denke, dass so etwas an seinem Orte nicht eintreten könne! Die Kapitel 2 und 3 des Buches der Offenbarung beweisen (abgesehen von ihrer prophetischen Bedeutung), wie leicht man von den höchsten Seqnungen (Ephesus) bis zu einer toten, wenn auch äußerlich noch schönen Form (Sardes und Laodicäa) herabsinken kann. Um vor solchem Zustand bewahrt zu bleiben, ist es notwendig, „nüchtern zu sein zum Gebet“, das Wort und den Namen des Herrn in Ehren zu halten und alles zu richten, was mit diesem Namen nicht in Einklang gebracht werden kann. Bloßes Wissen bewahrt nicht; im Gegenteil, es ,,bläht auf«. Nur durch einen Wandel im Licht und in Gemeinschaft mit dem Herrn können Einsicht, Entschiedenheit und Kraft erhalten bleiben und sich in gesunder Weise entwickeln.
Wenn man an alle diese Dinge denkt, so empfindet man tief, wie groß das Bedürfnis nach Männern wie Pinehas ist. Der Heilige Geist wolle sie in unserer Mitte erwecken, auf dass sie in ruhiger, besonnene: Weise, aber auch mit geistlicher Entschiedenheit, für die Ehre des Herrn und für die Reinheit Seines Zeugnisses eintreten! Welch ein großer Segen solch einsichtsvolle Männer für das Volk des Herrn sind, hat die Zeit immer wieder gelehrt. Auch sie selbst empfangen besondere Segnungen, indem sie auf ihrem Wege die Gemeinschaft des Herrn und Seine Anerkennung genießen, welche bei weitem die schmerzlichen Übungen, die mit einem. treuen Zeugnis und Auftreten immer verbunden sind, aufwiegen. 
Wenn es je galt, für den einmal den Heiligen überlieferten Glauben zu kämpfen, so ist es in unseren Tagen der Fall. Einerseits drohen mehr als je Irrlehren und falsche Grundsätze das Zeugnis zu verderben, und andererseits gilt es Stellung. zu nehmen gegen falsche Duldsamkeit, Weltsinn und Rücksichtnahme auf das Fleisch mit seinen Lüsten und Begehrlichkeiten. Der Herr schenke uns allen, besonders den älteren unter uns, Treue und Entschiedenheit, und niemand, der infolge seines Eintretens für den Herrn und Seine Wahrheit, das eine und andere über sich ergehen lassen müsste, wolle sich entmutigen lassen. Der Herr ruft uns zu: »Seid stark und handelt, und Jehova wird mit dem Guten sein«. (2. Chron. 19, 11.) Auch haben wir nicht einen Geist der Furcht empfangen, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. (2. Tim. 1, 7.) Lasst» uns denn alle als ,,Menschen Gottes« unseren Platz hier einnehmen und uns bewähren als solche, die „das anvertraute Gut“ treu und gewissenhaft bewahren. Wir werden ganz gewiss auch, gleich Pinehas und später Paulus, auf dem Pfade des Zeugnisses für den Herrn Seinen gnädigen Beistand, Seine Anerkennung und wunderbare Durchhilfe erfahren, bis Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus zum ewigen Leben“ unser gesegnetes Teil geworden ist und wir bei Ihm am Ziele angelangt sind, um dann auszuruhen - von allem Kampf. Dort wird auch jede Tat der Treue wieder ins Gedächtnis kommen und ihre reiche Belohnung finden (Vergl. Offbg. 3, 12). 
Die Zeit ist kurz! Sind deine Kleider rein und weiß, 
Im Blut des Lammes hell gemacht? Du jubelst: „Ja!“
Dann, Miterlöster, tritt herzu, zum Banner her! 
Umgürte dich und streite mit, der Herr ist nah'!“
Lass ernst und treu uns sein, es ist noch kurze Zeit; 
Sie sei dem Herrn, ja, Ihm, dem teuren Herrn, geweiht!

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Mit Sehnsucht

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 107ff

„Und als die Stunde gekommen war, legte Er sich zu Tische, und die zwölf Apostel mit Ihm. Und Er sprach zu ihnen: Mit Sehnsucht habe ich mich gesehnt, dieses Passah mit euch zu essen, ehe ich leide“ (Luk. 22, 14. 15).
Warum hatte der Herr Jesus sich so nach diesem Augenblick gesehnt? Warum sagt Er: „dieses“ und nicht einfach: „das Passah“?
Wir dürfen hier zwei große, herrliche Wahrheiten schauen, die uns in alle Ewigkeit zur Anbetung stimmen werden. Die Stunde war da, dass erfüllt werden sollte, was in Hebtr10, 7 u. 9 steht. Der Herr war gekommen, um den Willen Gottes zu tun. Der erste Mensch hatte ihn nicht getan; er war vielmehr in Übertretung und Sünde gefallen. Durch diesen Fall war Gott tief verunehrt und Seiner Rechte beraubt worden, während der Mensch zu einem Sklaven Satans und einem Kinde des Todes wurde.
Der zweite Mensch, Jesus Christus, war der Mensch vom Himmel. In Armut und Niedrigkeit geboren, war Er erschienen, um die Ehre Gottes wiederherzustellen und den Menschen und die ganze Schöpfung von der in sie eingedrungenen Sünde zu befreien. „Siehe, das Lamm Gottes, welches die Sünde der Welt hinwegnimmt“, konnte der Täufer im Blick auf Ihn bezeugen. Und in Hebr. 9 lesen wir: Er ist einmal, in der Vollendung der Zeitalter, geoffenbart worden zur Abschaffung der Sünde“ (Hebr. 9, 26).
Der ganze Weg des Herrn war deshalb ein Weg der Leiden (Jes. 53). Nun ist Er am Ziel angelangt. Jetzt sollte die große Frage der Sünde ein für allemal geordnet werden. Noch einmal versammelt Er die kleine Schar Seiner Jünger um sich, um mit ihnen das Passah zu feiern und ihnen ein Andenken an sich zu hinterlassen. Die vielen Opfer des Alten Bundes, mit dem Passah an der Spitze, welche alle Vorbilder auf Christum hin gewesen waren, hatten Gott nicht befriedigen und keinen Menschen zu einem Kinde Gottes machen können. Und nun ist Er, das wahre Passahlamm, zum letzten Mal in der Mitte der Seinigen und sagt: „Mit Sehnsucht habe ich mich gesehnt, dieses Passah mit euch zu essen, ehe ich leide“. Das Vorbild sollte seine Erfüllung finden; das Erste sollte jetzt weggetan und das Zweite aufgerichtet werden. (Hebr. 10, 9.) Von dem Ersten sagt der Herr in Hebr. 10: „An Brandopfern und Opfern für die Sünde hast du kein Wohlgefallen gefunden. Da sprach ich: Siehe, ich komme. . ., um deinen Willen, o Gott, zu tun.“ Gottes eingeborener, geliebter Sohn stellte sich selbst in den Riss. So stand es in der Rolle des Buches über Ihn geschrieben. Und nun sollte es erfüllt werden. Und Gott sei Dank, ewig Dank! es ist erfüllt worden.
Was vollendet sollte werden,
das vollführtest du mit Macht.
Jesus hat den Willen Gottes so vollkommen erfüllt, dass Gott nun von jedem, der an Ihn glaubt, sagen kann: „Ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten werde ich nie mehr gedenken“. 
Aber welch ein Preis musste bezahlt werden: Seiteures Leben war der Preis, Sein heiliges Blut musste fließen! Und daran sollten sie und wir uns erinnern, solang wir in dieser Welt pilgern. Darum setzt Er das Mahl Seiner Liebe ein und sagt: „Tut dieses zu meinem Gedächtnis“. Wie hatten sie Seine Liebe und Zuneigung genießen und erfahren dürfen, solang Er bei ihnen war! Aber einen solchen Ausgang hatten sie nicht erwartet, obwohl Er so oft von Seinem Tode und Seiner Auferstehung zu ihnen geredet hatte. Fortan sollten diese Dinge, in Verbindung mit Seinem Heimgang zum Vater, der Inhalt ihrer Predigten, ihrer Freude und Glückseligkeit werden. Fortan sollten sie auch sagen können: „Unser Heil steht fest in dir“. 
Wie oft werden an und für sich wertlose Gegenstände als Andenken an geliebte Verstorbene, Vater, Mutter, Schwester oder Bruder, sorgfältig aufbewahrt und in Ehren gehalten! Wieviel mehr sollten die  Kinder Gottes das, was der Herr ihnen als Andenken zurückgelassen hat, aufbewahren und hoch in Ehren halten! Mit welch dankbarer Liebe sollten sie Seinem letzten Wunsche nachkommen! Zweimal, sowohl in Verbindung mit dem Brote, als auch mit dem .Kelche des Abendmahls, sagt Er: „Dies tut zu meinem Gedächtnis!“ (1. Kor. 11, 24. 25). Möchte dieses Wort von jedem, der am Tische des Herrn teilnimmt, mehr beachtet werden! Nur zu leicht kann die heilige Feier zu einer bloßen Form- oder Gewohnheitssache herabsinken. Wir wissen auch aus schmerzlicher, beschämender Erfahrung, wie gerade in solch ernsten Stunden die Herzen und Gedanken von Christo abgelenkt werden können. Wir erleben es immer wieder, dass der Geist willig. aber das Fleisch schwach ist, und dass wir ernster Wachsamkeit bedürfen, um nur eine Stunde in wahrer Gemeinschaft und Anbetung zu verbringen. Wir singen wohl: „Herr. lenke unsre Herzen und unsern ganzen Sinn auf deine Angst und Schmerzen und auf dein Opfer hin“! und gewiss sollte das stets in solchen Stunden die Bitte unserer Herzen sein. Aber sind es nicht oft nur die Lippen, die die Worte aussprechen? Der in unserer Mitte gegenwärtige Herr schaut aber ins Herz, und bloßes Lippenwerk ist Ihm ein Gräuel. Sein Herz verlangt nach einer liebenden Antwort unserer Herzen. Man sagt oft: Der Herr wusste, wie vergesslich wir waren; darum hat Er uns dieses Mahl gegeben, um uns immer wieder zu erinnern an die wunderbare Erlösung, an das große Werk, das Er auf Golgatha vollbracht hat — dort, wo Ihm die ganze, furchtbare Rechnung von Seiten Gottes vorgelegt wurde, und Er alles, alles gut gemacht hat. Aber ist es nicht tief demütigend für uns, wenn wir die Einsetzung des Abendmahls so betrachten müssen? Als wenn Er gesagt hätte: „Tut dieses zu eurer Erinnerung“, anstatt: „Tut es zu meinem Gedächtnis“? 
Dass die Feier uns allezeit Segen, ja, überströmenden Segen bringt, wenn unsere Herzen dabei sind, ist gewiss; aber vergessen wir doch nicht, dass es eine Stunde ist, wo der Herr etwas von uns erwartet, wo unsere Herzen Ihm entgegengehen sollten in Lob und Dank und Anbetung. Er erscheint ja selbst in der Mitte der Seinen, ob ihre Zahl klein oder groß ist, und stimmt den Lobgesang an. „Verkündigen will ich deinen Namen meinen Brüdern, inmitten der Versammlung will ich dich loben“ (Ps. 22, 22). Er sagt nicht: inmitten der großen Versammlung, sondern: der Versammlung. Bald kommt auch die große Versammlung, sowohl für uns als auch für Israel. Dann werden wir Ihn in Seiner ganzen Schönheit sehen, und ein vollkommenes Lob wird ertönen, wie es Ihm gebührt. 
Als der Herr den beiden Emmaus-Jüngern, deren Herzen mit Ihm beschäftigt waren, das Verständnis öffnete und „ihnen in allen Schriften das erklärte, was Ihn betraf«, da begannen ihre Herzen zu brennen. So wird es auch uns gehen, wenn wir wirklich zu Seinem Gedächtnis um Ihn versammelt sind. Er selbst wird unsere Herzen und Sinne auf alles das hinlenken, was wir in Ihm besitzen: Leben, Liebe, Versöhnung, Gnade, Erquickung, Hoffnung usw. usw. und alles wird dienen zu unserer seligen Freude. Wir werden daran erinnert, auf welchem Wege Er Seinen Gott und Vater vollkommen verherrlicht und zugleich uns erlöst und freigemacht hat von Sünde, Schuld und Tod. Die herrliche Hoffnung wird von neuem belebt, bald bei Ihm zu sein, wo Er dann »die Frucht der Mühsal Seiner Seele sehen und gesättigt werden wird«. Ja, der Blick öffnet sich immer weiter: wir sehen selbst auf dieser Erde, wo Er so viel gelitten hat, die Ströme des Segens fließen; wir erblicken Sein geliebtes irdisches Volk, das jetzt ohne Heimat, ohne Tempel und ohne Altar umherirrt, in Sicherheit wohnend unter Feigenbaum und Weinstock, und hören es sagen: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden. Von Jehova ist dies geschehen, wunderbar ist es in unseren Augen. Dies ist der Tag, den Jehova gemacht hat; frohlocken wir und freuen wir uns in ihm!“ (Ps. 118, 22 — 24). Und noch weiter wandert der Blick, bis hin zu dem neuen Himmel und der neuen Erde, in welchen Gerechtigkeit wohnt. Und alles, alles ist und wird durch Den sein, der uns liebt und sich für uns hingegeben hat: Sein Tod ist die Grundlage von allem.
Dieser Tod mit allen seinen gesegneten zeitlichen und ewigen Folgen stand an jenem Abend vor den Augen unseres geliebten Herrn. Verstehen wir setzt ein wenig mehr davon, warum Er sagte: »Mit Sehnsucht habe ich mich gesehnt, dieses Passah mit euch zu essen. ehe ich leid“? Und wenn wir nachher Seine Aufforderung vernehmen: ,,Tut dieses zu meinem Gedächtnis«, o wer wollte dann zurückbleiben? wer nicht mit dabei sein, wenn es gilt, Ihn zu verherrlichen und zu preisen in einer Welt, die Ihn verworfen hat? Wer wollte nicht das Fest unserer Errettung mitfeiern zu Seinem Gedächtnis? Möchte es denn immer mehr von allen Gläubigen wahr werden, was wir singen:
Dein glücklich Volk. o Herr. erscheint
an deinem Tische hier vereint,
von deiner Lieb’ geladen!

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Betende Diener

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 113ff

„Wenn auch Mose und Samuel vor mir ständen, so würde meine Seele sich nicht zu diesem Volke wenden“ (Jeremia 15, 1) Der Wortlaut dieser Schriftstelle lässt erkennen, dass das Gebet dieser beiden Männer vor Gott einen besonderen Wert hatte, dass es wirkungsvoll war, wenn Gott auch jetzt, in diesem Falle, nicht auf sie hören wollte.
Wenn Gottes Wort die Namen der beiden Männer in diesem Zusammenhang erwähnt, dann ist es für uns der Mühe wert, nach dem Grunde zu forschen, der ihrem Gebet eine so besondere Bedeutung verlieh.
Jedem Gebet liegt eine Ursache zu Grunde. Ohne eine Veranlassung, eine Triebfeder, wird niemand Gott nahen. (Es wird natürlich an wirkliche Gebete gedacht, nicht an bloße Worte, die aus Gewohnheit gesprochen werden und nur eine Form darstellen.) Kein Mensch betet je zu« Gott, ohne einen Beweggrund dafür zu haben. Wenn z. B. ein überführter Sünder mit dem Zöllner im Evangelium ausruft: „O Gott, sei mir, dem Sünder, gnädig!« so treibt ihn die Not seines Herzens zu Gott. Und wenn Gott ihm Seine in Jesu geoffenbarte Gnade gezeigt und ihm „die Freude Seines Heils“ hat zuteil werden lassen, dann ist es diese Freude, die ihn veranlasst, Gott ein Lobopfer darzubringen. Auch im täglichen Leben leiten uns bestimmte Beweggründe an zum Gebet. Es kann sein, dass wir »durch das Lesen des Wortes Gottes oder durch besondere Beweise göttlicher Huld zur Danksagung getrieben werden. Oder unsere Anliegen, Sorgen, Note, Wünsche bestimmen uns, Sein Angesicht zu suchen, Selbst wenn es sich um Fürbitte, also um ein Gebet für andere, handelt, ist es kaum anders. Wenn solche, die uns persönlich nahestehen, unserer besonderen Fürbitte bedürfen, so bringen wir sie vor den Herrn und warten auf Seine Hilfe und Rettung. Aber wir bringen sie Ihm als die, welche unseren Herzen teuer sind; wir haben Interesse an der Erhörung unseres Gebets. Dass auch in solchen Fällen unser Rufen am Tage der Bedrängnis auf Erhörung rechnen darf, dafür bürgt uns Gottes Wort. Aber es ist doch ein großer Unterschied, ob bei unseren Gebeten wir und unsere Interessen im Vordergrund stehen und unser Verhalten im Gebet bestimmen, oder ob Gott und die „Ehre Seines großen Namens“ so viel Wert für uns haben, dass wir deswegen vor Sein Angesicht kommen. 
Bei Mose und Samuel war es wohl gerade dieser Umstand, der ihren Gebeten einen so großen Wert vor Jehova verlieh: sie waren besorgt um das Wohl des Volkes Israel, weil Jehova sich dieses Volk „zum Ruhm und zum Namen und zum Schmuck“ erkoren hatte, und- weil in dessen Mitte Sein Name angerufen wurde. Die Ehre Seines Namens war an das Volk gebunden, in dessen Mitte Er wohnte, und jede Veränderung in dem Verhalten und Befinden dieses Volkes beeinflusste notwendig die Denkweise der umherwohnenden Völker, die Jehova, den Unwandelbaren, nicht kannten. Aus diesem Verhalten und Befinden zogen sie Schlüsse auf den Gott des Volkes, in dessen Mitte Sein großer Name angerufen wurde. 
Diese Erwägungen waren wohl in den Herzen der beiden Männer, wenn sie, unausgesetzt bemüht um das Wohl des Volkes Gottes, ihre Hände fürbittend für dasselbe aufhoben, oder wenn Mose bereit war, sich selbst in den Riss zu stellen, als Gott in Seinem gerechten Zorn das Volk vernichten wollte. Immer wieder lesen wir von ihm: „Mose flehte zu Jehova“. Bei diesem Flehen war sein Herz voll von Bangen um das Volk (5. Mose 9, 19) und von Sorge um die Ehre des Namens Jehovas: „Warum sollten die Ägypter also sprechen: Zum Unglück hat Er sie herausgeführt, . .- um sie von der Fläche des Erdbodens zu vernichten“? Oder: „Weil Jehova nicht vermochte, dieses Volk in das Land zu bringen, das Er ihnen zugeschworen hatte, so hat Er sie in der Wüste hingeschlachtet“? So und ähnlich sprach Mose, und sein eindringliches Flehen ließ den Herrn stets Abstand nehmen von Seinem Vorhaben. „Es gereute Jehova des Übels, wovon Er geredet hatte, dass Er es Seinem Volke tun werde.“ — „Und Jehova sprach: Ich habe vergeben nach deinem Worte“ (2. Mose 32, 11 — 14; 4.Mose 14, 13 — 20; 5. Mose 9, 25 — 29). 
Auch bei anderen treuen Männern finden wir diese Gesinnung, die Ehre des Namens Gottes zu suchen. So bei Esra, wenn der sagt: „Gepriesen sei Jehova, der solches in das Herz des Königs gegeben hat, um das Haus Jehovas zu verherrlichen“ (Esra 7, 27). Die Ehre und Herrlichkeit des Hauses, mit dem der Name Jehovas verknüpft war, lag ihm am Herzen. Es war sein Wunsch, dieses Haus zu bauen und durch die Schönheit und Herrlichkeit des Hauses Den zu ehren, dessen Name in dem Hause wohnen sollte. 
Alle diese Männer bekundeten die Gesinnung des Herrn Jesus, der sagen konnte: „Ich suche nicht meine Ehre, sondern die Ehre Dessen, der mich gesandt hat“; der kurz vor Seinem Hingehen zum Kreuz noch rief: „Vater, verherrliche deinen Namen!“ Und wenn Er „für die vor Ihm liegende Freude das Kreuz erduldete“, so sah Er Gott, den Vater, als Den, der das Lob „zum Preise der Herrlichkeit Seiner Gnade« empfangen und einmal „alles in allem“ sein wird. Unsere trägen Herzen finden sich ziemlich leicht mit dem Gedanken ab, dass wir das große und erhabene Vorbild Jesu, des vollkommenen Menschen, nie erreichen können. Aber ist das recht? Dass wir es nie erreichen, ist wahr, ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Herr sich selbst den Seinen als Vorbild darstellt (Joh. 13, 15). Und wenn wir dann bei Menschen „mit gleichen Gemütsbewegungen wie wir“ die Gesinnung des Herrn wiederfinden und sehen, dass sie die Ehre Gottes und das Wohl Seines Volkes über alles stellten, auch dann wenn die eigenen Interessen und die eigene Größe dabei zu kurz kamen, so kommen uns die (Eigenliebe, Trägheit und Enge unserer natürlichen Herzen umso lebhafter zum Bewusstsein. Ein Mose konnte auf das Wort Jehovas: „Ich will dich zu einer großen Nation machen“, unbelastet durch Gelüste nach eigener Ehre, aber beseelt von dem Verlangen nach Verherrlichung des Namens Jehovas und nach dem Wohle Seines Volkes, sich selbst völlig preisgeben zum Heil Israels. 
Für Samuel wäre es ein Sündigen gegen Jehova gewesen, wenn er in seiner Fürbitte für das Volk nachgelassen hätte: „Fern sei es von mir, dass ich gegen Jehova fündigen, dass ich ablassen sollte, für euch zu bitten; sondern ich werde euch den guten und richtigen Weg lehren“ (1. Sam. 12, 23). Diese Männer Gottes leitete der eine Gedanke, dass es sich um das Volk Gottes handelte, das „teuer, wertvoll war in Seinen Augen“. Was dem Herrn teuer und wertvoll ist, kann dem .Knecht nicht gleichgültig sein, es sei denn dass der Knecht untreu ist und die Worte seines Herrn geringschätzt. Dann versündigt er sich aber an dein Eigentum seines Herrn und damit an Ihm selbst. Als treuer Knecht war Samuel bemüht, das Volk den guten und richtigen Weg zu lehren, der Vorschriften Jehovas zu gedenken, „um sie zu tun“. Nur so konnte Sein Name geehrt und erhoben werden und das Volk sich der Segnungen seines Gottes und der Erfüllung der den Vätern gegebenen Verheißungen erfreuen. 
Beachtenswert ist, dass die beiden Männer Mose und Samuel Zeitgenossen hatten, die infolge der von Gott ihnen gegebenen Stellung eigentlich berufen waren, die Tätigkeit Moses und Samuels auszuüben. Zu Moses Zeit war sein Bruder Aaron der von Jehova bestellte Priester des Volkes und berufen, fürbittend für das Volk einzutreten und Sühnung für sie zu tun. Das war seine Aufgabe, das ihm anvertraute Amt. So war auch Saul (obwohl wir selbstverständlich in anderer Beziehung keinen Vergleich zwischen Aar-m und Saul ziehen wollen) auf Befehl Jehovas von Samuel zum König über Israel gesalbt und an die Spitze des Volkes gestellt worden, verantwortlich für das Tun des Volkes und dafür, dass es „den guten und richtigen Weg“ einschlug. Wie aber haben diese beiden Männer ihre Aufgabe erfüllt? 
Die Priester hatten neben ihrer Berufung, als Mittler für das Volk vor Gott tätig zu sein, die Aufgabe, das Volk zu belehren über die Gesetze, Satzungen und Rechte Jehovas. Nun finden wir in 2. Mose 32
einen Abschnitt, der uns zeigt, wie sehr die Gesinnung und das Verhalten Aarons abwichen von dieser Aufgabe und von dem, was Mose in seiner Stellung Gott und Seinem Volke gegenüber kennzeichnete. Während Mose stets bemüht war, unter der eifersüchtigen Wahrung der Rechte Jehovas in treuer Liebe vor Gott für das Volk einzutreten, sehen wir bei Aaron ein klägliches Versagen nach beiden Richtungen hin. Als das Volk, seines Gottes vergessend, von ihm verlangte: »Mache" uns einen Gott, der vor uns hergehe“, da war er anscheinend sofort bereit, diesem ungöttlichen Verlangen zu willfahren. Anstatt sich mit ganzer Kraft gegen solch unverzeihliche Torheit zu wenden und das Volk an die Heiligkeit und an die Großtaten Jehovas zu erinnern, lesen wir: „Und Mose sah das Volk, dass es zügellos war; denn Aaron hatte es zügellos gemacht, zum Gespött unter ihren Widersachern“. Und nachher, als er in priesterlicher Gesinnung die Schuld des Volkes hätte auf sich nehmen sollen, da beschuldigte er das Volk: „Du kennst das Volk, dass es im Argen ist“. Gewiss, Aaron war zu jener Zeit noch nicht in sein Amt eingeführt, das „Öl der heiligen Salbung“ war noch nicht auf ihm, aber er hatte doch einen Platz unter dem Volke, der mit großer Verantwortlichkeit verbunden war; und wenn das Volk sich an ihn wandte mit dem Verlangen: „Mache uns einen Gott“, so zeigt gerade dieser Umstand, welche Stellung er in dessen Mitte einnahm.
Ein ähnliches Verhalten zeigt auch der König Saul. Als es sich darum handelte, das Gebot Jehovas betreffs Amaleks zu erfüllen und, nach dem Worte: „Krieg hat Jehova wider Amalek von Geschlecht zu Geschlecht“, das Gedächtnis Amaleks auszurotten, da hatte der König des Volkes Gottes seine eigene Meinung und folgte ihr. Anstatt das unzweideutige Wort und Gebot Jehovas allein bestimmend sein zu lassen, stellte sich Saul auf die Seite Amaleks, indem er den König, den Stellvertreter des ganzen Volkes, leben ließ. Und wird er dann zur Verantwortung gezogen, so erfolgt auch bei ihm ein Beschuldigen des Volkes. Ganz abgesehen davon, dass er selbst in offenbarem Ungehorsam das Gebot Gottes mit Geringschätzung behandelt hatte, lässt er völlig außer Acht, dass er als König für das Verhalten des Volkes verantwortlich war. 
Wie schön ist gegenüber dem Tun Aarons und Sauls die Stellung, die Mose und Samuel einnahmen!
Wie empfiehlt sich die Gesinnung dieser beiden treuen Beter unseren Herzen! Nicht blind für den Zustand des „um der Väter willen“ geliebten Volkes, vielmehr von ganzem Herzen sich vor Gott mit ihm eins machend, erinnerten sie das Volk immer wieder an alles, was Jehova unter ihm getan hatte, und bemühten sich, es durch tröstende, warnende und strafende Worte auf dem „guten und richtigen Wege“ zu erhalten. (Lies 5. Mose  1, 31; 2, 7; 4, 9; 7, 7 u. 8; 31, 8; 32, 46. 47; 1. Sam. 12, 22 u. a.) So handelten sie dem Volke gegenüber. Und wenn dieses sich gegen Gott verschuldet hatte, dann war Mose der Mann, der vor Gott die Mauer zumauerte und in den Riss trat (Hesekiel 22, 30). Er flehte: „Herr, Jehova! Verdirb nicht dein Volk und dein Erbteil, das du durch deine Größe erlöst, das du mit starker Hand aus Ägypten herausgeführt hast. Gedenke deiner Knechte, Abrahams, Isaak und Jakobs; kehre dich nicht an die Härtigkeit dieses Volkes und an seine Gesetzlosigkeit und an seine Sünde. . . Sie sind ja dein Volk und dein Erbteil“ (5. Mose 9, 26 — 29). Das ist der einzig mögliche Weg, wenn ein Verschulden gegen Gott vorliegt. Auch Samuel schlug diesen Weg ein; er schrie zu Jehova, und Gott antwortete ihm (Vergl. Psalm 99, 6). 
Mochten auch diese Diener Gottes nicht gekennzeichnet sein durch die „beredte“ Zunge Aarons oder durch die Schönheit und Stattlichkeit Sauls, mochten Ohr und Auge des Menschen nichts an ihnen finden, woran sie sich ergötzen konnten — Gott hörte auf die Worte Moses und ließ sich durch sein Flehen bestimmen, Sein Volk weiter zu tragen, „wie ein Mann seinen Sohn trägt“. Und mochten die Menschen in Samuel anfänglich nur den Knaben sehen und hernach-, statt der königlichen Gestalt des Kriegshelden Saul, nur den einfachen Mann in härenem Gewande erblicken, so wurde doch „der Knabe Samuel groß bei Jehova“ (1. Sam. 2, 18. 21), und der Dienst dieses Knaben fand die Anerkennung des Herrn, ebenso wie später seine Fürbitte dem Volke die Hilfe und Rettung Jehovas in der Bedrängnis sicherte. „Weder Aaron, der „Heilige Jehovas“ (Ps. 106, 16), noch Saul, der „Gesalbte Jehovas“, vermochten vor Ihm „in dem Riss zu stehen, um Seinen Grimm vom Verderben abzuwenden“. 
Diese Tätigkeit ist nicht ein Ergebnis menschlicher Gefühle und Zuneigungen. Sie hat ihre Wurzeln im
Heiligtum und wird unterhalten aus der Quelle, aus Gott selbst. Sie geht hervor aus dem Verbundensein mit dem Gott, der Liebe ist. Unmöglich kann sie ausgeübt werden, wenn nicht das Herz, angezogen und erwärmt durch die Liebe Gottes, willig ist, alle Gegenstände der Betätigung dieser Liebe in Seiner Gesinnung zu umfassen. Diese Tätigkeit richtet sich auch nicht nach dem Verhalten der Personen, zu deren Gunsten sie ausgeübt wird. Mose kam einmal in Gefahr, vom Volke gesteinigt zu werden, und ein anderes Mal legte man es ihm zur Last, wenn Gott Gericht an den Untreuen und Empörern geübt hatte. Aber auch solche üblen Erfahrungen — und es gab ihrer noch viele andere — konnten den treuen Knecht nicht hindern, am Schlusse seines Lebens auszurufen: „Glückselig bist du, Israel! Wer ist wie du, ein Volk, gerettet durch Jehova?“ (5. Mose 33, 29).
In Eph. 5, 25 lesen wir, dass „Christus die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat“. Auch andere Stellen kennzeichnen den Platz, den die Gemeinde, die Versammlung des lebendigen Gottes (1. Tim. 3,15), vor Gott hat, z. B.: „Der Tempel Gottes ist heilig, und solche seid ihr“ (1. Kor.3,17). Man lese auch Eph. 2, 21. 22. Diese Stellen zeigen uns, wie teuer Ihm die Versammlung ist: Er hat sich selbst für sie hingegeben“. Sie belehren uns auch, dass der lebendige Gott inmitten Seines Volkes wohnt. Es bildet Seinen Tempel, Sein Haus· Ja, groß und wunderbar ist das Ergebnis des Werkes, das Gott in Christo Jesu getan hat, indem Er sich eine Wohnstätte unter Menschen schuf, die einst verloren waren und ihrer Natur nach völlig verderbt sind. Aber Er (Christus) hat sie geheiligt, gereinigt und ist unermüdlich beschäftigt, sie ohne Flecken oder Runzel, heilig und tadellos sich selbst verherrlicht darzustellen (Eph. 5, 26. 27). Und Gott lässt sich herab, unter Seinem Volke, in Seinem geistlichen Hause zu wohnen. Sie sind „Sein Werk, geschaffen in Christo Jesu“. 
Die Frage für uns lautet nun: Welchen Wert hat Sein Werk für uns? Wie hoch bewerten wir den Gegenstand, für den Christus sich selbst hingegeben hat? Unmöglich kann dem treuen Knecht das gleichgültig sein, was für das Herz seines Herrn ein Gegenstand der Liebe und Sorgfalt ist. Die Ehre des Namens unseres Herrn ist heute ebenso mit Seinem Volke und Hause verbunden, wie vor alters der Name Jehovas mit dem Volke Israel und mit dem Hause, das „mit Händen gemacht“ war. Das Haus Gottes gehört Ihm, und Sein Wille hat allein Geltung darin. Kein Mensch darf da etwas anordnen, ohne die Autorität Dessen anzutasten, „der allein Eigentums- und Verfügungsrecht über Sein Haus hat. 
Wie sollten wir besorgt sein um alle, die zu dem Hause Gottes, der Versammlung des Christus, gehören! Doch die Zahl der treuen Beter und Diener war stets klein. Paulus schreibt in Phil. 2, 21: „Alle suchen das Ihrige, nicht das was Jesu Christi ist“. Ach, wie oft hat auch für uns das „Unsrige“ mehr Wert, liegt uns näher als das, was Jesu Christi ist! Der Herr aber sucht Herzen, die um das Seinige besorgt sind, die betend und fürbittend sich über den Staub der Erde erheben und die Ehre und Herrlichkeit Seines kostbaren Namens mit Ausharren suchen. Solche Herzen sehen in denen, die Sein Eigentum sind, Gegenstände Seiner Liebe, die das Haus Gottes bilden, und es ist ihr Begehren, Diener des Hauses zu sein, damit alles in diesem Hause in Übereinstimmung sei mit Dem, der in dem Hause wohnt und gebietet. 
In Zeph. 3, 17 lesen wir: „Er freut sich über dich mit Wonne, Er schweigt in Seiner Liebe, frohlockt über dich mit Jubel“. Was sollen wir sagen, wenn wir ein solches Wort lesen und daran denken, dass die Versammlung, die Er geliebt und für die Er sich selbst hingegeben hat, in Seinem Herzen wahrlich keinen geringeren Platz einnimmt als die „um der Väter willen geliebte“ irdische Braut. Zion wird einmal für Ihn ein Gegenstand der Freude und des FrohIockens sein. Sollte die Versammlung·, die Er „sich selbst verherrlicht darstellen“ will, Ihm weniger gelten? Wenn wir sie wirklich so betrachten, wie Er es tut, dann wird das, was für Ihn ein Gegenstand wonnevoller Freude und jubelnden Frohlockens ist, einer Liebe, die gleichsam keine Worte mehr findet, um sich kundzugeben, auch für unsere Herzen zu einem Gegenstand innigster Zuneigung werden und uns zu einer Tätigkeit anleiten,· die dieser geliebten Versammlung zugute kommt. 
Der Wert, den die Fürbitte der Gläubigen auch heute in Gottes Augen hat, ist groß. Wir werden durch sie zu Mitarbeitern im Werke des Herrn (2. Kor. 1, 11). Man könnte versucht sein zu denken, dass der Herr auch ohne unser Gebet Sein Werk betreiben und führen werde. Ganz gewiss ist Er nicht auf uns angewiesen. Nein, Ihm sei Dank! Er macht Sein Werk in keiner Weise abhängig von menschlichem Tun. Aber wenn wir sehen, dass Gottes Wort unserem Gebet Wert beimisst, dass die Knechte Gottes in der ersten Zeit sich der Fürbitte anderer immer wieder empfohlen haben (Eph. 6, 19; Hebr. 13, 18), dass betendes Einstehen und Tragen als Mitarbeit anerkannt wird, dann sollte doch ein jeder von uns die Trägheit seines natürlichen Herzens überwinden und sich mit Freudigkeit und Fleiß in die Reihen derer stellen, die als Diener und Zeugen im Werke des Herrn stehen. Der Tag der Arbeit für Jesum naht seinem Ende. Dann kommt die Nacht, da niemand wirken kann.
Und noch einmal darf ermunternd daran erinnert werden, dass zu dem treuen Diener und Arbeiter nicht notwendig eine beredte Zunge, auch nicht ein hoher Wuchs gehört. Die „schwere“ Zunge des Mose hat Jehova nicht gehindert, auf ihn zu hören, und der Dienst des „Knaben“ Samuel wird in Gottes Wort voll anerkannt.
Wohl uns, wenn der Herr auch uns einst zurufen kann: »Über weniges warst du treu, über vieles werde ich dich setzen. Gehe ein in die Freude deines Herrn!“ (Matth. 25, 21. 23).

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Das Leben des Christen

Bibelstelle: 

Jahrgang 1922, Seite 125ff

Wenn wir das Leben des Christen einer näheren Betrachtung unterziehen, so möchten wir es unter drei Gesichtspunkten tun, die in drei Fragen ihren Ausdruck finden. Diese lauten:
1. Wo entspringt dieses Leben? was ist seine Quelle?
2. Wie enthüllt es sich? was sind seine Eigenschaften?
3. Was sind seine Ausgänge? wo endet oder wohin leitet es? 
Das Wort Gottes spricht von zwei verschiedenen Quellen oder Anfängen des Lebens. Wir hören von zwei Häuptern eines Geschlechts, von einem ersten und einem zweiten Menschen. Wollen wir der Geschichte des ersten Menschen nachspüren, so müssen wir mit dem 1. Kapitel des 1. Buches Mose beginnen. Dort finden wir die Worte: „Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen in unserem Bilde, nach unserem Gleichnis ... Und Gott schuf den Menschen in seinem Bilde, im Bilde Gottes schuf er ihn; Mann und Weib schuf er sie" (V. 26. 27). Und einige Kapitel später: „An dem Tage, da Gott Adam schuf, machte er ihn im Gleichnis Gottes ... Und Adam lebte hundertunddreißig Jahre und zeugte einen Sohn in seinem Gleichnis, nach seinem Bilde" (Kap. 5,1. 3).
Es war nicht der erste Sohn, der dem Adam geboren wurde, aber der göttliche Bericht erinnert uns hier an die große Veränderung, die zwischen der Erschaffung Adams im Bilde Gottes und der Zeugung eines Sohnes in seinem (Adams) Bilde vorgegangen war. Die Sünde war in die Schöpfung eingedrungen, und damit war der Stand der Unschuld verlorengegangen. Als Adam seinen ersten Sohn zeugte, war er ein gefallener, unreiner, aus Eden ausgewiesener Mensch. Diese eine folgenschwere Tatsache kennzeichnet das Leben, das wir als Nachkommen Adams besitzen. Ein verderbtes, aus Gottes Gegenwart vertriebenes, schuldiges Haupt bildet dessen Ausgangspunkt, dessen Quelle. Nicht im Stande der Unschuld wurde Adam zum Haupt des Menschengeschlechts, nicht in den Grenzen des Paradieses wurde Kain geboren; nein, im Bilde seines gefallenen Vaters und außerhalb, in einer verfluchten, der Knechtschaft des Verderbnisses überlieferten Welt, begann Kain sein Dasein.
Dass Adam persönlich ein Gegenstand der göttlichen Gnade war und durch Glauben an den verheißenen Samen des Weibes Rettung gefunden hat, möchten wir keineswegs bezweifeln; aber in ihm als Haupt des Menschengeschlechts erblicken wir nur einen sündigen, gefallenen, von Gott ausgestoßenen Menschen, und jeder seiner Nachkommen ist in diesem Zustand geboren. Wie das Haupt, so sind die Glieder: der Sohn trägt das Bild seines gefallenen Vaters und ist Erbe seiner Natur.
„Was vom Fleisch geboren ist, ist Fleisch." Man mag das „Fleisch" erziehen, heben, veredeln, soviel man will, niemals wird es sich in „Geist" umwandeln lassen. Fleisch und Geist sind einander völlig entgegengesetzt; das eine ist der Ausdruck dessen, was wir als Söhne des ersten Adam, als in diese Welt hineingeboren, sind, das andere ist das, was wir sind als von neuem geboren, als vereinigt mit dem zweiten Menschen, dem letzten Adam.
Die „Veredlung" des von dem ersten Adam abstammenden Menschen ist eine Arbeit, an der sich seit Jahrtausenden alle Weltweisen der Erde vergeblich abgemüht haben. Die Söhne des gefallenen Adam können niemals das Höhenmaß ihres Vaters überschreiten, noch werden sie selbst bei der sorgfältigsten Erziehung und Bildung des Charakters die Natur ihres Vaters jemals verleugnen. Der Mensch kann wohl immer mehr in die ihm angeborene Natur hinein, aber niemals über sie hinauswachsen. Wir alle sind einem gemeinsamen Stamm, einem Haupt, einer Quelle entsprossen, alle gezeugt nach dem Bilde eines gefallenen, von Gott verworfenen Menschen. Von gesellschaftlichem Standpunkt aus betrachtet, mögen Unterschiede vorhanden sein, aber unter göttlichem Gesichtspunkt gibt es keine. Will man sich eine richtige Vorstellung von dem Zustand jedes Gliedes des Menschengeschlechts machen, so muß man sich zum 3. Kapitel des 1. Buches Mose wenden. Die Worte: „Und er trieb den Menschen aus", zeigen uns die Wurzel der Sache, die Quelle jenes Stromes, aus dem seit fast sechstausend Jahren die Millionen der Nachkommen Adams all ihr Elend . und ihren Jammer geschöpft haben. Die Sünde hat das Band zerrissen, das Bild Gottes verunstaltet, unser natürliches Leben vergiftet und Satan die Macht des Todes über uns gegeben. Und wie mit dem ganzen Geschlecht, so steht es mit jedem einzelnen Gliede. Alle sind in das durch die Sünde hereingebrochene Verderben miteingeschlossen, alle dem Tod und dem Gericht verfallen. Durch die Sünde eines Menschen in die Welt gekommen, „ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, weil sie alle gesündigt haben" (Römer 5,12). „In dem Adam sterben alle" (1. Korinther 15,22), Sünde und Tod sind unzertrennlich miteinander verbunden.
Doch, Gott sei gepriesen! ein zweiter Mensch hat den Schauplatz dieser Erde betreten, der letzte Adam (nach Ihm wird und kann keiner mehr kommen), um die Geschichte des Menschen von neuem zu beginnen. Diese Tatsache stellt einerseits die Gnade Gottes gegenüber dem ersten Menschen und seiner Nachkommenschaft ans Licht und beweist andererseits, dass der erste Mensch gänzlich beiseitegesetzt ist. Denn wäre er fehlerlos oder auch nur veredlungsfähig gewesen, so würde für das Erscheinen des zweiten Menschen keine Notwendigkeit vorgelegen haben.
Aber wer war dieser „zweite" Mensch? Immanuel - „Gott mit uns"! Gott sandte Seinen Sohn in die Welt, vom Weibe geboren. Jesus war des „Weibes Samen" (1. Mose 3,15). Möchte diese Tatsache sich unser aller Herzen immer tiefer und unauslöschlicher einprägen! Matthäus leitet Seine Abstammung als Messias von Abraham und David her. Er ist „aus dem Samen Davids gekommen" (Römer 1,3; 2. Timotheus 2,8), Lukas, der uns „des Menschen Sohn" vor Augen stellt, verfolgt Sein Geschlechtsregister bis zu Adam hin. Auch finden wir nur bei Lukas die Ankündigung des Engels bezüglich des Geheimnisses Seiner Empfängnis (Lk. 1,35). Ein wahrhaftiger Mensch, vom Weibe geboren, aber von Gott gezeugt, in jeder Beziehung ein Mensch, wie wir es sind, aber ohne jede Spur von Sünde und Sterblichkeit, heilig nach Geist, Seele und Leib. Der Engel sagt von Ihm nicht nur: „der Heilige", sondern „das Heilige", das heilige Wesen, „das geboren werden wird, wird Sohn Gottes genannt werden". Hätte unser hochgelobter Herr mit dem gefallenen Adam, dem Haupte des Menschengeschlechts, in irgendwelcher Verbindung gestanden, so hätte Er nicht der zweite Mensch genannt werden können, sondern würde gleich allen Nachkommen Adams dem Tode unterworfen gewesen sein. 
Unser Heiland kam - gepriesen sei Sein Name - in diese Welt der Sünde als das einzige wahre Weizenkorn, das Frucht zu bringen imstande war, nicht nur als der allein Sündlose und Reine, sondern auch als Der, der allein Leben zu geben vermochte. In Ihm, und nur in Ihm, war Leben; außer Ihm ist nur Tod und Finsternis. Während Er Sich „das Licht der Welt" nennen konnte, herrschten um Ihn her sittliche Finsternis und geistlicher Tod.
Kaum aber betrat der zweite Mensch den Schauplatz, da erschien auch Satan, um Ihm jeden Fußbreit Boden streitig zu machen und die erhabene Arbeit, die zu tun Er gekommen war, zu hindern. Diese Arbeit bestand in der Zerstörung der Werke Satans und in der Erlösung des Volkes Gottes zur Verherrlichung Gottes, des Vaters. Es war eine Arbeit die nur der Mensch Christus Jesus ausführen konnte. Satan setzte seine ganze List und Macht daran, um den Herrn auf Seinem Wege aufzuhalten. Jesus musste ihm als der listigen Schlange und dem brüllenden Löwen begegnen. Von Johannes getauft und mit dem Heiligen Geiste gesalbt, wurde Er in die Wüste geführt, um dort von Satan versucht zu werden. 
Bei dieser Gelegenheit sei noch einmal kurz auf die Gegensätze hingewiesen, die zwischen der Versuchung des ersten Menschen und der des zweiten bestanden. Der erste Mensch befand sich in einem Garten voll der reichsten Genüsse, die alle dazu angetan waren, für Gott und gegen den Versucher zu zeugen, während der zweite Mensch in eine Wüste voller Entbehrungen geführt wurde, die ganz von selbst gegen Gott und für Satan ihre Stimme erhoben. Aber während der erste unter den günstigsten Umständen unterlag, trug der zweite unter den schwierigsten Verhältnissen den Sieg davon. 
Durch den Sieg in der Wüste wurde der Starke „gebunden", noch nicht „zunichte gemacht" (Vergl. Mt. 12,29 mit Hebräer 2,14). Satan wurde es deshalb gestattet, am Ende der irdischen Laufbahn unseres Herrn noch einmal seinen Arm zu versuchen. Nachdem er „für eine Zeit von ihm gewichen war" (Lk. 4,13), kehrte er unter einem anderen, furchtbareren Charakter zurück als im Anfang, als der, „welcher die Macht des Todes hatte". In dieser Gestalt erschien er im Garten Gethsemane, um die ganze Schrecklichkeit des Todes als Sold der Sünde vor den Geist des Herrn zu stellen. Wenn wir die Berichte der Evangelisten, besonders den des Lukas, lesen, fühlen wir unwillkürlich, dass der Herr hier etwas durchschreiten, durch Tiefen gehen musste, die Ihm bis dahin erspart geblieben waren. Es wurde dem Versucher erlaubt, seine ganze furchtbare Macht als der Fürst dieser Welt und Gewalthaber des Todes zu entfalten, um so, wenn möglich, den vollkommenen Menschen vor der Vollendung Seines Weges und Werkes zurückbeben zu lassen. Aber auch diesmal musste er unverrichteter Sache abziehen. Wir hören den Herrn in Johannes 14,30 sagen: „Der Fürst der Welt kommt und hat nichts in mir". Und so erwies es sich. Mochte auch die Stunde der gottlosen, feindseligen Menschen und die Macht der Finsternis (Lk. 22,53) gekommen sein, mochten die Feinde für eine Zeit mit dem Gerechten tun dürfen, was irgend sie wollten - Er blieb immer der Gleiche. Die Gluthitze der Versuchung erwies nur die lauterste Reinheit des in den Schmelztiegel gelegten Goldes. Was es für unseren anbetungswürdigen Heiland war, jener Macht zu begegnen, welche die Sünde des ersten Menschen Satan verliehen hatte; was Er fühlte, als alle Schrecken der Ihm bevorstehenden Leiden und besonders die Schrecken des Todes, als des gerechten Gerichts Gottes über die Sünde, in ihrer furchtbaren Größe vor Seinen Geist traten, - davon können wir ein klein wenig ahnen, wenn wir Ihn sagen hören: „Meine Seele ist sehr betrübt bis zum Tode; bleibet hier und wachet mit mir", oder wenn wir in dem Bericht des Evangelisten Lukas die Worte lesen: „Und als er in ringendem Kampfe war, betete er heftiger. Es wurde aber sein Schweiß wie große Blutstropfen, die auf die Erde herabfielen" (Mt. 26,38; Lk. 22,44).
Er, der es unternommen hatte, Sein Volk zu erlösen, den Willen und die Beschlüsse Gottes auszuführen, musste sich allen Folgen des Zustandes unterwerfen, in welchen der Mensch sich gebracht hatte. Und Er musste ganz allein ihnen begegnen; wer außer Ihm hätte es tun können? Die wahre Bundeslade musste vor dem Volke her durch die schrecklichen Fluten des Todes ziehen, damit es Ihm trockenen Fußes nachfolgen könne (Vgl. Josua 3 und 4). Er musste in den tiefen, kotigen Schlamm versinken, in die Grube des Verderbens, in Finsternisse und Tiefen gelegt werden, sollten unsere Füße mit Ihm auf den Felsen gestellt werden können (Psalm 40,2; 69,2; 88,6). Schrecklicher, unvergleichlich schrecklicher, als alle Gewalt Satans, des Fürsten dieser Welt, als die ganze Bitterkeit der Feindschaft und des Hasses der Menschen, waren für den Heiligen Gottes jene Stunden der Finsternis, an deren Ende Er ausrief: „Mein Gott! mein Gott! warum hast du mich verlassen?" In diesen Bereich der Leiden des Herrn vermag kein menschlicher Geist einzudringen. Wir können nur von ferne stehen und mit gebeugtem Haupte und wortloser Anbetung jenem lauten, bitteren Schrei lauschen, dessen volle Bedeutung wir auch in der Ewigkeit nicht erfassen werden (1. Korinther 13,12): „Mein Gott! mein Gott! warum hast du mich verlassen?" Gott allein vermochte und vermag ihn zu verstehen und zu würdigen. O, welch ein Weg musste beschritten werden, um uns zu erretten und uns Gott nahe zu bringen! Möchten unsere Lippen allezeit Den preisen, der den Weg gegangen ist, und möchte unser Leben Ihn verherrlichen, der solches für uns erduldet hat!
Wir können die Bedeutung und den Wert der Wahrheit nicht hoch genug schätzen, dass ein siegreicher, auferstandener Christus die Quelle des Lebens ist, das wir als Christen besitzen. Als der aus den Toten Auferstandene ist der zweite Mensch das Haupt eines neuen Geschlechts, das Haupt Seines Leibes, der Versammlung oder Gemeinde, geworden. Das Leben des Gläubigen ist ein Leben, das durch Tod und Gericht gegangen ist und darum weder sterben noch je wieder ins Gericht kommen kann. Christus hat den Tod zunichte gemacht und Leben und Unverweslichkeit ans Licht gebracht durch das Evangelium (2.Tim. 1,10). Er ist dem Tode in seiner ganzen Wirklichkeit begegnet, damit wir ihm niemals begegnen, ihn niemals schmecken möchten. Er hat in Seiner Liebe ein so wunderbares, durchgreifendes Werk getan, dass der Gläubige selbst den Tod als einen Teil seines unermeßlichen Besitztums betrachten darf. Er ist sein (Vgl. 1. Kor. 3,22).
In der alten Schöpfung ist der Mensch eine Beute des Todes; in dem Augenblick, da er zu leben beginnt, beginnt er auch zu sterben, wie schon oft mit Recht gesagt worden ist. Der Mensch bringt den Keim des Todes mit sich auf die Welt und kann dem Tode nicht entrinnen. „Es ist den Menschen gesetzt, einmal zu sterben, danach aber das Gericht" (Hebräer 9,27). Nichts, was in der alten Schöpfung dem Menschen gehört, kann der unbarmherzigen Hand des Todes entgehen. Der Tod nimmt dem Menschen alles, verwandelt seinen Leib in Staub und führt seine Seele in die finstere Ewigkeit. Haus und Hof, Stellung und Wohlstand, Ruf und Einfluss - alles flieht, sobald der letzte Feind herantritt. Ob König oder Bettler, Edelmann oder Bauer, Philosoph oder Einfältiger, Zivilisierter oder Wilder - der Tod macht keinen Unterschied. Das Grab ist der Schlussstein in der Geschichte des Menschen, und jenseits des Grabes erhebt sich der Richterstuhl und liegt der Feuersee mit seinen schrecklichen Fluten.
In der neuen Schöpfung gehört umgekehrt der Tod dem Menschen, ja, der Gläubige verdankt alles, was er an ewigen Gütern besitzt, dem Tode: Leben, Vergebung, Gerechtigkeit, Friede, Ruhe, Herrlichkeit - alles, alles verdankt er dem Tode, dem Tode Christi. Satan kann den Tod nicht mehr als Gottes Gericht wider die Sünde auf die Seele des Gläubigen werfen. Gott mag Sich in Seinen Regierungswegen mit Seinem Volk des natürlichen Todes als eines Zuchtmittels bedienen (vgl. 1. Korinther 11,30; 1. Johannes 5,16), aber Satan ist als der, welcher die Macht des Todes hatte, zunichte gemacht. Unser großer Befreier hat ihm diese Macht entrissen und hält nun in Seiner allmächtigen Hand die Schlüssel des Todes und des Hades (Offenbarung 1,18). Der Tod hat für den Gläubigen seine Schrecken und seinen Stachel verloren; er tritt nicht an ihn heran wie ein Gerichtsdiener, um den Schuldigen in sein ewiges Gefängnis abzuführen, sondern er ist wie eine freundliche Hand, die die Tür des Käfigs öffnet und den Geist, gleich einem in Freiheit gesetzten Vöglein, hinausfliegen lässt, dem Paradiese Gottes zu. 
Furcht vor dem Tode, die mit dem Stande der Gläubigen unter dem Gesetz noch verbunden war, ist jetzt durchaus unverträglich mit der Stellung und den Vorrechten derer, die mit dem aus den Toten Auferstandenen vereinigt sind. Darum soll auch das ganze Leben und äußere Gepräge des Christen der Quelle gleichen, aus der das Leben für ihn geflossen ist: „Wenn ihr nun mit dem Christus auferweckt worden seid, so suchet was droben ist, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Sinnet auf das, was droben ist, nicht auf das, was auf der Erde ist; denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott" (Kol 3,1 - 3). Diese Wahrheit von unserem Gestorben- und Auferwecktsein mit Christo ist von solch großer praktischer Bedeutung, dass der Apostel Paulus sie beständig vorstellte und mit tiefem Ernst auf ihr bestand. Überhaupt nahm die Auferstehung Christi aus den Toten einen ganz hervorragenden Platz in der Predigt der Apostel ein. Paulus verkündigte sie als Evangelist, lehrte und entwickelte sie als Lehrer und pflegte und überwachte ihre Wirkungen als der treue, sorgsame Hirte der Herde Christi. Die Apostel in Jerusalem legten „mit großer Kraft das Zeugnis von der Auferstehung des Herrn Jesus ab" (Apg. 4,33; vergl. Kap. 1,22; 4,2 usw.), und Paulus tat dasselbe auf seinen vielen Reisen, so dass einmal einige Philosophen in Athen von ihm sagten: „Er scheint ein Verkündiger fremder Götter zu sein, weil er ihnen das Evangelium von Jesu und der Auferstehung verkündigte" (Vergl. Apg. 17,18 -32). 
Beachten wir die Zusammenstellung: „Jesus und die Auferstehung". Warum nicht: „Jesus und die Menschwerdung"? Oder: „Jesus und die Kreuzigung"? Fanden diese Dinge keinen Raum in den Belehrungen des Apostels? Man lese als Antwort nur Galater 4,4. 5 und 1. Timotheus 3,16, und höre sein Wort: „Von mir aber sei es ferne, mich zu rühmen, als nur des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus". Diese Stellen beweisen neben vielen anderen, was die Menschwerdung und Kreuzigung Jesu für den Apostel waren, aber trotzdem nahm die Wahrheit von der Auferstehung einen ganz besonderen Platz in der Lehre und dem Dienst Pauli ein. Er selbst hatte ja den verachteten und verhassten Jesus von Nazareth auferstanden und verherrlicht gesehen. Der erste Lichtstrahl, der in sein umnachtetes Inneres hineinleuchtete, zeigte ihm einen auferstandenen Menschen in Herrlichkeit. Von da an kannte er niemand mehr nach dem Fleische, und wenn er auch Christum nach dem Fleische gekannt hatte, so kannte er Ihn doch jetzt nicht mehr also (2. Korinther 5,16). Sein Evangelium war ein Evangelium der Auferstehung. Er bemühte sich und rang kämpfend danach, jeden Menschen in dem auferstandenen und verherrlichten Christus vollkommen darzustellen (Kolosser 1,28. 29). Seine Botschaft ging weit über bloße Sündenvergebung oder Errettung von der ewigen Verdammnis hinaus; nicht Vergebung und Errettung durch Christum (obwohl er selbstverständlich beides lehrte), sondern Einssein mit Christo war das große Endziel seiner Belehrungen. Sein Evangelium, das Evangelium der Herrlichkeit, mit dem Gott ihn betraut hatte, versetzt den Glaubenden unmittelbar in einen auferstandenen, verherrlichten Christus und ermahnt ihn, so in Ihm zu wandeln, wie er Ihn empfangen hat, gewurzelt und auferbaut in Ihm, vollendet in Ihm, begraben mit Ihm in der Taufe, in der er auch mitauferweckt worden ist durch den Glauben an die wirksame Kraft Gottes, der Ihn aus den Toten auferweckt hat, mitlebendig gemacht mit Ihm, ja, in Ihm schon mitversetzt in die himmlischen Örter (Kolosser 2; Epheser 2). Das ist die Lehre Pauli, und das ist wahres Christentum. 
Wir kommen jetzt zu dem zweiten Teil unseres Gegenstandes, zu den Eigenschaften oder sittlichen Zügen des Lebens des Christen. Erblicken wir in dem auferstandenen und verherrlichten Christus dessen Quelle, so sehen wir in dem auf Erden lebenden Christus sein vollkommenes Muster, seine praktische Darstellung. Wollen wir es also in seinen herrlichen Eigenschaften kennenlernen, so müssen wir die Wege unseres anbetungswürdigen Herrn verfolgen von der Krippe bis zum Kreuz, Seine Gesinnung und Weise zu erfassen suchen, wie Er durch alle Umstände und Wechselfälle Seines Lebens hindurchschritt, wie Er unter dem Auge Gottes aufwuchs als ein Seinen Eltern unterworfenes Kind, wie Er „wuchs und erstarkte" und Tag für Tag „zunahm an Weisheit und an Größe, und an Gunst bei Gott und Menschen", wie Er dann den Pfad eines in jeder Beziehung treuen, gehorsamen Dieners verfolgte unter all den Beschwerden und Mühen, die ein solcher Pfad mit sich bringt, wie Er als der Sanftmütige und von Herzen Demütige Sich Selbst zu nichts machte und in selbstverleugnender Liebe nur die Verherrlichung Gottes und das Wohl der Menschen suchte, wie Er endlich als der gnadenreiche, freundlich teilnehmende Herr stets bereit war, die Trauernden zu trösten, die Tränen der Witwen zu trocknen, den Schrei des Unterdrückten zu hören, die Hungrigen zu speisen, die Kranken zu heilen - mit einem Wort: „wie Er umherging, wohltuend und heilend alle, die von dem Teufel überwältigt waren" (Apg. 10,38). 
Aber wer ist fähig, alle diese herrlichen Züge in Seinem Leben zur Darstellung zu bringen?! Das einzige Mittel, um ein wahrer Jünger seines Herrn sein zu können, ist für den Gläubigen die Beschäftigung mit seinem wunderbaren Vorbild. Lasst uns deshalb den Blick unverrückt auf dieses unser erhabenes Vorbild richten! Wenn ein auferstandener Christus die Quelle unseres Lebens ist, so ist Christus in Seinem Wandel auf Erden unser Vorbild. Möchte unser Leben, wenn auch in großer Schwachheit, die gleichen Züge aufweisen, die das Seinige in göttlicher Vollkommenheit trug! Durch den Tod hat Er es zustande gebracht, dass Sein Leben auch das unsrige geworden ist. Vertiefen wir uns nun in die Herrlichkeiten der Evangelien, damit durch die Gnade des Heiligen Geistes auch unser Wandel dem Seinigen gleiche! 
Die Früchte und Erzeugnisse der alten Natur sind nicht nur wertlos, sondern sündhaft. Der alte Mensch genießt keinerlei Anerkennung. Er wird als gekreuzigt, gestorben und begraben betrachtet, und wir werden aufgefordert, uns für tot zu halten, unsere Glieder, die auf der Erde sind, zu töten und zu wandeln, wie Christus gewandelt hat. Das ist praktisches Christentum. Der schwächste Ausdruck des Lebens Christi in einem Seiner Glieder ist ein süßer Wohlgeruch für Gott, während das kräftigste Erzeugnis des religiösen Fleisches, seine kostbarsten Opfer, und was es nur geben mag an hervorragenden Gebräuchen und Zeremonien, in Gottes Augen lediglich „tote Werke" sind. 
Zum Schluss noch ein Wort über die Ausgänge des Lebens, das wir als Christen besitzen. Da gibt es eigentlich nur ein Wort, das alles besagt, und dieses Wort heißt „Herrlichkeit!" In der Herrlichkeit münden die Ausgänge des christlichen Lebens, wie geschrieben steht: „Wenn der Christus, unser Leben, geoffenbart werden wird, dann werdet auch ihr mit ihm geoffenbart werden in Herrlichkeit" (Kolosser 3,4). Jesus wartet heute noch auf die Offenbarung Seiner Herrlichkeit, und wir warten in und mit Ihm. Er hat Sich gesetzt und wartet, und das Gleiche tun auch wir: „Gleichwie er ist, sind auch wir in dieser Welt" (1.Johannes 4,17). Tod und Gericht liegen hinter uns, und nichts als Herrlichkeit liegt vor uns. Unser „Gestern" ist, wenn ich mich so ausdrücken darf, das Kreuz, unser „Heute" ein auferstandener Christus und unser „Morgen" die Herrlichkeit. So verhält es sich mit allen wahren Gläubigen - genau so wie mit ihrem lebenden und erhöhten Haupte. Wie das Haupt, so auch die Glieder. Nie können sie voneinander getrennt werden. Das Haupt und die Glieder sind eins auf ewig. Das Haupt hat den Tod und das Gericht durchschritten, und ebenso die Glieder. Das Haupt hat Sich gesetzt in Gottes Gegenwart, und ebenso die Glieder. Sie sind mitlebendig gemacht, miterhöht und mitgesetzt mit dem Haupte in Herrlichkeit. 
Das also, mein Leser, ist das Leben des Christen. Die Quelle dieses Lebens ist ein auferstandener Christus, seine Eigenschaften sind die Züge des auf Erden wandelnden Christus, und sein Ausgang ist eine wolkenlose, ewige Herrlichkeit. Wie verschieden ist ein solches Leben von demjenigen, das wir als Söhne und Töchter Adams besitzen! Die Quelle dieses Lebens ist ein gefallener und hinausgestoßener Mensch. Seine Eigenschaften sind die tausenderlei Formen von Selbstsucht, mit denen die Menschheit sich selbst geschmückt hat, und sein Ausgang ist der Feuersee. So lehrt die Schrift bezüglich des ersten Adam und seiner Nachkommen; so lehrt sie bezüglich des Lebens des zweiten Adam und derer, die an Ihn glauben. 
Man hört manchmal von einem „höheren christlichen Leben" reden. Diesen Ausdruck kennt die Schrift nicht. Es gibt nur ein Leben für den Christen, und das ist Christus. Zweifellos kann dieses Leben verschieden genossen, dargestellt oder verwirklicht werden. Aber wie verschieden das Maß auch sein mag, es gibt doch nur ein Leben. Der hervorragendste Christ und das schwächste Kind im Glauben - sie besitzen ein und dasselbe Leben. Denn Christus ist ihr Leben.
Möchten doch diese Dinge von uns allen richtig verstanden und viel erwogen werden! Es wird so oft nur ein halbes Evangelium gepredigt. Mancher Evangelist bleibt bei der Fleischwerdung und Kreuzigung stehen und vergisst die Auferstehung. Aber nur das Evangelium, das diese drei Stücke enthält, ist vollständig und befähigt die Seele, sich von jeder irdischen Verbindung zu trennen und in der Kraft des Auferstehungslebens in Christo mit Gott zu wandeln. Viele Seelen werden durch Zweifel und Fragen beunruhigt, die durch die einfache Annahme der gesegneten Wahrheit des Lebens in einem auferstandenen Christus beseitigt werden würden. Wenn doch nur das klare Licht des von Paulus gepredigten Evangeliums in die Seele aller Geliebten Gottes strömen und die Dünste und Nebel, die sie manchmal einhüllen, zerstreuen möchte!

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Im ungleichen Joch

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 141ff

(Gedanken über gemischte Ehen)
Die folgenden Ausführungen verdanken ihre Entstehung einem ernsten Vorfall, der hier kurz erzählt werden möge. Eine junge Schwester ließ sich verleiten, den Heiratsantrag eines weltlichen Mannes anzunehmen. „Es gelang ihr, dies vor der Versammlung von Christen an ihrem Wohnort zu verheimlichen; aber eine scheinbar zufällig entstandene Verzögerung führte dahin, dass ein Bruder von ihren Absichten Kenntnis erhielt und sie daraufhin ernstlich warnte. „Sie gab zu, dass sie unrecht tue, beharrte aber gleichwohl aus dem eingeschlagenen Wege. Nicht lange nachher reiste sie zu Verwandten, wo sie von einem heftigen Fieber überfallen wurde, in welchem sie von Anfang an die Züchtigung des Herrn erkannte. Sie starb schon nach drei Tagen, aber nicht ohne dass Gottes Wort tief in ihr gewirkt und sie sowohl zu gründlichem Selbstgericht, als auch zu voller Freude im Herrn zurückgebracht hätte.
Die oben mitgeteilten einfachen Tatsachen beweisen, wie Gott mit Gericht ins Mittel treten kann, wenn es gilt, Seine Kinder von den traurigen geistlichen Folgen zu befreien, die aus einem Mangel an Treue hervorfließen. Eine junge Gläubige schenkte dem Heiratsantrag eines unbekehrten Mannes Gehör. Obgleich ihr Gewissen ihr unzweideutig sagte, dass sie dem Willen Gottes entgegenhandle, verstand sie es nicht, sich vor dem ersten falschen Schritt zu bewahren, und weil sie nicht sofort den Gedanken an die Annahme des Anerbietens als Sünde und Untreue verwarf, hatte sie nachher nicht mehr die Kraft, es aufzugeben; und Gott war gezwungen, sie aus dieser Welt wegzunehmen, um sie so vor einer Sünde zu bewahren, die sie zwar nicht zu begehen wünschte, welcher sie aber nicht zu widerstehen vermochte. O wie schwierig ist es, einzuhalten und umzukehren, wenn wir einmal auf einen falschen Weg geraten sind! 
Wohl jeder, der den Wandel von Gläubigen genauer beobachtet und, getrieben von irgendwelchem Eifer für die Ehre des Herrn, sich um deren Seelen bekümmert hat und für ihr geistliches Wohl besorgt ist, wird bemerkt haben, welch verhängnisvollen Einfluss die Welt auf die Kinder Gottes ausübt, sobald sie einmal in ihren Herzen Eingang gefunden hat. Gott allein und derjenige, der auf diese Weise gelitten hat, weiß, mit welch listigen Mitteln und auf welch liebenswürdige Weise die Welt oft den Eingang zu erringen versteht. Die Offenbarung Christi und die Macht Seiner Gegenwart gehören allerdings niemals zu den Wegen, auf welchen die Welt sich ins Herz stiehlt. Darum sind alle diejenigen, welche sich durch die Gnade nahe bei Christo halten, sicher vor den Einflüssen ihrer natürlichen Gefühle. Sie sind fähig, diese Gefühle richtig zu beurteilen und alles das zu richten, was dahin strebt, der Welt die Tür ins Herz zu öffnen oder Wünschen Raum zu schaffen, die mit der Welt verbunden sind. 
Wir liegen hienieden stets im Kampf mit dem Feinde. Er sucht uns zu überraschen, wenn wir gerade  nicht auf der Hut sind, und um das auszuführen, weiß er selbst die Gestalt eines Engels des Lichts anzunehmen. Sind wir nicht nahe bei unserem Herrn und mit der ganzen Waffenrüstung Gottes bekleidet, so ist es uns unmöglich, seinen Listen zu widerstehen. Der Macht Satans Widerstand zu leisten ist nicht das Schwierigste, denn Christus hat den mächtigen Feind für uns besiegt. Die größte Schwierigkeit liegt für uns darin, die Schlingen zu entdecken, die er uns legt, ja, überhaupt zu unterscheiden, dass Satan seine Hand im Spiele hat. In unseren Kämpfen mit dem Feinde wird der Zustand unserer Herzen offenbar. Das einfältige Auge, das heißt das von Christo erfüllte Herz, erkennt seine List und wendet sich zu dem Heiland um Hilfe und Rettung; oder aber seine Zuneigungen sind schon so auf Ihn gerichtet, dass die Bemühungen des Feindes gar keinen Anknüpfungspunkt finden. Ein Herz, das einfältig ist und mit Christo beschäftigt, entgeht manchen Dingen, die den Frieden derer stören, welche nicht in Seiner Nähe leben. Gott sei Dank, dass die beunruhigte und irregeleitete Seele Hilfe und volle Wiederherstellung findet in der Gnade Dessen, den sie so törichterweise vergessen konnte! Aber sie genießt Seine Gnade durch viele Schmerzen und Herzensübungen hindurch. Immerhin darf eine solche Seele Mut fassen! Der Herr vermag eben sowohl zu erretten, wie Er vermag Mitleid zu haben. 
Folgendes sind die beiden Grundsätze, nach welchen Gott Seine Wege mit uns regelt: einerseits bewahrt Er das Herz und leitet es dahin, Seine Wege und Absichten mit ihm zu erkennen; andererseits verwendet sich Christus für uns im Blick auf alles das, was Schwachheit  in uns genannt werden kann. Auf unserem ganzen Wege stoßen wir auf Schwierigkeiten, und in uns ist nur Schwachheit und zugleich ein Wille, der den Zügel nicht liebt und sich auf tausenderlei Weise durch Wort und Tat verrät. Beide, unsere Schwachheit wie unser Wille, möchten uns hindern, das Ziel unserer Reise zu erreichen; aber es besteht ein großer Unterschied zwischen der Art und Weise, wie Gott mit unserer Schwachheit handelt, oder wie Er unserem Willen begegnet und den Gedanken, die aus ihm entspringen. „Das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und durchdringend bis zur Scheidung von Seele und Geist, sowohl der Gelenke als auch des Markes, und ein Beurteiler der Gedanken und Gesinnungen des Herzens“ (Hebr. 4, 12). Gott richtet unsere Gedanken und Absichten durch Sein Wort. Nichts entgeht Ihm; Er ist treu gegen uns. Sein Wort ist für das Herz wie ein Auge, vor dem nichts verborgen ist. „Alles, ist bloß und aufqedeckt vor den Augen Dessen, mit dem wir es zu tun haben.“ 
Hörst du dies, törichte Seele, die du Befriedigung suchst in den Täuschungen, die du liebst? Nichts ist verborgen: nicht einer deiner Gedanken, nicht eine deiner Absichten ist verdeckt vor den Augen Dessen, mit dem du es zu tun hast. Und das ist nicht alles. Sein Wort ist einfach, verständlich und klar. Es spricht zu deinem Gewissen; hörst du es? Denkst du daran, dass, wenn Gott spricht, du nicht nur mit dem, was Er sagt, sondern mit Ihm selbst, der da spricht, zu tun hast? Willst du Dem widerstehen, der da redet, und Ihn zum Eifer reizen? Du kannst Ihm nicht entfliehen. 
Willst du wider den Stachel ausschlagen? Tue es nicht; denke lieber an die Ziele, die Gott mit dir verfolgt. Er hätte dich deine eigenen Weges gehen, dich in Dinge fallen lassen können, durch welche deine ganze Wüstenreise sich traurig und demütigend gestalten müsste. Er hätte zu dir sagen können, was Er einst Seinem untreuen, aber geliebten Volke IsraeI zurief: „Ephraim ist mit Götzen verbündet; lass ihn gewähren!“ (Hos. 4, 17.) Schreckliche Strafe! Härter als strengste äußere Züchtigung! Aber unser Gott will uns nicht des Lichtes Seines Angesichts und der Süßigkeit Seiner Gemeinschaft berauben. Er züchtigt nicht gern; es ist, wie Er es nennt, ein „befremdendes Werk“ für Ihn. (Jes. 28, 21). Aber Sünde ist immer Sünde in Seinen Augen, und Er kann sie an Seinen Kindern nicht dulden. 
Wie wirkt Er denn in unseren Herzen? Er erreicht sie durch Sein Wort, damit unser Gewissen dahin komme, die Dinge so zu sehen, wie Er selbst sie sieht. Sein Auge ist auf uns, ja, auf unsere innersten Gedanken gerichtet, und unser Gewissen wird erleuchtet betreffs der Vorgänge in unseren Herzen, die das Wort, das uns Gott offenbart, hervorruft. Sage mir, ist das, was du in deinem Herzen findest, die Gesinnung eines Pilgrims, eines Menschen, der Gott liebt? Steht es in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes? Ist es geziemend für jemand, den Christus so geliebt hat, dass Er sich für ihn bis in den Tod erniedrigte? O stehe still, arme Seele, und frage dich, ob die Gedanken, die dich beschäftigen, dem Sinne Christi entsprechen und Ihm angenehm sind, der sich selbst für dich dahingegeben hat, um ·dich zu retten! Oder warum erlaubst du sie dir? Dein Heil liegt Ihm am Herzen. Er liebt dich. Er weiß und kennt alles, wag dahin zielt, dich zu verderben und in der Wüste zu Fall zu bringen. Er, der Heilige, wird niemals nach anderen als Seinen eigenen Grundsätzen regieren, nach Grundsätzen, welche die Freude des neuen Menschen sind und zu der neuen, göttlichen Natur gehören. »Er kann sich selbst nicht verleugnen.« (2. Tim. 2, 13.) Er möchte nicht, dass du die strenge Züchtigung auf dich herabziehst, welche der Seele harrt, die sich von Ihm entfernt hat. Er möchte dich vor den Verlusten bewahren, in welche deine Torheit dich bringen muss, wenn du dir erlaubst, deinem Eigenwillen zu folgen. Er wünscht, dass du die Freude Seiner Gemeinschaft nicht verlierest, und dass die Beweise Seiner Liebe zu dir keine Unterbrechung oder auch nur eine Schwächung in deinem Herzen erfahren. Er redet in Seinem Worte zu dir. (Vergl. 1. Kor. 7, 39.) Er prüft die Gedanken und Gesinnungen deines Herzens. 
Möchtest du lieber Seine richtende Stimme hören, als Ihn bitten, dich von dem zu befreien, was dir zu stark geworden ist? Oder willst du wie Israel sagen: „Ich liebe die Fremden, und ihnen gehe ich nach“?
(Jer. 2, 25.) Du weißt, dass dieser Gedanke seinen Ursprung nicht in Christo hat; du hast dich nicht mit Ihm darüber beraten, obwohl du vielleicht gar die Bitte an Ihn zu richten gewagt hast, dich in dem, wag du vorhast, zu leiten und zu segnen. Du weißt, dass Sein Wort das richtet, was du in deinem Herzen birgst und wag; solche Macht über dich hat; denn du bist der Sklave und nicht der Herr deiner Überlegungen. Nein, diese Gedanken sind nicht von Christo, und solang du sie hegst, setzest  du Gott und Sein Wort beiseite und wirst dadurch sicherlich Seine Züchtigung über dich bringen. Gott ist voll Barmherzigkeit und hat Mitgefühl mit uns und unseren Schwachheiten, Er ist milde und erbarmungsvoll in Seinem Tun; aber wenn wir durchaus unserem eigenen Willen« folgen wollen, so weiß Er ihn zu brechen. Er regiert alles und insbesondere Seine Kinder. Er lässt sich nicht spotten, und was ein Mensch säet, das wird er auch ernten (Gal. 6, 7). Es ist, ich wiederhole es, die schärfste aller Züchtigungen, wenn Er uns unsere eigenen Wege gehen lässt. 
Der zweite Punkt, den ich hervorheben möchte, ist die Regierung, welche Gott im Blick auf Seine Kinder ausübt. Er warnt sie, wie gesagt, durch Sein Wort, und wenn sie nicht darauf hören wollen, tritt Er mit Seiner Macht ins Mittel. Er bringt sie zum Stillstehen, um sie dann wieder segnen zu können. (Vergl. Hiob 36, 5 — 15; 333, 14 - 30.) Unsere Errettung kommt bei den Wegen, die Gott mit uns geht, nicht in Frage. Seine Augen ruhen beständig auf Seinen Kindern, und Er züchtigt sie, weil Er sie liebt. Die Leute, von denen in den angeführten Stellen in Hiob die Rede ist, werden „Gerechte“ genannt. Gott zieht Seine Augen nicht von ihnen ab, wie Er auch durch den Propheten Amos zu Israel sagt: „Nur euch habe ich von allen Geschlechtern der Erde erkannt; darum werde ich alle eure Missetaten an euch heimsuchen“ (Amos 3, 2).
Wir sehen in dem 1. Brief an die Korinther, dass, als die Gläubigen den Tisch des Herrn zu einer Stätte der Ausgelassenheit machten, Gott Seine strafende Hand auf sie legte. Einige waren krank, andere sogar gestorben, und indem der Apostel sie darauf aufmerksam macht, fügt er hinzu: „Wenn wir uns selbst beurteilten, so würden wir nicht gerichtet. Wenn wir aber gerichtet werden, so werden wir vom Herrn gezüchtigt, auf dass wir nicht mit der Welt verurteilt werden.“ Ernster Gedanke! Wir sind unter der Hand des Herrn, der die Sünde straft, wo irgend Er sie findet. Er ist ein verzehrendes Feuer, und wenn der Augenblick dazu gekommen ist, fängt das Gericht an Seinem Hause an. Welch ein Unterschied zwischen solchen Beziehungen zu Gott und der Freude Seiner Liebe und Gemeinschaft, wenn Sein Geist nicht betrübt ist, und man unter Seinem Auge und in dem Lichte Seines Angesicht wandelt! 
Ich zweifle nicht daran, dass ein großer Teil der gegenwärtigen Krankheiten und Prüfungen der Gläubigen Züchtigungen sind, die Gott infolge von Dingen gesandt hat, die böse sind in Seinen Augen, und von welchen das Gewissen, wenn es tätig gewesen wäre, uns zurückgehalten hätte. Gott hat sich gezwungen gesehen, durch solche Mittel die Wirkung hervorzubringen, welche durch Selbstgericht hätte vorhanden sein sollen. Es wäre jedoch unrichtig anzunehmen, dass alle Trübsale Züchtigungen in diesem Sinne seien. Obwohl es manchmal so ist, sind sie doch nicht immer der Sünde wegen gesandt. Es gibt Dinge in Verbindung mit unserem natürlichen Charakter, die der Berichtigung bedürfen, damit wir mehr in Gemeinschaft mit Gott leben und Ihn in allen Einzelheiten des Lebens verherrlichen können. Gott tut aus diese. Weise für uns. mag wir selber nicht zu tun verstehen. Es gibt aber viele Fälle. wo Kinder Gottes Fehler begehen, gegen welche ihr Gewissen sofort zeugen sollte, und die sie sehr bald entdecken würden, wenn ihre Seelen in der Gegenwart Gottes lebten. So hatte Jakob sein Leben lang mit sich selbst zu kämpfen, und um ihn segnen zu können, musste Gott gar mit ihm ringen — auch konnte Er ihm an der Furt des Jabbok Seinen Namen nicht kundtun; während die Geschichte Abrahams genau die entgegengesetzten Erscheinungen aufweist. 
Wenn wirkliche Liebe vorhanden ist, die Gott anerkennt und all die Beziehungen hochhält, in welche Er uns zu sich gebracht hat, so ist es durchaus unmöglich, dass ein Christ sich mit einer weltlichen Person verheiraten könnte, ohne dadurch alle seine Verpflichtungen gegen Gott und gegen Christum zu verletzen. Wenn ein Kind Gottes sich mit einem UngIäubigen verbindet, so verliert es offenbar bei diesem Schritt Christum ganz aus dem Auge, und es tut das mit Willen in dem allerwichtigsten Ereignis seines Lebens. Während es gerade in einem solchen Augenblick die innigste Gedanken-, Liebes- und Interessen-Gemeinschaft mit Ihm haben sollte, schließt es Ihn völlig aus. Der Gläubige tritt unter ein Joch mit dem Ungläubigen (2. Kor. 6, 14 — 18). Er· zieht es vor, ohne Christum zu leben. Er will lieber seinen eigenen Willen tun und Christum von seinem Wege ausschließen, als diesen Willen aufgeben, um Christum zu genießen und Seinen Beifall zu haben. Er hat sein Herz einem anderen geschenkt, indem er Christum verließ und sich weigerte, auf Seine Stimme zu hören. Je stärker die Zuneigung ist, und je mehr das Herz gefesselt wird, desto offenkundiger ist etwas anderes Christo vorgezogen worden. Welch ein furchtbarer Entschluss aber, sein Leben mit einem Gefährten zuzubringen, der noch ein Feind Gottes ist! " 
Der Einfluss einer solchen Verbindung auf den gläubigen Teil muss notwendig der sein, dass er wieder in die Welt zurückgezogen wird; hat er doch schon jemand von der Welt als den geliebtesten Gegenstand seines Herzens erwählt, und denen, die von der Welt sind, können nur die Dinge gefallen, die von der Welt sind, obwohl deren Ende der Tod ist (Röm. 6, 21 - 23). „Die Welt vergeht und ihre Lust, wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit“ (1. Joh. 2, 17). Welch eine entsetzliche Lage, entweder beständig in der Treue gegen Christum fehlen, oder aber beständig gerade da widerstehen zu müssen, wo die zartesten Bande eine völlige Einheit bedingen sollten! Tatsache ist, dass, wenn die unumschränkte Gnade Gottes nicht in besonderer Weise eingreift, der gläubige Mann oder die gläubige Frau stets den Widerstand ausgibt und nach und nach in einen weltförnigen Wandel einlenkt. Nichts ist auch natürlicher als das. Der Weltliche hat nur seine weltlichen Wünsche und Neigungen, der Christ aber neben seinem neuen Leben noch immer das von der Welt so beeinflussbare Fleisch; dazu hat er, um seinem Fleische zu gefallen, bereits seine christlichen Grundsätze ausgegeben, indem er sich mit jemand verbunden hat, der den Herrn nicht kennt. Das Ergebnis einer solchen Verbindung ist, dass er mit der ihm auf Erden teuersten Person, die wie ein Teil seiner selbst ist, keinen gemeinsamen Gedanken hat hinsichtlich des Gegenstandes, der seinem Herzen am kostbarsten sein sollte. Die Folge davon sind unaufhörliche Unstimmigkeiten und Zwistigkeiten, wie geschrieben steht: „Wandeln wohl zwei miteinander, es sei denn, dass sie übereingekommen sind?“ (Amos 3, 3). Oder aber man gibt zunächst dem verweltlichenden Einfluss nach, um dann allmählich wieder Gefallen an der Welt und ihren Dingen zu finden.
Dieses traurige, unausbleibliche Ergebnis wird freilich nicht ins Auge gefasst, wenn man sich den ersten Anfängen einer solchen Zuneigung hingibt. Der Gläubige wird nach und nach von Gott abgelenkt. Indem er nicht in wahrer Gemeinschaft mit seinem Heiland ist, kann er an der Gesellschaft einer ihm angenehmen Person Gefallen finden, ohne dass Jesus in dem Verkehr irgendwelchen Raum hätte. Wenn er allein ist, denkt er nicht daran zu beten, und ist er bei dem Gegenstand seiner Liebe, so hat er, trotz der Warnungen seines Gewissens oder christlicher Freunde, keine Kraft zu widerstehen, denn Christus hat nicht genug Einfluss über sein Herz, dass er dadurch von seinem Wege abgezogen und befähigt würde, eine Neigung aufzugeben, von welcher er weiß, dass sie dem Herrn nicht gefallen kann. Er hat andere Beweggründe, durch welche er sich beeinflussen und mehr oder weniger binden lässt, wie z. B. ein gewisses Ehrgefühl, zuweilen auch wohl Beweggründe niedrigem Art, wie geldliche Interessen oder dergleichen, und er opfert diesen sein Gewissen, seinen Heiland, ja, seine Seele, soweit es von ihm abhängt, und auf alle Fälle die Verherrlichung Gottes, die er in seinem Wandel zu suchen schuldig wäre. Was zuerst vielleicht nicht mehr als eine Laune war, ist ungezügelte: Wille geworden. 
Noch eine andere Bemerkung möchte ich anIässlich der Geschichte jenes jungen Mädchens machen. Der erste gute Anlauf einer bekehrten Seele, so aufrichtig sie sein mag, bringt nichts weniger als die Verurteilung des eigenen Ichs und des Fleisches hervor, welche, indem sie uns unsere Schwäche zeigt, uns dahin führt, unsere Bürde zu Jesu Füßen niederzulegen. Sind wir einmal dahin gekommen, so suchen wir unsere Kraft nur in Ihm und vertrauen allein auf Ihn. Dieses Vertrauen einer Seele, die sich selbst kennen und misstrauen gelernt hat, zu Jesu gibt ihr bleibenden und festen Frieden; sie hat
nicht nur als Lehre, sondern mit dem Herzen die Tatsache erfasst, dass Jesus allein unsere Gerechtigkeit ist. Aber wir gelangen erst zu diesem Punkt, wenn wir in der Gegenwart Gottes gewesen sind und dort die Entdeckung gemacht haben, dass wir nichts als Sünde sind, und dass Christus vollkommene Gerechtigkeit und Gott vollkommene Liebe ist. Von da an misstrauen wir uns selbst, und das Fleisch und der Feind haben nicht mehr die gleiche Macht, uns zu täuschen, wie vorher. 
Ich glaube nicht, dass die junge Schwester, von welcher die vorliegenden Blätter reden, in diesem Sinne vom eigenen Ich losgeworden war. Es gibt viele Gläubige, die sich in diesem Zustand befinden; und obwohl wir alle den gleichen Gefahren ausgesetzt sein mögen, haben solche doch ganz besonders die List des Feindes zu fürchten, weil sie noch nicht erfahren haben, wie das Fleisch uns betrügen kann, und nicht wissen, mit welch einem treulosen Verräter wir es zu tun haben. Hat eine Seele das einmal erkannt, so hat, obwohl sie es an Wachsamkeit fehlen lassen kann, Christus doch mehr Platz im Herzen gefunden; es ist mehr Ruhe vorhanden, und das eigene Ich steht weniger im Vordergrunde. 
Das Herz ist betrügerisch und verliert alle Selbstbeherrschung, wenn es von Gott abweicht. Als jenes arme Mädchen tiefer und tiefer in den Sumpf geriet, an dessen Rand sie, um ihre eigenen Worte zu gebrauchen, leichtsinnig gespielt hatte, richtete sie die Bitte an eine Freundin ihrer Mutter, alles was in ihrer Macht stehe zu tun, um jedes Hindernis aus dem Wege zu räumen. Und diese Frau, die nicht bekehrt, aber gottesfürchtig war, verwunderte sich, dass A. geneigt sein könne, sich mit einem weltlichen Manne zu verehelichen. 
Ja, listig und betrügerisch ist unser Herz, und ein Götze kann Sklaven aus uns machen! Wir suchen vielleicht scheinbar der Gefahr zu entrinnen und treffen zu gleicher Zeit Maßregeln, um die Sache zu Stande zu bringen, die wir zu erlangen wünschen, selbst während wir vor ihr fliehen. Wie schrecklich ist es doch, die Verbindung mit Gott zu verlieren! Jenes junge Mädchen würde, ehe es durch ihre Zuneigung verstrickt war, vor dem Gedanken an eine solche Handlungsweise zurückgeschreckt sein. Aber wenn das Herz Gott einmal verlassen hat, fürchtet es die Menschen mehr als selbst Ihn. Der Gott, der A. liebte und von ihr geliebt wurde, musste sie aus dieser Welt wegnehmen, wo sie nicht den Mut hatte, auf den richtigen Pfad zurückzukehren. Gott nahm sie zu sich, und durch Seine überschwängliche Gnade ging sie in Frieden heim.
Welch eine ernste Warnung ist aber ihre Geschichte für solche, die versucht sind, von Gott und Seinem heiligen Wort abzuweichen, um eine Neigung zu befriedigen, welche anfänglich leicht zu überwinden gewesen wäre, die aber, wenn einmal ins Herz aufgenommen und dort genährt, tyrannisch und verhängnisvoll wird! Möge Gott den Lesen: und Leserinnen dieser Zeilen wie allen Seinen Kindern die Gnade schenken, Tag für Tag Seine Gegenwart zu suchen und darin zu leben!

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Nicht ein Geist der Furchtsamkeit, sondern der Kraft

Bibelstelle: 2. Timotheus 1, 3 - 8

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 154ff

Solche Ermahnungen, wie sie in dem oben angeführten Abschnitt enthalten sind, werden nicht gegeben, es sei denn, dass die Umstände und Verhältnisse es erfordern. Sie sind darauf berechnet, der einen oder anderen Neigung in unserem Fleische zu begegnen, damit wir in der Kraft des Geistes dagegen wachen können. Der Herr beschäftigt sich mit uns, so wie wir sind, und nicht wie menschliche Gedanken den Menschen malen, und in allen Seinen Wegen mit uns stellt Er die Umstände, so wie sie liegen, in Rechnung. 
Wenn es sich um Sorgen, Prüfungen und Schwierigkeiten handelt, so nimmt der Herr uns nicht aus denselben heraus. „Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt wegnehmest“, sagte Er einst zum Vater. (Joh. 17, 15). Und indem Er uns in der Welt lässt, bleiben wir alledem ausgesetzt, was dem Menschen hienieden begegnen kann, zu gleicher Zeit aber belehrt Er uns, in dem Besitz der neuen Natur uns auf Gott zu stützen. Man denkt zuweilen, weil wir Christen, Kinder Gottes, seien, könnten uns keine Trübsale nahen, oder, wenn sie wirklich kämen, dürften wir sie nicht so empfinden wie andere Menschen es tun. Aber Gott denkt anders. 
Der theoretische Christ mag gelassen und ruhig sein, er hat ja so schöne Bücher und kennt so viele hübsche Aussprüche; aber wenn Gott einmal ein kleines Unwetter kommen lässt, einen Sturm, der an der Gelassenheit zu rütteln beginnt, so wird gerade der Theoretiker sich als ein Mensch erweisen, der in besonderer Weise die Schwierigkeiten, die in der Welt sind, empfindet und große Mühe hat, darüber hinwegzukommen. Je näher ein Kind Gottes durch die Gnade mit Gott wandelt, desto milder wird es in der Beurteilung der Fehler anderer, und je länger es auf dem Pfade der Absonderung voranschreitet, desto mehr wird es sich der Treue und Milde Gottes bewusst und alles dessen in sich selbst, worauf jene fortwährend Anwendung finden müssen. 
Betrachten wir das Leben des Herrn Jesus, nehmen wir z. B. Gethsemane; was finden wir dort? Keine Wolke über Seiner Seele, immer dieselbe Ruhe und Gelassenheit! Nie sehen wir Ihn Seinen Mittelpunkt verlieren, stets ist Er derselbe, allezeit Er. Erforschen wir aber die Psalmen, die uns einen Einblick in Sein Inneres, in Seine tiefsten Gefühle tun lassen, wie unendlich Vieles und Schweres entdecken wir dann, das geeignet war, Ihm diese Ruhe und Gelassenheit zu rauben! In den Evangelien erscheint Er vor den Menschen als das Zeugnis der Kraft Gottes, und zwar gerade in jenen Dingen, die jedem anderen Menschen zum Ärgernis und Anstoß gereicht haben würden. Er wandelte mit Gott im Blick auf sie, und so finden wir Ihn stets in vollkommenem Frieden. In wunderbarer Ruhe sagt Er: „Wen suchet ihr?“ und nachher: „Ich bin`s“. Wie friedevoll und zugleich wie gebietend lauten die Worte! Denn Friede und Ruhe inmitten von Schwierigkeiten machen einen gebietenden Eindruck. Als Er allein in ringendem Kampfe war, fiel Sein Schweiß wie große Blutstropfen zur Erde; es war also nicht etwa eine GeIassenheit, die aus innerer Gefühllosigkeit hervorgegangen wäre. Im Gegenteil, Er fühlte in Seinem Geiste das ganze furchtbare Gewicht der Prüfung; aber Gott war bei Ihm in den Umständen, und deshalb bewahrte Er vor Menschen stets Seine gleichmäßige Ruhe. 
Wir dürfen nicht erwarten, nie geübt, beunruhigt oder niedergeworfen zu werden, als wenn wir gefühllose Menschen wären. Der Herr sagt auch: „Sie gaben in meine Speise Galle, und in meinem Durst tränkten sie mich mit Essig“. Er fühlte alles das voll und ganz Seine Seele kam in das Eisen (Ps. 105, 18). „Der Hohn“, so klagt Er, „hat mein Herz gebrochen, und ich bin ganz elend.“ Aber zwischen Christo und uns in Leiden und Bedrängnissen ist dieser Unterschied: bei Ihm unterbrach die Prüfung niemals auch nur für einen Augenblick die Gemeinschaft mit Gott. So ist es nicht mit uns. Wir müssen zunächst lernen, dass wir in uns völlig kraftlos sind und uns nicht selbst zu helfen vermögen; dann erst wenden wir uns zu Gott und richten unseren Blick auf Ihn. 
Wie stand es um Paulus, als er sagte: „Alle haben mich verlassen2? Sein Vertrauen auf Gott war nicht
erschüttert; aber wenn er am Ende seines Dienstes hienieden sich umschaute, so brach ihm das Herz infolge der allgemeinen Untreue. Er sah die Flut des Bösen hereinbrechen (2. Tim. 3 und 4) und die Gefahr für Timotheus, wenn er nun, allein gelassen, auf das Böse ringsumher blicken und seine eigene Schwachheit fühlen würde; und damit sein geliebtes Kind nicht in einen Geist der Furchtsamkeit hineingeraten möchte, rief er ihm zu: „Fache an die Gnadengabe Gottes, die in dir ist durch das Auflegen meiner Hände. Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Furchtsamkeit gegeben, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. So schäme dich nun nicht des Zeugnisses unseres Herrn, noch meiner, Seines Gefangenen, sondern leide Trübsal mit dem Evangelium, nach der Kraft Gottes.“ Wenn ein Geist der Furchtsamkeit uns ergreift, so ist das nicht von Gott, denn Gott hat uns den Geist der Kraft gegeben. Er ist der ganzen Kraft des Feindes in der Schwachheit des Menschen, in Christo, begegnet, und Christus sitzt jetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe. Mögen deshalb die Umstände noch so entmutigend sein, kein Grund liegt vor, furchtsam und ängstlich zu werden. So ermuntert der Apostel auch« die Philipper, „sich in nichts erschrecken zu lassen von den Widersachern“. 
„Leide Trübsal mit dem Evangelium, nach der Kraft Gottes!“ Wie? Sollen wir denn mit dem Evangelium Trübsal leiden? Nicht vielmehr von dem schmerzlichen Gefühl dieser Trübsale befreit werden? Nein, wir sollen sie mitfühlen, sollen mit leiden, soweit ein Mensch das vermag, aber „nach der Kraft Gottes“. Das will nicht sagen, dass wir dann den Druck des Leides und der Schwachheit nicht fühlen. Paulus hatte einen „Dorn im Fleische“ (2. Kor. 12.) Dürfen wir denken, er hätte ihn nicht gefühlt? Ach, er fühlte ihn täglich, und zwar „als einen Engel Satans, der ihn mit Fäusten schlug“. Aber was hören wir ihn sagen? „Daher will ich am allerliebsten mich vielmehr meiner Schwachheiten rühmen, auf dass die Kraft des Christus über mir wohne.“ Die Kraft Gottes, die uns zu Hilfe kommt, verringert nicht das Gefühl der Trübsal, aber „wir werfen alle unsere Sorge auf Ihn, denn Er ist für uns besorgt“. Auch dürfen wir nicht erwarten, dass in demselben Augen- blick, da wir unsere Bürde auf Gott werfen, die Antwort kommt. Daniel musste „drei volle Wochen“ auf eine Antwort von Gott warten; aber von dem ersten Tage an, da er sein Herz darauf gerichtet hatte, Verständnis zu erlangen und sich vor seinem Gott zu demütigen, waren seine Worte erhört worden. (Dan. 10.) Bei uns ist es gewöhnlich das erste, dass wir über die vorliegende Sache grübeln und sie in unserem Geist hin und her bewegen, ehe wir mit ihr zu Gott gehen. Von dieser Neigung gab es bei Christo, unserem Herrn, nichts. „Zu jener Zeit“, so lesen wir in Matth. 11, in einer Stunde, als alles zusammenzubrechen schien, „hob Jesus an und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies vor Weisen und Verständigen verborgen hast, und hast es Unmündigen geoffenbart. Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig vor dir.“ Anstatt es zu machen wie der Herr, ermüden und beschweren wir uns selbst so gerne mit der Größe und Wichtigkeit unserer Anliegen und Wege. 
„Seid um nichts besorgt!“ ruft der Apostel den Philippern zu (Kap. 4, 6). Aber das ist leicht gesagt. Sollen wir denn nicht besorgt sein um den Zustand der Versammlungen, den Stand des Werkes des Herrn, oder auch um das Durchkommen unserer Familien? „Seid um nichts besorgt!“ Was irgend eine  Sorge in uns hervorrufen könnte, ruft Gottes Sorge für uns wach; darum: „seid um nichts besorgt, sondern in allem lasset durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kundwerden“. So wird „der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, eure Herzen und euren Sinn bewahren in Christo Jesu“. Es heißt nicht, dass unsere Herzen den Frieden Gottes bewahren sollen, sondern der Friede, in welchem Gott selbst ist, Sein Friede, die unerschütterliche Beständigkeit aller Seiner Gedanken, wird unsere Herzen bewahren. 
Ferner lenkt Gott, wenn wir um nichts besorgt sind und Sein Friede unsere Herzen bewahrt, die Seele dahin, gesegnete und liebliche Dinge zu erwägen. „Übrigens, Brüder, alles was wahr, alles was würdig, alles was gerecht, alles was rein, alles was lieblich ist, wenn es irgend eine Tugend und wenn es irgend ein Lob gibt, dieses erwäget. Was ihr auch gelernt und empfangen und gehört und an mir gesehen habt, dieses tut, und der Gott des Friedens wird mit euch sein.“ So wird Gott selbst der Geleitsmann der Seele, nicht nur „der Friede Gottes“, sondern „der Gott des Friedens“.
Wenn die Seele in Gott ruht und ganz auf Ihn geworfen ist, so ist der Herr mit ihr in der Trübsal, und „der Sinn“ wird in völliger Ruhe bewahrt in Ihm. Der Geist der Liebe, der Geist Christi, offenbart sich, während, wenn wir an uns denken, der Geist der Eigenliebe und Selbstsucht in Wirksamkeit tritt.

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Der Fels: vollkommen ist Sein Tun

Bibelstelle: 5. Mose 32, 4

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 160ff

Zwischen Theorie und Praxis besteht bekanntlich ein großer Unterschied. Wir singen manchmal bei unseren Zusammenkünften das schöne Lied:
Dank Dir, o Herr, dass Gold und Schätze
und Pracht und Schönheit dieser Welt,
dass kein Ding je mich kann ergötzen,
das mir die Welt vor Augen stellt.
Wir singen vielleicht auch aus ganzem Herzen mit, bedenken aber dabei nicht, dass wir, indem wir durch unser Mitsingen diesen Worten unsere Zustimmung geben, einen hohen Schuldschein unterschreiben. Die wichtige Frage ist nämlich nicht die, ob wir diese Worte mitsingen, sondern ob unser Herzenszustand und unser Wandel ihnen entsprechen. Solang die Aussicht für uns gering ist, von der Pracht und den Schätzen dieser Welt etwas mitzubekommen, ist es nicht schwer, in dieser Weise zu reden oder zu singen — das Reden und Singen ist überhaupt keine schwierige Sache —, wie aber, wenn wir heute oder morgen vor die praktische Frage gestellt werden, zwischen den Schätzen dieser Welt und der Schmach Christi zu wählen? Man braucht deswegen Christum noch nicht gerade aufzugeben, aber man soll Zugeständnisse machen, Vergleiche schließen und dergl. Und wir wissen: Das Gold der Welt hat auch für den Gläubigen viel Anziehendes, während die Schmach Christi dem Fleische ganz und gar zuwider ist.
Dem Dichter des anderen, uns gut bekannten Liedes:
Nichts, o Jesu, finde ich hienieden,
war es sicher ernst mit seinen Worten. Wir dürfen auch annehmen, dass sein praktisches Leben sie bestätigt hat. Wie aber steht es mit uns? Singen wir nur diese Worte, oder kommen sie auch praktisch bei uns zum Ausdruck? 
Wenn wir in dem herrlichen Liede Moses, des Mannes Gottes, die Worte lesen: „Der Fels: vollkommen ist Sein Tun; denn alle Seine Wege sind recht. Ein Gott der Treue und sonder Trug, gerecht und gerade ist Er!“ dann wissen wir, dass das keine bloßen Worte waren. Das war die felsenfeste Überzeugung, war die Erfahrung dieses Mannes Gottes, die. Erfahrung eines langen arbeits- und mühereichen Lebens, eines Lebens, das auch reich an Enttäuschungen gewesen war. 
Auf die in Glanz und Reichtum verlebte Zeit am Hofe des Pharao war die vierzigjährige Lehrzeit in der Wüste als Hirte der Herden Jethros gefolgt. Was alles in diesen Jahren in dem Herzen Moses vorgegangen ist, wissen wir nicht, aber mit Sicherheit dürfen wir annehmen, dass manchmal ein fragendes Warum? zu Jehova emporgestiegen ist. Es war nicht leicht für diesen Feuergeist, ein so langes und, soweit wir urteilen können, tatenloses Leben führen zu müssen. Als dann endlich die Wartezeit zu Ende ging, war Mose ein Greis geworden, und als solcher wurde er von Jehova auf einen Posten gerufen, den er nicht wollte. 
Auch die dann folgende tatenreiche Zeit in Ägypten war alles andere als angenehm. Es waren schwere Gänge, die Mose immer und immer wieder zu dem grausamen Unterdrücker seines Volkes machen musste, und immer war das Ergebnis ein verneinendes. 
Dann kam schließlich die Befreiung, der Zug durch das Rote Meer und daran anschließend die lange, versuchungsreiche und entsagungsvolle Wüstenwanderung. Mit einer solchen Reise hatte Mose sicher nicht gerechnet, denn die Entfernung zwischen Ägypten und Palästina war nicht so groß. Die Reise vom Berge Horeb bis zur Südgrenze Kanaans hätte in elf Tagereisen zurückgelegt werden können, aber aus diesen elf Tagen wurden Monate und Jahre, und was für Jahre! Und als dann schließlich das Ziel vor dem greifen Wanderer lag, da durfte er es wohl sehen und sich« an dem Anblick des Landes erfreuen, aber hinein durfte er nicht. Welch eine Enttäuschung! Und dennoch: „Der Fels: vollkommen ist Sein Tun; denn alle Seine Wege sind recht“. Das war das Ergebnis achtzigjähriger Erfahrungen. Mochten diese Erfahrungen auch vielfach trübe und bitter gewesen sein, der Glaube erkannte durch den Nebel der äußeren Schwierigkeiten hindurch den Gott, der einst das Wehklagen Seines Volkes gehört und Kenntnis von ihm genommen, der dann mit mächtigem Arm das Volk befreit und es allezeit auf Adlers Flügeln getragen hatte.
Dein Tun ist stets gesegnet,
Selbst wenn es hart uns scheint.
An dieser Wahrheit festzuhalten ist nicht immer leicht. Ich will hier nicht von dem allgemeinen Murren der Menschenkinder gegen ihr Schicksal reden, wie wir es in unseren Tagen so vielfach hören. Dieses Murren ist durchweg unbegründet, denn der Mensch erntet nur, was er gesät hat. Ich will auch nicht davon reden, dass selbst Kinder Gottes sich dadurch, dass sie in dieses Murren miteinstimmen und sich so auf einen Boden mit den Kindern der Welt stellen, oft verunreinigen. Nein, ich denke an Fälle, — es gibt solche — wo Kinder Gottes es in der Tat schwer haben. Es gibt Gläubige, wackere und aufrichtige Seelen (soweit wir urteilen können), die, um einen landläufigen Ausdruck zu gebrauchen, vom Unglück verfolgt zu sein scheinen, bei denen ein Schlag auf den anderen folgt, eine Krankheit die andere ablöst. Dass da allerlei Fragen im Herzen auftauchen, ist begreiflich. Kam nicht selbst Hiob, dieser »vollkommene, rechtschaffene, gottesfürchtige und das Böse meidende Mann, ans Fragen und Zweifeln, ja, schließlich zu offenen Anklagen gegen« Gott, weil er die Ursache der Wege Gottes nicht verstand? 
Auch heute führt der Herr die Seinigen manchmal Wege, die weder sie noch ihre Geschwister verstehen· Hiob durfte schließlich erfahren, weshalb er so Unsägliches hatte erdulden müssen. Gott redete in wunderbarer Herablassung persönlich mit ihm, um ihn Seine Macht, Größe und Herrlichkeit erkennen zu lassen, und dann finden wir Hiob auf seinem Angesicht, „sich verabscheuend und in Staub und Asche bereuend“. So dürfen auch wir heute manchmal, nach kürzerer oder längerer Zeit, deutlich sehen, weshalb der Herr uns so oder so geführt hat, und das Ende wird dann auch bei uns sein, dass wir im Staube liegend Sein Wundertat: preisen müssen. Aber es kommt doch auch vor, dass das Tun des Herrn uns dauernd rätselhaft und unfasslich bleibt. In solchen Fällen zu singen: „Dein Tun ist stets gesegnet“, ist nicht leicht. Es bedarf da eines starken Sichanklammerns an den Herrn und wahrer geistlicher Energie, eines steten Gewappnetseins mit der ganzen Waffenrüstung Gottes, um im Kampfe nicht zu unterliegen. Da muss in Wahrheit der Schild des Glaubens hochgehalten werden, mit dem allein wir ,,imstande sind, alle feurigen Pfeile des Bösen auszulöschen“ (Lies Eph. 6, 13 — 18.) In solchen Fällen können uns, glaube ich, zwei Dinge nützlich sein: zurückschauen und vorwärtsschauen. Zurückschauen auf die Liebe Gottes, die uns auserwählt hat zu einem Gegenstand göttliche: Gnade und Huld, vorwärtsschauen auf die vor uns liegende Herrlichkeit, mit der die Lösung eines jeden Rätsels in unseren Erdenwegen verbunden ist. 
Ja, du lieber, schwergeprüfter Bruder, du teure, leidende Schwester, die du vielleicht in jahrzehntelanger Krankheit gebunden bist! Wandere in Gedanken zurück in jene unerdenklich ferne Zeit, wo Gottes Ratschluss dich schon in Christo erblickt hat! Damals bist du schon auserwählt worden, damals warst du bereits in Gottes Augen ein Gegenstand der Gnade. Und was hat Er getan, um das zu verwirklichen, was Sein Gnadenratschluss damals beschloss! Den Sohn hat Er gegeben, Ihn hat Er leiden lassen, hat Ihn zerschlagen und in der Ausgießung Seines göttlichen Zornes wider die Sünde am Kreuz verlassen, um dich retten zu können. Fürwahr, „was sollen wir hierzu sagen? Er, der doch Seines eigenen Sohnes nicht geschont, sondern Ihn für uns alle hingegeben hat: wie wird Er uns mit Ihm nicht auch alles schenken?“ (Römer 8,31.32). Wie sollte Er dir, lieber Bruder, teure Schwester, mit Ihm nicht auch alles schenken? 
Und dann schaue vorwärts! Nicht in weiter Ferne, nein, heute noch darfst du deinen Herrn Jesus als den „gIänzenden Morgenstern“ erwarten. „Nur ein Weilchen still vertraue!“ „Jetzt ist unsere Errettung näher, als da wir geglaubt haben“ (Röm. 13, 11). Deine Wohnung im Vaterhause ist bereitet. Er selbst hat es getan, und Er wartet auf den Augenblick, da Er kommen kann, um dich persönlich heimzuholen ins Vaterhaus. Dann wirft du Ihn sehen in Seiner Herrlichkeit, wirst alles verstehen, was dir heute unverständlich ist, „und ein über die Maßen überschwängliches, ewiges Gewicht von Herrlichkeit“ wird dann auf immer dein Teil sein, eine Herrlichkeit, mit der die Leiden der Jetztzeit überhaupt nicht wert sind, verglichen zu werden (Röm. 8, 18).

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Daheim beim Herrn

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 165ff

Autor: J. N. D.

(Aus einem Briefe):
Was den Heimgang der beiden Schwestern betrifft, so kann ich nur an das Glück denken, das dies für sie bedeutet. Ich fühle täglich mehr, wie herrlich es sein wird, heimgehen zu dürfen. Nicht dass ich wünschte, von hier fortzugehen, bevor mein Lauf vollendet ist. Wenn ich Christum lieb habe (was freilich eine Zuneigung ganz anderer Art ist), so liebe ich ja notwendigerweise auch Seine Versammlung hienieden, und es ist meine Freude, das zu tun, was Gott mir für sie zu tun gegeben hat. Hiervon abgesehen aber ist der Tod ein Gewinn, der all unsre Begriffe übersteigt, und ich freue mich jeden Tag in dem Gedanken, auf dem immer kürzer werdenden Wege nach meinem Ziel zu sein,
nach meiner Heimat, denn das Ziel, das was auf der anderen Seite des Jordan liegt, wird mir eben immer mehr zur Heimat. Nicht als ob das Kommen unsere teuren Heilandes deshalb weniger der Gegenstand meiner Gedanken und Wünsche wäre, o nein, ich seufze vielmehr immer mehr danach, denn es ist, nächst der Liebe Gottes, das einzige, was unsere Herzen befriedigen kann. Welch ein Teil, Gott dann aus ewig für unser Herz zu haben, anstatt des verderbten, sündigen Menschen, anstatt einer Welt, die sich fern von Gott in Unruhe quält und unter der Macht und unter dem Druck des Feindes liegt. Hier für Gott zu arbeiten ist schön, aber die Ruhe Gottes ist schöner. Es würde nicht Gottes Ruhe sein, wenn es nicht so wäre, und sie ist es, nach der mein Herz sich sehnt. Abzuscheiden und bei Christo zu sein, ist „weit besser“.

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Fragen aus dem Leserkreis

Bibelstelle: 1. Korinther  5,8

Botschafter des Heils in Christo 1922, S. 166

Sollte das Brot, das beim Abendmahl verwendet wird, ohne Sauerteig gebacken werden?
Diese Frage ist schon wiederholt gestellt worden und beweist, wie mir scheint, die unausrottbare Neigung des Menschen, Geistliches in Fleischliches zu bringen, in rein äußerlichen Dingen Wichtiges zu suchen und darüber die wahre Bedeutung, das Wesen der Sache, aus dem Auge zu verlieren.
Die Schrift redet nie davon, wie das Brot beim Abendmahl beschaffen sein sollte. Sie sage nur: „ein Brot, ein Leib, sind wir, die Vielen“, und redet von dem „Brechen“ und dem „Essen“ dieses Brotes und der tiefen, sinnbildlichen Bedeutung dieser Handlungen. Über alle drei Punkte ist an anderer Stelle wiederholt ausführliche gesprochen worden. Wenn ferner der Apostel in 1. Korinther 5, 8 sagt: „Darum lasst uns Festfeier halten, nicht mit altem Sauerteig, auch nicht mit Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern mit Ungesäuertem der Lauterkeit und Wahrheit“, so sind auch diese Worte selbstverständlich nicht in buchstäblichem Sinn aufzufassen, sondern wollen uns ermahnen, dem Vorbild, d.i. das Fest der ungesäuerten Brote, entsprechend unser ganzes Leben in heiliger Absonderung von allem Bösen zu verbringen. Auf die Handlung des Brotbrechens an und für sich oder gar auf die Beschaffenheit des dabei benutzten Brotes haben sie gar keinen Bezug.
Weiterhin könnte man einwenden: Der Herr selbst sagt aber doch im Blick auf das Brot: „Dies ist mein Leib“, also sollte das Sinnbild dem Vorbild möglichst gleichgestaltet sein: Sein Leib war ohne Sünde, darum sollte auch das Brot ohne Sauerteig sein, ja, nur ganz feines weißes Mehl (Speisopfer) sollte zu seiner Herstellung verwendet werden. Demgegenüber möchten wieder andere fragen: Aber wurde der Leib des Herrn nicht am Kreuz zur Sünde gemacht, mit unserer Schuld beladen, und hat Ihm nicht gerade so das Feuer des Gerichts gegen die Sünde hart getroffen? Man würde so vor lauter Überlegungen über Äußerlichkeiten unendlichen Schaden leiden und die innere, geistliche Bedeutung der Sache gänzlich verlieren. Lasst und deshalb weniger über solche Fragen reden und lieber dem Wort in 1. Korinther 11, 2 8  gewissenhaftere Aufmerksamkeit schenken!
Dass der Herr bei der Einsetzung des Abendmahls ungesäuertes Brot benutzt hat, steht außer Frage (beim Passahmahl durfte ja kein anderes Brot gegessen werden), aber wir finden an keiner Stelle der Schrift eine Andeutung darüber, dass dieser Umstand für uns bedeutungsvoll wäre. Passt hier nicht auch wohl das Wort: „Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“ (2. Korinther 3, 5b)?

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Fragen aus dem Leserkreis

Bibelstelle: Johannes 14,12

Botschafter des Heils in Christo 1922, S. 167

Inwiefern konnten die an den Herrn Glaubenden größere Werke tun als Er, nachdem Er zum Vater gegangen war?
Nicht etwa, weil in ihnen eine größere Kraft gewesen wäre – sie hatten in sich gar keine –, sondern weil infolge der Rückkehr des Herrn zum Vater nach vollbrachtem Werk die göttliche Kraft sich freier und ungehinderter entfalten konnte als vorher.
Vor vollendeter Taufe (Lukas 12, 50) gab es Beengungen und Einschränkungen, nachher nicht mehr. Tatsächlich haben die Jünger dann auch zur Ehre des Herrn größere Werke getan als Er selbst. Denn nie hören wir davon, dass durch des Herrn Schatten Kranke geheilt worden wären, oder dass man Schürzen und Schweißtücher von Seinem Körper genommen und Kranken zur Heilung, ja, sogar böse Geister damit ausgetrieben hätte (vgl. Apostelgeschichte 5, 15; 19, 12), gar nicht zu reden von den gewaltigen Scharen, die weit und breit durch die Predigt der Apostel für Jesus gewonnen wurden.
Aber wenn auch die Werke größer waren auf Grund seines Hingehens zum Vater, wer hätte sich mit Ihm vergleichen können in selbst verleugnender Liebe, in Abhängigkeit und nie nachlassendem Gehorsam?

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Umsonst

Bibelstelle: Jesaja 55, 1 - 2

Botschafter des Heils 1922 S. 168ff

Die ganze Welt ist voller Klagen,
Voll Jammerns ob der teuren Zeit;
Und doch so viele eilends jagen
Nach dem, was diese Erde beut.
Was irgend je ein Herz ersehnte,
Was Schönes nur die Augen sehn,
Was Eitles der und die erwähnte —
Das alles möchte man erstehn.

Und doch wird stärker nur das Sehnen,
Denn schnell verblasst das bunte Bild;
Und größ’re Wünsche bringen Tränen,
Da nimmer ja das Herz gestillt.
Hast du auch für den eitlen Schimmer
Gutwillig jeden Preis bezahlt,
Umsonst dein Tun — es sättigt nimmer,
was dir die Welt vor Augen malt.

Es bleibt — nicht länger dir’s verhehle,
Nicht länger schließ die Augen zu! —
Es bleibt der Hunger deiner Seele,
der Durst nach Frieden, Glück und Ruh.
Du suchest Brot, und findest Träber,
Du trinkst, und stärker wird die Glut,
Du jagst nach Lust, und findest Gräber
für dich und all dein Hab und Gut.

O stehe still und lass dein Klagen
ob teurer Zeiten Drang und Not;
Hör’ auf, dem Nicht’gen nachzujagen,
umsonst schenkt Gott dir „Wein und Brot“ 
o komm zu jener frischen Quelle,
die immer unerschöpflich fließt,
wo Lebenswasser, rein und helle,
sich in dein durstend Herz ergießt.

Wo ew’ger Gaben reichste Fülle
dir ganz umsonst wird dargereicht,
wo alles Klagen wird zur Stille
und alles Jammern gänzlich weicht.
Ja, komm zur Quelle alles Lebens,
zu Ihm, dem Herrn der Herrlichkeit! 
Komm, Durst'ger, — du kommst nicht vergebens, —
Umsonst liegt alles dir bereit. C. seh
"·) Jesaja 55, 1. 2.

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Fremde Sachen!

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 169ff

„Es hat ja Christus einmal für Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, auf dass Er uns zu Gott führe“ (1. Petr· 3, 18.) Das Gewicht liegt in diesem Worte darauf, dass Christus, und zwar einmal, für Sünden gelitten hat. Durch das Leiden des Gerechten für Sünden sind wir zu Gott gebracht morden und stehen jetzt in Verbindung mit Gott. Christus, der Gesalbte Gottes, hat einmal in Beziehung gestanden zur Sünde, indem Er als der Gerechte für die Sünden der Ungerechten litt. Niemals wieder wird Er diesen Platz einnehmen, denn Er wird, „nachdem Er einmal geopfert worden ist, um vieler Sünden zu tragen, zum zweiten Male denen, die Ihn erwarten, ohne Sünde erscheinen zur Seligkeit“. (Hebr. 9, 28).
In gleicher Weise nun, wie Er durch Sein einmaliges Leiden für Sünden für immer mit der Sünde abgeschlossen hat (abgesehen davon, dass Er als der von Gott verordnete Richter die Erde, die Menschen und ihre Werke richten wird), also sollten jetzt auch alle, die durch Ihn zu Gott geführt sind, nichts mehr mit der Sünde zu tun haben. „Da nun Christus für uns im Fleische gelitten hat, so waffnet auch ihr euch mit demselben Sinne“ (1. Petr. 4, 1). Er hat einmal für die Sünden gelitten, die unser Gewissen belasteten, und hat uns zu Gott geführt, damit wir fortan nicht mehr den Willen des Fleisches, sondern den Willen Gottes tun (Vers 2). 
Wir sind noch in der Welt, wandeln auf dieser Erde, gehören aber nicht zu der Welt, sind vielmehr Fremdlinge hier und wünschen, die Heimat zu sehen und dort Wohnung zu nehmen. Heimatberechtigt in dieser Welt ist der Mensch, der hier wohnt, der von der Welt ist. Die Stunde der Heimsuchung kommt einmal über alle, die auf der Erde wohnen (Vergl. Offbg. 3, 10; 6,10; 8,13; 13,8; 17,8). Aber wir bekennen: „Unser Bürgertum ist in den Himmeln“. Und wenn auch noch in der Welt, so sind wir doch nur als Fremde hier, die Heimatberechtigung nicht haben und auch nicht begehren. Wir begehren, bald die. Fremde zu verlassen, um in die Heimat, in das Vaterhaus zu ziehen. 
Naturgemäß ist alles, was mit der Heimat in Verbindung steht, uns wohltuend, angenehm und bekannt. Heimatlaute klingen so lieblich, sie berühren das Herz innig und traut, und das umso mehr, je mehr wir in der Fremde, fern der Heimat, uns des Wertes und der Schönheit der Heimat bewusst werden. Schon hinsichtlich unserer irdischen Heimat machen wir diese Erfahrungen. Wie klingen Heimatlaute so schön und süß, wenn wir uns unter Menschen mit fremder Zunge, mit fremden Sitten und Gebräuchen bewegen! Ebenso naturgemäß ist uns alles fremd, was der Fremde angehört und ihr ihr Gepräge gibt: Die Sprache verstehen wir nicht, die Sitten und Gebräuche berühren uns fremd und kalt, zum Teil unangenehm. Die Fremde bietet nur Unbehagen im Gegensatz zu dem trauten „Daheim“. Auch wenn wir versuchen wollten, die Sprache der Fremde und ihre Sitten nachzuahmen, würden wir dadurch weder das der Fremde eigentümliche Unbehagen verscheuchen, noch das Wohltuende des Daheimseins uns verschaffen. Bei soIchen Versuchen würde es uns nur umso mehr zum Bewusstsein kommen, dass wir Fremde sind, und dass Sprache und Sitten der Fremde niemals unser Eigentum werden können. Und die Bewohner der Fremde haben nur ein mitleidiges oder gar verächtliches Lächeln für den Fremden, der versucht, ihre Art und Sitte nachzuahmen. Man ist und bleibt fremd, selbst wenn man sich das eine und andere aus der Fremde aneignen sollte.
Den Fremdlingen wird in 1. Petr. 4, 15 gesagt: „Dass doch niemand von euch leide als Mörder oder Dieb oder Übeltäter, oder als einer, der sich in fremde Sachen mischt“. Wenn denen, die durch das Leiden des Gerechten für Sünden zu Gott geführt sind, ein solches Wort gesagt werden muss, so ist das ein demütigendes Zeugnis für unseren Zustand von Natur. Es zeigt, wohin auch ein Gläubiger geraten kann. Mörder, Diebe, ·Übeltäter haben Strafe für ihr Tun zu gewärtigen und empfangen, was ihre Taten wert sind. Man kann aber auch leiden dafür, dass man sich in fremde Sachen mischt. Wenn der Einheimische sich mit den Dingen seines Landes beschäftigt, so ist er vertraut damit und fasst sie am rechten Ende an. Der Fremde aber kennt die Dinge nicht, und wenn er sich mit ihnen einlässt, so wird offenbar, dass sie ihm fremd sind: er kann nicht damit umgehen und verstößt bei der Handhabung· derselben, ohne es zu wissen und zu wollen, gegen Gesetz und Sitte, wird dadurch zum Übertreter und verfällt dem Urteil der Fremde., Er muss leiden, weil er sich mit Dingen einließ, die ihm fremd waren.
In unserem Lande mag es heute Landesgesetze nicht geben, die gegen die gläubigen Fremdlinge gerichtet sind. Das ändert aber nichts daran, dass die Fremde Gesetz und Sitte hat, die ihr Charakter und Gepräge verleihen. Und die Fremdlinge tun gut, sich von den Sachen der Fremde fernzuhaIten. Dann können sie nicht gegen Gesetz und Sitte der Fremde verstoßen und brauchen nicht zu leiden wie einer, der sich in fremde Sachen mischt. 
Nun liegt vielleicht manchem die Frage nahe: „Was sind fremde Sachen?« Das trotz seiner Unfähigkeit  stets zur Gesetzlichkeit neigende Menschenherz hat gar zu gern bestimmte Vorschriften und Verordnungen: „Dieses darfst du tun“ oder: ,,Jenes musst du lassen“. Dieser Neigung kann aber Gott nicht entsprechen. So wie Er den Gläubigen durch Sein Wort in Röm. 12,2 sagt: „Prüfet, was der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist«, so wird auch hier den geübten Sinnen der Fremdlinge die Unterscheidung dessen überlassen, was fremde Sachen sind.
Gottes Wort, dessen Erforschen uns geübte Sinne und rechtes Unterscheidungsvermögen gibt, zeigt an Beispielen uns auch hier den Weg. Zum Herrn Jesus kam einst ein Mensch und sagte: „Lehrer, sage meinem Bruder, dass er das Erbe mit mir teile“. Der Herr aber sprach zu ihm: „Mensch, wer hat mich zu einem Richter oder Erbteiler über euch gesetzt?“ Der Herr kannte Seinen Weg und Seine Aufgabe. Es war nicht Seine Sache, einem habgierigen Menschen zu seinem vermeintlichen Recht zu verhelfen, und so wies Er alles ab, was nicht zu Seinem Weg und Seinen Aufgaben gehörte. Und wenn der Versucher es unternahm, unter Benutzung des „Es steht geschrieben“ sich an die Person des Herrn zu wagen, so erkannte der Herr trotz des widerrechtlich gebrauchten Schriftworts sofort das Fremde, mit dem Er nichts zu tun hatte, und antwortete: „Wiederum steht geschrieben“. Dieses Wort des Herrn lehrt uns, wie wir am besten dem im frommen Gewande an uns herantretenden Fremden begegnen. Er hatte nicht lange Auseinandersetzungen mit dem Versucher, wenn dieser sagte: „Es steht geschrieben“; sondern mit der göttlichen Waffe des Wortes tat Er ihn ab, indem Er für sich die Autorität des göttlichen Wortes anerkannte. Mochte der Versucher dieses Wort verdrehen und in ungöttlicher Weise anwenden, für Ihn war es maßgebend hinsichtlich Seines Tuns. Alles andere wies Er ab. So zeigte Er, bei Unterwürfigkeit und Gehorsam gegenüber dem Vater, Erhabenheit und Größe dem Versucher gegenüber.
Das Ausziehen Abrahams mit seinen dreihundert-achtzehn Knechten gegen das Heer der Könige (lies 1.Mose 14, 13 —17) könnte uns bei oberflächlichem Lesen vielleicht als ein Einmischen des Fremdlings Abraham in fremde Sachen erscheinen. Aber der Grund seines Ausziehens zeigt gerade, dass er den Platz des Fremdlings kannte und einnahm. Sein Bruder (Vers 14 .—- in Wirklichkeit war es der Neffe —-) litt, weil er sich in fremde Sachen gemischt hatte, und Abraham eilte, um ihn zu retten; Dass Lot auch auf andere Weise litt fremder Dinge wegen, wird uns in 2. Petr. 2, 8 gesagt: „Der unter ihnen (den Ruchlosen) wohnende Gerechte quälte durch das, was er sah und hörte, Tag für Tag seine gerechte Seele mit ihren gesetzlosen Werken“. Diese Qual kannte Abraham nicht. Er genoss vielmehr, fern von   Sodoms Lärm, die Freude der Gemeinschaft mit seinem Gott und erhielt einen Beweis nach dem andern von der Güte und Zuneigung des Herzens Gottes. Und wie Abraham bemüht war, seinem Hause alles Fremde fernzuhalten, das zeigt er, wenn der Königs von Sodom ihn mit Geschenke« ehren will. Durch fein und seiner vielen Knechte Fernsein von Hause war ihm sicher mancher Schaden entstanden, und kein Mensch hätte es ihm verargen können, wenn er sich den Ausfall von dem König von Sodom hätte ersetzen lassen. Aber der „Fürst Gottes“ (1. Mose 23, 6) lehnt das Geschenk Sodoms ab: „Auf dass du nicht sagest: Ich habe Abram reich gemacht. Nichts für mich!“ Geschenke Sodoms sind für den „Gesegneten Jehovas“ fremde Sachen, die im Hause des Fürsten Gottes keinen Platz haben.
David stand einmal im Begriff, sich zu rächen und sich selbst Recht zu verschaffen, als er auf dem Wege war, um den Lästerer und Frevler Nabal zu strafen. Gott kam ihm zu Hilfe durch Abigail, das Weib Nabals, welches Worte der Einsicht fand für David und ihn veranlasste, nicht nur den Rachezug aufzugeben, sondern auch zu bekennen: „Gepriesen sei Jehova . . ., der dich an diesem Tage mir entgegengesandt hat! Und gesegnet sei dein Verstand, und gesegnet seiest du, dass du mich heute davon zurückgehalten hast, in Blutschuld zu kommen und mir mit meiner Hand Hilfe zu schaffen!“ (1.Sam. 25,32.33). Welch ein Schade wäre es für David gewesen, wenn er seinen Plan verwirklicht und dadurch Blutschuld auf sich geladen hätte! ·Es war Jehovas, aber nicht Davids Sache, den Lästerer des „Gesalbten Jehovas“ zu strafen.. Somit hätte das selbständige Eingreifen Davids einen
Eingriff in die Machtbefugnis Gottes, ein Einmischen in Gottes Sache, dargestellt. 
Die den Fremdlingen gegebene Ermahnung bezieht sich indessen nach dem Wortlaut der Schriftstelle (1. Petr. 4,15) wohl auch auf Leiden, die sie zu erdulden hatten, wenn sie sich als Landfremde in Dinge einließen, durch welche sie sich zum Landesgesetz in Widerspruch setzten. Um solchen Leiden zu entgehen, gab es nur einen sicheren Weg: sich enthalten von jeder Einmischung in Sachen, die der Fremde gehörten. 
Wie schon gesagt, gibt es in unserem Lande Dank der Gnade Gottes keine gegen. Gläubige gerichteten Landesgesetze. Und wir sind auch nicht Landfremde, wie die Zerstreuten, an welche der Brief gerichtet ist. Wir leben in einem Lande, das uns eine irdische Heimat bietet, und wir genießen, wie jeder Bürger des Landes, in verhältnismäßig großem Maße Sicherheit, Frieden, Ruhe, und vielleicht persönlich sogar Anerkennung und Ansehen, sodass es fast scheinen könnte, als gebe es bei uns keine Fremdlinge in diesem Sinne. Vielleicht ist auch tatsächlich bei manchem von uns der Fremdlingscharakter zum Teil oder gar ganz. verloren gegangen. Die Anpassungsfähigkeit manches Fremdling ist so groß, dass sein wirklicher Charakter als Fremdling kaum noch erkennbar ist. Von Lot lesen wir: „Er saß im Tore Sodoms“. Wie kam der gerechte Fremdling an diesen Platz. Als Gerechter gehörte er nicht nach Sodom, und als Fremdling nicht an den Platz der Stadtväter. Mangel an Futter für sein Vieh und die fruchtbaren, wasserreichen Ebenen Sodoms waren bestimmend gewesen für seinen Weg. Für den Fremdling, dessen Weg durch Gottesfurcht bestimmt wurde, konnte ein noch so futterreiches Land, wenn es in der Richtung Sodoms lag, nicht in Frage  kommen. Lot verleugnete seinen Charakter als Fremdling und kam dadurch in Gefangenschaft. Daraus befreit, ging er trotzdem den einmal beschrittenen Weg weiter, bis die Gnade Gottes auf ernste Weise gewaltsam ein Ende machte und Lot rettete, „weil Jehova sich seiner erbarmte“ (Lies 1. Mose 19, 16 und 2. Petr. 2, 7). 
Die Kälte jener ewig denkwürdigen Nacht bewog Petrus, sich unter den Feinden seines gefangenen Herrn am wärmenden Feuer niederzulassen. Das an sich berechtigte Bedürfnis nach Wärme hatte seine natürliche Ursache in der Kälte der Nacht; aber wenn dem Bedürfnis nur entsprochen werden konnte durch ein von den Feinden seines Herrn angezündetes Feuer, dann war es Zeit, der Worte des Psalmisten zu gedenken: „Ich will lieber an der Schwelle stehen im Hause meines Gottes, als wohnen
in den Zelten der GesetzIosen“ (Ps. 84, 10). Der Mensch Gottes, in welchem das Bild des vollkommenen Menschen Gottes, unseres Herrn Jesus Christus, gesehen werden soll, ist hier ein Fremdling. Die Welt. ist ihm gekreuzigt und er der Welt, und Christus lebt in ihm. Er« flieht die Dinge der Welt, weil sie zu dem Bilde des Christus, das in ihm gesehen wird, nicht passen. Und die Kinder der Welt sehen den Fremdling in ihm, auch wenn sie ihn schon ein Menschenalter kennen. Er ist und bleibt fremd. Sprache und Sitten sind bei ihm, wenn er anders den ihm gebührenden Platz einnimmt, in Übereinstimmung mit dem Bilde des Christus, und der Herr selbst bildet den Trennungsstrich zwischen der Welt und dem Fremdling, der sie durchschreitet. 
Es kann sein, dass der auf des Herrn Seite stehende Fremdling in die Lage kommt, bei bestehendem Futtermangel auf wasserreiche Ebenen Verzicht leisten zu müssen. Aber er entgeht dann dafür der Gefahr, mit den Bewohnern Sodoms in „Gefangenschaft“ zu geraten oder gar mit ihnen umzukommen, ganz abgesehen von der Qual, mit der er seine gerechte Seele quält unter den Gesetzlosen, anstatt sich der Lieblichkeit der Wohnung Jehovas zu erfreuen. 
Es kann auch sein, dass wir einmal recht empfindlich die Kälte der Nacht verspüren müssen wie Petrus. Aber möge der Herr uns Gnade schenken, dass wir dann nicht Schutz und Wärme suchen an einer Stätte, an der wir nur ein klägliches Jammerbild darstellen könnten, wenn der Person unseres Herrn und Seinem gesegneten Namen Unbill widerfährt von Seiten der „Diener“ und „Mägde“ Seiner Feinde. 
Der Herr hat den Gläubiger: unserer Zeit den Weg durch die Welt in vieler Hinsicht leichtgemacht, weil Er weiß, dass wir nur eine kleine Kraft haben. Verfolgungen, Mühsale und Bedrängnisse, wie sie viele Seiner Nachfolger in früheren Tagen erlitten haben, kennen wir bisher in unserem Lande nicht· Wenn auch in den Herzen der Menschen Feindschaft und Verachtung sein mögen gegen die, die sich zu Jesu bekennen und Seinen Namen anrufen, so ist doch Seine Hand über uns, damit uns kein Haar gekrümmt werde. 
Die Feindschaft der Welt gegen Jesum, den Sohn Gottes, besteht unverändert fort, und sie wird gefühlt von allen, »welche gottselig leben wollen in Christo .Jesu“. Diese Feindschaft wird die Welt stets eine Fremde bleiben lassen für alle, die den Herrn Jesus wirklich lieb haben. Bald wird Der, non dem sich die arme, blinde Welt mit Verachtung und Feindschaft abwendet, Seine Herrschaft antreten. Zuvor wird Er kommen, um alle, die Sein Wort bewahrt und Seinen Namen nicht verleugnet haben, aus der Fremde in die Heimat, in die Ruhe des Vaterhauses zu bringen. Dann wird Sein Wort erfüllt werden: „Sie (die Fremden) werden erkennen, dass ich dich geliebt habe“. Und für sie, die Verächter und Feinde, wird es heißen: ,,Sehet, ihr Verächter, und verwundert euch und verschwindet«. Solang wir in der Welt sind, bleiben wir fremd und ungekannt von allen, die hier ihre Heimat haben. Wenn aber einmal der Herr uns mit sich dar- stellen wird, dann wird allen Feinden und allen, denen wir so lang Fremde waren, offenbar werden, dass wir gekannt und geliebt sind von Dem, aus dessen Munde ihnen das furchtbare Wort: „Ich kenne euch nicht!“ entgegenschallen wird. Darum lasst uns die Zeit, die wir noch unter den Augen der Verächter und Feinde des Herrn Jesus zubringen, als solche verleben, die bald von Ihm Anerkennung finden werden als die, die Er geliebt hat! 
Wir werden bald das unverwesliche, unbefleckte und unvergängliche Erbteil antreten, das in den Himmeln für uns aufbewahrt wird. Dieses Erbe unterliegt keinen Schwankungen hinsichtlich seines Wertes, wie es mit dem Irdischen der Fall ist; keine Erschütterungen und Umwälzungen auf dieser Erde können es beeinflussen, weil Gott es für uns aufbewahrt. Freuen wir uns in der Hoffnung auf dieses Erbteil, so bedürfen wir fremder Sachen nicht.

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Wüstengnade

Bibelstelle: 2. Mose 17

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 179ff

Wer mit dem vorliegenden Schriftteil ein wenig bekannt ist, der weiß, dass die Geschichte Israels vom Roten Meere bis zum Sinai (d. h. also von der Zeit ihrer Befreiung aus Ägypten bis dahin, wo sie sich unter das Gesetz stellten) in höchst bemerkenswerter Weise von Gottes Gnade zeugt.
Am Sinai machte Israel sich die Verheißungen Gottes unter der Bedingung des eigenen Gehorsams zu eigen, und das Ergebnis war ihr vollständiges Versagen. Aber bis zu jenem verhängnisvollen Augenblick hatte Gott das Volk in Gnade getragen. Obwohl sie ständig murrten und Beweise ihres Unglaubens und Ungehorsams gaben, züchtigte Gott sie nicht dafür, wie Er das später tat, als sie sich auf den Standpunkt des Gehorsams Ihm gegenüber gestellt hatten.
Am Sinai kam Israel an einen Wendepunkt seiner Geschichte, der von größter Tragweite war.
Das Gesetz „kam daneben ein“ (obwohl es natürlich in sich selbst vollkommen war); es stellte sich gleichsam zwischen die Verheißungen und deren Erfüllung, um zu zeigen, was der Zustand des Menschen sein würde, wenn er auf seinem eigenen Boden vor Gott stand. Das Gesetz war, wie der Apostel in Gal. 3 ausführt, nicht vor den Verheißungen gegeben, „um die Verheißung aufzuheben“. Die Verheißung wurde-zuerst gegeben. Und „Er, dem die Verheißung gemacht war2, kam nach dem Gesetz. Inzwischen wurde das Gesetz „hinzugefügt“, um ans Licht zu stellen, wag der Mensch war, und wie er sich benehmen würde, wenn er auf den Boden des Gehorsams dem erkannten Willen Gottes gegenüber gestellt wurde. «) 
Dies musste geschehen, weil das menschliche Herz die Neigung hat, sich unter Gesetz zu stellen, trotz immer wieder vorkommenden Straucheln und Fallens. Die göttlichen Gnadenverheißungen waren ganz einfach und klar, aber wegen dieser natürIichen Neigung des Menschenherzens musste das Gesetz kommen. Ist mein Gewissen erst einmal wach geworden, so erkenne ich, dass es meine Pflicht ist, Gott zu gefallen und zu gehorchen. Die Wirkung davon ist naturgemäß die, dass ich annehme, Gott werde mich unter der Bedingung meines Gehorchens wohlgefällig annehmen. Diese Annahme ist, wie gesagt, ganz natürlich, solang ein Mensch nicht dahingekommen ist, seinen wirklich verlorenen Zustand zu erkennen. Sobald man sich als verlorenen Sünder erkannt hat, ist es vorbei mit dem Reden, Gott gefallen und gehorchen zu wollen. 
Da hat denn Gott, der in solch wunderbarer Sorge darauf bedacht ist, dass wir gesegnet werden, das Gesetz gesandt, damit diese Neigung des Menschenherzens sowie seine gänzliche Unwürdigkeit dem Menschen so recht zum Bewusstsein kommen. (Siehe Röm. 3, 19.) Aber bevor Gott das Gesetz gab, tat Er Seine überströmende Gnade kund, diese reine Gnade, die Seinen eigenen Gedanken und Absichten entsprang, und Er tat das, ohne sich irgendwie durch die Gefühle des Menschen über Ihn beeinflussen zu lassen, oder den Gehorsam des Menschen zur Bedingung zu machen. 
So konnten denn die Israeliten, deren Herzen aufgetan waren, um» den Verheißungen zu glauben, in Frieden auf diesen ruhen, während sie zugleich durch das Gesetz ihren eigenen sündigen Zustand immer besser kennen lernten. Der Ausgangspunkt für alle Handlungen Gottes mit uns ist eben reine Gnade, so wie der Sünder sie nötig hat, dessen Zustand Gott kennt und zu behandeln weiß. 
Vor dem Falle wurde dem Adam keine Verheißung gegeben. Er bedurfte ihrer nicht. Er war glücklich in seiner Unschuld und in seinem damaligen Zustand. Nachdem er gesündigt hatte, wurde ihm dann die Verheißung zuteil, aber es war keine Verheißung, die ihn angewiesen hätte, auf irgend Etwas in sich selbst zu ruhen. Als Jehova in den Garten kam, rief Er: „Adam, wo bist du?“ um den Menschen fühlen zu lassen, in was· für einen Zustand die Sünde ihn gebracht hatte. Die Antwort des Menschen lautete: „Ich hörte deine Stimme im Garten, und ich fürchtete mich, denn ich bin nackt, und ich versteckte mich“. Die Verheißung, die Gott dann gab, wurde nicht dem Adam gegeben. (Gott hätte das, sündig wie der Mensch geworden war, nicht tun können, ohne leicht- hin über die Sünde wegzugehen. Andererseits konnte Er Adam nicht ohne Verheißung lassen, wenn Er ihn nicht in unheilbare Verzweiflung stürzen wollte.) So redet Gott denn von dem „Samen des Weibes“, dem zweiten Adam. Die Verheißung richtete sich also nicht an Adam persönlich. Sie wurde dem „Samen des Weibes“ gemacht, während zugleich der Fluch über die Schlange ausgesprochen wurde: „Ich werde Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zermalmen, und du, du wirst ihm die Ferse zermalmen.“ Das war eine Verheißung für Adam, eine Verheißung, auf der seine Seele ruhen, und die der Glaube sich zu eigen machen konnte. Aber es war keine Verheißung, die dem Adam in seiner Sünde gegeben worden wäre, sondern nur eine Segensverheißung in Christo und für Ihn. Adam scheint auch durch die Gnade diesen Ausspruch Gottes verstanden und sich zu eigen gemacht zu haben, denn er nennt später sein Weib Eva, die „Mutter aller Lebendigen“. 
Wir können die Weiterentwicklung dieses göttlichen Verheißungswortes verfolgen bis zur Geschichte Abrahams, wo die Offenbarung bestimmter lautet: „In deinem Samen werden gesegnet werden alle Nationen der Erde“. Wer ist denn dieser Same? Isaak? Nein, er ist nur das Vorbild von Christo. Wir lesen in Gal. 3: „Dem Abraham aber waren die Verheißungen zugesagt und seinem Samen. Er sagt nicht: „und den Samen“, als von vielen, sondern als von einem: „und deinem Samen“, welcher Christus ist.“ So war also Christus der Same, dem die Verheißung zugesagt war. „So viele aber der Verheißungen Gottes sind, in Ihm ist das Ja und in Ihm das Amen“, und wir dürfen durch die Gnade jetzt hinzufügen: „Gott zur Herrlichkeit durch uns“. 
Die Verheißungen waren aber nicht nur dem Abraham und seinem Samen zugesagt (1. Mose 12), sondern wurden dem Samen auch durch Auferstehung bestätigt (1. Mose 22.). Dies tritt zutage in der Aufforderung an Abraham, den Isaak zu opfern, und darin, dass er ihn, wie der Apostel in Hebräer 11 sagt, „im Gleichnis“ aus den Toten wiederempfing. Christus wird der Träger der Verheißungen nicht als der Fleischgewordene auf Erden, sondern als auferstanden aus den Toten. Ohne Seinen Tod und
Seine Auferstehung könnten wir keinen Anteil an diesen Verheißungen haben, denn Gott kann Sein Volk nicht in der Sünde segnen. „Welche Übereinstimmung hat Christus mit BeliaI?“ Unmöglich könnte eine Gemeinschaft zwischen Gott und dem Sünder, in seinen Sünden bestehen. Wenn der Herr Jesus nicht gestorben und so die Quelle eines neuen Lebens für den Sünder geworden wäre, könnten wir kein Teil mit Ihm in diesen Verheißungen haben. Nach der Auferstehung Isaaks (im Gleichnis) wurde dem Abraham dann eine Bestätigung der dem Samen zugesagten Verheißungen gegeben. „Ich schwöre bei mir selbst, spricht Jehova,· dass, weil du dieses getan und deinen Sohn, deinen einzigen, mir nicht vorenthalten hast, ich dich reichlich segnen und deinen Samen sehr mehren werde, wie die Sterne des Himmels . . .; und in deinem Samen werden sich segnen alle Nationen der Erde.“ Auf diesen Vorgang nimmt der Geist im Galaterbrief Bezug. 
Was nun diesen Segen angeht, so müssen wir bezüglich seiner von uns ab und nur auf Christum schauen. Er ist Sein Teil, er gehört Ihm; uns nur insofern, als wir unser Teil in und mit Christo haben. Er gründet sich einzig und allein auf die Verheißung Gottes, nicht auf das was wir sind, und unsere Kraft und unser Trost beruhen auf der Erkenntnis, dass der Segen uns von Gott zufließt als der Ausdruck Seiner Gedanken im Blick auf uns. Es ist damit geradeso wie mit Wasser, das in den Bereich· eines durstigen Menschen kommt. Das Wasser hat nur insoweit mit dem Dürstenden zu tun, als es dazu dient, seinen Durst zu löschen. Es kommt nicht von, sondern zu ihm. .’
Nachdem Gott jene große Grundlage der Wahrheit, dass alles nur Gnade in Christo ist, gelegt und im Gleichnis der Auferstehung bestätigt hatte, begann Er Seine Wege mehr im einzelnen zu offenbaren; zunächst inmitten Seines Volkes Israel, dem Samen Abrahams nach dem Fleisch, indem Er anfing, in fürsorglicher Liebe sich um die« Bedürfnisse und Sorgen Seines Volkes zu kümmern. Er sagt zu Mose (2. Mose 3): „Gesehen habe ich das Elend meines Volkes, das in Ägypten ist, und sein Geschrei wegen seiner Treiber habe ich gehört; denn ich kenne seine Schmerzen. Und ich bin herabgekommen, um es aus der Hand der Ägypter zu erretten und es aus diesem Lande hinaufzuführen in ein gutes und geräumiges Land, in ein Land, das von Milch und Honig fließt, an den Ort der Kanaaniter und der Hethiter und der Amoriter und der Perisiter und der Hethiter und der Jebusiter Und nun siehe, das Geschrei der Kinder Israel ist vor mich gekommen; und ich habe auch den Druck gesehen, womit die Ägypter sie drücken usw.“ So nahm Gott Kenntnis von jeglichem Umstand ihrer Mühen und Leiden. 
Aber obgleich diese Liebe und Güte Gottes die Herzen der Kinder Israel so rührten, dass sie „glaubten und sich neigten und anbeteten“, konnte Gott gleichwohl nicht über ihre Sünde hinweggehen. Er konnte nicht umhin, auch von dem Bösen in ihnen Kenntnis zu nehmen. Wenn Er sie in Gemeinschaft mit sich bringen wollte, musste Er nicht nur ihre Stellung dem Pharao, sondern auch Ihm gegenüber in Rechnung ziehen: sie waren — Sünder. Gott und die Sünde stehen allezeit in unmittelbarem Gegensatz zueinander. Wir alle fühlen, dass es nicht anders sein kann. Sobald ein Herz ins Licht Gottes kommt und von der Sünde überführt wird, ruft es wie einst Petrus: „Gehe von mir hinaus, denn ich bin ein sündiger Mensch, Herr“. (Vergl. Luk. 5.) Wir erkennen sofort, dass Gottes Heiligkeit die Sünde nicht dulden kann noch darf. Immerhin ist es ein Zeichen großer Unwissenheit, wenn wir also sprechen, mag unser Gefühl über die Sache selbst auch durchaus richtig sein. Es ist als wenn wir gar kein Verständnis darüber hätten, dass« Gott unendlich mehr von dem weiß, was in unseren Herzen ist, als wir selbst. Hätte Petrus nur einen Augenblick überlegt, so hätte er sich sagen müssen: Der Herr wusste, dass ich ein sündiger Mensch bin, bevor Er in mein Schiff kam, und doch ist Er gekommen. Warum sollte ich also vor Ihm erschrecken? 
Gott flößt uns Vertrauen zu Ihm ein, indem Er Sein Tun mit uns damit beginnt, uns Erkenntnis über unsere Sündhaftigkeit zu geben. Jesus entgegnete Petrus: „Fürchte dich nicht; von nun an wirst du Menschen fangen“. Dadurch erweckte Er sogleich Vertrauen in Petrus. Er zeigte ihm, dass, obwohl Er ihn sehr wohl als Sünder kannte, es doch Seine Absicht war, ihn das Mittel zur Errettung von Sündern werden zu lassen. Es war als ob Er ihm gesagt hätte: „Du brauchst vor mir keine Furcht zu haben. Denn wenn ich dir nicht in Gnade begegnen und deine Sünde wegnehmen könnte, so könnte ich dich selbstverständlich nicht gebrauchen, um andere zu retten.“ 
Als Gott Israel in unmittelbare Verbindung mit sich brachte, ließ Er sie das Blut des Lammes an ihre Türpfosten streichen (2. Mose 12.) Mit anderen Worten: in derselben Stunde, da Er das Gericht über Ägypten kommen ließ, brachte Er Sein Volk vor demselben in Sicherheit. Geradeso handelt Er mit uns. Das Gericht, das der Sünde wegen über Christum hingegangen ist, bildet die Sicherheit eines jeden Gläubigen vor dem Gericht. Und indem die Seele den Herrn Jesus annimmt als Den, der sich für die Sünde dargeboten hat, zeigt sie Vertrauen zu Gott, und zwar gerade auf Grund des Bewusstseins, dass Er ihre Sündhaftigkeit durch und durch kennt. Gott könnte unmöglich das Blut des Herrn Jesus übersehen und dem Sünder die Sünden zurechnen, die Er abgewaschen hat. Wie könnte Er einem Gläubigen Sünde zurechnen, ohne damit über den Wert des vergossenen Blutes Seines Geliebten das Urteil zu sprechen und dessen Wirksamkeit zu verneinen? Der Glaube weiß, dass der Tod Gottes Urteil wider die· Sünde ist, und dass dieses Urteil an Christo an des Sünders Statt vollzogen worden ist. Der Glaube ,,besiegelt, dass Gott wahrhaftig ist« (Joh. 3, 33), und nimmt ohne weiteres die Gedanken Dessen an, der betreffs der Blutvergiessung Jesu gesagt hat: „Sehe ich das Blut, so werde ich vorübergehen“. 
Aber das ist nicht alles. Nicht nur sagt Gott: „Gesehen habe ich das Elend meines Volkes, ich kenne ihre Schmerzen usw.«. Auch Seine Macht muss zu ihrer Befreiung in Tätigkeit treten. Wir sehen diese Macht sich entfalten bei dem Zug der Israeliten durch das Rote Meer (.Kap. 15); für uns sehen wir sie in dem Herrn Jesus, der »durch den Tod den zunichte machte, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel«. (Hebr. 2, 14.) Am Kreuz entfaltete Satan all seine Macht wider den Fürsten des Lebens, und er tat es mit Erfolg, indem er Juden und Heiden wider Ihn aufreizte (es war ,,ihre Stunde und die Gewalt der Finsternis«, Luk. 22, 53). Aber in der Auferstehung des Herrn Jesus wurde die ganze gewaltige Macht Satans für immer gebrochen. So war es auch mit Israel: Gott hatte selbst die Sache Seines Volkes in die Hand genommen. Nicht nur hatte Er ihnen durch das Blut an ihren Türpfosten Frieden gegeben, Er trat auch in den Kampf ein mit ihren Feinden, und die Macht Satans, der sie in die Sklaverei zurückführen wollte, brach völlig zusammen. So mögen auch wir die Sündhaftigkeit und das Böse unseres Zustandes vor Gott sowie die Kraft des Blutes Jesu in der Befriedigung der Heiligkeit Gottes erkannt haben, aber die Befreiung lernen wir erst dann kennen, wenn wir sehen, wie Gott für uns ist in der Auferweckung des Herrn Jesus. 
Was war nun das Ergebnis der Befreiung Israels? Und was ist heute das Ergebnis unserer Befreiung aus der .Knechtschaft’ des Pharao (wenn wir ihn als Vorbild Satans betrachten)? Sie führt uns in die Wüste, nicht etwa sogleich nach Kanaan. Das Pilgern durch die Wüste bringt aber allerlei Prüfungen mit sich. Es mag seltsam erscheinen, dass die Scharen, welche eben erst das Lied des Triumphs und der Befreiung (Kap. 15) gesungen hatten, drei Tage lang ohne Wasser in der Wüste umherirren mussten. Und als sie dann schließlich Wasser fanden, da war es so bitter, dass sie es nicht trinken konnten. Aber Gott lässt dergleichen Prüfungen zu, damit wir unsere Armut kennen lernen und Seine Treue erproben. Vom Roten Meer bis zum Sinai erfuhr Israel die Gnade, die uns heute umgibt. In der Wüste gibt es Prüfungen, viele Prüfungen, aber lasst uns nur das allezeit bedenken: sie ist der Schauplatz, auf dem die Gnade sich entfaltet! Die Handlungen Gottes mit Israel vor Eintritt in die Wüste waren, möchte ich sagen, vorbereitender Natur: Er brachte Israel in die Wüste, um sie dort, in dem Alleinsein mit Ihm, zu lehren, was Er war. So sagte Er später: „Ihr habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe, wie ich euch getragen auf Adlers Flügeln und euch zu mir gebracht habe“. (Kap.19,4). Er lässt uns durch diese Prüfungen gehen, damit wir völlig verstehen lernen, dass alles, was uns begegnet, Von Ihm kommt. Der Flügel des Adlers ermüdet und ermattet nie. Es ist unglaublich, wie fest unsere Herzen sich an den Gedanken eigener Gerechtigkeit klammern und die Tatsache, dass wir in uns selbst keine Kraft besitzen, praktisch verleugnen. Viele Seelen besitzen wohl Frieden in Jesu, haben aber keine wirkliche Erkenntnis darüber, dass sie sowohl zum Dienst als auch zum Kampf kraftlos sind. Nun, in der Wüste lernen sie beides. Die Wüstenreisesoll dazu dienen, uns vom SeIbstvertrauen zu befreien, und uns lehren, nur auf Gott zu vertrauen.

Fußnoten:
*) „Alles, was Jehova geredet hat, wollen wir tun und gehorchen.“ Diese Worte — die einstimmige Antwort des  Volkes, nachdem Mose das Buch des Bunde; genommen und vor ihren Ohren gelesen hatte (vergl. 2. Mose 24) — bedeuteten die völlige Vermengung zwei ganz verschiedener Grundsätze, nämlich von Verantwortlichkeit und Kraft, Grundsätze, die seit dem Sündenfall ständig von den Menschen missverstanden und miteinander verquickt worden sind. Der Mensch ist verantwortlich, das ganze Gesetz zu halten, aber durch den Sündenfall hat er die Kraft dazu verloren. Das kann das natürliche Herz nicht verstehen. Der eine Mensch verneint seine Verantwortlichkeit, der andere pocht auf seine Kraft. Nur die Gnade vermag den Menschen in beiderlei Hinsicht zurecht zu bringen. 

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Das Salz der Erde

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 189ff

„Ihr seid das Salz der Erde“ Mit diesen Worten bezeichnete der Herr Seine ersten Jünger· Aber als „Salz, das kraftlos geworden ist“, kennzeichnen sich leider heute nur zu viele der Seinigen. Wieviel hat das Christentum dadurch von seinem früheren mächtigen Einfluss auf die Welt eingebüßt! Ehemals erregte es entweder Hass, oder es zwang zur Bewunderung. Heute steht die Welt ihm gleichgültig gegenüber, oder sie weiß sich andererseits das Christentum zunutze zu machen, indem sie ihm, wie der Sittenlehrer oder der Künstler, Gedanken und Gegenstände entlehnt, es selbst aber dabei als eine veraltete Weltanschaurings betrachtet. .
Doch das Christentum selbst ist nicht schuld daran, dass man es so ansieht. Es ist heute noch das gleiche, das es im Anfang war, und menschliche Feindschaft oder menschliche Weisheit können der ihm innewohnenden Herrlichkeit weder etwas rauben noch hinzufügen. In unvergleichlicher einziger Schönheit steht es da, als die göttliche Antwort auf das tiefste Sehnen des Menschenherzens.
Wie kommt es nun, dass die Welt das Christentum behandelt und in einer Weise darüber spricht, als wäre es nicht viel mehr als eine Religion, die sich überlebt hat? Die Antwort ist recht demütigend. Sollte es nicht, zum großen Teil wenigstens, daher kommen, dass man das Christentum im Leben derer, die sich zu ihm bekennen, so wenig praktisch verwirklicht sieht? Die Welt wird immer das Benehmen der Gläubigen als den Ausfluss der Lehren  des Christentum betrachten und alles, was die Christen nach außen darstellen, auf Rechnung ihres Bekenntnisses setzen. Wir sollten nun freilich mit dem Apostel sagen können: „Seid meine Nachahmer, gleichwie auch ich Christi!“ Leider aber sind wir dem Herrn in vielen Dingen so erschreckend unähnlich, dass wir unwillkürlich den Gedanken zurückweisen, irgendwie ein „Vorbild der Gläubigen“ sein zu sollen (1. Tim. 4, 12). 
Wenn nun bei den Gläubigen der Einfluss des Christentums sich so wenig bemerkbar macht, können wir uns da wundern, wenn die Welt sich diesem Einfluss entzieht? Wie ernst sollte diese Tatsache zu unseren Herzen reden! Ist denn das Wort, mit dem wir im allgemeinen gut vertraut sind, nicht mehr imstande, dem Wandel eines jeden von uns sein Gepräge zu geben? Gewiss, die Schuld liegt einzig und allein auf unserer Seite. Ich möchte indessen an dieser Stelle nicht über die Wichtigkeit des verborgenen Lebens mit Christo und seinen Folgen reden, sondern mehr die Pflicht eines sorgfältigen Wandels und treuen Zeugnisses der Welt gegenüber hervorheben. 
Die Unbekehrten, die uns umgeben und die oft mit den Hauptlehren des Christentums besser bekannt sind als wir meinen, erwarten ganz von selbst, dass wir ein von dem ihrigen ganz verschiedenes Leben führen. Es muss sie wundern, wenn wir als Fremdlinge, die wir doch „zu sein bekennen, viel von diesem Leben für uns erwarten, oder wenn wir als Pilger nicht viel mit dem Ort beschäftigt sind, den wir unser Ziel und unsere Heimat nennen. Sie wissen etwas von den himmlischen Hoffnungen und Segnungen, von denen wir· zuweilen sprechen, und meinen natürlich, dass wir nie niedergeschlagen oder unglücklich sein sollten. Sie hören uns sagen, dass wir Jünger des Herrn Jesus sein möchten, und erwarten daher weder Reizbarkeit, Hochmut noch Ungeduld .von uns, sondern denken im Gegenteil, dass wir alles, was uns begegnet, mit Ruhe und Sanftmut hinnehmen werden, weil wir doch von unerschütterlichem Glauben und stets froher Hoffnung getragen seien. Obwohl sie uns wenig achten und schätzen, erwarten sie doch, dass wir, wie unser Herr, bei jeder Gelegenheit zur Hilfe bereit seien und gern den Betrübten, Geängstigten und in Versuchung Gefallenen um uns her dienen. Die, welche täglich um uns sind, fühlen es bald, ob wir wirklich mit einfältigem Herzen Gottes Wohlgefallen suchen, ob wir uns auf Ihn stützen und in Ihm erfreuen, ja, noch mehr, sie erwarten, indem sie den Maßstab unseres eigenen Bekenntnisses anlegen, eine völlige Hingabe von uns. 
Was müssen wir nun tun, damit diese himmlischen Früchte an uns wahrgenommen werden können? Uns Mühe geben, sie hervorzubringen? Das würde wenig Zweck haben, denn diese Früchte zeigen sich nur, wenn die Bedingungen zu ihrem Wachstum vorhanden sind. Damit komme ich auf den vorhin nur kurz erwähnten Punkt zurück. Lasst uns suchen, in inniger und steter Verbindung mit Christo zu leben, Seine Fülle in uns aufzunehmen und mit Seinen Gedanken vertraut zu werden. Wenn wir so in dem Sonnenschein Seiner Gegenwart leben, wird unser Wandel ganz von selbst das Gepräge dieses Verkehrs tragen. Und so nur können wir hoffen, einigermaßen das zu sein, was wir nach den Gedanken des Herrn sein sollten: Das Salz der Erde.

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Der Tod ist unser

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 192ff

Der nachstehende Bericht über den Heimgang einer nahezu hundertjährigen Schwester in Ober-Ägypten, der Mutter eines eingeborenen Arbeiters im Werke des Herrn dort, verdient in· weiteren Kreisen bekannt zu werden. Wir verdanken ihn unserer Schwester, Frau L. Emmens in Alexandria, welche die Einzelheiten von dem Sohne selbst hörte. Er erzählte ihr: 
Ich hatte seit einiger Zeit eine innere Unruhe, es gehe meiner Mutter nicht gut, und sie verlange danach, mich zu sehen. So entschloss ich mich, zu ihr zu reisen und sie zu besuchen. Als ich in ihre kleine Wohnung trat, blickte sie auf, schaute mich so liebevoll an, wie nur eine Mutter das vermag, und sagte: 
„Ich wusste, dass du kommen würdest, mein Sohn. Ich hatte darum gebetet und dich längst erwartet, um dich vor meinem Heimgang noch einmal zu sehen. Denn meine Zeit ist bald abgeIaufen; es dauert nicht mehr lang.
Der Gegenstand der Unterredungen, die wir in den folgenden Tagen miteinander hatten, war Jesus· Durch viele Erfahrungen war der Herr ihr sehr teuer und nahe geworden. Oft musste ich staunen über die Aussprüche, die sie tat, und wenn sie müde wurde vom Reden, so bat sie mich, ihr Abschnitte aus dem Wort Gottes; vorzulesen. Das tröstete und erquickte sie. Obgleich ihr Leib täglich schwächer wurde, lag doch stets ein Ausdruck herzlicher, inniger Freude aus ihrem lieben alten Gesicht. Ihr Blick spiegelte den Frieden ihres Herzens wider. Einmal sagte sie mir: 
„Ich weiß, der Herr wird dich nicht über Vermögen versucht werden lassen. Er wird dir beistehen und dir helfen in allem.“ Dann fügte sie hinzu: „Ich weiß ganz bestimmt, das; ich heimgehen werde, sobald der Nil hoch genug geworden ist; denn dann kannst du ein Boot nehmen und mit Leichtigkeit an den rechten Ort fahren, um dort meine sterbliche Hülle zu beerdigen.“ 
Immer wieder, in Zwischenräumen von einigen Tagen, erkundigte sie sich: „Wie hoch ist der Nil jetzt?“ Wenn ich ihr dann sagte, wie weit das Wasser gestiegen sei, antwortete sie lächelnd: „Es wird noch ein wenig währen, das Wasser ist noch nicht ganz hoch genug zur Überfahrt. Wenn es die richtige Höhe erreicht hat, dann gehe ich heim.“ 
Ich versuchte wiederholt, sie von diesem Gedanken abzubringen, und sagte ihr, der Herr würde ihre Kraft vielleicht ein wenig erneuern und sie noch einige Zeit hier lassen: aber dann versicherte sie mir ganz bestimmt: „Nein, mein Sohn, ich weiß sicher, dass mein Abscheiden sehr nahe ist. Ich bin nur noch hier, bis das Nilwasser seine rechte Höhe erreicht hat; denn du sollst mit der Wegschaffung und Beerdigung meines Leibes nicht zu viel Mühe haben.“ 
Als sie eines Tages sah, wie traurig ich aussah, sagte sie: Hanallah, warum bist du so niedergeschlagen? Du solltest dich mit mir freuen, solltest glücklich sein. Kannst du denn die unernesslich große Freude deiner Mutter nicht verstehen, dass sie bald, bald bei dem guten Herrn sein wird? Du machst mich traurig, wenn du so betrübt dareinblickst. O freue dich doch mit deiner Mutter! Bald werde ich Ihn sehen, der mich geliebt hat und für mich gestorben ist, der auch dich liebt. O die Wonne, Ihn bald sehen zu dürfen! Freue dich doch mit mir!“ 
Als sie so redete, war ihr Antlitz wie verklärt. Dann sprach sie so tröstliche Worte zu mir, wie wiederum nur eine Mutter sie sprechen kann. Sie tat alles, was in ihrer Macht stand, um mich aufzuheitern. 
Ein anderes Mal sagte sie mir: „Mein Sohn! du hast zwei sehr wichtige Pflichten, die du treu erfüllen musst. Vergiss es nicht! Die eine ist: Du musst immer dessen eingedenk bleiben, dass du ein Knecht des Herrn bist, von Ihm berufen. Er erwartet von dir, dass du fortfährst, in aller Treue den Heiligen, Seinem Volke, den Brüdern, zu dienen. Auch lass nicht nach, mit aller Kraft zu Sündern zu reden; sprich mit ihnen von der erlösenden Liebe des Heilandes und sage ihnen, wie Er sie geliebt hat und für sie gestorben ist. O sei treu in diesem allem!“ Nach einer Weile fügte sie hinzu: „Verstehst du, mein Sohn, deine Berufung seitens des Herrn? Du bist ein .Knecht!“ Kurz darauf fuhr sie fort: „Die zweite heilige Pflicht, die ich dir ans Herz legen möchte, ist diese: Gedenke der Kinder deines verstorbenen Bruders. Sie sind Waisen. Hilf ihnen, soviel du kannst, und erziehe sie in der Furcht des Herrn. Überwache sie in ihrer Jugend und sei ihnen Vater an deines Bruders Statt. Führe und leite sie auf des Herrn Wegen. Er wird dich dafür segnen.“
Am Ietzten Tage schlief sie viel, aber ein solch friedlicher, glücklicher Ausdruck lag auf ihren Zügen. Gegen Abend erwachte sie und sagte: „Lebe wohl, mein Sohn! Die Zeit ist gekommen.“ Dann blickte sie geradeaus, lächelte .und sagte: „Schaue, schaue dorthin! Ich sehe den Herrn ganz deutlich dort stehen. Er winkt mir mit der Hand, Er winkt mir zu kommen.“ So blieb ihr strahlender Blick eine Zeitlang unverrückt nach vorn gerichtet, dann überflog wieder ein Lächeln ihr Gesicht, sie sagte: „Ja, ich komme!“ und mit einem leisen Seufzer entfloh der glückliche Geist seiner sterblichen Hülle.
Sie war beim Herrn, durch Jesum entschlafen. Es war kein Sterben, kein Tod, es war Sieg, Triumph.

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Gedanken

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 195ff

Mose „wandte sich dahin und dorthin“. (2. Mose 2, 12.) Das ist unnötig, wenn ein Mensch mit und für Gott handelt. Ein solcher ist völlig ruhig und klar über seinen Weg. Er kümmert sich nicht um das Gutachten oder Missfallen der Menschen.

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Es ist uns allen so natürlich, uns mit unseren Gedanken und Gefühlen über das Blut Christi zu beschäftigen, anstatt mit dem Blut selbst und mit den Gedanken Gottes über dasselbe.

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Alle, die viel mit der Welt und ihren Dingen in Berührung kommen, werden schmerzlich fühlen, wie schwierig es ist, mit unbeschmutzten Händen davonzukommen. Sie bedürfen in ganz besonderer Weise einer heiligen Wachsamkeit bezüglich ihrer Gewohnheiten und Verbindungen, damit sie sich nicht verunreinigen und des Genusses ihrer Gemeinschaft mit Gott verlustig gehen. Gott will und muss uns in einem Zustand haben, der Seiner selbst würdig ist.

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Wer ist ein großer Gott wie Gott!

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 196

Mein Gott, wie groß bist Du!
Du schufst, Du trägst die Welten!
Der Schöpfung Jubellied
kann Dir allein nur gelten.
Du gibst der Sonne Licht,
der Blume Duft und Farben;
Dich rühmen Luft und Meer,
des Feldes goldene Garben.

Mein Gott, wie treu bist Du!
Du Fels der Ewigkeiten!
Du bist mein fester Turm
im Wechselgang der Zeiten.
Scheint dunkel auch Dein Rat
und seltsam Deine Pflege,
vollkommen ist Dein Tun,
und recht sind Deine Wege.

Mein Gott, wie gut bist Du,
so mild Dein Herz, die Hände
so stark, und Deine Huld
ohn’ Maß, ohn' Ziel und Ende!
Gebundene machst Du frei,
gibst Augenlicht den Blinden. ,
Gebeugten hilfst Du auf,
lässt Schwache Rettung finden.

Mein Gott, wie reich bist Du,
Herr Himmels und der Erden!
Dein Bach, so voll, so frisch,
kann nimmer trocken werden.
Und schein· ich hier auch arm
und schwach einmal im Leiden,
Bin dennoch reich in Dir —
mein Erbe: ew’ge Freuden!

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Ein Gott des Wissens

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 197ff

„Es frohlockt mein Herz in Jehova, erhöht ist mein Horn in Jehova; mein Mund ist weit aufgetan über meine Feinde, denn ich freue mich in deiner Rettung“ (1. Samuel 2, 1).
Mit diesen Worten leitet Hanna, die Mutter Samuels, ihren Lobgesang ein zum Preise Gottes, der gesehen, wie sie ihr Herz vor Ihm ausschüttete, und der ihr Gebet erhört hatte. Ihm hatte sie Leid und Klage kundgetan und war dann von dannen gegangen als ein Mensch, der vor Ihm gestanden hatte, so dass selbst ihr Angesicht Zeugnis davon gab, dass sie in Seiner Gegenwart gewesen war (Kap. 1, 18). Und nun kam sie, um Lob zu opfern zur Verherrlichung Dessen, der sie groß gemacht hatte. Der Lobgesang Hannas bezeugt unter Betonung der Tatsache: „Ein Gott des Wissens ist Jehova, und von Ihm werden die Handlungen gewogen«, die Weise Gottes, sich herabzulassen zu den „Strauchelnden, Hungrigen, Armen und Geringen«, und zu widerstehen den „Stolzen und Frechen, den Helden und den Satten“, wobei dieses gottesfürchtige Weib unter denen ist, welche die Gnade und das Erbarmen Gottes für sich in Anspruch nehmen. Sie konnte in ihrer Weise sagen: „Gott aber sind wir offenbar geworden“, und war deshalb imstande, einen Lobgesang anzustimmen dem „Gott des Wissens“, der Einblick hat in alle Gedanken und Überlegungen des Herzens; vor dem kein Geschöpf unsichtbar, vor dessen Auge alles bloß und aufgedeckt ist (Hebr. 4, 13). 
In der Gegenwart dieses Gottes kann ein Herz nur dann Lobgesänge anstimmen, wenn es dahin blickt, wo die Grundlage geschaffen wurde für die Herrschaft der Gnade durch Gerechtigkeit, wo „Güte und Wahrheit sich begegnet sind und Gerechtigkeit und Friede sich geküsst haben“, (Ps·85,10) -dahin, wo nach dem Wissen und der Kenntnis Gottes über Schuld und Elend des Menschen derselbe Gott das von Ihm als notwendig, aber auch als angemessen und völlig ausreichend erachtete Sühnopfer für menschliche Schuld gegeben hat. Nach Seinem Wissen, nach Seiner Kenntnis unserer Schuld ist sie bezahlt. Wären nur die Sünden ·vergeben, die wir wissen, die uns zum Bewusstsein gekommen sind, wer wäre imstande, einen Lobgesang anzustimmen? 
Und so wie Gott maßgebend ist und sein muss hinsichtlich der Bewertung des Maßes unserer Schuld, so ist Er allein auch maßgebend für die Wertbestimmung des wunderbaren Opfers, das Er sich ersehen hat. Wie gut ist es, dass der Wert dieses Opfers von Gott selbst festgelegt worden ist, und dass Er die Kostbarkeit des „Lammes ohne Fehl« völlig kennt! Sein Wissen können Menschen nicht erreichen. Aber dass dieses Wissen dem Maße der Schuld auf unserer Seite das Schuldopfer angepasst hat, dass Er der Schuld, wie Er sie kennt, mit dem Blute des Opfers, dessen Wert Er allein beurteilt, begegnet, das gibt uns Sicherheit und Frieden. Dieses Bewusstsein befähigt uns, Lobgesänge anzustimmen dem Gott des Wissens, vor dem wir offenbar geworden sind, vor dem aber auch das in Seinen Augen kostbare Blut des Lammes Gottes ist, unter dessen Schutz wir ruhen und glücklich singen können: · 
Sel’ger Ruhort! Süßer Friede füllet meine Seele jetzt.
Da, wo Gott mit Wonne ruhet, bin auch ich in Ruh’ gesetzt.
Ruhe fand hier mein Gewissen, denn Sein Blut, o reicher Quell!
Hat von allen meinen Sünden mich gewaschen rein und hell. 
Das dem Volke Israel in Ägypten vor alters gegebene Wort: „Sehe ich das Blut, so werde ich an euch vorrübergehen“ (2. Mose 12, 13), sicherte dieses Volk vor dem Gericht, welches jedes Haus traf, das nicht durch das Blut des von Gott verordneten Passah1ammes gekennzeichnet war. Und so wie alle Bewohner eines Hauses hinter der mit dem Blute des Lammes bestrichenen Tür in vollkommener Sicherheit waren, so sind heute alle die in gleicher Sicherheit, welche Zuflucht genommen haben zu dem Schutze des Blutes des Lammes Gottes. Das Gericht über die« Schuld und den Zustand des Menschen wurde- nach dem Urteil des wissenden, die Handlungen wägenden Gottes vollzogen an Dem, der nach Gottes Willen gekommen war, um das von Ihm vorgesehene Werk zur Heilung des durch den Menschen angerichteten Schadens, wie Er ihn kannte zu vollbringen. Nach dem Grundsatz Gottes: „Ohne Blutvergiessung ist keine Vergebung«, hat Er eine Grundlage geschaffen, auf welcher der von Natur verlorene und mit Schuld beladene Mensch mit dem Gott des Wissens, dem Gott unbeugsamer Gerechtigkeit und unnahbarer Heiligkeit, versöhnt werden kann, ja, auf welcher dieser Mensch« von diesem Gott gerechtfertigt und als Kind und Erbe aufgenommen wird. 
Das ist unser Verhältnis zu dem Gott, vor dem kein Geschöpf unsichtbar, vor dessen Auge alles bloß und aufgedeckt ist. Er ist unser Vater in Christo geworden, und wir sind als die Erlösten des Herrn berufen, Ihn zu preisen, dessen Güte ewigIich währt. (Ps.107,1.2.) Maßstab und Zeugnis dieser Güte ist, dass Er Seines eingeborenen Sohnes nicht geschont, sondern Ihn für uns alle dahingegeben hat°. Wenn wir dieses Zeugnis der göttlichen Gnade anschauen und dann bedenken, dass Er — in völliger Kenntnis dessen, was wir sind und was je in unseren Herzen war an Dingen, deren wir uns vor den Menschen schämen — also gehandelt hat an uns, dann gehören die Zuneigungen unserer Herzen ungeteilt Ihm, der den Eingeborenen für uns dahingab. Und mir preisen Jesum, der für uns der Weg zum Vater ist, der alles erworben hat, dessen wir uns jetzt und in Ewigkeit erfreuen können. Ja, Seinem großen, erhabenen Namen gebührt die Ehre. Das wird einst von jeder Zunge anerkannt werden. Unser Vorrecht ist, Ihm schon jetzt Ehre zu geben, Ihm zu huldigen angesichts einer Umgebung, die sich mit Verachtung non Ihm abwendet und auch denen mit Geringschätzung oder gleicher Verachtung begegnet, die sich zu Ihm bekennen. 
So ist denn alles, was je von uns aus dem Urteil und Gericht Gottes verfallen war, nach dem Wissen und der Kenntnis Gottes in Ordnung gebracht. Dieses Bewusstsein verleiht, wie schon gesagt, dem Herzen und Gewissen wirkliche Sicherheit und Ruhe. Besonders im Blick auf die Regungen unseres natürlichen Herzens, durch die wir immer wieder überführt werden von der Wahrheit des Wortes: „Ich weiß, dass in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes wohnt“ (Röm. 7, 18), kann nur dann Ruhe bei uns sein, wenn wir glaubend verstehen, dass Gott nach Seinem Wissen und nach Seiner Kenntnis unseres Zustandes diesen verurteilt und gerichtet hat, indem Er „Den, der Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde machte, auf dass wir Gottes Gerechtigkeit würden in .Ihm“ (2. Korinther 5,21). 
Doch so kostbar dies für das glaubende Herz ist, so wichtig ist es auf der anderen Seite, im Auge zu behalten, dass wir es unter allen Umständen mit dem. Gott des Wissens zu tun haben, der die Handlungen wägt. „Alles ist bloß und aufgedeckt vor den Augen Dessen, mit dem wir es zu tun haben“. Wir können uns der Tatsache, das; alles in unserem Leben nach Seinem Wissen und nach Seiner Kenntnis geordnet ist, nicht wirklich« erfreuen, wenn wir nicht in dem Lichte des wissenden Gottes wandeln, sondern, der natürlichen Neigung unseres Herzens folgend, uns dem Auge Gottes zu entziehen suchen· Ein Israelit, der in der Nacht des Auszugs aus Ägypten in seinem Hause Sauerteig geduldet hätte, wäre allerdings hinter den blutbestrichenen Türpfosten sicher vor dem Würgengel gewesen, weil das Wort Jehovas: 2Sehe ich das Blut, so werde ich vorübergehen“, diese Sicherheit gewährleistete. Aber derselbe Jehova hatte auch gesagt: „Kein Sauerteig soll in euren Häusern gefunden werden“. Obgleich also unbedingt sicher vor dem Schwert des Engels aus Grund des Wortes Jehovas, hätte ein solcher Israelit doch· unmöglich ruhig und in Frieden sein können, weil er das Wort Jehovas nicht würdigte. Denn wenn ihm das Wort vom Sauerteig wenig galt, so konnte ihm auch das Wort von dem schützenden Blut des Lammes nicht viel gelten. Unmöglich hätte er in Frieden sich von dem gebratenen Lamme nähren können. Zuvor musste aller Sauerteig nach dem Worte Jehovas aus seinem Hause entfernt sein.
Gewogene Handlungen! Von Ihm, dem Gott des Wissens, gewogen!
Wie ist uns bei diesem Gedanken zu Mute? Gibt es da nichts in unserer Erinnerung, das vielleicht unwissenden, irrenden Mitmenschen gegenüber vertretbar oder doch entschuldbar erscheint, uns aber beunruhigt, wenn wir an Den denken, der als der Wissende mit göttlichem Maße misst und mit göttlichen Gewichten die Handlungen wägt? Maßgebend für Gottes Wägungen ist „der Sekel des Heiligtums“. Wir sind nur dann in Übereinstimmung mit Ihm, wenn wir für uns und unser Tun uns auch dieser Gewichte bedienen. Wir dürfen niemals erwarten, dass Gott sich unsertwegen zu menschlichen Maßen und Gewichten bekenne. 
Gott ist treu, und wohl uns, dass Er es ist! Wenn diese Seine Treue Ihn einerseits hindert, zu übersehen, dass wir bei Seinem Wägen ganz erheblich zu kurz kommen, so gewährleistet sie andererseits auch, dass Er dem Bekenntnis der Schuld und des Zukurzkommens auf unserer Seite Seine göttliche Vergebung zuteil werden lässt. Neben dem: „Wenn wir untreu sind -— Er bleibt treu, denn Er kann sich selbst nicht verleugnen« (2. Tim. 2, 13), steht das andere Wort: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist Er treu und gerecht, dass Er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit“ (1. Joh. 1, 9). Wo ein wirkliches Bekennen im Sinne dieses Wortes stattfindet, da erfolgt gemäß der unwandelbaren Treue Gottes auf der von Ihm selbst geschaffenen, gerechten Grundlage bedingungslose Vergebung. Ja, Er tut noch mehr: Er reinigt uns von aller Ungerechtigkeit. Er bewirkt, dass nicht nur das dem Bekenntnis zugrunde liegende Böse gesehen, sondern dass auch der Zustand, aus welchem das Böse sich entwickelte, dem Licht Gottes ausgesetzt und Seinem Urteil darüber zugestimmt wird. Dann bewirkt Er durch Seinen Heiligen Geist und durch Sein Wort die notwendige Reinigung, die als das Ergebnis jedes wahren Bekenntnisses auch nach außen hin in die Erscheinung tritt.
Gewiss wird nicht jeder Gegenstand eines Bekenntnisses ohne weiteres Menschen offenkundig sein oder ihnen mitgeteilt werden. Der Gott des Wissens aber nimmt Kenntnis von jeder Regung des Herzens, Er beurteilt den Wert unseres Bekennens, und die Reinigung wird als Frucht des Bekenntnisses in unserem Leben wahrgenommen werden. Wenn das nicht der Fall ist, so mögen wir uns wohl prüfen, ob wir wirklich der Tatsache Rechnung getragen haben, dass der Gott des Wissens es ist, vor dem wir Bekenntnis ablegten, und ob Sein Maß und Sein Gewicht bestimmend waren für unser Urteil über die Dinge, derentwegen wir vor Ihn getreten sind. Waren sie maßgebend, so wird unser Urteil Seinem Urteil gleichen, unser Bekenntnis wird diesem Urteil entsprechen, und im Vertrauen auf Seine Treue und Gerechtigkeit werden wir erfahren, dass „bei Ihm viel Vergebung ist“. Lassen wir aber Sein Urteil nicht maßgebend sein bezüglich unseres Tuns, so werden wir die Verfehlungen und Sünden, die auf unserem Wege liegen, wohl verurteilen und vielleicht auch aufrichtig Leid tragen über das zu Tage getretene Böse, aber wir werden vergessen, außer diesem uns selbst zu richten.
Liegt hier nicht auch die Ursache dafür, dass dem Wort in 1. Kor. 11, 28: „Ein jeder aber prüfe sich selbst“, oft nicht die ihm zukommende Bedeutung gegeben wird? Vielfach wird angenommen, dieses Wort belehre uns, das auf unserem Weg liegende Böse zu verurteilen, und nach Prüfung des Weges und nach Beseitigung des von uns erkannten und verurteilten Bösen heiße es dann: „also esse er von dem Brote und trinke von dem Kelche“. (Es bleibt wahr: Gott kennt und beurteilt die Herzen derer, die in der innigen Gemeinschaft mit Jesu Christo, Seinem Sohne, an dessen Tisch Ihm, dem großen Gott von Ewigkeit, lobsingen, und Er lässt sich herab, die Anbetung derer wohlgefällig anzunehmen, welche mit einfältigem Herzen ihren Platz am Tische ihres Herrn einzunehmen begehren. Keine aufrichtige Seele soll deshalb durch diese Worte beunruhigt werden.) Aber das Wort: „Ein jeder (Mensch) prüfe sich selbst«, zeigt an, das; es mit der Prüfung unseres Weges und mit der Verurteilung des darauf liegenden Bösen nicht erschöpft ist. Gottes Wort meint immer genau das, was es sagt. Wir
verstehen nicht immer, unsere Gedanken in die richtigen Worte zu kleiden. Dieser Mangel haftet aber dem Worte Gottes nicht an. Wenn es darum heißt: „Ein jeder prüfe sich selbst«, so ist auch nicht weniger, nichts Geringeres als das gemeint. Der Weg und das Böse darauf kann unter Umständen schon von einem sittlich denkenden Menschen erkannt und verurteilt werden; dazu gehört noch nicht ein göttlich erleuchtetes Herz. Wenn wir aber dem Wortlaut der Stelle gemäß uns selbst prüfen im Lichte des wissenden Gottes, so sehen mir nicht nur die zu Tage getretenen Früchte, sondern auch uns selbst, den Baum, der die Frucht getragen hat, die Quelle, aus der alles hervorgegangen ist, und wir verurteilen nicht .allein die Frucht, sondern bringen uns selbst in das Gericht, unter das Urteil Gottes. Dieses Urteil kann aber nur auf Tod lauten, und indem mir daran erinnert werden, sind wir auf den: Platze, auf dem Gott uns stets sehen möchte, vor allem aber dann, wenn wir uns zusammenfinden, um den Tod des Herrn zu verkündigen, um Zeugnis abzulegen davon, dass der Herr der Herrlichkeit gekreuzigt worden ist, um Gottes gerechtes Urteil über Schuld und Sünde zu tragen und um die Grundlage zur Rettung verlorener Menschenkinder zum Preise der Herrlichkeit der Gnade Gottes zu schaffen. Auf diesem Platz stehend, erhalten die Worte der Schrift: „Ihr verkündiget den Tod des Herrn“ (1. Kor.11,26), oder: „Er hat Ihn, der Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht“ (2. Korinther 5, 21), oder: „Er ist ein Fluch für uns geworden“ (Gal. 3, 13) und andere ähnliche, für uns erst die rechte Bedeutung. Dann sind mir auch fähig, durch Jesum Christum Gott wohlgefällige Lobopfer darzubringen. 
Die Heilige Schrift lehrt uns an manchen Beispielen, welchen Täuschungen über den Gott des Wissens sich der Mensch hingibt, und wie leicht er bewusst oder unbewusst sich selbst und andere täuscht. Den gläubigen Korinthern schreibt der göttlich inspirierte Apostel: „Niemand betrüge sich selbst2, und: „Etliche sind in Unwissenheit über Gott; zur Beschämung sage ich's euch“ (1. Kor. 3, 18; 15, 34). 
„Zu welch verhängnisvollen Irrtümern, Abwegen und Sünden und zu welch verderblichem Tun solche Unwissenheit und Täuschungen führen, die letzten Endes wohl stets in Unredlichkeit des Herzens Gott gegenüber ihre Ursachen haben, zeigt uns Gottes Wort an manchen Stellen. Es wird zu leicht vergessen, dass der wissende, die Handlungen wägende Gott nicht zu täuschen ist. Er kennt und bewertet unser« Tun nicht nach dem Augenschein, wie wir es gewöhnt sind. Er bewertet alles nach den wahren Ursachen und Beweggründen, die oft Ihm allein bekannt sind.
Wenn Mirjam und Aaron in 4. Mose 12 wegen des kuschitischen Weibes gegen Mose auftraten, so schien ihre Absicht redIich zu sein. Dass sie es nicht war, und dass die beiden Geschwister in Wirklichkeit selbstsüchtige Ziele verfolgten, war zunächst nur Jehova, dem Herzenskündiger, bekannt. Das kuschitische Weib war für Mirjam und Aaron der (vielleicht längst. gesuchte) Vorwand, gegen ihren Bruder aufzutreten, weil dessen Stellung bei ihnen Neid und Eifersucht erregt hatte. Sie dachten offenbar nicht daran, dass sie es mit dem wissenden Gott zu tun hatten, und dass sich keiner gegen den Knecht wenden kann, ohne sich an dem Herrn des Knechtes zu versündigen. Auf eine schreckliche Weise mussten sie. einsehen lernen, dass Gott Kenntnis hatte von ihren wirklichen Absichten, und dass Er diese auch dann in das rechte Licht stellte, wenn sie UnredIichkeit und Anmaßung unter scheinbar lauteren und Gott wohlgefälligen Beweggründen zu verbergen trachteten, um das Ziel ihrer Anmaßung zu erreichen. „Jehova hörte es!“ Ja, Er hört und sieht! Vergessen wir es nie! „Der das Ohr gemacht hat, sollte Er nicht hören?“ 
Besehen wir auch noch die Mitteilung des Wortes über Ananias und Sapphira in Apstgsch. 5. Auch hier  begegnete Gott als der Gott des Wissens ebenfalls mit schrecklichem Gericht denen, die Ihn zu täuschen suchten. Niemand hatte etwas von den beiden verlangt. Indem sie aber sahen, wie andere Christen ihre Liebe offenbarten und sich so als Nachahmer Gottes betätigten und dem Einssein der Gläubigen durch ihre Werke der Liebe Ausdruck verliehen, kam in ihren Herzen der Gedanke auf, es diesen Gläubigen gleichzutun. Sie wollten auch etwas leisten, das Menschenaugen wahrnehmen konnten, ein Werk verrichten, das nur als Ergebnis der Wirksamkeit des Heiligen Geistes Gott wohlgefällig sein konnte.· Diesen Umstand nicht würdigend, unternahmen sie den unglaublich törichten Versuch, Gott zu belügen, den Gott, dem sie angeblich durch ihr Tun dienen wollten. Dazu konnte der Gott des Wissens nicht schweigen, umso weniger als Er sich in jenen Tagen in besonderer Weise durch Zeichen und Wunder zu Seinen Knechten bekannte, die Ihm in Aufrichtigkeit ergeben waren. Das Reden Gottes bedeutete in diesem Falle den Tod der beiden geld- und ehrliebenden Menschen. 
Angesichts solch« furchtbar ernster Geschehnisse, die bekunden, dass vor Gott alles bloß und aufgedeckt ist, und eingedenk der Tatsache, dass wir es mit diesem Gott zu tun haben, sollten wir allezeit mit Seiner Kenntnis, mit Seinem Wissen rechnen. Tun wir das mit der Gesinnung, die Er bei uns sehen möchte, so werden mir es machen wie David. Er hatte sich verschuldet und hatte das Gericht zu erwarten. Er kannte seine Schuld, aber er kannte auch den Gott, dessen ,,Erbarmungen über alle Seine Werke sind« (Ps. 145, 9); und auf diese Erbarmungen trauend, lieferte er sich Gott aus mit den Worten: ,,Möge ich« doch in die Hand Jehovas fallen, denn Seine Erbarmungen sind sehr groß!“ (1. Chron. 21, 13). 
David war ein Mann nach dem Herzen Gottes. Noch lange nach seinem Abscheiden von der Erde handelte Gott des Öfteren in Langmut und Gnade ,,um Davids, Seines Knechtes, willen«· Sollten diese Bezeichnungen: »ein Mann nach meinem Herzen« und ,,mein Knecht«, nicht darum ihm zuerkannt worden sein, weil David verstand, im Bewusstsein seiner Armut und Unwürdigkeit seinen Platz vor Gott einzunehmen und, wenn er gesündigt hatte, sich vor Gott zu demütigen und den Erbarmungen Gottes sich rückhaltlos auszuliefern? Diesen Platz darf jeder Mensch einnehmen. Es ist der einzige Platz, den der Mensch vor dein wissenden, die Handlungen wägenden Gott einnehmen kann. Auf diesem Platz begegnet Gott uns in Seiner Herablassung, und wir lernen Ihn kennen» als den Gott aller Gnade, den Vater der Erbarmungen, als den Gott, der reich ist an Barmherzigkeit und Vergebung, „reich für alle, die Ihn anrufen«. Auf diesem Boden sind wir Menschen nach Seinem Herzen, denn hier setzen wir uns beiseite und sind dankbar, dass Er uns längst beiseite gesetzt hat und uns in Christo Jesu sieht, „der uns geworden ist Weisheit von Gott und Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung«. »Dann geben wir Ihm auch Ehre und stimmen ein in die Worte Hannas: „Ich freue mich in deiner Rettung“.
Das Bewusstsein, dem wissenden Gott gegenüber „kein Gewissen von Sünden“ mehr zu haben, wird als ein Zustand der „Glückseligkeit“ gekennzeichnet (Ps. 32, 1. 2.) Das Teil aller, die an den Namen des Herrn Jesus geglaubt haben und nun sagen können: „Er ist unser Friede“, ist, sich allezeit zu freuen: ,,Freuet euch in dem Herrn allezeit! wiederum will ich sagen: Freuet euch!“ (Phil. 4, 4.) Ist unser Herz erfüllt von dieser Freude, so öffnet sich unser Mund zum Preise des Herrn und ist weit aufgetan zum Lobgesang für Den, dessen Wohltaten wir dadurch vergelten, dass wir jubelnd sagen: „Den Becher der Rettungen will ich nehmen und anrufen den Namen Jehovas“ (Ps. 116, 12. 13.)

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Wüstengnade

Bibelstelle: 2. Mose 17

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 209ff

Das Erste, was Jehova die Kinder Israel in der Wüste lehrte, war der Umstand, dass sie kein Wasser, nicht einen Tropfen, bekommen konnten, wenn Gott es ihnen nicht gab. Drei Tage waren sie ohne Wasser. Und als sie dann schließlich Wasser fanden (als etwas in ihrer Reichnähe war, zu dessen Ergreifung der Mensch selber imstande zu sein schien), da konnten sie nicht davon trinken; es war so bitter! bis Jehova dann Mose ein Holz wies, welches das Wasser süß machte. Mit anderen Worten: Gott lässt das, was der Tod ist, zu einem Mittel zum Leben für uns werden, wie - Hiskia sagt: „O Herr! durch dieses lebt man, und in jeder Hinsicht ist darin das Leben meines Geistes“ (Jes.38, 16). In dem, was für das Fleisch den Tod bedeutet, ist für den Geist Leben.
Im 16. Kapitel verlangen die Kinder Israel nach Brot und murren aufs neue. Jehova begegnet ihnen in Gnade und gibt ihnen Brot. Aber es war eine Speise, die Ihnen jeden Morgen aufs neue zeigte,  dass sie von Gott abhängig waren. Hätte Er ihnen das Manna nur einen Tag entzogen, so hätten sie darben müssen, denn sie konnten es nicht bis zum nächsten Morgen aufbewahren. Es „wuchsen Würmer darin, und es ward stinkend“. Der Herr erlaubt uns nicht, irgend Etwas, auch nicht die Gnade, auf Vorrat zu legen, da wir dadurch in Gefahr· kommen würden, unsere Abhängigkeit von Ihm zu verlieren, und das würde zum Bösen für uns ausschlagen. Gott erwies Seinem Volke bei all Seinem Tun Gnade um Gnade, aber nie löste Er sie, und nie kann Er uns lösen, aus dem Abhängigkeitsverhältnis von Ihm.
Das Manna war ein Vorbild von Christo, wie das Wasser von dem Heiligen Geiste.
Etwas später (.Kap. 17), als das Volk aus der Wüste Sin aufbrach, hören wir es schon wieder murren. „Und das Volk haderte mit Mose, und sie sprachen: Gebet uns Wasser, dass wir trinken!“ Aber das erneute Murren lässt erneut die Gnade hervor strömen (denn sie waren noch nicht zum Sinai gekommen). - Gott gab ihnen Wasser. Wenn ihre Sünde überströmend wurde, wurde Seine Gnade noch überschwänglicher. Je mehr sie murrten, desto mehr empfingen sie in einem Sinne. 
Hier möchte ich einschalten, dass es Sünde ist, dem Herrn nicht zu vertrauen oder nicht ganz sicher zu sein, das; Er uns in jedem unserer notwendigen Bedürfnisse helfen wird, wenn wir nur auf Seinen Wegen wandeln. In unserem Kapitel wird uns ausdrücklich berichtet, dass die Kinder Israel sündigten, als sie, Ihn versuchend, fragten: ,“Ist Jehova in unserer Mitte oder nicht?“ (V. 7). Wenn wir freilich in Eigensinn und Bosheit unseren Weg gehen und umgekehrt sprechen: „Ist nicht Jehova in unserer Mitte? kein Unglück wird über uns kommen!“ (vergl. Micha 3, 11) so ist das eine ganz andere Sache. Gott wird, falls wir Seine Kinder sind, auch dann bei uns sein, aber um uns zu züchtigen. So oft jedoch ein wirkliches Bedürfnis in der Wüste sich darbietet, ist es Sünde, zu fragen, zu zweifeln, ob Gott zur Hilfe bereit ist oder nicht. Wenn wir inmitten der sandigen Wüste des Wassers nicht ebenso sicher sind wie dann, wenn wir Ströme Wassers durch das Land fließen sehen, so versuchen wir Gott. Das ist ja die Kraft, die in den Worten des Herrn an Satan liegt: „Es steht geschrieben: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen“. Satan wollte Jesum dadurch versuchen, dass er Ihn die Probe darauf machen ließ, ob Gott zu Seinem Wort stehen würde. Hätte der Herr sich darauf eingelassen, so wäre das einem Zweifel gleichgekommen. Daher antwortet Er: „Es steht geschrieben: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen“. Gott versuchen heißt an Seiner Güte zweifeln, uns alles das darzureichen, was wir bedürfen.
Die Versorgung mit Wasser und Manna brachte die Israeliten indes nicht aus den Schwierigkeiten heraus. Sie tranken und wurden erquickt; sie sammelten ein wenig Kraft, und dann kam Amalek und stritt mit ihnen. Die Vorsorge Gottes war also nur die Vorbereitung für den Kampf. So haben auch die, welche sich von Christo als ihrem Manna nähren, und die in sich die Quelle Wassers haben, das ins ewige Leben quillt, heute noch die Wüste und den Kampf mit Amalek. 
In diesem Sinne haben wir stets mit Satan zu tun, wenngleich wir aus seiner Knechtschaft voll und ganz befreit sind. Wir kommen nie mehr unter die Gewalt Satans, wie  Israel einst unter der Herrschaft des Pharao stand. Für uns steht geschrieben: „Die Sünde wird nicht über euch herrschen, denn ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade“. Aber wir haben mit Amalek zu kämpfen, wenn
wir auch aus der Macht des Pharao befreit sind. Sobald wir in die Wüste kommen und hier durch die Gnade genährt und erquickt werden, beginnt der christliche Kampf. Wir sind gleich dem Herrn Jesus dazu berufen, nie an des Vaters Liebe zu zweifeln. Aber stand der Herr deswegen außerhalb jedes Kampfes? Nein, es brachte Ihn gerade in den Kampf. So bringt auch uns gerade der Umstand, dass wir aus der Knechtschaft Satans befreit und auf des Herrn Seite gestellt worden sind, den Kampf. Hier nun sorgt der Herr dafür, dass wir nie die Abhängigkeit von Ihm verlieren, denn in dem Augenblick, da dies geschieht, unterliegen wir. Wohl kann Satan uns nie wieder zu seinen Sklaven machen, aber wir können von ihm geschlagen und verwundet werden. In all den Einzelheiten unseres Lebens gibt es keinen Segen für uns, außer wenn wir in Abhängigkeit von Gott bleiben. Sobald sich Selbstvertrauen zeigt und unser eigener Wille in Tätigkeit tritt, ist der Fehlschlag da. Würde ich z. B. beim Schreiben dieser Zeilen die Abhängigkeit vom Herrn verlieren, so wäre es mit jedem Segen für meine Seele vorbei. „Außer mir könnt ihr nichts tun“ (Joh. 15, 5). Ohne Abhängigkeit von Ihm kann ich weder mit Nutzen schreiben, noch kann jemand mit Nutzen das Geschriebene lesen. Wenn ein Christ die Abhängigkeit vom Herrn verliert, wird er von Satan im Kampf geschlagen werden. Aber wir sollten nicht nur nicht von Satan geschlagen werden, sondern wir sollten über ihn die Oberhand gewinnen. Ob wir nun Seelen für Christum gewinnen, oder für uns selbst Fortschritte in der Erkenntnis, in Heiligkeit und Liebe machen, in jedem Falle rauben wir Satan ein Stück von seiner Habe. Wir sind befreit aus der Gewalt der Finsternis und versetzt in das Reich des geliebten Sohnes Gottes. So wie Satan nun von meinem Herzen Besitz ergreift durch meine Unkenntnis über Gott, so bedeutet jeder Schritt, den ich in der Erkenntnis Gottes mache, einen Gewinn der Habe Satans. Weiterhin benutzt Satan unser Fleisch. Wenn ich daher das Fleisch töte und es im Tode halte, so gewinne ich gIeichfalls Satan Boden ab. Aber jedes Stückchen Boden, jede Spur von Erkenntnis muss unter Kampf gewonnen werden.- In diesem Kampfe sind wir unmittelbar und stündlich auf die Abhängigkeit von Gott angewiesen.
Gott hielt Amalek nicht von dem Wege fern, den Israel zu ziehen hatte. Sie mussten mit ihm kämpfen, und so ist es mit uns. „Und Mose sprach zu Josua: Erwähle uns Männer und ziehe aus, streite wider Amalek; morgen will ich auf dem Gipfel des Hügels stehen, mit dem Stabe Gottes in meiner Hand“ (V. 9). Das lautet ganz anders als die Botschaft im 14. Kapitel: „Jehova wird für euch streiten, und ihr werdet stille sein“. 
Was hatte Jehova einst betreffs Israels zu Mose gesagt? „Ich bin herabgekommen, um es aus der Hand der Ägypter zu erretten und es aus diesem Lande hinaufzuführen in ein gutes und geräumiges Land“ (Kap. 3, 8). Und wohin sahen sich die Israeliten jetzt gebracht? In die Wüste, um nach Wasser zu dürften und mit Amalek zu streiten! Darauf hatten sie nicht gerechnet. (V. 3.) So ergeht es den Heiligen Gottes manchmal. „Nachdem sie zuerst frohlockend und. triumphierend gesungen haben in  der Befreiung aus der Macht Satans, müssen sie hinterher zu ihrem Erstaunen sehen, dass sie sich nicht in Kanaan, sondern in der Wüste befinden. Jeremia hatte eine Zeit, wo die Worte Jehovas ihm zur Wonne und zur Freude des Herzens waren (Jer. 15, 16); hernach aber war er so entmutigt, dass er ausrief: „Jehova, du hast mich beredet, und ich habe mich bereden lassen; du hast mich ergriffen und überwältigt. Ich bin zum Gelächter geworden den ganzen Tag, jeder spottet meiner. Denn so oft ich rede, muss ich schreien, Gewalttat und Zerstörung rufen; denn das Wort Jehovas ist mir zur Verhöhnung und zum Spott geworden den ganzen Tag. Und spreche ich: Ich will ihn nicht mehr erwähnen, noch in seinem Namen reden usw.“ (Jer. 20.) Wenn der Gläubige mit den Schwierigkeiten des Weges beschäftigt ist, kommt er in Gefahr, das Ende aus dem Auge zu verlieren, wo Fülle von Freude und Segnung seiner wartet. Der Herr aber möchte alles entfernen, was unserer Segnung im Wege steht und was uns daran hindert, unsere Herzen und Hoffnungen auf das Ende zu richten und demütig zu bleiben. 
Während Mose *), Aaron und Hur auf den Gipfel des Hügels steigen, streitet Israel unten in der Ebene unter Josuas Führung wider Amalek. (V. 10.) Sie kämpften den Kampf Jehovas. Aber selbst das war noch nicht genug, Gott selbst musste Seine Hand ausstrecken, um ihnen zu helfen. Sonst „hätte Amalek die Oberhand“ gehabt. Israel hätte Überlegungen anstellen können über die beste Art des Angriffs, über die Macht des Feindes und tausend andere Dinge, aber schließlich hing ihr Erfolg einzig und allein davon ab, dass Moses Hände erhoben waren. Es ist nicht so leicht für uns zu erkennen, dass wir und Satan gleich Null sind, und dass Gott alles ist. Aber in dem Augenblick, da wir aus dem Abhängigkeitsverhältnis von Gott heraustreten, erkennen wir, wie schwach wir sind. Andererseits liegt ein unendlich großer Trost darin, dass unter allen Umständen durch das Hohepriestertum und die Gerechtigkeit des Herrn Jesus der Segen uns wirklich erhalten bleibt, und zwar „bis die Sonne untergeht“. „Und es geschah, wenn Mose seine Hand erhob, so hatte Israel die Oberhand, und wenn er seine Hand ruhen ließ, so hatte Amalek die Oberhand. Und die Hände Moses wurden schwer. Da nahmen sie einen Stein und legten denselben unter ihn, und er setzte sieh darauf; und Aaron und Hur unterstützten seine Hände, hier einer und dort einer; und so waren seine Hände fest, bis die Sonne unterging“ (V. 11. 12.) Die Feinde sind wie nichts, wenn Israel die Kraft Gottes zur Seite hat. Der Tag ist gewonnen. „Und Josua streckte Amalek und sein Volk nieder mit der Schärfe des Schwertes“ (V. 13). 
„Und Jehova sprach zu Mose: Schreibe dieses zum Gedächtnis in ein Buch, und lege in die Ohren Josuas, dass ich das Gedächtnis Amaleks gänzlich unter dem Himmel austilgen werde. Und Mose baute einen Altar und gab ihm den Namen: Jehova, mein Panier! Und er sprach: Denn die Hand ist am Throne Jahs: Krieg hat Jehova wider Amalek von Geschlecht zu Geschlecht!“ (V. 14 — 16). Manche von uns mögen wohl schon bei der· Wahrnehmung, wie nötig die Abhängigkeit vom Herrn ist, gedacht haben, dass  in entscheidender Sieg über Satan alles beendigen werde. Aber das ist ein großer Irrtum. Wohl sind wir in Sicherheit, und der Sieg ist uns verheißen., solang wir in jener Abhängigkeit bleiben, aber davon, dass der Kampf während unserer Wüstenreise aufhören werde, wird uns nichts gesagt. Gott hat verheißen, dass Er »in kurzem den Satan unter unsere Füße zertreten werde«, so wie Er Israel verhieß, „das Gedächtnis Amaleks gänzlich unter dem Himmel austilgen“ zu wollen; aber vorläufig gilt noch das Wort: „Krieg hat Jehova wider Amalek von Geschlecht zu Geschlecht!“ Bis Christus kommt, wo dann Satan gebunden und das volle Ergebnis des Sieges geschaut werden wird, müssen wir auf Kampf rechnen (nicht auf die Knechtschaft des Pharao, sondern auf Krieg mit Amalek), aber bei diesem Kampf dürfen wir das tröstliche Bewusstsein festhalten, dass Jehova es ist, der Krieg hat, freilich durch die Hand Israels, und deswegen muss Israel kämpfen. Es ist des Herrn Kampf wider Satan, das ist unser Trost, aber es ist doch ein Kampf; den wir zu führen haben. Auf diese Weise werden wir in dem Stande einer nie endenden Abhängigkeit erhalten. Ich wiederhole: Sobald Israel diese Abhängigkeit vergaß, zog es den kürzeren. 
Fassen wir das Betrachtete noch« einmal kurz zusammen: Handelt es sich um Satans Anklagen, so bildet das Blut· an den Türpfosten die ewig gültige Antwort auf sie. 
Denken wir an das Geknechtetsein unter Satan, so hat der Herr Jesus uns» davon befreit. Wir haben gleichsam als Lebende an der anderen Seite des Roten Meeres gestanden, und wir werden den Pharao und seine Heeresmacht „hinfort nicht mehr sehen ewiglich“.
Und was schließlich die Wüste angeht, so finden wir in ihr Gnade, Kampf und den Krieg Jehovas wider Amalek von Geschlecht zu Geschlecht.
Wir« müssen von Stunde zu Stunde in einem Verhältnis der Abhängigkeit verharren, dürfen dabei aber auf die stete Gnade und Hilfe Gottes rechnen. Weder Segnung noch Freude noch Trost sind da möglich, wo diese Abhängigkeit vom Herrn nicht geübt wird. Um im Kampfe zu siegen, genügt es nicht, auf des Herrn Seite zu stehen. Allezeit, sei es beim Gebet, beim Verkündigen des Wortes oder wo es sonst sein mag, hat das Fleisch die Neigung, aus der Abhängigkeit von Gott herauszutreten. Wir mögen deshalb in unserem Gebet oder im Zeugnis ganz richtige Dinge vorbringen, verwirklichen wir aber nicht unsere Abhängigkeit vom Herrn, so wird uns Seine Kraft im Kampfe fehlen. Der Herr muss uns dann auf schmerzliche Weise, durch Schwachheit, Misserfolge und Niederlagen, unsere Abhängigkeit von Ihm lernen lassen, weil wir sie in der Freude und dem Vertrauen der Gemeinschaft mit Ihm nicht lernen wollten. 
In dem vorliegenden Kapitel führt der Sieg zur Anbetung. „Und Mose baute einen Altar und gab ihm den Namen: Jehova, mein Panier!« So muss es stets fein; denn wenn der Sieg nicht zur Anbetung führt, gibt es eine Trennung zwischen Gott und uns, sobald der Sieg errungen ist. Wie betrübend ist deshalb die Beobachtung, dass der Sieg so manchmal nur Freude in uns hervorruft, anstatt größere Abhängigkeit von« Gott bei uns zu bewirken!
Möchten wir denn auf all den Pfaden der Wunderwege unseres Gottes mehr und mehr in die Tiefen Seiner göttlichen Liebe eindringen! 

Fußnoten:
*) Mose hatte „den Stab Gottes“ in der Hand, das Sinnbild der Macht Gottes, welche die Niederlage und die Vernichtung des Pharao bewirkt hatte. 

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Bosheit und Verblendung

Bibelstelle: Johannes 19,31

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 218ff

„Die Juden nun baten den Pilatus, damit die Leiber nicht am Sabbat am Kreuze blieben, weil es Rüsttag war, (denn der Tag jenes Sabbats war groß), das; ihre Beine gebrochen, und sie abgenommen werden möchten“ (Joh. 19, 31).
Wie verblendet ist der gefallene Mensch! Sich durch seine Werke vor Gott angenehm zu machen, ist sein beständiges Bestreben. Israel hatte das Gesetz übertreten und war schuldig — was nützten da alle seine Anstrengungen? Das Gesetz brachte das Urteil des Todes· Nichtsdestoweniger aber eiferten die Juden für das Gesetz, als ob es möglich gewesen wäre, dadurch noch etwas zu erlangen - geradeso wie es Tausende in unseren Tagen tun, in der Meinung, ein strenges Beobachten religiöser Pflichten habe Wert vor Gott. Ja, gerade der Mensch, der in religiösen Übungen sein Heil sucht, ist durch seine vermeintlich guten Werke so verblendet, dass er oft einer ganz besonders großen Gnade bedarf, um sich als verlorener Sünder kennen zu lernen. Nicht selten ist auch seine Feindschaft gegen jemand, der den Weg des Heils in Wahrheit wandelt, so groß, dass er sich in seinem blinden, gesetzlichen Eifer gegen Gott auflehnt. So erblicken wir in dem Apostel Paulus, der nach der Gerechtigkeit, die im Gesetz ist, tadellos war, einen bitteren Verfolger Jesu.
In der oben angeführten Stelle bereiten sich die Juden vor, den Sabbat zu feiern. Die Gekreuzigten während des Sabbats am Kreuz hangen zu lassen, war wider das Gesetz, und in ihrem Eifer für das Gesetz wollten sie lieber die Beine Jesu als das Gesetz brechen. Ihre Feindschaft hatte Den ans Kreuz gebracht, der der Herr des Sabbats war, der Mensch geworden, um für, Sünder zu sterben, und der, nachdem Er das ganze Gesetz erfüllt, den Fluch des Gesetzes auf sich genommen hatte. Aus Feindschaft gegen Gott waren sie bereit, Seinen Tod zu beschleunigen, nur damit das Gesetz nicht gebrochen wurde. 
Hier sehen wir den gefallenen Menschen ohne Licht von oben. Voll Hass tötet er Den, der das Gesetz gegeben hat, und um das Gesetz nicht zu brechen, will er Dem die Beine brechen, der das Gesetz gegeben und erfüllt hat. Er stößt in seiner Bosheit Den von sich, der ihn retten will, und sucht in seiner Verblendung Rettung in einem Werk, das nicht zu retten vermag. Er macht sich-ein Gewissen daraus, den Gekreuzigten während des Sabbats am Fluchholz hangen zu lassen, aber er kann ohne Scham und Gewissensbisse ausrufen: „Kreuzige, kreuzige Ihn!“ Welch ein Abgrund, von Bosheit und Verblendung!

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Am ersten Wochentage

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 219ff

Es war am Tage der Auferstehung unseres Herrn, des größten Sieges- und Triumphtages, der je auf Erden angebrochen ist, als eine kleine Zahl von Männern im geheimen versammelt war. Wohl fast unwillkürlich hatten sie sich zusammengefunden, diese Jünger Jesu. Die Furcht vor den Juden ließ sie die Türen verschließen, denn die wahren Bekenner begannen bereits zu fühlen, dass ihre Interessen unvereinbar waren mit denen der Anhänger eines rein äußerlichen Religionsbekenntnisses. Schmach und Verfolgung standen ihnen bevor. 
In den stillen Abendstunden konnten sie sich endlich frei und ruhig über das wunderbare Ereignis des Tages aussprechen. Der Herr war auferstanden! Er war gesehen worden und hatte ihnen bereits eine unbegreiflich kostbare Botschaft gesandt. 
Plötzlich stand Jesus in ihrer Mitte. Der Auferstandene erschien im Kreise der Seinigen. O es war derselbe Jesus, den sie gekannt und geliebt hatten. Er hatte Fleisch und Bein. Die Zeichen der Kreuzigung waren deutlich an Ihm sichtbar., Aber wenn Er auch derselbe war, wie sehr war doch alles an Ihm verändert! Er war der Überwinder —von Tod und Grab. Der Vater hatte Ihn aus den Toten auferweckt. Sein Leib war nicht mehr den Mühsalen und Schwachheiten des menschlichen Lebens unterworfen. Er hatte einen verherrlichten Leib. Ohne durch die geschlossenen Türen verhindert zu werden, stand Er plötzlich in der Mitte Seiner Jünger. Acht Tage später wiederholte sich dasselbe wunderbare Ereignis. Wiederum waren die Jünger am ersten Tage der Woche hinter verschlossenen Türen versammelt, diesmal auch Thomas unter ihnen, der das erste Mal nicht zugegen gewesen war. Wie gut können wir uns in die Gefühle der Jünger hineindenken! Was mussten sie, die ängstlichen, zagenden Seelen, empfinden, als Der, den ihre Seele liebte, und dessen Macht und Herrlichkeit sie kannten, so plötzlich unter sie trat! Wie herrlich erscheint uns dies alles, besonders wenn wir uns vergegenwärtigen, dass, wie der Herr damals persönlich in der Mitte Seiner· Jünger erschien, Er jetzt im Geist in unsere Mitte tritt, wenn wir uns in Seinem Namen versammeln! Zweimal, und zwar jedes Mal am ersten Tage der Woche, trat Er in den Kreis der Seinigen. Es war der Tag der Auferstehung, der Tag des neuen Lebens. Das Alte war vergangen. Alles war neu geworden. 
Auf diese Weise hat der Herr den ersten Wochentag selbst geweiht als den Tag der Zusammenkunft für die Seinigen. Die erste Versammlung oder Gemeinde hat dies gut begriffen, denn, wie wir lesen, versammelten sich die Gläubigen am ersten Tag der Woche, um das Brot zu brechen. In der Offenbarung wird dieser Tag der „Tag des Herrn“ genannt. Wie bedeutungsvoll ist dies alles für uns! Wenn wir uns am ersten Wochentage im Namen Jesu versammeln, folgen wir dem Beispiel unseres Herrn und der ersten Jüngers. Dann kommt Jesus in unsere Mitte, um uns zu segnen. Freilich sehen wir Ihn nicht, wie die Jünger Ihn an den beiden ersten Sonntagen sahen. Er ist jetzt verherrlicht und -sitzt zur Rechten Gottes, aber dennoch ist Er ebenso gewiss in unserer Mitte wie damals in der Mitte Seiner Jünger. Das Auge des Glaubens schaut Ihn. Und damit wir nicht etwa denken möchten, dass wir uns eines geringeren Vorrechts zu erfreuen hätten als die Jünger, sagt Er: „Glückselig sind, die nicht gesehen und geglaubt haben!“ So wie Thomas den Herrn sah und betastete, können wir Ihn mit unseren Sinnen nicht wahrnehmen. Allein das vermindert unsere Freude in keiner Weise. Obgleich wir Ihn nicht sehen, „frohlocken wir, an Ihn glaubend, mit „unaussprechlicher und verherrlichter Freude“. (1. Petr. 1, 8.) Ja, wir, die wir nicht sehen und doch glauben, werden von dem Herrn selbst glückselig gepriesen. Wie wichtig ist es daher, am ersten Wochentag in der Mitte der Geliebten des Herrn zu sein! Dort begegnet man dem Herrn, und wie· vieles entbehrt man, wenn man eine solch feierliche Gelegenheit versäumt! Thomas blieb acht Tage länger in Furcht und Zweifel, weil er am ersten Sonntag abwesend gewesen war. Wie gern möchte der Herr uns segnen, wie gern unsere Herzen erquicken! Möchte es doch stets unsere Freude sein, uns von Ihm segnen zu lassen! 
Herrliches durften die Jünger am ersten Wochentage von ihrem Herrn empfangen. Jesus trat in ihre Mitte, und was sagte Er ihnen? Tadelte Er sie wegen ihrer Feigheit und Untreue? Alle hatten sie Ihn ja in der Stunde der Gefahr verlassen und waren geflohen. Aber kein Wort des Tadels kommt über Seine Lippen. Er schilt sie nicht wegen ihres Verhaltens. „Friede euch!“ tönt es ihnen entgegen. So hatte Er noch nie zu ihnen gesprochen. Zwar lesen wir schon. in Joh. 14, 27 etwas von Frieden, aber wie anders waren damals die Verhältnisse! Damals hatte der Herr sich im Geist an das Ende des vollbrachten Erlösungswerkes versetzt. Hier aber erscheint Er als Versöhner, als Erlöser vom Gericht und vom ewigen Verderben, als Sieger über Tod, Grab und Hölle in der Mitte der Seinigen. Der Friede ist gemacht, und Er, der Friedefürst selbst, erscheint, um ihnen den Frieden zu verkündigen. Jetzt stand nichts mehr zwischen ihnen und Gott. Alles Trennende und Hindernde war hinweggetan. Alles war in Ordnung. Welch eine Freude für die Jünger! Als sie dies einmal verstanden hatten, und als ihre Herzen für die herrlichen Dinge« geöffnet worden waren, da wurden sie voller Freude. Selbst als der Herr bei der Himmelfahrt ihren Blicken entschwand, kehrten sie, Gott lobend und preisend, mit großer Freude nach Jerusalem zurück. Waren sie nicht lange vorher noch bestürzt und beunruhigt gewesen, als Er nur von Seinem Weggehen gesprochen hatte, so konnten sie sich jetzt von Herzen freuen, weil sie den Zweck Seines Werkes und Seines Hingehens zum Vater verstanden hatten. 
Nachdem der Herr den Jüngern Sein „Friede euch!“ zugerufen hatte, zeigte Er ihnen Seine Hände und Seine Seite. Er wollte sie verstehen lassen, dass Er ihnen jenes Wort deshalb zurufen konnte, weil Er für sie am Kreuz- gestorben war. Der Friede war gemacht, aber um welchen Preis! Er hatte Ihn das Leben gekostet. Das sollten sie verstehen und in ihren Herzen erwägen. 
Tut nicht der Herr das gleiche, wenn Er am ersten Wochentage in unserer Mitte «erscheint? Was erblicken wir auf Seinem Tisch, den Er uns selbst zubereitet hat? Die Sinnbilder Seines Leidens und Sterbens. „Der Kelch der Segnung, den wir segnen, ist er nicht die Gemeinschaft des Blutes des Christus? Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes des Christus?“ Ja, so wie der Herr persönlich in dem Kreise Seiner Jünger erschien und ihnen die Nägelmale in Seinen Händen und Seine Seite zeigte, so tritt Er jetzt in unsere Mitte und zeigt uns in dem Brot und dem Kelch, dass Er für uns Seinen Leib hingab und Sein kostbares Blut fließen ließ. Und dabei ruft Er uns zu: „Seht, alles habe ich« für euch vollbracht. Ich habe eure Sünden hinweggenommen und euch mit Gott versöhnt. Friede euch!“ Also hat Er uns geliebt, dass Er für uns in den Tod am Kreuze ging. Um uns den Frieden schenken und uns als Seine Friedensboten gebrauchen zu können, war Er im Gericht. Um uns für ewig in die Gemeinschaft Gottes zu bringen, ward Er von Gott verlassen. Welch eine Sicherheit für unsere Herzen! Er, der das Werk vollbracht und Frieden gemacht hat, kommt selbst in unsere Mitte, um uns zu versichern, dass alles in Ordnung ist. Ja, da brauchen wir fürwahr nicht mehr zu zweifeln. Da dürfen wir mit Recht voller Freude sein, dürfen und können Gott loben und preisen. Der auferstandene und verherrlichte Jesus selbst erscheint in unserer Mitte, um uns die köstliche Versicherung zu geben, dass mir für ewig erlöst sind.

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Aus einem alten Liede

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 224

Wohnt in euch der Geist der Liebe
und der Geist der Zucht und Kraft?
Fühlt ihr Seine sanften Triebe,
dringt in euch Sein Lebenssaft?
Macht Er euch den Bäumen gleich,
die an guten Früchten reich, 
die zum Heil des Nächsten dienen,
deren Blätter immer grünen?

Sind euch Christi Lebensworte
und Gebote lieb und leicht?
Tut ihr sie an jedem Orte
nach der Kraft. die Er euch reicht?
Habt ihr Gottes Kinder lieb?
lässet ein geheimer Trieb
sich in eurer Brust empfinden,
Euch mit ihnen zu verbinden?

Ist die Sünde euer Meister?
Oder herrscht ihr über sie?
Reißen euch die bösen Geister
mit geringer, leichter Müh’
zu verbotenen Dingen hin? 
Herrscht die Welt in eurem Sinn?
Lasst ihr euch von ihr bekriegen?
Oder könnt ihr sie besiegen?

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Die Sprüche

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 225ff

Das Buch der Sprüche schildert uns die Anwendung jener Weisheit, die einst Himmel und Erde erschuf, auf die Einzelheiten des täglichen Lebens in einer Welt der Verwirrung und des Bösen. Diese Erwägung lenkt sofort unseren Blick auf die unermessliche Größe der hier entfalteten Gnade. Gott lässt sich herab, Seine Weisheit auf die Umstände unseres praktischen Lebens anzuwenden und uns nach Seiner vollkommenen Einsicht die Folgen all der Wege zu zeigen, auf denen der Mensch wandeln mag. Denn die in diesem Buche niedergelegten Aussprüche werden oft in einer Weise gegeben, dass sie mehr Erkenntnis und Wissen als Vorschriften darstellen. Es ist ein großer Segen, in dem Labyrinth dieser Welt, wo ein verkehrter Schritt so bittere Folgen nach sich ziehen kann, ein Buch zu besitzen, das den Pfad der Klugheit und des Lebens anzeigt, und das dies tut in Verbindung mit einer von Gott kommenden Weisheit. 
Beachten wir also von vornherein, dass das Buch der Sprüche von dieser Welt handelt, und zugleich von der Regierung Gottes, nach welcher der Mensch erntet was er gesät hat. Dieser Grundsatz bleibt immer wahr, mag auch eine unumschränkte Gnade uns Dinge schenken, die jenseits dieser Welt liegen und unendlich über sie erhaben sind. 
Salomo war erfüllt mit Weisheit von oben, die aber in dieser Welt zur Ausübung kam und auf sie ihre Anwendung fand, d. h. die Gottes Art, alle Dinge zu betrachten, auf sie anwandte, indem sie Tag für Tag alles, was sich in ihr entwickelte, so erfasste, wie es wirklich ist. So finden wir in unserem Buch die Wege Gottes, den göttlichen Pfad für das Verhalten des Menschen, sowie das Erkennen dessen, was im menschlichen Herzen aufsteigt, und der Folgen, die daraus hervorgehen. Zugleich gibt es dem, der dem Worte unterworfen ist, das Mittel an die Hand, um den Pfad seines eigenen Willens und
seines törichten Herzens zu vermeiden, welches unfähig ist, die Tragweite einer Menge von Handlungen zu verstehen, die es ihm eingibt; und zwar geschieht dies nicht dadurch, dass der Mensch zu sittlicher Vollkommenheit zurückgeführt wird — denn das ist nicht der Zweck der Sprüche — sondern zu jener Weisheit und Klugheit, welche ihn befähigen, manchen Fehler zu vermeiden und einen ernsten Wandel vor Gott zu führen in gewohnheitsmäßiger Unterwerfung unter Seine Gedanken. Die Vorschriften dieses Buches führen zu praktischer Glückseligkeit in dieser Welt, indem sie irdische Beziehungen in ihrer Unversehrtheit Gott gemäß aufrecht halten. Indes sind nicht menschliche Klugheit und Scharfsinn die Dinge, die in diesem Buche anbefohlen werden; es redet vielmehr von der Furcht des Herrn, *) welche der Weisheit Anfang ist.
Das Buch der Sprüche enthält zwei bestimmt unterschiedene Teile: die ersten neun Kapitel stellen die großen allgemeinen Grundsätze dar, während die folgenden, die die eigentlichen Sprüche, Lehr- oder Sinnsprüche, enthalten, den Pfad anzeigen, auf welchem der Weise wandeln sollte. Den Schluss des Buches bildet eine Anzahl von Sprüchen, die Hiskia zusammengetragen hat.
Wenn wir jetzt zur Betrachtung des ersten Teiles übergehen, finden wir als Hauptgrundsatz gleich  im Anfang die Furcht des Herrn auf der einen Seite, und auf der anderen die Unvernunft des eigenen Willens, der die Weisheit und Unterweisung, die ihn im Zaume halten wollen, verachtet. Denn außer der Erkenntnis des Guten und Bösen, hinsichtlich derer die Furcht des Herrn stets wirken wird, gibt es nach der von Gott geschaffenen Ordnung eine Ausübung von Autorität, die den Willen (die Quelle aller Unordnung) zügeln soll, wie z. B. die Autorität der Eltern und dergleichen. Und hierauf wird, im Gegensatz zur Unabhängigkeit, sorgfältig bestanden, als der Grundlage des Glückes und der sittlichen Ordnung in der Welt. Nicht dass Gott in unserem Buche nach Seiner Machtvollkommenheit einfach Vorschriften gäbe, oder über die Folgen der Handlungen des Menschen redete, nein, es handelt sich um die Ordnung, die Er für die Beziehungen der Menschen zu- und untereinander festgestellt hat, vor allem um das Verhältnis der Kinder zu den Eltern. Durch die Unterwürfigkeit der Kinder unter die Eltern wird wirklich Gott in Seiner Ordnung anerkannt. „Ehre deinen Vater und deine Mutter“ ist das erste Gebot, das Verheißung hat (2. Mose 20, 12; Eph. 6, 1 — 3). Es gibt zwei Formen, in denen sich die Sünde oder die Tätigkeit des menschlichen Willens kundgibt: Gewalttat und sittliches Verderben. Das zeigte- sich schon zur Zeit der großen Flut. Wir lesen in 1. Mose 6, 11: „Die Erde war verderbt vor Gott, und die Erde war voll Gewalttat. So ist auch Satan ein Lügner und ein Mörder. Im Menschen bilden die verdorbenen Lüste sogar die ergiebigste Quelle des Bösen. 
In Kapitel 1 wird auf die Gewalttat als die Verletzung jener Verpflichtungen hingewiesen, welche der
Wille Gottes uns auferlegt hat. Doch die Weisheit schreit draußen, sie ruft laut, damit man ihre Stimme höre, wenn sie das Gericht derer ankündigt, die ihre Wege verachten. 
Kapitel 2 zeigt uns das Ergebnis der Unterwürfigkeit des Herzens unter die Worte der Weisheit und die Folgen eines ernsten Suchens nach ihr: man lernt die Furcht Jehovas verstehen und findet die Erkenntnis Gottes selbst. (V. 5.) Wer sich dieser Dinge befleißigt, wird bewahrt werden: er wird nicht nur kein Teil haben mit dem bösen Manne, sondern auch errettet werden von dem verführerischen Weibe — von dem sittlichen Verderben. Schließlich wird das Gericht· über die Erde angekündigt und die Wohlfahrt der Aufrichtigen und Gerechten.
Nach Feststellung des letztgenannten Grundsatzes zeigt Kapitel 3, dass nicht der Scharfsinn oder die Klugheit  des Menschen die Weisheit mitteilt, von der hier die Rede ist, ebenso wenig wie das heiße Verlangen nach Gedeihen und Glück, welches sich in krummen Wegen kundgibt; nein, nur die Furcht Jehovas und die Unterwerfung unter Sein Wort geben uns den Faden in die Hand, an welchem wir uns durch die verschlungenen Irrwege einer Welt der Bosheit, über der Gott lenkend steht, sicher hindurchfinden können.
Kapitel 4 besteht auf der Notwendigkeit, um jeden Preis der Weisheit nachzujagen; sie ist ein Pfad sicherer Belohnung. Zugleich warnt es vor jeder Verbindung, die auf den entgegengesetzten Weg und ins Verderben führen würde. Es endet mit dem Hinweis darauf, dass Herz, Lippen und Füße behütet werden müssen.
Kapitel 5 kommt im Einzelnen auf die Verdorbenheit des menschlichen Herzens zurück, die einen Mann da- hin bringt, das Weib seiner Jugend um einer anderen willen zu verlassen. Ein solcher Weg entsittlicht den ganzen Menschen. Aber, mag es auch zuweilen anders scheinen, Jehovas Augen sind auf die Wege des Menschen gerichtet. (V. 21).
Kapitel 6 sagt uns, dass die Weisheit nicht für einen anderen Bürgschaft leistet. Auch ist sie weder faul, noch gewalttätig, noch betrügerisch. Aber das fremde Weib, vor ihm sollte man fliehen wie vor Feuer; es gibt keine Sühne, keine Genugtuung für den Ehebruch. 
Kapitel 7. —— Das Haus des fremden Weibes ist der Weg zum Grabe. Sich selbst zügeln, den Verlockungen festen Widerstand leisten, auf Jehova schauen und auf die Worte der Weisen horchen — das sind Grundsätze des Lebens, die in diesem Kapitel vorgestellt werden.
Kapitel 8. — Die Weisheit Gottes ist tätig. Sie ruft laut, sie ladet die Menschen ein. Drei Grundsätze kennzeichnen sie: Besonnenheit oder Einsicht, d. i. die richtige Erwägung der Umstände, anstatt dem Eigenwillen zu folgen; Hass gegen das Böse, der ein Beweis der Furcht Jehovas ist, und Abscheu gegen den Stolz und die Heuchelei im Menschen. Durch die Weisheit regieren Könige und Fürsten; Stärke, Rat, Einsicht und bleibende Reichtümer werden in ihr gefunden. Zudem hat Jehova selbst nach Seiner eigenen vollkommenen Kenntnis der richtigen Beziehungen aller Dinge zueinander gehandelt, das heißt. Er hat sie nach der Vollkommenheit Seiner eigenen Gedanken erschaffen. Doch dies führt uns weiter, denn Christus ist Gottes Weisheit. Er ist der Mittelpunkt aller jener Beziehungen und Verhältnisse gemäß der Vollkommenheit Gottes; und Er ist in sich selbst der Gegenstand des ewigen Wohlgefallens Gottes. Die ewige, nie endende Weisheit Gottes ist in Ihm geoffenbart und entfaltet worden.
Aber es gibt noch andere Verbindungen. Wenn Christus der Gegenstand der Wonne Gottes des Vaters war, als Mittelpunkt und Fülle aller Weisheit, so sind die Menschen und die bewohnten Teile der Erde Jehovas Christi Wonne gewesen. Wird Christus betrachtet als Der, welcher jeden Zug der Weisheit und der Ratschlüsse Gottes in sich vereinigt und enthüllt, so wird Er in Verbindung mit den Menschen gesehen. Das Leben, das in Ihm war, war das Licht der Menschen. So ist denn Christus der Gegenstand der Wonne Gottes des Vaters, und wiederum fand Christus von jeher Seine Freude in Gott dem Vater, und Seine Wonne war bei den Menschenkindern **) und auf der von Menschen bewohnten Erde. Daher musste hier Seine Weisheit entfaltet, hier musste die Vollkommenheit der Wege Gottes gezeigt werden. Und hier muss die göttliche Weisheit die Führerin sein für das Verhalten eines ihrer Leitung unterworfenen Wesens, Nun, in Christo, der Weisheit Gottes, wird dies gefunden. Wer irgend auf Ihn hört, findet das Leben. und erlangt Wohlgefallen von Jehova. 
Man beachte hier, dass, so überaus wichtig diese Offenbarung der Wege Gottes in Verbindung mit dem Menschen auch ist, wir hier doch nicht die neue Stellung des Menschen in Christo, noch die Versammlung (Gemeinde) finden. Sie wird aus dem gegenwärtigen bösen Zeitlauf herausgerufen, um Jesu im Himmel anzugehören. Christus kann sich gegenwärtig noch nicht an den Menschenkindern freuen, wenn wir ihren Zustand in Betracht ziehen. Hat Er aber einmal von der Erde Besitz genommen, so wird dies voll und ganz in Erfüllung gehen; mit anderen Worten das Tausendjährige Reich wird kommen. Inzwischen fordert Er die Menschen auf, auf Seine Stimme zu hören. Der Grundsatz, dass es einen Pfad zu verfolgen gibt, den man durch das Horchen auf die Worte der Weisheit erkennen kann, ist von der größten Wichtigkeit für diese Welt und von außerordentlicher Tragweite. Das ist der Pfad Gottes, auf welchem Er gekannt wird. Es gibt nur einen. Wenn wir nicht auf ihm wandeln, so werden wir die Folgen tragen müssen, selbst wenn wir den Herrn wirklich lieben. Tatsächlich, und damit kommen wir zu Kapitel 9, hat die Weisheit jedoch mehr als das getan. Sie hat ein System gebildet, ein Haus für sich gebaut, das durch die Vollkommenheit wohlgeregelter und gleichmäßiger Festigkeit (sieben Säulen) aufrecht gehalten wird. Es ist mit Fleisch und Wein versehen; der Tisch ist gedeckt, und in breitester Öffentlichkeit ladet die Weisheit die Einfältigen ein, zu kommen und teilzunehmen, indem sie ihnen zugleich den rechten Weg bezeichnet, auf welchem das Leben gefunden wird. Die Weisheit erscheint hier unter dem Bilde eines Weibes; aber neben ihr gibt es noch ein anderes Weib. Doch bevor der Geist von ihr redet, belehrt Er uns, dass Zurechtweisung an den Spötter vergeblich verschwendet wird; er wird seinen Tadler nur hassen. Die Weisheit ist weise selbst im Blick auf ihre Feinde. Für den Weisen und den Gerechten« gibt es einen Fortschritt, aber der- Anfang der Weisheit und jedes Fortschreitens in ihr ist die Furcht Jehovas. Das ist gleichsam ihr Fundamentalgrundsatz. 
Indes ist der Spott nicht der einzige Charakterzug des Bösen. Da ist auch das andere Weib, „Frau Torheit“; und ihre Tätigkeit ist nicht die der Liebe, welche das Beste derer sucht, die das Gute nicht kennen. Sie ist leidenschaftlich und sitzt an hochgelegenen Stellen der Stadt, am Eingang ihres Hauses, um solche, die ihre Pfade gerade halten, davon abzulenken und Unverstandige auf die Pfade des Trugs und der Sünde zu locken. Ach, sie wissen nicht, dass die Geladenen jenes bösen Weibes Opfer des Todes sind! 
Soweit die allgemeinen Unterweisungen, die Gottes warnende Weisheit uns gibt.
In den Kapiteln 10 — 30 finden wir ins einzelne gehende Belehrungen für solche, die ein aufmerksames Ohr haben, um die Schlingen, in welche die Einfältigen fallen können, zu vermeiden; zugleich- wird uns für viele Fälle der Pfad gezeigt, den man verfolgen sollte, sowie die Folgen des Tuns der Menschen: mit einem Wort das, was die Weisheit im Einzelnen kennzeichnet, was für den Menschen Klugheit, für die Kinder Gottes göttliche Einsicht genannt werden kann. Daneben finden wir
die Ergebnisse der Regierung Gottes, welcherlei Erscheinungen auch für den Augenblick da sein mögen· Es ist gut, daran zu denken, dass es sich in diesem Buche nicht um Erlösung oder Versöhnung handelt; es stellt uns einen Wandel dar, welcher der Weisheit der Regierung Gottes entspricht. 
Das letzte Kapitel schildert den der Weisheit entsprechenden Charakter eines Königs und das was ein
wackeres Weib in ihrem Hause kennzeichnet. Der König erlaubt  sich nichts von dem, was infolge der Befriedigung seiner Lüste sein sittliches Unterscheidungsvermögen verdunkeln und ihn dadurch zur Regierung unfähig machen würde. Bei dem Weibe sehen wir den ausdauernden und hingebenden Fleiß, der das Haus mit Gütern füllt, seinen Bewohnern Ehre bringt und all die Sorgen und Kümmernisse beseitigt, welche durch Faulheit hervorgebracht werden. Die bildliche Bedeutung dieser beiden besonderen Charaktere ist so offenkundig, dass sie einer weiteren Erklärung kaum bedürfen. Das Beispiel des Weibes ist, was den Geist der Sache betrifft, von großem Nutzen für jemand, der in der Versammlung tätig ist. 
Obwohl in diesem Buche die durch die Furcht Jehovas erzeugte Weisheit nur auf diese Welt angewandt wird, ist es doch gerade aus diesem Grunde von großem Nutzen für den Christen, der in Anbetracht seiner himmlischen Vorrechte mehr oder weniger die fortwährende Regierung Gottes vergessen könnte. Es ist für den Christen sehr wichtig, der Furcht Jehovas und der Wirkung der Gegenwart Gottes auf die Einzelheiten seines Verhaltens stets eingedenk zu sein. Und ich wiederhole, was ich im Anfang sagte, dass es eine große Gnade ist, wenn Gott sich herablässt, die göttliche Weisheit anzuwenden auf all die Einzelheiten des menschlichen Lebens inmitten der Verwirrung, welche durch die Sünde ein- geführt worden ist. Beschäftigt mit himmlischen Dingen, ist der Christ weniger imstande, durch eigene Erfahrung den Faden zu finden, der ihn durch das Labyrinth des ihn umringenden Bösen hindurchleiten kann. Gott hat daran gedacht und hat als ersten Grundsatz für uns niedergelegt, „weise zu sein zum Guten und einfältig zum Bösen“. So mag ein Christ das Böse nicht kennen (wenn das bei einem Weltmenschen so wäre, würde er hineinfallen), und es doch durch seine Kenntnis des Guten vermeiden. Die Weisheit Gottes gibt ihm diese Kenntnis, und die Regierung Gottes trägt Vorsorge für alles übrige. Nun, in den Sprüchen finden wir diese Dinge grundsätzlich und auf Einzelheiten angewandt. Ich habe mich nicht weiter bei dem bildlichen Charakter der Formen des Bösen aufgehalten; sie sind mehr Grundsätze als bildliche Darstellungen. Dem gewalttätigen Menschen der letzten Tage begegnen wir beständig in den Psalmen, und Babylon ist die volle Verwirklichung des Weibes, das die Einfältigen in ihre Schlingen zieht und sie zum Tode hinabführt; gerade so wie Christus die vollkommene Weisheit Gottes ist, die zum Leben führt. Doch diese beiden Dinge, die das Böse offenbaren (Gewalttat und sittliches Verderben), kommen zu allen Zeiten seit dem Sündenfall aus dem Herzen des Menschen hervor; nur haben wir gesehen, dass es eine tätige Entfaltung der Listen des bösen Weibes gibt, die ihr eigenes Haus besitzt und ihre eigenen Vorbereitungen trifft. Es ist nichteinfach dem Grundsatz nach sittliches Verderben vorhanden, sondern es ist ein geordnetes System daraus geworden, ähnlich wie es bei der Weisheit der Fall ist.

Fußnote:
*) So übersetzen Luther und andere; in Wirklichkeit steht „Jehova“ im Text. Ich möchte aber hier den Titel „Herr“ lassen wegen seiner allgemeinen Anwendbarkeit. In Israel und in den Wegen der göttlichen Regierung ist der Name Gottes fast immer Jehova. Nur in einigen wenigen Fällen steht Adonai = Herr, in dem eigentlichen Sinne dieses Wortes. Zu beachten ist jedoch, dass in den Sprüchen stets der Name „Jehova“ gebraucht wird, weil sie mit Autorität solche unterweisen, die in einer gekannten Beziehung zu Gott stehen. Im „Prediger“ ist das nicht der Fall. Dort haben wir „Gott“ im Gegensatz zu dem Menschen, der als solcher seine eigenen Erfahrungen auf der Erde macht. Der Name „Gott“, in abstraktem Sinne gebraucht, kommt in den Sprüchen nur einmal vor (Kap. 25, 2); und einmal (Kap. 2, 17) heißt es „ihr Gott“.
**) So wurde Er ein Mensch, und das neidlose Zeugnis der Engel bei Seiner Geburt lautete: „Herrlichkeit Gott in der Höhe und Friede auf Erden, an den Menschen ein Wohlgefallen!“ Der Mensch wollte Ihn nicht, und so wurde die besondere Beziehung zu Ihm, dem auserstandenen und verherrlichten Menschen bei Gott, gebildet, welche sich in den Worten: „mein Vater und euer Vater, mein Gott und euer Gott“ ausdrückt, sowie die Beziehung der Versammlung (Gemeinde) zu Ihm, ihrem Haupte. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass Seine Wonne an dem Menschengeschlecht war. Vorläufig war und ist nicht Friede auf Erden, sondern Spaltung, Unfriede. Aber das wird anders werden, und selbst nach dem Tausendjährigen Reiche wird die Hütte Gottes bei den Menschen sein, wo dann beides gefunden werden wird, jene besondere Beziehung und die allgemeine Segnung der Menschen: Gott wird in Seiner Hütte (dem neuen Jerusalem) bei den Menschen der neuen Erde wohnen (Offbg. 21, 1 -—  4).

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Nahe am Ziel

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 235ff

Es ist schon einmal auf die auffallende Erscheinung hingewiesen worden *), dass Gläubige, welche die kostbare Wahrheit von der Wiederkunft Christi zur Aufnahme der Seinigen vor den Gerichten angenommen und selbst mit dankbarer Freude Verkündigt hatten, diese Wahrheit nicht nur wieder aufgegeben haben, sondern auch durch Wort und Schrift gegen ihre Brüder zu Felde ziehen, die noch an ihr festhalten. Man spricht heute sogar von Spitzfindigkeiten und Winkelzügen, nennt die Lehre selbst eine „Irrlehre“ und die, welche sie bringen, „Verführer“. Woher kommt das?
Das durch die erschütternden Ereignisse und gewaltigen Umwälzungen der letzten Jahre in manchen Herzen die Frage geweckt worden ist, ob wir nicht doch schon in den Tagen der Gerichte von Offenbarung 6 seien, ist, wie wir damals schon sagten, bei der allgemein herrschenden Unwissenheit über Gottes Ratschlüsse und die prophetischen Dinge erklärlich. Wenn aber führende Männer, die einst mit glücklichen Herzen ihren Herrn erwartet und auf Seine nahe Ankunft hingewiesen haben, heute nicht nur das Gegenteil lehren von dem, was sie früher verkündigt haben, sondern sogar als das zunächst von uns zu erwartende Ereignis das Auftreten des Antichristen predigen, so kann man darin nur einen Angriff des Feindes erblicken, der dem Zeugnis Gottes in unseren Tagen eines seiner kostbarsten Güter rauben möchte. „Halte fest was du hast!“ wird der Versammlung von Philadelphia zugerufen, also gerade ihr, in welcher wir das prophetische Bild unserer Zeit erkennen, und zu der gesagt wird: „Weil du das Wort meines Ausharrens bewahrt hast, werde auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird“ (Offbg. 3).
O wann werden die Gläubigen endlich dahin kommen, in der Entrückung der Braut (genauso wie in ihrer Erlösung und Bewahrung) einen Akt bedingungsloser Gnade zu erblicken, eine Handlung, mit welcher Gott Sein Gnadenwerk im Blick auf sie krönen und Seinem geliebten Sohne, dem verherrlichten Menschen zu Seiner Rechten, Sein Weib zuführen und Ihm, als dem Haupte Seines Leibes, Seine Fülle oder Vollendung (Eph. 1, 28) geben wird? Wann wird man endlich erkennen, dass der Herr gar nicht eher „erscheinen“ und Seine „Herrschaft“ antreten kann, als bis Er Sein Weib zu Seiner Seite hat, sie, die doch mit Ihm kommen und alles mit Ihm teilen soll? Wann verstehen lernen, dass Gott Seine Wege und Handlungen mit den „himmlischen“ Heiligen zu Ende geführt haben muss, ehe Er sich Seinem irdischen Volke wieder zuwenden kann? Mit anderen Worten: dass das Evangelium der „Gnade Gottes“ und der „Herrlichkeit Christi“, wie es heute verkündigt wird (vergl. Apstgsch· 20, 24; 2. Kor. 4, 4; 1. Tim. 1, 11), unmöglich gleichzeitig mit dem Evangelium des „Reiches“ ertönen kann, welches vor dem Tode und der Auferstehung des Herrn gepredigt wurde und dereinst wieder, kurz vor dem „Ende“, auf dem „ganzen Erdkreis, allen Nationen zu einem Zeugnis“ (Matth. 24, 14), gepredigt werden wird? Es scheint vielen Auslegern unendlich schwer zu werden, die Tatsache zu erfassen und festzuhalten, dass es einen himmlischen und einen irdischen Segensratschluss Gottes gibt, und dass in Verbindung damit das Wort von Gläubigen redet, die als geliebte Kinder „vor Grundlegung der Welt“ in Christo auserwählt und „in den himmlischen Örtern“ gesegnet sind (Eph. 1, 3. 4; 2. Tim. 1, 9; vergl. Tit. 1, 2), und von solchen, deren Namen »von Grundlegung der Welt an“ im Buche des Lebens stehen (Offbg. 13, 8; vergl. 17, 8), und die als „Gesegnete Seines (Christi, nicht ihres) Vaters“ in das „Reich“ eingehen, das ihnen wiederum „von Grundlegung der Welt an“ bereitet ist (Matth. 25, 34).
Ist es nicht tief bedauerlich, dass jetzt, so nahe am Ziel, nachdem der Mitternachtsruf: „Siehe, der Bräutigam! gehet aus, Ihm entgegen!« erwacht ist und in den Kreisen der Gläubigen aller Länder und Völker ein Echo gefunden hat, Männer aufstehen, die da sagen und schreiben: „Wir haben uns geirrt. Der Bräutigam kann noch nicht kommen; vorher muss der- Antichrist und mit ihm der völlige Abfall kommen“, und die ihre Brüder schelten, weil sie noch an der täglichen Erwartung ihres Herrn festhalten? Ihr Tun erinnert unwillkürlich, so ungern man diesen Vergleich macht, an die Weise des Knechtes, der, anstatt dem Gesinde die ihm zugemessene Speise zur rechten Zeit zu geben, anhebt zu sagen: „Mein Herr verzieht zu kommen“, und dann anfängt seine Mitknechte zu schlagen. O möchten sie ihr verhängnisvolles Tun erkennen und umkehren zu der ihnen einmal anvertrauten Wahrheit, damit „niemand ihre Krone nehme“! 
Klar und deutlich hat der Herr gesagt: „Ich werde dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu verführen, welche auf der Erde wohnen2, hat also in doppelter Weise kundgetan, dass Seine Geliebten nicht in diese Stunde (das Wort „Stunde“ macht den Sinn der Stelle noch klarer kommen sollen. Nicht nur will Er sie vor ihr  bewahren, nein, sie gehören gar nicht zu denen, über welche sie hereinbrechen wird. Immer wieder muss es betont werden, dass die Stunde der Versuchung über die kommt, welche auf der Erde wohnen, d. h. dort ihre
Heimat haben *), nicht über die, die hienieden gar keine Heimatsrechte besitzen. Alle, die dem Himmel· angehören und deshalb auch „Himmlische“ (1. Kor. 15, 48) genannt werden, kommen nicht ins Gericht, sie werden wohl vom Herrn in den Wegen Seiner Regierung gezüchtigt·, aber niemals mit der Welt gerichtet (1. Kor.11,32), sondern von ihrem Herrn und Haupte dahin geholt, wo ihre Heimat ist und wo Er selbst seit Seiner Auferstehung und Himmelfahrt weilt. Hingegangen, um ihnen eine Stätte im Vaterhause droben zu bereiten, kommt Er wieder, um sie zu sich« zu nehmen, „auf dass“, wie Er sagt, „wo ich bin, auch ihr seiet“ (Joh. 14, 3). Das ist Seine Verheißung, und das ihre Hoffnung. Nicht in den Gerichten bewahrt oder aus der Stunde der Versuchung heraus errettet zu werden **) ist das, was der Bräutigam  Seiner Braut, das Haupt Seinem Leibe verheißt; nein, die Braut soll Ihm, dem glänzenden Morgenstern, vor dem Anbruch des Tages des Gerichts, vor Aufgang der „Sonne der Gerechtigkeit“ entgegengerückt werden, um so für immer „bei dem Herrn“ zu sein. Sobald Er sich darum in Offenbarung 22, 16 unter dem Titel „Morgenstern“ einführt, rufen Geist und Braut unwillkürlich: „Komm!“ Sie können gar nicht anders. Das Sehnen des Geistes geht dahin, die Braut dem Bräutigam entgegenzuführen, und die nächste Erwartung der Braut ist, Ihn zu sehen, den ihre Seele liebt. 
In der „Stunde der Versuchung“ werden Geist und Braut nicht mehr hienieden sein. Erst nachdem der Geist die Braut nach oben geleitet hat und damit Der, welcher die volle Enthüllung des Geheimnisses der Gesetzlosigkeit, das Erscheinen des Antichristen, zurückhält, „aus dem Wege ist, wird der Gesetzlose „geoffenbart werden“· (2. Thess. 2, 7. 8); und erst am Ende der Stunde der Versuchung, wenn der Antichrist mit dem „Tier“, dem Haupte des dann wiedererstandenen römischen Reiches, seinen Platz im „Feuersee“ gefunden hat (Offbg. 19, 20), also im Anfang des Tausendjährigen Reiches, wird der mit der Braut in den Himmel zurückgekehrte Heilige Geist von neuem ausgegossen werden, und zwar dann „über alles Fleisch“. Söhne und Töchter, Greise und Jünglinge, Knechte und Mägde werden in jenen Tagen den Wunderwirkungen des Heiligen Geistes als Gefäße dienen, Gott wird sich Seines Volkes Israel wieder annehmen, und „auf dem Berge Zion und in Jerusalem wird Errettung sein. . .und unter den Übriggebliebenen, welche Jehova berufen wird“. (Joel 2, 28 — 32). 
Gegenwärtig weilt der Heilige Geist als „Geist der  Sohnschaft“ hienieden, sammelt die Söhne oder Kinder Gottes, die zu dem inneren, himmlischen Kreis der Segnung gehörenden Gläubigen, die priesterliche Familie Gottes, das Weib des Lammes. Er tauft die „Glieder“ Christi zu einem Leibe und lenkt ihren Blick nach oben, auf ihr zur Rechten Gottes verherrlichtes Haupt, von dem alle ihre Segnungen ausgehen und zu dem heranzuwachsen sie berufen sind (Eph. 4). Wie könnte nun, solang dieser eine Leib, die „Fülle“ des himmlischen Menschen, gesammelt wird, der Geist zu gleicher Zeit den irdischen, mit dem Volke Israel in Verbindung stehenden Ratschluss Gottes zur Ausführung bringen? wie die Augen und Herzen der Gläubigen auf einen irdischen Mittelpunkt, den Berg Zion usw., richten? 
Solang der Geist damit beschäftigt ist, die Gedanken Gottes in Verbindung mit dem verherrlichten Menschensohn, dem Haupt der neuen Schöpfung, ihrer Erfüllung entgegen zu führen, Gedanken, die vor Grundlegung der Welt im Herzen Gottes waren, kann Er unmöglich Seinen Ratschluss im Blick auf Israel und die Erde zur Ausführung bringen. Das eine schließt das andere aus. Wie könnten die „Genossen der himmlischen Berufung“, die „Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“ (Hebr.3,1; Eph. 2, 19), und das irdische Volk Gottes, die Erben des Reiches, zu einer und derselben Zeit gesammelt und ihren ganz verschiedenen Zielen zugeführt werden? Erst wenn beide Ratschlüsse Gottes, der himmlische und der irdische, im Tausendjährigen Reiche zu ihrer Ausführung gelangt sind, nicht aber vorher, werden Himmel und Erde miteinander verbunden  sein, in Erfüllung des Traumgesichts Jakobs in 1. Mose 28, 12 14. Dann werden die Bewohner des Himmels, die „Heiligen der höchsten Örter“, wie Daniel sie prophetisch nennt, ungehindert mit der Erde verkehren und die Segenskanäle bilden für die, welche dann in Sicherheit hienieden wohnen ***) und, unter ihrem Weinstock und Feigenbaum sitzend, einer den andern einladen werden, ohne dass· „jemand sie aufschreckt“ (Micha 4, 4; Sach. 3, 10). Dann wird „Wahrheit sprossen aus der Erde“ und „Gerechtigkeit herniederschauen vom Himmel“ (Ps. 85, 11.) „Und Jehova wird über jede Wohnstätte des Berges Zion und über seine Versammlung eine Wolke und einen Rauch schaffen bei Tage, und den Glanz eines flammenden Feuers bei Nacht; denn über die ganze Herrlichkeit (des irdischen Jerusalem) wird eine Decke sein“ (Jes. 4, 5). Die Herrlichkeit der himmlischen Stadt wird die der irdischen schirmend überdecken, und die Vollendung und Austragung der wunderbaren Segensratschlüsse Gottes wird in beiden in ergreifender Schönheit und vollendeter Harmonie, aber auch in bleibender Verschiedenheit gesehen werden. 
Verweilen wir noch einen Augenblick bei dem bereits erwähnten, aber so oft übersehenen Unterschied zwischen dem Evangelium des Reiches und der frohen Botschaft Gottes, die heute verkündigt wird. Ein Evangelist wird heute nicht rufen: „Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen!“ So rief einst Johannes der Täufer und mit und nach ihm Jesus selbst mit Seinen Jüngern, und so werden „am Ende der Tage“ andere Boten, die „Brüder des Königs“ (Matth. 25,40), wieder rufen. Der König des Reiches ist, verworfen von Seinem Volke, „außer Landes gereist“, „in ein fernes Land gezogen, um ein Reich für sich zu empfangen“ (Matth.25,14; Luk.19,12), und wird einst bei Seiner Wiederkehr als König das Reich in Macht und Autorität aufrichten. Inzwischen ist dieses Reich in einer unerwarteten, geheimnisvollen Gestalt erschienen, nicht in Glanz und Herrlichkeit, sondern in der ganz neuen Weise, wie der Herr sie Seinen Jüngern in den Gleichnissen von Matthäus 13 schildert. Aus dem „Messias“ ist, wenn ich mich so ausdrücken darf, der „Sohn des Menschen“, aus dem „König“ oder dem „Erben“, der gekommen war, um den Weinberg Israel, „Sein Erbe“ (Matth. 21, 38), in Besitz zu nehmen, der „Säemann“ geworden, der, die engen Grenzen Israels verlassend und Seine Rechte als Sohn Davids vorläufig aufgebend, den guten Samen, das Wort Gottes, in aller Welt ausstreut. Etwas ganz Neues ist ans Licht getreten. In seiner äußeren Gestalt einem Acker gleichend, auf welchem Weizen und Unkraut miteinander und durcheinander emporwachsen, oder einem großen, aus senfkornartigen Anfängen entstandenen Baum verglichen, in dessen Zweigen die Vögel des Himmels (die Boten Satans) Schutz finden, als Kern aber den Schatz, die eine kostbare Perle (die vor Grundlegung der Welt auserwählte, teuer erkaufte Gemeinde) in sich bergend — so steht das Reich heute da. Ohne König, aber vom Himmel her nach himmlischen Grundsätzen (siehe Matth. 5 — 7) regiert ****), nach Grundsätzen, die allerdings nur von dem kleinsten Teil der Reichsangehörigen anerkannt werden, wartet es auf die Wiederkehr des Königs, Hauf die Stunde, wann „das Reich der Welt unseres Herrn und Seines Christus gekommen sein wird“ (Offbg. 11, 15). 
Während des Weilens des Königs hienieden als „nahe gekommen“ angekündigt, hat das Reich der Himmel seinen Anfang genommen ****) nach der völligen Verwerfung des Herrn und Seiner Rückkehr in den Himmel; und in Herrlichkeit und Macht, auf dem Wege richterlicher Autorität, wird es erst aufgerichtet werden, wenn Er „in der Vollendung des Zeitalters“ als der „Sohn des Menschen“ auf Seinem Throne sitzen (Er sitzt jetzt auf Seines Vaters Thron) und durch Seine Engel, die Schnitter der Erntezeit, „alle Ärgernisse und die das Gesetzlose tun aus Seinem Reiche- zusammenlesen“ und so den Boden für Seine Regierung zubereiten wird. 
Die Worte des Herrn sind klar und unzweideutig. Dennoch wird immer wieder die Frage laut: „Gibt es denn im Reiche der Himmel auch Ungläubige, Gesetzlose usw.?“ Und dabei sind ihrer so viele, dass das Unkraut den Weizen völlig zu überwuchern droht! Man vergisst eben immer wieder, dass der Ausdruck „Reich der Himmel“ alle Bekenner umfasst, echte und unechte, mit einem Wort das was man heute die Christenheit nennt. Gott kennt freilich alle, die Ihm angehören. Ihm ist jede gute Ähre, jedes einzelne Stück des kostbaren, im Acker (Welt) verborgenen Schatzes bekannt und wertvoll; aber dem Auge des Menschen stellt sich das Reich (die bekennende Christenheit) so dar, wie der Herr es in Matth. 13 beschreibt: als ein Acker mit Weizen und Unkraut, als ein großer Baum (Bild äußerer Machtstellung) mit den Sendboten Satans in seinen Zweigen und als eine durch den Sauerteig böser Lehren durchsäuerte Masse. Die Anfänge waren in jedem Falle gut: Weizen, Senfkorn und Mehl, aber durch Satans List und des Menschen Untreue ist alles verdorben worden. Das bisher Gesagte lässt uns auch das sonst schwierige Wort in Matth. 10, 23 einfach und verständlich erscheinen. Der Herr sendet in jenem Kapitel in Seiner Eigenschaft als Messias und König Israels (die grundsätzliche Veränderung des göttlichen Haushalts tritt, wie uns bekannt ist, erst mit dem Ende des 12. Kapitels ein). Seine Boten zu den „verlorenen Schafen des Hauses Israel“. Ausgerüstet mit den Zeichen und Wundern des zukünftigen Zeitalters (des Tausendjährigen Reiches),
sollten die Jünger den Städten und Dörfern Israels (nicht den Samariterstädten, die Sendung trug einen rein jüdischen Charakter) die Botschaft bringen: „Das Reich der Himmel ist nahe gekommen“. (V. 5 — 8). In Verbindung mit dieser Sendung heißt es dann: „Wahrlich, ich sage euch, ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende sein, bis der Sohn des Menschen gekommen sein wird“. Die Wiederkunft des Sohnes des Menschen ist bis heute nicht erfolgt, die Arbeit der Jünger aber durch die Verwerfung des Messias und Seiner Botschaft unterbrochen worden. Was nun? Hat der Herr sich geirrt? Das ist unmöglich. Was folgt denn aus Seinen Worten?·Das was wir schon so oft betont haben: dass nämlich am Ende« der Tage, kurz vor der Wiederkunft des Herrn als Messias oder König Israels. die Arbeit von Seinen Reichsboten wieder aufgenommen und erst nach Seiner Erscheinung ganz vollendet werden wird. 
Inzwischen vollzieht sich eine andere Sendung (vergl. Matth. 28, 18 - 20; Mark. 16, 15; Luk. 24, 46. 47; Joh. 20, 21 - 23), und ein anderes Zeugnis wird abgelegt in der Kraft des am Pfingsttage herniedergekommenen Heiligen Geistes, und zwar »in der ganzen Schöpfung, die unter dem Himmel ist“ (Kol. 1, 23.) Das Evangelium der Herrlichkeit des seligen Gottes« oder das „Evangelium der Herrlichkeit des Christus“, des zur Rechten Gottes erhöhten Menschensohnes, wird verkündigt, durch welches die „Versammlung des lebendigen Gottes“ (1. Tim. 3, 16) für ihr himmlisches Haupt gesammelt, ein „heiliger Tempel, die Behausung Gottes im Geiste“ (Eph. 2, 21. 22), gebildet wird. Leider werden immer wieder die Begriffe „Reich“ und „Kirche“ oder „Versammlung (Gemeinde)“ miteinander verwechselt, und doch ist der Unterschied so einfach und offensichtlich. Ein „Reich“ oder „Königreich“ ist der Bereich, worin oder worüber ein König regiert; die Versammlung oder Gemeinde ist die Gesamtheit der aus allen Völkern herausgerufenen Gläubigen oder Gerechten, Heiligen, wie die Schrift sie nennt. Als das Reich der Himmel begann, trat» beides in die Erscheinung: das Reich in seiner neuen, geheimnisvollen Gestalt und die Versammlung. Beide bestehen nebeneinander, sind aber keineswegs dasselbe. Nur die wahren Gläubigen bilden die Gemeinde, die wahre Kirche, nur lebendige Steine gehören zu dem heiligen Tempel Gottes; sie sind zwar im Reiche, in der Christenheit, aber sie sind nicht das Reich. Sie bilden den Weizen, den Schatz, die Perle, aber ihre Hoffnungen sind keineswegs mit dem Reiche und seinem wiederkehrenden König verbunden; sie warten nicht auf die Errichtung desselben in Macht und Herrlichkeit, sondern auf ihr himmlisches Haupt und auf ihre Einführung in die vielen Wohnungen des Vaterhauses. 
Aber vielleicht fühlt sich-der eine oder andere Leser versucht zu fragen: Sind wir nicht von unserem eigentlichen Gegenstand abgekommen? Was hat das Kommen des Herrn vor den Gerichten mit diesen Dingen zu tun? Ich möchte mit den Worten des Apostels in Röm.3,2 antworten: „Viel, in jeder Hinsicht“. Denn mit dem Wechsel des Haushaltes Gottes steht und fällt die besondere Hoffnung der Gläubigen unserer Tage. Gehörten wir zu dem Reiche in dem Sinne, dass Christus unser König wäre, so würden wir allerdings die Aufrichtung Seines Reiches in Macht und Herrlichkeit als unsere Erlösungsstunde erwarten müssen. Aber Er ist unser Bräutigam, nicht unser König. Obwohl wir Ihn ganz gewiss als König sehen und uns Seiner königlichen Herrlichkeit und Schönheit freuen werden, ja, uns im Glauben Seiner jetzt schon so freuen können, stehen wir doch nicht in diesem Verhältnis zu Ihm, noch werden wir es jemals tun. 
Der Herr macht Seine Rechte an diese Erde in der gegenwärtigen „Verwaltung Gottes“ nicht geltend, sondern wartet droben, bis Gott alle Seine Feinde Ihm zu Füßen legen wird. Während dieser Wartezeit - man kann es nicht genug wiederholen — wird die Brautgemeinde gesammelt und, sobald sie vollendet ist, durch den Heiligen Geist dem Bräutigam entgegengeführt, um nachher, wenn Er zum Gericht erscheint, verherrlicht mit Ihm zu kommen. Die Zeit, da Er nach Psalm 2, 8 von Gott fordern und Gott Ihm die Nationen zum Erbteil geben wird, ist noch nicht da und kann nicht kommen, bis die Vereinigung mit Seinem Weibe stattgefunden hat. Leiden und schließlich völlige Verwerfung waren Sein Teil hienieden; wir teilen Sein Los, tragen Seine Schmach«, aber werden es auch teilen, wenn Er einmal Seine Ansprüche an die Erde geltend macht und „die Macht und das Reich unseres Gottes und die Gewalt Seines Christus gekommen .ist«. Er wird nicht über uns herrschen, sondern wir werden mit Ihm herrschen. Wir sollen denselben Platz haben wie Er, sollen Ihm gleich sein und alles mit Ihm teilen. Das ist der vor Grundlegung der Welt gefasste Ratschluss Gottes im Blick auf den Erstgeborenen und Seine Brüder, und die Liebe des Vaters und des Sohnes ruht nicht, bis dieser Ratschluss voll und ganz ausgeführt ist. „Wenn Er geoffenbart wird, werden wir mit Ihm geoffenbart werden in Herrlichkeit« (Kol. 3, 4.) „Wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, also wird auch Gott die durch Jesum Entschlafenen mit Ihm bringen“ (1. Thess. 4,14.) Mit Ihm, dem Himmlischen, in Tod und Auferstehung unauflöslich verbunden, gehören wir zu Ihm, wie die Glieder zu dem Haupte; unser „Bürgertum“ ist in den Himmeln, und von dort her erwarten wir unseren Herrn Jesus Christus als Heiland (nicht als  Richter), damit Er auch unseren Leib der Niedrigkeit an dem vollen Ergebnis des Erlösungswerkes teilnehmen lasse. „Ich komme wieder“, so lautete die letzte Botschaft des zum Kreuze schreitenden Herrn an Seine Jünger, und: „Ja, ich komme bald“, so schließt das letzte Zeugnis des verherrlichten Siegers über Sünde, Tod und Satan an Seine Versammlung hienieden. (Joh. 14, 3; Offbg. 22, 20). Das ist es, was Er Seiner Geliebten zur Ermunterung zuruft, nachdem Er ihr alles das mitgeteilt hat, was Er als „König der Könige und Herr der Herren“ als Der, dem „das ganze Gericht“ übergeben ist (Joh. 5, 22. 27), tun wird. Und ihre unmittelbare Antwort lautet wiederum: „Amen, komm, Herr Jesus!“ 
Das Ende aller Dinge ist ganz nahe herangekommen, der Richter steht vor der Tür. Darüber kann kein Zweifel bestehen. Dies fühlen selbst viele Ungläubige und sprechen es sogar aus. Aber Gott hat uns nicht zum Zorn gesetzt, sondern zur Erlangung der Seligkeit durch unseren Herrn Jesus Christus. Wir sind nicht von der Nacht, noch von der Finsternis. Wir sind nicht gerufen, Tod und Gericht, Antichrist und Verderben zu erwarten, sondern unserem Herrn entgegengerückt zu werden in die Luft, um „zusammen mit Ihm zu leben“ (1. Thess. 4, 17; 5, 10). Wir können verstehen, dass Paulus die gläubigen Thessalonicher angesichts dieser kostbaren Dinge zweimal auffordert, einander zu ermuntern. Die gegenseitige Erinnerung an „die Offenbarung des Herrn Jesus vom Himmel mit den Engeln Seiner Macht, in flammendem Feuer« und an das Kommen des Antichristen, des Menschen der Sünde, wäre wahrlich keine Ermunterung für sie gewesen. 
Der Antichrist! Rufen wir uns zum Schluss kurz die Namen und Bezeichnungen ins Gedächtnis zurück, die dieser furchtbaren Gestalt in der Schrift beigelegt werden. Er heißt zunächst:
1. „Der Antichrist“ oder „der Widerchrist“. Dieser Name, der sich nur in den Briefes! des Apostels Johannes findet, bezeichnete in besonderer Weise seinen religiösen Charakter. Er ist der, welcher einerseits leugnet, dass ,“Jesus der Christus“ ist — die jüdische Form des Unglaubens — und andererseits- leugnet er „den Vater und den Sohn“, d. h. er stürzt die Grundlage des Christentums um. (1. Joh. 2, 22; 2. Joh. 7). Als solcher hat er viele Vorläufer gehabt, aber .in ihm wird sich der Hass des Unglaubens gegen den Gesalbten Gottes in seinem Gipfelpunkt zeigen, und ihn, der in seinem eigenen Namen kommt“, werden die ungläubigen Juden und Christen aufnehmen (Joh. 5, 43).
2. „Der Mensch der Sünde“ (2. Thess. 2, 3.) Jede Form der Gottlosigkeit wird sich völlig in einem Menschen entfalten. Die Sünde wird gleichsam in einer Person, in einem Menschen zusammengefast sein. 
3. „Der Sohn des Verderbens“ (2. Thess. 2, 3). Diese Bezeichnung drückt seinen schrecklichen Ursprung und sein entsetzliches Ende aus. 
4. „Der Gesetzlose“ (2. Thess. 2, 8). Er ist der Eigenwille in Person und steht daher in schroffstem Gegensatz zu Ihm, der niemals Seinen eigenen Willen suchte, sondern stets dasjenige tat, was dein Vater wohlgefiel. 
5. Das „andere Tier“ (Offbg. 13, 11 - 16). Er sucht in seinem Auftreten gleichsam Christum nachzubilden, indem er Hörner hat gleich einem Lamme«; seine Äußerungen entspringen jedoch einem satanischen Einfluss: er „redet wie ein Drache“. 
6. „Der falsche Prophet“ (Offbg. 16, 13; 19, 20). Als solcher übt er seinen bösen Einfluss am Ende der Tage auf das abtrünnige Israel aus, dem er sich fälschlich als Gottes Mund darstellt. 
7. „Ein törichter und nichtiger Hirte“ (Sach. 11, 15. 17). Anstatt die Herde zu weiden, wird er, der wegen der Verwerfung des wahren Hirten und Königs über Israel erweckt werden soll, sie grausam behandeln und sich selbst weiden. Doch „das Schwert wird über seinen Arm und über sein rechtes Auge“ kommen, d. h. das Gericht wird seine Macht zerschlagen und seine Einsicht vernichten.
8. „Der König“ (Dan. 11, 36.) Er ist nicht nur ein König, sondern wird als der König dereinst über die Juden in Palästina herrschen. 
Und wenn wir nach dem Ende dieses schrecklichen Menschen fragen, so entspricht es genau seinem Charakter und Wirken; Wir lesen in 2. Thess. 2, 8, dass der Herr Jesus ihn „verzehren wird durch den Hauch Seines Mundes und vernichten durch die Erscheinung Seiner Ankunft“. Einzelheiten betreffs seines endgültigen Gerichte; liefert uns Offbg. 19. Dort heißt es im 20. Verse: „Und es wurde ergriffen das Tier und der falsche Prophet, der mit ihm war, der die Zeichen vor ihm tat, . . . . lebendig wurden die zwei in den Feuersee. geworfen, der mit Schwefel brennt“. Auch im Alten Testament ist an verschiedenen Stellen von» dem schrecklichen Endgericht des Antichrists die Rede, von denen eine hier angeführt sei: „Denn vorlängst ist eine Gräuelstätte zugerichtet; auch für den König ist sie bereitet. Tief, weit hat er sie gemacht, ihr Holzstoß hat Feuer und Holz in Menge; wie ein Schwefelstrom setzt der Hauch Jehovas ihn in Brand“ (Jes. 30, 33).
Und einen solchen Menschen zu erwarten sollten die Gläubigen unserer Tage berufen sein? Sie, denen der gute Hirte immer wieder zuruft: „Ich komme wieder! — „Ich komme bald!“ — „Ja, ich komme bald!“?
„Teurer, gläubiger Leser, Mitteilhaber derselben Verheißung und Hoffnung! Lasst uns, so nahe am Ziel, uns nicht durch die Ereignisse um uns her irre machen und erschrecken lassen! Nein, lasst uns vielmehr einer den anderen ermuntern und umso fester stehen, achtend auf die ergreifende Mahnung des Apostels an die auch damals durch falsche Lehren beunruhigten Gläubigen: „Wir bitten euch aber, Brüder, um der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus willen und unseres Versammeltwerdens zu Ihm hin, dass ihr nicht schnell erschüttert werdet in der Gesinnung noch erschreckt . . . Lasst euch von niemand auf irgend eine Weise verführen!“

Fußnoten:
*) Zum Beweise dafür, dass dies nicht eine willkürliche Auslegung des Wortes ist, lese und vergleiche man aufmerksam Offenbarung 6, 10; 8, 13; 11, 10; 13, 8. 12. 14; 17, 8. In allen diesen Stellen handelt es sich um die ungläubigen, gottlosen Bewohner dieser Erde gegenüber denen, die „in den Himmeln wohnen“ oder dort „ihre Hütte haben“. (Kap. 12,12; 13, 6.)
**) Bekanntlich ist die griechische Ausdruckweise in Offbg. 3, 10 genau dieselbe wie in Joh. 17, 15, und kommt so nur an diesen beiden Stellen vor: „bewahren vor dem Bösen — bewahren vor der Stunde der Versuchung“. Überdies hat das hier gebrauchte griechische Zeitwort im Neuen Testament (es findet sich etwa siebzigmaI) niemals die Bedeutung „erretten“.
***) Die durch die göttlichen Gerichte gereinigte Erde ist dann ihre Heimat.
****) Aus diesen beiden Gründen wird es gerade „Reich der Himmel“ genannt.
*****) In geistlichem oder sittlichem Sinne betrachtet, war das Reich selbstverständlich schon da, als Jesus auf Erden wandelte; als solches wird es aber niemals Reich der Himmel, sondern Reich Gottes genannt (Vergl. Matth. 12, 28.) 

@@@@@@ 252

Herr, es will Abend werden!

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 252

Autor: R. B.

Der Tag hat sich geneigt, es dunkelt rundumher;
der Abend bricht herein, und finstre Schatten steigen
am Horizont empor. - Ein Zagen legt sich schwer
auf manches bange Herz. - Willst Du nicht bald uns zeigen
Dein Antlitz, teurer Herr?

Schon lange wartet Dein der Gläubigen kleine Schar,
und mancher Hand ist still der Wanderstab entglitten,
wenn sich das Auge schloss, das sehnend Jahr für Jahr
nach Dir, Herr, ausgeschaut. - Drum höre unser Bitten:
Mach die Verheißung wahr!

Des Feindes List groß und seine Lüge alt:
Hat wirklich Er gesagt? - Und wird sein Wort Er halten,
dass vor Beginn des Zorns sein Sammelruf erschallt?
Ach, Herr! Soll noch einmal der Deinen Herz erkalten?
O komm, ja komme bald!

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Übrigens

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 253ff

„Übrigens, Brüder.“ Mit diesem Wort leitet der Apostel Paulus in vielen seiner Briefe praktische Belehrungen ermunternder oder ermahnender Art ein, und zwar gewöhnlich dann, wenn der eigentliche Zweck seines Schreibens erreicht und der Teil der Wahrheit, den er darstellen möchte, entwickelt ist. Es ist, wie wenn er sagen wollte: Nachdem ich euch all das Vorhergehende geschrieben habe, liegt mir noch- eins am Herzen, es drängt mich, euch noch auf eine Sache aufmerksam zu machen. Und dann folgen meist Worte zärtlichster Liebe und apostolischer Sorge um das geistliche Wohlergehen der ihm anvertrauten Herde. 
„Übrigens, Brüder“, oder: „Übrigens. meine Brüder“, wenn er besonders herzlich reden will, so lesen wir immer wieder, und es lohnt sich der Mühe, diese Herzensergüsse des treuen .Knechtes Gottes etwas näher zu betrachten.
Beginnen wir mit dem Brief an die PhiIipper, dem „Buche der Erfahrung“, wie er oft mit Recht genannt worden ist; denn es stellt uns den Gang des Christen als eines himmlischen Fremdlings durch diese Welt, mit all seinen Prüfungen, aber auch seinen verborgenen Hilfsquellen vor Augen. Obwohl die Umstände, in denen der Apostel sich befand, die denkbar widerwärtigsten waren, redet doch kein Brief so viel von Freude wie gerade dieser· Was können auch die Umstände, was kann Satan  einem Menschen anhaben, für den das Leben Christus und das Sterben Gewinn ist? Der nur das eine Ziel kennt, dass Christus an seinem Leibe hoch erhoben werde. sei es durch Leben oder durch Tod? Nachdem er dies im 1. Kapitel entwickelt und im zweiten die ergreifende Schönheit des christlichen Lebens zunächst in Christo, unserem vollkommenen Vorbilde, und dann in Männern wie Timotheus und Epaphroditus, geschildert hat, fährt er fort:
„Übrigens, meine Brüder, freuet euch in dem Herrn!“ Im 4. Kapitel erweitert er den Ausruf, in- dem er sagt: „Freuet euch in dem Herrn allezeit! wiederum will ich sagen: Freuet euch!“ (V. 4.) Wir sagten schon, dass kein Brief so viel von« Freude redet wie der an die Philipper, und dabei lag der Schreiber im Gefängnis, und die Empfänger gingen durch Kämpfe und Verfolgungen aller Art. (Kap. 1, 27 - 30). Jedes Kapitel redet in seiner besonderen Weise von Freude. Paulus tat das Gebet für alle Gläubigen in Philippi „mit Freuden“ (Kap. 1, 4). Mit Freude und immer neuer Freude betrachtete er die Ergebnisse seines Gebundenseins (V. 18) und war gewiss, dass er zur Förderung und Freude der Philipper noch ein wenig im Leibe bleiben werde. (V. 25.) Im 2. Kapitel bitter er sie, seine Freude zu erfüllen (V. 2), und er freut sich mit ihnen und fordert sie auf, sich mit ihm zu freuen, wenn er seinen Dienst mit dem Märtyrertode beschließen und so „als Trankopfer über das Opfer und den Dienst ihres Glaubens gesprengt“ werden sollte. (V. 17. 18; vergl. auch V. 29). Im 4. Kapitel lese man außer der bereits genannten Stelle noch die« Verse 1 und 10.
Aber es gibt eine Freude, die von der Veränderlichkeit der Zeit und der Umstände völlig unabhängig ist, dabei tiefer als alle anderen, weil sie der einzig wahren Quelle aller Freude am nächsten liegt; und zu dieser Freude fordert der Apostel seine geliebten Kinder im Glauben, „seine Freude md Krone“, jetzt auf: „Übrigens, meine Brüder, freuet euch in dem Herrn“. So hatte er selbst es einst mit seinem Gefährten Silas gemacht, als sie die Grundlage des Werkes in Philippi legten und infolge ihres treuen Zeugnisses in das „innerste Gefängnis“ geworfen wurden. Mit ihren Füßen im Stock, aber glücklich im Herrn, hatten die beiden Männer Gott ihre Loblieder gesungen, und der Kerkermeister» mit seinem ganzen Hause war noch in derselben Nacht unter den Erstlingsfrüchten ihrer Arbeit eingesammelt worden. Seitdem waren lange, arbeitsreiche und leidensvolle Jahre vergangen. Aber das Herz des Apostels, frisch und glücklich wie immer, ermuntert die Heiligen, wiederum aus .Kerkermauern heraus, sich „im Herrn zu freuen“. 
So hatte er es ihnen vorgelebt, so auch schon in seinem gegenwärtigen Briefe zu ihnen geredet, und nun legt er es ihnen noch einmal mit wachsendem Ernst ans Herz: ,,Euch dasselbe zu schreiben ist mir nicht verdrießlich, für euch aber ist es sicher“. Seine Liebe ließ es ihm nicht als eine lästige Mühe erscheinen, sie immer wieder auf diese einzige Quelle aller Freude hinzuweisen, und ihnen diente es zur Sicherheit und Bewahrung, denn sie befanden sich im Reiche Satans, inmitten eines verdrehten und verkehrten Geschlechts. Freude im Herrn ist die beste Sicherheit gegenüber allen bösen Einflüssen, sowohl in sittlicher als auch in religiöser Beziehung. Nichts vermag so vor den Lockungen der Welt, vor den Lüsten des Fleisches und vor den Verführungen böser Lehrer, wie auch vor eigenwilligem Gottesdienst zu bewahren wie sie. „Betrübet euch nicht, denn die Freude am Herrn ist eure Stärke“, hatte schon Esra, der Schriftgelehrte, dem Überrest Israels in seinen Tagen zugerufen, und das Volk war damals hingegangen, „um ein großes Freudenfest zu begehen“, denn es hatte das Wort verstanden, das zu ihm geredet worden war (Neh. 8, 9 — 12). 
Haben die Philipper die Worte ihres Apostels auch verstanden und danach getan? Wir dürfen es annehmen. Aber wie ist es mit uns? Der Heilige Geist, der in dem Apostel wirkte und in uns wohnt, ist unaufhörlich bemüht, auch unsere Herzen auf die Person zu richten, die zu verherrlichen Er gekommen ist. Er weiß sehr wohl, dass, wenn Christus voll und ganz Besitz von der Seele genommen hat, alles gut steht. Dann ist die Beschäftigung mit dem eigenen Ich zu Ende; man ist auch nicht abhängig von den Umständen und ruht nicht in den Segnungen, sondern man blickt auf zu Dem und ruht in Dem, der die einen leitet und die anderen gibt. Paulus war nur ein Fremdling, der durch die Wüste reiste und aus dem Wege zum Ziel sich stets in dein Herrn freute. Ob er öffentlich predigte, oder in seinem Hause zu Rom in der Stille zu denen redete, die da kamen und gingen, ob er frei umhergehen und nach Belieben tätig sein konnte, oder ob er, an einen heidnischen Kriegsknecht gekettet, anscheinend zur Untätigkeit verurteilt war, er freute sich allezeit in seinem Herrn. 
„Mein lieber Mitpilger, welch eine große Sache ist es, sich allezeit in dem Herrn zu freuen! Da ist dann  kein Raum mehr für das arme Ich mit seinen Interessen, Wünschen und Neigungen. Die in Christo geoffenbarte Liebe Gottes ist ins Herz ausgegossen und wird empfinden, tief empfunden. Mögen dann auch andere „das Ihrige suchen“ und viele sich „von uns abwenden“, wie Paulus davon reden konnte (Phil. 2, 21; 2. Tim. 1, 15), so besitzen wir doch etwas, das über dem allen steht. Wir sind nicht gefühllos solchen Dingen gegenüber, aber wir kennen eine Macht, die uns über sie erhebt, eine Quelle, die uns auch in den schwersten Stunden erquickt, und deren Wasser allezeit in unveränderlicher, köstlicher Frische und Reinheit für uns fließen. Denn mag alles sich ändern, Freund und Bruder weichen — Er ist der Fels, der nimmer wankt, der Eine, der liebt und anhänglicher ist als ein Bruder“, dessen Liebe und Treue stärker sind als der Tod. O möchten wir Ihn deshalb niemals vermehren und Sein Herz betrüben durch Unmut, düstere Gedanken, zweifelnde Überlegungen, durch ein Verhalten, das Furcht, Sorge, Zweifel oder ein Hinneigen zu irdischen Quellen und weltlichen Hilfsmitteln verrät! Nein, lasst uns immer einfältiger, herzlicher, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder im Kämmerlein daheim, „uns freuen im Herrn“! 
Und das nicht nur einmal und zweimal, nicht nur stunden- oder tageweise, nein „allezeit“. Wo war der Apostel, als er das schrieb? Nicht im beglückenden Dienst des Evangeliums, nicht im Kreise der Gläubigen, in inniger Gemeinschaft mit ihnen oder im Verkehr mit den übrigen Arbeitern des Herrn, noch weniger im dritten Himmel“, wo er unaussprechliche Worte hörte und überschwängliche Offenbarungen empfing, sondern in der Gefangenschaft zu Rom, getrennt von den Gläubigen und fern von den Feldern seiner aufopfernden Tätigkeit. Die Verteidigungslinien eines Herzens, dessen Freude allezeit im Herrn ist, vermag niemand und nichts zu durchbrechen. Der Herr erfüllt das Herz, das ist das große Geheimnis; selbst in einem finsteren Kerker ist dann mehr vom Himmel, als im hellsten Sonnenschein draußen. Auf einem ganz anderen Wege, als Paulus es erwartet hatte, war er nach Rom gekommen und, so viel wir wissen, ist er in seiner Hoffnung, über Italien nach Spanien zu reisen (Röm. 15, 28), getäuscht worden. Trotzdem freute er sich und würde sich freuen. 
Glücklicher Mann! Aber solch glückliche Leute können wir auch sein und immer mehr werden. Gott schenke es uns allen in Seiner Gnade! Doch vergessen wir nicht, dass nur ein Weg dahin führt.
Wir kommen jetzt zu dem zweiten „Übrigens“ in unserem Briefe. Es steht im 8· Verse des 4. Kapitels:
„Übrigens, Brüder, alles was wahr, alles was würdig, alles was gerecht, alles was rein, alles was lieblich ist, alles was wohllautet, wenn es irgend eine Tugend und wenn es irgend ein Lob gibt, dieses erwäget. Was ihr auch gelernt und empfangen und gehört und an mir gesehen habt, dieses tut, und der Gott des Friedens wird mit euch sein.“ 
Das Kapitel· beginnt mit einer glühenden Kundgebung der Liebe des Apostels zu den Philippern. Nachdem der eigentliche Lehrinhalt des Briefes, soweit wir überhaupt von Lehre in diesem „Buche der Erfahrung“ reden können, erschöpft ist, schüttet der Schreiber sein ganzes Herz in liebevollen, ergreifenden Ermahnungen vor seinen Brüdern aus: „Daher, meine geliebten und ersehnten Brüder, meine Freude und Krone, also stehet fest im Herrn, Geliebte!“ Es wäre kaum möglich, rührendere und innigere Ausdrücke für die Gefühle herzlicher Bruderliebe zu finden, als sie hier in einem Satze zusammengestellt sind. Sie geben Kunde nicht nur von dem vertrauten Verhältnis zwischen Paulus und seinen Kindern, sondern auch von dem nahen Umgang des Apostels mit seinem Herrn: sein Herz brannte in der Liebe Christi. Wie er Den liebte, der geboren hatte, so liebte er auch die, die aus Ihm geboren waren. 
Auf das „Freuet euch in dem Herrn allezeit! wiederum will ich sagen: Freuet euch!“ — mochten auch für den Augenblick Unstimmigkeiten unter ihnen sein, sie würden in dieser Freude verschwinden — folgt dann die Aufforderung, allen Menschen ihre Gelindigkeit kundwerden zur lassen. Was machte es aus, wenn ihnen wirklich einmal Unrecht geschah? Ein Herz, das sein Alles im Herrn gefunden hat und sich in Ihm freut, achtet alles andere gering, besonders wenn es sich um Beeinträchtigungen im Blick auf irdische Güter, Verunglimpfungen, Kränkungen und dergleichen handelt. Es findet einen überreichen Ersatz in den Reichtümern Christi, überlässt alles Ihm und lernt von Ihm. Zudem: „Der Herr ist nahe“. Er kommt bald, und mit Ihm die Ordnung aller unserer Angelegenheiten, die Lösung aller Fragen und Unklarheiten und die Einführung in die Herrlichkeiten droben. Und bis Er kommt, dürfen .wir zu Gott gehen mit allen unseren Anliegen und sie vor Ihm kundwerden  lassen durch Gebet und Flehen mit Danksagung. Und zwar mit welchem Ergebnis? „Der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird unsere Herzen und unseren Sinn bewahren in Christo Jesu“ (V. 6. 7). 
Welch ein beneidenswertes Geschöpf ist doch ein Christ, der sein Teil in Christo kennt und genießt! Errettet von dem kommenden Zorn, freigemacht von der Macht Satans und der Sklaverei der Sünde, allezeit sich freuend in Dem, der ihm „von Gott geworden ist Weisheit von Gott und Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung“, Ihn als Heiland aus den Himmeln erwartend, der alles Gott gemäß ordnen und auch seinen Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit Seinem Leibe der· Herrlichkeit — so geht er durch diese Welt, und was ihm da begegnet, was ihm Sorge machen will, zu dessen Ordnung seine kleine Kraft und sein kurze; Wissen nicht ausreicht, jede Last, jede Bürde darf er Dem bringen, den er in Christo als seinen Gott und Vater kennt, und so in dem Frieden .ruhen, in welchem Gott selbst sich bewegt und lebt. Wahrlich, schon hier „sind ihm die Messschnüre gefallen in lieblichen Ottern, ja, ein schönes Erbteil ist ihm geworden“ (Ps. 16, 6). Und doch ist damit noch nicht alles gesagt. Das „Übrigens“ unseres Apostels fügt im 8. und 9. Verse dem reichen Schatz noch einen Edelstein hinzu, reiht noch eine kostbare Perle an die schöne .Schnur. 
„Übrigens, Brüder, alles was wahr, alles was würdig, alles was gerecht, alles was rein, alles was lieblich ist, alles was wohllautet, wenn es irgend eine Tugend und wenn es irgend ein Lob gibt, dieses erwäget!“  Der in seinem Herrn sich freuende und dessen Ankunft erwartende Christ führt ein glückliches Leben. Anstatt sich, wie in seinem früheren Zustande, mit dem Bösen in seinen mannigfaltigen Formen bei sich und anderen zu beschäftigen, darf er das Gute, alles was eine Tugend und ein Lob genannt werden kann, erwägen. Er darf, für sich selbst im Lichte wandelnd, allem Guten nachstreben, und er ist berufen, sich bei anderen vornehmlich mit dem zu beschäftigen, was sich da irgend an Wahrem, Gerechtem, Wohllautendem usw. zeigt. Nicht dass er das Böse übersehen und ungestraft lassen sollte — wenn es nötig wird, Böses zu beurteilen und zu strafen, wird Gott auch dazu die nötige Einsicht und geistliche Kraft geben, um in Liebe und Ernst den Schuldigen zu begegnen, —— aber das Element, in welchem der Christ sich» bewegen kann und bewegen sollte, ist das Gute, nicht das Böse. Er „freut sich mit der Wahrheit“. Aus der Finsternis, seinem früheren Element, herausgeführt, bewegt er sich in dem Licht, dem Lebensbereich der neuen Schöpfung, und ist auf alles das bedacht, was diesem Licht angemessen ist. 
Inwieweit entsprechen wir diesem Bilde, teurer Leser? Wie antworten wir auf die Aufforderung: „Dieses tut“? Unsere Gewissen selbst mögen Antwort auf die Frage geben, ob vielleicht die genannten Dinge uns gewohnheitsgemäß beschäftigen. Wenn unsere Ohren schnell bereit sind, auf das zu hören, was unwahr, nicht würdig, nicht lieblich und wohllautend ist, aber langsam, das aufzunehmen, was irgend von Gott kommt, so dürfen wir versichert sein, dass nicht der Gott des Friedens unser Geleitsmann ist, sondern dass unserem christlichen Leben ein ernster Mangel anhaftet, uns und anderen zum Schaden. In uns selbst kraft- und friedelos, sind wir, statt einer Hilfe, dann nur ein Hindernis für andere. 
Wie ganz anders war es bei dem Apostel! Er konnte nicht nur sagen, dass die Philipper diese Dinge von ihm gehört und gelernt hätten, nein, er hatte sie ihnen vorgelebt, sie hatten sie an ihm gesehen. Wenn es je einen Menschen mit einem in der Liebe Christi weiten Herzen gegeben hat, so war es Paulus; und doch hat andererseits kaum ein anderer auf so engem Pfade gewandelt, keiner das Böse in jeder Form mehr verabscheut als er. So wandelnd, hatte er den Gläubigen nicht nur eine Lehre, sondern ein lebendiges Vorbild gegeben. Und welch eine Kraft war in ihm! Der Gott des Friedens ging ihm zur Seite, darum war er unüberwindlich. 
„Der Gott des Friedens“ Das ist noch weit mehr als selbst „der Friede Gottes“· Es ist die Quelle selbst, nicht nur das, was aus ihr fließt; es ist der Genuss der gesegneten Gegenwart Gottes, mit anderen Worten Kraft, nicht nur Ermunterung oder Trost. Der Friede Gottes erquickt und bewahrt das Herz, der Gott des Friedens gibt Kraft. Wenn Er zu meiner Rechten ist, so kann ich mit dem Psalmisten sagen: „Ich werde nicht wanken“. (Ps. 16, 8; 62, 2..6).
So kann denn auch der Apostel hier seiner Ermahnung ein: „Ich habe mich aber im Herrn sehr gefreut“, folgen lassen, „dass ihr endlich einmal im Herrn wieder aufgelebt seid, an mich zu denken usw.“ Sein Gott hatte diese liebliche Frucht in den Philippern zur Befriedigung seiner Bedürfnisse gewirkt, und er war gewiss. dass Er auch alle ihre Notdurft erfüllen werde.

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Liebe und Tat in Wahrheit

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 263ff

Der Herr selbst ist unser schönstes Vorbild. Nach jeder Seite hin zeigt Sein Verhalten uns den Weg. Er selbst sagt: „Lernet von mir!“ und: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, auf dass, gleichwie ich euch getan habe, auch ihr tuet“. (Joh. 13, 15). Gottes Wort weist immer auf Ihn hin als auf das Muster, das maß- und richtunggebend ist für alle, die sich zu Ihm bekennen.
Alle Charakterzüge des „Menschen Gottes“ waren bei Ihm in vollkommenem Maße vorhanden, während sie bei denen, die in Seine Nachfolge berufen sind, sich mehr oder weniger ausgebildet finden. Das Muster aller derer, die der Ausbildung bedürfen, ist Der und kann nur Der sein, der die Züge des „Menschen Gottes“ beständig trug, der als Mensch wohl ein Wachstum, ein Zunehmen kannte (verg1. Luk. 2, 40. 52), bei dem es aber eine Entwicklung in dem genannten Sinne nicht gab. Er war in jedem Lebensabschnitt, als Knabe, als Jüngling und Mann, in jeder Beziehung vollkommen. Wenn der Mensch in seiner Torheit eine Entwicklung oder Ausbildung bei Ihm, ähnlich wie bei uns, feststellen möchte, so wird Gott ihn früher oder später eines anderen überführen, denn Gott kann nicht zugeben, dass „Sein Gesalbter angetastet“ werde.
Der Apostel Paulus, der die Gesinnung und die Züge seines Herrn auf seinem Wege zur Schau trug, sagt daher auch mit dem unverkennbaren Hinweis auf das einzige, allen gemeinsame Vorbild: „Seid meine Nachahmer, gleichwie auch ich .Christi“. (1. Kor. 11, 1). Er wandelte in den Spuren seines Herrn und konnte so den Gläubigen jener Tage, die den Herrn persönlich nicht gekannt und Seinen Weg nicht gesehen hatten, die auch die Schriften nicht besaßen, welche uns die Kenntnis von Ihm und Seinem Tun vermitteln, mit gutem Gewissen zurufen: „Seid meine Nachahmer“. Uns setzt das Zeugnis des Wortes Gottes in den Stand, den Herrn selbst auf Seinem Wege zu sehen, um von Ihm zu lernen, der zu jeder Zeit das Vorbild war für Seine Knechte und Zeugen, für alle, die da begehren, Gottes Willen zu tun. Zugleich aber können wir auch Seine Diener, die im Laufe der Zeit Seinen Spuren folgten, betrachten, um von ihnen zu lernen als von Menschen mit gleichen Gemütsbewegungen wie wir. 
Johannes hatte, wie kein anderer Jünger des Herrn, den Charakter der Liebe Gottes kennen gelernt. Er hatte auch die Liebe und Zuneigung des Herrn in besonderem Maße für sein Herz genossen; er war „der Jünger, den Jesus liebte“. Das schreibt er selbst, kein anderer Evangelist spricht davon. Johannes wusste, was Liebe war; er kannte auch die Weise, in der wirkliche Liebe sich äußert. Wenn er „an der Brust Jesu lag“, so hatte er diesen Platz wohl nicht auf Geheiß seines Herrn eingenommen, sondern weil er Ihm nahe zu sein wünschte, der ihn zuerst geliebt hatte und bis ans Ende liebte“ Er hatte ein Auge für die Liebe, die sich offenbarte angesichts so mancher Vorkommnisse im Kreise der Seinen, die jedes andere Herz längst zum Erkalten gebracht hätten. Mochten die Jünger von „Verlust“ und „Verschwendung“ reden (Mark. 14, 4; Matth. 26, 8), wenn kostbare Narde. über Ihn ausgeschüttet wurde, und es als weggeworfenes Geld betrachten, wenn einmal ein  Menschenkind mehr als dreihundert Denare für den Herrn aufwandte: Jesus blieb immer derselbe. „Da Er die Seinigen, die in der Welt waren, geliebt hatte, liebte: Er sie bis ans Ende“ Diese unveränderliche Liebe des Herrn, verbunden mit dem Gefühl: Ich bin ein Gegenstand der Liebe Seines Herzens, nahm Johannes völlig für Ihn ein. Besonderer Worte bedurfte es dabei nicht. 
Dieser Apostel Johannes schreibt in seinem Alter an die Gläubigen: „Kinder, lasst uns nicht lieben mit Worten, noch mit der Zunge, sondern in Tat und Wahrheit“. Worte sind nicht gleichbedeutend mit Taten, und Zungentätigkeit nicht mit Wahrheit. Der Apostel Jakobus sagt, um den lebendigen Glauben zu kennzeichnen: „Was nützt es, meine Brüder, wenn jemand sagt, er habe Glauben, hat aber nicht Werke (Jak. 2, 14.) Wo wäre je wahrer Glaube gewesen, ohne dass er Frucht gezeitigt hätte? Und wo ist je Liebe vorhanden, ohne dass sie sich betätigte? Die Liebe muss sich betätigen. Wo sie vorhanden ist, da regt sie sich, und ihre Regungen werden denen fühlbar, an welchen sie sich betätigt. Vieler Worte bedarf es dabei nicht. Im Gegenteil, oft, sehr oft kann es als Eingeständnis eines
Mangels an Liebe gelten, wenn jemand es für nötig hält, den anderen seiner Liebe und Zuneigung zu versichern. Beteuert die Mutter dem Kinde, dass sie es liebe? Sie liebt es, und ihre Liebe offenbart sich in ihrem Tun. Sie herzt und küsst, nährt, pflegt und erzieht es. Sie erweist dem Kinde nur Gutes, weil sie es liebt.
Dabei ist diese Liebe nur ein schwaches Abbild von dem, was Liebe ist. Die Schönheit des Abbildes soll durchaus anerkannt werden, und es bleibt bestehen, dass   überall da, wo wahre menschliche Liebe sich offenbart, auch ihre oft rührende Schönheit sichtbar wird. Aber jede Art menschlicher, natürlicher Liebe ist abhängig von der Art der Beziehungen, die den Liebenden mit dem geliebten Gegenstande verbinden. Warum liebt die Mutter ihr Kind? Weil es ein Teil ihres Selbst ist. Für ein fremdes Kind kann auch die beste Mutter nicht die Gefühle aufbringen, welche sie für das eigene, von ihr selbst geborene hat. Und wenn der Mann sein Weib liebt, so liebt er nach dem Worte Gottes „sich selbst“ (Eph. 5, 28). Daraus ergibt sich, dass auch da, wo die zartesten und schönsten Beziehungen auf Grund menschlicher, natürlicher Gefühle (allerdings sind diese von Gott anerkannt und von Ihm gegeben) bestehen, diese Liebe doch immer nur betätigt wird an Gegenständen, die mit uns verwachsen, ein Teil unseres Selbst sind. Natürliche Liebe kann daher niemals als absolut rein gelten, sie ist nie frei von Eigenliebe und Selbstsucht, mag auch das Bild, das bei ihrer Betätigung dem Auge sich darbietet, noch so schön sein. 
Die Liebe offenbart sich, wie gesagt, durch die Tat. „Also hat Gott die Welt geliebt, dass Er Seinen eingeborenen Sohn gab“, und: „Gott erweist Seine Liebe gegen uns darin, dass Christus . . . für uns gestorben ist“. Mit Worten konnte das Ziel, welche Gottes Liebe» sich gesteckt hatte, nicht erreicht werden; es bedurfte dazu einer Tat der Liebe, wie Er sie vollbracht hat. Sein Machtwort hatte genügt, um Welten zu schaffen, aber es konnte nicht genügen „um Seine ewige, unfassbare Liebe zu erweisen. Diese hat Er kundgemacht, indem Er bösen, feindseligen Menschen zugute den eingeborenen Sohn gab, der aus der Herrlichkeit, die Er bei dem Vater hatte, ehe die Welt war, herniederkam, um auf der durch Menschenschuld verfluchten Erde die Güte und Menschenliebe Gottes kundzutun, eine Liebe, die sich stärker erwiesen hat als der Tod. Und seit dem Tage, an dem „die Güte und Menschenliebe Gottes erschien“, hat Er bis zur gegenwärtigen Stunde in unveränderter Liebe sich als Heiland-Gott erwiesen, der da will, dass allen geholfen werde. 
Es ist unmöglich, einen Grund oder Anlass für die göttliche Liebe zu finden. Der Zustand des Menschen und sein Verhalten waren beide vor Gott so verabscheuungswürdig, dass sie Ihn wahrlich nicht anleiten konnten, etwas zugunsten des Menschen zu tun. Aber das ist gerade das Kennzeichen der Liebe, die aus Gott ist: sie findet den Anlass zu ihrer Betätigung in sich selbst, nicht in den Gegenständen, denen sie sich zuwendet, es sei denn in dem Sinne, dass diese gerade durch ihren jämmerlichen Zustand, ihre Bedürftigkeit und ihren Unwert die Liebe anreizen, sie als ihr Betätigungsfeld zu betrachten und sich an ihnen auszuwirken. Solchen Gegenständen aber kann mit Worten nicht geholfen werden, da bedarf es der Tat. 
Für alle nun, die der göttlichen Liebe teilhaftig geworden sind, sie persönlich erkannt und geschmeckt haben, heißt es: „Seid Nachahmer Gottes als geliebte Kinder!“ (Eph. 5, 1). Nur Taten, Handlungen können nachgeahmt werden. Wie war und ist nun das Tun Gottes, zu dessen Nachahmung wir berufen sind? Wie hat Er Seine Liebe durch Sein Tun geoffenbart? Einmal, wie wir bereits sagten, dadurch, „dass Er Seinen eingeborenen Sohn gab“, und „dass Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist“. Zur Nachahmung dieses Tuns Gottes ist kein Geschöpf fähig, denn nur Gott vermochte „Seine unaussprechliche Gabe“ zu geben, und die „die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus“ war nur Ihm eigen, dessen Name in den Herzen der Seinen Huldigung, Bewunderung und Anbetung hervorbringen wird in alle Ewigkeit. Aber das unmittelbare Tun Gottes mit dem Menschen, gewissermaßen Sein Umgehen mit ihm, wie der Herr es in so herzbewegender Weise in dem Gleichnis vom verlorenen Sohn zur Darstellung bringt, und die Art, in welcher der Herr Jesus, der als der eingeborene Sohn den Vater kundgemacht hat, mit Menschen umging, sie zeigen uns, wie wir in Tat und Wahrheit Liebe üben können. 
Das Handeln des Vaters mit dem „zu sich selbst gekommenen“, vom Schweineacker zurückkehrenden Sohn zeigt die kein Hindernis kennende Liebe, die vor Schmutz und Lumpen nicht zurückschreckt, die, statt Zeichen des Ekels zu äußern, dem Bekennenden um den Hals fällt und ihn küsst. Da gewinnt das Wort Gestalt: „Wo aber die Sünde überströmend geworden, ist die Gnade noch überschwänglicher geworden“. Dem in Lumpen gehüllten Sohn hätten gute. und schöne, auch herzliche, innige Worte allein nichts nützen können: er brauchte ein Kleid, und der Vater gab ihm das „beste“ Kleid, und dazu noch den Ring und die Sandalen als Zeichen des freien Mannes, des Sohnes im Hause. Welches Wort wäre imstande gewesen, die Gefühle des Vaters auszudrücken, als er dem Sohn um den Hals fiel und ihn küsste? Welches Wort hätte dem Sohn so die Liebe des Vaters zeigen können wie dieses Tun des Vaters? In einem solchen Falle gibt es keine Worte, und es bedarf ihrer auch sticht. Der Umstand, dass wir nichts von Worten hier lesen, ist unserer besonderen Beachtung wert. 
O dass wir für das Tun des Vaters mehr Verständnis empfangen möchten; dass unsere Augen Sein· Handeln mehr anschauen, unsere Herzen die in Seinem Tun geoffenbarte Liebe mehr empfinden möchten, um fähig zu sein, den Frieden und die Freude des Vaterhauses an der Brust des Vaters zu genießen, verbunden mit dem Bewusstsein, für das Herz des „in Seiner Liebe schweigenden“ (Zephanja 3, 17) Vaters ein Gegenstand der Freude zu sein!
Wo ist ein Herz, das nicht geneigt wäre, an der Freude des Vaters und des ganzen Hauses teilzunehmen? Und doch gibt es ein solches Herz! Wie kalt, wie armselig zeigt sich der ältere Sohn angesichts der Freude des ganzen Hauses! Er hat nur kalte, abweisende, das Verfehlen des zurückgekehrten Bruders kennzeichnende Worte, unter Hervorhebung seiner eigenen Leistungen. Freude über die Rückkehr des Bruders kennt er nicht. Indessen kann er die Freude des Vaters nicht schmälern. Wenn er sich nicht an ihr beteiligen will, so hat er allein den Schaden. Dem Herzen des Vaters kann er durch sein Draußenbleiben sicher nicht näher kommen, mag er auch sein eigenes Tun noch so sehr betonen. 
Dass wir doch nie in Gesinnung und Worten diesem älteren Bruder gleichen möchten! Wir, die wir durch Jesum Annahme gefunden haben bei dem Vater, die wir mit Gott versöhnt sind durch den Tod Seines Sohnes, wir· sind gleich dem verlorenen Sohne zu dem Vater gekommen. Wie unnatürlich wäre es, wenn in unseren Herzen eine Gesinnung gleich der des älteren Sohnes Raum finden würde! Freude und Dankbarkeit über die Liebe und das Erbarmen des Vaters geziemen uns, wenn ein Verlorener auf dem Wege zum Vater ist oder, „zu sich selbst gekommen“, im Vaterhause Aufnahme gefunden hat und dort nun ein Gegenstand der Liebe und Freude des Vaters geworden ist.
Wenn der Herr in Joh. 4, 4 durch Samaria ziehen musste, so leitete Ihn, für den es doch kein anderes
„Müssen“ gab, wohl das in Joh. 4, 34 gekennzeichnete Lebensbedürfnis, den Willen des Vaters zu tun. Und dieser Wille bestand in jenem Augenblick darin, dem verlorenen Weibe an jenem Brunnen von dem lebendigen Wasser zu geben und gerade ihm zu sagen, dass der Vater Anbeter suche, die Ihn im Geist und in Wahrheit anbeten. Ein solches Wort hatte der Herr dein Pharisäer Nikodemus im vorhergehenden Kapitel nicht gesagt; aber diesem, nach menschlichem Empfinden verworfenen Weibe sagt Er es. Gott« war willens, den Reichtum und die Macht Seiner Liebe dadurch nur umso augenscheinlicher zu machen, damit jeder an diesem Gefäß der Begnadigung den Reichtum Seiner Gnade sehen möchte. Ja, Danksagung und Anbetung gebühren Ihm, der Seine Liebe solchen Geschöpfen zugewandt hat, an denen sie sich in ihrer ganzen Fülle offenbaren kann. 
Wenn wir nun bedenken, dass auch wir diesen Gefäßen der Begnadigung zugezählt sind und als solche jeden Tag unseres Daseins hier durch Gnade getragen werden, dass wir täglich neu dieser göttlichen Gnade in ihrem vollen Umfang bedürfen, und dass die Liebe Gottes  die Quelle ist von allem, was wir empfangen haben und täglich neu erfahren, so kann uns das anleiten, auch unserseits das zu offenbaren, was uns als den bedürftigen Gefäßen zuteil geworden ist. Gewiss wird bei all unserem Tun menschliche Schwachheit und Unvollkommenheit zu sehen sein. Aber der Charakter der göttlichen Liebe kann niemals da fehlen, wo sie wirklich gekannt und geübt wird. Fehlen ihre Merkmale bei unserem Handeln, so mögen wir wohl prüfen, was uns dabei geleitet hat. Es ist nicht so schwer, selbst in weitgehendem Maße Liebe zu üben gegen solche, mit denen wir durch natürliche Bande verknüpft sind; auch freundschaftliche Beziehungen machen es uns leicht, Liebe zu üben. Aber diese Liebe kühlt sich mit den Beziehungen ab und hört mit deren Verschwinden auf. Sie ist abhängig von denen, an welchen sie betätigt wird. Es ist nicht so sehr der vorhandene Mangel, das Bedürfnis des Gegenstandes, der bestimmend ist für die Betätigung unserer Liebe, als vielmehr der Wert des Gegenstandes für uns, oder der Nutzen, der uns durch ihre Betätigung zugute kommt. Aber das ist nicht Liebe. Solche Liebe kann mit Worten und mit der Zunge in recht üppiger Weise zum Ausdruck kommen; und wenn der für uns zu erwartende Nutzen in angemessenem Verhältnis zu unserer Aufwendung steht, so kann sie es auch zu Taten bringen· Aber selbst solche Taten ändern an dem Charakter dieser Liebe nichts· Sie entspringt einer unreinen Quelle und ist bei Licht besehen nichts anderes als der Ausfluss des verschlagenen, natürlichen Herzens, von dem Gottes Wort sagt: „Arglistig ist das Herz, mehr als alles, und verderbt ist es“. (Jer. 17, 9).
Der Apostel Paulus konnte sagen: „Ich will aber sehr gern alles verwenden und völlig verwendet werden für eure Seelen, wenn ich auch, je überschwänglicher ich euch liebe, umso weniger geliebt werde“ (2. Kor. 12, 15). Das ist die Liebe, deren Quelle Gott selbst ist. Von ihr heißt es: „sie sucht nicht das Ihrige“.(1. Kor. 13, 5). Derselbe Apostel schreibt auch: „Ich suche nicht das Eure, sondern euch“. (2. Kor. 12 — 14). Was befähigte den Apostel, so zu reden und zu handeln? War es natürliche Veranlagung? War sein Handeln der Ausfluss einer Quelle, die in ihm vorhanden war? Nein, er war ein Mensch von gleichen Gemütsbewegungen wie wir, und hatte sich in seinem natürlichen Zustand als ein Feind Gottes, ja, als ein erbitterter Verfolger des Herrn Jesus und Seiner Erlösten erwiesen. Aber Gott hatte ihn auserwählt und „tüchtig gemacht“ zum Dienst (2. Kor. 3, 6). Paulus selbst sagt: „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und Seine Gnade gegen mich ist nicht vergeblich gewesen. (1. Korinther 15, 10). Was er zu tun vermochte, geschah auf Grund dessen, was Gott an ihm getan hatte. 
Das Wort: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft, und deinen Nächsten wie dich selbst“, hat noch keinen Menschen befähigen können, Gott zu lieben. Wer den Versuch gemacht hat, Gott von ganzem Herzen und mit seinen ganzen Kräften zu lieben, der weiß, dass er es nicht vermag. Aber „wir (die Gläubigen) lieben, weil Er uns zuerst geliebt hat“. (1. Joh. 4, 19.) Wir lieben Ihn der geboren hat, und lieben auch die, welche aus Ihm geboren sind. Es kann nicht anders sein: „Wer Gott liebt, liebt auch seinen Bruder“ (1.Joh. 4, 20. 21). 
Was ist nun wohl die Ursache der mitunter von Kindern Gottes erhabenen Klage, dass so wenig Liebe
unter den Gläubigen gefunden wird, und dass Entfremdung und kühle Zurückhaltung sich dafür umso reichlicher zeigen? Könnte nicht die Ursache solcher Klage bei mir selbst liegen? Klage ich vielleicht, weil man mich (nach meiner Ansicht) nicht genügend beachtet und« ehrt? Wenn das die Ursache meiner Klage ist, (es bedarf besonderer Gnade, um diese Ursache in solchem Zustande zu erkennen,) dann bin ich ein besonders geeigneter Gegenstand zur Erprobung der Liebe der Geschwister. Aber diese Klage hört auf und wandelt sich in Äußerungen der Beschämung, sobald die Ursache durch Gottes Gnade erkannt wird. Darum noch einmal: sollten nicht manche der bezeichneten Klagen ihren Grund darin haben, dass der Klagende an die anderen denkt, wenn er von Mangel an Liebe spricht, und an sich selbst, wenn er von solchen redet, denen Liebe vorenthalten wird? 
Aber vielleicht wird man einwenden: Das Gesagte erscheint mit Rücksicht auf den wirklich bestehenden Mangel unter uns nicht stichhaltig und, da in den Worten eine Andeutung zur Beseitigung des vorhandenen Mangels nicht zu finden ist, auch nicht ausreichend, weil der Kern der Sache fehlt. Darauf möchte ich erwidern: Legen wir uns doch einmal (selbst abgesehen von der Betrüglichkeit unserer eigenliebigen Herzen) die Fragen vor: „Wird ein bestehender Zustand dadurch geändert, dass man über ihn klagt? Klage ich überhaupt anderen gegenüber über den Mangel, der bei mir ist?“ — Wenn  ich aber bei solcher Klage nicht mich« im Auge habe, dann können es doch nur die anderen sein, bei denen der Mangel ist, und darum ergibt sich wiederum mit Notwendigkeit, dass ich es bin, der ihn sieht und auch- empfindet, während bei den anderen zu dem (nach meiner Ansicht) vorhandenen Mangel an Liebe gar noch Empfindungslosigkeit tritt· Wie armselig und .töricht sind wir doch, wenn ein solcher Zustand bei uns vorhanden ist! Anstatt von Menschen Liebe zu erwarten, die doch in sich selbst gar nicht fähig sind, Liebe zu erweisen, steht uns der Weg offen zu Gott, dem Vater, der Liebe ist und Seine Liebe darin erwiesen hat, „dass Christus, da wir noch“ Sünder waren, für uns gestorben ist.“ Der beste Mensch ist zu arm, um aus sich Liebe zu erweisen. Warum also Liebe erwarten von einer Stelle, an der sie nicht gefunden werden kann?“ 
„Die Liebe ist aus Gott“ Wo sie sich offenbart, da ist Gott die Quelle, nicht de: Mensch, der sie übt. Wenn wir — wie es ja leider der Fall ist — sehen müssen, das; in unseren Tagen Kälte und Entfremdung der Gläubigen zunehmen, und dass der Charakter wahrer, göttlicher Liebe wenig unter uns gefunden wird, so ist es nicht Zeit zu klagen, sondern zum Urquell der Liebe zu gehen. Löcherichte Brunnen, die kein Wasser halten, können auch kein Wasser geben, und von bedürftigen Menschen, die zu arm sind, um Liebe zu geben, können wir keine erwarten. „Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit, wegen Seiner vielen Liebe“, Er kann auch den armen Menschen reich machen, sein liebebedürftiges Herz füllen mit Seiner Liebe und ihn befähigen, Sein Nachahmer zu sein und Liebe gebend durch eine feindselige, hasserfüllte Welt zu gehen, „viele reich machend“, wie der Apostel Paulus als Nachahmer des Herrn Jesus es getan hat (2. Korinther 6, 10). 
Von dem Herrn selbst heißt es, dass Er durch diese Welt ging, „wohltuend und heilend alle, die von dem Teufel überwältigt waren“ (Apstgsch. 10, 38.) Dabei klagte Er nie darüber, dass Ihm keine oder zu wenig Liebe erwiesen werde. Wohl lesen wir, dass Er in den Stunden, als die ganze Welt sich gegen Ihn, ihren Herrn und Schöpfer, wandte, auf Mitleid und auf Tröster gewartet, aber weder das eine noch die anderen gefunden habe. Aber diese Worte sind wohl mehr als eine Feststellung Seines tatsächlichen Alleinstehens, denn als eine Klage über den beschämenden Mangel an treuer Liebe bei den Seinen zu betrachten. ,,Er wusste, was in dem Menschen war, ehe Er in diese Welt kam und während Er sie durchschritt. Er war nicht gekommen, „um bedient zu werden, sondern um zu dienen und Sein Leben zu geben als Lösegeld für viele“. So hat Er uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben, für Geschöpfe, deren Feindschaft und Bosheit Ihn bis in Tod und Grab verfolgten. Wer ist imstande, die Liebe Gottes und die „die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus“ (Eph. 3, 19) zu ergründen? Diese Liebe wird uns als Maßstab gezeigt, wenn es heißt: „Wandelt in Liebe, gleichwie auch der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat“ (Eph. 5, 2). 
Und wenn wir auch die in Jesu geoffenbarte Liebe nicht zu erkennen und zu erfassen vermögen, so, können wir sie doch anbeten und als geliebte Kinder Nachahmer Gottes .sein, deren Tun den Charakter göttlicher Liebe trägt, die, unbehindert durch natürliche Beziehungen und unabhängig von Gesinnung und Tun der Gegenstände ihrer Betätigung, wohltuend, heilend und viele reich machend sich erweist zum Preise der Herrlichkeit der Gnade Gottes und zum Heil und Segen aller, denen sie zugutekommt.

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Der Prediger

Bibelstelle: Prediger

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 276ff

Das Buch des Predigers ist bis zu einem gewissen Punkt das Gegenstück zu dem Buche der Sprüche. Es gibt die Erfahrung eines Menschen wieder, der die nötige Weisheit besitzt, um alles beurteilen zu können, und nun jedes Ding ;unter der Sonne, das man für geeignet halten könnte, den Menschen glücklich zu machen, prüft, indem er alles das genießt, was menschliche Fähigkeiten als ein Mittel zur Freude darzubieten vermögen. Das Ergebnis dieser Prüfung ist die Entdeckung, dass alles „Eitelkeit und ein Haschen nach Wind“ ist; dass jede Anstrengung, im Besitz der Erde (wie dieser Besitz auch geartet sein möge) glücklich zu sein, in nichts endet. Ein Krebsgeschwür, ein nagender Wurm ist an der Wurzel. Und je größer die Fähigkeit zum Genießen ist, desto tiefer und ausgiebiger ist die Erfahrung der Enttäuschung und des Haschens nach Wind. Vergnügen befriedigt nicht; und selbst der Gedanke, durch einen außergewöhnlichen Grad von Gerechtigkeit sich in dieser Welt Glück zu verschaffen, erweist sich als unausführbar. Das Böse ist vorhanden, und die Regierung Gottes in einer Welt wie diese wird nicht zu dem Zweck ausgeübt, um den Menschen hienieden Glückseligkeit zu verschaffen — eine Glückseligkeit, die aus den Dingen hienieden geschöpft wird und
auf deren Beständigkeit beruht; obwohl diese Regierung gewöhnlich diejenigen beschützt, die mit Gott wandeln, denn: „Wer ist, der euch Böses tun wird, wenn ihr Nachahmer des Guten geworden seid?“ (1.Petr. 3, 13). *) Die Wahrheit, dass wir tot in Sünden und Übertretungen sind, wird hier in keiner Weise angedeutet, das Buch teilt uns vielmehr das Ergebnis mit, welches im Inneren des Schreibers hervorgerufen worden ist durch die Erfahrungen, die er durchlebt hat und die er uns nun mitteilt.
Was die Dinge um uns her betrifft, so gibt es nichts Besseres, als das zu genießen, was Gott uns gegeben hat; und als „Endergebnis des Ganzen“ ist die Furcht Jehovas der ganze Mensch, die Richtschnur für seinen Wandel auf Erden. Weder seine Fähigkeiten noch die Befriedigung seines eigenen Willens machen ihn glücklich, selbst wenn ihm die ganze Welt zur Verfügung steht. „Denn was wird der Mensch tun, der nach dem Könige kommen wird?“  Dem Menschen gelingt es nicht, sich Freude zu verschaffen, und dauernde Freude ist nirgend für ihn zu finden. Wenn es daher irgend eine Freude für ihn gibt, so ist das Gefühl damit verbunden, dass sie nicht festgehalten werden kann.
Die sittliche Belehrung dieses Buches geht selbst über die der Sprüche hinaus — wenigstens nach einer Seite hin; denn wir dürfen nicht vergessen, dass es sich hier um diese Welt handelt (unter der Sonne). Weisheit nützt nicht mehr als Torheit· Ist auch der Unterschied zwischen ihnen so groß wie der zwischen Licht und Finsternis, dennoch widerfährt ein Geschick allen Menschen, und vieles Nachdenken führt nur dazu, das Leben zu hassen. Das Herz wird des Forschens müde, und schließlich stirbt der eine wie der andere. Die Welt, als System betrachtet, ist eine Ruine, und der Tod durchschneidet den Faden aller Gedanken und Pläne und hebt   jede Verbindung auf zwischen dem geschicktesten Arbeiter und der Frucht seiner Arbeiten. Was für Nutzen ist ihm geworden? Alles hat eine bestimmte Zeit, und der Mensch muss alles zur rechten Zeit tun und das genießen, was Gott ihm auf seinem Wege darreicht. Aber Gott ist in Seinen Werken immer Derselbe, damit die Menschen sich vor Ihm fürchten. Der Prediger weiß, dass Gott den Gerechten und den Gesetzlosen richten wird, doch soweit die Kenntnis des Menschen reicht, stirbt er, wie das Tier stirbt; und wer kann sagen, was nachher aus ihm wird? Es handelt sich in unserem Buche nicht um die Offenbarung der zukünftigen Welt, sondern um Erfahrungsschlüsse, die aus dem, was in dieser Welt vorgeht, gezogen werden. Die Erkenntnis Gottes lehrt, dass es ein Gericht gibt; für den Menschen ist jenseits des gegenwärtigen Lebens alles dunkel. 
Das 4. Kapitel gibt dem tiefen Kummer Ausdruck, der hervorgerufen wird durch die schreiende Ungerechtigkeit einer sündigen Welt und durch das viele, nie wieder gutgemachte Unrecht, wovon die Geschichte unseres Geschlechts voll ist, und das in der Tat die Geschichte des Menschen für jeden, der ein natürliches Gerechtigkeitsgefühl besitzt, unerträglich macht und den Wunsch in ihm wachruft: Ach, wenn nur alles zu Ende wäre! Arbeit und Trägheit tragen gleicherweise ihr Teil zu dem Elend bei. Dennoch sehen wir, wie inmitten dieses Triebsandes, in welchem der Fuß keinen Halt finden kann, der Gedanke an Gott aufsteigt und dem Herzen und Sinn eine feste Grundlage gibt. 
Das geschieht im Anfang des 5. Kapitels. Gott fordert Achtung von dem Menschen. Die Torheit des Herzens ist in Seiner Gegenwart wirklich Torheit. Von hier ab finden wir im weiteren Verlauf dieses Buches, dass das, was die eitle Hoffnung auf irdische Glückseligkeit wegnimmt, dem Herzen eine wahre Freude gibt, indem es weise und darum, in Absonderung von der Welt, glücklich wird. Infolge dessen ist auch die Gnade der Geduld vorhanden. Die selbstgenügsame Anstrengung, gerecht zu sein, endet nur in Beschämung; Tätigkeit im Bösen endet im Tode. Schließlich ist das Streben, durch die Erkenntnis der Dinge hienieden Weisheit zu erlangen, vergebliche Mühe. Der Prediger hat zweierlei gefunden: zunächst in Bezug auf das Weib, beurteilt nach der Erfahrung der Welt, hat er keine gute gefunden, unter den Männern einen aus Tausenden; und um es mit einem Wort auszudrücken: Gott hat den Menschen aufrichtig geschaffen, der Mensch aber, getrennt von Gott, hat viele Ränke gesucht (Kap. 7). 
Gott muss geehrt werden und auch der König, dem Gott Macht gegeben hat. Im 9. und 10. Kapitel sehen wir auch, wie wenig alles hier der scheinbaren Fassungskraft des Menschen entspricht, und wie wenig diese Fassungskraft, selbst wenn sie eine wirkliche ist, geachtet wird. Trotzdem hat die Weisheit des Aufrichtigen und die Torheit des Törichten jede ihre eigenen Folgen, und schließlich ist es Gott, der richtet. Fasst man alles zusammen, so ergibt sich, dass man Gottes eingedenk sein muss, und zwar bevor Schwachheit und Alter über uns kommen. Denn das offenbare Endergebnis alles Gesagten ist: „Fürchte Gott und halte Seine Gebote, denn das ist der ganze Mensch“ (Kap. 12, 13).
Der Hauptgegenstand dieses Buches ist also die Torheit aller Anstrengungen des Menschen, das Glück hienieden zu suchen, sowie die Erfahrung, dass die Weisheit, die alle diese Dinge zu beurteilen vermag, den Menschen nur noch unglücklicher macht. Schließlich stellt der Prediger, der seinerseits die höchste Fassungskraft besaß, diese seine Erfahrung dem einfachen Grundsatz aller wahren Weisheit gegenüber: Unterwerfung unter Gott und Gehorsam gegen Ihn, der alles kennt und alles regiert, weil „Gott jedes Werk ins Gericht bringen wird“. 
Wenn mir im Auge behalten, dass dieses Buch uns die Erfahrung des Menschen und seine Überlegungen bezüglich alles dessen wiedergibt, was unter d er Sonne geschieht, so gibt es keine Schwierigkeit in solchen Stellen, die scheinbar Unglauben in sich bergen. Die Erfahrung des Menschen ist notwendigerweise ungläubig. Er bekennt seine Unwissenheit; denn von dem, was jenseits des Sichtbaren liegt, kann die Erfahrung nichts wissen. Aber die Lösung aller sittlichen Fragen liegt über dem Sichtbaren und jenseits desselben. Das Buch des Predigers macht dies offenbar. Die einzige Lebensregel besteht daher darin, Gott zu fürchtest, der über unser Leben verfügt, der jedes Werk während all der Tage unseres eitlen Lebens beurteilt und richtet. In diesem Buche handelt es sich also keineswegs um Gnade oder um Erlösung, sondern ausschließlich um die Erfahrungen des gegenwärtigen Lebens, und um das, was Gott betreffs desselben gesagt hat, um Sein Gesetz, Seine Gebote und das kommende Gericht, kurz um das, was dem Menschen verordnet ist. 
Ein unter dein Gesetz stehender Jude konnte so reden, nachdem er alles erprobt hatte, was Gott dem Menschen in dieser Stellung an Gunsterweisungen zuwenden konnte, zugleich auch im Hinblick auf das damit verbundene Gericht Gottes.
In den Spruches: haben wir eine praktische sittliche Leitung für unseren Weg durch diese Welt; im Prediger das Ergebnis aller Anstrengungen, die der Wille des Menschen machen kann, um Glückseligkeit zu finden, wobei ihm alle nur denkbaren Mittel zur Verfügung stehen. Doch in dem ganzen Buche ist weder von einer Bundesbeziehung die Rede, noch: gibt es eine Offenbarung. Der Mensch steht vor uns mit feinen natürlichen Fähigkeiten und so wie er ist, zwar sich selbst bewusst, dass er es mit Gott zu tun hat, aber nach seinen eigenen Gedanken das Glück suchend, wo es zu finden sei. Indes ist das Gewissen nicht unbeteiligt, und am Schlusse des Buches wird die Furcht Gottes anerkannt. Obwohl also Gott bestimmt anerkannt wird, haben wir doch den Menschen in der Welt vor uns mit der völligen Erfahrung alles dessen, was in ihr ist.

Fußnoten:
*) Die Briefe Petri beschäftigen sich, nachdem sie die Grundlage der Erlösung und der Wiedergeburt dargestellt haben, mit der Regierung Gottes, und zwar der erste mit der Anwendung derselben auf die Heiligen, der zweite mit ihrer Beziehung zur Welt und den Bösen hienieden; daher geht er auch bis zu dem neuen Himmel und der neuen Erde.

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Der Unterschied zwischen Abendmahl und Tisch des Herrn

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 280ff

Unsere bisherigen Betrachtungen haben uns gezeigt, dass das Abendmahl ein Fest ist, und zwar das Fest der Erlösung, die Feier des Gedächtnisses an unseren Herrn und Heiland während der Zeit Seiner Abwesenheit. Wir haben ferner gesehen, dass es ein wirkliches Mahl ist, ein wirkliches Essen und Trinken, und dass wir, so oft wir es begehen, den Tod des Herrn verkündigen, bis Er kommt. Heute kommen wir zu einer weiteren, überaus wichtigen Seite der uns beschäftigenden Wahrheit, zu dem bedeutsamen Unterschied nämlich zwischen den beiden Seiten des Brotbrechens, betrachtet als „Abendmahl“ oder als „Tisch des Herrn“. 
Abendmahl und Tisch des Herrn sind dieselbe und doch nicht dieselbe Sache. In einem Sinne gleichbedeutend, unterscheiden sich die beiden Begriffe doch wesentlich voneinander. Der aufmerksame Bibelleser wird das auch sehr bald herausfinden. Als der Herr das Abendmahl einsetzte, hören wir vom „Tische des Herrn“ noch kein Wort. Wir finden diesen Ausdruck zum ersten und zugleich einzigen Male in 1. Kor. 10, 21. Er kommt sonst im Neuen Testament nicht vor; im Alten wird er auf den Altar angewandt, als die Stätte, wo die Opfer, die Speise oder das Brot Gottes, dargebracht wurden (Mal. 1, 7. 12; vergl. Hesekiel 41, 22; 44, 16). 
Es liegt auf der Hand, dass eine solche Änderung im Ausdruck im Worte Gottes nicht bedeutungslos ist. Sie zeigt uns eben, dass das Abendmahl nicht dasselbe ist wie der Tisch des Herrn, und der Tisch des Herrn nicht dasselbe wie das Abendmahl. Schon die beiden Wörter „Mahl“ und Tisch“ weisen auf den Unterschied hin. Ein Mahl kann man feiern oder begehen, einen Tisch niemals. So ist es auch nicht richtig zu sagen, obwohl es manchmal geschieht: „Wir feiern den Tisch des Herrn“. Wir feiern vielmehr das Abendmahl am Tische des Herrn. Das eine ist, um es gleich vorab zu sagen, das Gedächtnis an den gekreuzigten Herrn und die Verkündigung Seines Todes, der andere die Darstellung, der einzige öffentliche Ausdruck der Einheit Seines Leibes. 
In 1. Kor. 10 redet der Apostel davon, dass wir (die Gläubigen) das Brot brechen; im 11. Kapitel erwähnt er nur die Tatsache, dass der Herr es brach und dann in gebrochenem Zustande Seinen Jüngern gab. Das erste ist also eine gemeinsame Handlung. In Übereinstimmung damit begegnen wir auch nur im ersten Falle dem Ausdruck „Tisch des Herrn“. Dass man dieses Wort nicht in buchstäblichem Sinne zu verstehen und an das hölzerne Hausgerät zu denken hat, auf welchem Brot und Kelch stehen, brauche ich wohl nicht zu sagen; es ist ein bildlicher, die Gemeinschaft darstellender Ausdruck: der Tisch oder die Stätte, die Gelegenheit, wo der Herr die Seinigen um sich versammelt, ähnlich wie ein Vater seine. Familie, oder ein Gastgeber seine Gäste. Darum ist in Kap. 10 nur von dieser, die Gemeinschaft ausdrückenden Handlung die Rede: das Brot, das wir brechen, der Kelch, den wir segnen, während im 11. Kapitel, wo es sich um das Mahl als Gedächtnisfeier an den abwesenden Herrn handelt, das was jeder einzelne tut, das Essen des Brotes und das Trinken des Kelches, im Vordergrunde steht und zugleich der Verantwortlichkeit das Fest in würdiger Weise zu feiern, Ausdruck gegeben wird: „Ihr esset, ihr trinket“, und: „Wer also irgend isst oder trinkt unwürdiglich“, und: „Ein jeder prüfe sich selbst, und also esse er“ usw. 
Der Unterschied zwischen den beiden Abschnitten ist also so groß, wie er nur sein kann. Gemeinschaft ist im 10., Gedächtnis im 11. Kapitel der leitende Gedanke, und in beiden Fällen die jeweils daraus hervorgehende gemeinsame oder persönliche Verantwortlichkeit. Es ist deshalb möglich, dass man nach Kap. 11 zum Gedächtnis des Herrn zusammenkommt und doch die Belehrung des 10. Kapitels völlig außer Acht lässt. Mit anderen Worten: Man kann das Abendmahl zum Gedächtnis des Herrn feiern, während die Wahrheit von dem Tische des Herrn (die Gemeinschaft des Leibes) weder bekannt ist noch verwirklicht wird. Dass ersteres in gläubigen Kreisen (die Weltkirche kommt bei unseren heutigen Ausführungen nicht in Betracht) geschieht, sei gern anerkannt, obwohl zu befürchten steht, dass selbst über diesen Teil der Wahrheit vielfach noch höchst mangelhafte Auffassungen vorherrschen; bei dem persönlichen Verkehr mit einzelnen Seelen tritt das immer wieder zutage. Aber wenn auch das Abendmahl zum Gedächtnis des Herrn gefeiert wird, so ist das doch noch keine Verwirklichung der Wahrheit von dem Tische des Herrn, keine Feier auf dem Boden der Gemeinschaft des einen Leibes.
Zur Zeit des Apostels gab es drei verschiedene Klassen oder Gruppen von Menschen auf der Erde. Da waren erstens die Christen, die Gemeinde des lebendigen Gottes, die ganz neu durch dies Gnade Gottes entstanden war, zweitens Israel, das alte Bundesvolk Gottes, und drittens die Nationen oder Heiden mit ihrem Götzendienst. Zu irgend einer dieser drei Gruppen gehörte jeder Mensch. Nahm jemand an dem Brotbrechen der Christen teil, so wusste man: Das war ein Christ; ging er in den Tempel oder in die Synagoge, so wusste man: Das war ein Jude; beteiligte er sich an den Götzenfesten, so konnte man erkennen: Das war ein Heide. Alle drei Gruppen hatten ihren Tisch, und an allen drei Tischen wurde gegessen. Sich an einen Tisch- setzen und essen bedeutet Gemeinschaft
machen mit dem oder denen, die an dem Tische sitzen. Man stellt sich auf den gleichen Boden, macht sich eins mit den übrigen Tischgenossen. Dennoch gab es in Korinth Gläubige, welche die Freiheit zu haben meinten, „im Götzentempel zu Tische liegen“, d. h. an den heidnischen Opfermahlzeiten teilnehmen zu dürfen. (Kap. 8, 10.) Der Apostel belehrt sie, dass das keinesfalls so harmlos war, wie sie dachten. Ihrer Erkenntnis nach war das Götzenbild nichts und das den Götzen Geopferte nichts — und insoweit hatten sie recht, der Apostel gibt das in Vers 19 unumwunden zu —— aber sie vergaßen, dass hinter den Götzen sich die Dämonen verbargen, und dass die Heiden, ohne.es zu wissen oder wohl nur zu ahnen, diesen Dämonen ihre Opfer darbrachten. (Vergl. 5. Mose 32, 17.) Wenn also Christen sich an den heidnischen Opfermahlzeiten beteiligten, so brachten sie sich dadurch in Verbindung mit ·dem Tisch der Dämonen: sie aßen der Dämonen Speise und tranken der Dämonen Kelch! 
Geradeso verhielt es sich mit dem Altar Gottes im Alten Bunde. Wenn ein Israelit  - „Israel nach dem Fleische“, wie der Apostel sich ausdrückt — ein Friedens- oder Dankopfer darbrachte und von dem Opfertier aß, so trat er dadurch in Gemeinschaft mit dem Altar, dem Tische Jehovas, und mit dem Gott, dessen Anteil an dem Schlachtopfer, „Sein Brot“ oder „Seine Speise“ (3. Mose 21, 6. 21. 22; Mal. 1, 12), auf dem Altar dargebracht worden war. Nachdem nun Christus gekommen ist, haben alle Opfer des Alten Bandes in Ihm ihre Erfüllung gefunden. An die Stelle des Gesetzes, das nichts zur Vollendung bringen konnte, ist die heilbringende Gnade getreten, und wer heute an Jesum glaubt, besitzt nach Hebr. 13, 10 „einen Altar, von welchem kein Recht haben zu essen, die der Hütte (dem alten irdischen Heiligtum) dienen“.. Zum Dienst an letzterem war nur das levitische Priestertum berechtigt, aber in Jesu Christo ist ein Altar aufgerichtet, zu welchem jeder Gläubige Zugang hat. In Christo ist „nicht Jude noch Grieche, nicht Sklave noch Freier, nicht Mann und Weib“, sondern alle sind einer in Ihm. (Gal. 3, 28; Kol. 3, 11). Zu dem israelitischen Altar führte die Abstammung, zu dem christlichen der Glaube. Doch davon redet der Apostel hier «nicht; er erwähnt den jüdischen Altar nur, um den Grundsatz der Gemeinschaft festzustellen und seine Warnung zu begründen. Hüten wir uns deshalb vor jeder falschen Freiheit! Womit ich mich verbinde und halte, danach werde ich beurteilt. Die wahre Weisheit hält sich von allem fern, was in religiöser Beziehung falsch ist, ja, vermeidet selbst den Schein eines Teilnehmens daran.
Am Tische des Herrn bekennen wir also vor Gott und Menschen unser Einssein mit Christo und untereinander. Der Titel, der hier, wie auch im 11. Kapitel, Jesu gegeben wird, ist kennzeichnend; er heißt: Herr. Es ist des Herrn Brot oder Tisch und des Herrn .Kelch, wie später des Herrn Mahl, des Herrn Leib und Blut usw. Es ist nicht der Tisch Gottes, nicht der Tisch des Vaters, nicht der Tisch der Versammlung (Gemeinde), es ist nicht unser, es ist Sein Tisch, der Tisch des Herrn. Der Herr allein verfügt über Seinen Tisch. Wenn Er uns gewürdigt hat, da erscheinen zu dürfen, so ist das ein großes Vorrecht. Von Rechten unserseits kann an Seinem Tisch keine Rede sein. Jesus als Herr will allein anerkannt sein. Wenn wir das verstanden haben, so werden wir darüber wachen, dass Sein Tisch in unserem Denken und Handeln nicht zu unserem Tische wird. Die Gefahr, auf einen menschlichen Boden herabzusinken, ist groß und wird immer größer, je mehr der Verfall in der Christenheit fortschreitet. Darum wendet sich der Apostel an „Verständige“, die diese Dinge zu unterscheiden vermögen.
Indem Paulus an dieser Stelle zuerst von· dem Kelche redet — auch eine Sache, die nicht von ungefähr ist — zeigt er zunächst den Boden, auf welchem der Herr Seinen Tisch» aufgerichtet hat. Das Blut bildet die Grundlage der Erlösung, es ist das, was im Blick auf Christum die tiefste Bedeutung hat: „Ohne Blutvergießung ist keine Vergebung«. Der Kelch, die Gemeinschaft des Blutes des Christus, wird der Kelch der Segnung genannt, den wir (gemeinsam) segnen. Er enthält Wein, ist aber das Symbol des kostbaren Blutes Christi, des Lammes ohne Fehl und ohne Flecken. Darum heißt er der Kelch der Segnung oder Danksagung, denn indem wir ihn aus der Hand unseres Herrn nehmen, dürfen wir sagen: „Gott sei Dank für Seine unaussprechliche Gabel“ Wir erinnern uns an die erhabene, unvergleichliche Person Dessen, der für uns in den Tod ging, dessen Fleisch wir nach Joh. 6, 53 ff. gegessen und dessen Blut wir getrunken haben, als wir Ihn im Glauben kennen lernten; und indem wir verstehen und erfassen, dass der Kelch die Gemeinschaft des Blutes des Christus ist, gehen wir in Seine Gedanken darüber ein, haben teil daran und genießen das, was Er uns durch Sein
Blut erworben hat. Nur Erlöste besitzen das Vorrecht, den Kelch des Herrn trinken zu dürfen, denn nur sie sind in Gemeinschaft mit Ihm in Seinem Tode, nur sie sind gewaschen im Blute Jesu. 
Nachdem der Apostel so die Gemeinschaft des Blutes des Christus als die Grundlage unserer Gemeinschaft eingeführt hat, geht er auf das Brot über und nennt es die Gemeinschaft des Leibes des Christus. Da ist ein Brot, nicht viele Brote; auch wohl nicht eine Brotschnitte, sondern ein ganzes, ungeteiltes Brot. Dieses Brot stellt, nach den eigenen Worten unseres Herrn, Seinen Leib dar, so wie Er ihn hier auf Erden trug: „Dies ist mein Leib, der für euch gegeben wird“. Aber das ist nicht alles. Das Brot hat hier, in Verbindung mit dem Tische des Herrn, noch eine andere Bedeutung. Außer dass es den wirklichen Leib Jesu Christi, wie Er einst hienieden war, darstellt, ist es auch ein Bild Seines geistlichen Leibes, wie dieser jetzt auf Erden ist· Wir, die Vielen, sind ein Brot, ein Leib. „Da ist ein Leib“, schreibt der Apostel an die Epheser (Kap. 4, 4). Woraus ist dieser Leib gebildet? Aus allen denen, die Christo angehören, die durch Sein Blut erlöst sind. Alle Gläubigen machen die Versammlung (Gemeinde) aus, „welche Sein Leib ist“ (Eph. 1, 22). Diese Versammlung ist gesammelt worden und wird noch immer gesammelt durch den Heiligen Geist, der am Pfingsttage herniederkam: „denn auch in einem Geiste sind wir alle zu einem Leibe getauft worden“ (1. Kor. 12, 13). Christus droben ist das verherrlichte Haupt dieses Leibes, und jeder Gläubige ist durch den Heiligen Geist mit allen Kindern Gottes als Gliedern desselben Leibes unauflöslich verbunden. Es ist offenbar, dass dies nicht nur für die Örtlichkeit zutrifft, in der wir wohnen, sondern für alle Orte auf der ganzen Erde, wo irgend, Gläubige sich befinden. Darum ist auch der erste Brief an die Korinther, der insonderheit die Wahrheit von dem einen Leibe entwickelt, nicht nur an die Korinther gerichtet, sondern. an alle Heiligen, „die an jedem Orte den Namen des Herrn anrufen“. 
Das eine Brot am Tische des Herrn bedeutet also sowohl Gemeinschaft mit dem Herrn, als auch Gemeinschaft mit den Seinigen. Wir sind verbunden mit Christo, und wir sind Glieder voneinander. Um aber beides sein zu können, muss man errettet, gewaschen sein in dem Blute Jesu. Darum wird, wie bereits angedeutet, an dieser Stelle der Kelch (das Blut) vor dem Brote (der eine Leib) genannt. Wie wunderbar genau ist doch alles im Worte Gottes! Nun wissen wir auch, warum in den Evangelien noch nicht vom „Tisch des Herrn“ die Rede sein konnte. Die Wahrheit von dem einen Leibe — die Einheit sowohl mit dem Herrn als Haupt, als auch mit den Seinen als Gliedern des Leibes — konnte noch nicht geoffenbart werden. Wir finden sie erst in den Schriften des Paulus, dem dieses „Geheimnis“ durch unmittelbare Offenbarung kundgetan und zur Verwaltung anvertraut war (Eph. 3, 3 — 9). Aus diesem Grunde stellt der Apostel im vorliegenden Abschnitt auch den Tisch des Herrn dem Tisch der Juden und dem Tisch der Heiden gegenüber. Der letzte war, wie wir gesehen haben, sogar ein Tisch der Dämonen. 
So finden wir denn in 1. Kor. 10, wenn ich mich so ausdrücken darf, mehr die äußeren Beziehungen, die Grundlage und den Ausdruck der Gemeinschaft, während das 11. Kapitel von dem inneren Zustand, der Herzensstellung redet, die sich für ein solch feierliches Mahl geziemt. Der Apostel stellt den Korinthern vor, wie sie essen und trinken sollten, denn sie waren ganz und gar von einer würdigen Feier abgewichen und hatten des Herrn Mahl zu ihrem eigenen Mahl gemacht. Wollen wir also die Sache mit einem kurzen Wort ausdrücken, so können wir nur wiederholen: Im 10. Kapitel handelt es sich um den Tisch des Herrn, im 11. Kapitel um das Abendmahl. Obwohl an und für sich die gleiche Sache, wird sie doch in den beiden Fällen von einem ganz verschiedenen Gesichtspunkt aus betrachtet. Wir müssen das durchaus beachten, wenn wir anders die Belehrung des Apostels verstehen wollen. Jedes Kapitel behandelt eine besondere Wahrheit für sich. Ich sagte deshalb schon, dass man das Abendmahl feiern könne, ohne in irgend einer Weise den Teil der Wahrheit zu verwirklichen, der im „Tische des Herrn“ zum Ausdruck kommt (So geschieht es im allgemeinen in der Christenheit). 
Haben wir diesen Punkt einmal verstanden, so sind mir der herrlichen Wahrheit Von dem Tische des Herrn schon bedeutend näher gekommen, und ganz von selbst entsteht in uns der Wunsch oder wird das Gebet laut: „Herr, gib, dass wir, so oft wir zusammenkommen, um das Brot zu brechen, nicht nur das Abendmahl feiern, die Feier Deines Gedächtnisses begehen, sondern auch der Wahrheit von Deinem Tische, der Einheit Deines Leibes, Ausdruck geben!“ Wir sind eben nicht nur Erlöste, sondern auch „Glieder voneinander“. Obwohl diese beiden Wahrheiten innig zusammen gehören, sind sie doch
ganz verschieden voneinander. Unser geliebter Herr ladet uns nicht ein, zu kommen und als Einzelgeschöpfe ein jeder „für sich“,*) zu essen und zu trinken und nur dessen zu gedenken, was unsere persönliche Errettung betrifft. Nein, jedes Kind Gottes ist zum Tische des Herrn geladen, um dort gemeinschaftlich mit den übrigen, in einem Sinn und in einer Liebe, des hochgelobten Herrn zu gedenken, Seinen Tod zu verkündigen und zugleich dem Ausdruck zu geben, dass wir alle ein Leib sind. Das schließt Judentum und Welt und damit alle unbekehrten, Nichterlösten, aus und zeigt uns die einzige Grundlage, auf welcher der Tisch des Herrn errichtet werden konnte und errichtet ist. Da wo man die göttlichen Grundsätze von der Einheit des Leibes nicht anerkennt, kann darum der Tisch des Herrn nicht sein. Man mag daselbst mit heiligen! Ernst und dankbarer Liebe das Abendmahl feiern, aber man kennt nichts von der gemeinsamen Freude der Erlösten, die, um Jesum geschart, dem Vater ihre Anbetung darbringen. Solang ich, außer ein Glied am Leibe Christi zu sein, noch zu irgend einem Sonderbekenntnis gehöre, setze ich mich in Widerspruch mit der Wahrheit von dem einen Leibe. Ich mag vielleicht diese Wahrheit kennen und mit Worten anerkennen, aber praktisch verleugne ich sie, und es ist dann gewiss die höchste Zeit, damit aufzuhören und in Wort und Tat nichts anderes sein zu wollen, als einfach ein Glied am Leibe Christi.
Gottes Wort erkennt keine Sonderbenennungen an, ganz gleich, wie sie heißen mögen. Wenn Gott in Seiner Gnade einen Menschen durch den Glauben an Jesum errettet, so macht Er aus ihm weder einen Katholiken, noch einen Lutheraner, Calvinisten usw., sondern einzig und allein einen Christen. Als solcher ist er nicht Glied irgend einer religiösen Körperschaft, welchen Namen sie tragen mag, und sei sie groß oder klein, alt oder jung, anerkannt oder gering geachtet, sondern einzig und allein ein Glied am Leibe Christi. Alle Kinder Gottes sind sich darüber einig, dass es im Himmel keine Kirchen und Kirchlein mehr geben wird. Warum werden sie denn auf dieser Erde so gerühmt und gar als „mannigfache schöne Blumen eines Gartens« gepriesen? Wenn Gott sie einmal alle verwerfen und hinwegtun wird, sollten wir dann nicht schon heute sie aufgeben? Jedes geistlich empfindende Herz fühlt mit tiefer Trauer, wie verunehrend für die Heiligkeit des Herrn diese unzähligen Spaltungen unter den Kindern Gottes sind. Gott sei dafür gepriesen, dass alle Trennungen und Sonderstellungen bald aufgehört haben werden! Im Himmel wird nur der eine Leib, die Kirche oder Gemeinde Christi, das Weib des Lammes gesehen werden. Welch eine Hoffnung! Der Herr ist nahe und damit der Augenblick, wo jeder Gläubige das Sonderbekenntnis, das er etwa festgehalten hat, aufgeben muss. Dies stellt uns vor die ernste Frage: Wird ein solches Aufgeben müssen zur Ehre oder· zur Beschämung gereichen? Wäre ein Sonderbekenntnis Gott wohlgefällig, so würde es beim Herrn Anerkennung finden, Weil es aber menschlich ist und zu dem gehört, was die Schrift „Holz, Heu und Stroh“ nennt, so wird es verbrennen. Wenn das aber so ist, warum will man nicht heute schon von dem verkehrten Wege umkehren? Warum etwas festhalten, das keinen Bestand hat? Warum nicht zu dem umwenden, „was von Anfang war“? Warum nicht auch in dieser Beziehung sich auf den Boden des untrüglichen Wortes stellen? — O mein lieber Mitgläubiger, horche nicht länger auf Menschenstimmen und eigene Eingebungen, sondern lass allein die Autorität des Wortes Gottes für dich bestimmend sein!
„Wir haben gesehen, dass der Tisch des Herrn nur da sein kann, wo einerseits die unbekehrte Welt und andererseits jedes Sonderbekenntnis ausgeschaltet ist. In Korinth gab es nur einen Tisch. Der Leib des Herrn ist einer, so kann es auch nur einen Tisch des Herrn geben. In Ephesus oder Troas war kein anderer Tisch, es war der gleiche wie in Korinth. Auch können an einem Orte nicht mehrere Tische sein, die unabhängig voneinander sind und wohl gar feindlich einander gegenüberstehen. Dass man in verschiedenen Räumlichkeiten zusammenkommt, der Zahl oder anderer Gründe wegen vielleicht zusammenkommen muss, tut der Einheit keinen Abbruch.· Stehen alle auf dem biblischen Boden der Wahrheit, die Einheit des Geistes bewahrend in dem Bande des Friedens, so ist es dennoch nur ein Tisch. 
Nun wenden aber manche ein: Wir sind in unserer Gemeinschaft geradeso gesegnet, wenn wir zur Feier des Abendmahls versammelt sind, wie ihr, die ihr allein im Namen Jesu zusammenzukommen bekennt. 
Darauf möchte ich zunächst erwidern, dass der Zweck des Zusammenkommens zum Brotbrechen bekanntlich nicht der ist, gesegnet zu werden. Die Gläubigen kommen zusammen, um ihres Heilandes zu gedenken, und Gott, dem Vater, die Opfer des Lobes darzubringen. Dass damit ein großer Segen verbunden ist, ja, ein weit größerer als bei irgend einer anderen Zusammenkunft, ist selbstverständlich; aber das Gesegnet werden ist nicht der Zweck der Feier. Ein Katholik kann in seiner Kirche gesegnet sein, daraus wird aber niemand ableiten, dass man katholisch werden müsse. Die Tatsache, dass Gläubige von oben Segen empfangen, ist noch keineswegs ein Beweis für die Nichtigkeit ihrer Stellung. Gern wollen wir zugeben, dass jeder Gläubige, wo er auch das Brot brechen mag, wenn anders sein Herz mit  der Person seines Herrn und Heilandes und mit dem, was Er für ihn getan hat, beschäftigt ist, Segen empfängt. Wie könnte es anders sein? Aber — und das ist ein sehr ernstes Aber — die Darstellung der Einheit und Gemeinschaft aller Glieder des Leibes Jesu Christi findet sich weder in den großen Landeskirchen noch in den zahlreichen christlichen Gemeinschaften und Benennungen. Ihr Brotbrechen trägt wohl den Charakter des „Abendmahls“, oder (wenn auch nicht überall) der Gedächtnisfeier, aber von dem Tische des Herrn nach 1.Kor. 10 kann keine Rede sein. Denn mag man auch von der Einheit des Volkes Gottes reden (von der Einheit des Leibes redet man selten), durch die Zugehörigkeit zu einem Sonderbekenntnis wird diese Einheit praktisch geleugnet. Die Lehre der Apostel und die wirkliche Gemeinschaft sind in diesem Sinne aufgegeben, und an alle, die zu einer der vielen Benennungen gehören, richtet sich mit allem Ernst die Frage des Apostels: „Ist der Christus zerteilt?“ (1. Kor. 1, 12). Sind wir nicht alle des einen Brotes teilhaftig? „Ein Brot, ein Leib sind wir, die Vielen“. 
Ich möchte mit dem Apostel ausrufen: „Ich rede als zu Verständigen, beurteilet ihr, was ich sage“. Jeder Gläubige ist verantwortlich bezüglich seiner Stellungnahme zu der mit dem „Tische des Herrn“ in Verbindung stehenden Wahrheit. Sie anzuerkennen und praktisch zu verwirklichen, ist freilich für manchen keine leichte Sache. Es gilt da oft, Liebgewordenes preiszugeben, alte Verbindungen zu lösen. Freunde, mit denen man bis dahin innig verbunden war, wenden sich ab. Der Weg wird schmaler und einsamer. Man wird nicht verstanden, oder gar der Engherzigkeit und Unduldsamkeit beschuldigt, aber — wer wird Sieger sein? Vergessen wir nicht, dass es unendlich kostbarer ist, die Anerkennung des Herrn zu haben, als mit Zehntausenden auf einem menschlichen Boden zu stehen. Nur mit Wehmut und Betrübnis kann man an die vielen lieben Kinder Gottes denken, welche die mit dem Tische des Herrn verbundenen herrlichen Wahrheiten nicht verstehen und deshalb auch den Platz, wo der Herr einen jeden der Seinigen haben und sehen möchte, nicht erkennen. Dieser Platz ist der Tisch des Herrn. Hier wünscht der Herr alle, die Er erlöst und durch Sein kostbares Blut erkauft hat, zu sehen, damit sie Ihm gemeinsam, als Glieder des einen Leibes, das Opfer des Lobes und Dankes darbringen. 
Wo aber ist dieser Tisch? Ich erwidere mit den Worten eines anderen: „Da, wo man, sei es auch nur zu zweien oder dreien, sich zusammenfindet, ohne einen anderen Sammel- und Mittelpunkt zu haben als Jesum allein; wo man den heiligen Namen, der das Vereinigungsband bildet, mit keinerlei Ungerechtigkeit in Verbindung bringt und die Zucht aufrecht hält, die dem Hause Gottes geziemt; wo man sich hütet vor jedem Grundsatz der Unabhängigkeit, der den Herrn Seiner Rechte berauben würde, und einander unterwürfig ist in der Furcht Gottes ohne Spaltungen und Streitereien, indem man im Geist alle Erlösten als einen einzigen Leib bildend umfasst und sich befleißigt, mit ihnen allen die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens, glücklich-, alle, die aus Gott geboren sind, am Tische des Herrn zu empfangen, unter der einzigen Bedingung, dass sie gesund sind in Wandel und Lehre. Wenn es solche Christen gibt, so haben sie, trotz des allgemeinen Verfalls und aller Unvollkommenheiten, die ihrem eigenen Zeugnis anhaften mögen, den Tisch des Herrn in ihrer Mitte, d. h. sie verwirklichen, um Jesu geschart, indem sie gemeinsam jenes heilige Mahl feiern, dass sie ein Brot, einen Leib bilden mit allen Geliebten des Herrn in der ganzen Welt. 
„Aber malt man damit nicht ein ideales und darum trügerisches Bild von einem Zustand, dessen Verwirklichung nirgendwo zu finden ist? Ich bin mehr als je überzeugt, dass die Wirklichkeit nur sehr selten den Zügen entspricht, die ich soeben gezeichnet habe, selbst da, wo man mit Recht anderes erwarten sollte; denn man kann die Einheit des Leibes Christi kennen und selbst laut verkündigen und doch keinerlei Recht haben zu behaupten, dass man den Tisch des Herrn besitze. Aber lasst uns mit Fleiß solche Christen aufsuchen, die treu und ehrlich dem entworfenen Bilde zu entsprechen begehren! Gott sei Dank! der Tisch des Herrn ist noch da. Er kann heute verwirklicht werden wie zur Zeit der Korinther, und er kann heute geleugnet werden, wie man damals in Gefahr stand, es zu tun. Aber heute wie damals redet das Wort zu uns als zu „Verständigen“. Der Mangel an Verständnis besteht darin, dass man so bestimmt unterschiedene Charaktere wie die des Abendmahls und des Tisches des Herrn leugnet oder doch miteinander vermengt, und vor allem darin, dass man meint, den Tisch des Herrn mit Dingen in Verbindung bringen zu dürfen, die ihn grundsätzlich leugnen.“

Fußnoten:
*) wie man heute von solchen, die mit Unbekehrten das Abendmahl feiern, oft als Entschuldigungsgrund anführen hört: Ich nehme das Abendmahl für mich, die anderen gehen mich nichts an“.

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Das Lied der Lieder

Bibelstelle: Hohelied

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 297ff

Das Lied der Lieder (Hohelied) betrachtet den Juden, oder richtiger den treuen Überrest, von einem ganz anderen Gesichtspunkt aus, als die beiden vorhergehenden Bücher es tun. Es redet von den Zuneigungen, die der König in den Herzen der Gläubigen aus Israel am Ende der Tage hervorbringen kann, und durch welche Er sie zu sich zieht. So stark diese Zuneigungen sein mögen, werden sie doch nicht der Stellung entsprechend dargestellt, in welcher die eigentlich christlichen Zuneigungen sich bilden. Sie unterscheiden sich in dieser Hinsicht wesentlich ·von den letzteren. Sie besitzen nicht die tiefe Ruhe und Süßigkeit einer Liebe, die aus einem bestehenden, gekannten und völlig geschätzten Verhältnis hervorgehen, dessen Bande gebildet und gekannt sind, einer Liebe, die auf die völlige und beständige Anerkennung dieses Verhältnisses rechnet, und die ein jeder der beiden Teile genießt als etwas Sicheres im Herzen des anderen. Das Verlangen einer Liebenden, welche die Zuneigung der geliebten Person zu erlangen sucht, ist nicht die süße, völlige und gegründete Liebe einer Frau, die durch die. Ehe in eine unauflösliche Verbindung eingeführt ist. Im ersten Falle besteht die Beziehung nur in dem Verlangen als Folge des Herzenszustandes; im zweiten ist der Herzenszustand die Folge der Beziehung. Obwohl nun die Hochzeit des Lammes noch nicht gekommen ist, kennzeichnet nichtsdestoweniger dieser letzte Charakter der Zuneigung die Versammlung oder Gemeinde, und zwar auf Grund der uns gemachten Offenbarungen und der Vollendung des Erlösungswerkes.
Wir sind errettet; Preis und Ehre sei Gott dafür! Wir wissen, wem wir geglaubt haben. Die Stärke und Kraft des Verlangens bleibt jedoch noch bestehen, weil die Herrlichkeit und die Hochzeit des Lammes noch zukünftig sind. Welch eine Stellung hat doch die Versammlung! Das völlige Vertrauen der Beziehung auf der einen Seite, die sehnliche Erwartung des Herrn seitens der Braut auf der anderen, und zwar eines Herrn, dessen Liebe gut gekannt ist. Zudem steht diese Erwartung in Verbindung mit der Herrlichkeit, in welcher Er kommen wird, um die Braut zu sich zu holen, damit sie für immer bei Ihm sei.
Das ist nicht die Stellung des gläubigen Juden. Der Punkt, um den es sich bei ihm handelt, ist zu wissen, dass sein Geliebter sein ist. Das ist für ihn die wichtige Frage. Dass dabei ein beiden (Juden und Christen) gemeinsamer Grundsatz in Frage kommt, ist wahr. Christus liebt Seine Versammlung, und Er liebt Sein irdisches Volk; Er liebt die Seele, die Er zu sich zieht. Wir können daher im Hohenliede Anwendungen auf uns selbst machen, die sehr kostbar sind. Dennoch ist es wichtig, klar zu unterscheiden und nicht etwas auf die Versammlung anzuwenden, was sich auf Israel bezieht. Anders wird unsere Liebe nicht den rechten Charakter haben, und wir werden hinter dem, was Christo zukommt, zurückbleiben. 
Das Hohelied zeigt uns also die Wiederanknüpfung der Beziehungen zwischen Christo und dem Überrest, damit dieser durch Herzensübungen — die seiner Stellung wegen notwendig sind bestärkt werde in der Gewissheit der Liebe Christi, sowie in der Erkenntnis, dass alles  aus Gnade ist, und zwar aus einer Gnade, die nie fehlen kann. In jener Zeit wird der Herr völlig von dem Überrest gekannt sein in Seinem salomonischen Charakter. Sein Herz wird gleichsam der. Prachtwagen Seines willigen Volkes (Kap. 6, 12) sein, der Ihn hinwegführt.
Der 1. Vers des 8. Kapitels kann uns wohl in besonderer Weise helfen, die Eigenart des in diesem Buche behandelten Herzenszustandes zu erkennen. Wir lesen dort: „O wärest du mir gleich einem Bruder! Fände ich dich draußen, ich wollte dich küssen!“ Nichtsdestoweniger sehen wir, da der Geist Gottes das Herz des Überrestes von des Heilands Liebe zu überzeugen wünscht, dass das Verlangen des Herzens, seinen Geliebten zu· besitzen, nicht aufhört, bis es den Gegenstand seiner Liebe erreicht hat. Das Herz gibt sich selbst die Versicherung auf Grund der Wirksamkeit des Geistes der Prophezeiung; denn tatsächlich ist· Christus da für den Überrest und der Überrest für Ihn. Hierauf ist das Ganze gegründet. Indes bedarf das Herz immer wieder der Beruhigung und Versicherung, wie wir dies auch in ähnlichem Falle an anderen Stellen wahrnehmen. 
„So weit der allgemeine Inhalt des Buches. Wir wollen jetzt einige einzelne Züge hervorheben, die im Verlauf desselben zur Entfaltung kommen und eine innere, sittliche Bedeutung von großem. Interesse für uns selbst besitzen. 
Kapitel 1 gibt uns in der klarsten und einfachsten Weise die Zusicherung des völligen Genusses der Segnung; aber obwohl Liebe vorhanden ist, wird doch alles mehr durch Verlangen als durch Frieden gekennzeichnet. Nachher finden wir Herzensübungen, die zu einem vollen Verständnis der Liebe des Geliebten führen. In diesem Verständnis gibt es ein Fortschreiten, und zwar trotz der Fehler und der Herzensträgheit, welche der Liebe, die in Tätigkeit ist, einen neuen Wert verleihen. Dieselbe Art der Unterweisung finden wir in den Psalmen, wo die ersten Verse häufig die Lehre und das Ergebnis angeben, zu denen man durch die nachher geschilderten einzelnen Umstände gelangt ist. Neben dem Friedevollen, welches die auf einem gekannten Verhältnis beruhende Liebe kennzeichnet, kommt ein anderes Zeichen der Liebe in Übung, solang jenes Verhältnis noch nicht förmlich besteht. Das Herz beschäftigt sich mit den Eigenschaften, mit den Charakterzügen des Geliebten. Ist man einmal in den Besitz des geliebten Gegenstandes gekommen, so ist man mehr mit dem Gegenstand selbst beschäftigt. Ohne Zweifel bilden die Eigenschaften eine Quelle des Glückes; doch wenn auch die Stellung den· Genuss dieser Eigenschaften vermittelt, denkt man doch mehr an die Person, die sie offenbart, als an die Eigenschaften. Gnade, Güte und ähnliche kostbare Dinge mögen das Herz anziehen und beschäftigen, wenn aber die Beziehung einmal besteht, so ist es die Person, an die wir denken. Die Eigenschaften gehören uns dann sozusagen von selbst. 
Die Geliebte spricht im Hohenliede viel von den Eigenschaften ihres Geliebten; sie redet gern davon für sich und zu anderen. Man könnte einwenden, dass der Geliebte das noch mehr tue als sie, obwohl Er doch das Verhältnis, in welchem Er zu ihr steht, genau kennt. Es ist so; aber warum? Gerade weil sie noch nicht in jenem Verhältnis steht, ist es Seine Freude, ihr immer aufs Neue zu versichern, welchen Wert sie in Seinen Augen hat. überdies entspricht das der Stellung von Mann und Weib, und das umso mehr, weil es sich hier tatsächlich um Christum selbst handelt. In einem gewissen Sinne genügt Christus sich selbst. Er braucht. nicht zu gehen und zu anderen von dem zu reden, was in Seinem Herzen ist. Seine Liebe ist eine Liebe, die ihre Quelle in der Gnade hat. Aber es ist unendlich
kostbar für uns — wenn wir im Blick auf unsere völlige Unwürdigkeit an der Möglichkeit Seiner Liebe zweifeln möchten, gerade weil sie so unschätzbar tief. und reich ist — ja, es ist ebenso ergreifend wie kostbar, zu sehen, wie Er immer wieder Seiner Kenntnis und Schätzung des Wertes der Braut Ausdruck gibt: ihre Schönheit ist vollkommen in Seinen Augen, Er kennt ihre Gestalt und beachtet alle Einzelheiten derselben; ein Blick von ihr hat Ihm das Herz geraubt; Seine Taube, Seine Vollkommene, ist die Eine , kein Makel ist an ihr (Kap. 4, 7; 6, 9.)" In diesen immer wiederkehrenden Versicherungen
erblicken wir auf Seiten des Bräutigams vollkommene Gnade. Sie bilden den Hauptinhalt Seiner Unterredungen mit ihr, es ist das, was ihr Herz bedarf.
Ihre Herzensübungen sind viel mannigfaltiger; da gibt es sogar Verfehlungen und .Kümmernisse, die aus ihren Mängeln und Fehlern entspringen. Andererseits zeigt sich ein augenscheinlicher Fortschritt in ihrer Gewissheit. Das Lied beginnt mit der Erklärung der Braut, dass ihr Herz dieses Zeugnisses bedürfe. Sie erkennt an, das; sie schwarz ist infolge der sengenden Sonnenstrahlen der Trübsal. Sie sucht Schutz in der Gegenwart ihres Geliebten, der Seine Herde am Mittag lagern lässt. Sie möchte Ihm allein gehören. Sie fürchtet sich jetzt, unter den Hirten Israels umherzugehen. Doch wenn der Geist des Herrn sie an die früheren Zeugnisse des Gesetzes und der Propheten erinnert, so bleibt
ihr Herz nicht stumm, und das Herz des Geliebten fließt über in der Bezeugung des Wertes, den sie in Seinen Augen hat. Wie genau dies alles auf den Überrest in den letzten Tagen passt, liegt auf der Hand. Der Schluss des Kapitels enthält Liebesbezeugungen, welche den Gedanken darstellen, der die Lehre dieses Buches bildet. 
In Kapitel 2 scheinen mir die ersten sechs Verse (mit Ausnahme des zweiten) nur Worte der Braut zu sein. Man hat sie auch anders aufgefasst, aber wohl mit Unrecht. Man beachte hier, dass Christus der Apfelbaum ist; das. wird uns weiterhin behilflich sein. überdies redet die Braut von sich selbst. Ihrem Verständnis nach hat sie die Beziehung, in welcher sie steht, erfasst und redet hauptsächlich von sich; aber es ist auch wahre Zuneigung bei ihr vorhanden. Der Bräutigam will nicht erlauben, dass sie gestört werde, wenn sie mit völligem Vertrauen in Seiner Liebe ruht (V. 7). Seine eigene Stimme, die einzige, auf die sie nun horcht, wird sie aufwecken. Er selbst ruft ihr zu, dass sie sich aufmachen solle, dass der Winter vorbei sei: die Zeit des Trauerns und des Kummers. Er begehrt, auch ihre Stimme zu hören. So wird ihr Herz beruhigt und gewiss, und sie sagt: „Mein Geliebter ist mein“. Wie getreu stellt uns das alles das Erwachen göttlicher Zuneigungen und die Rückkehr des Vertrauens in dem Überrest dar, der so lang erfahren hat, was es ist, wenn Jehova Sein Angesicht vor ihm verbirgt; und wie zeigt es uns andererseits, in welcher Fülle die unauslöschliche Liebe Dessen, der einst über Jerusalem meinte, in gesegnetster Weise in Tätigkeit tritt, um dieses Vertrauen machzurufen und das Herz des betrübten Volkes zu beruhigen! Die Stelle ist von außergewöhnlicher Schönheit; sie enthält nicht Unterweisungen bezüglich der Umstände, steht auch nicht in Verbindung mit Verantwortlichkeit, sondern es ist ausschließlich Gnade: die Verbindung Christi (Jehovas) selbst mit Israel. 
In Kapitel 3 sehen wir die Braut in einer anderen Stellung, in einem anderen Herzenszustand. Sie ist allein, und um sie her ist es finster. Sie sucht ihren Geliebten, findet Ihn aber nicht. Liebe ist vorhanden, aber keine Freude. Sie fragt die Wächter in Jerusalem, die in der Stadt umhergehen. Sobald sie an ihnen vorüber ist, findet sie Ihn. Wiederum wünscht Er, dass sie in Seine: Liebe ruhe. Doch dies alles ist nur prophetisch und soll als Zeugnis dienen, zum Trost für solche, die Ihn noch nicht gefunden haben, indem ihnen gezeigt wird, was Er für sie ist. Der Geist der Prophezeiung stellt dann den Bräutigam dar, wie Er mit Seiner Braut aus der Wüste kommt, wo Er (wie Moses) im Geiste mit ihr gewesen ist. Das Kapitel bestätigt die Richtigkeit der Anwendung auf Israel. In ihrem Zustand der Vereinsamung sucht die Braut den Messias, und nachdem sie die Wächter befragt hat, findet sie bald Den, den ihre Seele liebt, und bringt Ihn auf den Platz Israels; denn der Sohn wurde Israel geboren, *) obschon in einer neuen Beziehung. Dort tritt Er wieder für ihre Ruhe ein, und dann kommt, als Kehrseite des Bildes, der wahre Salomo von der Wüste herauf, jetzt, am Tage Seiner Vermählung und am Tage der Freude Seines Herzens, gekrönt durch dasselbe Israel, welches Ihn einst verworfen hat.
Darauf, in Kapitel 4, zählt Er alles auf, was Er an ihr sieht, obwohl sie in der Höhle des Löwen gewesen ist. Von dort beruft Er sie, die in Seinen Augen ganz Schöne und Makellose, indem Sein Herz Seiner Wonne an ihr Ausdruck gibt. Es liegt meines Erachtens eine schöne Vollkommenheit des Denkens und Fühlens darin, dass die Braut niemals von den vollkommenen Eigenschaften des Bräutigams zu Ihm selbst spricht, als ob sie Ihm ihre Anerkennung kundtun müsse; sie redet viel von Ihm, um ihren eigenen Gefühlen Ausdruck zu geben, und sie tut dies anderen, nicht Ihm gegenüber. Er Seinerseits spricht frei und eingehend über sie zu ihr selbst, indem Er sie Seiner Wonne an ihr versichert. Dies ist in lieblicher Weise anwendbar, wenn wir an Christum und unsere. Beziehung zu Ihm denken. 
Kapitel 5 zeigt uns eine andere Erfahrung. Durch die Bezeugung der. Liebe des Bräutigams ist Vertraulichkeit entstanden, und das beruhigte Herz, Seiner Liebe gewiss, redet von seiner Trägheit, Ach, was für ein Herz haben wir! Raum sind wir durch das Zeugnis der Liebe des Herrn getröstet, so wenden wir uns wieder uns selbst zu! Das zartfühlende- und aufrichtige Herz des Bräutigams tut nach ihrem Wort: Er entzieht sich einer Seele, die nicht auf Seine Stimme lauscht. Sie steht dann auf, um zu erkennen, wie töricht sie gewesen  ist, und wie genau es Ihm, den sie vernachlässigt hat, gerechterweise mit Seinen Wegen ihr gegenüber hält. 
Wie oft handeln auch wir leider in ähnlicher Weise, wenn es sich um die Stimme des Geistes und Kundgebungen der Liebe des ·Herrn handelt! überaus ernst sind die Verluste, die wir dadurch erleiden, aber wie wertvoll auch die Unterweisungen, die wir durch die Gnade empfangen! Die Geliebte wird von denen geschlagen, die über den Frieden Jerusalems wachen. Was hatte sie nachts in den Straßen zu tun, sie, die der Bräutigam zu Hause gesucht hatte? Und nun setzt gerade ihre Liebe sie dem Tadel aus, indem die Kraft derselben sie in eine Lage gebracht hat, welche ihre Vernachlässigung des Geliebten beweist. Ähnlich ist es mit uns. Wenn wir nicht in dem friedlichem Genuss der Liebe Christi stehen, da wo Er uns in Gnade entgegenkommt, so führt uns gerade die Kraft unserer Liebe und unsere Selbst-Verurteilung dahin, diese Liebe in gewissem Sinn in verkehrter Weise zu offenbaren, und bringt uns in Verbindung mit solchen, die unsere Stellung verurteilen. Es war recht für einen Wächter, ein Weib zu strafen, das draußen umherlies, was auch die Veranlassung dazu sein mochte. Bezeugungen der Liebe zu ihrem Geliebten daheim, sowie die Liebe in ihrem Herzen sind nicht Sache des Wächters. Es mag wahre Liebe vorhanden sein, aber der Wächter hat für Ordnung und einen geziemenden Wandel zu sorgen. Dennoch war ihre Liebe echt und führte zu einer glühenden Beschreibung alles dessen, was ihr Geliebter ihr war; aber auch hier sind ihre Worte an andere gerichtet, die sie hätten verstehen sollen, an ihre Gefährtinnen, nicht an den Wächter. Doch
wenn Trägheit sie verhindert hatte, Ihn bei Seinen liebenden« Besuchen zu empfangen, so weiß ihr Herz jetzt, wo Er zu finden ist, nachdem es durch den Wächter gestraft und ihrem Geliebten wieder zugewandt ist und nun, von Gott belehrt, von Seinem Lohe übel fließt. 
Kapitel 6. — Diese Erfahrung lässt sie durch die Gnade eine andere Seite ihrer Beziehung zu, Ihm verstehen; sie legt dabei einen wirklichen Fortschritt sowohl in dem Verständnis der Gnade als auch in ihrem eigenen Herzenszustand an den Tag. An die Stelle des Verlangens, den Geliebten für sich selbst zu besitzen, ist das Bewusstsein getreten, dass sie Ihm gehört: „Ich bin meines Geliebten“. Das ist ein sehr wichtiger Fortschritt. Eine Seele, die Errettung und Befriedigung für die neu erwachten Zuneigungen sucht, ruft, sobald sie Gewissheit darüber erlangt hat, aus: „Mein Geliebter ist mein“. Macht sie dann tiefere Erfahrungen von sich selbst, so kommt sie zu der Erkenntnis, dass sie Sein Eigentum ist. Es heißt deshalb mit Bezug auf uns nicht: „Wir haben Den gefunden, von welchem die Propheten geschrieben haben“, sondern: „Wir sind nicht unser selbst, denn wir sind um einen Preis erkauft“. So Christo anzugehören, indem man nicht mehr an sich selbst denkt, das ist Glückseligkeit für die Seele. Nicht dass wir das Bewusstsein verlören oder verlieren sollten, wie kostbar es ist, den Heiland zu besitzen, aber der andere Gedanke, der Gedanke, Sein zu sein, nimmt den ersten Platz ein. 
Aufs neue bezeugt der Geliebte, wie kostbar die Braut in Seinen Augen ist. Doch auch hier zeigt sich ein Unterschied. Wenn Er vorher von ihr sprach, fügte Er der Beschreibung der Anmut und Schönheit ihrer äußeren Gestalt all die Tugenden hinzu, die in ihr sichtbar wurden: Er redet von dem Honig, der von ihren Lippen floss, von den lieblichen Früchten, die sich in ihr fanden, von den süßen Wohlgerüchen, die Er durch den Odem Seines Geistes „träufeln“ ließ. Von dem allen spricht Er jetzt nicht, sondern nur von dem, was sie für Ihn ist· Nachdem Er ihre persönliche Schönheit beschrieben hat, verweilt Sein Herz bei dem, was sie für Ihn selbst ist. „Eine ist meine Taube, meine Vollkommene“ Seine Liebe kann keine andere sehen; keine kann mit ihr verglichen werden. Es gibt viele andere, aber sie sind nicht die Eine, die Er liebt. Die Person des Herrn erfüllt das Herz, das wieder zu Ihm zurückgebracht ist, und dann bilden der Anblick und die Tugenden der Braut den Gegenstand des Zeugnisses des Bräutigams. Überdies gibt es für Ihn keine außer ihr, sie ist die einzige ihrer Mutter. So wird es mit dem Überrest Israels in den letzten Tagen sein, in geistlichem Sinne ist es heute so mit uns. 
In den folgenden Versen wird die Aufnahme Christi und Seine Vereinigung mit dem Überrest zu Jerusalem in sehr eindrucksvoller Weise dargestellt. Wir sehen da nicht mehr den Geliebten, der aus der Wüste heraufkommt (wo Er Sein Volk mit sich verbunden hatte) in Herrlichkeit und in Liebe. Jetzt ist es die Braut, die, schön wie der Mond und strahlend von Herrlichkeit, gleich einem Heere mit wehenden Bannern auf dem Schauplatz erscheint. Der Geliebte war hinabgegangen, um die jungen Triebe des Tales zu besehen und um zu untersuchen, ob Sein Weinstock ausgeschlagen sei. Ehe Er es sich bewusst wird, macht Ihn Seine Liebe gleichsam zu dem Prachtwagen Seines willigen Volkes. (Vergl. Ps. 110, 3.) Er leitet sie in Herrlichkeit und Triumph. Er hatte die Früchte der Gnade unter ihnen gesucht; aber nachdem Er zu diesem Zweck herabgekommen war, erhöht Er sie in Herrlichkeit. Erst dann, wenn Sein Volk völlig in Gnade wiederhergestellt ist, wird alles an ihnen Schönheit und Vollkommenheit sein, und dann erst werden sie erkennen, dass sie gänzlich Christo angehören und zugleich Seine Liebe voll und ganz besitzen. 

Fußnoten:
*) Vergl. Noomi (Ruth. 4, 17) und Offenbach 12

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Vertrauen

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 308

Fällt schwer und dunkel mir das Los?
Trag ich es gern?
Füllt, was ich wünsche meinen Schoß?
Ich trau dem Herrn.

Vielleicht reicht meines Herren Hand
mir Tränenbrot;
vielleicht ist Armut mein Gewand
und Leid und Not.

Doch wie es auch sei, mein Schifflein fährt
zum ewigen Strand;
das Steuer ruht, solang es währt,
in Seiner Hand.

Er, der einst Wind und Meer bezwang,
ist mit im Schiff,
Er führt es durch Sturm und Wogendrang
vorbei am Riff.

Er hält mich, wenn die Welle steigt,
ich sinke nicht.
Wenn schwer, ist es kurz, wenn lang, ist es leicht,
nichts mir gebricht.

Er bringt mich unversehrt ans Land,
das ist gewiss.
Dann geh ich mit Ihm Hand in Hand
ins Paradies!

(Nach dem Englischen)

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Das Lied der Lieder

Bibelstelle: Hohelied

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 309ff

Kapitel 7. — Dieser letzte Gedanke ist die Ruhe des Herzens der Braut. In der dritten Erfahrungsformel dieses göttlichen Liedes, — wenn ich in so kalter Weise reden darf, — in der die volle Glückseligkeit der Braut zum Ausdruck kommt, wird dies mit den Worten ausgesprochen: „Ich bin meines Geliebten, und nach mir ist Sein Verlangen“. Es ist, mit anderen Worten, das Bewusstsein, dass man Christo angehört, und dass Seine Liebe auf uns ruht — das Bewusstsein, Gegenstände Seiner Zuneigungen und Seiner Wonne zu sein. Das ist die tiefste, ja, das ist vollkommene Freude! 
Der Leser wird gut tun, diese angeführten drei Ausdrücke der Herzens-Befriedigung in nähere Erwägung zu ziehen: 1. wir besitzen Christum, 2. wir gehören Ihm an, und 3. die letztgenannte Tatsache ist verbunden mit dem Bewusstsein, dass Er Seines Herzens Wonne an uns hat, wie sehr auch alles nur Gnade ist — und dass dies so ist, wird dann sicher ganz besonders gefühlt werden.
Doch (um wieder zu unserem Text zurückzukehren) der gläubige Überrest kann jetzt mit Ihm vorangehen, um alle Segnungen der Erde in der Gewissheit und der Gemeinschaft Seiner Liebe zu genießen. Was für Früchte der Dankbarkeit, was für besondere Gefühle werden es sein. die das Volk Israel für den Herrn allein aufbewahrt haben wird, Gefühle, die sie nie für einen anderen haben könnten, und die schließlich keiner außer ihnen zu dem Herrn, als auf Erden gekommen betrachtet, haben kann! 
Kapitel 8 steht für sich da- und scheint mir die Grundzüge des ganzen Buches noch einmal zusammenzufassen. Es geht auf den Grund von dem zurück, was alle diese Seelenübungen hervorgerufen hat. Die völlige Befriedigung aller Wünsche des Überrestes wird in prophetischer Weise angekündigt und der Pfad bezeichnet, auf welchem seine Zuneigungen sich entwickeln werden. Dieses Bild wird jedoch zur Ermunterung derer entworfen, die sich der Wirklichkeit noch nicht erfreuen, und drückt den Wunsch nach dieser Verwirklichung aus, indem es so dem brennenden Verlangen des Überrestes, Christum zu besitzen und volle Freiheit zur· Gemeinschaft mit Ihm zu haben, Gottes Zustimmung und Weisung gibt. Die Erwiderung, die darauf erfolgt, lehrt mit besonders kostbarer Deutlichkeit die Art und Weise, in welcher dies in Erfüllung gehen wird. Die heiße Liebe der Braut wird vorgestellt, und der Geliebte wünscht, dass sie in Seiner Liebe ruhen und dieselbe ohne Störung genießen möge, so lange es ihr gefällt. 
Später kommt sie, sich auf Ihn lehnend, von der Wüste herauf. Und wo hat der Herr sie aus ihrem Schlaf aufgeweckt? Unter einem Apfelbaum. (Vergl. Kap. 2, 3.) Von Christo allein leitet sie ihr Leben her. Nur so kann Israel diesen lebendigen Überrest. hervorbringen, der zu Jerusalem die irdische Braut des großen König; bilden wird, die da begehrt, wie ein Siegelring an Seinem Herzen zu sein, und die das sein wird entsprechen der Kraft einer Liebe, die stärker ist als der Tod, die nicht schont und nicht nachgibt. 
In der „kleinen Schwester“ möchte ich Ephraim erkennen, welches nie die Entwicklung gehabt hat, wie sie Juda durch die Offenbarung Christi und durch alles, was nach der Wegführung der zehn Stämme stattfand, zu teil geworden ist. Denn all die inneren Zuneigungen Judas werden sich entwickeln infolge seines, Beziehung zu Christo, infolge der Verwerfung des Messias und durch die Gefühle, die diese hervorrufen wird, wenn der Geist ihnen einmal die geziemende Erkenntnis darüber gibt· (Vergl. Jes. 50 — 53). Ephraim wird, ohne diese Dinge durchgemacht zu haben, in den Genuss der Ergebnisse derselben gelangen. Juda wird, wenn es dereinst am Ziel angelangt ist, die volle Gunst des Messias genießen; bis dahin bilden sich jene Zuneigungen zu Ihm durch all die Herzensübungen, die es in Bezug auf Ihn durchlebt. 
Christus in Seinem salomonischen Charakter, als der glorreiche König, der Sohn Davids (nach der Ordnung Melchisedeks), hat als Herr der Nationen oder der Völker einen Weinberg. Er hat ihn anderen anvertraut, die ihm eine angemessene Vergütung dafür zu geben haben. Der Weinberg der Braut stand ihr selbst zur Verfügung, doch sein ganzer Ertrag soll für Salomo sein, und ein Teil davon für die Hüter seiner Frucht -— ein rührender Ausdruck ihrer Beziehung zu dem König. Sie will, dass alles Ihm gehöre; aber dann gibt es andere, die auch Nutzen davon haben sollen.
Die beiden letzten Verse bekunden das Verlangen der Braut, dass der Bräutigam ohne Verzug kommen möge. 
Es ist wichtig zu beachten, dass es; sich in diesem Buche nicht um die« Reinigung des Gewissens handelt; diese Frage wird gar nicht berührt. Es redet vielmehr von jenen Zuneigungen des Herzens, die nicht zu heiß sein können, wenn der Herr ihr Gegenstand ist. Infolge dessen dienen die Fehler, die ein Vergessen Seiner Person und Seiner Gnade offenbaren, nur dazu, solche Herzensübungen in Bezug auf Ihn zu erzeugen, um durch sie all das Anziehende Seiner Person und das Bewusstsein, Ihm ganz anzugehören, wieder» hervorzurufen. Denn solche Übungen bewirken in dem Herzen eine weit tiefere Wertschätzung Seiner Person, weil es sich nicht um Verschuldungen vor einem Richter handelt, sondern um einen Mangel an Herz einem Freunde gegenüber. Und da dieser Mangel einer Liebe begegnet, die zu stark ist, um je von ihrem Gegenstand abgelenkt werden zu können, so vertieft er nur die Zuneigung der Braut zu ihrem Geliebten und lässt in ihren Augen Seine Liebe unendlich höher erscheinen: ihr Herz wird durch innere Übung zubereitet, Seine Liebe mehr zu schätzen, und fähig gemacht, alles was Er ist zu lieben und hoch zu achten. Es ist von der größten Wichtigkeit, dass unser Herz in diesem Teile der christlichen Liebe gebildet werde. Auf diesem Wege wird Christus wirklich erkannt; denn wenn es sich um göttliche Personen handelt, so gilt der Grundsatz: wer nicht liebt, erkennt auch nicht. Unser Herz ist in der Tat unvollkommen; es kann nicht lieben, wie es sollte, und darum sind alle diese Übungen notwendig. Ich will damit nicht sagen, dass Fehler unausbleiblich sind. Aber, wie bereits bemerkt, es ist Liebe, die den Fehler fühlbar macht, wenn er sich gezeigt hat, und die Stärke der Liebe setzt einen den Schlägen des Wächters aus, dessen Sache es nicht ist, das Maß der Liebe festzustellen, sondern sittliche Ordnung aufrecht zu halten. Er beseitigt das Böse auf dem Wege betrübender und schmerzlicher Zucht, welche beweist, dass, wenn man auch viel liebte, doch nicht Liebe genug da war; oder wenigstens, dass diese Liebe in ein schwaches Gefäß niedergelegt ist, welches, wenn man ihm Gehör schenkt, an sich selbst zum Verräter wird.
Ich habe bereits gesagt, dass dieses Buch in seiner Auslegung sich nicht auf die Versammlung (Gemeinde) anwenden lässt. Nichtsdestoweniger habe ich von uns und unseren Herzen geredet, und zwar mit Recht. Denn wenn auch in der Auslegung des Buches Israel der unmittelbare Gegenstand ist, kommen doch auch Herz und Gefühl in Frage, sodass es in sittlichem oder geistlichem Sinne auf uns angewandt werden kann. Aber wenn man das tut, muss die oben erwähnte Einschränkung beachtet werden. Wir besitzen die volle Kenntnis einer vollbrachten Erlösung und wissen, dass wir in Christo in die himmlischen Örter versetzt sind. Unser Gewissen ist für immer gereinigt: Gott will unserer Sünden und unserer Gesetzlosigkeiten nie mehr gedenken. Aber das Ergebnis dieses Werkes ist, dass wir völlig Sein sind, der Liebe gemäß, welche in dem Opfer sich zeigt, das jenes Werk vollbracht hat. Christus ist daher ein und alles für unsere Seelen. Wenn Er uns geliebt hat, wenn Er sich für uns hingab, als in uns nichts Gutes war, so besitzen wir Leben, Glückseligkeit und die Erkenntnis Gottes offenbar darin, dass wir mit uns selbst, mit unserem alten Ich, völlig zu Ende gekommen   sind. In Christo allein finden wir die Quelle, die Kraft und Vollendung dieser Wahrheit. Sie macht bezüglich der Rechtfertigung unsere Stellung vollkommen. In uns ist nichts Gutes, aber wir sind angenommen in dem Geliebten — völlig angenommen in Seiner Annehmlichkeit, indem alle unsere Sünden durch Seinen Tod auf ewig hinweggetan sind. Und wenn Es sich dann um Leben handelt, so wird Jesus der einzige Gegenstand, das Ein und Alles für unsere Seelen. In Ihm allein findet das Herz das, was ihm als Gegenstand dienen kann —- in Ihm, der uns so geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat, in Ihm, der nichts anderes als Vollkommenheit für das Herz ist. Und was schließlich das Gewissen betrifft, so ist die ganze Frage in Frieden geordnet durch Sein Blut: wir sind in Ihm gerecht vor Gott, während wir täglich auf diesem Boden geübt werden. Das Herz hat das Bedürfnis, einen solchen Gegenstand zu lieben, und grundsätzlich will es keinen haben außer Ihm, in welchem alle Gnade, Hingebung für uns und jede, Gottes eigenem Herzen entsprechende Gnade gefunden wird. In diesem Punkt steht der Christ im Einklang mit dem Lied der Lieder. 
Die Versammlung (Gemeinde) — geliebt, erlöst und Christo angehörend —- hat durch den Geist Seine Vollkommenheiten verstanden, hat Ihn erkannt in dem Werke Seiner Liebe, aber sie besitzt Ihn noch nicht so, wie sie Ihn kennt· Sie sehnt sich nach dem Tage, wo sie Ihn sehen wird, wie Er ist. „Inzwischen offenbart Er sich ihr, weckt ihre Zuneigungen auf und trachtet nach dem Besitz ihrer Liebe, indem Er ihr Seine ganze Wonne an ihr bezeugt. Sie erfährt auch, was in ihr selbst ist, und lernt jene Herzensträgheit kennen, welche die Gelegenheiten zur Gemeinschaft mit Ihm versäumt. Doch das lehrt sie, alles das in ihr zu verurteilen, was die Wirkung der Vollkommenheiten ihres Geliebten auf ihr Herz zu schwächen geeignet ist. So wird sie innerlich vorbereitet und befähigt, volle Gemeinschaft mit Ihm zu genießen: wenn sie Ihn sehen wird, wie Er ist, wird sie Ihm gleich sein. Wir streben nicht danach, Ihn zu erlangen; wir suchen aber das zu ergreifen, wozu mir durch Christum ergriffen worden sind. Wir haben einen Gegenstand, den wir zwar noch nicht völlig besitzen, der aber allein alle unsere Wünsche zu befriedigen vermag - einen Gegenstand, dessen Liebe wir in unseren Herzen verwirklichen müssen. Dieses Ziel sucht Er in Gnaden dadurch zu erreichen, dass Er uns Seine vollkommene Liebe zu uns bezeugt; und dies dient wiederum dazu, unsere Liebe zu Ihm zu pflegen, ja, uns durch das Gefühl unserer Schwachheit und die Offenbarung Seiner Vollkommenheit zu trösten, indem uns so alles gezeigt wird, was in unseren Herzen dem Genuss Seiner Liebe hindernd im Wege steht. Von diesen Hindernisse befreit Er uns in der Weise, dass wir es in der Gegenwart Seiner Liebe aufdecken. 
Ich beabsichtige nicht, hier im Einzelnen der Wirkung dieser Zuneigungen in dem Herzen nachzuspüren, weil Auslegung und nicht Ermahnung mein Zweck ist. Doch es war nötig ein wenig über diesen Gegenstand zu sagen, damit das Buch verstanden werde. Überdies kann man unmöglich die Wichtigkeit der Pflege dieser heiligen Zuneigungen zu stark hervorheben; sie fesseln uns an Christum und bringen uns dahin, Seine Liebe und Ihn selbst näher kennen zu lernen. Denn ich wiederhole, wenn es sich um Gott und um Seine Wege mit uns handelt, so erkennt der nicht, der nicht liebt. 
Nur beachte matt, mit welchem Ernst und zugleich mit welcher Zärtlichkeit der Herr zu Seiner Geliebten redet über all die Kostbarkeit, die sie in Seinen Augen hat, und über die Vollkommenheit, die Er in ihr erblickt. Wenn Jesus in uns Vollkommenheit sieht, so bedürfen wir wahrlich nichts mehr. Indem Er davon zu ihr redet, beruhigt und stillt Er ihr Herz wieder, wenn sie gerechterweise durch die Wächter getadelt und gezüchtigt worden ist, und nun in ihrem Innern sich gedrungen fühlt, darin Erleichterung zu suchen, das; sie zu ihren Freundinnen von dem redet, was Er für sie ist. Er wirft ihr nichts vor, sondern lässt sie fühlen, das; sie in Seinen Augen vollkommen ist.
Suchen mir nach einem praktischen Beispiel, so möchte ich sagen: Welch eine Vollkommenheit der Liebe offenbarte sich in jenem Blick, den der Herr auf Petrus richtete, als dieser Ihn verleugnet hatte! Welch ein Augenblick war es ferner, als Er ohne Petrus zu tadeln (obwohl Er ihn unterwies), ihm Sein Vertrauen dadurch bezeugte, das; Er gerade ihm, der Ihn so schnöde verleugnet hatte, die Seinem Herzen so teuren Schafe und Lämmer anvertraute, für die Er eben erst Sein Leben hingegeben hatte!
Nun, diese Liebe Christi, die über das Böse erhaben ist und gerade dadurch ihre Göttlichkeit beweist, bringt sich selbst als eine neue Schöpfung in dem Herzen eines jeden Menschen wieder hervor, der ihr Zeugnis annimmt, indem sie ihn mit Dem vereinigt, der ihn so unaussprechlich geliebt hat und liebt.
Ist der Herr etwas anderes für uns als das? Nein, meine Brüder, auch wir erfahren Seine Liebe; wir lernen Ihn selbst kennen in den Herzensübungen, durch die Er uns führt.

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Meine Hilfe kommt von Jehova

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 317ff

In seinem 2. Briefe an Timotheus schreibt der Apostel Paulus: „Dieses aber wisse, dass in den letzten
Tagen schwere Zeiten da sein werden“ (Kap. 3, 1). Dass unsere Tage solche schweren Zeiten sind, kann ein jeder unserer Leser bezeugen; ihre Schwere macht sich bemerkbar auf jedem Gebiet, und da ist wohl keiner unter den Geliebten des Herrn, der nicht mehr oder weniger von ihr zu tragen hätte. Infolge der lawinenartig anwachsenden Teuerung stellen sich Schwierigkeiten aller Art ein; immer greifbarer wird die Unbeständigkeit und Unsicherheit alles Bestehenden, und die bösen Mächte der Finsternis treiben ihr Werk immer offener und rücksichtsloser, um alles zu zerstören und zu verderben.
Unwillkürlich schaut der Mensch sich um nach einem Halt in der Flut, nach einer Stütze in dem allgemeinen Zusammenbruch, und ganz von selbst erhebt sich die Frage: „Woher soll uns Hilfe kommen, um das, was auf uns anstürmt, ertragen zu können? Was bringt uns sicher durch das Labyrinth?“
Den Kindern dieser Welt ist es ziemlich gleichgültig, woher die Hilfe ihnen zufließt, wenn sie nur aus ihrer Not herauskommen; die erste beste Quelle ist ihnen gut genug und wird gierig benutzt. Und auch. das Kind Gottes streckt sich, wie wir aus Erfahrung wissen, in solchen Zeiten gern nach sichtbaren Stützen aus, schaut suchend umher, ob sich nicht irgend eine Zuflucht biete. Doch wir wissen auch alle, dass das nur bittere Enttäuschungen mit sich bringt und uns gesegneter Erfahrungen beraubt, die man beim stillen Warten auf Gott und Seine Hilfe macht. Das Wissen genügt indes nicht, um uns vor der Gefahr zu bewahren. Es ist nötig für uns, dieses Wissen zu verwerten, und gut, von solchen zu lernen, die vor uns den gleichen Weg gingen und vielleicht noch schwerere Umstände zu durchleben hatten als wir. 
Richten wir zunächst unseren Blick auf einen Pilgrim, der vor Jahrtausenden hienieden lebte und Hilfe für seinen Weg bedurfte. Wohin wandte er sich, um diesen Weg unversehrt gehen zu können? Psalm 121 gibt uns eine schöne und liebliche Antwort auf die Frage. 
„Bekanntlich redet der genannte Psalm prophetisch von dem Überrest Israels; am Ende der Tage, aber er hat sicherlich auch eine unmittelbare Anwendung auf den Psalmisten selbst. Dieser steht anscheinend vor einem großen Entschluss, wahrscheinlich ist er im Begriff, nach Jerusalem hinaufzuwandern, und da diese Reise damals mancherlei Schwierigkeiten und Gefahren mit sich brachte, besonders bei weiteren Entfernungen, so schaut er sich nach einer Hilfe um. Er „überschlägt die Kosten und macht die wichtige und zugleich gesegnete Entdeckung, dass er die, Reise in eigener Kraft nicht auszuführen vermag. Doch wohin sich wenden? Wo ist die zuverlässige, nie versagende und Versiegende Quelle der Kraft?
„Das Volk Israel hat sich zu seinem großen Schaden manchmal um Hilfe an die Hohen und Großen dieser Erde gewandt. Das Ergebnis war immer Enttäuschung und Beschämung. Treffend berichtet der Prophet von dem Pharao und von Ägypten, wenn das Haus Israel sie als Rohrstab benutzen wollte: „Wenn sie dich mit der Hand erfassten, knicktest du und rissest ihnen die ganze Schulter auf; und wenn sie sich auf dich lehnten, zerbrachst du und machtest ihnen alle Hüften wanken“ (Hes. 29, 6. 7; vergl. 2. Kön. 18, 21.) Der Glaube handelt anders. Er weiß, dass die Ägypter Menschen sind und nicht Gott, und ihre ·Rosse Fleisch und nicht Geist (Jes. 31, 3), und dass der Mann verflucht ist, der auf den Menschen vertraut und Fleisch zu seinem Arme macht (Jer. 17, 5). 
In diesem Glauben steht der Psalmist. In dem Bewusstsein, dass es nicht gut ist, „auf Fürsten zu vertrauen, auf einen Menschensohn, bei welchem keine Rettung ist“ (Ps. 146, 3), dass „nur Eitelkeit sind die Menschensöhne, Lüge die Männersöhne (die Hochgestellten und Reichen)“, stützt er sich nicht auf Wagen und Rosse, auf Mächtige und Helden, sondern erhebt glaubend das Auge nach oben: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen“. Ja, er bleibt nicht bei den Bergen stehen, sondern steigt hinauf bis zu dem Herrn und Schöpfer des Weltalls und sagt: „Meine Hilfe kommt von Jehova, der Himmel und Erde gemacht hat“ (V. 2), von Ihm, der „in Seinem heiligen Palast wohnt“, und dessen Thron völlig unerschüttert bleibt, wenn auch „die Grundpfeiler umgerissen werden“ (Ps. 11, 3. 4).
Aber — der Unglaube hat immer ein „Aber“ — sind solche Erwartungen nicht Trugschlüsse? Ist es nicht anmaßend, so zu reden? Weder das eine noch das andere. Das Leben Davids und anderer Glaubensmänner belehrt uns, dass die Erwartungen des Psalmisten völlig gerechtfertigt sind, und dass es tatsächlich Gottes Freude ist, dem einfältigen Glauben zu antworten und ihm Seine Macht zu offenbaren. 
Auch am Grabe des Lazarus, in weit späteren Tagen, hören wir den Herrn der zweifelnden Martha zurufen: „Habe ich dir nicht gesagt, wenn du glauben würdest, so würdest du die Herrlichkeit Gottes sehen?“ (Joh. 11, 40). Ja, wir wiederholen, der Psalmist hat recht, ganz recht. Nicht nur die Macht des Schöpfers ist für ihn, er darf auch auf die Liebe und Treue des Bundesgottes Israels rechnen“ Sein Glaube schaut so vertrauensvoll zu Jehova auf, dass er mit voller Gewissheit bekennen kann: „Meine Hilfe kommt von Jehova, der Himmel und Erde gemacht hat“. 
Da ist nicht das Fragen und Zweifeln, wie wir es heute so oft bei uns finden, wie es gehen, was wohl die Zukunft bringen werde. Die Worte atmen eine bestimmte, zuversichtliche Glaubenserwartung. Und die Antwort bleibt nicht aus. Der Psalmist empfängt in den Versen 3 — 8 unseres Psalmes herrliche Zusagen, tröstliche Verheißungen. Wir begegnen hier, wie so oft in den Psalmen, einer Art von Zwiegespräch zwischen dem Gläubigen und dem Geist, der in ihm wirkte. Auf das: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen“, folgt ein: „Er wird nicht zulassen, dass dein Fuß wanke . . . Jehova ist dein Hüter“ usw. Der Geist antwortet auf die Äußerungen des Glaubens.
Wenn wir David, „den hochgestellten Mann, den Lieblichen in Gesängen Israels“, auf seinem Lebenswege begleiten, so finden wir immer wieder, wie reich Gott sein Vertrauen belohnte. Schon in der Stille und Einsamkeit seiner Jugend, als er auf den Fluren Bethlehems das Kleinvieh» seines Vaters weidete, durfte sein Glaube die Hilfe und Rettung Jehovas erfahren (1. Sam. 17, 34 — 37). Nachher in dem Kampfe mit Goliath, dem Philister, später in den Tagen seiner Verbannung, als er, von Saul vertrieben, in den Gebirgen Judas umherirrte, schließlich in der Unterwerfung aller seiner Feinde und als König auf dem Throne Jehovas. Nie hat er vergeblich auf die Hilfe des Herrn gewartet, nie ist sein Vertrauen beschämt worden. Wohl hat der Herr ihn besondere Wege geführt, auf denen es Übungen und Erfahrungen gab, die der Natur nicht angenehm waren. Aber diese Wege, die Erziehungswege Gottes mit Seinem Knechte, waren nur darauf berechnet, ihm seine eigene Ohnmacht, sein Nichts zu zeigen und ihn Gottes Größe und unwandelbare Treue erfahren zu lassen. Wenn er deshalb später, im weiteren Verlauf seiner Pilgerreise, einen Rückblick tut und die ihm widerfahrene Hilfe und Gnade Gottes. betrachtet, ruft er überwältigt aus: „Wer bin ich, Herr, Jehova, und was ist mein Haus, dass du mich bis hierher gebracht hast?“ (2. Sam. 7, 18).
In ähnlicher Weise redete Jahrhunderte vor ihm der Erzvater Jakob bei seiner Rückkehr aus Mesopotamien: „Gott meines Vaters Abraham und Gott meines Vaters Isaak, Jehova, . . . ich bin zu gering all der Gütigkeiten und all der Treue, die du deinem Knechte erwiesen hast“ (1. Mose 32, 9. 10). 
Solche Beispiele sind ermunternd und köstlich für uns. Wir lesen sie nicht als rein geschichtliche Mitteilungen; wir wissen, dass alles zu unserer Belehrung geschrieben ist, auf dass wir durch das Ausharren und durch die Ermunterung der Schriften die Hoffnung haben“ (Röm. 15, 4). Und noch mehr: „Dieser Gott“, — dessen Liebe David so wunderbar und herrlich erfahren durfte, dessen Hilfe ihm stets zur Verfügung stand, — „dieser Gott ist unser Gott immer und ewiglich“. 
Und noch einmal sagen wir: „noch mehr“! Wir stehen zu diesem Gott nicht in dem Verhältnis wie David, „der Mann nachdem Herzen Gottes“, der den Herrn Jesus und die Erlösung nur als etwas Zukünftiges kannte. Nein, kraft des vollbrachten Werkes des Sohnes Gottes von allen Sünden befreit, sichergestellt vor jedem Gericht, sind wir in die Stellung von Kindern Gottes versetzt, und rufen, geleitet durch den Geist der Sohnschaft: „Abba, Vater!“ Ja, um unsere zaghaften, leicht zweifelnden Herzen völlig zur Ruhe zu bringen, lässt Gott uns sagen, dass wir „versetzt sind in das Reich des Sohnes Seiner Liebe“. 
Wie überwältigend groß ist diese Gnade! Wo ein Herz sie erfasst hat und nur ein wenig genießt, da weichen alle zweifelnden Fragen, und getrosten Mutes, der Gnade völlig vertrauend, eilt der Gläubige voran und erfährt auf seiner Wanderung die nie versagende Durchhilfe seines Gottes und Vaters. 
Es kann nicht oft genug darauf hingewiesen werden, wie wichtig es für uns alle ist, zu ruhen in dieser Liebe Gottes, die eine solch innige Verbindung um den Preis des eingeborenen Sohnes zuwege gebracht hat. Wo dieses Ruhe in Gottes Liebe fehlt, da wird man statt des stillen Wartens und Harrens auf die Hilfe von oben stets ein unruhiges Bemühen finden, sich selbst Wege zu bahnen und Hilfe zu schaffen. Wer in der Liebe Gottes ruht, vertraut ihr völlig. Er weiß: der Gott, der mich also liebt, wird alles so führen und leiten, dass ich am Ende Ihn nur bewundern und anbeten werde. Er ruft mit dem Apostel triumphierend aus: „Wenn Gott für uns ist, wer wider uns?“ und: „Er hat gesagt: Ich will dich nicht versäumen, noch dich verlassen“. Kühn darf der Glaube sagen: „Der Herr ist mein Helfer, und ich will mich nicht fürchten; was wird mir ein Mensch tun?“ (Römer 8, 31; Hebr. 13, 5. 6.) Einer solchen Sprache gegenüber muss der Feind, der in Prüfungszeiten die Herzen der Gläubigen so gern mit Misstrauen und Zweifeln zu erfüllen sucht, weichen. 
In den mannigfachen Prüfungen unseres Weges wird es offenbar, ob wir wirklich in der Liebe Gottes ruhen und wahres Vertrauen zu ihr haben. Wohl uns, wenn wir in allem, was über uns kommen mag, ausharren und, gleich Hiob, Gott nichts „Ungereimtes“ zuschreiben! Wohl uns, wenn unser Glaube sich bewährt, selbst wenn Gott das Liebste, gleichsam unseren Isaak, von uns fordert! 
Unsere Tage sind, wie gesagt, schwer und prüfungsvoll, mehr als früher. Die Prüfungen, durch die wir gehen, sind ganz eigenartig, ich möchte fast sagen, verwirrend. Man hat oft ein Gefühl, als könne man sich gar nicht mehr zurechtfinden. Allgemeine „Ratlosigkeit“ kennzeichnet unsere Zeit. Aber unser Gott heißt „Berater“ und „Helfer“. Möchten wir nur alle von Herzen mit dem Psalmisten sagen können: „Meine Hilfe kommt von Jehova“. Er verheißt einem jeden von uns so freundlich: „Meine Gnade genügt dir“. Könnte Er Sein Wort brechen? Nimmermehr! 
Der Glaube harrt auch in schweren Stunden vertrauensvoll und ergeben auf Ihn, und sicher, er wird immer herrliche Erfahrungen machen von der gnädigen Durchhilfe des Gottes, auf den er sich stützt. Unzählige kleine und große Beispiele aus dem Leben der Gläubigen bestätigen es, dass Er „nahe ist allen, die Ihn anrufen, allen, die Ihn anrufen in Wahrheit“, und dass Er „Gefallen hat an denen, die Ihn fürchten, an denen, die auf Seine Güte harren“ (Ps. 145, 18; 147,11). Je dunkler es wird um uns her, umso heller strahlt uns Seine nie sich ändernde Liebe entgegen, und bald wird unser Schifflein landen am „jenseitigen Ufer“. Die Nacht ist bald vorbei, und „noch über ein gar Kleines, und der Kommende wird kommen und nicht verziehen.“ „Der Gerechte aber wird aus Glauben leben.“(Hebr. 10, 37. 38).
Lasst uns bis zu diesem herrlichen Augenblick ohne Ermatten unseren Lauf fortsetzen, „hinschauend auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens“! Aus dem „Bache“ trinkend, aus welchem Er trank (Ps. 110, 7), solang Er als abhängiger Mensch hienieden wandelte, werden wir „gekräftigt werden mit aller Kraft nach der Macht Seiner Herrlichkeit, zu allem Ausharren und aller Langmut mit Freuden, danksagend dem Vater, der uns fähig gemacht hat zu dem Anteil am Erbe der Heiligen in dem Lichte“ (Kol. 1, 11. 12).
Noch ein Weilchen still vertraue
Dem, der deine Pfade lenkt,
noch ein Weilchen auf Ihn baue,
der dem Müden Stärke schenkt.
Sieh des Vaterhauses Ruh
winkt dem Pilger freundlich zu.
So singen wir hier, und bald werden wir droben, und dann in Vollkommenheit, bekennen, was wir hienieden schon zum Preise unseres geliebten Herrn im Glauben sagen dürfen: „Du bist mir zur Hilfe gewesen, und ich werde jubeln in dem Schatten deiner Flügel“ (Psalm 63, 7).

@@@@ 325

Er ist dein Herr, so huldige Ihm!

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 325

Teurer Heiland! Dich zu kennen
und, gelehnt an Deine Brust,
Freund der Seele dich zu nennen,
das ist heilige, selige Lust!

Alle kennest Du mit Namen,
die, verirrt und voller Schuld,
nun im Glauben zu Dir kamen,
hegst und pflegst sie mit Geduld.

Unaussprechlich hohe Freude,
Dein zu sein, Du großer Hirt,
der auf immergrüner Weide
seine kleine Herde führt!

Des Erbarmens mächtige Fluten
Führten Dich zu uns herab,
Deiner Liebe heiße Gluten
überwanden Tod und Grab.

Diese Liebe zu genießen,
zu Dir aufschauen unverrückt,
stille ruhen zu Deinen Füßen,
das ist, was das Herz erquickt.

R.B.

@@@@@@ 326

Bekehrung und Versiegelung

Bibelstelle: 

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1922, Seite 326ff

„ . . in welchem ihr auch, nachdem ihr geglaubt habt, versiegelt worden seid mit dem Heiligen Geiste der Verheißung“ (Epheser 1, 13).
Bekehrung und Versieglung sind zwei verschiedene Dinge. Wenn ein Mensch, von seinem sündhaften Zustand überführt, an den Herrn Jesus glaubt als den einzigen und vollkommenen Heiland, der das Ihm vom Vater übertragene Werk vollbracht hat, und nun von Grund seines Herzens rufen kann: „Abba, Vater!“ so kann man von ihm sagen, dass er den Heiligen Geist besitzt (Röm. 8, 15; Gal. 4, 6). Er versteht nicht nur die im Worte geoffenbarte Wahrheit, sondern genießt in der Gegenwart Gottes eine selige Freiheit und besitzt das Bewusstsein seines Kindesverhältnisses zu Gott. Er mag noch vieles zu lernen und zu verlernen haben, sein geistlicher Zustand mag noch nach jeder Seite hin der Vervollkommnung bedürfen, aber er weiß, dass er ein Kind Gottes ist. Das ist mehr als Bekehrung. Ein solcher Mensch ist mit dem Heiligen Geiste versiegelt. Ein Sünder kann nicht versiegelt werden. Unmöglich könnte Gott Sein Siegel auf ihn drücken, solang er noch in seinen Sünden vor Ihm steht; aber wenn er durch das Blut Christi gereinigt ist, kann der Heilige Geist kommen und Wohnung bei ihm machen. 
Wir sehen den Unterschied so klar bei dem verlorenen Sohn. Er war zu sich selbst gekommen, hatte seine Sünden erkannt und sah, dass er dem Untergange nahe war. Dann machte er sich auf und trat den Rückweg zum Vater an. Sein Tun war richtig, er war wirklich umgekehrt von seinem bisherigen Wege; aber er besaß bis dahin weder das beste Kleid, noch den Ring, noch die Schuhe. Er war seinem Vater noch nicht begegnet. Er wusste wohl, dass es im Vaterhause Fülle von Glück und Überfluss an Brot gab, aber er wusste nicht, ob er dort Aufnahme und Eingang finden würde. Er hatte noch nicht das Bewusstsein, ein Sohn zu sein, obwohl er es war; er sagt vielmehr: „Ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen“. Das ist aber nicht „der Geist der Sohnschaft, in welchem wir rufen: Abba, Vater!“ 
Auch heute befinden sich 1nanche aufrichtige und wirklich bekehrte Seelen in diesem Zustande. Sie sind noch nicht versiegelt. Ich will damit nicht sagen, dass man imstande sein muss zu erklären, wie man „Abba“ rufen kann, oder fähig, die Lehre von der Gegenwart des Heiligen Geistes auszulegen — dazu bedarf es einer näheren Bekanntschaft mit dem Wort — aber man muss den Geist haben, um wirklich „Abba“ rufen zu können. Es gibt viele Seelen, die infolge falscher Belehrung nicht zu sagen wagen, dass sie Kinder Gottes sind; aber wenn sie vor Gott hintreten, rufen sie ohne Zögern und von Herzensgrund: Abba, lieber Vater! In solchen Fällen ist der Mangel an Freimütigkeit, sich ein Kind Gottes zu nennen, die Folge von Unwissenheit oder von verkehrter Belehrung. Die Seelen sind aber versiegelt, und wenn sie darum in Gottes Gegenwart treten und zu Ihm reden, so wissen sie sehr wohl, dass Er ihr Vater ist; sie haben das Bewusstsein, in diesem Verhältnis zu Ihm zu stehen. 
Werfen wir jetzt einen kurzen Blick auf das, was der Heilige Geist gibt, wenn Er in uns wohnt. Zunächst ist  Er nicht ein Geist der Knechtschaft, sondern der Sohnschaft: wir wissen, dass wir Kinder Gottes sind, „wenn aber Kinder, dann auch Erben, Erben Gottes und Miterben Christi“. Wunderbare, Unaussprechliche Vorrechte — obwohl die Tatsache, dass wir in einem solchen Verhältnis zu Gott und zu Christo stehen, weit mehr ist als das Erbe! Denn dieses ist nur eine Folge, ein Ergebnis von jenem. 
Weiter „ist die Liebe Gottes in unsere Herzen ausgegossen durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben ist“ (Röm. 5, 5.) Einfache, aber überaus kostbare Worte! Die Tatsache, dass Gott Seinen eingeborenen Sohn für uns gegeben hat, und dass Jesus Sein Leben für uns ließ, ist der Beweis dieser Liebe. Aber wir genießen sie, wir „bleiben“ in ihr, durch den Heiligen Geist, durch welchen sie in unsere Herzen ausgegossen worden ist. 
Der Apostel Johannes drückt sich so aus: „Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir einander lieben, so bleibt Gott in uns, und Seine Liebe ist vollendet in uns. Hieran erkennen wir, dass wir in Ihm bleiben und  Er in uns, dass Er uns von Seinem Geiste gegeben hat.“ Und um zu zeigen, dass dieser Geist ohne Frage das Teil aller Christen ist, fügt er hinzu: „Wer irgend bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, in ihm bleibt Gott und er in Gott“ (1. Joh. 4, 12 - 15). 
Für jemand, der nicht mit Gott wandelt, ist es schwer zu glauben, dass wir in Gott bleiben können und Gott in uns. Aber das Wort ist klar und bestimmt, und die Seele, die in Gemeinschaft mit Gott wandelt, freut sich dessen in Dankbarkeit und Demut. Denn Gottes Gegenwart macht uns niemals stolz. Er ist zu groß, zu erhaben, als das; wir in Seiner Gegenwart irgend Etwas von uns  halten könnten· Nicht als Paulus im dritten Himmel war, bestand für ihn Gefahr, sich zu erheben, sondern als er wieder hienieden weilte. Überdies lässt der Heilige Geist uns erkennen, dass wir in Christo sind, und Er in uns (Joh.14, 20.) Da ist keine Verdammnis für die, welche in Christo Jesu sind. Nicht nur sind unsere Sünden vergeben, sondern wir sind auch Gott annehmlich gemacht in Ihm, dem Geliebten, annehmlich in Christo (gemäß der Kostbarkeit Seiner selbst, der unsere Gerechtigkeit ist) und geliebt, wie Er geliebt ist. 
Hier begegnen wir wiederum der völligen Annahme des Gläubigen bei Gott, aber auch seiner Verantwortlichkeit. Vor Gott bin ich völlig angenommen in Christo. Wenn ich aber in Christo bin, dann ist Christus auch in mir als Leben und Kraft, und dann bin ich verantwortlich, dieses Leben vor der Welt zu offenbaren. Christus ist für uns vor Gott, und wir stehen für Christum vor der Welt. 
Gott hat nicht bei dem unschuldigen Adam im Garten Eden gewohnt. Er hat auch nicht bei Abraham gewohnt, obwohl Er ihn Seinen „Freund“ nannte. Als aber das Erlösungswerk vollbracht war, kam Er, um sowohl in den einzelnen Gläubigen, als auch in Seinem durch den Heiligen Geist gesammelten Volke zu wohnen. Seine Gegenwart ist darum mehr als Bekehrung. Die in Jesu Blut gewaschenen Bekehrten werden durch die Gabe des Heiligen Geistes die Behausung Gottes, indem sie auf diese Weise für die Herrlichkeit versiegelt sind.

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Fragen aus dem Leserkreis

Bibelstelle(n): Apgsch. 19, 8; Matth. 13; Matth. 26, 29

Botschafter des Heils in Christo 1922, S. 330

Was ist das Reich Gottes, das Paulus predigte (Apostelgeschichte 19, 8)? was das Reich der Himmel, von dem wir im Evangelium nach Matthäus besonders im 13. Kapitel zu oft hören? Und was bedeutet das Reich meines Vaters in Matthäus 26, 29?
Da über diesen Gegenstand immer wieder Fragen laut werden, mag es gut sein ihn gelegentlich einmal ausführlicher zu behandeln; heute nur eine kurze Antwort auf die drei Fragen.
Das Reich (eigentlich Königreich) Gottes ist gewissermaßen der Gattungs- oder Sammelname, der alle anderen Namen und Benennungen umfasst, in sich einschließt, aber sehr oft von allgemeinerer, weitergehender Bedeutung ist als jene. Das Reich der Himmel, das Reich des Sohnes des Menschen, das Reich des Vaters oder meines (ihres, unseres) Vaters sind Begriffe, die sich mit dem Ausdruck „Reich Gottes“ nicht immer decken, weil sie dieses Reich von einem bestimmten Gesichtspunkt aus,  einer gewissen Sondererbedeutung betrachten. Man könnte sie vielleicht Unterabteilungen nennen, wenn man sich nicht fürchten müsste, dadurch unrichtige Gedanken zu erwecken - ähnlich wie Rosen, Lilien, Veilchen usw. Unterabteilungen, Gruppen der großen Gattung „Blumen“ sind. Alle vorher genannten sind Blumen, aber man kann nicht sagen: alle Blumen sind Rosen oder Lilien usw. So kann man auch von dem Reiche in all seinen verschiedenen Benennungen immer sagen, es ist das Reich Gottes, aber man kann den Satz nicht umdrehen; zum Beispiel wäre es nicht richtig zu sagen: das Reich Gottes ist das Reich des Sohnes des Menschen, da jener Ausdruck weit mehr in sicht schließt als dieser. Das Reichs des Sohnes des Menschen ist nur der irdische Teil des Reiches Gottes, gegenüber dem Reiche des Vaters, dem himmlischen Teil desselben Reiches, und kommt erst zur Geltung in der tausendjährigen Segnung dieser Erde. Heute sieht das Glaubensauge den Sohn des Menschen wohl zur Rechten der Majestät droben, aber Jesus hat Sein Erbe noch nicht angetreten. Er muss noch warten auf des Vaters Thron, nicht aber auf seinem Thron. 
Das Reich Gottes ist der Bereich, in welchem die ordnende und regierende Macht Gottes in göttlicher Weisheit zur Darstellung oder Ausübung kommt. Es kann deshalb von zweierlei Gesichtspunkten aus betrachtet werden, zunächst in seinem geistlichen oder sittlichen Charakter, dann in seiner äußeren, den Sinnen wahrnehmbaren Gestaltung. Im ersten Fall kann es von dem natürlichen Menschen nicht gesehen werden. Um in das Reich Gottes in diesem Sinne einzugehen, ja, es nur zu sehen, bedarf der Mensch einer Natur, die diesem Reiche entspricht, mit einem Wort, er muss von neuem geboren werden (Johannes 3). So betrachtet, war das reich notwendig, da, als  der Sohn Gottes wirkend auftrat. Das Austreiben der Dämonen bewies z. B., dass das Reich Gottes zu Israel hingekommen war. Denn wenn der Sohn Gottes durch den Finger Gottes, in der Kraft des Heiligen Geistes, die bösen Geister austrieb, so wurde damit die Gegenwart Gottes und seines Reiches erwiesen. Beachten wir, dass das Reich Gedanken der Riese an Alltag nicht das Reich der Himmel genannt wird. Dieser Ausdruck, der überhaupt nur bei Matthäus vorkommt, (dort aber fast immer, mit nur drei oder vier Ausnahmen) würde an dieser Stelle nicht passen, denn das Reich der Himmel wurde damals als „nahe gekommen“ gepredigt, während das Reich Gottes, schon da war. Es war „mitten unter ihnen“ (Matthäus 12, 28; Lukas 11, 20; 17, 21.) 
In diesem geistlichen oder sittlichen Charakter müssen wir uns auch das Reich Gottes vorstellen, wenn wir von ihm lesen: „Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Frieden und Freude im Heiligen Geiste (Römer 14, 17), oder wenn Paulus an die Korinther schreibt: „Das Reich Gottes besteht nicht im Worte sondern in Kraft. (1. Korinther 4, 20). In gleichem Sinne müssen wir zunächst an das Reich denken, wenn der Herr Seine Zuhörer auffordert: „Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit“, oder wenn von Paulus erzählt wird: „Er sprach freimütig drei Monate lang, indem er sich unterredete und sie von den Dingen des Reiches Gottes überzeugte“. Apostelgeschichte 19,8; vergleiche Kapitel 20, 25; 28, 31). 
Wollen wir jetzt noch kurz die verschiedenen Sonderbenennungen behandeln, so erinnert uns der Name „Reich der Himmel“ an die Tatsache der Verwerfung des Königs Seines Reiches durch Israel, die eigentlichen „Söhne des Reiches“ (Matthäus 18, 12). Matthäus, bei dem wir, wie bereits gesagt, allein jenen Namen finden, hatte den Auftrag, den Herrn als den Messias darzustellen, den Gesalbten Gottes, der in die Mitte seines Volkes getreten war, um sein Reich aufzurichten. Israel hat aber seinen König verworfen. Durch diese Verwerfung hat das Reich einen ganz neuen, geheimnisvollen Charakter angenommen; darum teilt der Herr im 13. Kapitel Seinen Jüngern die Geheimnisse des Reiches der Himmel mit. Es ist ein Reich geworden, dessen König vorläufig auf alle seine Rechte verzichtet und als der verherrlichte „Menschensohn“ im Himmel, zur Rechten Gottes, Seinen Platz eingenommen hat (vergleiche Daniel 7, 13 ff; 9, 26; Matthäus 26, 64 u. a. St), und der nun von dort aus Sein Reich nach himmlischen Grundsätzen regiert. Als solches ist es allerdings nur dem Glauben bekannt und konnte naturgemäß erst seinen Anfang nehmen nach dem Tode, der Auferstehung und Himmelfahrt Christi. Es war deshalb zur Zeit des Erdenlebens unseres Herrn und Heilandes noch nicht da, und Petrus empfing vom Herrn „die Schlüssel des Reiches der Himmel“, um sobald die Zeit dafür gekommen sein würde, zuerst den Juden (Apostelgeschichte zwei) und nachher den Heiden (Apostelgeschichte 10) die Tür in dieses Reich zu öffnen. 
Das Reich der Himmel, dessen Grundsätze Matthäus in der sogenannten Bergpredigt zusammengestellt hat, besteht also auf dieser Erde (wir alle befinden uns darin) und dauert fort, bis der einst verworfene König wiederkehrt, um Sein Reich in Macht und Herrlichkeit aufzurichten. Dies kann nur auf dem Wege des Gerichts geschehen (vergleiche Offenbarung 11, 15). Darum sagt der Herr in der Erklärung des Gleichnisses Hesses von dem Unkraut im Acker, dass der Sohn des Menschen „in der Vollendung des Zeitalters“, also am Ende der gegenwärtigen Zeitverwaltung, durch Sein Engel alle Ärgernisse aus Seinem (des Menschensohnes) Reiches zusammenlesen lassen und in den Feuerofen werfen werde, und fügt dann hinzu: „Dann (das heißt wenn jenes geschehen ist) werden die Gerechte leuchten wie die Sonne in dem Reich ihres Vaters“ auf weiteres (Matthäus 13, 40 - 43). Das Reich der Himmel wird dann also seinen Charakter wieder verändern und übergehen in das „Reich des Sohnes des Menschen“ und das „Reich des Vaters“ - dass eine den irdischen, das andere den himmlischen Teil des Reiches bildend; denn im Tausendjährigen Reiche werden, in Erfüllung des Traumgesichts Jakobs (1. Mose 28, 12 - 14), Himmel und Erde miteinander in Verbindung stehen und die Himmelsbewohner, die dann bei dem Herrn verherrlichten, mit ihn kommenden und im Bereich ihres Vaters wie die Sonne leuchtenden Gerechten, werden die Segenskanäle bilden, sie die Gesegneten „Seines“ (nicht ihres) Vaters“, die inzwischen hienieden in das ihnen von „Grundlegung der Welt“ nicht vor „Grundlegung der Welt“ bereitete Reich eingegangen sind.
 Wo immer also vom Reiche der Himmel die Rede ist, haben wir an das zu denken, was auf dieser Erde infolge der Verwerfung des Messias, aus dem Reiche Gottes geworden ist und dass wieder verschwinden wird, sobald der verworfen König in Herrlichkeit wiederkehrt. Die Versammlung (Gemeinde) oder Kirche (im wahren Sinne dieses Wortes) samt ihrer Berufung und Hoffnung, hat unmittelbar gar nichts mit diesen Dingen zu tun. Eher kann man sagen, das Reich der Himmel und Christenheit, aber dann mit Einschluss aller Namenschristen, heute zwei Begriffe sind, die sich decken. 
Luthers Übersetzung „Himmelreich“ hatte von jeher die Gedanken der Leser auf den Himmel selbst gelenkt und die Meinung geweckt, es handle sich bei dem  Wort um diesen und um seine Herrlichkeit. Nach dem Gesagten erübrigt sich aber wohl jedes Wort der Widerlegung