Botschafter des Heils in Christo 1925

02/06/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Botschafter des Heils in Christo Inhaltsverzeichnis: 1925Seite
Dem unbekannten Gott"1
Gerechtfertigt durch Glauben7
Kein Umgang13
Ein Licht, das den Glanz der Sonne übertraf25
Sei stark in der Gnade!"29
Betrachtungen über den Propheten Hosea41
Wie ein Kind (Gedicht)46
Wir sehen Jesum"47
Freigemacht von der Sünde (Gedicht)53
Quartus54
Fragen aus dem Leserkreise56
Nach Wahl der Gnade 57. 85. 113. 148. 176.57
Ein Wort für Väter77
Meines Gottes Güte (Gedicht)84
Das Wachsen einer Seele, oder: Gedanken aus dem102
Buche Ruth
Gedanken111
Der glückliche Tausch (Gedicht)112
Die Schöpfung und die ersten Menschen121
Er schaute auf die Belohnung"138
Das Reich Gottes141
Der Liebe Art (Gedicht)165
Die Quittung166
Führungen Gottes195
Der Tisch des Herrn197
Einige Gedanken über den Tod und die225
Auferstehung des Herrn
Ziklag246
Er hob Seine Hände auf und segnete sie."253
Ein zeitgemäßer Brief264
Betet füreinander!"275
Mitten auf den Steigen des Rechts281
Apostel und Hoherpriester296
Und dennoch! (Gedicht)308
Ein Brot, ein Leib309
Abija, König von Juda317
Wachet!326
Du bist der Gott meiner Stärke"330
Das wahrhaftige Licht (Gedicht)323


Dreiundsiebzigster Jahrgang

Elberfeld – Verlag von R. Brockhaus

1925

Dem unbekannten Gott

Bibelstelle: Apostelgeschichte 17

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 1ff

Folgen wir der lärmenden Volksmenge, die zum Areshügel in Athen hinaufsteigt, zu dem Platze, wo der Areopag, der alte, ehrwürdige, höchste Gerichtshof der Athener, seine Sitzungen abzuhalten pflegt. Schon haben stattliche, weißbärtige Männer, Philosophen, Denker, Redner und dergleichen, mit ihren Schülern auf den in die Felsen eingehauenen Sitzen Platz genommen, während das gemeine Volk sich in Gruppen um sie her sammelt.

Paulus, der kühne Knecht Gottes, hat schon wiederholt seine Stimme auf dem Markte erschallen lassen, um Juden und Proselyten und denen, die da kamen und gingen, die Botschaft von Jesu zu verkündigen. Tiefes Mitgefühl mit den armen, dem Götzendienst ergebenen Bewohnern der Stadt und das brennende Verlangen, den in Finsternis Sitzenden das Licht der Wahrheit zu bringen, dringen diesen von der Liebe Christi er- füllten Mann zu unermüdlicher Tätigkeit.

Er ist von den weisen und gelehrten Leuten Athens wegen der fremden Lehren, die er mit solcher Kraft verkündigt, angegriffen worden, und nun, an derselben Stelle, wo die alten griechischen Philosophen seit vielen Jahrhunderten ihre Lehren über Götter und Menschen entwickelt haben, steht er da, ein einsamer, unscheinbarer und der Rede wenig gewandter Mann, ganz allein, in der Kraft des unsichtbaren, aber alles sehenden Gottes, um diesen unbekannten Gott zu verkündigen.

Wie gesagt, keine gebietende äußere Erscheinung, keine außergewöhnliche Rednergabe oder andere, Eindruck machende Eigenschaften stehen ihm zur Seite. Er ist kein Saul, der alle um eines Hauptes Länge überragt, kein zweiter Demosthenes, sondern ein in mühe- und leidensvollem Leben verbrauchter Mann, über seine Jahre hin aus gealtert, offenbar ein Jude und schon deshalb wenig geachtet; aber die Gewalt seiner Botschaft ist unbestreitbar. Noch nie ist in Athen eine solch vermessene Behauptung von menschlichen Lippen ausgesprochen worden, dass man nämlich eine unmittelbare Botschaft von dem "Gott des Himmels und der Erde" überbringe.

Wie lautet sie? Lasst sie uns hören: "Männer von Athen! Ich sehe, dass ihr in jeder Beziehung den Götzen sehr ergeben seid. Denn als ich umherging und die Gegenstände eurer Verehrung betrachtete, fand ich auch einen Altar, an welchem die Aufschrift war: Dem unbekannten Gott. Den ihr nun, ohne ihn zu kennen, verehret, diesen verkündige ich euch." (V. 22. 23.)

Wenn Paulus den Athenern sagt, dass sie "dem Götzendienst sehr ergeben" seien, so will er ihnen damit keinen Vorwurf machen, sondern im Gegenteil ihre Religiosität, ihren Eifer für die Gegenstände ihrer Verehrung hervorheben. Um so ernster ist deshalb auch der Gegensatz! Trotz der zahllosen Altäre, Standbilder, Säulen und Tempel, die das weithin als Stätte der Gelehrsamkeit bekannte Athen erfüllten, war Gott dort doch unbekannt. Bei ihren vielen Göttern und Herren und im Besitz alles dessen stehend, was das Herz nur wünschen mochte, hatten die Athener die Kenntnis des wahren Gottes nicht gefunden. Herz und Gewissen waren unbefriedigt geblieben, und in der Sorge, von einem der vielen vermeintlichen Götter noch nicht gehört zu haben und diesen Gott durch Übergehen zu erzürnen, hatten sie dem "unbekannten" Gott einen Altar errichtet.

Auch heute ist es möglich, so religiös zu sein, dass man seine ganze Kraft, sein Vermögen, ja, sein Leben dem Bekenntnis weiht, zu dem man sich hält; und doch ist alles Mühen, Schaffen und Rennen umsonst. Man wacht vielleicht plötzlich auf, um zu erkennen, dass man Gott nicht gefunden hat. Als der Mensch durch seinen Ungehorsam die Sünde in die Welt einführte, hat er nicht nur seine Unschuld, sondern auch Gott verloren.

In uralter Zeit, lange, lange bevor die Rede des Apostels auf dem Areopag zu Athen gehalten wurde, hat ein weiser Mann gefragt: "Kannst du die Tiefe Gottes erreichen, oder das Wesen des Allmächtigen ergründen?" (Hiob 11, 7.) Und die Weisheit der neuzeitigen Gelehrten kann uns auf diese Frage ebenso wenig eine genügende Antwort geben, wie die der alten. Aber Gott hat sich selbst offenbart. Er hat sich kundgegeben in Seinem Sohne, unserem Herrn Jesus Christus. "Gott ist offenbart worden im Fleische, gerechtfertigt im Geiste, gesehen von den Engeln, gepredigt unter den Nationen, geglaubt in der Welt, aufgenommen in Herrlichkeit." (1. Tim. 3, 16.)

Doch Lasst uns unserem Apostel noch ein wenig weiter zuhören. Einige Minuten genügten, um seine Botschaft auszurichten. Freilich mag er viel mehr gesagt haben, als das Wenige, das uns hier berichtet wird. Es hat wohl dem Geiste Gottes gefallen, die Predigt des Knechtes des Herrn in die wenigen und gewichtigen Sätze zusammenzufassen, die wir hier finden. Aber was sie enthalten, ist von der allergrößten Bedeutung. Der Apostel erklärt, dass der Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darinnen ist, der Zeiten und Zeitalter verordnet und die Wohnungsgrenzen der Menschen bestimmt hat, nicht etwa mit Göttern von Gold oder Silber oder Stein, einem Gebilde der Kunst und Erfindung des Menschen, verglichen werden könne. Nein, nachdem Er die Zeiten menschlicher Unwissenheit und Torheit übersehen hat, "gebietet Er jetzt den Menschen, dass sie alle allenthalben Buße tun sollen, weil Er einen Tag gesetzt hat, an welchem Er den Erdkreis richten wird in Gerechtigkeit, durch einen Mann, den Er dazu bestimmt hat". (V. 30. 31.)

Das war allerdings ein seltsamer Klang in den Ohren der Athener, eine nie gehörte Sprache. Sie sollten Buße tun? Was war das? So etwas war ihnen noch von keinem ihrer weisen Männer gesagt worden. Derselbe eigentümliche Fremdling hatte allerdings schon auf dem Marktplatz davon geredet, dass Gott Jesum, Seinen Sohn, in die Welt gesandt und Ihn, nachdem Er für verlorene Sünder gestorben sei, wieder auferweckt habe. Ferner, dass dieser Jesus nicht Gerechte, sondern Sünder zur Buße rufe. Aber diese Predigt hatte die Gewissen der stolzen, selbstzufriedenen Griechen nicht erreicht. "Was will doch dieser Schwätzer sagen?" hatten einige verächtlich gefragt. Andere, weniger hochfahrend, hatten gemeint: "Er scheint ein Verkündiger fremder Götter zu sein". Und dann hatte man ihn zum Areopag geführt, um von dieser "neuen Lehre" etwas mehr zu hören. Es war kaum mehr als Neugier, was diese Athener und die Fremden, die sich bei ihnen aufhielten, bewegte. Brachten sie doch ihre Zeit mit nichts anderem zu, als etwas Neues zu sagen und zu hören.

Ist es heute anders? Sind auch Umstände und Zeitverhältnisse anders geworden, der Mensch hat sich nicht verändert. Man kann heute aus dem Munde sorgloser, sich selbst genügender Leute genau dasselbe hören wie damals. Auch heute meint der Mensch, über sich, seine Kraft und Zeit, über Wohnung und Aufenthalt nach Belieben verfügen zu können; und doch steht und waltet Gott über diesem allem, und zu Seiner Zeit und in Seiner Weise wird Er Seine Macht kundtun.

Doch es gibt noch andere sonderbare Dinge in der Predigt des Apostels. Wie später dem Landpfleger Felix gegenüber, redet er neben der Buße noch von einem "kommenden Gericht", ja, mehr noch, er spricht von einem "Manne", den Gott zum Richter aller bestimmt habe. Das war in der Tat das Seltsamste von allem Seltsamen, das die Bewohner Athens und ihre Gäste je zu hören bekommen hatten.

Ein Tag sollte kommen, an welchem Gott den ganzen Erdkreis richten würde? und ein von Gott dazu bestimmter Mensch sollte dieses Gericht "in Gerechtigkeit" vollziehen? Unglaublich! Sollte es wirklich möglich sein, dass der Prophet, von dem auch nach Athen einzelne Gerüchte gedrungen waren, jener Jesus von Nazareth, den Sein eigenes Volk in Jerusalem wie einen Verbrecher ans Kreuz geschlagen hatte, der Mann war, von dem dieser Fremdling sprach? Ja, Er war es, denn Gott hatte "allen den Beweis davon gegeben, indem Er Ihn aus den Toten auferweckt hatte". Und von dieser wunderbaren Auferstehung hatte Paulus schon auf dem Markte geredet.

Ja, mein lieber Leser, Er ist dieser Eine, dieser von Gott gesetzte "Mann". (Vergl. Sach. 6, 12.) Er, der Sanftmütige und von Herzen Demütige, der Verachtete, Verworfene und Gekreuzigte, und doch trotz allem Immanuel, Gott mit uns, Jehova inmitten Seines Volkes Israel, von Gott "gesalbt, Armen gute Botschaft zu verkündigen, Gefangenen Befreiung auszurufen und Blinden das Gesicht, Zerschlagene in Freiheit hinzusenden, auszurufen das angenehme Jahr des Herrn".(Luk. 4, 18. 19.)

Zum Schluss noch ein Wort über die Wirkung dieser Predigt. „Als sie aber von Toten-Auferstehung hörten, spotteten die einen, die anderen aber sprachen: Wir wollen dich darüber auch nochmals hören." Das ist aber wohl nie geschehen, denn „Paulus ging aus ihrer Mitte Hinweg", und "nach diesem schied er von Athen und kam nach Korinth". „Etliche aber schlossen sich ihm an und glaubten." Von diesen letzteren werden uns zwei Namen genannt: Dionysius, der Areopagit, und ein Weib, mit Namen Damaris, der erste eine angesehene Persönlichkeit, die zweite wohl eine Frau aus dem Volke. Beide haben wohl nicht daran gedacht, als sie die lebengebenden Worte des Apostels in sich aufnahmen, dass ihre Namen nicht nur in dem Buche des Lebens des Lammes für alle Ewigkeit aufgezeichnet, sondern dass sie gelesen werden würden von zahllosen Millionen von Männern und Weibern auf den Blättern des inspirierten Wortes Gottes. „Ein Weib, mit Namen Damaris" wie einfach und doch wie eindrucksvoll, gerade weil jede andere Bemerkung oder Erklärung fehlt!

Mein Leser! Ein neues Jahr hat wieder begonnen. Bist du in dasselbe eingetreten als ein Mensch, der sein Herz der Botschaft Gottes geöffnet und geglaubt hat Seinem Zeugnis über Seinen Sohn? Die herrliche Schöpfung um dich her bezeugt in mancherlei Weise „die ewige Kraft und Göttlichkeit" ihres Schöpfers, aber in der Gabe des Herrn Jesus hat Gott uns verstehen lassen, wie Er gerecht sein und alle die rechtfertigen kann, die des Glaubens an Jesum sind. Und dieser auferstandene Heiland, der sich selbst als Heiland und Lösegeld gegeben hat, wird zur bestimmten Zeit wiederkehren, um die Lebendigen und die Toten zu richten! Heute ist Er der Heiland, dann wird Er der Richter sein. Wer heute Ihm nicht als Heiland begegnet, wird Ihm dann als Richter begegnen müssen.

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Gerechtfertigt durch Glauben

Bibelstelle: Römer 5,1

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 7ff

„Wie könnte ein Mensch gerecht sein vor Gott?" (Hiob 9, 2.)

Eine ernste Frage, auf welche der Mensch keine befriedigende Antwort zu geben vermag. Denn wo irgend auf Erden Gerechtigkeit herrscht, da kommt die Liebe nicht zu ihrem Recht, und wo die Liebe regiert, wird die Gerechtigkeit zunichte gemacht. Der Mensch kann unmöglich einen Weg finden, auf dem nicht die eine der anderen zum Opfer gebracht würde. So wird denn die um ihr Heil bekümmerte Seele eine Beute nie endender Furcht. Sie bemüht sich vielleicht, ihre Zweifel und Sorgen durch religiöse Übungen zu ersticken oder in weltlichen Vergnügungen zu vergessen; aber alles ist umsonst: das Ich bleibt ungerichtet, das Gewissen ungereinigt und Gott unbekannt. Christus ist nicht ein Heiland, sondern eine bloße Beigabe, ein Hilfsmittel oder ein nie zu erreichendes Vorbild. In einem solchen Zustand (und wo wäre er nicht in der Christenheit bekannt?) wird das Evangelium zu einem Gesetz, ärgerlicher als selbst das Gesetz vom Berge Sinai, und viele Seelen enden in Gleichgültigkeit oder Verzweiflung, während andere sich mit den Fetzen ihrer eigenen Gerechtigkeit behängen, um dann zu spät zu entdecken, dass sie vor Gott nackt sind.

Wo ist denn Hilfe zu finden? Christus und die Versöhnung, die in Ihm ist, kann allein der Schwierigkeit begegnen. Er, der "die Wahrheit" sich nennt, stellt alles: Gott und Menschen, Schuld und Gericht, Frieden und Heiligkeit, an seinen richtigen Platz. Gleichwie im Tode Christi einerseits Gott vollkommen verherrlicht worden ist, so wird anderseits in ihm dem Menschen Vergebung aller seiner Sünden verkündigt. Am Kreuze sind "Güte und Wahrheit sich begegnet, Gerechtigkeit und Friede haben sich geküsst". (Ps. 85, 10.)

Der Mensch, der sich selbst lebt und ohne Gott in der Welt ist, selbst wenn er ein aufmerksamer Beobachter religiöser Formen und Pflichten wäre, wird nun aufgefordert, dem Evangelium zu glauben, d. h. nicht nur zu glauben, dass es Gnade und Wahrheit in Christo gibt, sondern an Ihn und Sein Werk zu glauben, das Zeugnis Gottes über Seinen Sohn anzunehmen. Das bedingt notwendiger Weise eine Sinnesänderung, eine "Buße zu Gott". (Vergl. Mark. 1, 15; Luk. 24, 47; Apstgsch. 2, 38; 17, 30; 20, 21.) Paulus sagt: "Das ist das Wort des Glaubens, welches wir predigen, dass, wenn du mit deinem Munde Jesum als Herrn bekennen und in deinem Herzen glauben wirst, dass Gott Ihn aus den Toten auferweckt hat, du errettet werden wirst. Denn mit dem Herzen wird geglaubt zur Gerechtigkeit, und mit dem Munde wird bekannt zum Heil." (Röm. 10, 10.) Und wenn noch ein weiteres Zeugnis nötig wäre, so stellen seine Worte in Röm. 4, 23 - 25 die Wahrheit in das hellste Licht: "Es ist aber nicht allein seinet (Abrahams) wegen geschrieben, dass es ihm zugerechnet worden, sondern auch unsertwegen, denen es zugerechnet werden soll, die wir an Den glauben, der Jesum, unseren Herrn, aus den Toten auferweckt hat, welcher unserer Übertretungen wegen dahin gegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden ist."

Niemand könnte eine deutlichere, bestimmtere Sprache wünschen. Es ist „die Schrift", die so redet, das Wort Gottes, mag das menschliche Werkzeug, das Gott zur Mitteilung Seiner Gedanken benutzt hat, heißen wie es will. "Was sagt die Schrift?" so lautet darum die einzige Frage für den Glauben. „Es steht geschrieben!" antwortet der Gläubige jedem Einwand des Feindes, jedem Zweifel des eigenen Herzens. Und weil es Gottes Wort ist, ist es auch bindend für jeden Menschen, an den es gelangt; missbraucht es der Mensch, oder weigert er sich, es zu beachten, so wird das nur sein Gericht verschärfen.

Glauben heißt, dieses Wort als Gottes Wort annehmen. Das bezieht sich vor allem auf Gottes Botschaft an jedermann, auf das Evangelium Seiner Gnade. Wir sind berufen, zu glauben, dass Gott Jesum, unseren Herrn, aus den Toten auferweckt hat, Ihn, der (wie ausdrücklich erklärt wird) unserer Übertretungen wegen dahin gegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden ist. Das Werk ist ausschließlich Gottes Werk; was wir dazu beigetragen haben, waren unsere Übertretungen, nichts anderes. Gott gab Seinen Sohn dahin, um für unsere Sünden zu leiden und zu sterben, "den Gerechten für die Ungerechten"; und zum vollgültigen Beweise für alle, die an Ihn glauben, dass das Opfer wirklich angenommen ist, hat Gott Ihn auferweckt. Die Auferstehung und die Verherrlichung Jesu zur Rechten Gottes ist die Antwort Gottes auf Sein Werk, in welchem Er Gott im Blick auf die Sünde vollkommen verherrlicht hat. Es war nur gerecht, dass Gott Ihn auferweckte und droben mit Herrlichkeit und Ehre krönte, und Gott erweist heute Seine Gerechtigkeit darin, dass Er jeden rechtfertigt, der des Glaubens an Jesum ist. (Kap. 3, 26.)

Gefallen und schuldig, wie der Mensch von Natur ist, besitzt er keinerlei Gerechtigkeit vor Gott. Aber Gott rechtfertigt ihn umsonst, durch Seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christo Jesu ist. Da Jesus das Gericht seiner Sünden auf dem Kreuze trug, wird der Glaubende jetzt freigesprochen. Gottes Gerechtigkeit ist geoffenbart worden, „durch Glauben an Jesum Christum gegen alle und auf alle, die da glauben". Diese Gerechtigkeit ist erreichbar für alle, und darum steht es um jeden, der Jesum und das Evangelium Gottes verwirft, nur um so schlimmer. Wer an Ihn glaubt, wird gerechtfertigt, wird zur „Gerechtigkeit Gottes in Ihm". (2. Kor. 5, 21.) Der Weg dahin ist der Glaube. Einen anderen Weg gibt es nicht. Es handelt sich nicht um einen fortschreitenden Prozess in dem Menschen, nein, die Errettung des Gläubigen ist eine vollendete Tatsache, die durch das sicherste aller Zeugnisse, das Wort Gottes, bezeugt wird. Gott will, dass wir wissen, was Christus für uns getan hat, und was Er infolgedessen uns gewähren kann. Wir sollen nicht zweifeln oder unter einem steten Druck einhergehen; wir sollen vielmehr das unschätzbare Vorrecht genießen, uns in Gottes Augen gerechtfertigt zu wissen und in Seiner Gunst zu stehen. Mit einem Wort: wir sollen das kennen, was m Psalm 32 vorhergesagt, in Christo vollendet und im Evangelium uns verkündigt worden ist.

„Auf alle, die da glauben", haben wir gelesen. Der schwache Gläubige kann auf dem Heilande, den Gott zu einem Gnadenstuhl dargestellt hat durch den Glauben an Sein Blut, mit derselben Gewissheit ruhen wie der starke. Denn warum wurde am Versöhnungstage das Blut siebenmal an die Vorderseite des Deckels oder Gnadenstuhls gesprengt (3. Mose 16, 14. 15), wenn nicht, um jeder glaubenden Seele die festeste Zuversicht einzuflößen? Der Vorhang ist jetzt zerrissen. Alles ist jetzt im Lichte des Kreuzes geoffenbart, nicht nur unsere Sünden, sondern auch das Blut auf und vor dem Gnadenstuhl, das beredte Zeugnis des vollendeten Sühnungswerkes. Gott hat jetzt nicht mehr meine Sünden vor Seinem Auge, sondern das Blut, das "von aller Sünde reinigt".

Und das ist noch nicht alles. In dem Blute Christi ist Gottes Gerechtigkeit in doppelter Weise erwiesen worden. Zunächst im Blick auf „das Hingehenlassen der vorher geschehenen Sünden unter der Nachsicht Gottes". Wie hätte Gott die Welt vor Christi Erscheinen in Langmut tragen und mit einem Abel, Henoch, Noah, mit den Patriarchen Abraham, Isaak, Jakob und mit den Scharen anderer, genannter oder nicht genannter Gläubiger des Alten Testaments handeln können, wie Er gehandelt hat, wenn Er nicht auf dieses Blut geschaut hätte? Aber es erweist auch „Seine Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit", in welcher Er das Evangelium von Jesu an die ganze Welt ergehen lässt, damit es fruchtbringend und wachsend sei in allen, die es hören und die Gnade Gottes in Wahrheit erkennen. (Kol. 1, 6.) Denn es handelt sich nicht länger um ein einzelnes Volk, das unter einem Gesetz stand, welches Gerechtigkeit forderte, aber nur von Sünde und Ohnmacht überführen konnte, sondern um „die ganze Schöpfung, die unter dem Himmel ist", und um das Evangelium der Gnade, das Gottes Gerechtigkeit im Tode Christi erweist und Ihn alle die rechtfertigen lässt, die an Jesum glauben.

Darum ruft auch der Apostel in Röm. 8, 33. 34 triumphierend: "Gott ist es, welcher rechtfertigt; wer ist, der verdamme? Christus ist es, der gestorben, ja, noch mehr, der auch auferweckt, der auch zur Rechten Gottes ist". Unsere Sünden verklagten uns gerechterweise vor Gott; aber Christus hat sie "an Seinem Leibe auf dem Holze getragen", und Seine Auferstehung bezeugt, dass sie allzumal auf gerechter Grundlage hinweggetan sind. Ja, Gottes Gerechtigkeit erweist sich noch weitergehend in der himmlischen Herrlichkeit Christi und aller derer, die Sein sind.

O welch ein Teil, da ruhen zu dürfen, wo Gort selbst mit Wonne ruht! Auf demselben Boden stehen zu dürfen, auf welchem Er steht, auf dem Boden Seiner Gerechtigkeit! Möchte das allezeit dein Teil sein, teurer Leser, in einfältigem Glauben, auf Grund Seiner überschwänglichen Gnade!

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Kein Umgang *1)

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 13ff

Die Gegenwart des Herrn und Seines Heiligen Geistes inmitten der Versammlung bedingt naturgemäß die Aufrechthaltung der Reinheit und Heiligkeit, die Absonderung von allem Bösen. Dem Hause des Herrn geziemt Heiligkeit jetzt und auf immerdar. (Vergl. Ps. 93, 5.) Der Herr kann sich nicht eins machen mit Bösem, Unordentlichem und Schriftwidrigem. Er hat Mitleid mit unseren Schwachheiten (Hebr. 4, 15), d. h. mit unserer menschlichen Unvollkommenheit, mit unserem Schmerz und Kummer. Er weiß, wie uns zumute ist, wenn Hunger und Durst, Hitze und Kälte auf uns einwirken, wenn Freunde uns verlassen, wenn Misserfolge und Enttäuschungen aller Art uns müde und matt machen wollen, denn Er hat alles das auf Seinem Wege durch die Welt persönlich erfahren. Aber nie hat Er Mitleid mit der Sünde, nie Erbarmen mit dem Bösen. Er hasst die Sünde!

Wie aber hat nun eine Versammlung sich zu verhalten, wenn ein Glied oder mehrere sich nicht rein erhalten in Wandel oder Lehre? Der feierliche Ausspruch des Herrn in Matth. 18, 18: „Wahrlich, ich sage euch: Was irgend ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein, und was irgend ihr auf der Erde lösen werdet, wird im Himmel gelöst sein", zeigt uns, dass die Gegenwart des Herrn inmitten der Versammlung dieser eine göttliche Machtbefugnis bzw. eine Pflicht gibt, zu „binden" und zu "lösen", oder zu richten und zu vergeben. Indem die im Namen Jesu Versammelten in Übereinstimmung mit dem in ihrer Mitte sich befindenden Herrn handeln, finden diese Handlungen im Himmel Anerkennung, obwohl sie sich selbstverständlich in ihrer Wirkung nur aus diese Erde erstrecken.

Über die praktische Ausübung des „Bindens" und „Lösens" geben uns die beiden Korintherbriefe klaren Aufschluss. In der Gemeinde zu Korinth befand sich ein Böser, der in der gröbsten Weise gegen die Heiligkeit des Hauses Gottes verstoßen hatte. Aber die Versammlung trug anfänglich nicht einmal Leid hierüber, noch weniger dachte sie daran, den Anstoß aus ihrer Mitte zu entfernen. Das gab dem Apostel Veranlassung, die Korinther ernstlich zurechtzuweisen. Er schreibt ihnen: "Und ihr seid aufgeblasen und habt nicht vielmehr Leid getragen, auf dass der, welcher diese Tat begangen hat, aus eurer Mitte hinweggetan würde". (1. Kor. 5, 1-3.) Das Offenbarwerden des Bösen sollte zunächst stets eine Versammlung zur Beugung und zum Selbstgericht bringen und schmerzliche Gefühle bei den einzelnen wachrufen, in dem Bewusstsein der Mitschuld nicht nur, sondern vor allem bei dem Gedanken daran, wie sehr der Herr betrübt und verunehrt wird, wenn Dinge unter Seinen Geliebten vorkommen, die den Ausschluss eines oder gar mehrerer Glieder aus der Gemeinschaft der Kinder Gottes fordern. Die Versammlung trägt wohl in den meisten Fällen einen Teil der Schuld. Denn wenn sie wachsamer gewesen wäre und so, die Gefahr beizeiten erkennend, dem Betreffenden nachgegangen wäre und ihn in Liebe und Ernst ermahnt hätte, würde der Ausschluss möglicherweise vermieden worden sein. Trotzdem ist sie nicht weniger verpflichtet, wie der Fall in Korinth uns zeigt, sich von dem Bösen zu reinigen. In welcher Weise und unter welchen Bedingungen das zu geschehen hat, ersehen wir aus den Versen 35: "Denn ich, zwar dem Leibe nach abwesend, aber im Geiste gegenwärtig, habe schon als gegenwärtig geurteilt, den, der dieses also verübt hat, im Namen unseres Herrn Jesus Christus, wenn ihr und mein Geist mit der der Kraft unseres Herrn Jesus Christus versammelt seid, einen solchen dem Satan zu überliefern zum Verderben des Fleisches, auf dass der Geist errettet werde am Tage des Herrn Jesus".

Diese Worte rufen uns zunächst die Tatsache ins Gedächtnis zurück, dass die Kraft des Herrn Jesus inmitten der um Ihn gescharten Versammlung es ist, welche deren Handlungen eine solche Tragweite und Bedeutung gibt. In dem vorliegenden Falle trat noch die Kraft des Geistes hinzu, die sich in der apostolischen Macht Pauli entfaltete, der im Verein mit der Versammlung den Bösen dem Satan überlieferte.*2) Der Zweck der Zucht war, den Betreffenden, fern von den Segnungen der Gemeinschaft der Gläubigen und der Gegenwart des Herrn, in dem Bereich der Macht Satans, des Fürsten dieser Welt, und durch dessen Faustschläge über das Furchtbare seiner Sünde zur Einsicht zu bringen. Das Gericht wurde auf dieser Erde an ihm vollzogen, damit er dereinst nicht dem ewigen Gericht verfalle, "sein Geist vielmehr errettet werde am Tage des Herrn Jesus". Wie ernst und schwer die Strafe (2. Kor. 2, 6) auch sein mochte, so kam doch zugleich die wunderbare Gnade des Herrn in ihr zum Ausdruck. „Die Zurechtweisungen der Zucht sind der Weg des Lebens." (Spr. 6, 23.) Im 11. Verse gibt dann der Heilige Geist durch den Apostel weitere Belehrungen über die Behandlung solcher, die Brüder genannt wurden, aber sich als Böse offenbarten: „Nun aber habe ich euch geschrieben, keinen Umgang zu haben, wenn jemand, der Bruder genannt wird, ein Hurer ist, oder ein Habsüchtiger, oder ein Götzendiener, oder ein Schmäher, oder ein Trunkenbold, oder ein Räuber, mit einem solchen selbst nicht zu essen". Den Thessalonichern schreibt er, dass sie sich zurückziehen sollten „von jedem Bruder, der unordentlich wandelt", und dass sie, wenn jemand dem Worte des Apostels durch den Brief nicht gehorchen würde, diesen Bruder „bezeichnen" und "keinen Umgang" mit ihm haben sollten. (2. Thess. 3, 6. 14. 15.)

Johannes schreibt über das Verhalten einem Irrlehrer gegenüber: „Jeder, der weitergeht und nicht bleibt in der Lehre des Christus, hat Gott nicht; wer in der Lehre bleibt, dieser hat sowohl den Vater als auch den Sohn. Wenn jemand zu euch kommt und diese Lehre nicht bringt, so nehmet ihn nicht ins Haus auf und grüßet ihn nicht. Denn wer ihn grüßt, nimmt teil an seinen bösen Werken." (2. Joh. 9-11.) Im Anschluss an diese Stellen, die uns mit aller Deutlichkeit unser Verhalten Ausgeschlossenen gegenüber vorschreiben, sei auf eine ernste Gefahr aufmerksam gemacht, die uns bei der Aufrechthaltung der Zucht droht. So wie bei der Verhängung derselben Wachsamkeit nottut, damit wir nicht in einen lieblosen Richtgeist und in Härte verfallen, zeigt sich umgekehrt bei ihrer Aufrechthaltung bei manchen die Neigung, ihren menschlichen Überlegungen und Gefühlen Raum zu geben, vor allen. dann wenn eine längere Zeit bis zur Wiederherstellung der Ausgeschlossenen vergeht. Manche Gläubige meinen, den unter Zucht Gestellten ihre unveränderte Liebe dadurch beweisen zu sollen, dass sie ihnen freundlich entgegenkommen, sie gelegentlich besuchen und dergleichen. Sie reichen ihnen nach wie vor die Bruderhand, unterhalten sich mit ihnen über göttliche Dinge und geben sich Mühe, ihnen zu beweisen, dass auf ihrer Seite alles beim alten geblieben sei. Aber wandeln sie damit „auf dem Pfade der Gebote Gottes"? Dienen sie den anderen zum Guten, zur Erbauung? Im Gegenteil, sie fehlen in dreierlei Weise: sie betrüben den Heiligen Geist, sie schwächen die Zucht, und sie schaden denen, die unter ihr stehen.

Sie betrüben den Heiligen Geist, denn sie lassen sich nicht durch Ihn, sondern durch ihre eigenen Gedanken und Gefühle bestimmen. Der Heilige Geist, der uns stets durch das Wort Gottes leitet, fordert uns in demselben auf, mit einem, der Bruder genannt worden ist, aber sich als ein „Böser" erwiesen hat und hinausgetan werden musste, „keinen Umgang zu haben, mit einem solchen selbst nicht zu essen". (1. Kor. 5, 11.) Das Gebot ist klar und unzweideutig. Bleiben wir nun mit einem Ausgeschlossenen in Verbindung, indem wir den brüderlichen Verkehr mit ihm aufrecht halten oder wieder anknüpfen, so übertreten wir das Gebot Gottes und betrüben den Heiligen Geist. Zugleich setzen wir uns in Widerspruch mit der Versammlung und verurteilen ihre Handlung.

Zuweilen sucht man ein derartiges Verhalten damit zu entschuldigen, dass man sagt: „Ich gebe dem Betreffenden nicht die Hand als Bruder, sondern wie jedem anderen Bekannten oder Geschäftsfreund usw. Ferner steht auch nicht geschrieben, dass man ihm die Hand nicht geben solle; es heißt nur, man solle nicht mit ihm essen."

Aber sind das nicht Ausreden? Liegt da nicht im Grunde eine Unaufrichtigkeit des Herzens vor? Der Ausgeschlossene ist, solang er nicht umkehrt und sich demütigt, nach Gottes und der Versammlung Urteil ein Böser. Wenn nun der Heilige Geist durch den Apostel sagt: „Tut den Bösen von euch selbst hinaus!" und nachher ermahnt, keinen Umgang mit einem solchen zu haben, so wird jeder gewissenhafte Christ verstehen, dass die letzte Mahnung eben alle Gemeinschaft, jeden Ausdruck derselben, auch das Handgeben, in sich schließt, wenn dieses auch nicht gerade besonders erwähnt wird. Man könnte sonst mit demselben Recht einem Ausgeschlossenen den Bruderkuss geben, da ja auch nicht ausdrücklich gesagt ist, dass man das nicht tun solle. Wie wichtig und bezeichnend das Handgeben unter Gläubigen ist, zeigt uns sehr deutlich Gal. 2, 79, wo wir lesen: "Als sie die Gnade erkannten, die mir (Paulus) gegeben ist, gaben Jakobus und Kephas und Johannes, die als Säulen angesehen wurden, mir und Barnabas die Rechte (d. h. die rechte Hand) der Gemeinschaft usw.". Die drei genannten Männer reichten also den beiden Aposteln der Heiden nicht eher die Hand der „Gemeinschaft", als bis sie erkannt hatten, dass Gott wirklich mit ihnen war und in ihnen wirkte.

Durch ein unentschiedenes Verhalten einem Ausgeschlossenen gegenüber wird indes nicht nur der Heilige Geist betrübt, sondern zweitens auch die Zucht geschwächt. Der Ausgeschlossene fühlt deren Schärfe bei weitem nicht mehr in dem Grade, wie er sie fühlen sollte. Er findet eine gewisse Anerkennung und Erleichterung darin, dass man ihn nach wie vor mit Handschlag begrüßt und mit ihm verkehrt. Er weiß sehr wohl, dass in diesem Falle das Handgeben keine leere Form, sondern ein Zeichen der Gemeinschaft ist.

Der von dem Ausschluss Betroffene ist aber von jeder Art Gemeinschaft und Umgang mit den Gläubigen, ja, von jeder wahren Gemeinschaft mit dem Herrn selbst ausgeschlossen. Der Herr handelt in dieser Sache in Übereinstimmung mit Seiner Versammlung oder Gemeinde. Die Zucht, welche dieselbe, geleitet durch den Heiligen Geist, auf der Erde ausübt, wird, wie wir weiter oben ausführten, im Himmel anerkannt. Der Ausschluss geschieht „im Namen unseres Herrn Jesus Christus". (1. Kor. 5, 4.) Der Ausgeschlossene kann daher nicht sagen, dass er mit dem Herrn in Gemeinschaft sei, solang seine Gemeinschaft mit der Versammlung nicht wiederhergestellt ist. Und diese kann erst dann ihm vergeben und ihn wieder zulassen, wenn er sich wirklich gedemütigt hat; diese Vergebung ist dann für den Betreffenden die Bestätigung, dass auch Gott ihm in der vorliegenden Sache vergeben habe.*3)

Bemerkenswert ist, dass der Apostel Paulus den von der Versammlung in Korinth Ausgeschlossenen, trotzdem er von dessen „Betrübnis Gott gemäß" überzeugt war und ihn der Versammlung zur Wiederzulassung angelegentlich empfehlen konnte, nicht „Bruder" nennt, sondern immer nur von ihm als „einem solchen" spricht. (2. Kor. 2.) Solang die Versammlung die Zucht nicht aufgehoben hatte, band sich selbst der große Apostel an den bestehenden Zustand und hätte, wenn er nach Korinth gekommen wäre, sicherlich nicht eher irgendwelchen „Umgang" mit dem Betreffenden gemacht, bis die Versammlung ihm den Weg dazu geöffnet hätte.

Aber, sagt man, mit dem (oder der) Ausgeschlossenen bin ich seit Jahren in besonderer Freundschaft verbunden gewesen, wir haben uns sehr nahe gestanden, und unsere Familien haben stets miteinander verkehrt; wie kann ich nun mit einem Mal einen solch ernsten Bruch machen?

Wie verkehrt ist doch das menschliche Herz! Anstatt sich in einem solchen Falle zu sagen: Meine Verantwortlichkeit ist nur um so ernster und größer, sowohl im Blick auf die Entwicklung als auch auf die Heilung des bösen Zustands, und gerade eine heilige Entschiedenheit von meiner Seite wird den tiefsten Eindruck auf den Betreffenden machen, gibt man menschlichen Gefühlen und Überlegungen Raum. Man möchte doch nicht den Eindruck der Härte und Lieblosigkeit machen und den Schein erwecken, als ob man die Vergangenheit ganz vergessen habe!

Ja, man vergisst, aber nicht die Vergangenheit, sondern die Gegenwart. Man vergisst, dass man durch ein solches Verhalten drittens dem Ausgeschlossenen ernstlich schadet. Man vergisst, dass man dadurch zu erkennen gibt, dass man sich weiser dünkt als Gott und mehr Liebe zu haben meint als Er. Denn nach der Weisheit und Liebe Gottes ist der Ausschluss das letzte und noch einzig wirksame Mittel zur Wiederherstellung des Gefallenen. Der Ausschluss hat ja zur Voraussetzung, dass alles geschehen ist, was für den Ausgeschlossenen geschehen konnte, dass aber alle Warnungen, Bitten und Ermahnungen vergeblich waren; er erfolgt nur zu dem Zweck und in der Hoffnung, dass die Schärfe der Zucht Einsicht und Demütigung hervorrufen werde. Hieraus folgt, dass die treue und gewissenhafte Ausführung derselben der größte Liebesbeweis ist, den wir einem Ausgeschlossenen geben können. Das was Härte zu sein scheint, ist in Wahrheit göttliche Liebe, während die vermeintliche Liebe, die die Zucht schwächt, menschlich und ungöttlich ist. Sie hält die Wiederherstellung des Gefallenen nur auf, anstatt sie zu fördern.

Jeder aufrichtige Gläubige wird zugeben, dass wir in der Behandlung eines Ausgeschlossenen in Übereinstimmung mit Gott und der Wirksamkeit des Heiligen Geistes sein sollten. Gesetzt nun den Fall, ein Vater hielte es für angemessen, eines seiner Kinder wegen seines schlechten Betragens von den übrigen abzuschließen, die Mutter aber führte es gegen den Willen des Vaters wieder zu ihnen zurück - würde sie dadurch nicht die Zucht völlig wirkungslos machen? Ja, nicht nur das! Sie würde sogar das Kind in seinem schlechten Zustand bestärken und vielleicht zu seiner völligen Verhärtung Anlass geben.

Wir finden im Worte Gottes nirgendwo die Anleitung, einem Ausgeschlossenen nachzugehen, um ihn zu ermahnen. Aber sollen wir uns denn gar nicht mehr um ihn bekümmern? Sollen wir gefühllos an ihm vorübergehen, als wenn er gar nicht mehr für uns da wäre? Das wäre in der Tat traurig! Nein, die Glieder einer in Liebe verbundenen Familie bleiben nicht gefühllos, wenn an einem aus ihrer Mitte die oben beschriebene ernste Zucht ausgeübt werden muss. Sie alle trauern und tragen Leid und gedenken des Verirrten, wenn möglich, in noch innigerer Liebe als früher.

Ähnlich wird es in einer Versammlung sein, vorausgesetzt, dass ihr Zustand gut ist und sie in der rechten Gesinnung gehandelt hat. Sie wird Leid tragen, sich demütigen und viel für den der Zucht Anheimgefallenen beten, dass Gott sich seiner erbarmen und ihn von seinem bösen Wege zurückführen möge. Im Übrigen aber kann sie nichts für ihn tun; sie muss ihn Gott überlassen. Erst dann wenn der Heilige Geist m ihm zu wirken beginnt und sich Anzeichen der Demütigung und des Selbstgerichts wahrnehmen lassen, ist für die Versammlung der Augenblick gekommen, sich wieder mit ihm zu beschäftigen. Und wir dürfen versichert sein (die Erfahrung hat es oft bewiesen), dass der treue und erbarmungsreiche Herr uns in irgend einer Weise auf solche Anzeichen aufmerksam machen wird, ohne dass wir nötig haben, ihnen nachzuspüren; und die Liebe wird sich gern und freudig aufmerksam machen lassen.

Ich wiederhole also: Solang der Herr nicht wirkt, befindet sich ein Ausgeschlossener nicht nur außerhalb der Versammlung, wie bei Israel der Aussätzige außerhalb des Lagers wohnen musste, sondern er steht auch außerhalb aller brüderlichen Gemeinschaft und Pflege. Und eins ist gewiss: je tiefer die Bedeutung dieser ernsten Sache von uns gefühlt wird, desto inbrünstiger werden unsere Gebete für den Abgeirrten zu Gott emporsteigen. Und das wird sicher von größerem Nutzen für ihn sein, als alle andere noch so gut gemeinte Tätigkeit von unserer Seite.

Wir haben gesehen, dass die Versammlung in der Ausübung der Zucht stets zwei Dinge im Auge zu behalten hat: zunächst die Wahrung und Aufrechthaltung der Heiligkeit Gottes in ihrer Mitte, und zweitens die Wiederherstellung des Schuldigen. Der erste Zweck wird dadurch erreicht, dass sie den "Bösen" aus ihrer Mitte entfernt. Wenn nun Gläubige trotzdem mit einem Ausgeschlossenen Umgang pflegen, so setzen sie sich dadurch auch in Widerspruch mit der Heiligkeit Gottes. Wie ernst ist das! In manchen Fällen mag die Ursache eines solchen Verhaltens in dem eigenen Mangel an Entschiedenheit gegenüber der Sünde liegen. Man hat für sich selbst nicht in Wirklichkeit mit der Sünde gebrochen. Man könnte sonst nicht den Umgang mit einer Person fortsetzen, die als unrein und böse aus der Versammlung entfernt werden musste. Das beständige Opfer und das beständige Feuer auf dem Altar Gottes waren für Israel das nie verstummende Zeugnis von der Heiligkeit Dessen, der in ihrer Mitte wohnte. (3. Mose 6, 5. 6.) Und der Tod Christi, Seine durchbohrten Hände und Seine durchstochene Seite sind für uns das ewige Zeugnis, dass uns die Gnade der Erlösung wahrlich nicht auf Kosten, sondern auf Grund der Heiligkeit Gottes zuteil geworden ist.

Sollten wir nun Liebe üben auf Kosten der Heiligkeit Gottes? Der Apostel sagt: „Gott hat uns nicht zur Unreinigkeit berufen, sondern in Heiligkeit. Deshalb nun, wer dies verachtet, verachtet nicht einen Menschen, sondern Gott, der euch auch Seinen Heiligen Geist gegeben hat." (1. Thess. 4, 7. 8.) Denken wir nicht, dass die Gegenwart des Heiligen Geistes in unserer Mitte weniger Anspruch auf die praktische Heiligkeit und Reinheit der Versammlung mache, als einst die Gegenwart Jehovas in der Mitte Israels! In welch feierlicher Weise wurde das Volk beständig an diese Gegenwart erinnert! "Du sollst nicht das Land verunreinigen, in welchem ihr wohnet, in dessen Mitte ich wohne; denn ich, Jehova, wohne inmitten der Kinder Israel." (4. Mose 35, 34.) Und wiederum: „Ich bin Jehova, euer Gott; so heiliget euch und seid heilig, denn ich bin heilig". (3. Mose 11, 44.)

Das Ergebnis der Erlösung Israels und der Gegen- wart Gottes inmitten des Volkes sollte also Heiligkeit und Reinheit sein: „seid heilig, denn ich bin heilig". Und wenn wir fragen, was das Ergebnis unserer vollkommenen Erlösung und der Gegenwart des Heiligen Geistes in unserer Mitte sein sollte, so kann die Antwort nicht anders lauten als: ein Wandel in Heiligkeit und Absonderung von allem Bösen.

Fußnote:

*1) Vorkommnisse in unserer Mitte geben Anlass zu dem Abdruck dieses Aufsatzes. Er ist ein Auszug aus einer größeren Abhandlung, die unter der Überschrift „Die Versammlung und die Zucht“ im Jahre 1920 im „Botschafter“ erschienen und nachher auch im Sonderdruck erschienen ist.

*2) Vergl. 1. Timotheus 1, 20. Hier übt der Apostel dieselbe Macht ohne die Versammlung aus.

*3) Diese Erwägung beweist anderseits, wie wichtig und nötig es ist, dass eine Versammlung sich in dem Punkte der Wiederzulassung eines Ausgeschlossenen ebenso sehr vom Heiligen Geist leiten lasse, wie bei dem Ausschluss desselben. Sie kann in dem einen wie in dem anderen Falle zu voreilig und zu lässig sein.

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Ein Licht, das den Glanz der Sonne übertraf

Bibelstelle: Apostelgeschichte 26, 13

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 25ff

Das Licht, das „vom Himmel her" Saulus und seine Reisegefährten auf dem Wege nach Damaskus umstrahlte, machte ihn blind. Drei Tage lang konnte er nicht sehen. Dann erhielt er sein leibliches Augenlicht wieder, aber die durch das himmlische Licht geöffneten Augen seines Herzens blieben fortan für alles, was nicht Christus war, unempfänglich. Die Dinge, die ihm bis dahin Gewinn gewesen waren, hatten auf immer ihren Glanz für ihn verloren; er achtete sie für Dreck! Christus und Seine Herrlichkeit erfüllten völlig sein Herz.

Es erging ihm darin ähnlich wie uns, wenn wir aus dem hellen Sonnenlicht in ein dunkles oder nur matt erhelltes Zimmer treten. Dasselbe mag mit Gegenständen aller Art gefüllt sein, aber diese können unseren Blick nicht fesseln, weil die Sonne noch vor unseren Augen ist. Es bedarf erst wieder der Gewöhnung unseres Auges an die Dunkelheit; bis dahin sind die Dinge für unser Auge einfach nicht da.

So ist es mit dem himmlischen Licht und den Dingen der Menschen und der Welt. Wer in der Gemeinschaft mit dem Herrn und in dem Sonnenschein Seiner Liebe wandelt, dessen Auge kann von weltlichem Glanz und Schimmer nicht mehr angezogen werden. Die eitlen Dinge dieser Welt sind für ein solches Auge in Wirklichkeit nicht Licht, sondern Finsternis. Wer einmal das Licht der Herrlichkeit im Angesicht Jesu Christi geschaut hat, den verlangt nicht mehr zurück nach dem Dunkel der Welt. Von dem Tage an, da unserem Apostel dieses Licht geleuchtet hatte, achtete er alles, worin nicht Christus gesehen wurde, für Verlust. Wie hätte es auch anders sein können? Es zog ihn ja von dem Reichtum in Christo ab und lenkte ihn hin zu den armseligen Dingen dieses Zeitlaufs.

Als die ersten Strahlen dieses Lichtes in sein Herz sielen, da wurde aus dem stolzen, selbstgerechten Pharisäer, mit einem tadellosen Leben hinter sich, mit einem Schlage ein armer Sünder, der zu Boden stürzte und angstvoll den Namen des Herrn Jesus anrief. Das Licht „vom Himmel her" macht den Menschen klein und demütig. Es verstopft ihm den Mund. (Röm. 3, 19.)

Nie wieder möchte er von sich selbst reden, von seiner Güte oder von seiner Gerechtigkeit. Aber zugleich öffnet es seine Lippen, damit sie immer neu die Gnade und Liebe des Einen rühmen, dessen Herrlichkeit alle Sonnen der Welt überstrahlt.

Alles Licht in der Welt geht von der Sonne aus, und so geht alles Licht für uns von Christo aus. Das Licht vom Himmel her zeigt uns, welche Gedanken der Liebe und des Friedens in dem Herzen Gottes sind, und es gewinnt unser Herz für Ihn. Anderseits lässt es uns freilich auch erkennen, welch eine Abneigung und Feindschaft in dem Herzen der Menschen gegen Gott ist. Dieses Licht bewirkte, dass Paulus sagen konnte: "Das Leben ist für mich Christus", dass Maria ihre kostbare Narde über das Haupt des Herrn ausgoss, und dass für Maria Magdalene die Welt ohne Ihn ein öder Ort war. Oder ein Beispiel aus alter Zeit: Als Mephiboseth die Liebe Davids erfahren hatte, gehörte sein ganzes Herz dem König, und von Stund' an hatte er kein Interesse mehr für sein eigenes Wohl. (2. Sam. 19, 2430.) Demgegenüber aber ist es auch wahr: Als dem Blindgeborenen das Licht der Gnade geleuchtet hatte, und sein Auge zum ersten mal Menschen erblickte, da sah er, dass sie alle in Ablehnung und Feindschaft gegen Den standen, dessen Herrlichkeit er erfahren, und dessen Güte sein ganzes Herz gewonnen hatte.

Ist dieses Licht heute untergegangen? Leuchtet es nicht mehr vom Himmel her? Gepriesen sei der Herr! es leuchtet heute noch. Das Licht irdischer Sonnen geht unter, aber das Licht, "das den Glanz der Sonne übertrifft", geht nie unter. Das Licht Seiner Herrlichkeit und Seiner Gnade leuchtet ununterbrochen, und wer einmal in den Strahlenkreis der Gegenwart und Herrlichkeit Christi eingetreten ist, kann sich an Geringerem nicht mehr erlaben. Füllt Er unser Herz aus, so ist für den Menschen im Fleische und für die Dinge der Welt kein Raum mehr darin. Die Seele wünscht nur noch das eine, mehr und mehr die Herrlichkeit des Herrn anzuschauen und in Seiner Erkenntnis zu wachsen. Auf diesem Wege werden wir dann auch in Sein Bild verwandelt, und diese Verwandlung wird gesehen im Geschäft und in der Familie, in der Werkstatt und im Hause.

Auf dem unendlichen, wogenden Meere, wo keine Pfade sind, ist das Auge des Schiffers auf die Sonne gerichtet, und so findet er seinen Weg. Wenn wir dem Lichte den Rücken kehren und unser Auge auf andere Dinge richten, verlieren wir den geraden Weg. Ja, entferne dich nur einen Augenblick aus dem Lichte Seines Angesichts, gewöhne dein Auge nur ein wenig an das Dunkel der Welt, indem du dich wieder mit der Ehre und Redeweisheit des Menschen beschäftigst, und du wirst sehen, wie rasch der Mensch, den Gott doch als gänzlich unbrauchbar und verdorben am Kreuze richten musste, dir wieder angenehm und wichtig erscheint, und wie bald die Welt aufhört, dir ein öder und leerer Ort zu sein. Tritt heraus aus dem Lichte, welches Christus ist, sinne nicht mehr auf das, was droben ist, und du wirst dich in kurzem wieder heimisch hienieden fühlen und dich, wie Petrus, mit denen wärmen können, die deinen Herrn verachten.

O möchte Gott uns allen Augen und Herzen geben, die nichts anderes mehr zusehen begehren, als Jesum allein!

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Sei stark in der Gnade

Bibelstelle: 2. Timotheus 2,1

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 29ff

Es ist schon oft gesagt worden, dass der zweite Brief an Timotheus gleichsam ein Vermächtnis sei, die letzten Worte eines liebenden Vaters an sein in einer bösen Welt zurückbleibendes Kind. Der bejahrte Apostel, in dem Bewusstsein seines nahen Todes und unter den schmerzlichen Eindrücken des überhandnehmenden Verfalls stehend, wendet sich noch einmal an seinen jüngeren Mitarbeiter, dessen Treue und Liebe er erprobt hatte, und dessen Sorge um das Wohl der Herde Christi er kannte. Mit rührenden, zuweilen tief ergreifenden Worten erinnert er ihn an die Berufung, die er inmitten des wachsenden Verderbens hatte, und ermuntert ihn zum Ausharren und Feststehen auf dem Pfade der Wahrheit, trotz aller Widerstände und feindlichen Strömungen.

Mochten auch „alle, die in Asien sind, sich von dem Apostel abgewandt haben" (Kap. 1, 15), mochten bereits „Gefäße zur Unehre" in dem Hause Gottes Aufnahme finden (Kap. 2, 20), und Menschen auftreten, die, „in der Gesinnung verderbt, der Wahrheit widerstanden" (Kap. 3, 8), mochte schließlich „die gesunde Lehre" nicht mehr ertragen werden, sondern eine völlige "Abkehr von der Wahrheit" stattfinden (Kap. 4, 3. 4) Timotheus hatte keine Ursache, zu verzagen; die ewigen Quellen der Gnade und Kraft in Christo blieben davon unberührt, und der Zugang zu diesen Quellen stand allezeit für ihn offen.

Welch eine Ermunterung auch für uns, ja, besonders für uns, die wir in den letzten Tagen des Christentums leben, auf welche die kommende Nacht, in der "niemand wirken kann", bereits ihre Schatten wirft! Gott sei Dank, dass in Christo Jesu, unserem Herrn, keine Veränderung, noch ein Schatten von Wechsel ist! In Ihm ist alles für ewig gesichert, und es ist bemerkenswert, wie in diesem letzten Briefe, den unser Apostel überhaupt geschrieben hat, alles Leben, Glaube, Liebe, Gnade, Seligkeit als "in Christo Jesu" und darum für ewig gesichert betrachtet wird. (Vergl. Kap. 1, 1. 9. 13; 2, 1. 10; 3, 15.)

Zugleich tut es dem Herzen wohl, bei der Betrachtung der uns in Christo geschenkten Gnade von der Ewigkeit bis wieder hin zur Ewigkeit geführt zu werden. Im 1. Kapitel sagt der Apostel, dass Gott uns errettet und berufen habe "nach Seinem eigenen Vorsatz und nach der Gnade, die uns in Christo Jesu vor den Zeiten der Zeitalter gegeben worden ist". (V. 9.) Dort also, vor aller Zeit, lag in Christo Jesu die Quelle unseres Heils. Und nachdem wir nun errettet sind und als Errettete durch die Zeit der Ewigkeit zuwandern, werden wir ermahnt, "stark zu sein in der Gnade, die in Christo Jesu ist" (Kap. 2, 1), d. h. die stets dort bereit liegt zu unserer Benutzung auf dem Wege. Im 3. Kapitel tritt als zweites Hilfsmittel für unsere Pilger- fahrt das Wort Gottes hinzu: "Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nütze zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, auf dass der Mensch Gottes vollkommen sei, zu jedem guten Werke völlig geschickt". (V. 16. 17.) Und endlich, im 4. Kapitel, wird unser Blick auf "jenen Tag“ gelenkt, an welchem der gerechte Richter jede Treue belohnen und dem siegreichen Kämpfer die Krone der Gerechtigkeit darreichen wird.

So ruht denn die Brücke, welche Gottes Liebe gleichsam von Ewigkeit zu Ewigkeit geschlagen hat, auf vier unerschütterlichen Grundpfeilern : 1) auf dem Vorsatz der Gnade, die uns vor aller Zeit in Christo gegeben wurde; 2) auf der Gnade, die uns in der Zeit zu Gebote steht; 3) auf dem Worte Gottes, das uns weise macht zur Seligkeit und uns zu jedem guten Werke geschickt macht; und 4) auf der Herrlichkeit, die in Christo Jesu für alle bereit liegt, die Seine Erscheinung lieb haben.

Welch ein starker Trost und welch eine Ermunterung ist das für jedes gläubige Herz in den "letzten schweren Zeiten" (Kap. 3, 1), in denen wir leben! Welche Hilfsquellen liegen hier für den Treuen!

Wenden wir uns nach dieser, für das Verständnis des Charakters des Briefes notwendigen Einleitung zu dem eigentlichen Gegenstand unserer Betrachtung.

„Du nun, mein Kind, sei stark in der Gnade, die in Christo Jesu ist!"

„Du nun", so beginnt die bewegliche Ermahnung des Apostels, wohl im Gegensatz zu denen in der Provinz Asien, die sich von ihm abgewandt hatten, weil sie nicht von der Gnade in Christo den entsprechenden Gebrauch machten. "Du nun, mein Kind", wie rührend ist die Sprache! Timotheus war ja in geistlichem Sinne das Kind des Apostels, sein echtes, geliebtes Kind im Glauben (1. Tim. 1, 2; 2. Tim. 1, 2); aber er war zur Zeit der Abfassung des Briefes gerade kein Jüngling mehr, seit seiner Bekehrung waren wohl an fünfzehn Jahre verflossen. Dennoch: "mein Kind", mein liebes Kind! Wie oft mag Timotheus in späteren Tagen über dieses Wort gesonnen haben, als der, der es geschrieben, längst nicht mehr unter den Lebenden weilte! Wie sollte es auch in unsere Herzen dringen!

„Sei stark!" Ein Kind ist schwach, seinem Alter und Wachstum entsprechend. Seine Kraft kann nur außer ihm liegen. Darum: „Sei stark nicht in dem, was du gelernt und empfangen, was Gott in dir gewirkt hat, sondern in der Gnade, die in Christo Jesu ist". Ja, da liegt die Quelle aller wahren Kraft für den Gläubigen, schwach wie er ist, in Christo Jesu und in der in Ihm geoffenbarten Gnade. Mögen alle Hilfsmittel versagen, alle Stützen brechen, treue Führer von dem Schauplatz abtreten und uns allein lassen mit dem Gefühl unserer ganzen Ohnmacht Er bleibt, an den wir geglaubt haben, und Seine Gnade wird nicht im geringsten beschränkt oder beeinträchtigt durch die Umstände oder durch die Schwachheit und Untreue des Menschen. Im Gegenteil, je größer die Not und je tiefer die Bedürfnisse, um so reicher kann die Gnade sich entfalten, desto voller ihr Strom fließen.

Die einzige Frage ist, ob und inwieweit wir im Glauben von der Gnade Gebrauch machen. Glaube und Entschiedenheit sind dazu nötig. Wer nicht kommt, um zu nehmen, wird nichts empfangen. Wer draußen stehen bleibt oder vor der Tür Halt macht, geht leer aus. Wer aber eintritt, wird alles finden, was er bedarf. Die Fülle Christi genügt für jedes Bedürfnis. Mögen die Zustände noch so schwierig, die Gefahren noch so groß werden, Er hat Welt und Satan überwunden, und so wie Ihm alle Gewalt und Macht übertragen ist, so hört Er auch jeden Ruf, jeden Seufzer und liebt uns mit ewiger Liebe. Timotheus bedurfte zu seiner Zeit diese Gnade, und uns, die wir sie heute bedürfen, ist sie genau so geoffenbart und zugewandt wie ihm. O wenn wir nur treuer Gebrauch von ihr machen und mit mehr Vertrauen zu Ihm aufschauen möchten, in welchem sie für uns ist!

Doch daneben gibt es noch ein Zweites, das uns not tut. Stärkung und Ermunterung sind notwendig, aber wir bedürfen zugleich der Unterweisung und Leitung auf dem Wege. Auch dafür hat Gott gesorgt, indem Er uns Sein Wort, die Wahrheit, wie sie in Christo Jesu ist, geschenkt hat. Gnade und Wahrheit sind in Ihm geworden.

Timotheus hatte unmittelbar von dem großen Apostel selbst gelernt, und zwar nicht nur die Teile der Wahrheit, die dem verlorenen Sünder zu wissen not tun, sondern auch die, welche dem Gläubigen zur Förderung und Bewahrung auf dem Wege dienen. Ein "schönes Gut", das "Bild gesunder Worte", war ihm anvertraut worden, und das, was er in Gegenwart vieler Zeugen von dem Apostel gehört hatte, sollte er nun treuen Menschen anvertrauen, die tüchtig sein würden, auch andere zu lehren. (V. 2.)

Wie wichtig ist auch dies in unseren Tagen der Verwirrung und der vielen eigenen Meinungen! Selbstverständlich hat heute niemand einen Auftrag wie Timotheus; aber die Worte des Apostels sollten uns zu denken geben. Wir besitzen das "vollendete" Wort Gottes, geschrieben, gedruckt, zusammengefasst in handlichem Bande eine wunderbare und doch vielfach, selbst von Gläubigen (sollte man es für möglich halten?) geringgeschätzte Gabe! Dieses Wort belehrt uns über alle Fragen, praktische und theoretische, die auf dem Wege durch diese Welt uns entgegentreten können, über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, über die Ratschlüsse Gottes und über Christum, den Mittelpunkt derselben, und es belehrt uns mit Autorität, heute wie damals. Mit welch einem Eifer sollten wir es deshalb zu erforschen suchen, um zu wissen, wie wir uns in der Familie und im Beruf, in der Welt und in der Versammlung Gottes zu verhalten haben, und um den Irrlehren, wie das Ende der Tage sie mit sich bringt, wirksam entgegentreten zu können! Da tun wahrlich treue Menschen not, die tüchtig sind, anderen, Schwächeren, in dem schweren Kampfe beizustehen.

Darum, ihr jüngeren Brüder (und ihr Schwestern gleicherweise) Lasst euch bitten, die Zeit der Jugend und des Mannesalters auch in dieser Beziehung auszukaufen, um euch eine gute Grundlage für das reifere Alter zu schaffen, ehe die Tage kommen, in denen man gern noch ein wenig aufspeichern möchte, aber die schmerzliche Entdeckung machen muss, dass es nicht mehr geht! Oder ehe Krankheiten und andere Umstände es euch unmöglich machen, das Wort eingehend zu studieren. Ja, macht einerseits fleißig Gebrauch von der Gnade, die in Christo Jesu ist, seid stark in ihr, und Lasst anderseits das Wort des Christus reichlich in euch wohnen! Vergesst nicht, dass in unserer Stelle es sich nicht handelt um göttliche Offenbarungen, um unmittelbare Eingebungen seitens des Heiligen Geistes, sondern um das Festhalten und Weitergeben der durch ein inspiriertes Werkzeug mitgeteilten Wahrheiten - also gerade um das, was uns heute nottut und zu tun obliegt. Aber, nicht wahr? man kann nur das festhalten und weitergeben, was man vorher empfangen und erworben hat. Man kann nur das „lehren", was man selbst wirklich gelernt hat. Und zum Lernen und Erwerben gehören Fleiß und Beharrlichkeit. Im Anschluss an die beiden bisher betrachteten Ermahnungen benutzt der Apostel verschiedenartige Lebensverhältnisse oder Stellungen, um seinem geliebten Kinde weitere Weisungen für seinen Weg und Dienst zu geben. Er redet von einem Kriegsmann, einem Wettkämpfer und einem Ackerbauer. In allen diesen Beziehungen, ist es auch nicht gerade in derselben Weise wie Timotheus, stehen auch wir. Betrachten wir sie denn kurz zum Segen für unsere Seelen und zur Belebung unserer Treue und unseres Fleißes!

Militärische Bilder sind in den Schriften unseres Apostels nichts Ungewöhnliches. (Vergl. 1. Kor. 14, 8; 15, 23. 52; 2. Kor. 10, 3-5; Eph. 6, 11-17.) Hier sagt er: "Nimm teil an den Trübsalen als ein guter Kriegsmann Jesu Christi. Niemand, der Kriegsdienste tut, verwickelt sich in die Beschäftigungen des Lebens, auf dass er dem gefalle, der ihn angeworben hat." Die Ermahnung ist so einfach und verständlich wie möglich.

Jeder Mensch weiß, dass ein Krieg Mühsale und Entbehrungen mit sich bringt, denen ein treuer, gewissenhafter Soldat unmöglich entgehen kann. Nun gibt es im menschlichen Kriegsdienst Zeiten des Urlaubs und schließlich der ehrenvollen Entlassung. Ein Kriegsmann Jesu Christi kennt aber beides nicht; sein Dienst währt ununterbrochen und hört nicht eher auf, als bis sein Herr ihn heim ruft.

Es gibt auch keine Friedenszeiten für ihn. Er befindet sich stets in Feindesland und steht unausgesetzt auf dem Kriegsfuß. Das ist ohne Frage ermüdend, und nur "in dem Herrn und in der Macht Seiner Stärke" vermag er auszuharren.

Zugleich darf ein guter Kriegsmann Jesu Christi sich nicht in die Beschäftigungen des Lebens verwickeln. Nicht als ob ein Christ, und selbst ein Arbeiter im Werke des Evangeliums oder unter den Gläubigen, nicht nebenher einen irdischen Beruf haben sollte oder könnte - ganz gewiss! Aber er soll sich nicht darein verwickeln, d. h. der Beruf soll nicht sein Tun und Denken so beeinflussen, so einnehmen, dass die Interessen Dessen, der ihn angeworben hat, darunter leiden; er darf auch nicht dahin führen, dass unsere Absonderung von der Welt und ihrem Geiste notleidet. Ein Christ ist zunächst ein Streiter des Herrn, ein Söldner Jesu Christi, und dann erst ein Mensch, der zu seinem und der Seinigen Unterhalt ein Geschäft betreibt. Er sucht zunächst seinem Kriegsherrn zu gefallen, und dann erst seiner Familie. Und dabei steht er, Gott sei Dank, nicht unter einem eisernen Gesetz, einem harten „Muss", sondern er dient freudig in der Freiheit des Geistes, von der Liebe seines Herzens getrieben.

Aber, mag hier vielleicht ein Leser einwenden, geht das nicht zu weit? Ist das nicht ein Bild, das nur in der Phantasie oder in der Traumwelt besteht? Keineswegs!

Die volle Verwirklichung mag leider selten zu finden sein, aber so entspricht das Bild dem Entwurf Gottes, so malt es der Geist Gottes durch die Feder des Apostels. Wir mögen uns weit von der Verwirklichung entfernt haben, aber deshalb dürfen wir die Linien nicht verwischen, die Farben nicht verwässern. Lasst uns vielmehr, ein jeder für sich, unser wirkliches Bild in dem Lichte der Gegenwart Gottes mit dem göttlichen vergleichen, und das Wort, das untrügliche Auge Gottes, schärfe unseren Blick, um alles so zu sehen, wie es tatsächlich ist und wie Er es sieht! Lasst es genug sein des allgemeinen Redens von den niedrigen Zuständen in unserer Mitte, von dem stets zunehmenden Verfall – „wache auf, der du schläfst, und stehe auf aus den Toten, und der Christus wird dir leuchten!" (Eph. 5, 14.) „Habe ich dir nicht geboten: Sei stark und mutig?" (Jos. 1, 9.) Die Mahnung wendet sich an mich und dich persönlich.

Wir kommen jetzt zu der zweiten bildlichen Darstellung; sie ist gleichfalls von großer Wichtigkeit: „Wenn aber auch jemand kämpft (d. h. im Kampfspiel kämpft), so wird er nicht gekrönt, wenn er nicht gesetzmäßig - d. i. nach den Gesetzen oder Regeln des Kampfspiels - kämpft". (V. 5.) Anspielungen auf Wettkämpfe und dergleichen begegnen wir in den Schriften Pauli ebenfalls wiederholt. So lesen wir in 1. Kor. 9, 24 - 27: "Wisset ihr nicht, dass die, welche in der Rennbahn laufen, zwar alle laufen, aber einer den Preis empfängt? Laufet also, auf dass ihr ihn erlanget. Jeder aber, der kämpft, ist enthaltsam in allem usw." Auch in Hebr. 12 werden wir ermahnt, den vor uns liegenden Wettlauf "mit Ausharren" zu laufen. Wahrlich, Gott hat es an eindrucksvollen, verständlichen Bildern nicht fehlen lassen, um unseren Eifer anzuspornen und unseren Mut zu beleben.

Der Christ ist ein Wettkämpfer: er läuft, er ringt, er kämpft mit Waffen wie ein Gladiator, und das nicht um eines verwelklichen Ruhmeskranzes willen, sondern für eine unvergängliche Krone. Im Blick darauf ist er enthaltsam wie ein berufsmäßiger Athlet oder Wettläufer und vermeidet alles, was ihm schädlich sein oder sich als eine Bürde für ihn erweisen könnte.

Machst du es so, mein Bruder? Wieder wende ich mich ganz besonders an die Jüngeren unter uns, „die stark sind und den Bösen überwunden haben", aber auch mehr als die Alten Gefahr laufen, durch die Welt und ihre Lust verführt zu werden. Wachst du über dich selbst und deine Neigungen und Wege? Vermeidest du alles, was deinem inneren Menschen schaden und deine geistlichen Kräfte und Fähigkeiten hindernd beeinflussen könnte? Womit nährst du dich? Was erlaubst du dir?

Bist du wirklich „enthaltsam in allem"? Läufst du „mit Ausharren"?

Und weiter: nicht nur Enthaltsamkeit und Ausharren tun uns not, auch ein gesetzmäßiges Kämpfen, ein strenges Beachten der göttlichen Regeln des Kampfspiels ist erforderlich, wenn wir anders auf eine Anerkennung und Belohnung seitens des Preisrichters rechnen. Mit anderen Worten: Wir müssen den geoffenbarten Willen des Herrn in allem beobachten, dürfen nicht denken: Es kommt nicht so genau darauf an, wie ich laufe oder ringe, wie ich für meinen Herrn tätig bin, wenn nur etwas für Ihn geschieht und Sein Werk getrieben wird.

Wenn ein Wettkämpfer die Regeln des Kampfspiels auch nur in einem anscheinend geringfügigen Punkte verletzte (es ist auch heute noch so), konnte er nicht "gekrönt" werden, selbst wenn er seinen Gegner glänzend besiegt hatte. Die höchste Kraftentfaltung und der größte Eifer in der Verfolgung des Zieles kann ein Abirren von der Wahrheit oder der Gerechtigkeit nicht wettmachen.

Ein Wettkämpfer studiert deshalb sorgfältig die Regeln des Kampfspiels und prägt sie sich so genau wie möglich ein. Machen wir es auch so, damit wir nicht vergeblich laufen und kämpfen und am Ende, trotz guten Willens und regen Eifers, der Anerkennung seitens unseres Herrn verlustig gehen! Welch eine Enttäuschung wäre das, welch eine Beschämung vor Ihm, dem wir doch zu dienen begehren! Und die Ermahnung wiegt um so schwerer, je mehr der Herr uns an Gaben anvertraut und uns in Seinen Dienst berufen hat.

Und nun das letzte Bild: „Der Ackerbauer muss, um die Früchte zu genießen, zuerst arbeiten", oder, wie es auch übersetzt werden kann: „Der arbeitende Ackerbauer soll zuerst die Früchte genießen". Beide Gedanken sind ernst und schön und ermuntern uns, fleißig zu sein. Der erste ähnelt der Ermahnung in Jak. 5, 7: "Habt nun Geduld, Brüder, bis zur Ankunft des Herrn. Siehe, der Ackersmann wartet auf die köstliche Frucht der Erde und hat Geduld ihretwegen, bis sie den Früh- und Spätregen empfange". Geduldiges Arbeiten, fleißiges Pflügen und Säen auf Hoffnung kennzeichnen den verständigen und gewissenhaften Landwirt und sollten uns kennzeichnen; auch hier wieder zunächst und vor allem den Arbeiter im Weinberge des Herrn. Aber sind wir nicht alle zur Arbeit, zum Pflügen und Säen berufen? Welch reiche Arbeitsfelder gibt es auch für die Jüngeren unter uns in den Sonntagschulen und unter der heranwachsenden Jugend! Wie viele Gelegenheiten, wenn wir sie nur suchen und erbitten, ein Wort von Jesu zu reden oder ein Blatt, eine Schrift abzugeben, die von Ihm zeugt! Und gewiss, Gott ist nicht ungerecht, unseres Werkes zu vergessen und der Liebe, die wir für Seinen Namen bewiesen haben. Er kann unmöglich der Schuldner irgend eines Menschen bleiben. "Ein jeder wird seinen eigenen Lohn empfangen nach seiner eigenen Arbeit." (1. Kor. 3, 8.) Gott gedenkt des Werkes des Glaubens und der Bemühung der Liebe sicherlich auch bei jungen Gläubigen, wie z. B. die Thessalonicher waren. (1. Thess. 1, 3.) Wenn die Liebe Christi uns dringt und die Bruderliebe in uns wirkt, werden wir nie verlegen sein um ein Feld der Tätigkeit.

Darum lasst uns „arbeiten", in aller Einfalt, mit allem Fleiß! Denn „der arbeitende Ackerbauer soll zuerst die Früchte genießen", hier schon und bald droben in Herrlichkeit. Wenn schon hier die Freude groß ist, wenn der Herr uns eine Frucht unserer Mühe sehen lässt, wie erst werden wir dort uns freuen, wenn wir solchen begegnen, denen wir den Weg zum Leben zeigen durften!

Schließen wir mit dem einfachen, aber zugleich so eindrucksvollen und tröstlichen Wort, das der Apostel an seine Ermahnungen knüpft: „Bedenke, was ich sage; denn der Herr wird dir Verständnis geben in allen Dingen".

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Betrachtungen über den Propheten Hosea

Bibelstelle: Hosea

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 41ff

Einleitung

Der Prophet Hosea richtet sich besonders an die zehn Stämme, wobei er aber zu verschiedenen Malen die Stämme Juda und Benjamin erwähnt. Diese Tatsache nicht zu beachten hieße, das Verständnis der oft nicht leichten Sprache des Buches noch zu erschweren. Für Hosea bedeutet also Israel gewöhnlich die zehn Stämme, im Gegensatz zu dem Stamm Juda (z. B. 1,6. 11; 3,1; 4,15). Der Name „Israel" wird auch auf die neun Stämme angewendet, verbunden mit Ephraim, ihrem Haupte (5,3), aber unterschieden von Juda und Benjamin (5,5). Nur gelegentlich trägt die vergangene oder künftige Vereinigung der zwölf Stämme den Namen Israel (3,5; 9,10; 11,1). Mit dem Namen Ephraim werden durchgängig die zehn Stämme in ihrer Prägung durch den vorherrschenden Stamm bezeichnet. Juda steht, wie wir gesagt haben, im Gegensatz zu Israel und umfasst gewöhnlich Juda und Benjamin. Manchmal werden diese beiden Stämme getrennt aufgeführt. Jakob bezeichnet die Gesamtheit des Volks unter der Führung von Juda, seinem vorherrschenden Stamm. - Die wichtige Rolle der zehn Stämme in diesem Buch geht daraus hervor, dass der Name Israel (der fast immer die 10 Stämme bezeichnet) 43 mal erwähnt wird, Ephraim (in derselben Bedeutung) 36 mal, der Name Juda nur 15 mal.

Hosea ist also vor allem ein Prophet Israels, wie es in geringerem Maße auch Amos und Micha sind.

Hosea weissagte unter den gleichen Königen Judas wie Jesaja, also unter der Reihe von Königen Israels, die bei Jerobeam II. anfängt und mit dem König Hosea endet, dem letzten Herrscher über die zehn Stämme vor ihrer Gefangenschaft (siehe Jesaja 1,1; Hosea 1,1). Zählt man die Regierungsjahre der Könige von Israel von Jerobeam bis Hosea einschließlich der Zwischenregierungen zusammen, dann kommt man auf die große Zahl von 82 Jahren und 7 Monaten für die Dauer dieser Weissagung. Nimmt man die Regierungsjahre Ussijas, Jothams, Ahas' und die sechs Jahre Hiskias bis zur Wegführung der zehn Stämme noch hinzu, so erhält man die noch beträchtlichere Anzahl von 90 Jahren. Eine solche Rechnung wäre aber abwegig. Beschäftigt man sich mit der Weissagung Hoseas, so merkt man nämlich ohne Mühe, dass die Herrschaft Jerobeams II. eine sehr beschränkte Rolle darin hat; man muss also wohl die meisten dieser Regierungsjahre abstreichen. Andererseits führt uns der Inhalt des Buches zu dem Schluss, dass unser Prophet nicht alle Jahre seines Namensvetters Hosea, des Königs von Israel, erlebt hat. Durch solche angenäherten Berechnungen kommen wir auf eine zwar lange, aber doch durchaus denkbare Dauer dieser Weissagung.

Der Inhalt des Buches gibt uns zahlreiche Hinweise auf die Umstände, durch die unser Prophet gegangen ist, oder die der unmittelbare Anlass für seine Aussprüche sind. Diese Umstände sind einmal die 11 Jahre dauernde Zwischenherrschaft, welche die lange Regierung Jerobeams von der so kurzen des Sekarja trennt, - zum anderen die 9 Jahre dauernde Anarchie, die der Thronbesteigung Hoseas, des letzten Königs von Israel, voranging. Diese verschiedenen Ereignisse erwähnt der Prophet teils als bereits geschehen, teils als kurz bevorstehend. Sie können auch auf künftige prophetische Ereignisse hindeuten (3,4; 10,3). Außerdem bezieht sich Hosea auf eine Reihe anderer Vorfälle: die aufeinander folgenden Gewalt- und Mordtaten der Könige Israels (4,1-3; 7,7; vgl. 2. Könige 15,8. 10. 16. 25. 30), das Werben um Schutz bei Assyrien oder Ägypten (5,10. 13; 7,11; 8,9. 13; 10,6; 12,2; vgl. 2. Könige 15,19. 20; 17,3. 4). Die Stellen 10,7. 15; 13,16 zeigen uns andererseits: wenn der Prophet den Anfang der Herrschaft Hoseas miterleben konnte, so hat er doch die Tage nicht mehr gesehen, da die 10 Stämme vom Assyrer gefangen weggeführt wurden. Diese zahlreichen Anführungen machen gleichzeitig deutlich, wie der prophetische Geist die Offenbarung künftiger Ereignisse an gegenwärtige Umstände knüpft.

In jenen schicksalsschweren Tagen, wo alles auf ein verhängnisvolles Ende hindrängt, ist die Schreibart des Propheten abgehackt, abrupt und folglich dunkel und ohne Übergänge. Oft hat es den Anschein, als fehle ihm die Zeit, um seine Gedanken untereinander zu verbinden. Je weiter man in dem zweiten Teil der Weissagung fortschreitet, um so deutlicher wird diese Hast. Hosea geht ohne jede Ankündigung von Unheildrohungen zu Verheißungen über, dem Ausblick auf Segnung folgt die Schilderung von Gräueln und Blutvergießen; man hat die unverdiente Gnade der früheren Zeiten vor Augen und gleich darauf die Geburtswehen, die plötzlich über Ephraim hereinbrechen. Dies hat seinen Grund: das Gericht steht vor der Tür. Alles vermischt sich und überstürzt sich für den Propheten in seiner Eile, alles zu sagen. O, wenn doch wenigstens ein Wort der Gnade oder des Gerichts bis zu den Ohren dieses Volkes dränge! Aber ach! es hört nicht! Und dennoch muss alles, auch die dunkle Ausdrucksweise, das Volk zum Nachdenken zwingen! Wehe ihm! - Doch sieh, wie Gott unversehens auf Seine Verheißungen von alters her zurückkommt! Sofort wird die Sprache sanfter und ruhiger und verweilt schließlich, im letzten Kapitel, bei dem Bild des bußfertigen Israel, wie es die göttliche Huld wieder genießt. Der Zorn ist nicht mehr; was bleibt, ist nur Segen in vollkommenem Frieden.

So passt Gott in Seinem Wort sogar die Ausdrucks weise Seiner Diener dem Ausdruck Seiner Gedanken an. Wegen der Schwierigkeiten und der scheinbaren Zusammenhanglosigkeit dieser Ausdrucksweise werden wir uns gezwungen sehen, manchmal eine Umschreibung zu geben, d. h. den Text erklärend auseinanderzulegen. Unser ganzer Wunsch ist dabei, dass der Leser durch dieses Verfahren nicht ermüdet wird, sondern eine klarere Erkenntnis des inspirierten Wortes gewinnt, und dass die Auferbauung in keiner Weise beeinträchtigt wird, die das einzige Ziel dieser Betrachtungen ist.

Wenn wir uns mit Hosea beschäftigen, müssen wir uns selbst packen lassen von der starken inneren Bewegung und den Angstzuständen, die das Herz dieses Mannes erfüllen: Entrüstung über das Verhalten Israels zu seinem Gott und Ankündigung nahe bevorstehender Gerichte, Liebe zu diesem Volk, an dem er mit allen Fasern seines Herzens hängt, eines schmerzerfüllten, blutenden Herzens, das von heiligem Zorn erfüllt ist, das liebt und hofft, das ruft, schreit und inständig bittet. Von seiner hohen Warte aus warnt es vor dem Sturm und fällt erschöpft zurück, wenn sein Ruf kein Echo gefunden hat. Aber es mag noch so oft vergeblich rufen: es besitzt den unermesslichen Trost, dass es in der Gnade ruhen darf und beständig auf die dem Christus bestätigten Verheißungen hofft, die Gott niemals gereuen werden.

Ein Wort noch zu der (übrigens sehr einfachen) Anordnung der Weissagung Hoseas. Die Weissagung besteht aus vier ungleich langen Teilen, deren Unterteilungen wir an ihrer Stelle angeben. Die Kapitel 1-3 zeigen uns den sittlichen Zustand Israels und Gottes Ratschluss im Blick auf diesen Zustand. Jedes der drei Kapitel schließt mit der endgültigen Wiederherstellung des Volkes als einem ganzen. Die Kapitel 4-10 enthalten den „Rechtsstreit" (4,1) Gottes mit Israel und die Aufzählung seiner Regierungswege mit dem Volk. Hier vor allem erleben wir die Ängste des Propheten mit. In den Kapiteln 11-13 wird der „Rechtsstreit" (12,3) fortgesetzt, aber es sind Ausblicke eingeschaltet auf die Gnadenabsichten Gottes mit Ephraim und Juda. Der vierte Teil umfasst nur Kapitel 14. Er verleiht der endgültigen Buße in den letzten Tagen Ausdruck und beschreibt die abschließende Wiederherstellung Ephraims unter der tausendjährigen Herrschaft des Messias. Die zehn Stämme erlangen so erneut die Gemeinschaft mit Gott, die sie verloren hatten und die nun ihr Erbteil wird für immer.

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Wie ein Kind

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 46

O Herr, willst Du das Krankenbett

zum Schulsaal mir erküren,

So zeig’ mir, dass ein Gotteskind

nichts kann dadurch verlieren.

Bin wieder wie ein Kind, das lernt zu buchstabieren,

die Laute kommen mir so schwer, so seltsam vor.

Ich beuge still mein Haupt und buchstabiere eifrig

das kleine Wort "Geduld". – Ist's wirklich denn so schwer?

"Ich fass' es, teurer Herr! Ich hab' das Wort verstanden!"

Und schon wend' ich das Blatt zum Weiterlesen um.

„Geduld, mein Kind, Geduld!" - sanft tönt des Meisters Stimme,

„Das Buchstabieren geht, das Wort kennst du noch nicht.

„Wart' nur geduldig ab, bis ich die Seite wende,

„Dir zeige, was dir dient als nächste Lektion."

Und wieder beuge ich das Haupt und flüstre leise:

Geduld, Geduld, Geduld .... und harre Seines Winks.

R.B.

(Nach dem Holländischen von E. v. O.)

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Wir sehen Jesum

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 47ff

"Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit." (2. Kor. 3, 18.)

Wenn ein Gläubiger mit dem Heiligen Geist erfüllt ist, wohin wird dann wohl sein Blick gerichtet sein? Was wird sein Zeugnis kennzeichnen? Von Stephanus wird uns erzählt: "Als er aber, voll Heiligen Geistes, unverwandt gen Himmel schaute, sah er die Herrlichkeit Gottes, und Jesum zur Rechten Gottes stehen". (Apstgsch. 7.) Der Heilige Geist leitete ihn, seinen Blick von dem Schauplatz der Leiden, die er zu erdulden hatte, hinweg auf den Herrn zu richten, dorthin, wo Er jetzt ist, in der Herrlichkeit Gottes droben. Er wurde geleitet, unverwandt auf Den zu schauen, der ihn geliebt und sich selbst für ihn hingegeben hatte. So mit Jesu, dem verherrlichten Menschen, beschäftigt, der selbst nicht lange vorher unter den Händen falscher Ankläger und Mörder gelitten hatte, wurde sein Glaube gestärkt, sein Herz ermutigt. Der Herr zeigte ihm die Märtyrerkrone, die sein Ausharren im Leiden davontragen würde.

Stephanus war in diesem Augenblick weder mit dem beschäftigt, was er litt, noch schaute er auf das für ihn am Kreuze vollbrachte Werk so gesegnet das auch ist; die Person, die das Werk vollbracht hat, war es, die sein ganzes Herz ausfüllte. So ist der Geist Gottes immer bemüht, unseren Blick auf Christum in der Herrlichkeit zu lenken.

Auch das Zeugnis, das Stephanus an andere richtete, galt dieser wunderbaren Person. Mit seinem ganzen Denkvermögen, mit jeder Faser seines Herzens hing er an ihr. Ganz hingerissen von dem, was er sah, rief er aus: "Siehe, ich sehe die Himmel geöffnet und den Sohn des Menschen zur Rechten Gottes stehen". Wovon anders hätte er auch in diesem Augenblick reden können, als von dem verherrlichten Menschensohn? Welch ein Zeugnis war das! Es war nicht Lehre, so wahr und wichtig diese an ihrem Platze sein mag, nein, was ihn alles um sich her vergessen ließ, war der Herr selbst, ein Mensch in der Herrlichkeit.

Auch von Barnabas, der „ein guter Mann" genannt wird, „voll Heiligen Geistes und Glaubens", lesen wir, dass er gleich Stephanus nur von Dem reden konnte, der seines Herzens Schatz war. Er ermahnte die Gläubigen in Antiochien, „mit Herzensentschluss bei dem Herrn zu verharren". (Apstgsch. 11, 23.) Wie bewahrheitet sich doch immer wieder das Wort: „Aus der Fülle des Herzens redet der Mund"! Darum bleibt es stets das Ziel der Bemühungen des Heiligen Geistes, unsere Herzen mit dem verherrlichten Christus zu beschäftigen und uns dann dahin zu leiten, Ihn in unserem Dienst auch anderen zu empfehlen.

Noch manche andere Stellen der Schrift belehren uns, dass das Geheimnis, so zu wandeln, wie Er gewandelt hat, zu wachsen in der Gnade, im Glaubensleben und in der Freude gefördert zu werden - Segnungen, die wir alle so sehr begehren - darin besteht, dass wir beständig in dem persönlichen Umgang und in der Gemeinschaft mit dem verherrlichten Christus bleiben.

Der Umstand, dass Stephanus so ausschließlich in Anspruch genommen war von dem Herrn in all der Anziehungskraft Seiner Gnade und Herrlichkeit, bewirkte auch, dass er wie sein Herr und Meister handeln konnte, und zwar unter Umständen, so schwer und schreckensvoll, dass man sie kaum sich vorzustellen vermag. Wie Christus am Kreuze, betete auch Sein leidender Zeuge für die, die ihn hassten und ihn in der schmachvollsten Weise umzubringen trachteten. Niederknieend rief er mit lauter Stimme: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht zu!" Und wenn dann die Steine der grausamen Mörder seinen Leib treffen, um ihm ein qualvolles Ende zu bereiten, empfiehlt er sich still und vertrauensvoll dem Herrn mit den Worten: "Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!" So war der leidende Diener, indem er unverwandt von der Erde gen Himmel schaute und nur mit dem Herrn selbst beschäftigt war, imstande, in seinem Maße so zu wandeln, wie der Herr gewandelt hatte, der unter all den Schrecken des Kreuzes für Seine Feinde betete: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!" und als der Pfad Seiner Leiden zu Ende ging, ausrief: "Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist!" Was könnte also deutlicher sein als dies: Wenn wir hienieden die Wege des Herrn gehen und Ihm ähnlicher werden wollen, dass wir dann ganz und gar mit Ihm beschäftigt, von Ihm erfüllt sein müssen, der jetzt zur Rechten Gottes weilt? Eine andere Möglichkeit, unseren Wunsch erfüllt zu sehen, gibt es nicht.

Fortschritte im geistlichen Leben und ein Wachsen in der Gnade sind ebenso bedingt durch ein unausgesetztes Anschauen des verherrlichten Christus. Wir erinnern uns dankbar daran, dass der Herr Jesus einst auf der Erde war, gedenken auch gern daran, welch eine Gnade uns in Seinem Kreuzestode begegnet ist, wissen ferner, dass Er uns ein Beispiel hinterlassen hat, dass wir Seinen Fußstapfen nachfolgen sollen; aber wo sehen wir Jesum jetzt? Lauschen wir auf die Worte des Apostels in Hebr. 2, 9: "Wir sehen aber Jesum, der ein wenig unter die Engel wegen des Leidens des Todes erniedrigt war, mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt". Der Vorhang ist zerrissen, die Himmel sind geöffnet worden, und Jesus, von den Toten auferstanden, ist in den Himmel selbst eingegangen, so dass jetzt jede Entfernung zwischen uns und Gott hinweggetan und uns das Recht geschenkt ist, in der Gegenwart Gottes zu stehen in ewiger Annehmlichkeit und Nähe. Dort sehen wir Jesum. Wir sehen Ihn "mit aufgedecktem Angesicht". Nichts Scheidendes, Trennendes ist mehr vorhanden. Wir nahen mit Freimütigkeit dem Thron der Gnade und finden dort, zur Rechten Gottes, den auferstandenen, erhöhten und verherrlichten Menschensohn, dessen Wiederkunft wir erwarten.

Und sieh, mein lieber Leser, geradeso wie bei Stephanus bewirkt unser Beschäftigtsein in der Kraft des Heiligen Geistes mit Ihm, so wie Er uns dort durch die Schriften kundgemacht ist, eine fortschreitende Verwandlung in Sein Bild. "Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, als durch den Herrn, den Geist." (2. Kor. 3, 18.) So sehen wir denn, nicht nur dass der Heilige Geist uns anleitet, zu dem verherrlichten Christus aufzuschauen, und dass Er uns mit Ihm beschäftigt, sondern auch, dass, wenn das geschieht, unsere Wege Seinen Wegen ähnlich werden, dass wir von Ihm Zeugnis ablegen und in Seinen Sinn und Geist verwandelt werden, "von Herrlichkeit zu Herrlichkeit". Wie ermuntert das unsere Herzen, doch unverrückt nach oben zu schauen auf Jesum, unseren Herrn!

Auch das Geheimnis, in allen Prüfungen, die das Leben und der Wandel des Glaubens mit sich bringen, aufrecht erhalten zu bleiben, liegt darin begründet, dass wir in inniger Fühlung bleiben mit Ihm, unserem allezeit lebenden Erhalter. Da ist jetzt Einer in der Herrlichkeit droben, der einst hienieden war und durch Leiden und Versuchungen gegangen ist, und der, obwohl wirklich und wahrhaftig Gott, sich selbst zu nichts machte, Knechtsgestalt annahm und den Pfad des Glaubens in Vollkommenheit bis zum Ende hin ging. Er, "der Anfänger und Vollender des Glaubens", hat sich schließlich gesetzt "zur Rechten des Thrones Gottes". Und auf Ihn, den Vorläufer, werden wir ermahnt, im Wettlauf unseren Blick gerichtet zu halten, von allen anderen Gegenständen und Menschen weg auf Ihn allein zu sehen, der den Weg in Vollkommenheit gegangen ist und alle Schwierigkeiten, Versuchungen und Mühseligkeiten desselben kennt. Dieser ewiglebende, ewigliebende Jesus auf dem Thron ist es also, der uns erhält und Kraft und Gnade für jeden Schritt auf dem Wege darreicht. In Wahrheit, es ist gut bestellt um die, die so zu Ihm aufschauen!

Christus in der Herrlichkeit ist für unsere Herzen auch eine nie versiegende, nie trügende Quelle der Freude, des Trostes und der Kraft. Petrus sagt von Ihm: "Welchen ihr, obgleich ihr Ihn nicht gesehen habt, liebet; an welchen glaubend, obgleich ihr Ihn jetzt nicht sehet, ihr mit unaussprechlicher und verherrlichter Freude frohlocket". Ja, da ist Einer in der Herrlichkeit, der unsere Herzen angezogen und getröstet hat und ihnen völliges Genüge bietet. O wie Er liebt! Wir erblicken in Ihm Herrlichkeiten und Schönheiten, die alles andere tief in den Schatten stellen. Wir lieben Ihn, weil Er uns zuerst geliebt hat, ja, wir lieben Ihn um Seiner selbst willen. Ein Herz, das den Reichtum den es in Jesu besitzt, erkannt hat und genießt, kann singen und sagen:

Ich hab' genug, weil Dich ich habe;

Mein Geist frohlocket inniglich.

Wo findet eine solche Gabe

Auf Erden und im Himmel sich?

Mein Herz, zu groß für alle Dinge,

Zu klein, als dass es Dich umfinge.

Sind wir so mit Ihm beschäftigt, dann sind unsere Herzen mit Freude erfüllt. Die Erinnerung an das vollbrachte Werk auf dem Kreuze verleiht unseren Herzen Frieden, das Anschauen Seiner Person in der Herrlichkeit droben erfüllt sie mit Freude. "Da freuten sich die Jünger, als sie den Herrn sahen." Zum Himmel aufschauend und durch den Glauben eine Person betrachtend, die wir mit unseren leiblichen Augen nie gesehen haben, noch sehen können, und die wir doch so gut kennen, sinnend über Seinen Wert, Seine Schönheit, Seine Vollkommenheiten und sittlichen Herrlichkeiten, über Seine amtlichen Würden und Seine unendliche Fülle, „frohlocken wir mit unaussprechlicher und verherrlichter Freude".

Welch unerschöpfliche Reichtümer, welch unversiegbare Quellen der Erquickung und des Trostes besitzen wir doch in Christo! Gern fliehen wir zu Ihm in Zeiten der Not, um bei Ihm Ruhe und Hilfe zu finden. Aber Lasst mich fragen, wie viel kennen wir Ihn als die stets sprudelnde Quelle alles Glückes, aller Freude für unsere Herzen? Möchten wir mehr begehren, dass Er sich selbst uns offenbare, und mehr von der innigen, tiefen Freude wissen, die ein Herz in dem nahen, persönlichen Umgang und Verkehr mit Ihm empfindet! Gehorsam gegenüber dem Wort, ein kraftvolles Zeugnis für Christum, Gemeinschaft mit Ihm in Seiner Verwerfung und ein Gott wohlgefälliger Dienst bis zu Seiner baldigen Wiederkehr würden die natürlichen Ergebnisse sein. Der Herr lasse uns alle in steigendem Maße den Segen erkennen, der mit einem ununterbrochenen Aufschauen nach oben, dahin, wo Jesus weilt, verbunden ist, bis wir Seinen gewaltigen Zuruf vernehmen und Ihn dann sehen werden von Angesicht zu Angesicht, „wie Er ist"!

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Freigemacht von der Sünde

Bibelstelle: Römer 6,11

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 53ff

Dank, Herr Jesu, Deiner Gnade, die aus tiefer Sündennacht

uns erlöst und auf dem Pfade himmelwärts nun treu bewacht!

Durch den Tod hast Du das Leben uns erworben, uns gegeben.

freigemacht von aller Schuld, stehen wir in Gottes Huld.

Herr, mit Dir nun auferstanden, droht kein Zorn mehr, kein Gericht;

frei von Sünd' und Todesbanden, wandeln wir in Gottes Licht.

Bald, Herr, wirst Du auch erscheinen ohne Sünde all den Deinen,

schon liegt ew'ge Seligkeit uns im Vaterhaus bereit.

R. B.

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Quartus

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 54ff

Kennst du ihn, den Bruder Quartus, dessen Name die lange Liste der Gläubigen beschließt, die im letzten Kapitel des Römerbriefes aufgezählt werden? Er muss ein Mann voll Liebe gewesen sein! „Der Bruder Quartus", das ist alles, was wir von ihm wissen. Die anderen, deren Namen hier zuletzt aufgezeichnet stehen, sind mehr oder weniger bekannt. Tertius schrieb den Brief, Gajus war offenbar ein einflussreicher Mann. Erastus war der Stadt-Rentmeister. Aber Quartus war nur ein einfacher, bescheidener Christ, dessen Name nur bekannt war durch seine Brüderlichkeit, und durch das Verlangen, seinen Brüdern in Rom, die er wohl nie gesehen hatte, seine Liebe kundzutun. Er bittet auch nur um ein bescheidenes Plätzchen in dem Brief des Paulus, und es wird ihm gewährt. Dort steht nun „der Bruder Quartus" in seiner kleinen Nische zum Vorbild für die, die Augen haben, ihn zu beachten und von ihm zu lernen. Gott, der Heilige Geist, hat ihm diesen Platz gegeben, und Millionen haben im Lauf der Jahrhunderte den Namen gelesen, vielleicht ohne ihn zu beachten. Wir wollen ihn nicht übersehen.

Quartus ist jedenfalls ein Bild der Bescheidenheit. „Und d u ? Du trachtest nach großen Dingen? Trachte nicht danach!" (Jeremia 45,5) Sei damit zufrieden, unbekannt zu leben und zu sterben - nur lass Liebe dein ganzes Leben durchwehen, nicht nur in deinem kleinen Kreise, sondern lass sie sich bis zu denen erstrecken, die jenseits der Meere wohnen, denen du so gern die Bruderhand reichen möchtest. Rede und schreibe nicht von Liebe, sondern beweise sie, gib „den Beweis deiner Liebe" (2. Korinther 8,24). Lass es deine Freude sein, dass du ein Glied der Familie Gottes bist, hineingestellt in diesen großen Kreis, der ewig bleibt! Verwirkliche es mit dankbarem und gläubigem Verstehen, dass alle wiedergeborenen Seelen Glieder einer Familie, Kinder eines Vaters sind, und darum ganz eng miteinander verbunden!

Der unscheinbare Gruß am Ende des wunderbaren Briefes, der uns mit den ewigen Grundlagen des Heils bekannt macht, offenbart uns ein wenig von der Zusammengehörigkeit der Gläubigen, von der vereinigenden Kraft des Evangeliums. Als der Herr Jesus in diese Welt kam, war sie durch tiefe Klüfte nationalen Hasses gespalten. Es glühte die Feindschaft der Rassen, der Sprachen, der Religionen. Die Scheidung war tiefer, als wir es uns vorstellen können. Da kam das Evangelium und sammelte Menschen aller Völker zu einer Familie, in Christo Jesu. Von da an begann der Einfluss der Bruderliebe die Welt zu durchdringen. Gott selbst belehrte Seine Kinder, einander zu lieben (1. Thes. 4,9). Der Herr gab Seinen Jüngern das Gebot, einander zu lieben, gleichwie Er sie geliebt habe (Johannes 13,34). Und der Geist ermahnt in Hebräer 13,1: „Die Bruderliebe bleibe!"

„Geliebte, lasst uns einander lieben, denn die Liebe ist aus Gott; und jeder, der liebt, ist aus Gott geboren und erkennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist Liebe" (1. Johannes 4,7. 8).

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Fragen aus dem Leserkreis

Bibelstelle(n): Galater 2, 19

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 56

Wie ist das Wort des Apostels in Galater 2, 19 zu verstehen: „Ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, auf dass ich Gott lebe“?

Wir finden einen ähnlichen Ausspruch in Römer 7, 10. 11: „Das Gebot, das zum Leben gegeben war, dieses erwies sich mir zum Tod. Denn die Sünde, durch das Gebot Anlass nehmend, betrog mich und tötete mich durch dasselbe.“

Das Gesetz war heilig, und alle seine Gebote waren heilig, gerecht und gut. Aber der Mensch im Fleisch, an den die Gebote sich richteten, war außerstande, sie zu halten. Sein Zustand war im Gegenteil so traurig, so unverbesserlich schlecht, dass die heiligen Gebote nichts anderes bewirkten als ein „Ausleben der Sünde“ (V. 9). Wenn Gott sagt: „Lass dich nicht gelüsten“, so erwacht in dem Menschen erst recht die Lust, das Verbotene zu tun. Was blieb da übrig? Nichts anderes als ein gerechtes Todesurteil seitens des Gesetzes. Dieses Todesurteil ist an Christus als dem Stellvertreter und Bürgen des Gläubigen vollzogen worden. Er ist mit Christus, der ein Fluch für ihn geworden ist (Galater 3, 13), am Kreuz gestorben, um nun nicht mehr „in dem Alten des Buchstabens (was ganz unmöglich war), sondern in dem Neuen des Geistes“ Gott zu dienen (Römer 7, 6). So ist er durch das Gesetz (das ihn zum Tod verurteilte) dem Gesetz gestorben. Das Gesetz hat keine Ansprüche mehr an ihn.

Aber warum ist er dem Gesetz gestorben? Um nunmehr „gesetzlos“ zu leben? Nein, sondern um als ein „Befreiter“ des Herrn – denn „für die Freiheit hat Christus uns freigemacht“ (Galater 5, 1) - „Gott zu leben“; oder, wie Paulus es im Römerbrief ausdrückt, um als ein „Lebender aus den Toten“ sich selbst Gott darzustellen, und seine Glieder, in denen früher „die Leidenschaften der Sünden, die durch das Gesetz sind“ wirkten, Gott darzustellen „zu Werkzeugen der Gerechtigkeit“ (Römer 6, 13; 7, 5). Darum folgen in unserer Stelle sogleich auch die triumphierenden Worte: „Ich bin mit Christus gekreuzigt, und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir“.

„Dem Gesetz getötet durch den Leib des Christus“, ist der Gläubige jetzt eines Anderen geworden, des aus den Toten Auferweckten, um Gott Frucht zu bringen (Römer 7, 4). Welch ein Sterben und welch ein Leben!

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Nach Wahl der Gnade

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 57ff

Gottes Wesen ist Licht, Seine Natur ist Liebe. So müssen notwendig alle Seine Gedanken, Ratschlüsse und Wege diesem Wesen und dieser Natur entsprechen. Zugleich ist Er der ewige Gott, der "Ich bin", d. i. der stets Seiende, immer Sichgleichbleibende; darum müssen Sein Wort und Sein Tun den Charakter des Ewigen, Unveränderlichen tragen. Der Psalmist sagt deshalb: "In Ewigkeit, Jehova, steht dein Wort fest in den Himmeln". (Ps. 119, 89.) Petrus redet von dem "lebendigen und bleibenden Wort" (1. Petr. 1, 23 - 25; vergl. Matth. 5, 18; 24, 35 u. a. St.), und in 4. Mose 23, 19 hören wir, dass "Gott nicht ein Mensch ist, dass Er lüge, noch ein Menschensohn, dass Er bereue".

Beachten wir auch, dass, weil Gott sich nie verleugnen kann, alle Seine Eigenschaften in ungetrübtem Einklang miteinander stehen müssen; jede einzelne muß zu ihrem vollen Austrag kommen, ohne die anderen zu beeinträchtigen. Gott kann z. B. unmöglich gnädig sein auf Kosten Seiner Gerechtigkeit, oder Seiner Gerechtigkeit freien Lauf lassen, ohne der Gnade Rechnung getragen zu haben. In all Seinem Tun müssen Gnade und Wahrheit zu ihrem Recht kommen, Güte und Treue sich gleichsam die Hand reichen.

Der Mensch ist geneigt, Gott nach seinem eigenen menschlichen Wesen zu betrachten, oder Sein Tun nach seinen kurzsichtigen Begriffen und Gefühlen (die obendrein noch durch die Sünde verdorben sind) zu beurteilen. Ist es ein Wunder, wenn er auf diesem Wege zu den törichtesten und selbst bösesten Schlüssen und Behauptungen kommt? "Bedenke, was ich sage", schreibt Paulus an Timotheus, "denn der Herr wird dir Verständnis geben in allen Dingen." (2. Tim. 2, 7.) O wenn die Gläubigen nur mehr bedenken möchten, dass der Herr allein ihr Verständnis erleuchten kann, und dann unter Gebet darüber sinnen wollten, was Gott ihnen in Seinem Worte sagt! Wieviel Irregehen und Schmerz würde ihnen erspart bleiben, und welch ein Segen könnten sie für ihre Umgebung sein! Aber wir leben in den Zeiten, wo man "das Bild gesunder Worte" verlässt und "die Ohren von der Wahrheit abkehrt". (2. Tim. 1, 13; 3, 4.) Immer ernster und eindringlicher klingt deshalb die Mahnung an unser Ohr: "Du aber, sei nüchtern in allem!" oder: "Du aber, o Mensch Gottes, fliehe diese Dinge", und: "Du nun, sei stark in der Gnade, die in Christo Jesu ist". Je näher wir dem Ende kommen, desto größer wird die Verantwortlichkeit des einzelnen, treu zu der Wahrheit zu stehen und in dem zu bleiben, was wir gelernt haben, da auch wir wissen, von wem wir gelernt haben.

Noch ein Punkt von großer Wichtigkeit ist die Unumschränktheit Gottes. Wenn Gott Gott ist, so ist Er niemand, vor allen Dingen nicht Seinen Geschöpfen, Rechenschaft schuldig. "Wer bist du, o Mensch , der du das Wort nimmst wider Gott? Wird etwa das Geformte zu seinem Former sagen: Warum hast du mich also gemacht?" (Rom. 9, 20.) Oder: "Darf die Art sich rühmen wider den, der damit haut, oder die Säge sich brüsten wider den, der sie zieht?" (Jes. 10, 15.) Wenn Gott in Seinem Wort Alten und Neuen Testaments immer wieder aufs ernsteste betont, dass nur "ein Überrest nach Wahl der Gnade" (Rom. 11, 5) errettet werden wird, und den Gleichgültigen und Gesetzlosen ermahnt, heute dem kommenden Zorn zu entfliehen und sich mit Gott versöhnen zu lassen, "Jehova zu suchen, während Er sich finden lässt, und Ihn anzurufen, während Er nahe ist" (Jes. 55, 6); wenn Jesus mahnt, das Liebste: Hand, Fuß oder Auge, zu opfern, wenn es uns hindern will, unser ewiges Heil zu suchen, und dann hinzufügt: "Es ist dir besser, als Krüppel oder einäugig in das Leben einzugehen, als mit zwei Händen usw. in die Hölle des Feuers geworfen zu werden, wo ihr (der Gerichteten) Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt" (Mark. 9) wie darf dann der "eitle" Mensch in seinem Wahn fragen: Wäre es nicht schön, sollten wir es nicht mit Freuden begrüßen, wenn schließlich doch noch alle Menschen errettet würden?

Diese Frage ist sehr verfänglich. Sie lautet so harmlos und empfiehlt sich so sehr unseren menschlichen Gefühlen, dass viele gar nicht merken, wie die List der alten Schlange sich genau so in ihr verbirgt, wie einst im Garten Eden in den Worten: "Hat Gott wirklich gesagt?" Die Frage wendet sich unmittelbar gegen Gottes klar ausgesprochenes Wort. Sie sagt nicht mehr und nicht weniger als: Sollte es Gott wirklich ernst sein, wenn Er sagt, dass Menschen für ewig verloren gehen? Sollte es wirklich wahr sein, dass es solche gibt, die "keine Hoffnung haben" -gar keine, und das nicht im Blick auf dieses Leben, sondern auf den Zustand nach dem Tode (denn davonredet der Apostel allein in der bekannten Stelle: 1. Thess. 4, 13)? - Lässt sich so etwas mit der Güte und Liebe des Heiland-Gottes vereinigen? Gibt es nicht irgend eine Möglichkeit, dem Worte seine unerbittliche Schärfe zu nehmen? es anders zu deuten?

Man sieht, zu welch bösen Folgerungen und schlimmen Weiterungen jene eine, so harmlos klingende Frage führt. Das Ende der Überlegungen ist: "Nein, so kann Gott es nicht gemeint haben", und man beginnt seine eigenen Meinungen an die Stelle des Wortes Gottes zu setzen und "verfälscht die Wahrheit", indem man den Stellen, die von Gottes Gnade und Gnadenwillen reden, eine weit über ihr Maß hinausgehende Deutung gibt und andere, die die Hoffnungslosigkeit und das ewige Verderben der im Unglauben Gestorbenen bezeugen, im Sinne der eigenen Meinung abzuschwächen sucht. Was wird Gott zu dem allen sagen? Gewiss, Er wird ernste Rechenschaft fordern von allen, die so nicht nur selbst "von der Wahrheit abirren", sondern auch andere abirren machen.

"Befleißige dich", ermahnt Paulus sein Kind Timotheus, "dich selbst Gott bewährt darzustellen als einen Arbeiter, der sich nicht zu schämen hat, der das Wort der Wahrheit recht teilt", und dann redet er mit ernsten Worten von solchen, die damals schon von der Wahrheit abgeirrt waren und "den Glauben etlicher zerstörten". Und den jungen Gläubigen in Thessalonich, die auch in Gefahr standen, falschen Lehren ihr Ohr zu leihen, ruft er in liebender Sorge zu: "Also nun, Brüder, stehet fest und haltet die Überlieferungen, die ihr gelehrt worden seid, fei es durch Wort oder durch unseren Brief". (2.Thess. 2, 15.)

Brüder! wollen wir, nachdem wir so viel Gnade empfangen haben und mit Fug und Recht Gott immer wieder dafür danken, dass wir zu der Wahrheit, wie sie in dem teuren Worte Gottes uns überliefert ist, zurückgeführt worden sind, - wollen wir, frage ich, in irgend einem Punkte (und es handelt sich hier um einen überaus wichtigen Punkt) das wieder aufgeben, was wir gelehrt worden sind und als untrügliche, göttliche Wahrheit erkannt haben? Davor bewahre uns Gott! Nehmt es älteren Brüdern, die auf Grund ihrer Erfahrungen vielleicht etwas tiefer und weiter zu sehen vermögen, nicht übel, wenn sie einen lauten Warnungsruf erschallen lassen! Zeit und Gelegenheit machen es leider zu einer schmerzlichen Notwendigkeit.

Die Lehre von der endlichen Errettung aller Menschen (manche gehen noch einen Schritt weiter und schließen auch Satan und die gefallenen Engel mit ein) nennt man vielfach "Wieder­bringungslehre". Eigentlich mit Unrecht. Man bezeichnet sie richtiger als "Allversöhnungslehre"; denn die Schrift redet von einer Wiederbringung oder besser "Wiederherstellung", allerdings nicht aller Menschen , sondern aller Dinge. Petrus weist in seiner Rede in der Salomonshalle des Tempels auf "die Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge" hin, "von welchen Gott durch den Mund Seiner heiligen Propheten von jeher geredet hat". (Apstgsch. 3, 21.) Es sind dies die Tage des Tausendjährigen Reiches, in welchen Gott einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen will (Jes. 65, 17) freilich nur in relativem Sinne, denn der wirkliche neue Himmel und die neue Erde werden erst im ewigen Zustand gesehen werden, wenn Gott alles neu macht. (Offbg. 21, 1 ff.) Im Blick auf die Schöpfung also, die nicht gesündigt hat, sondern um ihres Hauptes, des Menschen, willen in die Folgen der Sünde hineingezogen wurde und unter ihnen "seufzt", kann mit Recht von einer Wiederbringung geredet werden. Sie wird einmal auf Grund des Sühnungswerkes Christi (Kol. 1, 20) - anders wäre es unmöglich - "freigemacht werden von der Knechtschaft des Verderbnisses zu der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes". (Röm. 8, 19 - 22.)

So klar und bestimmt die Schrift aber von einer Versöhnung oder Wiederherstellung aller Dinge, von einer schließlichen Befreiung der ganzen Schöpfung von den furchtbaren Folgen der Sünde redet, so klar und bestimmt lehrt sie auch im Blick auf die Menschen, dass nicht alle errettet werden, sondern nur die, die in der Gnadenzeit von ihren bösen Wegen umkehren und an Jesum glauben. Niemals sagt sie, dass die Sünden aller getragen und gesühnt worden seien, was doch geschehen sein müsste, wenn alle Menschen errettet werden sollten. Überall begegnen wir dem Grundsatz der "auserwählenden" Gnade Gottes. Alle haben gesündigt und reichen nicht hinan an die Herrlichkeit Gottes; ja, alle würden in dem bösen Willen ihres Herzens bis ans Ende auf dem breiten Wege, der zur Verdammnis führt, beharren, wenn nicht Gott in Seinem Erbarmen und nach Seinem Gnadenvorsatz eingriffe und die, "so viele zum ewigen Leben verordnet sind" (Apstgsch. 13, 48), herausrisse und zu Jesu führte. Gleichwie der Heiland selbst sagt: "Alles, was der Vater mir gibt, wird zu mir kommen". Gottes Gnadenwille umfasst freilich alle Menschen. Er "hat Seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, auf dass Er die Welt richte, sondern aus dass die Welt durch Ihn errettet werde". (Joh. 3, 17.) Aber die Welt wollte Jesum nicht. Sie hat sowohl den Vater als auch den Sohn gehasst. Was blieb nun der Liebe Gottes übrig? Nur die Wahl Seiner Gnade. Darum hören wir schon im Verse vorher: "Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass Er Seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass jeder (jeder einzelne), der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe". (Vergl. auch 2.Kor. 5, 18 - 21). Hat die Welt als solche Gottes Gnade und Liebe von sich gestoßen, so bleibt nur noch eine "Auswahl", "eine Wahl nach Gnade" übrig. "Jeder" - "wen da dürstet" - "wer da will", wird eingeladen, zu kommen und von dem Wasser des Lebens umsonst zu trinken.

Das alles ist so einfach und von solch durchsichtiger Klarheit, dass man kaum versteht, wie darüber überhaupt noch Zweifel oder Meinungsverschiedenheiten bestehen können. Und doch ist es so. Man leugnet allerdings nicht unmittelbar die ernste Wahrheit, man lässt die angeführten Worte und viele andere Stellen ähnlichen Inhalts stehen, aber sucht an ihn zu deuteln und den Worten ihre zweischneidige Schärfe zu nehmen. Man sagt: Ja - aber! Die alte Weise Satans! Er leugnete auch im Anfang nicht, dass Gott gesprochen habe, aber er suchte Misstrauen betreffs der Güte Gottes in das Herz des Weibes zu säen, und als Eva seiner listigen Stimme Gehör gab, verdrehte er die Worte Gottes.

Überaus seltsam, um nicht mehr zu sagen, sind allerdings einige der Gründe, die von Seiten der Anhänger der Allversöhnungslehre vorgebracht werden. So wurde vor kurzem von zuverlässiger Seite berichtet, dass einer von ihnen den bekannten Worten in Jes. 53, 12: "Er (Christus) hat die Sünde vieler getragen und für die Übertreter Fürbitte getan", folgenden Sinn beilege: Die "Vielen", deren Sünde der Herr getragen hat, sind die Gläubigen aller Zeiten, die "Übertreter" sind die übrigen Menschen, die infolge der Fürbitte Christi noch auf eine spätere Erlösung rechnen dürfen.

Man fragt sich unwillkürlich: Wie ist so etwas nur möglich? Die einzige Antwort liegt wohl in dem Ausspruch des Herrn: "Siehe zu, dass das Licht, das in dir ist, nicht Finsternis ist", oder: "Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß die Finsternis!" (Luk. 11, 35; Matth. 6, 23.) Anstatt in den wenigen Worten den einfachen, aber so kostbaren Bericht des auf dem Kreuze Geschehenen zu erblicken, wo unser geliebter Herr die Sünden vieler trug und für Seine Mörder betete, schiebt man ihnen einen Sinn unter, der die Grundlage des Erlösungswerkes, Gottes Gerechtigkeit, antastet und das Opfer Christi verfälscht. Dass das nicht die Absicht des Redenden ist, sei gern zugegeben, aber die Tatsache besteht, wie wir sogleich sehen werden, und verhängnisvoll ist, dass einfache, in der Wahrheit wenig befestigte Seelen das gar nicht merken, sondern im Gegenteil eine neue, kostbare Wahrheit zu hören glauben. Solchen Seelen zunächst sind wir eine Begründung unserer ernsten Anklage schuldig.

Wir haben gesagt, dass jene Erklärung die Grundlage des Erlösungswerkes, Gottes Gerechtigkeit, antaste. Ist das wirklich wahr? Sehen wir zu! Nachdem der Apostel Paulus in dem ersten Kapitel des Römerbriefes die Schuldbarkeit aller Menschen, Heiden und Juden, erwiesen hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, dass "die ganze Welt dem Gericht Gottes verfallen sei", sagt er, dass Gottes Gerechtigkeit (und diese muss der Mensch besitzen, um vor Gott bestehen zu können) "geoffenbart worden sei durch Glauben an Jesum Christum gegen alle und auf alle, die da glauben"; und weiter, dass Gott "Christum Jesum dargestellt habe zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben an Sein Blut, zur Erweisung Seiner Gerechtigkeit wegen des Hingehenlassens der vorher (d. h. vor dem Tode Christi) geschehenen Sünden unter der Nachsicht Gottes, zur Erweisung Seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit, dass Er gerecht sei und den rechtfertige, der des Glaubens an Jesum ist". (Röm. 3, 21 -26.)

Wenn Gott Gnade üben und vergeben will, so kann Er das nur aus dem Boden Seiner Gerechtigkeit tun. Die Gnade kann nur herrschen durch Gerechtigkeit. (Kap. 5, 21.) Gottes Gerechtigkeit nun ist in dem Opfertode Christi voll und ganz befriedigt, ja, verherrlicht worden im Blick auf alle, die an Jesum glauben. Alle ihre Sünden, die Sünden vieler, hat Jesus getragen; für sie war Er zur Sünde gemacht, und infolge dessen handelte Gott nur gerecht, indem Er die vorher geschehenen Sünden der Seinigen in Nachsicht trug, und ist heute nur gerecht, wenn Er die an Jesum Glaubenden rechtfertigt und ihnen in dem Auferstandenen einen ganz neuen Platz gibt. Für alle, die "in Christo" sind, gibt es keine Verdammnis mehr, sie sind "im Geiste", nicht mehr "im Fleische". (Röm. 8.)

Auf welchem Boden könnte nun Gott den Übertretern, für die Jesus im Sinne jener Behauptung Fürbitte getan haben soll, vergeben? Wie sie rechtfertigen? Jesus hat nur die Sünden vieler getragen (vergl. auch Matth. 26, 28; Hebr. 9, 28), und jene Übertreter, die im Unglauben gestorben sind, haben das große Heil in Christo verachtet oder vernachlässigt, und haben ihr Gericht dafür empfangen. Soll nun der heilige Gott "sich selbst verleugnen", Seine Gerechtigkeit aufgeben und jenen Schuldigen gegenüber eine Gnade walten lassen, die die Sünden vergäbe, ohne dass sie getragen und gesühnt wären, die also wiederum das Wesen der göttlichen Gnade ins Gegenteil verkehren würde?

Das Gesagte beantwortet auch die Frage, wie das Opfer Christi durch jene Erklärung verfälscht wird. Wäre es möglich, dass auf irgendeinem Wege, neben dem Opfer Christi oder in Verbindung mit ihm, Vergebung der Sünden erlangt und Gottes Gerechtigkeit befriedigt werden könnte, so wäre dieses Opfer nicht die allein gültige Sühnung, das Blut des Sohnes Gottes wäre nicht das einzige Mittel zur Reinigung unserer Sünden, Christus nicht der alleinige Heiland usw. Und was will man neben Ihn und Sein Werk stellen? Die römische Kirche hat die Fabel von dem "Fegefeuer" ersonnen. Will man ihr folgen und das leichtere oder schwerere Gericht, die schärfere oder gelindere Strafe der Verlorenen, ihr "Weinen und Zähneknirschen", ihre Reue (wenn es solche dort gibt) oder was man sonst ersinnen mag, neben das Werk Christi stellen und dieses dadurch zunichte machen? O über die Verkehrtheit des menschlichen Geistes und Willens, die sich erheben wider die unzweideutigen Zeugnisse des Wortes Gottes und ihre eigenen bösen Eingebungen an deren Stelle setzen!

Noch eine zweite Stelle sei hier erwähnt, die neben anderen, längst bekannten zuweilen angeführt wird, um die Allversöhnungslehre zu stützen. Es heißt in Röm. 11, 32: "Gott hat alle in den Unglauben eingeschlossen, auf dass Er alle begnadige". - Seht ihr es? ruft man, hier steht es deutlich geschrieben: Gott wird alle Menschen begnadigen!

Mussten wir die Erklärung von Jes. 53, 12 unmittelbar böse nennen, so können wir dieser Behauptung den Vorwurf grober Leichtfertigkeit nicht ersparen. Der Apostel redet in Römer 11 bekanntlich von den Wegen Gottes mit Israel und den Nationen oder Heiden. Israel, das von Gott erwählte und abgesonderte Volk, bildete die natürlichen Zweige des Ölbaumes, des Bildes der Fettigkeit. Abraham, die Wurzel des Baumes, der Empfänger der göttlichen Verheißungen und Segnungen, wird heilig, d. i. für Gott abgesondert genannt; so waren denn auch die Zweige heilig. Nun aber waren diese natürlichen, geheiligten Zweige ihres Unglaubens wegen "ausgebrochen" worden, und Gott hatte an ihrer Stelle die ungläubigen Heiden, einen "wilden" Ölbaum, "eingepfropft". Diese standen jetzt "durch den Glauben". Sie, die einst Gott nicht geglaubt hatten, waren durch den Unglauben der Juden unter die Begnadigung gekommen, und für die Juden, die in ihrem Hochmut nicht an die Begnadigung der Heiden glauben wollten, blieb jetzt auch kein anderer Weg übrig, als der der Begnadigung.

Auf dem früheren, gesetzlichen Boden war alles für sie verloren. Sollten die ihren Vätern gegebenen Verheißungen an ihnen in Erfüllung gehen, so konnte das nur auf dem Boden bedingungsloser Gnade geschehen, genau so wie bei den Heiden. Und nun kommt die einfache Begründung: "Denn Gott hat alle (Juden und Heiden) zusammen in den Unglauben eingeschlossen, auf dass Er alle (Juden und Heiden) begnadige".

Der Gedanke an eine Allversöhnung, eine Begnadigung aller Menschen, so dass alle schließlich errettet werden, liegt der Stelle so fern, dass es wirklich einer groben Leichtfertigkeit oder eines Verdrehungswillens bedarf, um ihn darin einzuführen.

Zum Schluss für heute noch eins: Man redet gern davon, dass es Gottes Wille sei, dass alle errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, und daran tut man an und für sich gewiss recht. Wenn man nur nicht so falsche und böse Schlüsse daraus ziehen wollte! Sicher will Gott, der Gott der Liebe und des Erbarmens, nicht den Tod des Sünders, sondern dass er sich bekehre und lebe. Sicher will Er, dass allen die Botschaft der freien Errettung angeboten werde. Er schließt keinen aus. Er hat keinen Menschen dazu bestimmt, verloren zu gehen. Die Lehre, dass Gott die einen zur Verdammnis, die anderen zum ewigen Leben zuvor bestimmt habe, ist ebenso verkehrt und kann ebenso verderblich wirken wie die von der Allversöhnung. Nein, wenn ein Mensch verloren geht, so ist das nicht das Ergebnis der Vorherbestimmung oder des Willens Gottes, sondern einzig und allein die Folge seiner Sünden, seines Unglaubens und seines gottfeindlichen Willens. Und anderseits: wenn ein Mensch errettet wird, so ist es nicht die Folge seines Tuns, seines Wollens oder Laufens, sondern das Werk des auserwählenden, begnadigenden Gottes.

Vergessen wir aber nicht, dass gerade so, wie es Gottes Wille ist - denn Er ist Liebe -, dass alle zur Buße kommen und in Jesu Heil und Rettung finden, es auch Sein Wille ist und sein muss - denn Er ist Licht -, "Seinen Zorn zu erzeigen und Seine Macht kundzutun" an allen denen, die dem Evangelium unseres Herrn Jesus Christus nicht gehorchen, sondern Wohlgefallen finden an der Ungerechtigkeit.

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Betrachtungen über den Propheten Hosea

Bibelstelle: Hosea 1 - 3

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 69ff

Der sittliche Zustand Israels und Gottes diesbezügliche Ratschlüsse

Kapitel 1: Gott verwirft Israel und nimmt die Nationen an

(V. 1) - „Das Wort Gottes, welches zu Hosea, dem Sohne Beeris, geschah in den Tagen Ussijas, Jothams, Ahas', Hiskias, der Könige von Juda, und in den Tagen Jerobeams, des Sohnes Joas', des Königs von Israel".

Schon im ersten Vers stoßen wir auf eine Schwierigkeit. Wie kommt es, dass Hosea, der Prophet Ephraims, nicht die Liste der Könige Israels aufstellt, unter denen er geweissagt hat, sondern nur Jerobeam, den ersten von ihnen erwähnt, dessen sechs Nachfolger stillschweigend übergeht und die Dauer seiner Weissagung durch die Könige von Juda angibt? Zu diesem Rätsel gibt uns die Geschichte der Könige von Israel eine Lösung, die durch den Inhalt unseres ersten Kapitels bekräftigt wird.

Jehu, der Vollstrecker der Gerichte Gottes über die zehn Stämme, hatte Joram, den König Israels, und die 70 Söhne des ruchlosen Ahab vertilgt. Er war aber in seinem fleischlichen Eifer über die Anordnung Gottes hinausgegangen, indem er Rache an Ahasja, dem König von Juda, und dessen 42 Brüdern übte. Gott erkannte den Gehorsam Jehus an, in dem Maße als er in Seinem Dienste gewirkt hatte, und sprach zu ihm: „Weil du wohl ausgerichtet hast, was recht ist in meinen Augen, und an dem Hause Ahabs getan hast nach allem, was in meinem Herzen war, so sollen dir Söhne des vierten Gliedes auf dem Throne Israels sitzen" (2. Könige 10,30; 15,12). Und so geschah es. Auf das Flehen des Joahas hin (eines Sohnes der ersten Generation nach Jehu) war Joas, dessen Sohn (zweite Generation), erweckt worden als „ein Retter" für Israel (2. Könige 13,5). Jerobeam II. (dritte Generation) war zwar ein schlechter König, aber auch ihm wurde die Ehre, dass das Volk durch ihn gerettet werden konnte (2. Könige 14,27). Von da an war Israel zwar gerichtet, aber es fehlte noch Jehus Sohn der vierten Generation, um die Verheißung zu erfüllen, die Gott Jehu gegeben hatte. Nach dem Tode Jerobeams gingen die zehn Stämme durch eine Zeit der Zwischenregierung, von der die Weissagung Hoseas Spuren trägt. Aber was Gott verheißen hatte, musste unbedingt eintreffen. Nach 11 Jahren Zwischenherrschaft bestieg Sekarja den Thron Israels, ein Sohn Jehus der vierten Generation, aber er regierte nur 6 Monate und starb eines gewaltsamen Todes (2. Könige 15,8-12). So erfüllte sich gleichzeitig das Wort des Herrn gegenüber Jehu und das endgültige Gericht über die 10 Stämme. Schon zur Zeit Jerobeams II. war dieses Gericht in den Ratschlüssen Gottes vollzogen. Die 5 Herrscher, die sich auf dem Throne folgten von der Zeit Sekarjas bis zur Wegführung der 10 Stämme, zählen nicht für den Propheten, obgleich zwei von ihnen lange regiert haben.

Hosea weissagt über Israel zu einer Zeit, da das Geschick des Volkes von Gott unabänderlich beschlossen ist. Gott erfüllt dem Jehu seine Verheißung, aber Er richtet endgültig das Haus Israel und beginnt mit Jehu (1,4). Für eine Zeit mag Juda unter einigen treuen Königen noch mit seinem Gott und den wahrhaftigen Heiligen wandeln, obwohl das Verderben der 2 Stämme praktisch schon vollendet ist (12,1. 3; 12,1 nach der französischen Fassung von J.N.D.: „ ... aber Juda wandelt noch mit Gott und den wahrhaftigen Heiligen"). Wenn daher Juda erwähnt wird, so geschieht das jedes Mal, wie wir sehen werden, um darzutun, dass sein Gericht nicht weit ist, wenn es auch noch verzieht, und dass es das Haus Davids sicherlich treffen wird.

Diese Zusammenhänge scheinen uns zu erklären, warum Hosea, der Prophet Ephraims, uns vorgestellt wird, als weissage er unter der Herrschaft der Könige Judas, und warum er alle Könige Israels, ausgenommen Jerobeam, stillschweigend übergeht. Jerobeam war noch ein „Retter". Nach ihm ist alles nur noch Verwirrung, Mordtat und Anarchie.

(V. 2 - 5) - In einer Zeit, in der das Wort Gottes keine Macht über das Herz des Volkes mehr hat, um es zu überführen und zurückzubringen, begleitet Gott es mit sichtbaren, symbolischen Zeichen, die geeignet sind, das Gewissen zu treffen, und deren Bedeutung sich niemand verschließen kann. „ ... da sprach Gott zu Hosea: Geh hin, nimm dir eine Hurenfrau und Hurenkinder; denn das Land treibt beständig Hurerei, von Gott hinweg". Der Prophet Gottes, der Mann, der Gott selbst vor dem Volk vertritt, er muss einen entehrenden Bund eingehen. Wird Israel nicht begreifen, dass sein gegenwärtiger Zustand Hurerei ist? Israel hatte Gott verlassen, die Verpflichtungen zu seinem „Manne" treulos verleugnet, und dennoch waren die Beziehungen eines gesetzmäßigen Bundes noch in Kraft. Gab es etwas Schimpflicheres für den Propheten? Aber was muss es erst für Gott selbst sein! Außerdem war nicht allein der Prophet (oder Gott) entehrt, sondern die aus dieser Verbindung hervorgegangenen Kinder konnten sich nur Hurenkinder nennen. Niemals kann an der Befleckung etwas gebessert werden, selbst wenn sie mit der vollkommensten Reinheit verbunden ist. Wenn die Heiligkeit des Propheten unter der Leitung des Geistes Gottes dadurch in keiner Weise beeinträchtigt war, so war doch die Unreinheit seiner Frau verzehnfacht durch die Tatsache, dass sie keine Rücksicht auf diese Heiligkeit genommen hatte. Von nun an aber war es unmöglich, dass Gott nicht Kenntnis davon nahm, wenn er nicht Seine Heiligkeit verleugnen wollte, nachdem die Tatsache einmal festgestellt war. Das Gericht wurde so zur Notwendigkeit, wenn Gott nicht Seinen Charakter aufgeben wollte.

Diese Wahrheit gilt für alle Zeiten. Nach Israel ist die Kirche, wenn wir sie als verantwortliche Braut Christi betrachten, denselben Weg gegangen, hat Hurerei getrieben und wird unter dasselbe Gericht fallen, das allerdings weit schrecklicher als das über Israel sein wird, weil es sich nach der Gnade bemessen wird, die sie empfangen hat. Israel hat unter dem Gesetz gefehlt; die verantwortliche Kirche hat unter der Gnade gefehlt. Israel aber wird nach seinem Versagen unter der Haushaltung des Gesetzes in einen neuen Bund eintreten. Dort wird es die Gnade wiederfinden, die es nie wirklich gekannt hatte. Die Kirche wird sie nicht wiederfinden, denn es bleibt ihr nach der Gnade, der höchsten Offenbarung des Wesens Gottes, kein Mittel, kein anderer Ausweg mehr, sondern nur das Gericht. Die Kirche ist auf dem Weg, die „große Hure", die Mutter aller Gräuel der Erde zu werden, die am Ende unter den Schiedspruch fallen wird: „Gefallen, gefallen ist Babylon, die große" (Offenbarung 17,1. 5; 18,2)!

So nimmt Hosea Gomer zur Frau, deren Wandel das Bild von dem Wandel des Volkes ist. Sie ist die Tochter Diblaims, was „zweifache Umarmung" bedeutet. Dieser Name scheint eine Anspielung zu sein. Von Anfang an war Israel zwei gegensätzlichen Einwirkungen ausgesetzt, der des Fleisches und der der Heiligkeit Gottes. Eine Mischung - etwas, das weder ganz gut noch ganz schlecht, ist - durfte sie das Ergebnis davon sein? Unmöglich! „die Verwesung ererbt nicht die Unverweslichkeit" (1.Korinther 15,50).

Der erste Sohn Gomers ist Jisreel. Gott spricht: „Gib ihm den Namen Jisreel; denn noch um ein Kleines, so werde ich die Blutschuld von Jisreel an dem Hause Jehus heimsuchen und dem Königtum des Hauses Israel ein Ende machen. Und es wird geschehen an jenem Tage, da werde ich den Bogen Israels zerbrechen im Tale Jisreel" (1,4. 5). Dieser Name erinnert an die Mordtat, die Jehu an Ahasja, dem König von Juda, und an seinen 42 Brüdern begangen hat (2. Könige 9 - 10). Gott hatte das, was Jehu am Hause Ahabs getan hatte, gebilligt und ihm sogar eine Belohnung gewährt. Erst ungefähr 80 Jahre später erfahren wir, was Gott über die Mordtat an den Söhnen Judas dachte.

Dies ist ein sehr aufschlussreicher Grundsatz der Wege Gottes. Der Mensch kann, solange er der Erfüllung der Ratschlüsse Gottes dient, Seine Billigung haben. Die geheimen Beweggründe seines Herzens mögen sein wie sie wollen, wenn er sich nur nicht gegen diese Erfüllung richtet. Aber die geheimen Beweggründe seiner Taten, die nur im Dienste Gottes vollführt schienen, werden einmal ins Licht gerückt. Dann werden Gewalt oder Heuchelei, die sich unter dem Mantel des Gehorsams verbergen, am Tag des Gerichts nicht ungestraft bleiben, ebenso wenig wie sie heute Seinem Blick entgehen. Es kommt eine Zeit, wo die Geduld Gottes ein Ende nimmt. Die Beweggründe des Herzens Jehus, die er mit dem schönen Namen „Eifer für Gott" (2. Könige 10,16) vor den Augen des treuen Jonadab so gut zu verbergen wusste, werden nun aufgedeckt. Die Besten konnten sich täuschen lassen, aber Gott täuscht man nicht. Jahre vergehen - Tag und Stunde der Vergeltung kommen, vielleicht langsam, aber doch sicher und unausweichlich. War das nicht ebenso gewesen in der Sache Sauls mit den Gibeonitern? Es schien nach so vielen Jahren, als hätte Gott vergessen, was er damals nicht einmal hatte aufzeichnen lassen. Die dreijährige Hungersnot belehrte Israel eines anderen (2.Samuel 21).

Der Name Jisreel ist hier ein gleichbedeutender Ausdruck für Zerbrechen: der Bogen Israels (seine Macht) wird zerbrochen werden im Tale Jisreel. Mit dem Haus Jehu hat das Zehnstämmereich praktisch aufgehört und das, was noch übrig bleibt, zählt vor Gott nicht mehr.

Aber es ging nicht allein um das Königtum. In welchem Zustand war das Volk selbst unter den Nachfolgern Jehus? Gomer gebar eine Tochter und Gott sprach: „Gib ihr den Namen Lo-Ruchama (Nicht-Begnadigte); denn ich werde mich fortan des Hauses Israel nicht mehr erbarmen, dass ich ihnen irgendwie vergebe" (V. 6). Der Becher war übervoll. Für Israel war von Gott her nicht mehr Raum gegeben für Buße. Doch wollte Er Sich noch „des Hauses Juda ... erbarmen und es retten" (V. 7) - was Er am Hause Israel zweimal vergeblich getan hatte, wie wir gesehen haben - denn das endgültige Urteil war noch nicht ausgesprochen über das Geschlecht Davids.

Gomer bekommt einen zweiten Sohn. Und Gott spricht: „Gib ihm den Namen Lo-Ammi (Nicht-mein-Volk); denn ihr seid nicht mein Volk, und ich, ich will nicht euer sein" (V. 9). So ist jede Verbindung mit Gott aufgelöst. Israel ist verworfen. Beachten wir, dass Gott keine Ausnahme zugunsten Judas mehr macht, wie Er sie bei Lo-Ruchama gemacht hat. Der Urteilsspruch erstreckt sich hier über Ephraim hinaus. Im Augenblick der Urteilsverkündigung sind die lebendigen Beziehungen des ganzen Volkes bereits abgeschnitten. An ihre Stelle werden bald die einfachen Wege der Vorsehung Gottes treten, wie wir sie im Buch Esther wahrnehmen, bis der Tag kommt, an dem Israel wiederhergestellt wird.

Mit dem Urteil „Ihr seid nicht mein Volk" scheint alles endgültig zu Ende zu sein. Aber Gott ist Gott, und Er gründet Seine Herrlichkeit nicht auf Seine Gerichte sondern auf Seine Gnade. Gott ist ein Richter, und die Sünder laden ungeheure Schuld auf sich, wenn sie dies nicht beachten. Aber Gott ist auch der Gott der Verheißungen, und Er bereut Seine Verheißungen nicht. Das kann man hier in Vers 10 gut sehen, wo es um Israel geht: „Doch die Zahl der Kinder Israel wird sein wie der Sand des Meeres, der nicht gemessen und nicht gezählt werden kann". Der Prophet beruft sich bemerkenswerter weise nicht auf die dem Jakob (Israel) in Bethel gegebenen Verheißungen „Und dein Same soll werden wie der Staub der Erde" (1. Mose 28,14) - sondern auf die Verheißungen, die Abraham nach der Opferung Isaaks empfing: Ich werde „deinen Samen sehr mehren . . , wie der Sand, der am Ufer des Meeres ist" (1. Mose 22,17). Das ist die Verheißung, die Jakob selbst vor Gott in Erinnerung bringt, bevor er über die Furt des Jabbok zieht: „Du hast ja gesagt: Gewisslich werde ich dir wohltun und werde deinen Samen machen wie den Sand des Meeres, der nicht gezählt wird vor Menge" (1. Mose 32,12). Kraft des Opfers Christi wird die Gnade Gottes am Ende triumphieren. Auf dieses Opfer gründet Gott Seine stets gleichbleibenden Verheißungen. Das Gesetz, das lange Zeit danach gekommen ist, kann sie nicht aufheben. Der Gott der Verheißungen kann nicht lügen, noch Christus, den auferstandenen Isaak, verleugnen, in welchem alle Verheißungen „Ja und Amen" sind.

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Ein Wort für Väter

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 77ff

"Der Vater gibt den Kindern Kunde von deiner Treue." (Jes. 38, 19.)

Zu den schönsten Erinnerungen eines Menschen gehören wohl die trauten Dunkelstunden, wo Mutter erzählte, wo ihre liebe Hand bald diesem, bald jenem sanft über das Haar strich, und wo alle, hingerissen von dem Liebreiz ihrer Worte, buchstäblich an ihrem Munde hingen. Und wenn eine Mutter es dann versteht, die Lieblichkeit des Heilandes den empfänglichen Herzen ihrer Lieblinge nahe zu bringen, welch ein Segen ist das? Glückliche Kinder, werdet ihr je diesen Segen recht zu würdigen wissen?

Die oben angeführte Stelle redet jedoch nicht vom Erzählen der Mutter, sondern von dem des Vaters. "Der Vater gibt den Kindern Kunde von deiner Treue." Die Mutter spricht naturgemäß meist von Liebe zu den Kleinen – von der Liebe des Vaters im Himmel, von der Liebe des Herrn Jesus, des Sohnes Gottes, von jener Liebe, die willig half in jeder Not, und die am Kreuzesstamm von Golgatha ihren Gipfelpunkt erreichte. Bei solch lieblicher Musik öffnen sich manche der jungen Herzen willig der ewigen Liebe und finden Frieden durch den Glauben an das vergossene Blut Jesu. Der Tag wird es klar machen, wieviel Ewigkeitsfrucht aus solch stiller, dem Urteil der Öffentlichkeit sich entziehender Tätigkeit hervorgegangen ist.

Doch wir wollten ja an Hand der erwähnten Stelle von etwas anderem reden. Der Vater gibt Kunde von deiner Treue. Was ist Treue? Wissen wir es aus Erfahrung? Dann rühmen wir aus dankbarem Herzen: Treue ist jene Eigenschaft Gottes, auf Grund deren Er sich unter allen Umständen erweist als das, was Sein Wort von Ihm bezeugt. Zum Beispiel:

Gott ist Licht. (1. Joh. 1, 5.)

Gott ist Liebe. (1. Joh. 4, 8.)

Ich bin heilig. (3. Mose 11, 45.) Ich bin gnädig. (2. Mose 22, 27.)

Und so fort. Alles das steht fest, unerschütterlich fest in Ewigkeit. Gottes Treue ist jeder Probe gewachsen. Ihre Kenntnis aber ist nicht eine Sache des Wissens, sondern der Erfahrung. Und so treu wie Gott selbst ist Sein Wort, Sein ganzes Wort, jedes Seiner Worte.

Deine Zeugnisse sind sehr zuverlässig (Ps. 93, 5).

Jehova, Gott, ist Wahrheit (Jeremia 10, 10).

Deine Worte sind Wahrheit (2. Sam. 7, 28).

Dein Wort ist Wahrheit (Joh. 17, 17).

Gott und Sein Wort sind nicht voneinander zu trennen. Ist doch der Herr Jesus selbst "das Wort". Deshalb schreibt der Apostel Paulus zur Freude der Korinther, aber auch zu unserer Freude: "So viele der Verheißungen Gottes sind, in Ihm (d. i. in Jesu Christo, dem Sohne Gottes) ist das Ja und in Ihm das Amen, Gott zur Herrlichkeit durch uns" (2. Kor. 1, 20). Solch ein Wort gleicht einem vorweg unterschriebenen Wechsel, den man mit jeder beliebigen Summe ausfüllen kann.

Der Weg des Erlösten durch diese Welt ist meist ein Weg ernster Übungen und Schwierigkeiten, oft so schwer, dass das Herz erbebt. Da kommt denn solch ein zitterndes Herz und stützt sich zaghaft auf das Wort seines Gottes, den es längst Vater nennt, dessen Treue es aber vielleicht noch nicht erlebt hat. Das ist die Probe.

Und Gott? - Er bekennt sich zu Seinem Wort. Nichts anderes ist maßgebend für Sein Tun. Er handelt um Seiner selbst willen. Um des Nahenden willen, nur weil er sich stützt auf das Wort. Wenn es anders wäre, würde der Kleinglaube, oder gar Unglaube des Menschen die Hand des Ewigen meist binden. Ja, wenn Er handeln würde nach unseren armen, menschlichen Empfindungen und Wünschen, dann wäre uns schlecht gedient. Ihn leitet nur Seine Liebe, Seine Weisheit, Seine Macht, Seine Ehre. Das macht uns ganz nebensächlich, geradezu überflüssig. Das ist demütigend, aber es ist Gottes Weg, der Weg Seiner Treue. Dem Demütigen gibt Er Gnade. So sagt Sein Wort, der alleinige, doch unerschütterliche Maßstab Seines Tuns, und anders geht es nicht. Und wenn dann solch ein gebeugtes Herz still zusieht, wie die Zusage des Wortes sich erfüllt, wenn auch vielleicht ganz anders als gedacht, dann geht ein Staunen und Beben durch die Seele, das sich meist erst in Tränen der Beschämung, dann aber in Freudentränen und kindlichem Dankstammeln Luft macht. Das ist das Erleben der Treue Gottes. –

Hiskia hatte Ernstes erlebt. 39 Jahre alt, stellt Gott ihn vor die Pforten der Ewigkeit. Hiskia soll sterben. Da rollt er sein Leben auf und erschrickt. "O Herr, mir ist bange! tritt als Bürge für mich ein!" So schreit er. Gott antwortet ihm durch den Propheten Jesaja, verheißt ihm Genesung, noch 15 Lebensjahre und Rettung von der Hand des Königs von Assyrien. Gottes Wort traf ein. Hiskia erlebte die Treue Gottes.

Sein Herz war bewegt, war voller Freude und guter Wünsche. Sein Dank schließt mit den Worten: "Der Lebende, der Lebende, der preist dich, wie ich heute: der Vater gibt den Kindern Kunde von deiner Treue. Jehova war bereit, mich zu retten; und wir wollen mein Saitenspiel rühren alle Tage unseres Lebens im Hause Jehovas."

Wahrlich, schöne Worte! Hat Hiskia danach gehandelt? Ach, dass wir es sagen müssen: Hiskias Worte trafen nicht ein. Er wollte seinen Kindern Kunde geben von Gottes Treue, wollte sein Saitenspiel rühren, - aber sein Wollen wurde nicht zur Tat. Sein Herz betrog ihn, denn "sein Herz überhob sich". (2. Chron. 32, 25.) Sein Wollen war ohne Zweifel gut und ernst gemeint, aber weil er nicht demütig blieb und infolgedessen nicht treu gegen seinen Gott war, konnte er auch nicht treu gegen sein Haus sein.

Die Geschichte ist bekannt, und wir gehen nicht näher darauf ein. Doch jenes Wort: "Der Vater gibt den Kindern Kunde von deiner Treue" wollen wir Väter noch ein wenig zu unserem Herzen reden lassen.

Manche von uns haben Kinder, die, den Knien der Mutter längst entwachsen, mehr oder weniger den Stürmen des Lebens ausgesetzt sind. Elternliebe möchte gern diesen Kindern einen möglichst angenehmen Weg bereiten. Wie begreiflich ist dieser Wunsch! Wir alle verstehen ihn. Wenn Gott nun ohne weiteres "Ja" sagte zu diesen Wünschen der Eltern, was würde dann aus unseren Kindern?

Würden sie je auf die Hochschule Gottes kommen, wo das liebe "Ich" lernen muss, wenig, dann noch weniger und zuletzt gar nichts mehr von sich zu denken, und wo die dem natürlichen Herzen so unbequeme Gnade allmählich groß, dann noch größer und zuletzt ganz unfassbar wird? Wie stände es mit dem Erleben der Treue Gottes? - Liebe Brüder, Lasst uns diese Fragen nicht auf Seite schieben, sondern sie in der Gegenwart Gottes ehrlich beantworten!

Gott ist treu, auch im Blick auf unsere Kinder. Wenn sie durch den Glauben an den Herrn Jesus Seine Kinder sind, nimmt Er sie in Seine Schule. Wollen wir Ihm wehren? Wahrlich nicht! Wer ist ein Lehrer wie Er? Er kennt unsere Kinder besser und liebt sie mehr, als wir. Er erzieht jedes einzelne genau so, wie es nötig ist. Nach Seiner Weisheit geht es ohne ernste Übungen nicht her; ohne sie gibt es kein Lernen. Gottes Treue führt unsere Kinder in die Tiefe. Mühe und Misserfolg, demütigende Selbsterkenntnis, Zu-schanden-werden an anderen, - nichts bleibt ihnen erspart. Das gibt schwere Kämpfe, besonders für jene, die unter dem Einfluss des christlichen Elternhauses das eigene Herz wenig, die Welt draußen noch gar nicht kennen lernten. Und da liegt denn manche junge Seele ermattet am Boden. Enttäuschung und Sorge, und nicht selten Zweifel und Bitterkeit ringen um die Herrschaft. Sie wissen nicht wohin mit ihren Fragen. Wer wird ihnen helfen?

Wenn solche Kinder nun Väter haben, die bemüht sind, durch Gottes Gnade in ihrem Leben die schönen Vorsätze eines Hiskia in Taten umzusetzen, so ist der Weg zur Hilfe gewiesen. Es wird dann zwischen Kind und Vater schon ein Vertrauensverhältnis bestehen, auf Grund dessen der Vater mit von Gott erbetener Weisheit zum Herzen seines erwachsenen Kindes zu reden und ihm zu dienen vermag. Immerhin mag auch hier dem Reden das Hören vorangehen. Die großen Kinder erwarten nämlich Großes von ihren Vätern. Die sollen einmal still auf ihre Klagen lauschen, sich in ihre Lage versetzen, liebevolles Verstehen entgegenbringen, und so voll Geduld sein, wie nur die Jugend es vom Alter erwarten kann. Nicht mit Unrecht. Denn die Herzensnöte solch junger Seelen lassen sich nicht durch ein Wort von oben herab abtun; weder durch eine recht geistlich klingende, schriftgemäße Erklärung, noch durch derbe Zurechtweisung. Sie verlangen ein inniges Mitfühlen, Mitbeugen und Mitbeten.

Wir Väter sollten überhaupt nie Zuchtmeister, sondern vertraute Freunde unserer erwachsenen Kinder sein. Sind wir das? Dann ist, wie oben schon gesagt, dem Verstehen der Weg gebahnt. Dann kann Herz zu Herz reden. Dann werden die Väter, eingedenk der eigenen Erfahrungen, ihren geliebten Kindern an der Hand des Wortes Gottes die Treue Gottes in Seinem Tun mit den Seinigen bezeugen. Wie schön, wenn sie dann beieinander sitzen und lesen: "Der Fels: vollkommen ist Sein Tun; denn alle Seine Wege sind recht. Ein Gott der Treue und sonder Trug, gerecht und gerade ist Er!" (5. Mose 32, 4.)

"Du bist gerecht in allem was über uns gekommen ist; denn du hast nach der Wahrheit gehandelt." (Neh. 9, 33.)

"Bevor ich gedemütigt ward, irrte ich ... Es ist gut für mich, dass ich gedemütigt ward ... Du hast mich gedemütigt in Treue." (Ps. 119, 67. 71. 75.)

"Wen der Herr liebt, den züchtigt Er ... zum Nutzen, damit wir Seiner Heiligkeit teilhaftig werden." (Hebr. 12, 6. 10.)

Welch ein Segen wird daraus hervorgehen! Nicht nur, dass die jungen Menschen die Absichten Gottes im Blick auf ihre Herzen kennen lernen, sondern sie werden auch geübt, ihre Umstände getrost dem Gott der Treue zu überlassen.

Ohne Zweifel soll der Dienst der Väter, ihren Kindern Kunde zu geben von Gottes Treue, ein beständiger, durch Wort und Wandel zum Ausdruck kommender sein. Aber es gibt besondere Zeiten im Leben der Kinder, wo ihnen besondere Handreichung nottut, um vom Wissen zum Erleben der Treue Gottes zu gelangen, und dann aus Herzensüberzeugung zu sagen: "Es ist gut, Jehova zu preisen, und Psalmen zu singen deinem Namen, o Höchster!

"Am Morgen zu verkünden deine Güte, und deine Treue in den Nächten." (Ps. 92, 1. 2.)

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Meines Gottes Güte

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 84

Ob auch von Deiner Vatergüte

so manches Lied hier schon erklingt –

der Glaub mit dankbarem Gemüte

Dir immer noch ein neues singt.

Dass Deine Hand die Lilien kleidet,

die Raben speist, die Fluren schmückt,

dass sanft Dein Allmachtsarm mich weidet –

wie hat es oft mein Herz erquickt!

Ja, dass gewaltig Deine Güte,

erfuhr ich oft und rühme es gern;

des Lebens reinste Freudenblüte –

sie war im Dunkel stets mein Stern.

Doch als in finstern Schicksalsstunden

ich glaubensarm am Boden lag,

da hab ich erst so recht empfunden,

was Deine Güte all vermag.

Da hast Du Dich zu mir geneigt,

mich liebend an Dein Herz gedrückt;

Verstehen, Erbarmen mir erzeiget,

und nicht mich zürnend angeblickt.

Da hast Du gütig meine Augen

geöffnet, um Dein Tun zu sehen,

und mehr als je an lichten Tagen

Dich Gott der Treue, zu verstehen.

Ja wahrlich! Alle Erdenschmerzen,

selbst tiefster Trübsal höchster Pein

sind Diener nur dem Vaterherzen,

um meine Seele zu erfreuen.

Drum will ich froh und dankbar singen,

mein Leben lang, in Freud und Leid.

Bald wird mich Gottes Güte bringen

ins Vaterhaus, zur Herrlichkeit.

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Nach Wahl der Gnade

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 85ff

In Verbindung mit dem am Schlusse unserer Betrachtung im vorigen Monat ausgesprochenen Gedanken, dass "Gott willens ist, Seinen Zorn zu erzeigen und Seine Macht kundzutun", sei an eine Stelle erinnert, die allgemein bekannt ist, aber anscheinend wenig beachtet wird. Der Apostel Paulus schreibt in Römer 1, 18, nachdem er von dem Evangelium Gottes geredet und im Verse vorher gesagt hat, dass "Gottes Gerechtigkeit darin geoffenbart wird aus Glauben zu Glauben": "Denn es wird geoffenbart Gottes Zorn vom Himmel her über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, welche die Wahrheit in Ungerechtigkeit besitzen".

Beachten wir die ganz gleichen Ausdrücke in den bei den Versen: in dem Evangelium "wird geoffenbart Gottes Gerechtigkeit", und - es "wird geoffenbart Gottes Zorn vom Himmel her". Dieser Zorn wird also geoffenbart (noch nicht ausgeübt) gleichzeitig mit dem Evangelium, gleichsam neben dem Worte vom Kreuz herlaufend. Das mag für den Augenblick befremdend klingen, wird uns aber verständlich werden, sobald wir an die durch das Evangelium Gottes veränderte Sachlage denken. Schon in früheren Zeiten hatte Gott zeitweilig ernste Gerichte über die Menschen kommen lassen. Wir brauchen uns nur an die große Flut, an Sodom und Gomorra, an das Rote Meer, an die Rotte Korah usw. zu erinnern. Aber alle diese Gerichte waren irdische Wege der Vorsehung Gottes gewesen, deutliche Zeichen Seiner Regierung, nicht aber eine Offenbarung Seines Zornes vom Himmel her. In diesen Heimsuchungen hatte Gott wohl Zeugnisse Seines Wesens aufgerichtet, aber erst als der Sohn Gottes Sein Sühnungswerk vollbrachte und darin die Grundlage zu unserer Errettung legte, offenbarte sich Gott, wie Er ist; ja, nirgendwo hat Gott so deutlich gezeigt, wie Er zu der Sünde und zu allem Bösen steht, wie gerade am Kreuze, wo Jesus, der Sünde nicht kannte, für uns den Kelch des Zornes Gottes wider die Sünde trank. Der höchste Beweis der Liebe Gottes wurde so zur erschütterndsten Offenbarung Seiner Gerechtigkeit.

Wird also einerseits Gottes Gerechtigkeit im Evangelium geoffenbart und jedem Glaubenden umsonst geschenkt, so zeigt Gott anderseits deutlicher und eindringlicher als je, dass Sein Zorn "alle Gottlosigkeit" (welcher Art sie sein mag) treffen muss; und nicht nur sie, sondern auch alle "Ungerechtigkeit der Menschen, welche die Wahrheit in Ungerechtigkeit besitzen". Es ist nicht länger ein einzelnes Volk, an welchem Gott die Missetaten heimsucht, wie einst an Israel (vergl. Amos 3, 1. 2), sondern Er richtet jetzt alles Böse, alles was mit Ihm, der Licht ist, im Widerspruch steht. Darum fährt der Apostel unmittelbar fort (und zwar bis zum 21. Verse des 3. Kapitels), die Schuldbarkeit aller Menschen, deren beide Hauptklassen damals in Heiden und Juden bestanden, zu beweisen. Und was ist das Ende seiner Beweisführung? Wie lautet das Fazit, das er zieht? "Alle haben gesündigt", sei es "ohne Gesetz", wie die Heiden, oder "unter Gesetz", wie die Juden. Alle sind schuldig, der Jude allerdings unvergleichlich mehr als der Heide - und darum wird sein Gericht "schwerer" sein, er wird "mehr Streiche" empfangen als jener - aber alle sind schuldig, und "die ganze Welt" ist rettungslos, auf gerechter Grundlage, "dem Gericht Gottes verfallen". Gegen dieses vernichtende, keine Ausnahme zulassende Urteil bäumt sich zwar der Stolz des Menschen auf, man nennt es ungerecht, nicht mit der Liebe Gottes im Einklang stehend usw. aber "vor dem Richterstuhl Gottes" wird bald "jeder Mund verstopft werden". Gott wird gerechtfertigt werden in Seinem Reden und rein erfunden in Seinem Richten. (Ps. 51, 4.)

Glücklich der Mensch, der, wie einst Hiob, beizeiten zur Besinnung kommt und auf die Frage Gottes: "Will der Tadler rechten mit dem Allmächtigen? Der da Gott zurechtweist, antworte darauf", erwidert:

"Siehe, zu gering bin ich, was soll ich dir erwidern? Ich lege meine Hand auf meinen Mund. Einmal habe ich geredet, und ich will nicht mehr antworten, und zweimal, und ich will es nicht mehr tun"! (Hiob 39, 32 - 35).

Eine Hauptursache der Verirrungen und falschen Behauptungen auf dem uns beschäftigenden Gebiet ist wohl darin zu suchen, dass man meint, der Mensch gehe nur deshalb verloren, weil er nicht an Christum glaubt. Indem man diese Meinung zum Ausgangspunkt seiner Schlüsse und Beweisführungen macht, kommt man dahin, Gott der Ungerechtigkeit zu beschuldigen, wenn Er Menschen richtet, die nie von Jesu gehört haben, also auch nie Gelegenheit hatten, sich für oder gegen Ihn zu entscheiden; deren ganze Schuld, wie man sagt, "ja doch zu einem großen Teil nur darin besteht, dass sie vor Christo gelebt (oder nie die Kunde von Ihm vernommen) haben, und das ist doch nicht ihre Schuld". Wir würden ja, so folgert man weiter, Gott "zu einem lieblosen, ungerechten Gott stempeln", wenn wir glauben wollten, "dass etwa zwei Drittel der Menschen, die bis heute gelebt haben, unrettbar verloren find. Denn diese Menschen find eigentlich schuldlos, weil sie nichts von Christo gewusst haben."

So reden und schreiben selbst gläubige Männer -"nach Menschenweise", wie der Apostel Paulus es nennt. Denn schon damals hat der Geist Gottes, voraussehend, zu welch törichten, ja, vermessenen Fragen und Behauptungen der Menschengeist kommen würde, durch Paulus gerade die Frage niederschreiben lassen, die uns heute beschäftigt: "Ist Gott etwa ungerecht, der Zorn auferlegt?" Und die Antwort lautet: "Das sei ferne! Wie könnte sonst Gott die Welt richten?" (Röm. 3, 5. 6.) Nein, wenn es sich ausschließlich um die Offenbarung der Gerechtigkeit handelte, dann wäre Gott nur gerecht, wenn Er alle Menschen ohne Ausnahme richten würde. Sein Zorn ruht gerechterweise auf allen Menschenkindern ihrer Sünden wegen, und wenn Er trotzdem viele von ihnen rettet, so ist das Seine unumschränkte Barmherzigkeit, die "sich wider das Gericht rühmt", Seine unverdiente Gnade, die durch Jesum Christum herrscht zu ewigem Leben. Darum rühmt der Gläubige: "Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit, wegen Seiner vielen Liebe, womit Er uns geliebt hat, ... hat uns mit dem Christus lebendig gemacht - durch Gnade seid ihr errettet". (Eph. 2, 4 - 10.)

"Aber", höre ich meine Leser fragen, "ist es denn nicht wahr, dass der Mensch deshalb verloren geht, weil er nicht glaubt? Steht nicht immer wieder in der einen oder anderen Form geschrieben, dass nur der Glaubende errettet wird, während alle, die nicht glauben, unter dem Zorn Gottes bleiben?" Ja, so steht geschrieben. Aber indem man so fragt, vergisst man, dass der Mensch, ob Jude, Heide oder Namenchrist, von Natur verloren ist und seiner bösen Werke wegen unter dem Verdammungsurteil Gottes steht. Man vergisst, dass alle Menschen "von Natur Kinder des Zorns" sind, indem sie ausnahmslos nicht nach Gott fragen, sondern "den Willen des Fleisches und der Gedanken tun". (Eph. 2, 3.) Dass ein großer Unterschied besteht zwischen Jude, Heide und Namenchrist und in jedem Falle wieder zwischen den einzelnen je nach den persönlichen Umständen, dass ferner die Größe der Verantwortlichkeit und infolge dessen die Schwere des Gerichts sehr verschieden ist, liegt auf der Hand. "Sollte der Richter der ganzen Erde nicht Recht üben?" fragte Abraham einst im Blick auf das über die Bewohner von Sodom und Gomorra angekündigte Gericht, das ihn erschreckte und sein Herz mit Gefühlen des Erbarmens erfüllte. Ja, Gott hat damals Recht geübt und wird auch Recht üben an jenem Tage, wenn es "dem Sodomer Lande erträglicher ergehen wird", als den Bewohnern von Kapernaum und so vielen Millionen von Menschen, die, gleich ihnen, himmelhohe Segnungen empfangen hatten und sich doch nicht dadurch zur Buße leiten ließen.

Ich wiederhole also: Ein Mensch, dem die in Christo geoffenbarte Gnade vergeblich angeboten wird, der die ihm gepredigte "große Errettung" verachtet oder doch vernachlässigt, geht dadurch nicht erst verloren, nein, er war schon verloren und bleibt verloren - Gottes Zorn bleibt auf ihm. Er verwirft als ein schuldiger, verlorener Sünder die Gnade Gottes, vermehrt dadurch wohl seine Schuld und erschwert sein Gericht unendlich, aber sein Unglaube führt nicht erst sein Verlorengehen herbei. Von Hause aus verloren, könnte er errettet werden, wenn er im Glauben seine Zuflucht zu dem Heilmittel Gottes nähme; weil er das aber nicht tut, ist sein Schicksal besiegelt: "wer nicht glaubt, wird verdammt werden". So ist der Glaube das Mittel, durch welches der Mensch der Verdammnis entrinnen kann. Weist er dieses einzige Mittel von sich, so bleibt er unter dem Verdammungsurteil Gottes, ja, empfängt gerechterweise "ärgere Strafe". Wer an den Sohn glaubt, "wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er nicht geglaubt hat an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes". (Joh. 3, 18.)

Die wahre Ursache des Verlorengehens ist also nicht der Unglaube, sondern die Sünde des Menschen. Dass das so ist, dass also das Gericht Gottes den Menschen trifft seiner Sünden wegen, bezeugen zahlreiche Stellen der Schrift aufs unzweideutigste. Schon der Prediger sagt am Schlusse seines Buches: "Gott wird jedes Werk , es sei gut oder böse, in das Gericht über alles Verborgene bringen". (Vergl. Römer 2, 16; 1. Kor. 4, 5.) Sogar "von jedem unnützen Worte, das irgend die Menschen reden werden", müssen sie einmal Rechenschaft geben am Tage des Gerichts. (Matth. 12, 36.) Meer, Tod und Hades geben an jenem Tage die Toten, die in ihnen waren (d. i. alle, die nicht der ersten Auferstehung angehören), wieder, und sie werden gerichtet, ein jeder nach seinen Werken. (Offbg. 20, 12. 13.) Das Meer, dessen Tiefen kein Mensch je zu erforschen vermochte, das die Leiber der in ihm Umgekommenen oder in seinen Schoß Versenkten anscheinend spurlos verschlungen hat, der Tod und der Hades, mit anderen Worten das Grab, in welchem die Leiber, und der Zwischenzustand, in welchem die Seelen der Verstorbenen sich jetzt befinden - sie alle werden gezwungen werden, ihre Toten wiederzugeben. Nicht einer wird fehlen, vornehm oder gering. Und alle diese Toten, anstatt dann, wie man in unglaublicher Schriftverdrehung zu behaupten wagt, Gelegenheit zu finden, das Evangelium zu hören, werden gerichtet werden, ein jeder nach seinen Werken.

So redet die Schrift, das untrügliche, ewig bleibende Wort, mit erschreckender Klarheit und überwältigender, jedermann verständlicher Eindeutigkeit. Wehe dem, der zu den Worten der Weissagung dieses Buches "hinzufügt" oder von ihnen "wegnimmt" (Offbg. 22, 18. 19), indem er die einfachen, klaren Aussprüche verfälscht oder gar ins Gegenteil verkehrt, sich und anderen zum Verderben! Er wird sich vor dem Gott zu verantworten haben, vor dessen heiligem Wort er nicht "gezittert" hat.

Doch erinnern wir uns noch an einige andere Stellen. David sagt, in auffallender Gegenüberstellung der Güte und Strenge Gottes, in Psalm 62, 12: "Dein, o Herr, ist die Güte; denn du, du vergiltst einem jeden nach seinem Werke". Bei Jeremia verbindet der Geist Gottes mit der Beschreibung der Arglist und Verderbtheit des Menschenherzens die Worte: "Ich, Jehova, erforsche das Herz und prüfe die Nieren, und zwar um einem jeden zu geben nach seinen Wegen, nach der Frucht seiner Handlungen". (Jer. 17, 10; 32, 19.) In Römer 2, 5. 6 lesen wir von "dem Tage des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes, welcher einem jeden vergelten wird nach seinen Werken". Den Ephesern schreibt Paulus: "Niemand verführe euch mit eitlen Worten, denn dieser Dinge wegen kommt der Zorn Gottes über die Söhne des Ungehorsams". (Kap. 5, 6; vergl. Kol. 3, 6.) Und am Schluss des ganzen Buches Gottes ruft der Herr selbst mit heiligem Ernst: "Siehe, ich komme bald, und mein Lohn mit mir, um einem jeden zu vergelten, wie sein Werk sein wird". (Offbg. 22, 12.)

Noch einmal denn: wenn auch die Gleichgültigkeit und der Unglaube des Menschen dem Evangelium Gottes gegenüber seine Schuld und Strafe gleichsam ins Ungemessene steigern, kommt doch Gottes Zorn (und wird heute schon vom Himmel her geoffenbart) nicht so sehr über den Unglauben, so böse er ist, als vielmehr über "alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit" der Menschen. Alle haben sich verschuldet und haben deshalb Tod und Gericht verdient. Wenn Gott dennoch Menschen errettet, so kann es, wie schon gesagt, nur auf Grund einer bedingungslosen Gnade sein und nur "nach Wahl der Gnade". Und so wie Jesaja über Israel ausruft: "Wäre die Zahl der Söhne Israels wie der Sand des Meeres, nur der Überrest wird errettet werden", so dürfen wir auch sagen im Blick auf alle übrigen Menschen: "Wäre ihre Zahl auch Milliarden und aber Milliarden, nur ein Überrest, eine Auswahl der göttlichen Gnade, wird errettet werden".

Aber da kommt "der Tadler des Allmächtigen", der hochmütige, "Gott zurechtweisende" Mensch, und erkühnt sich zu fragen: Ist es aber gerecht, wenn Gott einen solchen Unterschied macht? Ist Gott nicht verpflichtet, allen Menschen Sein Heil in Christo anzubieten, und wenn das während ihres Erdenwallens nicht geschieht, wäre es nicht ungerecht, wenn Er ihnen nicht nach ihrem Tode noch die Gelegenheit dazu böte?

O eitler Tor, der du so redest! Zunächst: Willst du, "dessen Odem in seiner Nase ist", "Gott Verstand geben und Ihn belehren über den Pfad des Rechts und Ihn Erkenntnis lehren und Ihm den Weg der Einsicht kundmachen"? (Jes. 40, 14.) Willst du, der "wie eine Blume hervorkommt und verwelkt" (Hiob 14, 2), mit deinem Bildner rechten und zu Ihm sagen: "Was machst du?" du, "ein Tongefäß unter irdenen Tongefäßen"? (Jes. 45, 9.)

Aber weiter: Handelt es sich in dem vorliegenden Falle überhaupt um Gerechtigkeit? Wenn ein ganzes Regiment gemeutert und auf Grund der Gesetze den Tod verdient hätte, wäre es dann eine Frage der Gerechtigkeit oder der Gnade, wenn Kaiser, König oder Präsident die Strafe milderte oder doch nur an einer Anzahl der Schuldigen ausführen ließe, während die anderen frei ausgingen? Und hätten etwa die Schuldigen zu bestimmen, wer von ihnen begnadigt werden solle und wer nicht? Man wird einwenden: Das Gleichnis hinkt!

Ich weiß, dass es hinkt, wie jedes andere Gleichnis. Aber es kommt hier nur auf eine grundsätzliche Anwendung des Bildes an. Wenn alle Menschen gesündigt haben und dem gerechten Gericht Gottes, dem Tod und der Verdammnis, verfallen sind, ist es dann Gerechtigkeit oder Gnade, wenn Gott nicht alle dem Gericht anheimfallen, sondern es an einer Auswahl vorübergehen lässt? Vor allem, wenn Er das tut auf Grund eines stellvertretenden Sühnopfers, das Er selbst vorgesehen und bereitet hat? Und weiter: Steht nicht Gott die unumschränkte Entscheidung darüber zu, wen Er begnadigen will und wen nicht? Hat irgend einer der dem Gericht Verfallenen ein Anrecht, irgend einen berechtigten Anspruch an diese Begnadigung?

Und wenn nun noch hinzukommt, dass alle ausnahmslos den Gnadendarbietungen gegenüber sich ablehnend verhalten, die einen feindlich und böse, die anderen gleichgültig und sorglos? Wenn die "große Errettung", wie wir schon sagten, entweder verachtet oder vernachlässigt wird? Wenn die suchende Liebe klagend ausrufen muss: "Herr, wer hat unserer Verkündigung geglaubt?" Oder: "Den ganzen Tag habe ich meine Hände ausgestreckt zu einem ungehorsamen und widerspenstigen Volke"? (Röm. 10, 16. 21). Oder: "Ihr wollt nicht zu mir kommen, auf dass ihr Leben habet"? (Joh. 5, 40). Wenn "keiner da ist, der Gott suche", wenn "alle den Willen des Fleisches und der Gedanken tun"? (Eph. 2, 3).

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Betrachtungen über den Propheten Hosea

Bibelstelle: Hosea

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 95ff

Der Prophet erwähnt jedoch noch eine Verheißung, die noch weit kostbarer ist als die vom „Sand am Ufer des Meeres": „und es wird geschehen, an dem Orte, wo zu ihnen gesagt wurde: Ihr seid nicht mein Volk, wird zu ihnen gesagt werden: Kinder des lebendigen Gottes" (V. 10). Dieser Vers hat Bezug auf die Nationen und nicht auf Israel, wie der Geist Gottes uns in Römer 9 belehrt. Es ist zu beachten, dass wir ohne diese Belehrung im Neuen Testament in dem Vers in Hosea den Gedanken Gottes über die Heiden niemals entdeckt hätten. In Römer 9,24 - 26 führt der Apostel zwei Stellen aus Hosea an, um darzutun, dass Gott „Gefäße der Begnadigung" berufen hat: „uns, die er auch berufen hat, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Nationen". Die erste dieser Stellen ist Hosea 2,23 entnommen: „Ich werde Nicht-mein-Volk mein Volk nennen, und die Nicht-Geliebte Geliebte". Diese Worte beziehen sich ausschließlich auf Israel. Der Apostel Petrus gebraucht sie, als er sich an bekehrte Juden richtet: „die ihr einst ,nicht ein Volk' wäret, jetzt aber ein Volk Gottes seid; die ihr ,nicht Barmherzigkeit empfangen hattet', jetzt aber Barmherzigkeit empfangen habt" (1. Petrus 2,10). Petrus zeigt diesen aus dem Judentum hervorgegangenen Christen, dass das, was ihrem Volk für die Zukunft verheißen war, ihnen schon jetzt zum Besitztum gegeben war; er zeigt ihnen, dass sie das Recht hatten, sich das Volk Gottes zu nennen, dass sie zu Gott in Beziehungen standen, die sich auf Seine freie Gnade gründeten. Die zweite Stelle in Römer 9 ist Hosea 1,10 entnommen. Es ist dieselbe, die uns beschäftigt: „Und es wird geschehen, an dem Orte, da zu ihnen gesagt wurde: Ihr seid nicht mein Volk, daselbst werden sie Söhne des lebendigen Gottes genannt werden". In der Zukunft werden die Kinder Israel erfahren, dass Gott Sich an ihrer Stelle ein neues Volk zubereitet hat, das einen neuen Namen trägt: „Söhne des lebendigen Gottes". Dieser Name scheint von ganz besonderer Tragweite zu sein. Im Alten Testament steht der Name des lebendigen Gottes, des Gottes Israels, der in Sich Selbst das Leben hat, im Gegensatz zu den toten Göttern, den Götzen der Nationen. Im Neuen Testament ist Christus der Sohn des lebendigen Gottes (Mt. 16,16; Römer 1,4), als solcher erwiesen durch Toten-Auferstehung. Kraft dieser Auferstehung und des Herniederkommens des Heiligen Geistes besitzt der Christ dieselbe Verbindung mit Gott wie sein Herr und Heiland. Er ist Sohn Gottes, Sohn des lebendigen Gottes. Dies scheint mir die Tragweite dieser Stelle zu sein. Sie wendet sich an die Nationen, zu denen wir gehören, und verkündet die neue Verbindung mit Gott, in die sie eintreten werden durch einen auferstandenen Christus. Zweifellos dringt der Prophet nicht bis zu dem Geheimnis der Kirche vor, das im Alten Testament unbekannt ist, aber wir können sagen, dass dieses Geheimnis hier verborgen ist in den Worten: „des lebendigen Gottes". Diese Bezeichnung ist allen Propheten bekannt, aber sie wird hier für die künftige Zeit offenbart, wenn der Herr Seine Versammlung darauf bauen wird.

Und die Kinder Juda und die Kinder Israel werden sich miteinander versammeln, und sich ein Haupt setzen und aus dem Lande heraufziehen; denn groß ist der Tag von Jisreel" (1,11). Von der Segnung der Nationen geht der Prophet über zur künftigen Wiedervereinigung von ganz Israel. Der Stamm Juda, mit dem Gott noch Geduld übte, sollte nach den zehn Stämmen zerstreut werden, aber dies sollte nicht immer so bleiben. Wenn das Ziel des Kreuzes, die zerstreuten Kinder Gottes in eins zu versammeln (Johannes 11,52), hinsichtlich Israels nicht erreicht wurde, so wird doch die Zeit kommen, in der dieser Ratschluss sich erfüllt. Juda und Israel (oder die zehn Stämme) werden sich ein Haupt setzen; sie werden gemeinsam die Herrschaft des Christus anerkennen, den Juda verworfen hatte. Dann werden diese feindlichen Brüder einträchtig beieinander wohnen mit ihrem Haupte, dem Hohenpriester und König auf Seinem Thron. Christus ist dann ihr Führer geworden. Sie werden „aus dem Lande heraufziehen". Der Sinn dieses Wortes scheint mir dahin zu gehen, dass sie aus dem Boden Kanaans hervorgehen werden wie eine überreiche Ernte, denn, so fügt der Prophet gleich hinzu, „groß ist der Tag von Jisreel". Dann wird Jisreel, der Ort des Blutvergießens und der Vergeltung (V. 5), seine wahre Bedeutung erhalten: „Gott sät" (vgl. 2,23). Er sät, und die Ernte wird aufgehen, aber erst nachdem das Gericht über das Volk vollendet sein wird. Sobald der Tag von Jisreel von Gott Selbst eingeführt wird, kann es nur ein Tag zur Segnung sein. Wo Er gesät hat, kann die Ernte nur unendlich reich sein. Einst, unter Jehu, hatte der Mensch gesät und Sturm geerntet. Wenn aber Gott säen wird, so wird Er ein wohl geeintes Volk ernten, die reife Frucht Seines Werkes, versammelt unter göttlichem Oberhaupt. Dann wird man wirklich sagen können: „Groß ist der Tag von Jisreel"! *)

Wir haben in diesem Kapitel eine wichtige Zusammenfassung der Vergangenheit und Zukunft Israels und Judas gefunden. Die ganze Weissagung des Alten Testaments ist hier in einigen Worten zusammengedrängt: Die Verheißungen Gottes, das Volk unter Gesetz, das sich von Gott abwendet, das Gericht als Folge davon, der Abbruch jeder Verbindung zwischen Gott und dem Volk, das Ende Seiner Wege des Erbarmens mit dem Volk, der rechtmäßige Bund war von Israel gebrochen worden, - der Eintritt der Nationen in die Segnungen des neuen Bundes, eine Frucht der Auferstehung des von Israel verworfenen Christus, - dann aber, wie Gott die Beziehungen mit Israel wieder aufnimmt, wenn der auferstandene Christus zum Haupt Seines Volkes wird, wenn Er es in eins versammelt, nachdem es zerstreut war, und wenn Er eine überreiche Ernte auf der erneuerten Erde hervor sprießen lässt.

Kapitel 2: Gott verwirft Israel und führt es durch die Buße in die tausendjährigen Segnungen ein

Der erste Vers dieses Kapitels lautet: „Sprechet zu euren Brüdern: Mein Volk (Ammi), und zu euren Schwestern: Begnadigte (Ruchama)". Er scheint sich auf die Hoffnung zu beziehen, die Israel am Ende von Kapitel 1 gegeben wird. Es ist so, als ob der Prophet sagte: In den gegenwärtigen Tagen ist es möglich, die Kennzeichen eines Überrestes zu verwirklichen. Aber in einer zukünftigen Zeit, die noch nicht festgelegt ist, wird es Gläubige geben, die untereinander erkennen und anerkennen werden, was sie sind: das Volk Gottes und Menschen, die Barmherzigkeit erlangt haben. Diese Gläubigen werden jedoch „mit ihrer Mutter rechten" (V. 2). Vereint in dem glückseligen Gedanken, Gott anzugehören und in Seiner Gunst zu stehen, werden sie mit ihrer Mutter rechten, der Hure, dem abtrünnigen Israel. Sie ist nicht seine Frau, und er nicht ihr Mann (V. 2). Diese Treuen sind aus Gott hervorgegangen, denn der Geist der Prophezeiung (der Prophet) hat sie gezeugt. Aber sie müssen erkennen, dass das götzendienerische Israel ihre Mutter ist, und sie treten in einen Rechtsstreit mit ihr, um ihr, der Treuen, Anrecht an die Heiligkeit Gottes geltend zu machen. Ein letztes Mal wird dieses arme Volk aufgefordert - und zwar von seinen eigenen Kindern, die Gott angehören - von seinem bösen Weg umzukehren. Sonst wird Gott es entblößen, ihm alle seine Vorrechte wegnehmen, die Er ihm zugestanden hatte, und es in dem Gräuel seiner Hurerei zurücklassen, wo es einem unerbittlichen Gericht entgegengeht. (V. 3). Sogar seine Kinder, sofern sie nicht das Wesen des Überrestes annehmen, werden Lo-Ruchama (Nicht-Begnadigte) sein, denn sie sind die Frucht der Hurerei ihrer Mutter. Es wird also verschiedene Abkömmlinge Israels geben: Hurenkinder und Gotteskinder. Von letzteren heißt es: „Gehet hinaus aus ihrer Mitte, reinigt euch, die ihr die Geräte Gottes traget" (Jesaja 52,11)! und „ihr werdet mir zu Söhnen und Töchtern sein, spricht der Herr, der Allmächtige" (2. Korinther 6,18).

Wenn hier Israel Gott preisgibt, so sehen wir darin die Folge von Israels zügellosem Willen, der das Herz zu seinen Lüsten treibt und es in Auflehnung gegen Gott bringt. „Ich will meinen Buhlen nachgehen, die mir mein Brot und mein Wasser geben, meine Wolle und meinen Flachs, mein Öl und mein Getränk" (V. 5). Als ob dem treulosen Volk diese Dinge durch die Freigebigkeit der Welt, von der sie es empfangen wollte, zu eigen wären! - „Ich will... nachgehen!" Um wie viel unterscheidet sich doch dieser eigene Wille von dem Willen der Rebekka, die, von ihren Eltern befragt, ebenfalls antwortet: „Ich will gehen" (1. Mose 24,58). Strapazen, Entbehrungen, die Wüste ohne Brot, ohne Wasser, ohne Öl und ohne Wein, das bedeutet ihr nichts: Ich will gehen! Keine Annehmlichkeit, welche die Annehmlichkeiten ihres Elternhauses aufgewogen hätte; nichts, das den Gewohnheiten oder den Wünschen ihres natürlichen Herzens entsprochen hätte; alles in dieser Wüste ist gegen sie. Aber sie sagt: Ich will gehen! Denn sie blickt auf eine Person, der sie vertraut, an die sie glaubt und die sie liebt, ohne sie zu sehen: Isaak. Unter der Führung des Heiligen Geistes, Der sie in der Wüste nicht verlassen wird, ist sie bereit, alles aufzugeben, - die innigsten Familienbande, das Elternhaus, um zu ihm zu gelangen und sie ist bereit, alle Entbehrungen zu erdulden. Sie möchte bei ihm anlangen als eine reine keusche Jungfrau, der würdige Gegenstand seiner Zuneigung.

Beachten wir jedoch, dass nicht Rebekka es ist, die den Isaak zum Bräutigam erwählt. Er hat sie erwählt und ihr das Unterpfand seiner eigenen Liebe gegeben, noch ehe sie sich ihm ganz weiht. Das ist die erste Liebe, die Liebe des Bräutigams, die das Herz der Braut einnimmt, um es in seine Gegenwart zu ziehen. Am Anfang seines Weges hatte Israel diese Liebe gefunden, als es, von Ägypten losgekauft, hinter Gott herwandelte (Jeremia 2,1 - 3). Es hat sie verloren, weil es ,seinen Buhlen nachgeht' (V. 5). Und erst später, auf dem Weg der Buße, wird es sie wiederfinden (V. 14 - 17).

Welch ein Unterschied zwischen Israel, der Hure, und Rebekka! Israel spricht: „Ich will meinen Buhlen nachgehen", den Buhlen Assyrien und Ägypten. Für irdische Annehmlichkeiten, die sie (Israel) aus diesem Verkehr zu gewinnen meint, gibt sie sich ihnen hin. Sie erkennt nicht, dass selbst diese zeitlichen Annehmlichkeiten von Gott kommen. „Und sie erkannte nicht, dass ich ihr das Korn und den Most und das Öl gab",... - ja, schlimmer noch: aus den Reichtümern, die Gott ihr gibt, macht sie Götzenbilder: ... „und ihr Silber und Gold mehrte, was sie für den Baal verwendet haben" (V. 8). Aber der Schöpfer wird ihr Seine Gaben entziehen, und dann mag sie sehen, ob sie von ihren Buhlen kamen: „Darum werde ich mein Korn zurücknehmen zu seiner Zeit, und meinen Most zu seiner bestimmten Zeit, und werde ihr meine Wolle und meinen Flachs entreißen, die ihre Blöße bedecken sollten" (V. 9). Gott nimmt ihr die irdischen Güter und demütigt sie vor den Augen der Nationen (V. 10). Die Festfeiern, alles Gepränge ihres Kultes, werden ihr weggenommen (V. 11). Die Zeichen der Gunst Gottes, irdische Freude und Fülle, werden ihr entzogen: sie wird die Beute ihrer Feinde (V. 12). Gott wird sich für ihren Götzendienst rächen, denn „mich aber hat sie vergessen, spricht Gott" (V. 13).

Dieses Bild des Zustandes Israels ist auch das des gegenwärtigen Zustandes des christlichen Bekenntnisses. Man sucht die Welt und ihre Annehmlichkeiten, ihre Reichtümer und ihren Wohlstand, das behagliche Dasein, das sie uns verschafft, ohne dass man nach Gott fragt, dem diese Dinge doch gehören. Also benützt man jene Güter zur Befriedigung seiner Lüste und ist weit davon entfernt, alles aufzugeben, um Jesus nachzufolgen.

Fußnote:

*) Das ist wenigstens mein Vorschlag einer Erklärung dieser Stelle, die mehrere Auslegungen erfahren hat. Vergleiche mit „heraufziehen" (1,11) das Wort „darüber wachsen" (10,8). Es hat die gleiche Bedeutung, (im frz. Bibeltext beide Male „monter"). „Sich ein Haupt setzen" und „heraufziehen" stehen hier m. E. nicht miteinander in Verbindung.

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Das Wachsen einer Seele, oder: Gedanken aus dem Buche Ruth

Bibelstelle: Ruth

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 102ff

Alle Freunde der Bibel haben sich gewiss schon an der stillen Anmut erfreut, die durch die Lebensgeschichte von Ruth, der Moabitin, zieht. Wahre Schriftgelehrte, "die im Reiche der Himmel unterrichtet find" (Matth. 13, 52), haben die Bedeutung dieser Einzelerzählung im Plan der Geschichte Gottes näher erforscht und darin eine Illustration der Geschichte Israels in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erblickt.

Im folgenden aber sollen die Worte Gottes, die uns im Buche Ruth überliefert sind, eine mehr persönliche Sprache zu unseren Herzen reden.

In den Tagen, wo "ein jeder tat was recht war in seinen Augen" (Richter 21, 25), zieht Elimelech aus dem Stamme Juda mit seinem Weibe Noomi fort aus dem verheißenen Lande, weil eine Hungersnot ausgebrochen war. Die Sorge um sein persönliches, zeitliches Wohl war ihm wichtiger als die Verheißungen Gottes. Er war ein Mann, der wohl unter dem Volke Gottes lebte, aber persönliche Beziehungen zu seinem Herrn nie gekannt oder wieder verloren hatte. Auch seine Frau scheint darin mit ihm einig gewesen zu sein. Sobald Schwierigkeiten erscheinen, biegen sie vom geraden Wege aus und suchen sich selbst zu helfen, vielleicht noch mit der zweifelhaften Beruhigung ihres Gewissens: "Hilf dir selbst, so hilft dir Gott". Aber es gibt mancherlei schmerzliche Wege Gottes, denen wir nicht auszuweichen haben, sondern die wir wandeln müssen, weil sie eine Erziehung Gottes für uns bedeuten. Es ist eine völlig falsche und unbiblische Auffassung vom christlichen Leben, dass ebene Straßen das Gegebene und für uns Erwünschte seien. Viele scheinen zwar mit dem Vertrauen auf Gott einerseits und der Liebe Gottes zu uns anderseits den Gedanken zu verbinden, dass günstige Umstände das Lebenselement des Christen seien. Gewiss, "die Gottseligkeit ist zu allen Dingen nütze, indem sie die Verheißung des Lebens hat, des jetzigen und des zukünftigen". (1.Tim. 4, 8.) Aber die Zeiten der Dürre und Hungersnot sind oft bessere Lehrmeister, als der Überfluss. Das nach menschlichem Gutdünken geschickte Ausweichen vor der Belehrung Gottes bringt nur noch tieferes Weh über uns. Die kluge Reise Elimelechs mit seiner Familie in die Kornkammer Moabs endet bald mit völliger Enttäuschung: dreifacher Tod (Vater und zwei Söhne) ist die Quittung dieses eigenmächtigen, glaubenslosen Schrittes. Das Leben, das sie durch die Flucht zu gewinnen suchten, haben alle drei verloren, und einsam beklagt Noomi ihre Leere und die Bitterkeit und das Übel, das Gott als Zeugnis für ihren falschen Weg ihr hat begegnen lassen. Sie mag selbst ihren früheren Namen nicht mehr tragen: Noomi, die Liebliche, klingt ihr wie Hohn in den Ohren; Mara, die Bitterkeit, entspricht ihren jetzigen Umständen. Noomi war der Name, der ihr zugedacht war, Mara ist der Name, den sie sich selbst wählt. So ist gar mancher Christen bitteres Gesicht nicht das Ergebnis der ursprünglichen göttlichen Gedanken über sie, sondern das eines selbstgesuchten, vertrauenslosen Weges. (Lies Ruth Kap. 1.)

Wenn wir so aus dem Leben Noomis die warnende Stimme Gottes vernehmen, Ihm nicht aus der Schule zu laufen, so ist die Geschichte Ruths anderseits dazu angetan, uns zur Lehrmeisterin zunehmenden Gemeinschaftslebens mit Gott zu werden, eines christlichen Höhenwegs, an dessen Eingang die Worte stehen: "Der Pfad der Gerechten ist wie das glänzende Morgen- licht, das stets heller leuchtet bis zur Tageshöhe". (Spr. 4, 18.)

Ruth gehörte nicht zu dem auserwählten Volk. Sie ist eine Tochter einer gottfernen Nation, die sogar bittere Feindschaft gegen Gottes Volk im Herzen und zur Schau trug. Die Moabiter lachten über das Volk Israel; sie waren selbstzufriedene, sich selbst genügende Leute, sorglose Menschen, die ihren Geschmack und Geruch nicht verändert hatten. (Jer. 48, 11. 27. 29.) Hochmütig führten sie dieselbe Sprache, die uns später immer wieder begegnet: "Was kann aus Nazareth Gutes kommen?" Aber Ruth hatte ihre eigenen Gedanken über Gottes Volk. Vielleicht hatte, trotz aller Schwachheit, das Leben und Sterben ihrer neuen Verwandten doch einen Eindruck auf sie hinterlassen, so dass sie instinktiv fühlte, sie müsse diesen Gott näher kennen lernen. Ihre Erkenntnis ist noch klein, sie hat noch keine persönliche Erfahrung, aber sie ist völlig entschlossen, sich unter Seine Herrschaft zu begeben, dorthin zu gehen, wo man dem einigen Gott diente. "Dein Volk ist mein Volk, dein Gott ist mein Gott", sagt sie. Angesichts der Umkehr ihrer Schwägerin zurück ins alte Leben der Götzendienerei war es ein großer Entschluss, aber ihr Herz ließ ihr keine Ruhe. Sie nahm alle Folgen auf sich. Mochte auch der Tod ihr Los sein, zu ihren moabitischen Götzen kehrte sie nicht mehr zurück. Den lebendigen Gott, den "Ich bin der ich bin", Ihn wollte sie haben und zu Seinem Volke gezählt werden. Es war eine entschiedene Umkehr, eine Bekehrung von der Lüge zur Wahrheit.

Doch Ruth war nicht schnell zufrieden. Sie sonnte sich auch nicht in ihrem energischen Entschluss, sie tat sich nichts zu gut auf ihre alte Herkunft. Nichts von dem Stolz ihres früheren Lebens, das sie verurteilt, oder über die Hoffnungen des neuen, dem sie sich zugewandt hat, ist in ihrem Wesen zu erkennen. Sie ergeht sich nicht in frommen Gefühlen, wie man das nicht selten bei Neubekehrten finden kann, sondern tut ihre nüchterne Pflicht. Ihre gesunden Arme sollen nicht müßig bleiben, und keiner Arbeit will sie sich schämen, die ihr ein ehrliches Brot erwirbt. Sie hätte sich ja auch dem vermögenden Verwandten Boas, von dem ihr Noomi erzählte, zur Versorgung überlassen können. Nein, ihre Bescheidenheit und das Gefühl ihrer Unwürdigkeit, die hier in schroffem Gegensatz stehen zu ihrem unbeugsamen Willen bei ihrem ersten Auftreten, führen sie den unteren Weg. Sie arbeitet im Schweiße ihres Angesichts von früh bis spät auf dem Felde, um Ähren zu lesen. Die freundliche Anrede des Boas hält sie als seine angeheiratete Verwandte nicht für selbstverständlich, sondern ist darob tief ergriffen, in dem Bewusstsein, "eine Fremde" zu sein.

"Glückselig die Armen im Geiste , denn ihrer ist das Reich der Himmel." (Matth. 5, 3.) "Gott wider- steht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt Er Gnade." (Spr. 3, 34; Jak. 4, 6.) Gott kennt unser Herz. Ihm ist alles bekannt in unserem verborgenen Familienleben. Er weiß unsere Beweggründe. Er lässt sich nicht durch Worte blenden. Das Sehnen unserer Herzen soll gestillt werden. Ruth hat nicht umsonst "alles verlassen und ist zu einem Volk gezogen, das sie früher nicht gekannt hat". Großes ist ihr vorbehalten, der Hunger ihrer Seele soll gestillt werden. Jehova ist ihr nahe. Nicht nur zu Seinem Volk soll sie gehören, Er nimmt sie unter Seine Flügel. Das ein Heim suchende Küchlein findet ausgebreitete Flügel zu seiner Aufnahme und seinem Schutz bereit. (Lies Kap. 2.)

Doch noch ist der Höhepunkt nicht erreicht. Geistliches Wachstum braucht seine Zeit, und nichts ist dabei verloren, wenn es nur dem Ziel entgegengeht. So einfach und pflichtgetreu, wie sie gekommen, kehrt Ruth zu ihrer Schwiegermutter zurück und beweist ihre kindliche Liebe und Fürsorge. Alles will sie mit der teilen, die ihr den ersten Weg zum Volke Gottes gezeigt. "Ehre deinen Vater und deine Mutter", das ist "das erste Gebot mit Verheißung". (Eph. 6, 2.) Still geht Ruth ihren Weg, aber ihrer Schwiegermutter ist die Unruhe ihres Herzens nicht unbekannt. (Kap. 3, 1.) Wohl wohnt sie unter dem Volke des Gottes Israels, wohl hat sie die schützende Macht und Segnung der Flügel Jehovas erfahren, aber noch hat sie nicht volles Bürgerrecht, die Ruhe ist noch nicht völlig. Da wagt sie einen kühnen Schritt, der, falsch ausgelegt, oder gar, in unreiner, unheiliger Absicht ausgeführt, ihren Namen auf immer mit Schande bedeckt haben würde. In der Stille der Nacht legt sie sich zu den Füßen ihres "Lösers" und wartet darauf, was er ihr zu sagen hat.

Wie mancher Christ, der sich zum Volke Gottes hält und an den Segnungen, die sich in dessen Gemeinschaft finden, teilgenommen hat, wagt sich nicht mehr weiter, obgleich sein Herz noch nicht völlige Ruhe und Frieden kennt. Ist es die Furcht, was andere über eine völlige Hingabe an den Herrn Sage werden, die ihn zurückhält? Oder ist es die Angst, die Folgen und Folgerungen könnten zu einschneidend sein? Hier entscheidet es sich, ob das Herz noch andere Ziele hat und nicht un-geteilt dem Herrn gehören will. Glücklich alle, die wie Ruth, die Füße des Herrn umfassend, Seine Stimme hören: "Du hast deine letzte Güte noch besser erwiesen als die erste,*) indem du nicht den Jünglingen nachgegangen bist, sei es armen oder reichen. Und nun, meine Tochter, fürchte dich nicht! Alles, was du sagst, werde ich dir tun; denn das ganze Tor meines Volkes weiß, dass du ein wackeres Weib bist. Und nun, wahrlich, ich bin ein Blutsverwandter; doch ist auch ein näherer Blutsverwandter da als ich. Bleibe diese Nacht; und es soll am Morgen geschehen, wenn er dich lösen will, gut, so mag er lösen; wenn er aber keine Lust hat, dich zu lösen, so werde ich dich lösen, so wahr Jehova lebt!"

Die mutig und in kühnem Vertrauen ausgestreckte Hand ist nicht zurückgewiesen worden, sondern hat reichlich empfangen. All ihr Begehr soll erfüllt werden, und zwar ohne Verzögerung. (Kap. 3, 18.) Mit glücklichem Herzen und mit vollen Händen, reich beschenkt (V. 15), kehrt Ruth am Morgen nach Hause zurück. Alles wird jetzt geordnet. Was da noch für Schwierigkeiten vorliegen mögen, - Boas hat es versprochen: Ich will lösen. Und voll und rein klang auch in ihrem Herzen das alte Lied: "Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird Er auf der Erde stehen". (Hiob 19, 25. - Lies Kap. 3.)

Und wahrlich, das Vertrauen war auf keinen Unwürdigen gesetzt. "Heute musste die Sache zu Ende geführt werden." Wohl war nach dem Gesetz Gottes noch ein anderer da, der das erste Anrecht hatte. "Oder wisset ihr nicht, dass das Gesetz über den Menschen herrscht, so lange er lebt?" (Rom. 7, 1.) "Bevor der Glaube kam, wurden wir unter dem Gesetz verwahrt, eingeschlossen auf den Glauben hin, der geoffenbart werden sollte." (Gal. 3, 23.) Der andere war auch ein "Blutsverwandter", aber als es sich nun darum handelte, nicht nur Rechtmäßiges zu empfangen, sondern auch zu geben, ja, neues Leben zu wecken, da zog sich der "Blutsverwandte" zurück. Hingabe seiner selbst zum Nutzen eines anderen war ihm eine unerfüllbare Aufgabe. Damit aber war der Weg frei für den, der lösen wollte und konnte.

"Der Starke" (Boas bedeutet: "In ihm ist Stärke") tritt auf den Plan. Aber seine Stärke offenbart sich nicht in willkürlichem Niederreißen der gesetzten Schranken, sondern darin, dass er willig ist, sich selbst hin- zugeben, um Ruth und ihr Haus zu retten. "Als Christus ausgetilgt die uns entgegenstehende Handschrift in Satzungen, die wider uns war, hat Er sie auch aus der Mitte weggenommen, indem Er sie an das Kreuz nagelte." (Kol. 2, 14.) "Als aber die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott Seinen Sohn . . " auf dass Er die, welche unter Gesetz waren, loskaufte." (Gal. 4, 4. 5.) Was in der Nacht auf der Tenne Ruth schon zur persönlichen Gewissheit geworden war, wurde jetzt vor aller Augen bekannt. Boas hatte sie gelöst, gelöst, um sie zum Weibe zu nehmen. Sie hatte sich in dem Bewusstsein, dass nur er ihrem Herzen völlige Ruhe geben konnte, ihm zu Füßen geworfen; er aber zog sie an sein Herz, damit sie nun immer ihm gehöre. Völliges Glück war eingekehrt bei der heimatlosen Moabitin, die jetzt das Weib des Boas geworden war, des "vermögenden Mannes". (Lies Kap. 4.)

Das ist die Antwort Gottes auf das völlige Vertrauen in Ihn. (Kap. 1.) Wer nicht nur umkehrt und sich hält zum Volke Gottes, wer nicht nur Zuflucht sucht unter Seinen Flügeln (Kap. 2; s. auch Ps. 91, 4), sondern sich in völligem Vertrauen zu Jesu Füßen wirft und nichts anderes mehr begehrt als Ihn (Kap. 3), dessen bleibendes Teil soll die innigste Zuneigung Seines Herzens und Seine beständige Gemeinschaft sein. (Kap. 4.) Ist es nicht derselbe Gedanke, den wir in Röm. 8, 30 wiederfinden? "Welche Er aber zuvor bestimmt hat diese hat Er auch berufen, und welche Er berufen hat" diese hat Er auch gerechtfertigt, welche Er aber gerechtfertigt hat, diese hat Er auch verherrlicht."

So haben wir das Leben der Ruth begleitet von einem verlassenen Fremdling bis hinauf zum Weibe des "vermögenden Mannes". Es ist das Wachsen einer Seele, die immer näher andrängt und nicht zur Ruhe kommt, bis sie trotz der Heiligkeit des Gesetzes in vollkommenem Frieden ruht am Herzen Gottes auf Grund des Werkes Jesu. Aber so wie Ruth im Anfang nicht auf halbem Wege stehen blieb und, schnell befriedigt, bei dem ersten erreichten Ziel ausruhte, so ist auch am Ende ihre Gemeinschaft mit Boas nicht dem eigenen Genuss gewidmet. Aus der Ehe der beiden entsprießt ein Sohn, über den die Leute der Stadt jubelten als einen "Erquicker der Seele". Sein Name ist Obed, zu Deutsch "Diener". Dienst für andere war seines Vaters Gesinnung, daraus entspross das neue Leben. Auch der Sohn soll denselben Wunsch im Herzen tragen, der den Vater beseelte. "Ich habe euch ein Beispiel gegeben, auf dass, gleichwie ich euch getan habe, auch ihr tuet. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ein Knecht ist nicht größer als sein Herr, noch ein Gesandter größer als der ihn gesandt hat. Wenn ihr dies wisset, glückselig seid ihr, wenn ihr es tut." (Joh. 13, 15 - 17.)

"Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird Überfluss haben; wer aber nicht hat, von dem wird selbst was er hat genommen werden." (Matth. 13, 12.)

Fußnote:

*) Wohl in dem Sinne: du hast noch schöner oder edler gehandelt als zuvor. Andere übersetzen: "du hast deine Liebe noch besser erwiesen usw."

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Gedanken

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 111ff

Mancher Gläubige liebt es, schlecht von sich zu denken und auch in diesem Sinne von sich zu reden. Wer aber mit sich selbst zu Ende gekommen ist, freut sich, dass er nicht mehr an sich zu denken und von sich zu reden braucht; er möchte nur noch an Christum denken und, auf Ihn blickend, Sein Leben und Seine Gesinnung in dieser Welt zur Darstellung bringen. Dass wir, wenn wir gefehlt haben, uns mit uns selbst beschäftigen müssen, indem wir uns im Lichte Gottes zu richten haben, ist freilich wahr; aber das ist nicht der regelrechte, von Gott gewollte Zustand eines Gläubigen. Der Heilige Geist, anstatt uns weiter und weiter in die Dinge Christi einführen zu können, wie Er es so gern tut, muss dann unsere Aufmerksamkeit auf uns und unsere verkehrten Wege richten. Welch ein Verlust!

Gott kennt nichts Größeres und Herrlicheres als Christum, und Er will stets unsere Blicke auf Ihn lenken, an dessen vollkommener Schönheit Er Seine Wonne hat. Es ist eine unaussprechliche Gnade, dass der "Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Christi" in unsere Herzen hineingeleuchtet hat, aber hierin liegt auch eine ernste Verantwortlichkeit für uns. Der Christus, den wir "mit aufgedecktem Angesicht" anschauen, hat die Strahlen Seines Lichts über uns ausgegossen, damit es wieder aus uns hervorstrahle. Dieses Licht ist einzig und allein in dem Herrn Jesus, und darum, wenn wir mit uns selbst beschäftigt sind kann von einem Widerschein desselben unserseits keine Rede sein.

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Der glückliche Tausch

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 112

Das Diesseits ist mir viel zu klein,

dem Jenseits zu vergleichen.

Hier kann nicht meine Heimat sein,

wo Freund und Bruder weichen.

Mich zieht`s zu jenem selige Ort,

wo Jesus wohnt, und fort und fort

ein Friede ohnegleichen.

Das Diesseits birgt der Sünde Weh,

dräut mir des Todes Schrecken.

Im Jenseits ich den Heiland seh,

des Gnad und Huld mich decken.

Hinan zu jener Herrlichkeit,

die durch Sein Kreuz auch mir bereit,

will ich mich täglich strecken.

Das Diesseits ist mir viel zu arm,

um seinem Glück zu trauen.

Zum jenseits führt ein starker Arm

durch Glauben mich zum Schauen.

Dort sehn ich nimmer mich zurück,

dort blüht ein ungetrübtes Glück

auf Salems goldnen Auen.

Freund! Diesseits ruft der Herr dir zu:

Ich will dich selig machen!

Wohlan, die Zeit verfliegt im Nu,

heut gilt es, aufzuwachen!

Ergreife Seine Retterhand,

und sicher fährt zum Heimatland

ins Jenseits auch Dein Nachen.

H.K.

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Nach Wahl der Gnade

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 113ff

Aber die Heiden, höre ich einwenden, und so viele, viele andere Menschen, die, gleich ihnen, nie von Jesu gehört haben! Was können sie dafür, wenn kein Prediger zu ihnen gekommen ist? Sagt doch das Wort Gottes selbst: "Wie werden sie an Den glauben, von welchem sie nicht gehört haben? Wie aber werden sie hören ohne einen Prediger?" (Röm. 10, 14.)

Ja, so redet die Schrift, und der Herr Jesus selbst bezeugt, dass "die Schrift nicht aufgelöst werden kann". (Joh. 10, 35.) Wir müssen also diese Stelle, wie alle anderen, genauso nehmen, wie sie geschrieben steht. Es ist so, die Heiden können nicht an Jesum glauben oder Ihn anrufen, wenn ihnen nicht die gute Botschaft gebracht wird. Darum sollten wir allezeit "überströmend sein im Werke des Herrn" und, von der Liebe Christi gedrängt, nicht müde werden, von Ihm zu zeugen und für die weitest gehende Verbreitung des Evangeliums in Wort und Schrift einzutreten. Aber wenn die Heiden auch nicht glauben können, weil ihnen kein Prediger die gute Botschaft bringt, sind sie deshalb schuldlos? Hören wir, was der Heilige Geist uns durch den Apostel Paulus über diese Frage zu sagen hat. Wir kommen damit auf Röm. 1, 18 zurück: "Denn es wird geoffenbart Gottes Zorn vom Himmel her". Auch über die Heiden? Ja, lautet die Antwort Gottes, über "alle Gottlosigkeit (d. i. der Zustand der Heiden) und Ungerechtigkeit der Menschen, welche die Wahrheit in Ungerechtigkeit besitzen" (das sind die Juden oder heute die Namenchristen); und der Apostel zögert nicht, den Beweis für seine Behauptung anzutreten. Im ersten Kapitel redet er von den Heiden, im zweiten bis zum 21. Verse des dritten Kapitels von den Juden; heute müsste man, wie gesagt, die ganze Namenchristenheit miteinschließen.

Drei Gründe zählt der Apostel auf für die Schuldbarkeit der Heiden vor Gott.

1. Sie besitzen das Zeugnis der Schöpfung. Das von Gott Erkennbare, Seine ewige Kraft und Göttlichkeit, wird von Erschaffung der Welt an in den von Ihm gemachten Dingen wahrgenommen (V. 19. 20).

2. Sie haben im Anfang die Kenntnis Gottes gehabt (V. 21).

3. Sie haben ein (wenn auch irregeleitetes) Gewissen, das in ihrem Innern zeugt, so dass "ihre Gedanken sich untereinander anklagen oder auch entschuldigen". (Kap. 2, 14. 15.)

Was haben sie mit diesen drei großen Gütern gemacht? Obwohl sie Gott kannten und in Seiner Schöpfung immer wieder von Seiner Größe, Macht und Weisheit überführt wurden, haben sie "weder Ihn verherrlicht noch Ihm Dank dargebracht", sondern sind hochmütig geworden, weise in ihren eigenen Augen, sind in Torheit und Herzensverfinsterung verfallen und haben sich vermessen, die Herrlichkeit des unverweslichen Gottes in Bildern von verweslichen Menschen oder Tieren darzustellen. Ja, mehr noch! Indem "sie es nicht für gut fanden, Gott in Erkenntnis zu haben" und dem schlimmsten Götzendienst frönten, haben sie sich den schändlichsten Leidenschaften hingegeben und Dinge getrieben, die zu abscheulich sind, um sie nur zu nennen. Dabei sind sie sich des Bösen ihrer Handlungen wohl bewusst gewesen. Ihr Gewissen hat es ihnen bezeugt, sie haben "Gottes gerechtes Urteil erkannt, dass, die solches tun, des Todes würdig sind", aber anstatt sich mit Abscheu von jenen Scheußlichkeiten abzuwenden, haben sie sie nicht nur selbst ausgeübt, sondern auch Wohlgefallen an denen gehabt, die sie trieben. (V. 32.)

So sind denn die Heiden ausnahmslos "ohne Entschuldigung" (V. 20) und sind, wenn auch ihre Schuld nur fünfzig Denare betragen mag, den fünfhundert oder fünftausend der Juden und Namenchristen gegenüber, doch auf gerechter Grundlage dem Gericht Gottes verfallen. "Denn es ist kein Unterschied , denn alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes." (Kap. 3, 19. 22. 23.) Nicht einer von ihnen wird dereinst ein Wort zu sagen haben gegen das Urteil Gottes; sie alle werden es als gerecht und in jeder Beziehung verdient aberkennen müssen. Ja, mehr als das, jeder wird gezwungen sein, zu bezeugen, dass Gott sich in den Jahren seines Erdenlebens vielfach an ihm bezeugt und ihn "mit vieler Langmut ertragen hat" (Römer 9, 22).

Wenn man nun fragt: "Kann der gerechte Gott solche Menschen, die nie Sein Evangelium gehört haben, nichts von demselben wußten, verdammen, weil sie es nicht angenommen haben!?" und dann hinzufügt: "Wir sind nicht so fanatisch, dies glauben zu können", so lautet die einfache Antwort: Wir auch nicht. Gott verlangt auch gar nicht von uns, dass wir etwas so Sinnloses glauben sollen. Nein, Gott richtet die Heiden nicht deshalb, weil sie nicht geglaubt haben - Er selbst lässt uns ja sagen, dass sie das nicht können - sondern weil sie "die Wahrheit Gottes in die Lüge verkehrt" und Sünde auf Sünde gehäuft haben.

"Aber", wendet man hier wieder ein, "wo steht denn geschrieben, dass für alle Menschen mit dem Tode des Leibes die Gnadenzeit aushöre?" Ja, man behauptet sogar, dass Gottes Gerechtigkeit verlange, dass alle Menschen entweder in diesem Leben oder nach dem Tode vor die Frage gestellt werden müssen, ob sie sich für oder gegen Christum entscheiden wollen.

Wieder dieselbe vermessene Sprache, der wir schon einmal begegneten, derselbe Hochmut, der dem großen Gott Seine Wege vorschreiben und Ihn die Pfade des Rechts lehren will. Ist Gott denn dem Menschen überhaupt etwas schuldig? Ist es nicht unumschränkte, bedingungslose Gnade, wenn Er dem kraftlosen und feindlichen Menschen entgegenkommt, um ihn zu erretten? Bedingt nicht der Begriff "Gnade" an und für sich schon Handlungen oder Zuwendungen, auf die der empfangende Teil keinerlei Ansprüche hat? Und wenn man nun eine Schriftstelle dafür fordert, dass wirklich für alle Menschen mit dem leiblichen Tode die Gnadenzeit aufhöre, so braucht man nur an die eine Stelle zu erinnern, in welcher mit Ausschluss jeder Zweideutigkeit gesagt ist, dass "den Menschen (ganz allgemein, ohne Ausnahme) gesetzt ist, einmal zu sterben (dass hier von dem leiblichen Tode geredet wird, dürfte wohl niemand bestreiten), und danach das Gericht" (Hebr. 9, 27). Schon diese eine Stelle genügt für ein dem Worte Gottes unterwürfiges Herz zur Entscheidung der Frage, ganz abgesehen von den zahlreichen Stellen, die das Heute der Gnade, die dem Menschen in seinem Leibesleben gegebene Gnadenzeit, als die einzige Gelegenheit bezeichnen, in welcher er Heil und Frieden finden kann. Nach diesem Leben gibt es für alle, die in ihren Sünden gestorben sind, nur Gericht. Sicher wird es, um dies nochmals zu betonen, den Bewohnern von Sodom und Gomorra, Tyrus und Sidon "erträglicher ergehen" als denen, die die Heilsbotschaft gehört und bewusst ausgeschlagen haben; aber was alle ausnahmslos erwartet, ist "der Tag des Gerichts" (Matth. 11, 20 - 24). "Gott hat einen Tag gesetzt, an welchem Er den Erdkreis (nicht nur Israel und die christlichen Völker, sondern die ganze bewohnte Erde) richten wird in Gerechtigkeit". Darum "gebietet Er jetzt den Menschen, dass sie alle allenthalben Buße tun sollen". (Apstgsch. 17, 30. 31.)

Ich gehe hier nicht noch einmal auf die immer wieder angeführte Stelle 1. Petr. 3, 19. 20 ein. Es ist schon so oft und unwiderleglich gezeigt worden, dass die Erklärung, unser Herr und Heiland habe den abgeschiedenen Geistern während der Zeit Seines Weilens im Hades gepredigt, völlig unhaltbar ist, dass es sich wohl erübrigt, noch einmal darauf zurückzukommen. "Warum sollte auch gerade jenen "Ungehorsamen" die frohe Botschaft noch einmal verkündigt worden sein? Warum nur ihnen? (Denn um andere abgeschiedene Seelen handelt es sich an dieser Stelle nicht.) Hätten die übrigen Toten, die während ihres Lebens keine Gelegenheit hatten, die Botschaft Gottes zu hören, dann nicht viel eher Anspruch auf diese gnädige Ausnahme gehabt?*)

Die Berufung auf 1. Petr. 4, 6: "Denn dazu ist auch den Toten gute Botschaft verkündigt worden, auf dass sie gerichtet werden möchten dem Menschen gemäß nach dem Fleische, aber leben möchten Gott gemäß nach dem Geiste", als beweise diese Stelle die Behauptung, der Herr Jesus habe den abgeschiedenen Geistern gepredigt, ist ebenfalls hinfällig. Der Apostel redet hier davon, dass der Herr "bereit sei, Lebendige und Tote zu richten", d. h. also alle, die bei der Ausübung diesem Gerichts leben oder bereits gestorben sind. Das Gericht der Lebendigen war den Juden (denn an solche schreibt Petrus) wohlbekannt, aber die Wahrheit, dass auch alle die längst Verstorbenen, "alle, die in den Gräbern sind", wieder hervorkommen müssen, um gerichtet zu werden, war ihnen weniger geläufig. Das Gericht der "Lebendigen" wird, wie uns aus anderen Stellen bekannt ist, stattfinden, wenn Jesus "in Seinem Reiche kommt", das Gericht der "Toten" nach Beendigung des Tausendjährigen Reiches, unmittelbar vor dem Augenblick, "wenn Er das Reich dem Gott und Vater übergibt". (1. Kor. 15, 24; Matth. 25, 31 -46; Offbg. 20, 11 - 15). Von dem Sündenfall an bis zum Kommen des Sohnes Gottes auf diese Erde hat es, wenn auch nicht in der Klarheit wie heute, ein Evangelium, eine Gnadenbotschaft gegeben (es wird deshalb auch in Offbg. 14, 6 "das ewige Evangelium" genannt), und der Glaube hat es erfasst, obwohl es, wie schon angedeutet, in seiner ganzen Fülle erst nach dem Tode und der Verherrlichung Christi gepredigt und aufgenommen werden konnte.

Der Sinn der Stelle ist also sehr einfach. Der Apostel denkt gar nicht an die "Geister", von denen er in Kap. 3, 19. 20 redet und die doch nur einen verhältnismäßig kleinen Teil der Verstorbenen ausmachen, sondern an die "Toten", und zwar an alle Toten; auch gebraucht er an den beiden Stelleu ganz verschiedene Wörter: im 3. Kapitel heißt es einfach "predigen", denn die Botschaft Noahs, des "Predigers der Gerechtigkeit", war kein eigentliches Evangelium, sondern eine ernste Ankündigung des Gerichts; im 4. Kapitel dagegen finden wir das Wort "evangelisieren", d. i. gute Botschaft verkündigen. Und wenn man gar diese Stelle anführen will, um eine gegenwärtige oder noch zukünftige Predigt des Evangeliums an die Toten zu beweisen, so ist es erst recht nichts damit. Petrus sagt nicht: "wird gepredigt", oder: "wird gepredigt werden", sondern: "ist gepredigt worden". Das,wovon er redet, liegt also in der Vergangenheit, ist geschehen, und zwar wiederum zu dem Zweck geschehen, "damit sie (die die Predigt gehört haben) ohne Entschuldigung seien".

Aber - o wann werden die Einwendungen des Menschen verstummen!? aber, sagt man, es steht doch geschrieben, dass "ganz Israel errettet werden solle"! (Röm. 11, 26). Und: "Gott will nicht, dass irgendwelche verloren gehen, sondern dass alle zur Buße kommen". (2. Petr. 3, 9; vergl. 1. Tim. 2, 4.) Das erste Wort spricht derselbe Apostel aus, der einige Kapitel vorher sagt, dass nur ein Überrest aus Israel errettet werden wird. (Rom. 9, 27.) Wenn er also von ganz Israel spricht, so kann er schon aus diesem Grunde nicht alle Juden meinen, die je gelebt haben und noch leben werden. Er schildert im 11. Kapitel des Römerbriefes, wie schon früher bemerkt, die Wege Gottes mit dem Volke Israel und den Nationen, wie die Fettigkeit des Ölbaumes zuerst den natürlichen Zweigen, Israel, zugute gekommen, dann den Heiden zugewandt worden ist, die infolge des Unglaubens Israels in den Ölbaum eingepfropft wurden, dann aber aus demselben Grunde auch wieder ausgehauen werden sollen, um von neuem Israel Platz zu machen. Wenn nun Gott am Ende der Tage, wie die Propheten des Alten Bundes es wieder und wieder bezeugen, Seinem irdischen Volke sich wieder in Gnaden zuwenden und der Überrest des Volkes (die große, ungläubige Masse kommt in den vorhergehenden unvergleichlichen Gerichten um) den aus Zion gekommenen Erlöser in Buße und Glauben annehmen wird, "an jenem Tage" wird das ganze noch lebende Volk errettet werden. "Und sie werden nicht mehr ein jeder seinen Nächsten und ein jeder seinen Bruder lehren und sprechen: Erkennet Jehova! denn sie alle werden mich erkennen von ihrem Kleinsten bis zu ihrem Größten, spricht Jehova" (Jer. 31, 34).

Nicht ein Israelit wird ins Tausendjährige Reich eingehen, der nicht errettet wäre. "Sie alle werden Gerechte sein, werden das Land besitzen auf ewig", denn Gott wird "sie reinigen von all ihrer Ungerechtigkeit und alle ihre Missetaten vergeben". (Jes. 60, 21; Jer. 33, 8.) "Man wird nicht übeltun noch verderbt handeln auf meinem ganzen heiligen Gebirge." (Jes. 11, 9.)

Auf den zweiten Einwurf, dass Gott nicht will, dass irgendwelche verloren gehen, sondern dass alle zur Buße kommen, möchten wir an dieser Stelle nur noch einmal erwidern: Es ist sicher nicht der Gnadenwille Gottes, dass ein Mensch verloren gehe. Aber wenn der Mensch "den Reichtum Seiner Gütigkeit und Geduld und Langmut verachtet" und sich "durch die Güte Gottes nicht zur Buße leiten lässt", wie wäre es dann anders möglich, als dass er "nach seiner Störrigkeit und seinem unbußfertigen Herzen sich selbst Zorn aufhäuft", einen Zorn, der "am Tage des Zornes und des gerechten Gerichts Gottes" ihn treffen und "einem jeden vergelten wird nach seinen Werken"? (Röm. 2, 4 - 6).

Gott will wahrlich nicht den Tod des Sünders, Er will vielmehr, dass er sich bekehre und lebe; wenn aber der Mensch sein Herz verhärtet, seinen Sinn verstockt und, gleich den Pharisäern und Gesetzgelehrten zur Zeit des Herrn Jesus, "den Ratschluss Gottes in Bezug auf sich selbst wirkungslos macht", was dann?

Fußnote:

*) Vergleiche die im gleichen Verlag erschienene Schrift: "Ewige Verdammnis und Wiederbringungslehre", Seite 37 - 39.

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Die Schöpfung und die ersten Menschen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 121ff

Die Schöpfungsgeschichte ist die Einführung in die ganze Heilige Schrift. Und welch eine Einführung!

Schon der erste Vers ist eine Offenbarung von unendlich größerer Wichtigkeit, als alle Ergebnisse menschlicher Weisheit zusammengenommen. Es ist die Wahrheit. Der eine Vers sagt uns alles, was wir nach dem wohlgefälligen Willen Gottes von der ursprünglichen Erschaffung der Welt wissen sollten.

"Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde." Wann dieser Anfang war, wie viele Zeitalter seitdem verflossen sind, sagt uns das Wort nicht. Der Mensch meint, in den Schichten der Erde Dinge gefunden zu haben, die der biblischen Mitteilung widersprechen. Er sagt: Die Erde ist viel, viel älter als sechstausend Jahre. Gottes Wort widerspricht dem gar nicht. Es ist schon oft gesagt worden, dass der erste Vers der Bibel für sich dasteht. Ihn mit dem folgenden Verse in Verbindung zu bringen, würde bedeuten, Gott zu einem Schöpfer von Verwirrung zu machen. Aber das ist unmöglich, Er ist ein Gott der Ordnung. In Jes. 45, 18 lesen wir: "Nicht als eine Öde hat Er sie (die Erde) geschaffen, um bewohnt zu werden, hat Er sie gebildet".

Es wird uns nicht mitgeteilt, durch welche Ursachen die Erde in den Zustand der Verwüstung und Verödung gekommen ist, wie er im zweiten Verse beschrieben wird. Wir brauchen auch nichts darüber zu wissen.

Unser Kapitel offenbart und beschäftigt sich mit dem, was Gott getan hat, um die Erde für den Menschen wohnlich zu machen. Die Ergebnisse der sechs Schöpfungstage waren für den Menschen bestimmt. Weder hier noch in dem ganzen ersten Buche Mose ist die Rede von der Erschaffung der Engel oder der Fürstentümer und Gewalten in den himmlischen Örtern (Kol. 1, 16), noch von dem, was Gott für diese himmlischen Wesen getan hat. Es wird uns nur geoffenbart, wie Gott die Erde zur Aufnahme der Menschen bereit gemacht hat.

"Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis war über der Tiefe." In diesem Zustand war die Erde für die Bedürfnisse des Menschen untauglich; alles war in Unordnung und Finsternis. "Und der Geist Gottes schwebte über den Wassern." Ja, der Geist Gottes war beschäftigt, eine Wohnstätte für den Menschen zu suchen und zuzubereiten.

"Und Gott sprach: Es werde Licht! und es ward Licht. Und Gott sah das Licht, dass es gut war." Alles das war für den Menschen. Wie hätte er ohne Licht bestehen können? Tag und Nacht waren nötig und gut für ihn, ebenso das Firmament (die Ausdehnung) und der Luftkreis, ohne den er weder sehen, hören, sprechen noch sich bewegen könnte. In ihm lebt und schwebt der gewaltige Adler wie das kleinste, dem Auge kaum sichtbare Insekt. Infolge der wundervollen Ausgeglichenheit der Luft kann der Tau aufsteigen oder sich senken, können Tausende von Tonnen Wassers als Wolken über der Erde schweben oder als Regen auf sie herabfallen. Groß und wunderbar erscheinen die Weisheit und Liebe Gottes zu Gunsten des Menschen an jedem Schöpfungstage.

Wie gut war es z. B. für den Menschen, dass die Wasser sich an einem Orte sammelten und das Trockene sichtbar wurde! Und wenn Gott sprach: "Die Erde lasse Gras hervorsprossen, Kraut, das Samen hervorbringe, Fruchtbäume, die Frucht tragen nach ihrer Art", war es nicht wiederum für den Menschen bestimmt? So redet denn jede Blume, jeder Grashalm zu uns von Gottes liebevoller Sorge und von Seinen Gedanken für den Menschen. Alles was Gott schuf, war gut, ja, gut für den Menschen. Alles geschah zu seinem Besten.

Es wird oft übersehen, dass es sich in 1. Mose 1 nicht um einen allgemeinen Schöpfungsbericht handelt, sondern um Gottes Bericht darüber, wie Er diese Erde für den Menschen passend machte und alles, Sonne und Mond miteingeschlossen, dazu bestimmte, seinem Glück zu dienen.

Über andere, viel größere Sonnen in der unermesslichen Weite des Weltalls wird deshalb wenig gesagt. Diese senden wohl ihr fernes Licht auf die Erde, aber sie haben keinen unmittelbaren Einfluss auf sie. Deshalb hören wir auch über sie nur die wenigen Worte: "Er machte auch die Sterne".

Am fünften Tage wird den Wassern befohlen, "zu wimmeln vom Gewimmel lebendiger Wesen". Auch schafft Gott "alles geflügelte Gevögel nach seiner Art".

Schließlich wird der Erde geboten, "lebendige Wesen nach ihrer Art hervorzubringen". Aber alles - Fische, Vögel, Vieh und Getier der Erde - alles war für den Menschen bestimmt und wurde seiner Herrschaft unterstellt.

"Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen in unserem Bilde, nach unserem Gleichnis usw." Welch ein Gegensatz zu den Worten: "Es wimmeln die Wasser", oder: "Die Erde bringe hervor"! Der Ratschluss Elohims, das wohlüberlegte Werk des dreieinigen Gottes, kommt zur Ausführung. "Lasset uns Menschen machen!"

Kein anderes bis dahin gebildetes Geschöpf konnte in geistiger Beziehung zu Gott stehen, aber wenn nun der Mensch gebildet wird, so lesen wir: "Und Jehova Gott bildete den Menschen, Staub von dem Erdboden, und hauchte in seine Nase den Odem des Lebens; und der Mensch wurde eine lebendige Seele". (Kap. 2, 7.) Wie gewaltig ist der Unterschied zwischen dem so gebildeten Menschen und den Geschöpfen, welche vom Wasser oder von der Erde hervorgebracht wurden! Zunächst ging Gott mit sich selbst zu Rate, dann bildete Er den Menschen in Seinem Bilde, nach Seinem Gleichnis, und schließlich hauchte Er den Odem des Lebens in seine Nase. So wurde der Mensch eine lebendige Seele.

Und nun wird dieser Mensch als Haupt und Mittelpunkt der ganzen Schöpfung in den von Jehova gepflanzten Garten gestellt, mitten in die Quelle des Segens hinein. Denn nicht nur ließ Gott allerlei liebliche Bäume mit herrlichen Früchten in Eden wachsen, sondern aus dem Garten floss auch ein Strom, der sich in vier Arme teilte, um zunächst den Garten und dann die Erde zu bewässern. Auch stand der Baum des Lebens in der Mitte des Gartens. Überdies hatte der Mensch das wunderbare Vorrecht, die Besuche Gottes zu empfangen und Seine Stimme zu vernehmen.

Nur von einem Baume durfte Adam nicht essen. Seine Abhängigkeit als Geschöpf wurde dadurch erwiesen, und sein Gehorsam auf die Probe gestellt. Aber mit welch liebender Sorgfalt gedachte Jehova des Menschen! Eine Gehilfin wird gebildet gemäß Seines Ratschlusses, in jeder Weise passend für ihn, ja, ein Teil von ihm selbst, von seinen Gebeinen und seinem Fleische.

Ohne Zweifel ist in diesem allem neben dem geschichtlichen Bericht eine hohe, himmlische Wahrheit enthalten. Adam war, wie das Wort uns sagt, ein Gleichnis von Ihm, der da kommen sollte und gekommen ist. Und so wie Eva, ein Bild der Kirche, gebildet und zu Adam gebracht wurde, bevor die Zeit der Sünde und der Leiden anbrach, so, wissen wir, ist auch die Versammlung (Gemeinde) in Christo auserwählt worden vor Grundlegung der Welt (Eph. 1).

Haben wir uns bisher mit dem Tun Gottes beschäftigen können und nur Gutes gesehen, so kommen wir jetzt zu dem Tun des Menschen und damit zu dem Ursprung alles Jammers und Elendes in der Welt. Das Weib hört auf die lügnerischen Einflüsterungen der alten Schlange. Es misstraut Gott und glaubt Satan! Das einzige Gebot Gottes übertretend, nahm Eva von der verbotenen Frucht und aß, und "sie gab auch ihrem Manne mit ihr, und er aß". (Kap. 3, 6.) Unmittelbar darauf zeigt sich die Wirkung dieses Schrittes. Beide waren auch vorher unbekleidet gewesen, aber sie hatten sich nicht geschämt. Nun aber "wurden ihrer beider Augen aufgetan, und sie erkannten, dass sie nackt waren". Ein bisher nicht gekanntes Gefühl der Scham und Schuld ergriff sie. Sie hefteten Feigenblätter zusammen, um sich Schürzen zu machen. Aber alle Bemühungen, sich einzuhüllen und das Geschehene zu verbergen, waren umsonst. Der nackte, schuldige Adam war durch die Feigenblätter hindurch sichtbar. Heute ist es nicht anders. Wie viele suchen sich hinter Werken der eigenen Gerechtigkeit zu verbergen, machen sich auch Schürzen aus Feigenblättern! Aber wie könnten religiöse Anstrengungen irgendwelcher Art Sünde und Schuld vor den Augen des dreimal heiligen Gottes verdecken? Unmöglich!

Jehova-Gott hatte jetzt vier Fragen an den Menschen zu stellen, zwei in Bezug auf ihn selbst, zwei in Bezug auf seinen Nebenmenschen. Diese Fragen gelten heute noch.

Die erste, an Adam gerichtete Frage lautet: "Wo bist du?" Was war der Zustand Adams in jenem Augenblick? Er fürchtete sich vor Gott und suchte sich vor Seinem Angesicht zu verstecken. Genauso ist es mit dem Menschen heute. Schamerfüllt und schuldbewusst, flieht er die Gegenwart Gottes. Sie erweckt Furcht und Schrecken in seiner Seele.

Die zweite Frage richtet sich an Eva und lautet: "Was hast du da getan?" Beide, Adam und Eva, suchen sich zu entschuldigen und Gott für das Geschehene verantwortlich zu machen. Vergebliches Bemühen! Wenn Gott einmal mit dem Sünder ins Gericht geht wegen seiner Sünden, so wird dieser auf taufend Fragen nicht ein Wort zu erwidern wissen.

Aber noch eine dritte Frage wird gestellt. Sie richtet sich an Kain: "Wo ist dein Bruder Abel?" Kain antwortet: "Ich weiß nicht; bin ich meines Bruders Hüter?" Bevor wir uns näher mit dieser Frage beschäftigen, Lasst uns einen Blick in das 4. Kapitel unseres Buches werfen. Was für ein Mann war dieser Kain, der Erstgeborene Adams? Die Antwort ist: Kain war ein Ackerbauer, ein Mann, der sich es sauer werden ließ, der mit seiner Hände Arbeit für seine eigenen Bedürfnisse sorgte und auch noch etwas für Gott übrig hatte. Die Bibel berichtet von ihm: "Und es geschah nach dem Verlauf einer Zeit, da brachte Kain dem Jehova eine Opfergabe von der Frucht des Erdbodens". Würden nicht viele in unseren Tagen ihn einen guten, religiösen Mann nennen? Wenn heute ein Mensch ehrbarlich wandelt, niemand etwas schuldig bleibt, fleißig ist, für Arme und Mission eine offene Hand hat - wer wird nicht lobend von einem solchen reden? Wenn das kein guter Mann ist, wer ist es dann?

Nun, ein solcher Mann war Kain. Aber nahm Gott sein Opfer an? Nein. Was man auch Lobendes von Kain vorbringen mag, die Schrift sagt von ihm: "Kain war aus dem Bösen und ermordete seinen Bruder; und weshalb ermordete er ihn? weil seine Werke böse waren, die seines Bruders aber gerecht." (1. Joh. 3, 12.) Und was war die Wurzel des Bösen in Kain? Er war völlig unwissend über die Sünde und den Fluch, der durch die Sünde über die ganze Schöpfung gekommen war. Er meinte dem heiligen Gott etwas bringen zu können, worauf Gott wohlgefällig zu blicken, und auf Grund dessen er vor Ihm zu bestehen vermöchte. Nicht so Abel. Er fühlte, dass er den Tod verdient hatte, und nahte Gott auf Grund des Todes eines anderen. Das große Sündopfer wurde auf diese Weise durch Glauben anerkannt.

Ja, es ist von Satan, wenn die Menschen auf einem anderen Wege zu Gott zu kommen suchen, als durch das Blut des Lammes. Wir brauchen deshalb nicht erstaunt darüber zu sein, wenn die Schrift so ernst von Kam redet. Die Religion Kains war und ist vom Teufel. Ein schweres Urteil; aber war nicht der gesetzeseifrige Saulus von Tarsus auch ein Beweis dafür? Er, ein Oberster der Pharisäer, ein Mann von tadellosem Lebenswandel, war doch "der vornehmste der Sünder". Seine strenge Religiosität verhinderte nicht, nein, war die Ursache, dass er die Heiligen dem Gefängnis und dem Tode überlieferte.

Ja, der religiöse Kain erschlug Abel, und als die Frage an ihn gerichtet wurde: "Wo ist dein Bruder Abel?" gab er die gewöhnliche Antwort: "Ich weiß nicht". Wenn nun Gott heute fragt: "Wo ist Jesus?" willst du Ihm dann antworten: "Was habe ich mit Jesu oder Seinem Tode zu tun? Bin ich Sein Hüter?" O bedenke: deine Ewigkeit hängt von deinem Verhältnis zu Jesu ab.

Der Schöpfer aller Dinge wurde Mensch, wurde unser "Nächster"! (Lies Luk. 10, 29 ff.) Und so wie Kam seinen Bruder erschlug, so hat die Welt Jesum, den Sohn Gottes, getötet. Nun denn, in welchem Verhältnis stehst du zu Jesu? Jedes Kind Kains sagt: "Ich weiß es nicht". Es weiß von allen möglichen Dingen und Personen, aber von Jesu weiß es nichts.

Wie ganz anders ist es mit dem Gläubigen! Wenn man ihn fragt: Wo ist Jesus? so antwortet er triumphierend: Zur Rechten der Majestät in der Höhe, und Er ist dort meine Gerechtigkeit für immer und ewig in Gottes Gegenwart. Die Antwort des Glaubens lautet immer: "Wir wissen". "Wir wissen, dass wir erlöst worden sind mit dem kostbaren Blute Christi." (1. Petr. 1, 18. 19.) "Wir wissen, dass wir ewiges Leben haben." "Wir wissen, dass wir aus Gott sind." (1. Joh. 5, 13. 19.) Ja, am Rande des Grabes stehend, können wir sagen: "Wir wissen, dass, wenn unser irdisches Haus, die Hütte, zerstört wird, wir einen Bau aus Gott haben" (2. Kor. 5, 1).

Die vierte Frage lautet wieder wie die zweite: "Was hast du getan?" (Kap. 4, 10.) Kam hat seinen Bruder Abel erschlagen, die Welt hat Jesum ermordet, und der Heilige Geist ist aus dem Himmel herniedergekommen, um die Welt zu überführen, dass sie den Sohn Gottes verworfen hat. Wer nun noch in Verbindung mit dieser Welt steht, ist mitschuldig an dem Tode des Herrn Jesus. Der arme Kam ging weg aus der Gegenwart des Herrn, in das Land Nod (Flucht). Er selbst bekennt, dass er fortan "unstet und flüchtig" sein werde. Fern von Gott ist der Mensch heimatlos, ein armer Flüchtling.

Durch Abel könnte das Evangelium nicht völlig vorgebildet werden, sondern Seth, ein anderer Nachkomme Adams, vervollständigt das Bild. Es wäre traurig, wenn wir nur von dem Tode Abels Kenntnis hätten, wenn "Gott nicht einen anderen Samen an Stelle Abels gesetzt hätte". (Kap. 4, 25.) Dann, müßten wir sagen, hätte Satan triumphiert. Aber nein, Gott behält den Sieg. So ist es auch in dem Gegenbilde. Wenn Jesus nur gestorben wäre, würde Satan triumphiert haben, und die Predigt des Evangeliums wäre vergeblich. "Nun aber ist Christus aus den Toten auferweckt, der Erstling der Entschlafenen." (1. Kor. 15, 14 - 20.) Und so wie Gott in Seth einen "Ersatz" gab für den ermordeten Abel, so hat Er m dem auferstandenen Christus den verheißenen Samen und die endgültige Besiegung Satans in der neuen Schöpfung geschenkt. Als "der Erstgeborene aus den Toten" ist Jesus das Haupt eines neuen Geschlechts geworden, und bald wird Er als "der Erstgeborene unter vielen Brüdern" mit der ganzen himmlischen Familie in Herrlichkeit geoffenbart werden.

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Betrachtungen über den Propheten Hosea

Bibelstelle: Hosea 2

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 130ff

Wenn aber der Seele die Augen aufgehen, nachdem sie vergeblich den Dingen nachgegangen ist, womit Satan sie verlockt hat, wenn sie sieht, dass „ihre Buhlen" ihr nicht mehr das geben, wonach sie verlangt, dann mag sie ausrufen: „Ich will hingehen und zu meinem ersten Manne zurückkehren, denn damals ging es mir besser als jetzt" (V. 7). Möchten wir uns aber dadurch nicht täuschen lassen; das ist nicht die Beschreibung dessen, was im Herzen des verlorenen Sohnes vor sich geht: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen" (Lk. 15,18). - Glückselig der Mensch, der unter der Last seiner Enttäuschungen und seines Elends endlich gespürt hat, dass es für ihn keine Hilfe gibt als in den Armen des durch ihn verunehrten Vaters, und der zu Ihm zurückkehrt, Buße tut und spricht: „Ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir" (Lk. 15,21). - Aber hier finden wir keine Buße. Überdruss, Mutlosigkeit, Ekel vor der Sünde, dies kann die Seelen zur Religion treiben und in ihnen das Verlangen nach einer Änderung wachrufen; diese Änderung jedoch kann nur auf dem Weg der Buße erlangt werden.

Hier erfüllt der Abscheu vor den Götzen noch nicht das Herz Israels. Israel ahnt nicht, welche schreckliche Person sich hinter den Baalim verbirgt. Dem Anschein nach ist ein Götzenbild nichts. Die Menschen suchen sich einzureden, es mache nichts, wenn man seinen Lüsten nachgibt, vorausgesetzt dass das, was man tut, nicht zu den unehrenhaften Dingen gehört. Aber ahnen sie wohl, dass die Dämonen hinter jedem Gegenstand ihrer Wünsche verborgen sind (1. Korinther 10,20)?

Wir haben gesagt, dass die Worte Israels in Vers 7 keine wirkliche Buße sind. Der Ekel, die Leere, welche die Lüste hinterlassen (die Lüste werden nie durch das Erlangen der gewünschten Dinge befriedigt), die Hoffnung, man finde Besseres als dieses, wenn man sich Gott zuwendet, der Entschluss, nicht mehr so weiterzumachen: das alles ist noch nicht das wahre „ich will mich aufmachen" des verlorenen Sohnes. Man muss, wie er, sich aufmachen und zu seinem Vater gehen. Das tut Israel hier nicht. Es sagt nur: „Damals ging es mir besser als jetzt". Der Gedanke, gegen Gott gesündigt zu haben, kommt in seinem Herzen nicht auf; in Wirklichkeit kann nur die Überzeugung, dass wir die Liebe Gottes gerade da missachtet haben, wo Er für uns alles getan hatte, uns zur Umkehr bringen. Es kommt aber ein Zeitpunkt, wo Gott alles wegnimmt, selbst die religiösen Formen (V. 11), die Israel mit dem Dämonenkult und mit der Unreinheit in Verbindung gebracht hatte. So wird es auch mit der Christenheit sein: jene Formen bestehen in ihr noch heute, aber sie werden bald verschlungen sein in dem allgemeinen Abfall, und von da an wird Gott, dem man so leichtfertig den Rücken gewandt hat, nicht mehr zu finden sein.

Indessen hat Gott inmitten des Zusammenbruchs Gnadenabsichten mit Israel. Wir finden sie in den Versen 14 - 17: „Darum siehe, ich werde sie locken und sie in die Wüste führen und ihr zum Herzen reden; und ich werde ihr von dort aus ihre Weinberge geben, und das Tal Achor zu einer Tür der Hoffnung. Und sie wird daselbst singen wie in den Tagen ihrer Jugend, und wie an dem Tage, da sie aus dem Lande Ägypten heraufzog. Und es wird geschehen an jenem Tage, spricht Gott, da wirst du mich nennen: Mein Mann; und du wirst mich nicht mehr nennen: Mein Baal. Und ich werde die Namen der Baalim aus ihrem Munde hinweg tun, und sie werden nicht mehr mit ihrem Namen erwähnt werden". - Das wird gleichsam ein neuer Anfang sein, ein Wiederbeginn der Geschichte Israels (d. h. der 10 Stämme, die an dieser Stelle insbesondere gemeint sind). Zunächst wird Gott das Volk zu Sich in die Wüste locken, um es zu segnen. Das Volk wird wiederfinden, was es einst besessen hatte, als die Frische der ersten Liebe es bei seinem Auszug aus Ägypten zu seinem Bräutigam hinzog in ein unbewohntes Land (Jeremia 2,1 - 3). Ach! diese erste Liebe war verlassen worden, den Götzenbildern, den Baalim zuliebe, die Israel zu seinen Herren gemacht hatte. Gab es denn keine Hoffnung mehr, die erste Liebe wiederzufinden? Für die Gesamtheit des Volkes nicht, ebenso wenig wie es sie für die Gesamtheit der bekennenden Kirche unserer Tage gibt. Aber ein Überrest wird diese erste Liebe, diese glückselige Gemeinschaft mit dem Manne (V. 16) Israels wiederfinden können. „Denn wenn auch dein Volk, Israel, wie der Sand des Meeres wäre, nur ein Überrest davon wird umkehren" (Jesaja 10,22). Dieser Überrest wird in der Wüste geprüft, gerichtet, geläutert werden, damit er den Weg des Segens wiederfindet und wieder in den Besitz des Landes kommt. (Jesaja 11,11 - 16; 27,12. 13; Hesekiel 20,10 - 38; Sacharja 10,7 - 12; Zephanja 3,10).

In dieser Drangsal wird eine große Anzahl von denen, die sich mit dem Überrest auf den Weg gemacht hatten, gerichtet werden und nie das Land der Verheißung zu sehen bekommen. So wird sich die Geschichte des Volks von einst wiederholen, „deren Leiber in der Wüste fielen" (Hebräer 3,17). Aber wie damals, so wird auch jetzt ein Überrest gerettet werden. „Ich werde ihr zum Herzen reden" (V. 14). Ephraim wird seine Weinberge wiederfinden (V. 15), aber nicht mehr wie in vergangenen Zeiten, wo Ephraim seine Freunde in der Trunkenheit suchte, - wie oft wird doch die Trunksucht Ephraims von den Propheten genannt! (Jesaja 28,1 - 4; Hosea 4,18; 7,5. 14 u. a.) - sondern es wird seine Freude in der Gemeinschaft mit seinem Gott wiederfinden. „Ich werde ihr ihre Weinberge geben" (V. 15), spricht Gott. Diese Wiederherstellung ist einzig und allein ein Werk der Gnade. Der Herr wird die Leiden der Wüste benützen, um dieses Ergebnis hervorzubringen. Aber wie jede Wiederherstellung, so wird auch diese nicht ohne eine tiefgehende Buße stattfinden können. Die verlorene erste Liebe kann nur auf diesem Weg wiedererlangt werden. So war es, so ist es und so wird es immer sein bei jeder wirklichen Umkehr.

Deshalb finden wir hier das Wort: „Ich werde ihr das Tal Achor zu einer Tür der Hoffnung geben" (V. 15). Das Tal Achor (Josua 7,19-26), d. h. das Tal der Trübsal, des Unglücks, das Gericht des Bösen, dies war der Ort, wo Achan, der wegen des Verbannten Unglück über Israel gebracht hatte, gesteinigt und dann verbrannt ward; er, seine Söhne und Töchter, und all sein Vieh, sowie das Verbannte, das er sich angeeignet hatte, um so die Glut des Zornes Gottes von Israel abzuwenden. Dieses Tal der Trübsal, ein Ort, dessen furchtbarer Ernst das Gewissen Ephraims trifft, wenn Ephraim auf seinem Zug nach Kanaan Augenzeuge des schrecklichen Gerichtes Gottes über das Volk ist, dem es angehört, dieses Tal wird für den Überrest zu einer Tür der Hoffnung und öffnet den Weg zur endgültigen Befreiung. Dann, aber auch erst dann, wird die Stunde einer zweiten Jugend für die zehn Stämme gekommen sein. „Und sie (die Braut) wird daselbst singen wie in den Tagen ihrer Jugend, und wie an dem Tage, da sie aus dem Lande Ägypten heraufzog" (V. 15). Der Überrest Israels wird von neuem begreifen, wie köstlich die Seile der Liebe sind, die ihn mit Gott verbinden, wie erquickend es ist, zu Gott „mein Mann" und nicht länger „mein Baal" (d. i. „mein Herr") zu sagen, wie die 10 Stämme die Baalim, die Götzen, anredeten; denn Herr und Baal sind dasselbe Wort. Sie hatten sich dem Baal ausgeliefert, dem hinter dem Götzenbild verborgenen Dämon, jetzt aber sollte sogar sein Name von ihnen vergessen werden (V. 17). Welche Gnade! Wie Gott an jenem Tage der Ungerechtigkeiten Israels nicht mehr gedenken wird, so wird Israel des Namens seiner falschen Götter nicht mehr gedenken. Die Vergangenheit, die Knechtschaft Satans, wird verschwunden sein, um der Erneuerung der glückseligen Beziehungen mit Gott Platz zu machen, den sie so lange verkannt und verachtet hatten.

Diese Zukunft Ephraims ist für uns Christen Gegenwart. Gott Selbst sagt uns, dass Er unserer Sünden und unserer Ungerechtigkeiten nie mehr gedenken wird, und kraft des Blutes Christi, das für uns vergossen ist, können wir vor Ihn treten ohne irgendein Bewusstsein der Sünde. Diese glückselige Gewissheit verbindet unsere Herzen mit Ihm, dem wir unsere Segnungen verdanken. Ihn zu erkennen, ja Er Selbst wird die Quelle aller unserer Freuden und all unseres Tuns. Das ist die erste Liebe. Haben wir sie verloren? Lasst uns sie eilends wiederfinden durch aufrichtige Buße. Andernfalls wird Gott diese Buße auf dem Weg Seiner Gerichte in unseren Herzen hervorbringen, damit wir die erste Liebe wiederfinden.

Erst nach der tiefgreifenden Buße öffnet sich vor Israel jener herrliche Schauplatz der Segnungen der tausendjährigen Königsherrschaft (V. 18 - 23). „An jenem Tage" (V. 18) wird Gott alle Werkzeuge Seiner Gerichte über Sein Volk besänftigen: die wilden Tiere, die Raubvögel und die Giftschlangen. Er wird „Bogen und Schwert und den Krieg aus dem Lande zerbrechen" (V. 18), all die verschiedenen Feinde, die Gott so oft erweckt hatte, um diese Nation zu züchtigen. Er wird Israel „in Sicherheit wohnen lassen". Dieses Volk, das sein Ohr vor dem Messias verschlossen hatte, als Er zu ihm sprach: „Ich werde euch Ruhe geben", wird endlich Ruhe finden durch Buße und durch die Drangsalszeit.

„Und ich will dich mir verloben in Ewigkeit, und ich will dich mir verloben in Gerechtigkeit und in Gericht, und in Güte und in Barmherzigkeit, und ich will dich mir verloben in Treue; und du wirst Gott erkennen" (V. 19. 20). Von nun an erkennt Israel Gott, denn sein Verlöbnis gründet sich ausschließlich auf Seine Gnade. Von nun an ist Gerechtigkeit nicht zu trennen von Barmherzigkeit. Das Volk tritt in eine Verbindung mit Gott ein, und zwar auf dem Boden einer Gerechtigkeit, die auf Gericht, und einer Barmherzigkeit, die auf Liebe gegründet ist. Das, was wir Christen beim Kreuz Christi gefunden haben, wird das Teil Israels an „jenem Tage" sein. Es wird die Grundlage der herrlichen Regierung Christi auf Erden sein: „Gerechtigkeit und Gericht sind deines Thrones Grundfeste; Güte und Wahrheit gehen vor deinem Angesicht her" (Psalm 89,14).

„Und ich will dich mir verloben in Treue" (französische Bibelübersetzung von J.N.D.: ... „in Wahrheit"; V. 20). Die Buße wird Israel in Beziehungen zu Gott einführen, die nicht allein in Gerechtigkeit und in Gnade bestehen, sondern auch in Wahrheit, d. h. gemäß dem Charakter, den Er Seinem Volk verleiht, damit es in Verbindung mit Ihm kommen kann. Dieser Charakter hängt ganz von der Gnade ab, denn aus ihr allein geht das hervor, was wir vor Gott sind und was Israel vor Ihm sein wird. Und dann wird Israel Gott erkennen (V. 20).

„Und es wird geschehen an jenem Tage, da werde ich erhören, spricht Gott: ich werde den Himmel erhören, und dieser wird die Erde erhören; und die Erde wird erhören das Korn und den Most und das öl; und sie, sie werden Jisreel (Gott sät) erhören. Und ich will sie mir säen in dem Lande und will mich der Lo-Ruchama erbarmen. Und ich will zu Lo-Ammi sagen: Du bist mein Volk; und es wird sagen: Mein Gott" (V. 21-23). Hier finden wir in Fülle die Segnungen der Erde im Tausendjährigen Reich. Beachten wir in diesem Abschnitt von Vers 18 an drei Dinge: Erstens, das Böse, das äußere Werkzeug des Gerichts, ist unterdrückt; denn, wie wir an anderer Stelle erfahren, wird Satan, der es ins Werk setzt, für tausend Jahre gebunden (Off 20,1-3). Zweitens, das Böse im Herzen des Volkes ist weggenommen. Ein neues Herz und die Erkenntnis Gottes wohnen an seiner Stelle. Das ist der neue Bund, von dem Jeremia spricht, ein Bund, der ganz auf Gnade gegründet ist (Jeremia 31,31-34; Heb 8,10-13). Drittens, die Schöpfung, einst der „Knechtschaft des Verderbnisses" unterworfen, ist freigemacht zum Genuss der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes (Römer 8,19 - 22).

Zwischen Himmel und Erde wird gleichsam eine Übereinkunft getroffen sein für die Aussaat und die Ernte. Jisreel wird nicht länger ein Ort von Mord- und Bluttaten sein, sondern seinem Namen „Gott sät" Ehre machen. Ja, Gott wird da säen, wo einst ein Ort der Gewalttat des Menschen, ein Schauplatz der Gerichte Gottes war. Der Same, der auf einen von Ihm zubereiteten Boden fällt, wird hundertfältig Frucht tragen. Israel hatte den Segen von Korn, Most und öl zuerst bei den Nationen gesucht (V. 5), und Gott hatte ihn darauf dem Volk entzogen (V. S. 9). Diesen Segen wird es unter der Herrschaft des Mittlers, des wahren Melchisedeks, wiederfinden, der das Volk mit dem Segen Gottes segnen und Gott mit dem Segen des Volkes segnen (danken) wird. Dann wird Israel aus Glauben zu den Segnungen Abrahams zurückgekehrt sein. Es wird durch Gott und für Gott in seinem Land gesät werden. Lo-Ammi wird „Mein Volk", Lo-Ruchama wird „Begnadigte". Und Israel wird sagen: „Mein Gott"! Gegenseitiges Vertrauen, gegenseitige Liebe und überfließende Freude in der Gemeinschaft mit Gott werden das Teil des wiederhergestellten Israel sein. Dies alles ist heute den Christen gegeben, weil sie verbunden sind mit dem Sohn und mit dem Vater, ja weit inniger und weit kostbarer verbunden als Israel mit seinem Gott (1. Petrus 2,10)!

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Er schaute auf die Belohnung

Bibelstelle: Hebräer 11,26

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 138ff

In der Schrift nimmt die Belohnung einen hervorragenden Platz ein. Gott will uns nicht nur von der Gewalt des Bösen erretten, sondern Er will auch die Treue auf dem Wege des Glaubens belohnen. Die Errettung geschieht allein aus Gnaden, auf dem Wege des Glaubens. Die Belohnung wird der Treue im Glaubenswandel verheißen. Der Errettung können wir nichts durch unser Wirken hinzufügen, sie ist Gnade - aber der Lohn hängt von unserer Treue ab.

Am Schluss der Bibel (Offenb. 22, 12) sagt der Herr: "Siehe, ich komme bald, und mein Lohn mit mir". Und vorher (Offenb. 2 u. 3): "Wer überwindet, dem werde ich geben". Gewiss sollen solche Worte eine wirkende Kraft auf uns ausüben.

Für den Herrn war nicht Lohn der Beweggrund, den Willen des Vaters zu tun und sich für uns hinzugeben. Ihn trieb allein Liebe, die Liebe Seines Herzens. Dennoch konnte von Ihm gesagt werden, dass Er für die vor Ihm liegende Freude das Kreuz erduldete. (Hebr. 12, 2.) So drängt auch uns nicht die Hoffnung auf Lohn zu einem eifrigen Dienst an Heiligen und Sündern, sondern die Liebe; aber der vor uns liegende Lohn ermutigt und ermuntert uns, den Pfad des Glaubens zu gehen, wie Moses nach Hebräer 11, 26.

Die wirkende Kraft des Lohnes und die Liebe sind wohl nicht voneinander zu trennen sie gehören zusammen. Wenn es dem Herrn gefällt, Lohn zu geben, so liegt es im Naturgesetz der Liebe, dass sie den Preis des Geliebten zu erlangen sucht. Der Lohn wird meinem Herzen so wertvoll und kostbar sein, dass ich alles daransetze, um am Tage des Lohnes des Herrn Anerkennung zu finden. Der Gedanke, dass Gottes Freude sich dann auch an mir verherrlichen kann, wird mich sorgfältig darüber wachen lassen, dass nicht durch meine oder anderer Untreue der Lohn hinfällig wird oder ich beschämt werde. Wie der Ackersmann über die Saatarbeit wacht, damit ihm nicht die Freude am Erntetage fehle, so stand des Herrn Kommen mit dem Lohn vor den Augen der Apostel, und sie wachten über sich und die Arbeit; und so sollten auch wir wachsam sein, "auf dass wir nicht verlieren, was wir erarbeitet haben, sondern vollen Lohn empfangen".(2. Joh. 8).

Manche Gläubige haben das Motto: "Nur selig". Manche sagen sogar, indem sie ganz falsche Gedanken über den Lohn haben: "Ich will gar keinen Lohn, nur selig möchte ich sein". Es mag sein, dass sie ihre Demut damit ausdrücken wollen, sie denken aber nicht daran, dass in ihren Worten eine Geringschätzung des Lohnes liegt, und dass sie sich im Widerspruch mit dem Worte Gottes befinden.

In dem Worte "Nur selig!" verbirgt sich auch, vielleicht unbewusst, viel Eigenliebe. Der Mittelpunkt des Interesses und der Wünsche ist dabei das Ich, das eigene Glück, der eigene Genuss, wenngleich man an ein Seligsein in Jesu denkt, an das Rühmen Seines Namens. Man vergisst, dass die Liebe überhaupt nicht an sich denkt.

Ein wirklich glücklicher, dankbarer Knecht des Herrn wünscht auf dem Pfade der Treue zu wandeln, möchte seine Dankbarkeit im einfältigen Gehorchen, im gewissenhaften Aufmerken auf Gottes Gebote beweisen. Der verheißene Lohn ist ihm nicht Zweck, wohl aber Ermunterung. Wenn deshalb Gott Lohn geben will, so Lasst uns nicht darüber hinweggehen, sondern ihn anschauen, wie Mose es tat. Und da der Lohn von der Treue abhängt, so Lasst uns mit Herzensentschluss bei dem Herrn verharren (Apstgsch. 11, 23) und Ihm treu sein, damit wir ihn voll empfangen! Es gibt Knechte des Herrn, deren ganzes Lebenswerk in Rauch aufgehen wird.

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Das Reich Gottes

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 141ff

Es gibt in den Ratschlüssen Gottes bezüglich der Erde zwei große Systeme oder göttliche Verwaltungen (Haushalte), das eine gegründet auf die Verantwortlichkeit des Menschen bzw. die Treue, mit der er dieser Verantwortlichkeit entsprochen hat, das andere gegründet auf den Ratschluss und die wirksame Kraft Gottes. Das erste ist der Haushalt des Gesetzes, das zweite der Haushalt des Reiches. Das erste begann mit dem Gesetz auf dem Berge Sinai, unter das der Mensch sich freiwillig stellte (vergl. 2. Mose 19, 8), und es währte bis auf Johannes den Täufer; das zweite trat mit dem Zeugnis dieses Vorläufers des Herrn Jesus in Erscheinung und wurde von ihm von vornherein als nahe herbeigekommen angekündigt. Diese Predigt wurde dann von dem Herrn Jesus und Seinen Jüngern aufgenommen und fortgesetzt.

Das Volk Israel stand auf dem Boden des Gesetzes, und wenn es das Gesetz gehalten und die Botschaft des Reiches angenommen hätte, so würde dieses Reich in Macht aufgerichtet worden sein, und Friede und Ordnung hätten unter dem Szepter des Friedensfürsten auf dieser Erde herrschen können. Aber wir wissen, dass der Mensch nicht imstande ist, das Gesetz zu halten, und als das wahrhaftige Licht zu leuchten begann, da zeigten sich die tiefen Schatten der Finsternis erst recht. Der wahre Zustand des Menschen, sein natürliches Verderben und seine Feindschaft gegen Gott wurden offenbar. Das Zeugnis des Johannes und des Herrn Jesus selbst wurde verworfen, Johannes wurde enthauptet und Christus ans Kreuz geschlagen.

Damit war die Aufrichtung des Reiches in Macht und Herrlichkeit selbstverständlich unmöglich geworden. Die Prophezeiung Daniels war erfüllt: "Der Messias wird weggetan werden und nichts haben" (Dan. 9, 26), und statt einer Zeit äußerer Machtentfaltung kamen für Israel Jahrhunderte der Schmach und Verwerfung. Diese Zeiten werden so lang währen, bis der Messias Israels als "Sohn des Menschen" wiederkehren wird, um Seine Herrschaft über alles, was im Himmel und auf Erden ist, anzutreten. In Übereinstimmung damit sagte der Herr in der letzten Nacht zu den Leitern des jüdischen Volkes: "Von nun an werdet ihr den Sohn des Menschen sitzen sehen zur Rechten der Macht und kommen auf den Wolken des Himmels". (Matth. 26, 64.)

Ist denn das Reich damals überhaupt nicht aufgerichtet worden? Gewiss ist es aufgerichtet worden, aber es hat eine ganz neue, geheimnisvolle Form angenommen. Über diese neue Form belehrt der Herr Seine Jünger in den bekannten Gleichnissen von Matth. 13. Ihnen, und damit uns, war es gegeben, in die "Geheimnisse des Reiches der Himmel" eingeführt zu werden. Dem in dieser Beziehung bereits geoffenbarten "Alten" sollte jetzt "Neues", bisher nicht Geoffenbartes, hinzugefügt werden. Darum sagt der Herr von dem im Reiche der Himmel unterwiesenen Schriftgelehrten, dass er "Neues und Altes aus seinem Schatz hervorbringe".

Doch beschäftigen wir uns zunächst einen Augenblick mit der Bedeutung des Ausdrucks

Reich Gottes

Das Wort Reich (eigentlich Königreich) Gottes erweckt schon an sich den Gedanken an einen Bereich oder einen Zustand, in welchem die regierende Macht Gottes unter den jeweils nach Seiner Weisheit gegebenen Umständen zum Ausdruck oder zur Ausübung kommt. Es ist die weiteste, umfassendste Bezeichnung unter den verschiedenen ähnlichen Ausdrücken, denen wir im Worte Gottes begegnen. Wir hören da von

dem Reich,

dem Reich der Himmel,

dem Reich meines (oder ihres) Vaters,

dem Reich des Sohnes des Menschen, dem Reich der Welt unseres Herrn und Seines Christus.

"Reich Gottes" ist gleichsam ein Sammel- oder Gattungsname, unter den die anderen Namen sich gruppieren oder dem sie sich angliedern. Das Wort hat eine innere, geistliche oder sittliche, und eine äußere, mehr in den Bereich der Sinne fallende Bedeutung. Selten erscheint es ausschließlich in der ersten, mehr in der zweiten Bedeutung, oft aber auch in beiden zugleich. In seinem geistlichen Charakter tritt es unverkennbar vor unsere Blicke, wenn wir lesen: "Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geiste" (Röm. 14, 17); oder: "Das Reich Gottes besteht nicht im Worte, sondern in Kraft". (1. Kor. 4, 20.) An den gleichen Sinn dürfen wir auch zunächst wohl denken in Stellen wie Apstgsch. 1, 3; 8, 12; 20, 25; 28, 31; doch darf der andere hier keineswegs ausgeschlossen werden. (Vergl. auch Matth. 6, 33; Joh. 3, 3; Apstgsch. 8, 12 u. v. a. St.) In dem inneren oder geistlichen Sinne kann begreiflicherweise nur der Glaube das Reich Gottes sehen.

Als Gott in der Person Seines Sohnes auf dieser Erde erschien, war das Reich Gottes da (das Reich der Himmel noch nicht; warum nicht, werden wir später sehen), weil Er da war und sich in Seiner ganzen göttlichen Macht und Weisheit offenbarte. Darum sagt der Herr auch zu den Pharisäern, die in der Feindschaft und Verblendung ihrer Herzen behaupteten, Er treibe die Dämonen aus durch Beelzebub, den Obersten der Dämonen: "Wenn ich durch den Geist Gottes die Dämonen austreibe, so ist also das Reich Gottes zu euch hingekommen" (Matth. 12, 28; Luk. 11, 20), und in Lukas 17, 20. 21 lesen wir: "Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobachten könnte; noch wird man sagen: Siehe hier! oder: Siehe dort! denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch".

In der zweiten, mehr äußeren, sinnfälligen Bedeutung war das Reich Gottes noch nicht da. Es war nahe gekommen, aber noch nicht da. Der König Israels war erschienen, um es aufzurichten, und wir sagten uns schon: wenn Israel Ihn aufgenommen hätte, so würde der Aufrichtung des Reiches nichts im Wege gestanden haben. Der nach Johannes Kommende, aber vor ihm Seiende war da mit Seiner Worfschaufel in Seiner Hand, um Seine Tenne (Israel) durch und durch zu reinigen und den Weizen in die Scheune zu sammeln. (Matth. 3, 11. 12.) Aber infolge der Verwerfung Christi musste die Errichtung des Reiches in richterlicher Macht und in Herrlichkeit hinausgeschoben werden. Diese Errichtung ist heute noch zukünftig und wird sich erst erfüllen bei der zweiten Wiederkunft Christi, d. i. bei der "Erscheinung des Sohnes des Menschen", wenn alles Fleisch, jedes Auge Ihn sehen wird, auch die Ihn durchstochen haben. Inzwischen hat Er sich gesetzt zur Rechten der Majestät droben und wartet auf die Zeit, da Gott alle Seine Feinde Ihm zum Schemel Seiner Füße legen und "den Stab Seiner Macht aus Zion senden wird". Dann, "am Tage Seiner Macht", wird Sein Volk (der gläubige Überrest aus Israel) "voller Willigkeit sein", und Er wird als "Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks" auf Seinem Throne sitzen und "herrschen von Meer zu Meer und vom Strome bis an die Enden der Erde". (Ps. 110; Sach. 6, 13; Ps. 72; Jes. 9, 7 u. v. a. St.)

Der Glaube sieht Jesum jetzt schon droben verherrlicht und mit Ehre gekrönt und weiß, dass Ihm bald alles unterworfen sein wird. Für den Glauben ist alles gesichert in dem Löwen aus Juda, der überwunden hat, dem geschlachteten Lamme, das auf dem Throne des Vaters sitzt - noch nicht auf Seinem eigenen Throne. (Offenb. 3, 21.) Ich sagte bereits, dass das Reich feit der Verwerfung und "Auffahrt des Sohnes des Menschen dahin, wo Er zuvor war" (Joh. 6, 62), einen ganz neuen, eigenartigen Charakter angenommen hat. Es ist ein Reich geworden, dessen König verworfen ist, und in welchem alle, die diesen König lieben, Schmach und Verwerfung mit Ihm teilen müssen, ein Reich, das auf dieser Erde aufgerichtet ist, in welchem aber himmlische Grundsätze herrschen, das mit anderen Worten vom Himmel her geleitet und regiert wird. Das ist der Grund, weshalb es in dem Evangelium nach Matthäus, in welchem uns die Verwaltungswege oder wechselnden Haushalte Gottes in besonderer Weise vorgestellt werden, fast immer, mit wenigen Ausnahmen (Kap. 6, 33; 12,28; 19, 24; 21, 31. 43: Reich Gottes; Kap. 26, 29: Reich meines Vaters) die Bezeichnung trägt:

Reich der Himmel

Der Ausdruck "Reich der Himmel" findet sich in keinem anderen Evangelium. Er wird nur von Matthäus gebraucht, dem Evangelisten also, der uns die Person unseres Herrn vornehmlich als Messias (Christus) vor Augen stellt. Und wo er vorkommt, wird das Reich ausnahmslos als zukünftig bezeichnet oder gedacht. War- um? Der Grund ist einfach. Während das "Reich Gottes" notwendigerweise da war, als der Sohn Gottes auf Erden wandelte, oder mit anderen Worten, als Gott hienieden war, konnte das "Reich der Himmel" nicht bestehen, solang Jesus nicht verworfen und in den Himmel zurückgekehrt war. Ich wiederhole: "konnte" nicht. Warum nicht? Weil "das Reich der Himmel" gerade das Ergebnis dieser Rückkehr, die Darstellung oder Entfaltung des Reiches Gottes in seinem himmlischen Charakter ist. Diese Darstellung folgte auf die Verwerfung des Königs dieses Reiches durch Israel und die ganze Welt. Sobald man diese Tatsache ersaßt hat, schwindet manche Schwierigkeit. Man versteht dann sofort, warum der Herr Jesus in Matth. 12, 28 nicht sagen konnte: "Das Reich der Himmel ist zu euch hingekommen", oder in Kap. 21, 43: "Das Reich der Himmel wird von euch weggenommen werden". Das Reich Gottes war da, konnte also weggenommen werden, aber als Reich der Himmel bestand es noch nicht; als solches war es nahe, aber noch nicht gekommen.

Der hochgeborene Mann, dessen Reich "nicht von dieser Welt" war, ist in ein fernes Land gezogen, um ein Reich für sich zu empfangen und dann wiederzukommen. (Vergl. Luk. 19, 11. 12; 23, 42.) Während der Zeit Seiner Abwesenheit steht Er mit Seinem Reiche hienieden nur in geistlichem Sinne in Verbindung. Jede äußere Beziehung ist abgebrochen und jeder Anspruch Seinerseits auf die äußere Entfaltung und Anerkennung Seiner königlichen Rechte aufgegeben. Zugleich vollzieht sich ein ganz neues Werk, die Berufung der Braut des Lammes aus allen Völkern der Erde, die Sammlung der Gemeinde des lebendigen Gottes, deren erste Anfänge wir in dem Überrest aus Israel, den eigentlichen Kindern des Reiches, in Apstgsch. 2 erblicken. "Der Herr tat täglich zu der Versammlung (Gemeinde) hinzu, die gerettet wer- den sollten." (Apstgsch. 2, 47.) Alle Gläubige, ja, alle, die sich heute zu Christo bekennen, ob bekehrt oder unbekehrt, befinden sich in dem Reiche der Himmel, gehören äußerlich zu ihm und sind darum gehalten, dessen Grundsätze, wie sie in Matth. 5 - 7 niedergelegt sind, zu beobachten.

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Gedanken

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 147ff

Ich bin nicht glücklich gewesen, hat ein gesegneter Diener des Herrn gesagt, bis ich aufhörte zu wünschen, etwas Großes zu sein.

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Nach Wahl der Gnade

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 148ff

Im Anschluss an das Gesagte sei noch auf einige andere Stellen hingewiesen, die von den Vertretern der Allversöhnungslehre gern angeführt werden, weil sie in ihnen eine Grundlage für ihre Behauptungen zu finden meinen. Meinen sage ich, denn wir werden bald sehen, wie gerade das Gegenteil der Fall ist.

In Verbindung mit dem wiederholt angeführten Wort, dass Gott "will, dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen", schreibt der Apostel Paulus an Timotheus: "Denn Gott ist einer, und einer Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gab zum Lösegeld für alle". (1. Tim. 2, 5. 6.) Wie man aus dem ersten Worte folgert: Wenn Gott will, dass alle Menschen errettet werden, so muß dieser Wille zu irgend einer Zeit und auf irgend eine Weise zur Ausführung kommen - so zieht man aus dem zweiten die Folgerung: Wenn für alle Menschen das Lösegeld bezahlt worden ist, so muß es einmal auch allen Menschen, früher oder später, zugutekommen. Beachte es, mein Leser! "Zu irgend einer Zeit" - "früher oder später"! Wie ist es aber dann mit den Jahrhunderten oder Jahrtausenden, die bis zu diesem Zeitpunkt verfließen? Ah, sagen die Wiederbringer, wenn auch nicht gerade mit diesen Worten, aber in Wirklichkeit, bis dahin nimmt Gott mit einer Teilzahlung vorlieb, die der im Unglauben gestorbene Mensch durch seine Leiden im Hades oder später in der Hölle leistet. Nachher, früher oder später, je nach dem Einzelfall, entnimmt dann Gott das noch Fehlende dem Lösegelde Seines geliebten Sohnes.

Aber, wirft der Leser vielleicht ein, so etwas Sinnloses wird ein verständiger Mensch, der nur ein wenig die Heiligkeit Gottes kennt, doch nicht behaupten! Ich sagte schon: vielleicht nicht gerade mit den nackten Worten, aber in Wirklichkeit. Denn wenn es "den Menschen gesetzt ist, einmal zu sterben, und danach das Gericht", und wenn der Herr selbst, den Schleier zurückziehend, uns schon im Hades den einen Verstorbenen in Ruhe und Seligkeit, den anderen "in Qualen" zeigt, wenn wir endlich "die Geister der vollendeten Gerechten" im Himmel, bei Jesu, erblicken, während die anderen ihr Teil "im Gefängnis" haben (Hebr. 9, 27; 12, 23. 24; Luk. 16, 23; 1. Petr. 3, 19), so bleibt gar kein anderer Schluss übrig. Sollen diese dem Gericht Anheimgefallenen alle oder doch teilweise, "früher oder später", noch der Vergebung und Errettung teilhaftig werden, so muß der gerechte Gott ihnen ihre Leiden als sühnend anrechnen. Tatsächlich reden denn auch die "Wiederbringer" von einem Läuterungsprozess der Bösen im Hades oder in der Hölle, ähnlich so, sagen sie, wie in der Glut des Hochofens das Metall von den unedlen Stoffen geschieden wird. Das so gebrauchte Bild ist allerdings auch wieder sinnlos, denn wenn nur unedle Stoffe vorhanden sind, was soll dann von ihnen geschieden werden?

Aber was will denn unsere Stelle sagen? Der Apostel ermahnt im ersten Verse von 1. Tim. 2 zur Fürbitte "für alle Menschen, für Könige und alle, die in Hoheit sind". Diese Ermahnung steht in Übereinstimmung mit dem Charakter oder besonderen Namen, der Gott in den Timotheusbriefen beigelegt wird. (Vergl. auch Tit. 1, 3.) Der Apostel nennt Ihn immer wieder den "Heiland-Gott", der sich als solcher jetzt in Christo geoffenbart hat, und dessen Gnadenwege alle Menschen, Juden und Heiden, unterschiedslos zum Gegenstande haben. Während Gott im Alten Bunde sich als Gesetzgeber und deshalb als der eifernde Gott geoffenbart hat, ist jetzt, nachdem des Menschen Verderben und völlige Ohnmacht erwiesen sind, Seine unumschränkte Barmherzigkeit der Ausgangspunkt Seiner Wege geworden. Der Mensch, unrein und gefallen, wie er ist, hätte dem heiligen Gott nie nahen können; sollte eine Verbindung zwischen Gott und Mensch herbeigeführt werden, so mußte Gott zu dem Menschen herabsteigen und ein Lösegeld zahlen, das groß und reich genug war für alle. Es mußte ein "Mittler" zwischen die beiden Parteien, Gott und Menschen, treten, und dieser Mittler mußte ein wahrhaftiger Mensch sein, denn nur ein Mensch konnte für den Menschen in den Riß treten, nur ein Mensch für den armen, gefallenen Menschen zur Sünde gemacht werden. Und wiederum konnte nur eine göttliche Person das große Werk unternehmen; denn wo war ein Geschöpf, das die Befriedigung der gerechten Ansprüche Gottes, ja, Seine Verherrlichung im Blick auf die Sünde, mit der ewigen Erlösung des Menschen hätte verbinden können?

"Gott ist einer, und einer Mittler zwischen Gott und Menschen", und dieser eine, herrliche Mittler ist "der Mensch Christus Jesus", geboren von einem Weibe, Christus, der Gesalbte, der Sohn Davids, und zugleich Jesus von Nazareth, d. i. der in Knechtsgestalt erschienene Jehova-Heiland, der Gott Seines Volkes Israel, "der Sohn des Höchsten". (Luk. 1, 31 - 33; Matth. 1, 21.) Er ist gekommen, um die ganze Fülle des Erbarmens Gottes einer verlorenen Welt gegenüber kundzumachen. Er selbst hat gesagt: "Ich bin nicht gekommen, auf dass ich die Welt richte, sondern auf dass ich die Welt errette". (Joh. 12, 47; vergl. Kap. 3, 17; 6, 33. 51.) Ja, Gott war in Christo in der Absicht, die Welt mit sich selbst zu versöhnen. (2. Kor. 5, 19.) Sein heiliger Name sei gepriesen für solche und ähnliche kostbare Stellen! Sie geben dem Evangelisten Freiheit und Freudigkeit, in die ganze Welt hinauszugehen und allen Menschen ohne Ausnahme und Unterschied zuzurufen:

Komme drum, wer kommen kann,

Elend, sündig, fluchbeladen!

Jesus nimmt die Sünder an,

Alle, alle sind geladen.

Um sie alle laden und annehmen zu können, musste, wie gesagt, der Heiland der Sünder in den Tod gehen, musste den Sold der Sünde tragen. Ein kleineres Lösegeld konnte uns von unseren Verpflichtungen nicht lösen, vom Gericht uns nicht befreien, ein geringeres uns nicht loskaufen aus Satans Macht und Sklaverei der Sünde.

Das Lösegeld ist also für alle da. Wenn wir nun aber fragen: Wird diese Lösung allen Menschen tatsächlich zuteil? so lautet die Antwort: Nein, nicht allen, sondern nur denen, die kommen und von ihm Gebrauch machen. In demselben 12. Kapitel des Evangeliums Johannes, aus dem wir schon eine Stelle anführten, und das uns auch den Ausspruch des Herrn mitteilt. "Und ich, wenn ich von der Erde erhöht bin (d. h. ans Kreuz), werde alle zu mir ziehen" (wieder dasselbe schöne und liebliche Wort: alle), wird uns gesagt, dass jeder, der das Wort des Herrn nicht annimmt, durch dasselbe gerichtet wird an dem letzten Tage, und von der Welt, die zu erretten der Herr gekommen ist, heißt es: "Jetzt ist das Gericht dieser Welt". (V. 31. 48.) So ist heute schon das Gericht über die Welt, die den Herrn verworfen hat, ausgesprochen, und für alle Ungehorsamen und im Unglauben Sterbenden bleibt nur Gericht übrig.

Noch einmal denn: Für alle Menschen, Juden und Heiden, Könige und Bettler, Hohe und Niedrige, ist das Lösegeld da, allen wird es frei und umsonst angeboten, überall das Zeugnis davon verkündigt; aber der einzige Begegnungspunkt zwischen Gott und dem schuldigen Sünder ist das Kreuz. Alle dahin zu ziehen, ist der Herr bemüht. Aber heute, wie damals, muß Er den Menschen sagen: "Ihr wollt nicht zu mir kommen, auf dass ihr Leben habet". In höflicher oder grober Form lehnen sie die Einladung ab. (Joh. 5, 40.)

Die Griechen, die an jenem letzten Passahfest nach Jerusalem hinaufgezogen waren, um anzubeten, wünschten Jesum zu sehen (Joh. 12, 20. 21), aber sie hatten als Heiden kein Anrecht an Ihn. Erst wenn der Sohn des Menschen verherrlicht sein würde, und das konnte nur auf dem Wege des Todes und der Auferstehung geschehen (V. 23. 24), würde sich auch für sie eine Gnaden- und Hoffnungstür auftun. "Wenn das Weizenkorn in die Erde fällt und stirbt . . " bringt es viel Frucht." Alle, auch die ohne Gott und ohne Hoffnung in der Welt stehenden Heiden, sollten zu Jesu gezogen werden. "Denn es ist kein Unterschied zwischen Jude und Grieche, denn derselbe Herr von allen ist reich für alle, die Ihn anrufen." (Römer 10, 12.)

"Zum Lösegeld für alle." In Matth. 20, 28 und Mark. 10, 45 hören wir den Herrn sagen: "Der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und Sein Leben zu geben als Lösegeld für viele". Woher der Unterschied? Beide Aussprüche sind selbstverständlich göttlich wahr, und doch scheinen sie einander zu widersprechen. "Scheinen" möchte ich wieder betonen, in Wirklichkeit ist es keineswegs der Fall. Während in dem einen Falle (1. Tim. 2, 6) der einfache Tatbestand mitgeteilt wird, dass ein Lösegeld für alle Menschen da ist und unterschiedslos von ihnen benutzt werden kann, handelt es sich in dem anderen um die Menschen, die dieses Lösegeld tatsächlich im Glauben annehmen; darum heißt es hier nicht alle, sondern nur viele. Und wenn man die Stellen im Grundtext miteinander vergleicht, so entdeckt man, dass das im Deutschen in beiden Fällen mit "für" übersetzte Vor oder Verhältniswort im Griechischen ganz verschieden ist. Während es in 1. Tim. 2 den Sinn von "zum Schutze oder zum Vorteil von" hat, bedeutet es in dem Ausspruch des Herrn "an Stelle von". Stellvertretung kommt aber nur in Frage bei denen, die durch den Glauben an Jesum errettet werden. Nur von ihnen kann gesagt werden, dass der Herr an ihrer Stelle im Gericht gestanden hat, dass es also für sie kein Gericht, keine Verdammnis mehr gibt. Über alle anderen muss notwendigerweise das ewige Gericht Gottes kommen.

Demselben Gedanken begegnen wir in 1. Joh. 2, 2, einer Stelle, die auch oft zu Gunsten der Allversöhnungslehre angeführt wird. Wir lesen dort: "Und Er (Jesus Christus) ist die Sühnung für unsere Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die ganze Welt". Das hier im Griechischen gebrauchte Verhältniswort hat den Sinn von "wegen, in Betreff von". Das durch unseren großen Erretter vollbrachte Erlösungswerk hat also nicht nur Bezug auf "unsere Sünden", d. h. auf die Sünden aller Glaubenden, sondern auch auf "die ganze Welt" (nicht: auf die Sünden der ganzen Welt), d. h. es ist da für alle ohne Unterschied, indem Gott durch diese Sühnung vollkommen verherrlicht worden ist und nun jedem, der da will, ihren Wert zuwenden kann. Will man den Ausdruck "die ganze Welt" auf die Schöpfung beziehen, was aber dem Zusammenhang der Stelle kaum entsprechen dürfte, so wissen wir, dass die Schöpfung, unverantwortlich wie sie als solche ist, einmal an den gesegneten Folgen des Erlösungswerkes teilhaben wird. (Röm. 8, 20. 21.)

Weiter zieht man aus der Stelle: "Das war das wahrhaftige Licht, welches, in die Welt kommend, jeden Menschen erleuchtet"*) (Joh. 1, 9), den Schluss, dass alle Menschen erst erleuchtet werden müssen, ehe sie verloren gehen können; mit anderen Worten: Gott ist auf Grund dieses Wortes schuldig (!), jeden Menschen durch die Predigt von Christo zu erleuchten, und Er verdammt niemand, es sei ihm denn vorher die Gnade angeboten und von ihm verschmäht und abgelehnt worden. Diese Behauptung hat eigentlich schon bei der Behandlung der Frage, ob der Mensch deshalb verloren gehe, weil er nicht glaubt, ihre Beantwortung gefunden; da die Stelle aber dem einen oder anderen Leser Schwierigkeiten bereiten könnte, sei sie noch kurz besprochen.

Johannes sagt im Anschluss an die ergreifenden Eingangsworte seines Evangeliums: "Im Anfang war das Wort": "In Ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst". (V. 4. 5.)

Wunderbare Tatsache! Auf dem Schauplatz des Todes ist Der erschienen, in welchem "Leben war". Von niemand anders, nicht von Adam vor dem Sündenfalle, selbst nicht von dem Gläubigen der Gegenwart, dem "Menschen in Christo", kann das gesagt werden. Adam war eine lebendige Seele, und der Gläubige hat Leben, "Leben im Sohne"; aber in Christo, dem ewigen Wort, "war Leben". Und dieses Leben war das Licht der Menschen, und das Licht scheint (nicht "schien") in der Finsternis. Es ist die Natur, die dem Licht stets eigen ist. Wohl hatte Gott sich früher schon auf mancherlei Weise kundgetan, die Menschen besucht, hatte durch die Propheten zu den Vätern geredet, aber Er hatte stets im Dunkel, hinter dem Vorhang, gewohnt. Erst als "das Wort", "das Licht der Menschen", in dieser Welt erschien, trat Er aus dem Dunkel hervor. "Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns." (V. 14.) Aber was fand dieses Licht? Nur hoffnungslose, undurchdringliche Finsternis! Jede andere Finsternis weicht vor dem Licht; aber hier müssen wir hören: "und die Finsternis hat es nicht erfasst". Dieses in Christo kommende Licht war das Licht der Menschen, passend für sie, dazu bestimmt, "jeden Menschen zu erleuchten"; aber die Antwort des Menschen war Hass und bittere Feindschaft. Er hat "die Finsternis mehr geliebt als das Licht", ja, er "haßt das Licht". Darum kann das Ergebnis wiederum nur "Gericht" sein. (Vergl. Kap. 3, 19. 20.) Allen zugute ist das Licht in die Welt gekommen, darum sind auch alle ausnahmslos "ohne Entschuldigung". Anstatt also aus unserer Stelle eine "Verpflichtung" (!) herauszulesen, die Gott dem die Sünde und die Finsternis liebenden Menschen gegenüber hätte, finden wir im Gegenteil von neuem die Bestätigung, dass Gott nur gerecht ist, wenn Er richtet.

Gottes würdig und dem Menschen jede Entschuldigung nehmend ist auch die Weise, in welcher das Licht dem Menschen dargestellt worden ist. Zur Ankündigung des gewaltigen Geschehnisses wurde ein Mensch von Gott gesandt, Johannes der Täufer, der größte der Propheten und der einzige (abgesehen von dem Herrn Jesus selbst), von welchem die Schriften des Alten Testamentes geredet haben. (Vergl. Matth. 11, 10. 11; Luk. 1, 56.) "Dieser kam zum Zeugnis, auf dass er zeugte von dem Lichte, damit alle durch ihn glaubten." (V. 7.) Denn so groß Johannes war, was ist er Christo gegenüber? Damit niemand sich versucht fühle, einen Vergleich zwischen ihm und dem Herrn zu ziehen, fügt der Heilige Geist sofort die Worte hinzu: "Er war nicht das Licht , sondern auf dass er zeugte von dem Lichte". (V. 8.) Johannes war größer als alle, die bis dahin von Weibern geboren worden waren, weil er dem Herrn vorangehen und unmittelbar auf das wahrhaftige Licht hinweisen durfte; aber er war doch nur ein "Mensch", eine "brennende und scheinende Lampe" (Kap. 5, 35), von Gott angezündet, um in der Finsternis zu leuchten, ein Lichtträger, aber nicht mehr als das.

"Er war nicht das Licht . . . Das war das wahrhaftige Licht, welches, in die Welt kommend, jeden Menschen erleuchtet." Nicht nur dass Christus, weil Er Gott ist, zu jedem Menschen in Beziehung steht, nein, in Seinem Kommen, in Seiner Menschwerdung hat Gott sich den Menschen als solchen, allen Menschen, geoffenbart, läßt Sein untrügliches Licht auf alle scheinen. Das Gesetz hatte sich nur mit einem Volke und nur für eine Zeit und zu besonderen, beschränkten Zwecken beschäftigt; das wahrhaftige Licht kam in die Welt, um allen Menschen zu leuchten. Ähnlich schreibt der Apostel Paulus an Titus: "Die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend für alle Menschen". (Kap. 2, 11.) Wir wissen sehr wohl, dass nur denen das Heil in Wirklichkeit zuteil wird, die an Jesum glauben, geradeso wie zur Zeit des Herrn nur die Menschen wahrhaft erleuchtet wurden und von Ihm das Recht empfingen, Kinder Gottes zu werden, die Ihn "aufnahmen" (V. 12); aber die Gnadenabsicht Gottes umfasst alle, Sein Licht leuchtet für alle, Seine Heilsbotschaft ergeht an alle. Wenn nicht alle die Segnung empfangen, so liegt es nicht an Gott, sondern an dem Unglauben und der Feindschaft des Menschen. Hören wir nur weiter:

"Er war in der Welt, und die Welt ward durch Ihn, und die Welt kannte Ihn nicht. Er kam in das Seinige, und die Seinigen nahmen Ihn nicht an." (V. 10. 11.) Die Welt hätte sicherlich ihren Schöpfer kennen sollen, und noch mehr hätte Israel, Sein besonderes Besitztum aus allen Völkern der Erde, die, zu denen Er vor alters schon so oft geredet hatte, Ihn an nehmen sollen. Aber das Gegenteil war der Fall. Was blieb also für den Gott der Liebe, der Seinen Sohn in die Welt gesandt hatte, um ihr das Leben zu geben, übrig? Nichts anderes als die "Gnadenwahl". So begegnen wir immer wieder demselben, den Stolz des Menschen demütigenden, aber Gottes Gnade verherrlichenden Ergebnis: "So viele Ihn aber aufnahmen", d. h. so viele, durch den Vater gezogen (Kap. 6, 44), zu Jesu kamen und an Seinen Namen glaubten, "denen gab Er das Recht, Kinder Gottes zu werden". Sie wurden auf dem Boden einer bedingungslosen Gnade in ein Segensverhältnis eingeführt, bei dessen Bildung der Mensch mit seiner Kraft und seinem Willen völlig ausgeschaltet ist und Gott allein die Ehre zukommt. "Wo ist denn der Ruhm? Er ist ausgeschlossen worden." Warum? "Auf dass, wie geschrieben steht: Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn" (Rom. 3, 27; 1. Kor. 1, 31). Damit wollen wir den Menschen und seine törichten Meinungen verlassen und uns dem interessanten, aber oft so wenig beachteten und verstandenen Kapitel zuwenden, in welchem der Apostel Paulus die Lehre von der "Wahl nach Gnade" an Hand der Geschichte des Volkes Israel ausführlich entwickelt.

Fußnote:

*) Ich gehe auf die Übersetzung; "welches jeden in die Welt kommenden Menschen erleuchtet", die auch möglich ist und von einigen Übersetzern vorgezogen wird, hier nicht weiter ein, weil der Unterschied für die vorliegende Frage von geringer Bedeutung ist.

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Betrachtungen über den Propheten Hosea

Bibelstelle: Hosea 3

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 159ff

Gott verwirft Israel, lässt es aber durch Umkehr Christus wiederfinden, seinen wahren König

Der Prophet wird berufen, eine neue symbolische Handlung zu vollziehen. Er soll eine Frau lieben, die Ehebruch treibt, obwohl sie geliebt wird von einem Freunde - dem Propheten, der hier Gott versinnbildlicht, - eine Frau, die ihrer rechtmäßigen Verbindung mit ihrem Freunde untreu ist. So war es der Fall mit den Kindern Israel. Gott hatte sie geliebt, sie aber hatten Ihn verlassen, um anderen Göttern nachzulaufen, und hatten „Traubenkuchen geliebt" (V. 1) in der Meinung, der Ehebruch verschaffe ihnen dieses Festessen und Gott würde es ihnen verweigern. Hingegen war es David, der Traubenkuchen an das Volk verteilt hatte, Salomon, der sie seiner Geliebten gab, und das Wort zeigt nicht, dass sie jemals von anderen außer dem König ausgeteilt worden wären (2. Samuel 6,19; 1.Chronika 16,3; Hl. 2,5). Freilich gab der König, dem Rate Gottes gemäß, seinem Volk auch nahrhaftere Speise als dieses feine Gericht, aber Israel nahm darauf keine Rücksicht. „Sie lieben Traubenkuchen". Der Feind hatte sie glauben gemacht, dass sie, fern von Gott, den sie verrieten, ein beständiges Fest vorfänden. Dieser Irrtum geht durch alle Zeiten. Das Menschenherz von Natur sucht nicht immer seine Befriedigung in grobem Schmutz. Es verlangt auch nach feinerer Speise, nach den höheren Freuden des Verstandes und will aus seinem Leben ein Fest der Intelligenz machen. Deshalb wendet es sich der Welt zu, rückt von Gott ab und vergisst, dass wahrer Verstand und die einzigen wirklichen Freuden nur in der Gemeinschaft mit dem Heiland zu finden sind.

Der Preis, um den der Prophet die Ehebrecherin kauft, ist tatsächlich sehr gering. Der Letech Gerste legt nahe, dass der Prophet sie hatte herunterhandeln müssen, damit sie ihm zu diesem niedrigen Preis abgetreten würde. Das liegt aber doch daran, dass sie für sich genommen keinen Wert hatte, so dass ihr allein die Liebe dessen, der sie erworben hatte, Wert verlieh. Aber, wie dem auch sei, diese Frau gehörte ihm, weil er sie bezahlt und also Rechte auf sie hatte. Er konnte ihre Zukunft nach Belieben abhängig machen von ihrem vorausgegangenen Verhalten: „Du sollst mir viele Tage also bleiben, du sollst nicht huren und keines Mannes sein; und so werde auch ich dir gegenüber tun. Denn die Kinder Israel werden viele Tage ohne König bleiben und ohne Fürsten, und ohne Schlachtopfer und ohne Bildsäule, und ohne Ephod und Teraphim" (V. 3. 4). Dies war es, was zunächst den 10 Stämmen widerfahren sollte. Von ihrer Wegführung an waren sie ohne Fürsten, ohne Götzenbilder, ohne Verbindung mit Gott. Anders war es mit Juda bestellt. Nach der Gefangenschaft hatte es ihm nicht an Fürsten und Statthaltern gefehlt, und es hatte noch gewisse Beziehungen zu Gott bewahrt. Das Los Ephraims kam über Juda erst, nachdem es den Gesalbten des Herrn verworfen und gekreuzigt hatte. Von da an standen beide Volksteile unter ähnlichen, wenn nicht gleichen Bedingungen: Kein König mehr, kein Gottesdienst, kein Mittel, Gott zu befragen. Andererseits kein Götzendienst mehr, sei es öffentlich oder im Hause. Dagegen ein gekehrtes und geschmücktes Haus, das auf nichts mehr wartet ... als auf sieben unreine Geister, böser als der erste (Mt. 12,43 - 45).

Doch nimmt dieser trostlose Zustand ein Ende: „Danach werden die Kinder Israel umkehren und den Herrn, ihren Gott, und David, ihren König, suchen; und sie werden sich zitternd wenden zu Gott und zu seiner Güte am Ende der Tage" (V. 5). Israel wird umkehren, zu Gott zurückkehren und Christus als König anerkennen, den einst verworfenen wahren David. Zwei Dinge sind beherrschend im Herzen des wiederhergestellten Volkes: die Furcht Gottes und das Bewusstsein Seiner Liebe, gemäß dem Wort des Propheten: „Doch bei dir ist Vergebung, damit du gefürchtet werdest" (Psalm 130,4).

Wenn wir diese drei Kapitel kurz zusammenfassen, fällt es da nicht auf, dass Hosea praktisch am Vorabend der Auflösung der zehn Stämme

erstens ihre Wiederherstellung ankündigt, ihre Wiedereinsetzung in das Land unter einem einzigen Haupt (nachdem die eingeschobene Haushaltung der Kirche beendet ist),

zweitens, dass er Gott vorstellt, wie Er Seine Beziehungen zu ihnen wieder aufnimmt, unter dem neuen Bund, im tausendjährigen Reich,

drittens, dass er ihre Rückkehr durch die Umkehr zeigt, ihre Rückkehr unter das Zepter Davids, unter ihren wahren König, den Christus, den sie verworfen hatten?

2. Teil Kapitel 4 - 10

Der Rechtsstreit Jehovas mit Israel

Kapitel 4

Keine Hoffnung mehr für Ephraim

Für Juda bleibt eine schwache Hoffnung

Die ersten fünf Verse dieses Kapitels beschreiben den sittlichen Zustand Israels, die Verse 6 bis 15 den religiösen. Den sittlichen Zustand Ephraims hatte der Prophet Hosea unmittelbar vor Augen: überall „Schwören und Lügen, und Morden und Stehlen, und Ehebruch treiben; sie brechen ein, und Blutschuld reiht sich an Blutschuld". Sekarja, der letzte Spross des Mörders Jehu, wird von Sallum ermordet, und dieser wird von Menachem erschlagen; Menachem sät überall Mord und Gewalttat, gleich seinen Nachfolgern Pekachja und Pekach, die eines gewaltsamen Todes sterben. Trauer erfüllt das Land. Das Gericht Gottes, welches bei diesen Gräueln mitzuwirken hatte, dehnt sich von den Menschen aus auf die ganze beseelte Schöpfung des Landes Israel. Nichts entspricht mehr den Gedanken Gottes. Es ist das völlige Gegenteil von der im 2. Kapitel beschriebenen Wiederherstellung. Wenn das Herz Gott verlässt, so verschwinden augenblicklich Liebe und Wahrheit, die Züge des göttlichen Charakters, um durch die Früchte des natürlichen menschlichen Herzens: Gewalttat, Entartung und Lüge, ersetzt zu werden. Die genannten Dinge waren Kennzeichen der Familie Kains, auf die notwendigerweise das Gericht Gottes durch die Flut über die damalige Erde folgen musste, wie hier das Todesurteil über das Land und alles was darin wohnt, ausgesprochen werden muss. (V. 3).

„Doch niemand rechte und niemand tadle! ist doch dein Volk wie die, welche mit dem Priester rechten. Und du wirst fallen bei Tage, und auch der Prophet wird mit dir fallen bei Nacht; und ich werde deine Mutter vertilgen" (V. 4. 5). Dieser Ruf, das Volk nicht zu tadeln noch mit ihm zu streiten, zeigt, dass es dafür zu spät ist: sein Schicksal ist entschieden, denn jede Hoffnung zur Umkehr ist dahin. „Dein Volk", sagt Gott zum Propheten, „ist wie die, welche mit dem Priester rechten." Wozu noch mit Israel rechten und es tadeln, da es selbst mit dem Einzigen rechtet, der das Sühnungsopfer für das Volk darbringen könnte? Es gibt keine Frist mehr. Jede göttliche Hilfe wird dem Rest dieses Volkes entzogen. Das Volk selbst, ihre Mutter, wird vernichtet (Vergl. Kap. 2,2). So lautet der Urteilsspruch Gottes.

Doch mit welchem Schmerz redet Gott jetzt durch den Mund des Propheten! „Mein Volk ... mein Volk", so ruft Er in den Versen 6 und 12, kurz bevor Er es Lo-Ammi (Nicht-mein Volk) nennt! Welches ist sein Zustand in seinen Beziehungen zu Gott? Der Abfall ist allgemein; der Götzendienst hat alles ergriffen; Juda ist ebenso schuldig wie Ephraim. Die im 13. Verse genannten Einzelheiten: die Opfer auf den Höhen und unter jedem grünen Baume kennzeichnen Juda noch mehr als die zehn Stämme. Jedoch macht der Prophet einen gewissen Unterschied zwischen den zwei Königreichen: „Wenn du hurst, Israel, so verschulde sich Juda nicht" (V. 15)! In den Zeiten des Erwachens unter Hiskia, dessen Regierungsbeginn Hosea noch sah, und später unter Josia, wurden die Gräuel Judas zerstört und seine Höhen ausgerottet.

Wie dem auch sei, Gott sagt: „Mein Volk wird vertilgt aus Mangel an Erkenntnis; weil du die Erkenntnis verworfen hast, so verwerfe ich dich, dass du mir nicht mehr Priesterdienst ausübest; und du hast das Gesetz deines Gottes vergessen: So werde auch ich deine Kinder vergessen" (V. 6). In der Wüste Sinai hatte Gott Israel verheißen, wenn es den Bund des Gesetzes bewahren würde, so solle es ihm ein Königreich von Priestern sein (2. Mose 19,5. 6). Israel hat den Bund nicht gehalten, und so ist ihm das königliche Priestertum genommen worden. Wie hätte es auch dienen und anbeten und in den priesterlichen Verrichtungen erhalten werden können einem Gott gegenüber, den es gar nicht mehr kannte? „Du hast die Erkenntnis verworfen", lässt Gott ihm sagen, und: „aus Mangel an Erkenntnis wirst du vertilgt". Ja, mehr noch; es hatte „das Gesetz seines Gottes vergessen". Vergessen dieses gerechte und heilige Gesetz, das es erkannt und angenommen hatte, vergessen, als wenn es nie bestanden hätte! War das nicht viel schlimmer, als wenn es das Gesetz nie gekannt hätte? Darum sagt Gott: „So werde auch ich deine Kinder vergessen" (V. 6). In welch furchtbares Elend versinkt doch der Mensch durch den Ungehorsam und die Sünde! Welch ein Los, von Gott vergessen zu sein, während das Volk doch vor Ihn hätte hintreten können, vor den Gott, der immer wieder erklärte, nur eines vergessen zu wollen, nämlich die Sünden und Missetaten Seines Volkes!

Mit absichtlichem Verzicht auf verbindende Sätze (was die Prophezeiung Hoseas kennzeichnet) geht der Prophet von dem Priesterdienst des Volkes zu den Priestern über, die ihm vorstanden (V. 8. 9): „Sie essen die Sünde meines Volkes und verlangen nach seiner Missetat. Und so wird, wie das Volk, der Priester sein." Ich denke, dass das Wort „die Sünde" hier, wie an verschiedenen Stellen der Schrift, „Sündopfer" bedeutet. Die Priester wünschten, dass die Übertretungen des Volkes sich mehrten, damit sie sich dann um so reichlicher von ihren Opfern nähren konnten. Man sieht, wie tief die priesterlichen Verrichtungen gesunken waren. Sie waren nur noch ein Geschäft, ein Broterwerb! Gott wird „ihre Wege an ihnen heimsuchen" (V. 9). Was die in Ephraim so allgemein verbreitete und zur Hurerei führende Trunksucht betrifft, so nahm sie dem Volke den Verstand weg, derart, dass es nicht mehr auf Gott achtgab (V. 11.) Abergläubische Gewohnheiten der törichtesten Art hatten den wahren Gottesdienst in Israel verdrängt. Das Volk befragte sein Holz, und sein Stab war sein Orakel (V. 12). Dieser Aberglaube besteht zu allen Zeiten in demselben Maße, wie der wahre Gottesdienst verfällt. Der Mensch, wie er nun einmal ist, braucht einen Gegenstand der Verehrung, und wenn dieser Gegenstand für ihn nicht Gott ist, versinkt er in sittliches Verderben und sucht Rat an seinem eigenen Tisch und bei seinem Stab. Gottes Urteil über diese Gottlosigkeit des Menschen besteht darin, dass Er „sie dahin-gibt in einen verworfenen Sinn" (Römer 1,28).

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Der Liebe Art

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 165

Der Liebe grabe fleißig nur

Kanäle, tief und breit!

Gib acht, sie füllt sie allsogleich

Mit Fluten, warm und weit.

Wer nicht mehr gibt, mißt was er hat

An Liebe, treu und zart ;

Wer austeilt, der empfängt nur mehr

Das ist der Liebe Art.

R. B.

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Die Quittung

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 166ff

Vor einiger Zeit hatte ich einem mir bekannten Beamten eine Summe zu bezahlen. Als mir die Quittung überreicht wurde, sagte ich: "Es ist eine schöne Sache, niemand etwas schuldig zu sein".

"Da haben Sie recht", lautete die Antwort; "aber nur wenige Leute können das sagen."

"Ich kann es sagen", erwiderte ich; "aber was noch besser ist, ich darf sagen, dass ich auch Gott nichts mehr schulde. Als einer, dem alles vergeben ist, bin ich Gott allerdings ewiges Lob schuldig; aber was meine Schuld betrifft, so ist sie völlig bezahlt, und ich besitze eine regelrechte Quittung über die Bezahlung. Darf ich fragen, ob es bei Ihnen auch so ist?"

"Ich denke doch", erwiderte er.

"Und welche Quittung haben Sie?" fragte ich weiter.

"Ich habe das bestimmte Gefühl, die innere Überzeugung, dass meine Sünden mir vergeben sind."

"Bestimmte Gefühle und eine innere Überzeugung", erwiderte ich, "sind gewiss sehr schön, aber als Quittung sind sie keinen Strohhalm wert. So habe ich z. B. die bestimmte Überzeugung, dass ich Ihnen soeben die Summe bezahlt habe; aber wenn ich nun ohne Quittung fortginge, und es würde Ihnen ein Unfall zustoßen, ehe Sie das von mir bezahlte Geld in Ihre Bücher eingetragen hätten, würde man dann nicht den Betrag noch einmal von mir fordern? Ich könnte dann freilich sagen: "Ich habe die bestimmte Gewissheit, dass ich die Summe bezahlt habe". Aber würde man sich damit zufrieden geben? Würde man nicht die Quittung von mir verlangen?"

Der Beamte, der die Kraft meiner Beweisführung wohl fühlen mochte, meinte nach einigem Besinnen: "Nun, ist der Sühnungstod Christi nicht die Quittung?"

"Nein", entgegnete ich. "Sie kennen den Unterschied zwischen dem Geld, das ich Ihnen bezahlt habe, und der Quittung, die Sie mir dagegen einhändigten. Das Geld hat Ihrer Forderung an mich genügt, die Quittung da-gegen befriedigt mich, und ich kann mit der völligen Gewissheit von hier weggehen, dass man die Bezahlung dieses Geldes nicht noch einmal von mir verlangen wird."

Auch das war dem Beamten einleuchtend; aber er konnte keine Antwort auf meine Frage finden und wünschte zu wissen, was für eine Quittung ich denn besäße. Ich sagte ihm: "Geben Sie einmal gut acht. Das Blut Jesu Christi hat unsere Schuld bezahlt. Er hat am Kreuze unseren Platz eingenommen, alle unsere Sünden getragen und allen Anforderungen der göttlichen Gerechtigkeit an uns vollkommen genügt. Er ist für uns zur Sünde gemacht worden. Mit einem Wort, Sein Tod hat Gott im Blick auf uns vollkommen befriedigt.

"Der Tod Christi ist also das Lösegeld, die Bezahlung. Und nun die Quittung? Die Quittung ist der auferstandene und verherrlichte Christus. Ein Christus, sitzend zur Rechten der Majestät in den Himmeln, ist die feste und unerschütterliche Grundlage unserer Gewissheit, dass unsere Schuld bezahlt und jedes Gericht von uns genommen ist. "Er ist unserer Übertretungen wegen dahingegeben" - das ist die Bezahlung, "und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden" - das ist die Quittung. Denselben Menschen, der unsere Sünden auf dem Holze getragen hat, der Gott verherrlicht hat in allen" worin wir Ihn verunehrt hatten, hat Gott nach vollendetem Werke aus den Toten auferweckt, zu Seiner Rechten gesetzt und mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt. Und wenn nun der Teufel oder irgend ein anderer Ankläger uns angreifen will, so werden wir nicht Zuflucht nehmen zu unseren Gefühlen und Überzeugungen, sondern den Widersacher auf unsere Quittung hinweisen. Wir zeigen ihm den Menschen in der Herrlichkeit, den verherrlichten Sieger, dessen Stirn die Krone der Herrlichkeit ziert. Das ist unsere Antwort auf jede Frage, und wahrlich, sie ist völlig genügend. Es wäre nutzlos, dem Feinde zu begegnen mit dem Hinweis auf irgend etwas in uns oder von uns, seien es unsere erneuerten Gefühle oder veränderten Gewohnheiten, seien es Glaubenserfahrungen oder gute Werke. Obwohl diese Dinge die notwendigen Früchte des neuen Lebens sind, werden sie doch weder uns völlige Ruhe geben, noch den Feind in die Flucht zu schlagen vermögen. Es gibt nur eine Sache, auf die wir uns berufen können, und das ist die Quittung, die Gott uns gegeben hat: der Mensch, der auf dem Throne der Majestät in der Höhe verherrlicht ist. Diese Berufung bringt jeden Ankläger zum Schweigen, genügt dem Gewissen, beruhigt das Herz und verherrlicht Gott."

Mein lieber gläubiger Leser! Ruhst auch du in dem Glauben an den gestorbenen und auferstandenen Christus? Gott will nicht, dass du in einer ungewissen Hoffnung vorangehst. Darum hat Er nicht nur in dem Tode Seines Sohnes deine Schuld bezahlt, sondern dir auch in Seiner Auferstehung eine ewiggültige Quittung darüber gegeben.

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Das Reich Gottes

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 169ff

Die Schlüssel des Reiches der Himmel

wurden einst Simon Petrus übergeben. In Verbindung mit dem bekannten Wort des Herrn: "Auf diesen Felsen will ich meine Versammlung (Gemeinde) bauen usw.", hören wir: "Und ich werde dir (Petrus) die Schlüssel des Reiches der Himmel, (nicht: "des Himmels" oder "des Hauses Gottes, der Versammlung",) geben; und was irgend du auf der Erde binden wirst, wird in den Himmeln gebunden sein, und was irgend du auf der Erde lösen wirst, wird in den Himmeln gelöst sein".

Die Erfüllung des ersten Teiles dieser Worte finden wir in der Apostelgeschichte. Im 2. Kapitel schließt Petrus den Juden, die durch die Verwerfung ihres Messias alle Anrechte an das Reich verloren hatten, die Tür ins Reich wieder auf, und im 10. Kapitel werden in dem Hauptmann Kornelius und seinen Verwandten und Freunden die Heiden durch ihn in das Reich eingeführt. Zwei Schlüssel, den einen für Israel, den anderen für die Nationen hatte der Herr in die Hände Seines Jüngers gelegt, und beide sind von Petrus gebraucht worden.

Der zweite Teil der Worte des Herrn hat in einem Sinne mit dem ersten gar nichts gemein; er führt einen ganz neuen Gedanken ein. Mit Schlüsseln öffnet und schließt man, aber binden und lösen hat ebenso wenig mit Schlüsseln zu tun wie das vorhergenannte Bauen der Gemeinde. Von einer "Schlüsselgewalt", von der der Mensch redet, weiß das Wort Gottes gar nichts. Die letzte Hälfte unserer Stelle spricht allerdings von einer Gewalt oder Autorität, aber diese steht in Verbindung mit der Verwaltung des Reiches hienieden. Ein ernstes Beispiel von dieser Gewalt und ihrer Ausübung liefert uns die ergreifende Geschichte von Ananias und Sapphira in Apstgsch. 5. Kraft der ihm verliehenen Autorität band der Apostel die Sünde der beiden unglücklichen Eheleute auf sie, und im Himmel fand seine Handlung unmittelbare Anerkennung. Beide traf ein augenblicklicher Tod.

Hier sei noch ein kurzes Wort über Matth. 13 eingeschaltet. Das erste Gleichnis in diesem wunderbaren Kapitel zeigt uns, wie der Messias, der umsonst Frucht in Seinem Weinberg gesucht hatte, sich gleichsam in den Sohn des Menschen umwandelt (Er war das selbstverständlich immer) und nun als Sämann in die ganze Welt ausgeht, um den guten Samen des Wortes Gottes auszustreuen. Die natürlichen Beziehungen zu Israel, dem "bösen Geschlecht", das immer mehr der Gewalt unreiner Geister anheimfällt, sind abgebrochen. (Vergl. Kap. 12, 43 - 50.) Gott sendet jetzt Sein Wort der ganzen Welt. Im Anschluss daran geben uns die übrigen sechs Gleichnisse ein Gesamtbild von dem Reiche der Himmel, wie es sich fortan gestalten sollte - wir könnten auch sagen: ein Bild der Geschichte der Christenheit. Die drei ersten Gleichnisse (Unkraut, Senfkorn und Sauerteig) beschreiben seine äußere Entwicklung, wie sie von den Augen der Menschen beobachtet werden kann, die drei letzten (Schatz im Acker, Perle, Netz) reden von seinen. Kern oder Inhalt, von seinem inneren Wert, wie Gottes Auge diesen sieht. Darum spricht der Herr bei den ersten drei zu Seinen Jüngern und der Volksmenge, bei den letzten drei nur zu Seinen Jüngern; hierfür hatte die Volksmenge kein Verständnis.

"Reich der Himmel" und "Christenheit" sind zwei Begriffe, die sich in mehrfacher Hinsicht decken. "Reich der Himmel" und "Versammlung" oder "Gemeinde" sind aber niemals gleichbedeutend, können es nicht sein, weil jenes Reich immer in Verbindung steht mit dieser Erde, die Versammlung immer mit dem Himmel. Das Reich der Himmel umschließt Gute und Böse, Gerechte und Ungerechte, Weizen und Unkraut; die Braut oder Versammlung dagegen besteht ausschließlich aus wahren Gläubigen, Gliedern des Leibes Christi. Die Braut wird in den Himmel entrückt, ehe Christus sichtbar erscheint. Das Reich der Himmel wartet auf die allen sichtbare Erscheinung des Sohnes des Menschen und wandelt sich dann, nach Vollziehung des Gerichtes über das Unkraut, um in jenes Friedensreich, von dem die Propheten des Alten Bundes so Vieles und Herrliches geredet haben, und das aus einem irdischen und himmlischen Teile bestehen wird. Hören wir, was der Herr selbst hierüber in Matth. 13, 40 - 43 sagt: "In der Vollendung des Zeitalters wird der Sohn des Menschen Seine Engel aussenden, und sie werden aus Seinem Reiche (dem Reiche des Sohnes des Menschen, d. h. dem irdischen Teil des Reiches) alle Ärgernisse zusammenlesen und die das Gesetzlose tun; und sie werden sie in den Feuerofen werfen... Dann werden die Gerechten (die himmlischen Heiligen) leuchten wie die Sonne in dem Reiche ihres Vaters (dem himmlischen Teil des Reiches)." Das Reich der Himmel als solches hat dann aufgehört zu bestehen; es ist, wie gesagt, übergegangen in das

Reich des Sohnes des Menschen und das Reich des Vaters (der Gerechten).

Der Traum Jakobs (1. Mose 28, 12 - 14) ist dann in Erfüllung gegangen: Himmel und Erde sind miteinander verbunden, und die Himmelsbewohner dienen als Segenskanäle den Angehörigen des Reiches hienieden. Dann ist auch das in Offenbarung 11, 15 angekündigte "Reich der Welt unseres Herrn und Seines Christus geworden". Es wird nicht mehr vom Himmel her regiert. Der König selbst ist da und hat Seine Herrschaft angetreten. Dann "wird Wahrheit sprossen aus der Erde, und Gerechtigkeit herniederschauen vom Himmel". (Ps. 85, 11.) "Es werden dem Volke Frieden tragen die Berge und die Hügel durch Gerechtigkeit." (Ps. 72, 3.) Der Wille Gottes geschieht, wie im Himmel also auch auf Erden.

Zum Schluss noch ein Wort über eine vielumstrittene Stelle in 1. Kor. 15. Der Apostel Paulus sagt dort (Vers 25 ff.): "Er (Christus) muss herrschen, bis Er alle Feinde unter Seine Füße gelegt hat. Der letzte Feind, der weggetan wird, ist der Tod."

Unser hochgelobter Herr muss und wird herrschen in Gerechtigkeit und Friede, wie nie ein König geherrscht hat und herrschen konnte, zur Verherrlichung Gottes. So wie Er den Vater verherrlicht hat in der Zeit Seiner Erniedrigung, so wird Er Ihn vollkommen verherrlichen in der Zeit Seiner Erhöhung. Dann wird die Herrschaft auf Seiner starken Schulter ruhen, und "die Mehrung der Herrschaft und der Friede werden kein Ende haben", d. h. solang diese Schöpfung nach Gottes Willen währt, oder, wie die Schrift es ausdrückt, solang Sonne und Mond bestehen. (Ps. 72, 7. 17; 89, 29. 36. 37; Dan. 2, 44; 7, 14; Luk. 1, 32. 33.) Tausend Jahre wird "Sein Tag" währen; und wenn dann die Jahre Seiner Herrschaft vorüber sind und "das Ende" kommt, mit anderen Worten, wenn Himmel und Erde vergehen und der "ewige Zustand" anhebt, dann "wird Er das Reich dem Gott und Vater übergeben". Der auch in dieser Beziehung als vollkommen Erwiesene wird Seine Herrschaft niederlegen, um dann schließlich wiederum (als Mensch) "Dem unterworfen zu sein, der Ihm alles unterworfen hat, auf dass Gott alles in allem sei" - Vater, Sohn und Heiliger Geist. Alle Herrschaft, Gewalt und Macht, soweit sie mit dieser Schöpfung in Verbindung steht, wird weggetan sein. Aus den Händen des vollkommenen Menschen, in welche Gott sie gelegt hatte auf Grund Seines Gehorsams bis in den Tod am Kreuze, wird sie nach tadelloser, vollkommener Verwaltung in die Hände Gottes zurückgelegt werden.

In der gegenwärtigen Zeit ist unserem hochgelobten Herrn wohl schon "alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben", aber Er hat Seine Herrschaft noch nicht angetreten, das Erbe noch nicht übernommen. Der Besitz ist "erworben", aber noch nicht "eingelöst". (Eph. 1, 14.) Ihn, den geheimnisvollen Menschen der Ratschlüsse Gottes, den einigen Sohn, durch den und für den alle Dinge geschaffen sind, Ihn, der als der abhängige und gehorsame Mensch die Erlösung vollbracht und sich als Erbe aller Dinge zur Rechten der Majestät droben gesetzt hat - Ihn hat Gott hoch erhoben und Ihm heute schon einen Namen gegeben, der über jeden Namen ist. "Noch über ein gar Kleines", und wir werden Ihn kommen, und alle Gewalt und Macht und Herrschaft in Seinen mächtigen Händen glorreich vereinigt sehen, und dann "wird in dem Namen Jesu jedes Knie sich beugen, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge wird bekennen, dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters" (Phil. 2, 9 - 11).

Zur Vervollständigung des Bildes bleibt uns noch übrig, einen Blick zu werfen auf

das ewige Reich unseres Herrn Heilandes Jesus Christus.

Es ist wiederum der Apostel Petrus, dessen Person in Verbindung mit diesem Ausdruck vor unsere Blicke tritt. Er, der die Schlüssel des Reiches der Himmel von dem Herrn empfing, betrachtet in seinen Briefen den Gläubigen nicht, wie Paulus es stets tut, als auferstanden mit Christo oder gar als in Ihm mitversetzt in die himmlischen Örter, sondern als einen Fremdling auf dieser Erde, der wiedergezeugt ist zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi aus den Toten zu einem unverweslichen und unbefleckten Erbteil, das für ihn droben aufbewahrt wird, und der nun auf den Herrn wartet, dass Er ihn in den Vollgenuss der verheißenen Segnungen einführe. Als solcher wird er ermahnt, mit umgürteten Lenden seiner Gesinnung völlig auf die Gnade zu hoffen, die ihm bei der Offenbarung Jesu Christi gebracht werden wird (1. Petr. 1, 13), oder in seinem Glauben alle jene kostbaren Tugenden darzureichen, die den himmlischen Fremdling hienieden zieren sollen, und so seine Berufung und Erwählung in seinem Herzen fest zu machen. Wenn er dieses tut, wird er nicht nur vor Straucheln und Fallen bewahrt bleiben, sondern es wird ihm auch "der Eingang in das ewige Reich unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus reichlich dargereicht werden". (2. Petr. 1, 5 - 11.)

Mit anderen Worten: Das Auge eines solchen Gläubigen, des "Christen", wie bekanntlich nur Petrus in Kap. 4, 16 seines ersten Briefes ihn nennt*), ist klar, Herz und Gewissen sind unbeschwert, und der Eingang in das ewige Reich des Herrn, dessen "Miterbe" er geworden ist, liegt offen vor ihm. Die zukünftige Herrlichkeit erfüllt gleichsam schon mit ihren Strahlen seine glückliche Seele, erhebt sie über all das gegenwärtige Leid und lässt sie zugleich den wahren Charakter alles dessen erkennen, wodurch Satan das Auge zu blenden und das Herz abzulenken sucht. Das Reich wird hier das "ewige" Reich unseres Herrn und Heilandes genannt. Der Ausdruck geht also wohl über das hinaus, was uns bisher beschäftigt hat; nicht so, dass die vorübergehende Entfaltung der Herrlichkeit des Reiches, wie sie in der tausendjährigen Dauer der Regierung des Sohnes des Menschen gesehen werden wird, ausgeschlossen wäre, aber der Blick wird über das Zeitliche hinauf in die Ewigkeit gelenkt, auf das gerichtet, was unveränderlich und unvergänglich ist.

Ähnlich wird in Offenbg. 22, 3 - 5 gesagt, dass "Seine Knechte Ihm dienen, Sein Angesicht sehen und herrschen werden von Ewigkeit zu Ewigkeit". Und in Hebr. 12, 27. 28, wo von der "Erschütterung und Verwandlung" alles Erschaffenen geredet wird, lesen wir: "auf dass die Dinge, welche nicht erschüttert werden, bleiben", und werden ermahnt, "da wir ein unerschütterliches Reich empfangen, Gnade zu haben, durch welche wir Gott wohlgefällig dienen mögen mit Frömmigkeit und Furcht".

Es gibt noch eine Anzahl anderer Stellen, wo von dem Reiche Christi oder Gottes, von dem "Reiche des Sohnes Seiner Liebe" usw. die Rede ist; aber sie gehören nicht in den Rahmen unserer Betrachtung. Es wird dem Leser bei aufmerksamer Beachtung des Inhalts und Zusammenhangs der betreffenden Stellen auch kaum schwer fallen, die jeweilige Bedeutung des Wortes "Reich" zu verstehen.

Fußnote:

*) Andere haben den Gläubigen diesen Namen schon früher beigelegt (Apstgsch. 11, 26), aber nur an obiger Stelle wird er von dem Heiligen Geiste gebraucht und damit anerkannt.

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Nach Wahl der Gnade

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 176ff

Der Vorsatz Gottes nach Auswahl

In den Kapiteln 9 - 11 des Römerbriefes behandelt der Apostel Paulus die Frage: Wie können die besonderen Verheißungen Gottes an Israel, Sein auserwähltes Volk, in Einklang gebracht werden mit der unterschiedslosen Berufung von Heiden und Juden zu den neutestamentlichen Segnungen? Wenn Gott Juden und Heiden in sittlicher Beziehung auf einen Boden stellt und nun in der Macht Seiner Liebe und dem Reichtum Seiner Gnade alle Glaubenden errettet und "in Christo" zur Sohnschaft bringt, was wird dann aus dem gebrochenen Gesetz? was aus den bedingungslosen Verheißungen, die Er einst dem Stammvater Israels, Abraham, in 1. Mose 15, 17 und 18 gegeben hat? Wie ist die Predigt der freien Gnade für alle Menschen, ob Jude oder Grieche, mit jenen Verheißungen vereinbar?

Ehe der Apostel auf die Beantwortung dieser Fragen eingeht, gibt er "seinen Verwandten nach dem Fleische" einen ebenso rührenden wie ergreifenden Beweis von seiner durch nichts auszulöschenden Liebe zu Israel. Man warf ihm, dem Apostel der Nationen, vor, dass er ein Abtrünniger sei, der aus unedlen Beweggründen seine Beziehungen zu Israel abgebrochen habe und nun, Gottes Gedanken in Verbindung mit dem "Samen Abrahams" vergessend, sein eigenes Fleisch und Blut verachte.

O wie wenig kannten die Menschen, die also dachten und redeten, das Herz dieses wunderbaren Mannes! Dieses Herz, das im Anschauen des Zustands seines geliebten Volkes und der göttlichen Gerichte, die seines Unglaubens und seiner Halsstarrigkeit wegen über Israel gekommen waren, wie aus tausend Wunden blutete! Mit Ausdrücken, wie sie stärker nicht gedacht werden können: "Ich sage die Wahrheit in Christo, ich lüge nicht, indem mein Gewissen mit mir Zeugnis gibt in dem Heiligen Geiste" - versichert er seine Volksgenossen seiner unveränderten glühenden Zuneigungen zu ihnen, und zwar nicht etwa aus der Zeit, da er noch als eifriger, gesetzestreuer Pharisäer in ihrer Mitte gelebt und gewirkt hatte, sondern aus den Tagen nach seiner Berufung zum Apostel Jesu Christi. Anstatt seine Brüder zu verachten oder gar zu hassen, hatte er, ähnlich wie Mose gelegentlich der Aufstellung des goldenen Kalbes Gott gebeten hatte, seinen Namen aus Seinem Buche auszulöschen, gewünscht, für seine Brüder "durch einen Fluch von Christo entfernt zu sein". "Die große Traurigkeit und der unaufhörliche Schmerz in seinem Herzen" hatten ihn einmal so überwältigt, dass er einem Wunsche Ausdruck gegeben hatte, der gar nicht erfüllt werden konnte, dessen Erfüllung seinem Volke auch nichts hätte nützen können (genau wie bei Mose), der aber bewies, wie tief und innig er seine Verwandten nach dem Fleische liebte. Es war göttliche Liebe, die sich selbst aufopfernde Liebe Christi, die in ihm, wie einst in Mose, wirkte und beide Männer bereit machte, alles, selbst das Unmögliche, zu tun, um ihren Gegenständen zu dienen.

Dieselbe Liebe lässt den Apostel dann alles aufzählen, was er zum Vorteil seiner Volksgenossen sagen konnte. Wer andere haßt, benutzt jede Gelegenheit, um sie herabzusetzen und das Gute, das sie besitzen mögen, zu verkleinern; die Liebe tut das Gegenteil. Es würde uns indessen zu weit von unserem Gegenstand ablenken, so interessant es auch wäre, wenn wir uns mit den Vorrechten Israels, die Paulus hier aufzählt, eingehender beschäftigen wollten. Nennen wir sie deshalb nur kurz. Die "Brüder" des Apostels waren Israeliten, also Nachkommen jenes Mannes, der mit Gott und Menschen gerungen und obgesiegt hatte. (1. Mose 32, 28.) Ihnen gehörte die Sohnschaft (selbstverständlich nicht in dem heutigen christlichen Sinne), denn: "Mein Sohn, mein erstgeborener, ist Israel", und: "Lass meinen Sohn ziehen!" hatte Jehova dem Pharao entbieten lassen - ferner die Herrlichkeit (vergl. 2. Mose 29, 43) und die Bündnisse und die Gesetzgebung (wo war ein Volk gleich ihm, das Gott "aus allen Geschlechtern der Erde erkannt", und dem Er solch gute, gerechte Satzungen gegeben hätte?) und der Dienst (zunächst in der Stiftshütte und später im Tempel) und die Verheißungen und die Väter! Und schließlich, als herrliche Krone des Ganzen: aus Israel war, "dem Fleische nach, der Christus (der Messias), welcher über allem ist, Gott, gepriesen in Ewigkeit"!

Mit welch einer Wucht mussten solche Worte auf die Herzen und Gewissen derer fallen, die dem Apostel solch bitteres Unrecht taten! In der Tat, wenn es einen Mann gab, der das irdische Volk Gottes liebte, so war er es. Er war der letzte, dem man vorwerfen konnte, dass er die Vorrechte Israels unterschätze. Viel eher stand es ihm zu, einen solchen Vorwurf zu erheben, denn wer von seinen ungläubigen Verwandten nach dem Fleische kannte und erkannte das höchste aller ihrer Vorrechte, nämlich dass Christus Jesus, "Gott, geoffenbart im Fleische", "aus Israel" war? Wer von ihnen trug solches Leid über die Verwerfung Israels, wie Paulus es tat?

Deshalb war er auch der Mann, der Israel darüber belehren konnte, dass Gott Sein Volk nicht "verstoßen" habe, wenn es auch unter den Schlägen Seiner Gerichte so schwer litt und heute noch leidet; weiter aber auch, dass nur die unumschränkte Gnade Gottes die Grundlage zu ihrer Wiederherstellung bilden könne, dieselbe Gnade, die den Heiden zuteil geworden war, und die sich ihnen zuwenden wollte, um eine viel herzlichere Erfüllung der ihnen gewordenen Verheißungen herbeizuführen, als sie es je hätten erwarten können. In ihrem Streben, eine eigene Gerechtigkeit aufzurichten, hatten sie die Gerechtigkeit, die aus Glauben ist, nicht erlangt, sondern waren zu einem ungehorsamen und widersprechenden Volke geworden, nach welchem Gott Seine Hände umsonst ausstreckte. (Kap. 10, 3. 21.)

Was konnte ihnen Hilfe bringen? Wir sagten es schon: allein die Unumschränktheit Gottes, die trotz allem in Gnaden handeln und einen "Überrest nach Wahl der Gnade" erretten konnte. Mochte auch das Volk als Ganzes, statt zu erlangen was es suchte, dem gerechten Zorn anheimfallen, nach Gottes Vorsatz gab es doch noch eine "Auswahl", die das Heil erlangte, während die übrigen verstockt wurden. "O Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes!" (Kap. 11, 5 - 7. 33.)

Im weiteren Verlauf unseres Kapitels beweist dann der Apostel den Juden aus ihrer eigenen Geschichte, dass Gott von jeher nach Seiner Unumschränktheit gehandelt hatte. Und wie gut für sie, dass Er es immer noch tat! Nur so gab es noch eine Hoffnung für sie; anders wären sie rettungslos verloren gewesen. War aber Sein Wort nicht dadurch "hinfällig geworden" (V. 6), dass Er den Heiden die Gnadentür öffnete? Hatte Er Seine Verheißungen an die Väter nicht vergessen? Nein, Gottes Wort hat noch stets seine Kraft behalten und sich als zuverlässig und treu erprobt; nur der Mensch, und vor allem der Jude, hat sich als unzuverlässig und fehlerhaft erwiesen.

Ähnlich wie man es heute macht, suchten die Juden aus den Verheißungen, die Abraham empfangen hatte, eine "Verpflichtung" für Gott herzuleiten, die ganze natürliche Nachkommenschaft des Patriarchen zu segnen (der Ausschluss der Heiden war dabei selbstverständlich). Aber, sagt der Apostel, "nicht alle, die aus Israel sind", sind deshalb Israel, auch sind nicht alle deshalb Kinder, weil sie "Abrahams Same" sind. (V. 6. 7.) Schon hatte der Herr selbst (vergl. Joh. 8, 37-39) die Juden auf diesen ernsten Unterschied zwischen Abrahams "Same" und Abrahams "Kindern" aufmerksam gemacht. Die natürliche Abstammung von Abraham gab niemand ein Anrecht auf die Verheißungen. Und wenn die Juden dies dennoch festhalten wollten, dann mussten sie auch die Wüstensöhne Arabiens, die Beduinen, als gleichberechtigt anerkennen, denn sie waren Söhne Ismaels, des Sohnes Abrahams. Und mit noch größerem Recht die Edomiter, waren sie doch die Nachkommen Esaus, des Zwillingsbruders Jakobs! Das aber wollten sie natürlich nicht. Wie hätte ein Jude mit unreinen Heiden, mit "Hunden", gemeinsame Segnungen haben mögen? Das war völlig ausgeschlossen. Die Verheißungen gehörten nur der Linie Isaaks bzw. Jakobs!

Wenn das aber so war, dann hatte die natürliche Abstammung gar wenig Wert. Was zunächst Ismael angeht, so war er wohl ein wirklicher Sohn Abrahams, aber er war "nach dem Fleische geboren" (Gal. 4, 23), und das Fleisch nützt vor Gott nichts. "Nicht die Kinder des Fleisches, diese sind Kinder Gottes, sondern die Kinder der Verheißung werden als Same gerechnet." (V. 8.) Ähnlich hatte der Apostel schon am Ende des 2. Kapitels gesagt: "Nicht der ist ein Jude, der es äußerlich ist, noch die äußerliche Beschneidung im Fleische Beschneidung". Nein, die Entscheidung steht Gott allein zu, und es hat Ihm gefallen, Isaak zu berufen, nicht Ismael. Die Berufung gründete sich auf einen freien Entschluss, auf den "Vorsatz" Gottes und war "nach Auswahl" geschehen. "Denn dieses Wort ist ein Verheißungswort: "Um diese Zeit will ich kommen, und Sara wird einen Sohn haben"." (V. 9.)

Der Kraft dieser Beweisführung konnte sich kein Jude entziehen, er hätte denn, wie gesagt, die Nachkommen Ismaels und Esaus als gleichberechtigt mit Israel anerkennen müssen. Aber eine andere Einwendung konnte gemacht werden. Die Mutter Ismaels war eine ägyptische Magd, eine Sklavin; Isaak aber war von Sara, dem rechtmäßigen Weibe Abrahams, geboren. Wie stand es denn nun mit Rebekka? Sie war nicht nur keine Magd, sondern entstammte der Familie Abrahams, und sie gebar ihrem Manne Zwillingssöhne. Man könnte sich keinen Fall denken, der für die Beweisführung des Apostels passender gewesen wäre. Esau und Jakob waren Söhne eines Vaters, von derselben Mutter zu derselben Zeit geboren - und doch sagt Gott zu Rebekka, noch ehe die Kinder geboren waren und weder Gutes noch Böses getan hatten, was einen Unterschied zwischen beiden hätte errichten können: "Der Größere wird dem Kleineren dienen", oder mit anderen Worten: das Erstgeburtsrecht des älteren wird auf den jüngeren übergehen. Warum? Weil Gott es so beschlossen hatte. Es war Sein Vorsatz, Sein unumschränkter Wille bezüglich des kleineren oder jüngeren, "auf dass", wie der Apostel ausdrücklich hervorhebt, "der Vorsatz Gottes nach Auswahl bestände, nicht aus Werken, sondern aus dem Berufenden". Die Werke der beiden Kinder hatten gar nichts mit der Berufung zu tun; noch ehe sie geboren waren, also bevor sie irgend etwas getan hatten, was vielleicht den einen für den Empfang der Segnung passend, den anderen unpassend hätte erscheinen lassen können, traf Gott Seine Wahl.

Aber, könnte man einwenden, lesen wir nicht gleich nachher, dass Gott den Jakob geliebt, den Esau aber gehasst habe? Ja, so steht geschrieben, und es steht uns nicht zu, dieses Wort im geringsten abzuschwächen. Es liegt aber auch gar kein Grund dafür vor. Beachten wir zunächst, dass Gott jene Worte nicht (wie die anderen) ausgesprochen hat, ehe die Kinder da waren, sondern dass sie sich bei Maleachi, dem letzten aller alttestamentlichen Propheten, finden, der etwa 1400 Jahre nach der Geburt des Zwillingspaares lebte, zu einer Zeit also, als Esau längst seine böse, "ungöttliche" Gesinnung, und seine Nachkommen, die Edomiter, ihre unversöhnliche Feindschaft gegen Israel geoffenbart hatten. Wenn Gott also sagt, dass Er den Jakob geliebt, den Esau aber gehasst habe, so fand die Liebe ihre Quelle in Seinem Herzen - sie war frei und unverdient -, während der Hass seine Grundlage in dem sittlichen Verhalten Esaus hatte. Beide Kinder waren in Sünde geboten und sind auch zweifellos beide in Sünden aufgewachsen; aber an dem einen erfüllten sich die Gnadenratschlüsse Gottes, während der andere die gerechte Strafe für seine bösen Wege fand.

Da der Ausspruch des Propheten Maleachi gerade in der hier vorliegenden Verbindung manchem Leser Schwierigkeiten bereitet und schon oft zu falschen Auslegungen geführt hat, möchte ich nochmals ausdrücklich betonen, dass er erst lange nach dem Tode der beiden Söhne Isaaks gefallen ist. In 1. Mose 25 finden wir nichts davon. Es kann also aus ihm nicht der Schluss gezogen werden, dass Gott im voraus den einen Sohn geliebt, den anderen gehasst und so das ewige Los beider von vornherein bestimmt habe; auch nicht, dass Er in Seiner göttlichen Kenntnis vorausblickend so geredet habe. Beides ist falsch; aber der Mensch schließt so gern aus der Auswahl des einen die Verwerfung des anderen. Nein, die Sache liegt so: wenn Gott von zwei Menschen, die beide keinerlei Ansprüche an Ihn machen können, den einen, wie es hier geschieht, zu einem bevorzugteren Platz erwählt als den anderen, so ist das Sein unumschränkter Wille, und wer kann zu Ihm sagen: "Warum tust du also?" Wenn es Ihm gefällt, sich in Seiner Gnade an einem Menschen zu verherrlichen, wer hat ein Recht, Ihm einen Vorwurf daraus zu machen? - Zugleich bedingt die Erwählung des einen keineswegs die Verdammnis des anderen.

Ist etwa Ungerechtigkeit bei Gott?

"Was sollen wir nun sagen? Ist etwa Ungerechtigkeit bei Gott? Das sei ferne!" (V. 14.)

So fragt der eitle Mensch, die fleischliche Vernunft: Wenn Gott von zwei gleich sündigen Menschen den einen errettet, den anderen verloren gehen läßt, handelt Er dann nicht ungerecht? Die Frage an und für sich beweist schon die Überhebung des menschlichen Herzens, indem sie für den Menschen das Recht in Anspruch nimmt, Gott beurteilen und richten zu können, anstatt sich von Ihm beurteilen zu lassen und sich Seinem Gericht zu unterwerfen. Es kann nicht anders sein: sobald ich die Unumschränktheit Gottes in Frage ziehe, werfe ich mich zum Beurteiler und Richter Gottes auf. Nicht Er richtet, sondern ich richte. Die natürliche Gesinnung des Menschen empört sich allerdings gegen eine Wahrheit, die gerade der göttlichen Natur entspringt, sich auf sie gründet. Ist Gott Gott, so muß Er souverän sein in all Seinem Tun. Jede Lehre, die Gottes unumschränkte Majestät leugnet, oder Ihn als gleichgültig der Sünde und dem Elend des Menschen gegenüber hinstellen will, ist der Wahrheit entgegen und Gottes unwürdig. Gott ist Licht, und das Licht kann sich unmöglich mit der Finsternis im menschlichen Herzen vereinigen; Gott ist Liebe, und die Liebe ist frei, in Heiligkeit ihrer Natur nach zu handeln.

Der Mensch, unwissend über sich selbst und Gott, leugnet freilich sein völliges Verderben, lehnt sich auf gegen Gottes Wort und kritisiert Seine Wege. Aber indem er das tut und sich Gott gegenüber sogar auf den Boden der "Gerechtigkeit" zu stellen wagt, spricht er sich selbst das Urteil und rechtfertigt Gott, wie wir es in dem vorliegenden Falle in der Geschichte Israels sogleich sehen werden. Auf die Frage der Juden: "Ist etwa Ungerechtigkeit bei Gott?" und "das sei ferne!" des Apostels, folgt unmittelbar das Wort: "Denn Er sagt zu Moses: "Ich werde begnadigen, wen ich begnadige, und werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarme". "Auf den ersten Blick möchte uns diese Anführung seltsam erscheinen, aber wenn wir uns ins Gedächtnis rufen, bei welcher Gelegenheit die Worte gesprochen wurden, werden wir (wie so oft bei der Betrachtung des Wortes) die Entdeckung machen, dass gerade das vermeintliche Nichtangebracht sein sich ins Gegenteil verwandelt. Der scheinbare Missklang wird zum herrlichsten Wohlklang. Je näher wir die Umstände ins Auge fassen, die zu jenem Ausspruch führten, desto klarer erkennen wir die schlagende Beweiskraft der Antwort des Apostels. Wir erkennen, dass in der ganzen Bibel sich keine Stelle findet, die in diesem Falle mehr angebracht gewesen wäre, als gerade diese.

Israel hatte am Berge Sinai, bis wohin Gottes Gnade sie auf Adlers Flügeln getragen hatte, auf die von Gott gestellte Bedingung: "Wenn ihr fleißig auf meine Stimme hören und meinen Bund halten werdet", geantwortet: "Alles, was Jehova geredet hat, wollen wir tun". Die Folge war das Bündnis des Gesetzes, die Mitteilung der gerechten und heiligen Forderungen Gottes an den Menschen im Fleische. Damit begann die eigentliche Geschichte Israels als Volk. Mose stieg auf den Berg, um die Gebote Gottes entgegenzunehmen. Als er verzog, wurde das Volk ungeduldig und veranlasste Aaron zur Anfertigung und Aufstellung des goldenen Kalbes. Indem Israel so das erste und größte Gebot gröblich brach, blieb nichts anderes als ein unmittelbares, vernichtendes Gericht für sie übrig. Kaum hatte seine Geschichte als Volk begonnen, so büßte es schon mit einem Schlage alles ein, worauf es unter der Bedingung eines willigen Gehorsams Anspruch hatte. Der Gott, der die Verheißungen gegeben hatte und sie allein erfüllen konnte, war aufs schwerste beleidigt worden. Sein Bund war gebrochen. Was blieb für Israel übrig? Wenn Gott mit Seinem Volke in Gerechtigkeit handeln wollte, und auf dem Boden des Gesetzes konnte Er nicht anders, so mussten alle getötet werden. Ein Entrinnen war unmöglich.

Alle Juden, die die Geschichte jener Tage kannten, mussten die Richtigkeit der Beweisführung zugeben. Wollten sie also auf "Gerechtigkeit" Gott gegenüber bestehen, so wäre das Los Israels damals für immer entschieden gewesen, wie Gott denn auch zu Mose sprach: "Ich habe dieses Volk gesehen, und siehe, es ist ein hartnackiges Volk; und nun lass mich, dass mein Zorn wider sie entbrenne und ich sie vernichte". (2. Mose 32, 9. 10.) Wahrlich, nicht "um ihrer Gerechtigkeit willen" hatte Gott ihnen das gute Land gegeben (5. Mose 9, 6), sondern weil Er der Fürbitte Moses (eines Vorbildes von Christo) Gehör schenkte und sieh auf den Boden Seiner unumschränkten Gnade zurückzog : "Ich werde alle meine Güte vor deinen. Angesicht vorübergehen fassen . . . und ich werde begnadigen, wen ich begnadigen werde usw." (2. Mose 33, 19.) Nur so konnte Er sich des Übels gereuen lassen, das Er geredet hatte (Kap. 32, 14), nur so die Missetat vergeben. Ja, mehr noch; gerade in der Hartnäckigkeit des Volkes, die auf dem Boden der Gerechtigkeit das Gericht herbeiführte, konnte die Gnade einen Beweggrund für Gott finden, in der Mitte des Volkes hinaufzuziehen: "Wenn ich doch Gnade gefunden habe in deinen Augen, Herr", so betet Mose m Kap. 34, 9, "so ziehe doch der Herr in unserer Mitte; denn es ist ein hartnäckiges Volk".

Wie wunderbar ist das alles! Wenn der Mensch hoffnungslos verloren ist auf Grund seines Tuns, wenn die Gerechtigkeit Gottes nur Zorn und Gericht über ihn bringen kann wegen seines Ungehorsams und seiner Sünde, wenn das Gesetz ihn verfluchen und zum Tode verurteilen muss, hat Gott doch noch Hilfsquellen in sich, zu denen Er Zuflucht nehmen kann. Vorausblickend auf den kommenden großen Mittler, der hier in Mose ein so liebliches Vorbild findet, konnte Gott Gnade und Erbarmen üben, und zwar, beachten wir es wohl, an wem Er wollte, nach dem Vorsatz Seiner freien, bedingungslosen Gnade.

"Also nun liegt es nicht an dem Wollenden noch an dem Laufenden, sondern an dem begnadigenden Gott." (V. 16.)

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Betrachtungen über den Propheten Hosea

Bibelstelle: Hosea

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 188ff

Gott wird das Gericht jetzt nicht mehr aufhalten. Drei feierliche Aussprüche zeigen, dass Er im Blick auf Ephraim eine unwiderrufliche Entscheidung gefällt hat: „Niemand rechte und niemand tadle!" „Ich werde es an euren Töchtern nicht heimsuchen". „Ephraim ist mit Götzen verbündet; lass ihn gewähren" (V. 4. 14. 17)! Diese Worte gleichen denen in der Offenbarung: „Wer unrein ist, verunreinige sich noch!" (Offenbarung 22,11).

Indes bezieht sich, wie wir schon sagten, dieser endgültige Urteilsspruch nicht auf Juda. „Juda verschulde sich nicht!" sagt Gott(V. 15). Wie wichtig ist dieses Wort für das, was in den gegenwärtigen Tagen noch von dem Volke Gottes besteht! Das Böse, das die Masse des Volkes durchdrungen hat, wirkt bereits inmitten derer, die Gott noch als ein Zeugnis inmitten der allgemeinen Untreue erhält. Bald wird das, was heute noch besteht, dasselbe Schicksal erleiden wie die Gesamtheit der Nation. Wie kann man nun vor der Ansteckung bewahrt bleiben? Wie sich auf dem Boden der Segnungen erhalten? Fordert Gott große Dinge von Juda, das schon von allen Seiten durch den endgültigen Abfall berührt war? Nein, wenn so wenig Kraft vorhanden ist, verlangt Er gewissermaßen nur ein negatives Zeugnis, wie Er zu Philadelphia sagt: „Du hast meinen Namen nicht verleugnet" (Offenbarung 3,8). Enthalte dich! lautet der Zuruf. Bleibe getrennt von allem, was unter ehrwürdigem Schein, oder unter erhabenen und geweihten Namen nur die Ungerechtigkeit und das Verlassen Gottes verdeckt. „Kommet nicht nach Gilgal und ziehet nicht hinauf nach Beth-Awen, und schwöret nicht: So wahr Gott lebt" (V. 15)! Diese aus der Geschichte des Volkes Gottes so bekannten Orte waren nach der Teilung des Königreiches durch Eroberung aus den Händen Benjamins in den Besitz Ephraims übergegangen und waren durch ihre unmittelbare Lage in der Nähe Judas gleich einem Fallstrick auf seinem Wege. Gilgal, der Gedenkplatz des Sieges, der durch die in der Mitte des Jordan stehende Bundeslade über den Tod davongetragen worden war, das andauernde Denkmal an den Eintritt der zwölf Stämme in das Land Kanaan; Gilgal, der Ort der Beschneidung, des über das Fleisch ausgesprochenen Gerichts, ohne welches man das gelobte Land nicht in Besitz nehmen konnte; Gilgal, der Ort, wohin Israel stets zurückkehren musste, um dort das Geheimnis des Sieges zu finden, der Sammelplatz des treuen Volkes - Gilgal war für Ephraim eine Stätte unheiliger Altäre und Opfer geworden, eine Stätte, wo die Übertretung sich gemehrt hatte. (Hosea 9,15; 12,12; Amos 4,4; 5,5). Bethel, „Gottes Haus", der Ort der Verheißungen für Jakob, der Ort, wo er seinen Namen Israel empfangen, und wo der Allmächtige sich ihm in einer ganz neuen Weise zu erkennen gegeben hatte, - Bethel war das Haus der goldenen Kälber geworden, ihrer Altäre und des durch Jerobeam eingeführten falschen Priesterdienstes (1. Könige 12; Amos 3,14). Wie sehr verdiente es den Namen Beth-Awen: „Götzenhaus", mit welchem Schimpfnamen Hosea den Ort dreimal belegt! (Kap. 4,15; 5,8; 10,5). An diesen Orten, wohin Samuel, der Prophet Gottes, sich von Jahr zu Jahr begab, fand man nur noch Götzendienst und falsche Propheten. So sah es mit der Anbetung Ephraims aus. Juda sollte sich dessen enthalten. Besaß es nicht in Jerusalem die Stätte, an welcher Gott Seinen Namen wohnen ließ? Und wenn selbst diese Stätte verunehrt worden war, konnte das ein Grund sein, zum Götzendienst zurückzukehren, der sich mit dem heiligen Namen Gottes zu schmücken wagte?

Hat dieser dringende Warnungsruf, sich solcher Sünde nicht schuldig zu machen, das Herz Judas erreicht? Das nächste Kapitel wird die Frage beantworten. Und was tun heute diejenigen in der Christenheit, die denselben Ruf vernehmen: Gehet nicht nach Gilgal und ziehet nicht hinauf nach Beth-Awen!?

Kapitel 5-6,3 Es gibt keine Hoffnung mehr für Juda und Benjamin

Das Volk wird in der großen Drangsal zu Gott umkehren Dringender Ruf, aufzuwachen

Kapitel 4,15 hatte Juda beschworen, sich nicht zu verschulden. Vielleicht gab es von dieser Seite her noch irgend eine Hoffnung! Das fünfte Kapitel belehrt uns eines anderen. Juda und Benjamin sind verbündet in dem gleichen Abfall und dem gleichen Gericht wie Israel. (V. 1). - Hier wendet sich der Prophet in erster Linie an die Priester, ruft dann die Aufmerksamkeit des ganzen Volkes wach und im besonderen „das Haus des Königs". Hiermit ist, wie ich nicht zweifle, das Königtum von Juda gemeint, da dasjenige Israels schon früher dem Urteil verfallen war. „Euch gilt das Gericht; denn ihr seid eine Schlinge zu Mizpa geworden und ein ausgebreitetes Netz auf Tabor". Der Versammlungsort des Volkes, Mizpa *), und der Tabor, das mittlere Gebirge, welches das Gebiet der zehn Stämme beherrscht, waren zu Schlingen für das Volk geworden.

Denn das Priesterum hatte götzendienerische Gewohnheiten angenommen, denen man an diesen Orten frönte. So war es also das Priestertum, welches das Gericht an erster Stelle treffen sollte. Die Schuldigsten sind immer die, welche durch ihre Stellung in die nächsten Beziehungen zu Gott gebracht sind. Sie werden mit vielen Schlägen geschlagen werden (vgl. Lk. 12,47). Was Ephraim und Israel betrifft, so war ihr Zustand keineswegs vor Gott verborgen, der sie kennt (V. 3), aber sie „kennen Gott nicht" (V. 4)! Welch niederschmetterndes Wort! Dieses Volk, dem Gott sich geoffenbart, das Er mit Sich Selbst in Verbindung gebracht, dem Er Seinen Namen und Seinen Charakter als der heilige Gott kundgetan hatte, dieses Volk hatte Unzucht und Schmutz den vertraulichen Beziehungen zu Gott Selbst vorgezogen. Und bei aller Verkehrtheit war ihr Herz noch mit Hochmut erfüllt!" „Die Hoffart Israels zeugt ihm ins Angesicht" (V. 5)! Welch ein Bild des Menschen! Bis zum äußersten erniedrigt, entwürdigt, und dabei aufgeblasen von Stolz! „Und Israel und Ephraim werden fallen durch ihre Ungerechtigkeit", auch Juda, das ermahnt wurde, sich nicht zu verschulden (Kap. 4,15), „fällt mit ihnen" (V. 5). Wenn das Gericht sie erreicht, werden alle hingehen, um Gott zu suchen mit ihren Opfern. Aber was heute noch möglich ist, wird dann zwecklos sein. Alle ihre religiösen Übungen werden ohne Erfolg bleiben: „Er hat sich ihnen entzogen" (V. 6)! Dieses Wort ist um so ernster, als dasselbe Schicksal die bekennende Christenheit treffen wird, wenn sie am Tage des Gerichts sich auf die Vorrechte beruft, die ihr einst verliehen worden waren. Ja, alle religiösen Formen der bekennenden Christenheit bringen sie nicht mit Gott in Verbindung. Die Formen sind vorhanden, aber Gott ist nicht da.

„Nun", sagt Hosea, „wird sie der Neumond verzehren mit ihren Erbteilen" (V. 7). Ist das vielleicht eine Anspielung auf das Ende der Regierung Judas? (2. Könige 25,3 u. 8).

Diese Verse 8 - 12 zeigen den allgemeinen Zusammenbruch des ganzen Volkes. Mag auch das Gericht für die einen näher sein als für die anderen, es wird sie alle treffen, sowohl Ephraim mit den neun Stämmen als auch Juda mit Benjamin. „Stoßet in die Posaune zu Gibea, in die Trompete zu Rama; rufet laut zu Beth-Awen: Der Feind hinter dir her, Benjamin"! Wie bereits erwähnt, lagen diese Orte im Erbteil Benjamins oder hatten einst dazu gehört. Das Verderben steht im Begriff, über Benjamin hereinzubrechen und ihn unvermutet zu ereilen. Die Fürsten Judas und Ephraims trifft dasselbe Schicksal. Angesichts dieser unmittelbar bevorstehenden und allen drohenden Gefahr „ging Ephraim nach Assyrien und sandte zu dem König Jareb; der aber vermag euch nicht zu heilen und wird euer Geschwür nicht vertreiben" (V. 13). Jareb ist hier kein Eigenname. Er bedeutet: Streiter oder Streitsüchtiger. Israel ruft einen Rächer zu seiner Hilfe, und das ist nach 2. Könige 15,19 Pul, oder, wenn es sich um Juda handelt, Tiglath-Pileser (2. Könige 16,7). Dieser Pul streitet wider Israel oder ist ihm feindlich gesinnt, selbst in Zeiten, wo Israel ihn zu seinem Beschützer wählt, (Vergl. 1. Chronika 5,26 und auch Hosea 5,13; 7,11; 8,9).

Dieses Kapitel endet jedoch, wie die drei ersten mit einem Hoffnungswort. Gott wird für Ephraim und Juda nicht immer wie ein Löwe sein, der seine Beute zerreißt. „Ich werde davongehen", sagt Er, „an meinen Ort zurückkehren, bis sie ihre Schuld büßen und mein Angesicht suchen" (V. 15). Zwei unzertrennliche Dinge sind nötig, wenn es sich darum handelt, als ein Sünder Gott zu finden, oder Ihn wiederzufinden, wenn man sich von Ihm abgewendet hat: Buße und Umkehr. Früher hatten sie gemeint, Gott mit ihrem Kleinvieh und mit ihren Rindern begegnen zu können (V. 6), aber ohne Buße, und so hatten sie nur einen öden, leeren Ort gefunden. Später werden sie „ihre Schuld büßen", wovon uns Sacharja ein so rührendes Bild gibt (Sacharja 12,10 - 14). Dann wird das endlich gedemütigte Volk mit einem zerschlagenen und von seinem Stolz befreiten Herzen umkehren und das Angesicht Gottes suchen. Der verlorene Sohn wird sich aufmachen und zu seinem Vater gehen.

„In ihrer Bedrängnis werden sie mich eifrig suchen" (V. 15). Durch welches Mittel aber wird Gott dieses gesegnete Ergebnis herbeiführen? Eine große Drangsal, das Herzeleid Jakobs, wird über sie kommen. Sie werden durch die lange Nacht der furchtbaren Gerichte Gottes gehen müssen. Diese Gerichte werden sie zur Besinnung bringen und, anstatt zu schlafen wie die übrigen, werden sie auf ihren Messias, auf Gott, harren, „mehr als die Wächter auf den Morgen"; (Psalm 130,6); sie werden Ihn beim Anbruch Seiner tausendjährigen Herrschaft wiederfinden, und dann wird das wiederhergestellte Israel von neuem „Ammi", das Volk Gottes, sein.

Fußnoten:

*) Ich denke, dass dieses Mizpa der Ort dieses Namens ist, der zum Besitztum Benjamins gehörte (Jos 18,26; 1. Könige 15,22; 2. Chronika 16,6; Nehemia. 3,7), nicht aber das Mizpa jenseits des Jordans, das schon lange verlassen war. Man findet übrigens sechs verschiedene Mizpa in der Schritt - Es ist bemerkenswert, dass, mit Ausnahme des Tabor, alle in diesen Stellen erwähnten Orte: Gilgal, Bethel, Gibea, Rama, Mizpa, in dem Gebiet Benjamins liegen oder doch ehemals zu ihm gehörten.

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Gedanken

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 194ff

Was wird es sein für Staubgeborene und Erben des Todes das Verwesliche mit der Herrlichkeit zu vertauschen! Wir werden Ihm gleich sein, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist.

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Führungen Gottes

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 195ff

Gott erzieht uns zum Nutzen, damit wir Seiner Heiligkeit teilhaftig werden. Seine Führungen sind uns oft unbegreiflich, aber dadurch lässt Er sich nicht aufhalten. Er sagt: Hernach wirst du verstehen. Er bringt uns in Verhältnisse und Lagen, in denen unser Inneres nach außen gekehrt und der Grund unseres Herzens bloßgelegt wird. Zuweilen schlummern Dinge in unserem Innern, oder zeigen sich schon wirksam in unserem Wesen, über die wir ganz blind sind. Aber nun stellt uns Gott in Sein Licht, und wir lernen uns nach einer Seite hin kennen, in der wir uns bis dahin nicht gekannt haben.

Auch unheilige Menschen benutzt Gott zu unserer Erziehung und Reinigung. Jakob musste mit einem Laban zusammentreffen, damit er an dessen Ungerechtigkeit seine eigene verabscheuen lernte. Er hatte übervorteilt und so kam er zu einem Übervorteiler. Haben wir nicht auch schon ähnliche Erfahrungen gemacht? Sind wir nicht zuweilen mit Menschen zusammengestellt worden, die genau denselben Charakter hatten wie wir, mit allen seinen Fehlern? Aber statt an ihnen uns hassen zu lernen und uns reinigen zu lassen, haben wir uns über sie geärgert und uns nur noch mehr verunreinigt. Hanna machte es besser. Sie hatte Peninna neben sich, die sie Jahr für Jahr kränkte. Aber sie sagte nicht zu ihrem Mann: Ich ertrage es nicht länger! Ich laufe davon! Nein, sie ließ sich reinigen und erziehen. Sie sah in Peninna nur das Messer, das der Weingärtner zu ihrer Reinigung benutzte, und so wurde sie eine fruchtbare Rebe, die einem Samuel das Leben schenken konnte.

Wir müssen die Menschen, die uns üben, nicht ansehen als eine Last, sondern gleichsam als einen Schleifstein, den der himmlische Schleifer gebraucht, um uns zu polieren; oder als einen Hammer, den der Meister nötig hat, um dem Eisen die rechte Form zu geben. „Du hast Menschen reiten lassen auf unserem Haupte; wir sind ins Feuer und ins Wasser gekommen", sagt David. Gott ließ das zu, führte aber auch heraus zu überströmender Erquickung (Psalm 66,12). Joseph wurde ins Gefängnis geworfen. „Man presste seine Füße in den Stock, er kam in das Eisen." Doch wie lange? „Bis zur Zeit, da sein Wort eintraf; das Wort Jehovas läuterte ihn." Dann sandte der König hin und ließ ihn los, setzte ihn zum Herrn über sein Haus und zum Herrscher über all sein Besitztum (Psalm 105,17 - 21). Jehova stand über den Ägyptern. Er ließ es zu, dass Joseph als Knecht verkauft wurde und in Stock und Eisen kam; aber Er sorgte auch dafür, dass er keinen Augenblick länger darin blieb, als es nötig war: bis das Wort Jehovas ihn geläutert hatte.

Wir bestehen leider die Prüfung nicht immer, murren, statt uns zu beugen und Gott zu vertrauen, klagen Menschen und Umstände an, weil wir nicht verstehen, dass sie nur Mittel sein sollen zu unserer tieferen Reinigung. Und so vereiteln wir Gottes Absichten durch unseren Eigenwillen und kommen wieder mit den Schlacken aus dem Tiegel hervor. Aber weil der Herr Geduld mit uns hat, fängt Er noch einmal von vorne an - weil Er den kürzeren Weg mit uns nicht gehen kann, führt Er uns, wie einst Israel, den längeren Weg.

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Der Tisch des Herrn

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 197ff

"Deshalb will ich Sorge tragen, euch immer an diese Dinge zu erinnern, wiewohl ihr sie wisset und in der gegenwärtigen Wahrheit befestigt seid. Ich halte es aber für recht, solang ich in dieser Hütte hin, euch durch Erinnerung aufzuwecken." (2. Petr. 1, 12. 13.)

Dieses schöne Wort des Apostels Petrus, des treuen, liebenden Hirten und Hüters der Herde Christi, ermutigt mich zur Veröffentlichung der nachstehenden Gedanken über den Tisch des Herrn. Sie wurden anlässlich eines Briefwechsels über eine Zuchtfrage, deren Entscheidung eine schmerzliche und weitgehende Trennung nach sich gezogen hat, niedergeschrieben, um beide Seiten noch einmal an die einfachen Grundlinien des Wortes Gottes zu erinnern, sowohl hinsichtlich der Feier des Abendmahls und des Zusammenkommens im Namen Jesu "außerhalb des Lagers", als auch einiger mit dem Tische des Herrn in Verbindung stehender Wahrheiten. Waren solche Erinnerungen in den ersten Tagen der christlichen Kirche nötig, wie unerlässlich sind sie dann in der alles gleichmachenden und verflachenden Zeit des Endes, in der wir leben!

Mögen denn die einfachen Darlegungen hinausgehen und den Geliebten des Herrn, alten und jungen, einen Segen bringen, indem sie den einen zur Ermunterung, den anderen zur Befestigung in der Wahrheit dienen! Hört und liest man doch heute oft Worte, die man bisher in der Mitte und in den Schriften der Brüder nicht zu hören oder zu lesen gewöhnt war. Es werden Ansichten geäußert, die befürchten lassen, dass man Grundsätze, die früher für göttlich gehalten wurden, bereits aufgegeben hat, oder dass man doch in Gefahr steht, sie aufzugeben. So lehrt man z. B. in Verbindung mit der uns beschäftigenden Frage: "Der Tisch des Herrn wurde einst für Seine ganze Kirche gegeben und kann von diesem Gesichtspunkt aus von keiner Vereinigung von Gläubigen für sich, unter Ausschluss anderer, in Anspruch genommen werden". Oder: "Der Besitz des Tisches des Herrn steht mit der Stellung des Christen in Verbindung und nicht mit seiner Treue im Wandel". Ja, man hat sogar geschrieben: "Wenn eine Vereinigung von Christen Grundsätze festhält, die das Wort Gottes verurteilt, oder ein Unrecht begeht und sich nun weigert, im Gehorsam gegen Gott Buße zu tun, oder von der Ungerechtigkeit abzustehen, so maßen wir uns nicht an zu sagen, dass sie nicht länger des Herrn Gegenwart oder des Herrn Tisch in ihrer Mitte habe". Das sind, wie gesagt, Worte, die mit dem, was wir bisher gehört und gelernt haben, in unmittelbarem Widerspruch stehen. Es ist aber immer eine ernste Sache, die alten Grenzen, die die Väter gesetzt haben, zu verrücken. Gottes Wort warnt uns davor in Sprüche 22, 28. Freilich können auch Väter irren; aber die Stelle mahnt doch zur Vorsicht. Lasst uns denn zusehen, was Gottes Wort zu diesen Dingen sagt, und was uns in des Herrn Mahl geschenkt ist.

Als der Herr Jesus das Abendmahl einsetzte, war noch keine Rede von der Kirche als solcher. Sie bestand noch nicht und wurde erst sieben Wochen später durch die Herniederkunft des Heiligen Geistes gebildet. Die einfache, uns allen bekannte Wahrheit ist diese: Der Herr gab den Seinigen, die Er bei Seiner Rückkehr zum Vater in der Welt zurücklassen musste (Joh. 13, 1), für die Zeit Seiner Abwesenheit ein Gedächtnismahl an Ihn. Der Gedanke an den Leib und dessen Einheit trat damals noch nicht hervor. Es ist der gekreuzigte Herr, den wir in dem Brot und Kelch erblicken. Beide Symbole erinnern uns an Seine Liebe für uns bis in den Tod. Wir verkündigen daher, so oft wir von diesem Brote essen und aus diesem Kelche trinken, den Tod des Herrn, bis Er zurückkommt. Das ist es, was uns in den Evangelien und in 1. Kor. 11 vorgestellt wird. Dass Christus starb, um die zerstreuten Kinder Gottes in eins zu versammeln, ist sicherlich wahr, aber dieser Seite der Wahrheit begegnen wir in den genannten Stellen nicht.

Das Abendmahl gehört allen Gläubigen, nicht so sehr als Gliedern des einen Leibes (obwohl sie das sind und ihre Einheit bei der Feier zum Ausdruck kommt), sondern als Erlösten, um den Preis des Leibes und Blutes des Herrn Erkauften. Darum kommt auch sofort ihre persönliche Verantwortlichkeit in Betracht. Sie sind berufen, es zu feiern in dankbarer Liebe, zum Gedächtnis ihres Herrn und in einer dieses Herrn und Seines Todes würdigen Weise. Es ist deshalb oft und mit Recht gesagt worden, dass ernste Gläubige in den Landeskirchen oder christlichen Benennungen vielleicht mit mehr Inbrunst und darum auch mit reicherem persönlichen Segen an diesem Mahle teilnehmen können, als viele ihrer Brüder und Schwestern, die die Wahrheit von der Einheit des Leibes kennen und bekennen. Eine würdige Feier hängt vor allem von dem Herzenszustand ab; Herz und Gewissen kommen in Betracht, und jeder ist persönlich dafür verantwortlich, wie er an dem Mahle teilnimmt. Isst und trinkt er unwürdiglich, so isst und trinkt er sich selbst Gericht, denn er macht sich des Leibes und Blutes des Herrn schuldig.

Wir wiederholen also: Wenn es sich um das Mahl des Herrn unter diesem Gesichtspunkt handelt, so steht der persönliche Zustand der Teilnehmer im Vordergrund. Darum lesen wir auch: "Ein Mensch prüfe sich selbst (ob er in dem passenden Zustande ist, um an der heiligen Handlung teilnehmen zu können), und also esse er". Das hatten die Korinther vergessen, und darum hatten sie einerseits unwürdig gegessen und getrunken und anderseits nicht Leid getragen über das Böse in ihrer Mitte, und so waren ernste Gerichte Gottes über sie gekommen.

Man hat in der Christenheit im allgemeinen sehr bald vergessen, was das Mahl des Herrn bedeutet. Man hat ein Sakrament oder Gnadenmittel daraus gemacht, man nimmt es zur Vergebung der Sünden, zur geistlichen Stärkung usw. usw., aber dennoch hat man den Grundgedanken, dass in dem Brot und dem Kelch der gekreuzigte Heiland dargestellt ist, mehr oder weniger festgehalten. So ist denn auch heute noch das Abendmahl im Besitz der ganzen Christenheit; man feiert es in Landeskirchen, christlichen Benennungen, Gemeinschaften usw., und der Herr betrachtet und behandelt (oder wird dereinst im Gericht behandeln) jeden, der daran teilnimmt, nach dem, was sein Mund bekennt.

Wenn wir jetzt dieses Mahl unter dem Gesichtspunkt des "Tisches des Herrn" betrachten, so entrollt sich ein ganz anderes Bild vor unseren Augen. "Abendmahl" und "Tisch des Herrn" sind in einem Sinne gleiche, in einem anderen Sinne ganz verschiedene Begriffe. Verbindet sich mit dem ersten Ausdruck persönliche, individuelle Verantwortlichkeit, so erweckt der zweite den Gedanken an eine Verantwortung gemeinsamer, korporativer Art, die aber naturgemäß von jedem einzelnen, soweit seine Erkenntnis reicht, mitgetragen wird. Die Autorität des Herrn und Seine Rechte an Seinen Tisch und über Seine Versammlung kommen in Frage. Zwischen der Belehrung des Apostels in 1. Kor. 11 und 1. Kor. 10 besteht deshalb ein durchgreifender, grundsätzlicher Unterschied. Sobald er sich anschickt, in 1. Kor. 10 von dem Abendmahl als dem "Tische des Herrn" zu reden, spricht er von Gemeinschaft und von der Möglichkeit, die heilige Sache mit unheiligen Dingen in Verbindung zu bringen. Statt der Ermahnung: "Ein Mensch prüfe sich selbst", heißt es hier: "Ein Brot, ein Leib sind wir, die Vielen, denn wir alle sind des einen Brotes teilhaftig", und: "Ich will aber nicht, dass ihr Gemeinschaft habt …." und: "Ihr könnt nicht des Herrn Kelch trinken ... Ihr könnt nicht des Herrn Tisches teilhaftig sein usw.". Die Belehrung wendet sich an die Gesamtheit, an die Versammlung als solche.

Doch es wird nötig sein, noch einige erläuternde Bemerkungen hinzuzufügen.

Der Apostel redet bekanntlich bis zum 10. Kapitel seines 1. Briefes an die Korinther von der Versammlung als dem "Hause Gottes"; in Kapitel 10, 16 ff. hören wir zum ersten Male von dem Leibe Christi und von der Gemeinschaft mit diesem Leibe, und zwar in Verbindung mit dem Abendmahl. Und hier begegnen wir auch zum ersten und einzigen Male im Neuen Testament dem Ausdruck "Tisch des Herrn". Dass dies bedeutungsvoll ist, braucht kaum betont zu werden. Der Apostel stellt hier nicht die Wahrheit unter dem Gesichtspunkt der Gedächtnisfeier vor, sondern unter jenem des Ausdrucks der Gemeinschaft mit dem Herrn und untereinander. Er vergleicht deshalb den Tisch des Herrn einerseits mit dem jüdischen Altar (Mal. 1, 12), andererseits stellt er ihn dem heidnischen Altar, dem Tische der Dämonen, gegenüber. Beide Altäre, der jüdische wie der heidnische, waren unzertrennlich mit dem verbunden, was auf ihnen geopfert wurde, sei es dem Herrn oder den Dämonen, und alle, die von den Opfern aßen, gaben dadurch ihrer Gemeinschaft mit dem betreffenden Altar, bzw. mit Jehova oder den Dämonen, Ausdruck. Genau so ist es mit dem Tische des Herrn oder, wenn man will, mit dem christlichen Altar. Wer von dem Brote ißt, gibt dadurch zu verstehen, dass er auf Grund des vollbrachten Versöhnungswerkes (darum steht das Blut hier voran) zu dem einen Leibe, dem Leibe Christi, gehört. Der Apostel redet hier nicht von der Verkündigung des Todes des Herrn, sondern von der Darstellung oder dem öffentlichen Ausdruck (und zwar dem einzigen) der Einheit des Leibes Christi. Das erste ist eine Handlung, ein Essen und Trinken, das zweite der Grundsatz oder Boden, nach und auf welchem die Handlung vollzogen wird. "Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes des Christus?" Dadurch, dass wir von dem einen Brote essen, tun wir kund, dass wir alle hienieden einen Leib, den geistlichen Leib Christi, bilden. Nach den Belehrungen, die uns später durch den Heiligen Geist gegeben worden sind, ist es unmöglich, an das Brot als den Leib Christi zu denken, ohne den geistlichen Leib einzuführen. Wir verstehen deshalb den tiefen Ernst, mit welchem der Apostel vor einer Verbindung des Tisches des Herrn mit dem Tische der Dämonen warnt. Die Gefahr einer Verbindung mit dem Tische der Dämonen besteht für uns nicht mehr, wohl aber die einer Verbindung mit Grundsätzen, die jener Einheit widersprechen und die alleinige Autorität des Herrn über Seinen Tisch außer acht lassen oder gar leugnen.

In den verschiedenen religiösen Benennungen, die ihrem eigenen Bekenntnis nach sich als solche versammeln, wie auch in den Gemeinschaften, die auf dem Boden der Unabhängigkeit errichtet sind, ist die Wahrheit von dieser Einheit des Leibes und der Gegenwart Christi in der Mitte der Versammlung, wie sie in Matth. 18, 20 den Zweien und Dreien verheißen ist, die "zu Seinem Namen hin versammelt sind", praktisch aufgegeben. Das Bewusstsein von der in dem einen Brote dargestellten Einheit des Leibes Christi ist entweder gar nicht vorhanden, oder diese Einheit wird trotz des vorhandenen Bewusstseins nicht verwirklicht. Deshalb kann man nicht sagen, dass der "Tisch des Herrn" bei ihnen ist. Sie feiern das Abendmahl, und, wie schon gesagt, vielleicht einzelne von ihnen mit tieferem Ernst, als manche von denen, die auf dem Boden der Einheit zu stehen bekennen. Aber die in dem Worte "Tisch des Herrn" enthaltene Wahrheit kommt bei ihnen nicht zur Darstellung, wird vielmehr schon durch ihr Bestehen geleugnet. Wäre der Tisch des Herrn und des Herrn Gegenwart in dem Sinne von Matth. 18, 20 bei ihnen zu finden, so wäre es die heilige Pflicht eines jeden Kindes Gottes, sich ihnen anzuschließen; eine Absonderung von ihnen wäre, wie unser Bruder J. N. D. gesagt hat, nichts als Spaltung (pure schism).

Was soll man nun sagen, wenn in dem letzten der oben angeführten Aussprüche gelehrt wird, dass selbst dann, wenn eine Vereinigung von Gläubigen schriftwidrige Grundsätze festhält, offenbar Böses tut und sich weigert, von der Ungerechtigkeit abzustehen, man nicht behaupten darf, dass sie des Herrn Gegenwart oder Tisch nicht länger in ihrer Mitte habe?

Heißt das nicht unmittelbar den heiligen Namen des Herrn mit Ungerechtigkeit verbinden? Warum schlug Moses das Zelt "außerhalb des Lagers" auf? Und warum kam Gott dort mit ihm zusammen? Wenn Gott uns, Seinen Dienern, gebietet, uns von jeder Ungerechtigkeit zu trennen, kann Er dann in irgendwelcher Verbindung mit einem System bleiben, das sich weigert, Buße zu tun und von der Ungerechtigkeit abzustehen?

Dass der Herr noch gegenwärtig sein, und der Tisch des Herrn noch da gefunden werden kann, wo Ungerechtigkeit und Böses vorhanden ist, zeigt uns die Versammlung in Korinth. Wir sollten daher, wenn Böses in einer Versammlung gefunden wird, nicht damit anfangen, wegzugehen, sondern wir sollten Stellung gegen das Böse nehmen, damit es hinweggetan werden kann. Was aber, wenn eine Versammlung sich weigert, sich selbst zu reinigen? Was würde eingetreten sein, wenn die Versammlung in Korinth sich geweigert hätte, sich von dem offenbaren Bösen zu reinigen? Und wenn der Brief des Apostels nicht gottgemäße Buße und Reue bewirkt und nicht einen heiligen Eifer wachgerufen hätte, um den Bösen hinauszutun? Würde der Apostel sie noch länger "die Versammlung Gottes, die in Korinth ist", genannt, oder sie als eine Gemeinschaft von Heiligen anerkannt haben, die nach Matth. 18, 20 Jesum, "den Heiligen und Wahrhaftigen", in ihrer Mitte hat? Unmöglich! Da, wo man sich weigert, die Heiligkeit, welche dem Hause Gottes geziemt, aufrecht zu halten, wo man sich nicht demütigen noch von der Ungerechtigkeit trennen will, da kann die Gegenwart des Herrn und demzufolge auch Sein Tisch nicht länger gefunden werden. Hieraus ersehen wir wiederum, dass der Tisch des Herrn nicht nur mit der Stellung der Gläubigen verbunden ist, sondern unstreitig auch mit der Treue im Wandel.

Und wir möchten weiter fragen: Was hat unsere geliebten, längst heimgegangenen Brüder in England, Deutschland, Holland usw. vor nun fast hundert Jahren veranlaßt, "außerhalb des Lagers" zu gehen? War es nicht, um zu Christo hinauszugehen, Seine Schmach tragend? War es nicht der Geist Gottes, der ihre Augen öffnete über die dem Volke Gottes so lang verloren gegangene Wahrheit von dem geistlichen Leibe des Herrn, die am "Tische des Herrn" ihre Darstellung findet? Was sollten sie tun, nachdem sie der Aufforderung, von aller Ungerechtigkeit abzustehen und sich von den Gefäßen zur Unehre zu reinigen, gefolgt waren? Eine neue Kirche gründen? Das hätte die Verwirrung nur vergrößert und ihre Füße auf dem Fließsande menschlicher Meinungen und Einrichtungen gelassen. Es blieb nur das eine übrig, zu dem zurückzukehren, "was von Anfang war", und in demütiger Beugung unter den allgemeinen Verfall, aber auch unter dankbarer Anerkennung der sich nie verändernden Wahrheit Gottes sich wieder auf den Boden zu stellen, den Gott in Christo gelegt hat. War auch die äußere Einheit seit den Tagen der Apostel verloren und damit die bewusste Darstellung derselben am Tische des Herrn, so waren Gottes Gedanken doch immer dieselben geblieben.

Man kann vielleicht sagen, dass der Tisch des Herrn nach diesen Gedanken immer da war; vielleicht haben auch im Laufe der Jahrhunderte einzelne Seelen ein Verständnis darüber gehabt, möglicherweise sogar kleine Häuflein nach Matth. 18, 20 sich zusammengefunden und die kostbare Wahrheit von 1. Kor. 10, 17 im Glauben verwirklicht, obgleich die Kirchengeschichte nichts darüber berichtet. Ist uns, um nur eines zu sagen, wohl ein Lied aufbewahrt, das der gemeinsamen Anbetung des Vaters seitens der um Jesum versammelten Familie Gottes Ausdruck gibt? Erst in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ist es unter der mächtigen Wirkung des Geistes Gottes zu einer Umkehr und Rückkehr gekommen, und dies fand auch Ausdruck in Liedern der Anbetung.

Unsere Brüder haben freilich nicht den Tisch des Herrn wieder aufgerichtet, - es ist schon oft betont worden, dass dieser Ausdruck, obwohl gut gemeint, unrichtig ist - aber sie haben angefangen, sich mit den Zweien oder Dreien, deren Gewissen Gott aufweckte, um Jesum allein zu scharen und die Feier des Abendmahls wieder auf der Grundlage zu beginnen, die Gott ihr gegeben hat, d. h. nicht nur als Gedächtnismahl und Verkündigung des Todes des Herrn, sondern auch als Darstellung der Einheit des Leibes Christi. Sie haben, um in der vorbildlichen Sprache von Esra 3 zu reden, den Altar Gottes wieder an seiner Stätte aufgerichtet, oder nach 5. Mose 16 wieder angefangen, das Passah zu feiern an dem Orte, den der Herr erwählt hat, um Seinen Namen daselbst wohnen zu lassen. Und Gott hat ihr Tun gerechtfertigt und ihre Treue in wunderbarer Weise anerkannt und belohnt.

Sollten wir nun wieder nach und nach zu dem uns zurückwenden, was unsere Vorfahren, und wir mit oder nach ihnen, als böse aufgegeben haben? Vielleicht denkt man nicht daran, das zu tun; aber wenn es wahr ist, dass eine Gemeinschaft von Christen, wie sie in der obigen Anführung beschrieben wird, des Herrn Gegenwart und Tisch noch hat, wie kann ich dann einem Gläubigen sagen, dass sein Platz nicht mehr dort sei? Wie ihn auffordern, von dort hinauszugehen, wenn sein Herr noch da ist?

Gott helfe uns deshalb, treu an den göttlichen Grundsätzen festzuhalten, auf die Er uns in Seiner Gnade in den Tagen des Endes wieder aufmerksam gemacht hat, und, in Absonderung von allem Bösen, mit weitem Herzen den engen Pfad der Wahrheit zu gehen! Er bewahre uns vor Parteigeist und allen sektiererischen Gefühlen, damit wir am Tische des Herrn jeden aufrichtigen Gläubigen willkommen heißen, der in Lehre und Wandel gesund ist, mag auch seine Erkenntnis noch mangelhaft sein! Möchten wir im Blick auf diesen Tisch die Grenzen nicht enger ziehen, als der Herr selbst sie gezogen hat! Aber hüten wir uns auch mit allem Ernst vor jenem Boden völliger Unklarheit, den die Behauptung schafft, dass des Herrn Gegenwart und Tisch überall, in allen Kirchen und Benennungen sei, die es in der Christenheit gibt! Die Annahme dieser Behauptung würde uns über kurz oder lang unfehlbar wieder in das Lager zurückführen, das wir verlassen haben. Sie steht im Widerspruch mit Matth. 18, 20; 1. Kor. 10, 15-22; Hebr. 13, 13 und anderen Stellen.

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Nach Wahl der Gnade

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 208ff

Doch wenn Gott begnadigen will, wie groß wird dann die Sünde eines Menschen, der sich diesem Begnadigungswillen widersetzt und Gottes Absichten zu durchkreuzen sucht! Auch diese Seite muß hervorgehoben, und es muss gezeigt werden, wie Gott mit einem solchen Menschen handelt. Gott muß auf der ganzen Erde bekannt werden als der Gott, der sich nicht ungestraft spotten lässt. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, verstehen wir gut das nun folgende Wort: "Denn die Schrift sagt zu dem Pharao: "Eben hierzu habe ich dich erweckt, damit ich meine Macht an dir erzeige, und damit mein Name verkündigt werde auf der ganzen Erde". So denn, wen Er will begnadigt Er, und wen Er will verhärtet Er." (V. 17. 18.)

Der Pharao sollte für alle Zeiten als ein Beispiel dafür dastehen, was Jehova, der Gott Israels, mit einem Menschen zu tun vermag, der auf Sein Gebot: "Lass mein Volk Israel ziehen, dass sie mir ein Fest halten in der Wüste", in maßloser Überhebung zu sagen wagte: "Wer ist Jehova, auf dessen Stimme ich hören soll? . . . Ich kenne Jehova nicht, und ich werde Israel nicht ziehen lassen", und der im Anschluß an diese lästerlichen Worte befahl, den ohnehin schon so harten Dienst der Israeliten noch zu erschweren und Unmögliches von ihnen zu fordern. (2. Mose 5, 1 ff.) In dem an und für sich schon hochmütigen und grausamen Menschen rief Gottes Botschaft nur den Entschluss wach, sich dem Willen Gottes zu widersetzen und Seine Pläne zunichte zu machen. Beachten wir zugleich, dass sein Zustand immer böser wurde, je länger Gott mit ihm redete. Siebenmal lesen wir: "Das Herz des Pharao verhärtete (oder verstockte) sich", oder: "Der Pharao verstockte sein Herz"; schließlich erst, nachdem die schwersten Plagen über ihn gekommen waren, und sogar seine eigenen Weisen und Zauberkünstler hatten eingestehen müssen: "Das ist Gottes Finger!" wird gesagt: "Und Jehova verhärtete das Herz des Pharao". Und als er endlich seine Zustimmung zum Auszug Israels gegeben hatte, offenbarte sich die unverbesserliche Bosheit seines Herzens wiederum darin, dass er wutschnaubend mit einem gewaltigen Heere dem Volke nachzog, immer noch wähnend, Jehovas erhobenem Arm widerstehen zu können. Ist es ein Wunder, dass Gott ihn endlich in richterlicher Weise verhärtete und für alle Zeiten als ein warnendes Beispiel hinstellte? Gott bestimmt nie einen Menschen zur Verhärtung, Er macht nie einen Menschen böse, nein, der Mensch, durch seinen Fall unter die Gewalt der Sünde gekommen, schreitet von Bösem zu immer Böserem.

Was hat also Gott in dem Falle des Pharao getan? Er hat diesen Mann zu der gewaltigen Höhe, auf der er stand, emporsteigen lassen, damit sein Sturz, sein kläglicher Untergang im Schilfmeere, weit und breit in aller Welt und für alle Zeiten kundtue, was es ist, seinen Nacken gegen Gott zu verhärten. Seine Geschichte redet heute noch zu den Gewissen der Menschen.

Ganz ähnlich wie dem Pharao ist es dem Volke Israel ergangen, nur mit dem Unterschiede, dass dieses Volk hier und so oft in späteren Tagen der Gegenstand der errettenden oder wiederherstellenden Gnade Gottes gewesen ist. Diese Tatsache macht seine Verantwortlichkeit um so größer und seinen Fall um so tiefer. Anstatt auf die ernsten Mahnungen Gottes zu hören, "empörten sie sich gegen Ihn, warfen Sein Gesetz hinter ihren Rücken und verübten große Schmähungen". Ja, sie "verspotteten die Boten Gottes und verachteten Seine Worte und äfften Seine Propheten (gerade wie der Pharao), bis der Grimm Jehovas gegen Sein Volk stieg, dass keine Heilung mehr war". (Vergl. Neh. 9, 26-29; 2. Chron. 36, 14-16.) Wieder möchten wir fragen: Ist es ein Wunder, wenn Gott endlich Seinem Propheten Jesaja die Worte zuruft: "Mache das Herz dieses Volkes fett, und mache seine Ohren schwer, und verklebe seine Augen: damit es mit seinen Augen nicht sehe und mit seinen Ohren nicht höre und sein Herz nicht verstehe und es nicht umkehre und geheilt werde"? Geistliche Verblendung und Verhärtung kam von Seiten Gottes über ihre bösen, widerspenstigen Herzen, und als der Herr Jesus später in ihre Mitte trat, da "glaubten sie nicht an Ihn", ja, sie "konnten nicht glauben, weil Jesajas gesagt hat: "Er hat ihre Augen verblendet usw."." (Jes. 6, 8 - 10; Joh. 12, 37 -40.) In ähnlicher Weise schreibt der Apostel Petrus von den "Ungehorsamen" unserer Tage, dass sie gesetzt worden sind, sich an dem Worte zu stoßen. (1. Petr. 2, 7. 8.) Gott hat diese hochmütigen Menschen, gleich dem Pharao vor alters, gesetzt, um als warnende Beispiele für andere zu dienen. Er hat sie nicht ungehorsam gemacht, aber Er hat sie, vielleicht nach zahlreichen vergeblichen Mahnungen, der Härte ihrer Herzen hingegeben.

So liegt denn in beiden Fällen, ob Gott den Menschen begnadigt oder verhärtet, die Ungerechtigkeit nicht auf Gottes, sondern auf des Menschen Seite, der, soweit es ihn betrifft, unverbesserlich böse und verderbt ist; und in beiden Fällen, sei es in Gnade oder in Gericht, handelt Gott zur Verherrlichung Seines großen Namens. Alle, die auf Gottes Wort achten und geistliches Verständnis haben, werden hierin auch kaum eine Schwierigkeit finden, nur die menschliche Vernunft zieht immer wieder ihre verkehrten Schlüsse. Indem der Apostel, durch den Geist Gottes geleitet, diese Schlüsse einen nach dem anderen aufzählt, begegnet er ihnen zugleich in einer Weise, die unsere ungeteilte Bewunderung wachruft. Wir kommen jetzt zu dem letzten derselben: "Du wirst nun zu mir sagen: Warum tadelt Er noch? Denn wer hat Seinem Willen widerstanden?" (V. 19.) Mit anderen Worten: Wenn Gott begnadigt, wen Er will, was kann ich dann dazu beitragen? und wenn Er verhärtet, wen Er will, was kann ich dagegen tun? Ist Er der unumschränkte Gott, so bleibt mir nichts anderes übrig, als mich Seinem Willen zu unterwerfen.

Der Einwand scheint begründet zu sein. Warum tadelt Gott noch? Wenn alles sich schließlich Seinem Willen und Ratschluss unterwerfen muss, so kann der Mensch für das Endergebnis doch nicht verantwortlich gemacht werden! Der Ausgang des Weges seines Lebens steht ja bei Gott! Das erinnert uns unwillkürlich an die Entschuldigungen des ersten Menschenpaares nach dem Sündenfall. Auch damals suchten Adam und Eva die Verantwortlichkeit für das Geschehene Gott zuzuschieben. Warum hatte Er der Schlange den Zugang zu dem Garten Eden gestattet? Warum dem Manne das Weib gegeben, das ihn betrügen sollte? - In Römer 9 lauten die Fragen ja anders, aber der Grundsatz ist derselbe: Gott ist schuldig, nicht der Mensch. Warum errettet Er den einen und verwirft den anderen? Was kann der Mensch dazu, wenn Gott ihn verhärtet?

Noch einmal sei es gesagt, dass alle diese Fragen und Schlussfolgerungen einerseits die Herrlichkeit Gottes außer acht lassen und anderseits die Verantwortlichkeit des Geschöpfes vergessen. Gottes unumschränkter Vorsatz - und wie wäre Er Gott, wenn Er nicht unumschränkt wäre? - hebt die Verantwortlichkeit des Menschen nicht auf. Nehmen wir als erläuterndes Beispiel das Kreuz. Petrus sagt zu dem Volke Israel im Blick auf Jesum: "Diesen, übergeben nach dem bestimmten Ratschluss und nach Vorkenntnis Gottes, habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geheftet und umgebracht". (Apstgsch. 2, 23.) Der bestimmte Ratschluss, dass der Geliebte Gottes leiden sollte, war schon vor Grundlegung der Welt gefaßt; Gott hatte Jesum nach Seiner Vorkenntnis zuvorbestimmt, das Lamm zu werden, das die Sünde der Welt wegnimmt. Aber verminderte das irgendwie die Schuld des Menschen? Nicht im geringsten! Juden und Heiden fanden sich an jenem Tage zusammen und wurden Freunde in ihrer gemeinsamen Feindschaft gegen Gott und Seinen Gesalbten; und obwohl ihr Tun die Stimme der Propheten erfüllte und Gott Gelegenheit gab, Sein heiliges Urteil über die Sünde zu vollziehen und das wunderbare Werk Seiner Gnade auszuführen, waren und blieben sie doch schuldig der Verwerfung und Ermordung des Sohnes Gottes. Beide Dinge gingen nebeneinander her.

Die Schlussfolgerung, aus welcher die Frage: "Warum tadelt Er noch?" herauswächst, ist also durchaus trüglich. Wenn Gott in der Größe Seiner Weisheit und dem Reichtum Seines Erbarmens das böse Tun des Menschen zur Erfüllung Seiner Ratschlüsse ausschlagen lässt, so ist das eben Sein unumschränktes Walten, läßt aber den Willen des Menschen immer als das bestehen, was er ist: böse und unentschuldbar. Freilich, wenn es wahr wäre, was die streng calvinistische Theologie lehrt, dass Gott die, welche verloren gehen, zur Verdammnis zuvor bestimmt habe, so läge der Fall schwierig. Aber Gott sei gepriesen! es ist nicht wahr. Die Schrift redet niemals so, wenngleich es einige Stellen geben mag, die jene Meinung zu stützen scheinen.

Wie liegen denn die Dinge? Ehe der Apostel dazu übergeht, die gestellte Frage zu beantworten, betont er, wie schon wiederholt bemerkt, die Unumschränktheit Gottes, das erste Seiner Rechte, und zeigt dem Fragenden die Verkehrtheit seines Herzens. Würde wohl ein Mensch, dessen Gewissen irgendwie wach und tätig ist, so reden können, wie es hier geschieht? Nimmermehr wird eine bußfertige Seele Gott Ungerechtigkeit zuschreiben oder Ihn beschuldigen, Er sei verantwortlich für das Verlorengehen eines Menschen. Wer eine solch böse Sprache führt, beweist damit nur die natürliche Blindheit und den Hochmut seines Herzens. "Ja, freilich, o Mensch, wer bist du, der du das Wort nimmst wider Gott? Wird etwa das Geformte zu dem Former sagen: Warum hast du mich also gemacht? Oder hat nicht der Töpfer Macht über den Ton, aus derselben Masse ein Gefäß zur Ehre und ein anderes zur Unehre zu machen?" (V. 20. 21.) Wenn aber das Geschöpf schon solche Macht hat - und wer will das bestreiten? - wieviel mehr dann der Schöpfer!

"Warum hast du mich also gemacht?" Diese Frage, im Munde eines Menschen Gott gegenüber, sagt letzten Endes nichts anderes als dies: Gott hat kein Recht, das Böse zu richten, und wenn Er nicht alle begnadigen und retten will, so darf Er wenigstens niemand bestrafen. Jede gerechte Regierung und Vergeltung ist damit beseitigt, und Gott ist gezwungen, das Böse in einer Weise zu dulden, wie es kein ehrbarer Mensch in seinem Hause oder in seiner Umgebung dulden würde. Dass Gott den Menschen gut und aufrichtig geschaffen und ihn ernst und eindringlich vor der Sünde und ihren Folgen gewarnt hat, dass aber der Mensch der Versuchung unterlegen ist und nachher Sünde auf Sünde, Gewalttat auf Gewalttat gehäuft hat - alles das wird absichtlich übersehen oder entschuldigt. Aber man könnte fragen: Liegt in den Worten des Apostels, dass der Töpfer nach seinem Belieben aus demselben Ton ein Gefäß zur Ehre und ein anderes zur Unehre zu machen vermag, nicht doch eine Bestätigung dessen, was man Gott zum Vorwurf macht? Tat- sächlich ist die Sprache des Apostels kühn, und selbst verständige Männer und einsichtsvolle Ausleger des Wortes Gottes sind an dieser Stelle irre geworden, indem sie vergaßen, dass dem Schreiber zunächst nur daran liegt, die Unumschränktheit Gottes in ihrer ganzen Unverletzlichkeit aufrecht zu halten, und es weiter übersahen, dass Gott von Seinem Rechte gar nicht in der Weise Gebrauch gemacht hat, wie man es nach dem Bilde von dem Töpfer erwarten sollte. Die beiden nächsten Verse werden uns darüber belehren, wie Gott gehandelt hat; aber es war Gott gegenüber geziemend und für den Menschen nützlich, vorher die unumschränkten Rechte Gottes festzustellen. Wie selten denken gerade solche, die immer wieder von "Rechten" reden, daran, dass Gott auch Rechte hat! Ja, wenn es überhaupt Rechte gibt, so müssen die Seinigen als Schöpfer die höchsten, ja, unumschränkt sein, vor allem wenn wir uns daran erinnern, dass wir nicht nur Geschöpfe, sondern gefallene Geschöpfe, Sünder, sind, die notwendigerweise die Früchte ihres bösen Tuns ernten müssen.

Doch hören wir, wie der Apostel die schwierige Frage beantwortet: "Wenn aber Gott, willens, Seinen Zorn zu erzeigen und Seine Macht kundzutun, mit vieler Langmut ertragen hat die Gefäße des Zorns, zubereitet zum Verderben, - und auf dass Er kundtäte den Reichtum Seiner Herrlichkeit an den Gefäßen der Begnadigung, die Er zur Herrlichkeit zuvor bereitet hat . . .? uns, die Er auch berufen hat, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Nationen." (V. 22 - 24.)

Wir haben weiter oben schon darauf aufmerksam gemacht, dass Gott notwendigerweise einmal Seinen Zorn über all das Böse, das in dieser Welt geschehen ist und geschieht, erzeigen und an den hochmütigen, eigenwilligen Menschen Seine Macht kundtun muß, wenn Er anders Seinen Charakter als der heilige Gott aufrecht halten will. Wie nun, wenn Er bis heute diesen Zorn und diese Macht nicht kundgetan, sondern statt dessen "mit vieler Langmut" die Gefäße des Zorns ertragen hat - kann man Ihm dann mit irgendwelchem Recht den Vorwurf der Unbarmherzigkeit oder der Ungerechtigkeit machen? Könnte der dreimal heilige Gott dem Bösen gegenüber gleichgültig bleiben oder gar Gemeinschaft mit ihm haben?

Unmöglich! Und doch hat Er, trotzdem der Mensch, solang seine Geschichte währt, nicht aufgehört hat, Ihn durch die Verachtung aller Seiner Rechte zu reizen und Ihn durch seinen unglaublichen Hochmut, durch Sittenlosigkeit, Götzendienst, Fluchen und Lästern herauszufordern, bis heute gezögert, das tausendfach verdiente Gericht auszuführen. Wie gnädig und langmütig ist Er also gewesen! Er hat "die Gefäße des Zorns", d. h. die Menschen, an denen Er Seinen Zorn erzeigen will, in wunderbarer Güte und Nachsicht getragen, ja, hat ihnen nichts als Gnade erwiesen, indem Er immer wieder zu ihnen redete, "früh sich aufmachend", wie einst bei Israel. Aber was haben sie demgegenüber getan? Sie "haben all Seinen Rat verworfen und Seine Zucht nicht gewollt"! Tut Er recht, wenn Er sie "essen lässt von der Frucht ihres Weges und sie sich sättigen lässt von ihren Ratschlägen"? (Vergl. Spr. 1, 24 - 33.) Der Apostel nennt diese Menschen, im Anschluss an das Bild von dem Töpfer, "Gefäße des Zorns", wie er auf der anderen Seite diejenigen, welche sich Gott unterwerfen und Seinem Worte glauben, als "Gefäße der Begnadigung" bezeichnet. Beide sind auf dem Wege zu ihrem endlichen Ziele, zum Verderben oder zur Herrlichkeit. Beide sind dazu "bereitet". Aber übersehen wir nicht den großen Unterschied in der Art der Zubereitung! Viele haben ihn übersehen und dadurch den Sinn oder doch die Kraft der Beweisführung des Apostels nicht erfasst. Von den Gefäßen des Zornes sagt er nur: "zubereitet zum Verderben", von den Gefäßen der Begnadigung aber: "die Er (Gott) zur Herrlichkeit zuvor bereitet hat". Von den Gefäßen des Zorns wird weder hier noch an irgend einer anderen Stelle gesagt, dass Gott sie zum Verderben zubereitet habe; nein, sie selbst haben es getan durch ihre Sünden und vor allem durch ihren Unglauben und ihre Auflehnung gegen Gott. Die Gefäße der Begnadigung aber hat Gott bereitet, und zwar zuvor bereitet und zur Herrlichkeit bestimmt. Sie haben nichts dazu beigetragen, alles ist Gottes Werk, ausgeführt "nach der Gnade, die uns in Christo vor den Zeiten der Zeitalter gegeben worden ist". (2. Tim. 1, 9.)

So ist denn wiederum das Böse nur auf des Menschen, nicht auf Gottes Seite, und anderseits kommt das Gute nur von Gott, nicht von uns. Ferner bestätigt sich wieder, dass der Vorsatz Gottes nach Auswahl besteht, nicht aus Werken, sondern aus dem Berufenden. (V. 11.) Die Gefäße der Begnadigung sind nicht etwa zur Herrlichkeit bestimmt, weil sie sich vor anderen durch besondere Vorzüge oder geistliche Tugenden ausgezeichnet haben, sondern Gott hat sie nach Seiner unumschränkten Auswahl, "nach Wahl der Gnade", bedingungslos zur Herrlichkeit zuvor bereitet. Dass sie im Laufe der Zeit berufen, gerechtfertigt usw. werden mussten (vergl. Kap. 8, 29. 30), und dass Gott das eine Gefäß mit mehr geistlichen Kräften und Gnadengaben füllt, als das andere, ist gewiss so, aber alle sind von Ihm zuvor bereitet worden, ehe eines von ihnen da war, und zwar bereitet für Seine eigene Herrlichkeit. Darum, wie wir schon wiederholt betonten, werden sie alle dereinst nur Gottes unergründliche, nie fehlende Gnade rühmen. Voll und ganz wird das Wort in Erfüllung gehen: "Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!"

Wenn diese Fülle der Gnade vor die Seele des Apostels tritt, kann er nicht anders, als auf ihre herrlichste Darstellung hindeuten, wie sie sich in der Berufung der Gläubigen "nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Nationen" (V. 24) erwiesen hat. Hat die Erprobung des meistbegünstigten Volkes dieser Erde nur in hoffnungsloser Verschuldung und unheilbarem Verfall geendet, so dass nichts anderes als Zorn und Gericht übrigblieb, so haben sich die Schleusen der göttlichen Barmherzigkeit geöffnet, um aus Juden und Heiden ein Volk für die himmlische Herrlichkeit zu berufen. Je größer die Not, je tiefer das Verderben, desto weiter öffnet sich das Feld für Gott, um die Herrlichkeit Seiner Gnade zu offenbaren. "Denn Gott hat alle zusammen in den Unglauben eingeschlossen, auf dass Er alle begnadige."

Wir sind damit am Schluss unserer Betrachtung angekommen. Bleibt uns zurückschauend etwas anderes übrig, als in den triumphierenden Ruf des Apostels einzustimmen, mit dem er seine Behandlung der Gedanken und Wege Gottes mit Israel und den Nationen schließt? Er lautet: "O Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes! Wie unausforschlich sind Seine Gerichte, und unausspürbar Seine Wege! Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist Sein Mitberater gewesen? Oder wer hat Ihm zuvor gegeben, und es wird ihm vergolten werden? Denn von Ihm und durch Ihn und für Ihn sind alle Dinge.

"Ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit! Amen."

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Betrachtungen über den Propheten Hosea

Bibelstelle: Hosea

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 219ff

Die drei ersten Verse des 6. Kapitels sind die Fortsetzung des letzten Verses von Kapitel 5. Ich habe lange Zeit angenommen, dass sie in den Mund des Volkes gelegt seien, aber der Aufbau all dieser Kapitel hat mich dann überzeugt, dass der Prophet sie ausspricht, und dass sie für den Augenblick nur eine Einladung bilden, auf welche das Volk nicht antwortet. „Kommt", sagt er, „und lasst uns zu Gott umkehren; denn Er hat zerrissen und wird uns heilen. Er hat geschlagen und wird uns verbinden". Welch wunderbarer Ruf der Gnade an diese unter dem Schmerz der Trübsal gebeugten Seelen, denen Gott jede Hilfsquelle entzogen hat! Kein Berg ist mehr vorhanden, wohin der arme, von den Pfeilen des Vogelstellers bedrohte Vogel entfliehen könnte. Diese Zuflucht, die immerhin eine gewisse Sicherheit hätte bieten können, ist weggenommen. Gott verbirgt Sein Angesicht, und die Seele ist darüber bestürzt (Psalm 11,1; 30,7). Nur in Ihm bleibt noch ein Zufluchtsort: lasst uns zu Ihm zurückkehren! Wie ein Löwe hat Er das Königreich unserer Sünden wegen zerrissen; Er hat uns zu Recht geschlagen. Wer anders könnte wiederherstellen, verbinden, die Wunden heilen, als Der, Der sie geschlagen hat? Man fühlt hier die Tiefe der Demütigung, wie allein der Mensch Gottes sie empfinden kann, aber der Glaube stützt ihn dabei. Nur der Glaube treibt uns in derartigen Umständen dahin, uns Gott zu nähern. Doch welche Antwort findet er! Ist es nicht gut, gedemütigt worden zu sein, um eine solche Befreiung zu finden? „Bevor ich gedemütigt ward, irrte ich" (Psalm 119,67).

Es handelt sich hier allerdings nur um eine Hoffnung auf Befreiung; aber der Prophet besitzt diese Hoffnung als eine Gewissheit: „Er wird uns nach zwei Tagen wieder beleben, am dritten Tage uns aufrichten; und so werden wir vor Seinem Angesicht leben. So lasst uns Gott erkennen, ja lasst uns trachten nach Seiner Erkenntnis"! (V. 2. 3). So gewiss wie Gott ihren Messias aus den Toten auferweckt hat, - denn ich zweifle nicht daran, dass diese Stelle auch auf die Auferstehung Christi hindeutet, - wird Gott auch Sein Volk wieder erwecken. Ohne Zweifel handelt es sich hier um ihre Wiederherstellung als Volk, wie sie uns in Hesekiel 37 beschrieben wird, wodurch sich auch die erforderlichen zwei Tage für die Wiederbelebung und der dritte Tag für ihre Aufrichtung erklären. In Hesekiel stehen die Gebeine durch die Macht des Heiligen Geistes erst „auf ihren Füßen", nachdem sie vorher wiederbelebt worden sind (Hes 37,10). Diese Auferstehung als Volk ist, gleich der leiblichen Auferstehung bei uns Christen, mit derjenigen Christi verbunden. Sind die Wogen und Wellen des Gerichts über den Messias dahingegangen, so werden sie auch über den Überrest Israels kommen, der aus ihnen hervorgehen wird durch Auferstehung, wie es bei Christo der Fall war. Der dritte Tag ist der Tag, an welchem, dem Geiste der Heiligkeit gemäß, Gott in Kraft ins Mittel trat, um Jesum aus den Toten aufzuerwecken. Diesem gibt das ganze Alte Testament Zeugnis. „Christus", sagt der Apostel, „ist auferweckt worden am dritten Tage, nach den Schriften" (1. Korinther 15,4). In der Tat zeigen uns die Schriften Isaak unter dem Todesurteil bis zum dritten Tage, wo er im Gleichnis auferweckt wurde. Jona, ein Hinweis auf Christum wie auch auf den Überrest, wird ins Meer geworfen, während das Schiff der Nationen seine Fahrt fortsetzt. Er wird vom Scheol verschlungen und am dritten Tage wieder an Land geworfen. Überall wird die Auferstehung des Christus verkündigt als notwendige Folge Seines Todes. Im 16. Psalm sieht Er nicht die Verwesung und kennt den Weg des Lebens. Im 110. Psalm steigt Er in der Auferstehung empor zur Rechten Gottes, nachdem im 109. Psalm der Gesetzlose Ihn getötet hatte (V. 16). Im 8. Psalm ist Er mit Ehre und Ruhm gekrönt, nachdem Er wegen des Leidens des Todes ein wenig unter die Engel erniedrigt worden war. Durch dies alles ist Er gegangen für Sein himmlisches Volk, aber nicht minder auch für Sein irdisches Volk. Wenn nach Psalm 42 alle Wogen und Wellen Gottes über die Seele Christi und über die des Überrestes dahingegangen sind, kann der Überrest sagen: „Er ist das Heil meines Angesichts und mein Gott"!

Aber wir finden hier noch mehr als ein nationales Wiedererstehen des Volkes. Der Prophet sagt: „Wir werden vor Seinem Angesicht leben. So lasst uns Gott erkennen, ja, lasst uns trachten nach Seiner Erkenntnis"! (V. 2. 3). Ein geistliches Auferstehen ist die Frucht der Gnade und begleitet den neuen Bund mit Israel. Das ist die Morgenröte des tausendjährigen Tages. „Sein Hervortreten ist sicher wie die Morgendämmerung; und Er wird für uns kommen wie der Regen, wie der Spätregen die Erde benetzt" (V. 3). Es ist dann nicht mehr, wie einst am Pfingsttage, der Regen, der die Aussaat begleitet, sondern der Regen, welcher der herrlichen Ernte des zukünftigen Zeitalters vorangeht. Eine neue Ausgießung des Heiligen Geistes wird dem wiederhergestellten Volke zuteil werden.

Dieser vom Geiste Gottes eingegebene Abschnitt ist dazu angetan, in der Seele Israels wie auch in unserer Seele etwas von der ihm eigenen kostbaren Frische zu erwecken, denn er beschäftigt uns mit Christo, mit Seinem Tode und Seiner Auferstehung, dem sicheren Unterpfand der Zukunft Israels und unseres eigenen ewigen Teiles mit dem Herrn.

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Fragen aus dem Leserkreis

Bibelstelle: Epheser 1,3.20

Botschafter des Heils in Christo 1925, S. 223

Was meint der Apostel Paulus damit, wenn er im Epheserbrief von „himmlischen Örtern“ redet (Kap. 1, 3. 20; 2, 6; 3, 10; 6, 12), und im besonderen, was ist der „Kampf in den himmlischen Örtern“?

Keiner der Briefe des Apostels der Nationen führt uns zu solchen Höhen hinauf wie der an die Epheser. Der geistliche Zustand der Gläubigen in Ephesus war derart, dass ihnen Dinge mitgeteilt werden konnten, die andere, weniger treue und geförderte Christen jener Zeit, wie z. B. die Korinther oder die Galater, nicht hätte fassen können. Indem sie in inniger Gemeinschaft mit Gott wandelten und die Gebote ihres Herrn und Heilandes hielten, konnte Gott sich ihnen in besonderer Weise offenbar machen (vergl. Joh. 14, 21) und einführen in Seine ewigen Gedanken und Ratschlüsse, in seine Wege in Christo, dem zu Seiner Rechten verherrlichten Haupte Seines Leibes. Der Brief macht uns, wie kein anderer, bekannt mir der ganzen unermesslichen Entfernung zwischen dem einstigen Zustand des Gläubigen und seiner jetzigen Stellung in Christo. Ist der Mensch im Römerbrief von Natur ein schuldiger, verlorener Sünder, hier ist er „tot in Vergehungen“, ein Kind des Zorns. Erscheint der Gläubige dort als gerechtfertigt und jedem Gericht entronnen, hier sehen wir ihn als ein Gegenstand des Wohlgefallen Gottes, mit Christo auferweckt und in Ihm mitversetzt in die himmlischen Örter, wo er gesegnet ist mit jeder geistlichen Segnung. Die höchsten Segnung, die Gottes Liebe überhaupt zu geben vermag, sind hier jedem Kinde Gottes „in Christo“ geschenkt. Was Israel betrifft, so wird es einmal unter seinem Messias und durch Ihn gesegnet sein; wir sind heute in Christo gesegnet, in Ihm annehmlich gemacht und besitzen alles, was Gott Ihm übergeben hat oder übergeben wird, in und mit Ihm.

Der Ausdruck „himmlische Örter“ (im Griechischen fehlt das Wort „Örter“, es heißt nur „in den Himmlischen“, aber Kapitel 1, 20; 2, 6 und 3, 10 zeigen deutlich, dass der Ausdruck aus im örtlichen Sinne zu fassen ist: steht im Gegensatz zu den irdischen Gebieten, in welchen Israel einst gesegnet worden ist und am Ende der Tage, im Tausendjährigen Reich, auf neuem im Boden überströmend gesegnet werden wird. Das himmlische Kanaan steht dem irdischen gegenüber, in welches Josua, das Vorbild von Christo, sein Volk einst einführte. Und gerade so wie Israel mächtigen Feinden im Lande der Verheißung begegnete, die ihm den Besitz desselben streitig machten, findet auch der Christ in den himmlischen Örtern gewaltige Gegner: Fürstentümer und Gewalten, geistliche Mächte der Finsternis und Bosheit, die ihm den Genuss der himmlischen Segnungen nicht gestatten wollen. Es mag befremdend klingen, dass Satan und seine Engel sich noch in den himmlischen Örtern befinden; aber erst im 12. Kapitel der Offenbarung lesen wir, dass sie auf diese Erde geworfen werden, dass „ihre Stätte nicht mehr im Himmel gefunden wird“. Bis dahin gestattet Gottes wunderbare Langmut dem „Ankläger der Brüder“ und seinen bösen Mächten noch den Aufenthalt dort, der Gläubiger kann, wie einst Israel, das himmlische Land und seine Segnungen nur so weit genießen, wie er im Glauben seinen Fuß darauf setzt. Darum kann der Apostel sagen, dass dieser Kampf, obwohl wir noch auf der Erde pilgern, in den himmlischen Örtern, das heißt im Himmel selbst, geführt wird. Alle unsere Kraft in diesem Kampf ist „in dem Herrn und in der Macht Seiner Stärke“, und wir bedürfen der ganzen Waffenrüstung Gottes, um siegreich bestehen zu können. Er hört auch nicht eher auf, als bis wir diese Erde verlassen und zu Jesu gehen

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Fragen aus dem Leserkreis

Bibelstelle: Epheser 5,32

Botschafter des Heils in Christo 1925, S. 224

Was ist unter dem „Geheimnis“ zu verstehen, von welchem Epheser 5, 32 redet?

Die Stelle lautet: „Dieses Geheimnis ist groß; ich aber sage es in Bezug auf Christum und die Versammlung“. Der Apostel sagt unmittelbar vorher: „Niemand hat jemals sein eigenes Fleisch gehasst, sondern er nährt und pflegt es, gleichwie Christus die Versammlung. Denn wir sind Glieder seines Leibes, von Seinem Fleische und von Seinen Gebeinen.“ So wie Gott einst dem „schlafenden“ Adam die Frau entnahm, so sind wir gleichsam dem gestorbenen und auferstandenen Christus entsprossen; und so wie Adam in Eva „Gebein von seinem Gebeinen und Fleisch von seinem Fleische“ erkannte, eine gleichartige Gehilfin und eine Miterbin in alledem, was Gott ihm geschenkt hatte, so sieht Christus in der Versammlung (Gemeinde) die Ihm von Gott geschenkte Frau, um derentwillen Er alles verlassen, ja Sich selbst hingegeben hat, und die mit Ihm jetzt einen Menschen, den geheimnisvollen Menschen der Ratschlüsse Gottes, bildet und bald alles mit Ihm teilen wird. Ist das nicht ein wunderbares Geheimnis – „das Geheimnis des Christus“?

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Einige Gedanken über den Tod und die Auferstehung des Herrn

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 225ff

Durch vier Evangelisten hat Gott uns über die Leiden Christi Bericht geben lassen. Aus diesen verschiedenen Berichten können wir, unter der Leitung des Geistes, manches Wunderbare über den Tod Jesu am Kreuze verstehen lernen. Der Tod des Herrn hat seine tiefe Bedeutung sowohl für Gott, als auch für uns als Sünder und als Gläubige. Jeder der vier Berichte trägt seinen eigenen, besonderen Charakter.

In dem Bericht der beiden ersten Evangelisten, Matthäus und Markus, begegnen wir dem Ruf: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Prophetisch waren diese Worte lang vorher durch den Heiligen Geist niedergeschrieben und in der Beschreibung der Leiden Christi an die erste Stelle gesetzt worden. (S. Psalm 22.) Am Kreuze wurden sie erst dann ausgerufen, als alle die verschiedenen Leiden, die in diesem Psalm prophetisch angedeutet sind, von dem Herrn getragen waren. Dass der Heilige Geist diesen Ausruf in dem Psalm allen anderen voranstellt, zeigt uns, dass in den Augen Gottes die Leiden, die in diesem Schrei zum Ausdruck kommen, alle anderen Leiden weit überragen. Auch jene anderen Leiden waren wirklich und tief. Es war ein bis zum Rande gefüllter Kelch, den unser hochgelobter Herr zu trinken hatte. Aber die Leiden, die in jenem furchtbaren Schrei verborgen liegen, trugen einen ganz einzigartigen Charakter. Es waren sühnende Leiden, Leiden um der Sünde willen. In den ersten drei Stunden Seines Kreuzesleidens war Jesus nicht von Gott verlassen. Erst als Er in die Tiefen des Gerichts über die Sünde hinabstieg, kam das, wovor Ihm in Gethsemane so bangte, über Ihn. Er, der allein wußte, was Sünde ist nach göttlichem Urteil, unterzog sich dem Gericht über dieselbe, einem Gericht, in welches kein anderer für uns hätte eintreten können. Und gerade da offenbarte und verherrlichte Er Gott als das, was Er ist: Licht und Liebe.

Diesen Schrei am Kreuze beantwortete Gott mit dem Zerreißen des Vorhangs, der den Menschen von Seiner Gegenwart trennte. Nachdem dies geschehen ist, verhindert nichts mehr den Sünder, durch Jesum Gott zu nahen; die trennende Schranke ist beseitigt. Das, was dem Gesetz unmöglich war, tat Gott, indem Er in Seinem eigenen Sohne, dem Menschen Christus Jesus, "die Sünde im Fleische verurteilte". Und auf das Große, das geschehen war, kam von oben her die Antwort: Der Vorhang zerriß in zwei Stücke, "von oben bis unten"; aber auch die Felsen zerrissen, und die Gräber öffneten sich. Der Tod war zunichte gemacht in dem Tode Dessen, der für uns am Kreuze verlassen war.

In dem Bericht des Lukas tritt uns in besonderer Weise die Gnade entgegen, die durch den Sohn des Menschen sich Menschen offenbart. Dem entspricht auch, dass Lukas allein die Fürbitte Christi für die Übertreter (Israel), sowie die gnädige Antwort auf das Gebet des Räubers an Seiner Seite erzählt. Die Bitte um Gnade für die Übertreter, wie auch das gnadenvolle Wort an den Räuber konnten nur ausgesprochen werden auf Grund der Sühnung, an die der Schrei: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" erinnert. Israel als Volk wird einmal auf Grund dieser Fürbitte Gnade zuteil werden; und Saulus, dem ersten der Sünder, wurde Barmherzigkeit zuteil, damit die ganze Langmut Gottes an ihm gesehen werden möchte "zum Vorbilde für die, welche an Jesum glauben würden zum ewigen Leben". Als am Kreuze die Sühnung vollbracht wurde, enthüllte sich die Gnade in nie vorher gesehener, wunderbarer Weise: zwei Menschen, der eine vollkommen rein und schuldlos, der andere ganz und gar verdorben und des Todes schuldig, hingen Seite an Seite. Welch ein Anblick! Und der, der nur Böses getan hatte, durfte sich klammern an Den, in dessen Munde nie ein Betrug erfunden worden war, und durfte die Worte hören: "Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein!" Das war in der Tat eine herrliche Gnade. Und auf welcher Grundlage war sie allein möglich? Wir fanden sie bereits in dem Rufe bei Matthäus und Markus: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" und in dem Tun Gottes, als Er den Vorhang zerriß, der den Menschen von Ihm trennte.

Johannes zeigt uns unseren Herrn als den vom Vater Gesandten, der das Werk vollbrachte, "welches der Vater Ihm gegeben hatte, dass Er es tun sollte". (Joh. 17, 4.) Er ist Der, den der Vater liebt, weil Er Sein Leben läßt. Niemand nimmt es von Ihm, sondern Er läßt es von sich selbst. Er hat Gewalt, es zu lassen , und hat Gewalt, es wiederzunehmen. Dieses Gebot hat Er von dem Vater empfangen. (Joh. 10, 17. 18.) Mochte auch Pilatus Ihn den Kriegsknechten überliefern, und mochten diese Ihn fortführen, Johannes zeigt uns Ihn als Den, der, in wunderbarer Ruhe und göttlicher Erhabenheit über allem stehend, das Werk vollbringt und den Vater verherrlicht. Deshalb heißt es auch wohl nur hier: "und Sein Kreuz tragend, ging Er hinaus nach der Stätte, genannt Schädelstätte", wo sie Ihn alsdann kreuzigten. (Kap. 19, 17.)

Bei der Verteilung der Kleider durch die Kriegsknechte wird auf die Erfüllung der Prophezeiung hingewiesen. (Joh. 19, 24; Psalm 22, 18.) Wie gut hatte der Jünger, den Jesus liebte, diese Kleider gekannt, dieses nahtlose Gewand, in welchem der Heilige Gottes den Pfad des Gehorsams und der Absonderung gewandelt war! Die heidnischen Kriegsknechte eigneten sie sich jetzt an. Nie mehr wird Er diese Kleider wieder gebrauchen. Sein Pfad heiliger Hingebung in dieser Welt ist beendet. So wie Johannes und andere Ihn nach dem Fleische gekannt hatten, so werden sie Ihn nicht mehr kennen. Alle Bande mit der Erde sind gelöst. Johannes hört den Sohn Gottes ausrufen: "Es ist vollbracht!" Er, durch dessen Geist einstmals jedes Wort der Weissagung eingegeben wurde, ruft, "auf dass die Schrift erfüllt würde" (so stellt Johannes es dar): "Mich dürstet!" Und als Er den Essig genommen, verkündigt Er die Vollendung alles dessen, was Mose, die Propheten und die Psalmen über Ihn geschrieben hatten, und dann neigt Er das Haupt und übergibt den Geist. Er stirbt nicht, weil Er nicht mehr länger leben kann; sondern weil Er weiß, dass "alles vollbracht" ist, läßt Er Sein Leben, um es in der Auferstehung wiederzunehmen. Niemand nahm es von Ihm.

Der bittere Kelch war getrunken, und gleichsam um uns zu zeigen, dass nicht ein Tropfen darin zurückgeblieben war, rief Er: "Es ist vollbracht!"

Erblicken wir in dem Tode Christi die Grundlage für alle Segnungen des Menschen (gemäß der Gerechtigkeit Gottes), so sehen wir in Seiner Auferstehung die Gewißheit und ewige Sicherung derselben. Unsere Rechtfertigung und Heiligung, die himmlischen Segnungen der Versammlung (Gemeinde), die Segnungen Israels im Reiche, die Wiederherstellung aller Dinge, der neue Himmel und die neue Erde - alles, alles findet seine Sicherstellung und Vollendung m dem aus den Toten auferstandenen Christus.

Vorbildlich wird uns dies schon in der Geschichte Abrahams gezeigt. Er wußte, dass alle ihm gegebenen Verheißungen in Isaak ihre Erfüllung finden sollten. Aber er mußte lernen, dass diese Erfüllung nur in dem Isaak wahr werden konnte, der auf dem Altar gelegen hatte, von wo er ihn im Bilde als aus den Toten zurückempfing.

Sehen wir denn jetzt, was die Evangelisten uns über die Auferstehung Jesu berichten.

In Matthäus werden unsere Herzen erfaßt von der Gewalt und Macht, die dort in der Auferstehung des Herrn zum Ausdruck kommt: es geschieht ein großes Erdbeben, ein Engel des Herrn kommt aus dem Himmel hernieder, wälzt den Stein weg und setzt sich darauf. Sein Ansehen ist wie der Blitz, sein Kleid weiß wie Schnee, und die Hüter des Grabes beben vor ihm aus Furcht. Alle diese Einzelheiten offenbaren uns die überwältigende Kraft, mit der Seine Auferstehung in Erscheinung trat, und sie bezeugen, dass da, wo bisher die Sünde geherrscht hatte im Tode, nicht nur die Kraft des Todes gebrochen war, sondern auch die Gnade herrschen sollte zu ewigem Leben. - Die törichten und ohnmächtigen Anstrengungen des Feindes, das Grab zu sichern und den Ratschluß Gottes zu vereiteln, dienten nur zur Bestätigung der Tatsache der Auferstehung und des Zeugnisses des Engels: "Er ist nicht hier, denn Er ist auferstanden".

Israel soll dereinst durch den großen Hirten der Schafe aus den Ländern, wohin es zerstreut ist, gesammelt werden (Hes. 34, 11-13), und hier bei Matthäus, dem Evangelisten für Israel, erneuert der aus den Toten wiedergebrachte Messias in dem Blute des ewigen Bundes, nachdem die Kraft des Feindes gebrochen ist, Seine Beziehungen zu den "Armen der Herde". (Kap. 28, 9. 10.) Die Jünger werden hier als Seine jüdischen Brüder gesehen, als die Kinder, die Gott Ihm gegeben hat, während Er dem Volke Israel als solcher ein "Stein des Anstoßes" blieb.

Er geht vor ihnen her nach Galiläa, wo Er so oft mit ihnen geweilt hatte, und dort offenbart Er ihnen, dass Ihm, dem Auferstandenen, jetzt alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden, und als solcher gibt Er ihnen den Auftrag, alle Nationen zu Jüngern zu machen und sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes zu taufen. "Jehova" war der Name Gottes in Verbindung mit Israel, fortan sollte Er als "Vater, Sohn und Heiliger Geist" in der ganzen Welt bekannt werden.

Bei Markus finden wir die Auferstehung nicht mit den Begleiterscheinungen der Macht wie bei Matthäus, sondern mehr als den Anbruch eines neuen Tages, eines neuen Zeugnisses und einer neuen Kraft, die von oben her wirkt.

Geleitet durch den Heiligen Geist, gebraucht Markus in seinem Bericht die Worte: "Als die Sonne aufgegangen war". (Kap. 16, 2.) Der Tag des Dienstes des Herrn in der Mitte Seines irdischen Volkes hatte mit Seiner Auferstehung sein Ende gefunden, und das Licht eines neuen Tages war ausgegangen. Die Jünger mochten die Fortführung der Dinge in der alten Weise auf Erden erwarten, aber der Herr wird ihnen gezeigt als von oben wirkend. (Kap. 16, 19. 20.) Sein Dienst ist durch das Kreuz nicht beendet, Er wirkt jetzt von dem Platze der Kraft zur Rechten Gottes aus.

Bei Markus ist auch die Erscheinung des Engels nicht mit Zeichen der Macht verbunden wie bei Matthäus. Ein "Jüngling" sitzt zur Rechten des Platzes, wo der Leib Jesu gelegen hatte, und in seinem Zeugnis bringt er den Namen des Auferstandenen mit Seinem verachteten Platz auf dieser Erde und mit der Kreuzigung zusammen. Er sagt zu den Weibern: "Entsetzet euch nicht; ihr suchet Jesum, den Nazarener, den Gekreuzigten". Auch hier bezeugt dieser Jüngling, dass der Auferstandene, fern von dem Mittelpunkt der Religion der Menschen, in dem verachteten Galiläa gefunden werden würde.

In dem Jüngling mit seinem "weißen Gewande" erblicken wir wohl das Bild eines Dieners und Zeugen der Auferstehung des verworfenen Jesus. Das Zeugnis muß in einem fleckenlosen Gewande der Welt gebracht werden, und nur so kann der Zeuge ein kraftvolles Zeugnis ablegen. "Liebet nicht die Welt, noch was in der Welt ist." (1. Joh. 2, 15.) Wer das Kreuz und die Auferstehung des Herrn verwirklicht, wird auch nicht in dem "Lager" bleiben können; außerhalb des Lagers ist sein Platz, bei Ihm, dem vom Volke Verachteten, "Seine Schmach tragend". (Hebr. 13, 13.) In dem Jüngling und seiner Kleidung sehen wir den Charakter und die Kraft des neuen Dienstes und des neuen Tages, dessen Sonne aufgegangen war. Er sitzt "zur Rechten" der Stätte der Auferstehung, so wie der Herr uns als sitzend "zur Rechten Gottes" gezeigt wird. (Kap. 16, 19.) Die Verse 9-14 in unserem Kapitel erinnern uns an den Unglauben, der die Jünger damals und heute noch hindert, den Aufgang der Sonne zu sehen.

Lukas zeigt uns die Auferstehung nicht bloß als die Antwort Gottes auf das vollbrachte Werk Christi, sondern er weist nach, dass die Auferstehung im Plane Gottes und in den Schriften enthalten war, ja, dass sie nach den Schriften geschehen mußte. Die Schrift, dass Er aus den Toten auferstehen mußte, kannten weder die Weiber noch die Jünger. Die Weiber waren bestürzt, die Jünger waren trägen Herzens. Dass die Auferstehung einen Teil der Ratschlüsse Gottes bildete und in den Schriften enthalten war, das verstanden sie alle nicht.

Mit den äußeren Sinnen kann kein Mensch die Auferstehung erfassen. Den zwei Emmausjüngern offenbarte sich der Herr deshalb auch nicht so, dass sie Ihn mit ihren Sinnen hätten erkennen können. Im Gegenteil, "ihre Augen wurden gehalten, damit sie Ihn nicht erkännten". Der Herr wollte ihnen durch das Wort ihr geistliches Auge öffnen, denn sie waren "unverständig und trägen Herzens, zu glauben an alles, was die Propheten geredet hatten". Nun erklärt Er ihnen, von Moses und allen Propheten anfangend, in allen Schriften das, was Ihn betraf. Nicht durch unsere natürlichen Sinne, nein, nur durch das Wort Gottes und die Belehrung von oben können wir in Gottes Gedanken eingeführt werden.

Die Frage: "Brannte nicht unser Herz in uns?" zeigt die Wirkung des Dienstes des Herrn an ihren Herzen. Aus den Schriften erkannten sie jetzt die Notwendigkeit des Leidens, des Todes und der Auferstehung des Herrn. Nur auf diesem Wege konnte "der Christus in Seine Herrlichkeit eingehen".

Brennenden Herzens und voll von den Mitteilungen, die sie empfangen haben, kehren sie nach Jerusalem zurück. Dort finden sie die Jünger versammelt, und während sie ihnen berichten, was auf dem Wege nach Emmaus geschehen war, und von ihnen hören, dass der Herr dem Simon erschienen sei, erscheint Er selbst in ihrer Mitte.

Wieder wird offenbar, wie unfähig die Sinne des Menschen sind, Ihn in Seinem Auferstehungszustande zu erkennen. Doch welche Mühe gibt sich der Herr, um sie zu überführen, "dass Er es selbst sei"! Sie meinten einen Geist zu sehen, und allerlei Gedanken und Fragen stiegen in ihren Herzen auf. Aber der Herr begegnet ihren Überlegungen in wunderbarer Güte, und wenn sie immer noch nicht glauben können vor Freude und sich verwundern, "ißt Er vor ihnen" - ein Geist ißt nicht - und lenkt dann ihre Gedanken auf die Worte, die Er zu ihnen geredet hatte, "als Er noch bei ihnen war". So lernten sie Ihn erkennen in einem Zustand außerhalb des Gebietes des nur natürlichen Verstehens und Erkennens. Er hatte ihnen damals schon gesagt, dass alles, was im Worte Gottes über Ihn geschrieben stehe, erfüllt werden müsse, und nun "öffnet Er ihnen das Verständnis, um die Schriften zu verstehen". Wie es geschrieben stand, so war alles geschehen, und als die Zeugen Seiner Leiden und Seiner Auferstehung sollten sie jetzt, "angetan mit Kraft aus der Höhe", in Seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden predigen allen Nationen, anfangend von Jerusalem, der schuldbeladenen Stadt.

Dann sehen die Jünger Jesum scheiden. Aber sie trauern nicht, sie hatten ja die Gedanken Gottes verstanden. Mit großer Freude kehren sie nach Jerusalem zurück, Gott lobend und preisend. Sie hatten Ihn erkannt, der als der auferstandene Menschensohn nun- mehr den Mittelpunkt aller Ratschlüsse und Wege Gottes bildet und, "hinaufgetragen" in den Himmel, zur Rechten des Vaters erhöht, Seinen Geist senden will, der sie in die Erkenntnis der ganzen Wahrheit leiten soll.

So sehen wir denn bei Matthäus die Auferstehung des Messias, verbunden mit machtvollen Tatsachen, und den Wechsel der Verwaltung Gottes. Markus zeigt uns den Anbruch des neuen Tages und eines neuen Zeugnisses und Dienstes. Lukas weist mit besonderer Kraft auf das Zeugnis der Schriften hin und zeigt, welchen Platz die Auferstehung des Menschensohnes in ihnen einnimmt. Johannes endlich berichtet die Einzelheiten der Auferstehung gar nicht, redet aber von ihrer wunderbaren Wirkung auf unser Verhältnis sowohl zu Christo, dem Sohne selbst, als auch zu Gott als Seinem Gott und unserem Gott, Seinem Vater und unserem Vater.

Der Glaube an die Tatsache der Auferstehung Jesu hielt Petrus und Johannes nicht ab, m ihr Heim zurückzukehren. Sie kannten weder die Schriften noch Christum als Den, in welchem Gottes Herrlichkeit und alle Seine Segensvorsätze bezüglich des Menschen ihre Vollendung finden sollten. Sonst wären sie gewiß nicht "wieder heimgegangen".

Maria Magdalene wird durch ihre Liebe zum Herrn am Grabe zurückgehalten. Sie sucht den Leib ihres Herrn und weint, als sie ihn nicht findet. Da offenbart sich ihr der Herr, aber nicht so, dass sie Ihn mit ihren Augen erkannt hätte; auch überführt Er sie nicht aus den Schriften, nein, es ist der Ton Seiner Stimme, der so mächtig und zugleich so traut in ihr Herz dringt. Sie hört Seine Stimme ihren Namen nennen, und sofort, anscheinend ohne jede Bestürzung und Verwunderung, antwortet sie: "Rabbuni!" - Sie meint, Er würde nun Sein Leben auf der Erde in der bisherigen Weise fortsetzen. Dass Er, durch die Herrlichkeit des Vaters auferweckt, Seinen Platz zur Rechten Gottes einnehmen mußte, ehe Er Seine Beziehungen zu Seinem irdischen Volke wieder aufnehmen konnte, das war ihr unbekannt. Aber wenn der Herr ihr in Übereinstimmung damit auch sagen muß: "Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater", betraut Er sie doch anderseits mit einer Botschaft, welche die neuen und himmlischen Beziehungen zum Ausdruck brachte, in die Seine Jünger jetzt eingeführt werden sollten.

Diese neue Beziehung zu Christo, dem Sohne, und zu Gott, dem Vater, wie sie uns im Johannes- Evangelium gezeigt wird, gehört nicht dieser Erde, sondern dem Himmel an. Aber wir kennen und genießen sie jetzt schon im Glauben.

Indes ist es nicht nur eine persönliche Stellung, in die wir durch das Fleisch gewordene Wort versetzt worden sind, es gibt auch gemeinsame Vorrechte und Segnungen. Die Jünger, aus Furcht vor den Juden hinter verschlossenen Türen versammelt - denn sie wußten sich eins mit dem verworfenen Jesus und deshalb von der religiösen Welt ausgestoßen - sind zunächst allein, aber am Abend jenes wunderbaren ersten Wochentages gesellt Er sich zu ihnen. Hierdurch bekommt ihr Zusammensein ein neues Gepräge, den Charakter, den heute die Versammlung (Gemeinde) trägt, wenn sie mit dem auferstandenen Herrn in ihrer Mitte versammelt ist. Die Vorrechte dieser Gemeinschaft sind köstlich: "Friede" als die Frucht Seines Todes, "Freude" als Ergebnis Seiner Gegenwart.

In Thomas sehen wir das Bild des Volkes Israel, welches erst glauben wird, wenn es sieht. Doch kann Thomas, ein persönlich treuer Mann, auch als Bild mancher Gläubigen der Gegenwart dienen, die, gleichsam auf jüdischem Boden stehend, Jesum wohl als ihren Herrn und Gott anerkennen und lieben, aber, unbekannt mit dem wunderbaren Verhältnis zum Vater, in welches der Herr uns in der Auferstehung eingeführt hat, wie Thomas abseits stehen, wenn die verworfene Jüngerschar versammelt ist und die Segnungen genießt, die den Heiligen gemeinsam geschenkt sind. Und so gehen ihnen die Mitteilungen Seines Friedens und Seiner Freude inmitten der Versammlung als solcher verloren. Wie schade ist das! Thomas hat viel dadurch verloren, dass er das erstemal nicht bei den Jüngern war. Möchten doch die Geliebten des Herrn alle immer mehr das glückselige Teil derer kennen, "die nicht gesehen und geglaubt haben"!

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Betrachtungen über den Propheten Hosea

Bibelstelle: Hosea 6,4-7

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 237ff

Kapitel 6,4 - Kapitel 7

Der Rechtsstreit wird stärker und dringender

Wie in dem vorhergehenden Kapitel trifft hier Ephraim und Juda derselbe Vorwurf: „Was soll ich dir tun, Ephraim, was soll ich dir tun, Juda, da eure Frömmigkeit wie die Morgenwolke ist und wie der Tau, der früh verschwindet"? (V. 4) Was soll ich dir tun? Wie sehr wendet sich diese Frage an das Gewissen! Antworte selbst. Wird die Antwort lauten: Mein Gericht ist gerecht? Ihre Frömmigkeit hatte nur die allerersten Stunden ihres Bestehens als Volk gewährt, dann war sie entflohen, verschwunden wie der Tau beim Aufgang der Sonne.

Nachdem Gott sich an das Volk gewandt hat, dehnt Er Seinen Ruf aus an alle Menschen: „Und mein Gericht geht hervor wie das Licht. Denn an Frömmigkeit (oder, wie es in der französischen Übersetzung heißt: Güte, Barmherzigkeit) habe ich Gefallen und nicht am Schlachtopfer, und an der Erkenntnis Gottes mehr als an Brandopfern. Sie aber haben den Bund übertreten wie Adam, haben dort treulos gegen mich gehandelt" (V. 5-7). Wenn Gottes Gnade hervortritt „wie die Morgendämmerung" (V. 3), so wird Sein Gericht sein wie die Sonne, leuchtend in ihrer Kraft (V. 5). Sicherlich wünscht Gott das Gericht nicht; aber die Bosheit Seines Volkes zwingt Ihn dazu. Gott sucht bei dem Menschen wahre Frömmigkeit, Güte und nicht Schlachtopfer. Aber Sein Wunsch bliebe unerfüllt, wenn es sich darum handeln würde, was der Mensch Ihm anbieten kann. Wo wäre wahre Frömmigkeit im Herzen eines Menschen zu finden? Daher beschränkt Gott sich nicht auf diese Forderung. Er sucht das, was sich in Seinem eigenen Herzen befindet: Frömmigkeit oder Güte in Form von Gnade und Erbarmen. Die Güte, die Er liebt, ist die Gnade gegen den Sünder, die Gnade, welche durch Jesum Christum geworden ist. Als die Augen Gottes auf diesem Menschen ruhten, konnte Er sagen: „Ich habe Gefallen an Frömmigkeit". Diese Frömmigkeit ist bis zum Opfer gegangen, dem einzigen Opfer, das Gott annehmen konnte, denn Er hat keine Lust an irgend einem Opfer der Menschen (Psalm 10,17). Im Evangelium Matthäus erwähnt der Herr zweimal (Kap. 9,13 u. 12,7) diese Stelle aus Hosea 6,6: das erste Mal, um zu zeigen, dass den Herrn nichts anderes befriedigen kann, als Seine eigene Gnade; das zweite Mal, um darzutun, dass Er in keiner Weise auf Barmherzigkeit in dem Herzen des Menschen rechnen kann.

So vermochten auch alle Brandopfer, die der Mensch anbieten konnte, nicht „die Erkenntnis Gottes" (V. 6) aufzuwiegen. Gott hat sich uns zu erkennen gegeben in der Person und dem Werke Seines Sohnes. Das ist die Gnade, das Heil, das ewige Leben. „Sie aber haben den Bund übertreten wie Adam, haben dort treulos gegen mich gehandelt" (V. 7). Anstatt mit der Erkenntnis der Gnade zu beginnen, waren Juda und Ephraim durch den Bund des Gesetzes auf die Probe gestellt worden, denn sie mussten erkennen, was in ihren eigenen Herzen war. Im Anfang hatte Adam, wie Israel unter Verantwortlichkeit gestellt, einen Bund übertreten, der ihm auferlegt worden war; hatte Israel besser gehandelt, als Gott ihm den Bund von Sinai auferlegte? Nein, sagt Gott, „dort haben sie treulos gegen mich gehandelt"'!

In den Versen 8 - 10 kommt der Prophet auf Ephraim zurück. Es geht hin und her, von dem einen zum anderen, und in ergreifender Weise zeigt sich die Angst, die Sorge um Israel, die Entrüstung des treuen Propheten, der Seinen Gott derart verachtet sieht. „Gilead ist eine Stadt von Übeltätern, voll Blutspuren. Und wie ein Straßenräuber auflauert, so die Rotte der Priester; sie morden auf dem Wege nach Sichern, ja, sie verüben Schandtat. Im Hause Israel habe ich Schauderhaftes gesehen: daselbst ist Ephraims Hurerei"!

Welche furchtbare Sache! Ja, selbst die den Leviten angewiesenen Zufluchtstädte: Gilead (oder, wie ich annehme, Ramoth in Gilead), jenseits des Jordan, und Sichern in Ephraim waren Räuberorte geworden. Die Priester selbst ermordeten, ohne Zweifel unter dem Vorwand, Bluträcher zu sein, diejenigen, welche sich nach Sichern begaben. Sie beraubten Unschuldige, indem sie ihre Mordtaten mit dem Mantel des Gesetzes zudeckten! Im Gebiet Ephraims, des Anführers der zehn Stämme, geschahen die schlimmsten Gräuel.

Wie gewöhnlich, geht der Prophet auch hier wieder ohne Überleitung von Israel auf Juda über, dem er soeben gesagt hatte: „Was soll ich dir tun, Juda?" und wirft ihm einen Blick des Mitleids zu: „Auch über dich, Juda, ist eine Ernte verhängt, wenn ich die Gefangenschaft meines Volkes wenden werde" (V. 11). Hätte Gott nicht sagen müssen: Auch über dich, Juda, wird das Gericht kommen? Nein! „Gott hat Gefallen an Güte", und Er wendet sich ab vom Gericht, um das zu betrachten, was ihm folgen wird. Ohne Zweifel sollte Juda in die Gefangenschaft geführt werden wie Ephraim, aber diese Gefangenschaft wird ein Ende nehmen. Wir finden hier den so oft von den Propheten gebrauchten Ausdruck: „Ich werde die Gefangenschaft wenden", d. h. ich werde ihr ein Ende setzen, um die Wiederherstellung meines Volkes herbeizuführen. Es ist gleichsam ein Vorgeschmack von dem Evangelium: Gott kündigt dem schuldigen Juda Seine Gnade an. „Eine Ernte ist über dich verhängt", nicht etwa jene furchtbare Ernte, bei welcher der Sohn des Menschen Seine scharfe Sichel an die Erde legen wird (Offenbarung 14,16), sondern eine herrliche Ernte für Juda, für die Gefangenen Zions, wenn sie flehen werden: „Führe unsere Gefangenen zurück, Gott gleich Buchen im Mittagslande!" und ihnen die Antwort zuteil wird: „Die mit Tränen säen, werden mit Jubel ernten" (Psalm 126,4. 5).

Wie wunderbar ist das Herz unseres Gottes! Niemals findet Er Seine Ruhe in Seinen Gerichten. Kaum hat Er das Unglück, das das entartete Volk und die Bewohner der Erde erreichen wird, angekündigt, als Er auch schon einhält und in der Entfaltung Seiner Gnade Seine Ruhe findet! Die Taube lässt den Raben der Flut seine Nahrung suchen an irgend einem durch di« Wellen hin und her geworfenen Aas, fliegt selbst aber zur Arche, ihrem Ruhort, zurück und trägt in ihrem Schnabel das Sinnbild des Friedens, der dem Untergang folgen wird!

Im 7. Kapitel werden die Bilder des rächenden Propheten in ihren Unterbrechungen immer stürmischer, gleich dem Wasser eines Springbrunnens, das durch ein zu enges Rohr gepresst wird. Von neuem handelt es sich um Ephraim. Das Gericht steht vor der Tür. Da ist kein Augenblick zu verlieren, wenn man ihm entrinnen will! „Sobald ich Israel heilen will, werden die Ungerechtigkeit Ephraims und die Bosheiten Samarias offenbar; denn sie üben Falschheit, und der Dieb dringt ein, draußen raubt die Streifschar. Und sie sprechen nicht in ihrem Herzen, dass ich all ihrer Bosheit gedenke; nun haben ihre Handlungen sie umringt, sie stehen vor meinem Angesicht" (V. 1. 2). Ephraim war eine Rotte von Dieben und Räubern gewesen (Kap. 6,9), jetzt dringt der Dieb in sein Haus, und die Räuber überfallen es von draußen. Syrien, Ägypten, Assyrien standen im Begriff, über die schuldige Nation herzufallen, ja, sie taten es bereits. Das Volk war mit seinen Missetaten vor dem Angesicht Gottes, und es hätte sich doch dort befinden können in wahrer Buße (Kap. 6,2), um Befreiung und Heil zu erlangen!

Wie wir bereits sagten, überstürzen und vermengen sich die Darstellungen infolge der Entrüstung über das Böse; zugleich ist es aber auch ein letzter Warnungsruf an Ephraim. „Sie sind Ehebrecher allesamt, gleich einem Ofen, vom Bäcker geheizt, der zu schüren aufhört vom Kneten des Teiges an bis zu seiner Gärung" (V. 4).

Der Prophet spricht hier von der Religion der zehn Stämme, von der Vermengung des Götzendienstes mit dem Dienste Gottes. Die Führer des Volkes haben ein Bewusstsein von dem, was sie tun, und sie tun es sorgfältig. Sie mengen die Hefe unter den Teig, kneten ihn bis zu seiner Gärung. Ein ähnliches Bild finden wir in Mt. 13,33, wo der Herr die Einführung böser Lehre in das Christentum kennzeichnet. Dann muss das durchsäuerte Brot gerade recht gebacken werden, damit es eine annehmbare Nahrung wird. Die, welche sich mit dieser Aufgabe befassen, vermeiden sorgfältig einen überhitzten Ofen. Sie möchten dem Gericht entfliehen, indem sie die „Form der Gottseligkeit" wahren; gleich dem Bäcker hören sie auf, das Feuer zu schüren, um das Brot aus dem Ofen zu nehmen, und auf dass es zahlreiche Verbraucher finde.

Das religiöse Verderben verursacht indes auch die sittliche Entartung. Es führt dahin, über heilige Dinge zu spotten, und läuft auf Gewalttat hinaus. „Am Tage unseres Königs machen sich die Fürsten krank von der Glut des Weines; er streckt seine Hand aus mit den Spöttern. Denn sie haben ihr Herz, wie einen Ofen, ihrer Arglist nahe gebracht; ihr Bäcker schläft die ganze Nacht; am Morgen brennt jener wie ein flammendes Feuer" (V. 5. 6). Hier ist der Ofen das Bild ihrer eigenen Herzen. Ihr Bäcker, ihr Gewissen, hat die ganze Nacht geschlafen. Wenn sie am Morgen am Ziel ihrer Wünsche und Begehrlichkeit anlangen, verzehrt sie, ohne dass sie entfliehen könnten, das Feuer, dessen Flammen während ihres Schlafes größer geworden sind.

„Sie allesamt glühen wie ein Ofen und verzehren ihre Richter. Alle ihre Könige sind gefallen; niemand unter ihnen ruft mich an" (V. 7). Hier sind sie es selbst, die wie ein Ofen ihre Richter und Könige verschlingen. Dies ist buchstäblich bei Ephraim eingetroffen und kennzeichnet die Zeit dieser Prophezeiung gegen die Könige, die seit Sekarja, dem Letzten vom Stamme Jehu, bis auf den König Hosea auf dem Throne Israels einander folgten. Die Einzelheiten dieses Zeitabschnittes finden wir in 2. Könige 15,10. 14. 25. 30 u. 17,1.

„Ephraim vermischt sich mit den Völkern; Ephraim ist wie ein Kuchen geworden, der nicht umgewendet ist. Fremde haben seine Kraft verzehrt, und er weiß es nicht" (V. 8. 9). Das Bild des gärenden Teiges beschäftigt weiter den Propheten. Ephraim hätte für Gott ein ungesäuerter Kuchen sein sollen; doch vermengt mit dem Sauerteig der Nationen hatte es sich mit Ägypten und Assyrien verbündet. Diese Völker aber sind der Ofen geworden, der Ephraim verzehrt hat, diesen „nicht umgewendeten Kuchen", der nicht Buße getan, und dessen Angesicht gegen Gott sich nicht verändert hat. Auch ist all seine Kraft geschwunden; sie ist verzehrt worden, und er weiß es nicht!

Ein ernstes Wort! Wie Ephraim, ist auch heute die Christenheit vermischt mit dem Sauerteig der Welt, der die ganze Masse durchsäuert hat. Aber weiß sie mehr als Ephraim? Ist sie zu Gott umgekehrt? Sie meint die Welt verbessern zu können, verkündet, dass gute Gesellschaft die bösen Sitten verbessert, und weiß nicht, dass gerade die Welt sie verschlingt. Ob man sich rühmt, Protestant oder Katholik zu sein, einer der zahllosen christlichen Sekten anzugehören, man beweißt damit nur die völlige Unkenntnis der Schwäche, in welche die Verbindung mit der Welt uns bringt: „Er weiß es nicht", sagt der Prophet. „Auch ist graues Haar auf sein Haupt gesprengt, und er weiß es n i c h t ! " (V. 9). Der Verfall ist eingetreten. Das graue Haar ist auf die heutige Christenheit gesprengt. Ihr Greisenalter neigt sich dem Grabe zu, und sie weiß es nicht! Diese Unwissenheit über ihren eigenen Zustand sollte das Gewissen derer überzeugen, denen Gott sich geoffenbart hat! Geht es uns wie dem Propheten, dessen Herz durch diese Unwissenheit nahezu erdrückt wurde? Und noch schlimmer ist, dass die Unwissenheit mit Stolz und Hochmut gepaart geht. „Die Hoffart Israels zeugt ihm ins Angesicht; und sie kehren nicht um zu dem Herrn, ihrem Gott und bei alledem suchen sie ihn nicht" (V. 10). Man denkt so wenig an Gott, dass man sogar noch eine große Meinung von seiner Religion hat, wenngleich das Feuer des Gerichts bereits angelegt ist. Wenn sich das Herz zu Gott wendet, verlässt es schnell seinen religiösen Stolz, um sich Ihm zu nähern in Beugung und Demut, der einzig schicklichen Stellung für einen überführten Sünder.

Doch der Stolz geht Hand in Hand mit Unverstand. „Ephraim ist wie eine einfältige Taube geworden, ohne Verstand; sie rufen Ägypten an, sie gehen nach Assyrien" (V. 11). Die Könige Ephraims bildeten sich ein, geschickte Staatsmänner zu sein, indem sie sich abwechselnd bald auf die eine, bald auf die andere dieser feindlichen Nationen stützten. „Ich werde mein Netz über sie ausbreiten". Das hat sich wörtlich unter Hosea, dem letzten König Israels, und schon unter seinen Vorgängern erfüllt (2. Könige 17,4; 15,19. 20).

Aus den Versen 13 bis 16 ersieht man die Sorgfalt Gottes und Seine Absichten gegen Israel: „Ich möchte sie erlösen". Das ist zu allen Zeiten Sein erster Gedanke dem Menschen gegenüber, der durch die Sünde ein Sklave Satans geworden ist. Jedoch wegen ihrer Bosheit war Er genötigt, sie zu züchtigen, und dann hatte Er, indem Er den Lauf Seiner Gerichte verlangsamte, „ihre Arme unterwiesen und gestärkt". Aber sie bedienten sich dieser Gunst, um „Böses gegen Ihn zu ersinnen" (V. 15). Und nun folgt in kurzen Worten eine Aufzählung dessen, was Gott bei diesem hartnäckigen Volke angetroffen hat: Sie waren weit von Ihm weggeflohen, hatten sich empört, Lügen gegen Ihn ersonnen; sie heulten vor Schmerz auf ihren Lagern, aber sie dachten nicht daran, zu Gott zu rufen und Ihn anzuflehen; ihre irdischen Interessen vereinigten sie untereinander (ein Kennzeichen jedes menschlichen Zusammenschlusses), und sie fühlten keineswegs die Notwendigkeit, sich Ihm zu nähern: „sie sind von mir abgefallen". Statt zu dem Allerhöchsten umzukehren, hatten sie sich wie ein trüglicher Bogen umgewendet, um gegen Ihn zu kämpfen. Gott mochte ihr Herz noch so sehr erforschen, um darin etwas Frucht zu suchen oder durch Seine Gnade hervorzubringen, Er stieß überall auf Gleichgültigkeit, Lüge, Empörung und offenen Krieg.

Deshalb war ihr Verderben und das ihrer zügellosen Fürsten unvermeidlich (V. 16). Sie hatten sich nach Ägypten gewendet und wurden dort ein Gegenstand der „Verspottung". Wer einmal Gott erkannt hat und vielleicht lange Zeit auf den Wegen und unter dem Gesetz Gottes gewandelt ist, der wird, wenn er die Freundschaft der Welt sucht und seinem ersten Glauben untreu geworden ist, immer auf ihre Verachtung stoßen. Die Welt nimmt einen solchen nicht huldvoll auf, sondern verspottet ihn umso mehr, je entschiedener sein voriges Zeugnis gewesen war. Sie haben Gott und Seinem Volke den Rücken gekehrt, aber ohne Achtung vor der Welt zu erlangen. Vielmehr werden sie bei ihr zum Gespött. Ein trüglicher Bogen wird zum Abfall geworfen. Die Welt will ihn nicht. Kann Gott ihn wollen?

@@@@@@ 246

Ziklag

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 246ff

"Und David sprach in seinem Herzen: Nun werde ich eines Tages durch die Hand Sauls umkommen; mir ist nichts besser, als dass ich eilends in das Land der Philister entrinne, und Saul wird von mir ablassen, mich ferner in allen Grenzen Israels zu suchen ; und ich werde aus seiner Hand entrinnen." (1.Sam.27, 1.)

Wenn nicht deutlich gesagt wäre, wer hier spricht, so könnte man glauben, die Klage eines Menschen zu hören, der nie das Glück empfunden hat, durch die Hand Gottes geleitet und bewahrt zu werden, der überhaupt nicht weiß, dass es einen Gott im Himmel gibt, und nun, ganz allein in der Welt stehend und nirgendwo einen Ausweg sehend, sich aus Verzweiflung den Händen der Feinde seines Vaterlandes übergeben will. Aber der Mann, aus dessen Herzen diese Klage hervordringt, ist uns gut bekannt; es ist David, derselbe David, der schon so oft und so augenscheinlich die beschirmende Hand Gottes erfahren hat, der einst wie ein junger Löwe, im Namen Jehovas, dem Riesen Goliath gegenüberstand und nun, zum König über Israel gesalbt, sehr wohl weiß, dass er an Sauls Stelle regieren wird - derselbe Mann, der schon einmal erfahren hatte, wie gefährlich es für ihn war, sich außerhalb Palästinas aufzuhalten. (Vergl. 1. Sam. 21, 11-15.) Mit einem Wort, es ist der "Mann nach dem Herzen Gottes", der wohl schon oft gesungen hatte: "Du bist mir zur Hilfe gewesen, Gott meines Heils!" und der sagen konnte: "Jehova ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten?" (Ps. 27, 1.)

Aber so geht es, wenn das Wort Gottes vergessen wird und die Gemeinschaft mit Ihm unterbrochen ist. Dann zeigt sich das Herz des Menschen m seinem Unglauben und in seiner ganzen Verkehrtheit. Man kann als ein Gläubiger auf mannigfaltige und augenscheinliche Weise Gottes Durchhilfe erfahren haben und doch, wenn die Verbindung zwischen Gott und der Seele gestört wird, denken und handeln, als ob man Ihn nie gekannt hätte. Die Umstände treten alsdann zwischen uns und Gott, ja, man stellt sie über Ihn und beschäftigt sich, anstatt mit Gott, mit ihnen. Wäre das Herz Davids in jenem Augenblick in ungetrübter Verbindung mit Gott gewesen, so würde er, nach so vielen Beweisen der treuen Hilfe Gottes, sicher nicht so gesprochen haben. Er hätte dann nicht vor dem König Achis, sondern vor Gott seine Anliegen und Sorgen kundwerden lassen. Aber die gegenwärtige Gefahr ließ ihn die früheren Hilfen des Herrn ganz vergessen. Er sah nur die Hand, die gegen, und nicht die Hand, die für ihn war, und indem sein Blick sich auf die eigene Person und Kraft richtete, entsank ihm der Mut, und der tapfere Held, von dem man in den Reigen gesungen hatte: "Saul hat seine Tausende erschlagen, und David seine Zehntausende!" machte sich auf und zog samt den sechshundert Mann, die bei ihm waren, zu Achis, dem Sohne Maoks, dem Philisterkönige zu Gath.

Eine ernste Lehre für uns! David, der in seinen früheren Wegen ein herrliches Vorbild des Glaubens darbietet, wird hier zu einem ernst warnenden Beispiel. Ja, es ist möglich, dass man in vielen Versuchungen durch Glauben überwindet und dann mit einem Male einen unbegreiflichen Kleinglauben oder gar Unglauben offenbart. Nicht die gemachten Erfahrungen von der Durchhilfe Gottes geben uns Kraft, in den Schwierigkeiten des Lebens mutig voranzugehen; nein, schon wenn wir anfangen, uns auf solche Erfahrungen zu stützen, sind wir auf verkehrtem Wege. Was uns allein Kraft verleiht, ist die ununterbrochene, stille Gemeinschaft des Herzens mit Gott. Man hört oft Gläubige von dem reden, was sie vor Jahren erfahren haben, wie Gott ihnen damals so freundlich aushalf, und wie sie so glücklich waren. Was hilft mir das aber alles, wenn ich jetzt nicht glücklich bin? Es kommt nicht darauf an, ob ich früher einmal glücklich war, sondern ob ich es jetzt bin. Bin ich jetzt glücklich, so werden die früheren Erfahrungen von der Hilfe Gottes mir sicherlich zum Trost und zur Ermunterung gereichen, aber sie bilden nicht die Grundlage meiner Kraft. Und bin ich nicht glücklich, so können jene Erfahrungen mich nur verurteilen. Es mag sein, dass unser Vertrauen auf Gott einmal stark war; aber warum war es stark? Weil unser Auge auf Ihn gerichtet war und unser Herz Seine Gemeinschaft genoß. Sobald das nicht mehr der Fall ist, gewinnt die alte Natur, die den Menschen und die Umstände weit mehr fürchtet als Gott, die Oberhand, und ihre Neigungen und Torheiten treten wieder in den Vordergrund.

O wäre unser Herz nur nüchtern genug, nach einer solchen Abweichung mit einem aufrichtigen Bekenntnis zu Gott zurückzukehren! Wie viele schmerzliche Wege würden wir uns ersparen! Aber es ist viel leichter, die Gemeinschaft mit Gott zu verlieren, als sie wiederzugewinnen. Hat man einmal dem Fleische Raum gegeben und, anstatt zu Gott, zu Menschen seine Zuflucht genommen, so bedarf es oft ernster Züchtigungen, um das Gewissen wieder aufzuwecken und das Herz zurecht zu bringen. Wie gut, dass Gott in einem solchen Falle barmherzig ist! Der Mensch ist es nicht. Das hat auch David erfahren, und darum sagte er bei einer späteren Gelegenheit: "Mir ist sehr angst! Mögen wir doch in die Hand Jehovas fallen, denn Seine Erbarmungen sind groß; aber in die Hand der Menschen laß mich nicht fallen!" (2. Sam. 24, 14.)

Und wie erging es nun David im Lande der Philister? Nachdem er sich einmal auf solch falschen Boden gestellt hatte, musste er zu allerlei krummen Wegen seine Zuflucht nehmen, um sich bei seinem neuen Herrn in gutem Geruch zu erhalten. Welch eine Erniedrigung war es doch schon für den "Gesalbten Jehovas", vor den König Achis hinzutreten mit den Worten: "Wenn ich anders Gnade in deinen Augen gefunden habe, so gebe man mir einen Platz in einer der Städte des Gefildes, dass ich daselbst wohne!" Achis entsprach seiner Bitte und gab ihm Ziklag zur Wohnstätte. Damit hörte David zu- gleich auf, ein Fremdling und Pilger zu sein. Bisher hatte er lieber mit Gott in der Wüste sein wollen, als mit dem von Gott dahingegebenen König Saul in dessen Palast zu wohnen. Ja, es hatte Zeiten gegeben, wo seine Seele in der Gefahr frohlockt hatte, weil sie der Hand Gottes Gelegenheit gab, ihn aus derselben zu erlösen. Jetzt aber suchte er einen Ruheplatz im Lande der Unbeschnittenen, einen Platz, wie die ungläubige Natur ihn begehrt und liebt.

Das Fleisch begehrt immer danach, sich den Schwierigkeiten der Wüstenreise zu entziehen; und wenn wir ihm folgen und uns irgendwo niederlassen, um die Ruhe und Bequemlichkeit dieser Erde zu genießen, so vergessen wir, dass wir Gottes Hausgenossen und auf dieser Erde ohne Bürgerrecht sind. Die unmittelbare Folge davon ist, dass der Heilige Geist in uns betrübt wird. Trotzdem kann man in einem solchen Zustand einen großen Eifer für den Herrn zur Schau tragen und scheinbar auf dem rechten Pfade wandeln. Aber es ist ein unehrlicher und deshalb unheiliger Dienst. Wie klar sehen wir das bei David!

Er bekämpfte von Ziklag aus die Feinde Jehovas, die Gesuriter, Girsiter und Amalekiter. Aber, wie schon gesagt, um nicht den Verdacht seines gegenwärtigen Herrn zu erwecken, mußte er zu Lügen seine Zuflucht nehmen. "Sprach Achis: Habt ihr heute keinen Einfall gemacht? so sprach David : In den Süden von Juda usw." Und damit niemand über sein Tun nach Gath Bericht bringen könne, ließ er weder Mann noch Weib am Leben. Wäre er in der rechten Stellung vor Gott gewesen, so hätte er zu solch traurigen Mitteln nicht zu greifen brauchen. Im Gegenteil, er hätte sich ein gutes Gewissen bewahrt, und seine Siege wären laut von den Dächern herab verkündigt worden.

Und diese Dinge waren erst der Anfang der Schwierigkeiten. "Es geschah in jenen Tagen, da versammelten die Philister ihre Heere zum Kriege, um wider Israel zu streiten." (Kap. 28, 1.) Was nun? Achis fordert David auf, mit ihm in den Streit zu ziehen. Und um sich nicht zu verraten, muss David der Aufforderung folgen. Ja, er sagt sogar: "So sollst du denn auch erfahren, was dein Knecht tun wird". Da sehen wir, wohin die Abweichung von Gott ihn gebracht hatte. Die Gefahr vor Saul war in der Tat ein Geringes gegenüber der Stellung, in die er durch seine eigene Schuld geraten war.

Aber so geht es, wenn wir die Schwierigkeiten mehr furchten als Gott; sie kehren sich dann gegen uns.

Wie gut, dass Gott Seinen Knecht nicht gehen ließ! Er war und blieb ein Mann nach dem Herzen Gottes, so verkehrt sein Weg für den Augenblick auch sein mochte; und weil er das war, kam Gott ihm zu Hilfe. Freilich auf demütigende und schmerzliche Weise. Es konnte nicht anders sein. Zunächst muß David erfahren, dass die Fürsten der Philister ihn und seine Männer verachteten und für Verräter hielten. "Was sollen diese Hebräer?" fragen sie. Sie hatten recht, denn was hatte David mit seiner Schar bei den Feinden Jehovas zu suchen? Schon diese eine Frage hätte genügen sollen, um David zur Besinnung zu bringen und ihm sein heuchlerisches Doppelspiel in seiner ganzen Hässlichkeit zu. zeigen. Aber es ist erstaunlich, in welch einen Grad der Verhärtung das Herz eines Menschen, selbst eines Gläubigen, kommen kann. Man lese nur die Unterredung zwischen Achis und David in Kapitel 29, 6 - 11!

Um David auf seinem Wege still zu stellen und zur Beugung und Umkehr zu bringen, waren ernste Züchtigungen nötig; und Gott ließ sie kommen. Das 30. Kapitel unseres Buches berichtet davon. Ziklag, der Ruheort, den David durch die Hand des Feindes seines Volkes sich hatte anweisen lassen, wird während seiner Abwesenheit von den Amalekitern überfallen. Bei seiner Rückkehr aus dem Heerlager der Philister findet er die Stadt "mit Feuer verbrannt, und ihre Weiber und ihre Söhne und ihre Töchter waren gefangen weggeführt . . . und auch die beiden Weiber Davids waren gefangen weggeführt". Welch ein Schrecken! David gerät in "große Bedrängnis", da das ihn umgebende Volk ihn steinigen will. Das Beispiel des Unglaubens und der Abwendung von Gott seitens des Führers hatte seine bösen Früchte getragen: hinschauend auf die Umstände und erbittert durch den Verlust ihrer Weiber und Kinder, wollen die Männer an dem Rache nehmen, der sie nach Ziklag geführt hatte. David ist erschüttert. Aber hätte er etwas anderes erwarten können? Wenn er, der Führer, sein Vertrauen auf Gott weggeworfen hatte, wo hätten seine Männer es hernehmen sollen? Ach, welche Schwierigkeiten bereiten wir uns durch unseren Unglauben, und wie viel Unehre bringen wir dadurch auf den Namen Gottes!

Jetzt endlich wacht das Gewissen Davids auf, und es wird ihm bange. Wie gut, dass wir auch dies vernehmen dürfen! Die schmerzliche Züchtigung führt David in die Gegenwart Gottes zurück, und wenn es auch nicht besonders erzählt wird, dürfen wir doch annehmen, dass es zu einem wahren Selbstgericht bei ihm gekommen ist. Anders würden wir nicht lesen können: "Aber David stärkte sich in Jehova, seinem Gott". (V. 6.) Die Verbindung mit Gott war wiederhergestellt. In demselben Augenblick war auch die Furcht verschwunden, und David befragt Jehova durch den Priester: "Soll ich dieser Schar nachjagen? werde ich sie erreichen?" Und Gott antwortet ihm. Welch ein köstlicher Trost für uns! Gott hilft David wieder wie in früheren Zeiten, obwohl Er so lang durch ihn verunehrt worden war. Er ist der treue und gerechte Gott, der uns die Sünden vergibt, wenn wir sie bekennen, und der uns reinigt von aller Ungerechtigkeit, der Gott, "der allen willig gibt und nichts vorwirft".

@@@@@ 253

Er hob Seine Hände auf und segnete sie

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 253ff (Aus 1886 152 ff)

Der Herr hatte Sein großes Erlösungswerk vollbracht. Verworfen von der Welt, von den Menschen, von Seinem Volke, war Er auf dem Kreuz von Gott selbst zur Sünde gemacht worden. Dort hatte Er die Sünden all derer, die an Ihn glauben, all derer, die der Vater Ihm gegeben hat, getragen und für immer gesühnt und getilgt. Dort hatte Er Frieden gemacht durch Sein Blut; Er hatte die große Frage der Sünde aufs Völligste beantwortet, sowohl Gott als auch den Seinigen gegenüber. Die ganze Schwere des göttlichen Gerichts hatte auf Ihm gelastet, alle Fluten des göttlichen Zornes wider die Sünde waren über Ihn ausgegossen worden. So war nun Gott und alles, was in Ihm ist, durch Sein Werk aus dem Kreuz vollkommen verherrlicht, und so waren wir von allen unseren Sünden und aus aller Sklaverei der Sünde für immer befreit und in die Gegenwart Gottes gebracht worden.

Der Herr stand jetzt im Begriff, von den Seinigen hienieden Abschied zu nehmen. Das große Werk, das zu tun Er gekommen war, war erfüllt. Gott war verherrlicht, die Sünde gesühnt und der Tod zunichte gemacht. Die Handschrift in Satzungen, die als eine unerträgliche Bürde auf den Juden lastete, war ans Kreuz genagelt, und durch dasselbe war über alle Fürstentümer und Gewalten ein Triumph gehalten worden; Satan, der die Gewalt des Todes hatte, war völlig besiegt und zunichte gemacht. Nichts war mehr zu tun übrig geblieben; das ganze Werk war göttlich vollbracht. Christus war jetzt aus den Toten auferstanden; denn Ihn konnte der Tod nicht behalten. Er war auferweckt worden durch die Herrlichkeit des Vaters, die dies erforderte. Er stand jetzt jenseits des Todes, und zwar mit all den gesegneten Resultaten des großen Sieges für die Seinigen. Sie waren mit Ihm auf den unantastbaren und herrlichen Boden der Auferstehung gestellt. Das Alte war vergangen; alles war neu geworden. Ihre Sünden waren gesühnt; die Sünde, der Mensch im Fleisch, der alte Adam mit all seinen Früchten, war gerichtet; das Gesetz mit seinen Forderungen und seinen Flüchen hatte auf dem Kreuz seine Erfüllung gefunden; die Macht der Welt, des Satans und des Todes war zunichte gemacht. Dies alles lag jetzt für immer hinter ihnen, denn Christus hatte ihren Platz im Gericht eingenommen. Durch Glauben an Ihn waren sie mit Ihm gestorben, begraben und mit Ihm auferweckt. Sie standen jetzt auf einem neuen Boden vor Gott, auf einem Boden, den nichts zu erschüttern vermochte. Christus war der Erstgeborene aus den Toten, das Haupt einer neuen Schöpfung; Er war der Erstgeborene vieler Brüder. Er stand auf dem Boden eines ewigen und vollkommenen Sieges, den Er durch Seinen Tod und Seine Auferstehung errungen hatte. Alle, die der Vater Ihm gegeben hatte, waren mit Ihm auf diesen festen und sichern Boden gestellt. Er hatte jedes Hindernis für sie aus dem Wege geräumt; Er hatte sie aus aller Sklaverei befreit und für immer in die Gegenwart Gottes gebracht. Sie waren jetzt unzertrennlich mit Ihm verbunden; nichts vermochte sie aus Seiner Hand zu rauben. Er hatte ihnen das ewige Leben gegeben und sie in Seine eigene Stellung und in Sein eigenes Verhältnis zu Gott, dem Vater, gebracht. Sein Gott war ihr Gott, und Sein Vater ihr Vater; sie waren jetzt Gegenstände der Liebe und Wonne Gottes, wie Er. Welch eine herrliche und gesegnete Stellung!

Jetzt war der Augenblick gekommen, dass Er sie für eine kurze Zeit verlassen musste. Er wollte in die Herrlichkeit eingehen, und zwar als der Mensch, der Gott vollkommen verherrlicht, zugleich aber auch als ihr Erlöser, der alles für sie gut gemacht hatte. Als solcher musste Er vorangehen, damit auch für sie im Haus des Vaters eine Stätte bereit sei. Er trat am ersten Wochentag in die Mitte der versammelten Jünger als der Auferstandene, begrüßte sie mit dem Frieden, den Er für sie gemacht hatte, zeigte ihnen Seine durchbohrten Hände und Füße, die Merkmale Seiner Leiden und Seines Todes für sie, und aß vor ihren Augen, damit sie völlig überzeugt sein möchten, dass Er selbst es sei, der als der Auferstandene in ihrer Mitte weilt. Er musste jetzt die Seinigen, die Er so unaussprechlich liebte, für eine Zeit als Fremdlinge in einer feindseligen Welt zurücklassen - in einer Welt, die Ihn verworfen hatte und deshalb selbst von Gott verworfen worden war - um während Seiner Abwesenheit in dieser dem Gericht verfallenen Welt von Seiner Liebe und Gnade Zeugnis abzulegen.

Doch wie ergreifend und tröstlich ist es, hier zu sehen, wie Er von den Seinigen Abschied nimmt, mit welchen Gefühlen Er sie zurücklässt! Er kann sie keinen Augenblick vergessen, kann nie Seine Augen von ihnen abwenden. Wie Er sie liebte, als Er vom Himmel herniederkam, sich selbst zu nichts machte und Mensch wurde, um für sie sterben zu können, so liebte Er sie jetzt, als Er Sein Werk für sie vollbracht hatte und im Begriff stand, in den Himmel zurückzukehren. Wie Er sie liebte angesichts des Kreuzes, in jener Nacht, in der Er überliefert wurde, wo Er sich nur mit ihnen beschäftigte, nur für sie besorgt war und sich selbst und die schrecklichen Leiden, die vor Ihm standen, völlig vergaß - in jener Nacht, in der Er ihnen im Abendmahl das Gedächtnis Seines Todes für die ganze Zeit ihrer Pilgerschaft hienieden zurückließ, so liebte Er sie jetzt angesichts der Herrlichkeit. Seine Liebe ist unveränderlich. Wie Er hienieden bei den Seinigen war und sie liebte, so liebt Er sie immer und ewig. Anbetungswürdige Liebe! Welch ein Glück, ein Gegenstand dieser Liebe zu sein!

„Er führte sie aber hinaus bis nach Bethanien und hob seine Hände auf und segnete sie. Und es geschah, indem er sie segnete, schied er von ihnen und wurde hinaufgetragen in den Himmel (Luk 24,50.51). Unermesslich ist die Fülle der uns durch Ihn zu teil gewordenen Gnade. Er tilgte alle unsere Sünden für immer und erwarb uns einen ewigen und unantastbaren Frieden. Er wurde von Gott für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir Gottes Gerechtigkeit würden in Ihm. Er nahm den Fluch auf sich und gab uns den Segen; Er vernichtete den Tod und brachte uns das Leben. Und Er konnte die Seinigen nicht zurücklassen, ohne sie zu segnen; ja indem Er sie segnete, schied Er von ihnen. Seine segnenden Hände waren über ihnen ausgebreitet, als Er hinaufgetragen wurde gen Himmel. Und wie über die Jünger damals, so sind sie auch über uns ausgebreitet ja, über alle die Seinigen bis ans Ende. „Wie Er die Seinigen, die in der Welt waren, geliebt hatte, so liebte Er sie bis ans Ende“. Nichts vermag Seine Liebe zu ihnen zu schwachen, oder irgend zu hemmen. Wie tröstlich ist dieses Bewusstsein! Wir dürfen völlig überzeugt sein, dass inmitten einer feindseligen Welt, deren Fürst Satan ist, in einer Welt voll Elend und Sünde, inmitten der mannigfachen Versuchungen und Schwierigkeiten, stets Seine segnenden Hände über uns erhoben sind. Nichts als Segen hat Er uns zurückgelassen, nichts als Segen begleitet uns von Tag zu Tag, und nichts als Segen, als unaussprechlicher Segen birgt die Ewigkeit für uns in ihrem Schoß. Auch gibt es nichts, was uns diesen Segen je zu rauben vermöchte. Keine feindselige Macht konnte den Herrn verhindern, Seine Hände über die Seinigen aufzuheben und sie zu segnen, und keine feindselige Macht ist imstande, die Seinigen unter diesen Händen hinwegzubringen. Sie sind und bleiben für immer gesegnet. Er kennt auch ihre Schwachheit, ihre Versuchungen und alle ihre Bedürfnisse; und Sein Segen reicht aus für alles. „Meine Gnade genügt dir“, sagte Er zu Paulus. Seine Hände, die am Kreuz für uns durchbohrt wurden, und in die Gott, der Vater, alle Macht im Himmel und auf Erden und alle Dinge gelegt hat, sind allezeit segnend über die Seinigen ausgebreitet. Diese, obwohl noch in der Welt, und doch nicht mehr von der Welt; Sein Tod hat sie für immer von derselben getrennt. Sie sind noch in der Welt als Fremdlinge, um Seine Zeugen zu sein; und die Welt hasst sie, wie sie Ihn gehasst hat; aber sie bleiben stets unter Seinen mächtigen Segenshänden, unter den Händen Dessen, der alles für sie gut gemacht, alles überwunden hat. Unter diesem ewigen und göttlichen Segen sind wir für immer geborgen. „Er hob Seine Hände auf und segnete sie.“ Geliebter Leser, welch einen herrlichen Platz, welch eine sichere Stellung haben wir unter Seinen erhobenen Händen! Wie tröstlich für uns arme, schwache Geschöpfe, die in einer solch bösen Welt so mancherlei Gefahren und Versuchungen ausgesetzt sind! Nichts kann uns jetzt schaden; unter Seinen mächtigen Händen sind wir in völliger Sicherheit und wissen, dass wir die Gegenstände Seiner unvergleichlichen Liebe sind. Sein Tod, der für die Welt das Gericht war, brachte für uns nur Heil und Frieden, Leben und Segen. Wir sind für immer und ewig Sein; nichts vermag uns je aus Seiner und des Vaters Hand zu rauben.

„Und es geschah, indem Er sie segnete, schied Er von ihnen.“ Sahen die Jünger etwa, dass Seine Hände ermüdeten, dass Er sie sinken ließ? O nein; sie waren erhoben, segnend über ihnen erhoben. So schied Er von ihnen, und so verschwand Er vor ihren Augen. Und sind bis jetzt Seine Hände je ermüdet? Hat sich Seine Liebe zu den Seinigen je verändert? Gewiss nicht. Ist auch Seine äußere Stellung eine andere, wie damals, als Er hienieden war, so ist doch Sein Herz, Seine Liebe zu den Seinigen unverändert geblieben. „Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit». Wie Er sie gestern liebte, als Er hienieden war und Sein Werk vollbrachte, durch das Er Gott verherrlichte und die Seinigen erlöste, so liebt Er sie heute, während Er droben zur Rechten Gottes sitzt und unaufhörlich für sie beschäftigt ist, und so wird Er sie lieben in alle Ewigkeit. Er ist unveränderlich. Noch immer sind Seine Hände nicht nur für die Seinigen, sondern auch über ihnen erhoben, um sie zu segnen.

Nachdem der Herr die Bitterkeit des Todes für die Seinigen geschmeckt und alle Schrecken des göttlichen Gerichts für sie erduldet hatte, konnte Er Seiner Liebe zu ihnen freien Lauf lassen, konnte Er für immer Seine segnenden Hände über sie ausbreiten. Da war kein Hindernis mehr; durch Sein göttlich vollbrachtes Werk hatte Er für die Seinigen alles in Frieden und Segen verwandelt, und sie stehen für immer unter Seinen mächtigen und segnenden Händen. Möchten wir diese herrliche Tatsache doch nie aus dem Auge verlieren! Möchte sie unsere Herzen allezeit mit Frieden und Freude erfüllen! Und dies wird geschehen, wenn wir auf unserem Pilgerweg von Tag zu Tag unseren geliebten Herrn erwarten und in einem innigen und verborgenen Umgang mit Ihm leben.

Im Anfang unsers Kapitels (Luk. 24) finden wir die Jünger ganz traurig und niedergeschlagen. Sie hatten an Christus geglaubt, Ihn erkannt als den Messias, als den Sohn Davids, selbst als den Sohn des lebendigen Gottes; aber ihr Verständnis blieb weit hinter ihrem Glauben zurück. Mit Seinem Tode sahen sie alle ihre jüdischen Hoffnungen vernichtet. Sie hatten gehofft, dass Er das Reich dem Israel wiederherstellen, dass Er sich auf den Thron Davids, Seines Vaters, setzen und in Segen und Frieden herrschen würde. Aber statt dessen hatte Er das Kreuz gefunden, statt des Szepters eine Dornenkrone; Er war verworfen worden und war am Stamm des Fluchholzes gestorben. Ihre große Traurigkeit und Niedergeschlagenheit war jedoch nur eine Folge ihrer tadelnswerten Unwissenheit. Das Wort Gottes, das Wort der Propheten des Alten Testaments sprach von den Leiden des Christus und von den Herrlichkeiten, die danach kommen sollten, und das hatten sie wissen und verstehen sollen. Deshalb tadelte auch der Herr die beiden Jünger auf dem Weg nach Emmaus, indem Er zu ihnen sagte: „O ihr Unverständigen und trägen Herzens, zu glauben an alles, was die Propheten geredet haben! Musste nicht der Christus dies leiden und in seine Herrlichkeit eingehen? Und von Moses und von allen Propheten anfangend, erklärte er ihnen in allen Schriften das, was ihn betraf (V. 25-27). Und in Vers 45 lesen wir: „Dann öffnete er ihnen das Verständnis, um die Schriften zu verstehen“.

Doch wie so ganz anders waren jetzt, in der Stunde des Scheidens, die Gefühle ihrer Herzen! Schon jene beiden Jünger hatten zu einander gesagt: „Brannte nicht unser Herz in uns, als er auf dem Weg zu uns redete, und als er uns die Schriften öffnete“ (V.32). Und bald nachher war Er selbst, als der aus den Toten Auferstandene, in der Mitte der Seinigen erschienen; sie hatten den Gruß des Friedens, den Er auf dem Kreuz gemacht hatte, aus Seinem Mund gehört, hatten an Ihm die Zeichen des Todes, Seine durchbohrten Hände und Füße gesehen und waren durch Ihn zum Verständnis der Schriften fähig gemacht worden. Dies alles hatte die Gefühle ihrer Herzen völlig verändert; ihre Traurigkeit war in Freude verwandelt worden. Sie lernten jetzt verstehen, wie gut und nötig es für sie war, dass Er hinging, um ihnen eine Stätte zu bereiten. Und als Er jetzt hinaufgetragen wurde, da blieben Seine treuen und mächtigen Hände segnend über ihnen erhoben. „Und sie warfen sich vor ihm nieder und kehrten nach Jerusalem zurück mit großer Freude; und sie waren allezeit im Tempel, Gott lobend und preisend“ (V.52.53). Sie wussten jetzt, dass Er lebte, und kannten den Platz, wo Er war; sie wussten jetzt, dass sie mit Ihm, der alles für sie in Ordnung gebracht hatte, der alle ihre Sünden und Vergehungen für immer getilgt hatte, aufs völligste verbunden waren, und dass Sein Herz mit der innigsten und zärtlichsten Zuneigung und Liebe zu ihnen erfüllt war. Sie alle hatten Ihn in der für Ihn so schrecklichen Stunde verlassen, aber kein Vorwurf war über Seine Lippen gekommen. Im Gegenteil, sie hatten nichts als Worte des Friedens und der Segnung vernommen.

Welch ein Heiland war Er für sie! Und ist Er es nicht auch ebenso für uns heute? Ja, wir können sagen, dass uns noch herrlichere Dinge mitgeteilt worden sind. Wir haben den Geist der Sohnschaft empfangen und sind eingeweiht in das wunderbare Geheimnis, das alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis in sich birgt, in jene herrlichen Gedanken und Ratschlüsse Gottes in Bezug auf Christus und Seine Versammlung - Gedanken und Ratschlüsse, die vor Grundlegung der Welt in Gott verborgen waren, die Er aber durch die Apostel und Propheten des Neuen Testamentes geoffenbart hat. Alles, alles haben wir der überströmenden Gnade und Liebe Gottes, ja alles Ihm zu verdanken, der sich selbst für uns zum Opfer dargebracht hat. Und wir hören nie auf, die teuren Gegenstande Seines Herzens, die Gegenstande Seiner Freude und Wonne zu sein. Er hat für alle unsere Bedürfnisse als Sünder gesorgt, als Er hienieden war, und Er sorgt für alle unsere Bedürfnisse als Erlöste, während Er droben weilt. Sein Geist wohnt in uns, und Sein Segen ruht auf uns. O wie sehr geziemt es sich für uns, im Bewusstsein Seiner Liebe und Seiner steten Fürsorge, allezeit mit Freude und Frohlocken durch diese Wüste zu gehen und inmitten einer verurteilten Welt allezeit Seinen Namen zu loben und zu preisen. Wir sind ja für immer in Sicherheit gebracht, durch ein unauflösliches Band mit Dem verbunden, der uns so innig liebt, und der bald wiederkommen und uns zu sich nehmen wird, damit wir für immer bei Ihm sind in der Herrlichkeit.

Wir lesen in Apg. 1,9.11: „Und als er dies gesagt hatte, wurde er emporgehoben, indem sie es sahen, und eine Wolke nahm ihn auf von ihren Augen hinweg. Und wie sie unverwandt gen Himmel schauten, als er auffuhr, siehe, da standen zwei Männer in weißem Kleide bei ihnen, welche auch sprachen: Männer von Galiläa, was stehet ihr und sehet hinauf gen Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden ist, wird also kommen, wie ihr ihn habt hingehen sehen in den Himmel.“ Und wie hatten sie Ihn auffahren sehen? Er hatte Seine Hände erhoben, um sie zu segnen, und indem Er sie segnete, wurde Er hinaufgetragen in den Himmel. Also wird Er wiederkommen, zum Segen für die Seinigen. „Ebenso wie es den Menschen gesetzt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht, also wird auch der Christus, nachdem er einmal geopfert worden ist, um vieler Sünden zu tragen, zum zweiten Male denen, die ihn erwarten, ohne Sünde erscheinen zur Seligkeit“ (Hebr.9,27.28), das heißt, um all der Segnungen, die Er für sie erworben hat, für immer teilhaftig zu machen.

Die Versammlung nimmt einen besonderen Platz bei der Wiederkunft Christi ein, wie Er uns durch Seinen Knecht Paulus, der ein Diener der Versammlung war (Kol. 1), geoffenbart hat. Sie ist aufs innigste mit Ihm verbunden, sie ist Seine Braut, die Braut des Lammes, und Sein Leib, ein Teil von Ihm Selbst. Sie wird Ihn begleiten, wenn Er in Seiner Herrlichkeit erscheint; denn Er wird sie vorher zu sich aufnehmen, auf dass sie für immer bei Ihm sei und alles mit Ihm teile (vergl. 1. Thess. 4,13-17 u.a. Stellen). Mag es sich aber um Sein Kommen zu unserer Aufnahme handeln, oder um Seine Wiederkunft für die Seinigen, die auf der Erde sind - es ist nur zum Segen für sie alle. Sobald wir abwärts blicken, ist alles dunkel vor unseren Augen; wir sehen nur Elend und Sünde um uns her, alles ist in Unordnung und Verfall; aber sobald wir aufwärts blicken, sobald wir in Seiner Gegenwart weilen, ist alles klar, und unsere Herzen sind ruhig und getrost. Wissen wir auch nicht, was der morgende Tag bringen wird, so wissen wir doch, dass der Herr uns morgen so innig liebt wie heute, dass wir morgen denselben Jesus haben und in Ihm die uns nötige Gnade und Kraft finden werden, wie es heute der Fall ist. Wir sind stets unter Seinen mächtigen und segnenden Händen. Dorthin hat die Gnade des Vaters uns gebracht, und dort erhält sie uns.

Laßt uns denn allezeit auf Ihn vertrauen! Lasst uns stets in Seiner Nähe bleiben! Alle unsere Sorgen können wir auf Ihn werfen, denn Er ist besorgt für uns; ja, in allem können wir uns völlig Seinen treuen und segnenden Händen überlassen. Er wird uns bewahren und uns sicher leiten bis ans Ende. Er wird nicht aufhören, unsere Herzen zu ermuntern und zu erfreuen. Und haben wir diese Wüste durchschritten, so ist unser Lauf beendet, so werden wir Ihn sehen, wie Er ist, und für immer bei Ihm sein. Lasst uns denn Tag für Tag auf Ihn blicken und Ihn erwarten, und den gesegneten Platz, auf den Seine Liebe uns gestellt hat, allezeit verwirklichen! Ja, bald werden wir Ihn sehen von Angesicht zu Angesicht. Welch ein ergreifender Augenblick wird es sein, wenn wir Ihm begegnen und Ihn schauen werden, Ihn, der Sein Leben für uns hingegeben hat, und dessen Liebe, Treue und Fürsorge wir auf dem ganzen Weg durch diese Wüste in so reichem Maß erfahren haben! Dann werden wir Ihn allezeit loben und preisen, und Ihm Anbetung darbringen, wie Er es würdig ist. Möchten wir aber auch hienieden schon uns stets erfreuen in Seiner unvergleichlichen und nie endenden Liebe, und in Seinem Frieden und unter Seinen Segenshänden allezeit ruhig und getrost sein und Seinen Namen verherrlichen!

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Ein zeitgemäßer Brief

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 264ff

Lieber Bruder!

Wenn ich daran denke, welchen Wert das Ihnen geborene Kind für das Herz Gottes und des Herrn Jesus hat, und zu welchem Zweck Gott es Ihnen anvertraut, gewinnen die kleinen Kinder für mich einen weit höheren Wert, als nur den, von Natur Glieder unserer Familie zu sein. Dann verstehe ich die Worte des Herrn in Matth. 18, 10: "Sehet zu, dass ihr nicht eines dieser Kleinen verachtet". Es handelt sich hier um alle kleinen Kinder, und nicht nur, wie in Vers 6, um "eines dieser Kleinen, die an mich glauben".

Die kleinen Kinder sind Gegenstände der ewigen Gedanken Gottes. Er hatte einen bestimmten Plan für die ewige Erlösung und Segnung des sündigen und verlorenen Menschen. Er wusste, welch eine unberechenbare Zahl von Kindern diese Erde verlassen würde, ohne das Alter der Verantwortlichkeit erreicht zu haben, und dass sie, ungeachtet dieser Tatsache, als Nachkommen eines sündigen Geschlechtes verloren sein würden. Aber Gott wollte sie retten, und der Herr Jesus, der die Gedanken Gottes kannte, hat gesagt: "Es ist nicht der Wille des Vaters, dass eines dieser Kleinen verloren gehe". (Matth. 18, 14.) Damit Gott sie als solche haben konnte, wie Er es gern wollte, und um ihren ewigen Lobgesang genießen zu können (Psalm 8, 2), kam der Sohn des Menschen, nicht um sie als verantwortliche Sünder "zu suchen und zu erretten", wie Er in Lukas 19, 10 davon redet, sondern um "zu retten, was verloren ist". (Matth. 18, 11.) Welchen Wert gibt dieses Wort einem jeden dieser lieben Kleinen! Wir dürfen sie alle als gerettet betrachten. Alle sind in Sicherheit, alle haben kraft des Werkes des Herrn Jesus durch ihre Engel eine beständige Verbindung mit dem Vater.

Um den Willen Gottes hinsichtlich dieser Kleinen zu erfüllen, ist der Herr Jesus, der Sohn des Menschen, zu ihrer Errettung gekommen. Er hat am Kreuze das Verlassensein von Gott erduldet. Dort wurde Er von der göttlichen Gerechtigkeit behandelt, wie das verlorene Menschengeschlecht in Adam es verdient hatte, um ein ewiges Heil zu schaffen für solche Geschöpfe, wie unsere Kinder von Natur sind. Verloren durch den Ungehorsam des ersten Adam, sind sie jetzt durch den Gehorsam des zweiten Adam gerettet. Selbstverständlich kann dieses Werk von allen unseren Kindern, die das Alter der Verantwortlichkeit erreicht haben, wie überhaupt von allen verantwortlichen Wesen, nur durch den Glauben ergriffen werden; sie sind erst dann errettet, wenn sie, von ihrem verlorenen Zustand und ihrer Schuld überzeugt, an das Werk des Erretters glauben.

Muss es nicht überaus schmerzlich berühren, wenn man diese herrlichen Gedanken des Vaters und des Sohnes vergleicht mit der Art und Weise, wie die Menschen im allgemeinen, und leider heute auch viele Christen, die Geburt eines Kindes aufnehmen? Wenn man sieht, wie die Kinder als eine Last angesehen werden, die man nach Möglichkeit beschränken müsste? Gott will alle diese Kleinen in Seinem Himmel haben; aber sie können dort nur eingehen, wenn sie vorher über diese Erde gegangen sind. Deshalb sollte jede Geburt eines Kindes in eine Familie hinein, in der die Gedanken Gottes geschätzt und geachtet werden, als eine den Eltern verliehene Ehre, als ein hohes Vorrecht angesehen werden. Das Kind sollte von ihnen aufgenommen werden als ein zukünftiger Himmelsbürger, als ein Gegenstand der ewigen Liebesgedanken des Vaters und des Sohnes.

Denken Sie, welch ein Vorrecht es ist, Werkzeuge Gottes sein zu dürfen, um Kinder in diese Welt zu einem so erhabenen Zweck einzuführen! Diese Kinder für Ihn zu erziehen, sie als dem Herrn angehörig zu betrachten, als von Ihm für den Himmel geliehen, sei es dass sie nur einen Tag oder Jahre auf dieser Erde bleiben - ist das nicht der schönste Dienst, den man erfüllen kann?

Da wir die Gedanken Gottes über die Kinder kennen, werden wir uns dieser Aufgabe in Abhängigkeit von Ihm unterziehen mit der Weisheit und Liebe, die Er darreicht. Wir werden diese Kinder, wenn der Herr sie uns erhält, für Ihn erziehen und nicht für uns, zu unserer eigenen Befriedigung oder gar, um aus ihnen große Menschen in dieser Welt zu machen. Sie sind uns für den Himmel gegeben, und da Gott ein Anrecht an sie hat, ebenso wie an uns, haben wir uns zu fragen, was Gott wohlgefällt in allem, was wir in Bezug auf sie tun.

Jedes mal, wenn wir das Wort Gottes befragen, werden wir zu unserer Beschämung feststellen müssen, wie sehr wir uns in allen Dingen "diesem Zeitlauf" gleichförmig machen, ganz besonders was die Geburt eines Kindes angeht. Der Mensch, in seiner Sucht nach materiellem Wohlbefinden, verachtet diese Kleinen und betrachtet deren Zahl als eine Last, ein unbequemes Hindernis. Dürfen wir sie nicht mit dem Werte ansehen, den sie vor Gott haben? Dürfen wir uns nicht glücklich schätzen, Seine Diener in einer so schönen Aufgabe und für solch herrliche, ewige Ziele zu sein? Es ist wahr, eine zahlreiche Familie erziehen macht Mühe, verursacht oft Leiden und kostet Zeit und Geld; aber Gott sendet uns keine Kinder auf unsere Kosten. Hat Er jemals von uns einen Dienst gefordert, ohne uns das zu dessen Erfüllung Notwendige darzureichen? Zehn Kinder in einer Familie erschöpfen die Hilfsquellen Gottes nicht mehr, als ein einziges. Es ist freilich auch wahr, dass der Glaube auf diesem Wege geübt wird; aber die Übung stärkt ihn.

Unsere diesbezüglichen Mühen gehören auch zu den "Dingen, die denen, die Gott lieben, zum Guten mitwirken". Wenn wir Gott dieses Mittels, unseren Glauben zu üben, berauben, wird Er andere, schmerzhaftere als jenes, finden; ohne Frage, um uns schließlich zu segnen, aber doch wird stets das schmerzliche Gefühl zurückbleiben, dass wir Ihn vermehrt haben.

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Betrachtungen über den Propheten Hosea

Bibelstelle: Hosea 8-10

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 268ff

Sie haben Wind gesät und Sturm geerntet

Kap. 8 . - In diesem Kapitel wird die Handlungsweise der zehn Stämme wie die der Nationen gekennzeichnet: „Sie haben Könige gemacht, aber nicht von mir aus; sie haben Fürsten eingesetzt, und ich wusste es nicht" (V. 4). So war es in der Tat geschehen, wie es uns auch, wie wir sahen, der erste Vers des ersten Kapitels bestätigt. Von Jerobeam II. an, dem Könige von Israel, übergeht Hosea mit Absicht alle die Könige, die ihm gefolgt sind. Ihre Geschichte (2. Könige 15-17) beweist, dass Gott sie nicht mehr anerkennt. Wie hätte der Prophet sie anerkennen können? Diese Könige waren weder durch königliche Abstammung in ihr Amt eingeführt, wie in Juda, noch auf bestimmten Befehl Gottes, wie die Nachkommenschaft Jehus, sondern sie kommen oder verschwinden durch Empörung und Mord. Außerdem hatte Israel sich mit seinem Silber und Gold Götzen gemacht, und diese Tat schrie nach Rache und Beseitigung: „Mein Zorn ist wider sie entbrannt" (V. 5).

Daher stand der Assyrer im Begriff, sich wie ein Adler auf die zehn Stämme zu stürzen. In seinen Krallen werden sie schreien: „Mein Gott, wir kennen dich, wir, Israel"! Diese Kenntnis wird ihnen aber nichts nützen, weil sie die Kälber zu Bethel und Dan bestehen ließ (V. 1. 2). So wird es auch sein in der zukünftigen Drangsal des Volkes. Es wird sagen: „Wir haben vor dir gegessen und getrunken, und auf unseren Straßen hast du gelehrt. Und Er wird sagen: Ich sage euch, ich kenne euch nicht, wo ihr her seid; weichet von mir, alle ihr Übeltäter" (Lk. 13,26. 27). Und so wird es auch sein, wenn die bekennenden Christen, ohne Leben und Geist, an die Tür anklopfen und sagen: „Herr, Herr, tue uns auf"! und Er ihnen antworten wird: „Wahrlich ich sage euch, ich kenne euch nicht"! (Mt. 25,11. 12) - In der Tat, trotz seines Rufes: „Wir kennen dich", kannte Israel Gott nicht. „Er hat dein Kalb verworfen, Samaria", und: „das Kalb Samarias wird zu Stücken werden" (V. 5. 6).

Wie ernst ist es doch, nachdem man die Offenbarung des wahren Gottes empfangen hat, sich von Ihm abzuwenden! „Wind säen sie, und Sturm ernten sie". Das war das Schicksal dieses armen Volkes zur Zeit des Propheten Hosea; aber es bleibt wahr für alle Zeiten. Die Christenheit besitzt außerordentliche Vorrechte. Ihr sind, wie ehemals dem Volke Israel, die Aussprüche Gottes anvertraut worden, und der Geist Gottes enthüllt sie in ihrer Mitte. Und sie begeht Schlimmeres, als „den Bund zu übertreten und gegen das Gesetz zu freveln" (V. 1), denn sie verwirft die Verheißungen Gottes und verachtet Seine Gnade. Was anders als ein Gericht ohne Erbarmen könnte sie ernten, sofern sie nicht Buße tut?

Das durch den Assyrer ausgeführte Gericht trifft „das Haus Gottes" (V. 1). So bezeichnet der Prophet die zehn Stämme, trotz allem, was aus diesem Hause geworden war. Wie heute die Christenheit, so war auch Israel ein großes Haus, in dem sich alle Arten von Ungerechtigkeit eingenistet hatten.

Wie wir gesehen haben, gebiert bei dem Propheten Hosea ein Bild das andere. Wir finden nicht den breiten, majestätischen Strom wie bei seinem Zeitgenossen Jesaja, sondern einen ungestümen Wildbach, der unter dem Antrieb des prophetischen Geistes sprudelnd und tosend dahineilt. In dem Augenblick, wo Hosea von „Wind säen" und „Sturm ernten" redet, treibt ihn schon das Bild des Erntens zu der Frage, ob es in Ephraim wohl Frucht für Gott gibt. Ach nein! „Halme hat es (das Gesäte) nicht, das Ausgesprofite bringt kein Mehl; wenn es auch Mehl brächte, so würden Fremde es verschlingen" (V. 7). Keine Frucht! Nichts, das aufgeht und für die Zukunft irgend etwas erhoffen lässt! Nichts war vorhanden, was als Nahrung hätte dienen können, und das, was Israel hätte hervorbringen können, würden die Nationen, denen es sich anvertraute, verschlungen haben. Jetzt, nachdem die Nahrung aufgezehrt war, befand es sich unter den Völkern wie ein leeres Gefäß, mit dem man machen kann, was man will!

(V. 9. 10). - Ephraim hatte keinerlei Vertrauen zu Gott. Seine besondere Sünde bestand darin, Schutz bei dem Assyrer gesucht zu haben. Hiskia zeigt später, dass Juda sich der Sünde Ephraims nicht schuldig gemacht hat. Hosea spielt auf Menachem an, den König von Israel, der zur Zeit Asarias tausend Talente Silber an Pul, den König von Assyrien, gegeben hatte, „damit seine Hand mit ihm wäre, um das Königtum in seiner Hand zu befestigen" (2. Könige 15,19); aber, sagt der Prophet, „nun will ich sie sammeln; und sie werden anfangen sich zu vermindern wegen der Last des Königs der Fürsten" (V. 10).

Die Hauptsünde Ephraims war jedoch der Götzendienst (V. 11 - 14), wofür sie zur Strafe „nach Ägypten zurückkehren" sollten (V. 13). Es ist hier zu beachten, dass der Ausdruck „nach Ägypten zurückkehren" in bildlichem Sinne gemeint ist, und man daher nicht an eine tatsächliche Rückkehr nach Ägypten denken darf. Israel hatte die Unterstützung dieses Landes gesucht, und so wird es in die Knechtschaft zurückfallen, aus der es einst befreit wurde. Dasselbe finden wir in Kap. 9,3: „Ephraim wird nach Ägypten zurückkehren, und sie werden Unreines essen in Assyrien". Die Rückkehr des Volkes nach Ägypten ist nichts anderes als eine Beugung unter das Joch des Assyrers, das herbeigeführt wurde, weil das Volk Hilfe bei Ägypten gesucht hatte. Wie wir gesehen haben, bedient sich Hosea gewöhnlich dieser abgebrochenen Darstellungsweise und der plötzlichen Übergänge. Das Bild weist auf ein neues Ereignis hin, das mit ihm in Verbindung" steht. So wird uns in Kap. 9,6 gesagt: „Ägypten wird sie sammeln, Moph sie begraben". So ist es mit Juda tatsächlich geschehen, wie Jeremia uns zeigt (Kap. 41 - 44; 46,13 - 19), während Hosea in Kap. 11,5 ausdrücklich sagt, dass Ephraim nicht nach dem Lande Ägypten zurückkehren, sondern dass der Assyrer sein König sein werde". - Die Unterscheidung zwischen dem Schicksal Israels und demjenigen Judas wird in Kap. 8,14 eingeführt: „Und Israel hat den vergessen, der es gemacht, und hat Paläste gebaut, und Juda hat die festen Städte vermehrt; aber ich werde ein Feuer in seine Städte senden, welches seine Schlösser verzehren wird". Das erklärt die scheinbare Verwirrung, die wir in Kap. 9 finden. So sehr der Prophet auch unaufhörlich die einen von den anderen unterscheidet, verbindet er doch zuweilen in gewissen Dingen die beiden Königreiche als solche, die das Gericht Gottes auf sich ziehen.

Kap. 9

Die ersten 4 Verse dieses Kapitels stehen mit den Versen 11 bis 14 des vorhergehenden Kapitels in Verbindung. Alles, was Israel, die zehn Stämme, und Ephraim, ihr Vertreter und Führer, glaubten Gott geweiht zu haben, hatten sie in Wirklichkeit sich selbst dargebracht: „denn für ihren Hunger (oder für sie selbst) wird ihre Speise sein" (V. 4). Wenn sie ein Schlachtopfer darbrachten (8,13), opferten sie Fleisch, um davon zu essen. Weizen und Wein, die sie für sich zogen, sollten ihnen weggenommen werden (V. 2); an ihrer Stelle sollten sie Unreines essen in Assyrien, dem Lande ihrer Gefangenschaft (V. 3). Alles, was sie Gott opfern mögen, wird unrein sein. Gott wird es nicht annehmen, und sie selbst werden sich gerade durch das Erzeugnis ihrer Unreinheit verunreinigen. Ein böser Kreislauf, der von ihnen selbst ausging und zu ihnen zurückkehrte; nichts als Schmutz, nichts für Gott! Ihr Brot sollte nicht als „Schaubrot" „in das Haus Gottes" gelangen (V. 4). Dieser Grundsatz hat für alle Zeiten Gültigkeit. Welch schönen Schein die religiösen Werke der sündigen Menschen auch haben mögen, sie werden zur Selbstbefriedigung dargebracht, nicht aber um einem Gott zu dienen, den man nicht kennt. Das ist unreines Brot, welches im Hause Gottes keine Annahme findet.

Von Ephraim kommt der Prophet ohne Überleitung auf Juda zu sprechen (V. 5 - 10). Juda ist in der Tat in späteren Tagen nach Ägypten geflohen und hat, mit Ausnahme einiger Entronnener, sein Grab in Moph (Memphis) gefunden. Der Rest der Kostbarkeiten, welche die Juden mitgebracht hatten, wurde bei dieser Katastrophe verschlungen. In Verbindung mit der Wegführung Israels, die schon bald nachher stattfand, kündigt Hosea die Zerstörung der Überreste Judas an, die ungefähr 150 Jahre später eintraf. Das Böse war derart, dass der Prophet wie vom Wahnsinn ergriffen wurde, als er sich die Größe der Ungerechtigkeit des Volkes Gottes im einzelnen vorstellte: „Der Prophet wird närrisch, der Mann des Geistes wahnsinnig, wegen der Größe deiner Ungerechtigkeit und der Feindseligkeit" (V. 7), ein Ausspruch, den wir festhalten müssen, um die scheinbare Zusammenhanglosigkeit des Propheten Hosea zu erklären. - In der Tat war das Verderben so groß, dass er es mit den „Tagen von Gibea" vergleicht (denn er befindet sich in diesen Versen auf dem Gebiet der beiden Stämme) und auf die Gräueltat Benjamins anspielt (Richter 19), weiche die fast völlige Ausrottung des Stammes herbeiführte.

In den Versen 10 - 17 spricht Gott von der Gesamtheit Israels, wie Er es einst in der Wüste gesehen hatte: wie schön war damals dieses Volk! welch eine Erquickung für das Herz Gottes, das in ihm Seine Freude und Wonne fand: „Trauben in der Wüste"! In Jeremia 2,1 - 3 finden wir andererseits, was die Gefühle Israels selbst waren, als es durch die erste Liebe auf den Weg seines Bräutigams und guten Hirten geführt wurde. Ach! wie bald war das Volk dem Baal-Peor, dem Gott der Töchter Moabs, nachgegangen! (V. 10; 4. Mose 25).

Mit welchem Schmerz kommt der Prophet jetzt auf Ephraim zurück, den Gegenstand seiner beständigen Besorgnis! Gott hatte es gesehen wie eine reiche und blühende Stadt, ein Tyrus, in herrlicher Umgebung. Was war aus ihm geworden? Hatte es sich besser betragen als die Gesamtheit des Volkes in Sittim? (4. Mose 25,1) Nein; es hatte den Erwartungen seines Geliebten in nichts entsprochen. Wie eine unfruchtbare Frau hatte sie niemals empfangen, niemals Frucht getragen, niemals einen Sprössling hervorgebracht, auf dem die Liebe des Gatten hätte ruhen können; „kein Gebären" für Gott! Hatte Ephraim denn gar keine Söhne? Doch, aber sie waren aus seinem Ehebruch hervorgegangen, und, unter dem Gericht Gottes, war es nun gezwungen, sie „zum Würger hinauszubringen", zu jenem Jareb, dem Ausrotter Israels (5,13; 10,6).

In den Versen 14 - 17 beginnt der Prophet von neuem, die Gesamtheit der neun Stämme einerseits und Ephraim andererseits anzureden. Israel hatte ebenso wenig wie Ephraim für Gott etwas hervorgebracht. So „gibt Er ihnen einen unfruchtbaren Mutterleib und trockene Brüste". Er schlägt sie mit Unfruchtbarkeit - Seinem Gericht über sie. „Alle ihre Bosheit", sagt Er, „ist zu Gilgal", gerade an dem Orte, wo das Fleisch beschnitten und die Schande Ägyptens von dem Volke abgewälzt worden war. Dort zeigt sich nun das Fleisch in seiner ganzen Hässlichkeit, trotzt der Heiligkeit Gottes, so dass Er sagt: „Ich werde sie aus meinem Hause vertreiben; ich werde sie nicht mehr heben"! (V. 15) „Alle ihre Fürsten sind Abtrünnige. Ephraim ist geschlagen: ihre Wurzel ist verdorrt, sie werden keine Frucht bringen" (V. 16). Das ist der endgültige Fluch, den der Herr Selbst in späteren Tagen über Juda ausruft, dann über den Menschen, über den Feigenbaum ohne Frucht: „Nimmermehr esse jemand Frucht von dir in Ewigkeit! ... Und sie sahen den Feigenbaum verdorrt von den Wurzeln an" (Mk. 11,14. 20). Diese strafenden Zeilen berichten von dem einzigen Wunder des Herrn, das kein Wunder der Liebe ist. In Ephraim, oder in dem Menschen gab es keinerlei Gebären (V. 11), und selbst wenn sie gebären", sagt Gott, „werde ich die Lieblinge ihres Leibes töten" (V. 16). Die zehn Stämme sollten sich nicht vermehren, und so ist es bis in die heutige Zeit hinein geblieben. Sie sind verschwunden, ohne eine Spur zurückzulassen, während die Stämme Judas (denn dieses Kapitel handelt abwechselnd von den einen und den anderen) „Flüchtlinge sein sollen unter den Nationen" (V. 17), wie sie es heute noch sind.

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Betet füreinander

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 275ff

"Betet füreinander, damit ihr geheilt werdet; das inbrünstige Gebet eines Gerechten vermag viel." (Jak. 5, 16.)

So schrieb einst Jakobus, der Knecht Gottes und des Herrn Jesus Christus, an die zwölf Stämme, die in der Zerstreuung waren. "Betet füreinander!" Ein einfaches Wort, das keiner besonderen Auslegung bedarf und doch im allgemeinen wenig beachtet und befolgt wird.

Es ist mit dem Beten überhaupt eine eigene Sache. In der Christenheit wird viel gebetet, auch seitens der Gläubigen, aber die gesegneten Ergebnisse des wahren Betens, die Vertiefung des inneren Lebens, die Vermehrung der geistlichen Kraft, das Empfangen des Erbetenen usw. usw. bleiben so oft aus. Warum das? Wir alle wissen es sehr wohl. Weil so wenig "inbrünstig" und "mit Gebet" gebetet wird. Man betet, ohne ernstlich daran zu denken, mit wem man redet - nicht nur in dem Sinne von Pred. 5, 2, dass Gott im Himmel ist und wir auf der Erde sind, d. h. also unter Beachtung Seiner Größe und Allmacht, sondern auch indem man vergisst, dass der Gott, den man als "Vater" anruft, der dreimal heilige Gott ist, der die Sünde nicht sehen kann. Das Herz "eilt" oft, "ein Wort vor Gott hervorzubringen", während das Gewissen nicht frei und ohne Anstoß vor Ihm ist. Kein Wunder, wenn das "allerschönste" Gebet dann kraft- und ergebnislos bleibt.

O dass wir mehr das große Vorrecht, mit dem ewigen Gott, mit unserem Gott und Vater in Christo, reden zu dürfen, verstehen und verwirklichen möchten im Kämmerlein, in der Familie und in der Versammlung! Die kostbaren Folgen würden nicht ausbleiben, weder in unserem eigenen Leben, in unseren persönlichen Erfahrungen, noch auch in unserer Umgebung. Wir würden es dann auch erleben, dass unsere Herzen ganz von selbst weiter, der Kreis der Gebetsanliegen größer und das Verlangen, mit Gott zu reden, immer tiefer und ernster werden würden. Die Hindernisse, die Welt und Fleisch, oder auch Familie und Beruf uns in den Weg legen wollen, würden mit mehr Glaubensenergie überwunden werden.

"Betet füreinander, damit ihr geheilt werdet." -Merkwürdig ist das Beispiel, das Jakobus zur Erläuterung seiner Ermahnung anführt. "Elias war ein Mensch von gleichen Gemütsbewegungen wie wir; und er betete ernstlich, dass es nicht regnen möge, und es regnete nicht auf der Erde drei Jahre und sechs Monate." (V. 17.) Was es für ein Land wie Kanaan bedeutete, wenn Gott "seinen Himmel wie Eisen machte und seine Erde wie Erz", das können wir verstehen, wenn wir 5. Mose 11, 10 - 17 lesen. Und dieser furchtbare Zustand, diese große Not kam über das Land und seine Bewohner in Antwort auf das Gebet des Propheten! Er war ein Mensch von gleichen Gemütsbewegungen wie wir, und es war nicht etwa fleischliche Erregung, die ihn antrieb, in solcher Weise "für" sein Volk zu beten, nein, die nahe Verbindung mit Gott und mit Seinen Gedanken ließ ihn mit göttlichen Gefühlen die Zustände um ihn her beurteilen und so beten, dass das notwendige Gericht, das einzige Mittel, um das götzendienerische Volk zu Gott zurückzuführen, mit unerbittlicher Strenge hereinbracb.

Elia fürchtete Gott und liebte sein Volk, und aus der Einsamkeit Tisbes heraus stieg das Flehen dieses "Beisassen" Gileads (also wohl eines für diese Welt unbedeutenden Mannes) anhaltend zum Himmel empor und setzte den gewaltigen Arm Gottes in Bewegung zum Besten des abtrünnigen Volkes. Ein anderes Mittel zur Heilung gab es nicht mehr. Wen die "Güte" Gottes nicht zur Buße leitet, der muß Seine "Strenge" erfahren.

"Ein Mensch von gleichen Gemütsbewegungen wie wir", und doch stand Elias Beten in solchem Einklang mit den Gedanken Gottes, dass sein Flehen diesen Gedanken entsprach und Erhörung finden konnte, sowohl im Gericht, als auch später in Wegen der Gnade. Sobald Gottes Absichten erreicht waren, "betete er wiederum, und der Himmel gab Regen, und die Erde brachte ihre Frucht hervor". Und wie er betete, das berichten uns die Schlussverse von 1. Kön. 18. Wiederum war es ein ernstes, anhaltendes Ringen, ein dringendes, gläubiges Flehen.

Kennen wir etwas von diesem "Beten füreinander", geliebte Brüder? Hat das Wohl und Wehe der Gläubigen, der Zustand des Zeugnisses, ja, der ganzen Christenheit um uns her eine solche Bedeutung für unsere Herzen, leben wir trotz all unserer menschlichen Schwachheit in solcher Verbindung mit Gott, dass wir, wie Elia, Seinen Gedanken entsprechend beten können? Setzen auch unsere Gebete zuweilen den Arm Gottes in Tätigkeit, sei es in züchtigender oder in segnender Weise? Man wird mir vielleicht antworten: Wer kann das heute wissen? Ist da nicht die Gefahr groß, sich verkehrte Dinge einzubilden, ganz falsche Schlüsse zu ziehen?

Es ist so; erst die Ewigkeit wird über viele dieser Fragen Auskunft geben. Wir wollen auch nicht vor der Zeit urteilen. Die Ankunft des Herrn wird alles heute noch Verborgene ans Licht bringen. Aber doch steht jenes Beispiel nicht umsonst in der Schrift, nicht umsonst wird uns gesagt, dass "das inbrünstige Gebet eines Gerechten viel vermag". Würden wohl solch traurige Zustände in einer Familie oder in einer ganzen Versammlung so lang verborgen geblieben sein, wie es zuweilen zu unserer tiefen Beschämung geschehen ist, wenn wir mehr und inbrünstiger füreinander gebetet hätten? Würde die Hand des Herrn nicht wohl eher eingegriffen und das Böse aufgedeckt haben, wenn unsere Herzen in näherer Verbindung mit Ihm und Seinen Gedanken gewesen wären?

Und anderseits, würde nicht manches Böse hintangehalten und das Gute mächtig gefördert werden, wenn wir alle inniger und ernster füreinander im Gebet daständen? Statt dessen gibt es so oft jenes "Reden widereinander", vor welchem Jakobus so ernst warnt, oder gar ein "Seufzen wider einander", das nur Unsegen bringt und die Herzen entzweit. Solches Reden und Seufzen entspricht unserer alten, eigenliebigen, selbstsüchtigen Natur, dient aber nur den Absichten des Feindes und betrübt und dämpft den Geist Gottes.

Möchtet ihr bei solcher Arbeit helfen, ihr lieben Leser und Leserinnen? Nein, antwortet euer Herz, antwortet die neue Natur. Lasst der Antwort die Tat folgen!

"Betet füreinander, Brüder!" Welch ein reicher, gesegneter Dienst! Und wie groß und weit sind die Felder, auf denen er ausgeübt werden kann! Gesunde und Kranke, Kinder und Greise, Reiche und Arme, Herren und Knechte, Frauen und Mägde, Jünglinge und Jungfrauen, - alle, alle bedürfen eurer Fürbitte, ganz abgesehen von den Dienern des Herrn im besonderen Sinne, den Evangelisten, Hirten und Lehrern in Heimat und Ferne, den Vielen auch, die sich in den Sonntagschulen und unter der herangewachsenen Jugend bemühen, den Schreibern der Evangeliums und Erbauungsschriften und denen, die sich mit der oft so undankbaren und verleugnungsvollen Verbreitung derselben beschäftigen.

Betet füreinander! An diesem Dienst kann sich auch jeder beteiligen, der Vater in Christo wie der Jüngling oder die Jungfrau, der kräftige Mann wie das schwache, zitternde Mütterlein. Keiner ist ausgeschlossen, alle können mit angreifen. O möchten wir deshalb mehr einem Elia, Daniel oder Paulus gleichen und vor allem von Ihm lernen, den der Geist in Psalm 139, 4 sagen lässt: "Für meine Liebe feindeten sie mich an, ich aber bin stets im Gebet", und der sich gegenwärtig "allezeit für uns verwendet"!

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Fragen aus dem Leserkreis

Bibelstelle: Lukas 16, 19 - 31

Botschafter des Heils in Christo 1925, S. 280

Nach Lukas 16, 19 - 31 nimmt man gewöhnlich an (vergleiche die Vorrede zur „Elberfelder Bibel“), dass der Hades der Aufenthaltsort der Gläubigen und der Ungläubigen sei, ein Ort der Freude und der Qual. Nun sagt aber in Matthäus 16. 18 der Herr Jesus selbst, dass des Hades Pforten die Versammlung nicht überwältigen werden. Wenn nun die Pforten schon als Feinde angesehen werden, wie können dann die Gläubigen durch sie eingehen, um daselbst zu weilen bis zur Ankunft des Herrn?

Zunächst sei darauf erwidert, dass der Hades (Scheol im Alten Testament) nicht so sehr ein Ort, als vielmehr ein Zustand ist, in welchem sich die abgeschiedenen Geister befinden - die Seele wird nach dem Tode in die unsichtbare Geisterwelt versetzt, der Leib ins Grab gesenkt. So war es auch mit dem Herrn Jesus selbst. Der Apostel Petrus sagt in Apostelgeschichte 2, 31, nach Anführung der bekannten Stelle aus Psalm 16, dass David voraussehend von der Auferstehung Christi geredet habe, „dass ist Er nicht im Hades zurückgelassen worden ist, noch sein Fleisch die Verwesung gesehen hat“. Wir dürfen also aufgrund des Wortes Gottes sagen: Während der Leib des Herrn im Grabe lag (jedoch ohne die Verwesung zu sehen), befand sich Seine Seele im Hades (vergleiche Vers 27), in jenem Zwischenzustand des Getrenntseins von Leib und Seele, dass durch den Tod herbeigeführt wird. Zugleich aber konnte der Herr zu dem sterbenden Räuber sagen: „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein“ – also in vollkommenem Frieden und in ungestörter, seliger Freude. Er es wird uns nicht schwer werden, beide Aussprüche miteinander zu vereinigen, sobald wir aufhören, das Wort „Hades“ in örtlichem oder räumlichem Sinne aufzufassen.

„Des Hades Pforte“ ist wohl nur ein bildlicher Ausdruck, der die ganze, furchtbare Macht des Todes bezeichnen soll. (Vergleiche Hiob 38, 17; Psalm 9, 13; Jesaja 38, 10). Diese Macht wird gegen die auf Christum, den Sohn des lebendigen Gottes, erbaute Gemeinde nichts vermögen.

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Mitten auf den Steigen des Rechts

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 281ff

"Ich wandle auf dem Pfade der Gerechtigkeit, mitten auf den Steigen des Rechts, um die, die mich lieben, beständiges Gut erben zu lassen, und um ihre Vorratskammern zu füllen." (Sprüche 8, 20. 21.) So spricht die göttliche Weisheit. Wer möchte sie nicht lieben, wer nicht ihrem Rate folgen und "mitten auf den Steigen des Rechts" wandeln, um beständiges Gut zu erben?

Weißt du es, lieber Leser, in welch ernste, bewegte Zeit die kurze Spanne deines Lebens gefallen ist? Hast du Blick, Verstandes und Empfinden für den ununterbrochen sich abspielenden, ja, von Tag zu Tag sich verschärfenden Kampf zwischen Licht und Finsternis? Gewaltige Mächte stehen einander gegenüber und ringen um den Besitz der Herzen der Menschen, ihrer Leiber und Glieder - die einen, um sie zu einem "lebendigen, heiligen, Gott wohlgefälligen Schlachtopfer" umzugestalten, die anderen, um immer mehr "Werkzeuge der Ungerechtigkeit" aus ihnen zu machen; die einen zu seliger Freude und reichstem Segen nach Seele und Leib, die anderen zu bitterer Enttäuschung, Leid, Reue und Verzweiflung. In diesem Kampf ist der Zustand und das Verhalten eines jeden Gläubigen, ob alt oder jung, Mann oder Weib, von der größten Wichtigkeit. Der Herr selbst, und mit Ihm mancher Seiner Getreuen, schaut aus nach den Bewährten, den Entschiedenen, den Ganzherzigen, auch unter der Jugend. Er sucht nach Brauchbaren zum Dienst für Seine Sache, zum treuen Zeugnis für Ihn selbst und alles, was in Ihm zu finden ist. Besorgt unsere Blicke durch die Reihen der Gläubigen, der Männer und besonders der Jünglinge, schweifen lassend, rufen wir fragend, fast mit Wehmut aus: "Wo sind sie, die, wenn der Herr noch ein wenig verziehen sollte, an die Plätze der Alten treten werden, in demselben Geist wahrer Hingabe an Ihn, echter Treue für Ihn, unentwegten Festhaltens an Seiner Wahrheit, nicht abweichend, weder zur Rechten noch zur Linken, von dem schmalen Pfade, "mitten auf den Steigen des Rechts" wandelnd, von Gott begabt und zubereitet, um den Dienst der Alten fortzuführen? Wie viele sind von uns gegangen, deren Gedächtnis im Segen bleiben wird, die in unseren Herzen fortleben, deren Dienst noch heute gesegnete Früchte bringt! In einer Zeit vielfacher Feindschaft und oft lieblosen Kritisierens lebend, haben sie Wertschätzung und Anerkennung genossen. Den Ausgang ihres Wandels anschauend, dürfen wir ihren Glauben nachahmen.

Andere sind noch unter uns, geschätzt und anerkannt, oder auch - verkannt. Aber auch sie werden, wenn der Herr noch nicht bald kommt, früher oder später von uns gehen, und dann erst wird man verstehen lernen und wissen, was man an ihnen hatte, jetzt aber entbehrt. Dann wird man sich umsehen und fragen nach gutem Rat und weiser Lehre, die man heute nicht gebührend schätzt, mitunter gar als "lästig" empfindet. Wo sind die Jüngeren, die jetzt von ihnen, den Alten, lernen möchten? Wo die Begierigen, die nach vollbrachtem Tagewerk, während die weltliche Jugend auf mancherlei Art die Sinne berauscht, im stillen Kämmerlein sitzen, gebeugt über das Buch der Bücher, um Ihn besser kennen zu lernen und von Ihm zu lernen, und die dann mit überströmendem Herzen ihre Knie vor Ihm beugen? Wo sind sie, deren Jugend niemand verachtet (1. Tim. 4, 12), weil sie ein Vorbild der Gläubigen sind im Wort, im Wandel, in Liebe, im Glauben, in Keuschheit?

Wir lassen den Blick weiter schweifen in die Reihen der Jungfrauen, der jungen Schwestern, und fragen: Wo sind sie, die da gepriesen werden, weil sie Jehova fürchten? "Denn Anmut ist Trug und die Schönheit ist Eitelkeit." (Spr. 31, 30.) Welche Herzen sind ein Lust- garten von Granaten nebst edlen Früchten? (Lies Hohelied 4, 13 ff.) Auch an euch, ihr Töchter und Jungfrauen, ergeht die Bitte: Hütet sorgsam die kostbare Saat des Wortes Gottes in euren Herzen, traget jetzt schon die Früchte, so schön und vielerlei, damit die gesegneten Frauen und Mütter nie fehlen in unserer Mitte, "deren Söhne aufstehen und sie glücklich preisen, deren Mann sie rühmt: Viele Töchter haben wacker gehandelt, du aber hast sie alle übertroffen"; die ihre Hand ausbreiten zu dem Elenden und ihre Hände dem Dürftigen entgegenstrecken; die ihren Mund mit Weisheit auftun, und liebreiche Lehre ist auf ihrer Zunge. (Lies Sprüche 31, 10 bis Schluss.)

Das sind sie, auf deren Schoß und zu deren Füßen die Kleinen sitzen, lauschend gar lieblichen Berichten von Ihn" dem großen Kinderfreund, in deren Häusern "ein Lied zu Seiner Ehre" nichts Seltenes ist. Und bleibt ihnen nach göttlichem Willen Ehe und Familienglück versagt, so ziehen sie dennoch glücklich und zufrieden mit des Meisters Willen und Weg ihre Straße, eingedenk Seines Wortes: "Glückselig ist, wer irgend sich nicht an mir ärgern wird!" (Matth. 11, 6.) Wie sehen wir sie da oft in fremden Häusern anderer Lasten tragen, hier hilfreich zur Seite stehend, dort als Pflegerinnen Alter und Gebrechlicher, Einsamer, Kranker und Leidender einen gesegneten Dienst tuend! Schon in früher Jugend durch das Wort Gottes gebildet, haben sie nun reichlich Gelegenheit, die herrlichen Früchte des Geistes zu offenbaren. Selbst im Sonnenschein lebend, verbreiten sie überall Licht und Wärme um sich her.

Ihr lieben Leserinnen! möchtet ihr nicht, welchen Platz auch immer der Herr euch angewiesen haben mag, ihn in solcher Weise einnehmen?

Wie lieblich ist es, da und dort solche "Gesegnete Jehovas" zu sehen, ganz gleich, ob jung oder schon älter und welchen Geschlechts! Doch warum sind sie so besonders glücklich, vielleicht besonders begabt? Warum gab Gott ihnen besonderes Licht, besondere Weisheit? Wo wachsen solche Früchte? Auf dem Boden der Treue, "mitten auf den Steigen des Rechts"! Dadurch, dass sie hier standen und wandelten, wurden ältere, auch jüngere, von uns Gegangene und noch unter uns Lebende zu Führern, Dienern, gesegneten Werkzeugen, zu Unterwiesenen im Reiche Gottes; denn "das Geheimnis Jehovas ist für die, welche Ihn fürchten" (Ps. 25, 14), und: "Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt . . . und ich werde ihn lieben und mich selbst ihm offenbar machen". (Joh. 14, 21) Ist es darum nicht der Mühe wert, "mit Herzensentschluß bei dem Herrn zu verharren " (Apstgsch. 11, 23) und zu wandeln "mitten auf den Steigen des Rechts"? Und eins Lasst uns nicht vergessen als das Wichtigste:

Er ist's wert, ja, Er ist's wert,

dass man Ihn von Herzen ehrt.

"Wer wird steigen auf den Berg Jehovas, und wer wird stehen an seiner heiligen Stätte? Der unschuldiger Hände und reinen Herzens ist." (Ps. 24, 3. 4.) Wir kennen die eigentliche Bedeutung dieser Worte für den Überrest Israels in den kommenden Tagen; aber sie stehen auch für uns geschrieben. So wurde auch dem Hohenpriester Josua einst gesagt: "Wenn du auf meinen Wegen wandeln und wenn du meiner Hut warten wirst, so sollst du sowohl mein Haus richten als auch meine Vorhöfe behüten; und du sollst ein und ausgehen unter diesen, die hier stehen". (Sach. 3, 7.) Möchtest du also "gesegnet und zu einem Segen sein", so wandle "mitten auf den Steigen des Rechts" -"weiche nicht davon ab zur Rechten noch zur Linken", denn alsdann wird es dir gelingen, überall wohin du gehst. (Vergl. 5. Mose 5, 32. 33; 17, 11. 20; 28, 14; Jos. 1, 7; 23, 6; 2. Kön. 22, 2.)

Rechts und links von unserem Wege drohen uns Gefahren. Nur ein Wandeln " mitten auf den Steigen des Rechts" kann uns vor denselben schützen. Aber es gesellt sich so gern ein Feind im Gewande eines Freundes zu uns, der uns diese Vorsichtsmaßregel vergessen lassen möchte. Weißt du, wie er heißt ? Selbstvertrauen! Viele haben seiner einschmeichelnden Rede geglaubt und sind zu Fall gekommen. Sie hatten aufgehört, zu beten: "Bewahre mich, Gott, denn ich traue auf dich". (Ps. 16.)

Sage nur nicht, du seiest befestigt genug in der Wahrheit, um bewahrt zu bleiben vor den schädlichen Einflüssen dieser oder jener, mitunter recht zweifelhaften Lektüre, vor der Wirkung des leichten, oberflächlichen Charakters, oder gar der weltlichen Neigung deines "Freundes", vor der Gefahr des Besuchs dieses oder jenes Ortes. Lieber Freund! Wirf das Selbstvertrauen von dir und tausche es ein gegen jenes sorgfältige Wandeln in Abhängigkeit und Furcht, "mitten auf den Steigen des Rechts"!

Zwei einfache Begebenheiten mögen uns diese Wahrheiten tief ins Gedächtnis prägen.

Zwei Gläubige befinden sich auf dem Heimwege. Die Zeit ist vorgerückt, und dichte Finsternis umgibt sie. Der eine der beiden, ein gesegneter Zeuge des Herrn, wendet sich an seine Begleiterin, eine junge Schwester, mit den Worten: "Lass uns lieber mitten auf der Straße gehen, wir möchten sonst in den Straßengraben geraten".

"O nein, den Weg kenne ich ganz genau, ich gehe ihn oft!"

Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, da - -fand sie sich im Straßengraben wieder.

"Daher, wer zu stehen sich dünkt, sehe zu, dass er nicht falle." (1. Kor. 10, 12.)

Ein Herr in einem der Alpenländer suchte einen Kutscher. Auf sein Gesuch meldeten sich drei, welche zu persönlicher, gleichzeitiger Vorstellung vorgeladen wurden. Es dürfte den Lesern wohl allen bekannt sein, dass in den Alpen die Straßen oft an steilen Felswänden entlang führen, während auf der anderen Seite ein tiefer Abgrund zu größter Vorsicht mahnt. "Wie weit vom Abgrund entfernt fahren Sie noch sicher?" Mit dieser Frage wandte sich der Herr an den einen der drei. "Eine Handbreit entfernt", lautete dessen selbstbewußte Antwort. "In welcher Entfernung fahren Sie noch sicher?" fragte der Herr jetzt den zweiten. "Ein halbes Meter vom Abgrund entfernt." - "Und Sie?" - "So weit wie möglich", erwiderte der dritte. "Sie sind mein Mann", sagte der Herr einfach und übertrug ihm die begehrte Stelle.

Und nun Lasst mich fragen: Wer von uns wird von unserem himmlischen Herrn gebraucht werden können? Von wem wird Er am meisten Nutzen haben? Nicht von dem, der gelernt hat, nicht auf den Menschen zu vertrauen und nicht Fleisch zu seinem Arm zu machen und mit seinem Herzen nicht von Jehova zu weichen (Jer. 17, 5, denn wer das tut, der ist verflucht)? der gelernt hat, sich von der Gefahr, der Versuchung, der Sünde entfernt zu halten "so weit wie möglich" ?

Es würde uns zu weit führen, wenn wir noch eingehend über die in unserer Stelle verheißenen Segnungen reden wollten, über das Erben des "beständigen Gutes" und die "gefüllten Vorratskammern". Ich beschränke mich auf einige kurze Andeutungen, das "Sinnen" darüber dem Leser überlassend. Von wem allein können wir "erben", wer allein kann unsere Vorratskammern "füllen"? Er, der alles "besitzt", bezw. der alles in sich selbst "ist". Denn "wer hat Ihm zuvor gegeben, und es wird ihm vergolten werden? Denn von Ihm und durch Ihn und für Ihn sind alle Dinge; Ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit! Amen." (Röm. 11, 35. 36.) In Ihm sind die unerschöpflichen Quellen der Liebe und Gnade, der Güte und Huld, der Weisheit und Einsicht. "Aus Seiner Fülle empfangen wir alle Gnade um Gnade." Ja, "reichlich strömt für uns die Gnadenflut", von der einmaligen Gnadengabe des ewigen Lebens anfangend, in dem fortwährenden Empfang der Gnade für die täglichen Erfordernisse des Lebens sich fortsetzend, bis hin zu "der Gnade, die uns gebracht wird bei der Offenbarung Jesu Christi". (1. Petr. 1, 13.) Die Gnade erschöpft sich nie.

Sie ist, wie die Güte Gottes, "gewaltig über die, welche Ihn fürchten", und "jeden Morgen neu". Auch ist unser hochgelobter Herr nicht ein Mensch wie wir, deren Weisheit so bald "zu Ende ist", und deren Langmut und Geduld sich so schnell erschöpfen. Darum Lasst uns Ihn immer wieder "betrachten", "auf Ihn hinschauen"! Dann werden unsere Vorratskammern von selbst sich "füllen", wir werden "beständiges Gut" erben und mit dem Psalmisten ausrufen können: "Er hat die durstende Seele gesättigt und die hungernde Seele mit Gutem erfüllt". (Ps. 107, 9.)

Der Herr Jesus hat gesagt: "Ich bin gekommen, auf dass sie Leben haben und es in Überfluss haben". (Joh. 10, 10.) Nun kannst und sollst du "erfüllt" sein mit Heiligem Geiste (Apstgsch. 2, 4; 4, 8. 31 usw.; Eph. 5, 18), mit Glauben (Apstgsch. 6, 5), mit Gnade und Kraft (Apstgsch. 6, 8; Eph. 3, 16), mit Weisheit (Apstgsch. 6, 3. 10), mit aller Freude und allem Frieden, überreich in der Hoffnung (Röm. 15, 13), mit Trost und überströmender Freude selbst bei aller Drangsal, - wie beständig war dieses Gut bei dem Apostel, unabhängig von Zeit und Verhältnissen! (2. Kor. 7, 4) - mit aller Erkenntnis (Röm. 15, 14), mit aller Erkenntnis Seines Willens in aller Weisheit und geistlichem Verständnis (Kol. 1, 9), mit der Frucht der Gerechtigkeit (Phil. 1, 11), mit der Liebe Gottes, die in unsere Herzen ausgegossen worden ist (Röm. 5, 5) usw., usw. - Ja, die Breite und Länge, Tiefe und Höhe dieser Liebe und Weisheit Gottes ist uns in Christo erschlossen, "auf dass wir erfüllt sein mögen zu der ganzen Fülle Gottes". (Vergl. Eph. 3, 16.19.)

"Wie unaussprechlich ist die Gnad', wie reich die Segensfülle!" so rufen wir unwillkürlich aus, wenn diese Dinge vor unsere Seele treten. Sie alle - und es gibt ihrer noch mehr! - will Er uns geben, sie alle können in unseren Vorratskammern gefunden werden, so dass wir nicht nur selbst genug haben, sondern auch anderen mitteilen können. Wir bringen dann aus unserem Schatze Neues und Altes hervor. (Matth. 13, 52.) Unser Mund ist voll Lachens, und unsere Zunge voll Jubels. Denn wovon das Herz voll ist, fließt der Mund über.

Und indem unsere Vorratskammern mit geistlichen Gütern gefüllt sind, wissen wir zuversichtlich, dass unser Vater im Himmel auch in irdischer Hinsicht an alle unsere Bedürfnisse denkt, und dass Ihm nichts zu gering ist. "Mein Gott aber wird alle eure Notdurft erfüllen nach Seinem Reichtum in Herrlichkeit in Christo Jesu." (Phil. 4, 19.) Ja, noch mehr. In der Liebe Gottes ruhende, glückliche Herzen schaffen auch "offene Hände" und "fröhliche Geber", und indem man den Herrn ehrt mit seinen. Vermögen und den Erstlingen all seines Ertrags, füllen sich wiederum die Speicher mit Überfluss, und die Kufen fließen über von Most. (Spr. 3, 9. 10.) Das ist deutlich, nicht wahr?

Damit möchte ich meine Ausführungen über die gefüllten Vorratskammern schließen. Gott gebe, dass Schreiber und Leser solche Kammern haben, gefüllt mit allerlei bleibendem und beständigem Gut! Freilich sind zur nutz- bringenden Verwaltung dieser Güter noch verschiedene Stücke notwendig; ich nenne nur einige von ihnen, wie Einfalt, Demut, Abhängigkeit, Selbsterkenntnis und beständige Treue. Fehlen diese Stücke oder gehen sie dem Gläubigen wieder verloren, so kann es freilich sein, dass früher oder später auch der reiche Besitz verloren geht, dass sich das Licht in Finsternis, der Segen in Fluch verwandelt.

Möge uns denn das Wort: "mitten auf den Steigen des Rechts" begleiten unser Leben lang, möge es uns vor Augen stehen, wenn der Feind uns ins Ohr flüstert, wenn die Versuchung an uns herantritt, vielleicht gar in Gestalt eines Engels des Lichts! "Halte fest an der Unterweisung, laß sie nicht los, bewache sie, denn sie ist dein Leben." (Spr. 4, 13.) Umgeben von Mächten der Bosheit und Finsternis, pilgern wir auf dem "Pfade der Gerechtigkeit", aber vergessen wir nicht, dass es ein Pfad, ein schmaler Weg ist, zu dessen Rechten und Linken Abgründe gähnen. Sollen diese uns nicht zum Verhängnis werden, so müssen unsere Augen geradeaus blicken und unsere Füße nicht ausbiegen zur Rechten noch zur Linken. Sicher und geborgen sind wir nur mitten auf den Steigen des Rechts.

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Betrachtungen über den Propheten Hosea

Bibelstelle: Hosea 10

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 291ff

Kapitel 10. - Das zehnte Kapitel fährt ohne Unterbrechung mit dem gleichen Gegenstand fort. Die Verse 1-3 zeigen den Zustand Israels zur Zeit Hoseas im Gegensatz zu seinem Zustand im Anfang (Kap. 9,10). „Israel ist ein wuchernder Weinstock, der seine Frucht ansetzte". Gott hatte einst sein Ergötzen an Israel gefunden wie an „Trauben in der Wüste", obgleich es ohne Zweifel Gott sehr bald verlassen hatte, um dem Baal-Peor nachzugehen (9,10); doch jetzt war Israel (der Prophet spricht im besonderen von den zehn Stämmen) ein wuchernder Weinstock geworden, üppig in seiner Entwicklung, mit allen Anzeichen von Stärke, Macht und Lebenskraft, aber ohne irgend eine Frucht für Gott. Alle seine Frucht hatte es nur für sich selbst getragen (Vergl. Kap. 9,4). Die Christenheit bietet das gleiche Bild wie dieser wuchernde Weinstock. Sie wird uns unter dem Bilde eines großen Baumes gezeigt, der, aus einem kleinen Samenkorn hervorgegangen, mächtig genug ist, den Vögeln des Himmels und den Tieren des Feldes Schutz und Obdach zu gewähren. Aber wo ist seine Frucht für Gott (Mt. 13,32)? Ephraim hatte sein ganzes äußeres Gedeihen zur Vermehrung seiner Altäre verwendet. Es war auf die Aue gepflanzt worden (9,13), aber wozu hatte es die „Güte seines Landes" benutzt? Um die Bildsäulen zu verschönern (V. 1)! Doch Gott wird in Seinem Unwillen das ganze Gebilde des Götzendienstes zertrümmern. „Ja, nun", d. h. in dem Augenblick, wo der Prophet spricht, „werden sie sagen: Wir haben keinen König". Tatsächlich wissen wir, dass dem Erscheinen Hoseas, ihres letzten Königs, ein Zeitraum der Anarchie voranging, in welchem das schuldige Volk, das sich von Gott verlassen sah, sagte: „der König, was wird er für uns tun" (V. 3)?

V. 4 - 6. - „Sie haben eitle Worte geredet, falsch geschworen, Bündnisse geschlossen". Buchstäblich ist dies unter ihrem letzten König, Hosea, geschehen. Obwohl er ein Bündnis mit Salmaneser, dem König von Assyrien, geschlossen hatte, dem er einen falschen Eid leistete, suchte er in verräterischer Weise Unterstützung bei So, dem König von Ägypten (2. Könige 17,4-6). Ein ähnlicher Vorgang wiederholte sich viel später unter Zedekia, dem König von Juda, in Bezug auf den König von Babel (2. Chronika 36,13). - Daher: „wie ein Giftkraut in den Furchen des Feldes" wird das Gericht erscheinen und jede Hoffnung auf eine Ernte vernichten. Salmaneser rächte sich wegen des Verrats Hoseas, zog gegen die zehn Stämme herauf und belagerte ihre Hauptstadt Samaria. Was tut nun das Volk in Samaria angesichts des hereinbrechenden Gerichts? Es zittert „für ein Kalb", für den Götzen von Bethel, welchen Ort der Prophet in seiner Entrüstung „Beth-Awen", Haus der Nichtigkeit, nennt (Kap. 4,15; 5,8; 10,8). Ein Beth-Awen bestand tatsächlich zur Zeit Josuas. Bei der Festsetzung der recht engen Grenzen Benjamins wird es als eine Gegend der Wüste in der Nähe von Bethel erwähnt (Josua 18,12-13). Der Prophet jedoch gebraucht diese Bezeichnung, die man auch mit „Götzenhaus" übersetzen kann, um zu zeigen, was aus Bethel, dem Hause Gottes, geworden war. In Dan und Bethel war es, wo Jerobeam I. die goldenen Kälber errichtet hatte (1. Könige 12,29). Bethel war fortan eine wirkliche Wüste, ein Götzenhaus, eine Nichtigkeit, ein Abscheu für Gott, der es zu Seinem Hause gemacht und dort dem Jakob Seine Gnaden Verheißungen feierlich bestätigt hatte (1. Mose 28,19; 35,15). Das goldene Kalb hatte seine Priester, die ängstlich um dasselbe besorgt waren. Verschwand das goldene Kalb, so war jede Hoffnung auf ihren Gewinn dahin, ähnlich wie es später bei dem Aufruhr wegen der großen Diana der Epheser in Erscheinung trat. Der Ertragswert der Götzen spielte auch eine Rolle in der Trauer des Volkes. Sein Schatz, der Zeuge für sein äußeres Gedeihen und gleichzeitig sein Götze, wurde ihm entrissen, um zu Salmaneser, dem König Jareb jener Tage, dem Feinde Ephraims, gebracht zu werden.

„Dahin ist Samaria und sein König, wie ein Splitter auf des Wassers Fläche. Und die Höhen von Awen, die Sünde Israels, werden vertilgt werden; Dornen und Disteln werden über ihre Altäre wachsen. Und sie werden zu den Bergen sagen: Bedecket uns! und zu den Hügeln: Fallet auf uns" (V. 7. 8)! Diese Verse gehören in die Zeit von 2. Könige 17,4-6. Der Prophet berichtet, dass Hosea umkommen sollte, nachdem er in die Gefangenschaft weggeführt und von Salmaneser in Ketten gelegt worden war. Das alles stand nahe bevor, war jedoch noch zukünftig zur Zeit des Propheten. Der Götzendienst Ephraims sollte unter dem Angesicht der Himmel verschwinden. Dornen und Disteln sollten seine Altäre bedecken, und Bethel sollte wieder die Wüste von Beth-Awen werden. Das ist es noch heute.

Doch redet die Prophezeiung, wie immer, nicht nur von nahe bevorstehenden Ereignissen, sondern sie führt uns in eine zukünftige Zeit, wo das Gericht, nicht mehr als Folge des Götzendienstes, sondern als Folge der Verwerfung des Messias dieses schuldige Volk treffen wird. Das ist es, was der Herr den Töchtern Jerusalems ankündigte, als Er nach Golgatha hinausging: Töchter Jerusalems, weinet nicht über mich, sondern weinet über euch selbst und über eure Kinder, denn siehe, Tage kommen, an welchen man sagen wird: Glückselig die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht geboren, und die Brüste, die nicht gesäugt haben (Vergl. Hosea 9,11. 14)! Darin werden sie anheben, zu den Bergen zu sagen: Fallet auf uns! und zu den Hügeln: Bedecket uns! Denn wenn man dies tut an dem grünen Holze, was wird an dem dürren geschehen" (Lk. 23,28 - 31)? Das wird auch der Schreckensruf der Menschen sein, von den Königen bis zu den Sklaven, unter dem sechsten Siegel der Offenbarung, wenn sie sich verbergen werden vor dem Zorne des Lammes (Offenbarung 6,16. 17).

In den Versen 9 - 15 verbindet der Prophet erneut Juda mit Israel, als unter demselben Gericht befindlich. Gibea zeugt, wie wir weiter oben gesehen haben (9,9), von der Sünde Benjamins; der Prophet hebt aber hervor, dass „der Streit wider die Kinder des Frevels" nicht die Leute aus Israel getroffen hatte, die als Verteidiger der Gerechtigkeit auftraten (V. 9). Es wird jedoch eine Zeit kommen, wo Gott diejenigen züchtigen wird, die die Werkzeuge zur Bestrafung Benjamins waren. Juda und die zehn Stämme sollen an ihre beiden Sünden gebunden werden (V. 10). Miteinander werden sie dem Joche der Völker unterworfen werden: „Ephraim ist eine ans Joch gewöhnte junge Kuh, die zu dreschen liebt; und ich, ich bin über die Schönheit ihres Halses hergefahren: ich werde Ephraim einspannen, Juda soll pflügen, Jakob soll eggen" (V. 11). Sklaven werden sie sein, ein jeder in verschiedenen Umständen und Zeiten, um die Ernten der Fremden wachsen und gedeihen zu lassen!

Ach! war es nicht noch Zeit, „zur Gerechtigkeit zu säen, der Güte gemäß zu ernten, einen Neubruch zu pflügen", ein Leben zu beginnen, das aus einer neuen Geburt hervorgeht, und Gott zu suchen? (V. 12); Sobald Israel diesen Weg betreten wird, wird der Herr kommen wie der Regen und Gerechtigkeit über das so zubereitete Land bringen (Vergl. Kap. 6,3). Aber es ist unmöglich, dass ein solcher Segen hervorkomme ohne die Buße und Umkehr, die ihren Gott „Jehova, sucht".

Warum und für wen hatten Ephraim und Juda bis dahin gearbeitet? „Ihr habt Gesetzlosigkeit gepflügt, Unrecht geerntet, die Frucht der Lüge gegessen" (V. 13). Wie stets in Hosea, bringen die Bilder sozusagen die Gedanken hervor, und wir sehen, wie das Pflügen zu gleicher Zeit das Joch der Völker, die Sünde des Volkes und die Umkehr des Herzens zu Gott versinnbildlicht.

Bald jedoch werden alle Festungen Ephraims zerstört werden, „wie Schalman Beth-Arbel zerstörte am Tage des Krieges," d. h. wie Salmaneser, dessen Heer Samaria belagerte, ohne Zweifel Beth-Arbel auf furchtbare Weise zerstört hat, eine Feste, die nur an dieser Stelle genannt wird (V. 14).

Dieses Kapitel schließt mit den prophetischen Worten: „Mit dem Morgenrot wird Israels König gänzlich vernichtet sein" (V. 15). Mit dem König Hosea ging das Königtum über die zehn Stämme zu Ende. Es versank wieder in nichts, und nie mehr wird von ihm die Rede sein.

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Apostel und Hoherpriester

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 296ff

"Daher, heilige Brüder, Genossen der himmlischen Berufung, betrachtet den Apostel und Hohenpriester unseres Bekenntnisses, Jesum, der treu ist Dem, der Ihn bestellt hat." (Hebr. 3, 1. 2.)

Die Titel, die dem Herrn in dieser Stelle beigelegt werden - Apostel und Hoherpriester - bringen Ihn in besonderer Weise vor unsere Seelen. Sie umschließen gleichsam den weiten Kreis Seiner Geschichte, Seinen Weg aus der Herrlichkeit zu dem Staube der Erde, und von da wieder zurück zu dem Throne Gottes.

Als "der Apostel" (Gesandte) unseres, d. h. des christlichen Bekenntnisses im Gegensatz zu dem jüdischen, kam Er von Gott zu uns herab, und als "der Hohepriester" desselben Bekenntnisses ist Er für uns wieder zu Gott zurückgekehrt. Mose und Aaron waren im Alten Bunde gleichsam Gottes Apostel und Hoherpriester. Aber während Mose als Diener treu war in dem ganzen Hause Gottes, ist Jesus als Sohn über Sein Haus Dem treu, der Ihn bestellt hat. Er ist vom Himmel herabgekommen, um uns Gott zu offenbaren, um uns Sein Herz zu zeigen und die kostbaren Geheimnisse Seiner Liebe uns mitzuteilen. (Hebr. 1, 1-3; Joh. 1, 18; 2. Kor. 4, 6.) Es gibt viele Apostel im Neuen Testament, aber Er ist in ganz besonderem, nur Ihm eigenen Sinne der Apostel, der Gesandte Gottes. So ist Er uns gegeben.

Wenn der Sohn Gottes nicht gekommen wäre und zu uns geredet hätte, so würden wir Gott nicht kennen. Aber nun können wir, ewiglich sei Er dafür gepriesen! mit aller Bestimmtheit sagen: "Wir wissen, dass der Sohn Gottes gekommen ist und uns ein Verständnis gegeben hat, auf dass wir den Wahrhaftigen kennen". Wenn wir jetzt in den Evangelien den Herrn Jesus betrachten, wie Er uns dort durch den Heiligen Geist vor- gestellt ist, in der Reinheit, der Milde und dem Ernst Seines Wesens, in all der Freundlichkeit und Huld, die aus Seinen Worten und Werken hervorleuchteten, so können wir sagen: "Das ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben". Begleiten wir Jesum auf Seinen Gängen und sehen Ihn Gutes tun und heilen alle, die vom Teufel überwältigt oder durch Krankheiten beschwert waren, sehen wir Ihn Aussätzige heilen, der Blinden Augen auftun, der Tauben Ohren öffnen, die Hungrigen speisen, der Witwen Tränen trocknen, hören wir Seine wunderbaren Worte und sehen Ihn weinen am Grabe des Lazarus, um im nächsten Augenblick dem Tode zu gebieten, seine Beute herauszugeben, so können wir sagen: Das ist "Gott, geoffenbart im Fleische". Alle die herrlichen Dinge, die sich in dem Leben und Dienst des Apostels unseres Bekenntnisses gezeigt haben, waren der unmittelbare Ausdruck dessen, was Gott ist. Er war "der Abglanz Seiner Herrlichkeit und der Abdruck Seines Wesens".

Mein lieber, gläubiger Leser! Kennst du Stunden in deinem Leben, in welchen du in der heiligen Stille der Gegenwart Gottes darüber nachgesonnen, dich dahinein vertieft hast, was es ist, in der Person Jesu Christi eine solche Offenbarung Gottes zu besitzen, so dass wir Ihn kennen und uns in Ihm freuen können? Wir nennen Ihn "Abba, Vater" und wandeln in dem Lichte Seines Angesichts. Wir haben Gemeinschaft mit Ihm und Seinem Sohne Jesus Christus und kennen die Liebe Seines Herzens. Welch eine Fülle von Freuden! Wie könnten wir je den Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus genugsam preisen für die "Herrlichkeit Seiner Gnade", womit Er uns in den Kreis solcher Segnungen und Vorrechte hineingestellt und in solch innige Verbindung mit Ihm selbst und dem Sohne Seiner Liebe gebracht hat?

Derselbe, der als der Gesandte Gottes herniederkam, um Ihn unseren Seelen zu offenbaren, ist nunmehr als der Hohepriester Gottes zu Ihm zurückgekehrt, um sich dort allezeit für uns zu verwenden. Nachdem Er an dem, was Er litt, den Gehorsam gelernt hatte und, vollendet worden, allen, die Ihm gehorchen, der Urheber ewigen Heils geworden ist, hat Gott Ihn "begrüßt als Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks". (Hebr. 5, 8 - 10.) Er kam, um zu uns von Gott zu reden, und Er ist zurückgekehrt, um jetzt über uns mit Gott zu reden. Er erscheint allezeit in der Gegenwart Gottes für uns und trägt uns dort, wie einst Aaron die Namen der zwölf Stämme Israels, beständig auf Seinen starken Schultern und an Seinem liebenden Herzen. Er vertritt uns vor Gott, und durch Seine Bemühungen werden wir praktisch in der Stellung erhalten, in welche Sein Versöhnungswerk uns gebracht hat. Sein Priestertum ist die göttliche Vorsorge für unseren Pfad durch die Wüste. Geradeso wie wir in den Sachen mit Gott eines barmherzigen und treuen Hohenpriesters bedurften, "um die Sünden des Volkes zu sühnen", so haben wir im Blick auf unseren Zustand und Wandel einen großen Hohenpriester nötig, der stets für uns in der Gegenwart Gottes lebt.

Außer der eben genannten "Sühnung der Sünden des Volkes" werden im Hebräerbrief noch verschiedene andere kostbare Seiten des priesterlichen Dienstes Christi erwähnt. Die erste finden wir in Kap. 4, 14. 15: "Da wir nun einen großen Hohenpriester haben, der durch die Himmel gegangen ist, Jesum, den Sohn Gottes, so Lasst uns das Bekenntnis festhalten", - wir haben wahrlich keinen Grund, uns seiner zu schämen! - "denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht Mitleid zu haben vermag mit unseren Schwachheiten, sondern der in allem versucht worden ist in gleicher Weise wie wir, ausgenommen die Sünde".

Welch eine wunderbare Sache, zur Rechten der Majestät in der Höhe jemand zu haben, der Mitleid haben kann mit unseren Schwachheiten, der alles versteht, was uns drückt, der für und mit uns fühlt in allen unseren Übungen, Prüfungen und Schwierigkeiten; einen Menschen auf dem Throne Gottes zu wissen, mit einem vollkommen menschlichen Herzen, bei dem wir darauf zählen können, dass Er in Bezug auf alles unsere Bedürfnisse, Gefühle und Kämpfe kennt, da Er ja selbst in allem versucht worden ist, ausgenommen die Sünde! Wahrlich, keine menschliche Zunge, keine Feder ist imstande, den Trost und die Freude auszudrücken, die das Bewusstsein uns gibt, dass Derjenige, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden, jetzt für uns dort lebt und an allen unseren Begegnissen in einer Weise teilnimmt, wie kein irdischer Freund es vermag. O wenn wir nur mehr Glaubenseinfalt besäßen! Wie würden wir allezeit zu Ihm gehen und vor Ihm unser Herz ausschütten, wie wir es unserem vertrautesten Freund gegenüber nicht können, weil niemand uns so völlig versteht wie Er! "Denn worin Er selbst gelitten hat, als Er versucht wurde", -und worin hat Er nicht gelitten, worin ist Er nicht versucht worden? - "vermag Er denen zu helfen, die versucht werden." In Zeiten der Prüfung und Traurigkeit, wenn das Gewicht des Kummers, den Er allein voll und ganz kennt, das Herz zu zermalmen droht, ist es Seine Freude, uns Mut zuzusprechen und uns die schwere Last vom Herzen zu nehmen. Er bittet für uns, dass unser Glaube nicht aufhöre, "dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe".

Am Throne der Gnade - wer fasset dies Glück?

Begegnet uns, Jesu, Dein huldreicher Blick.

Ja, am Gnadenthron, auf welchem ein Gott und Vater sitzt, der "selbst uns lieb hat" (Joh. 16, 27), erblicken wir Jesum, den Menschen Jesus Christus, den Sohn Gottes, unseren großen Hohenpriester, in der ganzen Fülle und Kraft Seiner Liebe zu uns. Mit welch einer Freimütigkeit dürfen und sollten wir daher "hinzutreten"!

In Kap. 7, 25 lesen wir von einer weiteren Seite der priesterlichen Tätigkeit des Herrn, nämlich von Seiner nie aufhörenden Verwendung zu unseren Gunsten in der Gegenwart Gottes. Es heißt dort, im Gegensatz zu den Priestern des Alten Bundes, die sterblich waren und deshalb immer wieder ersetzt werden mußten: "Dieser aber, weil Er in Ewigkeit bleibt, hat ein unveränderliches Priestertum. Daher vermag Er auch völlig zu erretten die durch Ihn Gott nahen, indem Er immerdar lebt, um sich für sie zu verwenden." Welch ein starker Trost ist das für die "heiligen Brüder, die Genossen der himmlischen Berufung"! Das kann ihnen Gewissheit und freudige Zuversicht geben, allezeit "durch Ihn Gott zu nahen", selbst während sie hienieden noch in Schwachheit pilgern. Ihr großer Hoherpriester trägt ihre Namen beständig vor dem Throne Gottes auf Seinem Herzen.

Für uns gibt es nur einen Hohenpriester, nicht mehrere. Wie Er der Apostel unseres Bekenntnisses ist, so ist Er auch der Hohepriester, der einzige. Über Ihn hat der Tod keine Gewalt. Sein Priestertum ist ewig, unveränderlich. Wer könnte auch je an Seine Stelle treten, wer Ihn ersetzen? Er ist der Einzige, der durch Seine Liebe und durch Seinen Gehorsam bis m den Tod Gott verherrlichen und uns erretten konnte, und der nun, nachdem Er "eine ewige Erlösung erfunden" hat, "in den Himmel selbst eingegangen ist, um jetzt vor dem Angesicht Gottes für uns zu erscheinen". (Kap. 9, 12. 24.) Dort lebt Er immerdar, um sich für uns zu verwenden. Sollten wir daher auf dem Wege umkommen können trotz unserer nie endenden Bedürfnisse und Nöte? Nein, Er wird uns herrlich hindurchbringen bis ans Ende. Sind wir auch schwach, hilflos, ohne Ausweg - Er ist frei und mächtig, Seine Verwendung ist stark und wirksam. Wie Er Mitleid zu haben vermag mit unseren Schwachheiten, so vermag Er uns auch völlig (bis ans Ende hin) zu erretten. Göttliche Liebe und Gerechtigkeit verbürgen unsere ewige Sicherheit. Sie wirken gleichsam miteinander, um jeden der "heiligen Brüder" durch die Gefahren, Fallstricke und Versuchungen der Wüste hindurch sicher nach Hause zu bringen, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters. "Denn wenn wir, da wir Feinde waren, mit Gott versöhnt wurden durch den Tod Seines Sohnes, vielmehr werden wir, da wir versöhnt sind, durch Sein Leben gerettet werden." (Rom. 5, 10.)

Einer dritten Seite des priesterlichen Dienstes unseres Herrn begegnen wir in Kap. 13, 15, wo wir lesen: "Durch Ihn nun Lasst uns Gott stets ein Opfer des Lobes darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die Seinen Namen bekennen". Selbst dessen dürfen wir uns also getrösten, dass da Einer in Gottes Gegenwart ist, der unsere Opfer des Lobes und Dankes vor Gott bringt. Wie ermutigt uns das, allezeit diese "Frucht der Lippen" darzubringen, die Seinen Namen, den Namen Jesu Christi, bekennen! Um so mehr wenn uns gesagt werden kann: "Da wir nun, Brüder, Freimütigkeit haben zum Eintritt in das Heiligtum durch das Blut Jesu, auf dem neuen und lebendigen Wege, welchen Er uns eingeweiht hat durch den Vorhang hin, das ist Sein Fleisch, und einen großen Priester über das Haus Gottes, so Lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen, in voller Gewissheit des Glaubens"! Wohl mögen unsere Opfer in sich selbst recht armselig, schwach und unvollkommen sein, aber unser Hoherpriester weiß "das Köstliche vom Gemeinen auszuscheiden". Er nimmt diese Opfer und bringt sie Gott dar in dem vollen Wohlgeruch Seiner Person und Seines Werkes. Jede Bewegung des Herzens zu Ihm hin, jeder kleine Dienst der Liebe, jede "fröhlich" dargebrachte Gabe, alles steigt hinauf zu Gott, entkleidet von unserer Schwachheit und Unvollkommenheit und angetan mit der Vortrefflichkeit Dessen, der stets in der Gegenwart Gottes für uns tätig ist. Unwillkürlich gedenken wir hier an das Blech von "reinem Golde", das, an der Vorderseite des Kopfbundes Aarons befestigt, die Inschrift trug: "Heiligkeit dem Jehova!" und von dem wir lesen: "Und es soll auf der Stirn Aarons sein, und Aaron soll die Ungerechtigkeit der heiligen Dinge tragen, welche die Kinder Israel heiligen werden, bei allen Gaben ihrer heiligen Dinge; und es soll beständig an seiner Stirn sein, zum Wohlgefallen für sie vor Jehova". (2. Mose 28, 38.)

So ist es denn die Freude unseres großen und treuen Hohenpriesters, uns allezeit an dem Throne Gottes zu vertreten, an einen jeden von uns im besonderen zu gedenken in unseren täglichen Prüfungen und Kümmernissen, wie wenn wir der einzige Gegenstand Seiner Sorge wären, und Er an gar nichts anderes zu denken hätte. Wir schauen hinauf in den geöffneten Himmel und sehen dort den verherrlichten Menschen zur Rechten Gottes, Jesum, der einst hienieden gewandelt hat und in allem den Brüdern gleich geworden ist, "treu Dem, der Ihn bestellt hat". Mögen Seine gegenwärtigen Umstände sich auch sehr unterscheiden von denen, die in den Tagen Seines Fleisches Ihn umgaben, Sein Herz, Seine Liebe, Seine Macht, alles ist unverändert geblieben, ja, nicht nur unverändert, sondern es ist uns auch ohne alle Schranken und Hemmnisse zugewandt auf Grund Seines vollendeten Werkes. Er ist "derselbe gestern und heute und in Ewigkeit".

Das also ist "der Apostel und Hohepriester unseres Bekenntnisses", den wir "betrachten" sollen, das ist "das Bekenntnis", das wir ermahnt sind "festzuhalten". So haben wir alles in Ihm, was wir bedürfen: eine vollkommene Sühnung, ein vollkommenes Mitgefühl, verbunden mit Gnade zur rechtzeitigen Hilfe, eine vollkommen wirksame Fürbitte bis ans Ende unseres Pilgerlaufs und einen vollkommenen Zugang ins Heiligtum als solche, die jetzt "stets" (was früher nicht möglich war) Opfer des Lobes darbringen können, "geistliche Schlachtopfer, Gott wohlannehmlich durch Jesum Christum". (1. Petr. 2, 5.) Wahrlich, wenn man das alles sinnend überschaut, so möchte man mit dem Apostel, wenn auch in anderem Sinne, ausrufen: "Ich habe aber alles in Fülle und habe Überfluss"!

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Gedanken

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 304ff

Gott gibt eine Verheißung, der Glaube eignet sich dieselbe an, die Hoffnung genießt sie im voraus, die Geduld wartet ruhig auf ihre Erfüllung.

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Unglaube macht Gott zum Lügner, ja, zum Meineidigen, denn wenn Er nicht hielte, was Sein Wort verheißt, dann wäre Er ja nicht nur Seinem Worte untreu, sondern auch Seinem Eide. Lasst uns denn glauben und dann, weil wir glauben, beten, weil wir beten, erwarten, und indem wir erwarten, werden wir empfangen. Gesegnet ist, wer glaubt; denn es gibt eine Erfüllung dessen, was der Herr verspricht.

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Nur indem wir den Glauben üben, werden wir davor bewahrt, ihn zu verlieren. Die Übung stärkt den Glauben und verjagt zugleich den Unglauben, der Gottes mächtige Taten verhindert.

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Der Sohn Gottes selbst ist Gottes Gabe für uns. Wir besitzen Ihn, nichts weniger als Ihn. Er ist bei uns bis ans Ende. Das ist genug. Der Wind mag uns entgegen sein, und die Wellen mögen hoch gehen; aber Er ist bei uns. Wir mögen in uns selbst keine Quellen haben, um die Vielen zu weiden; aber Er ist bei uns. Wir mögen uns in ähnlichen Umständen befinden wie die Jünger, als sie vergessen hatten, Brote mitzunehmen; aber Er ist bei uns. Und wir werden bald bei Ihm in Herrlichkeit sein, wie Moses und Elias, und uns mit Ihm über Seinen Tod unterhalten.

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Zur Zeit, als der Herr im Begriff stand, gen Himmel zu fahren, sagte Er zu Seinen Jüngern: "Gehet hin in die ganze Welt und prediget das Evangelium der ganzen Schöpfung". (Mark. 16, 15.) Es ist eine beglückende Sache, dieses Gebot unseres Herrn zu befolgen in diesen letzten Tagen der Gnadenzeit, gestärkt durch Seine Liebe und durch das tröstliche Bewusstsein, dass Er mit uns ist.

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In diesen letzten Tagen ist alles trübe um uns her, und eine jede Seele trifft Bitterkeit. Aber unser Vertrauen stützt sich auf Den, in dessen Händen alle unsere Umstände sind, und der durch Seine Freundlichkeit das Bittere versüßt. Auch erinnert Er uns an die Kürze der Tage unserer Fremdlingschaft, und das lässt uns gleichfalls die Trübsale leichter erscheinen.

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Als Paulus und Silas gebunden im Kerker lagen, offenbarte der Herr Seine Macht vor den Augen Seiner Knechte und wirkte in den Herzen des Kerkermeisters und seiner Familie

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Man fragt oft, warum Gott zuweilen gerade über solche Gläubige so schwere Prüfungen kommen läßt, die Ihm offenbar nahe sind. Die Antwort ist: Gerade weil sie Ihm nahe sind, erlaubt Er Prüfungen, damit sie Ihm nahe bleiben. Irdische Könige schmücken die Brust treuer Soldaten mit allerlei Orden, den Zeichen ihrer Gunst und Gewogenheit, und so verleiht Gott Seinen treuen Kindern Trübsale und Leiden als Zeichen Seiner Liebe. Er weiß, wie schwach wir sind, und wie leicht äußere Segnungen und Ruhe uns schaden. Kaum war den Israeliten das gute Land beschrieben, so folgte sogleich die Ermahnung: "Hüte dich, dass du Jehovas, deines Gottes, nicht vergessest". (5. Mose 8.) Aber leider wurden ihnen die Segnungen zum Fallstrick: "Da ward Jeschurun fett und schlug aus ... er verließ den Gott, der ihn gemacht, und verachtete den Fels seiner Rettung". (5. Mose 32, 15.) Man sollte es kaum glauben, aber so ist das Herz zu aller Zeit und veranlaßt Gott, Bedrängnisse und Züchtigungen zu gebrauchen, heute wie damals. "In ihrer Bedrängnis werden sie mich eifrig suchen." (Hos. 5, 15.)

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Fragen aus dem Leserkreis

Bibelstelle: Matthäus 1,20

Botschafter des Heils in Christo 1925, S. 306

Die Anmerkung zu Matthäus 1, 20 (Elberfelder Bibel) lautet: „Herr“ ohne Artikel bezeichnet hier und an vielen anderen Stellen den Namen „Jehova“. Worauf gründet sich diese Anmerkung? Gilt dasselbe auch für das Wort „Gott“?

„Jehova“ = Ich bin, d. i. der Ewige, ist der Name den Gott sich beigelegt hat als Bundesgott Israels. In Verbindung mit Abraham nennt er sich der „Allmächtige“, in Verbindung mit dem Gläubigen der Jetztzeit „Vater“.

Nun gibt es eine sehr alte griechische Übersetzung des Alten Testaments die sogenannte „Septuagita“ = Siebenzig, weil 72 Gelehrte (einige Jahrhunderte vor der Geburt Christi) sie angefertigt haben sollen. In dieser ist der Name „Jehova“ oder eigentlich „Jahwe“, wo er vorkommt, stets mit „Herr“ ohne Artikel wiedergegeben, und weil diese griechische Übersetzung zur Zeit ist des Herrn Jesus und Seiner Apostel allgemein im Gebrauch war, sind die Schreiber des Neuen Testamentes diesem Vorbilde gefolgt.

So zum Beispiel Matthäus 2,19: Engel (des) Herrn = Engel Jehovas in sehr vielen Stellen des Alten Testaments; oder Matthäus 3,3: Weg (des) Herrn gleich Weg Jehovas im Alten Testament (Jesaja 40,3); oder Matthäus 22, 37: Du sollst (den) Herrn deinen Gott, lieben = Du sollst Jehova, deinem Gott lieben. (5. Mose 6, 5). Ähnlich ist es an vielen anderen Stellen.

„Gott“ ist der Name Gottes im absoluten Sinne, also ohne Bezugnahme auf irgendein besonderes Verhältnis, in das Er zu den Menschen getreten ist - der Schöpfer und Erhalter des ganzen Weltalls, „Licht“ und „Liebe“.

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Fragen aus dem Leserkreis

Bibelstelle: Lukas 15, 11 - 32

Botschafter des Heils in Christo 1925, S. 307

Wen meint Jesus mit dem „älteren Sohn“ in Lukas 15?

Der ältere Sohn ist ein Bild von Israel. Im Anfang des Kapitels murrten die Pharisäer und Schriftgelehrten über den Herrn und sagen: „Dieser nimmt Sünder auf und isst mit ihnen“. Diese selbstgerechten Leute konnten es nicht ertragen, dass der Herr sich mit Zöllnern und Sündern beschäftigte und sie links liegen ließ; mit anderen Worten: dass Gottes Liebe und Gnade sich den Armen und Verlorenen zuwandte, während sie leer ausgingen. Sie beschuldigten deshalb den Herrn, dass Er es mit der Sünde leicht nehme, sie gar gut heiße.

Was würden sie erst sagen, wenn Gott Seine Liebe zu den armen Heiden ausströmen lassen würde, die in weiter Ferne, losgelöst von Gott und allen Segnungen Seines Hauses, nur ihren Lüsten und Leidenschaften dienten? Die Juden (Gott nennt Israel Seinen „Erstgeborenen“) hatten Gottes Güte reichlich erfahren, aber es hatte nicht dazu gedient, sie zur Buße zu leiten, sondern in ihrer Blindheit und Herzenshärtigkeit stießen sie sich an dem Stein, den Gott in Zion, dem Berg der Gnade, gelegt hatte, und ärgerten sich über die Wege Seiner erbarmenden Liebe.

@@@ 308

Und dennoch

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 308

Und Dennoch!
Und dennoch! – Er war Gottes Sohn,

das Kindlein in der Krippen,

von welchem die Propheten schon

gezeugt mit heiligen Lippen.

Gott selbst, der Urquell allen Lichts,

Er kam und machte sich zu nichts,

ging hier in Knechtsgestalt einher,

und ward mein Heil. – Gelobt sei Er!

Gelobt sei Er!
Und dennoch! – Er war Gottes Sohn,

mein Heiland hochgepriesen!

Obgleich der Mensch mit Spott und Hohn

das Kreuz Ihm angewiesen.

Und hing Er zwischen Räubern gar,

umgeben von der Feinde Schar,

geschmäht von Satans finstrem Heer –

ich rufe laut: Gelobt sei Er!

Gelobt sei Er!
Und dennoch! – Er war Gottes Sohn,

mochte man ins Grab Ihn betten.

Mein Heiland mit der Dornenkron

zerbrach des Todes Ketten.

Die Erde erbebt, die Hüter dort

erschrecken – ei, der Stein ist fort!

Die dunkle Felsengruft ist leer.

Er lebt! Er lebt! – Gelobt sei Er!

Gelobt sei Er!
Und dennoch! – Er war Gottes Sohn,

mag auch die Welt Ihn hassen.

Gott hat Ihn auf des Himmels Thron

als König sitzen lassen.

Und freundlich ruft Er Sündern zu:

Kommt her zu mir, ich gebe euch Ruh.

O schauet Seiner Liebe Meer,

und stimmt mit ein:

Gelobt sei Er!
H. K.

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Ein Brot, ein Leib

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 309ff

"Denn ein Brot, ein Leib sind wir, die Vielen, denn wir alle sind des einen Brotes teilhaftig." (1. Kor. 10, 17.)

Ein Wort, das so allgemein bekannt ist, so oft angeführt wird, das so einfach zu sein scheint, und doch so verschiedenartig verstanden wird!

Beiläufig sei bemerkt, dass die ungleiche Auffassung wohl zum Teil ihren Grund hat in der nicht ganz einwandfreien Verdeutschung des zweiten Teiles des Satzes. Die aus der lutherischen Bibel herübergenommene Übersetzung: "wir alle sind des einen Brotes teilhaftig", entspricht dem Griechischen nicht genau; es sollte heißen: "wir alle nehmen teil an (oder: genießen von) dem einen Brote".*)*)

Dass der Apostel den Gläubigen in Korinth etwas besonders Wichtiges mitzuteilen hat, geht aus den einleitenden Worten hervor: "Ich rede als zu Verständigen; beurteilet ihr, was ich sage". Mag in diesen Worten auch ein leiser Vorwurf für die auf ihr Wissen stolzen Korinther liegen, so beweisen sie doch anderseits, dass der Apostel sich anschickt, ihnen eine Mitteilung von ungewöhnlicher Tragweite zu machen. Und so ist es in der Tat.

Selbstvertrauen ist bekanntlich immer eine Quelle der Gefahr. Darum: "Wer zu stehen sich dünkt, sehe zu, dass er nicht falle". (V. 12.) In Anbetracht der Tatsache, dass ein Götzenbild und das ihm Geopferte "nichts ist", meinten die klugen Korinther die Freiheit zu haben, sowohl Fleisch zu essen, das einem Götzen geopfert worden war, als auch im Götzentempel selbst an den Opfermahlzeiten teilnehmen zu dürfen. (Kap. 8, 10.) Aber der Apostel ermahnt sie feierlich: "Fliehet den Götzendienst!" Es genügt nicht, selbst nicht zu opfern, man muß auch jede Gemeinschaft mit solchen, die es tun, meiden, muss jede Berührung mit dem Bösen, jede Gelegenheit zum Fallen fliehen.

Dieser Gedanke führt den besorgten Apostel zu der ergreifenden Erinnerung an die Gemeinschaft, in die der Gläubige gebracht ist, und die in der Feier des Abendmahls ihren Ausdruck findet. Er fragt: "Der Kelch der Segnung, den wir segnen, ist er nicht die Gemeinschaft des Blutes des Christus? Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes des Christus?" (V. 16.) Das Blut Christi ist für uns geflossen, der Leib Christi für uns geopfert worden; und in die Gemeinschaft beider gebracht, geben wir dieser Tatsache dadurch Ausdruck, dass wir von dem Weine, dem Symbol des Blutes, trinken, und von dem Brote, dem Symbol des Leibes, essen. Der Gedanke ist so einfach und klar, wie er lieblich ist.

Wollen wir nicht dem Herrn von Herzensgrund dafür danken, dass Er uns eine Gelegenheit gegeben hat, wo wir uns dieser wunderbaren Tatsache nicht nur erinnern, sondern sie auch durch eine feierliche, wenn auch äußere Handlung bekräftigen können? Dass wir durch dieselbe Handlung auch "den Tod des Herrn verkündigen" (Kap. 11, 26), ist eine zweite, überaus bedeutungsvolle Tatsache; aber von ihr redet der Apostel an dieser Stelle nicht. Hier ist Gemeinschaft der leitende Gedanke, und zwar neben Gemeinschaft miteinander vor allem Gemeinschaft mit dem Blute und dem Leibe Christi. Persönlich hat ja der Gläubige nach Joh. 6, 53 ff. schon das Fleisch des Sohnes des Menschen gegessen und Sein Blut getrunken, indem er an Ihn, den Gekreuzigten, geglaubt hat - anders hätte er ja kein Leben in sich selbst -gemeinsam segnen wir jetzt den Kelch, und gemeinsam brechen*) wir, selbstverständlich wieder unter Danksagung, das Brot.

Der Apostel stellt hier den Kelch voran, einmal wohl deshalb, weil das Blut Christi als die Grundlage, auf der unser ewiges Heil beruht, die tiefste Bedeutung hat und das Herz am meisten bewegt, dann aber auch, um seine weiteren Belehrungen über den einen Leib unmittelbarer an das Brot knüpfen zu können: "Denn ein Brot, ein Leib sind wir, die Vielen". Er ruft so den Korinthern das öffentliche Symbol der christlichen Gemeinschaft ins Gedächtnis, um ihnen den belehrenden Vergleich mit den Friedensopfern Israels und den Opfern der Heiden verständlicher zu machen. In allen drei Fällen handelt es sich um Gemeinschaft. "Man steht", wie ein anderer bewährter Schreiber gesagt hat, "durch den Tisch, an welchem man teilnimmt, in Verbindung und Gemeinschaft mit dem, was darauf ist." Die jüdischen Anbeter traten dadurch, dass sie von den Schlacht oder Friedensopfern aßen, in Gemeinschaft mit dem Altar oder dem Tische Jehovas, auf welchem "das Brot" oder "die Speise" Jehovas dargebracht wurde. (Vergl. 3. Mose 3, 11; 21, 6; Hes. 41, 22; 44, 7. 16; Mal. 1, 7. 12.) Genau so die Heiden. Durch die Teilnahme an den Opfermahlzeiten gaben sie ihrer Verbindung mit den Götzenbildern, denen die Opfer dargebracht worden waren, Ausdruck, und hinter diesen Bildern verbargen sich "die Dämonen". (Vergl. 3. Mose 17, 7; 5. Mose 32, 17; Ps. 106, 37. 38.) Der heidnische Altar wird deshalb auch von dem Apostel der "Dämonen Tisch" und der bei dem Opfern gespendete oder getrunkene Wein der "Dämonen Kelch" genannt, ähnlich wie in Jes. 65, 11 den untreuen Juden vorgeworfen wird, dass sie dem Gad (Glücksgott) einen Tisch zugerichtet und der Meni (Schicksalsgöttin) einen Mischtrank eingeschenkt hätten. Wir verstehen deshalb die heilige Entrüstung des Apostels bei dem Gedanken, dass die Korinther einerseits am Tische des Herrn teilnehmen und anderseits "Genossen der Dämonen" werden wollten, indem sie sich an den Opfermahlzeiten in den heidnischen Tempeln beteiligten. Das : "Ich will aber nicht" in Vers 20 und das: "Ihr könnt nicht" in Vers 21 zeigen die tiefe Bedeutsamkeit der Sache und den Ernst des Apostels. Oder wollten die Korinther wirklich den Herrn "zur Eifersucht reizen" wie Israel es einst getan hatte (5. Mose 32, 16 u. a. St.), indem sie Seinen heiligen Tisch mit dem Tisch der Dämonen in Verbindung brachten? Meinten sie wirklich, dem Herrn trotzen zu können? "Sind wir etwa stärker als Er?" Mit anderen Worten: Ist Er so machtlos, dass wir Ihn ungestraft verächtlich behandeln könnten? Darum. "Ich will aber nicht, dass ihr Gemeinschaft habt mit den Dämonen. Ihr könnt nicht - d. h. es ist ganz ausgeschlossen, eine sittliche Unmöglichkeit - des Herrn Kelch trinken und der Dämonen Kelch, ihr könnt nicht des Herrn Tisches teilhaftig sein und des Dämonen-Tisches". Wenn die tatsächliche Möglichkeit, die beiden Dinge miteinander zu verbinden, nicht vorgelegen hätte, wozu dann die ernste Warnung des Apostels? Warum die tiefe Besorgnis, die sich in seinen Worten kundgibt? Beides wäre zweck- und gegenstandslos gewesen.

"Ihr könnt nicht!" Ganz ähnlich würde man heute sagen können : Ihr, die ihr Jesum Christum als euren Heiland angenommen und erkannt und geglaubt habt, welch ein Opfer dargebracht werden musste, um euch von der Welt zu erlösen, ihr könnt nicht wiederum der Welt euch zugesellen, die euren Herrn, den Geliebten eurer Herzen, ans Kreuz geschlagen hat und Ihn immer noch bitter hasst und verachtet. Es ist eine Unmöglichkeit, so etwas zu tun! Und doch lehrt die Erfahrung, dass leider schon oft der traurige Versuch gemacht worden ist, zwei so entgegengesetzte, unvereinbare Dinge miteinander zu vereinigen. Die Besorgnis des Apostels galt auch nur den Korinthern in der besonderen Lage, in der sie sich befanden: "Ich will nicht, dass ihr Gemeinschaft habt mit den Dämonen. Ihr könnt nicht des Herrn Kelch trinken und der Dämonen Kelch usw." Sie standen in dieser besonderen großen Gefahr. Vor und nachher sagt er immer "wir".

Doch kehren wir zu Vers 17 zurück. "Ein Brot, ein Leib sind wir, die Vielen; denn wir alle nehmen teil an dem einen Brote". Wenn das Blut die wärmsten Gefühle und ernstesten Gedanken in dem Herzen des Gläubigen weckt, so weist das Brot auf die innigst mögliche Gemeinschaft mit dem Leibe Christi hin, zunächst mit dem wirklichen Leibe, der für uns in den Tod gegeben wurde, und im weiteren Sinne mit dem geistlichen Leibe, dessen Glieder wir geworden sind, und von dem der Apostel nachher in Kapitel 12 so ausführlich redet. Aus Vers 17 folgt ohne weiteres, dass ausschließlich Gläubige an Kelch und Brot Anteil haben, zugleich aber auch dass alle, die des Herrn sind, grundsätzlich ein Anrecht an Seinen Tisch besitzen. Dass ein Unbekehrter oder ein Heuchler in Unwissenheit oder Leichtfertigkeit an dem Mahle teilnehmen kann, ist klar, aber ebenso klar ist es, dass der Charakter desselben alle solche als nicht dahin gehörend ausschließt, und dass sie durch ihr Tun eine ernste Verantwortung auf sich laden, ähnlich wie der Gläubige, der in unwürdiger Weise ißt und trinkt, des Herrn Züchtigung über sich bringt. (Kap. 11, 29.)

Ich wiederhole: Das Brot, das wir brechen, ist also zunächst das Bild des für uns geopferten Leibes Christi; und wir brechen es, um es in dem Zustand vor unser aller Augen hinzustellen, in welchem der Herr es einst den Seinigen gegeben hat. "Er brach das Brot und gab es Seinen Jüngern." Es ist also ein gebrochenes Brot, von dem wir essen, ein ausgegossener Kelch, aus dem wir trinken - beides redende Symbole von der Tatsache, dass wir an einem gestorbenen Christus teilhaben, dessen Blut für uns geflossen ist. Ist die Trennung von Leib und Blut an und für sich schon ein ausdrucksvolles Bild von dem Tode, so weist doch jedes der beiden Teile auch für sich selbst auf diesen Tod hin.

Aber warum betont der Apostel so ausdrücklich, dass es nur ein Brot ist, von dem wir essen? Vorher spricht er doch nur von dem Brote, das wir brechen. "Ein Brot, ein Leib sind wir, die Vielen." Er geht in seiner Belehrung, wie schon angedeutet, von dem wirklichen Leibe Christi zu dem geistlichen über, und deshalb kann dieser naturgemäß nur in einem, und zwar zunächst ungeteilten Brote seine bildliche Darstellung finden. Indem wir, die Vielen, alle von diesem einen Brote gemeinsam essen, bringen wir zum Ausdruck, dass wir, wie ein Brot, so auch ein Leib sind. Bilden wir in dem einzelnen Falle auch immer nur einen kleinen Teil, ein Bruchstück des Ganzen, so handeln wir doch in dem Bewusstsein, dass wir mit der Gesamtheit der Gläubigen eine Einheit, einen Leib bilden. Darum sagt der Apostel hier auch nicht, wie nachher, "ihr", sondern "wir, die Vielen", indem er sich und andere miteinschließt.

So hat der Herr uns denn in Seinem Mahle nicht nur eine Gedächtnisfeier an Ihn, eine Verkündigung Seines Todes gegeben, sondern auch eine kostbare Gelegenheit, um unsere Zugehörigkeit zu dem einen Leibe, unsere ewige Einheit mit allen Miterlösten des gegenwärtigen Haushalts, öffentlich kundzutun. Wollen wir uns nicht immer wieder von ganzem Herzen darüber freuen, dass wir uns auch heute noch, denn Gottes Gedanken können sich niemals verändern, einfach als Glieder des einen Leibes Christi zusammenfinden und am Tage unseres Herrn, an Seinem Tische, das herrliche Vorrecht genießen dürfen, nicht nur Seiner zu gedenken, sondern auch, soweit es an uns liegt die Gedanken Gottes über "Christum und Seine Versammlung" zu verwirklichen? Um das wirklich tun zu können, bedarf es freilich nicht nur der Gewissheit, errettet zu fein, und eines persönlich guten Gewissens, sondern auch eines geistlichen Verständnisses über jene Gedanken; denn nur so kann das Herz weit bleiben, nur so wird es bewahrt vor sektiererischen Neigungen und Lieblosigkeiten andersdenkenden Gläubigen gegenüber. Nicht als ob ein bestimmtes Maß von geistlichem Verständnis geboten wäre, um an dem Mahle des Herrn überhaupt teilnehmen zu können. Keineswegs! Aber je besser man Gottes Gedanken in dieser Beziehung erkennt, desto verständnisvoller wird die Anbetung, desto reicher der Genuss und desto weiter das Herz.

Ist es nicht kostbar, am ersten Tage der Woche, am Auferstehungstage unseres Heilandes, mit Ihm in der Mitte, vor dem liebenden Auge des Vaters am "Tische des Herrn" versammelt sein und hier in sichtbarer Weise*) der Einheit Ausdruck geben zu dürfen, die Er gemacht hat, und die am Pfingsttage durch das Herniederkommen des Heiligen Geistes besiegelt worden ist? Ist es nicht ein unsagbar großes Vorrecht, so für eine Stunde die furchtbare Zerrissenheit vergessen zu dürfen, die durch den Eigenwillen des Menschen, durch unsere Untreue, herbeigeführt worden ist, und sich anbetend versenken zu können in Gottes unveränderlichen Ratschluss - "das Geheimnis des Christus", wie der Heilige Geist es in Eph. 3 nennt -, nach welchem wir "alle Heiligen", die ganze Versammlung des lebendigen Gottes, in unseren Herzen umfassen dürfen, wie groß oder klein die Zahl derer jeweils auch sein mag, die das Vorrecht erkennen und verwirklichen?

Nicht wahr? ihr lieben Geschwister, schon oft haben wir, bei aller Unvollkommenheit und Schwachheit unserseits, die Seligkeit solcher Stunden erfahren dürfen, wenn "Dem, der über alles hinaus zu tun vermag . . " nach der Kraft, die in uns wirkt", Herrlichkeit und Ehre dargebracht wurde "in der Versammlung, in Christo Jesu". Der Feind möchte uns diese Gnade rauben, aber der Herr erhalte sie uns und bewahre uns alle treu darin, bis Er kommt!

Fußnoten

*) Die neueren Übersetzer haben denn auch fast ausnahmslos den Satz so wiedergegeben.

*) nicht "essen"; dazu kommen wir erst im nächsten Verse. Hier handelt es sich, in Wechselbeziehung zu dem Segnen des Kelches, um das Brechen des Brotes, das dem Essen vorangeht.

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Abija, König von Juda

Bibelstelle: 1. Könige 15; 2. Chronika 13

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 317ff

Nach der Teilung des Reiches Israel (unter Rehabeam) wurde der sittliche und religiöse Zustand in beiden Reichen fortgesetzt niedriger. Der Götzendienst der angrenzenden Länder fand mehr und mehr Eingang. Das Abweichen Salomos von den Geboten Jehovas offenbarte seine schrecklichen Auswirkungen. Unter seinem Sohne Rehabeam setzte sich der Niedergang fort, bis endlich Jehova ihn und sein Volk in die Hand Sisaks, des Königs von Ägypten, geben musste. Welch ein Wandel in so kurzer Zeit! Alle Schätze des Hauses Jehovas und des königlichen Palastes, "ja, alles" (1. Kön. 14, 26) fiel in die Hände des heidnischen Herrschers. So fand die Herrlichkeit Salomos, welche einst die Bewunderung der Königin von Seba hervorgerufen hatte, ein trauriges Ende. Die Leuchte Davids schien dem Erlöschen nahe.

Ein noch größerer Verfall vollzog sich m dem Zehnstämmereich, unter Jerobeam, dem Sohne Nebats.

Dieser gottlose König, dessen Übertretungen mit dem stets wiederkehrenden Ausdruck: "die Sünden Jerobeams" bezeichnet werden, verleitete das Volk zu maßloser Abtrünnigkeit, indem er in Dan und Bethel zwei goldene Kälber aufstellte, die er als die Götter bezeichnete, welche Israel einst aus Ägypten heraufgeführt hätten. (Kap. 12, 28 ff.) Durch seine Anordnungen raubte er dem Volke Israel die kostbaren Segnungen der Anbetung in der Stadt Davids, im Hause Jehovas. Auch baute er Höhenhäuser und bestellte sich Priester aus allem Volk "zu den Höhen und zu den Böcken und zu den Kälbern, die er gemacht hatte". (2. Chron. 11, 15.) Wir können deshalb verstehen, dass gegenüber der Treue Davids, die so oft als Maßstab für das Zeugnis späterer Könige Erwähnung findet, die Gottlosigkeit Jerobeams immer wieder als Gradmesser der Untreue in der Geschichte beider Königreiche angeführt wird.

Der durch Jerobeam angeordnete Götzendienst ist oft in Vergleich gestellt worden zu dem, was man in unseren Tagen den Menschen als "Gottesdienst" vorführt. Und in der Tat, wenn man Moralpredigten, ohne Gehalt für die Seele, hält, wenn man über Ethik und Ästethik spricht, ja, selbst Konzerte in den sogenannten "Gotteshäusern" anberaumt, und - weil man Gott und Christo fern steht - allerlei Menschentun und Menschenwerk verherrlicht, so kann man den Vergleich verstehen. Man versperrt mit diesen Dingen wirklich Tausenden und Millionen den Weg zum Kreuz, indem man ihnen auch goldene Kälber errichtet und mit den Worten anpreist: "Seht, das sind die Götter, die uns wieder aufrichten und einer glücklichen Zukunft entgegenführen können!"

Wie bewunderungswürdig ist angesichts der beklagenswerten Geschichte Israels die unendliche Langmut Gottes und Seine unwandelbare Treue selbst denen gegenüber, die Seine Ehre schändeten und Seinen Namen verunehrten! Mochten sie Ihn auch durch ihre Sünden zur Eifersucht reizen und Ihm zur Ausübung schwerer Gerichte Anlaß geben, Seine dem David verheißenen Segnungen blieben fest.

Auf Rehabeam folgte Abija oder Abijam als König über Juda. Auch er wandelte nach 1. Könige 15, 3 auf bösen Wegen, "in allen Sünden seines Vaters". Weiter heißt es: "Sein Herz war nicht ungeteilt mit Jehova, seinem Gott, wie das Herz seines Vaters David". Dieser Hinweis ist besonderer Beachtung wert. Obwohl auf bösen Wegen wandelnd, erkannte Abija dennoch Jehova als seinen Gott an und diente Ihm. Beklagenswerter Zustand! Der Gott, der seinen Vorfahren in solch bewundernswerter Langmut und Güte ein Führer gewesen war und sie mit Segnungen überschüttet hatte, ja, der ihm selbst das sein wollte, was Er dem David gewesen, besaß nicht sein ungeteiltes Herz. Armer Mann! Nur drei Jahre regierte er zu Jerusalem, der Stadt Davids. Hat Gott die Zahl seiner Jahre so kurz bemessen, um ihn vor weiteren Sünden zu bewahren? Wir dürfen es fast annehmen. Aber welch ein Verlust für ihn! Wie hätte er ein so liebliches Zeugnis sein können in treuem Wandel mit ungeteiltem Herzen! Wie wäre Gott gerade durch ihn, den aus treulosem Elternhause Entsprossenen, besonders verherrlicht worden, wie es später im Leben Hiskias, des Sohnes eines Ahas, zu gewahren ist, von dem es heißt: "Er handelte mit ganzem Herzen, und es gelang ihm"! (2. Chr. 31, 21.)

In 1. Könige 15, 1 - 8 steht das Leben Abijas, gemäß dem Charakter dieses Buches, unter dem Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit vor Jehova, während wir im Buche der Chronika, dem Buche der Gnade, kein tadelndes Wort über ihn finden, wenn auch von keinem Zeugnis seinerseits für Jehova etwas zu lesen ist.

Abija eröffnete den Krieg mit Jerobeam, dem König von Israel. Aus welchem Grunde, wird uns nicht gesagt; nur hören wir, dass schon zwischen Rehabeam und Jerobeam "die Kriege immerfort währten". Jerobeam stellte sich in Schlachtordnung gegen Abija auf. Der Kriegsschauplatz lag im Gebiet des Zehnstämmereiches, im Gebirge Ephraim. Dass Abija, der König von Juda, Jerobeam entgegenstand, spricht eher für ihn, als wenn er, wie später König Josaphat mit Ahab, ein Schutz- und Trutzbündnis mit ihm geschlossen hätte.

Auf dem Berge Zemaraim wendet sich Abija mit folgenden Worten an Jerobeam: "Höret mich, Jerobeam und ganz Israel! Solltet ihr nicht wissen, dass Jehova, der Gott Israels, das Königtum über Israel dem David gegeben hat ewiglich, ihm und seinen Söhnen durch einen Salzbund?" - Dann führt er das Wort "Söhne Belials" in richtiger Anwendung an und nennt seinen Vater, den König Rehabeam, einen Jüngling schwachen Herzens. Er wirft Jerobeam vor, dass er auf die von ihm errichteten goldenen Kälber vertraue, und ruft ihm und seinem Volke die schwere Sünde ins Gedächtnis zurück, dass sie die Priester Jehovas, die Söhne Aarons, und die Leviten verstoßen und sich Priester gemacht hätten wie die Völker der Länder.

Dagegen kann er von sich und seinem Volke sagen: "Wir aber - Jehova ist unser Gott, und wir haben Ihn nicht verlassen, und Priester, Söhne Aarons, dienen Jehova, und die Leviten sind in ihrem Geschäft". Und nachdem er all die einzelnen Verrichtungen, das Opfern, Räuchern, Lampen anzünden usw., aufgezählt hat, endigt er mit den Worten: "Denn wir warten der Hut Jehovas, unseres Gottes; ihr aber habt Ihn verlassen. Und Gott ist mit uns an unserer Spitze und Seine Priester und die Lärmtrompeten, um Lärm zu blasen wider euch. Kinder Israel! streitet nicht wider Jehova, den Gott eurer Väter; denn es wird euch nicht gelingen!"

O König Abija und du, Volk von Juda, wie gut wäre es gewesen, wenn eure Worte der Wahrheit entsprochen hätten! Rein äußerlich betrachtet, war es ja so, aber die Worte des Königs beweisen die erschreckende Blindheit seines Herzens. Die Sünden des Gegners fanden schärfste Verurteilung, aber die eigenen Übertretungen wurden übersehen. An deren Stelle wähnte der König die Vorrechte seiner Abstammung und seine vermeintliche Anhänglichkeit an Jehova und Seine Gebote setzen zu dürfen. Ach, wie ganz anders lautet das Urteil Gottes über ihn: "Und er wandelte in allen Sünden seines Vaters, die er vor ihm getan hatte, und sein Herz war nicht ungeteilt mit Jehova, seinem Gott, wie das Herz seines Vaters David"!

Was Abija dem König von Israel vorwarf, beruhte an sich auf Wahrheit, aber war er dazu berufen, dies hervorzukehren, und sich selbst so hinzustellen, als wenn er die Anerkennung der Bewährung in den Augen seines Gottes gefunden hätte? Seine Worte lesen sich gut, zeugen von der Gesetzes- und Geschichtskunde des Königs, zeigen uns auch, wie weitgehend er über die Wege Jehovas mit Seinem Volke unterrichtet war, aber - es sind nur tönende Worte, Worte ohne Gefühl über den Zustand des eigenen Herzens und über die Heiligkeit Gottes. Die äußeren Formen des Gottesdienstes waren offensichtlich von ihm beibehalten worden, aber - und das ist entscheidend - sein Leben ermangelte der persönlichen Treue gegen Gott. Was nützt aber alles äußere Anhangen an religiösen Formen und Satzungen, wenn das Herz erkaltet ist und der Fuß auf Pfaden der Sünde wandelt?

Der Name des Königs Abija fehlt in der Reihe der treuen Könige von Juda. Gott musste ihn beurteilen, wie Er jeden sündigen Menschen beurteilt. Offenbar war ihm kein Götzendienst nach Art der Verfehlungen Jerobeams nachzuweisen, als einzige Stätte des Gottesdienstes galt ihm Jerusalem, der Tempel Salomos; aber -o dieses schwerwiegende "Aber"! - Gott konnte ihn nicht zu den Bewährten zählen. Vielleicht können wir auf ihn und sein Volk die Worte anwenden, die in Offenbarung 3 der Kirche von Sardes zugerufen werden: "Du hast den Namen, dass du lebst; aber du bist tot". Sardes hält am äußeren Bekenntnis fest, aber sein Dienst für Gott und für Seinen Christus ist kalt und leer, ohne Leben und Kraft.

Noch einmal: Welch ein bedauernswerter Zustand! Die schönen Worte Abijas hatten vor Gott keinen Wert, da sie mit seinem Wandel nicht in Übereinstimmung standen. Wenn er mit seinem Volke sich immer noch reicher Segnungen erfreute, so fanden diese ihren Ursprung in David, dem treuen, Gott wohlgefälligen König, und gründeten sich auf die ihm gegebenen Verheißungen. Und wenn Jehova später in König Asa, seinem gottesfürchtigen Nachfolger, "eine Leuchte in Jerusalem gab", so geschah das wiederum nur um Davids willen.

In der ganzen Rede Abijas finden wir nicht ein Wort, mit dem er die Hilfe Jehovas, seines Gottes, angerufen hätte. In seiner Selbstgefälligkeit und in der Meinung, dass Gott mit ihm und seinem Volke sein müsse, weil er äußerlich noch an Ihm festhielt, konnte ihm und seinem Volke darum auch kein Heil im Kampfe, keine Gnade zuteil werden. Selbst seine Aufforderung an Israel, nicht wider Jehova, den Gott ihrer Väter, zu streiten, war hohl und kraftlos. Er sagt zwar: "es wird euch nicht gelingen"; aber wie hätte Gott Gelingen und Erfolg einem hochmütigen und seinen bisherigen bösen Wandel nicht verabscheuenden König zuteil werden lassen können? Erst dann, Abija, wenn du auf deinem Angesicht liegst und zu Gott schreist, wirst du Erhörung finden!

In 2. Chron. 13, 13 lesen wir, dass Jerobeam sein Heer eine Umgehung machen ließ, um Abija und seinem Volke in den Rücken zu kommen. So sah sich Juda von vorn und hinten angegriffen. So eingeengt, kam endlich für Abija und sein Volk der Augenblick, in dem sie in Wirklichkeit ihre Zuflucht zu Jehova nahmen. "Sie schrien zu Jehova, und die Priester bliesen mit den Trompeten", und Gott gedachte ihrer nach Seiner Verheißung und errettete sie von ihren Feinden. (4. Mose 10, 9.) Auch Abija schrie jetzt inmitten seines Volkes um Hilfe und Erbarmen. Angesichts der drohenden Vernichtung erkannte er seine Abhängigkeit von Jehova, und die Selbstgefälligst wich einem Gebrochensein vor der Größe Gottes. Das Kriegsgeschrei der Männer von Juda erfolgte im Glauben, und, wie wunderbar! Jehova, ihr Gott, lohnte das Vertrauen durch eine augenblickliche Hilfe: "da schlug Gott Jerobeam und ganz Israel vor Abija und Juda". So musste Abija erkennen, dass nur die Gnade Gottes es war, die ihm den Sieg verlieh.

Dieser Sieg erwies sich als so vollständig, dass "die Kinder Israel gedemütigt wurden zu selbiger Zeit; aber die Kinder Juda wurden stark, weil sie sich auf Jehova, den Gott ihrer Väter, gestützt hatten". Welch ein gütiger, langmütiger Helfer ist Gott! Mag der Glaube sich auch nur in Schreien und Rufen offenbaren, Gott erkennt ihn an, selbst nach Zeiten großer Treulosigkeit. Abija durfte mit seinem Volke die Wahrheit der Worte erproben: "Sie schreien, und Jehova hört, und aus allen ihren Bedrängnissen errettet Er sie".

Mit diesem Siege Abijas war eine Vergrößerung des Zweistämmereichs verbunden. Unter den eroberten Städten befand sich auch Bethel, die dem treuen Israeliten so wichtige Stadt, deren Name durch den Bilderdienst Jerobeams so sehr entweiht worden war. Hier hatte Jakob einst geweilt und den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt, als Denkmal errichtet und den Ort Haus Gottes: "Bethel", genannt. Hier war ihm, nach seiner Rückkehr aus Paddan-Aram, Gott, der Allmächtige, wieder erschienen und hatte ihm den Segen Abrahams geschenkt. Es ist daher nicht bedeutungslos, dass Abija diesen Ort für sein Reich gewann. Hätte der Besitz der Stätte, an der sein Vater Jakob das Gelübde, seinen Weg mit Jehova zu gehen, abgelegt hatte, ihn nicht daran mahnen sollen, sich nun auch mit ungeteiltem Herzen für Jehova zu entscheiden?

Und noch eine andere große Bedeutung ist wohl der Eroberung Bethels durch Juda beizumessen. Gott wollte den zehn Stämmen in Gnaden den Weg nach Jerusalem, der Stätte der wahren Anbetung, wieder öffnen. Schon einmal waren "aus allen Stämmen Israels die, welche ihr Herz darauf richteten, Jehova, den Gott Israels, zu suchen", den von Jerobeam verstoßenen Priestern und Leviten gefolgt (vergl. 2. Chron. 11, 13-17). Werden jetzt andere den Ruf beachten und den Weg nach Jerusalem zurückfinden? - Ich überlasse es dem Leser, die Anwendung dieser "Belehrung" des Alten Testaments auf unsere Zeit zu machen.

Jerobeam, der König, der sein Volk fündigen machte, behielt keine Kraft mehr in den Tagen Abijas. Er starb, durch Jehova geschlagen, während Abija erstarkte.

Der Name Abijas steht, wie gesagt, nicht unter denen der Getreuen, die in den Wegen Davids wandelten. Aber dennoch, Jehova war sein Gott, und Er hat sich zu ihm bekannt, als er mit seinem Volke am Tage der Bedrängnis zu Ihm schrie und Erhörung fand.

Wir können deshalb in seiner Geschichte die Treue Gottes an einem schwachen und selbst törichten Manne bewundern, dieselbe Treue, die am Tage der Bedrängnis auch unser Teil ist und bleiben wird. Lasst uns denn von ihm lernen, dass nicht das Rufen zu Gott um Hilfe und Erbarmen am Tage der Bedrängnis uns als die Getreuen des Herrn kennzeichnet, sondern ein ganzes, ungeteiltes Herz für Gott und jene Stetigkeit des Glaubens, die zu allen Zeiten unwandelbar und treu auf Seinen Wegen zu wandeln begehrt. Harren wir noch eine kleine Weile aus, um dann, nach einem vielleicht mühevollen, aber reich gesegneten Leben, als Sieger und Überwinder von Ihm begrüßt zu werden, der da kommt und nicht verzieht!

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Wachet

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 326ff

Eine und dieselbe Sache kann uns zu einer Gelegenheit werden, den alten oder den neuen Menschen zu offenbaren. Darum ist es so nötig, zu "wachen". Da kommt es z. B. vor, dass der Gläubige gescholten, bedrückt, verleumdet, oder dass ihm geflucht wird. Wie dient es dann zur Verherrlichung des Herrn, wenn er wacht und, gleich seinem Herrn, "gescholten, nicht wiederschilt, leidend, nicht droht, sondern sich Dem übergibt, der recht richtet"! (1. Petr. 2, 23.) Ja, es kann und wird oft beiden Teilen zum Segen gereichen; wie umgekehrt zum Unsegen, wenn der Gläubige nicht wacht.

Die Flüche und Steinwürfe eines Simei brachten bei David Worte hervor, wie die folgenden: "Mag er fluchen! denn wenn Jehova ihm gesagt hat: Fluche David! wer darf dann sagen: Warum tust du also? . Lasst ihn, dass er fluche; denn Jehova hat es ihn geheißen. Vielleicht wird Jehova mein Elend ansehen, und Jehova mir Gutes erstatten dafür, dass mir geflucht wird an diesem Tage." (2. Sam. 16, 10-12; vergl. Klagel. 3, 37. 38.) So ging David als Sieger aus der Versuchung hervor; sie fand ihn am rechten Platz. Für einen Abisai dagegen 326 konnte die Erinnerung an dieses Ereignis in späteren Tagen nur beschämend sein, denn er hatte hinübergehen wollen, um dem Flucher "den Kopf wegzunehmen".

Etwas ähnliches wie bei Abisai sehen wir bei den Jüngern in Luk. 9. Vom Herrn in ein Dorf der Samariter gesandt, um dort für Ihn zuzubereiten, fanden sie keine Aufnahme, "weil Sein Angesicht nach Jerusalem hin gerichtet war". Da offenbart sich bei Jakobus und Johannes derselbe Geist wie einst bei dem Schwestersohne Davids, indem sie sprachen: "Herr, willst du, dass wir Feuer vom Himmel herabfallen und sie verzehren heißen, wie auch Elias tat?" - "Er wandte sich aber um und strafte sie und sprach: Ihr wisset nicht, wes Geistes ihr seid. Und sie gingen nach einem anderen Dorfe." (V. 51 - 56.)

Wie belehrend sind beide Fälle für uns! Wie schwer fällt es uns oft, zu sagen: "Lasst ihn!" oder: "Wir wollen hinweggehen"! Anlässe, die sich uns bieten, als ein "Brief Christi" dazustehen, "gekannt und gelesen von allen Menschen", werden uns zu Gelegenheiten, den Namen unseres Herrn zu verunehren, und unseren Gegnern, ihn zu lästern. Warum? Weil wir nicht gewacht haben! Anders würden die Worte unseres Herrn und Meisters Beachtung gefunden haben: "Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Auge um Auge und Zahn um Zahn. Ich aber sage euch: Widerstehet nicht dem Bösen, sondern wer irgend dich auf deinen rechten Backen schlagen wird, dem biete auch den anderen dar; und dem, der mit dir vor Gericht gehen und deinen Leibrock nehmen will, dem lass auch den Mantel. Und wer irgend dich zwingen wird, eine Meile zu gehen, mit dem gehe zwei." Und: "Liebet eure Feinde, segnet die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, und betet für die, die euch beleidigen und verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters seid, der in den Himmeln ist; denn Er lässt Seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte" (Matth. 5, 38 - 41. 43 - 45).

Diese Worte sind uns gut bekannt. Die meisten von uns könnten sie wohl auswendig hersagen. Aber haben sie je einen solch tiefen, bleibenden Eindruck auf uns gemacht, dass wir sie gar nicht wieder loswurden? Haben wir sie uns so eingeprägt, dass sie unser ganzes Verhalten bestimmen? Das "Ich aber sage euch!" unseres Herrn ist ernst und bestimmt. Aber geht es uns nicht auch oft wie dem Abisai, der durch die Worte und das Verhalten seines Herrn, des Königs, nichts gelernt hatte? Als nämlich David nach Jerusalem zurückkehrte, kommt Simei ihm reumütig entgegen mit den Worten: "Mein Herr wolle mir keine Verschuldung zurechnen; und gedenke nicht, wie dein Knecht sich vergangen hat an dem Tage, da mein Herr, der König, aus Jerusalem zog, dass der König es zu Herzen nehme" usw. (2. Sam. 19, 19. 20.) Und Abisai? Noch ehe David ein Wort erwidern konnte, ruft er zornig: "Sollte nicht Simei dafür getötet werden, dass er dem Gesalbten Jehovas geflucht hat?" (V. 21.) Nichts als Rachegefühle erfüllten sein Herz. Doch was hat göttliche Gnade mit menschlicher Rache zu tun? was die vergebende Liebe Gottes mit der Unversöhnlichkeit des Menschen? was der Geist mit dem Fleische, der neue Mensch mit dem alten? "Denn das Fleisch gelüstet wider den Geist, der Geist aber wider das Fleisch; diese aber sind einander entgegengesetzt, auf dass ihr nicht das tuet, was ihr wollt." (Gal. 5, 17.) Darum: "Was haben wir miteinander zu schaffen, ihr Söhne der Zeruja, dass ihr mir heute zu Widersachern werdet?" (V. 22.) "Und der König sprach zu Simei: Du sollst nicht sterben." (V. 23.)

Welche Gegensätze in der Gesinnung Davids und Abisais! Ist es nicht beschämend für uns, die wir Gottes Gnade und die Gesinnung Christi besser kennen, als jene Männer sie kennen konnten, dass wir so viel mehr dem Abisai gleichen als dem David? Wie schnell sind wir zum Reden, zum Zorn, zum Urteilen, zum unbedachten, fleischlichen Handeln! "Daher", so ruft uns Jakobus mahnend zu, "meine geliebten Brüder, sei jeder Mensch schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn. Denn eines Mannes Zorn wirkt nicht Gottes Gerechtigkeit." (Jak. 1, 19. 20.)

Wie Abisai redeten und handelten auch die Jünger bei der Gefangennahme des Herrn. "Als aber die, welche um Ihn waren, sahen, was es werden würde, sprachen sie zu Ihm: Herr, sollen wir mit dem Schwerte dreinschlagen?" (Luk. 22, 49.) - Und ohne die Antwort des Herrn abzuwarten, "schlug einer aus ihnen den Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm das rechte Ohr ab". So sprachen die Jünger, und so handelte ein Petrus. Passte nicht in jenem Augenblick auch auf sie das Wort: "Ihre Füße sind schnell, Blut zu vergießen"? (Rom. 3, 15.) Schnell sind wir geneigt, unserer alten Natur zu folgen. Wie unendlich besser wäre es, wenn wir mit dem Psalmisten sagen könnten: "Ich habe geeilt und nicht gesäumt, deine Gebote zu halten". (Ps. 119, 60.)

Wie redete und handelte unser Herr zu jener ernsten Stunde? "Lasset es so weit", so lauteten Seine Worte; "und Er rührte sein Ohr an und heilte ihn", das war Sein Tun. - Anbetungswürdiger Herr, laß uns dir ähnlich werden!

"Soll ich schlagen, soll ich schlagen, mein Vater?" sprach einst der König von Israel zu Elisa, als die Syrer in Samaria vor ihm standen. Doch der, der ein so schönes Vorbild von unserem Herrn ist, sprach: "Du sollst nicht schlagen. . . . Setze ihnen Brot und Wasser vor, dass sie essen und trinken, und dann zu ihrem Herrn ziehen." (2. Kön. 6, 21. 22.)

Darum:

Wenn man dich hasst, so liebe doch,

Wenn man dir flucht, so segne noch1

Es soll in allem, was ihn trifft auf Erden,

Der Christ gesegnet und zum Segen werden.

@@@@@@ 330

Du bist der Gott meiner Stärke

Bibelstelle: Psalm 43

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 330ff

Der 43. Psalm gehört zu einer Reihe von Gesängen, die den Söhnen Korahs zugeschrieben werden. Sie versetzen uns in die Zeit des Endes, und zwar einerseits in die Leiden und Kümmernisse des treuen Überrestes aus Israel unter dem Antichristen, und anderseits in seine Freude und Herrlichkeit in Zion, wenn Israel unter seinem großen König wieder "das Haupt" (und nicht, wie jetzt, "der Schwanz") der Nationen sein wird. In unserem Psalm tritt ganz besonders der böse Charakter des "Gesetzlosen", des "Mannes des Trugs und des Unrechts", hervor. Neben dem "lieblosen" Tun der Masse des ungläubigen Volkes lasten die Bedrückungen dieses Feindes schwer auf dem Überrest. Sein Herz ist gebrochen, und in der Not seiner Seele wendet er sich in abgerissenen Worten einmal an Gott, einmal an seine eigene Seele.

In ganz ähnlicher Weise kann sich auch heute die Bedrängnis des Gläubigen unter dem Druck der Umstände äußern. Wenn da zu den äußeren Schwierigkeiten noch betrübende Erfahrungen hinsichtlich der Menschen, vielleicht gar bittere Enttäuschungen von Freunden und Brüdern treten, so kann es dahin kommen, dass man auch fragt: "O Gott, hast du mich verworfen? (V. 2.) Hast du mich nicht mehr lieb? Hast du gar Freude an meiner Not? O warum muss ich so einhergehen? Antworte mir, mein Gott!" - Aber oft antwortet Gott nichts. Zuweilen sagt Er auch: "Was ich tue, weißt du jetzt nicht". Doch hernach erfolgt dann die Lösung des Rätsels.

Eins ist gewiss: Verstehen wir Gottes Tun auch nicht immer, so wissen wir doch, dass hinter der schlagenden Hand ein liebendes Herz ist. Es ist sicherlich nur Liebe, wenn Er uns wie Ton auf die Drehscheibe legt. Das Drehen und Formen mag schmerzlich sein, aber es geschieht nur zu unserem Heil und zu Seinem Ruhm. In solchen Zeiten knüpfen wir das Ankertau fester an den Thron der Gnade, die Hoffnung wird lebendig, und wir regen die Flügel des Glaubens schneller der Heimat zu. Regenschauer machen das Gras grün, der Winter bereitet den Sommer vor. Dabei wollen wir nicht vergessen, dass auch die größte Dunkelheit nicht ohne einen Strahl der göttlichen Gnade ist. Zum Regenbogen gehört ja auch nicht nur Sonnenschein - da braucht es Wolken und Regen, vielleicht Sturm. Und der Herr sagt: "Wenn ich Wolken über die Erde führe, so soll der Bogen in den Wolken erscheinen". (1. Mose 9, 14.)

In der Zeit des Dunkels klammert sich der Psalmist mit Gebetsarmen an Gott. So gefällt es Gott. Seine Rute will uns nicht von Ihm weg, sondern zu Ihm hin schlagen. Die Wogen des Kummers und des Leidens treiben uns in Seine mächtigen Arme, und dort finden wir Trost und Kraft, so dass wir sagen können: "Du bist der Gott meiner Stärke . . ich werde dich preisen mit der Laute". Der Psalmist bittet: "Sende dein Licht und deine Wahrheit; sie sollen mich leiten". (V. 3.) So gelangen auch wir zu den "Wohnungen" Gottes, zu Seinem "Altar", und lernen Ihn mitten im Leide als den Gott kennen, "der unsere Jubelfreude ist". (V. 4.) Mag uns auch alles genommen werden, Er bleibt, unsere Seele sättigt sich an Ihm, und wir können zu ihr sagen: "Was beugst du dich nieder, meine Seele, und was bist du unruhig in mir? Harre auf Gott!" (V. 5.)

@@@@@@

Das wahrhaftige Licht

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 1925, Seite 332ff

Du, Herr, bist Licht! Von Finsternis umfangen,

bin lange ich dahingegangen,

friedlos und lastbedrückt;

Bis mir zum ewigen Gewinn

Dein göttlich Gnadenlicht erschien

und mich der Finsternis entrückt.

Du, Herr, bist Licht! Drum sollen auch die Deinen

als Lichter hier auf Erden scheinen,

von Deinem Licht erfüllt.

Du Himmelslicht, du Himmelsglanz,

durchstrahle meine Seele ganz

und präg in mich dein göttlich Bild!

Du, Herr, bist Licht! In deinem Lichte wandeln,

ist Seligkeit und Kraft zum Handeln,

wie es dir wohlgefällt.

Du bist das Licht, durchleuchte mich,

damit mein Wandel preise dich,

Du wunderbares Licht der Welt!

G.H.

*) der einzig möglichen, wie schon oft bemerkt worden ist.


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