Botschafter des Heils in Christo 1860

01/25/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger
Inhaltsverzeichnis: Botschafter des Heils in Christo 1860 Seite
Und habe ich denn nichts zu tun? 1
Der Friede mit Gott und der Friede Gottes 4
Das gute Teil   (Luk. 10, 38—42)  8
Die glückselige Hoffnung 11
Gedanken über den Jakobusbrief Teil 1/3 15
Warum seufze ich? 21
Ich habe den Herrn gesehen 33
Nur Jesus und Seine Liebe 35
Gedanken über den Jakobusbrief Teil 2/3 36
Der Friede des Heiligtums 41
Eine schlaflose Nacht 44
Vollkommene Liebe 48
Gedanken über den Jakobusbrief Teil 3/3 51
Finden nach vielen Tagen 60
Die gesegnete Stellung des Christen 61
Ich will wieder kommen 65
Der Mann Gottes zu Bethel 68
Unser Leib, ein Tempel des Heiligen Geistes 70
Das Werk des Heiligen Geistes in Irland Teil 1/2 73
Der Kapitän und der Quadrant 75
Vollkommene Gnade 79
Macht ihn los und lasst ihn gehen 81
Leben durch den Tod Teil 1/5 85
Das Werk des Heiligen Geistes in Irland Teil 2/2 90
Die Kraft und der Wert des Namens Jesu 98
Freut euch mit mir 97
Die Einheit mit Christus 99
Der Jünger des Herrn zur bösen Zeit 101
Leben durch den Tod Teil 2/5 104
Anbetungswürdige Liebe! 116
Abraham und Lot Teil 1/3 121
Leben durch den Tod Teil 3/5 134
Mitteilungen über das Werk Gottes 138
Abraham und Lot Teil 2/3 141
Leben durch den Tod Teil 4/5 156
Abraham und Lot Teil 3/3 161
Der aus dem Feuer gerettete Brand 170
Leben durch den Tod Teil 5/5 175
Mitteilungen über das Werk Gottes 179
Das Manna 181
Das Geheimnis unserer Kraft 186
Davids Flucht nach Ziklag 194
Mitteilungen über das Werk Gottes 197



ACHTER JAHRGANG 1860 Herausgegeben von • C. BROCKHAUS, ELBERFELD * NEUDRUCK 1951 HEUAUSGEBER ERNST PAULUS, NEUSTADT AN DER WEINSTRASSE 

I N H A L T S V E R Z E I C H N I S Seite

„Und habe ich denn nichts zu tun?" 3 

Der Friede mit Gott und der Friede Gottes . . . 6

 Das gute Teil 10 

Die glückselige Hoffnung 13 

Gedanken über den Brief des Apostels Jacobus . . 18 

Warum seufze ich? 38

„Ich habe den Herrn gesehen und dies hat er zu mir gesagt" 50

 Nur Jesus und Seine Liebe! 52 

Der Friede des Heiligtums 53 Eine schlaflose Nacht 57 

Vollkommene Liebe 61 „Du wirst es finden nach vielen Tagen" . . . . 64 

Die gesegnete Stellung des Christen 65

 „Ich will wieder kommen" 70 

Der Mann Gottes zu Bethel 73 

Wisset ihr nicht, daß euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist? 78 

Das Werk des Heiligen Geistes in Irland . . . . 80 

Der Captain und der Quadrant 89 

Vollkommene Gnade 90 

„Macht ihn los und laßt ihn gehen" 94 

Leben durch den Tod 99 

Die Kraft und der Wert des Namens Jesu . . . .12 1

 „Freuet euch mit mir!" 123 

Die Einheit mit Christo 124 

Der Jünger des Herrn zur bösen Zeit 128 

Anbetungswürdige Liebe! 140 

Die Berufung Gottes oder: Betrachtung der Charaktere Abrahams und Lots 141 

Mitteilungen über das Werk Gottes in unseren Tagen 180 

Der aus dem Feuer gerettete Brand 183 

Mitteilungen über das Werk Gottes in unseren Tagen 188 

Das Manna 190 

Das Geheimnis unserer Kraft 198 

Davids Flucht nach Ziklag 204 

Mitteilungen über das Werk Gottes in unseren Tagen 208 

„Und habe ich denn nichts zu tun?" Das war der nachdrückliche und wiederholte Ausruf einer armen sterbenden Frau. Ihre Seele war in einem Zustand, der leider nicht selten gefunden wird. Und in der Hoffnung, daß die einfache Geschichte von dem Gnadenweg Gottes mit ihr auch vielen anderen zum Segen gereichen möge, teile ich dieselbe mit. Selbstbetrug ist eine gefährliche Sache und doch nicht ungewöhnlich. 

Und deshalb sollten wir es nie versäumen, durch einfache und treue Mitteilung der Wahrheit in der Abhängigkeit von Gott, die Seelen womöglich davon zu befreien. Die hier erwähnte Frau hatte ihr siebzigstes Lebensjahr erreicht. Sie stand jetzt nahe am Ende ihrer langen Reise, war aber noch unwissend im Wege des Heils. Nachdem ich einige allgemeine Fragen an sie gerichtet und mich mit dem wirklichen Zustand ihrer Seele ein wenig bekannt gemacht hatte, führten wir ungefähr folgendes Gespräch: „Haben Sie Hoffnung von dieser Krankheit wieder besser zu werden?" „O nein!" antwortete sie. „Ich bin eine alte Frau und habe in meinem ganzen Leben viele und harte Arbeiten verrichtet. Ich kann nicht wieder besser werden in d i e - se r Welt.

" „Denken Sie denn auf ihrem Lager dort viel über die z u k ü n f t i g e ? " „O ja; das ist es, was ich jetzt tue. Ich bete fast Tag und Nacht." „Es freut mich, dies zu hören. Doch wollen Sie mir wohl sagen, um was Sie hauptsächlich bitten?" „Ich flehe zu dem» Allmächtigen, daß Er meine Sünden vergeben möge. Ich weiß, daß ich ihrer viele habe." „Sind Sie denn sehr bekümmert zu wissen, ob sie alle vergeben sind oder nicht?" „Das bin ich in der Tat. Ich habe über nichts anderes mehr zu denken, als zu dem Allmächtigen zu flehen, daß Er mir alles vergeben möge." 3 „Und glauben Sie, daß Er es tun wird?" 

Ö ja. Ich bin gewiß, daß mir, seitdem ich gebetet habe, schon viele meiner Sünden vergeben sind; aber ich weiß auch, daß sie mir noch nicht alle vergeben sind, deshalb fahre ich fort, zu Ihm zu beten." „Es ist sicher für uns arme Geschöpfe eine köstliche Sache, stets zu Gott, der uns allein helfen kann, unsere Zuflucht nehmen zu können; doch würde es ganz verkehrt sein, wenn wir aus unseren Gebeten einen Heiland machten. Christus ist der alleinige Heiland oder Erretter von Sünden. Und denken Sie doch, für welch eine Menge haben Sie zu bitten, die Sünden von siebzig langen Jahren! Wie groß muß die Zahl sein, welche Sie in dieser Zeit begangen haben! Und bedenken Sie auch, daß Sie über jede einzelne von ihnen mit Gott zu reden haben, wenn es nicht ein anderer für Sie tut. Und dann frage ich Sie: Erwarten Sie wirklich, daß I h r e G e b e t e Gott zufrieden stellen werden, den Sie in einer Reihe von siebzig Jahren beleidigt und gegen den Sie in all dieser Zeit gesündigt haben?"

 „O nein. Ich weiß, daß der Heiland für unsere Sünden gestorben ist, und wir die Verheißung haben, daß, wenn wir bitten, auch empfangen sollen; aber wir müssen doch darum bitten." „Ganz recht; aber wie lange, denken Sie, würden Sie noch zu bitten haben, bis alle Ihre Sünden vergeben sind? .. . Und lehrt uns nicht auch die Heilige Schrift ganz ausdrücklich, daß der verlorene Sünder, wenn er in Wahrheit sein Vertrauen allein auf das Opfer Christi und nicht auf seine Gebete setzt, wirklich Vergebung hat? Und vergibt Gott einem Sünder, so tut Er es ganz und nicht halb. Wenn wir durch Glauben allein auf den Tod Jesu vertrauen, so haben wir vollkommene Vergebung, mögen wir es wissen oder nicht. Gott tut alles vollkommen." Die arme Frau war über diesen so wichtigen Punkt in einer traurigen Dunkelheit. 

Sie hörte aber mit großer Aufmerksamkeit zu, und die Worte schienen einen tiefen Eindruck bei ihr zurückzulassen. Als ich ihr einige Stellen aus der Heiligen Schrift vorgelesen hatte, war ihr Sinn augenscheinlich auf das Wort Gottes gerichtet und von demselben angezogen. Dies war besonders bei solchen Stellen, wie in Apostelgeschichte 13, 38-39 der Fall, wo der Apostel beweist, daß der Tod und die Auferstehung Christi der alleinige Grund der Vergebung ist, und daß Gott nur denen vergibt, welche in Wahrheit an Seinen Sohn glauben. „ Und habe ich denn nichts zu tun ?

 " rief sie aus. 

 „Nein, Sie haben nichts zu tun , nur zu g l a u b e n . Der gesegnete Jesus hat a l l e s getan. Er hat das ganze Werk unserer Errettung vollbracht. Er hat alles getan, was Gott forderte; und jetzt verlangt Gott nichts mehr von uns, als nur zu glauben, was Jesus getan hat, und uns in dem vollkommenen und vollendeten Werk Seines geliebten Sohnes zu erfreuen. Das Wort Gottes sagt ausdrücklich, daß wir allein durch den Glauben an den Herrn Jesum Vergebung haben, und nicht durch unsere Gebete oder sonst etwas, „So sei es euch denn kund, Männer, Brüder! daß durch Diesen (Jesus) euch die Vergebung der Sünden verkündigt wird. Und von allem, wovon ihr in dem Gesetz Moses nicht gerechtfertigt werden konntet, ist in diesem jeder Glaubende gerechtfertigt." Hier sehen Sie, daß der Apostel in der Mitte einer Versammlung von Juden zu Antiochien aufstand und allen — ohne Ausnahme — eine völlige und freie Vergebung ankündigte. Und alle in jener Versammlung, welche diese frohe Botschaft glaubten, hatten augenblicklich Vergebung und waren gerechtfertigt .

 Und daß sie es waren, sagte ihnen das einfache Wort Gottes; und der Glaube an dies Wort gab ihren Herzen auf der Stelle Trost und Gewißheit. Beachten Sie wohl, daß der Apostel hier kein Wort von dem Tun, sondern von dem Glauben redet. Alle, die das, was er über Jesum und die Auferstehung gepredigt hatte, wirklich glaubten, hatten in demselben Augenblick Vergebung, waren gerechtfertigt und für immer errettet. Und wenn S i e jetzt dieselbe gute Botschaft glauben und auf den auferstandenen und verherrlichten Jesus allein vertrauen, so werden auch Sie vollkommene Vergebung haben und auf ewig errettet sein. Sie haben nicht nötig, bis morgen zu warten. In diesem Augenblick wird Ihnen die gute Botschaft verkündigt und in diesem Augenblick sind Sie aufgefordert — wie groß auch Ihre Sünden sein mögen — zu glauben, daß Christus für Sie gestorben und auferstanden ist und alle Ihre Sünden für immer beseitigt hat. Gott Selbst erklärt, „daß er gerecht sei und d e n rechtfertige, der des Glaubens an Jesum ist" (Röm. 3, 26). Die Einfachheit des Evangeliums machte ihr für den Augenblick Bedenken; und wiederum rief sie mit Verwunderung und Erstaunen aus: „ Und habe ich denn nichts zu tun? " Der Apostel sagt: „ Alle, welche glauben, haben Vergebung und sind gerechtfertigt .

 " Und das ist genug. Wir dürfen nicht anders reden wie der Apostel. Es sind Gottes eigene Worte von den Lippen Seines 5 Knechtes. Deshalb denken Sie doch nie mehr an Ihre Gebete oder sonst etwas, als ein Mittel zur Vergebung. Glauben Sie nur zuversichtlich dem Worte Gottes, preisen Sie Ihn für Seine Gnade und flehen Sie zu Ihm, daß Er Sie leiten möge, stets auf Jesum zu schauen. Setzen Sie all Ihr Vertrauen auf Ihn, und auf das Werk, welches Er für arme hilflose Sünder auf dem Kreuze vollbracht hat. „Sein Blut allein reinigt von a l l e r Sünde." Sobald Sie glauben, sind Sie auch abgewaschen in dem Blut Jesu, bekleidet mit der Gerechtigkeit Gottes und für den Himmel geschickt gemacht. Die schwere Bürde Ihrer Vergehungen während der langen Reihe von siebzig Jahren wird ganz und gar hinweggenommen sein, und Sie werden für Ihr müdes Herz in Ihm Erleichterung und Ruhe finden. Ehe ich sie verließ, konnte ich den Herrn für den Zustand ihrer Seele preisen. Sie war tief bewegt. Ihr Gewissen schien in dem Lichte des Wortes Gottes zu sein. Als ich mich an der Tür umwandte, um ihr noch ein teilnehmendes Wort zu sagen, wiederholte sie noch einmal mit tiefer Bewegung: „Und habe ich denn nichts zu tun ? " Dies waren die letzten Worte, welche ich von ihr hörte. Einige Tage nachher war sie in Jesu entschlafen. Sie hatte aber denen, welche sie noch besucht hatten, ernstlich bezeugt, daß sie in Betreff ihrer Annahme bei Gott nicht auf ihre Gebete rechne, sondern nur auf den Herrn Jesum Christum, den Heiland der Sünder, Dessen kostbares Blut uns von a l l e r Sünde r e i n i g e (1. Joh. 1, 7). 

Der Friede mit Gott und der Friede Gottes Beides fehlt dem natürlichen Menschen ganz und gar. Er hat weder Frieden mit Gott, noch genießt sein Herz den Frieden Gottes . Sein Unglaube verhindert das eine und seine Sünden das andere. Nur da, wo Gerechtigkeit ist, da ist auch wahrer Friede. Wohl mag der natürliche Mensch sich in dem Besitz der vergänglichen Güter und in dem Genuß der eitlen Freuden dieser Welt für einen Augenblick glücklich fühlen, aber dies ist nicht der süße, 6 unveränderliche und jede Vernunft übersteigende Friede Gottes (Phil. 4, 7). 


Für den Gläubigen allein ist beides vorhanden, sowohl der Friede mit Gott als auch der Friede Gottes; und er besitzt und genießt beides, wenn er im Glauben da ruht, wo auch Gott Seine Ruhe hat: in Christo und Seinem Werk . Je mangelhafter aber dies ist, desto mangelhafter ist auch die Gewißheit und der Genuß in seinem Herzen. Und leider sind durch Mangel an Erkenntnis der Gedanken Gottes und des Werkes Christi und durch Vermengung der einfachen und lauteren Wahrheit Gottes diese köstlichen Dinge bei vielen Christen sehr verkümmert. Ist aber schon der Friede mit Gott im Gewissen geschwächt, so ist es noch viel mehr der Friede Gottes im Herzen. Es ist nun sicher der Mühe wert, die Fülle der Segnungen, die wir aus Gnaden in Christo Jesu empfangen haben, recht zu verstehen und zu würdigen; denn nur dann werden wir mit glücklichem und dankbarem Herzen Gott preisen. 

Jede Gleichgültigkeit gegen dies Verständnis aber würde nur Undank und Gleichgültigkeit gegen Gott Selbst verraten. Zunächst möchte ich nun mit einigen Worten die Frage zu beantworten suchen: Worauf ist der Friede mit Gott gegründet? Viele Gläubige, wenn sie gefragt werden, ob sie Frieden mit Gott haben, denken zuerst an ihre Gefühle, und nach diesen richtet sich auch ihre Antwort. Sie machen den Frieden mit Gott davon abhängig, und gerade dadurch schwächen sie das Bewußtsein desselben in ihrem Herzen. Er steht und fällt mit ihren Gefühlen, die sich doch so bald verändern und uns auch so leicht täuschen können. Gott aber sei Dank! Unser Friede mit Ihm hat eine bessere und untrüglichere Grundlage. Er ist auf das Werk Christi gegründet, und auf dieses Werk allein. 

Es handelt sich nicht darum, was ich bin, noch was ich fühle, sondern um das, was Er ist, was Er für mich getan hat, und ob Gott dies für mich vollbrachte Werk völlig angenommen hat. Nichts ist törichter, als bei der Frage meines Friedens mit Gott, den Blick auf mich zu richten. Ich habe nichts in dieser Sache getan, noch tun können; allein ich besitze diesen Frieden völlig, weil ich fest glaube, daß Christus ihn für mich gemacht hat, daß ich durch Sein kostbares Blut ein für allemal mit Gott versöhnt bin. 
Er hat auf dem Kreuze die Scheidewand für immer beseitigt, welche mich von Gott trennte; Er ist an meiner Stelle für alles, was ich war und für alles, was ich getan hatte, vor Gott im Gericht erschienen, und darum sind alle meine Sünden für immer be- 7 seitigt. „Denn Gott hat den, der Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir in ihm die Gerechtigkeit Gottes würden" (2. Kor. 5, 21). 

Diese Gerechtigkeit ist für den Glauben nicht mehr ein Gegenstand der Furcht, sondern der Freude. Sie ist in Christo Jesu sein eigenes gesegnetes Teil geworden; sie ist das Kleid, worin er allezeit in der Gegenwart Gottes steht. Richtet Gott nach Seiner Gerechtigkeit, so kann Er ihn nicht richten, weil Er Sich Selbst nicht richten kann. Und weil Gott gerecht ist, so wird Er ihm keine Sünden zurechnen, weil Er sie schon alle unserem Bürgen auf dejn Kreuz zugerechnet hat. „Glückselig ist der Mann, welchem der Herr die Sünde nicht zurechnen wird" (Röm. 4, 8); und diese Glückseligkeit ist das gesegnete Teil eines jeden wahren Gläubigen. Der Mensch hat durch die Sünde alles verloren; er besitzt keine Gerechtigkeit vor Gott. „Da ist kein Gerechter, auch nicht einer... " (Röm. 3, 10-12). „Nun aber ist ohne Gesetz Gottes Gerechtigkeit offenbart worden, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten, nämlich Gottes Gerechtigkeit durch Glauben an Jesum Christum zu allen hin und auf alle welche glauben " (Röm. 3, 21. 22). 

Wir besitzen diese im Evangelium geoffenbarte Gerechtigkeit durch den Glauben an Christum Jesum. Der Glaube b e w i r k t sie nicht; aber durch Glauben b e s i t z e n wir die Gerechtigkeit, welche Christus Jesus bewirkt hat, „welcher unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt ist" (Röm. 4, 25). Gott ist in Seiner unendlichen Liebe nicht nur in die Tiefe meines Verderbens hernieder gekommen, und ist all meinem Elend und meinen Bedürfnissen dort begegnet, sondern Er hat mich auch aus diesem allen herausgezogen und mich, bekleidet mit Seiner eigenen Gerechtigkeit, in Seine Gegenwart gesetzt; und jeder Feind, jeder Ankläger gegen mich muß schweigen, schweigen für immer. Die Gerechtigkeit, in welcher der Gläubige vor Gott steht, ist Christus Selbst, welcher uns von Gott geworden ist.. . zur Gerechtigkeit (1. Kor. 1, 30), und in Ihm sind wir zur Gerechtigkeit Gottes geworden. 

Welch eine tiefe und gesegnete Wahrheit! welch ein liebliches Evangelium!— Gott hat in Christo alles beseitigt, was ich zu fürchten hatte, alles dargereicht, was mich erfreuen kann. Ich g l a u b e , was Er getan und ich bin völlig gerechtfertigt und für immer errettet. Ja, um des für mich vergossenen kostbaren Blutes Jesu willen ist es jetzt Gott Selbst, der mich rechtfertigt. Mein Friede mit Gott hat also einen sichereren Grund, als meine Gefühle. Darum ist 8 meine Antwort: Ich habe Frieden mit Gott , denn ich glaube zuversichtlich, daß Christus ihn gemacht hat; ich habe Frieden , denn ich glaube zuversichtlich, daß Christus „meiner Übertretungen wegen dahingegeben und meiner Rechtfertigung wegen auf erweckt ist", daß Er alle meine Sünden durch Sein eigenes Blut getilgt hat und ich in Ihm die Gerechtigkeit Gottes geworden bin. „ Gerecht-fertigt also aus Glauben haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesum Christum " (Röm. 5, 1). 

Was ist aber nun der Friede Gottes ? Es ist der glückselige Friede, welcher in Gott Selbst ist. Er „übersteigt jede Vernunft" (Phil. 4, 7). Und welch eine Gnade, und welch ein Vorrecht für uns, ihn zu besitzen und zu genießen. Der Herr Jesus sagte am letzten Abend zu Seinen Jüngern: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch" (Joh. 14, 27). — Aber ach, wie wenig wird er von den Seinigen genossen! Der Friede Gottes kann nur da vorhanden sein, wo praktische Gemeinschaft mit Gott ist, und diese Gemeinschaft ist vornehmlich von drei Stücken abhängig. Zuerst muß ich durch Glauben verstanden haben, daß in dem Werke Christi jede Frage über meine Sünde beseitigt ist: daß in Seinem Opfer nicht nur alle meine Sünden als Vergehungen getilgt sind, sondern auch die Sünde , als Wesen, das im Fleisch wohnende und täglich fühlbare Böse, für immer gerichtet ist — „so ist denn nun keine Verdammnis für die, welche in Christo Jesu sind" (Römer 8, 1), — und daß der Geist Gottes in mir wohnt . Zweitens muß ich erkannt haben, daß ich jetzt meine Stellung vor Gott nicht mehr im Fleisch, sondern im Geist und in Christo — dem Auferstandenen — habe, und deshalb, trotz meiner Mängel und Gebrechen hienieden, völlig geliebt bin. „Wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt " (1. Joh. 4, 17). „ . . daß du sie geliebt hast, wie du mich geliebt hast " (Ev. Joh. 17, 23). „Der Vater selbst liebt euch " (Kap. 16, 27).

Und drittens muß ich alle meine Sorgen in den Umständen und Schwierigkeiten hienieden völlig auf Ihn werfen. „ Sorget um nichts; sondern in allem lasset durch Gebet und Flehen mit Danksagung euer Begehren vor Gott kund werden ; und der Friede Gottes, der jede Vernunft übersteigt, wird eure Sinne in Christo Jesu bewahren " (Phil. 4, 6. 7). Gott übernimmt unsere Sorgen, damit wir Seinen Frieden haben möchten. Je völliger nun dies alles in unseren Herzen durch Glauben verwirklicht ist, desto völliger und glücklicher werden wir in der Gemeinschaft Gottes wandeln und Seinen Frieden genießen. Jede Ungewißheit in diesen Dingen aber stört die Gemeinschaft und trübt den Frieden. Der Genuß des Friedens Gottes in unseren Herzen ist also, wie gesagt, von unserer praktischen Gemeinschaft mit Gott abhängig. In dem Werke Christi sind wir zu dieser Gemeinschaft tüchtig gemacht und wir verwirklichen sie hienieden durch G l a u b e n und vermittelst des Heiligen Geistes. Durch Glauben sind wir völlig beruhigt über unsere Sünde, durch Glauben erkennen wir unsere Stellung vor Gott und durch Glauben überlassen wir Ihm jegliche Sorge in unseren Umständen hienieden. 

Ja durch Glauben werden wir durch Seine Kraft und Sein Licht geleitet, und durch Glauben verstehen wir, daß Gott stets für uns und mit uns ist, daß Er alle unsere Schwachheiten und Versuchungen kennt und daß Er die Liebe ist. Zwei Dinge können aber diese gesegnete Gemeinschaft leicht stören und schwächen. Unsere Verunreinigung durch Gedanken, Wort oder Werk und eine nicht ganz völlige Absonderung von der Welt und ihrem Wesen. Und in beidsm liegt für viele Gläubige die Quelle ihrer mannigfachen Unruhen und Schmerzen. Die Gemeinschaft Gottes fordert ein gereinigtes und ungeteiltes Herz. Sind wir nachlässig in Betreff unserer Reinigung, oder gleichgültig in Betreff der Absonderung von allem Bösen, so kann unmöglich unser Herz in Seiner Gemeinschaft glücklich sein und Seinen Frieden genießsn. „Er selbst aber, der Herr des Friedens, gebe euch den Frieden immer dar auf allerlei Weise " (2. Thess. 3, 16). 

Das gute Teil (Ev. Luk. 10, 38—42) 

Die Familie in Bethanien war eine gesegnete. Sie nahm den Herrn in ihrem Schöße auf; und „Jesus liebte die Martha und ihre Schwester und Lazarus" (Ev. Joh. 11, 5). Diese waren auch von Seiner Liebe überzeugt; denn als Lazarus krank war, ließen Ihm die Schwestern sagen: „Herr siehe! den du lieb hast, ist krank" (Ev. Joh. 11, 3). Sie wuß- 10 ten, daß alle die Gefühle und Sympathien Seines Herzens für sie würden rege werden, sobald Er von der Krankheit ihres Bruders hören würde. Wir finden aber unter diesen beiden Schwestern in Betreff ihrer inneren Stellung zum Herrn einen großen Unterschied. Das Leben in Martha war schwach und die Gefühle ihrer Liebe gingen nicht sehr tief.

 Sie nahm sicher den Herrn mit Freuden in ihr Haus auf, und war auch selbst mit vielem Dienen beschäftigt; aber ihr Herz war in Seiner unmittelbaren Nähe nicht völlig ruhig und glücklich. Sie hatte mehr Ruhe in ihrem Dienste, als in Seiner Gegenwart, und deshalb war sie auch lieber mit vielen Dingen beschäftigt, als daß sie horchend zu Seinen Füßen saß. Dies aber läßt uns klar erkennen, daß sie eher an die Bedürfnisse des Herrn, als an Seine Fülle dachte, und daß sie auch weniger fähig war, die Gedanken Gottes zu verstehen und die gesegneten Ströme der Gnade in sich aufzunehmen. Mit einem Wort: Martha liebte den Herrn, aber sie hatte wenig wahre Gemeinschaft mit Ihm. Sie ist aber ein getreues Bild vieler Gläubigen in unseren Tagen. — Es fehlt sogar nicht an solchen, deren Herz in der unmittelbaren Nähe des Herrn mit Furcht und Unruhe erfüllt und deren Angesicht mit Schamröte bedeckt werden würde. Es sind Gläubige, die ihr Herz meist in der Welt haben und es durch allerlei eitle und fleischliche Dinge verunreinigen. 

Selten befinden sie sich durch Glauben mit ihrem Wandel in der unmittelbaren Gegenwart des Herrn, und wenn einmal das Licht, etwa am Ende ihres Lebens, auf ihr Gewissen wirkt, dann sind sie mit Furcht und Schrecken erfüllt. Es ist wahr, die Gnade Gottes kann sie nicht lassen, aber hinter ihnen liegt dann ein unreines und verlorenes Leben. Andere beschäftigen sich zwar, wie Martha, viel mit solchen Dingen, die den Herrn und Sein Werk betreffen; aber sie haben wenig wahre Gemeinschaft mit der Quelle allen Dienstes, mit dem Herrn Selbst. Wo aber diese Gemeinschaft fehlt, da fehlt auch die wahre Abhängigkeit von Gott und die Erkenntnis Seines wohlgefälligen Willens.

 Man geht voran in eigener Weisheit und eigener Kraft, und der freie Dienst der Liebe wird zu einem mechanischen Dienst der Pflicht; und anstatt in der gesegneten Gegenwart des Herrn bewegt man sich so oft nur in menschlichen Formen und Satzungen. Und ach, wie allgemein ist dieser Zustand bei so vielen Christen in unseren Tagen geworden! Sie beunruhigen sich weit eher über den Mangel ihres Dienstes, als über den Mangel ihrer Gemeinschaft mit dem Herrn und Seiner Fülle. Deshalb ist auch ihr Gebet fast nur ein 11 Zufluchtnehmen in ihren Bedürfnissen und nicht ein gesegneter Umgang des Herzens mit Gott; und ihre Kühe ist mehr auf ihren Dienst, als auf die Gnade in Jesu gegründet. Es ist auch wenig Bedürfnis vorhanden, um tiefer in die Gedanken Gottes und in Seinen wohlgefälligen Willen einzudringen. Sie sind zufrieden, wenn ihre Erkenntnis so weit reicht, daß sie eben ihr Gewissen vor Gott zu stillen vermögen; und sie bleiben unbekannt mit dem Frieden und der Freude in dem Herzen Jesu hienieden. Martha konnte das Benehmen ihrer Schwester nicht verstehen, weil sie die verborgene und innige Liebe ihres Herzens zum Herrn nicht verstand.

 Sie hielt sicher ihren Dienst für das gute Teil und trat deshalb ganz freimütig zum Herrn und sagte; „Kümmert es dich nicht, daß mich meine Schwester allein dienen läßt? Sage ihr denn, daß sie mir helfe" (V. 40). — Doch hier in der Gegenwart des Lichts wird ihr Tun nach seinem wahren Wert beurteilt; „Martha, Martha! Du sorgst und beunruhigst dich um viele Dinge; eins aber ist not! Maria aber hat sich das gute Teil erwählt, welches nicht von ihr genommen werden wird " (V. 41. 42). — Und was war denn dies gute Teil der Maria? Der Herr Selbst. Sie saß zu Seinen Füßen und horchte auf die gesegneten Worte, die von Seinen Lippen strömten. Sie konnte nicht fern sein, wenn der Herr nahe war; sie konnte sich nicht mit anderen Dingen beschäftigen, wenn Er Worte des Lebens mitteilte. 

Da, wo Martha beuruhigt wurde, da war für sie das Plätzchen der süßesten und glückseligsten Ruhe. Seine gesegnete Gegenwart machte für ihr Herz alles tot um sie her; es war nur für Ihn geöffnet und alle ihre Gefühle und Neigungen nur auf Ihn gerichtet. Sie dachte nur an Seine Fülle und setzte sich an die unversiegbare Quelle und trank mit vollen Zügen die Worte des Lebens. Sie war das leere Gefäß, in welches der Herr Seine gesegneten Ströme der Gnade und des Friedens ergießen konnte. Ihr Herz war fähig, die Gedanken und Gefühle Seines Herzens zu teilen. Und wurde sie selbst auch von niemand verstanden, so verstand sie doch der Herr, und mehr begehrte sie nicht. Er bezeugte: „ Maria hat das gute Teil erwählt. " O, wie glücklich ist ein Herz, welches das gute Teil erwählt hat, welches die gesegnete Gemeinschaft des Herrn allem anderen vorzieht! Nichts kann uns so beglücken und erfreuen wie Er, und nichts macht uns so fähig, im Dienst des Herrn gesegnet zu wandeln, wie die stete und innige Gemeinschaft der Quelle. Dies lehrt uns ebenfalls die Maria. Am Anfang des 12. Kapitels des Johannes finden wir Jesum wiederum in Bethanien; und wir lesen in V. 3: „Da 12 nahm Maria ein Pfund Salbe von unverfälschter kostbarer Narde und salbte die Füße Jesu und trocknete die Füße mit ihren Haaren. 

Das Haus aber ward von dem Geruch der Salbe erfüllt." — Die anwesenden Jünger aber waren ebenso wenig fähig (Matth. 26, 8), diesen Dienst der Maria zu verstehen, als Martha fähig gewesen war, ihr Sitzen zu den Füßen des Herrn zu verstehen. Der Herr aber verstand sie auch hier und das war für Maria immer genug. Sie lebte nur für Ihn und darum hatte auch Sein Zeugnis allein Wert für sie. Und Er bezeugte: „ Sie hat auch ein gutes Werk an mir getan " (Matth. 26, 10). Glückliche Maria! Sie hat das gute Teil erwählt und das gute Werk getan. Der Herr aber gebe, daß auch wir das gute Teil erwählen, auf daß wir fähig sein mögen, das gute Werk zu tun! Die glückselige Hoffnung (Tit. 2, 13) „ Ich komme wieder und werde euch zu mir nehmen, auf daß, wo ich bin, auch ihr seid " (Joh. 14, 3).—Mit diesen Worten tröstete der Herr kurz vor Seinem Hingang zum Vater Seine vielgeliebten Jünger, die Er in dieser Welt noch zurücklassen mußte. 
Der Herr kommt also wieder und will uns zu Sich nehmen; wir werden Ihn ewiglich schauen und werden Ihm gleich sein. Welch eine g l ü c k s e l i g e H o f f n u n g ! Er kommt nicht, um mit uns von unseren Sünden zu reden; diese Frage ist bei Seinem ersten Kommen aufs völligste beseitigt worden. Der Kommende ist Der, „ w e l c h e r u n s g e l i e b t u n d u n s vo n u n s e r e n S ü n d e n i n s e i - n e m B l u t e a b g e w a s c h e n hat. " Er ist unsere Gerechtigkeit, unser Friede und unser Leben; Er ist unser Freund, unser Bräutigam und unser Haupt — das Haupt Seines Leibes. Was ist da noch zu fürchten? Nur, wer Ihn und Seine Gnade und Liebe nicht kennt, hat Ursache, mit Furcht und Schrecken an Sein Kommen zu denken. 

Für die Seinigen aber soll es nur der Gegenstand einer g l ü c k - s e l i g e n H o f f n u n g sein. 13 Aber ach! auch diese haben sich so vielfach von dieser gesegneten Hoffnung abwenden lassen. In den Herzen vieler Gläubigen ist der Herr nicht der einzige und teuerste Gegenstand ihrer Verehrung geblieben, und darum hat auch Seine Wiederkunft aufgehört, der nächste und köstlichste Gedanke darin zu sein. Sie haben sich mehr mit dem Kommen ihres T o d e s , als mit dem Kommen de s H e r r n befreundet. Denken sie an den Augenblick, wo sie diese Wüste verlassen werden, so denken sie an ihr Sterben und nicht an die Ankunft des Herrn zur Aufnahme Seiner Versammlung. 

Das ist die Wirkung des Unglaubens. So war es zur Zeit der Apostel unter den Gläubigen nicht. Der' eingetretene Tod etlicher Brüder hinderte die Lebenden nicht, ungeschwächt den Herrn zu erwarten, und der Heilige Geist hörte auch deshalb nicht auf, Seine Ankunft als eine stets zu erwartende Sache und als die glückselige Hoffnung vor ihre Seele zu stellen. Und wenn Er kommt, so werden wir Seinem Bilde, dem Bilde des Sohnes Gottes in Herrlichkeit gleichförmig sein. „Wie wir das Bild dessen von Staub getragen haben, so werden wir auch das Bild des Himmlischen tragen" (1. Kor. 15, 49). Dies ist unser Verlangen und der Gegenstand unserer Hoffnung. Jetzt tragen wir das Bild des Irdischen, aber wir hoffen , dem Bilde Christi gleichförmig zu sein. „Wir wissen, daß, wenn er offenbart ist, w i r i h m g l e i c h s e i n w e r d e n " (1. Joh. 3, 2). 

Gott konnte uns keine herrlichere Hoffnung geben und auch keine herrlichere Macht, um uns von der Welt abzusondern. — Aber w a n n werden wir Seinem Bilde gleichförmig sein? Im Tode? Gewiß nicht; denn dann sind unsere Leiber im Grabe; unsere Hoffnung aber ist, dem verherrlichten L e i b e Christi gleichgestaltet zu werden. Die Schrift spricht nie von verherrlichten Seelen. Paulus sagt zwar in Phil. 1, 23: „Es ist weit besser", abzuscheiden und bei Christo zu sein; und dies möchte ich durchaus nicht schwächen. „Denn wir freilich, die in der Hütte sind, seufzen, beschwert", sagt der Apostel an einer anderen Stelle (2. Kor. 5, 4); aber er fügt hinzu: „..wiewohl wir nicht entkleidet, sondern überkleidet sein möchten, damit das Sterbliche vom Leben verschlungen werde." Dies ist es, was er wünscht: die Umwandlung des sterblichen Leibes, ohne den Tod zu sehen. 

Es gibt vier Stellen im Neuen Testament, welche von der Freude des entkörperten Geistes reden. Zuerst in Luk. 23, 43, wo der Herr dem sterbenden Mörder am Kreuze zuruft: „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein." — Dann Apg. 3, 59, wo Stephanus ausruft: „Herr, nimm meinen Geist auf!" — Weiter in 2. Kor. 5, 8: 14 „Wir sind aber guten Mutes und möchten lieber ausheimisch von dem Leibe und einheimisch bei dem Herrn sein." Und endlich in Phil. 1, 23, wovon schon die Rede gewesen ist. Wie glücklich nun aber auch die Seele sein mag, wenn sie, geschieden von dieser Welt und befreit von allen Beschwerden und Versuchungen dieses Lebens, den Herrn genießt, so ist dies doch nicht der Gegenstand unserer Hoffnung. Wir werden C h r i s t o g l e i c h sein . „Geliebte! Jetzt sind wir Gottes Kinder und es ist noch nicht offenbart worden, was wir sein werden; wir wissen aber, daß, wenn er offenbart ist, w i r i h m g l e i c h sei n w e r d e n , denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Un d j e d e r , d e r d i e s e H o f f n u n g au f ih n hat , d e r r e i n i g t sic h s e l b s t , g l e i c h w i e e r r e i n i s t " (1. Joh. 3, 2. 3). — Das ist die praktische Wirkung dieser Hoffnung; ich werde eifrig bemüht sein, Ihm jetzt schon — soviel wie möglich — gleich zu sein. Und diese Hoffnung haben wir mit a l l e n H e i l i g e n g e m e i n ; es ist die Hoffnung der Versammlung. In 1. Kor. 11, 26 ist gesagt: „ So oft ihr dieses Brot esset und diesen Kelch trinket, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bi s e r k o m m t." Der Tod Christi ist die Basis unserer gemeinschaftlichen Hoffnung, und wir gehen voran und verkündigen dies, bis Er wiederkommt, um uns zu Sich zu nehmen. Wenn ich an den Tod denke, an mein Abscheiden, um bei Christo zu sein, so denke ich an rn i c h. Ich werde glücklich sein, aber die ganze Versammlung ist nicht verherrlicht. Wenn Christus kommt, so wird jeder Heilige dort sein, und dann wird Christus die Arbeit Seiner Seele sehen und befriedigt sein. Die Braut wird den Bräutigam und der Bräutigam die Braut haben, und ich werde dann nicht allein glücklich sein. 

Der Geist Gottes leitet meine Gedanken von mir ab zu dem ganzen Leibe Christi hin. Christus wird die Versammlung, welche Er liebt und für welche Er Sein Leben gegeben hat (Eph. 5) bei Sich in der Herrlichkeit haben. Diese Hoffnung richtet aber auch unsere Herzen auf C h r i s t u m s e l b s t . Ich erwarte eine Person, welche ich liebe; ich erwarte Den, der mich geliebt und mich von meinen Sünden in Seinem Blute abgewaschen hat. Er wird wiederkommen, um mich zu Sich zu nehmen, und ich erwarte Ihn . Die Engel sagten: „Ihr Männer von Galiläa, was stehet ihr hinauf gen Himmel blickend? Dieser Jesus, der von euch in den Himmel, aufgenommen ist, w i r d als o k o m - men , w i e i h r ih n ge n H i m m e l h a b t a u f f a h r e n s e h e n." — Den, welchen sie liebten, hatten sie verloren. 15 Sie standen und sahen Ihm unverwandt nach und der erste Gedanke, welchen Gott ihrem Herzen nahe brachte, war: „E r w i r d w i e d e r k o m m e n . " Diese große und herrliche Wahrheit sollte stets als eine g e g e n w ä r t i g e S a c h e v o r i h r e r S e e l e s t e h e n . Die Versammlung zu Korinth war „in allem reich gemacht", und sie hatten nur noch d i e O f f e n b a r u n g u n s e r e s H e r r n J e s u C h r i s t i z u e r w a r t e n " (1. Kor. 1, 7). Und Seine Wiederkunft erwarteten sie, und nicht ihren Tod. —

 Es gibt auch viele Gläubige, die noch eine Ausgießung des Heiligen Geistes erwarten. Sie vergessen, daß die I n n e w o h n u n g des Heiligen Geistes der besondere Charakterzug der Versammlung ist. Dies ist nicht unsere H o f f n u n g , sondern etwas, was wir schon h a b e n . Der Heilige Geist kam am Pfingsttage hernieder; Er ist der „andere Tröster" oder Sachwalter, d e r i n E w i g k e i t b e i u n s b l e i b e n s o l l (Joh. 14,16). Betrachten wir die erste Epistel an die Thessalonicher, so sehen wir, daß jede Sache dort in Beziehung zu der Wiederkunft des Herrn steht. Sie verbindet sich mit allen Umständen des täglichen Lebens, mit allen Gedanken, Hoffnungen und Gefühlen in den Herzen der Heiligen. Im ersten Kapitel steht sie in Verbindung mit ihrer Bekehrung. Die Macht des Wortes hatte einen reichen Eingang unter ihnen gehabt. Sie hatten „sich von den Götzenbildern zu Gott bekehrt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und s e i n e n S o h n a u s d e n H i m m e l n z u er - w a r t e n " (V. 9.10). Gewiß, wenn diese Erwartung in unseren Herzen lebt, so durchschneidet sie jedes Band, welches uns an die eitlen Dinge dieser Welt bindet, und vereinigt uns im Herzen mit dem Herrn und mit Seinen Heiligen. Im zweiten Kapitel, wo wir des Apostels zärtliche Liebe und Sorgfalt für die Herde sehen, schließt er mit den Worten: „Wer ist unsere Hoffnung oder Freude oder Krone des Ruhmes? Nicht auch ihr, vor unserem Herrn Jesu Christo be i s e i n e r A n k u n f t ? " Dann ist die Zeit, will er sagen, wo ich die ganze Freude der christlichen Gefühle und Zuneigungen genießen werde. Weiter sehen wir im dritten Kapitel, daß die Ankunft Christi mit der Heiligkeit in den Seinigen verbunden ist: „ . . . um eure Herzen tadellos in Heiligkeit zu befestigen vor unserem Gott und Vater, i n d e r A n k u n f t u n s e - r e s H e r r n J e s u C h r i s t i mit allen seinen Heiligen" (Vers 13). 

Das vierte Kapitel zeigt uns, wie g e g e n w ä r t i g die Ankunft Christi bei den Heiligen zu Thessalonich war, daß 16 sie sogar durch den Tod etlicher ihrer Mitbrüder in Unruhe versetzt wurden. Zugleich aber ist es sehr bemerkenswert, daß der Heilige Geist die Versammlung dort nicht nur in Betreff der Entschlafenen beruhigte, sondern sie auch im Ausharren der steten Erwartung der Ankunft Christi ermunterte. Welch ein Vorrecht, am Sterbebett eines Heiligen zu sitzen und sich der gemeinschaftlichen Versammlung mit Jesu zu trösten! Wenn Er mit Seinen Heiligen kommt, so wird keiner derselben fehlen.

 „Gott wird auch die Entschlafenen durch Jesum mit ihm bringen" (V. 14). Und fragen wir wie solches zugehen wird, so finden wir die Antwort in den folgenden Versen: „Denn dies sagen wir euch im Worte des Herrn, daß wir, die Lebenden, die bis zur Ankunft des Herrn übrig bleiben, den Entschlafenen nicht zuvorkommen werden. Denn der Herr Selbst wird mit gebietendem Zuruf, mit der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes vom Himmel herabsteigen; und die Toten in Christo werden zuerst auferstehen. Darnach werden wir, die übriggebliebenen Lebenden, zugleich mit ihnen in den Wolken dem Herrn entgegengerückt werden in die Luft, und also allezeit bei dem Herrn sein. So ermuntert nun einander mit diesen Worten." -

 Der Trost des Apostels als die Heiligen über den Tod ihrer Brüder trauerten, war nicht: „Seid zufrieden, sie sind in den Himmel gegangen; und ihr werdet ihnen ja bald nachfolgen", sondern er richtet ihre Herzen auf die Ankunft Christi. Dies ist und bleibt der wahre Trost des Christen selbst in der Gegenwart des Todes. In der zweiten Epistel ist das Kommen des Herrn mit dem Trost in den Trübsalen und Verfolgungen verbunden. Die Thessalonicher hatten große und schwere Leiden zu erdulden, (aber sie harrten aus; ihr Glaube wuchs sehr und ihre Liebe untereinander war überströmend). Und welchen Trost gab ihnen der Apostel? Sagte er: „Ihr werdet bald in den Himmel gehen?" Nein! — Er sagte: „Ihr werdet Ruhe haben, w e n n J e s u s k o m m t " (Kap. 1, 7). Zum Schluß will ich hier noch mehrere Stellen angeben, um zu zeigen, wie fast alle Briefe der Apostel mit dieser großen und herrlichen Wahrheit von der Ankunft des Herrn in Verbindung stehen: Röm. 8, 19-24; 1. Kor. 1, 8; 6, 2. 3; 4, 5; Titus 2, 11-13; Hebr. 9, 28; 10, 37; Jak. 5, 7. 8; 1. Petri 1, 7; 5, 4; 1. Joh. 2, 28; Judäa V. 14; Offb. Joh. 1. 7; 2, 25; 3, 11; 22, 7. — Der Herr aber möge Seine gesegnete Ankunft wieder recht lebendig in unseren Herzen machen, damit sie uns in Wahrheit eine g l ü c k s e l i g e H o f f n u n g und in allen Umständen hienieden d e r n ä c h s t e G e d a n k e sei! 59 17 

Gedanken über den Brief des Apostels Jakobus 

Dieser Brief stellt das m o r a l i s c h e L e b e n dar —• da s L e b e n d e r T u g e n d auf der Erde, als ein wahres Zeugnis für den Menschen — da s L e b e n de s G l a u - b e n s und insbesondere des praktischen Glaubens an Christum, sowie auch an Gott, der all unseren Wünschen und Bedürfnissen bereitwillig entgegenkommt. 

Auf diesem Grunde bewegt sich der Brief. Den Glauben an Christum, sowie auch die Wiedergeburt durch die Macht der Gnade finden wir hier klar und bestimmt ausgedrückt; aber dennoch erhebt sich diese Epistel kaum über ein Leben, -welches in jeder anderen Periode in dem Gläubigen sich offenbaren und entwickeln könnte, nur daß es hier der Christ, geboren aus Gott, ist, welcher es darstellt. — Dieser Brief wendet sich an die zwölf Stämme in der Zerstreuung (Kap. 1,1); er verbindet sich mit der Synagoge (Kap. 2, 2) und mit Christen, die noch mit dem Judentum in Verbindung stehen. Diese Verbindung sehen wir geschichtlich in Jerusalem, wo Jakobus an der Spitze steht (Apg. 21, 15 - 25). Über diesen Standpunkt geht der vorliegende Brief nicht hinaus. 
Es ist das letzte Zeugnis an Israel, als Volk Gottes betrachtet. 
Zugleich aber wird der wiedergeborene "Überrest, obgleich noch nicht getrennt von der Nation, deutlich unterschieden. Gewiß enthält dieser Brief viel Trost und Ermahnung für die Christen aller Zeiten; aber um ihn recht verstehen und würdigen zu können, müssen wir seinen wahren Charakte r und seinen besonderen Zweck kennenlernen. Unsere Denkweise ist auf eine viel vollkommenere Entwicklung des Christentums gegründet — auf die Offenbarung von Ratschlüssen, welche viel älter sind, als die der jüdischen Nation, auf die Offenbarung d e r e w i g e n R a t - s c h l ü s s e G o t t e s . 

Dies macht es für uns auch schwer, die F o r m der Wahrheit, wie wir sie in dem Brief des Jakobus finden, zu verstehen. Es ist eine Form, in welcher das Christentum mit dem verbunden ist, was wegen der an Israel gemachten Verheißungen geschichtlich sozusagen die Wiege des Christentums ausmachte. — Es wird aber auch später, wenn die Versammlung aufgenommen ist, dem gläubigen Überrest leichter werden, diese Form der Wahrheit zu verstehen. In den letzten Zeiten der großen Drang- 18 sal wird ihnen besonders das erste und letzte Kapitel dieses Briefes zu vielem Trost gereichen und sie zum Ausharren ermuntern. Kann ihnen dann auch nicht mehr die Ankunft de s B r ä u t i g a m s i n d e r L u f t als Hoffnung ihrer baldigen Befreiung vorgestellt werden, so kann es doch Seine nahe Ankunft als R i c h t e r . Sie vernehmen in ihren Bedrückungen die beruhigenden Worte: „Siehe! de r R i c h - t e r s t e h t v o r d e r T ü r " (Kap. 5, 9). Der Brief des Jakobus redet also nicht von dem wahren Grund unserer Rechtfertigung vor Gott, noch von dem ewigen Leben, welches offenbart und mitgeteilt ist, noch von der himmlischen Stellung der Versammlung, sondern er ermuntert zum freudigen Ausharren in den Versuchungen, ermahnt gegenüber dem Scheinglauben, zu einem durch die Liebe sich betätigenden und durch gute Werke sich erweisenden Glauben, tröstet die Leidenden mit der Ankunft des Herrn, als des gerechten Richters, und also bildet dieser Brief ein würdiges Glied in der Kette der apostolischen Schriften. Kapitel 1 Vers 1-4. Jakobus wendet sich, wie schon bemerkt, an die zwölf Stämme in der Zerstreuung. Sein Dienst geht aus von Gott und dem Herrn Jesu Christo (V. 1). Dies läßt uns den wahren Wert seines Zeugnisses erkennen. Nach diesem kurzen Gruß beginnt der Apostel sofort im 2. Vers die Gläubigen in den mannigfachen Versuchungen zum Ausharren zu ermuntern. 

Wir dürfen aber diese Versuchungen nicht mit dem „Versuchtwerden" in V. 13 und 14 verwechseln. Jene sind dem Fleische entgegen, während dieses gerade aus der Lust unseres Fleisches hervorkommt. Je weniger wir in Gemeinschaft mit Gott wandeln, desto wirksamer ist die Lust des Fleisches, und je mehr wir in Christo gottselig leben, desto mannigfacher begegnen uns die Versuchungen, wovon hier im 2. Vers die Rede ist. Es sind alle die widrigen Umstände, die uns auf dem Wege des Glaubens begegnen, alle die Schwierigkeiten und Hindernisse, die Trübsale und Verfolgungen jeglicher Art. Dies alles ist der Christ hier ermahnt für lauter Freude zu halten, und zwar deshalb, weil es einen so reichen Segen für ihn bringt. Alle diese Versuchungen dienen zu seiner Läuterung. Anstatt den Weg zu versperren, sind sie für den Gläubigen durch die Gnade ein Mittel, um besser auf diesem Wege vorangehen zu können. Das, was uns aufhält, liegt nicht außer uns, sondern in uns. Es ist das unerkannte oder auch erkannte Böse, welchem Gott durch die Versuchungen von 19 außen begegnet und es bricht. Und je mehr wir von jenem gereinigt werden, desto fähiger sind wir, auf dem Wege des Glaubens auszuharren. Zugleich sind die Versuchungen ein Mittel, um das Gefühl der eigenen Schwachheit und der völligen Abhängigkeit von Gott zu erwecken und aufrecht zu erhalten, und um uns verstehen zu lassen, daß das gänzliche Vertrauen auf Seine Kraft die alleinige Bürgschaft unseres Hindurchkommens ist. In diesem Vertrauen aber wird die Kraft des pilgernden und kämpfenden Christen geübt, und hat er in der einen Versuchung die treue Durchhilfe seines mächtigen Gottes erfahren, so ist dieses Bewußtsein geeignet, seinen Mut für die noch kommenden Versuchungen zu beleben (vergl. Röm. 5, 3-5). Der durch Leiden geübte Apostel Paulus konnte im Hinblick auf fernere Prüfungen kühn sagen: „ A l l e s v e r m a g ic h i n d e m , d e r m i c h k r ä f t i g t " (Phil. 4, 13).

 Die Versuchungen als solche, würden gewiß kein Gegenstand der Freude für uns sein, wenn sie nicht von so reich gesegneten Folgen wären. Si e sind es auch nicht, die an und für sich das Ausharren herbeiführen, sondern durch die B e w ä h r u n g de s G l a u b e n s in denselben wird es bewirkt (V. 3). Der Glaube vertraut in den Versuchungen auf Gott und wird darin bewährt; er richtet sein Auge auf das Unsichtbare und handelt demgemäß; und dies allein macht uns stark und fähig, in den Versuchungen zu bestehen. In Vers 4 werden wir zum völligen Ausharren ermahnt; denn nur dem Bewährten wird, wie wir in Vers 12 sehen, die Krone des Lebens verheißen. Es sind zwei Stücke, die zur Vollkommenheit und zur Vollendung des Christen notwendig sind, und auch notwendig, um die Verheißungen zu erlangen: G l a u b e n u n d A u s h a r r e n . Wir werden in Hebräer 6, 12 ermuntert, „Nachahmer derer zu sein, die durch G l a u b e n und A u s h a r r e n die Verheißungen ererbten" (siehe ferner Vers 15 und Kapitel 10, 36). Hat „das Ausharren sein vollkommenes Werk, so ist auch der Christ vollkommen", — ist es völlig bis ans Ende, so ist der Christ „ganz vollendet und in nichts mangelhaft." Vers 5-8 . Bei unserer gegenwärtigen Schwachheit und Unvollkommenheit wird es uns aber oft an Weisheit mangeln, um uns in all den Versuchungen stets als Christ zu verhalten und nach dem Glauben zu handeln. Deshalb werden wir in V. 5 zu der Quelle aller Weisheit hingewiesen. „Er bitte von Gott." Dies ist der einfachste und geradeste Weg, um wirklich Weisheit zu langen. Und Gott ist völlig willig zu geben; er macht uns wegen unserer Unwissenheit nicht beschämt; Er wirft uns unsere Schwachheit und Un- 20 Vollkommenheit nicht vor, noch macht Er die Gewährung unserer Bitte davon abhängig, sondern Er gibt nach der vollkommenen Gnade und Liebe Seines eigenen Herzens. — Doch nur der im Glauben Bittende empfängt (V. 7). Die Willigkeit Gottes und unser Glaube begegnen einander. Redet Gott, so ist der Glaube das Ohr, welches hört, und gibt Gott, so ist der Glaube die Hand, welche nimmt. Sobald Gott gesagt hat: „Ich gebe willig", so antwortet der Glaube mit Zuversicht: „Ich weiß, daß du willig gibst"; und hat Er dem Bittenden sagen lassen: „Es wird ihm gegeben werden" (V. 5), so antwortet der Glaube nicht: „Es w i r d , sondern es i s t mir gegeben; ich bin der Erhörung meiner Bitte völlig gewiß" (1. Joh. 5, 15). Der Glaube weiß, daß Gott G o t t ist, der Wahrhaftige, und alle Seine Verheißungen Ja und Amen. Der Zweifler aber geht leer aus,, weil jede Verheißung n u r de m G l a u b e n zugesichert ist. Er mag viel bitten; aber Gott begegnet ihm nicht mit Erhörung, und gerade d e s h a l b nicht, weil er trotz der Versicherung Gottes an Seiner Willigkeit zweifelt. Und also verunehrt er Gott, indem er sowohl Seine Wahrhaftigkeit als auch Seine Liebe in Zweifel zieht. Sein Herz ist wankelmütig und er ist ungewiß und unsicher in allen seinen Wegen; sein Unglaube treibt ihn hin und her, wie der Wind die Meereswoge.

— Wie ernst sind diese Worte und doch wie köstlich, indem si e gerade die Gewißheit und Festigkeit der Verheißungen Gottes, die keinem Zweifel Raum lassen, bestätigen! Vers 9-14. In Vers 9 und 10 finden wir die Armut wie den Reichtum als Versuchung dargestellt. Während das Herz des niedrigen Bruders sich gegenüber dem reichen durch Neid beflecken und mit Sorge und Unruhe erfüllen kann, steht dieser in Gefahr, sich zu überheben und sein Vertrauen auf den nichtigen und ungewissen Reichtum zu setzen. Deshalb richtet der Apostel den Blick des niedrigen Bruders auf seine wahre Hoheit und zeigt dann die Nichtigkeit und das traurige Ende des Reichtums dieser Welt, so wie auch dessen, der darauf vertraut hat; „denn wie des Grases Blume wird er vergehen". — Die „Sonne mit der Glut", welche das Gras dörrt und wodurch dessen Blume abfällt, ist ein Bild auf Christum, die Sonne der Gerechtigkeit, im Gericht. Bei Seiner Erscheinung wird alles Hohe erniedrigt werden und „der Reiche wird in seinen Wegen verwelken" (V. 11). Dann wird seine Erniedrigung gegenüber der Hoheit, deren sich der niedrige Bruder durch die Gnade in Christo Jesu rühmen kann, völlig ans Licht treten; er schwindet dahin mit allem, worauf er sich verlassen hat. In völligem Gegensatz zu einem solchen Ende ist „ d i e 21 K r o n e de s L e b e n s " (V. 12). — Sie ist der Kampfpreis derer, welche die Liebe zu Gott der Liebe zur Welt, das Unsichtbare dem Sichtbaren vorgezogen haben. Sie sind glückselig und ihre Glückseligkeit ist bleibend; denn sobald ihre Pilgerschaft hienieden vollendet ist, wird die Krone des L e b e n s — eine ewig dauernde Herrlichkeit, ihr gesegnetes Teil sein. Wie verschieden ist ihr Ausgang von denen, die in den vergänglichen Gütern dieser Welt ihren Schatz haben! Vers 13 -18. Dieser kleine Abschnitt belehrt uns über zwei Dinge. Zuerst: daß nicht Gott, sondern unsere eigene Lust uns zum Bösen versucht (V. 13-15), und dann, daß im Gegenteil Gott die unveränderliche Quelle alles Guten ist (V. 16-18). — Es ist ein großer Irrtum, zu sagen, daß wir von Gott versucht werden (V. 13) und etwa bemüht sind, durch solche Behauptung unsere Verantwortlichkeit zu schwächen oder gar aufzuheben. Gott Selbst kann nicht vom Bösen versucht werden, weil das Böse nicht den geringsten Anknüpfungspunkt in Ihm findet. Ebensowenig konnte es Jesus, der Sich hienieden in den äußeren Versuchungen (V. 2) der mannigfachsten und schwierigsten Art befand; denn keine Lust zum Bösen war in Ihm. Deshalb sagt auch der Apostel in Hebr. 4, 15 von Ihm: „Der in allem gleichwie wir versucht worden ist, ausgenommen die Sünde." 

Wir können vom Bösen versucht werden, und dies beweist, daß die Lust dazu in uns vorhanden ist. Sie ist es — und nicht Gott — die uns zum Bösen fortzieht und lockt, und hat sie dasselbe in sich aufgenommen und genossen, dann tritt die Sünde als Tat hervor. Somit ist die Sünde die Frucht der Lust, nachdem sie empfangen hat, und der Tod ist die Frucht der vollendeten Sünde. Von Gott dagegen kommt „jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk" (V. 17). Er ist der „Vater der Lichter" — die alleinige und unveränderliche Quelle alles Guten und alles dessen, was zur Glückseligkeit leitet. Nicht der geringste Wechsel, noch irgend eine Veränderung ist bei Ihm. Und Er allein ist auch die Quelle, aus welcher wir, d. s. alle Wiedergeborenen, hervorgegangen sind. Der Beweggrund zu unserer Zeugung, ist Sein W i l l e , das Mittel Sein W o r t , das „Wort der Wahrheit", und der Zweck ist, uns als „ E r s t l i n g e s e i n e r S c h ö p f u n g " d. i. der neuen, die nicht durch Sünde verderbt ist, darzustellen. Erst in der völligen Offenbarung des Reiches, in der vollendeten Erneuerung, wird die eigentliche Ernte sein. Die in Zeiten der Drangsal gesammelten Gläubigen bilden gegenüber der bei völliger Enthüllung des Reiches stattfindenden E r n t e die E r s t l i n g e Seiner Schöpfung. Beide aber, das Ge- 22 schöpf und die Schöpfung, sind aus Gott, der unveränderlichen Quelle allen Lichtes hervorgegangen, und auf diese Tatsache gründet der Apostel die folgenden Ermahnungen: Vers 19-27. „Also sei denn, meine geliebten Brüder usw." Dies „also" zeigt uns die Verbindung mit dem Vorhergehenden" (V. 17. 18). Das Wort h ö r e n und t u n sind zwei Stücke, welche der Apostel hier den Gläubigen besonders ans Herz legt. Das viele Reden oder Disputieren, selbst wenn es die köstlichsten Dinge betrifft, macht weder das Herz wahrhaft glücklich, noch wird Gott dadurch verherrlicht (V. 19). Ebensowenig wirkt der Zorn des Mannes die Gerechtigkeit Gottes; denn der Zornige ist nicht einmal fähig, im Frieden über das nachzudenken, was Gott wohlgefällig ist, und noch viel weniger fähig, dasselbe zu tun. 

Er handelt nach den Leidenschaften seines Fleisches. Gott Selbst aber auch ist langsam zum Zorn (Ps. 103,3). Er handelt mit großer Langmut und Gnade gegen den Sünder, und wir sind ermahnt, in derselben Gesinnung einherzugehen. Je mehr das Böse in uns wirksam ist, desto unfähiger sind wir, das Wort der Wahrheit in uns aufzunehmen. Deshalb ermahnt der Apostel in V. 21 zuerst, „alle Unsauberkeit und alles Übermaß von Schlechtigkeit abzulegen." Es ist selbstredend, daß, wenn a l l e Unsauberkeit abgelegt werden soll, auch j e d e Schlechtigkeit zum Übermaß gehört. Dann ermahnt er, das eingepflanzte d. i. unter sie gepflanzte oder ihnen verkündigte Wort mit S a n f t m u t zu empfangen, nicht mit aufgeregtem oder erbittertem Gemüt und widersprechendem Geiste. Die Aufnahme dieses Wortes ist zu wichtig; denn es ist fähig, unsere Seelen zu erretten. Es handelt sich nun aber darum, Täter des Wortes zu sein (V. 22). Begnügen wir uns mit dem Hören, so betrügen wir uns selbst, wie uns das Bild in V. 23 und 24 ganz deutlich zu erkennen gibt. Ein Spiegel kann uns unsere Flecken wohl anzeigen; aber was hilft es, wenn wir uns nicht reinigen, sondern immer wieder hingehen und vergessen, wie wir sind? Ebenso ist es mit dem bloßen H ö r e n des Wortes. Doch derjenige, welcher „in das vollkommene Gesetz, in das der Freiheit nahe 

hineingeschaut hat und darin geblieben ist, dieser wird in seinem Tun glückselig sein" (V. 25). — Das durch Moses gegebene Gesetz war das der Knechtschaft, und war an Gottlose gerichtet. Es verhieß dem, der es erfüllte, das Leben, und brachte, weil es niemand erfüllte, allen den Tod. Dies Gesetz aber, wovon hier die Rede ist, ist vollkommen — vollkommen in seiner Quelle, in seinem Wesen und in seinen Forderungen. Spricht es auch mit dem Gesetz auf Sinai dieselben Gebote aus — denn der 23 Charakter Gottes kann sich nie verleugnen — so ist doch unsere Stellung zu demselben eine ganz andere. Es wendet sich an Lebende und ist in völliger Übereinstimmung mit der n e u e n Natur, dem Leben aus Gott. 

Es wirket weder den Tod, noch gebieret es zur Knechtschaft, sondern als das Gesetz der Freiheit wendet es sich an solche, die von der Knechtschaft der Sünde und dem verdammenden Gesetz völlig befreit sind. Dies Gesetz ist mit einem Wort der vollkommene Ausdruck des Lebens, welches wir in Christo Jesu besitzen; und wer in diesem Gesetz wandelt, wird in Wahrheit glückselig sein. Wie eitel aber ist hingegen der vorgebliche Gottesdienst dessen, der seiner Zunge freien Lauf läßt, und, indem er als vergeßlicher Hörer in seinem Zustand beharrt, sein Herz verführt! (V. 26). Und ach, wie ist in unseren Tagen dieser traurige Selbstbetrug in der Christenheit so allgemein geworden! Im letzten Vers dieses Kapitels sagt nun der Apostel, worin „der reine und unbefleckte Gottesdienst vor Gott und dem Vater" bestehe: „...di e Waisen und Witwen in ihrer Drangsal zu besuchen, sich selbst von der Welt unbefleckt zu bewahren."

 Die wahre Quelle, woraus dieser Dienst entspringt, ist die e r b a r m e n d e L i e b e und die Heiligkeit, d. i. völlige Absonderung von der Welt und ihrem Wesen. Unser Dienst muß, wenn er Gott gefallen soll, Seinem eigenen Wesen völlig entsprechen; und Gott ist die Liebe, und Er ist ein heiliger Gott. Er ist auch der Witwen und Waisen Vater; und nur in Übereinstimmung mit diesem Charakter und dieser Gesinnung ist unser Dienst rein und unbefleckt und hat das Wohlgefallen Gottes. Kapitel 2 V. 1-3. In diesem Kapitel fährt der Apostel in seinen Ermahnungen fort, indem er besonders auf vorhandene Zustände eingeht. Zunächst tadelt er, daß sie „ die Personen ansehen " , und zeigt, daß dies weder mit dem Glauben an Jesum Christum, den Herrn der Herrlichkeit (V. 1), noch mit den Gedanken und der Handlungsweise Gottes (V. 5), noch mit dem Gesetz (V. 9) in Übereinstimmung sei. Christus und Seine Herrlichkeit stehen in dem völligsten Gegensatz zu der scheinbaren Herrlichkeit des Fleisches, dem Reichtum dieser Welt. Das Kreuz Christi hat beides für immer geschieden. Der Unglaube huldigt dieser und verwirft jene, wie auch in V. 7 von den Reichen gesagt wird: „ V e r l ä s t e r n s i e n i c h t d e n g u t e n N a m e n , d e r ü b e r e u c h a n g e r u f e n i s t ? " Deshalb kann auch 24 nicht der Glaube Christum und Seine Herrlichkeit verehren und zugleich der scheinbaren Herrlichkeit des Fleisches, welches Ihn verworfen hat, huldigen. Diese Huldigung würde nur beweisen, wie wenig das Kreuz Christi — die völlige Scheidewand zwischen Ihm und dem Fleische — verstanden würde. Der 2. Vers ist d e s h a l b besonders beachtenswert, weil er uns das Verständnis des ganzen Briefes sehr erleichtert. Er zeigt uns, wie schon bemerkt, daß dieser B r i e f sowohl als auch die P e r s o n e n , an welche er gerichtet ist, noch in Verbindung mit der Synagoge standen. Dorthin kamen sie zur gemeinschaftlichen Erbauung und Belehrung zusammen, und jeder hatte, — nicht als Christ, sondern — als Israelit ein Recht, dort zu sein. Es war also eine gemischte Versammlung von wahren Gläubigen und Nichtgläubigen. Ebensowenig handelt es sich auch darum, ob die in V. 2 und 3 erwähnten Armen und Reichen Gläubige waren oder nicht. Wir haben sie hier nach ihrer äußeren Stellung in dieser Welt, und nach dieser wurden sie von denen behandelt, welche die Personen ansahen. V. 4-7. In diesen Versen sehen wir nun, wie schon vorhin bemerkt, daß das A n s e h e n d e r P e r s o n auch nicht nach den Gedanken und der Handlungsweise Gottes ist. Vor Ihm hat das Fleisch k e i n Ansehen; Er urteilt vielmehr also: „Alles Fleisch ist Gras und alle seine Herrlichkeit wie die Blume des Feldes.

 Das Gras ist verdorrt und die Blume ist abgefallen" (Jes. 40, 6. 7). Es hat nicht den geringsten Wert vor Ihm; Er hat es im Gegenteil völlig verworfen. Er erwählt aber die Armen; Er gibt denen, welche nichts haben, unermeßliche Reichtümer — Reichtümer, die durch den Glauben hienieden schon erkannt und genossen werden. „Er macht die A r m e n z u E r b e n s e i n e s R e i c h e s , w e l c h e s e r d e n e n , d i e ih n l i e b e n , v e r h e i ß e n h a t " (V. 5). Dieselben Grundsätze finden wir in 1. Kor. 1, 26-29 ausgesprochen: „Denn ihr sehet eure Berufung, Brüder, daß nicht viele Weise nach dem Fleische, nicht viele Mächtige, nicht viele Edle sind, sondern Gott hat das Törichte der Welt auserwählt usw." Von den Reichen aber sagt Er: „W i e s c h w e r l i c h w e r d e n die , w e l - c h e G ü t e r h a b e n , i n d a s R e i c h G o t t e s e i n - g e h e n ! " (Mark. 10, 23). 
Das Vertrauen auf Reichtum ist mit Stolz und Erhebung gegen Gott verbunden. „Ver - l ä s t e r n si e n i c h t de n g u t e n N a m e n , d e r ü b e r e u c h a n g e r u f e n i s t ? " (V. 7). Und die Gesinnung des Reichen dieser Welt ist der Gesinnung Gottes völlig entgegengesetzt. Er unterdrückt und bedrängt, was Gott aufrichtet und segnet. „ U n t e r d r ü c k e n e u c h n i c h t d i e 25 R e i c h e n u n d z i e h e n si e e u c h n i c h t v o r d i e G e r i c h t e ? " Bei Gott finden also die Vorzüge des Fleisches k e i n e Anerkennung, sondern vielmehr Verwerfung; und deshalb handeln alle, welche die „Person ansehen", den Gedanken und der Handlungsweise Gottes entgegen. „ I h r a b e r h a b t de n A r m e n g e r i n g g e s c h ä t z t " (V. 6). Sie erniedrigen, was Gott erhöht, und erhöhen, was Gott erniedrigt. Sie begehen ein Unrecht an den Armen; und machen eine Trennung oder einen Unterschied, der vor Gott ganz und gar verwerflich ist; sie urteilen oder richten nach den bösen Gedanken ihres Herzens (V. 4). V. 8-11. Endlich ist das Ansehen der Person wider das Gesetz, welches sagt: „Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst" (V. 8). Dies wird das königliche genannt, weil es alle die übrigen Gebote, die auf unseren Nächsten Bezug haben, in sich einschließt. Die Erfüllung dieses einen Gebotes ist die Erfüllung des ganzen Gesetzes nach dieser Seite; denn es steht geschrieben: „. . . d i e L i e b e t u t d e m N ä c h s t e n k e i n Übels . So is t d i e L i e b e di e E r f ü l l u n g d e s G e s e t z e s " (Röm. 13, 10). Beim „Ansehen der Person" aber wird das Gesetz übertreten; der eine wird überschätzt, der andere geringgeschätzt. Das Gesetz aber fordert, den Nächsten zu lieben, wie ich mich selbst liebe, und verwirft jeden Unterschied. 

Ebenso kann es mir nicht gleichgültig sein, ob ich in irgend einem Punkte des Gesetzes fehle; denn dieser e i n e Punkt macht mich zum Übertreter des ganzen Gesetzes und bringt mich unter dessen Urteil. Alle Gebote des Gesetzes haben e i n e Quelle und entsprechen dem Wesen und der Natur dessen der sie gegeben hat. Da ist kein Widerspruch, kein Gegensatz; das Gesetz offenbart in allen seinen Geboten ein und denselben Charakter. Die e i n e Übertretung aber offenbart, was in mir ist. Wäre wirkliche Übereinstimmung mit dem Gesetz vorhanden, so würde sich dies überall kundgeben. Tue ich irgend eine Handlung, die dem Gesetz gemäß zu sein scheint, so zeigt dies noch nicht meine Übereinstimmung mit demselben. Es mag gerade der augenblickliche Wunsch und Wille meines Fleisches sein, etwas zu tun, was auch das Gesetz fordert. Wenn ich aber in dem nächsten Augenblick, wo das Gesetz etwas fordert, was meiner Neigung und meinem Willen entgegensteht, dasselbe übertrete, so bin und handle ich also, jetzt wie vorhin, in Übereinstimmung mit meinem Fleische, aber nicht mit dem Gesetz. Deshalb macht auch die Übertretung des einen Gebotes mich zum Übertreter des g a n z e n Gesetzes; ich bin „i n a l l e m s c h u l d i g g e w o r d e n " , weil alles in 26 völliger Übereinstimmung ist, und ich durch die e i n e Übertretung im Gegensatz zu a l l e m bin. V. 12. 13. Bei Betrachtung des 25. Verses des ersten Kapitels haben wir schon über die Bedeutung dieses „ G e - s e t z e s d e r F r e i h e i t " gesprochen. Hier sind wir ermahnt, stets als solche zu wandeln, „ d i e d u r c h d i e s G e s e t z d e r F r e i h e i t g e r i c h t e t w e r d e n s o l - l e n " (V. 12). Auch der Christ ist nicht ohne Verantwortlichkeit; aber stets ist er verantwortlich unter der Gnade, die ihn für immer vor j e d e r Verdammnis sicherstellt. Der Maßstab seiner Verantwortlichkeit ist aber dies „Gesetz der Freiheit", welches in völliger Übereinstimmung mit der neuen Natur ist, die wir in Christo Jesu empfangen haben. Nach diesem Gesetz wird unser Wandel von Gott beurteilt; und entspricht dieser Wandel dem Leben, welches wir in Christo Jesu haben, so entspricht er auch dem „Gesetz der Freiheit", weil dies der völlige Ausdruck jenes Lebens ist. Das „Gesetz der Knechtschaft" richtet nur das ä u ß e r e Verhalten, das „Gesetz der Freiheit" aber auch die G e s i n n u n g des Menschen. Zugleich ist dies Gesetz der Ausdruck des Wesens Gottes, als geoffenbart in Christo Jesu.

 Und also richtet Gott nach dem, was Er Selbst ist und wie Er Sich in Christo Jesu dem Menschen geoffenbart hat. Er hat Sich aber als ein barmherziger Gott geoffenbart und darum kann auch nur der Barmherzige im Gericht triumphieren; denn „er wird Barmherzigkeit erlangen" (siehe Matth. 5,7; 25,31-46). Der Unbarmherzige aber findet kein Erbarmen; ihn wird das Gericht sicher treffen (V. 13). V. 14-19. In diesem Abschnitt und bis zu Ende des Kapitels tritt der Apostel denen entgegen, die sich mit einem äußeren Scheinglauben beruhigen und darauf ihre Errettung gründen. „W a s n ü t z t e s , m e i n e B r ü d e r , w e n n j e m a n d sagt , e r h a b e G l a u b e n , a b e r e r h a t n i c h t W e r k e ? " (Vers 14). Ein solcher werkloser Glaube ist in der Tat nichts weiter, als ein äußeres Zustimmen der Dinge, welche durch Glauben erkannt und verwirklicht werden. Er errettet aber ebensowenig, wie fromme Wünsche einen Hungrigen speisen und einen Nackten kleiden (V. 15.16). Dennoch gibt es eine unzählige Menge, die in ihren Sünden und in ihren bösen Werken beharren und dabei bekennen: „Ich glaube, daß Gott gnädig ist und daß Jesus Christus am Kreuze Sein Leben für unsere Sünden dahingegeben, hat"; und mit diesem Selbstbetrug suchen sie sich zu beruhigen. Der wahre Glaube aber offenbart sich in lebendiger und wirksamer Kraft, wie es uns namentlich in Hebr. 11 an so vielen Beispielen klar dargestellt ist, wo es auch im 1. Vers heißt: „De r G l a u b e 27 a b e r is t d i e V e r w i r k l i c h u n g d e s s e n , w a s m a n h o f f t , u n d di e Ü b e r z e u g u n g d e s s e n , w a s m a n n i c h t sieht. " — Durch ihn finden wir in dem Opfer Christi Vergebung der Sünden und Frieden mit Gott; durch ihn erkennen wir unsere neue Stellung in dem Auferstandenen und rühmen uns in Hoffnung der Herrlichkeit Gottes. Und also erweist sich der wahre Glaube als eine lebendige Kraft, die uns hienieden in guten Werken leiten wird. „ D e r G l a u b e a b e r , w e n n e r k e i n e W e r k e h a t , is t t o t a n s i c h s e l b s t." Er ist, wie wir im 26. Vers sehen, wie „der Leib ohne Geist" oder wie die Schale ohne Kern. Aus den Werken allein kann der wahre Glaube erkannt werden. Ohne diese sein Vorhandensein beweisen zu wollen, ist unmöglich (V. 18). Es mag ein toter unfruchtbarer Glaube, ein äußeres Fürwahrhalten, daß Gott ein Einiger ist, da sein; aber ein solcher Glaube steht mit unserer Errettung in keiner Verbindung. Er nimmt die Furcht vor dem Tode und dem Gericht nicht hinweg und gibt der Seele keinen Frieden; denn selbst die Teufel glauben, und .sind mit Angst und Schrecken erfüllt (V. 19). Der wahre Glaube aber macht frei vom bösen Gewissen und ist wirksam in guten Werken; und diese gerade sind ein deutlicher Beweis seines Vorhandenseins in uns. Wie traurig aber ist es, viel vom Glauben zu reden, und wenig das gesegnete Vorhandensein desselben durch gute Werke in unserem täglichen Wandel zu beweisen! V. 20-26. Jetzt zeigt der Apostel an einigen Beispielen aus der Schrift, daß der wahre Glaube stets mit Werken verbunden geht. Abraham offenbarte in der Opferung seines Sohnes Isaak den vorhandenen Glauben, der ihn zu diesem Werke fähig machte (V. 21). 

Es ist der G l a u b e , welcher die Werke hervorbringt, und d i e s e sind es, wodurch der Glaube offenbart und vollendet wird (V. 22). Daher sind G l a u b e und W e r k e unzertrennlich. — Ebenso war auch die Tat der Hure Rahab, „da sie die Boten aufnahm und sie auf einem anderen Wege hinaus ließ", ein Zeugnis des in ihr vorhandenen Glaubens, durch welchen sie das Volk Israel, als Gottes Volk erkannte, ehe dieses noch im Genuß seines Erbteils war (V. 25). Ihre Tat war eine Tat des Glaubens. Wenn der Apostel Paulus in Röm. 3, 28 sagt, „ d a ß d e r M e n s c h d u r c h d e n G l a u b e n , o h n e d e s G e - s e t z e s W e r k e g e r e c h t f e r t i g t w e r d e", so scheinen die Worte Jakobus' hier in V. 24 damit in Widerspruch zu stehen. Jedoch haben wir wohl zu beachten, daß Paulus von der Annahme des^ Sünders spricht und bei diesem Gnadenakt j e d e Mitwirkung des Sünders ausschließt, und 28 daß dies etwas ganz anderes ist, als wenn Jakobus zu solchen redet, welche sich mit einem Scheinglauben beruhigen, und wenn er von diesen den Beweis ihres vorhandenen Glaubens durch die W e r k e fordert. Jene gründeten ihre Rechtfertigung vor Gott auf Werke o h n e G l a u b e n und diese auf einen Glauben o h n e W e r k e . „Wi e a b e r d e r L e i b o h n e de n G e i s t t o t ist , als o is t a u c h d e r G l a u b e o h n e d i e W e r k e t o t " (V. 26). Wir werden aus Glauben gerechtfertigt; aber nicht aus einem Glauben, der ohne Werke ist, sondern aus einem Glauben, der sich in guten Werken lebendig und wirksam erweist. Diese sind der Beweis des Glaubens, der uns rechtfertigt und errettet. Und wenn Jakobus sagt: „S o s e h e t i h r , d a ß ei n M e n s c h au s W e r k e n , u n d n i c h t a l l e i n a u s d e m G l a u b e n g e r e c h t f e r t i g t w i r d " (V. 24), so sieht er den rechtfertigenden Glauben in den Werken eingeschlossen, während jene, die sich mit einem Glauben ohne Werke begnügten, durch einen solchen Glauben keine Rechtfertigung fanden. Kapitel 3 Vers 1. 2. Die Sucht, Lehrer sein zu wollen, veranlaßt den Apostel (V. 1), auf die größere Verantwortlichkeit eines Lehrers aufmerksam zu machen. Ein solches Trachten sollte stets von dem Gefühl dieser Verantwortlichkeit einerseits und andererseits von dem Gefühl unserer Schwachheit, „d a w i r a l l e m a n n i g f a l t i g s t r a u c h e l n " , begleitet sein. Die Größe dieser Verantwortlichkeit tritt uns besonders im 2. Vers entgegen, wo nicht derjenige als ein vollkommener Mann bezeichnet wird, der in keiner Tat , sondern derjenige, welcher „in keinem W o r t e strauchelt", und der also fähig ist, „auch den ganzen Leib zu zügeln". 

Das Maß unserer Verantwortlichkeit ist also die Unfehlbarkeit im Wort oder in der Rede, und dies ist besonders für solche, welche als Lehrer auftreten, sehr beherzigenswert. V. 3 - 9. In Verbindung mit dem Vorhergehenden fährt der Apostel in diesem Abschnitt nun fort, die Gewalt und die Unbezähmbarkeit der Zunge zu schildern, um uns die stete Gefahr des Straucheins in dieser Beziehung recht fühlbar zu machen und uns zur Wachsamkeit und zu einem Wandel in Furcht zu ermahnen. Es ist aber zu beachten, daß er hier die Zunge nach ihrem eigentlichen und natürlichen Wesen, wie sie sich bei den Menschen offenbart, beschreibt. Er vergleicht sie mit dem Gebiß im Maule des Pferdes (V. 3), „womit man den ganzen Leib desselben umwendet", und mit dem kleinen Steuerruder, womit der 29 Wille des Steuermanns das ganze Schiff inmitten der heftigen Winde lenkt (V. 4). „ A l s o is t a u c h d i e Z u n g e e i n k l e i n e s G l i e d u n d r ü h m t s i c h g r o ß e r D i n g e " (V. 5). Sie ist fähig, die Masse der Menschen, ja ganze Völker in Bewegung und Aufruhr zu bringen und zu jeder bösen Tat fortzureißen. Sie ist wie ein kleines Feuer, womit man einen großen Haufen anzünden kann; sie ist die Triebfeder von allerlei Schalkheit und Bosheit — „eine Welt voll Ungerechtigkeit"; und von der Hölle angezündet oder entflammt, befleckt sie den ganzen Leib, setzt den Lauf der Natur des Menschen in Bewegung (V. 6) und treibt ihn zu allerlei Sünde und Ungerechtigkeit fort. Sie ist selbst schrecklicher und furchtbarer als die wilden Tiere, deren natürliche Wildheit durch die menschliche Natur gezähmt werden kann (V. 7); aber kein Mensch ist im Stande, die Zunge zu zähmen. „Si e is t e i n u n a u f - h a l t s a m e s Ü b e l v o l l t ö d l i c h e n G i f t e s " (V. 8). Nichts vermag ihren verderblichen Lauf zu hemmen. Sie lobt Gott und flucht Seinem Bilde, d.i. dem Menschen (V. 9); sie vermag also beides, zu „loben und zu fluchen" (V. 10). V. 10 - 12. Es könnten durch Vers 9 und 10 etliche versucht werden, zu denken, daß durch das Wörtchen „wir" auch wahre Gläubige gemeint seien, weil sich ja der Apostel selbst mit einzuschließen scheint. Doch beachten wir zunächst, daß hier von der Natur und dem Wesen der Zunge im Allgemeinen die Rede ist, und daß in Kap. 1, 26 im Gegenteil gesagt wird, daß der Gottesdienst dessen, d e r s e i n e Z u n g e n i c h t z ü g e l t , eitel sei." Dann auch schreibt der Apostel, wie schon bemerkt, nicht an eine Versammlung von Gläubigen, sondern an die zwölf _ Stämme (Kap. 1,1). Die Gläubigen hier, sowohl der Apostel als auch diejenigen, welche er in seinem Brief erwähnt, standen nicht als ein abgesonderter und sichtbarer Leib da, wie die Versammlungen, welche durch Paulus gegründet waren, sondern waren noch in Verbindung mit dem Judentum und darum sagt auch der Apostel, als v e r b u n d e n m i t d e m g a n z e n V o l k e : „Wir loben und fluchen!" Wie verwerflich aber, ja wie unnatürlich dieses ist, zeigt er in dem 11. und 12. Vers, nachdem er in Bezug auf das Vorhergehende gesagt hat: „ D i e s e s , m e i n e B r ü d e r , s o l l t e n i c h t a l s o s e i n " (V. 10). 
Eine Quelle kann nicht aus demselben Loch zugleich Bitteres und Süßes hervorsprudeln lassen und ein und derselbe Baum nicht verschiedenartige Früchte tragen; ebenso wäre es auch ganz ungereimt und unnatürlich, wenn in der Mitte derer, welche vorgaben, das Volk Gottes zu sein und sich sogar des Glaubens rühmten, solche traurige Früchte der Sünde und Ungerechtigkeit aufwuch- 30 sen, wie es auch ganz ungereimt ist, wenn ein Einzelner, der an Christum gläubig zu sein vorgibt, in Sünden fortlebt. V. 13-18. Aus dem Vorhergehenden und Nachfolgenden geht klar hervor, daß sich in der Mitte derer, an die der Apostel schreibt, viel Aufblähung und falscher Eifer und Parteisucht kundgab. Deshalb vermahnt sie der Apostel, ihre Weisheit durch einen „guten Wandel" und in Werken, die von wahrer Sanftmut zeugten, an den Tag zu legen (V. 13); denn hierin offenbart sich die wahre Weisheit, nicht aber in eitlen Worten, wobei das Herz mit Eifer und Parteisucht erfüllt ist. Ein solcher Eifer sucht nicht die Wahrheit, sondern sich selbst; er rühmt sich seiner Weisheit und steht doch im völligen Gegensatz zu der Wahrheit (V. 14). Eine solche Weisheit aber hat ihre Quelle nicht in Gott, und kommt nicht von oben; sondern ihre Quelle ist die Erde, das Fleisch und der Teufel (V. 15). 

Sie offenbart sich in „Eifer und Parteisucht" und ihre Früchte sind „Aufruhr und jede schlechte Tat" (V. 16). Welch einen traurigen Gegensatz bildet diese Weisheit zu der wahren, die von oben ist! Denn die Weisheit von oben ist von allem Bösen abgesondert; sie offenbart sich in Reinheit, Friedfertigkeit, Nachgiebigkeit und Barmherzigkeit; sie ist reich an guten Früchten und frei von aller Parteisucht und Heuchelei (V. 17); denn sie ist aus der Wahrheit und Gott Selbst ist ihre Quelle. Da, wo diese Weisheit ist, da ist auch Friede; und nur der Friede ist der wahre Boden, auf welchem die Frucht der Gerechtigkeit wächst, und ist auch der wahre Zustand derer, von welchen die Gerechtigkeit gesät wird (V. 18). Kapitel 4 V. 1-6. In den vier ersten Versen hier sehen wir die Kundgebung und Wirkung der in Kapitel 3, 15 erwähnten Weisheit, die „nicht von oben herniedergekommen", sondern „irdisch, sinnlich und teuflisch ist". Während die Weisheit von oben aufs erste rein, dann „friedsam, nachgiebig usw. ist" (V. 17), gab sich diese falsche Weisheit derer, an welche sich der Apostel hier wendet, durch allerlei Kriege und Kämpfe kund. Und die Quelle aller dieser Kriege und Kämpfe waren die Wollüste, die in „ihren eigenen Gliedern stritten" (V. 1). Doch auch hier dürfen wir nicht vergessen, daß dieser Brief an die zwölf Stämme, aus deren Mitte der gläubige Überrest noch nicht abgesondert war, gerichtet ist. Wenn es auch leider der Fall ist, daß diese verwerfliche Weisheit sich selbst unter wahren Gläubigen oft kundgegeben hat und noch kund gibt, so darf uns doch diese trau- 31 rige Wahrnehmung nicht verleiten, von diesem, Brief eine falsche Anwendung zu machen. Wenn wir daran denken, daß dem Volke Israel eine irdische Herrlichkeit verheißen ist, und was überhaupt das Herz hienieden sucht, und daß im Gegenteil, Armut, Elend und Unterdrückung das Teil dieses Volkes war, so können wir leicht begreifen, worauf ihr Begehren und Trachten gerichtet war. Sie suchten aber in ihrem Hochmut durch eigenes Wirken das zu erlangen, was nur Gott ihnen geben konnte und was Er nur dem Demütigen geben will. Alle ihre Anstrengungen waren deshalb auch vergeblich (V. 3), weil sie nicht auf die rechte Weise suchten und sich im Gebet an die wahre Quelle alles Guten wandten. Und selbst wenn sie Gott mit Bitten nahten, so geschah es nicht mit einem demütigen Herzen; und sie wollten auch nur das Begehrende besitzen, um es in ihren Wollüsten zu verzehren (V. 3). Würden ihre Bitten wirklich Erhörung gefunden haben, so würde dies nur zu ihrem eigenen Schaden geschehen sein.

 Ach, wie oft muß Gott aus demselben Grund selbst Seinen Kindern ihre Bitten versagen. Andererseits suchte das Volk durch Freundschaft mit der Welt ihre Begierde zu befriedigen (V. 4). Sie hatten vergessen, daß Gott ihr Mann war (Hos. 2, 7. 16), der auch stets bereit stand, sie in allem zu versorgen. Sie gaben sich der Welt hin, welche im völligen Gegensatz zu Gott steht; sie erwählten diese zu ihrem Versorger und machten sich also des traurigsten Ehebruchs gegen Gott schuldig und stellten sich auch durch diese Verbindung mit der Welt sogar als Feinde Gottes dar. In Verbindung mit dem Vorhergehenden erwähnt der Apostel in Vers 5, daß das Begehren des Geistes im Menschen mit Neid oder Eifersucht und Mißgunst verbunden sei. Dies ist die natürliche Neigung des Herzens, wobei aber nichts erlangt wird, wie wir in V. 2 sehen. Dagegen empfangen wir von Gott größere G n a d e . Er gibt reichlich und gibt alles u m s o n s t ; doch nicht denen, welche hassen und neiden, sondern denen, welche sanftmütig und demütig sind. Der Hochmut des Herzens steht immer den Gnadenspendungen Gottes im Wege; denn „ G o t t w i d e r - s t e h t de n H o c h m ü t i g e n , a b e r de n D e m ü t i - ge n g i b t e r G n a d e " (V. 6). V. 7-10. In diesen Versen ermahnt nun der Apostel, in die wahre Stellung einzutreten, in welcher die Verheißungen Gottes allein erlangt werden können. Zu diesem Ende war eine völlige Umkehr nötig. In ihrem bisherigen Dichten und Trachten waren sie dem Teufel unterworfen gewesen und hatten durch ihn sich leiten lassen. Jetzt sollten sie sich 32 im Gegenteil „Gott unterwerfen" und dem „Teufel widerstehen" (V. 7). Dieser Widerstand konnte aber nur dann von wirksamem Erfolg sein — so daß der Teufel von ihnen floh — wenn sie sich zuerst unterworfen hatten, damit sie in Seiner Kraft Widerstand leisteten. Anders stand das Fleisch, die eigene Kraft auf dem Kampfplatz, und in diesem Falle war Satan der Stärkere; und so ist es immer. In V. 8 werden sie ermahnt, „Gott zu nahen" — ein Beweis, daß sie nicht in Seiner Gegenwart wandelten. Dies Nahen aber, wenn es mit wahrer Demut des Herzens verbunden war, offenbarte ihr Vertrauen zu S e i n e r Macht und Hilfe; und diesem Vertrauen will Gott antworten. Er wird ihnen nahen und ihnen darreichen, wessen sie bedürfen. Um aber in Seiner Gegenwart zu erscheinen, ist es nötig, sich zu reinigen; nicht nur äußerlich, wie es schon das Gesetz erforderte, wenn Israel Gott nahen wollte (2. Mos. 19, 10. 11), sondern auch innerlich — „die Hände und die Herzen" (V. 8). Er fordert die Reinigung von ihren bösen Taten und von ihrer schlechten Gesinnung. Weiter sollten sie in Anerkennung ihrer Sünden niedergeschlagen sein, „trauern und weinen"; denn in dieser Gesinnung allein findet der schuldbeladene Sünder Zugang zu Gott; und durch dieselbe verherrlicht er Ihn, indem er anerkennt, „daß Gott wahrhaftig ist und alle Menschen Lügner" (Röm. 3, 4). Durch ihre Selbsterhebung erlangten sie nichts, denn Gott widerstand ihnen. Sollte Gott sie erhöhen, so mußten sie sich selbst vorher erniedrigen. Nach diesem Grundsatz handelt Gott zu jeder Zeit. Auch Jesus hat Sich erniedrigt, indem Er „sich zu nichts machte", und darum hat Ihn Gott über alles erhöht (siehe Phil. 2, 5-11). V. 11. 12. Der Apostel tadelt in diesen Versen das lieblose Verhalten des einen gegen den anderen. „ R e d e t n i c h t Ü b e l w i d e r e i n a n d e r , B r ü d e r ! " Das Gesetz fordert die Liebe und verwirft das Übelreden. Wer es dennoch tut, handelt nicht nach dem Gesetz; er verachtet den Bruder und auch das Gesetz. Dies tritt aber noch mehr hervor, wenn er einen Bruder richtet, der in Übereinstimmung mit dem Gesetz wandelt. 

Da trifft das Übelreden und Richten noch vielmehr das Gesetz, indem er das an jenem richtet, was dieses gutheißt und gebietet. Bei einer solchen Handlungsweise aber haben wir die uns geziemende Stellung verlassen; wir sind nicht mehr ein T ä t e r , sondern ein R i c h t e r des Gesetzes. Zugleich aber haben wir auch vergessen, daß der, welcher zu erretten und zu verderben vermag, das Gesetz gegeben und das Gericht übernommen hat. Beides kommt Ihm allein zu. Durch unser Richten 60 33 aber überschätzen wir uns selbst, und maßen uns an, in Seine Rechte einzugreifen. V. 13-17. In diesem Abschnitt wendet sich der Apostel an solche, die sich weder ihrer völligen Abhängigkeit von Gott, noch ihrer eigenen Nichtigkeit und Ohnmacht bewußt waren (V. 13. 14). 
Sie handelten nach dem Hochmut ihres eigenen Herzens und fragten nicht nach Gott (V. 15). Sogar brüsteten sie sich in solchen Prahlereien, wie wir sie in V. 13 finden. —• Der letzte Vers bezeichnet auch das Unterlassen des Guten, was man zu tun weiß, als Sünde. Viele möchten sich gern damit begnügen, das Gute zu wissen; Gott aber begnügt sich nicht damit. Er fordert die T a t Sein Name wird nur dadurch von uns verherrlicht, wenn wir alles das, was wir vor Ihm als wohlgefällig anerkennen, auch erfüllen. Das Unterlassen aber ist Sünde. Kapitel 5 V. 1-6. Während der Apostel in den ersten Versen dieses Kapitels (V. 1-6) den Reichen, welche in ihrem Wohlleben und in ihrem Hochmut die Armen und Geringen unterdrückt und bedrängt haben, das bevorstehende schreckliche Gericht verkündigt, tröstet er in den folgenden Versen (V. 7-11) die bedrängten und leidenden Gläubigen mit der nahen Ankunft des Herrn, als Richter, der sich, wenn Er kommt, ihrer Sache annehmen wird. Dies ist die Hoffnung des bedrängten und treuen Überrestes Israels in den letzten Tagen. Diese letzten Tage aber hatten schon zur Zeit der Apostel begonnen; denn schon der Apostel Johannes sagt: „Kindlein, es ist die l e t z t e S t u n d e " (1. Joh. 2,18). Was charakterisiert nun den Reichen dieser Welt während dieser Zeit? Er hat in den letzten Tagen Schätze gesammelt, um den Begierden seines Fleisches zu frönen; er hat den Lohn den Arbeitern seines Ackers vorenthalten, so daß „der Schrei der Schnitter in die Ohren des Herrn Zebaoth gedrungen" ist; er hat „auf Erden üppig geletot und geschwelgt"; er hat „sein Herz gepflegt wie an einem Schlachttage"; — und was wird sein Ende sein? Er hat für sein eigenes Fleisch gesät und wird von dem Fleische Ver - d e r b e n e r n t e n (Gal. 6, 8). Was für einen Wert haben nun die gesammelten Schätze am Tage des Gerichts? Sein Reichtum ist verfault, seine Kleider sind mottenfressig geworden (V. 2). Und nicht nur ist sein Gold und Silber verrostet (V. 3), nicht nur ist der Besitz desselben nichtig und vergänglich, sondern der Rost seines Goldes und Silbers wird wider ihn zeugen. Ernste Worte! Der Rost legt Zeugnis ab von seinem Geiz (V. 3), von seiner Ungerechtigkeit 34 (V. 4), von seiner Wollust und von seiner Gewalttätigkeit (V. 5). Das sind die Charakterzüge des Reichen dieser Welt, der den Gerechten verurteilt und getötet hat, — eine traurige Wahrheit, die zwar im allgemeinen ihre Anwendung findet, die aber in der Verurteilung und Kreuzigung des Herrn ihren wahren Ausdruck gefunden und ihre schreckliche Höhe erreicht hat (V. 6). Er, der Gerechte, in unscheinbarer Knechtsgestalt umherwandelnd, fand Verachtung und Tod in der Mitte der Reichen dieser Welt; und Seine treuen Nachfolger finden ebensowenig Aufnahme und Anerkennung. Möchten aber auch wir, Seinem Bilde ähnlich, nicht widerstehen, sondern es stets als ein Vorrecht und als eine Gnade ansehen, Unrecht zu leiden. V. 7-11. Wir haben also gesehen, was der Charakter des Reichen dieser Welt und was sein trauriges Ende ist. Wie aber sollen sich die von ihnen unterdrückten Gläubigen, diese Verachteten der Erde, verhalten? Der Apostel hat ein Wort des Trostes für sie; er ermuntert sie in V. 7 und 8 „zum geduldigen Ausharren" und lenkt ihre Blicke auf die n a h e A n k u n f t de s H e r r n . Bis dahin sind mannigfache und schwere Versuchungen ihr Los; wenn aber der Herr erscheint, dann sind sie von jeder Gewalttat und jeder Verfolgung von Seiten der Ungerechten für immer errettet und werden dann ohne Aufhören ernten. — Das Bild von dem auf die Ernte geduldig harrenden Ackersmann bezeichnet deutlich die Stellung der leidenden Gläubigen auf dieser Erde. In Israel empfing die Frucht zur Zeit der Aussaat den Frühregen und zur Zeit der Reife den Spätregen. Dieser Früh- und Spätregen hat als Bild jedenfalls seine besondere Bedeutung in den Wegen Israels. Der Pfingsttag war für dieses Volk der Frühregen und die Ankunft des Herrn zum Gericht wird der Spätregen sein. Sie sind alsdann sowohl mit dem Heiligen Geiste, als auch mit Feuer getauft. Aber auch wir, als zur Versammlung, dem Leibe Christi, gehörend, finden in diesen Worten eine ernste und liebliche Ermahnung zum vollkommenen Ausharren bis zur A n k u n f t de s H e r r n ; denn Seine Ankunft wird auch für uns das Ende aller Versuchungen sein, indem sie uns in Seine glorreiche Herrlichkeit einführen wird. Für uns kommt Er als Bräutigam, um uns zu Sich in den Himmel aufzunehmen, und für jene als Richter, um sie auf der Erde von ihren Unterdrückern zu befreien. „ S e u f z e t n i c h t w i d e r e i n a n d e r , B r ü d e r , au f d a ß i h r n i c h t g e r i c h t e t w e r d e t ! " (V. 9). Dies Seufzen widereinander war, wenn auch ein stilles, so doch ein gegenseitiges Verklagen und Richten.

 Ein solches Verhalten aber war gegen die Liebe und zog das Gericht 35 nach sich. Es sollte der Gedanke, daß der Herr nahe ist, und „also der Richter vor der Türe steht", sie stets leiten — sowohl alles zu vermeiden, was sie unter Sein Gericht bringen konnte, als auch im Unrechtleiden auszuhalten. Der Apostel weist sie deshalb auf das treue Ausharren anderer Gläubigen hin, die in ähnlichen Leiden waren. Zuerst stellt er „das Beispiel der Geduld und des Leidens der Propheten" vor ihre Seele (V. 10). Die Ausharrenden werden selig gepriesen (V. 11), weil sie die Verheißung davontragen. Dies sehen wir in folgendem Vers, wo der Apostel an das Ausharren Hiobs und an das Ende des Herrn dabei erinnert (V. 11). Dies Ende des Herrn in Seinen Wegen gegen den ausharrenden Hiob offenbart Ihn als einen Gott voll Erbarmen und Mitleiden. Er segnete den Hiob nachher mit größerem Segen, als er vorher hatte. Und also wird Er Sich am Ende gegen alle offenbaren, die in der Versuchung hienieden völlig ausgeharrt haben (vergl. 2. Tim. 4, 7. 8). V. 12. In diesem Vers tritt der Apostel der Unsitte des Schwörens entgegen, die besonders bei den Juden zur Gewohnheit geworden war (vergl. Matth. 5, 35). Diese traurige Sitte findet da am meisten Eingang, wo am wenigsten die Wahrheit geredet wird. Es sind etliche der Meinung, daß der Apostel hier auch von dem Eid, den etwa die Obrigkeit zur Bezeugung irgend einer Sache von uns fordert, rede, und wollen somit jeden Eidschwur verbieten. Daß dies aber nicht der Fall sein kann, geht schon daraus hervor, daß er hier verschiedene Formeln des Eides, die unter den Juden üblich waren, nennt, und dann haben ja die Männer Gottes zu aller Zeit Eide getan, ohne daß Gott jemals Sein Mißfallen darüber bezeugt hätte (siehe 1. Mos. 14, 22-24; 1. Kön. 17, 12; Ps. 132, 2; 2. Kor. 1, 23). Er Selbst hat oft auf diese feierliche Art Seine Zusage bekräftigt, und auch der Herr Jesus beantwortete den Eid des Hohenpriesters, als dieser Ihn bei dem lebendigen Gott beschwor (Matth. 26, 63 u. 64). Der Apostel tadelt hier also nur die Unsitte des Schwörens untereinander, indem sie ihre gegenseitigen Aussprüche durch allerlei Eide, welchen sie sogar eine unterschiedene Wichtigkeit beilegten, leichtfertig beteuerten. Sie sollten vielmehr in allem wahr und aufrichtig sein, denn anders würden sie unter das Urteil des Gerichts kommen. V. 13-18. Wir sehen hier (V. 13), daß jeder Zustand und jede Lage, worin wir uns befinden, sowie auch alle unsere Gefühle stets ihren Ausdruck vor dem Herrn haben sollen. Vor Ihm sollen wir allezeit unsere Herzen ausschütten und unsere Gefühle kund werden lassen, sei es durch Gebet oder Lobgesang; denn Gott allein ist unsere Hilfe, und Ihm haben wir alles zu verdanken. 36 Die in V. 14 erwähnten Ältesten, die der Kranke zu sich rufen lassen sollte, hatten nicht in der Weise ein Amt, wie der Apostel Paulus solche hin und her in der Versammlung einsetzte, sondern waren die ältesten Personen, die, an Erfahrung reich, eine gewisse Achtung hatten. Dies war überhaupt bei den Juden Gebrauch und wir haben schon einige Male bemerkt, daß dieser Brief an solche gerichtet war, die noch mit dem Judentum in Verbindung standen. Auch das Salben mit ö l war eine jüdische Verordnung; und beachtenswert ist, daß nicht das öl, sondern das G e b e t de s G l a u b e n s den Kranken rettet oder heilt und d,ie Vergebung seiner Sünden bewirkt, wenn diese die Quelle seiner Krankheit sind (V. 15). Zu diesem Ende fordert auch der Apostel (V. 16) zu einem gegenseitigen Sündenbekenntnis und zur Fürbitte auf, mit der Versicherung, daß das Gebet des Gerechten viel vermöge, wozu das Gebet des Elias (V. 17) den Beweis liefert. Köstliche Verheißung! Jedoch dürfen wir nicht vergessen, daß nur der in Wahrheit fähig ist, für andere zu beten, dessen Herz in Gemeinschaft mit Gott wandelt. V. 19. 20. Schließlich zeigt der Apostel in diesen beiden ' Versen, wie gesegnet das Verhalten eines Christen hienieden sein kann. Ein Leben in Haß, Neid und Bitterkeit dient nur zum eigenen Unsegen und zum Unsegen anderer und gibt zu vielsn Sünden Anlaß; aber ein Wandel in Liebe und Erbarmen wird mit vielem Segen gekrönt. Die Liebe allein bessert. Durch sie sind wir durch die Gnade Gottes fähig, den Sünder von dem Irrtum seines Weges zu bekehren.

Und welch ein großer Gewinn ist es, eine „Seele vom Tode zu erretten und dadurch eine Menge Sünden zuzudecken!" Dies Zureden aber geschieht durch die wirksame Kraft des Blutes Christi, zu dessen Besprengung das Herz im Glauben gelangt. Es freuen sich aber auch die Engel Gottes über einen Sünder, der Buße tut; denn unermeßlich ist der Wert einer jeden erretteten Seele, wenn wir sie nach ihrem kostbaren Kaufpreis, nach dem heiligen und teuren Blut Jesu Christi schätzen. Dies Bewußtsein möge der Heilige Geist im Verkehr mit anderen stets in unseren Herzen lebendig erhalten! 37 

Warum seufze ich?

 „Ich elender Mensch! Wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes?" (Röm. 7, 24). „Wir selbst, die wir die Erstlinge des Geistes haben, auch wir selbst seufzen in uns selbst" (Röm. 8, 28). Es ist nichts so schwer für unsere Herzen, als stets im Gefühl der G n a d e zu bleiben, als das praktische Bewußtsein festzuhalten, daß wir nicht „unter G e s e t z , sondern unter G n a d e sind." Durch G n a d e wird das Herz „befestigt", und dennoch ist, wie gesagt, nichts schwerer für uns, als die Fülle der G n a d e zu fassen, — daß es G o t - t e s G n a d e ist, in welcher wir stehen" — und in der Macht und dem Bewußtsein derselben zu wandeln. In der Gegenwart Gottes allein sind wir fähig, zu verstehen, was die G n a d e ist; und dort zu sein, ist unser Vorrecht. Sobald wir aber Seine Gegenwart verlassen, werden immer u n s e r e e i g e n e n G e d a n k e n in uns wirksam sein, und u n s e r e G e d a n k e n erreichen die G e d a n k e n G o t t e s über uns — die Gedanken S e i - n e r G n a d e — nicht. Ebenso ist es auch unmöglich, irgend einen wahren Begriff von der G n a d e zu haben, bis wir auf dem großen Grunde derselben — der Gabe Gottes in der Person Jesu — stehen. Keine Überlegung unserer eigenen Herzen vermag „di e G n a d e G o t t e s " zu fassen; jedes wahre Verständnis von derselben muß direkt und frei von Gott kommen. Hätte ich noch irgend ein R e c h t , etwas zu e r w a r t e n , sei es auch das allergeringste, so wäre es nicht mehr reine und freie Gnade — nicht mehr diese „ G n a d e G o t t e s " , die mir zuteil würde. Selbst dann, nachdem „wir geschmeckt haben, daß der Herr gütig ist", sind gleich unsere Gedanken wirksam, sobald wis die Gegenwart Gottes verlassen haben; und ist dies der Fall, so mögen wir wegen unserer Sünden oder unserer Würdigkeit oder auch sonst etwas beschäftigt- sein, wir verlieren das Gefühl der G n a d e und vertrauen nicht mehr völlig auf dieselbe. Dieses Weggehen aus der Gegenwart Gottes ist die Quelle unserer ganzen Schwachheit, als Heilige; denn nur in der K r a f t G o t t e s vermögen wir etwas zu tun. — 38 „ w e n n G o t t fü r u n s ist , w e r m a g w i d e r u n s s e i n ? " Das völlige Bewußtsein Seiner gesegneten Gegenwart macht, daß „wir mehr sind als Überwinder." Sei es dann, daß wir an uns selbst, oder daß wir an die Umstände um uns her denken — jede Sache wird leicht. Und nur in Seiner Gemeinschaft sind wir fähig, alles nach der G n a d e zu messen. Sogar wenn wir an uns denken, indem wir in der Gegenwart Gottes auf S e i n e r G n a d e ruhen, wird uns nicht das geringste beunruhigen. „W e r w i r d w i d e r di e Au s e r w ä h l t e n G o t t e s A n k l a g e e r h e b e n ? — G o t t is t es , w e l c h e r r e c h t f e r t i g t . W e r i s t , de r v e r d a m m e ? — W e r w i r d u n s s c h e i d e n vo n d e r L i e b e d e s C h r i s t u s ? " (Röm. 8, 33. 34). Wohl mögen wir im Geist betrübt sein, wenn wir alles unter der Sünde, dem Elend und dem Verderben sehen, wie ja auch Jesus „tief im Geist seufzte und sich selbst erschütterte"; aber es ist unmöglich, über irgend etwas, was es auch sei, selbst nicht über den Zustand der Versammlung, beunruhigt zu werden, wenn wir in dem Gefühl der Gegenwart Gottes bleiben; denn dann rechnen wir auf Gott und alles wird eine Gelegenheit für die Wirksamkeit Seiner unergründlichen G n a d e . 
Die Natur rechnet nie auf die G n a d e Gottes. Sie mag wohl auf Seine B a r m h e r z i g k e i t in Vergebung der Sünde rechnen; aber auch dieses nur, weil sie sich entweder einbildet, Gott sei gleichgültig gegen die Sünde und achte sie nicht mehr, wie sie selbst es tut, oder Er habe kein Recht, sie zu richten. Die Gnade aber ist diesem ganz entgegengesetzt. Wo sie erkannt wird, da ist auch ein wahres Gefühl von der Schlechtigkeit der Sünde. Und sobald wir die Sünde nach dem. Maß Gottes zu messen gelernt haben, so sind auch unsere Herzen voll von Verwunderung über diese unergründliche G n a d e Gottes, welche sie a l l e tilgt — welcher Seinen eigenen Sohn gegeben hat, um ihretwegen zu sterben. Diese Tilgung der Sünde durch d i e B l u t v e r g i e ß u n g Jesu ist es nicht, was der natürliche Mensch unter der B a r m h e r z i g k e i t Gottes versteht; er denkt, wie gesagt, an eine Vergebung der Sünden, welche auf die Gleichgültigkeit Gottes gegen dieselbe gegründet ist, und dies ist nicht G n a d e . Wenn das Gewissen aufgewacht ist, und es wird — ohne die Gnade recht zu kennen, an die Verantwortlichkeit gedacht, so ist das Erste, was es tut, sich unter da s G e s e t z zu stellen. Es kann nicht anders sein. Selbst der natürliche Mensch tut dies oft. Er kennt keinen anderen Weg, um Gott zu gefallen, als dem G e s e t z zu gehorchen, und in seiner Unwissenheit über Gott und über sich selbst denkt er 39 dies zu können. 

Verstehen wir aber einfach, was die Gnade ist, so besitzen wir die wahre Quelle unserer Kraft, als Christen; und das Bleiben in dem Gefühl der G n a d e in der Gegenwart Gottes ist das ganze Geheimnis der Heiligkeit des Friedens und der Ruhe des Geistes. Es gibt zwei Dinge, welche den Frieden des Geistes stören können, und welche, indem sie oft miteinander verwechselt und vermengt werden, den Herzen der Heiligen viel Kummer bereiten: — ei n u n r u h i g e r Z u s t a n d d e s G e w i s s e n s i n B e t r e f f u n s e r e r A n n a h m e u n d E r r e t t u n g , und : d a n n ei n S e u f z e n de s G e i s t e s , w i e e s d e r A p o s t e l i n Röm . 8, 23 e r - w ä h n t , w e g e n d e r U m s t ä n d e u m u n s her , di e u n s B e t r ü b n i s u n d V e r s u c h u n g b e r e i t e n . — Dies sind aber zwei ganz verschiedene Dinge. Das Beschwertsein und die Übung des Geistes, welches der Heilige während er in dieser Welt lebt, wegen der Umstände um ihn her haben mag und in der Tat haben wird, ist dem Beschwertsein oder der Unruhe des Gewissens, in Betreff der Vergebung der Sünde, völlig entgegengesetzt. Wo dieses ist, da ist die Liebe nicht wirksam; das eigene Ich bildet den Mittelpunkt. Wenn aber die Betrübnis den Zustand der Dinge um uns her betrifft, so ist das Gegenteil der Fall. Wie tief war die Betrübnis in der Seele des Herrn Jesu! allein sie floß aus der L i e b e und aus einem vollkommenen Bewußtsein d e r G n a d e Gottes. Wenn wir einfach d i e G n a d e kennen, wenn wir mit dem Bewußtsein in Gott ruhen, daß Er f ü r u n s und daß Er di e L i e b e ist, so werden wir diese beiden Fälle von Betrübnis sicher nicht verwechseln; doch werden wir immer dazu fähig sein, wenn wir nicht recht verstehen, was die G n a d e ist. Wenn wir in Betreff unserer Annahme irgendwie in Unruhe sind, so können wir völlig überzeugt sein, daß wir in der G n a d e nicht ganz befestigt sind. Wohl kann in jemand, der in der Gnade befestigt ist, das Gefühl der Sünde sein, aber dies ist ganz verschieden von der Unruhe des Gewissens in Betreff der Annahme oder Errettung. Der Mangel des Friedens kann in zwei Dingen seinen Grund haben. Entweder bin ich nie völlig dazu gebracht, allein auf d i e G n a d e zu vertrauen, oder ich habe durch Nachlässigkeit das Gefühl d e r G n a d e verloren, was leicht geschehen kann. Die „ G n a d e G o t t e s " ist so unumschränkt und so vollkommen, daß wir in dem Augenblick, wo wir die Gegenwart Gottes verlassen, auch das Bewußtsein Seiner G n a d e nicht haben können. Wir haben keine Kraft, uns darauf zu stützen; und wenn wir sie außer Seiner Gegen- 40 wart zu kennen versuchen, so werden wir sie nur zur Leichtfertigkeit und Vermessenheit anwenden. Die G n a d e ist ohne Grenzen, ohne Schranken. Was wir auch in uns selbst sein mögen — und wir können nicht schlechter sein, als wir sind— trotz allem ist das, was Gott gegen uns ist, nur Liebe . Weder unsere Freude, noch unser Friede ist von dem abhängig, was w i r gegen Gott sind, sondern von dem, was E r gegen uns ist — und das ist die G n a d e . Sie setzt a 11 die Sünde und das Böse, welches in uns ist, voraus, und offenbart, daß durch Jesum a l l e diese Sünde und dieses Böse hinweggetan ist. Eine einzige Sünde ist in den Augen Gottes weit schrecklicher, als tausend Sünden, ja, als die Sünden der ganzen Welt in unseren Augen sind; und dennoch hat es Ihm bei dem völligsten Bewußtsein dessen, was wir sind, Wohlgefallen, gegen uns di e L i e b e zu sein. Es ist ganz vergeblich, irgendwie die G r ö ß e der Sünde in Betracht zu ziehen; es mag jemand, um nach Menschenweise zu reden, ein großer oder kleiner Sünder sein — darauf kommt es hier nicht an — di e G n a d e steht in Beziehung zu dem, was G o t t ist, und nicht zu dem, was w i r sind, ausgenommen, daß die ganze Größe unserer Sünden nur die Uberschwenglichkeit der „ G n a d e G o t t e s " reichlicher offenbart. Zugleich dürfen wir nicht vergessen, daß es der Gegenstand und die notwendige Wirkung der G n a d e ist, unsere Herzen in die Gemeinschaft Gottes zu bringen — uns zu heiligen, und zwar dadurch, daß wir Ihn k e n n e n und l i e b e n lernen. Deshalb ist die Erkenntnis der G n a d e die wahre Quelle der Heiligung. Bei der G n a d e handelt es sich, wie gesagt, nur um das, was Gott ist, und nicht im geringsten um das, was ich bin. In dem Augenblick aber, wo ich mit dem Gefühl, als würde Gott mich wegen meiner Sünden richten, über mich denke, stehe ich augenscheinlich nicht in dem Bewußtsein der G n a d e . Das natürliche Herz hat solche Gedanken und oft sind sie sogar in dem aufgewachten Gewissen wirksam. Es untersucht die Gedanken Gottes über seinen Zustand, ohne d i e G n a d e zu kennen; es fürchtet das Gericht, und ist nicht fähig, sich auf das zu lehnen, was Gott in Christo Jesu ist. Ich habe gesagt, daß es zwei Dinge gibt, welche, obgleich ganz verschieden, dessenungeachtet oft von den Gläubigen verwechselt werden: — ein b e s c h w e r t e s G e w i s s e n und das „Seufzen " de s g e i s t l i c h e n M e n s c h e n w e g e n d e s B ö s e n u m i h n her . Und die Gefahr dieser Verwechslung ist vorhanden, sobald wir nur ein wenig das Bewußtsein der G n a d e verlieren. Ebenso ist es 41 leicht möglich, daß ein Heiliger, wenn er nicht ganz wachsam ist, selbst darüber in seinem Gewissen beunruhigt wird, daß er über das schreckliche Gewicht des Bösen um ihn her betrübt ist und seufzt. Und auch dann ist das Bewußtsein der L i e b e Gottes in ihm geschwächt und er bringt sich unter das G e s e t z . Aber es ist wohl möglich, daß ein Heiliger seufzt, ohne das Bewußtsein dieser Liebe verloren zu haben — ja, daß diese Liebe gerade die Ursache seines Seufzens ist. Als der Herr Jesus am Grabe des Lazarus über die traurige Wirkung der Sünde „tief seufzte" und „Tränen vergoß", da war das Bewußtsein von der Liebe des Vaters nicht im mindesten in Ihm geschwächt; denn zu derselben Zeit sagte Er in dem völligsten Vertrauen zu dieser Liebe: „Vater , ic h w e i ß , d a ß d u m i c h a l l e z e i t e r h ö r s t . " Ebenso kann ein Christ seufzen, ohne irgendwie an der L i e b e Gottes zu zweifeln und das Gefühl Seiner G n a d e zu verlieren. 

Die Liebe zu anderen, verbunden mit einer geistlichen Empfindung in Betreff des Bösen, wird vieles Seufzen in uns hervorrufen. Jesus fühlte dies unendlich mehr als wir es tun können, weil die Macht Seiner Liebe Ihn völlig befähigte, die ganze Wucht des Bösen, welches die Herzen der anderen niederdrückte, in ihrer wirklichen Schwere zu fühlen. Er fühlte das Elend um sich her in dem Maße, als Er die Glückseligkeit und die Liebe Seines Vaters kannte. Und je mehr auch wir uns bewußt sind, daß „der Geist Gottes in uns wohnt", desto mehr werden wir „seufzen"; je mehr wir von der g ö t t l i c h e n H u l d überzeugt sind, je mehr wir die G n a d e verwirklichen und je mehr wir die L i e b e G o t t e s und die W i r k u n g e n d i e s e r L i e b e kennen, desto mehr werden wir über alles b e - t r ü b t sein, was wir jetzt um uns her wahrnehmen; aber dies wird nicht die geringste Wolke zwischen uns und die göttliche Huld bringen. In 2. Kor. 5 und in Röm. 8 zählt sich auch Paulus zu denen, welche im Geist „seufzen", und warum? Er verwirklichte das Ergebnis der „ G n a d e , i n w e l c h e r e r s t a n d." Durch die Macht des Glaubens war er sich bewußt, daß die Segnungen sein waren; und nach ihnen sich sehnend „seufzte er in sich selbst"; aber nicht, als wenn er noch irgend einen Zweifel über seine Errettung gehabt hätte. Er war von aller Ungewißheit in Betreff der F ü l l e und F r e i h e i t der göttlichen Huld und Gnade gegen sich völlig befreit; und in diesem Bewußtsein „seufzte er in sich selbst, erwartend die Kindschaft — die Erlösung unseres Leibes." Am Ende des 7. Kapitels ist aber eine ganz andere Art 42 von Seufzen beschrieben, welches aber oft, wie schon bemerkt, mit dem vorhin erwähnten Seufzen verwechselt wird. Die Sünde, die noch in uns, d. h. in unserem Fleische wohnt, verhindert solche, die nicht wirklich in der G n a d e befestigt sind, beides zu unterscheiden. Die letzte Hälfte des erwähnten Kapitels ist voll von dem, was man „ E r - f a h r u n g e n " nennt, aber es sind eigentlich nicht die Erfahrungen e i n e s C h r i s t e n , sondern die Gedanken des Gemütes i n u n d ü b e r sic h s e l b s t . Der dort beschriebene Zustand gehört zwar einer Seele an, die wirklich erweckt ist, die sich aber selbst zum Mittelpunkt aller ihrer Gedanken macht. Man hört nur „i c h", „m i c h" und „mein" ; aber nichts von der G n a d e , die in Christo Jesu ist und nichts von dem H e i l i g e n G e i s t e . Wir bemerken auch in Vers 14 eine ganz verschiedene Ausdrucksweise: „Wir wissen, daß das Gesetz geistlich ist" — dies wissen alle Christen; aber dann fährt er nicht fort, zu sagen: „Wir aber sind fleischlich, unter die Sünde verkauft", sondern: „Ic h aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft." Er wendet sich augenblicklich zu sich selbst und zu dem Urteil zurück, welches er, als Erweckter, durch seine Erfahrungen unter dem Gesetz über sich selbst gebildet hat. Er redet von dem, was er vor Gott ist, aber nicht von dem, was G o t t gegen ihn ist; und infolgedessen ruft er aus: „Ic h e l e n d e r M e n s c h ! W e r w i r d m i c h r e t t e n vo n d i e s e m L e i b e de s T o d e s ? " So ist es immer. Sobald jemand nur an sich selbst denkt, wird er bekennen müssen: „Ich elender Mensch! — Was soll ich machen? — Ich hasse die Sünde, ich wünsche Gott zu gefallen, ich bekenne, daß das Gesetz gut ist; aber je mehr ich dies alles sehe und weiß — so ist doch das Böse bei mir —• desto unglücklicher bin ich!" — Doch ich frage: Ist in diesem allem ein Wort von G n a d e ? Nicht das geringste. Wenn er aber am Schluß des Kapitels Christum einführt, dann ist er fähig zu antworten: „Ic h d a n k e Got t d u r c h J e s u m C h r i s t u m , u n s e r e n H e r r n . " Sicher enthält dies Kapitel völlige Wahrheit, aber es ist eine Wahrheit, die getrennt ist von der G n a d e — von der einfachen Tatsache, daß, so traurig und schlecht auch sein Zustand sein mag, G o t t di e L i e b e ist , und nur L i e b e g e g e n ihn . Anstatt aber den Blick zu Gott zu erheben, heißt es immer: „Ich" — „ich" — „ich", wie dies im 15. Vers allein sechs Mal der Fall ist: „Was ic h wirke, erkenne ic h nicht; denn was ic h will, das tue ic h nicht, sondern was ic h hasse, das übe i c h aus." — Dies alles ist sicher eine nützliche E r f a h r u n g um uns zu dem Bewußtsein unserer eigenen Hilflosigkeit und Ohnmacht zu 43 bringen; aber wir müssen sie stets an ihren rechten Platz zu setzen wissen, und dürfen nicht vergessen, daß sie nicht die E r f a h r u n g e n e i n e s C h r i s t e n sind, wenn dieser seine Stellung in G n a d e i n C h r i s t o J e s u erkennt. Wir haben hier vielmehr den Zustand einer Seele, die noch nicht völlig die Worte verstanden hat: „Christus, da wir noch s c h w a c h waren, ist zu seiner Zeit für G o t t l o s e gestorben" (Röm. 5, 6), oder auch einer Seele, welche sich durch die Wirkung des Fleisches hat verleiten lassen, auf sich selbst zu schauen, was sie ist, anstatt allein auf Gott und auf Seine G n a d e zu schauen. 

Die Wirkungen, welche der Glaube in unserer Seele hervorbringt, werden immer dem Gegenstand, auf welchen wir schauen, gemäß sein. Wenn z. B. ein Gläubiger das G e - s e t z betrachtet, so sieht er dessen Geistlichkeit viel klarer, als der natürliche Mensch es vermag; und sieht er dann diesem Gesetz gegenüber die Schlechtigkeit des Fleisches und sein Blick geht nicht weiter, so bringt er sich unter die Verdammnis, d. h. in seinem Gefühl darüber; er seufzt unter dem Bewußtsein der Schuld und Schwachheit. Er haßt das Böse und ist auch bemüht, sich davon zu trennen — aber das ist alles; und nach allen vergeblichen Anstrengungen wird er endlich ausrufen: „Ich elender Mensch!" Und so wie das Licht in seiner Seele wächst, so wächst auch sein Elend. Wenn aber der Glaube auf Gott schaut, wie Er Sich in G n a d e geoffenbart hat, so urteilt er auch Gott und Seiner Gnade gemäß. Er urteilt nicht nach der Frucht, welche hervorgebracht wird, sondern nach der Offenbarung, welche Gott von Sich Selbst gegeben hat — er ruht auf der Gnade. Die Früchte der Gnade werden keinesfalls ausbleiben; denn wenn das Leben in uns ist, so wird auch die Frucht des Geistes geoffenbart werden. Wenn der Heilige erkennt, daß „der Friede durch das Blut des Kreuzes" gemacht worden ist, so wird auch die Liebe hervorströmen. Er fühlt,, daß er zum Segen berufen ist, und darum wird er „an den Füßen beschuhet sein, mit der Zubereitung des Evangeliums des Friedens." Die Liebe Gottes ist die Quelle, woraus er selbst trinkt, und so wird er zu einem Strom der Liebe für andere sein (Joh. 7, 3. 8). Obgleich nun diese Früchte hervorgebracht werden, so ruht doch der Glaube nicht darauf; er kann nur in der Offenbarung Gottes, welche Er von Sich Selbst, als „ G o t t d e r G n a d e " , gegeben hat, ruhen. Wenn aber das natürliche Herz sich selbst betrachtet, oder wenn der Christ sich nach seinen Früchten beurteilen will, so muß dies notwendig Unfrieden anstatt Frieden hervorbringen. In mir selbst sehe ich nur Sünde, und selbst die 44 Früchte des Glaubens sind mit Unvollkommenheit vermischt — wie kann ich darin wahren Frieden finden? Ich kann nur an Gericht denken, wenn ich auch als Christ weiß, daß es das Gericht meines Vaters ist. Frieden aber kann ich nur in dem finden, was Christus für mich getan hat — „i n d e r G n a d e , welche in Christo Jesu ist." Was ist denn nun die Stellung in Röm. 7? In den ersten Hälfte des Kapitels stellt der Apostel den großen Grundsatz fest, daß der Gläubige „dem Gesetz g e s t o r b e n ist." Dann beschreibt er die Anstrengungen einer erweckten Seele, welche, indem sie weiß, daß das „Gesetz geistlich ist", und sie sich noch unter demselben fühlt, gezwungen ist, auszurufen: „Ich elender Mensch! Wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes?" Sie ist aber in diesem allen mit sich selbst beschäftigt. Der Glaube aber macht nicht das, was in meinem Herzen ist zu seinem Gegenstand, solidem Gottes Offenbarung Seiner Selbst in G n a d e . Wenn wir auf halbem Wege stehen bleiben und nur das Gesetz sehen, so wird es uns gerade unsere Verdammnis aufdecken und uns beweisen, daß wir ohne Kraft sind. Die E r f a h - r u n g e n in Römer 7 zeigen, was wir in uns selbst sind, und erwecken das Bedürfnis nach G n a d e ; sie beschreiben aber nicht einen Zustand i n de r G n a d e , sondern einen Zustand, wo die G n a d e erst eintreten muß. Ich sage nicht, daß der Kampf nicht fortdauern wird; denn niemand wird die G n a d e kennen, wenn er nicht auch den Kampf kennt; nur der Unbekehrte ist ohne Kampf. Wenn aber die Gnade wirklich erkannt wird, so mag der Kampf fortdauern, aber die Unruhe des Gewissens wird, selbst bei dem völligen Bewußtsein der Geistlichkeit des Gesetzes und der Verderbtheit des Fleisches, ganz und gar aufhören. Ist die Liebe Gottes in meinem Herzen verwirklicht, so werde ich nicht mehr ausrufen: „ I c h e l e n - de r M e n s c h ! " Wenn aber das Bewußtsein dieser Liebe fehlt, so fehlt auch der einfache Glaube an die G n a d e Gottes; es fehlt der klare Blick von dem, was Gott gegen mich ist in Christo Jesu; denn solange die Seele dieses erkennt, so wird sie selbst inmitten der Schwierigkeiten und Kämpfe hienieden völlig in Ruhe sein. Der Kampf ist da, aber er stört nicht den Frieden der Seele — „der Kampf ist nicht unser, sondern des Herrn." Wenn ich das Böse in mir sehe und deshalb denke, daß Gott g e g e n mich sei, so werde ich keine Kraft zum Kampfe haben; ich werde bald niedergeworfen sein. Das völlige Bewußtsein aber, daß Gott fü r mich ist, wird mir Mut und Sieg geben und mich sogar fähig machen, zu sagen: „Erforsche mich, o Gott, und erkenne mein Herz!
 45 Prüfe mich und erkenne meine Gedanken! Und sieh', ob ein Weg der Mühsal bei mir ist, und leite mich auf dem Wege der Ewigkeit" (Ps. 139,23.24). In dem Vertrauen der L i e b e und G n a d e Gottes kann ich Ihn bitten, alles Böse in mir zu erforschen, was ich sonst nicht tun dürfte, wenn ich nicht zur Verzweiflung kommen wollte. Gott ist mein Freund; Er ist g e g e n d a s B ö s e i n mir , aber Er ist fü r mich . In Römer 8 sagt der Apostel, daß die „Gesinnung des Fleisches Feindschaft gegen Gott" sei.

 Gott aber hat in der Gabe der Person Jesu die gesegnete Wahrheit an's Licht gestellt, daß, wenn der Mensch F e i n d s c h a f t gegen Gott ist, Gott die L i e b e ist gegen den Menschen — unserer F e i n d s c h a f t wurde durch Seine Liebe b e g e g n e t . Hierin sehen wir den Triumph der Gnade, daß, wenn die F e i n d s c h a f t des Menschen Jesum von der Erde ausstieß, die L i e b e Gottes durch dieselbe Tatsache die Errettung des Menschen brachte. — Er versöhnte die Sünde derer, welche Ihn verworfen hatten. In der völligsten Enthüllung der Sünde des Menschen sieht der Glaube die völligste Offenbarung der Gnade Gottes; denn wo sieht der Glaube die tiefsten Tiefen der Sünde und des Hasses von Seiten des Menschen gegen Gott? Au f d e m K r e u z e ; und gerade dort ist es auch, wo Er den größten Ausdruck der triumphierenden Liebe und Barmherzigkeit Gottes gegen den Menschen sieht. Der Speer der Kriegsknechte, welcher die Seite Jesu öffnete, ließ das hervorströmen, was von Gnade und Erbarmung redete. Weiter zeigt der Apostel in diesem Kapitel (Röm. 8), daß diejenigen, welche einst Feinde Gottes waren, jetzt Seine „Söhne und Erben" geworden sind. O wie unendlich groß ist doch die Tragweite Seiner G n a d e gegen uns! Er hat uns dasselbe Teil gegeben, welches auch der Herr Jesus hat! Wir sind „Erbe n G o t t e s un d M i t e r b e n C h r i s t i ! " Nicht nur hat die Gnade uns gesucht und gefunden, als wir noch in unseren Sünden waren, sondern hat uns auch dahin gesetzt, wo Christus ist; sie hat uns mit dem Herrn Jesu in allem eins gemacht — ausgenommen in Seiner Herrlichkeit als Gott. Die Seele ist also in das Bewußtsein der vollkommenen Liebe Gottes gesetzt, und darum, wie in Kap. 5 gesagt wird, „ r ü h m e n w i r u n s G o t t e s." Wenn aber noch irgend ein Zweifel oder die geringste Ungewißheit über die Liebe Gottes in mir vorhanden ist, so habe ich mich von der G n a d e abgewandt. Und dann werde ich sagen: „Ich bin unglücklich, weil ich nicht bin, was ich so gerne sein möchte." Doch, geliebte Freunde, darum handelt es sich nicht. Die wahre Frage ist, ob Gott das ist, was wir 46 gerne hätten, daß Er sei — ob Jesus alles ist, was wir nur wünschen. Wenn das Bewußtsein von dem, was wir selbst sind oder was wir in uns selbst finden, eine andere Wirkung hervorbringt, als daß es uns demütigt und unsere Anbetung von dem, was Gott ist, vermehrt, so stehen wir nicht mehr auf dem Grunde der reinen G n a d e . In dem unendlichen Meer dieser Gnade findet das Herz in allen seinen Bedürfnissen wahre Befriedigung und Ruhe. Während aber die G n a d e unseren Seelen vollkommenen Frieden gibt, befreit sie uns doch nicht von jedem Seufzen. 

Ebenso wie der Herr Jesus, als Er hienieden war, vollkommen in das Elend und das Seufzen um Ihn her eintrat und deshalb „ein Mann der Schmerzen, mit Krankheit vertraut" war, so soll auch der Heilige an seinem Teil das Gewicht des Bösen um sich her mitfühlen. Und gerade nach dem Maße, wie er in der Gnade bleibt, wird er dies Gericht teilen und in seinem Seufzen mit der leidenden und seufzenden Schöpfung sympathisieren. Und nicht nur dieses, sondern auch, weil wir noch selbst in dem Leibe sind, werden „wir seufzen in uns selbst, erwartend die Kindschaft — die Erlösung unseres Leibes." Es ist aber keine Ungewißheit in Betreff unserer Rettung, sondern im Gegenteil sind wir sogar völlig gewiß, daß „alle Dinge", welche dies Seufzen verursachen, „unser sind". Wir haben die Gewißheit und den Vorgeschmack der Herrlichkeit, und dies läßt uns um so schmerzlicher den Kontrast, worin alle Dinge um uns her sind, fühlen. Je mehr wir die Freude der Gegenwart Gottes genießen, je völliger wir die Liebe und Gnade Gottes erkennen und je mehr wir die Glückseligkeit der Herrlichkeit Gottes, zu welcher wir berufen sind, verwirklichen, desto mehr werden wir seufzen. Doch ich wiederhole noch einmal, daß dies Seufzen von dem Seufzen eines unruhigen Gewissens ganz und gar verschieden ist. Möchten wir dies nie vergessen! 

Nachlässigkeit im Wandel wird das wahre Gefühl der Gnade in uns schwächen und wir können dann leicht mehr oder weniger in einen Zustand zurückkehren, wie wir ihn in Römer 7 finden. Die Erfahrungen, die wir dann wieder machen werden, sind die einer unfreien Seele. Wenn aber das Herz von den reichen Segnungen, die wir in Christo haben, erfüllt ist, so wird es sich nicht zurückwenden, um an sich selbst zu nagen. Es ist unser Vorrecht, als Heilige, zu wissen, daß „ d a k e i n e V e r d a m m n i s fü r d i e ist , di e i n C h r i s t o J e s u sind" , daß d a s G e s e t z de s G e i s t e s de s L e b e n s i n C h r i s t o J e s u u n s f r e i g e m a c h t h a t v o m G e s e t z d e r S ü n d e u n d de s T o d e s." Doch müssen wir hierbei nicht stehen blei- 47 ben, sondern weiter sehen, was wir sind als „ S ö h n e Gottes" , „ E r b e n G o t t e s un d M i t e r b e n Christi" , wovon der Geist uns Zeugnis gibt. Gott hat uns „ e i n g e - p f l a n z t i n C h r i s t o J e s u " , „ h a t u n s g e s a l b t " und „ d i e E r s t l i n g e de s G e i s t e s i n u n s e r e H e r z e n gegeben. " Und verstehen wir diese Gedanken der Liebe Gottes über uns und daß wir zuvorbestimmt sind, „de m B i l d e s e i n e s Sohlne s g l e i c h f ö r m i g z u s e i n " und Seine Herrlichkeit zu teilen, verstehen wir, was Seine Liebe jetzt in Seinen Handlungen gegen uns ist, und daß wir noch nicht in der Herrlichkeit, sondern in dem Leibe und in der Mitte des Bösen und des Elends um uns her sind, so werden wir deshalb seufzen. „ A u c h w i r s e l b s t s e u f z e n i n u n s s e l b s t , e r w a r t e n d di e K i n d s c h a f t — d i e E r l ö s u n g u n s e r e s L e i b e s . " 

Der Besitz der Erstlinge des Geistes ist also die Ursache dieses Seufzens, nicht aber ein böses Gewissen; der G e i s t C h r i s t i seufzt in uns. Dies Seufzen ist auch stets mit V e r t r a u e n auf Gott begleitet, welches auch selbst dann nicht fehlt, „wenn wir nicht wissen, was wir, wie sich's gebührt, beten sollen"; denn es wird hinzugefügt: „Wir wissen, daß für die, welche Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken." Ich mag in mir oder in anderen Heiligen oder auch in der Versammlung Böses sehen und darüber zu beten begehren, ohne aber die rechte Einsicht zu haben, was das beste Heilmittel sei, so weiß ich, daß sich „der Geist meiner Schwachheit annimmt" und „mit mir seufzt". 

Gott nimmt nicht auf meine Unwissenheit Rücksicht, sondern Er antwortet nach dem Sinn des Geistes, welcher immer „für die Heiligen Gott gemäß bittet." Wenn wir der Leitung Gottes in „allen Dingen" vertrauen, so werden wir fähig sein, zu sagen: „Ich bin gewiß, daß alle Dinge zum Guten mitwirken." Ist eine Seele in diesem Zustand, so mag kommen, was da will — Kummer, Elend, Ungemach, Schmerz — alles ist Friede; denn sie ruht in Gott und schaut nicht, wie in Römer 7, auf sich selbst. Wir werden dann alle unsere Leiden mit der unendlichen Liebe Gottes in Verbindung bringen. Jesus wußte völlig, wie sonst niemand, was die Gegenwart Gottes und der Genuß Seiner Huld war, und Er „seufzte", weil Er aus dieser Gegenwart kam und fand den Menschen außer derselben. 

Das Leben, welches ich jetzt habe, steht nicht mit der Verantwortlichkeit unter dem Gesetz in Verbindung, sondern mit Christo, welcher das Gericht wegen eines gebrochenen Gesetzes für mich getragen hat. Anstatt unglücklich zu s e i n — wie ich es bin, wenn ich unter Gesetz stehe und auf 48 mich selbst schaue — erfreue ich mich in dem Bewußtsein der Erlösung, ruhe in der Gnade und „rühme mich in Hoffnung der Herrlichkeit Gottes". In dem Augenblick aber, wo wir eines Schimmers der Herrlichkeit Christi teilhaftig werden, wird uns die Welt eine Szene des Elends und der Gefangenschaft. Ferner ist dies Seufzen in Betreff des Bösen um uns her immer mit L i e b e begleitet. Wenn ich z. B. einen Heiligen sündigen sehe, so wird es mich gleich zu der Liebe und der Gnade führen, gegen welche er sündigt. Es wird das Bewußtsein der göttlichen Gunst sein, welches ich über d e n habe, der da sündigt und welches mich besorgt über ihn macht; und während ich über seine Sünde betrübt bin, werde ich mich doch inmitten meiner Betrübnis in Gott f r e u e n . Wenn nun dies also ist, geliebte Brüder, wenn die Huld und Liebe Gottes der Platz ist, in welchen uns die Gnade gesetzt hat, so frage ich: Ruhen wir auch wirklich an diesem gesegneten Platze? — 

Wenn Gott die L i e b e und nichts als die vollkommene Liebe ist, und unsere Freude ist dennoch nicht völlig, oder es ist gar noch irgendwelche Ungewißheit in Betreff unserer Stellung vor Ihm in unserer Seele, dann können wir nicht einfach in Seiner G n a d e ruhen. Und ist noch irgendwie Mißtrauen und Unruhe in unseren Herzen, so laßt uns wohl zusehen, ob es nicht daher kommt, weil wir noch sagen: „Ich", „ich", und wenden unseren Blick von der G n a d e hinweg. Wir mögen G l a u b e n haben, aber wir bedürfen auch der Einfalt des Herzens, um stets auf die G n a d e G o t t e s zu schauen. Es ist weit besser, daran zu denken, was Gott ist, als an das, was wir sind. Dies Schauen auf uns selbst ist sogar Stolz, — ein Mangel des völligen Bewußtseins, d a ß w i r z u n i c h t s t a u g e n . Solange wir dies nicht wissen, werden wir nie ganz von uns ab und auf Gott allein hinschauen. Oft mag vielleicht das S c h a u e n au f d a s Bös e i n u n s dazu dienen, uns über dasselbe zu belehren; doch dies ist nicht alles, wessen wir bedürfen. Bei dem Schauen auf Christum ist es unser Vorrecht, uns selbst zu vergessen. 

Die wahre Demut besteht nicht so sehr darin, daß wir schlecht von uns denken, sondern vielmehr darin, d a ß w i r g a r n i c h t a n u n s d e n k e n . Ich bin zu schlecht und nicht wert, an mich selbst zu denken; was ich bedarf, ist, mich selbst zu vergessen und auf Gott zu schauen, der in der Tat würdig ist, der Gegenstand a l l e r meiner Gedanken zu sein. Und ist dies der Fall, so werde ich in der Tat wenig von mir selbst halten. 61 49 Geliebte, wenn ..ir sagen können, wie in Kapitel 7, daß „in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes wohnet", so haben wir lange genug über uns selbst gedacht. Laßt uns denn jetzt an Ihn denken, welcher lange vorher, ehe wir noch an uns selbst denken konnten, Gedanken zum Guten und nicht zum Bösen über uns hatte. Laßt uns sehen, was Seine Gedanken der G n a d e über uns sind und die Worte des Glaubens ergreifen: „ I s t G o t t fü r uns , w e r m a g •wide r u n s s e i n ? " 

„Ich habe den Herrn gesehen und dies hat er zu mir gesagt" (Ev. Joh. 20, 11—18) 

„ G e h e h i n z u m e i n e n B r ü d e r n u n d s p r i c h z u i h n e n : I c h f a h r e au f z u m e i n e m V a t e r u n d e u r e m V a t e r , z u m e i n e m G o t t u n d e u r e m G o t t ! " •— Dies war die süße und gesegnete Botschaft, welche Maria Magdalena von der Grabstätte des Herrn Jesu mitbrachte. Und nie ist wohl ein Herz glücklicher von dem Grabe eines teuren und geliebten Freundes zurückgekehrt, wie das ihrige. Wir werden aber auch nicht fähig sein, ihren tiefen Schmerz, während der schrecklichen Tage der Verwerfung und Kreuzigung ihres geliebten Herrn, zu beschreiben. Die kalte Hand des Todes hatte die so süßen und gesegneten Bande der Gemeinschaft plötzlich durchschnitten. Alle ihre Gefühle und Neigungen knüpften sich jetzt nur noch an das Grab, welches Seinen Leichnam barg. Und sie kam in aller Frühe, als es noch finster war, zur Gruft; aber ach! — das Grab war leer; auch der letzte Rest des Trostes war ihr genommen; denn womit sollte das leere Grab ihr kummervolles Herz trösten können? Und dennoch verkündigte dies ohne Worte die gesegnetste und erfreulichste Botschaft. Es war ja darum leer, weil Der, welcher darin gelegen hatte, auferstanden war. Dies aber war der Maria verborgen, und deshalb „stand sie bei der Gruft und weinte draußen" (V. 11). 
Die Jünger waren nach Hause zurückgekehrt (V. 10); aber sie konnte unmöglich diesen Platz eher verlassen, bis sie ihren geliebten Herrn wieder hatte. Und wir lesen weiter: „Als sie nun weinte, bückte sie sich 50 vornüber in die Gruft.

 Und sie sieht zwei Engel in weißen Kleidern sitzen usw." (V. 12). Dies aber erweckte weder Erstaunen noch Furcht bei ihr; denn ihr Herz war so voll von Kummer und Schmerz über den Verlust des Einen, den ihre Seele liebte, daß keine andere Regung mehr Raum darin fand. Und als die Engel sie fragten: „Weib, warum weinst du?" — da antwortete sie: „ W e i l si e m e i n e n H e r r n w e g g e n o m m e n h a b e n usw." Das war die einzige Ursache ihrer Tränen. „M eine n H e r r n " — dies blieb Er für sie auch im Tode. Der Tod konnte sie wohl äußerlich von Ihm trennen, aber nicht ihr H e r z ; dies blieb unauflöslich mit Ihm verbunden. Nach dieser Antwort wendet sich Maria gleich zurück. Diese Engel in der leeren Gruft, denen auch sogar die Ursache ihrer Tränen unbekannt zu sein schien, konnten ihr Herz nicht trösten. Nur Einer konnte es; und dieser Eine war jetzt nahe gekommen, um Sein armes, trauriges Schäfchen zu beruhigen und zu erfreuen. Sie aber kannte Ihn nicht und hielt Ihn für den Gärtner. „Und Jesus spricht zu ihr: Weib, warum weinst du? Wen suchst du?" (V. 15). Ohne aber zu antworten, fragt sie entgegen: „Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast, und ich werde ihn wegholen." Sie denkt nicht daran, daß sie nur ein schwaches Weib ist; sie mißt alles nach der tiefen und starken Liebe ihres Herzens zu Ihm. Und nicht länger konnte Jesus sich verborgen halten. Er war ihretwegen gekommen; denn Er wußte, wo sie Ihn suchte und Er verstand ihren Kummer und ihre Tränen. Und siehe! das einzige Wörtchen „Maria!" war genug für sie, um völlig zu verstehen, wer Er war. „Meine Schafe hören meine Stimme." Das Kind kennt unter Tausenden die Stimme seiner Mutter. Und mit einem „Rabbuni!" (Lehrer) will Maria zu Seinen Füßen hinstürzen und sie umfassen. Sie hatte jetzt genug, denn sie hatte alles. Glückliche Maria! — Doch Jesus sagt: „Rühre mich nicht an; denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater." Sie erkannte nicht, daß sie jetzt den auferstandenen Herrn vor sich hatte; sie wollte das frühere Verhältnis fortsetzen, und deshalb belehrt Er sie und sagt ihr, daß Er erst zu Seinem Vater hingehen müsse. Wie gesegnet ist aber die weitere Mitteilung des Herrn an Maria: „ G e h e a b e r z u m e i n e n B r ü d e r n h i n u n d s p r i c h z u i h n e n : Ic h f a h r e au f z u m e i - n e m V a t e r u n d e u r e m V a t e r , zu . m e i n e m G o t t u n d e u r e m Go t t." Das Kreuz lag jetzt hinter Ihm; das Gericht war beendet. Es war aber beendet für die Seinigen. Alle ihre Sünden waren getilgt und jede Scheidewand niedergerissen. Die Ströme der Gnade und Liebe 51 waren jetzt auf immer für sie geöffnet und darum sagt Er: „ M e i n e Brüder"; m e i n Vater e u e r Vater, m e i n Gott e u e r Gott"; Er setzt sie mit Sich in Seine eigene gesegnete Stellung; und dies zu können war der Zweck Seiner völligen Hingebung bis in den Tod und die süßeste Freude Seines Herzens. — Und Maria war unter allen die Erste, die Ihn nach Seiner Auferstehung sah und diese köstlichen Worte von Seinen eigenen Lippen hörte. Es war ja ihr einziges Verlangen, Ihn wieder zu finden und bei Ihm zu sein; und sie fand Ihn und hörte aus Seinem Munde, daß ein ewiges, unauflösliches Band der Gemeinschaft sie und alle die Seinigen mit Ihm vereinigte. O wie köstlich ist diese Wahrheit! Und mit den Worten: „Gehe hin usw." hat Er sie auch zu uns gesandt, geliebte Brüder; ja, auch zu uns ist ihre liebliche Botschaft gekommen: „Ic h h a b e de n H e r r n g e s e h e n u n d d i e s h a t e r z u m i r g e s a g t . " Und der Herr gebe, daß sie auch unsere Herzen stets mit Frieden und Freude erfülle! 

Nur Jesus und Seine Liebe! 

Geliebter Bruder in dem Herrn! Ihr lieber Brief, den ich vor längerer Zeit erhielt, sowie auch das, was Sie mir von Ihrer Seele mitteilten, hat mich recht erfreut. Ich hoffe, daß Sie auch jetzt noch sagen können, daß der geliebte Herr in allen Sachen für Sie köstlich sei. — Seit langer Zeit habe ich Ihm gedient und vielen Mangel in meinem Dienst gesehen. Ich muß bekennen, daß nichts anderes der Mühe wert ist, als C h r i s t u s S e l b s t . Oft habe ich erfahren, wie schwach mein Glaube ist; aber der Gegenstand meines Glaubens hat vollkommenen Wert. Seine Liebe ist unendlich köstlich und ist eine Quelle von Freude und Frieden — eine Quelle, die nie versiegen und die in Ewigkeit uns sättigen wird. Ja, lieber Bruder, ich werde immer glücklicher in Ihm; immer mehr erfüllt der köstliche Gedanke, daß ich Ihn sehen werde, wie Er ist, mein Herz mit Freude, ja, es ist meine t ä g l i c h e Freude. Alles andere vergeht und fällt dahin — Gott sei Dank! „Wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit", sagt 52 das Wort. Selbst für die gegenwärtige Zeit ist die Liebe Jesu köstlicher und besser als alles; sie gibt vollkommene Freude und reichen Segen. Wir leben in Frieden und in Gemeinschaft mit Gott und haben das Pfand und den Vorgeschmack der ewigen Glückseligkeit. Doch dürfen wir nie vergessen, daß das Leben des neuen Menschen ein abhängiges Leben ist, abhängig von Christo. Der, welcher Sein ist, bleibt in Ihm, und „jeder, der in ihm bleibt", sagt der Apostel, „sündigt nicht". Das Werk des Ungesehenen hat seine Kraft in der Seele und die Nichtigkeit und die Wertlosigkeit des Sichtbaren wird immer klarer und deutlicher erkannt. Ach! die Seligkeit und das Leben ist jetzt und für immer in Jesu allein. 

Er ist das Leben — das Leben aus Gott; also mit Gott bleiben wir in Gott und Gott in uns; und diese Freude können keine Umstände zerstören, noch sie schwächen oder verhindern. Wir haben wohl Trübsale, haben mancherlei Versuchungen auf der Reise durch diese arme Welt; aber nichts kann die Freude der Seele in Jesu unterbrechen, nichts uns von der Liebe Gottes, noch von dem Gott der Liebe trennen. Und das Bewußtsein Seiner Liebe, sowie des kostbaren Wertes derselben, nimmt immer zu. Je näher wir der Ewigkeit kommen, desto mehr werden wir durch den Glauben nicht allein dies verstehen, sondern auch in Wahrheit verstehen, daß die Liebe Gottes und Sein Jesus a l l e s und die Welt n i c h t s ist. Und die Liebe für die verlorenen Sünder wird stärker; aber unser Herz wird beengt, wenn wir an den Zustand der Welt denken. Gott gebe Ihnen, geliebter Bruder, viel Gnade, um immer völliger in Gemeinschaft mit Ihm zu wandeln und Ihn in allem zu verherrlichen. Es grüßt Ihr in Christo verbundener Bruder usw. 

Der Friede des Heiligtums (Hebr. 9, 24—28) 

Als der Herr Jesus durch „sein eigenes Blut" die S ü n - de n g e t i l g t und „eine e w i g e E r l ö s u n g erfunden hatte, is t e r ei n fü r a l l e m a l i n d a s H e i l i g t u m e i n g e g a n g e n " (Hebr. 9,12). Dies lesen wir auch in dem obenerwähnten Kapitel in V. 24: „ D e n n d e r C h r i s t u s is t n i c h t i n d a s v o n H ä n d e n g e m a c h t e H e i - 53 l i g t u m , e i n G e g e n b i l d de s w a h r h a f t i g e n , e i n g e g a n g e n , s o n d e r n i n den H i m m e l s e l b s t , u m j e t z t v o r d e m A n g e s i c h t G o t t e s zu e r - s c h e i n e n . " — Wie tröstlich und gesegnet sind diese Worte! Sie leiten unsere Seele in das Heiligtum Gottes, als unsere wahre Heimat und unsere Ruhestätte. Nichts ist so gesegnet, als in der Gegenwart Gottes zu sein, und dies ist unser Vorrecht. Der Herr ließ dem Aaron sagen, „daß er n i c h t z u a l l e r Z e i t in das inwendige Heiligtum gehe hinter den Vorhang vor den Gnadenstuhl, der auf der Lade ist, auf daß er nicht sterbe" (3. Mose 16,2). Jesus aber, als u n s e r „Hoherpriester", ist in dieselbe Gegenwart Gottes eingegangen und hat Sein eigenes Blut dargebracht. Dort ist Er j e t z t o f f e n b a r t , und zwar „ f ü r u n s . " Der Zorn geht von diesem „heiligen Orte" nicht mehr aus; nein! Friede und Versöhnung sind dort. Die Darbietung des Blutes Jesu h a t den Zorn Gottes gestillt und für alle, w e l c h e g l a u b e n , für immer hinweggetan; — nicht aber für die W elt . Für sie ist kein Priester, kein Heiligtum, kein Gnadenthron, kein kostbares Blut, kein Friede mit Gott; nichts als Zorn, als unvermischter Zorn erwartet sie alle. Wenn irgend jemand fähig ist zu sagen: „Ich habe einen Hohenpriester in der Gegenwart Gottes, welcher allezeit für mich dort verweilt", der ist sicher errettet. Jesus ist aber nur ein Priester für jene, welche g l a u b e n ; fü r si e ist Er jetzt in der Gegenwart Gottes. Laßt es uns wohl beherzigen, geliebte Brüder, daß der Zorn für immer gestillt ist — der Zorn, welcher unserem Gewissen sagt, was wir verdient hätten, ja verdient für jede böse Tat unseres n a t ü r l i c h e n Herzens, worin sich nicht ein Wunsch, nicht ein Gefühl oder Gedanke befindet, welcher gut ist. Und jeder von uns muß noch jetzt stets bekennen: „In mir, d. i. in meinem Fleische, wohnt nichts Gutes."

 In seinem bösen Fleische findet er grundsätzlich alle diese Dinge, gegen welche der Zorn geoffenbart wird. Und wird nicht das Bewußtsein dieses Bösen im Fleische seinen Einfluß auf das Herz des Gläubigen ausüben, sodaß er die Heiligkeit Gottes fürchtet, welche gegen dies -alles ist, was sich in ihm befindet? Wird er nicht sagen: „Ach, der Zorn Gottes wird wegen all dieser Dinge über mich hereinbrechen, ehe der Hohepriester mich vertreten und für mich zu Gott reden kann?" Aber d e r Z o r n G o t t e s i s t h i nw e g g e t a n . Dies ist das Zeugnis Gottes in der Gabe des Heiligen Geistes. Der Geist Gottes ist aus dem Heiligtum zu uns gekommen; aber nicht eher, bis der Zorn für immer gestillt war. Im Heiligtum gibt es nur Versöhnung und Frieden. Was sich auch immer bei uns (bei der Versamm- 54 lung) ereignen mag — nichts kann irgend eine Wolke zwischen den Vater und den Sohn bringen — nichts kann die Liebe schwächen, und nichts den Frieden und die Annahme verändern, weil dies alles allein auf das, was Christus ist und was Er für uns getan hat, gegründet ist — ja, es ist unmöglich, daß irgend etwas je einen Schatten oder eine Dunkelheit dort hervorbringen kann, wodurch die gesegnete Beziehung, in welcher Jesus „ f ü r u n s " vor Gott steht, verändert werden könnte. 

Es ist sehr wichtig, daß wir dies Bewußtsein stets in unserem Herzen tragen; denn Satan sucht uns auf alle Weise die Zuversicht dieser Wahrheit zu rauben, und also unseren Seelen die Freude und den Frieden zu entziehen. Es ist weit wunderbarer, daß der Friede des Heiligtums, während wir hier noch im Fleische sind, ungeschwächt bleibt, als daß die Freude, welche wir in der Herrlichkeit haben werden, bleiben wird; denn der Gnadenstuhl im Heiligtum ist der Platz, wo Gott mit uns im Hinwegtun der Sünde handelt. Es ist kein Wunder, daß da, wo von keiner Sünde mehr die Rede sein kann, wo wir dem Bilde Jesu gleichgestaltet sind, wo wir nie einen Gedanken oder einen Wunsch g e g e n Gott haben und nicht mehr die geringste Spur von Sünde oder Unreinigkeit an uns tragen, daß da Gott fähig sein sollte, bei uns zu wohnen und wir bei Ihm in unaufhörlicher Freude und Frieden. Doch welch eine gesegnete Wahrheit, daß wir fähig sind, zu sagen, daß Jesus in das „Heiligtum" droben eingegangen, und dort „ f ü r u n s " offenbart ist, und daß wir deswegen ausrufen können, daß der Friede und die Freude, die Liebe und die Segnung des Heiligtums jetzt völlig u n s e r sind, und daß, da Gott nur in Seinem Sohne auf uns herniederschaut, wir ganz versichert sein können, daß alles, was Sein Auge dort sieht, alles, worin Er Sich Selbst erfreut, „fü r u n s " ist. 

Solange wir aber das Heiligtum nicht recht erkennen, werden wir auch keinen w a h r e n F r i e d e n haben. Nur vom Heiligtum aus sind wir fähig, auf uns selbst und auf die Umstände um uns her zu schauen und sie Gott gemäß zu beurteilen. Wir werden dann auch in Wahrheit erkennen, wie verderbt und wertlos wir sind; aber die Erkenntnis, welche wir von Ihm, unserem Stellvertreter dort, haben, wird uns über alle diese Gedanken von unserer Wertlosigkeit und Verderbtheit erheben, und wir werden als solche hienieden wandeln, welche vollkommenen Segen besitzen. Es ist bei vielen Gläubigen oft der Fall, daß sie dann, wenn sie fühlen, daß sie irgendwie abgeirrt sind, schwach und niedergeschlagen werden. Das Bewußtsein der Sünde läßt sie befürchten, daß auch im Heiligtum eine Wolke sei. 55 Sie beurteilen das Heiligtum nach ihren Gefühlen und darum befürchten sie eine Veränderung in demselben. Und sie bitten und flehen, daß doch die Wolke weggenommen und der Friede d o r t wieder hergestellt werden möchte. Wo aber keine Wolke existiert, da braucht auch keine weggenommen zu werden; und wo der Friede nie weggenommen ist, da braucht er auch nie wieder hergestellt zu werden. Wir müssen wohl acht haben, was wir tun, wenn das Bewußtsein der Sünde und der Entfernung von Gott auf der Seele ist; denn dann gerade ist S a t a n beschäftigt, das Priesteramt Christi und die Wirkung Seines Blutes ganz und gar beiseite zu setzen. Wenn es nötig wäre, den Frieden des Heiligtums zu e rn e u e r n , so müßte C h r i s t u s S i c h w i e d e r u m o p f e r n (V. 25. 26); aber nein, Geliebte, nichts kann je den Frieden im „Heiligtum" unterbrechen, er ist g e m a c h t fü r i m m e r . Jesus hat e i n m a l das Opfer dargebracht und ist durch Sein eigenes Blut ein für allemal in das Heiligtum eingegangen, nachdem Er eine e w i g e Erlösung erfunden hatte. Er wird es nie wieder tun. Er kann Sich auf das, was Er ein für allemal getan hat, für immer stützen; Er kann Sich immer berufen auf Sein eigenes kostbares Blut, das Er ein für allemal vergossen hat. Unsere Beziehung zu dem Heiligtum bleibt stets dieselbe. Jeder Gläubige ist von Gott angenommen, wie Christus Selbst. 

Der Friede de s H e i l i g t u m s b l e i b t a l s o u n - u n t e r b r o c h e n u n d u n g e s c h w ä c h t . Jeder Gedanke, daß etwas von unserer Seite geschehen müsse, um den verlorenen Frieden wieder herzustellen, ist sehr entehrend für Gott und ganz und gar gegen Sein Wort. Ebenso wie die Sonne fortwährend scheint, so bleibt auch der Friede des Heiligtums ununterbrochen. Wolken mögen unserem Gesicht die Strahlen der Sonne verbergen, ja dicke Wolken sie uns gar verdunkeln, aber die Sonne scheint immer fort; und ebenso bleibt das Heiligtum derselbe ungetrübte Platz des Segens. Wir mögen oft fehlen; aber die Stellvertretung Christi wird stets den Weg für uns offen halten. Wenn es aber keine vollkommene Kraft und Wirkung in Seinem Blute gäbe, dann würde eine augenblickliche und schreckliche Finsternis im Heiligtum unvermeidlich sein. Fände nur ein Lächeln der Verachtung oder des Mitleidens statt, wo es nicht sein sollte, so würde dies hinreichend sein, um das Heiligtum zu beflecken. Und wenn es mit diesen kleinen Dingen also wäre, wie müßte es dann mit jenen größeren Fehlern sein, deren wir uns bewußt sind! Aber alles wird durch die Stellvertretung Jesu im Heiligtum abgemacht. Er ist droben damit beschäftigt — 56 droben wird die Sache entschieden. Wenn aber ein Heiliger das Gefühl davon haben soll, so geschieht es nur, damit er „der Heiligkeit Gottes teilhaftig werde" (Hebr. 12.10). 

Dies wünscht Gott und deshalb züchtigt und straft Er ihn. Diese Züchtigungen aber sind ein Beweis Seiner Liebe; denn es steht geschrieben: „Welche der Herr lieb hat, die züchtigt er." O möchten wir dies nie vergessen, und auch stets in der völligen Überzeugung sein, daß der Friede des Heiligtums unverändert bleibt, weil C h r i s t u s d o r t e i n g e - g a n g e n ist , u m F Ü R UN S v o r d e m A n g e s i c h t G o t t e s z u e r s c h e i n e n ! 

Eine schlaflose Nacht (Esther 6) 

„I n d e r s e l b e n N a c h t k o n n t e d e r K ö n i g n i c h t s c h l a f e n " (V. 1). Woher kam dies? Was trieb den Schlaf von den Augen des Monarchen hinweg? Warum konnte der mächtige Ahasveros sich nicht einer Gnade erfreuen, welche ohne Zweifel das Teil seiner geringsten Untertanen war? Manche mögen sagen: „Die schweren Sorgen der Regierung raubten ihm diese Wohltat, deren der arbeitende Mann sich erfreut." Dies möchte in jeder anderen Nacht der Fall sein; aber „in dieser Nacht" müssen wir den Grund seiner Ruhelosigkeit ganz woanders suchen. Der Finger des Allmächtigen war in jener schlaflosen Nacht. „Der Herr Gott der Hebräer" hatte für Sein geliebtes Volk ein mächtiges Werk zu vollbringen, und um dieses auszuführen, trieb Er den süßen Schlaf von dem luxuriösen Lager des Monarchen von hundertsiebenundzwanzig Provinzen. Dies stellt den Charakter des Buches Esther auf eine bemerkenswerte Weise ans Licht. Der Leser wird bemerken, daß in diesem interessanten Teil der Schrift der N a m e G o t t e s nicht ein e i n z i g e s M a l gehört wird und dennoch ist augenscheinlich Sein Finger auf alles gedrückt. Der gewöhnlichste Umstand offenbart Seinen wunderbaren Rat und Seine anbetungswürdige Tat. Das natürliche Auge vermag die Bewegung der Räder von Jehovas Wagen nicht zu verfolgen; aber der Glaube folgt nicht allein, sondern er kennt auch die Richtung, in welcher er dahinfährt. Der 57 Feind macht Pläne, aber Gott ist über ihm. Jede Bewegung Satans erscheint nur als ein Glied in der wunderbaren Kette, durch welche der Gott Israels Seinen Gnadenratschluß in Betreff Seines Volkes ans Licht bringt. So war es, so ist es jetzt und so wird es immer sein. Die Bosheit Satans, der Stolz des Menschen, die feindseligsten Einflüsse — kurz alles sind nur Werkzeuge in der Hand Gottes zur Erfüllung Seiner gnädigen Ratschlüsse. Dies gibt inmitten des unaufhörlichen Wankens und Schwankens der menschlichen Angelegenheiten dem Herzen die süßeste Ruhe. „Das Ende des Herrn" wird sicher gesehen werden (Jak. 5, 11). „Sein Rat wird bestehen und er wird alles tun, was ihm wohlgefällt." Gepriesen sei Sein Name für diese ermunternde und befestigende Versicherung! Sie erquickt das Herz zu jeder Zeit. Jehova ist immer hinter der Szene. Jedes Rad, jede Schraube, ja jeder Stift in der großen Maschine der menschlichen Geschichte ist unter Seiner Kontrolle. Wenn auch die Kinder der Erde Seinen Namen nicht kennen, noch anerkennen, so wird doch durch die Kinder des Glaubens Sein Finger gesehen, Seinem Worte vertraut und Sein Ende erwartet. Wie klar und deutlich tritt uns dies alles im Buch der Esther entgegen! Vasthis Schönheit — des Königs Stolz darüber — sein ungeziemender Befehl — ihre unwillige Weigerung — der Rat der königlichen Ratgeber — kurz alles ist nur die Entfaltung der reifenden Ratschlüsse Jehovas. — Von „all den jungen, schönen Jungfrauen, welche auf das Schloß Susan zusammengebracht waren" (Kap. 2,3), wurde keiner erlaubt, das Herz des Königs zu gewinnen, als Esther, der Tochter eines unbekannten jüdischen Hauses — einer einsamen Waise. Und wiederum ward es unter allen Beamten, Dienern und Aufsehern in dem Palast niemandem erlaubt, die Verschwörung gegen das Leben des Königs zu entdecken, als „einem gewissen Juden, dessen Name M a rd a c h a i war." Und nichts vermochte in jener Nacht die lästigen Stunden des Monarchen auszufüllen, als „das Gedächtnisbuch der Chronika" (Kap. 6, 1) — eine 

sonderbare Erquickung für einen genußsüchtigen König! Aber G o t t war hinter diesem allem. Es stand nun ein gewisses Verzeichnis in dem Buch in Betreff eines Juden, welches sich gleich dem Auge des ruhelosen Monarchen darstellen mußte. Mardachai mußte in Erinnerung kommen. Er mußte für seine Treue belohnt werden, und zwar so belohnt, daß das Gesicht des stolzen Amalekiters Haman mit überwältigender Scham bedeckt wurde. In demselben Augenblick, als dies Verzeichnis an die Reihe kam, mußte der stolze und böse Haman in dem Hofe vor dem Hause des Königs ge- 58 sehen werden. Er war gekommen, um den Tod des Mardachai zu bewerkstelligen, aber siehe da! durch die göttliche Vorsehung wird er gezwungen, zu Mardachai's Triumph und Ehre den Plan zu entwerfen. Er war gekommen, um ihn an einem Galgen aufhängen zu lassen, aber er wurde bestimmt, mit des Königs Gewand ihn zu bekleiden, auf des Königs Roß ihn zu setzen und in eigener Person und zwar, zu Fuß ihn durch die Stadt zu begleiten und wie ein Herold seinen Triumph zu verkündigen. Wer hätte daran denken können, daß der höchste Beamte im ganzen Reiche des Ahasveros, ein Nachkomme des Hauses Agag, würde gezwungen werden, als o einen armen Juden zu bedienen — ja solch ein hochgestellter Beamter, solch ein Jude, und in solch einem Augenblick? Wahrlich, der Finger des Allmächtigen war in diesem allen! Nur ein Ungläubiger, ein Atheist, oder ein Zweifler könnte eine so augenscheinliche Wahrheit in Frage stellen.

 Soviel nun in Betreff der Vorsehung Gottes. Laßt uns jetzt den Stolz des Haman ein wenig näher betrachten. Trotzend auf seine Würde, auf seinen Reichtum und seinen Glanz, wurde sein nichtswürdiges Herz durch eine kleine Sache verblendet — durch eine Sache, welche ein wahrhaft großer Geist und wohlgesinntes Herz nicht einmal der Mühe wert hält, darüber zu denken. Die einfache Tatsache, daß Mardachai sich nicht vor ihm beugen wollte, machte ihn unglücklich, obgleich er den ersten Platz am Throne inne hatte, obgleich ihm der Ring des Königs anvertraut war, obgleich er fürstlichen Reichtum besaß und in eine fürstliche Stellung gesetzt war. Er sagte: „An dem allen habe ich kein Genüge, solange ich sehe den Juden Mardachai in des Königs Tor sitzen" (Kap. 5, 13). Der elende Mensch! Die höchste Stellung, der größte Reichtum, der ausgedehnteste Einfluß, die schmeichelhaftesten Beweise der königlichen Gunst, ja „an dem allen" hatte er kein Genüge, und zwar deshalb nicht, weil ein armer Jude sich weigerte, vor ihm sich zu beugen. So ist das natürliche Herz — so ist der Mensch — so ist die Welt! Der „Stolz kommt vor dem Verderben und Hochmut vor dem Falle." Dies bewies Haman auf eine schlagende Weise. In demselben Augenblick, als er im Begriff war, seinen Fuß auf den höchsten Gipfel seines Ehrgeizes zu setzen, wurde er durch die göttliche Vorsehung auf eine ganz wunderbare Weise genötigt, für den armen Mardachai einen Triumph zu bereiten und für sich — einen Galgen. Der Mann, dessen bloße Gegenwart ihm sein Leben in Glanz und Pracht verbitterte, mußte jetzt von ihm bedient werden; und derselbe Galgen, welchen er für sein beabsichtig- 59 tes Opfer hatte bereiten lassen, wurde jetzt zu seiner eigenen Hinrichtung benutzt! Warum aber verweigerte Mardachai, sich vor Haman zu beugen? Scheint es nicht blinde Hartnäckigkeit zu sein, dem höchsten Beamten des Königs die übliche Ehre zu beweisen? Gewiß nicht. Wohl war Haman der höchste Beamte des Ahasveros; aber er war der größte „Feind Jehovas", weil er der größte „Feind der Juden" war (Kap. 3, 6 und 10). Er war ein Amalekiter; und Jehova hatte geschworen, „daß er mit Amalek Krieg führen wollte von Geschlecht zu Geschlecht" (2. Mos. 17, 16). Wie konnte nun ein wahrer Sohn Abrahams sich vor einem beugen, mit welchem Jehova im Kriege war? Unmöglich! Er konnte das Leben eines Ahasveros retten, aber er konnte sich nimmer vor einem Amalekiter beugen. Als ein treuer Jude wandelte er zu nahe mit dem Gott seiner Väter, als daß er dem Samen Amaleks hätte Ehre erweisen können. Die unbewegliche Weigerung des Mardachai, sich vor Haman zu beugen, war also nicht die Frucht einer blinden Hartnäckigkeit und eines dummen Stolzes, sondern es war der köstliche Glaube und die hohe Gemeinscnaft mit dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Er konnte nimmer die Ehre, welche dem Gott Israels gehörte, verlassen.

 Durch Glauben wollte er unter Jehovas Banner verweilen; und während er dort verweilte, konnte er nimmer einem Amalekiter gehorchen. Sein Volk war beraubt und zerstreut; ihr schönes Haus war zertrümmert und die alte Herrlichkeit Jerusalems verblichen; — mußte aber deshalb der Glaube die hohe Stellung,, in welche der Ratschluß Gottes Sein Volk gesetzt hatte, aufgeben? Keineswegs. Inmitten des Ruins wandelt er ruhig weiter. Er hält unbeweglich an der Verheißung Gottes fest; er stellt sich auf den Boden, welche jene Verheißung jedem Glaubenden gibt. Mardachai war bestimmt, den Ruin tief zu fühlen. E r k l e i d e t e s i c h i n S a c k t u c h ; a b e r e r w ü r d e sic h n i m m e r u n t e r e i n e n A m a l e k i t e r g e b e u g t h a b e n . Und was war die Folge? Sein Sacktuch wurde in ein königliches Gewand und sein Platz am Tor des Königs in einen Platz nächst dem Thron verwandelt. Er verwirklichte in seiner glücklichen Erfahrung die Wahrheit der alten Verheißung, daß Israel „das Haupt und nicht der Schwanz" sein sollte (5. Mos. 28, 13). — Mardachai nahm seine Stellung auf dem erhabenen Grunde, worin der Glaube die Seele immer stellt. Er bildete seinen Weg nicht nach dem Anblick der Dinge um ihn her, sondern nach dem Worte Gottes durch den Glauben. Die Natur möchte fragen: „Warum wolltest du dich nicht nach den äußeren Umständen 60 richten, warum nicht dein Verhalten der Lage der Dinge anpassen? Warum wolltest du den Amalekiter nicht mehr anerkennen, indem du siehst, daß er eine so hohe Stellung einnimmt?" So möchte die Natur sprechen, aber der Glaube antwortet ganz einfach: „Jehova hat geschworen, daß er mit Amalek Krieg haben will von Geschlecht zu Geschlecht." Also ist es immer. Der Glaube faßt den l e b e n d i g e n G o t t u n d S e i n e w i g e s W o r t und bleibt im Frieden und wandelt in heiliger Erhebung. O möchte die köstliche Belehrung, die wir in dem Buch Esther finden, durch die Kraft des Heiligen Geistes unseren Herzen recht nahe gebracht werden! Wir sehen darin die Vorsehung Gottes, den Stolz des Menschen und die Macht des Glaubens. Wir finden hier aber auch ein treffendes Bild von den Taten Jehovas für Sein Volk, ein Vorbild von der plötzlichen Vernichtung seines letzten, stolzen Unterdrückers, und ein Bild seiner endlichen Wiederherstellung und seiner ewigen Segnung, Ruhe und Herrlichkeit. 

Vollkommene Liebe „Hierin ist die Liebe mit uns vollendet, auf daß wir an dem Tage des Gerichts Freimütigkeit haben, daß, wie er ist, auch wir in dieser Welt sind" (1. Joh. 4, 17).

 Nichts ist in der Geschichte und der Erfahrung der Seelen bezeichnender, als die Neigung, auf das zu schauen, was i n uns ist, anstatt a u ß e r uns auf Christum. Der Glaube aber hat seinen Gegenstand a u ß e r uns und nicht i n uns; und je mehr sich dies bei uns verwirklicht, desto glücklicher werden wir sein. In dem Augenblick aber, wo wir den Grund unseres Glaubens i n uns suchen, verlieren wir den Trost und den Frieden, welche zu genießen unser Vorrecht ist. Deshalb sage ich noch einmal, der Gegenstand, auf welchen der Glaube allein seinen Blick richtet, liegt immer a u ß e r uns. Diese herrschende Gewohnheit, i n sich, anstatt a u ß e r sich zu schauen, hat die Wirkung gehabt, die oben angeführte Stelle ihrer göttlichen Schönheit, Köstlichkeit und Macht in sehr hohem Grade zu berauben. Gewiß ist es eine traurige und undankbare Beschäftigung, seine eigene Liebe 61 zu prüfen, um Vollkommenheit darin zu rinden, ja, es ist eine weit hoffnungslosere Arbeit, als 'wenn die Kinder Israel durch ihre hartherzigen und despotischen Vögte gezwungen wurden, Ziegeln ohne Stroh zu machen. Ohne allen Zweifel hatte ein Israelit, wenn er auf den Stoppelfeldern Ägyptens umherschweifte, um Material für sein Tagewerk zu suchen, noch mehr Hoffnung und Erfolg, als wenn ein armer, hilfloser, unwürdiger Sünder in der Finsternis seines Herzens umhertappt, um irgend etwas „Vollkommenes" zu suchen. Es liegt dem Sinne des Heiligen Geistes nichts entfernter, als der Gedanke an u n s e r e vollkommene Liebe; und dies wird uns ganz klar, wenn wir einfach die erwähnte Stelle in 1. Joh. 4, 17 betrachten: „Hierin ist die Liebe mit uns vollendet, auf daß wir an dem Tage des Gerichts Freimütigkeit haben; daß, wie er ist, auch wir in dieser Welt sind." Wie könnte nun unsere Liebe je „vollkommen" genug sein, um uns am Tage des Gerichts Freimütigkeit zu geben?" Wie könnten wir je mit glücklichem Vertrauen vorwärts schauen, zu dem Richterstuhl hin, wenn wir auf der Vollkommenheit unserer Liebe ruhten? Wie könnte unsere Liebe je von solchem Charakter sein, um alle peinliche Furcht aus unseren Herzen wegzutreiben? Unmöglich. 

Was nun meint der Apostel, wenn er sagt: „Die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus?" Er meint, daß die vollkommene Liebe G o t t e s , welche in dem kostbaren Blute Seines geliebten Sohnes gegen uns geoffenbart und auch „vollkommen mit uns" ist, alle Furcht aus unseren Herzen völlig verbanne. Wenn ich weiß, daß Gott mich vollkommen liebt, dann habe ich nicht die geringste Ursache zur Furcht. Und auf welche Weise hat Er Seine Liebe gegen mich ausgedrückt? In dem Blut, welches aus der durchbohrten Seite eines gekreuzigten Christus floß. Dieses Blut hat nicht nur die Ansprüche Gottes in Betreff meiner Sünden befriedigt, sondern auch Seine vollkommene Liebe gegen meine verlorene Seele ausgedrückt. Die Sünde is't gerichtet und für immer hinweggetan, und zwar durch dieses Blut, welches zugleich die tiefsten Geheimnisse der Liebe offenbart, die in dem Herzen Gottes gegen verlorene Sünder wohnt. Was wird deshalb der Tag des Gerichts für den Gläubigen sein? Er wird angesichts des Himmels, der Erde und der Hölle offenbaren, daß nichts g e g e n ihn ist. Das Licht des „Richterstuhles Christi" wird zeigen, daß auf jenem „weißen Kleide", welches seine ganze Reinheit dem Blute Christi verdankt, nicht der geringste Flecken ist. Der R i c h t e r s t u h l wird in jeder Beziehung dem Gläubigen ebenso geneigt sein, wie es jetzt der G n a d e n s t u h l ist. 62 Das Blut von diesem ist jetzt nicht mehr auf seiner Seite, als es dann auch das Gericht von jenem sein wird. Dies ist eine liebliche Wahrheit und eine göttliche Berechnung, die Furcht aus dem Herzen wegzutreiben und Freimütigkeit einzupflanzen. Laßt uns jetzt die Art und Weise, in welcher die Liebe Gottes mit uns vollendet ist, ein wenig näher betrachten. „Wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt." Dies ist in der Tat die Vollkommenheit der Liebe. Wie der Richter ist, so sind auch wir. „Wir sind v o l l e n d e t in ihm" — „angenommen in dem Geliebten" — ein Teil von Ihm — Er das Haupt und wir die Glieder. Christus nahm auf dem Kreuz unsere Stelle ein. Er ward zur Sünde gemacht — an unserer Stelle wurde er gerichtet. Er trug das Kreuz und erduldete den Zorn; Er bezahlte die Schuld und erlitt den Tod für uns. Er nahm aber unsere Stelle ein, damit wir die Seinige einnehmen möchten. Er kam in die tiefsten Tiefen unseres Zustandes hernieder, damit wir in die höchsten Höhen Seiner Stellung vor Gott erhoben werden möchten. „Wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt." In dieser Weise ist „die Liebe Gottes in uns vollendet, auf daß wir an dem Tage des Gerichts Freimütigkeit haben." Gewiß, der Richter wird sich selbst nicht verdammen. Er ist meine Gerechtigkeit. Er wird nicht den geringsten Fehler in Seinem eigenen Werke finden. Nur dies ist der wahre Grund meines Vertrauens. Er hat mich zu dem gemacht, w a s ich bin, und hat mich dahin gesetzt, w o ich bin. „Der uns aber hierzu gebildet hat, ist Gott" (2. Kor. 5, 5). „Wir sind sein Werk" (Eph. 2, 10). Hieraus folgt nun, daß ich, wenn der Gedanke an den Tag des Gerichts noch ein wenig Furcht in meinem Herzen erweckt, nicht glaube, daß ich vollkommen von Gott geliebt bin, oder daß das Blut Christi mich vollkommen reinigt. Es ist nutzlos für mich, in mein eigenes Herz zu schauen; ich werde nichts daselbst finden. Gott aber sucht auch nichts darin und fordert auch nichts von mir. 
Er hat alles, was Er wünscht, auf dem Kreuze gefunden. Er Selbst hat für Sich Selbst die ganze Frage der Sünde in Ordnung gebracht; Er hat Sich in Betreff derselben vollkommen befriedigt. Er kannte das Bedürfnis und ist ihm vollkommen begegnet; Er kannte die Forderungen und hat sie befriedigt; Er kannte das Maß der Schuld und hat sie alle getilgt. Er hat die Sünde völlig beseitigt, so daß wir jetzt vor Seiner unendlichen Reinheit bestehen können. Er hat Sich verherrlicht in der Fortschaffung dessen, welches uns ewiges Verderben gebracht haben würde. Es ist ebenso unmöglich, daß Gott und die Sünde zusammengehen können, als daß Gott 63 und die Gläubigen können getrennt sein. Darum ist die Sünde vollkommen und auf ewig beiseite gesetzt und der Gläubige vollkommen und auf ewig nahe gebracht, — erstere konnte nimmer eingelassen und letztere kann nimmer ausgestoßen werden. Jetzt erlaube ich mir, Dich, geliebter Leser, zu fragen: Kennst Du diese vollkommene Liebe Gottes? Hat sie Deine Furcht ausgetrieben? Oder sinkt Dein Mut beim Gedanken an den „Tag des Gerichts"? Fürchtest Du, daß das Licht dieses Tages Dir unfreundlich sein werde? Wenn das ist, so kannst Du sicher sein, daß Du nicht auf der Liebe Gottes und auf dem Blute Christi ruhest. Du schaust auf Dich selbst. Du glaubst nicht, daß die Liebe Gottes vollkommen ist; denn wenn Du das tätest, so würdest Du wissen, daß sie auch Deinen Zustand erkannt und erreicht hat. Du glaubst auch nicht, daß das Opfer Christi vollkommen ist; denn- wenn Du das tätest, so würdest Du wissen, daß alle Deine Schuld hinweggetan ist. 

Wenn etwas von Dir gefordert würde, dann würdest Du wohl Ursache haben, Dich zu fürchten und zu zittern; denn Du könntest nicht das geringste bezahlen. Aber Gott sei Dank! Dies alles ist Sache der Vollkommenheit der Liebe Gottes, der Wirksamkeit des Blutes Christi und der Wahrheit des Zeugnisses des Heiligen Geistes geworden, und darum ist der geringste Zweifel eine Verachtung der heiligen Dreieinigkeit. Es gibt etliche, welche meinen, Zweifel und Furcht seien Zeichen des geistlichen Lebens. Sie mögen es in der Weise sein, wie rheumatische Schmerzen Zeichen eines natürlichen Lebens sind; aber wen gelüstet nach solchen Zeichen? Wer möchte sich fortwährend Schmerzen wünschen, um einen a u g e n s c h e i n l i c h e n Beweis von seinem Dasein zu haben? Der Apostel erklärt nachdrücklich: „Die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus, denn die Furcht hat Pein. Wer sich aber fürchtet, ist in der Liebe nicht vollendet." „Und wir haben die Liebe, welche Gott zu uns hat, erkannt und geglaubt. Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott in ihm" (1. Joh. 4, 16). 64

 „Du wirst es finden nach vielen Tagen" 

Johann Flavevel war ein Prediger zu Darthmouth in England. Eines Tages predigte er über diese Worte: „Wenn jemand den Herrn Jesum Christurn nicht lieb hat, der sei Anathema: Maran Atha!" oder: der sei verflucht! (1. Kor. 16, 22). Die Rede war ungemein ernst und feierlich, besonders die Auseinandersetzung des Fluches. Am Schluß, als F1 a v e 1 sich erhob, um den Segen zu sprechen, hielt er inne und sagte: „Wie kann ich diese ganze Versammlung segnen, wenn jede Person darin, welche den Herrn Jesum nicht lieb hat, ein „Anathema: Maran Atha" ist? Die Feierlichkeit dieser Anrede machte einen tiefen Eindruck auf die Zuhörer. In der Versammlung war ein Knabe namens Lucas Schut, ungefähr 15 Jahre alt und geboren zu Darthmouth. Kurze Zeit nachher ging dieser Knabe zur See und wanderte nach Amerika, wo er die übrige Zeit seines Lebens zubrachte. Sein Leben war lang und überstieg sehr weit die gewöhnliche Grenze. Als er hundert Jahr alt war, konnte er noch auf seiner Farm arbeiten und sein Geist war noch ganz ungeschwächt. Er lebte aber in all dieser Zeit in Sorglosigkeit und Sünde. Er war ein Sünder von hundert Jahren und bereit, verflucht zu sterben. Eines Tages aber, als er in seinem Felde saß, blickte er auf sein vergangenes Leben zurück. Er gedachte der Tage seiner Jugend, und sein Gedächtnis fiel auf F l a v e l s Predigt, wovon er noch einen großen Teil wußte. Der Ernst des Predigers — die ausgesprochenen Wahrheiten — der tiefe Eindruck auf das Volk — alles trat jetzt frisch und lebendig vor seine Seele. Er fühlte, daß er den Herrn Jesum nicht lieb hatte; und er fürchtete das schreckliche Anathema. Er wurde tief von dem Gefühl der Sünde erschüttert, und es dauerte auch nicht lange, so wurde er zu dem Blute der Besprengung gebracht. Er lebte noch bis in sein hundertundsechzehntes Jahr und gab stets Beweise von seiner Wiedergeburt. 62 65 

Die gesegnete Stellung des Christen 

In Römer 5, 1. 2 wird diese Stellung mit wenigen Worten auf das völligste und bestimmteste dargestellt. „ Gerecht fertigt also aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unseren H e r r n J e - s u m C h r i s t u m , d u r c h w e l c h e n w i r m i t t e l s t d e s G l a u b e n s a u c h Z u g a n g h a b e n z u d i e s e r G n a d e , i n w e l c h e r w i r s t e h e n , u n d r ü h m e n u n s i n H o f f n u n g d e r H e r r l i c h k e i t G o t t e s . " 
Dies ist die wahre Stellung des Christen — der völlige Standpunkt des Gläubigen, als eines solchen, in dar Gegenwart Gottes. G e r e c h t f e r t i g t — F r i e d e n h a b e n — i n d e r G n a d e s t e h e n — u n s i n H o f f n u n g d e r H e r r l i c h k e i t G o t t e s r ü h m e n . Dies ist die gesegnete Stellung aller, welche „an den glauben, der Jesum, unseren Herrn, von den Toten auferweckt hat" (Röm. 4, 24). Ihr wahrer Zustand ist die völlige Rechtfertigung, als notwendige Folge des Todes und der Auferstehung Christi. Jesus starb für uns; „er ist unserer Übertretungen wegen dahingegeben." Er kam in völliger Liebe gegen uns vom Himmel hernieder und nahm unsere Stellung als Sünder ein, obgleich Er Selbst ganz und gar ohne Sünde war. „Er wurde unter die Übeltäter gerechnet", auf daß Er uns in all den gesegneten Folgen Seines glorreichen Werkes mit Sich vereinigen möchte. Für uns auch lebt Er wieder. „Er ist unserer Rechtfertigung wegen auf erweckt." Nachdem Er unsere Sünden und das Gericht, welches sie verdienten, auf dem Kreuze getragen hatte, hat Gott Ihn von den Toten auferweckt und Ihm Herrlichkeit über die Himmel gegeben. Ein auferstandener Christus ist das ewige Zeugnis unserer völligen und immerwährenden Rechtfertigung vor Gott; wir sind d o r t in Ihm. Es ist möglich, daß wir für eine Zeit das süße Gefühl dieser gesegneten Wahrheit verlieren können; aber unsere Rechtfertigung kann nimmer verloren gehen. „Welche er gerechtfertigt hat, diese hat er auch verherrlicht" (Röm. 8, 30). Rechtfertigung und Verherrlichung sind von Gott Selbst unzertrennlich miteinander verbunden. Der Gläubige ist mit der ewigen Herrlichkeit verbunden, weil er durch den Glauben mit einem verherrlichten Christus verbunden ist. — So lange der Christ nicht den Unterschied zwischen G e m e i n s c h a f t und R e c h t f e r t i g u n g kennen gelernt hat, kann er keinen dauernden Frieden 66 haben. Es ist unmöglich, heute gerechtfertigt und morgen verdammt zu sein; aber es ist wohl möglich, daß ich heute mit Gott in glücklicher Gemeinschaft bin und morgen praktisch außer derselben. In der Rechtfertigung gibt es keine Stufen oder Grade, aber wohl finden in der Gemeinschaft solche statt. Wenn ich nicht wachsam bin, oder mich einem Geist des Unglaubens und der Weltlichkeit hingebe, so kann ich unmöglich die glückliche Gemeinschaft mit meinem himmlischen Vater genießen. Gott ist Licht, und Gott ist heilig. Die Sünde kann Er in Seiner Gegenwart nicht dulden. Er kann nicht mit dem Bösen in Verbindung sein, Er muß es richten. Wenn ich im Selbstgericht nachlässig bin, wenn ich mein Herz zu richten versäume, so wird die Gemeinschaft unterbrochen werden. Die Frage der Rechtfertigung aber wird durch dies alles nicht berührt, auch nicht im geringsten. Diese fließt aus einer anderen Quelle, aus der Liebe Gottes; sie ruht auf einem anderen Grunde — allein auf dem Werke Christi.

„Gott ist es, welcher rechtfertigt; wer ist, der verdamme?" (Röm. 8, 33). Danach folgen (V. 34) vier Punkte, worauf unsere Rechtfertigung und die Sicherheit derselben gegründet ist: „ C h r i s t u s is t es , d e r g e s t o r b e n " , — „j a n o c h m e h r , d e r a u c h a u f e r w e c k t " — „ d e r a u c h z u r R e c h t e n G o t - t e s i s t " — „ d e r a u c h f ü r u n s b i t t e t . " Diese vier Pfeiler sind es, worauf die Stellung des Christen völlig sicher ruht. Sie sind ganz und gar von Gott. Nichts ist vom Menschenwerk dabei. „ G o t t JE ü r u n s " ist die Überschrift von jedem derselben. Sie haben ihre Festigkeit von Ihm Selbst. Er hat alles getan; da ist „ k e i n e V e r d a m m n i s " und „ k e i n e T r e n n u n g " mehr. Die erste Wirkung dieser neuen und gesegneten Stellung ist der „ F r i e d e m i t Gott" , zu welchem wir durch den auferstandenen Christus gebracht worden sind, „durch welchen wir mittels des Glaubens auch Zugang haben". Alle unsere Sünden sind durch die Vergießung Seines kostbaren Blutes völlig ausgetilgt. Wir haben vollkommenen Frieden in Seiner heiligen Gegenwart und das vollendete Werk Christi ist der alleinige Grund dieses Friedens und nichts anderes. Wir sind auch durch dasselbige gesegnete Werk in eine neue Gemeinschaft mit Gott gebracht; w i r s t e h e n i n d e r G n a d e — in dem völligen Besitz Seiner Gunst. Es ist nichts mehr zwischen Ihm und uns. Wir sind ganz nahe gebracht, ja so nahe wie Christus Selbst: „Jetzt aber, in Christo Jesu, seid ihr, die ihr einst ferne wäret, durch das Blut des Christus nahe geworden" (Eph. 2, 13). Und wir können uns jetzt sogar „in Hoffnung der Herrlichkeit Got- 67 tes rühmen." Alles, was gegen uns war, ist Christo zugerechnet, und Er machte es „ein Ende mit den Sünden". G n a d e und H e r r l i c h k e i t charakterisieren unsere wunderbare und gesegnete Stellung vor Gott. Das Kreuz, das Grab, die Sünde, Satan und „dieser gegenwärtige böse Zeitlauf" — alles ist vergangen — alles liegt hinter dem Christen. Er ist am Kreuze auf der Seite des Himmels, auf dem Auferstehungsgrunde und jetzt schon in dem Besitz des Auferstehungslebens. Nichts als die glänzenden Strahlen der Herrlichkeit Gottes vergolden die Zukunft. Nicht eine einzige Wolke verdunkelt die Aussicht. A l l e s is t R u h e , F r i e d e , G n a d e und H e r r l i c h k e i t . In den Gedanken Gottes ist jeder Gläubige auf dem Kreuz Christi von seiner ursprünglichen Stellung als Sünder befreit. Dort fand er als ein Glied der gefallenen und verderbten Familie Adams sein Ende. „Dies wissend, daß unser alter Mensch mitgekreuzigt ist, auf daß der Leib der Sünde abgetan sei" (siehe Röm. 6, 1-11). Als Christus starb, da ist der Gläubige — alle Gläubigen — in Ihm mitgestorben; Er war auf dem Kreuze ihr Stellvertreter und Bürge vor Gott. Sie sind in Ihm mitgestorben und mitauferweckt. Unter dem Ausdruck „ L e i b d e r S ü n d e " ist unsere verderbte Natur und alles, was damit verbunden ist — der ganze Zustand des „ a l t e n M e n s c h e n " — gemeint. Dieser „Leib der Sünde" ist durch den Tod Christi vor dem Angesicht Gottes hinweggetan und für immer beseitigt. Wie köstlich und gesegnet ist diese Wahrheit! Doch müssen wir wohl beachten, daß dieser Zustand des Sünders s e l b s t erst dann verändert ist, wenn er an Jesum glaubt. Das große Werk der Versöhnung und Errettung ist wirklich auf dem Kreuze vollbracht, aber es ist keine Veränderung, kein neues Leben in der Seele, bis er durch die belebende Wirksamkeit des Geistes die Wahrheit Gottes über die Person und das Werk Christi glaubt. Wenn er also glaubt, so ist seine Stellung unverändert; er steht vor Gott und ist wesentlich mit Ihm, welcher für uns gestorben und wieder auferstanden ist, verbunden. Er erlangt die nämliche Stellung, welche Christus Selbst hat. „Wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt" (1. Joh. 4,17). Seine Stellung ist vollkommen und für immer verändert. „Ihr aber seid nicht in dem Fleisch", sagt der Apostel, „sondern in dem Geist" (Röm. 8, 9). Das will sagen: Ihr habt eure S t e l l u n g nicht mehr in dem Fleische oder in der Natur, sondern in dem Geist. Wir können aber diese wundervolle Wahrheit nur durch die Macht des Geistes Gottes verstehen, verwirklichen und in dieselbe eintreten. „So ist denn nun k e i n e Verdammnis für die, welche in C h r i s t o J e s u sind" (Röm. 8, 1). In „ C h r i s t o J e s u " sein, ist d a zu sein, 68 wo Er ist und wie Er ist. Für Christum gibt es k e i n e Verdammnis und darum gibt es auch k e i n e Verdammnis für den Christen. Er ist das Maß unserer Nähe bei Gott, das Maß unserer Segnung in Seiner Gegenwart und unserer Verwandtschaft mit Ihm. Von der Zeit an, daß der Sünder an Christum glaubt, hat er diesen gesegneten Platz bei Ihm.

 „Gott aber, weil er reich an Barmherzigkeit ist, hat wegen seiner vielen Liebe, womit er uns geliebt hat, als auch wir in den Vergehungen tot waren, uns mit dem Christus lebendig gemacht, — durch die Gnade seid ihr errettet; — und hat uns mitauferweckt, und mitsitzen lassen in den himmlischen örtern, in Christo Jesu" (Eph. 2, 4-6). Das ist die Gemeinschaft, welche uns Gott Selbst in Seiner „reichen Barmherzigkeit" und „großen Liebe" mit Seinem geliebten Sohne gegeben hat. Gepriesen sei für immer Sein gesegneter Name! Wir sind in Seiner Wertschätzung in Ihm mitversetzt in die himmlischen Örter. Wir haben Gemeinschaft mit Christo, als dem Auferstandenen in Herrlichkeit. Wir haben Gemeinschaft mit Ihm in Seinem Auferstehungsleben, in Seiner Gerechtigkeit vor Gott, in Seiner völligen Annahme, in Seiner Gegenwart, in Seinem vollkommenen und vollendeten Sieg über jeden Feind und in Seiner gesegneten Hoffnung der kommenden Herrlichkeit. Die Wirkung der Erkenntnis dieser Wahrheit ist für die Seele reich gesegnet. Sie gibt heilige und glückliche Freiheit vor Gott. Wenn ich weiß, daß mein Platz in der unmittelbaren Gegenwart Gottes ist, daß ich dort meine Heimat habe und nichts anderes, so muß ich wissen, daß alle meine Sünden hinweggetan sind. Nichts ist gewisser, als daß ich dort nicht m i t meinen Sünden sein kann. Wenn ich dort b i n , so sind alle meine Sünden beseitigt. Und wir haben schon gesehen, daß die Gegenwart des Gläubigen dort, die Frucht des Werkes Christi ist. Der Gott der Liebe und der Macht ist in das finstere Gebiet des Todes eingetreten, wo Jesus für unsere Sünden lag, und hat Seinen geliebten Sohn lebendig gemacht und mit Ihm Sein geliebtes Volk; und „er hat uns mitauferw'eckt und mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern." Dies alles hat Gott getan in der Größe Seiner Liebe und auf Grund des vollkommenen Werkes Christi für uns. Er sagt Selbst, daß Er es getan habe, und das ist genug. Weiter wollen wir nur noch hinzufügen, daß nichts so sehr imstande ist, „uns von dem gegenwärtigen bösen Zeitlauf zu befreien", als die Erkenntnis unserer Verbindung oder Einheit mit einem himmlischen Christus. Die Beschäftigung der Seele mit Ihm leitet uns zu einer himmlischen Gesinnung und trennt uns im Herzen von der Welt. 

Paulus 69 hatte Christum in der Herrlichkeit gesehen und war ohne Zweifel im Herzen völlig mit Ihm beschäftigt, als er sagte: „Eins aber tue ich: das, was hinter mir liegt, vergessend, und nach dem, was vor mir liegt mich ausstreckend, strebe ich, das vorgesteckte Ziel immer anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christo Jesu." Möge denn dieser Gedanke, daß wir der Welt gestorben sind, und daß es unser Vorrecht ist, ganz und gar unserem himmlischen Herrn zu leben, völlig unsere Herzen erfüllen. „Suchet, was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf der Erde ist. Denn ihr seid gestorben und euer Leben ist mit dem. Christus in Gott verborgen. Wenn der Christus, unser Leben, offenbart sein wird, dann werdet auch ihr in Herrlichkeit mit ihm offenbart werden" (Kol. 3, 1-4).

 „Ich will wieder kommen"

„Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen ; w e n n e s a b e r n i c h t s o w ä r e , s o w ü r d e ic h e s e u c h g e s a g t h a b e n . I c h g e h e h i n , fü r e u c h e i n e S t ä t t e z u b e r e i t e n . U n d w e n n i c h h i n g e g a n g e n b i n u n d e u c h e i n e S t ä t t e b e r e i t e t habe , k o m m e ic h w i e d e r u n d w e r d e e u c h z u m i r n e h m e n , au f d a ß , w o i c h b i n , a u c h i h r s e i d " (Joh. 14, 2. 3). Dies ist eine wahrhaft köstliche Verheißung. Sie wurde gegeben, um die Herzen der bekümmerten Jünger zu trösten und manches beschwerte Herz ist seitdem dadurch getröstet worden. Wir sehen in diesem Vers, daß „ich" und „ihr" sich oft begegnen. Das Herz Jesu und das Herz Seiner Jünger sind zusammen verschmolzen. Die Liebe vereinigt sie, und sie sind v ö l l i g eins. Die zärtliche Liebe Jesu ist hier wunderbar schön ausgedrückt. — Die Jünger waren mit Trauer erfüllt, weil Er im Begriff stand, sie zu verlassen. „Wohin ich gehe", sagt Er, „könnt ihr nicht kommen." In der Antwort auf die Frage des Petrus: „Wohin gehst du?" verweist sie der Herr zuerst auf Seinen Tod am Kreuz für sie, und dann tritt Er dem Kummer ihrer Herzen mit dieser gesegneten Antwort entgegen: „Ich will wiederkommen und euch zu mir nehmen.

" Er sagt nicht: „Ich will zu euch s e n d e n " ; o nein! sondern: „ich will kommen. " Dies bezeugte Seine innige Liebe gegen sie; Er wollte Selbst zu ihnen kommen. Die Liebe würdigt ihren Gegenstand. 70 Hätte Er gesagt, daß Er andere zu Seinen Jüngern senden wolle, so würde dies nicht völlig bewiesen haben, wie sehr Er sie liebte und wertschätzte. Aber wohin ging Er? Nach oben, zu Seines Vaters Hause — in Seine unmittelbare Gegenwart — -E r g i n g heim . Und will Er uns dort bei Sich empfangen? Er ist jetzt dort, und Er will zu uns kommen und uns in Empfang nehmen, um da zu sein, wo Er ist. „Auf daß, wo ich bin", sagt Er, „ a u c h i h r seid." Be i Ihm : wird unser Platz sein, durch den unermeßlichen Wert Seines Blutes. Und dies ist, wie wir wissen, der höchste, beste, gesegnetste Platz im Himmel. Und obgleich alle in derselben Herrlichkeit sein werden, so wird doch ein jeder seinen bestimmten und besonderen Platz dort haben. Paulus wird nicht den des Petrus, und Petrus nicht den des Paulus haben. Ein jeder wird seinen eigenen Platz haben, nicht nur in dem Herzen Christi, sondern auch in dem Hause der vielen Wohnungen und der Herrlichkeit des Herrn. „Ich gehe hin, um für e u c h eine Stätte zu bereiten." Kurz, es wird die Heimat sein, unsere ewige, glückliche Heimat. Das ist die Liebe Jesu! Es ist die Liebe des göttlichen Bräutigams für Seine „erlöste Braut", und dies ist Seine getreue Verheißung:

 „Ich will wiederkommen." Im 17. Kapitel sahen wir dieselbe köstliche Wahrheit dargestellt, nicht in Form einer V e r h e i ß u n g , sondern als G e b e t ausgedrückt. „Vater! ich will, daß die, welche du mir gegeben hast, auch bei mir seien, wo ich bin, auf daß sie meine Herrlichkeit schauen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt vor Grundlegung der Welt" (V. 24). Er trägt uns beständig auf Seinem Herzen. Sein großer Wunsch ist, daß „wir seine Herrlichkeit sehen und in derselben bei ihm sein sollen." Hier ist Seine „gegebene" Herrlichkeit, von welcher Er spricht. Er verherrlichte Gott auf der Erde, und Gott hat Ihn zu Seiner Rechten in den Himmeln verherrlicht (vergl. Joh. 12, 28; 13, 31. 32; 17, 4. 5). Und jetzt bittet Er den Vater, daß wir alle in der Herrlichkeit bei Ihm sein möchten. „Und der .Vater erhöret ihn allezeit." „Noch eine kleine Zeit", und wir werden auf ewig bei Ihm sein und gleich Ihm in Seiner „gegebenen Herrlichkeit." Und sicher wird unsere höchste und tiefste Freude die sein, Ihn Selbst, der für uns durch solche Schmach und Leiden gegangen ist, mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt zu sehen. 

Unsere Freude wird nicht so sehr darin bestehen, daß w i r dort' sind, sondern vielmehr darin, daß E r dort ist. Jedes Auge wird auf Ihn gerichtet, jedes Herz mit Seiner Herrlichkeit und Schönheit erfüllt sein; und der Gedanke, daß wir durch Seine Leiden und durch Seine 71 Schmach und Verachtung dort sind, wird jede Stimme erschallen lassen, um in den lautesten und lieblichsten Liedern Sein Lob zu besingen. Und jetzt, da wir die Verheißung haben und den Wunsch Seines Herzens kennen, ist unsere wahre Stellung auf Sein Kommen zu warten und nach demselben uns zu sehnen. Tag und Stunde hat Er nicht genannt, damit wir allezeit auf Ihn warten möchten. Wir haben nicht auf Leiden, Versuchungen oder auf den Tod, sondern auf den Herrn zu warten. Dies mag v o r Ihm kommen; allein diese köstliche Verheißung: „Ich will wieder kommen und euch zu mir nehmen", stellt nichts zwischen das Herz des Jüngers und die Rückkehr seines Herrn. Seine Wiederkunft ist der eigentliche Gegenstand der Hoffnung Seines Volkes.

 Dies finden wir bei den Thessalonichern. Sie waren „von den Götzenbildern zu Gott bekehrt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen, u n d s e i n e n S o h n au s de n H i m m e l n z u e r w a r t e n." Liebe und Zuneigung sollte uns stets leiten, zu bitten: „Komm, Herr Jesu!" Das liebende Weib wird die Stunden der Abwesenheit ihres Mannes zählen und nach seiner Rückkehr sich sehnen, und also sollte es bei uns sein. Im vierten Kapitel der Offenbarung finden wir in einem Gesicht in den vierundzwanzig Ältesten die Verheißung erfüllt und die Bitte erhört. Die Liebe sowohl als auch der Glaube ergreifen dieses. Die Erkauften des Herrn werden in der Mitte des Thrones und rund um denselben gesehen. 

Sie sitzen auf Thronen, angetan mit weißen Kleidern und Kronen auf ihren Häuptern, und beten an. Und obgleich „aus dem Throne Blitze und Stimmen und Donner hervorgehen", so werden sie nicht im geringsten beunruhigt. Sie sind vollkommen zu Hause. Sie sind be i C h r i s t o , und das macht ihnen den Himmel zur Heimat. Seine Verheißung ist erfüllt und der Wunsch Seines liebenden Herzens für immer befriedigt. Ehe noch ein einziges Siegel erbrochen, eine einzige Trompete erschallte, eine einzige Schale ausgeschüttet ist, ist die Versammlung schon aufgenommen. Er kommt ihretwegen Selbst und empfängt sie für Sich und bringt sie nach oben in Seine eigene Heimat, in Seines Vaters Haus. Sie ist ohne Furcht innerhalb des Vorhangs. Dies ist eine tiefe, köstliche Wahrheit. Die Gerichte kommen dann mit überraschender Schnelligkeit auf die Erde, welches die Blitze, Stimmen und Donner anzeigen. Aber si e ist von der Szene, auf welche die Gerichte fallen, hinweggerückt und ist mit Christo zu ihrer ewigen Ruhe und Herrlichkeit eingegangen. Die Verheißung ist erfüllt und die Bitte erhört. 72 

Der Mann Gottes zu Bethel (1. Könige 13) 

Wir sind hier in einer Wüste, geliebte Brüder, wo wir mancherlei Versuchungen zu begegnen haben. Der Herr erlaubt dies, um uns zu erziehen; aber auch um Seine Macht und Liebe an uns kund zu tun, um Sein völliges Mitgefühl gegen uns zu beweisen und um stets an den Tag zu legen, daß Er f ü r uns und m i t uns ist. Satan aber ist in den mannigfachen Versuchungen beschäftigt, unsere Abhängigkeit von Gott zu untergraben und unsere Gemeinschaft mit Ihm zu unterbrechen. Er gebraucht allerlei Mittel und wendet allerlei List an, um diesen Zweck zu erreichen. Wenn er uns nicht durch das Böse verführen kann, dann versucht er es durch das scheinbar Gute. Kann er durch eine direkte Verführung zum Bösen seinen Zweck nicht erreichen, dajin „verstellt er sich in einen Engel des Lichts" und naht in dieser Gestalt den Gläubigen.
 O, wie nötig ist es deshalb, stets die Ermahnungen zur Wachsamkeit zu beherzigen: „Seid nüchtern und wachet!" „Wachet und betet!" „Ziehet an die ganze Waffenrüstung Gottes!" Die große Gefahr wirklich anerkennen, auf seine eigene Kraft zu verzichten, auf Gottes Kraft völlig zu vertrauen und durch Sein Wort allein sich leiten zu lassen — das ist es, was uns in allen Versuchungen aufrecht erhält. Sobald aber das Auge sich nur ein wenig von Ihm abwendet, sobald das Ohr irgend einer anderen Stimme, als der Seinigen, Gehör gibt, sind wir in Gefahr, zu fallen. Dies sehen wir bei dem Manne Gottes zu Bethel. In der vorliegenden Geschichte haben wir zunächst das Urteil über das Böse durch den Mann Gottes und dessen Empfang, sowie auch die Macht des Königs gegenüber der Macht Gottes. Die Ungerechtigkeiten Jerobeams brachten das Urteil Gottes über ihn, und dies Urteil wurde auf Befehl Gottes durch Seinen Knecht gegen den König und den Altar ausgesprochen. Dies zu tun war keine leichte Aufgabe für den Propheten. Ihm gegenüber stand der mächtige König Israels, umgeben von all den Angesehenen seines Reiches, inmitten der ganzen Pracht eines großen Opferfestes und in dem Bewußtsein, daß seine jetzige Verrichtung die Ruhe und den Frieden seines Reiches fördern und seine Unter- 73: tanen verhindern würde, von ihm abzufallen. Und diese ganze Berechnung sollte der Prophet zerstören. Er mußte denselben Altar, wodurch Israel vom Übertritt zu Juda verhindert werden sollte, verfluchen. Wahrlich, es war keine leichte Aufgabe, gerade in diesem Augenblick und in dieser Umgebung ganz allein vor dem Könige zu erscheinen und ihm dies Urteil zu verkündigen. Es war kein Wunder, daß der König seine Hand ausstreckte und rief: „Greifet ihn!" — Der Mann Gottes aber wurde dadurch gar nicht beunruhigt. Er wankte keinen Schritt zurück, sondern hatte völliges Vertrauen zu der Macht und Hilfe Gottes. 

Der Herr hatte geredet, und der Diener erfüllte seinen Auftrag, ohne einen Augenblick zurückzuschaudern. Ein würdiges Vorbild! Es ist die Kraft des Glaubens, einfältig zu tun, was Gott geredet hat, ohne auf das zu sehen, was uns umgibt, ohne vor der Macht des Feindes zurückzuschrecken. Es ist die Kraft des Glaubens, selbst in den schwierigsten Umständen, das Auge einzig und allein auf Gott gerichtet zu halten. Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Dieser Glaube allein behält das Feld, selbst in den schwierigsten Kämpfen, selbst wenn die ganze Welt gegen uns wäre. Er hat seine Kraft in Gott, auf Ihn bleibt er gerichtet, auf Ihn vertraut er, und: „Wer auf den Herrn vertraut, wird nicht beschämt werden." Er wird uns lehren, was wir zu tun haben; Er wird uns über alle unsere Feinde den Sieg verschaffen. Er wird in allen Lagen unsere Gedanken, Worte und Handlungen leiten. Er verließ Seinen Knecht zu Bethel nicht, und Er wird auch uns nicht verlassen. Zu Bethel sahen wir die Kraft Gottes in Schwachheit vollbracht. E i n Mann gegenüber T a u s e n d e n , und der E i n e überwindet. Der König wird von einem Herrscher ein Flehender. Wunderbare Macht Gottes! „Und seine Hand, die er wider ihn ausgestreckt hatte, verdorrte, und er konnte sie nicht wieder zu sich ziehen. Und der Altar zerriß, und die Asche war verschüttet vom Altar" (V. 4. 5). Plötzlich ist die ganze Szene verändert. Jerobeams Hand ist gelähmt und der Altar zerrissen. Der Herr sagt: „Wer euch antastet, der tastet meinen Augapfel an." Jerobeam hat seine Hand wider Gott ausgestreckt und kann sie nicht wieder zurückziehen. Deshalb fleht er den Propheten an, für ihn zu beten. „Da bat der Mann Gottes das Angesicht des Herrn; und dem Könige ward seine Hand wieder zu ihm gebracht und ward, wie sie vorhin war" (V. 6). 

Gott offenbarte hier zweimal Seine Macht an dem Könige, zuerst, daß seine Hand verdorrte und dann, daß sie wieder gesund wurde. Dies blieb auch nicht ganz ohne Eindruck bei ihm, denn er sagte zu 74 dem Manne Gottes: „Komm' mit mir heim und labe dich, ich will dir ein Geschenk geben" (V. 7). Dies war für den Propheten eine große Versuchung; allein er widerstand entschieden. Er wies alle Geschenke des Königs ab, sagend: „Der Herr hat mir durch sein Wort geboten: Du sollst kein Brot essen und kein Wasser trinken und nicht wieder durch den Weg kommen, den du gegangen bist" (V. 9). Er hielt sich am Worte des Herrn, wie fremd und unbegreiflich dies auch für den Verstand sein mochte. Der Herr hatte geredet und er folgte ohne zu überlegen. Bis dahin war der Prophet dem Wort des Herrn gehorsam gewesen. Das Urteil über den Altar war ausgesprochen, der äußerliche Widerstand überwunden und das Geschenk des gottlosen Königs entschieden abgewiesen. Dennoch waren nicht alle Versuchungen für ihn beendigt. Satan kam bald von einer anderen Seite, um ihn zu Fall zu bringen. Und ebenso macht er es mit uns.

 Er läßt uns oft ein wenig in Ruhe, aber nur deshalb, um den Augenblick abzuwarten, wo er uns am besten überlisten kann. Und es wird auch immer für uns traurige Folgen haben, wenn das standhafte Ausharren der einen Versuchung die Meinung erweckt, daß wir jetzt für alle die folgenden Versuchungen stark genug seien. Dann werden wir bald gleichgültig, und Satan wird uns leicht zu Boden werfen können. Außerdem sind meistens die Versuchungen am gefährlichsten, die am wenigsten dafür gehalten werden. Große Schwierigkeiten treiben zum Herrn, aber in den scheinbar kleineren sind wir so leicht mit unserer eigenen Kraft da. Als Petrus den starken Wind sah, wurde er furchtsam, und als er anfing zu sinken, rief er, sagend: „Herr, rette uns, wir gehen unter!" Die größte Gefahr aber wartet des Volkes Gottes von einer anderen Seite. Paulus warnte die Ältesten zu Ephesus vor den verderblichen Wölfen, die in die Versammlungen hineindringen würden. „Aus eurer eigenen Mitte", sagt er, „werden Männer aufstehen, die verkehrte Dinge reden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her" (Apg. 20, 30). 

„Sehet zu, daß nicht jemand von der Gnade Gottes zurückbleibe, daß keine Wurzeln von Bitterkeit ausschlagend, euch beunruhigen und viele durch diese befleckt werden" (Hebr. 12, 15). Solche Schriftstellen sind wohl geeignet, alles Selbstvertrauen und alle Selbstzufriedenheit unter den Gläubigen niederzuhalten. Das Stützen auf eigene Kraft oder das blinde Vertrauen auf andere Gläubige, wenn sie auch noch soviel Ansehen genießen, bringt uns immer wieder zu Fall. Das Wort Gottes ermahnt nicht, daß sich einer auf den a n - d e r e n , sondern daß sich ein jeder an de n H e r r n lehnen solle. Hierin besteht auch nicht die Gemeinschaft 75 der Gläubigen, sondern sie besteht darin, daß ein jeder auf Gott vertraue und nach dem Maße seines Glaubens bemüht ist, dem anderen zu helfen. Wenn die Bruderliebe ohne Gott unterhalten werden könnte, dann würden wir in dieser Hinsicht ohne Gott sein; „aber in ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge." Er gibt den Segen und Er gibt auch die Kraft, ihn zu bewahren. Wenn wir Ihn ehren, so werden wir uns auch einander ehren; wenn wir Ihn lieben, so werden wir uns auch einander lieben. Keine Bruderliebe ist möglich, ohne die Liebe Gottes — und die „Liebe Gottes freut sich mit der Wahrheit." Dies alles vergaß aber der Mann Gottes auf seiner Rückreise von Bethel nach Juda. Zufrieden mit sich selbst und über sein abgelegtes Zeugnis, setzte er sich unter einer Eiche nieder, und in diesem Zustand der Unwachsamkeit kam der Teufel zu ihm. Er mochte wohl denken, daß er jetzt alle Gefahren überstanden hätte, da Bethel hinter ihm lag. Aber er irrte sich. Seinen Auftrag, das ist wahr, hatte er vollendet, aber er war noch nicht wieder in Juda.

 Ebenso sind auch wir noch nicht in unserem Vaterlande, da, wo keine Versuchung, kein Kampf mehr sein wird. Solange wir dies nicht vergessen, werden wir auch die Gefahr nicht vergessen, worin wir uns befinden, und wir werden wachsam bleiben. „Ein alter Prophet nun wohnte zu Bethel; zu dem kam sein Sohn und erzählte ihm alle Werke, die der Mann Gottes des Tages zu Bethel getan, und die Worte, die er zum König geredet hatte. Solches erzählten die Söhne ihrem Vater. Und ihr Vater sprach zu ihnen: Welches ist der Weg, den er gezogen ist? Und seine Söhne hatten den Weg gesehen, den der Mann Gottes gegangen war. Er aber sprach zu seinen Söhnen: Sattelt mir den Esel. Und da sie ihm den Esel gesattelt hatten, ritt er darauf, und zog dem Manne Gottes nach, und fand ihn unter einer Eiche sitzen, und sprach zu ihm: Bist du der -Mann Gottes, der von Juda gekommen ist? Er sprach: Ja. Er sprach zu ihm: Komm' mit mir heim und iß Brot. Er aber sprach: Ich kann nicht mit dir umkehren, und mit dir kommen; ich will auch nicht Brot essen, noch Wasser trinken mit dir an diesem Orte. Denn es ist mit mir geredet worden durch das Wort des Herrn:

 Du sollst daselbst weder Brot essen, noch Wasser trinken; du sollst nicht wieder durch diesen Weg gehen, den du gegangen bist. Er sprach zu ihm: Ich bin auch ein Prophet, wie du, und ein Engel hat zu mir geredet durch des Herrn Wort und gesagt: Führe ihn wieder mit dir in dein Haus, daß er Brot esse und Wasser trinke. Er log ihm aber. 76 Und führte ihn wieder mit sich, daß er Brot aß und Wasser trank in seinem Hause" (11-19). Es wird gesegnet für uns sein, wenn wir uns durch solche Beispiele belehren lassen. Möchten wir durch die Geschichte des Mannes Gottes aus Juda uns warnen lassen, nicht jemand irgendwie Gehör zu geben, wenn das, was er sagt, nicht in völliger Übereinstimmung mit dem Worte Gottes ist. Wir dürfen ihm kein Gehör geben, selbst wenn er auch ein Bruder wäre und sogar schon lange auf dem Weg des Lebens gewandelt wäre. Gottes Wort ist die Richtschnur für alle; und wir können nur auf das Wohlgefallen und den Segen Gottes in unserem Wandel hienieden rechnen, wenn wir uns einfach durch Sein Wort leiten lassen. Vernachlässigen wir aber Sein Wort und folgen in irgend einer Sache der Meinung anderer, so werden wir ungesegnet sein und sogar gezüchtigt werden, selbst wenn diese Meinung die Anerkennung aller Gläubigen hätte. Und dies ist besonders in unseren Tagen so sehr beherzigenswert. 

„Und da sie zu Tische saßen, geschah das Wort des Herrn zum Propheten, der ihn wieder umgeführt hatte; und er schrie den Mann Gottes an, der von Juda gekommen war, und sprach: So spricht der Herr: Darum, daß du dem Munde des Herrn bist ungehorsam gewesen und hast nicht gehalten das Gebot, das dir der Herr, dein Gott, geboten hat; und du bist umgekehrt und hast Brot gegessen und Wasser getrunken an dem Orte, davon er dir sagte: du sollst weder Brot essen, noch Wasser trinken: so soll dein Leichnam nicht in deiner Väter Grab kommen" (V. 22-22). Und so geschah es auch. In Vers 23-25 wird uns die Ausführung der Strafe mitgeteilt. Die Geschichte sagt uns freilich wenig von dem alten Propheten, aber es ist doch nicht schwer, die Triebfeder seine r Handlungsweise zu erforschen. Er war auch ein Prophet Gottes und wohnte zu Bethel, an dem Ort, wo das Urteil gesprochen werden mußte. Gott aber hatte i h n nicht erwählt, um gegen die Abgötterei zu zeugen, sondern hatte aus Juda einen Propheten kommen lassen. Dies war für seinen Hochmut zu viel. „ I c h b i n a u c h e i n P r o - p h e t " , sagte er. 

Das eigene Ich war auf dem Plan und Gott ganz und gar beiseite gesetzt. Er wollte wenigstens durch den Propheten aus Juda als Prophet anerkannt werden. Und um seinen Zweck zu erreichen, nahm er seine Zuflucht zu einer Lüge. Aber ach! der Hochmut seines Herzens brachte den Mitknecht zu einem tiefen Falle, der eine schwere Strafe nach sich zog. Vielleicht mag er dies später bereut haben; aber dies änderte nichts an der Sache. Er konnte ihn wohl begraben, konnte wohl über ihn trauern 77 und sagen: Ach mein Bruder! aber dies alles verändert weder den Fall noch das Urteil Gottes. Der Mann Gottes war gestorben, und zwar durch seine Schuld. O wie schrecklich ist es, Ursache zu sein, daß ein Kind Gottes in Sünde fällt, wofür ihn das Urteil Gottes trifft! Der Herr gebe, daß auch dies ernste Beispiel uns warne, damit wir nicht eine solche Schuld auf uns laden. Zwei beherzigenswerte Ermahnungen werden uns durch diese lehrreiche Geschichte vor die Seele geführt. Zuerst sind wir ermahnt, zu jeder Zeit und in allen Versuchungen unverrückt an dem einfachen Wort festzuhalten und mit Gebet darüber zu wachen, und dann, daß wir uns nicht durch Eigenliebe und Hochmut verleiten lassen, uns selbst und anderen zum Unsegen zu sein. Dies möge der Herr tief in unser aller Herzen einprägen!

 Wisset ihr nicht, daß euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist? (1. Kor. 6, 19) 

Wir sind um einen hohen Preis erkauft. Unser Lösegeld ist das kostbare Blut Jesu, des Sohnes Gottes. Wir gehören niemandem an — auch uns selbst nicht — außer Dem, der uns erkauft hat. „Er ist für alle gestorben, auf daß die Lebenden n i c h t m e h r sic h s e l b s t l e b e n , s o n d e r n d e m , d e r fü r s i e g e s t o r b e n u n d a u f e r w e c k t i s t " (2. Kcr. 5, 15). Christus allein ist unser Herr; Ihm allein gebührt die ganze Herrschaft über uns, und uns gebührt allein die völlige Unterwürfigkeit unter Ihn. Aber ach, wie oft wird diese so gesegnete Stellung von den Seinigen hienieden verkannt und verleugnet! Ebenso ist es mit der gesegneten Wahrheit, die wir in 1. Kor. 6, 19 finden: „Wisset ihr nicht, daß euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, welchen ihr von Gott habt, und ihr nicht euer selbst seid?" 

Es ist von jedem Gläubigen wahr, was wir in oben angeführtem Kapitel Vers 11 lesen: „Ihr seid abgewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerechtfertigt in dem Namen unseres Herrn Jesu und durch den Geist unseres Gottes." Der 78 Leib war die Wohnstätte aller Unreinigkeit; aber jetzt ist er ein Tempel des Heiligen Geistes geworden. Der H e i - lig e G e i s t wohnt darin, als in Seinem Hause. Der Leib des Gläubigen ist jetzt ein geheiligtes Gefäß, geehrt von Gott, indem Er ihn zu. Seiner Wohnung erkoren hat. Darum ist auch jede Verunreinigung oder Befleckung des Leibes eine Entweihung des Tempels Gottes. Und Gott kann bei solcher Entweihung nicht gleichgültig zusehen; es erweckt Seinen Eifer. Es entbrannte ja schon der Eifer des Herrn, als der Tempel zu Jerusalem entweiht wurde, wie wir in Joh. 2, 14-16 lesen: „Und er fand im Tempel die Ochsenund Schafe- und Taubenverkäufer und die Wechsler da sitzen. Und er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus, und die Schafe und die Ochsen; und die Münze der Wechsler schüttete er aus und die Tische warf er um. Und zu den Taubenkrämern sagte er: Nehmet dieses von hier weg! Macht nicht das Haus meines Vaters zu einem Handelshause." In 1. Kor. 3, 16 wird die Kirche oder Versammlung auf der Erde, als Leib betrachtet, der „Tempel Gottes" genannt.

 „Wisset ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid, und daß der Geist Gottes in euch wohnet?" Und was sagt der Herr in Bezug auf die Zerstörung dieses Tempels? „Wenn jemand den Tempel Gottes verdirbt, diesen wird Gott verderben; denn der Tempel Gottes ist heilig, welcher ihr seid" (V. 17). Und ach, wie sehr ist dieser Tempel, die verantwortliche Kirche auf der Erde, verderbt worden! Ist er nicht ebenfalls, wie jener Tempel zu Jerusalem zu einem Handelshause und einer Mördergrube, ja zu einer Wohnstätte aller Unreinigkeit und Bosheit geworden? In der Offenbarung Johannes 18 finden wir den letzten wahren Zustand der Kirche und ihr trauriges und schreckliches Ende — das Ende dieses völlig verdorbenen und verunreinigten Hauses, nachdem der Herr vorher Seine Heiligen und vor Grundlegung der Welt Auserwählten aus demselben, hinweggenommen hat. Wir haben vorhin gesehen, daß der Leib eines jeden einzelnen Gläubigen auch ein Tempel des Heiligen Geistes ist. Und sollte Gott für diesen Tempel weniger Eifer haben? Gewiß nicht; wir sind verantwortlich unter der Gnade, die uns vor dem ewigen Gericht sicherstellt. Sein Eifer aber ist derselbe. Er erlaubt keine Unreinigkeit, keine Entweihung Seines Hauses. Er richtet jedes Böse; alle Seine Züchtigungen sind Beweis Seines Eifers. Die Seinigen aber vergessen leider so oft ihr gesegnetes Vorrecht sowohl, als auch ihre ernste Verantwortlichkeit als Tempel des Heiligen Geistes. Und darum erschrecken sie nicht, wenn unreine Lust, wenn Gedanken der Habsucht oder andere fleisch- 79 liehe und weltliche Gedanken in diesem Tempel ihr Wesen haben. Mancher fürchtet mehr das Auge der Menschen und bewahrt sich äußerlich, als das alles durchdringende Auge Gottes und die Heiligkeit Seiner Gegenwart. Sicher wird aber auch der Heilige Geist betrübt, wenn Seine Wohnstätte verunreinigt, wenn dem Fleische erlaubt wird, sich darin geltend zu machen. Es ist nicht nur mein L e i b , welchen ich verunreinige, sondern der T e m p e l G o t t e s . Der Apostel sagt in Vers 15: „Wisset ihr nicht, daß eure Leiber Glieder Christi sind? Soll ich nun die Glieder Christi nehmen und sie zu einer Hure machen? Das sei ferne!" Verunreinige ich also meinen Leib, so verunreinige ich den Tempel Gottes und verunreinige die Glieder Christi. O wie ernst ist diese Wahrheit! Sie gibt jeder Verunreinigung in oder an meinem Leib den wahren Charakter und zeigt die Größe meiner Strafbarkeit, wenn ich gleichgültig darin bin. Sehr oft wird bei der Verunreinigung durch unsaubere Gedanken, Worte oder Werke, nur an den Verlust des eigenen Friedens und der eigenen Freude gedacht; aber hier ist mehr. Es ist Gott, der betrübt wird, und es ist Sein Tempel der verunreinigt wird. Es wird Seine Ehre und die Heiligkeit Seines Hauses verletzt. O, der Herr möge diese ernsten und gesegneten Worte: „W isse t i h r n i c h t , d a ß e u e r L e i b ei n T e m p e l d e s H e i l i g e n G e i s t e s ist , d e r i n e u c h ist" , stets als eine lebendige Kraft in uns wirksam sein lassen! 

Das Werk des Heiligen Geistes in Irland 

Seit mehreren Monaten sind die Herzen der Heiligen durch eine mächtige und ausgedehnte Wirkung des Heiligen Geistes in dem bisher so dürren und toten Irland erfreut worden. Es sind dort in sehr kurzer Zeit eine große Menge errettet und der Versammlung Gottes hinzugefügt worden. Dies kann nur für alle, die den Herrn und Seine Erscheinung wirklich lieb haben, ein Gegenstand großer Freude sein. Daran zweifeln wir nicht; aber wir glauben, daß bei vielen eine falsche Vorstellung über den wahren Charakter dieses Werkes Gottes herrscht. Wir teilen deshalb zwei Briefe mit, welche wir von Brüdern empfangen haben, die sowohl bei den Anfängen als auch beim Fortgang des Werkes Augenzeuge waren. 80 Man erlaube uns aber zuvor noch einige Bemerkungen. Manche haben an der Göttlichkeit dieses Werkes gezweifelt, weil viele Bekehrungen eine so mächtige Wirkung selbst auf den Körper ausüben. Allein sie tun Unrecht. Es ist nicht unsere Sache, dem allmächtigen Werkmeister vorzuschreiben, auf welche Weise Er Sein Werk ausführen möge. Bei einigen läßt Er die Bekehrung so still und unbemerkt vor sich gehen, daß selbst die nächste Umgebung nicht weiß, welch ein herrlich Werk Gott in ihnen darstellt. Andere aber leitet er solche Wege, daß sie unter dem Gefühl dieser Schuld in ein lautes Schreien ausbrechen. Sind wir aber fähig, diesen Unterschied zu beurteilen? Sind wir dazu berufen? Gewiß nicht. Laßt uns z. B. den Unterschied der Bekehrung zwischen der Lydia und dem Kerkermeister in Apg. 16 ansehen. Von der ersteren wird gesagt: „Dieser tat der Herr das Herz auf, sodaß sie acht gab auf das, was von Paulus geredet ward"; der Kerkermeister aber s p r a n g h i n e i n u n d z i t t e r n d g e w o r d e n , fie l e r v o r P a u l u s u n d S i 1 a s hin . Es würde nun ebenso unrecht sein, deshalb an der Bekehrung des Kerkermeisters zweifeln zu wollen, weil er dabei so aufgeregt war, als es auch unrecht sein würde, an der Bekehrung der Lydia zu zweifeln, weil sie dabei so ruhig geblieben ist. 

Weder die Aufregung noch die Ruhe haben irgend etwas zur Errettung der Seele beigetragen. Jener fiel hin, diese nicht; aber beide waren durch Christum errettet. Betrachtet ferner den Unterschied zwischen der ruhigen Bekehrung des Kämmerers in Apg. 8 und der sehr ergreifenden Bekehrung des Saulus von Tarsen (Apg. 9). Die eine war ebenso wahr wie die andere, wiewohl die Umstände bei beiden sehr verschieden waren. Jemand kann bekehrt werden, ohne einmal von seinem Sitz aufzustehen, wie der Kämmerer, oder zur Erde zu fallen wie Saulus. Er kann gleich mit Freude und Friede erfüllt sein, wie jener, oder drei Tage bewußtlos darniederliegen, wie dieser. Die Umstände machen niemals eine Bekehrung zu einer wirklichen. Die V e r e i n i g u n g mit Christo und nicht die Art und Weise, w i e ich mit Ihm vereinigt werde, errettet meine Seele. Die Wahrheit einer Bekehrung zu bezweifeln, wegen der fremden Erscheinung, die dabei stattfindet, ist ebenso unverantwortlich wie die Bekehrung nach der Erscheinung abzumessen. Die Wiedergeburt ist ein Werk Gottes. Der, welcher sie bewirkt, ist der Heilige Geist. Das Mittel ist Gottes Wort. Die Art und Weise, auf welche sie stattfindet, liegt ebenso sehr außer uns, wie die Mittel und der Werkmeister. Gott ist allmächtig. Er gibt keine Rechenschaft von Seinem Tun; 63 81 und wir irren sehr, wenn wir meinen, daß unser Urteil hierbei eine Regel sein könnte. Die Geheimnisse und Wunder der neuen Schöpfung werden den weisesten und klügsten Gelehrten in Verwirrung bringen. Immer werden Dinge zum Vorschein kommen, vor welchen das arme, menschliche Verständnis mit Bewunderung stillstehen muß und von welchen man nur sagen kann: „Es ist Gottes Finger." Wenn es einen F a l l gibt, der ganz und gar gegen Gottes Wort streitet, so sind wir berechtigt, darüber zu urteilen; denn Gottes Wort und Geist können nimmer lügen; aber lasset uns auch selbst dann im Aussprechen unseres Urteils wenigstens vorsichtig sein; denn wir können leicht irren. Ein einfältiges und demütiges Herz aber wird die Wege Gottes leicht von den Irrwegen Satans unterscheiden können. Der erste Brief nun ist aus Newton-Limawady in der Provinz Ulster, im Norden von Irland, und ist folgenden Inhalts:

 Geliebter Bruder! 

Es ist mir eine liebliche Beschäftigung, Dir in Betreff des großen Werkes, welches Gott in dieser Gegend begonnen hat, einiges mitzuteilen. Ich sage: das Werk, welches G o t t begonnen hat, und wahrlich, wie immer, so hat Er auch hier gezeigt, daß Er keine menschliche Hilfe nötig hat. Der Geist Gottes hat dem Menschen jegliche Ursache abgeschnitten, um Sich zu erheben. Niemand kann sich rühmen, das Werkzeug zu diesem Werk gewesen zu :ein. Gott hat gezeigt, daß alle menschliche Kraft und Weisheit bei Ihm Torheit ist, „auf daß sich kein Fleisch vor ihm rühme." Einige wenige Worte über die Anfänge und den Fortgang dieses Werkes werden dies begründen. In Conner, einem Dorf in der Grafschaft Antrim, wurde vor ungefähr drei Jahren ein Mann, arm in dieser Welt und von geringer Bildung, durch den Geist Gottes über seine Sünden beunruhigt. Zwei Jahre lang lebte er in diesem Zustand, und weil er keine Kenntnis vom Wege der Seligkeit besaß, so trachtete er, wie es Hunderte mit ihm tun, seine eigene Gerechtigkeit aufzurichten. Er fand aber keine Ruhe für sein armes, ruheloses Herz. In diesem Seelenzustand hörte er von einer armen christlichen Frau, die sich lange Zeit in Ballymana aufgehalten hatte und jetzt im Begriff war, eine Gegend zu verlassen, wo sie so wenig, ja fast gar keine christliche Gemeinschaft finden konnte und wo man nur kalte und tote Herzen antraf. Er machte sich auf, diese 82 Frau zu besuchen; und von ihren Lippen vernahm er die frohe Botschaft einer vollkommenen, freien, augenblicklichen und persönlichen Errettung durch das e i n e Opfer Jesu Christi auf dem Kreuze. Ihre Worte waren Balsam für sein verwundetes Herz, und in dem Blute Jesu fand er Frieden. Aber bei der unbeschreiblichen Freude seines Herzens entstand eine Betrübnis über den schrecklichen Zustand der Menschen, unter welchen er wohnte und lebte. Er vereinigte sich mit einer oder zwei ebenso einfachen Seelen, wie er selbst war, um Gott zu bitten, den Toten das Leben zu geben.

 Sie beteten. Gott hörte — hörte und antwortete, wie Er immer tut, weit über ihre Erwartung. Das ist, geliebter Bruder, in wenigen Worten der Anfang dieses gesegneten Werkes, welches sich in der ganzen Provinz Ulster offenbarte. Laßt uns nicht nach Neben-Ursachen suchen oder trachten, um auf einem anderen Wege diese Sache dem Verständnis klar zu machen. Gottes Wort und Gebet müssen als die einzigen Mittel für die Anfänge und den Fortgang dieses Werkes angesehen werden. Wo ist der Ruhm des Menschen? Ein ungelehrter Mann aus niedrigem Stande lernt von den Lippen einer Fremden das einfache Evangelium von Jesu. Er und zwei andere fangen an, gemeinschaftlich z u b e t e n und z u p r e d i g e n , zu p r e d i g e n und z u b e t e n . Gott segnet. Und der Strom dieser Segnungen hat mit wunderbarer Schnelligkeit das ganze Land erfüllt. Tausende sind durch diesen Strom erquickt. Der Feind hat getrachtet, seinen Lauf zu hemmen; aber die Kraft, womit er fortgetrieben wurde, war zu stark. Gott war es, der durch Seinen Geist die Herzen mächtig ergriff und sie zu Jesu Füßen führte. Mehr als hundert Seelen wurden in einer Woche an meinem Wohnort bekehrt. Ein Tag war mir besonders merkwürdig. Es war Samstag. Ein treuer Knecht des Herrn war gekommen, das Evangelium zu verkündigen. Fünftausend Menschen waren unter freiem Himmel versammelt und hörten mit großer Aufmerksamkeit das Wort von der Versöhnung. Kaum hatte der Redner einige Minuten gesprochen, als viele davon ergriffen wurden und laut schreiend über ihre Sünde zur Erde hinfielen. Nach einigen Augenblicken hatten sie Frieden gefunden. Bald nachher wurden wieder andere ergriffen — und fanden Frieden. Die Szene wurde immer ergreifender — der Geist Gottes wirkte kräftig und bezeugte, daß Er noch derselbe war, wie damals, wo Er auf dem Pflngstfest zu Jerusalem diese Erde zu Seiner Wohnstätte erkor. Erst um sieben Uhr morgens hatten alle den Ort, wo so viele geboren waren, verlassen. 83 Wenn Du durch die Straßen meines Wohnortes gingst und Dir die Mühe gäbest, die Hälfte der Häuser zu besuchen, so würdest Du in jedem Haus Menschen antreffen, die miteinander von Jesu sprechen, singen, beten, lesen und sich in großem Maße freuen. 

Männer und Frauen, Greise und Kinder, Freie und Dienende würdest Du die großen Taten verkündigen hören, die der Herr an ihren Seelen getan hat. Meine Feder ist nicht imstande, den Eindruck zu beschreiben, den dies Werk des Geistes in der Seele hervorruft. Ja, was hier geschehen ist, ist eine ernste Lehre für die bekennende Kirche. Der Heilige Geist hat bezeugt, — aufs neue bezeugt — daß Er frei sein will in allem Tun. Er hat die Anordnungen und Gedanken der Menschen zuschanden gemacht. Er nahm meistenteils die ungelehrtesten Männer, um Seelen von der Finsternis zum Licht zu führen. So tat Er zur Zeit der Apostel; so tat Er im Mittelalter; so tut Er es auch noch jetzt. Wann werden den Christen die Augen aufgehen? Der Herr gebe, daß auch dies von diesem gesegneten Werk eine Frucht sein möge. Ich habe Tausende versammelt gesehen, hangend an den Lippen eines Mannes, der keinen einzigen Satz gut englisch sprechen konnte. Wahrlich, ein ungelehrter Bauer mit Christum im Herzen ist besser als ein christlicher Gelehrter mit all den Wissenschaften in seinen Fingerspitzen. Es ist hier sehr deutlich, daß jede Gelehrsamkeit verschwinden muß, sobald man mit Seelen umgeht. Unsere Weisheit wird da zu Schanden gemacht und Gott zeigt, daß bei Ihm tiefe Weisheit ist, was vor den Menschen Torheit ist. Und nun, geliebter Bruder, bevor ich diesen Brief beendige, noch wenige Worte. Erzähle allen Brüdern und Schwestern in Christo, was Gott hier getan hat. Wenn Freude im Himmel ist über e i n e n Sünder, der sich bekehrt, sollten wir denn nicht mit Freude erfüllt sein, wenn so v i e l e dem Glauben gehorsam werden. Sage ihnen, daß Gott hier das Gebet der Seinigen, in Einfalt zu Ihm hinaufgesandt, erhört und über Bitten und Verstehen gesegnet hat. Sage ihnen, daß sie b e t e n und p r e d i g e n , p r e - d i g e n und b e t e n und von Gott den Segen erwarten. Ja, lasset uns beten, laßt uns warten, immer warten — Gott wird antworten. Bedenken wir aber auch, daß wir keine Erweckungen machen können — dieser Gedanke sei weit von uns entfernt; denn gerade dies ist das größte Hindernis, um den Geist Gottes wirken zu lassen. 84 Der zweite Brief, den wir hier mitzuteilen gedenken, ist von einem Bruder, der einige Monate lang die Provinz Ulster bereiste, um die großen Werke Gottes mit eigenen Augen anzuschauen. Er schreibt nun wie folgt: Geliebter Bruder in Christo! Seit zwei Monaten bin ich hier in der Provinz Ulster; und mit fröhlichem Herzen setze ich mich heute nieder, um Dir von dem, was ich bisher sah und hörte, einiges mitzuteilen. Meine Reise hierher hat einen doppelten Zweck; zuerst, um mir ein persönliches Urteil über dieses Werk zu verschaffen und dann auch, um durch Verkündigung des Wortes nach der mir dargereichten Gnade dem Herrn Seelen zuzuführen.

 Der Eindruck von allem, was ich bisher sah und hörte, hat mir die tiefe und vollkommene Überzeugung gegeben, daß es Gottes Werk ist. Es ist unmöglich, eine richtige Beschreibung von der Art und Weise zu machen, wie Gott die Seelen zu Jesu gebracht hat. Oft fielen an hundertfünfzig Personen in einer einzigen Versammlung zur Erde, und weil sich dies oft im ganzen Lande wiederholt hat, so kann man daraus schließen, daß es unmöglich ist, jede einzelne Begebenheit mitzuteilen. Ich will darum nur eine allgemeine Übersicht von diesem Werke Gottes geben. Ein jeder, der hier gewesen ist, bezeugt, daß der Heilige Geist die herrlichen Wunder Seiner neuen Schöpfung in unserer Mitte entfaltet. Überall wurden vor unseren Augen Seelen ins Leben gerufen. Gegenden, wo sonst nur Satan thronte, sind durch das herrliche Licht des Evangeliums bestrahlt; ganze Distrikte, wo sonst bloß kalte, religiöse Formen zu sehen waren, haben die Leben gebende Stimme von Jesu gehört; Straßen und Häuser, wo das Getöse der berauschenden Lustbarkeit und Schwelgerei vernommen wurde, erschallen jetzt von Lob- und Dankgesängen; Familien, wo früher Unordnung und Streit herrschte, sind jetzt ein Beispiel von Ordnung und lieblicher Gemeinschaft. Die Häuser der Unsittlichkeit sind geschlossen; die Wirtshäuser sind ohne Besuche; die lästerliche und unsittliche Sprache ist in erbauliche und liebliche Reden verwandelt. Dies sind Tatsachen. Und mit solchen vor unseren Augen können wir nicht zweifeln, von w e m dieses Werk seinen Ursprung hat. Man findet freilich auch Irrende, solche, die nicht wahrhaft bekehrt sind; aber das Werk im allgemeinen ist aus dem Heiligen Geiste. Das treffendste Zeugnis aber für die Göttlichkeit dieses Werkes ist, daß die Liebe Jesu das einzige ist, was die bedrängte Seele befriedigt. Die meisten haben nicht den geringsten Zweifel über ihre persönliche und vollkommene 85 Errettung. Sie vertrauen nicht allein auf das vergossene Blut Jesu, auf den einzigen Grund ihres Heils, sondern haben auch ein großes Vertrauen auf Seine Person. Ihr einziges Bekenntnis ist: „Er hat mich lieb und hat sich selbst für mich in den Tod gegeben."

 Ist eine Seele über ihre Sünde beängstigt, so kann man sicher sein, daß die Anführung irgend einer Schriftstelle, worin die Person oder das Opfer Christi vorgestellt wird, einen gesegneten Einfluß hat und ein Balsam für das Herz ist, Keine Feder vermag die Freude zu beschreiben, womit so viele Junge und Alte den Herrn Jesum als ihren alleinigen und geliebten Heiland bekennen. Es ist besonders auffallend, daß sehr viele aus ihrem Sündenschlaf aufwachen, ohne daß' vorher ein einziges Wort mit ihnen geredet worden ist. In den Feldern, auf dem Wege und in den Häusern werden in einem Augenblick Seelen mit einer furchtbaren Angst erfüllt und schreien laut um Gnade. In einem solchen Zustand ist es von großer Wichtigkeit, daß ihnen das reine Evangelium des Heils — die Errettung allein aus Gnaden — die Errettung durch das Blut Jesu — die Errettung durch den Glauben verkündigt wird. Sie müssen die Fülle, die Genugtuung und die Kostbarkeit des Opfers Jesu schauen; alles andere wird sie in einem Zustand von Finsternis und Zweifel zurücklassen. Ein anderer Charakterzug ist ebenso erfreulich. In fast jedem Ort scheint der Herr einige große und allgemein bekannte Sünder bekehrt zu haben, um dadurch ein sichtbares Zeichen Seiner freien Gnade für Seine Feinde zurückzulassen. Die verworfensten Personen, die von allen gescheut wurden, sind durch die mächtige Kraft der Gnade Gottes niedergeworfen worden und sitzen jetzt zu den Füßen Jesu und erzählen anderen, welche großen Dinge der Herr an ihren Seelen getan hat. Die folgende Bekehrung wurde mir ungefähr mit diesen Worten durch die betreffende Person selbst erzählt: „Ich war in der Stadt gewesen und befand mich den ganzen Morgen in großer Unruhe. Als ich nach Hause kam, ging ich an meine Arbeit, und nach wenigen Augenblicken schoß ein Lichtstrahl durch meine Seele. Ich sprang auf, lief zu meinen Nachbarn und mußte vier Stunden lang ununterbrochen um Gnade schreien." Viele wurden ergriffen während sie an ihrer Arbeit waren und blieben bisweilen sechsunddreißig Stunden ohne zu essen und zu schlafen und riefen aus: „O, Jesu komm! O komm und reinige mich durch dein Blut." 86 Zum Schluß will ich hier noch zwei Gespräche mitteilen. Auf meiner Reise besuchte ich eine kranke Frau, die seit einigen Tagen bekehrt war. Ich fand sie in einem Zustand von Frieden und Glück. Sie wußte, daß sie in der Hand des Herrn war, und war sehr glücklich, sich auf Ihn verlassen zu können. Nachdem ich ein wenig mit ihr gesprochen hatte, fragte ich sie: „Und hat denn der Herr Sie wirklich glücklich gemacht?" „O ja, das hat Er getan; gepriesen sei Sein heiliger Name! Jch bin jetzt vollkommen glücklich in Ihm. Ich kann sagen, daß ich zufrieden bin."

 „Aber sind Sie auch jetzt mit Seinen Wegen so vollkommen zufrieden, da Sie hier krank liegen müssen?" „Gewiß! Ihm sei die Ehre! Wenn es Sein Wille ist, dann bin zufrieden, hier zu liegen. Ich bin vollkommen glücklich. Und ist es Sein Wille, so kann Er mich auch bald wieder gesund werden lassen." „Das ist wahr; und ich glaube auch, daß Sie sehr wohl tun, Ihn zu bitten; nicht aber so sehr, daß Er Sie wieder gesund mache, sondern daß Er Ihnen Gnade gebe, das zu lernen, was Sie durch diese Krankheit lernen sollen. Doch erzählen Sie mir, was Sie eigentlich so glücklich macht." „Es ist Jesus, der teure Jesus! Ich habe nichts als Ihn; aber ich habe auch nichts mehr nötig. Er hat alle unsere Sünden durch Sein kostbares Blut getilgt und Er will uns nimmer verlassen!" „Aber sind Sie denn auch völlig gewiß, daß Er auch Ihre Sünden weggenommen hat?" „Ja, vollkommen gewiß! Daran zweifle ich keinen Augenblick. Er hat mich lieb und hat Sich Selbst für mich in den Tod gegeben. Ich habe gar keinen Zweifel; Ihm allein sei die Ehre!" Nicht wahr, lieber Bruder! nichts ist köstlicher, als aus dem Munde einer solchen Jüngerin des Herrn, solche Worte zum Lob der Gnade Gottes zu hören? Einige Tage später besuchte ich einen Zimmermann, der vor seiner Bekehrung ein sehr schändliches Leben geführt hatte. Er war in der ganzen Gegend als ein großer Sünder bekannt und hatte sich vieler Missetaten schuldig gemacht, die mit seinem schwelgerischen Leben in Verbindung standen. Nachdem er viele Jahre durch sein Betragen eine wahre Plage und Pest für die Leute der ganzen Gegend gewesen war, wurde er des Lebens überdrüssig und beschloß demselben ein „Ende" zu machen. Er schrieb einen Brief an seine Frau, worin er den Zustand seiner Seele schilderte und ihr auch zu gleicher Zeit den Platz angab, wo sie seinen 87 Leichnam finden könnte. Dann ging er aus, um seinen unglücklichen Plan auszuführen; aber — wer kann den Reichtum der Gnade Gottes begreifen! — Auf diesem Wege traf ein Pfeil, mit unendlicher Liebe aus dem Köcher Gottes abgeschossen, sein Gewissen, und er fiel plötzlich zur Erde. O, welche Gnade! welche unendliche, unverdiente Gnade! 
Erlöst aus den Händen Satans, die ihn mit raschen Schritten zur Hölle führten, ist er jetzt in den Händen Gottes. Bald wurde sein Blick auf die Liebe des Herrn und auf das reinigende und Frieden gebende Blut Jesu gerichtet. Wahrlich, dies ist in der Tat ein Brand aus dem Feuer gerissen! Welch ein herrliches Monument der Gnade Gottes! Hier hast Du also einige Erlebnisse von meinem Aufenthalt in Irland. Ich könnte noch vieles hinzufügen; jedoch will ich für diesmal schließen. Der Herr, Gott, der solche große Wunder in unseren Tagen tut, sei reichlich Dein Trost und Deine Freude und stärke Dich durch Seinen Geist in jeder Ihm wohlgefälligen Arbeit! Dein Bruder in Christo Nicht wahr, geliebte Brüder, das sind herrliche Früchte von der allmächtigen Kraft Gottes! Laßt uns erfüllt sein mit Lob und Dank für die große Gnade, die Er noch in diesen letzten Tagen erweist; aber laßt uns auch ausharren im Gebet des Glaubens, auf daß der Herr noch viele, viele Seelen aus dieser elenden Welt errette, um sie zu einem Wunder Seiner Gnade zu machen. Gott erhört das Gebet des Glaubens. Er hat es in Seinem Worte verheißen, und hat es aufs neue in Irland gezeigt.

 Er scheint noch viele aus dieser Welt zu der Versammlung Christi hinzufügen zu wollen. Mit raschen Schritten eilt die Zeit dahin; wer weiß, wie bald das letzte Glied hinzugefügt sein wird! Dann ist der Leib vollendet — dann kommt Jesus, um ihn in Seine Herrlichkeit aufzunehmen. Ja, Er kommt bald! „Amen, ja komm, Herr Jesu!" 88

 Der Captain und der Quadrant *) 

Der Befehlhaber eines amerikanischen Schiffes hatte auf einer seiner Reisen mehrere Tage mit seinem Schiff in einem dicken Nebel zugebracht und war deshalb für dessen Sicherheit sehr besorgt. Er kannte aber der Herrn und zu diesem nahm er auch jetzt seine Zuflucht. Er ging in seine Kajüte und betete. Dem Gott, dem er mit völligem Vertrauen seine Seele übergeben hatte, konnte er ja auch sein Schiff anvertrauen. Dieser Gedanke drang plötzlich in sein Herz, und darum übergab er alles in die Hand Gottes und war völlig getröstet. Doch betete er, daß der Herr, wenn es Ihm wohlgefiel, um zwölf Uhr Sonnenschein geben möchte, um mittels des Quadranten zu erfahren, auf welcher Höhe sie wären und welche Richtung sie zu nehmen hätten. Gegen elf Uhr kam er mit dem Quadranten unter seinem Rock auf das Verdeck. Da aber der Nebel noch ganz undurchdringlich war, so sah ihn die Schiffsmannschaft mit großer Verwunderung an. Er ging wieder hinab in seine Kajüte und betete und ging dann wieder nach oben. Es war aber noch gerade so dunkel wie vorhin. Und er kehrte noch einmal in seine Kajüte zurück und betete und ging dann wieder mit dem Quadranten in seiner Hand auf das Verdeck. Es war jetzt zehn Minuten vor zwölf; aber es war noch nicht die geringste Veränderung zu bemerken. Er blieb nun auf dem Verdeck und wartete auf den Herrn — und siehe da! in wenigen Minuten wurde der Nebel dünner.

Eine allmächtige und unsichtbare Hand schien ihn auseinanderzureißen und aufzurollen. Die Sonne schien hell und klar von dem blauen Gewölbe des Himmels, und der Mann des Gebets stand da, mit dem Quadranten in der Hand. Sein Herz war aber so sehr von Ehrfurcht und von Dank und Anbetung erfüllt, daß er beinahe vergessen hätte, von der Erhörung seines Gebets Gebrauch zu machen. Doch stellte er, obgleich mit zitternden Händen, seine Betrachtungen an und fand zu seinem Trost, daß alles in Ordnung war. Sobald er aber seine Arbeit beendet hatte, kehrte der Nebel wieder zurück, und es fing an zu rieseln wie zuvor. *) Der Quadrant ist ein Instrument, durch welches beim Sonnenschein die Lage des Schiffes während einer Seereise bestimmt werden kann. 89 

Vollkommene Gnade (Apostelgeschichte 16) 

Bei Gott allein ist v o l l k o m m e n e G n a d e — eine Gnade, die das überschwengliche Gewicht der Sünde weit überströmt. Der natürliche Mensch kann von Gnade reden und in einem gewissen Sinne auch nach Gnade handeln; aber die Gnade Gottes kennt er nicht. Durch diese Gnade wird der Sünder, der nichts anderes als Sünder und Gottes Feind ist, nicht nur auf das völligste begnadigt, sondern auch zugleich mit unaussprechlichen Segnungen gesegnet. Die Gnade Gottes ist ohne Bedingung, unveränderlich und vollkommen. Eine größere Gnade ist unmöglich und auch unnötig. Sie kommt allen Bedürfnissen eines verlorenen Sünders auf das völligste entgegen. Sie rechnet die Sünden nicht zu und gibt die herrlichsten Segnungen ganz umsonst- Sie setzt den Begnadigten in dieselbe Stellung mit Christo und segnet ihn mit Seiner Fülle. Christus Selbst ist der Maßstab seiner Stellung und seiner Segnung. Und a l l e , die in Ihm sind, haben dies Maß der Segnung ; sie alle haben v o l l k o m m e n e G n a d e , wenn auch das Verständnis darüber sehr verschieden und mangelhaft sein mag. Der verlorene Sohn wußte wohl, daß bei seinem Vater L i e b e war, aber daß er n u r Liebe war, wußte er nicht. Und ebenso geht es vielen Gläubigen in Betreff der Liebe und Gnade Gottes. Sie wissen, daß beides für sie da ist, aber daß beides völlig, und daß nichts anderes für sie da ist, glauben sie nicht. Viele bekennen sogar diese Vollkommenheit der Gnade und Liebe Gottes, und doch beweisen ihre Seufzer und Klagen, ihre Furcht und Unruhe nur zu oft, daß sie es nicht wirklich glauben und durch Glauben davon überzeugt sind. Ein schlagender Beweis der v o l l k o m m e n e n Gnad e G o t t e s ist uns nun auch in dem oben angeführten Kapitel (Apg. 16) in der Bekehrung des Kerkermeisters zu Philippi dargestellt. 

— Paulus und Silas waren nach Mazedonien berufen, und sicher hatte der Herr bei dieser Berufung auch an jenen Kerkermeister zu Philippi gedacht. Aber das erste Zusammentreffen desselben mit diesen Boten Gottes bewies nur zu deutlich, daß e r nicht an G o t t dachte. Paulus hatte aus einer Magd dort einen Wahrsager- 90 geist ausgetrieben, welche ihren Herren vielen Gewinn einbrachte; und diese, darüber erbittert, machten einen Aufruhr. Dem Paulus und Silas wurden auf öffentlichem Markte die Kleider abgerissen, und nachdem sie viele Rutenschläge empfangen hatten, wurden sie ins Gefängnis abgeführt. Allein das traurige Aussehen dieser mißhandelten Knechte Gottes rührte den Kerkermeister nicht. Herzlos und ohne Mitgefühl „warf er sie in das innerste Gefängnis und schloß ihre Füße in den Stock" (V. 24). Da war kein Schimmer von Gnade; sein Herz war, wie das eines jeden natürlichen Menschen, öde, finster und tot — tot in Sünden und voll von Feindschaft wider Gott. An einen solchen Menschen nun dachte die Gnade Gottes; und sie findet nie einen anderen, — sie erwartet es auch nicht, damit sie sich als eine v o l l k o m m e n e G n a d e erweisen kann. Sie offenbart, was Gott ist, und sie offenbart auch, was der Mensch ist. Während Gott auf dem Wege ist, dem Sünder mit v o l l k o m m e n e r Gnade und Liebe zu begegnen und ihm die köstliche Botschaft zu verkündigen, zeigt dieser gerade am deutlichsten, wie verderbt und gottlos er ist. Dies sehen wir sehr klar bei diesem Kerkermeister. Die Boten Gottes waren da, um ihm zu verkündigen, daß dem verlorenen Sünder, und also auch ihm, eine völlige Freistadt eröffnet und ewige Herrlichkeit umsonst geschenkt sei; und was tat er? Er warf sie mit hartem, gefühllosem Herzen ins tiefste Gefängnis und schloß ihre Füße in den Stock. Auch nicht die geringste Labung bot er ihnen an. Ach, er war völlig blind; er war tot in Sünden und Übertretungen; er war ein verlorener Sünder, und nur die v o l l k o m m e n e G n a d e G o t t e s konnte ihn retten. Ehe wir nun diesen Gegenstand weiter verfolgen, laßt uns hier, einen Augenblick die Wege Gottes betrachten, worauf Er Seine Diener leitet. Diese Wege sind meist sehr wunderbar, aber ihr Ausgang ist herrlich. Sie gereichen allezeit zum Besten der Seinigen und zur Verherrlichung Seines Namens. Der Weg des Paulus und Silas zum Kerkermeister ging durchs Gefängnis. Gewiß, ein sonderbarer Weg; aber sie wußten, daß dies der Weg des Herrn war, daß sie auf diesem Wege, wie schwierig er auch sein mochte, völlig auf Seine Gnade und Liebe rechnen durften, und darum waren sie getrost.

 „Und um Mitternacht beteten Paulus und Silas und lobsangen Gott" (V. 25). Ihre Herzen waren bei Ihm und nicht in den Umständen. Sobald das Herz in den Umständen ist, ist es unruhig und mutlos, ist es aber durch Glauben in der Gegenwart Gottes, so finden wir stets, auch selbst in den schwierigsten Umständen, daß Er des Lobes und der Anbetung würdig ist. Das Bewußt- 91 sein Seiner Gegenwart macht uns ruhig und getrost; wir sind von Seiner Liebe überzeugt und können uns stets in völliger Ruhe mit Ihm beschäftigen. Das Sorgen und Handeln übernimmt Gott, und nichts entgeht Ihm. Sein Auge ruht allezeit mit Gnade und Liebe auf Seinem Diener, und in allen Lagen darf dieser auf Sein vollkommenes Mitgefühl rechnen. Ja, angesichts der schwersten Versuchungen kann er sich ruhig niederlegen und schlafen, wie Petrus im Gefängnis zu Jerusalem (Apg. 12, 6. 7), oder auch Lobgesänge singen, wie Paulus und Silas — Gott wird ihn nie versäumen, nie vergessen; Er wird für ihn handeln. Und wenn Gott Seine Macht kund tut, dann sind alle Ketten und Banden und alle verschlossenen Türen weniger als nichts; und wenn Er Seine Gnade offenbart, dann verwandelt Er das härteste und feindseligste Herz in ein Herz voll Sanftmut und Liebe. Dies zeigt uns die vorliegende Geschichte aufs deutlichste. „Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, so daß die Grundfesten des Gefängnisses erschüttert wurden und sich auf der Stelle alle Türen öffneten und aller Bande gelöst wurden" (V. 26). Ein kleingläubiges Herz hätte in den Schwierigkeiten, welchen Paulus und Silas zu begegnen hatten, leicht mutlos werden können. Ihre Treue gegen den Herrn hatte ihnen viele Schläge bereitet und sie sogar ins tiefste Gefängnis gebracht. Und der Herr hatte dies alles erlaubt und nicht ein Wort dazu gesagt. Gewiß, dies wäre für ein kleingläubiges Herz genug gewesen, um an Seiner Liebe und an Seinem Mitgefühl zu zweifeln. Paulus und Silas aber „lobsangen Gott". Und Gott war bei ihnen. Er hatte sie nicht vergessen. Jetzt war der Zeitpunkt für Ihn gekommen, um Seine Macht und Gnade kund zu tun. Und es bedurfte nur eines Augenblicks, da war die ganze Szene verändert; in einem Nu hatte Seine starke Hand alle Bande gelöst und alle Türen des Gefängnisses gesprengt. Und diese Hand ist nimmer zu kurz; es gibt keine Lage, wo sie nicht zu retten und zu helfen vermag. Und ebenso schnell kann die G n a d e Gottes selbst das versunkenste Herz umwandeln und erneuern.

 Dies sehen wir hier ebenfalls sehr deutlich. Wir lesen Vers 27 u. f.: „Der Kerkermeister aber, aus dem Schlaf wach gemacht und die Türen des Gefängnisses geöffnet sehend, zog das Schwert und wollte sich selbst töten, indem er glaubte, daß die Gefangenen entflohen seien. Paulus aber rief mit lauter Stimme, sagend: Tue dir nichts zuleide, denn wir sind alle hier. Er aber forderte Licht und sprang hinein, und zitternd geworden fiel er vor Paulus und Silas hin. Und als er sie herausge- 92 führt hatte, sprach er: Ihr Herren, was muß ich tun, daß ich errettet werde?" Das letzte Werk des Kerkermeisters sollte ein Selbstmord sein. Mit dieser ruchlosen Tat wollte er sein Sündenleben beschließen. Und dann? Ach, an dieses schreckliche „dann" dachte sein natürliches, Gott entfremdetes Herz nicht. In Sünden geboren, in Sünden gelebt und in Sünden gestorben — das ist der ganze Lebenslauf eines jeden natürlichen Menschen. — Doch die v o l l k o m m e n e G n a d e Gottes verändert alles, sobald sie zu wirken beginnt. Sie macht den Wolf zum Lamme, den „Drohung und Mord schnaubenden Saulus" zu einem ergebenen und völlig unterwürfigen Paulus. Sie tritt dem Sünder in seinen verderblichen Wegen entgegen und wirft ihn zu Boden; ja, sie hält den Arm auf, der dem Sündenleben den letzten Todesstoß versetzen will, und ruft: „Tue dir nichts zuleide!" Wunderbare Gnade! Sie wartet nicht bis der Sünder schreit: „Erbarme dich meiner!" Gewiß, sie würde auch vergeblich warten. Sie muß bei allen anfangen und vollenden. Die G n a d e Gottes sucht den Sünder in seinen verlorenen Wegen auf, die G n a d e führt ihn heraus und G n a d e leitet ihn zu ewigen und unaussprechlichen Segnungen. Sie überzeugt den Sünder, daß er verloren ist, und daß er einer vollkommenen Gnade bedarf, und daß diese Gnade in ihrer ganzen Fülle in Christo Jesu geoffenbart ist. Der Kerkermeister fragte: „Ihr Herren, was muß ich tun, daß ich errettet werde?" Wie aber kam er so plötzlich zu dieser Frage? Wer hatte diesem Götzendiener gesagt, daß er verloren war? Derselbe Geist, der auch einem der Räuber am Kreuz seinen verlorenen Zustand aufdeckte. — Plötzlich stand sein ganzes Sündenleben und die Schrecken eines gerechten Gerichts Gottes vor seiner Seele. Alle seine Stützen brachen auf einmal zusammen und alle seine Götzen sanken ohnmächtig dahin.

 Er stand da und hatte nichts als seine Sünden, seine unzähligen Sünden, und — „er zitterte". Er, der Kerkermeister, war jetzt ein armer Gefangener, mit unzerreißbaren Ketten gebunden und beladen mit ungeheuerer Schuld auf dem Weg zum gerechten Gericht Gottes. Er sah keinen Ausweg mehr, um zu entrinnen, und deshalb fragte er seine beiden Gefangenen, die er jetzt als Befreite und Gesegnete Gottes erkannte: „Ihr H e r r e n , was muß ich tun, daß ich errettet werde?" — Ach! der arme, ohnmächtige Sklave der Sünde dachte noch ans Tun. Und alles, was er tun konnte, hatte er getan — er hatte gesündigt, und weiter konnte er nichts. Es fragte aber ein zitternder Sünder, und einem solchen antwortet die Gnade — d i e v o l l k o m m e n e G n a d e G o t t e s : 93 „ G l a u b e a n d e n H e r r n J e s u m C h r i s t u m u n d d u w i r s t e r r e t t e t w e r d e n , d u u n d d e i n Haus. " O, welch eine gesegnete und trostreiche Antwort für einen verlorenen Sünder! Es ist n i c h t s mehr zu tun, um errettet zu werden. — Alles, was getan werden muß, ist völlig geschehen. Ein anderer hat es getan, der es auch allein tun konnte — Jesus Christus. Er hat durch Sein eigenes Blut alle Sünden getilgt, die Gerechtigkeit Gottes befriedigt und Seinen Zorn für immer gestillt. Der verlorene Sünder hat n i c h t s mehr zu tun; er hat nur zu glauben, daß alles für Ihn getan ist; und der Glaube an Christum errettet ihn völlig. Welch eine liebliche Botschaft für einen zitternden Sünder, der für seine vielen Sünden nichts anderes zu erwarten hat, als ewige Verdammnis! Was war nun bei dem Kerkermeister die Wirkung dieser gesegneten Botschaft? Wir lesen am Ende des 34. Verses: „Und an Gott glaubend, frohlockte er mit seinem ganzen Hause." Anbetungswürdige Gnade! In ein und derselben Stunde sich das Leben wegnehmen zu wollen, ein verlorener und zitternder Sünder vor Gott zu sein und auch zu frohlocken. Das ist allein das Werk der v o l l k o m m e - n e n G n a d e G o t t e s , die nichts von dem Sünder fordert, sondern alles umsonst gibt — der Gnade, die den Gottlosen ohne Werke rechtfertigt und den Feind Gottes mit vollkommener Liebe aufnimmt. Ja, dies vermag allein die v o l l k o m m e n e G n a d e G o t t e s . Und glückselig, wer zu dieser Gnade in Christo Jesu gekommen ist! Er ist für immer errettet und kann zu jeder Zeit und in allen seinen Bedürfnissen zu derselben durch Glauben seine Zuflucht nehmen. 

„Macht ihn los und laßt ihn gehen" (Joh. 11, 44) 

Es gibt viele lebendig gemachte Seelen, welche die Kraft dieser Worte „Macht ihn los und laßt ihn gehen" noch nicht verstanden haben. Sie sind durch die Leben gebende Stimme des Sohnes Gottes aus einem Zustand des Todes lebendig gemacht, aber sie „kommen heraus an Füßen und Händen mit Grabtüchern gebunden", und ihre Angesichter mit einem Schweißtuch umbunden; oder mit anderen Wor- 94 ten: sie sind bis jetzt noch nicht fähig gewesen, die Fesseln ihres vorigen Zustandes abzulegen und in der Freiheit, womit Christus die Seinigen freigemacht hat, zu wandeln. Aus den mannigfachen Anstrengungen und Kämpfen, worüber sie sich beklagen, geht hervor, daß sie göttliches Leben empfangen haben. Ein Toter macht solche Erfahrungen nicht. Solange Lazarus in dem stillen Grabe, in der kalten Gewalt des Todes lag, fühlte er nicht, daß seine Grabtücher ein Hindernis waren, um sich zu bewegen, und sein Schweißtuch ein Hindernis, um zu sehen. Alles war finster, kalt und leblos, und die Grabtücher waren der einzige Schmuck für einen solchen Zustand.

 Ein Mensch, dessen Hände und Füße von Fesseln des Todes gebunden waren, konnte unmöglich die Unbequemlichkeit der Grabtücher fühlen, noch konnte ein Mensch, dessen Augen durch die kalte Hand des Todes versiegelt waren, die Unbequemlichkeit eines Schweißtuches fühlen. Also ist es bei den Unbekehrten, bei den Unwiedergeborenen, bei den Nichterweckten. Sie sind „tot" —• moralisch, geistlich tot. Ihre Füße sind mit den Fesseln des Todes gebunden; aber sie wissen es nicht. Ihre Hände sind durch die Banden des Todes gefesselt, aber sie fühlen es nicht. Ihre Augen sind mit dem finsteren Schweißtuch des Todes bedeckt, aber sie bemerken es nicht. Sie sind tot. Sie sind angetan mit den Gewändern des Todes — die Grabtücher liegen auf ihnen und sind ihrem Zustande angepaßt. Diejenigen nun, für welche ich dieses schreibe, haben auf die eine oder andere Weise die allmächtige, Leben gebende Stimme des Sohnes Gottes, der „die Auferstehung und das Leben" ist, gehört. Diese Stimme hat entweder durch einen Vers aus dem Worte Gottes, oder durch eine Predigt, oder durch einen Traktat, oder durch ein Lied, oder durch ein Gebet, oder durch einen ergreifenden Vorfall usw. auf sie gewirkt. Sie hat ihr Ohr erreicht, hat in ihrem Herzen Anklang gefunden und ist in die Tiefe ihres Wesens durchgedrungen. Das Leben in seiner ganzen Wirklichkeit ist vorhanden. Die neue Geburt hat stattgefunden. Die neue Natur ist ihnen mitgeteilt. Sie geben Lebenszeichen von sich; aber die Grabtücher und das Schweißtuch sind noch da. Ich glaube, daß viele in diesem Zustand leben; sie sind wiedergeboren, aber sie kennen weder die Vorrechte, welche an diese Geburt geknüpft, noch den Zweck des Lebens, dessen sie teilhaftig geworden sind. Mit einem Wort, es ist nötig, daß die Stimme, welche schon gesagt hat: „Lazarus, komm heraus", auch sagt: „Macht ihn los und laßt ihn gehen". Sie sind l e b e n d i g g e m a c h t , aber sie bedürfen b e f r e i t zu werden. 95 Laßt uns einige Beispiele aus dem Worte Gottes nehmen. Der verlorene Sohn war lebendig gemacht, ehe er befreit war.

 „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen" war die Äußerung des neuen Lebens — die Sehnsucht der neuen Natur. Aber wiewohl er seinen traurigen Zustand eingesehen hatte und er sich nach dem Hause seines Vaters sehnte, so war doch sein Herz über seine Annahme als Sohn nicht gewiß. Er kannte nicht die Gedanken seines Vaters über ihn, noch wußte er, daß alle seine Sünden schon vergeben waren und daß das Herz seines Vaters mit vollkommener Liebe gegen ihn erfüllt war; und darum wollte er zu seinem Vater mit diesen Worten kommen: „Ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen; mache mich wie einen deiner Tagelöhner." Konnte es möglich sein, daß der verlorene Sohn immer in dieser Ungewißheit voran ging? O nein; sobald er sich aufgemacht hatte, um zu seinem Vater zu gehen, nahm die Liebe des Vaters, der ihm schon, als er noch ferne war, entgegen kam, jede Ungewißheit und jeden Zweifel aus seinem Herzen hinweg. In den Armen seines Vaters war keine Furcht mehr möglich. Er nahm ihn nicht als Tagelöhner auf, sondern ließ ihm, als dem geliebten Sohne, das vornehmste Kleid anziehen und um seinetwillen ein Freudenfest veranstalten. Da konnte er an der Seite seines Vaters ruhen und sich erfreuen; er konnte alles vergessen, denn er war von allen Banden gelöst und vollkommen befreit. Ebenso war, es mit Lazarus. Auch er konnte unmöglich die übrigen Tage seines Lebens mit seinen Grabtüchern und seinem Schweißtuch umhergehen. Dieselbe Stimme, welche ihn lebendig gemacht und auf erweckt hatte, befahl auch: „Macht ihn los und laßt ihn gehen." Und ist es nicht ebenso mit jedem, der durch den Namen des Sohnes Gottes eines neuen Lebens teilhaftig geworden ist? Gewiß. Auch er darf nicht länger durch die Fesseln des Grabes gebunden bleiben. Seine Hände und Füße müssen entbunden sein, so daß er Christum dienen und in Seinen Geboten wandeln kann. Sein Angesicht muß enthüllt und das Schweißtuch weggenommen sein, damit er Den anschauen kann, Dessen Stimme ihn lebendig gemacht hat. Laßt uns ein anderes Beispiel wählen. 

Im 7. Kapitel des Römerbriefes wird uns der Zustand eines Menschen vor Augen gestellt, der sich anstrengt, den Willen Gottes zu vollbringen, ohne die Kraft Gottes zu haben, denselben zu tun, weil das „Ich" immer der Mittelpunkt seiner Gedanken ist. In solch einem Zustand befinden sich auch wirklich bekehrte Seelen. Auch sie sagen: „Ich habe Wohlgefallen am Gesetz Gottes nach dem Innenmenschen"; aber zu gleicher 96 Zeit: „Ich bin fleischlich, unter die Sünde verkauft." Der Gläubige aber ist nicht „verkauft", sondern „gekauft" — erlöst „mit dem Blute Christi" — „von der Sünde freigesprochen" „freigemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes".— Weiter hören wir solch eine Seele bekennen: „Was ich will, das tue ich nicht, sondern was ich hasse, das übe ich aus." Dies ist ein Zustand von fortdauernder Niederlage, während der Gläubige sagen kann: „Wir sind mehr als Ü b e r w i n d e r " und: „Gott sei Dank, der uns a l l e - z e i t im T r i u m p h z u g e in Christo umherführt" (Röm. 8, 37; 2. Kor. 2, 14). 
Endlich hören wir diese Klage: „Ich elender Mensch, wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes?" Der Gläubige aber, anstatt ein e l e n d e r Mensch zu sein, der nach Errettung sucht, ist wirklich ein g l ü c k - l i c h e r Mensch, der sich freut, vollkommen und ewig erlöst zu sein. Das 7. Kapitel des Römerbriefes, welches so oft mißverstanden wird, kann also nur auf eine erweckte Seele, die noch nicht in Wahrheit befreit ist, angewandt werden — auf eine Seele, welche noch nicht fähig ist, zu sagen: „Das Gesetz des Geistes des Lebens in Christo Jesu h a t m i c h f r e i g e m a c h t von dem Gesetz der Sünde und des Todes" (Röm. 8, 2). Solch eine Seele hat wohl die Worte: „Lazarus, komm heraus" gehört, aber noch nicht begriffen, daß auch zu ihr gesagt ist: „Macht ihn los und laßt ihn gehen." Mit anderen Worten: Hier ist Leben, aber keine Freiheit; hier ist genug Licht, um den elenden Zustand des alten, aber nicht genug, um die köstliche Stellung des neuen Menschen zu sehen — hier ist ein richtiger Begriff von der Geistlichkeit des Gesetzes, aber keine Erkenntnis von der Erlösung aus der verdammenden Macht desselben. Können wir mit solch einem Zustand zufrieden sein? Ist dies die wahre Stellung eines Gläubigen? Gewiß nicht. Wir könnten ebenso gut behaupten, daß Lazarus ganz zufrieden gewesen wäre, sein ganzes Leben „an Händen und Füßen gebunden und das Angesicht mit einem Schweißtuch bedeckt" umherzugehen. Gott aber tut kein halbes Werk, weder an dem Leib noch an der Seele. Er sagt nie: „Komm heraus", ohne hinzuzufügen: „Macht ihn los und laßt ihn gehen". Er kann S e i n Volk nicht in Knechtschaft, „verkauft unter die Sünde", lassen. Und würde Er dieses tun, würde Er damit nicht beweisen, daß Er es nicht befreien könnte oder wollte? Wenn Er Sein Volk in Zweifel ließe, würde das nicht beweisen, daß Sein Wort nicht genügend sei, um Sicherheit zu geben? Gewiß. 

Wer aber wollte dies zu behaupten wagen? Keiner, der die Liebe Seines Herzens, den Wert Seines Opfers und die Autorität Seines Wortes kennt. 64 97 Und laßt uns bemerken, daß es ein und dieselbe Stimme ist, welche lebendig macht und befreit, welche uns von der Herrschaft des Todes erlöst und in die Freiheit des Lebens einführt. Das L e b e n und die F r e i h e i t sind miteinander verbunden, weil sie aus ein und derselben Quelle entspringen. Das Leben, welches der Gläubige hat, ist nicht das verbesserte Leben des ersten, sondern das mitgeteilte Leben des zweiten Adam; und die Freiheit, in welcher der Gläubige wandelt, ist keine Freiheit für den alten Adam, um seiner schrecklichen Lust zu dienen, sondern eine Freiheit für den neuen Menschen, um mit Gott zu wandeln und in die heiligen Fußstapfen Christi zu treten. Wie aber werden wir dieses Lebens und dieser Freiheit teilhaftig? Durch das Wort Gottes, erlangt durch Glauben, durch die Kraft des Heiligen Geistes. Dieselbe Stimme, welche Lazarus auferweckte, macht die Seele lebendig. Und wo wird diese Stimme vernommen? Im Worte der Wahrheit des Evangeliums. Die Seele, die an den Namen des Sohnes Gottes glaubt, hat ein neues Leben empfangen. Welches Leben? Das Auferstehungsleben Christi. Das einfache Wort des Evangeliums ist der Samen, welcher dies neue Leben hervorbringt. Und was erklärt dieses Evangelium, diese frohe Botschaft des Heils? Daß Christus gestorben und auferstanden ist — daß Er die Sünde durch Sein eigenes Opfer weggenommen hat — daß Er in den Himmel eingegangen ist — daß Er uns von unseren Sünden, gereinigt hat — daß Er jeder Forderung, jeder Frage, ja allem, was gegen uns war, völlig begegnet ist — daß die Gerechtigkeit befriedigt — das Gewissen beruhigt — der Feind beschämt ist. Dies gibt Leben und Freiheit — neues Leben und göttliche Freiheit, Dies entrückt ganz und gar die Seele aus der alten Schöpfung und aus allem, was dazu gehört, und versetzt sie in die neue Schöpfung mit all ihren Vorrechten, mit all ihrer Freude und Herrlichkeit. Der Tod Christi befreit den Gläubigen aus der Stellung des alten Adam, in welche er g e b o r e n war, und Seine Auferstehung versetzt ihn in die Stellung des neuen Adam, in welche er w i e d e r - g e b o r e n ist. Alles dieses ist durch das Wort Gottes — durch die Stimme Christi — durch die Wirkung des Heiligen Geistes. Keine menschlichen Anstrengungen kommen hierbei in Betracht. Der Leichnam des Lazarus wurde durch die Stimme Christi auferweckt; und die Seele, tot in Sünden und Übertretungen, wird ebenfalls durch die Stimme Christi auferweckt. Die lebendigmachende Kraft für beide, die Seele und der Leib, ist in der Stimme des Sohnes Gottes (siehe Ev. Joh. 5, 25 vergl, mit V. 28. 29). 

Dies benimmt dem Men- 98 sehen allen Ruhm, welcher da bleibt, wo er hingehört — in der Hand des Sohnes Gottes. Ihm sei die Herrlichkeit und Ehre immer und ewiglich! O, wie sehr wünsche ich, daß die Seelen, für welche ich dieses schreibe, verstehen mögen, was ich gesagt habe. Ich schreibe für lebendig gemachte, aber noch nicht befreite Seelen — für solche, die herausgekommen, aber noch nicht losgemacht und in Freiheit weggegangen sind. Sehr viele sind in diesem Zustand. Viele sind in dem Zustand des verlorenen Sohnes, als er aus dem fremden Lande zurückgekehrt war, aber die Arme seines Vaters noch nicht erreicht hatte. — Viele sind in Römer 7. Doch ich wünsche sehr ihre vollkommene Befreiung; ich bezeuge ihnen dringend, daß das ganze Werk vollbracht — das Opfer vollkommen — die Schuld bezahlt ist. Sie haben nichts mehr zu tun, um einen vollkommenen Frieden zu besitzen. Christus hat Frieden gemacht. Gott ist befriedigt, wovon der Heilige Geist Zeugnis gibt. Das Wort Gottes spricht es ganz deutlich aus. Wo ist denn nun noch ein Grund für den Zweifel? Der Leser denkt vielleicht: „Ach, er liegt in mir selbst." Aber ich erwidere: Du hast nichts zu tun in einer Sache, worin schon alles für dich getan ist. Die Gerechtigkeit Gottes ist für den, der n i c h t wirkt. Hättest du noch etwas zu tun, um die Gerechtigkeit zu erwerben, dann wäre Röm. 4, 5 nicht wahr. Erwäge und erfreue dich an diesem herrlichen Wörtchen „ N I C H T " . Es ist nicht der Mühe wert, um die menschliche Wirksamkeit, die menschlichen Gefühle usw. in die Waagschale zu legen, um dadurch das Opfer Christi gültig zu machen. Christus hat a l l e s getan für deine gegenwärtige, persönliche und vollkommene Errettung. Gott gebe, daß viele Seelen von den Grabtüchern, womit sie jetzt noch gebunden sind, befreit werden! Er gebe, daß viele diese durchdringenden und sehr ergreifenden Worte: „ M a c h t i h n lo s u n d l a ß t ih n g e h e n " hören und verstehen! 

Leben durch den Tod 1. 

Es ist von großer Wichtigkeit, die Stellung, welche der Tod oder die „Blutvergießung" im Worte Gottes einnimmt, zu beherzigen. Es bildet den alleinigen Grund der Hinzunahung des Menschen, seiner Stellung vor Gott und seiner Gemeinschaft mit Ihm. Es ist das alleinige Mittel, wodurch 99 die Sünde hinweggenommen und der alleinige Grund, worauf das göttliche Leben und die göttliche Gerechtigkeit erlangt werden kann. „Ohne Blutvergießung ist keine Vergebung" (Hebr. 9, 22). Dies ist eine Wahrheit, welche in den Schriften des Alten und Neuen Testaments sehr klar entwickelt und dargestellt wird. Sobald die Sünde da war, sobald ihre finsteren Schatten sich auf diese niedrige Erde gelagert hatten, fing diese große Wahrheit an, die Dämmerung zu durchbrechen. Und wenn wir in diesem heiligen Buch von Seite zu Seite vorangehen, wenn die Haushaltungen Gottes sich vor unseren Blicken entfalten, dann tritt sie immer mit größerer Klarheit und Vollkommenheit hervor, bis sie endlich, in Verbindung mit dem, „nach dem bestimmten Rat und der Vorkenntnis Gottes" geschlachteten Lamme, in wolkenlosem Glänze hervorstrahlt, um für alle, welche durch die Gnade an Seinen Namen glauben würden, ein Kanal des Friedens, der Vergebung, des Lebens und der Gerechtigkeit zu sein. Zunächst erscheint im dritten Kapitel des 1. Buch Moses „der Herr Gott" inmitten des großen Verderbens, welches der „eine Ungehorsam" in Seine schöne Schöpfung gebracht hatte, und verkündigt den „Samen des Weibes" als den, welcher der Schlange den Kopf zertreten sollte. Aber wie konnte dies in Erfüllung gehen? „Du wirst ihn in die Ferse stechen." Dies schon b i r g t di e k ö s t l i c h e L e h r e vo n d e m B l u t e i n sich . Der Schlange, welche das Verderben eingeführt hatte, sollte durch den Samen des Weibes der Kopf zertreten werden; aber ehe dies erfüllt werden konnte, mußte „der Samen s e l b s t gestochen" oder getötet werden. Einige mögen sagen: „Das ist doch eine sehr dunkle Darstellung von der Lehre des Blutes." Dies gebe ich zu; aber wenn auch dunkel, so ist sie doch wirklich. Es ist eine Darstellung, welche der Zeit, in der sie gegeben wurde, gerade angemessen ist. Der mächtige Zertreter mußte selbst zertreten werden. Diese Wahrheit kommt hier in den ersten Lauten aus dem Munde Gottes hervor und wird auf dem Schauplatz des Ruins von den verderbten und schuldbeladenen Sündern zum ersten Mal vernommen. Adam hörte dies alles. Er sah, daß zwischen dem „Herrn Gott" und „der Schlange" Streit war. Und er lernte verstehen; daß dieser Streit „durch den Samen des Weibes" zum Ende — zu einem glorreichen Ende gebracht werden würde. Er wurde belehrt, daß er seine Befreiung einem anderen zu verdanken haben sollte; denn ach! wie konnte er — selbst ein Sklave der Schlange — irgendwie der Zertreter ihres Kopfes sein! Nein, dies konnte allein das Werk eines an- 100 deren sein; und dieser andere konnte nur durch das Stechen in seine Ferse, d. i. durch den Tod, Sieger sein. 

Aber wird diese Tatsache nicht mit dem Wert des L e - b e n s „von dem Samen des Weibes" in Widerspruch sein? Nicht im geringsten. Wer könnte nur im entferntesten daran denken, alle diese reichen und wunderbaren Resultate dieses Lebens aufzählen zu wollen? Durch die Darstellung dieses Lebens hienieden wurde Gott verherrlicht, der Mensch geprüft und Satan überwunden. Außerdem empfingen die Erlösten Gottes ein Muster für ihren Wandel. Dies alles wird uns, wenn es der Herr erlaubt, bei weiterem Eingehen in diesen Gegenstand deutlich werden. Ich erwähne es hier nur, damit der Leser nicht das Gefühl der unendlichen Kostbarkeit dieses Lebens des „Menschen Jesus Christus" verliere. „Der Samen des Weibes" sollte leben, um zu sterben. Es mußte zuerst seine Ferse durchstochen werden, ehe er den Kopf der Schlange zertreten konnte. Seine Menschwerdung bildet die Grundlage „dieses großen göttlichen Geheimnisses." Dies ist eine wohlbekannte Wahrheit, deren Wert keinem Zweifel unterworfen ist. Aber ungeachtet des unendlichen Wertes dieser Menschwerdung würde sie dennoch keinen Nutzen haben — weder für die ewige Niederlage Satans noch für die Errettung des Menschen —• ausgenommen auf dem Grund des vollbrachten Todes. Es war „der Samen des Weibes", der der Schlange den Kopf zertreten sollte; aber wie sollte dies geschehen? Dadurch, daß Er Selbst in Seine Ferse gestochen wurde. „Weil nun die Kinder des Fleisches und Blutes teilhaftig sind, hat auch er gleicherweise an denselben teilgenommen, auf daß er durch den Tod den zunichte machte, der die Kraft des Todes hat, das ist, den Teufel, und alle diese befreite, welche durch die Furcht des Todes während des ganzen Lebens der Knechtschaft verfallen waren" (Hebr. 2, 14. 15). Ehe wir weitergehen, müssen wir hier noch einige andere Zeugnisse der Wahrheit aufsuchen, um zu beweisen, daß alle unsere Segnungen, unsere Vorrechte und unsere Würdigkeit— alles, was Gott uns, als den gefallenen und verderbten Sündern, darreichen kann, von dem Tode abhängig ist. „Und der Herr, Gott, machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fell und bekleidete sie" (1. Mos. 3, 21).

Im Glauben an diese Aussprüche Gottes, welche gerade jetzt das Ohr des Adam erreichten, nannte er den Namen seines Weibes „die Mutter a l l e r L e b e n d i g e n . " Er glaubte, daß er auf die eine oder andere Weise Leben aus dem Tod empfing. Aber in den „Röcken von Fell" haben wir etwas mehr als Leben. Wenn der Samen des Weibes zertreten 101 werden sollte, um Leben zu geben, so mußte das Blut der Tiere vergossen werden, um Kleider zu verschaffen. Mit anderen Worten — beides, Leben und Gerechtigkeit, ist auf den Tod gegründet. Die ersten Worte, welche der Herr, Gott, zu dem Ohr des Sünders kommen ließ, die erste Tat, welche Er vor den Augen der Sünder vollbrachte, stellen diese Fundamental-Wahrheit des Evangeliums dar, d a ß b e i d e s , L e b e n u n d G e r e c h t i g k e i t , au f d e n To d g e g r ü n d e t is t — daß „ohne Blutvergießung keine Vergebung ist." Diese Wahrheit wurde im Garten Eden vorgestellt. Sie durchbrach die dicken Wolken, die sich über den Häuptern unserer ersten Eltern zusammenzogen. Sie wurden unterrichtet, daß ihren Bedürfnissen nur durch den Tod begegnet werden konnte. Sie hatten sich der Macht der Schlange übergeben, und diese Macht konnte allein durch den Tod gebrochen werden. Infolge dieser Übergabe waren sie nackt, und diese Blöße konnte allein durch den Tod göttlich bedeckt werden. Sie hatten versucht, sich eine Bekleidung zu verschaffen, die flicht auf den Tod gegründet war; aber diese hatte sich als wertlos und eitel erwiesen. Eine Bekleidung., die nicht aus der Blutvergießung hervorkommt, läßt den Sünder nackt. Die Herden von tausend Hügeln, ja alle lebenden Tiere in der Schöpfung waren nicht imstande, dem nackten S ü n d e r ein Kleid zu verschaffen. Ein dahingegebenes Leben war durchaus notwendig. O h n e d i e - se s kann der Mensch weder Leben noch Gerechtigkeit haben, aber d u r c h d a s s e l b e hat er beides. Dies ist das deutlichste Zeugnis von der Lehre des Blutes im Garten Eden. Die d u r c h s t o c h e n e F e r s e und die R ö c k e v o n F e l l bringen zu dem Ohr des Sünders die herrliche Wahrheit, daß die völlige Befreiung von der Macht des Feindes und von allen Folgen der Schuld in dem Blute — ja in dem Blute a l l e i n — gefunden wird. Durch dieses hat er a l l e s , ohne dieses n i c h t s . Die durchstochene Ferse und die Röcke von Fell machten Adam und Eva fähig, von den Grenzen Edens zurückzutreten, und zwar mit einem Grad und einem Charakter von Glück und Sicherheit, wie sie dies nie inmitten all der köstlichen Früchte und Blumen hätten finden können. Eine nichtgefallene Schöpfung würde nie das tiefe Geheimnis von „einer durchstochenen Ferse" zum Ohr eines Sünders haben bringen können. Sie hätte auch nimmer vor seinen Blicken etwas entfalten können, was von tieferem und rührenderem Interesse gewesen wäre, als daß der Herr, Gott, sich herniederließ, um durch Blutvergießung einen nackten Sünder mit Bekleidung zu versehen. Gewiß nicht; diese wunder- 102 baren Dinge wurden inmitten einer ruinierten Schöpfung und bei gefallenen Sündern gesehen und gehört. Die Schlange hatte den To d hineingebracht, und durch den To d mußte er zerstört werden. Sein eigenes Schwert mußte ihn fällen. Durch den Tod haben wir ein unsterbliches Leben — eine bleibende Hoffnung — ein unvergängliches Erbe. 

2. 

Die Geschichte von Kain und Abel zeigt uns noch deutlicher, daß Leben und Gerechtigkeit nur auf e i n e m Fundament ruhen können und daß dies Fundament auf den Tod gegründet ist. Dies ist immer wahr, wie wir auch diesen Gegenstand betrachten mögen. Sobald „die Sünde in die Welt gekommen und durch die Sünde der Tod", so konnte auf keinem anderen Wege die Sünde hinweggenommen, auf keinem anderen Wege der Tod aufgehoben, und auf keinem anderen Wege Satan besiegt, auf keinem anderen Wege der Mensch befreit und auf keinem anderen Wege die Forderungen Gottes völlig befriedigt werden, als nur d u r c h d e n Tod . In dem Tode des Kreuzes aber sind alle diese Dinge vollkommen erfüllt worden. Und wir können mit Recht fragen: Wenn die Forderungen Gottes völlig befriedigt — der Mensch befreit — Satan besiegt — der Tod aufgehoben — die Sünde hinweggenommen ist, was bedürfen wir denn noch mehr? Ist nicht durch das Blut Jesu der Grund vollkommen zubereitet, um das glorreiche Gebäude der Gnade zu tragen — das Gebäude, dessen Fundament auf Gerechtigkeit gegründet ist und dessen oberste Spitze in Herrlichkeit aufgerichtet werden wird? Ist der Weg nicht geöffnet, um jedem Glaubenden Gerechtigkeit zuzurechnen? Ist durch d e n To d keine vollkommene Versöhnung geschehen? Ist etwas mehr nötig? Auf alle diese Fragen kann man nur e i n e Antwort geben. Doch wollen wir jetzt mit unserer Schriftforschung weiter fortfahren. „Es begab sich aber nach der Zeit, daß Kain dem Herrn Opfer brachte von den Früchten des Feldes; und Abel brachte auch von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der Herr sah gnädiglich an Abel und sein Opfer; aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädiglich an" (l.Mos. 4, 3-5). Der Leser wird überzeugt sein, daß in Betreff der Geburt, der Natur und des moralischen Zustandes dieser zwei Männer nicht der geringste Unterschied war. Beide waren außerhalb Eden geboren, beide waren Söhne des gefallenen Adam, beide hatten die verderbte Na- 103 tur ihrer gefallenen Eltern geerbt, beide waren „in Sünde und Übertretung" geboren. Abels Opfer wurde nicht darum angenommen, weil er ein besserer Mann war als Kain, und Kains Opfer nicht deshalb verworfen, weil er ein schlechterer Mann war als Abel. 

Der Unterschied lag durchaus nicht in den Männern, sondern in den Opfern. Und was war nun der Unterschied ihrer Opfer? Derselbe Unterschied, der, wie wir gesehen haben, zwischen Adams Schürze und dem ihm von Gott bereiteten Rock war. Jene war nicht auf Blut gegründet, wohl aber dieser; jene war eine menschliche Erfindung, dieser eine göttliche Vorsorge. Jene ließ den Sünder nackt und darum in Furcht, dieser bekleidete ihn und erfüllte ihn mit Vertrauen. Ebenso war es in Betreff des Opfers Kains und Abels. Es ist eine gewisse moralische Verbindung zwischen Adams Schürze und Kains Opfer, und ebenso zwischen Gottes Rock und Abels Opfer. Ersterer stellt den Weg dar, auf welchem der blinde, gefallene Mensch zu jeder Zeit vorwärts eilt; letzteres zeigt uns den heiligen Weg, auf welchem das Licht der Offenbarung leuchtet und auf welchem die Fußstapfen des Glaubens immer erkennbar sind. Es könnte nun gefragt werden: Wie vermochte Abel die Strahlen des himmlischen Lichtes der Offenbarung — des Lichtes der ewigen Wahrheit — zu entdecken? Die Antwort ist einfach. Verkündigte nicht der Herr, Gott, mit eigenen Lippen das Evangelium vor den Ohren des Sünders, wenn Er erklärte, daß „der Samen des Weibes der Schlange den Kopf zertreten sollte?" Und stellte Er nicht dasselbe Evangelium vor den Augen des Sünders dar, als Er mit eigener Hand von t o t e n S c h l a c h t o p f e r n den Stoff nahm, um für nackte Sünder ein Kleid zu bereiten? So war es; und hierin lag für Abels Glauben ein Zeugnis. Gott unterwies ihn in dieser großen Wahrheit, daß ein gefallener, verderbter, schuldiger Sünder n u r d u r c h B l u t die göttliche Gegenwart erreichen kann. Die schönsten und seltsamsten Früchte des Paradieses — die wohlriechendsten Blumen des Gartens Eden — die kostbarsten Produkte der Oberfläche der Erde — ja alle Reichtümer des Weltalls waren nicht imstande, auch nur den geringsten Flecken von Schuld aus dem Gewissen zu vertilgen. Warum nicht? Ein Opfer o h n e Blut ist eitel und wertlos. Wo kein Blut ist, da ist keine Versöhnung, kein Leben, keine Vergebung, kein Frieden, keine Gerechtigkeit, kein Himmel, keine Herrlichkeit. Wo Blut ist —das Blut Jesu, und Glauben an dieses Blut, da haben wir alle diese gegenwärtigen und ewigen Dinge in Wirklichkeit. 104 Diese Grundwahrheiten wurden durch Kain verworfen.

 Er glaubte nicht, daß ein geopfertes Leben nötig sei, um ihn fähig zu machen, in die Nähe Gottes zu kommen. Er glaubte nicht, daß das Leben nur durch den Tod zu erlangen sei, und daß die Frucht des Feldes nimmer den Grund der Gerechtigkeit in der Gegenwart Gottes bilden konnte. Er brachte ein Opfer ohne Blut und darum blieb seine Sünde; denn „ohne Blutvergießung ist keine Vergebung." Er mochte für die Erlangung seiner „Frucht" gearbeitet und sich abgemüht—sein „Opfer" mochte ihm viele Schweißtropfen gekostet haben; aber dies alles war vergebens. Weder der Schweiß seines Angesichtes, noch die Arbeit seiner Hände konnte sein Gewissen reinigen, noch das Urteil abwenden, welches mit dem „ e i n e n Ungehorsam" verbunden war, nämlich: „welchen Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben." Nur das Blut eines tadellosen Opfers konnte von dem Horizont des Sünders die finsteren und undurchdringlichen Nebel „des Todes und des Gerichts" verscheuchen. Dies alles war bei Abel die Sache eines einfachen Glaubens. Er erlangte aber nicht d e s h a l b etwas, weil er besser war als Kain, der die Vorzüge des Erstgeburt-Rechtes besaß. Wir können in der Auffassung dieses Punktes nicht zu einfach und zu klar sein. Wer von der göttlichen Gnade, von der Wirkung des Blutes, von dem Wert des Glaubens ein richtiges Gefühl haben will, muß notwendig erkennen, daß von dem göttlichen Gesichtspunkte aus zwischen Kain und Abel kein Unterschied war. Der Unterschied lag, wie schon gesagt, nicht in den Männern, sondern in ihren Opfern; und der Unterschied in ihren Opfern lag nicht in dem äußeren Wert derselben; nein, der Unterschied — der einzige und wesentliche Unterschied lag in dieser höchst wichtigen Tatsache, daß Abel Blut opferte und Kain nicht. Abel fand seinen Zufluchtsort in einem geopferten Leben; Kain verließ sich auf die Werke seiner Hände.
 „Durch den Glauben brachte Abel Gott ein besseres Opfer dar als Kain, durch welches er Zeugnis erlangt hat, daß er gerecht war, indem Gott Zeugnis gab zu seinen Gaben; und durch diesen, obgleich er gestorben ist, redet er noch" (Hebr. 11, 4). Wir müssen hier besonders beachten, daß Abel durch die Blutvergießung weit mehr empfing, als die bloße Vergebung seiner Sünden. „Durch den Glauben hat er Zeugnis erlangt, d a ß e r g e r e c h t war. " Von wem? Von dem einzigen, welcher es geben konnte. — Gott gab ihm Zeugnis. Wozu? Zu seinen Werken, seiner Aufrichtigkeit, seinen Gefühlen oder seinem Glauben? Nein; sondern „zu seinen Gaben." Und was war in seinen Gaben, um den Titel „ein 105 besseres Opfer" zu erhalten? Die Antwort ist: da s B l u t ! Abel erlangte d u r c h B l u t nicht allein Vergebung, sondern auch Gerechtigkeit. Er war d u r c h B l u t nicht allein vom Satan befreit, sondern auch zu Gott gebracht; nicht allein war er der Hölle entronnen, sondern hatte auch den Himmel erreicht. Es war dem Kain nicht gesagt, daß er die Tilgung seiner Sünden durch Blut erlange, daß er aber seine Gerechtigkeit auf einem anderen Wege finden müsse.

 Eine solche Lehre kannte er nicht. Er erblickte die ersten Strahlen des Lichtes, welches vom Throne Gottes d i e G n a d e herniederscheinen ließ, und dadurch erkannte er diese köstliche, ewige, göttliche und herrliche Wahrheit, daß ein schuldiger Sünder, der in sich selbst nur Tod und Gericht verdient hat, d u r c h d e n G l a u b e n a n d a s B l u t , Leben und Gerechtigkeit erlangen kann. Laßt uns ferner bemerken, daß nicht gesagt ist, daß Abel sich selbst als gerecht erkannte, obwohl er dies „durch den Glauben" sicher tat. Es war nicht das Zeugnis seines eigenen Gewissens oder seiner Gefühle, sondern das Zeugnis Gottes, welcher bezeugte, daß er d u r c h d e n G l a u - b e n a n d a s B l u t gerecht war. Wir wissen nun aber, daß Gott Sein Siegel nicht auf etwas setzen kann, das nicht vollkommen ist; und darum, wenn Gott bezeugte, daß Abel „gerecht" war, so ist es klar, daß er nichts mehr bedurfte. Er war nicht allein ein erretteter und lebendiger Mensch, der Vergebung seiner Sünden empfangen hatte und von der Hölle erlöst war, sondern auch ein gerechter und angenommener Mensch, der für den Himmel ganz passend war; und dies alles „ d u r c h d e n G l a u b e n a n d a s Blut. " Jetzt wollen wir noch ein Zeugnis für die Wahrheit unseres Gegenstandes aus den Zeiten Noahs folgen lassen.

 Wir wollen aber nur e i n e Stelle anführen. „Noah baute dem Herrn einen Altar und nahm von allerlei reinem Vieh und von allerlei reinem Gevögel und opferte Brandopfer auf dem Altar. Und der Herr roch den lieblichen Geruch" (1. Mos. 8, 20. 21). Hier sehen wir dieselbe Wahrheit. Die neue Schöpfung muß notwendig auf dem Blut gegründet sein. Nichts mehr und nichts weniger war nötig. Alle Arten der gefallenen Wesen konnten in Gesundheit und Kraft aus der Tür der Arche herausgehen; ehe aber irgendwie ein Wohlgeruch von der Erde zum Himmel und ein Wohlgeruch der wohlgefälligen Anbetung zu dem Throne Gottes aufsteigen konnte, mußte ein Altar errichtet und Blut vergossen werden; und dieses vergossene Blut bildete nicht allein die Grundlage der Anbetung Noahs, sondern auch des Bundes Gottes mit der ganzen Schöpfung. Und nun, mein lieber Leser, lege Dir jetzt diese Frage 106 vor: „Was hat das köstliche Blut Christi für mich getan?" Hat es Dein Gewissen von aller Sünde gereinigt und Dir alle die tiefen Geheimnisse von des Vaters Liebe geoffenbart? Mache dies für Dich zu einer persönlichen Frage. Du mußt jetzt auf diesem Blute ruhen. Wenn das Auge des Gewissens den Lauf Deines ganzen Lebens überschaut und Du nichts anderes siehst als S ü n d e ! S ü n d e ! S ü n d e ! dann schaue durch den Glauben in das unveränderliche Herz Gottes, und höre die lieblichen Töne, welche von da erschallen. Und welche sind diese? L i e b e und B l u t ! 

3. 

Die Wahrheit, daß das L e b e n allein d u r c h de n To d geschenkt wird, wird uns nun weiter in der wohlbekannten Einsetzung des Passahs deutlich vor Augen gestellt. Wir finden dies in 2. Mose 12. Di e E r r e t t u n g d u r c h B l u t wird uns in diesem Artikel mit deutlichen und klaren Worten vorgestellt. Man bemerke wohl: nicht Errettung durch Blut und noch etwas dazu ; sondern Errettung durch B l u t a l l e i n . Ich wünsche dies mit Nachdruck auszusprechen, damit diese gesegnete Wahrheit tief in das Herz eingegraben werde. Ich frage den einfachsten Leser: Was rettete den Israeliten von dem Schwert des Verderbens? Ich zweifle nicht, daß er mit denselben Worten, die Jehova zu Israel sprach, antworten wird: „Wenn ich da s B l u t sehe, will ich vorübergehen." Das Lamm mußte „ohne Fehl sein, ein Männlein und ein Jahr alt"; denn was würde es sonst genützt haben? Was konnte anders den Ansprüchen Gottes entsprechen? „Ihr aber sollt ein Lamm nehmen, daran kein Fehl ist, ein Männlein und ein Jahr alt, von den Schafen und von Ziegen möchtet ihr es nehmen; und sollt es in Verwahrung haben bis an den vierzehnten Tag des Mondes" (V. 5. 6). Dies alles war göttliche Wahrheit. Ein fehlloses Lamm war nötig — ein Lamm „genommen" und verwahrt." Nur ein fehlloses Opfer war für den Altar des Gottes Israels passend; aber zehntausend fehllose Lämmer — „Männlein, und von einem Jahr" — „genommen" und „verwahrt", konnten die Schläge der Gerechtigkeit nicht abhalten oder die Schärfe des Schwertes des Verderbens nicht abwenden. Nein, das B l u t m u ß t e v e r g o s s e n w e r d e n . „Eine jegliche Versammlung der Gemeine Israel soll es schlachten zwischen Abend" (V. 6). Das Urteil des Todes mußte entweder an jedem Israeliten oder an seinem Stellvertreter vollzogen werden. Der 107 Tod ist der Sünde Sold. Der Sünde wegen mußte der Tod über alle kommen; und es ist moralisch unmöglich, daß etwas anderes als der Tod einen Sünder vom Verderben erretten kann. Wenn die Gnade einen Stellvertreter gefunden hat — einen, der die Stelle des Sünders einnimmt — dann muß dieser, um den Sünder zu erretten, sich alle d e m unterwerfen, was dieser veschuldet hat.

 Also war es der Fall bei Israel in dieser merkwürdigen Nacht, in welcher der Würgengel mit seinem ausgezogenen Schwert in Ägyptenland umherzog. Was würde nun die Folge gewesen sein, wenn er außerhalb der Tür eines Israeliten ein l e b e n d i g e s L a m m gesehen hätte, wäre es auch noch so fehllos gewesen? Der Tod des Erstgeborenen im Hause! Man könnte aber fragen: Warum führte er aber über das lebendige Lamm nicht das Urteil aus? Die Antwort ist ganz einfach, aber sehr bemerkenswert. E s w a r a l l e i n ei n g e s c h l a c h t e t e s L a m m , w e l c h e s d e n S ü n d e r e r r e t t e n k o n n t e . Es war das B l u t des Lammes, durch Glauben an die Türpfosten gestrichen, und nicht ein l e b e n d i g e s Lamm vor der Tür, welches Israel errettet. „Wenn ich da s B l u t sehe, so werde ich vorübergehen." Das Blut verkündigt die Wahrheit, daß der Tod schon in Bezug auf alle, welche innerhalb der mit Blut bestrichenen Türpfosten waren, sein Werk vollbracht hatte. Hier haben wir also ein liebliches Vorbild von der Errettung durch B l u t . Das Blut war für Israels Errettung vollkommen genug. Nichts w e n i g e r war hinreichend; nichts m e h r war nötig. Es handelt sich nur um das Blut. Es war der alleinige und allgenugsame Grund der Errettung Israels. „Durch den Glauben hielt es das Passah und d i e B e s p r e n g u n g d e s B l u t e s , auf daß der, welcher die Erstgeburt zerstörte, sie nicht antastete" (Hebr. 11, 28). Nichts kann einfacher sein, als dieses. Der vorsichtigste Leser wird zugeben, daß das Passah-Lamm ein Vorbild von Christo war. „Denn auch unser Passah, Christus ist für uns geschlachtet" (1. Kor. 5, 7). Dieser Ausdruck stellt die Frage völlig fest. Der Tod des Passah-Lammes war ein Bild vom Tode Christi. Und was der Tod des Ersteren für Israel tat, das tat der Tod des Letzteren für alle, die ihr Vertrauen darauf setzen. Der Tod des Lammes gab Israel vollkommenen Frieden und der Tod Christi gibt dem Gläubigen vollkommenen Frieden. Nichts mehr als der Tod des Lammes war nötig, um Israel in Sicherheit zu stellen und nichts mehr als der Tod Christi ist nötig, um den Gläubigen in Sicherheit zu stellen. Ein nicht geschlachtetes Lamm würde den Israeliten nichts genützt haben und ein nichtgekreuzigter Christus würde dem Sünder nichts nützen. 108 Es ist wahr, daß in der Auferstehung der Wert Christi erst hervortritt; aber Sein Tod ist es, der uns errettet. Das Blut, welches Israel errettete, floß von einem geschlachteten Lamme; und das Blut, welches uns errettet, floß von einem gekreuzigten Christus. Verringert dies nicht einigermaßen den Wert des heiligen und fleckenlosen Lebens Christi? In keiner Weise. Er war heilig und fleckenlos — gepriesen sei für immer Sein unvergleichlicher Name! Er war der allein Heilige Gottes. Sein ganzes Leben war ein duftender Wohlgeruch, welcher aufstieg zum Throne Gottes. Sein vollkommener Weg war zur Bewunderung der Engel, wie er zum Vorbild der Heiligen ist. Er bewegte sich immer in dem Wege des unbedingten Gehorsams, in dem Willen Seines Vaters. Er war in allen Dingen der lebendige Ausdruck des Herzens des Vaters, und von der Krippe bis zum Kreuz wandelte Er in dem wolkenlosen Sonnenschein vor des Vaters Angesicht. Der Heilige Geist freut sich, hierbei zu verweilen, und also werden es alle tun, welche von ihm belehrt sind. Sein fleckenloses, heiliges und gehorsames Leben aber konnte weder unsere Sünden wegnehmen, noch Gott befriedigen, um uns zu rechtfertigen. 

Der Leser kann über diesen Gegenstand nicht klar genug sein. Er muß in diese köstliche Belehrung, welche uns im Passah-Lamm gegeben ist, recht tief eindringen. Wir dürfen der Belehrung des Neuen Testamentes, welche —• so Gott will — uns später beschäftigen wird, nicht vorauslaufen. Vielmehr wollen wir hier bei der Einführung des Passah-Lammes stehenbleiben; und dies zeigt uns ganz deutlich, daß es d e r To d und nicht das Leben des Lammes war, welcher Israel errettete; und es nicht allein vom Schwert des Verderbers errettete, sondern es auch in eine Stellung versetzte, worin es das Vorrecht hatte, die Früchte der Errettung zu genießen. Wenn ein Israelit gefragt worden wäre, was ihn vom Verderber errettet hätte, was würde dann seine Antwort gewesen sein?

 Gewiß eine sehr kurze. Er würde mit dem einfachen Wörtchen „das B l u t ! " geantwortet haben. Er würde die Worte Jehovas gebraucht haben: „Wenn ich das B l u t sehe, so werde ich vorübergehen." Er wußte nichts von einer Errettung durch B l u t und noch s o n s t etwas. Nein, lieber Leser, der Israelit würde uns eine sehr einfache Belehrung gegeben haben. Das Blut war für ihn der alleinige und vollkommene Grund der Errettung und des Friedens. Und dies muß es auch für uns sein. Wenn e r nicht belehrt war, irgend etwas anderes mit dem Blute zu vermengen, so dürfen w i r es auch nicht tun. Wenn das Blut eines Lammes genug war, einen Israeliten vom Tode 109 zu erretten, so ist gewiß das Blut des ewigen Sohnes Gottes genug, um uns von allen Folgen unserer Sünden — vom Zorn Gottes und vom ewigen Gericht zu erretten. Das Blut eines solchen Opfers ist gerade passend, um alle, welche ihr Vertrauen darauf setzen, als Errettete unter seinem Schatten für immer in Sicherheit ruhen zu lassen. Es gibt zwei Wege, worauf man das Blut Christi entehren kann. Der erste ist zu denken, daß es nur den h a l b e n W e g geht, um eine Errettung zu verschaffen, und der zweite, zu denken, daß es bloß eine h a l b e E r - r e t t u n g ist, welche es verschafft. Die Einsetzung des Passahs widerspricht diesen beiden Meinungen — widerspricht ihnen auf die vollkommenste Weise. Israels Erstgeborene waren a l l e i n durch das Blut gerettet; und sie waren durch das Blut v o l l k o m m e n errettet. Dies ist bemerkenswert. Sie dachten nicht daran, etwas hinzuzufügen. Hatten sie dies Blut, so hatten sie nichts mehr nötig. Es errettete sie vollkommen vom Gericht und gab ihnen auch vollkommenen Frieden. Lieber Leser, es ist nicht meine Absicht, mit diesen Zeilen Streitfragen zu erwecken, sondern die Wahrheit Gottes, wie sie im Worte geschrieben steht, ans Licht zu stellen und deiner Seele zu nützen.

 Ich hoffen, daß, ehe Du diese Betrachtung beiseite legst, Du sagen kannst: „Gepriesen sei Gott! Ich habe Frieden gefunden in dem B l u t e Jesu. Jetzt bin ich glücklich; ich ruhe in diesem Blut; ich bin für ewig errettet." Gott gebe, daß es also sei! Möchtest Du eine Fülle, eine Allgenugsamkeit, eine Würdigkeit, eine Herrlichkeit, einen göttlichen Wert in der Versöhnung sehen, wie Du nie zuvor gesehen hast! Möchten alle Deine Zweifel und all Deine Furcht für immer beseitigt sein und möchte es Dein glückliches Vorrecht sein, jetzt und für ewig das L e b e n d u r c h de n To d z u h a b e n ! 

4. 

Zuerst möchte ich hier den Leser daran erinnern, daß ich keineswegs beabsichtige, alle Beweise der Heiligen Schrift, welche auf diesen so köstlichen Gegenstand Bezug haben, anzuführen. Ich bin weit davon entfernt. Vielmehr beschäftige ich mich nur mit einigen der bekanntesten Stellen; aber alle, für welche dieser Gegenstand von Interesse ist, können leicht ähnliche Schriftstellen auffinden, welche die große Wahrheit, daß wir allein „ d a s L e b e n d u r c h den T o d " erlangen können, ganz klar darstellen.

 110 Wir gehen jetzt zum 3. Buch Moses über, von welchem gesagt werden kann, daß es beinahe eine ununterbrochene Reihe von Beweisen für unseren Gegenstand hat. Wer nur einen flüchtigen Blick auf die Opfer dieses Buches wirft, wird bald erkennen, daß wir in ihnen eine Menge schlagender und schöner Vorbilder haben — Vorbilder, die das e i n e große Opfer, welches auf dem Kreuz für uns und unsere Errettung geopfert ist, klar darstellen. Wenigstens wird er auf das deutlichste sehen, daß der To d die große hervorragende Sache in allen ist. Ich spreche nicht von dem Speisopfer, in welchem nichts vom Blutvergießen vorkam. Blicken wir aber auf das Brandopfer, das Dankopfer, das Sündopfer und das Schuldopfer, so finden wir immer dieselbe Sache. In jedem und allen begegnen wir den Worten: „Er soll e s t ö t e n." Das Blutvergießen war eine wesentliche Notwendigkeit zur Vollkommenheit des Opfers. Der vollbrachte Tod bildet die Grundlage zu allem. Dieser Punkt kann nicht stark genug hervorgehoben werden. Er ist in jedem Teil der Schrift klar und völlig bestätigt, und in keinem völliger, als in den Vorbildern des dritten Buches Moses, die wir jetzt etwas näher zu betrachten gedenken. Selbst in ihren wunderbaren Einzelheiten finden wir die Bestätigung der Wahrheit unseres Gegenstandes. 1. Wir beginnen mit dem B r a n d o p f e r (3. Mose 1). Hier haben wir den Tod Christi, als den Ausdruck Seiner vollkommenen Ergebenheit an Gott. Das Opfer wurde ganz verbrannt; weder der Anbeter noch der Priester hatten Teil daran. Es wurde ganz auf dem Altar verzehrt — alles stieg auf als ein lieblicher Geruch zu dem Throne Gottes. Aber wie wurde diese Ergebenheit ausgedrückt? War es nur durch ein fleckenloses Leben? Nein, sondern durch den vollbrachten Tod.

 Es war da in der Tat ein fleckenloses Leben — ein heiliges Leben — ein unterwürfiges Leben — ein köstliches Leben — ein unvergleichliches Leben; aber dies alles würde nichts genützt haben, um eine Versöhnung zu bewirken, oder, um es noch deutlicher zu sagen, durch alle die Tiefen der Ergebenheit in dem Herzen Christi würde das Blut nicht vergossen sein. — „Von Rindern und Kleinvieh" mußte ,ein Männlein ohne Fehl' vor der Tür der Hütte des Stifts zum Wohlgefallen des Herrn dargebracht werden" (V. 3). Es mußte den Forderungen des Zeremonialgesetzes völlig entsprechen; aber solange das Leben nicht genommen, solange das Blut nicht vergossen war, konnte keine Versöhnung gemacht — kein lieblicher Geruch dargebracht werden. Es war der T o d , welcher die Basis von allem bildete. Zehntausend tadellose und zum Wohlgefallen dargebrachte Rinder konnten dem Menschen keine Ver- 111 söhnung bereiten und Gott keinen Wohlgeruch darbringen, ausgenommen auf Grund des vollbrachten Todes. Es ist wahr, das Leben Christi war sehr köstlich vor Gott — unendlich köstlich in jeder Beziehung; aber als Gegenbild des Brandopfers gab Er Sein Leben dar, um den völligen Ausdruck der Ergebenheit darzustellen. Hier haben wir nun einen „seelenbefriedigenden" Anblick von dem Tode Christi und von der Versöhnung durch diesen Tod. Das Brandopfer stellt Christum auf dem Kreuz nicht als Träger der Sünde, sondern als die Erfüllung des Willens Gottes dar. Wie können wir dies wissen? Weil „von den Tieren, deren Blut für Sünde durch den Hohenpriester in das Heiligtum gebracht wird, die Leiber a u ß e r h a l b des L a g e r s verbrannt werden" (Hebr. 13,11). Das Brandopfer aber wurde auf dem „ A l t a r " verzehrt und nicht „außerhalb des Lagers" (3. Mos. 1, 9). Es handelt sich hier nicht um die Zurechnung der Sünde. Es ist das Bild von Christo, „welcher sich selbst ohne Flecken Gott geopfert hat" (Hebr. 9,14). Es stellt nicht die Häßlichkeit der Sünde vor uns, sondern die Köstlichkeit und die göttliche Vortrefflichkeit Christi und Seine Ergebenheit an Gott, sogar bis in den Tod. Es wurde gänzlich verbrannt — alles stieg als ein süßer Geruch auf. Das Blut wurde nicht „durch den Hohenpriester für Sünde in das Heiligtum gebracht", und darum wurde der Leib auch nicht „außerhalb des Lagers verbrannt", sondern „auf dem Altar, um ein Brandopfer zu sein — ein Opfer, durch Feuer gemacht, zum lieblichen Geruch dem Herrn" (Kap. 1,9). 
Der Tod des Brandopfers erzählt uns nicht, wie Gott die Sünde haßt, sondern wie Christus Gott liebt und Seinen Willen tut, sogar bis zum Tode am Kreuz. Wenn wir also auf Christum, als Brandopfer, hinschauen, so sehen wir eine Versöhnung, welche nach der Vollkommenheit des Gehorsams Christi ist. Wir haben hier nicht Christum im Wegnehmen der Sünde, eine Sache, — gepriesen sei Gott! — die vollkommen wahr ist, sondern Christum als Erfüller des Willens Gottes. Tat Er es vollkommen? Gewiß. Nun, dann ist die Versöhnung ebenso vollkommen gemacht worden. Christus handelte in dem Brandopfer direkt vor Gott. Er begegnete zwar ebenso' sehr den Bedürfnissen des Menschen — dessen tiefsten Bedürfnissen — den Bedürfnissen seines Herzens und seines Gewissens; aber hier sehen wir Ihn als den Erfüller des Willens Gottes. Dies ist von großer Wichtigkeit. Solange wir den besonderen Punkt, welcher im Brandopfer uns vorgestellt ist, nicht erkennen, werden wir auch die Lehre vom 112 Kreuz — die Lehre von der Versöhnung — die Lehre von „dem Leben durch den Tod", nie richtig verstehen können. 2. In dem D a n k o p f e r (Kap. 3) haben wir ein Vorbild von Christo, als Dem, der unser Friede ist. Hier war auch der Tod wesentlich.

 „Er soll seine Hand auf seines Opfers Haupt legen, und es schlachten vor der Tür der Hütte des Stifts. Und die Priester, Aarons Söhne, sollen das Blut auf den Altar umhersprengen" (V. 2). Bevor das Fett auf dem Altar Gottes verbrannt werden konnte, — bevor der Opfernde „das Fleisch essen konnte — bevor der Priester die „Webebrust" und die „Hebeschulter" empfangen konnte (Kap. 7), mußte das Opfer getötet werden. „Ohne Blutvergießung ist keine Vergebung" (Hebr. 9, 22). Und wenn keine „Vergebung" da ist, so kann auch kein Friede — keine Anbetung —• keine Gemeinschaft da sein. Um mich eines vollkommenen Friedens zu erfreuen, muß ich eine vollkommene Rechtfertigung haben, und zu einer vollkommenen Rechtfertigung eine vollkommene Versöhnung, und zu einer vollkommenen Versöhnung einen vollendeten Tod. Alles dieses habe ich in Christo. Er ist das wahre Dankopfer. „Er hat durch das Blut seines Kreuzes Frieden gemacht" (Kol. 1,20). Bemerken wir wohl, es war „durch das Blut Seines Kreuzes, daß Er Frieden machte. Es war nicht durch Sein gehorsames Leben, wie köstlich dies auch immerhin sein mochte •— und in der Tat geht dessen Köstlichkeit weit über alle Gedanken der Menschen hinaus. Es war durch Sein Blut, und durch Sein Blut allein, daß Er Frieden machte. Er gab auf dem Kreuze Sein Leben hin und mit diesem Leben wurde alle Sünde, welche durch Zurechnung damit verknüpft war, hinweggetan, sodaß in der Auferstehung alle Seine Glieder ewiglich mit Ihm verbunden sind als Teilnehmer desselben Lebens und als stehend in derselben Gerechtigkeit und in derselben Unendlichen Gunst vor Gott. Beachte dies wohl, mein christlicher Leser. Die ganze Frage ist in Ordnung gebracht. Durch das vollendete Werk des Kreuzes ist ein ewiger Frieden gestiftet worden. Das Blut Deines göttlichen Dankopfers hat alles weggenommen, was durch irgend eine Möglichkeit weggenommen werden konnte, und hat es aus der G e g e n w a r t G o t t e s weggenommen. Es ist Dein glückliches Vorrecht, Dich in dem reinen Gefühl der vollkommenen Rechtfertigung und Annahme bei Gott, von dem Fleische Deines Dankopfers zu ernähren. Es ist im „Angesicht des Allmächtigen" kein Flekken mehr auf Dir. Du bist in Christo und bist vor dem Throne Gottes, wie Er. Du wirst nicht mehr nach dem frü- 65 113 heren oder alten Zustand von Gott betrachtet. r,Du bist nicht im Fleisch, sondern in dem Geist." Du bist zwar noch im Leibe, aber in Betreff Deiner Stellung vor Gott ..bist Du nicht mehr im Fleisch." Das Fleisch ist zwar noch in Dir und wird es auch bis zum Ende Deiner irdischen Laufbahn sein; aber Gott sieht es als tot und beseitigt an.

 Es fand sein Ende, als Dein Dankopfer am Kreuze Sein Leben übergab. Jetzt ist Er Dein Leben, Deine Gerechtigkeit, Dein Frieden, Deine Heiligkeit, Deine Erlösung, Deine Hoffnung, Deine Herrlichkeit, Dein alles. O, der Herr möge Deiner Seele ein klares, völliges und tiefes Gefühl davon geben! Du kannst versichert sein, daß, wenn Du in Betreff dieser Fundamental-Wahrheit im Unklaren bist, Du nicht das Fleisch Deines Dankopfers essen kannst. Du wirst beständig auf Dich selbst sehen. Du wirst auf die eine oder andere Weise auf die Darbringung eines neuen Opfers sehen, anstatt Dich in den ewigen Resultaten des e i n e n Opfers zu erfreuen, welches schon dargebracht ist. Möge der Geist Gottes Dich befähigen, in den sicheren Trost dieser Wahrheit recht tief einzudringen! 3. Das S ü n d o p f e r gibt Zeugnis von demselben evangelischen Gedanken (3. Mos. 4). In ihm sehen wir einen Schatten von Christo, als unserem Sündenträger, als „dem, welcher für uns zur Sünde gemacht war." Wenn wir das Sündopfer mit dem Brandopfer vergleichen, so werden wir zwei sehr verschiedene Seiten von Christo finden; aber wenn diese auch verschieden sind, so ist es doch ein und derselbe Christus. In jedem Falle war es „e i n Männliches ohne Makel." Dies ist sehr leicht zu verstehen. Es kommt nicht darauf an, nach welcher Seite hin ich Christum betrachte, Er muß immer als derselbe Reine, Fleckenlose, Heilige und Vollkommene angesehen werden. Es ist wahr, in Seiner vollkommenen Gnade erniedrigte Er Sich Selbst, um der Sündenträger Seines Volkes zu sein; aber es war ein vollkommener fleckenloser Christus, welcher dies tat. Die wesentliche Vortrefflichkeit, die unbefleckte Reinheit und die göttliche Herrlichkeit unseres gesegneten Herrn erschien in dem Sündopfer sowohl als auch in dem Brandopfer. Es kommt nicht darauf an, in welcher Beziehung Er stand, welchen Dienst Er erfüllte, welches Werk Er vollbrachte, welche Stellung Er einnahm — überall strahlte Seine persönliche, Seine innerliche, Seine wesentliche Herrlichkeit in all ihrem eigentümlichen und göttlichen Glanz hervor. Mag auch die Sonne am natürlichen Himmel, wie die Astronomen lehren, in jedem Monat durch ein anderes Zeichen laufen, so bleibt es doch, mögen auch die Zeichen sein, welche sie wollen, immer ein und dieselbe Sonne, welche uns durch ihre Strahlen Licht gibt und erfreut. 114 Ebenso ist es mit dem Brandopfer und dem Sündopfer. Beide weisen auf dasselbe große Gegenbild hin, obgleich sie die entgegengesetzten Seiten Seines Werkes vorstellen. In dem Brandopfer sehen wir Christum, wie Er der Liebe und der Zuneigung des Herzens Gottes begegnet; in dem Sündopfer sehen wir Ihn, wie Er den Bedürfnissen des Gewissens des Sünders begegnet. Jenes stellt uns Ihn als den Erfüller des Willens Gottes dar; dieses als den Träger der Sünde des Menschen. In ersterem werden wir über die Köstlichkeit des Opfers belehrt; in letzterem über die Häßlichkeit der Sünde. — Soviel in Betreff der beiden Opfer überhaupt. 

Die genaueste und sorgfältigste Untersuchung der Einzelheiten kann allein dazu dienen, das Herz in der Wahrheit dieser großen Sache zu befestigen. In diese Einzelheiten wünsche ich aber in dieser kurzen Betrachtung nicht einzugehen. Ich möchte die Aufmerksamkeit meines Lesers nur auf diese eine Tatsache hinlenken, daß, ob wir das Brandopfer, das Dankopfer oder das Sündopfer betrachten, wir sehen immer, daß ein geopfertes Leben wesentlich notwendig war. Der „süße Geruch" des Brandopfers stieg auf, wenn das Blut vergossen war, und nicht eher. Die Sünde war durch das Sündopfer beseitigt, wenn das Blut vergossen war, und nicht eher. 4. Endlich kommen wir zu dem S c h u l d o p f e r (3.Mos. 5), in welchem der Tod ebenfalls ganz wesentlich war, und wodurch also dieselbe Wahrheit bezeugt wurde. In diesem Opfer sehen wir Christum' als Den, welcher nicht nur für die S ü n d e i n d e r N a t u r de s G l ä u b i g e n , sondern auch für die S ü n d e n i n d e m L e b e n d e s G l ä u b i - ge n büßt. Das eine wie das andere ist nur durch B l u t - v e r g i e ß u n g , und nur dadurch a l l e i n geschehen. Christus war nicht allein „für uns zur S ü n d e gemacht" (2. Kor. 5, 21), sondern „er trug auch u n s e r e S ü n d e n an r?inem eigenen Leibe auf dem Holze" (1. Petr. 2, 24). Er wurde nicht während Seines Lebens zur Sünde gemacht, sondern in Seinem Tod; und also trug Er auch nicht unsere Sünden während Seines Lebens, sondern „auf dem Holze". Dies ist einfach und bestimmt genug. Ob wir die Vorbilder des Alten oder die vollendeten Tatsachen des Neuen Testamentes betrachten, überall finden wir dieselbe herrliche Wahrheit, daß nämlich das Blut vergossen sein muß, ehe die Sünde vergeben, die Gerechtigkeit zugerechnet, der Friede genossen, die Gemeinschaft verwirklicht und die Anbetung dargebracht werden kann. Alle Schriften bestätigen diese köstliche und über alles wichtige Lehre von dem „ L e b e n d u r c h d e n T o d." Bevor ich nun diese kurze Betrachtung schließe, geliebter 115 Leser, erlaube ich mir noch einige Fragen. Hast Du das Leben durch den Tod gefunden? Hast Du durch das vollkommene Opfer des Kreuzes Frieden gefunden für Dein schuldbeladenes Gewissen — Frieden für Dein gebrochenes Herz — Frieden für Deinen ermüdeten Geist? Bist Du befriedigt -— tief, wahrhaft, vollkommen und ewig befriedigt durch das, was Christus für Dich getan hat? Hast Du in Ihm alles gefunden — alles, wessen Du für Zeit und Ewigkeit bedarfst? Wenn nicht, so laß es Dir doch .mit dieser so höchst notwendigen Sache ein völliger Ernst werden. Es handelt sich um die Wahrheit Gottes und Deine ewige Errettung. Der Herr möge Dich mit Seiner reichen Gnade segnen! Die sieben ersten Kapitel des 3. Buch Moses offenbaren mit einer göttlichen Fülle, Schönheit und Macht die Lehre vom Opfer. Im 8. und 9. Kapitel haben wir die Lehre vom P r i e s t e r t u m ; allein mag es sich um das Opfer oder um das Priestertum handeln, immer erhält das Blut seine hervorragende und von Gott verordnete Stellung. Die Blutvergießung war die große Grundlage in der Lehre vom Opfer, und es war ebenso in der Lehre vom Priestertum. Wir wollen hier als Beweis einige Stellen anführen. 

„Und ließ herzuführen einen Farren zum Sündopfer. Und Aaron mit seinen Söhnen legten ihre Hände auf des Farren Haupt. Da s c h l a c h t e t e m a n ihn . Und Mose nahm da s B l u t , und tat es auf die Hörner des Altars umher mit seinem Finger, und entsündigte den Altar; und goß das andere Blut an des Altars Boden, und weihte ihn, daß er ihn versöhnte . . . Und brachte herzu einen Widder zum Brandopfer. Und Aaron mit seinen Söhnen legten ihre Hände auf des Widders Haupt. Da s c h l a c h t e t e m a n i h n. Und Moses sprengte da s B l u t an den Altar umher. Und brachte auch herzu den anderen Widder, den Widder des Füllopfers. Und Aaron mit seinen Söhnen legten ihre Hände auf des Widders Haupt. D a s c h l a c h t e t e m a n ihn . Und Moses nahm s e i n B l u t , und tat es Aaron auf den Knorpel seines rechten Ohrs, und auf den Daumen seiner rechten Hand, und an den Daumen seines rechten Fußes. Und brachte herzu Aarons Söhne, und tat d a s B l u t auf den Knorpel ihres rechten Ohrs, und auf den Daumen ihrer rechten Hand und auf den Daumen ihres rechten Fußes; und sprengte das Blut an den Altar umher" (3. Mos. 8, 14-24). Diese Stellen werden hinreichen, um die Stellung zu zeigen, welche das Blut in der Einweihung des aaronitischen Priestertums einnimmt. Es ist wahr, der Priester mußte von jedem körperlichen Gebrechen und von jeder zeremo- 116 niellen Verunreinigung gänzlich frei sein (siehe Kap. 21). Er mußte in Betreff seiner Herkunft, wie in seiner Person untadelig sein, ehe er dem Altar des Gottes Israels nahen konnte; aber o h n e B l u t v e r g i e ß u n g konnte er nicht stehen, um vor Gott oder für sein Volk zu dienen. Ohne Blut' konnte der Altar keinen Priester, der Priester keinen Altar und das Volk weder Altar noch Priester haben. Ein blutbesprengtes Ohr war nötig, damit der Priester die göttlichen Mitteilungen entgegen nehmen konnte; eine blutbesprengte Hand war nötig, um den göttlichen Dienst zu verrichten; ein blutbesprengter Fuß war nötig, um in die Vorhöfe des Heiligtums einzutreten, und von einem blutbesprengten Altar allein konnte das reine Rauchwerk zum Throne Gottes aufsteigen. Es war also beides, d a s O p f e r und da s P r i e s t e r - t u m auf Blut gegründet. Das Opfer mußte tadellos sein und ebenso der Priester; aber weder das eine noch der andere waren ohne Blutvergießung von irgend einem Wert. Fast alle Dinge werden nach dem Gesetz mit Blut gereinigt. „Das Buch des Bundes" wurde mit Blut besprengt, ebenso alles Volk (2. Mos. 24). Die Priester wurden durch Blut geweiht. Das Opfer war auf Blut gegründet. Der Altar war durch Blut eingeweiht. Die ganze Haushaltung wurde unter der Kraft des Blutes zusammengehalten. Die göttliche Gegenwart in der Versammlung war durch das Blut gesichert und alle Unreinigkeit wurde durch dasselbe gereinigt. Alle Vorrechte der Haushaltung wurde durch Blut vergossen. Alles war durch das Blut sichergestellt und ohne dasselbe gab es durchaus nichts. Die Menge der Zeugnisse für die betreffende Sache nimmt zu, je mehr wir unsere Untersuchungen im Lichte der Heiligen Schrift fortsetzen. Doch wollen wir hier diesen Gegenstand, das Opfer und das Priestertum betreffend, verlassen und noch näher untersuchen, auf welche Weise der Aussätzige gereinigt wurde (3. Mos. 14). —• Wie wurde dieser von dem Einfluß seiner unreinen, demütigenden Krankheit freigemacht? War es durch ein fleckenloses Leben? Nein, sondern durch einen vollbrachten Tod. Wir lesen Kap. 14, 4: „Und der Priester soll gebieten für den, der sich reinigen läßt, zwei lebendige Vögel zu bringen, die da rein sind, und Zedernholz und Scharlachwolle und Ysop." Reichten die „zwei lebendigen und reinen Vögel" hin, um den Aussätzigen zu reinigen? Nein, sie konnten als solche nicht einen einzigen Flecken wegnehmen. Sie waren zwar „lebendig und rein"; aber dies allein konnte nichts nützen. Es war durchaus notwendig, daß der Priester gebot: „den Vogel zu schlachten in ein irdenes1 Gefäß, über fließendem 117 Wasser. Und soll den lebendigen Vogel nehmen, samt dem Zedernholz, Scharlach und Ysop, und diese samt dem lebendigen Vogel in des Vogels B l u t tunken, der geschlachtet ist über dem fließenden Wasser; und soll besprengen den, der vom Aussatz zu reinigen ist, siebenmal; und ihn also reinigen, und den lebendigen Vogel ins freie Feld fliegen lassen" (V. 4. 6. 7). Hier lernen wir, daß die Reinigung des Aussätzigen auf die Blutvergießung gegründet war. Solange das Blut nicht vergossen war, konnte der Priester den Aussätzigen nicht für r e i n erklären. Die zwei „lebendigen und reinen Vögel" — das „Zedernholz, die Scharlachwolle und Ysop" — würde sich für den armen Aussätzigen als unnütz erwiesen haben, das „irdene Gefäß" — das „fließende Wasser" — kurz alles, wenn nicht das Blut vergossen worden wäre. Mit anderen Worten, unsere Blicke mögen auf dem gesegneten Jesus ruhen, wie er aus dem Schöße des Vaters hernieder kam, wie Er Mensch wurde, wie Er in der Krippe lag — wir mögen den wundervollen Pfad Seiner irdischen Laufbahn verfolgen — wir mögen Ihn durch alle Szenen und Umstände Seines Lebens und Dienstes begleiten, so finden wir doch nicht eher irgend welche Reinigung für uns, bis wir durch den Glauben Sein kostbares, auf dem Kreuze vergossenes Blut erblicken. Dies ist die einfache Lehre des Wortes Dies ist die Lehre, welche der Heilige Geist, sei es in den Vorbildern des Alten Testamentes, oder in den einfachen und bestimmten Tatsachen des Neuen, stets klar vor uns hinstellt. Das vergossene Blut ist die Grundlage von allem, was wir als verlorene Sünder von einem heiligen Gott empfangen. Durch Blut haben wir alles, aber ohne Blut nichts. „Der Priester soll gebieten, den Vogel zu schlachten in ein irden Gefäß, über fließendem Wasser" (V. 5). Hier haben wir ein Vorbild von dem Opfer des Leibes Jesu Christi durch den ewigen Geist . „Er soll den lebendigen Vogel nehmen, samt dem Zedernholz, Scharlach und Ysop und diese samt dem lebendigen Vogel in des Vogels Blut tunken, der geschlachtet ist über dem fließenden Wasser" (V. 6). Dies zeigt uns im Bilde einen auferstandenen Heiland, welcher in den Himmel aufgefahren ist, wo Er an Seiner Person die Zeichen einer vollbrachten Versöhnung trägt. Der lebendige Vogel wurde nicht eher ins Freie gelassen, bis er in das Blut des geschlachteten getunkt war, durch welches Blut der Aussätzige besprengt und gereinigt wurde. 

Also hat der Herr Jesus nicht eher Seinen Platz zur rechten Hand Gottes genommen, bis Er die Reinigung unserer Sünden durch Sich 118 Selbst gemacht hatte (siehe Hebr. 1). Wir könnten kein deutlicheres und schöneres Vorbild eines auferstandenen Christus haben, als uns hier in dieser lehrreichen Verordnung durch die zwei Vögel vorgestellt ist. „Der lebendige Vogel", den man ins freie Feld fliegen ließ, zeigt uns Christum, welcher, nachdem Er alle Banden und Ketten des Todes zersprengt hatte, in die unendlichen Räume der Auferstehung eintritt, um dort in Gemeinschaft mit allen denen, welche Sein kostbares Blut von dem bösen Aussatz der Sünde für immer gereinigt hat, sich zu erfreuen. Jetzt wollen wir noch einen Augenblick bei dem sechzehnten Kapitel des 3. Buch Moses, wo wir die Verordnungen des großen Versöhnungstages finden, verweilen, und damit diese Betrachtung, sowie die Reihenfolge der alttestamentlichen Beweise für unseren Gegenstand schließen. 
Die eigentliche Auslegung eines solchen Kapitels kann natürlich hier nicht erwartet werden. Ich will aus demselben nur einige Punkte hervorheben, welche die Wahrheit, die uns augenblicklich beschäftigt, sehr klar bestätigt. Zu dem Ende wünsche ich nur einige Stellen anzuführen, um die Tragweite der Versöhnung zu bezeichnen. „Auch soll euch das ein ewiges Recht sein: am zehnten Tage des siebenten Mondes sollt ihr eure Seelen demütigen und kein Werk tun, der einheimisch oder auch fremd unter euch ist. Denn an diesem Tage geschieht eure Versöhnung, daß ihr gereinigt werdet; von allen euren Sünden werdet ihr gereinigt vor dem Herrn . . . Und soll also versöhnen das heilige Heiligtum, und die Hütte des Stifts, und den Altar, und die Priester, und alles Volk der Gemeine" (V. 29. 30 und 33). Hier haben wir die wundervolle Tragweite und die Wirkung des Blutes. Das Heiligtum, die Stiftshütte, der Ort der Anbetung und der Anbeter — kurz alles stand unter der Kraft des Blutes. Und warum? Weil „ohne Blutvergießung keine Vergebung ist". „Das Leben des Fleisches ist im Blut, und ich habe es euch zum Altar gegeben, daß eure Seelen damit versöhnt werden. Denn das Blut ist die Versöhnung für die Seele " (Kap. 17, 11). Könnte irgend etwas einfacher und bestimmter sein als dieses? Die ganze Kraft der Versöhnung ist in dem Blute. Es heißt nicht: „Das Blut h i l f t eine Versöhnung machen, oder es ist e i n T e i l der Versöhnung, oder es bildet im Werke der Versöhnung die S c h l u ß s z e n e , oder es muß noch irgend etwas anderes hinzugefügt werden, um das Werk völlig zu machen. Keineswegs, d a s B l u t s t e h t g a n z u n d g a r a l l e i n . Es reinigt das Volk Gottes von a l l e n seinen Sünden, und zwar nicht nur vor den Men- 119 sehen und vor den Engeln, sondern v o r de m H e r r n . 

W i r s i n d a l s o g e r e i n i g t vo n a l l e n u n s e r e n S ü n d e n vo r d e m H e r r n ; wessen bedürfen wir noch mehr? Nichts mehr, ausgenommen, daß die Strahlen der ewigen Herrlichkeit uns völlig umleuchten. Auf der himmlischen Seite des Kreuzes ist nur die Herrlichkeit. Es ist die Macht des Kreuzes, es ist die Wirkung des Blutes Jesu, den nichtswürdigsten Sünder fähig zu machen, in dem völligen Lichte der Herrlichkeit Gottes zu stehen. Wohl kann nicht der geringste Flecken von der Sünde je in die Gegenwar t Gottes eindringen; aber das Kreuz hat die Sünde verdammt und sie für immer beseitigt, damit der Gläubige in der Kraft der göttlichen Gerechtigkeit für immer nahe gebracht sei. Je mehr der Gläubige erleuchtet ist, desto deutlicher vermag er zu sehen, daß „vor dem Herrn" kein einziger Flecken an ihm ist. Herrliche, köstliche, befriedigende und befreiende Wahrheit! O möchten wir doch durch die Gnade des Herrn ihre ganze Kraft verstehen! Wir schließen hier also die Eeihenfolge der alttestamentlichen Beweise. Es sind hinreichende Zeugnisse beigebracht worden, um die Stellung zu zeigen, welche die Lehre von dem Blute in dem Worte einnimmt; und nicht allein das, sondern auch um einzusehen, wie verwerflich es ist, wenn wir mit dem Tode Christi, als dem alleinigen Grunde unserer Versöhnung, unserer Rechtfertigung und unserer Annahme vor Gott, noch irgend etwas vermengen. Wenn das Wort Gottes erklärt, daß „das Blut eine Versöhnung für die Seele ist", dann steht in der Tat jede Hinzufügung in direktem Widerspruch mit dieser Erklärung Gottes; und wir werden dies nicht tun können, ohne unseren Seelen den völligen Wert des Blutes Christi zu rauben. Wo der einfachen Lehre vom Kreuz Eintrag getan wird, da kann in Betreff der Frage der Sünde kein göttlich befestigter Friede sein. Das ist von großer Wichtigkeit. Je mehr aber die Gedanken Gottes unsere Herzen erfüllen, desto mehr werden wir überzeugt sein, daß wir durch den To d nicht allein das L e b e n haben, sondern auch G e r e c h t i g k e i t , F r i e d e n , V e r g e b u n g , H e i l i g k e i t , A n b e t u n g , G e m e i n s c h a f t , P r i e s t e r t u m — ja alles durch den Tod. Möge dies der Heilige Geist unseren Herzen recht tief einprägen! 120

 Die Kraft und der Wert des Namens Jesu 

Es ist sehr erbaulich, wenn man im Neuen Testament die mannigfache Vortrefflichkeit des Namens Jesu betrachtet. Wir wollen hier nur einige Stellen ein wenig näher ins Auge fassen. 1. I n dem N a m e n J e s u is t d i e E r r e t t u n g . „Und es ist in keinem Andern Heil; denn es ist auch kein anderer N a m e unter dem Himmel unter den Menschen gegeben, in welchem wir errettet 'werden müssen" (Apg. 4, 12). Die Seele, die auf den Namen Jesu vertraut, empfängt all die errettende Kraft, die diesem Namen eigen ist. 2. I n d e m N a m e n J e s u is t d a s e w i g e L e b e n . „Diese (Zeichen) aber sind geschrieben, auf daß ihr glaubet, daß Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und daß ihr glaubend d a s L e b e n h a b e t i n s e i n e m N a m e n " (Joh. 20, 31). Die Seele, welche einfach auf den Namen Jesu vertraut, wird ein Teilhaber Seines Lebens, und dieses Leben kann nimmer verloren gehen, weil es e w i g ist. 3. D u r c h d e n N a m e n J e s u is t d i e V e r - g e b u n g d e r S ü n d e . „Diesem geben alle Propheten Zeugnis, daß jeder, der an ihn glaubt, d u r c h s e i n e n N a m e n Vergebung der Sünden empfangen wird" (Apg. 10, 43). Die Seele, welche einfach auf den Namen Jesu vertraut, hat Vergebung, und zwar nach dem Wert dieses Namens, welchen Gott ihm beilegt. Es kommt gar nicht darauf an, was oder wer der ist, der in dem Namen Jesu zu Gott kommt, — er empfängt alles Vertrauen, allen Wert, alle Vortrefflichkeit, welche dieser Name hat, und kann nie m e h r zurückgewiesen werden, als derjenige, in dessen Namen er kommt. Wenn ich mit dem eigenhändig geschriebenen Namen eines reichen und zuverlässigen Mannes zu einer Bank gehe, so trete ich in das ganze Vertrauen ein, welches der Reichtum und der Kredit jenes Mannes geben kann. Es kommt nicht darauf an, wer oder was ich bin; ich komme in seinem Namen. Also ist es mit einem Sünder, welcher in dem Namen Jesu zu Gott kommt. 4. D e r N a m e J e s u i s t d i e K r a f t de s Gebetes . „Und was immer ihr in m e i n e m N a m e n bitten werdet, das werde ich tun, auf daß der Vater im Sohne verherrlicht werde. Wenn ihr etwas in m e i n e m N a m e n bitten wer- 121 det, ich werde es tun" (Joh. 14,13.14). 

Der Gläubige, welcher in dem Namen Jesu kommt, kann nicht m e h r Verweigerung finden, als Jesu Selbst. 5. D e r N a m e J e s u g i b t K r a f t ü b e r d e n S a - t a n u n d ü b e r a l l e A r t d e s Bösen . „Diese Zeichen aber werden denen folgen, welche glauben: In meinem Namen werden sie Teufel austreiben; sie werden mit neuen Zungen reden; sie werden Schlangen aufnehmen, und wenn sie etwas Tödliches trinken, so wird es ihnen nicht schaden; sie werden auf Kranke die Hände legen und sie werden gesund werden" (Mark. 16. 17. 18). (Siehe auch Apg. 3. 6; 16, 18. Jak. 5, 14). Es mag gesagt werden, daß diese Kraft nicht mehr gültig sei. Ich erwidere: Wir betrachten hier die Macht und den Wert des Namens Jesu im Neuen Testament. Dieser Name hat Macht im Himmel, Macht auf der Erde, Macht in der Hölle, Macht über die Engel, Macht über die Menschen und Macht über den Teufel. Laßt uns stets diesen köstlichen, unvergleichlichen, mächtigen, alles beherrschenden Namen im Glauben benutzen! 4. Di e V e r s a m m l u n g G o t t e s , w o si e a u c h s e i n mag , is t in de m N a m e n J e s u v e r s a m m e l t . Denn wo zwei oder drei versammelt sind in m e i n e m N a m e n , da bin ich in ihrer Mitte (Matth. 18, 20). Laßt uns bemerken, daß Er nicht sagt:,, wo zwei oder drei z u s a m - m e n k o m m e n." Die Menschen können auch aus irgend einem anderen Grund oder zu einem anderen Zweck z u - s a m m e n k o m m e n , aber der Heilige Geist kann nur i n d e m N a m e n J e s u versammeln. Die Gemeine Gottes ist nicht eine durch den Willen des Menschen gebildete Versammlung, sondern eine Versammlung, welche durch den Heiligen Geist gebildet ist. 7. De r N a m e J e s u is t d i e K r a f t d e r V e r - s a m m l u n g i n d e r D i s z i p l i n u n d b e i m A u s - s c h l i e ß e n . „ I m N a m e n u n s e r e s H e r r n J e s u C h r i s t i , wenn ihr und mein Geist mit der Macht unseres Herrn Jesu Christi versammelt seid, Solchen dem Satan zu überliefern, zum Verderben des Fleisches, auf daß der Geist am Tage des Herrn Jesu des Heils teilhaftig werde" (1. Kor. 5,4.5). Die ganze Gültigkeit des Namens Jesu wird der Versammlung beigelegt, wenn sie göttlich versammelt ist und göttlich handelt. Der Himmel gibt zu einer solchen Handlung die Bestätigung Seines Namens. 8. D e r N a m e J e s u w i r d d e r G e g e n s t a n d d e r a l l g e m e i n e n u n d e w i g e n H u l d i g u n g sein . „Deswegen hat ihn Gott erhoben und ihm einen N a m e n gegeben, der über jeden Namen ist, auf daß v o r d e m N a m e n J e s u sich jedes Knie der Himmlischen 122 und Irdischen und Unterirdischen beuge" (Phil. 2, 9, 10). Möge doch Gott, der Heilige Geist, die Kraft und den Wert d e s N a m e n s J e s u immer mehr offenbaren, damit wir völliger verstehen lernen, was wir in Ihm haben, und immer fähiger werden, zu jeder Zeit, unter allen Umständen und bei allem Vorhaben Seinen Namen mit heiliger Zuversicht zu benutzen.

 „Freuet euch mit mir!" (Lukas 15) 

Diese lieblichen Worte zeigen uns die große Freude, die der Herr Selbst an unserer Errettung hat, und wir können nicht genug unsere Gedanken darauf richten. Wir vergessen so leicht, daß es Gottes eigene Freude ist, den armen Wanderer an Sein liebevolles Herz zurückkehren zu sehen — eine so große Freude, daß Er sagen kann: „Freuet euch mit m i r " •— „laßt u n s essen und fröhlich sein" — „es ziemte sich aber fröhlich zu sein und sich zu freuen." Er sagt nicht: „Laßt i h n essen und fröhlich sein." Dies war unmöglich. Gott hat Seine eigene Freude an der Errettung. Dies ist die köstliche Wahrheit, welche uns Lukas 15 lehrt. Der Hirte war erfreut, sein Schaf zu finden. Das Weib war erfreut, ihre Drachme zu finden. Der Vater war erfreut, seinen Sohn zu umarmen. Gott ist erfreut, den Verlorenen zurückzubringen; und der Strom der Freude, welcher die Gäste droben erfüllt, wenn ein Sünder bekehrt wird, hat seine tiefe, unerschöpfliche Quelle in dem unveränderlichen Herzen Gottes. „Also, sage ich euch, ist Freude vor den Engeln Gottes über einen Sünder, welcher Buße tut" (Luk. 15, 10). Niemand aber hat solch eine große Freude an der Errettung einer Seele, wie Gott Selbst. Kein Gedanke ist so überwältigend für die Seele und so rührend für das Herz. Nichts vermag dies zu übertreffen. Es gibt eine vollkommene, klare und überzeugende Antwort auf Satans Lüge im Paradies und auf den finsteren Argwohn unserer Herzen. Wer kann diese Worte: „Laßt uns fröhlich sein", genossen von den Lippen und aus dem Herzen des Vaters, vernehmen und dann noch an Seiner vollkommenen Liebe zweifeln? Wie konnte in dem 123 Herzen des verlorenen Sohnes noch ein Schatten von Zweifel übrig bleiben, als er sah, daß niemand im Hause so froh über seine Rückkehr war, wie sein Vater selbst? Gewiß, die Worte: „Laßt uns fröhlich sein", sind mit besonderer Kraft in sein Herz gefallen.

 Solch einen Empfang hatte er nie erwartet. Hereingelassen und zu einem Tagelöhner gemacht zu werden — einen Platz im Hause zu bekommen — das schon würde seine höchste Erwartung überstiegen haben. Wie unübertrefflich köstlich aber, den Vater sagen zu hören: „Laßt uns fröhlich sein!" Wahrlich, dies überstieg alle menschlichen Gedanken. Und doch waren dies die eigenen Worte des Vaters. Er war wirklich mit Freude erfüllt, als er den armen, unwürdigen Verschwender wieder an sein Herz drücken konnte. Der Sohn wußte nicht, warum? aber es war so. Der Vater war ihm um den Hals gefallen und hatte ihn viel geküßt, selbst als er noch in Lumpen war. Er hatte ihn ohne einen einzigen Vorwurf in seine Arme geschlossen. In demselben Augenblick, als er noch über seine Annahme zweifelte, lag er in den Armen seines Vaters. Und um allem die Krone aufzusetzen und um jeden Schatten von Zweifel und Furcht wegzunehmen, hörte er die Worte des Vaters: „Laßt uns essen und fröhlich sein!" Lieber Leser, denke doch ein wenig über dies alles nach; erwäge, daß es Gottes eigene Freude ist, den Schlechtesten der Schlechten zu Sich zurück zu bringen. Ein zu Jesu kommender Sünder erfüllt Gott mit Freude. Wunderbarer Gedanke! Tiefes Geheimnis der Liebe! Ein armer Sünder kann bei Gott Freude hervorrufen! O, wer kann in der Gegenwart einer solchen Gnade noch irgend einem Zweifel oder irgend einer Furcht Raum geben? Der Herr Selbst erfülle das Herz meiner Leser mit vollkommenem Vertrauen und süßem Frieden! 

Die Einheit mit Christo 

Die Sicherheit eines Gläubigen besteht darin, daß er e i n s ist mit Christo, und sein Friede, seine Freude, sein Wandel hängen von der Erkenntnis und Verwirklichung dieser Einheit ab. Freilich erkennen wir diese über alles 124 wichtige Tatsache nur durch den Glauben und verwirklichen sie auch durch denselben; aber Gottes Wort erklärt es für eine T a t s a c h e und auf diesem Worte ruht der Glaube. Der Glaube nimmt einfach das als wahr an, was Gott geredet hat, wie widersinnig es auch dem Verstand, dem Gefühl, der Erfahrung, den Sinnen, den Zweifeln und der Furcht erscheinen mag. Der Glaube gibt auf dies alles kein Gehör; er berücksichtigt weder die Furcht, die Zweifel, die Gefühle, noch erwägt er die Erfahrung, die Sinne oder den Verstand; er hört einfach auf die Stimme Gottes, die in Seinem Wort zu uns redet. Was das Wort sagt — was also Gott Selbst erklärt — das allein nimmt der Glaube an; und Gott erklärt in Seinem Wort, daß der Gläubige mit Christo e i n s ist. Wer dem Herrn anhanget, ist ei n Geist mit Ihm (1. Kor. 6, 17). „Denn durch e i n e n Geist sind wir alle zu e i n e m Leib getauft worden, es seien Juden oder Griechen, es seien Sklaven öder Freie; und sind alle in e i n e n Geist getränkt" (1. Kor. 12, 13). Christus ist voll von Gnade, und selbst der Schuldigste ist Seiner Umarmung willkommen. Ja, so ist es, gepriesen sei Sein Name! Es war also, als Er hier in Niedrigkeit wandelte; und jetzt, nachdem Er erhöhet ist, haben wir die Zuversicht, daß Er „derselbe Herr von allen ist, reich für alle, die Ihn anrufen; denn jeder, der den Namen des Herrn anrufen wird, wird errettet werden" (Röm. 10,12.13). Ja dies alles ist wahr, es ist im Worte Gottes geoffenbart und ist zum Trost und zur Ermutigung einer jeden armen, zweifelnden und zitternden Seele, mag sie im Gefühl ihres Verlorenseins oder ihrer Ungewißheit zu Gott nahen, geschrieben.

 „Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen." Mit dieser Versicherung wendet Er Sich an einen jeden. Dies alles ist eine köstliche Ermutigung für den Schwächsten, Elendesten und Verzagtesten, um auf Christum zu schauen, um zu Ihm zu kommen und an Ihn sich anzuklammern. Aber das Wort Gottes gibt uns auch ferner Sein Urteil über jene, welche also schauen, oder kommen und sich anklammern. Es sagt uns, in welchem Lichte Er auf solche herniederschaut — wofür Er sie hält oder als was Er sie betrachtet. „Dem aber, der nicht wirkt, aber an de n glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet. Gleichwie auch David von der Glückseligkeit des Menschen spricht, welchem Gott Gerechtigkeit ohne Werke zurechnet" (Röm. 4, 5. 6). Es ist aber nicht allein um seinetwillen (Abrahams willen) geschrieben, daß es ihm zugerechnet wurde, sondern auch um unsertwillen, welchen es zugerechnet werden soll, die wir an Den glauben, der Jesum, unseren Herrn, von den Toten 125 auf erweckt hat; welcher unserer Übertretungen wegen dahingegeben, und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt ist (V. 23 - 25). Dies aber ist nicht alles. Das Wort Gottes belehrt uns, daß selbst der geringste Gläubige, der sich sehr schwach und mit Zittern an Christum anklammert, e i n s m i t d e m C h r i s t u s i s t , a n w e l c h e n e r s i c h a n k l a m m e r t . Ein solcher gibt zu verstehen, daß der Glaube, durch welchen er sich also anklammert, der erste Pulsschlag des Lebens Christi in seiner Seele ist. Dies zeigt uns die überschwengliche Größe der Kraft Gottes gegen die, welche glauben, „nach der Wirkung der Kraft seiner Stärke, welche er in dem Christus gewirkt hat, da er ihn aus den Toten auferweckte" (Eph. 1,19.20). Es zeigt uns, wie „Gott, weil er reich an Barmherzigkeit ist, wegen seiner vielen Liebe, womit er uns geliebt hat, als auch wir in den Vergehungen tot waren, uns mit dem Christus lebendig gemacht hat, — durch die Gnade seid ihr errettet; — und hat uns mitauferweckt und mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern, in Christo Jesu" (Eph. 2, 4-6). Es spricht zu den Gläubigen, als „mit ihm begraben in der Taufe; in welcher ihr auch mit auferweckt worden seid durch den Glauben an die wirksame Kraft Gottes, der ihn aus den Toten auferweckt hat" (Kol. 2, 12). „Auch euch", sagt er, „als ihr in den Vergehungen und in der Vorhaut eures Fleisches tot wäret, euch hat er mit lebendig gemacht, mit ihm, und hat euch alle Vergehungen vergeben" (Kol. 2, 13). Laßt uns wohl beachten, daß es durch Glauben an die Wirkung Gottes ist, daß wir mit Christo auferstanden sind. Das Leben, welches wir besitzen, ist ein Leben, welches wir in Gemeinschaft mit Christo besitzen — auferstanden mit Ihm. Gott hat Ihn von dem Tode auferweckt, und der Glaube, durch welchen wir uns an Ihn anklammern, ist ein Glaube an die Wirkung Gottes, und durch diesen Glauben sind wir mit Christo auferstanden. 

Er starb für die Sünden — für unsere Sünden; wir waren tot in Sünden. Gott hat Ihn auferweckt, und hat uns, die wir diesen Glauben an Seine Wirkung haben, mit lebendig gemacht. Das Leben also, welches wir besitzen, besitzen wir mit Christo — in Gemeinschaft mit Ihm. Wie gesegnet ist die Stellung, in welche wir gesetzt sind! Wir sind e i n s mit Christo, Teilhaber ein und desselben Lebens mit Ihm. Er ist unser Leben, wie gesagt ist: „Wenn der Christus, unser Leben, geoffenbart sein wird usw.". Wie vollkommen ist unsere Annahme, wie vollkommen unsere Sicherheit! Wir sind „in Christo". Wie die Hand oder der Fuß dem Körper einverleibt ist, ebenso ist der Gläubige C h r i s t o einverleibt; und also sind wir Erben 126 aller Seiner Segnungen. „So ist denn nun keine Verdammnis für die, welche i n C h r i s t o J e s u sind." „Aus ihm aber seid ihr i n C h r i s t o J e s u , der uns Weisheit von Gott, und Gerechtigkeit, und Heiligkeit und Erlösung geworden ist" (1. Kor. 1, 30). „I n i h m sind wir die Gerechtigkeit Gottes geworden." „Wir sind begnadigt i n de m G e l i e b t e n . " Gott hat uns „mitsitzen lassen i n d e n h i m m l i s c h e n Ö r t e r n i n C h r i s t o J e s u." Kann irgend eine Beschuldigung gegen I h n sein? Unmöglich; und darum auch nicht gegen den Gläubigen, welcher e i n s mit Ihm ist. Dies ist die Natur und die Vollkommenheit der Rechtfertigung, der Stellung und der Annahme des Gläubigen vor Gott. Der Glaube, durch welchen er als ein armer Sünder Christum umklammert, ist selbst der erste Atem oder Pulsschlag eines neuen Lebens, welches in der Tat das Leben Christi ist — eines Lebens, welches er jetzt in Gemeinschaft mit Christo besitzt. Und wie können nun noch die Sünden, welche alle auf Christum gelegt sind, ihm zur Last fallen? Das Gedächtnis mag sie zurückrufen, Satan mag ihn dadurch zu erschrecken suchen, daß er sie der Reihe nach vor ihn hinstellt; aber die Frage ist nicht, ob sie uns, sondern ob sie Christo zur Last gelegt werden können. Wir wissen aber, daß Er sie schon alle durch Sein eigenes Blut am Kreuze getilgt hat und der Gläubige ist in Betreff seines Lebens ein Teil von Christo. Er ist dies dadurch geworden, daß Christus alle seine Sünden am Kreuze weggenommen hat— „ l e b e n d i g g e m a c h t m i t i h m , h a t e r e u c h a l l e V e r g e h u n g e n v e r g e b e n." Wenn Christus meine Sünden nicht hinweggenommen hätte, dann könnte ich nicht zu einem Genossen Seines Lebens gemacht worden sein. Wenn ich ein Gläubiger bin, so habe ich Teil an Seinem Leben, und ich bin versichert, daß alle meine Sünden hinweggenommen, daß alle meine Übertretungen vergeben sind. Können sie Christum nicht mehr zur Last gelegt werden, dann können sie es auch mir nicht; denn als Gläubiger bin ich ein Teil von Christo, so wie das Auge oder das Ohr des Menschen ein Teil des Menschen ist. Ein und dasselbe Leben beseelt das Auge, das Ohr, die Hand und alle anderen Glieder des Menschen, und ein und dasselbe Leben beseelt Christum und den Gläubigen. Gepriesen sei Gott für solch eine Feststellung dieser ganzen Frage! 127 

Der Jünger des Herrn zur bösen Zeit (Daniel 1—3) 

Die drei ersten Kapitel des Propheten Daniel geben uns eine sehr geeignete und wichtige Aufgabe für die jetzige Zeit, in welcher der Jünger in großer Gefahr steht, den umgebenden Einflüssen nachzugeben, und um dem bestehenden Zustand der Dinge zu entsprechen, sein Zeugnis und seine Stellung zu erniedrigen. Bei Eröffnung des ersten Kapitels finden wir ein sehr entmutigendes Bild von dem Zustand der Dinge in Betreff des sichtbaren Zeugnisses Gottes auf der Erde. „Im dritten Jahre des Reiches Jojakims, des Königs von Juda, kam Nebukadnezar, der König zu Babel, vor Jerusalem und belagerte es. Und der Herr übergab ihm Jojakim, den König von Juda, und etliche Gefäße aus dem Hause Gottes; die ließ er ins Land Sinear führen, in seines Gottes Haus, und tat die Gefäße in seines Gottes Schatzkasten" (Kap. 1,1. 2). —
 Hier also haben wir einen Anblick der Dinge, welche, natürlich betrachtet, geeignet sind, das Herz zu entmutigen, den Geist niederzuschlagen und die Kräfte zu lähmen. Jerusalem in Ruin —• der Tempel niedergerissen — die Gefäße des Herrn im Hause eines falschen Gottes — und Juda in die Gefangenschaft geführt — gewiß, das Herz möchte sich geneigt fühlen, zu sagen: „Es ist ganz umsonst, zu versuchen, die wahre Stellung eines Jüngers und die persönliche Ergebenheit länger aufrecht zu erhalten. Der Geist muß ermatten, das Herz sehwach werden und die Hände müssen hinabsinken, wenn d a s der Zustand des Volkes Gottes ist." — Ja, man sollte es für die traurigste Vermessenheit halten, wenn einer der Söhne Juda's in einer solchen Zeit daran denken will, den wahren Stand eines Nasiräers (eines Abgesonderten oder Geweihten) einzunehmen. So würde das Vernünfteln der Natur sein; aber nicht ist so die Sprache des Glaubens, — Gott sei gepriesen! — Es ist immer ein weiter Kreis vorhanden, worin der Geist der wahren Ergebenheit sich entwickeln und auch immer ein Weg, auf welchem der treue Jünger des Herrn fortschreiten kann, wenn er auch einsam auf demselben wandeln müßte. Auf den äußeren Zustand der Dinge kommt es nicht an.

 Es ist das Vorrecht des Glaubens, ebenso viel an Gott zu hangen, 128 sich ebenso viel von Christo zu ernähren, und ebenso viel von der Himmelsluft einzuatmen, als wenn alles in der vollkommensten Ordnung wäre. Dies ist für das gläubige Herz eine unaussprechliche Gnade. Jeder, welcher in Ergebenheit zu wandeln wünscht, kann immer einen Pfad finden, um es zu tun; so wie es jemandem auch im Gegenteil nicht schwer werden wird, in den äußeren Umständen eine Entschuldigung für das Nachlassen seiner Energie zu finden; allein ein solcher würde auch dann nicht mit Kraft wandeln, wenn er in den günstigsten Umständen wäre. Wenn es je eine Zeit gab, in der man für den Mangel seiner Entschiedenheit eine Entschuldigung finden konnte, so war es die Zeit der babylonischen Gefangenschaft. Das ganze Gebäude des Judentums war niedergerissen — die königliche Macht war aus der Hand des Nachfolgers Davids in die Hand Nebukadnezars übergegangen — die Herrlichkeit war von Jerusalem entwichen — mit einem Wort, alles schien verdorrt und vernichtet zu sein, und den verbannten Kindern Juda's blieb nichts anderes übrig, als ihre Harfen an die Weiden zu hängen und an den Wassern Babylons zu sitzen und dort über die verschwundene Herrlichkeit, über das verblichene Licht und über die hinabgesunkene Größe zu weinen. Dies würde der Gedanke und das Gefühl der Natur sein; aber, Gott sei gepriesen! wenn alles zur niedrigsten Stufe hinabgesunken zu sein scheint, dann steigt der Glaube im heiligen Triumph empor. Und der Glaube ist, wie wir wissen, der einzig wahre Grund, worauf der treue Jünger des Herrn sich bewegt. Er sucht es nicht bei den Menschen noch bei den Dingen um ihn her; er findet „alle seine Quellen in Gott." Daher scheint auch der Glaube nie so glänzend, wie wenn alles umher finster ist. Wenn der Horizont der Natur mit den schwärzesten Wolken überzogen ist, dann sonnt sich der Glaube im Scheine der göttlichen Gunst und Treue. Dies sehen wir bei Daniel und seinen Gefährten, welche durch Glauben die großen und besonderen Schwierigkeiten ihrer Zeit überwanden. Ihr Urteil war, daß auch in Babylon nichts sie verhindern könnte, in wahrer Absonderung als Jünger des Herrn zu wandeln, wie sie es auch in Jerusalem getan hatten. Und sie urteilten recht; ihre Überzeugung war die eines reinen und festgegründeten Glaubens. Es war dieselbe Überzeugung, wonach auch Barack, Gideon, Jephta, Simson usw. handelten. Es war die Überzeugung, welche Jonathan äußerte, als er sagte: „Es ist dem Herrn nicht schwer, durch viel oder wenig zu helfen" (1. Sam. 66 129 14, 6). Es war die Überzeugung Davids, im Tale Elah, als er die arme zitternde Heerschar Israels, „den Zeugen des lebendigen Gottes" nannte (1. Sam. 17,45). Es war die Überzeugung des Elias auf dem Berge zu Carmel, als er mit „zwölf Steinen, nach der Zahl der Stämme der Kinder Jakobs, einen Altar baute" (1. Kön. 18, 31). Es war die Überzeugung Daniels selbst, als er im weiteren Fortgang seiner Geschichte seine Fenster öffnete und gegen Jerusalem anbetete (Dan. 6, 10). Es war die Überzeugung des Paulus, als er angesichts der überströmenden Flut des Abfalls und des Verderbens, welches hereinzubrechen drohte, seinen Sohn Timotheus ermahnte, „das Bild gesunder Worte festzuhalten" (Tim. 1,13). Es war die Überzeugung des Petrus, als er, im Blick auf die Auflösung des ganzen Gebäudes der Schöpfung, die Gläubigen ermutigte, „sich zu befleißigen, ohne Flecken und tadellos von ihm im Frieden erfunden zu werden" (2. Petr. 3, 14). Es war die Überzeugung des Johannes, als er unter dem wirklichen Verfall der Versammlung seinen vielgeliebten Gajus ermahnt, „nicht das Böse, sondern das Gute nachzuahmen" (3. Joh. 11). Und es war die Überzeugung des Apostels Judas, als er, in der Gegenwart der schrecklichten Bosheit, einen geliebten Überrest ermahnt, „sich auf ihren allerheiligsten Glauben zu erbauen, betend in dem Heiligen Geiste, sich in der Liebe Gottes zu erhalten, erwartend das Erbarmen unseres Herrn Jesu Christi zum ewigen Leben" (Judas 20,21). Mit einem Wort, es war die Überzeugung des Heiligen Geistes, und darum war es die Überzeugung des Glaubens. Alles gibt der Entscheidung Daniels, wie wir es im ersten Kapitel dieses Buches ausgedrückt finden, einen unermeßlichen Wert und ein besonderes Interesse. „Aber Daniel nahm sich in seinem Herzen vor, daß er sich mit des Königs Speise und mit dem Wein, den er selbst trank, nicht verunreinigen wollte, und tat dem obersten Kämmerer kund, daß er sich nicht verunreinigen müßte" (V. 8). Er hätte sich auch ganz natürlich sagen können: „Es nützt nichts, daß ein armer, schwacher Gefangener einen Platz der Absonderung aufrecht zu erhalten sucht. Alles ist. zerstört.

 Und es ist unmöglich, unter solch einer hoffnungslosen Zerstörung und Erniedrigung den wahren Geist eines Nasiräers zu behaupten; es ist besser, daß ich mich in die Lage der Dinge um mich her schicke. Aber nein, Daniel stand auf dem Grunde des Glaubens. Er wußte, daß es sein Vorrecht war, in dem Palaste Nebukadnezars Gott ebenso nahe zu sein wie innerhalb der Tore Jerusalems; — er wußte, daß, was auch der äußere Zustand des Volkes Gottes sein mochte, dem einzelnen Heiligen den- Z30 noch der Pfad der Reinheit und Ergebenheit geöffnet war, welchen er unabhängig von allen Dingen verfolgen konnte. Und dürfen wir nicht sagen, daß die Absonderung für den Herrn in Babel ebenso starke Reize und Anziehungspunkte hatte, wie in Kanaan? O gewiß, es ist unaussprechlich schön und lieblich, in Babylon einen Gefangenen zu sehen, der, in völliger Verleugnung seiner selbst, die erhabene Stellung der Absonderung erwählt und darin wandelt. Daniel gibt jedem Zeitalter eine lehrreiche Aufgabe; er stellt dem Auge der Gläubigen aller Zeiten ein sehr ermutigendes und ermunterndes Beispiel dar; er beweist, daß ein ergebenes Herz, selbst unter den dunkelsten Schatten, sich eines Pfades des wolkenlosen Sonnenscheines erfreuen kann. Aber woher kommt dies? Weil „ J e s u s C h r i s t u s g e s t e r n u n d h e u t e u n d i n di e Z e i t a l t e r der - s e l b e i s t " (Hebr. 13). Haushaltungen wechseln und vergehen — kirchliche Einsetzungen zerbröckeln und fallen dahin — menschliche Systeme wanken und verschwinden, aber „der Name Jehovas währt ewiglich und sein Gedächtnis für und für." Auf dieser heiligen Höhe stellt der Glaube seinen Fuß. Er erhebt sich über alle Wechsel und erfreut sich, in süßer Unterhaltung mit der unveränderlichen Quelle, alles währen Guten. Und daher kam es auch, daß der Glaube in den Tagen der Richter herrlichere Triumphe feierte, als je in den Tagen Josuas geschehen war, daß der Altar des Elias auf dem Berge Carmel mit einem ebenso hellen Glänze umgeben war, wie der Altar Salomons. Dies ist wirklich ermutigend. Das arme Herz ist so geneigt, auf das Fehlen und die Untreue der Menschen, anstatt auf die unfehlbare Treue Gottes hinzuschauen; und die Folge davon ist, daß es sich selbst schwächt und mutlos macht.

 „Der feste Grund Gottes stehet, und hat dieses Siegel: Der Herr kennet die, welche sein sind, und: Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit" (2. Tim. 2, 19. 20). Was kann jemals diese bleibende Wahrheit berühren? Nichts. Und darum kann auch nichts den Glauben, welcher sie ergreift, oder die praktische Ergebenheit, welche auf dem Grunde dieses Glaubens ruht, berühren. Laßt uns jetzt auch auf die herrlichen Resultate der Ergebenheit und der Absonderung Daniels schauen. In den drei ersten Kapiteln bemerken wir drei verschiedene Dinge, welche auf die von Daniel und seinen Gefährten angenommene Stellung in Betreff „der Speise des Königs" folgen. 1. Sie wurden in das Geheimnis „de s T r a u m e s N e b u - k a d n e z a r s " eingeweiht; 2. sie widerstanden den Verführungen „ d e s B i l d e s d e s K ö n i g s " und 3. wurden 131 sie unversehrt durch „ d e n f e u r i g e n Ofe n de s K ö - n i g s " geführt. 1. „Das Geheimnis des Herrn ist unter denen, die ihn fürchten" (Ps. 25, 14). Dies wird in dem uns vorliegenden Falle als Beispiel so deutlich gezeigt. „Die Sternsaher und Weisen und Zauberer und Chaldäer", welche die Atmosphäre der königlichen Gegenwart atmeten, waren in Bezug auf den königlichen Traum alle in Dunkelheit. „Es ist kein Mensch auf Erden", bekennen sie, „der sagen könne, was der König fordert." — Sehr wahr; aber es gab einen Gott im Himmel, der es alles wußte, und welcher es auch denjenigen bekanntmachen konnte, welche Glauben, Ergebenheit und Selbstverleugnung genug besaßen, um sich von der Verderbnis in Babel abzusondern, obgleich sie in die babylonische Gefangenschaft verwickelt waren. Alle die Verwirrungen, die Labyrinthe und die Rätsel der menschlichen Geschicke sind Gott nicht verborgen, und Er kann sie denen aufschließen, welche mit Ihm in Seiner heiligen Gegenwart wandeln, und Er tut es auch. Die Geweihten Gottes haben eine größere Einsicht in die menschlichen Angelegenheiten als die tiefsten Philosophen der Welt. Und woher kommt dies? Wie können sie die Geheimnisse der Welt so leicht enträtseln? Weil sie ü b e r dem Übel der Welt sind. Sie sind von den Befleckungen der Welt entfernt; sie sind auf dem Platze der Absonderung, der Abhängigkeit und der Gemeinschaft. „Und Daniel ging heim und zeigte solches an seinen Gesellen, Hananja, Misael und Asaria, daß sie Gott im Himmel um Gnade bäten, solches verborgenen Dinges halber" (Kap. 2.17.18). Hier haben wir ihren Platz der Kraft und der Einsicht. — Sie hatten nur gen Himmel aufzuschauen, um mit einem klaren Verständnis über alle Schicksale der Erde ausgerüstet zu werden. Wie wahr und einfach ist dies alles! „Gott ist Licht und in ihm ist keine Finsternis.

 Wenn wir Licht nötig haben, können wir es nur in Seiner Gegenwart finden; und nur dann, wenn wir den Platz der Absonderung von all den moralischen Befleckungen der Erde praktisch einnehmen, sind wir fähig, die Kraft Seiner Gegenwart kennen zu lernen. Laßt uns jetzt ein weiteres Resultat der heiligen Absonderung Daniels betrachten. „Da fiel der König Nebukadnezar auf sein Angesicht und betete an vor dem Daniel und befahl, man sollte ihm Speisopfer und Rauchopfer tun." — Hier sehen wir den stolzesten und gewaltigsten Monarchen auf der Erde zu den Füßen eines gefangenen Verbannten. Herrliche Frucht der Treue! Köstliche Bestätigung der Wahrheit, daß Gott den Glauben, welcher sich in irgend 132 einem Maße zu der Höhe Seiner Gedanken emporschwingen kann, immer ehren wird! Er kann und wird den Wechsel, den das Vertrauen auf Seine unerschöpfliche Schatzkammer ausstellt, nicht zurückweisen. Bei dieser bemerkenswerten Gelegenheit verwirklichte Daniel in seiner Person so völlig, wie es nie vorher geschehen war, die Verheißung Gottes in Betreff Seines Volkes von Alters her, „ .. . daß alle Völker auf Erden sehen werden, daß du nach dem Namen des Herrn genannt bist, und sie werden sich vor dir fürchten. Und der Herr wird dich zum Haupt machen und nicht zum Schwanz, und du wirst oben schweben und nicht unten liegen" (5. Mos. 28, 10 -13). Gewiß war Daniel in dieser Szene „das Haupt", und Nebukadnezar „der Schwanz". Ebenso ist auch das Verhalten dieses Gott geweihten Mannes in der Gegenwart des gottlosen Belsazars sehr beachtenswert (siehe Dan. 5, 17 - 19). Haben wir hier nicht ein ebenso schönes Zeugnis der vorher bestimmten Hoheit des Samens Abrahams, wie wenn wir die siegenden Anführer Josuas „mit Füßen auf die Hälse der Könige Kanaans treten" sehen (Jos. 10, 24), oder wenn alle Welt begehrte, Salomon zu sehen, auf daß sie die Weisheit hörten, welche ihm Gott in sein Herz gegeben hatte?" (1. Kön. 10, 24). Sicher; und in einem gewissen Sinne ist es sogar noch ein herrlicheres Zeugnis. Eine solche Szene konnte in der Geschichte Josuas oder Salomons noch wohl erwartet werden; aber den stolzen König Babylons vor einem seiner Gefangenen niederfallen zu sehen, ist etwas, was alle Vorstellungen des menschlichen Geistes weit übertrifft.

 Der schlagendste Beweis von der Macht des Glaubens ist, über alle Arten von Schwierigkeiten zu triumphieren und die außergewöhnlichsten Resultate hervorzubringen. Der Glaube ist immer derselbe mächtige Grundsatz — ob er in den Ebenen Palästinas, auf der Spitze Carmels, an den Flüssen Babylons oder unter den Trümmern der bekennenden Kirche handelt. Keine Fesseln vermögen ihn zu binden, keine Schwierigkeiten ihn zu hindern, kein Druck ihn zu dämpfen und kein Wechsel ihn zu berühren. Er erhebt sich immer zu dem ihm angemessenen Gegenstand, und dieser Gegenstand ist Gott Selbst, und Seine ewige Offenbarung.

 Die Haushaltungen mögen sich ändern und der Zeitlauf auf seiner Bahn dahinschreiten. — die Räder der Zeit mögen fortrollen und die süßesten Hoffnungen des armen menschlichen Herzens unter ihrem schweren Gewicht zertrümmern; aber der Glaube steht da — diese unsterbliche, göttliche, ewige Wirklichkeit — und trinkt aus dem Brunnen der reinen Wahrheit und findet alle seine 133 Quellen in Ihm, welcher „der Weg, die Wahrheit und das Leben" ist. In diesem „köstlichen Glauben" handelt Daniel während er als ein armer Gefangener in Babylon weilte. Wohl konnte er nicht länger hingehen zu dem schönen und heiligen Hause, in welchem seine Väter- anbeteten. Der rauhe Fuß eines fremden Feindes hatte die heilige Stadt zertreten. Das Feuer brannte nicht mehr auf dem Altar des Gottes Israels; der goldene Leuchter mit den sieben Lampen erleuchtete nicht mehr den heiligen Ort; aber in Daniels Herzen war der Glaube; und dieser Glaube erhob ihn über jeden ihn umgebenden Einfluß und befähigte ihn, sich alle die Verheißungen Gottes, welche in Jesu Christi Ja und Amen sind, zuzueignen und in Kraft derselben zu handeln. Der Glaube wird durch den zertrümmerten Tempel, durch die verfallenen Städte, durch die erloschenen Lichter und durch die entschwundene Herrlichkeit nicht erschüttert. Warum nicht? Weil Gott nicht dadurch erschüttert wird. Gott kann zu jeder Zeit gefunden werden, und der Glaube ist zu jeder Zeit gewiß, Ihn zu finden. 2. Kapitel 3. Derselbe Glaube aber, welcher diese heiligen Männer von Alters her befähigte, die feine Speise des Königs zu verweigern, befähigte sie auch, das Bild des Königs, welches angebetet werden sollte, zu verachten. Sie hatten sich von der Befleckung abgesondert, damit sie fähig wären, sich einer innigen Gemeinschaft mit dem wahren Gott zu erfreuen; und sie konnten sich auch deshalb vor dem goldenen Bild nicht niederbeugen, wenn es auch noch so hoch war. Sie wußten, daß Gott kein Bild, sondern eine Wirklichkeit war. Sie konnten nur Ihm Anbetung darbringen, weil Er der alleinige, würdige Gegenstand derselben war.

Es kümmerte sie auch nicht, daß die ganze Welt wider sie war, — sie hatten nur für Gott zu leben und zu handeln. — Es könnte scheinen, als ob sie hätten besser sein wollen, als ihre Nächsten, als ob es Anmaßung gewesen sei, gegen den gewaltigen Strom der öffentlichen Meinung anzuschwimmen. Einige mögen sich auch veranlaßt fühlen, zu fragen, ob nur ihnen die Wahrheit bekannt gewesen sei? Waren denn die „Fürsten, Herren, Landpfleger, Richter, Vögte, Räte, Amtleute und alle die Gewaltigen im Lande" in Dunkelheit und Irrtum versunken? Könnte es möglich sein, daß so viele Leute vom Rang, mit Verstand und Weisheit begabt, Unrecht, und nur wenige Fremde von der Gefangenschaft Recht hatten? Mit solchen Fragen befaßten sich aber unsere Nasiräer nicht. Ihr Weg war geradeaus. Sollten sie sich vor einem Bilde niederbeugen und es anbeten, nur um den Schein zu 134 vermeiden, andere zu richten? Gewiß nicht. Und dennoch, wie oft werden diejenigen, welche wünschen, allezeit von Gott ein Gewissen ohne Anstoß zu haben, verurteilt, daß sie sich selbst erheben und andere richten! Unzweifelhaft wurde Luther von vielen verurteilt, weil er gegen die Doktoren, Kardinäle und selbst gegen den Papst auftrat. Sollte er nun, um diese Verurteilung zu vermeiden, nicht besser getan haben, im Irrtum zu leben und zu sterben? Wer wollte das behaupten? „Aber", werden einige erwidern, „Luther hatte es auch mit handgreiflichem Irrtum zu tun". Das wußte Luther auch; aber Tausende von gelehrten und berühmten Männern dachten anders. Ebenso war es auch mit Sadrach, Mesach und Abed-Nego. Sie wußten, daß sie es mit wirklichem Götzendienst zu tun hatten, aber die ganze Welt dachte anders. Was nun? „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen." Mögen andere tun, was sie wollen, „ich aber und mein Haus wollen dem Herrn dienen." Wenn wir im Irrtum blieben und das, •was wir als Unrecht erkannten, fortfahren zu tun, bloß um den Schein zu vermeiden, andere zu richten, wo würden wir uns befinden? Deshalb, meine geliebten Brüder, laßt uns den sicheren, aufwärts und vorwärts gerichteten Pfad, welcher einem wahren und ergebenen Jünger geziemt, zu wandeln suchen. Ob wir andere dadurch richten oder nicht, darf uns nicht kümmern. — „ H ö r e auf, B ö s e s z u tun. " Dies ist das erste, was der Jünger des Herrn zu tun hat. Sobald er diesem goldenen Gebot gehorcht, kann er erwarten, zu „ 1 e rn e n , G u t e s z u tun. " „Wenn dein Auge einfältig ist, so wird auch dein ganzer Leib licht sein.

" Wenn Gott spricht, so darf ich nicht umherschauen, um zu sehen, wie mein Gehorsam gegen Seine Stimme meinen Nächsten berühren wird, oder überlegen, was die Leute von mir denken werden. — Als die Stimme des auferstandenen und verherrlichten Jesus in das Ohr des niedergeworfenen Saulus von Tarsus drang, da fing er nicht an zu überlegen, was wohl die Hohenpriester und Pharisäer von ihm denken würden, wenn er gehorchte. Gewiß nicht. Er sagt selbst: „Alsbald ging ich nicht mit Fleisch und Blut zu Rate" (Gal. 1, 16). „Und daher König Agrippa, ward ich dem himmlischen Gesicht nicht ungehorsam" (Apg. 26, 19). Das ist der wahre Geist und Grundsatz in einem treuen Jünger. „Gebt dem Herrn, eurem Gott, die Ehre, ehe denn es finster wird, und ehe eure Füße sich an den dunklen Bergen stoßen" Nichts kann gefährlicher sein, als zu zögern, wenn das göttliche Licht auf unserem Pfade scheint. Wenn wir nicht 135 nach dem Lichte wandeln, während wir es haben, so werden wir gewiß in tiefe Dunkelheit versinken. 3. Unsere Nasiräer nun, da sie sich weigerten, vor dem Bilde des Königs niederzufallen, mußten dem Zorn und dem feurigen Ofen des Königs begegnen. — Auf alles dies aber wurden sie durch die Gnade Gottes vorbereitet. Ihr Nasiräerstand war eine Wirklichkeit. Zur Aufrechterhaltung der wahren Anbetung des Gottes Israels waren sie bereit, den Verlust aller Dinge, ja selbst ihres eigenen Lebens zu erdulden. Sie dienten Gott und beteten Ihn an, — nicht unter dem friedlichen Weinstock und Feigenbaum im Lande Kanaan, sondern auch selbst im Angesicht eines „brennenden, feurigen Ofens". Sie erkannten Jehova nicht nur inmitten einer Versammlung von wahren Anbetern, sondern auch in Gegenwart einer entgegenstehenden Welt. Sie behaupteten und bezeugten einen wahren Jüngerstand in der bösen Zeit. Sie liebten den Herrn, und um Seinetwillen enthielten sie sich des Luxus des Königs, widerstanden seinem Zorn und erduldeten seinen feurigen Ofen. „Da fingen an Sadrach, Mesach und Abed-Nego und sprachen zum König Nebukadnezar: Es ist nicht nötig, daß wir dir darauf antworten; siehe! unser Gott, den wir ehren, kann uns wohl aus dem glühenden Ofen, dazu auch von deiner Hand erretten. Und wo er es nicht tun will, so sollst du dennoch wissen, daß wir deine Götter nicht ehren, noch das goldene Bild, das du hast setzen lassen, anbeten wollen" (V. 16 - 18). Dies war die Sprache der Männer, die wußten, w e s s e n sie waren und w o sie .waren — Männer, welche die Kosten ruhig und bedachtsam berechnet hatten — Männer, denen der Herr a l l e s und die Welt n i c h t s war. Alles, was die Welt darbieten konnte, das eigene Leben selbst stand auf dem Spiele; aber was war das für sie? „Sie hielten standhaft aus, als sähen sie den Unsichtbaren." — Die ewige Herrlichkeit lag vor ihnen; und sie waren ganz bereit zu dieser Herrlichkeit, selbst auf einem feurigen Pfade, hinzugehen.

 Gott kann Seine Diener auf einem feurigen Wagen oder durch einen feurigen Ofen gen Himmel führen, wie es Ihm gefällt; doch wie auch immer die A r t de s W e g e s dahin sein mag — es ist gut, dahin zu kommen. Aber konnte nicht der Herr Seine geliebten Diener bewahren, daß sie nicht in den glühenden Ofen gestürzt wurden? Ohne Zweifel; dies würde Ihm ganz leicht möglich gewesen sein. Dennoch tat Er es nicht; es war Sein Wille, daß der Glaube Seiner Diener bewährt werde — daß er im Feuer erprobt, daß er durch den heißesten Schmelztiegel gehe, damit er „zu Lob und Ehre und Herrlichkeit erfunden 136 werde." Wirft der Goldschmied darum einen Klumpen Gold in den Schmelzofen, weil er keinen Wert für ihn hat? O nein, sondern gerade deshalb, weil er es hat. Seine Absicht ist nicht nur, die Schlacken zu entfernen, sondern auch das Metall glänzend und lauter zu machen. 
Es ist ganz augenscheinlich, daß es, wenn der Herr durch eine Handlung der M a c h t Seine Diener vor dem Feuerofen bewahrt haben würde, weniger Herrlichkeit für Ihn und folglich auch weniger Segen für sie gewesen wäre. Es war viel besser, Seine Gegenwart und Sein Mitgefühl i n dem Feuerofen zu haben, als Seine Macht, um davor zu bewahren. Welch . eine große Herrlichkeit war es für Ihn, und welch ein unaussprechliches Vorrecht für sie! Der Herr kam hernieder und wandelte m i t Seinen Nasiräern in dem Feuerofen, in welchen ihre Glaubenstreue sie gebracht hatte. Sie hatten m i t G o t t in dem Palaste des Königs gewandelt, und Gott wandelte m i t i h n e n in dem Feuerofen des Königs. Dies war der erhabenste Augenblick in der ganzen Laufbahn des Sadrach, Mesach und Abed- Negp. Wie wenig dachte der König daran, in welch eine erhabene Stellung er die Gegenstände seines Zornes und seiner Wut brachte! Alle Augen wandten sich von dem großen goldenen Bilde, um mit Erstaunen die drei Gefangenen zu betrachten. Was konnte das bedeuten? „Drei Männer g e b u n d e n " — „vier Männer los"! Konnte dies Wirklichkeit sein? War wirklich Feuer in dem Ofen? Ach! „die besten Kriegsleute, die in des Königs Heer waren" hatten erfahren, daß wirklich Feuer darin war, denn „die Feuerflamme hatte sie getötet." Und wäre das Bild Nebukadnezars hineingeworfen worden, so würde es sicher auch seine Wirklichkeit erfahren haben. Hier fand der Zweifler und der Ungläubige keinen Raum mehr. 

Es war ein wirklicher Feuerofen und eine wirkliche Flamme, und die „drei Männer wurden in ihren Mänteln, Schuhen, Hüten und anderen Kleidern gebunden und hineingeworfen." Alles war Wirklichkeit. Aber es gab noch eine tiefere Wirklichkeit. G o t t w a r da , und dies veränderte alles; es veränderte des Königs Wort — es verwandelte den feurigen Ofen in einen Ort hoher und heiliger Gemeinschaft — es machte die Sklaven Nebukadnezars zu Befreiten Gottes. Gott war da! Er war da in Seiner Macht, um den Stempel der Verachtung auf alle Widersetzlichkeit des Menschen zu drücken, — Er war da in Seinem tiefen und zärtlichen Mitgefühl für Seine geprüften und treuen Diener, —• Er war da in Seiner unvergleichlichen Gnade, um die Gefan- 137 genen frei zu machen, und die Herzen Seiner Nasiräer in die tiefe Gemeinschaft mit Sich Selbst, nach welcher sie so heiß dürsteten, einzuführen. Und, meine geliebten Brüder, ist es nicht des Hindurchgehens durch einen feurigen Ofen wert, um auch nur ein wenig die Gegenwart Christi und des Mitgefühls Seines liebenden Herzens zu genießen? Sind nicht die Banden mit Christo besser, als die kostbarsten Kleider ohne Ihn? Ist nicht ein feuriger Ofen, wo Er ist, besser, als ein Palast, wo Er nicht ist? Die Natur sagt: „Nein!", der Glaube aber sagt: „Ja!" Es ist gut, daran zu denken, daß dies nicht der Tag der Macht Christi, sondern der Tag Seines M i t g e f ü h l s ist. Wenn wir durch die tiefen Wasser der Trübsal gehen, so kann das Herz sich oft geneigt fühlen, zu fragen: „Warum offenbart der Herr nicht seine Macht, um mich zu retten?" Die Antwort ist: Dies ist nicht der Tag Seiner Macht. Er konnte diese Krankheit abwehren, diese Schwierigkeit aufheben, diesen Druck abnehmen, diesem Unglück vorbeugen, jenen innig und zärtlich geliebten Gegenstand vor der kalten Hand des Todes schützen, — aber anstatt Seine Macht zu offenbaren, um zu retten, läßt Er den Dingen ihren Lauf, und gießt Sein eigenes, süßes Mitgefühl in einer solchen Weise in das niedergebeugte und' verwundete Herz, daß Er den, welchen es trifft, zu dem Bekenntnis bringt, daß er wegen der Fülle des Trostes diese Prüfung nicht für Welten entbehrt haben möchte.

 Dieses, meine Brüder, ist j e t z t die Art unseres geliebten Jesu. Nachher wird Er Seine Macht entfalten — als Reiter „des weißen Pferdes" erscheinen — Sein Schwert ziehen — Seinen Arm entblößen — Sein Volk rächen — das ihnen getane Unrecht für immer ahnden; — aber jetzt ist Sein Schwert in der Scheide und Sein Arm bedeckt. Dies ist die Zeit, um uns die tiefe Liebe Seines Herzens und nicht, um uns die Macht Seines Armes und die Schärfe Seines Schwertes empfinden zu lassen. Genügt es Dir, daß es so ist? Ist das Mitgefühl Christi für Dein Herz genug? Ist es Dir selbst unter den schwersten Sorgen und größten Trübsalen genug? Das ruhelose Herz, der ungeduldige Geist und der ungebrochene Wille würden uns veranlassen, zum Herrn zu seufzen, daß Er uns vor Trübsal, vor Schwierigkeiten und jeglichem Druck bewahren möge; allein dies wird nimmer geschehen. Es würde aber auch ein unberechenbarer Verlust für uns sein. Wir müssen in der Schule von einer Bank zur anderen fortrücken; aber der 138 Herr geht mit uns, und das Licht Seines Antlitzes, und das zärtliche Mitgefühl Seines Herzens werden uns unter den schwersten Prüfungen aufrecht erhalten. Und siehe! welch eine Herrlichkeit wird auf den Namen des Herrn zurückgebracht, wenn Sein Volk durch Seine Gnade fähig gemacht wird, triumphierend durch jede Prüfung hindurch zu gehen! Lesen wir Dan. 3, 26-28, so werden wir bekennen müssen, daß wir nirgends reichere oder seltsamere Früchte eines treuen Jüngerstandes finden werden. Der König und alle seine Edlen, welche noch kurz vorher von der bezaubernden Musik und dem falschen Gottesdienst ganz erfüllt waren, sind jetzt mit der erstaunenswerten Tatsache beschäftigt, daß das Feuer, welches die mächtigen Kriegsleute tötete, auf die Anbeter des wahren Gottes weiter keinen Einfluß ausübte, als daß es ihre Fesseln verschlang, um sie frei und ungehindert in der Begleitung des Sohnes Gottes wandeln zu lassen. „Und Nebukadnezar trat hinzu vor das Loch des glühenden Ofens und sprach: Sadrach, Mesach und Abed-Nego, i h r K n e c h t e G o t t e s de s H ö c h s t e n , gehet heraus und kommet her. Da gingen Sadrach, Mesach und Abed - Nego heraus aus dem Feuer. Und die Fürsten, Herren, Vögte und Räte des Königs kamen zusammen u n d s a h e n , daß das Feuer keine Macht am Leibe dieser Männer bewiesen hatte, und ihr Haupthaar nicht versengt, und ihre Mäntel nicht versehrt waren, ja, man konnte keinen Brand an ihnen riechen." Hier nun war ein schönes Zeugnis —• ein Zeugnis, wie es nie so schön hätte aufgewiesen werden können, wenn der Herr durch eine bloße Handlung der Macht Seine Diener vor dem Werfen in den Feuerofen bewahrt hätte. Der Feind war ganz zu Schanden gemacht, Gott war verherrlicht und Seine teuren Diener gingen unbeschädigt aus dem brennenden, glühenden Ofen hervor.

 Das waren die köstlichen Früchte eines treuen Nasiräerstandes. Laßt uns auch weiter die Ehre beachten, welche unseren Nasiräern zuteil ward. „Da fing Nebukadnezar an und sprach: Gelobt sei der G o t t S a d r a c h s , M e s a c h s u n d A b e d - N e g o s ; — ihre Namen sind mit dem Gott Israels innig verbunden. Dies war eine hohe Ehre. Sie hatten sich mit dem währen Gott völlig eins gemacht, als es sich um Tod und Leben handelte, und darum machte sich auch der wahre Gott eins mit ihnen, und führte sie auf einen großen und reichen Platz. 
Er stellte ihre Füße auf einen Fels und erhöhte ihre Häupter über ihre Feinde um sie her. Wie wahr ist es, daß „die, welche mich ehren, werde ich auch ehren"; aber ebenso wahr ist es, „daß die. 139 welche mich verachten, die sollen wieder verachtet werden" (1. Sam. 2, 30). Es ist nun auch unsere Aufgabe hienieden, geliebte Brüder, n u r fü r C h r i s t u m z u leben . Wir sind für eine kleine Weile hier zurückgelassen, um für Ihn beschäftigt zu sein und auf Seine Erscheinung zu warten. O, laßt uns stets suchen, unserem geliebten Herrn treu zu sein. Laßt uns durch den verwirrten Zustand der Dinge um uns her nicht entmutigt werden, sondern durch die Geschichte Daniels und seiner treuen Gefährten vielmehr ermuntert werden, auch als treue und ergebene Jünger zu wandeln. Es ist unser Vorrecht, jetzt ebenso viele Gemeinschaft mit dem teuren Herrn Jesu zu genießen, als ob wir in den gnadenreichen Tagen des apostolischen Zeugnisses lebten. Möge denn der Heilige Geist uns alle befähigen, stets in den Fußstapfen des Herrn zu wandeln, die Gnade zu offenbaren und auf das Kommen des Herrn Jesu zu warten!

 Anbetungswürdige Liebe! 

Christus kam vom Himmel hernieder, um Seine Braut, d. i. die Versammlung, aus ihrem Elend zu erretten. Sie war nach dem ewigen Ratschluß Gottes Ihm zugeteilt, und schon vor Grundlegung der Welt Ihm gegeben. Aber ach, wie fand Er sie, als Er hernieder kam! Sie lag im tiefsten Elend, tot in Sünden und Übertretungen, beladen mit unberechenbarer Schuld. Ihre Gestalt war ganz häßlich und ihr Herz voll Feindschaft und Haß gegen Ihn. Er fand kein herzliches Entgegenkommen, keine Liebe, keine Sympathie, keine Schönheit; nichts, was Ihm hätte gefallen oder Ihn hätte anziehen können. Und dennoch, wie unermeßlich war der Preis, um sie zu erlangen! Er mußte Sich mit ihrer Sünde beladen und für ihre Schuld büßen — Er mußte in ihrem Zustand dem gerechten und heiligen Gott begegnen und den Zorn, den sie verdienten, tragen — Er mußte Sein Leben am Kreuz dahingehen, Sein kostbares Blut für sie vergießen. Bewunderungswürdige Liebe! Und Seine Braut in ihrem elenden Zustande erkannte es nicht und dankte Ihm auch nicht. — Jetzt ist Er in den Himmel zurückgekehrt und hat den Heiligen Geist hernieder gesandt, um Seine teure und durch Sein eigenes Blut erlöste Braut aus 140 der Welt zu rufen und ihr zu sagen, was Er für sie getan hat und wie teuer sie Seinem Herzen ist. Alle ihre Sünden sind getilgt und mit unermeßlichen Segnungen ist sie gesegnet. Sie ist geschmückt mit dem Kleide der Gerechtigkeit Gottes und geliebt mit der ganzen Liebe Seines Herzens. Sie ist Sein Leib, ein Teil von Ihm Selbst — „Bein von seinem Bein und Fleisch von seinem Fleisch". Er nährt und pflegt, Er heiligt sie, und Er wird sie auch Sich Selbst droben verherrlicht darstellen, ohne Runzeln und Flecken. Und in eigener Person wird Er wiederkommen und sie zu Sich nehmen; denn sie muß sein, wo Er ist. Bald wird sie bei Ihm sein und Ihn ewiglich schauen. Dann wird sie auch Seine Herrlichkeit sehen und dieselbe mit Ihm teilen, ja, dann wird sie Seine anbetungswürdige Liebe völlig verstehen und genießen.

 179 

Mitteilungen über das Werk Gottes in unseren Tagen

 Unter diesem Titel hoffen wir, so der Herr will und der Raum es gestattet, in jeder Nummer dieses Blattes etwas von dem großen Werke, das der Herr, unser Gott, in diesen Tagen in so vielen Ländern angefangen hat, mitzuteilen. Es ist sehr köstlich, daß wir Mitgenossen Seiner Freude sein dürfen, und darum vertrauen wir auch, daß es jedem Kinde Gottes erfreulich sein wird, von den vielen und ergreifenden Wundern der Gnade Gottes etwas zu hören. T o s k a n a . Der besondere Korrespondent der T i m e s schreibt folgendes aus Florenz: Seit einiger Zeit hört man hier vom evangelischen Christentum sprechen. Ich kann jedoch nur wenig davon mitteilen, weil die Regierung die Sache soviel wie möglich unterdrückt und diese neue Partei auch deshalb im Geheimen handeln muß. Die Bewegung scheint aber dennoch täglich zuzunehmen. An zwei-, dreibis fünfhundert, ja einige Male an tausend Menschen, stehen des Sonntagabends vor einem kleinen Saale, wo die „Brüder", wie sie sich nennen, zusammenkommen. Sie suchen nach einem größeren Lokal. Ihre Anzahl, so wie ich höre, ist an dreihundert, welche das Abendmahl untereinander feiern; und obwohl diejenigen, welche kommen, um zu hören, sicher keine Bekehrten sind, so ist es doch nicht zu berechnen, welch einen Einfluß dies auf das Volk ausüben wird. Diese neue Versammlung hat bis jetzt kein bestimmtes Glaubensbekenntnis, keine eingesetzte Geistlichkeit; sie bekennen, daß sie ihren Glauben auf das Evangelium und die Freiheit der Schriftforschung gründen. Außer der geregelten Versammlung des Sonntags kommen sie auch noch in der Woche zusammen, doch mehr zu dem Zwecke, um dem Volk das Evangelium zu verkündigen. Ich habe, schon gehört, daß auch ein Priester die- katholische Kirche verließ und sich diesen „Brüdern" anschloß. Wir teilen nun hier auch den größten Teil eines Briefes mit, den ein ehemaliger Lehrer des höheren Schulfachs und jetziger Agent der britischen Bibelgesellschaft aus Mailand schreibt: Lieber Freund! Ihnen zu schreiben ist schon lange mein Vorsatz — nur mußte ich es so lange anstehen lassen, weil ich gerade 180 Ihnen das meiste und wichtigste, was ich bisher erlebte, mitteilen wollte. 

Von Herrn D. haben Sie also schon vernommen, wie sich in Mailand, so wie das Land dem König von Sardinien zugefallen war, eine Bibelgesellschaft zur Verbreitung des göttlichen Wortes in der Lombardei gebildet hat, wie ferner auch in M. selbst eine Abendschule zu Gunsten unbemittelter Arbeiter ins Leben getreten usw. Als eine besondere Gnadenerweisung vom Herrn, rechne ich den Umstand, daß die Turiner italienische freie evangelische Kirche, die schon seit mehreren Jahren besteht und einem ehemaligen römischen Priester, de Sanctis, der durch besondere Führung des Herrn zur vollen Erkenntnis kam, den ich nun auch persönlich kenne, daß diese Kirche, sogleich nach dem Siege — einen Evangelisten und zwei Kolporteure nach M. abgesandt, die sich dann auch hier angesiedelt und sogleich Versammlungen veranstaltet haben. — Sogleich nach meiner Wiederkunft in M. wurde ich mit diesen Glaubensgenossen bekannt, besuchte auch regelmäßig ihre kleinen Versammlungen (an Sonn- und Festtagen zweimal) um, v o r a l l e m si e g e n a u k e n n e n z u l e r n e n ; erkannte aber bald in ihnen a u f r i c h t i g e , von dem Worte Gottes lebhaft ergriffene Leute, die mühsam sich nach und nach von den Irrtümern der römischen Kirche losgewunden und aus Liebe zu Christo und Seinem Worte des Lebens alle Opfer gebracht — und zwar mit Freuden — die ihre Trennung von der falschen Kirche für sie zur Folge hatte. Obgleich ich eigentlich zur kleinen protestantischen Gemeine gehöre, wo ich aber leider nur wenig Spuren christlichen Lebens finde; obgleich weder die hiesige Bibelgesellschaft, noch die Abendschule zu d i e s e m Zwecke der Evangelisation gehören, so halte ich mich doch, um des Glaubens willen, zu diesen lieben Brüdern, und wie gesegnet ist mir bis auf diesen Tag ihre Gemeinschaft gewesen. Jedesmal, wenn ich ihre Versammlung verlasse, freue ich mich schon beim Nachhausegehen auf den folgenden Tag! Bei ihnen wurden meine religiösen Bedürfnisse völlig befriedigt. Es fehlte mir eben an Kenntnis der Schrift die ich bisher nirgends besser kennen lernte, als da, weil eben bei ihnen nichts anderes gilt, als die Schrift, nichts anderes gelesen wird, als die Schrift usw. Von diesen Brüdern habe ich gelernt, daß ein Unterschied zu machen ist zwischen „Reich Gottes" und der „Kirche Christi"; hieran fehlte es mir.
 Jetzt bin ich im Reinen. Ferner habe ich die Erfahrung gemacht, was es heißt, Gottes Wort täglich in Gemeinschaft gläubiger Brüder zu betrachten — und wie das Wort des Lebens für Gläubige, an die es hauptsächlich gerichtet ist, durchaus keiner mühsamen, künstlichen, oder 181 gar gelehrten Auslegung bedarf, wodurch es oft erst recht unverständlich wird. Kurz, lieber Freund, wie oft habe ich an Sie gedacht, an unsere Gespräche, an unsere Klagen usw. und gewünscht: Könnten Sie nur 6 Monate bei uns sein! Was für ein Glück, was für ein Segen! würden Sie ausrufen. Das Lokal, in dem wir uns j e d e n A b e n d u m 8 U h r versammeln, ist ein ziemlich großer Saal im Gasthof L.-M., ein Tisch mit Bibeln und Neuen Testamenten, Stühle, zwei Lampen — weiter nichts.

— Ein jeder aber weiß und in jedem lebt das Bewußtsein, daß Christus das unsichtbare Haupt der Kirche ist — daß Er auch da ist, wo zwei oder drei in Seinem Namen versammelt sind — daß hier nichts gilt als Sein Wort — dieses Wort zu lesen, zu betrachten, mit Gläubigen frei zu besprechen, ist jedes Gläubigen seliges Vorrecht, — keine Anmaßung also von Seiten der Menschen — jeder Formalismus fällt von selbst weg.. . Möchten doch unsere deutschen Glaubensgenossen von diesen italienischen lernen — zusammenhalten, in Gemeinschaft treten, sich apostolisch leiten lassen — alle menschlichen Rücksichten — um Christum zu gewinnen, fahren lassen; sich täglich zu versammeln, denn je weniger wir es tun, desto matter ist unser Leben! — Eines noch: die italienischen Brüder sind schon oft aufgefordert worden, hauptsächlich von England aus, etwas Schriftliches oder eine Art „Glaubensbekenntnis" aufzusetzen; allein sie werden sich wohl hüten, dieses zu tun. Sie sagen: Die Worte Christi sind Geist und Leben, sie lassen sich nicht in ein Lehrsystem bringen. Wir wollen, uns nicht in unseren eigenen Worten fangen. Wer unser Glaubensbekenntnis wissen will, der lese vom ersten Vers des 1. Buches Moses an bis zum letzten der Offenbarung, so weiß er von A bis Z haarklein, was wir glauben — und wehe uns, wenn wir etwas dazu oder davon täten. Ferner habe ich noch diese Erfahrung gemacht: Wir tragen von Jugend auf Irrtümer in uns, die wir eben unkundigen Religionslehrern zu verdanken haben; diese Irrtümer — wenn wir uns einzig an das Wort Gottes halten und nicht soviel andere Werke und C h r i s t e n t ü m e r studieren, treibt dann der Geist Gottes wieder aus. Dieses ist es, was der Apostel Paulus „Einfalt in Christo" nennt. Nun lieber werter Freund, leben Sie recht wohl! — Der Herr erfreue uns immer mehr mit Seiner Gnade und Seinem Frieden in Christo Jesu. (Der Grafschafter) A m e r i k a . — In der täglichen Gebetsstunde, die hier stattfindet, ereignete sich vor einigen Tagen folgendes: 1 Ein Jüngling fragte einen Evangelisten, der gerade die Treppe hinaufstieg, um in die Versammlung zu gehen: „Wollen Sie 182 wohl die Versammlung ersuchen, für mich zu beten? So wie ich bin, kann ich nicht länger leben. Ich fühle mich ganz elend und unglücklich und begehre sehr, daß für mich gebetet werde." 

Der Evangelist teilte diese Worte der Versammlung mit und fügte hinzu: „Betet doch für diesen Jüngling!" Am nächsten Tage kam der Jüngling in die Betstunde zurück und sagte folgende Worte: „Ich bin der Jüngling, für den gestern hier gebetet worden ist. Ich bin derjenige, der gerade neben dem Evangelisten stand, als er meine Bitte vorbrachte. Und jetzt komme ich hierher, um zu erzählen, welch einen Frieden ich gefunden habe — einen Frieden, wie ich ihn zuvor nie und nimmer kannte. Ich weiß jetzt, daß meine Sünden, deren so viele waren, alle vergeben sind und ich stelle meine Hoffnung allein auf Christum Jesum. Welch eine große Veränderung seit gestern morgen! O, der Herr ist reich an Gnade! Bittet jetzt für mich, daß ich Ihn, der mir das ewige Leben gegeben hat, auch allezeit verherrliche." 

(N.-Y. Observer)

 Der aus dem Feuer gerettete Brand (Sach. 3) 

Wenn ein Sünder durch die Stimme Gottes wahrhaft erweckt und das Gewissen in Bezug auf seine Stellung vor Gott beunruhigt ist, so entsteht die große Frage: Wie kann ich vor Gott erscheinen? —• Ich habe Ihn beleidigt und mein ganzes Leben fern von Ihm zugebracht, wie kann ich vor Ihm bestehen? Wie darf ich es wagen, vor Sein heiliges Angesicht zu treten? Alle diese Fragen, die für jeden verlorenen Sünder von der größten Wichtigkeit sind, werden in dem vorliegenden Kapitel vollkommen beantwortet. „Und mir ward gezeigt der Hohepriester Josua, stehend vor dem Engel des Herrn; und der Satan stand zu seiner Rechten, daß er ihm widerstände. Und der Herr sprach zu dem Satan: Der Herr schelte dich, du Satan, ja, der Herr schelte dich, der Jerusalem erwählet hat! Ist dieser nicht ein Brand, der aus dem Feuer gerettet ist?" (V. 1.2). Hier steht Josua an der Stelle Jerusalems, an der Stelle des jüdischen Volkes. Er hatte unreine Kleider an — ein wahres 185 Bild des Zustandes, worin sich jeder Sünder vor Gott befindet. — „Es ist kein Unterschied, sie sind allzumal Sünder und erreichen die Herrlichkeit Gottes nicht" (Röm. 3, 23). Seine unreinen Kleider geben Zeugnis von seiner Schuld und seiner Befleckung. Gerade so wie er ist , steht er vor Gott. Und nun, was wird Gott mit ihm machen? Wird Er ihn hinausstoßen? Wird er sagen: Dieser ist noch schwärzer, als ich ihn mir vorstellte; wie kann ich ihn schneeweiß machen? (Jes. 1, 18). O nein, gelobt sei Sein heiliger Name! Er stößt die Sünden hinaus, aber nicht den Sünder. — Keiner, der als solcher zu Ihm gekommen ist, wurde je hinausgestoßen, und keiner wird es je werden. Der Herr hat Sein Wort gegeben, daß Er den, der zu Ihm kommt, nimmermehr hinausstoßen will. — Unter keiner Bedingung, er sei auch wie er wolle, wird Er ihn hinausstoßen. 

Im Gegenteil, Er will ihn retten! Aber Satan „steht zu seiner Rechten, daß er ihm widerstehe! Beachte wohl den Platz, den der Teufel einnimmt; er steht zu seiner Rechten." — Er will sich der Befreiung des Sünders entgegensetzen, ihn erschrecken, ihn herabwürdigen, ihn mutlos machen. Ja, wenn er es könnte, so würde er ihn in das Feuer zurückschleudern, aus welchem Gottes unendliche Gnade ihn herausgerissen hat. — Aber der Herr ergreift das Wort für den armen, zitternden Sünder. „Der Herr schelte dich, du.. . ist dieser nicht ein Brand aus dem Feuer gerettet?" — Er umgibt ihn mit Seinem Schild, wer kann ihn antasten? Er ist durch den mächtigen Arm. der Gnade Gottes aus dem Feuer gerissen und alle Mächte der Hölle sind an ihm zu Schanden geworden; sie können ihm nichts mehr anhaben. — Gott ist alles für ihn; Er bedeckt ihn mit dem Schatten Seiner Flügel, und der Sünder ist nun für alle Ewigkeit in Sicherheit! Welch eine Zufluchtsstätte für den verlorenen Sünder! Eine Zufluchtsstätte für alle, die zu Ihm kommen, wer sie auch sein mögen. Hast Du nun, geliebter Leser, den Frieden Deiner Seele dort gefunden? — Wenn nicht, dann eile doch zu Ihm. Verschiebe es nicht länger, ich bitte Dich! Deine Not ist dringend, Deine Gefahr ist groß. — Satan ist zu Deiner Rechten und bemüht sich, Deine Seele zu täuschen und an sich zu reißen. Fliehe, o fliehe sogleich, es gilt Deinem Leben, das ewige Leben Deiner Seele! Die Tür steht Tag und Nacht offen und die Stimme Jesu ruft noch immer: „Kommet her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch Ruhe geben." Wie wunderbar! Die Gegenwart Gottes ist der einzige Ort, welcher der schuldigen Seele Sicherheit und Hilfe darbietet! — Es ist der einzige Ort, wo wir von unseren Sün- 184 den und von unseren befleckten Kleidern befreit werden können, und es ist der einzige Rettungsort vor dem schrecklichen Feind unserer Seele. — Was hätte Josua dem Teufel antworten sollen? Wie hätte er ihm widerstehen können? Er war vollkommen schuldig, verunreinigt und ganz und gar unfähig, vor Gott hinzutreten. Wäre er nach Verdienst behandelt worden, so würde die Hölle auf ewig sein Teil gewesen sein.

 Gott allein konnte ihm helfen und dem Verkläger Stillschweigen gebieten. Und nun, was geschieht? Der Herr Selbst nimmt Josuas Sache ganz in Seine Hand und ordnet alles für ihn. — Josua tut auch den Mund nicht auf. Was hätte er auch sagen wollen? Er war ja schuldig erfunden und war als solcher allein auf die Gnade Gottes angewiesen. Er konnte auf nichts mehr hoffen, als auf die unergründliche Barmherzigkeit Gottes. Und jetzt, da er auf diesem Grunde steht, handelt Gott mit ihm nach Seinem eigenen, innersten, göttlichen Wesen. Seine Liebe leitet Ihn, und Er kommt allen Bedürfnissen des Sünders mit dem Reichtum Seiner Gnade entgegen. „Und der Herr antwortete und sprach zu denen, die vor ihm standen: Tut die unreinen Kleider von ihm." — Seine vielen Sünden waren alle vergeben; keine einzige blieb übrig. Sie wurden hinweggetan nach allen Ansprüchen der Heiligkeit Gottes und nach der Vollkommenheit des Werkes Christi am Kreuze. — Gott kann die Sünde nicht vor Sich sehen; sie verträgt sich nicht mit Seinem heiligen Wesen; aber Er kann sie hinwegtun — Sein Name sei gepriesen! Und dies ist auch das erste, was Er für die Seele tut, die vor Ihm steht. „Tut die unreinen Kleider von ihm."—Was kann der Teufel nun noch sagen? Er ist für immer zum Schweigen gebracht. Die Sünde, die Waffe, auf welche ersieh verließ, ist hinweggetan. Und nun, da die S ü n d e h i n w e g g e n o m m e n und der Teufel zum Schweigen gebracht ist, wendet sich der Gott der Gnade mit unaussprechlicher Huld und Liebe an den Sünder selbst. „Und er sagt zu ihm: Siehe, ich habe deine Sünden von dir genommen!" O welch ein zartes Mitleiden mit einer betrübten Seele und welch einen festen Grund des Friedens enthalten diese Worte! Was kann fester, sicherer und unbeweglicher sein, als dieses Wort Gottes: „Siehe, ich habe deine Sünden von dir weggenommen." O betrübte Seele, betrachte sie noch einmal, diese köstlichen Worte! Bedenke wer der ist, der sie ausgesprochen hat! Er kann nicht täuschen; und sei auch völlig versichert, daß dies das Gnadenwerk Gottes an einer jeglichen Seele ist, welche allein auf das, was Er ist, ihre Blicke richtet. Diese Worte sind dazu geeignet und auch bestimmt, in Seiner heiligen Gegenwart dir augen- 185 blicklichen Frieden zu geben. Könntest du je wieder zweifeln, wenn du eine solche Zusicherung vor dir hättest? Gewiß nicht! Gott ist es, der sie gibt, und das ist genug.— Und also handelt Gott in Gnaden mit einer jeglichen Seele, die an Christum glaubt — an Ihn, dessen Blut von aller Sünde reinigt (1. Joh. 1, 7). „Denn es ist kein Unterschied zwischen Jude und Grieche: denn derselbe Herr von allen ist reich für alle, die Ihn anrufen. Denn jeder, der den Namen des Herrn anrufen wird, wird errettet werden" (Röm. 10, 12. 13). Als nun die unreinen Kleider weggetan waren, wurde dem Josua ein Gewand gegeben, welches Gott Selbst ihm zubereitet hatte.

 „Ich habe dich mit Festkleidern angezogen." Gott s p r i c h t nicht nur für Josua, sondern Er h a n d e l t auch für ihn. Und Josua steht nun nicht in unreinen Kleidern vor dem Herrn, sondern in der göttlichen Gerechtigkeit. Also wird es auch einst in den letzten Tagen mit Israel sein. Der Herr wird die Sache Seines Volkes in Seine eigene Hand nehmen und gegen alle seine Feinde aufstehen! Er wird sie von allen ihren Befleckungen reinigen und mit Kleidern des Heils bekleiden. Er hat es Sich in Seinem Herzen vorgenommen, sie zu segnen, und darum werden sie auch gesegnet werden. „Ja, der Herr schelte dich, der Jerusalem erwählet hat; ist dieser nicht ein Brand, der aus dem Feuer gerettet ist." — Aber Er kann nach Seiner Heiligkeit nicht ein schuldbeladenes Volk mit einem Rock der Herrlichkeit bekleiden; Er muß es zuerst reinigen und dann wird Er es bekleiden. So handelt Gott mit allen denen, die da glauben. Unsere befleckten Kleider werden durch den fleckenlosen Rock der Gerechtigkeit Christi ersetzt. Wenn unsere Sünden durch das Blut Christi abgewaschen sind, so werden wir mit der Gerechtigkeit Gottes bekleidet (2. Kor. 5, 21; Röm. 5,19 - 26). Doch dies ist noch nicht alles. Der Herr handelt in Gnaden und Er segnet auf eine Art, die ganz und gar Seiner würdig ist. Er macht sich Josua zu einem Priester. Er reinigt und kleidet ihn nicht allein, sondern Er bedeckt ihn auch mit dem priesterlichen Hute. „Und er sprach: Setzet einen reinen Hut auf sein Haupt." — Dies ist ein köstliches Bild von dem, was einst das Volk Israel sein wird, wenn sie als ein königliches Priestertum und als ein heiliges Volk, errettet aus der Hand ihrer Feinde, dem Herrn dienen werden in Heiligkeit und Gerechtigkeit ihr Leben lang (2. Mos. 19; Luk. 1)

 Der wahre Gottesdienst ist ein Überströmen des Herzens. Wenn wir wissen, daß alle unsere Sünden vergeben sind, und daß wir vor Gott stehen, bekleidet mit der Gerechtigkeit Gottes und angenommen in dem Geliebten, so ist 186 das Herz nicht nur erfüllt davon, sondern es strömt auch über. In diesem Zustand können wir nur loben und preisen, und den anbeten, „in welchem alle unsere Quellen sind" (Ps. 87, 7). Die Sehnsucht des Herzens ist befriedigt, jeder Wunsch gestillt und es bleibt nur noch übrig, den Herrn für alle Seine Huld und Gnade zu preisen. Wir sind nun bis zum Ende des ersten Teiles dieses interessanten Kapitels gekommen (V. 1-5). Es besteht aber eigentlich aus drei Teilen. Zuerst zeigt es, wie wir gesehen haben, Gottes Gnadenerweisungen gegen einen schuldbeladenen Sünder. Gott handelt nach Seinem eigenen göttlichen Wesen. —

 Dann zeigt es uns die Verantwortlichkeit derer, welche einer solchen Gnade teilhaftig geworden sind (V. 6. 7). „So spricht der Herr Zebaoth: Wirst du in meinen Wegen wandeln, und meiner Hut warten, so sollst du auch regieren mein Haus und meine Vorhöfe hüten; und ich will dir geben von diesen, die hier stehen, daß sie dich geleiten sollen." Die Gnade führt zur Gottseligkeit, und sie ist auch die einzige Kraft, welche uns zu einem heiligen Wandel vor Gott befähigt. — Endlich finden wir in diesem Kapitel die Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit. Nachdem Josua in die gesegnete Nähe Gottes und in Seine glückselige Gemeinschaft gebracht ist, wird auch die Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit vollkommen und deutlich geoffenbart. — „Siehe, ich will meinen Knecht Zemach kommen lassen." Jesus, der einst das „geringe Reis vom Stamme Isai" war, wird an jenem lang ersehnten Tage auftreten, als „der Zweig des Herrn, der lieb und wert" ist (Jes. 4, 2). „Ja, den Tempel des Herrn wird er bauen, und wird den Schmuck tragen, und wird sitzen und herrschen auf seinem Throne" (Kap. 6, 13). „Und man wird an ihn hängen alle Herrlichkeit seines Vaters Hauses, beide Sprößling: und Auswuchs, alle Geräte der Kleinen von den Becken bis auf die Krüge" (Jes. 22, 24; ebenso Jes. 11). — Er ist aber nicht nur der Zweig des Herrn, an welchem alle Herrlichkeit hängt, sondern Er ist auch der feste Grund, auf welchem alles ruht. Denn „siehe auf dem einigen Stein, den ich vor Josua gelegt habe, sollen sieben Augen sein. Siehe, ich will seine Schrift in ihn graben, spricht der Herr Zebaoth, und will die Sünde desselbigen Landes wegnehmen auf einen Tag. Zu derselbigen Zeit, spricht der Herr Zebaoth, werdet ihr einer den anderen laden unter den Weinstock und unter den Feigenbaum" (Sach.3, 9.10). Er wird der sichere Grundstein von den Segnungen Israels sein am letzten Tage, sowie auch von allem Segen und aller Herrlichkeit während des tausendjährigen Reiches. — Die sieben Augen beweisen die vollkommene Einsicht Dessen, der über alles herrscht. 187 So führt der Herr in wunderbarer Liebe den, der an Christum glaubt, von der Tiefe des Elendes und des Verderbens zu den Höhen des Heils und der Herrlichkeit. Es gibt keinen Zwischenzustand, keinen Ruhepunkt vorher. Gott findet ihn als einen Brand im Feuer; Er errettet ihn und bringt ihn in Seine eigene Gegenwart, j,in die himmlischen Örter in Christo Jesu." Welch ein Wechsel! Von den Tiefen des schrecklichen Abgrundes bringt Er ihn zu den erhabenen Höhen des Lichtes und der Herrlichkeit! Er macht aus ihm— einem Kinde des Zorns und einem Erben der Hölle — ein Kind Gottes und einen Erben des Himmels.

 Er macht ihn, der vorher so schwarz wie ein rauchender Brand war, weißer als Schnee, und auch fähig für das Paradies Gottes. Er bringt ihn aus der Stelle der größten Entfernung in die nächste Nähe Seines Thrones, und zwar als einen Priester, bedeckt mit einem priesterlichen Hut und bekleidet mit Kleidern der Herrlichkeit und Schönheit. Und was alle diese wunderbaren Segnungen noch besonders für das Herz so tröstlich und köstlich macht, ist das Bewußtsein, daß Gott Selbst dies alles tut. Josua sagt nichts und tut auch nichts dabei. Er war schon vorher zu der Überzeugung gekommen, daß er in dieser Sache nichts tun konnte, daß es mit seiner Kraft aus war. Er hatte sich dem Herrn in die Arme geworfen und auf Ihn verließ er sich ganz.

 Mitteilungen über das Werk Gottes in unseren Tagen L o n d o n . 

Ebenso wie in Irland hat auch der Herr in London ein gutes Werk angefangen. Manches Herz, das sonst nie ein Bedürfnis zum Gebet fühlte, ist jetzt mit Lob und Dank gegen Gott erfüllt, der ein solch mächtiges Werk in der Seele wirkt. Überall sind Lokale geöffnet, wo man sich zum Gebet versammelt. Eines Sonntagabends wohnte ich einer solchen Gebetsversammlung bei und teile gern mit, was in besonderer Weise meine Aufmerksamkeit anzog. Hier sah man einige im Gebet, und dort andere, die mit beunruhigten und von ihrem Sündenschlafe aufgeschreckten Seelen sprachen und sie auf Jesum hinwiesen; wieder andere, deren Angesicht über die soeben empfangene Gnade vor Freude glänzte. Es war in der Tat ein ergreifender Anblick! 188 Besonders auffallend war es, wie gerade hier, wo man die Wirkung des Geistes Gottes so deutlich bemerken konnte, manche wichtige Wahrheit des Evangeliums mit voller Kraft zum Vorschein kam, die lange Zeit wie in einem Grabe geschlummert hat. Die Einheit des Leibes Christi stellt sich in lieblicher Weise sowohl dem Auge als auch dem Herzen dar. E i n Geist war es, der die Herzen zusammen verband, obwohl man verschiedenen Parteien angehörte. Christen, die sich früher kaum einander anblickten, umarmten sich hier, und die Freiheit der Gabe wurde allgemein anerkannt. 

Die Neubekehrten waren nicht das Eigentum einer Partei, sondern das Eigentum aller. Der eine war mehr geschickt, um den Zustand des verlorenen Sünders vor Augen zu stellen, der andere, um sie zu Jesu zu führen; der eine sprach mit dem noch gleichgültigen Sünder, der andere mit dem Erweckten, und ein dritter mit solchen, die wegen ihrer Sünden sehr beängstigt waren. Ja, es war ein herrlicher Anblick — ein Lichtstrahl, der vom Himmel hernieder leuchtete. Der Abend war reich gesegnet. Mancher, der bisher in Tränen lag, jubelte bald vor lauter Freude. Der Herr war da, und Seine Kinder waren Seine Mitarbeiter; ja es war Freude im Himmel und auch auf Erden. Es war lieblich anzusehen, wie das Leben und die Kraft Gottes, herniederkommend von oben, alle parteiischen Anordnungen der Kirche überschattete, und wir, als e i n Leib, die eben geborenen Kinder Gottes nach der neuen — obschon in der Tat alten — Ordnung mit großer Freude in die Versammlung Christi aufnahmen. Es war das Werk Gottes, und es ist wunderbar in unseren Augen. (Brief aus the Revival)

 S c h o t t l a n d — G l a s g o w .

 Folgender Brief ist von einem erst kürzlich bekehrten Jüngling: Teurer Freund! Dieses Mal habe ich eine gute Nachricht für Dich. Ich habe Frieden gefunden, das weiß ich gewiß. Ich bilde mir nichts darauf ein, aber ich wollte es Dir gerne doch mitteilen. Erzähle doch auch M., daß seine Gebete erhört seien. Ich bin dessen ebenso gewiß, als ich von meinem Dasein überzeugt bin. Jesus ist mein teurer Heiland. Er ist verantwortlich für die Seligkeit meiner Seele. O, wie glücklich bin ich! Warum habe ich Ihm so lange widerstanden, warum Ihn so lange betrübt? Freue Dich mit mir, mein Freund. 
Denk' nimmer an Deine Gefühle oder an Deinen Glauben. Jesus allein ist es. 189 Am Donnerstagabend war es, als ich, während einer Unterredung mit meinem. Freunde, den Herrn fand. O, nun kann ich sterben! In diesem Augenblick würde ich die Welt verlassen können; jedoch weiß ich, daß der Herr noch Arbeit für mich hat. Ja, das weiß ich; und sollte ich solche Arbeit nicht gerne tun für Ihn, der so viel für mich getan hat! Allein ich tue sie nicht selbst. O nein, Jesus ist es; ich bin nur ein Mittel in Seiner Hand. Er kann alles ohne mich tun; aber Er will mich in Seiner Gnade gebrauchen. Wenn die Sünder doch wüßten, welch ein treuer Heiland Er ist; gewiß, sie würden sich Ihm übergeben. Aber der Teufel läßt sie zweifeln an der frohen Botschaft. Dieses hatte er auch bei mir zu Wege gebracht. Ich erkannte nicht, daß Jesus allein mich erretten konnte und wollte.

 Auf einem anderen Wege ist keine Errettung möglich. Jesus ist mein Erlöser. Halleluja! Schreibe mir bald wieder, wie es Dir geht. Wir haben noch immer unsere Versammlungen. Der Herr wird uns erhören. Es ist nun der erste Ruhetag auf meiner Reise nach dem Himmel. Erst seit drei Tagen befinde ich mich auf dem schmalen Wege; aber ich gehe unaufhaltsam vorwärts. Die himmlische Stadt liegt vor mir; ich sehe sie deutlich. O, wie gesegnet ist das Gebet. Mit Jesu allein zu sein, Ihn zu besitzen. Aber bisweilen kommt auch der Hochmut; und dann sage ich es meinem geliebten Jesus, und Er nimmt ihn weg. Bete für uns, lieber Freund. Ich weiß nun, was das Gebet vermag; aber es muß ein Gebet sein. O möchte doch jeder Jesum kennen lernen! (Wynd Journal)

 Das Manna (2. Mose 16) 

Obgleich die Sünden der Kinder Israel oft Gottes ernste Dazwischenkunft als Richter zur Folge hatten, so hat Gott ihnen dennoch gewisse Segnungen zuerkannt, welche während ihrer ganzen Wanderschaft in der Wüste unveränderlich fortdauern, z. B. die Wolken- und Feuersäule und das Manna. (Siehe 2. Mos. 13, 21. 22 und Jos. 5, 11, 12). Und warum haben die Segnungen unaufhörlich fortdauern können? Weil sie auf die Gnade gegründet waren. 190 Der Mensch fehlt in allem, was irgendwie von ihm selbst abhängt. Das Gesetz Moses ist nicht während der Wolkenund Feuersäule und des Manna's gegeben. Die Barmherzigkeit und Güte Jehovas, welche die Kinder Israel durch das Blut des Lammes aus Ägypten erlöst hatte, strömte! ihnen durch die Gabe dieser Segnungen und ihrer Fortdauer entgegen. Keine Verdienste von Seiten des Volkes hatten sie hervorgerufen oder ihre Fortdauer bewirkt. Gott, welcher reich an Barmherzigkeit ist, schenkte diese Gnadengabs während der ganzen Reise durch die Wüste. — Auch wir straucheln, ermatten und sündigen, aber unsere Segnungen dauern unaufhörlich fort. Die ewige Vorratskammer der Gnade bleibt immer gleich gefüllt. Der Strom der göttlichen Liebe ist immer gleich tief und rein und fließt so ungezwungen wie je; erscheint nur heller, tiefer und breiter, je nachdem wir seine Wendungen und wundervollen Mündungen, die uns zu jeder Zeit von Ihm reden, mehr betrachten. „Jesus Christus ist gestern und heute und in die Zeitalter derselbe." Der Heilige Geist, der Tröster oder Sachwalter, ist uns gegeben, um für. immer bei uns zu bleiben. Das Wort des Herrn bleibt ewig fest; es wird nicht vergehen, wenn auch Himmel und Erde vergehen. Die Ratschlüsse Gottes bestehen und müssen zu Seiner Zeit erfüllt werden; alle die großen und teueren Verheißungen Gottes sind unveränderlich gewiß; denn sie sind „in Christo Ja und Amen zur Herrlichkeit Gottes durch uns. Das P r i e - s t e r t u m Jesu ist ebenso fortdauernd; denn es steht geschrieben: Der Herr schwur und es wird ihn nicht gereuen: du bist Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks" (Hebr. 7, 21). 

Und endlich ist auch die G e g e n w a r t des Herrn beständig unter Seinem Volke: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters" (Matth. 28, 20). Ist es nicht tröstlich, geliebte Brüder, am Tage des Straucheins auf die nie fehlende Barmherzigkeit unseres getreuen Gottes rechnen zu können, und gibt uns dies nicht fortwährende Ursache zur Danksagung und Anbetung — fortwährende Ursache, um mit dem Apostel den Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi zu preisen? (Eph. 1, 3). Wir sind nicht allein, wie Israel, durch das Blut des Lammes erkauft, sondern auch, wie Israel, durch Gott zu Seinem Volke gemacht, und also sorgt er ebenso für uns, wie auch für Israel, auf dem Wege. Wir gehen nicht auf eigenen Sold in den Krieg. Nie versäumt oder verläßt Er uns. Auf unserer ganzen Reise geben unsere Bedürfnisse Ihm Gelegenheit, uns Gutes zu erweisen. Und weil Er für uns sorgt, so will Er, daß wir alle unsere Sorge auf Ihn werfen und 191 uns durch nichts beunruhigen lassen. Wir beweisen zwar oft, daß wir der geringsten Seiner Barmherzigkeiten unwürdig sind; aber Er überhäuft uns stets mit Wohltaten — leitet, unterweist und bewahrt uns wie Seinen Augapfel. Ein Exempel, wie gnädig der Herr Seinem Volke begegnet, sehen wir nun auch hier in 2. Mose 16: Die Kinder Israel waren in großer Gefahr. Sie hatten kein Brot. Ihre Bedürfnisse waren sehr dringend. Da sündigten sie gegen Gott und sagten: „Ach, daß wir in Ägypten gestorben wären durch die Hand des Herrn!" (V. 3). Und was antwortete der Herr darauf? Rottete Er sie in einem gerechten Gericht aus? Warf Er ihnen etwas vor? Bedrohte Er sie? Nein, das Volk war noch nicht unter dem Gesetz. Sie waren nach der Verheißung, welche Gott dem Abraham gegeben hatte, aus Ägypten geführt. Daher kam auch die Antwort von dem Gott Abrahams: „Siehe, ich will euch Brot vom Himmel regnen lassen .. . Ihr sollt mit Brot gesättigt werden und sollt wissen, daß ich der Herr, e u e r Gott, bin" (V. 4 -12). — Welch eine köstliche und herzerquickende Offenbarung von der Überschwenglichkeit der Gnade Gottes! Als das Volk unter dem Gesetz war, da wurden die Murrenden durch den Verderber umgebracht; aber als es noch unter dem Gesetz war — sei es, daß wir es zu Mara, oder in der Wüste Sin oder in Raphidim betrachten (Kap. 15. 16. 17). — wir sehen immer die Gnade herrschen und überwinden; „wo die Sünde überströmend war, da war die Gnade noch viel überschwenglicher." O wie glücklich würden wir sein, teure Brüder, wenn wir besser das Zeugnis des Heiligen Geistes verständen: „Ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade" (Röm. 6, 14). 

Welchen Abschnitt der Geschichte des Volkes Gottes wir auch betrachten mögen, immer sehen wir, daß die Bemühungen Gottes dahin gerichtet waren, dasselbe in einen Zustand der Abhängigkeit von Ihm zu bringen, und es ist leicht einzusehen, daß nur eine solche Stellung uns geziemt oder des Allerhöchsten würdig ist. Das Fleisch aber sträubt sich stets dagegen. S e l b s t Gott zu sein ist mit dem natürlichen Menschen mehr in Übereinstimmung, als Gehorsam, weil „die fleischliche Gesinnung Feindschaft wider Gott ist; denn sie ist dem Gesetz Gottes nicht Untertan; denn sie vermag es auch nicht" (Röm. 8, 7). Die erneuerte Seele dagegen erkennt leicht, wie recht und billig es ist, von Ihm, der uns durch das Blut Seines geliebten Sohnes erlöst und welcher über und durch und in allem ist, abhängig ist. Dem Wiedergeborenen ist es ganz natürlich, sich auf diesen Grund zu stellen; und wie sehr es auch den menschlichen Gedanken entg egen sein mag — er findet im- 192 mer, je mehr er mit Gott wandelt, daß „alle seine Quellen in ihm sind"; und darum ist er stets in Übereinstimmung mit den Worten des Apostels: „Als nichts habend und alles besitzend." Wer am meisten in der Abhängigkeit von Gott lebt, befindet sich am wenigsten in der Abhängigkeit von Menschen; denn weil er weiß, daß der Herr sein Helfer ist, wird er sich nicht vor dem fürchten, was ihm ein Mensch tun wird (Ps. 118, 6). Das Leben des Glaubens oder der völligen Abhängigkeit Seines Volkes von Ihm, ließ den Herrn sagen: „Außer mir könnt ihr nichts tun" (Joh. 15, 5) und wiederum: „Gleichwie mich der lebendige Vater gesandt hat, und ich lebe des Vaters wegen, so wird auch, wer mich isset, leben meinetwegen" (Joh. 6, 57). Denselben Grundsatz finden wir auch in dem Manna, welches Gott t ä g l i c h Seinem Volke in der Wüste gab. Dies gab ihnen Gelegenheit, tiefe und teuere Belehrungen von Jehovas Treue und Macht zu erhalten und zu erfahren, daß es nicht vergeblich sei, sich auf Seine Verheißungen zu verlassen, wie Er auch auf eine so schöne Weise sagt: „Ihr sollt inne werden, daß ich der Herr, e u e r Gott bin." Zugleich sollte dies auch ein Zeugnis von ihrer Treue gegen ihren Erlöser an den Tag legen (V. 4). Auch jetzt beweist ein Leben in ungeheuchelter Abhängigkeit von Gott ein gehorsames Herz, so wie auch die treue Liebe Dessen, „in welchem keine Veränderung noch Schatten von Wechsel ist". Welch ein köstliches Vorbild haben wir hiervon in Jesu, „welcher sich selbst zu nichts machte und Knechtsgestalt annahm.. . und bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz gehorsam ward! Deswegen hat ihn auch Gott hoch erhoben ... " (Phil. 2, 7-10). Wir wissen, daß, als der Herr Jesus in Seiner Predigt zu Kapernaum des Mannes in der Wüste erwähnte, Er von Sich Selbst, als dem „wahren Brot" sprach — dem lebengebenden, seelenerhaltenden Brot des Himmels. 

„Ich bin das lebendige Brot... " (Siehe Joh. 6, 51-57). Hieraus sehen wir deutlich, daß wir durch den Tod Christi nicht allein die Erlösung haben, sondern auch, daß Er Selbst unser tägliches Brot ist, oder mit anderen Worten, die fortwährende Kraft und Nahrung unserer Seelen; denn obgleich wir auf ewig durch Ihn erlöst sind, so bedürfen wir doch der täglichen, persönlichen Gemeinschaft mit dem Herrn, sowohl zur Freude und Kraft im Innern, als auch zum Dienst im Äußeren. Das Volk hatte B e f e h l , Manna — keinen Staub — sondern Manna — Brot aus dem Himmel zu sammeln. Nichts anderes hatten sie, um dieses zu ersetzen. Gott ließ es jedesmal vom Himmel regnen, und sie mußten es ein- 70 193 sammeln. Er ließ es nimmer fehlen. — Ebenso ist es jetzt mit uns. Christus ist für uns das Brot aus dem Himmel. Nichts als die Gemeinschaft mit Christo vermag unsere Seelen zu stärken. Fehlt diese — nichts vermag sie zu ersetzen. Keine Satzungen, kein buchstäbliches Wissen, keine trockenen Lehrsätze, keine gottesdienstlichen Übungen — wie nötig und schriftgemäß diese auch an und für sich sein mögen — sondern Christus. Er allein kann unsere Seelen ernähren. 
Er allein ist das wahre Brot! Das Manna mußte e i n g e s a m m e l t werden. Es regnete nicht geradezu in ihre Zelte, sondern auf die Lagerstätte, auf den Sand der Wüste. Zeit und Geduld (und sehr wahrscheinlich auch gebeugte Kniee und ausgestreckte Hände) waren nötig, um es einzusammeln. Ein jeglicher mußte nicht nur für seine eigenen Bedürfnisse, sondern auch für die Bedürfnisse derer, welche in Seinem Zelte waren, einsammeln. Er sammelte aber d a s ein, was Gott gab. Vernachlässigte er das Einsammeln, dann litten die anderen ebenso sehr wie er selbst. — Ach, wie ist es doch so wichtig, unsere Zelte zu verlassen, um für uns und andere aus der Fülle Christi Segnungen einzusammeln. Der Geist Gottes zeugt von Christo, das geschriebene Wort zeugt von Christo; deshalb müssen wir, um das wahre Brot einzusammeln, in Abhängigkeit von dem Geiste die Schriften erforschen. Sie mußten das Manna j e d e n M o r g e n einsammeln, ausgenommen an dem siebenten Tag oder dem Ruhetage; und was unsere Ruhe betrifft — sie ist nahe, und dann wird der Lauf durch die Wüste aufhören, und „das Lamm in der Mitte des Thrones wird uns weiden und wird uns zu Brunnen der Wasser des Lebens leiten" (Offb. Joh. 7,17). Jetzt wird „der innerliche Mensch von T a g z u T a g erneuert," Laßt uns, wie unser geliebter Herr, Tag und Nacht über dem Gesetz sinnen, welches von Ihm zeugt. Wir sind gleich leeren Gefäßen und haben fortwährend Erneuerung nötig. Und wenn wir in unseren täglichen Umständen und Berufsgeschäften mit Gott zu wandeln wünschen, gibt es dann wohl einen passenderen Augenblick, als die Morgenstunde, um himmlischen Vorrat einzusammeln? Es ist auch bemerkenswert, daß man, wenn man nicht beizeiten da war, kein Manna sammeln konnte; denn „wenn die Sonne heiß schien, zerschmolz es!" (V. 21). Und haben auch die Kinder Gottes in der Jetztzeit nicht genug erfahren, daß, wenn sie am Morgen keine verborgene Gemeinschaft mit Gott durch Christum ausübten, sie die schwächenden Folgen dieser Vernachlässigung den ganzen Tag hindurch verspürten? (Siehe Mark. 1, 35; Ps. 63, 1). 194 Nur um g e g e s s e n z u w e r d e n , mußte man das Manna einsammeln. Hieraus, denke ich, ist vieles zu lernen.

 Es scheinen dort etliche gewesen zu sein, welche das Manna einsammelten und nicht aßen, und „es wuchsen Würmer darin und es wurde stinkend" (V. 20). Aus der Geschichte des Manna lernen wir, uns an Christo genügen zu lassen. — Sein F l e i s c h und B l u t essen, persönliche Gemeinschaft mit Ihm pflegen und aus Seiner Fülle Vorrat für die Seele schöpfen. Alle — Väter, Jünglinge und Kinder — haben Nahrung nötig und das Manna ward ihnen zugesandt. — Alle Kinder Gottes haben auch jetzt Nahrung nötig. „Weide meine Schafe, weide meine Lämmer", sagte unser hochge-. lobter Herr; und zu dem Ende haben wir nicht allein nötig, die Worte Jesu einzusammeln, sondern auch, gleichwie der Prophet, sie z u e s s e n , um die Freude unserer Herzen zu unterhalten und wir werden sie süßer finden als Honig und Honigseim. Die Priester waren nicht allein berufen, um in ihrem hohen Beruf zu dienen, sondern hatten auch Befehl, die Dinge, womit die Versöhnung geschah, zu essen, um ihre Hand zu füllen und sie zu heiligen. Der verlorene Sohn wurde nicht allein in den Armen des Vaters bewillkommnet, sondern mußte auch „essen und fröhlich sein." Dies sind keine eitlen, leeren Worte, keine Phantasie, sondern es betrifft etwas sehr Ernstes und höchst Wichtiges, nämlich die Nahrung unserer Seelen durch die lebendige persönliche Gemeinschaft mit Gott. Wir,sind berufen, stets das Brot an des Königs Tafel zu essen (2. Sam. 9). Ein geringerer Platz ist für den Gläubigen nicht da. Es gibt für seine Seele keine andere Nahrung, als das Fleisch und Blut Jesu. Wer sich nur der äußeren Form nach zu Christo bekennt, der ernährt sich mit Staub — ernährt sich wie der verlorene Sohn mit den Trebern der Schweine. Laßt uns nicht vergessen, daß im Hause des Vaters Brot genug ist, nicht allein für uns selbst, sondern auch um andere damit zu erquicken. Nicht Kenntnis des Buchstabens der Schrift, nicht Erklärung schwieriger Stellen, nicht Scharfsinn, um die tiefen Geheimnisse zu erforschen, können unsere Bedürfnisse befriedigen oder unsere hungrigen Seelen sättigen. Wir haben N a h r u n g nötig; keine Erkenntnis ist nötig, welche aufbläht, sondern die Erkenntnis, die den innerlichen Menschen ernährt. — Haben nicht viele unter uns auf eine traurige Weise gefehlt? Und wenn dies ist, können wir uns dann wundern, daß wir so schwach und matt sind? O, hätten wir mehr Kraft, um durch den Glauben an den Sohn Gottes zu leben, der uns geliebt und Sich Selbst für uns dahingegeben hat! (Gal. 2, 20). 195 

Das Geheimnis unserer Kraft 

Unter denen, die sich als Christen bekennen und die auch im allgemeinen für Gläubige gehalten werden, gibt es nicht wenige, die nicht einmal wissen, ob sie erlöst sind oder nicht; andere, welche sich wohl ihrer Erlösung bewußt sind, scheinen kaum zu begreifen, daß dieselbe keineswegs der Zweck, sondern allein das Mittel ist, um zu diesem Zweck zu gelangen; wieder andere meinen, daß der Zweck, wozu sie erlöst seien, darin bestehe, daß sie v i e l v o m H e r r n g e n ö s s e n ; und nur wenige haben in Wahrheit verstanden, daß der Zweck ihrer Erlösung darin besteht, de n Er - l ö s e r z u v e r h e r r l i c h e n . Doch auch unter diesen, welche die Verherrlichung des Herrn als den Zweck, wozu sie erlöst sind, kennen gelernt haben und welche in Betreff der Erreichung dieses Zwecks nicht gleichgültig sind, trifft man viele an, welche, wenn sie aufrichtig sind, bekennen müssen, daß sie diesem Zwecke so wenig entsprechen, daß sie nur selten das Bewußtsein haben, diesem Zwecke nachgekommen zu sein, und daß sie sich, im Vergleich zu den ersten Tagen ihrer Errettung, eher von diesem Zweck zu entfernen als näher zu kommen scheinen. Die Ursache dieser traurigen Erscheinung liegt darin, daß in vielen Erlösten s o w e n i g K r a f t zur Verherrlichung Gottes vorhanden ist. Ich meine nicht, daß sie zu wenig gute Vorsätze fassen, noch daß sie nicht bereit sind, dieselben auszuführen; auch werfe ich ihnen ihren Mangel an dem, was man unter den Menschen moralischen Mut, Festigkeit des Charakters usw. nennt, nicht vor, — ich meine, daß sie so wenig die K r a f t G o t t e s zeigen, die das bewirkt, was in den Augen Gottes zu Seiner Verherrlichung ist. Es ist sehr tröstlich, wenn wir bei diesem allen daran denken, daß Einer auf dieser Erde war, der am Ende Seiner Laufbahn sagen konnte: „Vater , ic h h a b e d i c h ver - h e r r l i c h t ! " — Und es ist sehr tröstlich, daß uns von diesem Einen nicht nur mitgeteilt wird, daß Er Gott verherrlicht hat, sondern auch, daß das Leben, durch welches Er dieses getan hat, uns in ausführlichen Zügen vor die Augen gemalt ist; und es ist endlich über alles tröstlich, daß 196 wir von diesem Einen selbst vernehmen, was d a s G e - h e i m n i s d e r K r a f t ist, wodurch Er zur Verherrlichung des Vaters fähig war. 

Wir hören dies unter anderem in dem fünften Kapitel des Evangeliums Johannes. Unser hochgelobter Heiland hatte dort einen Mann gesund gemacht, welcher 38 Jahre krank gewesen war, und hatte auch an diesem Elenden bewiesen, daß Er nicht gesandt war, zu verderben, sondern zu erhalten. Er hatte ihm auch die Sünden vergeben und dadurch bewiesen, daß Er nicht gesandt war „zu richten, sondern zu erretten." Und in diesem doppelten Zweck Seiner Sendung (eigentlich n i c h t doppelt insoweit das Wegnehmen d e r S ü n d e und das Wegnehmen i h r e r F o l g e n nur e i n e Sache war) hat Er das Herz Gottes, von welchem Er gesandt war, als ein Herz offenbart, das keine Lust hat an dem Tode des Sünders, sondern an seinem Leben. Das Werk des Heilandes war also auch hier di e V e r h e r r l i c h u n g d e s V a t e r s . Wenn wir nur in etwa die Sünde kennen und wissen, was es ist, unter derselben gefangen zu sein, dann haben wir auch in etwa einen Eindruck von der Macht Dessen, der den Sünder aus dieser Gefangenschaft befreien kann; Er, welcher es dort tat, und welcher es auch allein tun kann, nannte dann auch Gott — Seinen Vater. Er war auch Dessen Eingeborener, Er kam aus dem Schoß des Vaters, und hatte die Herrlichkeit bei Ihm, ehe die Welt war, und Gott hatte Seine Wonne in Ihm (Spr. 8). „O" — möchtet ihr vielleicht sagen — „dann wundert es uns nicht, daß Er eine solche Kraft an den Tag legen konnte; denn dann handelte Er hier in der Kraft, welche Ihm nach Seiner göttlichen Natur eigen war; wir aber, die wir aus einer Hand voll Staub sind, können diese Macht wohl bewundern, aber nicht ihrer teilhaftig werden." Dies könnte also sein, Geliebte, wenn wir nicht wüßten, daß Er, „ w e l c h e r i n d e r G e s t a l t G o t t e s war , s i c h s e l b s t z u n i c h t s m a c h t e " und in Gleichheit der Menschen geworden wäre (Phil. 2). Dies könnte also sein, wenn wir nicht in demselben Gespräch, in welchem Er Gott Seinen Vater nennt, diese bemerkenswerten Worte lesen: „ D e r S o h n k a n n n i c h t s vo n s i c h s e l b s t t u n " (V. 19). Bemerkt es wohl, „ n i c h t s vo n s i c h s e l b s t " ; nicht e i n e T a t konnte der Sohn, a l s M e n s c h d a - s t e h e n d , von sich selbst tun, ja auch selbst die Worte, welche Er sprach, sprach Er n i c h t vo n S i c h S e l b s t . Und dennoch waren Seine Worte „ G e i s t u n d L e - b e n " ; und die Macht, welche Er besaß, war nicht allein die Macht, Sünden zu vergeben, sondern — wie wir im Verlauf unseres fünften Kapitels des Johannes lesen — eine 197 Macht, u m a u f z u e r w e c k e n u n d l e b e n d i g z u m a c h e n , w e l c h e Er will . Ja, auch a l l e s Gericht ist dem Sohne übergeben worden. 

Was dünkt euch, sollte es nicht der Mühe wert sein, zu untersuchen, wie einer, der vo n s i c h s e l b s t n i c h t s zu tun vermochte, zu einer solch hohen Ausübung der Macht gelangen konnte? Es wird uns nicht allein gemeldet, daß Er von Sich Selbst nichts tun, nichts sprechen konnte, sondern wir vernehmen auch, daß gleichwie Er hörte, also r i c h t e t e oder sprach Er: Un d w a s E r d e n V a t e r t u n sah , d a s s e l b e t a t Er. Siehe, da ist uns das Geheimnis offenbar, da ist uns der Weg angewiesen! — und dies gebe der Herr uns recht zu verstehen — solches wird uns nicht nur mitgeteilt, um, es zu bewundern (wie billig es auch ist, daß wir die demütige Liebe Dessen bewundern, der a l l e s w a r u n d fü r u n s z u n i c h t s wurde); doch wie in allem, so hat auch in diesem der Herr uns ein Exempel hinterlassen, auf daß wir Seinen Fußstapfen nachfolgen möchten (1. Petri 2, 21). Der Mensch, nachdem er Sünder geworden ist, ist in den Vergehungen und Sünden t o t (Eph. 2, 1). Getrennt von Gott, fehlt ihm die E r k e n n t n i s von dem, was Gott wohlgefällig ist, und auch Kraft, um dasselbe zu tun. Dennoch bildet er sich in seinem Hochmut ein, viel — ja alles zu sein und zu können; und in hochmütigen, doch vergeblichen Anstrengungen verschwendet er seine natürlichen Kräfte, um sich zu Gott zu erheben, der ein Geist ist und im Geist und in der Wahrheit angebetet sein will. Solange der Sünder in seinem eigenwilligen und selbstgemachten Gottesdienst vorangeht, kann er nicht anders, a l s de m T o d e F r u c h t b r i n g e n . Wie schön auch seine Gedanken, Worte und Werke äußerlich scheinen mögen, so liegt dennoch dies alles im Tode, weil Er Selbst darin liegt. Betet er sogar, daß man Tränen vergießt, ist auch sein Wandel tadellos, ist sein Gemüt selbst auf das tiefste bewegt, so ist dies dennoch alles, wenn es aus ihm selbst hervorkommt, tot und nicht zur Verherrlichung Gottes. Aber — was noch mehr sagen will — so lange er in eigener Kraft wirkt, hindert er die Kraft Gottes, in ihm zu wirken. Denn Gott, welcher weiß, was für ein Gebilde wir sind, erwartet von unserer Kraft nichts; und Er will den Menschen dahin bringen, auch s e l b s t alle Erwartungen von seiner eigenen Kraft aufzugeben. Dies letztere tut auch der Mensch wirklich, wenn er sich g a n z h i l f l o s in die Arme Jesu wirft; und er würde gesegnete Erfährungen machen, wenn er auch im Praktischen bei dem bliebe, was er, als er sein Leben aus seiner eigenen Hand verlor, im Grundsatz aussprach. Doch er verwirklicht nicht stets das- 198 jenige, was er damals mehr oder weniger bestimmt aussprach, daß er t o t , daß nichts von ihm zu erwarten, daß aber Christus das Leben und daß von Ihm alles zu empfangen wäre. Durch dieses lebendige Bekenntnis tat der Mensch z u - e r s t etwas, was Gott verherrlichte. Er hörte auf, Gott zu einem Lügner zu machen; er bezeugte, daß Gott wahrhaftig und er ein Lügner sei! Er war zum ersten Male, und zwar in Betreff seines verlorenen Zustandes, mit Gott in Wahrheit eins . Und Gott antwortete darauf durch Errettung und Lebendigmachung. Soll nun der Mensch fortwährend so königlich von Gott behandelt werden, so muß er in dieser Stellung beharren — in der Stellung, wo er nicht das anschaut, was geschehen wird — in der Stellung des Glaubens, worin er bekennt, daß all das Seine, ja, daß er s e l b s t gerichtet und daß in Jesu alles und daß er selbst in Jesu übergegangen ist. 

Weiter darf er nicht die Meinung hegen, daß er in Jesu das Leben empfangen habe, um fortan in all seinem Tun nach eigener Kraft und nach eigenem Lichte dasselbe zu besitzen, zu offenbaren und zu verwirklichen. Der durch den Glauben gerechtfertigte Mensch muß wissen, daß er auch jetzt noch nicht die Erkenntnis und die Kraft besitzt, welche zur Verherrlichung des Herrn nötig sind. Er hat das Leben empfangen und ist also in de n Zustand eingetreten, wodurch er fähig ist, mit Gott in Gemeinschaft zu sein. Er wird aber nur nach dem Maße in der Erkenntnis wachsen, als er durch den Umgang mit Jesu Gott Selbst anschaut; und auch nur in dem Maße Kraft haben, um Gott zu verherrlichen, als er sich seines Unvermögens bewußt ist. Dies alles wird aber wenig oder gar nicht beachtet, weder von dem Neubekehrten, noch von Denen, die den Neubekehrten unter ihre Pflege und Leitung nehmen. Besonders ist dies in unserer Zeit der Fall. Oft hat der Neubekehrte über den ganzen Zustand des geistlichen Menschen schon lange vorher sprechen hören oder selbst mitgesprochen; und die Erkenntnis, welche er als natürlicher Mensch aufgefangen hat, bringt er als einen besonderen Schatz mit in seine wirkliche Bekehrung. Vor allem wird dafür gesorgt, daß er wohl verstehen möge, daß die Früchte eines Christen besonders in der regen Teilnahme beständen, welche er an den verschiedenen christlichen Anstalten, Vereinen usw. nähme. Und so geht er, der im geistlichen Leben ein neugeborenes Kindlein ist, an die Arbeit, indem er kaum eine andere Selbstverleugnung kennen lernt, als die, welche mit seiner Geldkasse in Verbindung steht, und kaum ein anderes A u s h a r r e n , als die Beständigkeit in 199 vielen Dingen, welche er sich in dem ersten Eifer auferlegt hat. Leiden, Verfolgungen, Haß der Welt lernt er fast nur dem Namen nach kennen. Sein Wachstum sowohl, als sein Zurückgehen wird gewöhnlich nur nach seiner größeren oder geringeren Teilnahme an obengenannten Dingen abgemessen. Sein Kampf besteht meistens in den Schwierigkeiten, die ihm in dieser Tätigkeit entgegen treten; sein Glaube offenbart sieh fast nur in der Größe der Erwartungen, welche er hegt, wenn auch Gott in Seinem Wort nicht die geringste Anleitung dazu gegeben hat. Es geht im allgemeinen mehr um das Äußere als um das Innere, mehr um das, was vor den Augen der Menschen, als um das, was vor den Augen Gottes gilt. Man bemüht sich, der Welt ein christliches Kleid anzuziehen, und bildet sich ein, daß dadurch die Ratschlüsse Gottes erfüllt würden. Es ist leicht zu begreifen, daß der Gläubige, in solch einer Umgebung aufgewachsen, so wenig zu fassen vermag, wie unser hochgelobter Heiland hier auf der Erde mehrere Male ausrufen muß: „Ich kann nichts von mir selbst tun."

 Er aber, er vermag beinahe alles von sich selbst zu tun; und es bringt ihn fast nichts anderes als die Krankheit seines Körpers und seine Geldnot zu dem Bekenntnis: „Ich kann nicht." Doch auch dann, wenn er dieser Gefahr, in der Bemühung mit anderen sich s e l b s t zu vergessen, entgangen ist, wenn er verstanden hat, daß die wahre Anbetung oder Verherrlichung Gottes im Geist und in der Wahrheit geschehen muß, wenn er mehr und mehr begreifen lernt, daß es sich in Betreff des Wohlgefallens Gottes z u e r s t um den Zustand seines Gewissens und seines Herzens handelt, wenn er vorab an den mancherlei Beziehungen als Vater, Mann, Meister oder Dienstknecht, Jüngling oder Kind usw. genug hat, um darin Gott wohlgefällig zu sein und als ein Licht in der Finsternis zu scheinen, wenn er nicht leichtfertig und nur auf die bestimmteste Anweisung des Herrn in Seinem Werke selbsttätig aufzutreten wagt, sei es auch, daß er die Arbeit derer, die vom Herrn berufen sind, durch Gebet und Gaben unterstützt — auch dann, sage ich, ist jede Tat, worin Gott verherrlicht wird, nicht etwas, was gleichsam von selbst folgt, sondern auch dann ist die stete und völlige Übergabe etwas, das allein durch Übung, durch Gebet und Flehen, durch viele oft schmerzliche Erfahrungen erlangt werden kann. Gott gibt keine Kraft, keine Gnade zu irgendeiner Sache, selbst nicht zu der kleinsten, wenn nicht in Wahrheit das Bekenntnis des eigenen Unvermögens abgelegt ist, wenn nicht nach einem solchen Bekenntnis h a r r e n d zu Ihm 200 aufgeschaut wird, und wenn endlich nicht erkannt wird, daß beim Handeln in eigener Kraft wohl vieles verdorben, aber Gott nicht verherrlicht wird. Es ist nun wohl der Fall, daß wir zuweilen unsere Not fühlen, wenn eine Sache verrichtet werden muß, die in unseren Augen etwas Besonderes, etwas Großes, etwas Erhebliches ist; auch geben wir wohl zu, daß wir von uns selbst nichts Gutes vermögen, wenn unsere Kraft bereits gewirkt hat und d a s W e r k v e r d o r b e n i s t ; aber auch dann geschieht es oft nur deshalb, weil die Schwierigkeit vorliegt, eine Tatsache, wovon die klarsten Beweise vorhanden sind, zu leugnen. Etwas anderes aber ist es, durch das Wort Gottes, bewiesen durch viele nicht zu leugnende Tatsachen, zu dem für das Ich so peinliche Bekenntnis gebracht zu sein: Ic h k a n n v a n m i r s e l b s t n i c h t s t u n ; ja, etwas anderes ist es, wenn wir aufgehört haben, das so schnell ausgesprochene Mundbekenntnis: d a ß w i r d u r c h u n s s e l b s t z u n i c h t s f ä h i g sind , durch die Praxis zunichte zu machen, um in allem, was von uns in Gedanken oder Worten oder Werken geschieht, das Bedürfnis nach der Kraft eines anderen zu fühlen. Dies fällt uns besonders in Bezug auf solche Dinge schwer, welche durch unsere natürliche Anlage, durch unsere Erziehung oder Entwicklung, durch die Schärfe unseres Verstandes, oder die Zartheit unseres Gemütes hervorgebracht sind, und welche so leicht als Früchte des Geistes und als Beweise des Wachstums im geistlichen Leben betrachtet werden. Hier ist das Eigene so schnell bereit, um sich als Gnadengabe hervorzutun; hier wird das, was allein Natur ist , und Natur b l e i b t so oft geheiligter Verstand und geheiligter Eifar genannt; hier ist ja so viele Gefahr, seine Abhängigkeit und sein Unvermögen zu vergessen.

 Wenn es etwas zu tun gibt, was gegen eine besondere Neigung unserer Natur streitet, etwas, wozu keine Hilfsmittel, aber wohl Schwierigkeiten, vorhanden sind, da mag die Not uns noch wohl treiben, die Dazwischenkunft des Herrn zu erflehen; — wie schnell aber sind wir geneigt, ohne das Bedürfnis nach Gnade zu fühlen, in irgend einer Sache, wo unsere eigene Persönlichkeit ihre Einsicht und Kraft an den Tag legen kann, selbsttätig aufzutreten. Doch, Geliebte, wenn auch für das natürliche Auge oder Ohr kein Unterschied wahrzunehmen ist, wenn auch äußerlich noch so schön scheinende Dinge hervorgebracht werden, es wird der Herr nicht verherrlicht, wenn nicht unser Wort oder unser Tun aus dem lebendigen Bewußtsein hervorgeht, daß wir von uns selbst nicht so zu reden und zu handeln vermögen, wie es vor Gott angenehm ist. Nur das geht 201 zum Herrn zurück, was von Ihm ausgegangen ist. Wo die Gnade nicht gewirkt hat, da hat unsere Natur gewirkt, und unsere Natur ist ein für allemal zu Schanden gemacht. Gott hat gesehen, daß nicht e i n e r unter uns war, der Gutes tat; wir alle erreichten die Herrlichkeit Gottes nicht. Er hat auf Kosten des Blutes Seines eingeborenen Sohnes auf Golgatha angesichts aller Zeitalter und aller Geschlechter offenbart, welchen Wert der Mensch und was des Menschen ist, in den Augen Gottes hat. Und wie können wir uns jetzt noch einbilden, daß die Früchte eines, solchen Baumes in den Augen des Heiligen von irgend welchem Wohlgefallen sein können, daß der Herr mit dem, was von uns ist, verherrlicht werden könne. Deshalb, geliebte Brüder, fangen wir, wenn wir irgend etwas tun wollen, damit an, Gott die Ehre zu geben, indem wir Ihm von Herzen zustimmen, daß in uns k e i n e Kraft vorhanden sei. Hören wir auf, in diesem Hochmut, den niemand unter uns zu lernen braucht, und zu dessen Ablegung wir nicht so leicht kommen, zu verharren. Laßt uns auch tief von dem Gefühl durchdrungen sein, d a ß w i r von uns selbst nichts anderes vermögen, als dem Tode Frucht zu bringen. Wenn wir aber völlig entblößt vor Ihm stehen, dann wird Er uns ehren und Seine Kraft wird in der Schwachheit offenbar werden. 

Und wo diese Kraft wirkt, da wird etwas zustande gebracht, was vor Ihm bestehen und in Seinen Augen wohlgefällig sein wird. Welch eine Gnade, daß der Sohn Gottes, um uns von diesem Hochmut zu befreien, und um uns von der Gott wohlgefälligen Niedrigkeit ein lebendiges Vorbild zu geben, sich der Herrlichkeit Gottes, welche Er besaß und welche w i r nicht erreichen • konnten, entäußerte, um hier auf dieser Erde fü r u n s a r m e G e s c h ö p f e mit dem Zeugnis zu stehen: „ I c h k a n n vo n m i r s e l b s t n i c h t s t u n ; e s se i d e n n , w a s ic h d e n V a t e r t u n sehe . Ic h k a n n n i c h t s vo n m i r s e l b e r r e d e n ; g l e i c h w i e ic h h ö r e , a l s o r i c h t e i c h." Es liegt für uns eine doppelte Gnade darin. Zuerst wissen wir jetzt, daß Er fü r uns, und zwar vollkommen, auf diesem niedrigen Platz gestanden hat, so daß keine ängstliche Furcht, ob wir in dieser Beziehung wohl je Gott befriedigen könnten, uns niederzubeugen braucht. Und dann, wenn das Herz selbst das Bedürfnis hat, Gott zu verherrlichen, um den Segen, welcher darin liegt, zu empfangen, so sehen wir in Ihm uns den Weg angewiesen, um dazu zu gelangen. Unser Herz sei nur stets so gestellt, daß wir, gleichwie Er, bezeugen: Ic h k a n n vo n m i r s e l b s t 202 n i c h t s t u n ; und wenn wir dies nicht mehr k ö n n e n so laßt es uns auch nicht mehr w o l l e n . Weiter sehen wir in Jesu, daß wir, sobald wir wirklich unser Unvermögen erkennen, in der Verherrlichung Gottes Fortschritte machen; denn Er konnte am Ende Seiner Laufbahn sagen: „Ich habe dich, o Vater, verherrlicht!" Er war in diesem Werke allezeit ü b e r s t r ö m e n d . Bis zum Tod des Kreuzes war Er gehorsam; und Sein Wandel war ein Wandel im G u t e s t u n , weil „Gnade und Wahrheit über seine Lippen ausgegossen waren." Aber dann auch müssen wir, wie Er, „wachsen in den Gebeten" — nicht als ob wir Gott bewegen wollten, unser Weniges zu vervollständigen, sondern in der Überzeugung und mit dem Bekenntnis, daß bei uns n i c h t s vorhanden ist. Tun wir denn auch keine glänzenden Taten, wie sie unsere Zeit so gern sieht, was liegt daran? Er, welcher ein gerechtes Urteil fällt und welcher die zwei Pfennige, aus der Notdurft gegeben, höher schätzt als die vielen Silberlinge aus dem Überfluß der Reichen, wird ein sanftmütiges Herz, das eine Beleidigung geduldig erträgt, mit mehr Wohlgefallen ansehen, als den, der über Land und Meer reist, um christliche Anstalten zu gründen, wozu er von Ihm nicht beauftragt ist. Laßt uns jeden Tag mit dem Bewußtsein anfangen, da ß w i r a u s u n s s e l b s t n i c h t s z u t u n v e r m ö g e n , und laßt uns in diesem Bewußtsein Tag für Tag vorangehen und zunehmen. Und wenn dies der Fall ist, so werden wir wenig verlorene Tage und verlorene Stunden haben. Wir werden dann, wenn auch das unsrige mehr und mehr hinfällt, eine Speise haben, die niemand kennt und durch welche wir aufwachsen und zunehmen werden, wie die Mastkälber. Weiter sagt uns nun Jesus, daß Er, welcher aus Sich Selbst nichts konnte, allein das verrichtete, was Er den V a t e r t u n sah . 

Wir möchten nun vielleicht, gleichwie Philippus, auf das Vorrecht Jesu, der immer den Vater w i r k e n s a h , eifersüchtig werden, und das um so mehr, da die Schrift sagt: „ N i e m a n d h a t G o t t j e g e - sehen. " Glücklich aber, daß auf dieses Wort der Schrift ein anderes folgt: „ D e r e i n g e b o r e n e Sohn , d e r i n de s V a t e r s S c h o ß i s t , h a t i h n u n s k u n d g e - m a c h t." Glücklich, daß auf die Frage eines Philippus die Antwort gegeben ist: „So lange bin ich bei euch und du hast mich nicht erkannt? W e r m i c h g e s e h e n , d e r h a t d e n V a t e r gesehen. " So viele von uns nun zu Jesu gekommen sind, „als zu einem lebendigen Stein, von Menschen zwar verworfen, vor Gott aber auserwählt kostbar", laßt uns auf Ihn sehen, wie Er uns in den Evangelien vor die Augen gemalt ist. Ehe wir 203 etwas tun oder sprechen, laßt uns sehen, wie Jesus auf dieser Erde und in unseren Umständen handelte und sprach. Der Blick auf Jesum, hervorkommend aus dem Gefühl, daß wir vo n u n s s e l b s t n i c h t s zur Verherrlichung Gottes zu tun vermögen, wird ebensowenig ohne gesegnete Folgen sein, wie d a s S e h e n au f de n V a t e r vo n S e i t e n J e s u , welcher, als Er einen, „der schon stinkend war", aus dem Grabe rufen sollte, das Zeugnis vor uns ablegte: „Ich weiß, Vater, daß du mich allezeit erhörst!" Unsere Bedürfnisse mögen sich nach unseren Umständen und Verhältnissen richten; unsere Versuchungen mögen so ganz anderer Art zu sein scheinen; aber zu unserer Beruhigung und zu unserem Trost steht geschrieben: „ D e r i n a l l e m g l e i c h w i e w i r v e r s u c h t w o r d e n i s t , ausgenommen die Sünde." Und darum ist er jetzt auch ein Hoherpriester, der stets mit unseren Schwachheiten Mitleiden haben kann. Laßt uns denn von ihm, als solchem, Gebrauch machen! Und ist es uns wirklich um die Verherrlichung Gottes zu tun, so werden wir erfahren, daß alle Dinge unseren Füßen unterworfen sind. Gott gebe uns unter allen Gnaden besonders d i e s e , daß wir das ernste Wort Jesu nicht vergessen: „ A u ß e r m i r k ö n n t i h r n i c h t s t u n " , damit wir auch, wenn v/ir aus Erfahrung mit dem Apostel bekennen: „ I c h v e r m a g a l l e s i n d e m , d e r m i c h k r ä f t i g t ! " 
Ihn loben und preisen können. 

Davids Flucht nach Ziklag

 In 1. Samuel 27, 1 lesen wir folgende Klage: „Ich werde an einem der Tage durch Sauls Hand umkommen: es ist mir nichts Besseres, denn daß ich entrinne in der Philister Land, daß Saul von mir ablasse, mich ferner zu suchen in allen Grenzen Israels; so werde ich seiner Hand entrinnen." — Wüßte man nicht, wer hier spräche, so würde man glauben, die Klage eines Menschen zu hören, der aufs ärgste verfolgt, ganz allein in der Welt stände und weder bei Gott noch bei Menschen irgend einen Ausweg zu finden wüßte — die Klage eines Menschen, der nie das Glück empfunden hätte, durch die Hand Gottes bewahrt und errettet zu werden, der nicht wüßte, daß ein Gott im Himmel 204 ist, der allen denen hilft, die auf Ihn vertrauen und der sich aus Verzweiflung den Händen der Feinde seines Vaterlandes übergeben wollte. Ja, so würden wir sagen, wenn wir den, der hier redet, nicht kennen würden. 

Doch es ist David, aus dessen Herzen diese Klage hervordringt — David, der schon so oft und so augenscheinlich die beschirmende Hand Gottes erfahren hatte — David, der als ein junger Löwe dem Riesen Goliath gegenüberstand — David, der zum König über Israel gesalbt war, und also wußte, daß er an Sauls Stelle regieren sollte •— David, der schon einmal erfahren hatte, wie gefährlich es war, sich außerhalb Palästina aufzuhalten, indem er, um sein Leben zu erretten, sich unverständig stellen mußte; mit einem Wort, es war David, der „Mann nach dem Herzen Gottes", der selber schon gesungen hatte: „Du bist meine Hilfe gewesen, o Gott meines Heils!" Hier haben wir das Herz des Menschen, sobald das Wort Gottes vergessen und die Gemeinschaft mit Ihm unterbrochen ist. Man kann als ein Gläubiger auf die mannigfachste und augenscheinlichste Weise Gottes Durchhilfe erfahren haben, so wird man dennoch, sobald die Gemeinschaft zwischen Gott und der Seele unterbrochen ist, denken und handeln, als ob man ihn nimmer gekannt hätte. Die Umstände werden alsdann über Gott gestellt und anstatt mit Gott, beschäftigen wir uns mit diesen. Wäre das Herz Davids in diesem Augenblick mit Gott in Gemeinschaft gewesen, so würde er, nach so vielen Beweisen der Hilfe und Treue Gottes, sicher nicht also gesprochen haben. Er würde dann nicht vor dem, König Achis, sondern vor Gott seine Sorgen und Beschwerden haben kund werden lassen. Die gegenwärtige Gefahr ließ ihn die frühere Hilfe des Herrn ganz vergessen. Er sah nur die Hand, die g e g e n , und nicht die Hand, die fü r ihn war. Sein Blick war auf sich selbst und auf seine eigene Kraft gerichtet, und darum war er mutlos und machte sich auf und ging hinüber samt den sechshundert Mann, die bei ihm waren zu Achis, dem Sohne Maoch, König zu Gath. Eine ernste Lehre für uns! David, der in seinen früheren Wegen uns ein herrliches Vorbild des Glaubens vorstellte, wird hier zum Exempel eine ernsten Warnung. Ja, geliebte Brüder, wir können in vielen Versuchungen durch Glauben überwunden haben, sobald wir aber bei weiterem Vorangehen, uns darauf stützen, so sind wir schon auf einem verkehrten Wege. Nicht die gemachten Erfahrungen von der Durchhilfe Gottes geben uns Kraft, in den Schwierigkeiten dieses Lebens mutig voranzugehen, sondern allein eine fortwährende Gemeinschaft mit Gott. Wie oft hört 205 man die Heiligen Gottes von d e m reden, was sie vor Jahren erfahren haben, wie Gott ihnen ausgeholfen hat und wie sie zu der Zeit so glücklich waren. 

Was aber hilft dies alles, wenn ich jetzt nicht glücklich bin? Es handelt sich nicht darum, ob ich f r ü h e r glücklich war, sondern ob ich es j e t z t bin. Bin ich j e t z t glücklich, dann können die früheren Erfahrungen der Hilfe Gottes mir zum Trost sein, anders aber werden sie mich verurteilen. Unser Vertrauen auf Gott mag sehr stark gewesen sein, sobald aber die Gemeinschaft mit Ihm unterbrochen ist, so gewinnt die alte Natur, welche der Mensch mehr fürchtet als Gott, wieder die Oberhand, dann treten dieselben Neigungen und Begierden wieder in den Vordergrund. Wäre nun das Herz nüchtern genug, nach einer solchen Abweichung sogleich mit einem aufrichtigen Bekenntnis zu Gott zurückzukehren, dann würden so viele schmerzlichen Wege unnötig sein. Doch ach, hat man einmal, anstatt zu Gott, zu dem Menschen seine Zuflucht genommen, dann muß man auch die Folgen eines solchen Schrittes tragen. Gott ist barmherzig, aber der Mensch.... Das hat David erfahren und darum sagt er bei einer späteren Gelegenheit: „Laß' mich lieber in deine Hand fallen, o Herr!" Einmal im Lande der Philister angekommen, mußte er sich durch allerlei krumme Wege in einem guten Gerücht zu halten suchen. „Habe ich Gnade vor deinen Augen gefunden", sagte er zu Achis. Welch eine Erniedrigung für den Gesalbten des Herrn! — Er empfing Ziklag zu seinem Wohnplatz. Außer der Gemeinschaft Gottes, hörte David auf, ein Pilger zu sein. Es gab eine Zeit, daß er lieber mit Gott in der Wüste sein wollte, als in dem Palast des Königs. Es gab eine Zeit, wo seine Seele, um der Erlösung durch die Hand Gottes willen in der Gefahr frohlockte. Jetzt suchte er einen Platz, um zu ruhen — einen Platz, wie ihn der Unglaube verlangt. Er blieb daselbst ein Jahr und vier Monate. Es ist für das Fleisch angenehm, wenn wir uns den Schwierigkeiten unserer Pilgerreise entziehen und vergessen, daß wir Gottes Hausgenossen sind, wenn wir uns ruhig niedersetzen, um die Herrlichkeit dieser Erde und ihrer Bewohner zu genießen; aber durch nichts kann der Heilige Geist mehr betrübt werden. Und dennoch kann man in einem solchen Zustand sehr eifrig für den Herrn sein und scheinbar auf dem schmalen Pfad einhergehen; aber es ist ein unheiliger Dienst, — ein selbstsüchtiger und unehrlicher. Dies sehen wir bei David. Er bekämpfte von Ziklag aus die Feinde des Herrn. Doch mußte er mit Lügen dasjenige zu bedecken suchen, was, wenn er in der rechten Stellung 206 vor Gott gewesen wäre, laut von den Dächern verkündigt worden wäre. Dieses war aber erst der Anfang der Schwierigkeiten. Die Philister zogen gegen Israel in den Streit, und David stand in ihren Schlachtreihen gegen sein eigenes Volk. Da sehen wir, wohin die Abweichung von Gott ihn gebracht hatte! Die Gefahr vor Saul war gegen die feindliche Stellung, in welche er durch seine eigene Schuld gekommen war, in der Tat gering. So geht es immer, wenn wir die Schwierigkeiten mehr fürchten als Gott, dann kehren sich jene gegen uns. — David war aber ein Mann nach dem Herzen Gottes, und darum kam ihm auch Gott mit Seiner rettenden Hand wieder zu Hilfe.

 Dies finden wir in Kapitel 29, 6-11. Doch war die Gemeinschaft zwischen ihm und Gott noch nicht wieder hergestellt, und dies war es, was der Herr bezwecken wollte; deshalb sehen wir die Züchtigung für David in Kapitel 30. Ziklag, wo er so ruhig zu wohnen gedachte, wurde verbrannt, alle die Güter geplündert und die Weiber und Kinder weggeführt! „David war sehr betrübt." Er hatte sein Vertrauen nicht auf Gott gesetzt, und wo war er jetzt? Das Volk wollte ihn steinigen. O, Geliebte! wieviel mannigfache Schwierigkeiten bereiten wir uns selbst durch Unglauben und wieviel Entehrung bringen wir dadurch auf den Namen Gottes. Durch diese Erfahrung wurde aber das Gewissen Davids wach gemacht und es wurde ihm bange.
 O wie gut ist es, daß wir auch dies vernehmen. Die Gemeinschaft mit Gott war wieder hergestellt und in demselben Augenblick war auch alle Furcht verschwunden. Er geht auf Gottes Befehl in den Streit und überwindet. Welch ein köstlicher Trost für uns! Gott hilft wieder ebenso wie vorhin, obwohl Er so lange entehrt war. Der Herr bringt Seine Kinder wieder zurecht. Das ist, was wir h i e r sehen, so wie wir oben gesehen haben, wohin die Abweichung von Gott führt. „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünden vergibt und uns von aller Ungerechtigkeit reinigt." 207 

Mitteilungen über das Werk Gottes in unseren Tagen M o n d r o s e und T e r r y d e n .

 — Folgendes ist ein Auszug aus einem Brief in einer Zeitschrift (Scottisch Guardian). Auf meiner Reise durch Schottland besuchte ich auch Mondrose. Man sah dort etwas vom Werke des Herrn. Die Erweckung in diesem Teil des Landes war durch folgenden merkwürdigen Vorfall entstanden. Ein hiesiger Jüngling hatte seinen Bruder in Irland besucht, der vor seiner Ankunft den Herrn gefunden hatte. Der Angekommene, nichts wissend von der Veränderung, die bei seinem Bruder Platz gegriffen hatte, war nicht wenig verwundert über das, was er sah und hörte, und wurde sogar, da er sehr leichtsinnig und ein Flucher war, sehr ärgerlich und böse. Jedoch ging er mit in die Versammlung; und dort wurde er sehr in seinem Gewissen getroffen und unruhig über seine Sünden. Kurz darauf fand er Frieden und kehrte, in Jesu sich erfreuend, nach Mondrose zurück. Kaum nach Hause gekommen, teilte er die in Irland gesehenen großen Wunder mit; und da ein jeder die unzweideutige Veränderung an ihm wahrnehmen mußte, so war niemand imstande, seine Erzählung zu bezweifeln. In sehr einfältiger Weise verkündigte er das Evangelium; und der Herr segnete seine Predigt in einem so außerordentlichen Maße, daß die ganze Gegend davon ergriffen ward. Viele wurden bekehrt, und unter anderen auch eine Dame, die selbst später das Mittel wurde zur Bekehrung ihres Mannes, ihres Sohnes und vieler anderen. Sie war durch eine Predigt dieses Jünglings heftig getroffen worden und drei Tage hindurch in der größten Angst gewesen. Am vierten Tage aber fand sie Frieden, und ihre Freude war so groß, daß sie ihre Arbeit verließ, augenblicklich zu ihrem Manne lief und zu ihm sagte: „Ich hab' Ihn gefunden, ich hab' Ihn gefunden!" Von Mondrose schritt die Erweckung nach Terryden, einem gottlosen Städtchen von zwölfhundert Einwohnern, die fast sämtlich Fischer sind. Dort besuchte ich sehr viele und war bei allen willkommen. 

Obgleich sie erst seit wenigen Wochen Frieden gefunden hatten, war ihre Freude doch unbeschreiblich groß. Zuerst besuchten wir eine junge Frau, die samt ihrem Manne und ihrer Schwester bekehrt 208 war. Sie war sehr glücklich und konnte nicht aufhören, jedem zu erzählen, was sie in Jesu gefunden habe. Ihr Mann hatte etliche bange Tage durchlebt; dann aber waren die Tränen, die seine Wangen benetzten, redende Zeugen seines inneren Friedens gewesen. „O", sagte sie zu mir, „das war ein glücklicher Tag, als ich mich in diesem Zustand befand; denn nun wußte ich gewiß, daß der Herr ihn angenommen habe." Auch besuchten wir eine Familie, wovon die Frau, der Mann und der 80jährige Vater Frieden gefunden hatten. Letzteren fragte ich, wie es ihm gehe; und mit Tränen in den Augen bezeugte er mir, daß er vor einer Woche Frieden gefunden habe. Es war ein herrlicher Anblick. Gleich dem Mörder am Kreuze war er noch in der letzten Stunde gerettet worden. Dann besuchte ich noch eine Familie, worin alle, — der Mann, die Frau, die Kinder und die Dienstboten — bekehrt waren. O nimmer durchlebte ich solch eine selige Stunde! Der Herr sei für Seine Gnade gepriesen! I t a l i e n . Folgendes ist ein Auszug eines Briefes von Signore Ferretti an etliche Freunde in Edinburgh. An den Grenzen der Lombardei, ungefähr zwei Meilen von Milaan, lebt ein den meisten Europäern unbekannter Volksstamm. Obschon der Schweiz angehörend, sind die Bewohner dieser Gegend eigentlich doch Italiener, so wie ihre Sprache italienisch ist. Seit dem 16. Jahrhundert gehören sie der protestantischen Kirche an; die Formen ihres Gottesdienstes sind höchst einfach. So .lange ihre Grenznachbarn Untertanen Österreichs waren, gehörte die Verbreitung ihrer Traktate in das Reich der Unmöglichkeit; jedoch seit die Lombardei dem Sardinischen Königreich einverleibt ist, ist dort auch für das Evangelium die Tür geöffnet, sodaß schon jetzt in vielen Städten und Dörfern dieses Landes die frohe Botschaft verkündigt wird. Aus Briefen hatte ich bereits viel von diesen neuen Zuständen vernommen, beschloß aber selbst hinzureisen, um mich mit eigenen Augen davon zu überzeugen. Um ihnen alles mitzuteilen, was ich sah und hörte, würde manchen Bogen Papier füllen. Die Versammlungen werden nicht nur des Sonntags besucht, sondern finden jeden Tag statt, und zwar meistens mitten am Tage. Und dennoch gehört die größte Anzahl der Zuhörer der arbeitenden Klasse an, die, anstatt ihre Ruhestunden in Bier- und Kaffeehäusern zuzubringen, hierher eilen, um auf das Eine zu horchen, was ihrer Seele not tut.
 Die meisten Bekehrten waren früher die am meisten verachteten Glieder der menschlichen Gesellschaft. Folgende Tatsache möge als Beweis dienen: In Alessandrien wohnte ein gottloser Mensch, der ein 7t 209 Schrecken der Umgegend war. Laster aller Art, Trunkund Streitsucht waren seine unschuldigsten Vergnügungen. Eines Abends kam er in eine Versammlung, teils aus Neugierde, teils in der Absicht, um zu stören. Aber Er, der auf dem Wege nach Damaskus einen Paulus zur Erde warf, traf auch das Herz dieses Taugenichtses und verwandelte ihn aus einem Tiger in ein Lamm.

 Er kehrte zu seiner Frau und seinen Kindern, die er verlassen hatte, zurück, lernte lesen, und der Herr hat ihn als ein Werkzeug zur Bekehrung vieler anderen gebraucht. Ja, dieser Mann, vor dem früher ein jeder zitterte, predigte jetzt Jesum. Wie er früher bei der geringsten Veranlassung nicht selten rachedürstend den Dolch aus seinem Busen zog, habe ich ihn jetzt bei einer gewissen Gelegenheit die Bibel aus der Tasche ziehen sehen und einem wütenden Widersacher die Worte vorlesen hören: „Wenn dich jemand auf die eine Wange schlägt, so biete ihm auch die andere dar"; und diese Worte trafen so sehr das Herz seines Gegners, daß auch er zu Jesu bekehrt wurde. Die Bekehrungen in Italien stehen genau in Übereinstimmung mit dem Worts Gottes. Sie bestehen nicht in einem von Menschen gemachten Glaubensbekenntnis oder in einer Veränderung von Ansichten über Lehrpunkte, sondern in einer Erneuerung des Herzens und Wandels und geben Zeugnis von einer neuen Geburt aus Gott. Eine Frau, deren Mann bekehrt worden war, erwiderte einem Priester, der ihr anriet, sich von ihm als einem Ketzer zu trennen: „Wie? ich sollte mich von meinem Mann trennen? Als er noch zu Euch gehörte, kam er jeden Abend betrunken nach Hause, mißhandelte mich und* sorgte nicht einmal für trockenes Brot für meine hungernden Kinder. Aber jetzt, wo er nicht mehr zur Messe geht, und wie ihr sagt, ein Ketzer ist, jetzt trinkt er nicht, mißhandelt mich nicht mehr, schafft zum Überfluß Brot ins Haus und erzeigt mir eine Liebe, wie ich sie nie zuvor gefunden habe." Solche Worte sind kräftiger und überzeugender als die mancher Predigt. Die Christen zu Florenz lassen ihre Kinder nicht eher taufen, als bis sie deutliche Beweise haben, daß sie an Jesum gläubig geworden sind. Früher wurden ungetaufte Kinder nicht einregistriert und auch wurde ihnen ein ehrliches Begräbnis verweigert. Jetzt ist dies alles verändert. In Florenz sind viele Christen. Auch in Venetien und Neapel, ja selbst in Rom bis zum Vatikan finden sich in nicht geringer Anzahl Brüder, die für die Evangelisation in Italien beten. 210 

I r l a n d . Derselbe Bruder, dem wir obige Mitteilung verdanken, schreibt auch noch Folgendes: Newtowulimavady, den 26. Juli 1860 Wenn ich die Erscheinungen der Erweckung in diesem Distrikt, wo so manche Seele den Herrn gefunden hat, beobachte, dann finde ich alle Ursache, um Gott für Seine überschwengliche Gnade zu danken. Die Mehrzahl derer, die bekehrt wurden, harren bis jetzt im Glauben aus; und das ganze Tal hat dadurch ein ernstes Aussehen bekommen. Etliche wenige sind zwar wieder zur Welt zurückgekehrt, doch die meisten sind sehr glücklich. Ihr erneuerter Wandel sowie ihre große Begierde nach dem Worte Gottes sind Beweise ihrer Geburt aus Gott. Dabei geht das Werk seinen Gang ruhig vorwärts; und obschon die Versammlungen nicht mehr von solch großen Massen besucht werden, so haben sie dadurch nur gewonnen, indem die jetzigen Besucher nicht aus Neugierde, sondern aus Bedürfnis erscheinen. Es herrscht stets große Aufmerksamkeit und noch immer finden viele Bekehrungen statt. Das Werk hat sich jetzt bereits über dem ganzen Norden ausgebreitet und ist überall mit Segen begleitet. Vor allem sind die Predigten im Freien von großer Wirkung. Darum werden Sie nicht müde, unser zu gedenken in Ihren Gebeten. Ihr Bruder in Christo. 211</p><p> </p>


Botschafter des Heils in Christo1861

02/02/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Inhaltsverzeichnis: Botschafter des Heils in Christo 1861


Betrachtung über den Römerbrief (Römerbrief) JND
Der Weg hinauf nach Jerusalem . . ' ..(Markus 10, 17-52) 89-94
Geliebter Bruder in dem Herrn94-96
Was ist zu glauben nötig, um selig zu werden 96-107
Das Blut des Passahlammes und das Rote Meer (2. Mose 12; 2. Mose 13; 2. Mose 14) 107-109
„Der Herr wird für euch streiten" (2. Mose 14,14) 109-110
Bist Du Deiner Seligkeit gewiß? 110-120
Der Weg Kains (Judas 1) 120-123
Das Cananäische Weib (Matthäus 15,21-28) 123-126
Die Wege Gottes mit dem Menschen 126-143
Zur rechten Zeit . 143-146
Naemann der Syrer ( 2. Könige 5) 146-154
Ist Christus auch für mich!  154-156
„Das Werk habe ich vollbracht" (Johannes 17,4) 156-158
Das Kommen des Herrn und der Tag des Herrn (2. Petrus 3)  158-161
Mitteilungen über das Werk Gottes in unseren Tagen 161-172
Geliebter Bruder 172-215

Markus 10 Der Weg hinauf nach Jerusalem.

(Mark. 10, 17-52)

In dem vorliegenden Schriftabschnitt werden uns in dem reichen Jüngling, den Jüngern und dem blinden Bartimäus drei verschiedene Charakterbilder vorgestellt.

l. In der Person des reichen Jünglings finden wir eine große Klasse von Menschen vertreten. Er war für das Wohl seiner Seele nicht ohne wirkliche Besorgnis. Er suchte „ewiges Leben" und hatte sich augen­scheinlich angestrengt, um es durch Gesetzeswerke zu erlangen. Alle seine gesetzlichen Anstrengungen aber hatten ihn nicht befriedigt. Er fühlte immer noch einen Mangel und darum kommt er zu Jesu. Wie aber deckt schon die erste Frage den falschen Grund auf, worauf die­ser reiche Jüngling stand. Er sagt: „Was soll ich tun, daß ich das ewige Leben ererbe?" Sein Geist, durch die Nebel des Gesetzes noch verfin­stert, hatte noch nie die wunderbare Wahrheit aufgenommen, daß „das ewige Leben" die „Gabe Gottes" ist, und nicht eine Belohnung des menschlichen Tuns.

 Seine Frage bewies sehr klar, 'wie wenig er noch die Handlungen Gottes mit dem Menschen, sowie auch seinen eigenen wirklichen Zustand in den Augen Gottes verstand. Deshalb sendet ihn der Herr Jesus zurück zu Mose — zurück zu dem Fuße des Berges Sinai, um die feierlichen und Eindruck machenden Aussprüche zu ler­nen, welche dort unter Donner und Blitz, unter Dunkel und Finsternis und Sturm mitgeteilt wurden. Dies ist die Wirkliche Richtung und auch der Gegenstand der Antwort des Herrn: „Du weißt die Gebote." Es . ist, als wenn Er zu ihm gesagt hätte: „Du bist in deiner Nachtrage um hunderte Jahre zurück. Dein Tun ist schon lange vorher beim Berge Sinai versucht worden, und hat mit Fallen geendigt. Ich bin hier, um den Grund des menschlichen Tuns beiseite zu setzen. Das ewige Leben ist eine Gabe Gottes und nicht das Verdienst des Menschen.

Der reiche Jüngling verstand nicht, wo das Gesetz ihn in Wirklich­keit hinstellte. Er war sowohl in Betreff der Helligkeit des Gesetzes, als auch in Betreff seines eigenen verderbten Zustandes in Unwissen­heit. Er sagt: „Alles dieses habe ich von meiner Jugend auf beobachtet." Niemand, der die Höhe des Gesetzes und die Tiefe des menschlichen Verderbens kennt, wird dies zu behaupten wagen. Alle, welche vom Halten des Gesetzes sprechen, „wissen nicht, was sie sagen, noch was sie behaupten." Wenn der Mensch das Gesetz halten könnte, dann wäre er entweder vollkommen, oder das Gesetz wäre unvollkommen" (Röm. 7, 12). Deshalb ist es unmöglich, daß ein sündiges Geschöpf so das Ge­setz halten könnte, daß es durch das Gesetz das Leben erlangte; und darum war dieser reiche Jüngling, wenn er sagt, daß er alle die Gebote beobachtet habe, ganz im Irrtum. Es würde ihm auch nicht noch etwas gefehlt haben; aber Christus sagt zu ihm:'„Eins fehlt dir." Moses be­schreibt die Gerechtigkeit, die aus dem Gesetze ist: „der Mensch, der dasselbe- getan hat, wird dadurch leben" (Röm. 10, 5). Wenn also ein Mensch behaupten könnte, daß er die Gebote gehalten habe, so würde er ein Recht haben zu leben — als ein Verdienst seines Tuns. Wer aber wollte sich unterstehen, solch eine gewagte Forderung zu machen? Wer

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 hat so die Gebote gehalten, daß er deshalb von Gott das Leben bean­spruchen könnte? Niemand. „Kein Fleisch kann vor Ihm aus Gesetzes Werken gerechtfertigt werden" (Röm. 3, 20). „Denn so viele aus Geset­zes Werken sind, sind unter Fluch" (Gal. 3, 10). „Wenn ein Gesetz ge­geben wäre, welches lebendig machen könnte, dann wäre wirklich die Gerechtigkeit aus Gesetz" (Gal. 3, 21).

Warum aber, könnte man fragen, verweist der Herr diesen Jüng­ling auf die Gebote? Einfach deshalb, damit er einsehen lerne, wie weit er noch von dem, was er zu sein gedachte, entfernt war, und also sei­nen wahren Zustand erkennen möchte. Er sendet ihn zu dem Zucht­meister zurück, und als er bekennt, alles gelernt zu haben, was der Zuchtmeister ihn zu lehren hatte, wendet der Herr eine andere weit eindringlichere Prüfung an, indem Er ihn auffordert, die Welt zu verlassen und das Kreuz auf sich zu nehmen. Dies ging viel weiter, als dieser Jüngling vorbereitet war. Die Welt war in seinen Augen zu lieb­lich und das Kreuz zu häßlich, um einen solchen Tausch einzugehen. Die Welt stand in der Liebe seines Herzens weit höher als Christus. Er würde zufrieden gewesen sein, wenn er das ewige Leben hätte empfangen und auch die Welt behalten können. Der Wunsch des Her­zens ist, „beide Welten zu benutzen." Das kann aber nicht sein. Wenn ein Mensch zu Christo kommt, um das ewige Leben zu erkaufen, so wird er sicher finden, daß der Preis Seine Meinung weit übersteigt. Wenn aber, wie wir gleich sehen werden, ein Mensch als ein Bettler kommt, so empfängt er alles, was er bedarf, umsonst; wenn er kommt als ein Tuender, so wird ihm gesagt, was er t u n muß; wenn er kommt als ein Sünder, so wird ihm gesagt, was er zu glauben hat.

Ein jeder wird das Kreuz, wenn er es aufnehmen soll, zu schwer finden, solange er nicht gesehen hat, daß Christus für ihn und für seine Errettung auf das Kreuz genagelt war. Ferner: „der Weg geht hinauf nach Jerusalem." Dies ist der Weg, welchen Christus betrat, und wel-chen alle betreten müssen, die in Seinen Fußstapfen wandeln — der Weg, den alle zu rauh finden werden, ausgenommen jene, welche „an den Füßen beschuhet sind mit der Zubereitung des Evangeliums des Friedens." Ich muß mich durch den Glauben an das Kreuz lehnen, ehe ich es tragen kann; und ich muß das ewige Leben besitzen, ehe ich in den Fußstapfen Jesu wandeln kann. Das Kreuz zu tragen versuchen, bevor lieh mich in einem gekreuzigten Heiland erfreue, ist noch weit schwerer, als neben dem mit Feuer brennenden Berge zu stehen. Dieser reiche Jüngling, welcher alle Gebote beobachtet zu haben gedachte, wurde durch die finsteren Schatten des Kreuzes zurückge­trieben, und „ging traurig weg."

Aber wollte der Herr Jesus diesen Jüngling belehren, daß er durchs Tun, durchs Verkaufen oder Geben Erbe des ewigen Lebens werden könnte? Keineswegs. Was denn? Er antwortet ihm auf seinem eigenen Grunde. Dieser kam an als ein Tuender und ging weg, weil er nichts tun konnte. Ebenso war es mit Israel in 2. Mos. 19. Sie sagten:

„Alles, was Jehova geredet hat, wollen wir tun," und als Jehova redete, „da ertrugen sie nicht, was geboten ward" (Hebr. 12, 20). Der Mensch spricht vom Tun, und wenn ihm gesagt wird, was zu tun ist, so ist er nie willens noch fähig, es, zu tun. Gottes Wort sagt zu allen, welche unter dem Gesetz zu sein wünschen: „Höret ihr das Gesetz nicht" (Gal.

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 4, 21)? „Der Mensch, der dasselbe getan hat, wird dadurch leben" (Röm. 10, 5). „Was stehet in dem Gesetz geschrieben? wie liesest du" (Luk. 10, 26)?

Dieser angenehme und interessante Jüngling war also nicht ge­neigt, seinen Fuß auf „den Weg zu stellen, welcher hinaufging nach Jerusalem." Der Gedanke, die Welt und ihre Reichtümer und Vergnü­gungen zu verlassen, war weit von Ihm entfernt. Er bedurfte das ewige Leben, aber als er es durch Aufgeben seiner Reichtümer erkaufen sollte, da wollte er den Preis nicht bezahlen, „und er ging traurig hinweg."

Die Jünger bieten uns ein anderes Charakterbild dar. Sie waren durch die Gnade fähig, zu sagen: „Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt." Sie standen eine Stufe über dem reichen Jüng­ling. Für sie war Christus so viel wert, daß sie alle irdischen Güter aufgegeben hatten und Ihm nachgefolgt waren. Sie sollten darum auch nichts verlieren; denn Christus will niemandes Schuldner sein. Was auch immer für Ihn hingegeben ist. Er will es bezahlen-— „hundert­fältig jetzt in dieser Zeit .... und in dem kommenden Zeitalter ewi­ges Leben. Aber viele Erste werden Letzte und viele Letzte werden Erste sein." Mit der Nachfolge Jesu zu beginnen ist aber noch kein Aus­harren. Den ersten Fuß auf den Weg zu setzen ist darum noch kein Wandeln darauf. Das ist eine sehr ernste Wahrheit.

„Sie waren aber auf dem Wege, nach Jerusalem hinaufgehend; und Jesus ging vor ihnen her; sie waren bestürzt und fürchteten sich, indem sie Ihm nachfolgten" (V. 32). Warum das? Warum diese Furcht? Hatten sie nicht freiwillig alles verlassen, um Jesu zu folgen? 0 ja; aber sie hatten nicht vorher gesehen, daß das Kreuz so schwer und der Weg so rauh war. Sie hatten die Reichtümer und die Vergnügungen dieser Welt verlassen; aber sie hatten nicht an die finsteren Wolken gedacht, welche über dem Pfade hingen, der nach Jerusalem hinaufging, und darum waren sie bestürzt und voll Furcht, als sie berufen waren, diesen Din­gen entgegen zu gehen. Die Annehmlichkeit der Welt übte nicht einen solchen Einfluß auf sie aus, daß sie deshalb, wie der reiche Jüngling, betrübt weggegangen wären;" aber sie folgten Jesu mit Bestürzung und Furcht; weil der Pfad, welchen Er sie führte, rauh und finster war. Sie befanden sich in einem ganz anderen Zustande. Sie hatten das Leben und hatten es nicht mehr durch die Werke des Gesetzes zu empfangen;

aber als es nötig war, Christum zu folgen, da hatten sie vergessen, die Folgen zu überschlagen; denn Er war auf Seinem Wege hinauf nach Jerusalem. „Er hatte sein Angesicht fester gestellt", um den schrecklichen Schlachtreihen aller Mächte der Finsternis, verbunden mit dem Hohn, dem Widerspruch, der Feindschaft und der Verachtung derer, welche Er zu retten gekommen war, zu begegnen.

Lasset uns wohl die Gnade jener Worte beachten: „Und Jesus ging vor ihnen her." Er stellte Sich Selbst an die Spitze der Schlacht. Er setzte Sich der ganzen Bosheit der befehligten Kriegsheere der Erde und der Hölle aus. „Siehe! Wir gehen hinauf nach Jerusalem, und der Sohn des Menschen wird den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten überliefert werden, und sie werden Ihn zum Tode verurteilen und Ihn den Nationen überliefern; und sie werden Ihn verspotten und geißeln, und Ihn verspeien und Ihn töten; — und am dritten Tage wird Er auf-

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 erstehen" (V. 33. 34). Mit festem Antlitz überschaute Er die ganze Szene;

aber in dem Reichtum Seiner Gnade übersah Er einen Teil des nahen­den Kelches von unaussprechlichen Leiden, nämlich, daß Er von denen, die Ihm bisher gefolgt waren, verlassen und verleugnet wurde.

Wie wenig nun die Jünger in alle diese Dinge eingegangen waren, zeigt augenscheinlich die Tatsache, daß sie auf dem Wege nach Jerusa­lem mit der Frage über ihren bevorzugten Platz in dem Reiche be­schäftigt waren. Ein, Herz, welches mit der Liebe Christi erfüllt ist, wird in der Gewißheit, nahe bei Ihm zu sein, völlige Befriedi­gung finden. Es handelt sich nicht so sehr um den Platz, wohin ich gehe, als um die Person, welche für immer der Mittelpunkt und die Quelle meiner Freuden sein wird. Paulus beschäftigt sich in Phi­lipper 3 'nicht mit dem Platz, welchen er in dem kommenden Reich inne haben würde, — nein, Christum zu gewinnen, war der heiß­ersehnte Gegenstand seines ergebenen Herzens. Von dem Augenblick an, wo er in der Nähe von Damaskus die Schönheit und Vortrefflich­keit Jesu gesehen hatte, bis zu dem Augenblicke, wo er in Rom ge­opfert wurde, war es die unendliche Größe und Liebe zu Seiner Person, welche ihn vorwärtstrieb. Und gewiß, niemand trank ja tiefer aus Sei­nem „Kelch", oder trat vollständiger in Seine „Taufe" ein, als Paulus.

3. Jetzt haben wir noch für einen Augenblick den „blinden Barti-mäus" zu betrachten. In diesem armen blinden Bettler sehen wir Einen, welcher beide, den reichen Jüngling und die Jünger, beschämte. Er richtete augenblicklich seine geöffneten Augen auf den Sohn Davids, ohne nur einen verlangenden Blick auf sein Gewand zurückzuwerfen, welches er, um zu Jesu zu kommen, „abgeworfen hatte;" ohne einen einzigen Gedanken über die Schwierigkeit und Dunkelheit des Pfades Raum zu geben, „folgte er Jesum auf dem Weg e." Auf was für einem Wege? „Auf dem Wege, welcher nach Jerusalem hinaufging." Es könnte gesagt werden: „Er hatte kein Besitztum zu verlieren," und wußte auch nicht von der Richtung und dem Ende dieses Weges." Wohl möglich, aber das verändert die Sache nicht. 

Es. wird immer der Fall sein, daß wir, wenn das Auge mit Christo erfüllt und das Herz mit Ihm beschäftigt ist, nie stehen bleiben, um über das nachzudenken, was wir aufgeben müssen, um zu Ihm zu gelangen, oder über das, was wir zu ertragen haben, um Ihm nachzufolgen. Jesus Selbst nimmt das ganze Herz ein, und dies allein ist im Stande, uns an Ihn zu fes­seln, und Ihm auf dem Pfade zu folgen. Was war die ganze Welt für Bartimäus? Was war für ihn die Schwierigkeit des Weges? Seine Augen waren geöffnet worden; und nicht allein geöffnet, sondern mit dem schönsten Anblick, den je' das Auge der Menschen und der Engel fes­selte, erfüllt — mit der Person des Sohnes Gottes — Gott geoffenbart im Fleisch — und darum, seine Blindheit und seine Armut weit hinter sich zurücklassend, schritt er vorwärts hinter jener wunderbaren Person her, welche allen seinen Bedürfnissen begegnet war.

Warum sagte ihm Jesus nichts von den Geboten? Warum forderte Er ihn nicht auf, sein Kreuz auf sich zu nehmen und Ihm nachzufolgen? Warum stellte Er ihm nicht den „Kelch" und die „Taufe" vor? Weil er nicht ein Verkäufer, sondern ein Bettler war, — weil er nicht von

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 seinem Tun sprach, sondern seine Not bekannte, und weil er endlich nicht über den Platz, welchen er in dem Reiche einnehmen würde, oder über die Schwierigkeit des Weges dorthin nachdachte, sondern nur Jesum zu erlangen und Ihm, welchen er gefunden hatte, nachzufolgen suchte. Dies ist einfach genug. Christus stellt dem armen, blinden, von Herzen gebrochenen Sünder keine Bedingung. Er kam vom Himmel, nicht um bedient zu werden, sondern um zu d i e n e n und Sein Leben für Viele zur Erlösung hinzugeben.

Es würde ganz verkehrt sein, einen verderbten und hilflosen Sün­der aufzufordern, die Welt zu verlassen, um Jesum zu finden. Er ist „ohne Kraft", was kann er tun? Wenn ich einem Geizigen sagte, daß er sein Gold, oder dem Spieler, daß er sein Spiel, oder dem Trunken­bold, daß er seinen Trunk aufgeben müsse, ehe er zu Jesu kommen könne, so würde er mir erwidern, daß ich ihn ebensogut auffordern könnte, seine rechte Hand abzuhauen. Aber wenn einem solchen zuerst seine Augen geöffnet sind, um das blutende Lamm Gottes zu schauen — wenn er das Heil Gottes gesehen — wenn er die gute Botschaft von der Vergebung der Sünden gehört und das ewige Leben und die Recht­fertigung, welche durch das Blut Christi dargereicht werden, erkannt hat — dann wirst du einen Unterschied sehen. Anstatt, durch die Härte der Bedingungen bewogen, „traurig hinweg zu gehen", erfreut er sich auf seinem Wege iin der Erfüllung des offenbarten Heils. Und anstatt wegen der Rauheit und Dunkelheit des Pfades, von Bestürzung und Furcht bewegt zu werden, dringt er mit einer Freude voran, welche allein die Gemeinschaft mit Christo geben kann.

Geliebter Leser, kannst du in irgend einem dieser vorhergehenden Bilder deinen eigenen Charakter sehen? Was ist der gegenwärtige Zu­stand deiner Seele? Bist du um die Erlangung des ewigen Lebens be­sorgt, wirst aber noch durch das unermeßliche Opfer, welches du damit verbunden wähnst, zurückgeschreckt? Schaue doch allein auf das Lamm, welches auf dem Fluchholz blutete, um die Sünde wegzunehmen. Denke nicht an irgend ein Opfer, welches du zu bringen hast, sondern an ein Opfer, welches Er gebracht hat. Dies wird dir Frieden geben. Schaue völlig von dir selbst ab, direkt auf Jesum; laß nicht einmal das Gewicht einer Feder dazwischen kommen. Er hat alles getan, und die Seele, welche an einen gekreuzigten und auferstandenen Christus glaubt, hat Leben, Vergebung und Rechtfertigung. Oder du magst vielleicht Verge­bung und Frieden in Jesu gefunden haben; du magst von der Welt aus­gegangen und zu Jesu gekommen sein; aber du findest den Weg so •rauh und das Kreuz so schwer. Der verachtende Spott deiner früheren Gesellschaft — die bitteren Vorwürfe und Widersprüche um dich her — die Einsamkeit deines Weges und noch vieles andere ist gegen dich, und darum nehmen oft Bestürzung und Furcht deinen Geist gefangen. Doch, ich sage dir, fürchte, dich nicht! Erinnere dich stets, daß der ge­liebte Meister vorangeht. Du kannst auf der ganzen Länge des rauhen und und finsteren Pfades Seine gesegneten Fußstapfen erkennen. Ver­giß auch nicht, daß „wir durch viel Trübsal in das Reich Gottes ein­gehen müssen." Halte dein Auge stets auf Jesum gerichtet. Die Zeit ist sehr kurz. „Denn noch um ein gar Kleines und der Kommende wird

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 kommen und nicht verziehen." Und dann wird dein Ohr die beglücken­den Worte hören: „Gehe ein zu deines Herrn Freude."

Geliebter Bruder in dem Herrn!

Dein lieber Brief ist mir zu Teil geworden, und es tut mir recht leid, daß dein Herz so beschwert und niedergeschlagen ist. Es würde mich sehr freuen, wenn ich dich ein wenig aufrichten und ermuntern könnte. Ich weiß, daß dies eins von unseren gesegneten Vorrechten ist;

und deshalb hoffe ich, daß der treue Herr auch jetzt mir diese Freude wird zuteil werden lassen.

Es gibt Dinge auf der Erde, die unser Herz wohl mit Trauer und Schmerz erfüllen können. Der gegenwärtige Zustand der Versammlung, wovon du schreibst, ist vornehmlich ein Gegenstand dieser Art. Wer ein Herz für Jesum hat, wer Seine Gefühle und Gesinnungen für die Ver­sammlung teilt, der kann nur mit tiefem Schmerz an die traurige Zer­splitterung und Verwirrung, an den allgemein herrschenden Parteigeist in der Versammlung denken. Auf diesen Zustand gleichgültig hinblicken zu können verrät nur ein Herz, was auch gleichgültig gegen seinen Herrn ist. Nun weiß ich aber auch aus eigener Erfahrung, daß es im Blick auf diesen traurigen Zustand Gefühle gibt, die mehr Un­ruhe und Mutlosigkeit als göttliche Traurigkeit ausdrücken. Das eigene Herz hat alsdann seinen wahren Ruhepunkt verloren, und gedenkt nicht mehr der gesegneten Ermahnung des Apostels: „Sorget um nichts, sondern in allen Dingen lasset durch Gebet und Flehen mit Danksagung euer Begehren vor Gott kund werden." Fehlt unserem eigenen Herzen die wahre Ruhe, so sind wir nie fähig, uns in der rech­ten Weise mit den Fehlern und Mängeln Anderer zu beschäftigen. Nur dann, wenn unser Herz ruhig und glücklich in der Gegenwart Dessen ist, der uns liebt und alle die Seinigen in vollkommener Liebe trägt, so sind wir fähig, den Heiligen ihre Füße zu waschen. 

Wir haben des­halb nötig, recht wachsam und nüchtern zu sein. Das Herz ist sehr ge­neigt, seine eigene Unruhe mit den traurigen Zuständen Anderer zu bedecken, hinter den Gebrechen Anderer seine eigenen zu verbergen. Wir können oft sogar eine gewisse Befriedigung darin finden, über die Mängel und Gebrechen unserer Mitbrüder zu urteilen.! Es wäre aber dann weit nötiger, die ernsten Worte des Herrn zu beherzigen: „Nimm zuerst den Balken aus deinem Auge weg, und dann wirst du gut sehen, den Splitter aus deines Bruders Auge wegzunehmen." — Es kommt in der Tat sehr darauf an, mit was für einem Herzen wir die Mängel An­derer betrachten. Mögen wir, wenn das eigene Herz seinen wahren Ruhepunkt verloren hat, noch so sehr meinen, die traurigen Zustände der Versammlung richtig zu beurteilen, so erscheint doch alles wie ver­ändert, wenn wir persönlich in der Gegenwart Gottes wandeln. Ach! wie oft habe ich selbst diese Erfahrung gemacht! Wir sehen alsdann die Mängel und Gebrechen Anderer oder der Versammlung wohl weit klarer, fühlen sie viel tiefer; aber dies Gefühl drückt sich nicht durch liebloses richten oder selbstgefälliges und nutzloses Seufzen und Kla-

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 gen aus, sondern es offenbart sich vor Gott mit Gebet und Flehen, erweckt die Gnade und Liebe im eigenen Herzen und macht uns eifrig im Dienen. Es führt uns zuerst zur wahren Quelle — nicht nur, weil von dort allein alle Hilfe und aller Segen kommt — sondern weil wo­selbst auch nur dann für Andere ein gesegneter Diener sind, wenn sich unsere Herzen in der Gemeinschaft Gottes befinden. Wenn wir von dort kommen, wo alle Fülle ist, bringen wir immer für Andere etwas mit, nicht aber, wenn wir von unten kommen, wo nichts ist. 0 der Herr , gebe uns viel Gnade, geliebter Bruder, zu jeder Zeit selbst in Gemein­schaft mit der Quelle zu sein, so werden wir auch stets in den Män­geln und Gebrechen der Versammlung gesegnete Diener sein! Wir wer­den alsdann auch immer besser lernen, alles mit dem Herzen Jesu zu fühlen und mit Gnade und Liebe zu behandeln. Alles andere ist nutz­los für die Versammlung; all unser Urteilen, Seufzen und Klagen bleibt ohne Segen für sie. Kommen wir aber im Namen Jesu, kommen wir in Seinem Geiste und in Seiner Gesinnung, so werden wir bald die ge­segneten Früchte davon merken. Hiervon habe ich etwas erfahren, und ich wünsche es immer mehr zu tun. Ich teile es Dir, geliebter Bruder, aber in der Hoffnung mit, daß es Dir in Deiner gegenwärtigen Stellung zum Segen gereichen möge. Ich weiß, daß Du Liebe für die Versamm­lung hast; aber ich weiß auch, daß es nötig ist, daß unsere Liebe immer mehr an Einsicht und Erkenntnis reich werde.

Jetzt möchte ich noch mit wenigen Worten auf einen anderen Ge­genstand Deines Briefes eingehen. Du schreibst von dem kleinen H., daß sein Herz in der letzten Zeit gegen Jesum kälter geworden sei. Diese Mitteilung hat mich sehr geschmerzt, denn Du weißt, welch innige Teilnahme ich an dem Knaben nehme. Der geliebte Heiland hat ihn so früh und so schnell aus seinem verderbten Wesen errettet. Ich war Zeuge davon, und denke immer gern an jene gesegneten Stunden zu­rück, besonders aber an die Freude der Eltern., Ich hoffe aber auch zu­versichtlich zum Herrn, daß Er ihn bald wieder wacker machen wird. Es wird mir aber schwer. Deine Meinung in dieser Beziehung zu teilen, daß nämlich von den Bekehrungen der Jugend nicht viel zu halten sei. Ich wenigstens halte davon, was ich auch von den Bekehrungen der Alten halte, daß nämlich jede wahre Bekehrung, mag sie an einem Jungen oder Alten geschehen, ein Werk des Geistes Gottes ist. Ich freue mich immer, wenn Gott wirkt, mag es unter Kindern oder Er­wachsenen sein, und ich vertraue Seinem Wirken völlig. — Warum auch beten wir für die Bekehrung unserer Kinder, wenn wir von der Erhörung unseres Gebets nicht viel halten? Ich kann Dir sagen, ge­liebter Bruder, daß ich mich unendlich freue, daß ich. den Herrn preise, daß Er in der gegenwärtigen Zeit so viel unter den Kindern wirkt, und die vielen Gebete der Seinigen in dieser Beziehung so reichlich erhört. Ich bin aber auch überzeugt, daß Deine ausgesprochene Meinung nur eine vorübergehende ist, wozu Dich die augenblicklichen Umstände ver­leitet haben. Ich weiß ja, daß Dir gerade die Bekehrungen der Kinder bisher am Herzen lagen, und daß Du das Werk Gottes unter ihnen mit Freuden begrüßt. Es hat aber Deine Mitteilung über den kleinen H. andere errnste Gedanken in mir hervorgerufen.. Ich glaube, daß oft die gläubigen Eltern und andere Gläubige, in deren Mitte solche Kin-

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 der leben, viel Schuld daran haben, wenn ihre Herzen wieder erkalten. Die Kinder finden oft im elterlichen Hause so wenig Nahrung für ihre Seele. Es fehlt an Erbauung, an Ermunterung und an rechter Ermah­nung. Das Wort Gottes ist nicht reichlich vorhanden, wie Paulus er­mahnt; es fehlt auch an erbaulicher Unterhaltung und herzlichem Ver­kehr. Dagegen sind die Herzen vieler gläubiger Eltern mit Sorge und Unruhe in Betreff des Irdischen erfüllt. Das Kind hört oft den ganzen Tag von nichts anderem reden, als von Dingen des täglichen Lebens. Es findet wohl kein Interesse daran, aber auch keine Nahrung für seine Seele. Es bedarf der Pflege, und oft ist niemand da, der sie ihm, weder im Hause noch außer demselben, auf die rechte Weise zuteil werden läßt. Die Christen sind im allgemeinen zu wenig kindlich, um mit einem Kinde auf gesegnete Weise umzugehen. Ist es nun da zu verwundern, wenn das Herz eines solchen Kindes nach und nach er­kaltet? Ist aber eine solche Erfahrung nicht meist eine ernste Mahn­stimme und selbst eine schmerzliche Züchtigung für die Eltern? 0 der Herr möge vielen Eltern in dieser Beziehung die Augen recht öffnen! — Es ist auch vielfach der Fall, geliebter Bruder, daß von gläubigen Eltern oder in den Versammlungen mehr für die Bekehrung der Kin­der gefleht wird, als für die Bewahrung derer, die bekehrt sind. Auch das ist ein großer Fehler. Es wird nicht tief genug erkannt, daß das bekehrte Kind, und jeder Bekehrte, eben so völlig der Gnade Gottes zu seiner Bewahrung bedarf, als es sie auch zu seiner Bekehrung be­durfte. Gottes Gnade allein kann uns bekehren und Gottes Gnade allein uns bewahren. Das ist meine völligste Überzeugung:

Ich schließe nun mit dem herzlichen Wunsche, daß der Herr uns in allem mehr Licht und Einsicht schenken möge, um stets nach Seinem wohlgefälligen Willen zu wandeln. Seine Gnade sei auch reichlich mit Dir und den Deinigen!

Es grüßt Dich Dein in der Liebe Christi verbundener

Bruder G. V. W i g r a m

Was ist zu glauben nötig, um selig zu werden?

Eine wichtigere Frage kann nicht an den Menschen gerichtet wer­den. Es ist eine Frage, über welche der eine mit Leichtfertigkeit hin­weghüpft, und die der andere, wiewohl dadurch in seinem Herzen be­unruhigt, nur unbefriedigend zu beantworten vermag. Selbst wahre Christen, die jedoch, ihrer Errettung nicht völlig gewiß, nicht in dem Genüsse eines beständigen Friedens leben, werden bei Beantwortung dieser Frage verschiedene Auffassungen kund geben, die zwar, was das Wesen des Glaubens im Allgemeinen betrifft, schriftgemäß sein mögen, die aber mehr oder weniger voneinander abweichen, je nachdem der einfache Schriftausdruck der eigenen Meinung untergeordnet ist. Daß man aber nicht in dem strahlenden Lichte des Wortes Gottes, son­dern vielmehr in dem trügerischen Schein der eigenen Anschauung den Schlüssel zur Lösung dieser ernsten Frage sucht, — darin eben

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 liegt die große Schwierigkeit, dieselbe der Wahrheit gemäß zu beant­worten.

Darin, daß Christus der Gegenstand unseres Glaubens sein muß, sind freilich — Gott sei dafür gepriesen! — alle Christen einig. Wagt man indes einen Sehritt weiter, indem man eine nähere Erklärung dieses Glaubens fordert, dann treten die mannigfachen Abweichungen, alsbald ans Licht. Während nämlich der eine diesen Glauben an Chri­stum mit den Worten umschreibt: „Man muß glauben, daß Er der Sohn Gottes und daß Er für alle Menschen gestorben ist," — behauptet ein anderer: ein jeder müsse persönlich für sich überzeugt sein, daß Er für seine Sünden gestorben sei; — während dieser hervorhebt, daß Jesus voll Verlangen sei, uns — und zwar in dem gegenwärtigen Augenblicke — zu erlösen, fügt jener hinzu, daß man glauben müsse, wirklich er­löst zu sein, da Gott das Opfer Christi als eine vollkommene Sühne für unsere Sünden anerkannt habe.. So abweichend lauten die Antworten aus dem Munde der Christen unserer Tage und sind ein gar trauriges Zeugnis einer allgemein herrschenden Unklarheit in Betreff einer Frage, die an Wichtigkeit kaum ihresgleichen hat. Nur die Heilige Schrift kann entscheiden; in ihr werden wir, geleitet durch den Heiligen Geist, eine befriedigende Lösung finden.

Unsere Absicht ist indes nicht, über die Natur des Glaubens zu streiten. Es steht fest, daß jemand die Wahrheit nur scheinbar oder auch wirklich annehmen, daß man ihr infolge einer christlichen Erziehung und eines christlichen Umgangs auf leichtfertige Art zu­stimmen, oder sie als eine Sache'persönlicher Überzeugung — gewirkt im Herzen durch die Kraft des Heiligen Geistes — besitzen kann. Von diesem wahrhaftigen Glauben reden wir; von dem Glauben, der — eine Gabe Gottes — von Gott Selbst vermittelst Seines Wortes hervorge­bracht ist. An diesen Glauben allein knüpft sich unsere Errettung; und die Heilige Schrift liefert dafür eine solche Fülle von Zeugnissen, daß wir nur ein einziges Evangelium und eine einzige Epistel flüchtig zu durchlaufen brauchen, um diese Wahrheit ein für allemal feststeilen zu können. Wir wählen das Evangelium Johannes und den Brief Pauli t an die Römer.

„Johannes kam zum Zeugnis, auf daß er von dem L lichte zeugte, damit alle durch ihn glaubten......

So viele Ihn (Jesum) aber annahmen, denen gab Er das Recht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an Sei­nen Namen glaubten (Ev. Job. 1. 7 u. 12)! (Vergl. Kap. 3, 15 u. 18 u. 36; Kap. 6, 29 u. 35 u. 39 u. 47; Kap. 7, 38; Kap. 9,35; Kapill, 25;

Kap. 12, 36 u. 44 u. 46; Kap. 16, 9 u. 27; Kap. 20, 31).

„Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht;

-denn es ist eine Kraft Gottes zum Heil jedem Glau-A'y benden..... Der Gerechte aber wird aus Glauben '. leben" (Röm. 1. 16. 17). (Vergl. Kap: 3, 22 u. 25 u. 26 u. 28; Kap. 4,3 u. 5 u.-16 u. 24; Kap. 5, l; Kap. 9, 30; Kap. 10, 4 u. 9 u. 11 u. 14).

Wie wichtig, wie bedeutungsvoll sind diese göttlichen Aussprüche! Das herrliche Los des Glaubenden ist streng geschieden von dem trost­losen Zustande des Nichtglaubenden.. An den Glauben ist- das Leben und die Herrlichkeit, an den Unglauben der Tod und die Verdammnis

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 unzertrennlich geknüpft. Weder gute Vorsätze, noch übermäßige An­strengungen; weder eigene Tugenden, noch die glänzenden Verdienste anderer Mitgeschöpfe; — nein; nur die freie Gnade durch den Glauben ist der einzige Grund unserer Seligkeit. Wie unermeßlich wichtig ist daher die Tragweite des Gegenstandes, auf den wir jetzt unsere Auf­merksamkeit lenken wollen. Die Frage lautet: „W äs istzuglauben nötig, um selig zu werden?" Das Wort Gottes soll uns eine bestimmte, unzweideutige Antwort geben.

Wir beginnen mit der Betrachtung der Evangelien. Hier sehen wir jemanden, dessen niedrige Abkunft und dessen dürftigen Umstände bei der jüdischen Nation kein Geheimnis sind; — es ist Jesus von Naza-reth, der Sohn der Maria und — wie man meinte — der Sohn Josephs, eines Zimmermanns. Jedoch die außergewöhnlichen Ereignisse, die Seine Geburt begleiteten, die Ihn betreffenden Zeugnisse Johannes des Täufers und vor allem das Zeugnis Gottes, des Vaters, bei Seiner Taufe;

ferner Seine gewaltigen Worte, Seine staunenswerten Wunderwerke, sowie endlich die zahllosen Prophezeiungen, die in Ihm eine buchstäb­liche Erfüllung fanden, — all dieses ließ in der unscheinbaren Hülle des Menschensohnes den Sohn Gottes Selbst erkennen. Nahmen die Menschen Ihn als den Christus, als den Sohn Gottes auf? Glaubten sie in ihren Herzen, daß Er es wirklich sei? Ach, nein! Obwohl die Rettung von ewigem Verderben durch diesen Glauben bedingt war, so vermochte doch, aller Zeugnisse ungeachtet, der natürliche Verstand Seinen wahren Charakter nicht zu erkennen; vielmehr war eine solche Erkenntnis stets die Wirkung der Offenbarung Gottes, des Vaters. Als einst Petrus das Bekenntnis ablegte: „D u bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!" lautete die Antwort des Herrn:

„Glückselig bist du Simon, Bar Jona! denn Fleisch und Blut haben es dir nicht geoffenbart, sondern mein Vater der im Himmel ist" (Matth. 16.17). — Alle hatten eine falsche Meinung von Seiner Person; nur Petrus, dem es geoffenbart worden, glaubte und bekannte, daß Er der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes sei, und — Jesus pries ihn selig. Das also war es, was, um selig zu werden, zu glauben nötig war.

Nehmen wir jetzt das Evangelium Johannes zur Hand. Auch hier finden wir, daß es sich stets um den Glauben an die Person des Chri­stus handelt. Ihn anzunehmen als Den, der Er zu sein erklärte;

wirklich zu glauben", wie Petrus, daß Er der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes war, — dies nur kennzeichnete jemanden als wahren Gläubigen; denn er besaß den seligmachenden Glauben. Wie bezeichnend sind diese Worte: „Die Welt kannte Ihn nicht. Er kam in Sein Eigentum, und die Seinigen nahmen Ihn nicht auf, so viele ihn aber annahmen, denen gab Er das Recht.» Kinder Gottes zu werden, denen, die an Seinen Namen glaubten." Wenn aber, wie oben angeführt, der Herr das Bekenntnis Petri als eine Wirkung des himmlischen Vaters bezeichnete, so drückt auch hier der Heilige Geist dasselbe in den Worten aus: „Welche nicht aus Geblüt, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Man­nes, sondern aus Gott geboren sind" (Ev. 1. 10—13).

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 Im vierten Kapitel finden wir das Gespräch Jesu mit einer Sama­riterin. Was mangelt dem armen Weibe? Antwort: die Erkenntnis Sei­ner Person. „Wen n du die Gabe Gottes känntest," — sagt Er,

— „und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken,

— duwürdest Ihn gebeten haben, und Er hätte dir le­bendiges Wasser gegeben" (V. 10). — Und als Er voll Güte und erbarmender Liebe Seine Unterhaltung fortsetzt, und als Er von dem Vater redet, der Anbeter in Geist und Wahrheit suche, da öffnet sich das Herz des schuldbeladenen Weibes den Worten Jesu. Sie läßt es durchblicken, daß sie in Ihm den Christus erkennt und ruft aus:

„Ich weiß, daß der Messias kommt, der Christus ge­nannt ist. Wenn Er gekommen ist, wird Er uns alles kund tu n." — Jesus aber spricht zu ihr: „Ich b i n s , der i c h z u d i r r e d e" (V. 25 u. 26). — Ja, wahrlich, sie hat die Gnade ' Gottes und Den, der zu ihr redet, erkannt; und dieses Erkennen ver­wandelt die Sünderin in eine Jüngerin. Selige Umwandlung! Nicht länger mehr kann sie an dem Orte weilen; das helle Licht der Gnade hat in die dunklen Gemächer ihrer Seele hineingeschienen; ihr Herz — soeben noch beunruhigt durch ein verklagendes Gewissen — strömt über in namenloser Freude und treibt sie hin zur Stadt, um dort den Leuten zuzurufen: „Kommt, sehet einen Menschen, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe! Ist dieser nicht der Christus?" In der Tat, ihr Glaube gilt der Person des Christus. Sie glaubt, daß Er Der sei, welcher Er wahrhaftig ist, Der, welchen Gott als Solchen anerkannt. Bei den Leuten in der Stadt aber gewahren wir dieselben Erscheinungen; denn nachdem der Herr zwei Tage lang bei ihnen verweilt hat, bezeugen auch sie dem Weibe gegen­über laut: „Nicht mehr um deines Redenswillen glauben wir; denn wir selbst haben gehört und wissen, daß dieser ist wahrhaftig der Heiland der Welt, der C h r i s t u s." — Nicht unbestimmt, nicht verborgen ist ihr Glaube. Sie glauben und bekennen, daß Er — dieser Mensch Jesus: — der Christus, der Heiland der Welt ist.

Wir wenden uns zum sechsten Kapitel. Viele, noch vor Kurzem herbeigelockt durch die Wunder Jesu, weichen zurück, erschreckt durch die Kraft Seiner Worte. Kaum aber richtet er an die Zwölfe die rüh­rende Frage: „Wollt ihr auch weggehen?" — da zeigt sich alsbald unverhüllt jenes geheimnisvolle Band, welches — mit Ausnahme des Judas — die Jünger an ihren Meister fesselt. Es ist der Glaube an Seine gesegnete Person, ausgedrückt in den Worten Petri: „Herr! Zu wem sollen wir' gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens; und wir glauben und wissen, daß du der Christus, der Sohn Gottes bist" (V. 67—69).

Ebenso stellt uns die Geschichte des Blindgeborenen (Kap. 9) den Gegenstand des Glaubens klar vor die Seele. Die Augen dieses Unglück­lichen sind durch jemanden geöffnet worden, den er unter dem Namen „Jesus" kennt. Freimütig legt er vor den Pharisäern Zeugnis von Ihm ab, dem er seine Heilung verdankt, erkennt Ihn zugleich an als einen Gegenstand der Anbetung und als einen Propheten, und, dieses be­kennend, wird er aus der Synagoge gestoßen. Wohl mangelt ihm noch

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 das volle Licht in Betreff der Herrlichkeit der Person Jesu; aber nach­dem der Herr die Frage: „Glaubst du an den Sohn Gottes?" — an Ihn, den Ausgestoßenen, gerichtet und dadurch ein Verlangen nach Erkenntnis Seiner herrlichen Person geweckt hat, erleuchtet Er zugleich sein Herz durch die Worte: „Du hast Ihn gesehen, und der mit dir redet, Der ist e s." Ihn erkennen, an Ihn glau­ben, — das war das eine, was dem armen Manne Not tat; und sein Ruf: „Ich glaube, Herr?" — ist das Fundament eines, durch den Glauben neugegründeten, ewigdauernden Verhältnisses zwischen ihm und' dem Sohne Gottes; „Er huldigte Ihm."

Es steht also unabänderlich fest, daß, während der Anwesenheit Jesu auf Erden, die Herrlichkeit Seiner Person als des Sohnes Gottes . der große Gegenstand des Glaubens war. Auch andere Stellen des Neuen Testaments liefern dazu die unwiderlegbarsten Beweise. (Vergl. Apstg. 9, 20; 1. Joh. 4, 15; 5, 1 u. 5 u. 13). — Was aber zur Zeit des Herrn auf Erden galt, das gilt auch in unseren Tagen. Denn die Evan­gelien, und vornehmlich das von Johannes, sind erst lange nach dem Tode, der Auferstehung und der Himmelfahrt Jesu verfaßt worden und zwar zu dem Zwecke, „daß i h r" — wie Johannes sagt — „glau­bet, daß Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und daß ihr glaubend das Leben habt in Seinem Namen" (Joh. 20, 31). — Eine bestimmte Erklärung dessen, was man zu glauben hat, ist wohl kaum denkbar; und unerschütterlich fest steht die Wahr­heit, daß das Leben iin Christi Namen an den Glauben geknüpft ist, daß „Jesus der Christus ist, der Sohn des lebendigen Gottes."

Man könnte indes den Einwand machen, daß ein Unterschied be­stehe zwischen den Glaubenden während des Aufenthalts Jesu hienie­den und denen der Jetztzeit, nachdem Er gestorben, auferstanden und gen Himmel gefahren ist. Laßt uns auch in dieser Beziehung ohne Über­eilung in dem Worte Gottes Aufschluß suchen!

Während des Aufenthalts des Herrn auf der Erde war es durchaus eine Notwendigkeit zu unterscheiden und zu erkennen, daß Er, der als Mensch und zwar in den dürftigsten Umständen hienieden wandelte, wirklich der Christus, der Sohn Gottes war. Obwohl aber Zeugnisse in Betreff der Herrlichkeit Seiner Person in Fülle vorhanden waren, so wurde Er dennoch als Sohn Gottes nur von denen geglaubt und erkannt, welchen es nicht durch Fleisch und Blut, sondern durch Seinen Vater geoffenbart worden war. Alle anderen verwarfen Ihn. Keine Schönheit fanden sie an dem Manne der Schmerzen; sie stießen Ihn von sich und überlieferten Ihn den Händen der Henker. Doch wer vermochte Sein Leben von Ihm zu nehmen? Er gab es freiwillig hin; Er ward zum Schlachtopfer für unsere Sünde. Vermochte Ihn der Tod zu halten? Gottlob nein. Vielmehr machte Er durch den Tod den zunichte, der die Kraft des Todes hat, das ist, den Teufel. Siegreich verließ Er das Grab, erschien Seinen dazu auserwählten Zeugen und fuhr dann auf gen Himmel, um sich zu setzen zur Rechten der Majestät in der Höhe. Durch Seinen Tod, Seine Auferstehung und Himmelfahrt hat Er eine neue Stellung eingenommen; kein menschlich Auge schaut Ihn mehr als müden Pilger auf dem Wege nach Jerusalem; aber der Glaube er-

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 blickt in Ihm, dem Auferstandenen und zur Rechten Gottes Erhöhten, Denselben, Jesus von Nazareth, der einst am Jakobsbrunnen aus der Hand einer Sünderin einen Trunk Wassers begehrte. Der Glaube hat den­selben Gegenstand vor sich, nur ist ihm ein größerer Spielraum geboten.

Vor dem Tode Jesu konnte allerdings, selbst bei gänzlicher Unkennt­nis der Notwendigkeit Seines Sterbens und Auferstehens, ein wahrhaftiger Glaube vorhanden sein. Das 16. Kapitel des Matthäus gibt uns dafür einen schlagenden Beweis. Petrus soeben noch selig gepriesen wegen seines Bekenntnisses, gibt seinen Widerwillen gegen das Leiden und Sterben des Herrn in einer so auffallenden Weise zu erkennen, daß er sich dadurch eine der demütigendsten Zurechtweisungen zuzieht. „W eiche, hinter mich, Satan!" so lauten des Herrn ernste Worte; — „Du bist mir ein Ärgernis; denn du sinnest nicht auf das, was Gottes, sondern auf das, was des Menschen ist" (V. 23). — Und diese Unwissenheit, betreffs des Todes und der Auferstehung Jesu, war unter den Gläubigen jener Tage so allgemein herrschend, daß wir selbst nach Seiner Auferstehung die trauernden, nach Emmaus pilgernden Jünger sagen hören: „Wir aber hofften, daß Er Der sei, der Israel erlösen sollte" (Luk. 24, 21). Wie nun? Kennzeichnet diese Unwissenheit die Jünger als solche, die nicht des seligmachenden Glaubens teilhaftig, mithin nicht aus Gott geboren waren? Keineswegs. Sie hatten geglaubt und erkannt, daß Jesus der Sohn Gottes war; und Er Selbst hatte sie zur Freude er­muntert, weil ihre Namen im Himmel angeschrieben seien (Luk. 10, 20). Wie kräftig ist Sein Zeugnis, wenn Er sagt: „Ihr seid schon rein um des Wortes willen, welches ich zu euch geredet habe" (Joh. 15, 3)! und wie bezeichnend ist Sein Gebet: „Dieses aber ist das ewige Leben, daß sie Dich, den allein wahren Gott, und den Du gesandt hast, Jesum Christum, er­kennen. . . Die Worte, die Du mir gegeben, habe ich ihnen gegeben; und sie haben empfangen und wahr­haftig erkannt, daß ich von Dir ausgegangen bin, und haben geglaubt, daß Du mich gesandt hast. . . . . Ge­rechter Vater! Und die Welt hat Dich nicht erkannt;

-- Ich aber habe Dich erkannt, und diese haben er­kannt, daß Du mich gesandt hast" (Joh. 17, 3 u. 8 u. 25). Bedürfen wir noch weitere Versicherungen wegen der Echtheit ihres Glaubens, ungeachtet ihrer Unwissenheit in Betreff des Todes und der Auferstehung des Herrn? Gewiß nicht.

Bei den Gläubigen unserer Tage aber ist eine solche Unwissenheit in diesen Dingen zur Unmöglichkeit geworden. Die Wahrheit, daß Jesus

- der Sohn Gottes ist, kann nicht geglaubt werden, ohne zugleich an Seinen Tod und an Seine Auferstehung zu glauben. Der Glaube an Seine Person schließt unbedingt den Glauben an diese herrlichen Tatsachen mit ein.

Sein ganzes Leben voller Schmerz und Mühsal hat genügend den Beweis geliefert, daß Er der Sohn Gottes ist. Er redete, wie niemand geredet; Seine Werke zeugten von Ihm; voll Liebe und Erbarmen war Er in einer Welt voll Sünde die stete Offenbarung des Vaters, von welchem Er kam und in dessen Schoß Er lag. Der Beurteilung des  Menschen anheim gegeben, erkannte der Glaube, in Ihm den Sohn Gottes. Nachdem aber die Welt Seine völlige Verwerfung gesehen, er­höhte Gott Ihn zu Seiner Rechten und drückte also durch die Tatsache der Auferstehung aus den Toten das Siegel auf jenen Beweis der Wahr­heit, daß Er wirklich der' Sohn Gottes ist. „Er ist dem Geiste der Heiligkeit nach als Sohn Gottes in Kraft erwiesen durch Toten-Auferstehung" (Röm. 1. 4). Der Heilige Geist aber, als die Kraft des Zeugnisses vom Himmel gesandt, bewirkt, daß hinfort die Jünger nicht nur in der Person Jesu den Sohn Gottes ver­kündigen, sondern auch zugleich reden von dem Beweise dieser Wahr­heit, von der herrlichen Tatsache Seiner Auferstehung aus den Toten, deren Zeugen sie waren. Der Glaube umfaßt beides. „Wenn du" — sagt der Apostel — „mit deinem Munde den Herrn Jesum bekennst und in deinem Herzen glaubst, daß Gott Ihn aus den Toten auferweckt hat, wirst du selig werden" (Röm. 10, 9).

Das glorreiche Ereignis der Auferstehung des Herrn ist in der Tat der Brennpunkt, in welchem sich alle Strahlen der göttlichen Gnade vereinigen; es ist — wie schon gesagt — der kräftige Beweis der Herr­lichkeit des Sohnes Gottes. Nachdem Er das Grab verlassen, gebot Er Seinen dazu auserwählten Zeugen, allen Nationen, mit Hinweisung auf Seinen Tod und Seine Auferstehung, Buße und Vergebung der Sünden anzukündigen (Luk. 24, 46—48); — und, erfüllend diesen Auftrag, bildete die Auferstehung fortan den Kern ihres Zeugnisses. Schon in den er­sten Kapiteln der Apostelgeschichte (vergl. Kap. 1. 22; Kap. 2. 24, 32 u. 36;

Kap. 3, 15; Kap. 4,10; Kap. 5,30) stellt uns Petrus in seinen Predigten diese Tatsache in ihrer ganzen Tragweite vor Augen. Daß der von die­ser Welt verworfene Jesus der Christus, der Sohn Gottes ist, und daß Gott Ihn aus den Toten auferweckt hat, bildet für den Glauben ein un­zertrennliches Ganzes. Oder sollte wohl jemand, der etliche Wochen zuvor den Herrn am Kreuze enden sah, dem Zeugnisse Petri in Betreff Seiner Auferstehung Glauben geschenkt haben, ohne zugleich zu glau­ben, daß Er der Herr, der Christus sei? Oder sollte im entgegengesetz­ten Falle jemand Ihn als den Herrn, den Christus erkannt haben, ohne an Seine Auferstehung zu glauben? Unmöglich. Das eine schließt das an­dere in sich. Jesus von Nazareth, geboren von der Jungfrau Maria und öffentlich gekreuzigt zu Jerusalem, ist wahrlich der Christus, der Sohn Gottes — Gott »geoffenbart im Fleisch — und als solcher'„i n Kraft erwiesen durch Toten-Auferstehung". —

Eingetreten in das Haus des Kornelius, geht Petrus in seinem Zeug­nis noch einen Schritt weiter (Apgsch. 10). Nachdem er die Hauptzüge der Geschichte des Herrn geschildert hat, bezeichnet er Ihn, den Ge­kreuzigten und Auferstandenen, als den Richter der Lebendigen und der Toten und verkündet jedem Glaubenden durch Seinen Namen Ver­gebung der Sünden. Glauben die Zuhörer etwa nur einen Teil dieser Predigt? Nein; ihr Glaube umfaßte das Ganze. Sie glaubten, daß Jesus der Gesalbte (Christus) sei, daß Er gekreuzigt worden und daß Er von Gott aus den Toten auferweckt und zum Richter über alle verordnet sei. Und was war die Wirkung dieses Glaubens? Sie empfingen die Verge­bung der Sünden. Oder bezweifelten sie etwa diese Gnadenbotschaft

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 der Sündenvergebung? Keineswegs; denn „a 1s Petrus diese Worte redete, fiel der Heilige Geist auf alle, die das Wort hörte n." Die Vergebung ihrer Sünden ward versiegelt durch die Gabe des Heiligen Geistes; und alle hatten Anteil daran, welche das Zeugnis Petri in Betreff des Christus im Glauben aufnahmen.

' Auch in den Predigten Pauli findet die Auferstehung Christi aus den Toten den hervorragendsten Platz (Vergl. Apstgsch. 13, 30 u. 33; — 17, 3 u. 31). Er verkündet Jesum als den Auferstandenen, und ruft (Apgsch.13) den Juden in Antiochien zu: „So sei euch denn kund, Männer, Brüder ! daß durch Diesen euch die Vergebung der Sünden verkündigt wird. Und von allem, worin ihr in dem Gesetz Moses nicht gerechtfertigt werden konntet, 1 s t i n Diesem jeder Glaubende ge­rechtfertigt." — Und was sollte geglaubt werden? Das was Paulus verkündigte. Wer nun dieser Predigt des Apostels Glauben schenkte, erhielt von Gott Selbst durch den Mund Pauli die Versicherung, daß er von allem gerechtfertigt sei. Wie einfach, wie süß ist doch das Evange­lium, die frohe Botschaft der Gnade Gottes!

Am deutlichsten jedoch tritt die herrliche Tatsache der Auferstehung als Glaubenspunkt in dem 15. Kapitel des Korintherbriefes in den Vor­dergrund. Sie bildet hier die Hauptsumme des apostolischen Zeugnisses, weil sie, als ein unumstößlicher Beweis der Herrlichkeit des Sohnes Gottes, alle anderen Grundwahrheiten in sich schließt, die zu glauben. nötig sind, um selig zu werden., Wer an die Auferstehung des Herrn glaubt, der glaubt an Seinen Tod; — wer aber glaubt, daß Er gestorben ist; der wird auch die Ursache und den Zweck des Todes Dessen kennen, der, ohne Sünde, das Leben in Sich Selber hatte und mithin nicht unter der Macht des Todes sein konnte. Unmöglich kann Glauben an den Aut­erstandenen vorhanden sein, ohne zu glauben und zu erkennen, daß unsere Sünden die Ursache und unsere Erlösung der Zweck Seines Todes waren. Lieber Leser! Glaubst du wahrhaftig in deinem Herzen, daß Gott Jesum aus den Toten auferweckt hat? Nun, dann glaubst du auch, daß Er der Christus, der Sohn Gottes ist; ja, dann glaubst du auch an das versöhnende Blut Dessen, „welchen Gott vorgestellt hat zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben an Sein Blut." — Wahrlich, mit dem herrlichen Ereig­nis der Auferstehung hängt alles zusammen, was zur Seligkeit zu glauben nötig ist; denn „wenn du mit deinem Munde den Herrn Jesum bekennst und in deinem Herzen glaubst, daß Gott Ihn aus den Toten auferweckt hat, wirst du selig "werden."

 Was ist also zu glauben nötig, um selig zu werden? Um dem Leser die Antwort ZJJ erleichtern, wollen wir noch einmal die Hauptmomente unserer Betrachtung flüchtig an seinen Blicken vor­ig; fiberrühren. Wir haben gesehen, daß in Gottes Wort die Seligkeit unzertrennlich an den Glauben geknüpft ist, daß der Glaube zur Zeit des Ben-n in Ihm den Christus, den Sohn Gottes, den Erlöser der Welt er-siEännte, daß der Glaube unserer Tage keinen anderen Gegenstand, wohl aber in der Auferstehung Jesu den kräftigsten Beweis und die trefflichste Offenbarung Seiner Person, als Sohn Gottes, besitzt, und daß

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 endlich der Glaube an Seine Auferstehung aus den Toten die Erkennt­nis der Ursache und des Zweckes Seines Todes voraussetzen läßt und mithin den Glauben an Sein versöhnendes Blut in sich schließt. Was ist also zu glauben nötig, um selig zu werden? 'Das, was die Apostel in der bestimmtesten und unzweideutigsten Weise betreffs der Person des Christus verkündigt haben; und die Gewißheit der Er­rettung wird die Frucht dieses Glaubens sein.

Was nun aber ist die Ursache der allgemein herrschenden Unsicher­heit hinsichtlich der Errettung bei den Gläubigen unserer Tage? Woher die Furcht und die Unruhe angesichts der so klaren Aussprüche der heiligen Schrift? — Lieber Leser! Vielleicht räumst auch du ein, daß dir die völlige Gewißheit mangelt, obwohl du an den gekreuzigten und auferstandenen Heiland glaubst; vielleicht sogar holst du aus der Rüst­kammer des Wortes Gottes eine Waffe, indem du dich auf die drei­tausend am Tage der Pfingsten, die nach der Predigt Petri, anstatt ihrer Errettung gewiß zu sein, vielmehr mit zerknirschtem, angster­fülltem Herzen ausriefen: „Was sollen wir tun, Männer, Brü­der?" — oder gar auf den Apostel Paulus selbst, der, anstatt die süße Frucht des Glaubens zu genießen, den Angstruf ausstieß: „Wer bist Du, Herr !" — Du hast Recht. In diesen beiden einzigen Fällen führt die Heilige Schrift uns Personen vor, die wahrlich an Christum glaub­ten, ohne von der Furcht ihres Gewissens befreit zu sein. Zwischen dem Augenblicke, wo die Auferstehung und Erhöhung des Christus ge­glaubt, und jenem, wo das Mittel und der Grund ihrer persönlichen Seligkeit erkannt wurde, lag eine, wenn auch nur kurze Zwischenzeit. Jedoch die Ursache dieser Erscheinung zu finden, wird uns nicht schwie­rig sein, wenn wir einen Blick auf die Predigt werfen. 

Was verkün­digte Petrus seinen Zuhörern? Er beschuldigte sie, Jesum von Nazareth getötet zu haben, und verkündigte ihnen, daß Gott Ihn auferweckt und sowohl zum Herrn .als auch zum Christus gemacht habe; aber von Sün­denvergebung war keine Rede. Ganze Scharen glaubten dem Zeugnis des Apostels und — „es schnitt ihnen durchs Her z." Wie konn­ten sie — überzeugt, den Messias getötet zu haben — angesichts der unwiderlegbarsten Beweise Seiner Auferstehung und Seiner Erhöhung etwas anderes erwarten, als daß Er in Gerechtigkeit von Seiner Macht und Herrschaft zu ihrer Vertilgung Gebrauch machen werde? Und was hätte das Herz des nach Mord lechzenden Saulus zur Freude bewegen können, als er die Macht Dessen sah, den er im Unverstande seines Eifers verfolgte? Nein, in beiden Fällen ward dem Glauben nichts ge­boten, was den Brand in dem erwachten Gewissen löschen konnte. Doch nicht lange dauerte dieser unerträgliche Zustand. Von Neuem wendet sich Petrus an die zerknirschten Herzen seiner Zuhörer, fordert sie auf, sich zu bekehren und sich taufen zu lassen in dem Namen Jesu zur Vergebung der Sünden, und — die Gabe des Heiligen Geistes ist das Siegel ihrer Errettung. Ebenso eilt Ananias, im Auftrage des Herrn, zu dem seit drei Tagen erblindeten Saulus; und dieser, folgend der Mahnung: „Stehe auf, laß dich taufen und deine Sünden abwaschen. Seinen Namen anrufen d," — erhebt sich und predigt alsbald Jesum, daß Dieser der Sohn Gottes sei.

Was war also die Ursache ihres Schreckens? Sie glaubten nicht über

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 das hinaus, was ihnen verkündigt ward. Weder der erste Teil der Pre­digt Petri, noch die Erscheinung des Herrn auf dem Wege nach Damas­kus enthielt die frohe Gnadenbotschaft der Sündenvergebung. Unmög­lich aber, lieber Leser, kannst du diese Ausnahmställe deinem unsiche­ren Zustande anpassen, da das Wort Gottes dir den herrlichen Gegen­stand deines Glaubens in Seiner ganzen Fülle vorführt. Nur die mensch­liche Weisheit ist es, welche den vollen Glanz des Wortes Gottes ver­dunkelt und dich hindert, das zu unterscheiden, was so klar und ein­fach geoffenbart ist. Seit Petrus, dem Rufe Gottes gehorchend, seinen Fuß in das Haus des Kornelius setzte, ist den Nationen die Gnadentür weit geöffnet worden; und von dieser Zeit an wird Jesus nicht nur als der Christus, als der Sohn Gottes, der gestorben und auferstanden, ge­predigt, sondern es wird auch Vergebung der Sünden allen denen ver­kündigt, die dieses Zeugnis in ihrem Herzen glauben. Jetzt ist das Zeug­nis von Jesu nicht mehr durch einen Zwischenraum getrennt.

Lieber Leser! Weißt du nun, was zu glauben nötig ist, um selig zu werden? Und glaubst du wirklich, daß Jesus Christus, der Sohn Gottes, und daß Er unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt ist? — Ohne Zweifel. — Bist du denn nun deiner Errettung gewiß? Wie! Du zögerst diese Frage zu bejahen? Armer Freund! Sage mir doch einmal, wo findest du den Beweis, daß Jesus der Sohn Gottes, und daß Er gestorben und auferstanden ist? — Im Worte Gottes — antwortest du. — Ganz recht. Aber wenn die Hei­lige Schrift in der Tat die Quelle ist, aus welcher du 'diesen köstlichen Beweis schöpfst, dann hast du auch dieselbe Quelle und denselben Be­weis, dich zu versichern, daß du „glaubend das Leben hast in Seinem Namen; — „und daß, wenn du mit deinem Munde den Herrn Jesum bekennst und in deinem Herzen glaubst, daß Gott Ihn aus den Toten auferweckt hat, du selig werden wirst" (Röm. 10 9). — Gott. sei gepriesen für eine so bestimmte, unzweideutige Antwort auf eine so ernste, wichtige Frage!

Jetzt noch zum Schluß ein Wort an denjenigen Leser, der, weil er diese Zeilen nur flüchtig durchgelesen, mit Leichtigkeit sagen könnte:

„Ei, wenn nichts anderes zu glauben nötig ist, dann gehöre auch ich in die Reihe der Gläubigen; denn ich habe diese Sache nie bestritten." — Aber, mein Lieber, eine Wahrheit nicht bestreiten und an eine Wahrheit glauben sind zwei verschiedene Dinge. Vielleicht hast du die Wahrheit, daß Jesus — der Gekreuzigte und Auferstandene — der Sohn Gottes ist, nie bestritten, weil andere Gegenstände deine Zeit, deine Gedanken, deine Kräfte in Anspruch nahmen und jeden ernsten Gedanken an die Ewigkeit aus deinem Herzen verbannten, oder gar weil es dir für Torheit galt, über Dinge nachzudenken, über welche diese Welt längst schon ihren Stab gebrochen hat. Wohl möglich, daß du nicht diese oder jene grobe Sünde begangen und geradezu kein är­gerliches, lasterhaftes Leben geführt haben magst; wohl möglich, daß Konzerte, Theater, Bälle, Spiele und andere leidenschaftliche Vergnü­gungen dich nicht mit ihren Netzen umstrickt haben mögen; aber waren es nicht deine Freunde, war es nicht deine Familie, dein Geschäft, dein Geld, waren es nicht ungezählte Dinge, die mehr anziehendes und einen

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 unvergleichlich höheren Wert für dich hatten, als der von dieser Welt verworfene Jesus von Nazareth? Nein, wahrlich, an Ihn glaubst du nicht; darum hat Er keinen Wert für dein Herz. Ich will dirs offen sagen, woran du glaubst: Es sind die Dinge, woran du denkst Und mit denen du dich beschäftigst. Du glaubst an den Nutzen des Geldes, und darum ringst du unermüdlich nach seinem Besitz; du glaubst an ein glückliches, bequemes Leben in deiner Familie, und darum suchst du dein Haus so angenehm als möglich einzurichten; du glaubst an den Wert der Gelehrsamkeit, und darum strebst du mit Eifer, deinen Geist mit Kenntnissen aller Art zu bereichern; du glaubst endlich an die Vor­teile eines guten Namens, und darum trachtest du alle menschlichen Tugenden zur Schau zu tragen. — Siehst du? An diese Dinge glaubst du von ganzem Herzen. 0 gewiß; wäre der Sohn Gottes der Gegenstand deines Glaubens, — du würdest dich mit Ihm beschäftigen, würdest Ihm vertrauen und Ihn anbeten. Ein eitles, leichtfertiges, unbedach­tes Bejahen ist etwas anderes, als der Glaube an eine Sache, an welche eine ewige Erlösung geknüpft ist.

Einmal lebte wirklich ein Mensch auf Erden — ein Mann, der Sohn der Jungfrau Maria, der Sein Leben endete unter den Schmerzen der Kreuzigung; — und dieser Mensch ist es, den Gott als Seinen eingebore­nen Sohn 'anerkannte und den Er auferweckte aus den Toten. — Und dieses ist die Wahrheit, die du nicht glaubst. Du achtest eine so große Errettung gering; und diese Geringschätzung — die Frucht deines Un­glaubens — ist der entsetzliche Beweis, daß du den Sohn Gottes mit Füßen trittst. Ohne Zweifel hast du dich auch anderer Sünden schuldig gemacht, die an Zahl die Haare deines Hauptes übertreffen werden, und durch welche, wo du darin beharrest, du dir Zorn aufhäufen wirst für den Tag des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes; allein die unter allen schrecklichste Sünde ist. daß du dem Zeugnisse Gottes in Betreff Seines Sohnes nicht glaubst, mithin die in dem Evangelium angekündigte Gnade Gottes von dir stoßest und durch dein Beharren im Unglauben die ganze, entsetzliche Last deiner Sünden mit eiserner Kette an deine arme Seele bindest. Schon jetzt in diesem Augenblicke ist das Urteil Gottes über dich gefällt; denn „wer nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes glaubt" (Joh. 3, 18).

0 möchte der Herr doch geben, daß du erwachest aus deinem trau­rigen, trost- und hoffnungslosen Zustande? Möchte doch dein Gewis­sen kräftig genug überführt und die Frage in dir geweckt werden:

„Wer ist dieser Jesus, von welchem Gott in. Seinem Worte zu mir spricht?" Möchtest- du, ergriffen durch" die überschwängliche, allen Menschen erschienene Gnade, glaubend zu den Fü­ßen Jesu sinken, mit dem Rufe: "Mein Herr und mein Gott!" Gewiß, du würdest voll Freude mit dem Apostel ausrufen: „Gerecht­fertigt also aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott, durch unsern Herrn Jesum Christum" (Röm. 5, l).

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2 Mose 12 Das Blut des Passahlammes und das Rote Meer

(2. Mos. 12—1,4)

Die hier angeführten Kapitel offenbaren uns in Wirklichkeit und zugleich als V o r b i l d ein doppeltes Gericht in Betreff der Feinde Gottes und eine doppelte Errettung in Betreff des Volkes Gottes. — Zuerst sehen wir, wie Gott als Richter durch Ägyptenland zog und alle Erstgeburt schlug. Der Zweck dieses Gerichts war, den Pharao zu zwin­gen, von seiner frevelhaften Verfolgung der Kinder Israel abzulassen. In dem Gericht des Roten Meeres aber offenbarte Gott Seine ganze Macht an den Feinden Seines Volkes, und zerstörte mit dem Hauche Seines Mundes den, der sich in Übermut gegen Ihn empörte, Pharao samt seinen Reitern und Wagen wurden in den Fluten des Meeres be­graben. Es war das Schlußgericht, welches für immer die Feinde Gottes vernichtete. — In dem ersten Gericht nun blieb Israel verschont, und das letztere wurde seine Befreiung. Da Gott als Richter ganz Ägypten­land durchzog und die Erstgeburt der Ägypter tötete, ging Er an den Kindern Israel vorüber. Weshalb aber verschonte Er sie? Durch wel­ches Mittel waren sie von diesem Gericht in Sicherheit gebracht? Durch ihre Gottesfurcht? 0 nein; sondern allein durch das Blut des Passah­lammes. Auf Befehl Gottes hatte jede Familie der Kinder Israel ein fehlerloses Lamm geschlachtet und dessen Blut an die Türpfosten gestri­chen; und der Richter ging an jedem Hause, wo Er dieses Blut fand, ohne weiteres vorüber. Dies Blut reichte vollkommen hin, um das Schwert des Richters abzuhalten. Wo dies Blut aber fehlte, da war auch nichts im Stande, diesem Schwerte zu entrinnen. Das Blut allein war das sichere Schirmdach für das Volk Gottes. Gott Selbst hatte in Seiner großen Liebe für Sein Volk diesen Weg zur Errettung eröffnet. In dem vergossenen Blute war jede Forderung Seiner Gerechtigkeit gegen die Sünde befriedigt und aller Zorn zum Schweigen gebracht. Es bezeugte, daß das Gericht vollzogen, und daß für alles, was Gott in Seinem Wesen ist, eine vollkommene und gänzliche Genugtuung ge­schehen war. Beim Anblick desselben ging Gott als Gott, nach Seiner Gerechtigkeit, Heiligkeit und Wahrheit, an den Türen der Kinder Israel schonend vorüber. Dies Blut bezeugte, daß Sein Gericht schon vollzogen und Seine Gerechtigkeit befriedigt war.

Das Blut des Passahlammes würde Israel aber keinen Schutz ge­währt haben, wenn nicht Gott dasselbe verordnet hätte, und Er ver­ordnete es im Hinblick auf "das Lamm, „welches schon vor Grundlegung der Welt zuvorerkannt war" — auf das Blut Seines eingeborenen Soh­nes. Ja, das Blut Christi allein hat die Kraft, uns vor dem Gericht Gottes in, Sicherheit zu bringen. Gott Selbst hat Sich Sein Lamm auserwählt. 0 anbetungswürdige Liebe! Gott schonte Sich nicht, Er schonte nicht das Blut Seines eingeborenen und geliebten Sohnes, um gottvergessene Sünder völlig zu schonen. Christus Selbst ging ins Gericht, belud sich mit dem Fluch der Sünde und erduldete den Zorn, damit uns kein Gericht treffe, sondern Gnade und Liebe uns überströme. Außer Seinem Blute aber gibt es keine Errettung; und nur dann, wenn wir durch Glauben auf diesem Blute allein ruhen, haben wir einen sicheren Frie-

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 den. Wir verstehen dann, daß in dem Herzen Gottes nur Liebe für uns ist und nicht mehr ein Gedanke von Zorn. Anders aber fürchten wir noch immer Gott als Richter.

Wir dürfen nun aber nicht vergessen, daß selbst dann, wenn wir wirklich bekehrt, wenn wir durch Glauben an das Blut Jesu vor dem Gericht Gottes in Sicherheit gebracht worden, wir noch nicht von der Macht des Feindes befreit sind. Und so lange wir nicht von dessen Macht getrennt sind, so lange wir uns noch in Ägyptenland befinden, so lange wird auch der Feind immer aufs Neue Angriffe gegen den Frieden unserer Seele machen. Doch, Gott sei Dank! wir sind auch von der Macht des Feindes getrennt worden; und dies leitet unsere Gedan­ken auf das andere Vorbild unserer Errettung, welches uns in dem Durchgang der Kinder Israels durchs Rote Meer vorgestellt wird.

Am Roten Meere trat Gott in Befreiungsmacht für Sein Volk ein, und handelte für dasselbe nach den Absichten Seiner Liebe. Er bahnte ihnen mitten im Meere einen Weg, sodaß sie trockenen Fußes hindurch­gingen. Die Ägypter dagegen, welche denselben Weg zur Empörung einschlugen, wurden von den Wellen bedeckt. Sie erkannten nicht, daß es der Weg Gottes war — ein Weg des Lebens für Sein Volk, aber ein Weg des Todes für Seine Feinde — ein Weg, der jene für immer von diesen trennte. Israel war jetzt völlig von der Macht seiner Verfolger befreit, und es blieb für sie nichts weiter übrig, als die Liebe und Macht Gottes zu besingen und mit Frohlocken Seinen Sieg zu feiern (Kap. 15). Gott war verherrlicht und Sein Volk errettet; und alle Ehre und aller Ruhm gebührte Ihm allein.

Dies Vorbild vom Roten Meer stellt augenscheinlich den Tod und die Auferstehung Christi und Seines Volkes in Ihm vor unsere Augen. Christus Selbst hat Sich in die Fluten des Todes geworfen, damit die Seinigen frei und unberührt von denselben hindurchgehen möchten. In Seinem Tode ist Er in die ganze Tiefe dieses Elends eingetreten, und die Macht Satans und der Zorn Gottes haben an Ihm ihre ganze Stärke entfaltet. In der Auferstehung aber ist Gott Selbst ins Mittel ge­treten, um Christum, und uns in Ihm, tadellos vor Sein Angesicht in Liebe darzustellen. Gott Selbst ist hier also tätig, um Sein Volk aus dem Tode, worin Er es in Christo versetzt hatte, ausgehen zu lassen, und es vor jeder Berührung des Feindes in Sicherheit zu bringen. Jetzt ist der Feind, welcher Gottes Volk hart bedrängte, ohne Rettung ge­schlagen Wir sind von Seiner Macht, von der Macht des Fürsten dieser Welt, befreit. Wir sind mit Christo auferstanden und für immer in die Gnade und Gunst Gottes gebracht. So völlig wie Christus von jener Macht des Feindes befreit ist, so völlig sind wir es in Ihm; so weit Er von derselben getrennt ist, so weit sind auch wir es in Ihm. In dem auferstandenen Christus haben wir einen Rettungs- und Bergungsort gefunden, wo uns kein Feind mehr antasten kann. Es ist aber, so lange wir hienieden sind, nur Sache des Glaubens. Der Glaube allein erkennt und verwirklicht diese gesegnete Stellung; und für den Gläubigen ist jetzt nichts anderes übrig geblieben, als die Liebe und Macht Gottes zu besingen, und mit jubelndem Herzen Seinen Sieg über alle Seine und unsere Feinde zu feiern. Jetzt triumphieren wir im Glauben und bald im Schauen.

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 Das Blut Christi schützt uns also vollkommen vor dem Gericht Gottes, und das Rote Meer zeigt uns als Vorbild, daß die Macht, welche uns mit Christo auferweckt hat, uns von der Macht Satans befreit und vor seinen Angriffen gegen den Frieden unserer Seelen in Sicherheit gebracht hat. Möge der Heilige Geist stets unsere Herzen vermittelst des Glaubens auf diese beiden gesegneten Wahrheiten richten; denn nur dann sind wir fähig, im Frieden hienieden zu wandeln und im Lauf auszuharren. Der christliche Weg, das ist der Weg einer befreiten Seele, beginnt erst nach dem Durchgang durchs Rote Meer, nachdem wir in Wahrheit verstanden haben, daß wir mit Christo gestorben und aufer­standen sind.

2 Mose 14 Der Herr wird für euch streiten, und ihr sollt stille sein

(2. Mose 14, 14)

Diese köstlichen Worte sagte Moses zu den Kindern Israel, als sie Ägypten verlassen und am roten Meer angelangt waren. Sie befanden sich hier in einer sehr bedrängten Lage. Vor ihnen war das Meer, hinter ihnen die verfolgenden Feinde und rechts und links die Wüste. Jeder Ausweg war versperrt. Wie benahm sich nun das Volk in dieser Lage? Wie sich das Volk Gottes immer benommen hat und noch benimmt, wenn das Auge des Glaubens geschlossen ist. Sie sprachen zu Mose:

„Waren nicht Gräber in Ägypten, daß du uns mußtest wegführen, daß wir in der Wüste sterben" (V. 11)? Der Unglaube sieht immer die Um­stände an und urteilt und handelt darnach, und nur der Glaube bleibt auf Gott gerichtet. Jener sieht mit dem Auge des Menschen, dieser mit dem Auge Gottes; und wo das Auge des schwachen Menschen keinen Ausweg mehr erblickt, da erblickt das Auge des Allmächtigen Auswege die Menge. Und im Glauben antwortete Moses dem Volke: „Fürchtet euch nicht, stehet fest und sehet zu, was für ein Heil der Herr heute an euch tun wird; denn diese Ägypter, die ihr heute sehet, werden ihr nimmermehr sehen in Ewigkeit. Der Herr wird für euch strei­ten und ihr sollt stille sei n." ^— Moses führte Gott in die Umstände ein, und war überzeugt, daß Er mächtig genug war, nach allen Seiten hin einen sicheren Ausweg zu eröffnen, und daß Er auch Liebe genug hatte, um es zu tun. Gewiß, Gott beschämt nie den Glauben Sei­nes Volkes. In den schwierigsten Umständen ruft Er den Seinigen zu. „Fürchtet euch» nicht!" — „Sorget um nichts — „Ich will für euch strei­ten und ihr sollt stille sein!" Es ist Sein Wohlgefallen, ja die Freude Seines Herzens, in allen Umständen Seine innige Liebe und Sein voll­kommenes Mitgefühl für die Seinigen an den Tag zu legen. Er führt sie gerade solche Wege und durch solche Umstände, wo Er Gelegenheit findet, um bezeugen zu können: „Sehet doch, daß ich euer Gott bin, daß ich euch von Herzen liebe!" — Nur der Glaube der Seinigen erkennt es, und er freut sich darin mit stillem, ergebenem Herzen. Der Un­glaube aber murrt und zweifelt selbst nach tausendfachen Beweisen Seiner Liebe und Macht. Darum möge der Herr Glauben und Vertrauen immer mehr in unseren Herzen befestigen.

109

Bist Du Deiner Seligkeit gewiß

 l.

Von der gegenwärtigen, unter den Christen so allgemein verbrei­teten Ungewißheit in Betreff ihrer Errettung findet sich im Neuen Te­stamente keine Spur. Die Briefe der Apostel sind sämtlich, an solche gerichtet, die da wußten, daß sie Christen und als solche erlöste Men­schen waren; sie sind in der Absicht geschrieben, dieselben in der Ge­wißheit ihrer Errettung zu befestigen; und die darin enthaltenen Er­mahnungen setzen stets diese Gewißheit voraus. Selbst die wenigen Schriftstellen, die scheinbar eine Unsicherheit der damaligen Christen durchblicken lassen und die mancher so gern zum Ruhekissen gebraucht, beweisen, im Zusammenhang gelesen, das Gegenteil. Ohne diese Ge­wißheit kann weder ein beständiger Friede, noch Macht über die Sünde, noch Kraft zur Verherrlichung Gottes, noch endlich Freude bei dem Gedanken an die nahe Ankunft des Herrn im Herzen sein. Und dennoch halten es viele für höchst gefährlich, eine wohlgegründete Gewißheit der Errettung zu besitzen; wiewohl es teststeht, daß gerade diesem Mangel der Verfall des Christentums und der gegenwärtig so traurige Zustand der Versammlung Gottes zuzuschreiben ist.

Kaum hat der Herr Jesus eine Jüngerschar um Sich versammelt, die — von Gott dem Vater gelehrt — in Ihm dem Christus, den Sohn des lebendigen Gottes erkannte, so beginnt Er auch schon, ihren Herzen Licht, Freude und Trost darzureichen. „Fürchte dich nicht, kleine Herde! denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben" (Luk. 12, 32). — -„D och darin freut euch nicht, daß euch die Geister unterworfen sind; freuet euch aber, daß eure Namen in den Him­meln geschrieben stehen" (Luk. 10, 20). — „Wahrlich, wahrlich, Ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubet Dem, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tode in das Leben hinübergegangen" (Joh. 5, 24). — So sprach der gepriesene Herr, als Er kaum Seinen Dienst begonnen hatte. Je näher aber Sein Ende heranrückte, desto deutlicher wurden Seine an die Jünger gerichteten Worte; denn, verheißend die Sendung des Heiligen Geistes, sagt Er: „An jenem Tage werdet ihr er­kennen, daß ich in meinem Vater bin, und ihr in mir und ich in euch" (Joh. 14, 20). — Das Herabkommen des Heiligen Geistes sollte nicht allein die Wirkung haben, in den Jüngern das Be­wußtsein zu wecken, daß Christus in dem Vater war, sondern auch, daß sie in Christo waren und Er in ihnen war. Wie innig ist ihre Verei­nigung mit Ihm nach Seiner Auferstehung, wo Er Seinen Platz vor Gottes Angesicht mit ihnen teilt und dieses in den Worten ausdrückt:

„G ehe aber zu meinen Brüdern hin und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott" (Joh. 20,17)! — Sollten jene, welche diese Botschaft empfingen, wohl den meisten Zweifel be­treffs ihrer Errettung gehabt haben können? Wie wäre dieses möglich gewesen, da der auferstandene Erlöser Sich nicht schämte, sie Brüder

 zu nennen, und da Er Seinen Vater als den ihrigen. Seinen Gott als den ihrigen bezeichnete? Ach! möchten doch diese köstlichen Offenbarungen gebraucht werden, um aus der Seele aller matten und schwachen Gläu­bigen, die diese Schriftstelle lesen, jede Spur von Ungewißheit gänz­lich zu verbannen!

Wie schon bemerkt, sind die Briefe der Apostel an solche gerich­tet, die Christen waren und das Bewußtsein davon hatten. Schon zu Anfang des Römerbriefes sehen wir, daß der Apostel von sich selber, als von jemand spricht, der Gnade und Apostelamt zum Glaubens-Gehorsam unter allen Nationen empfangen habe, „unter welchen"

— sagt er — „auch ihr seid, Berufene Jesu Christi! allen Geliebten Gottes und berufenen Heiligen, die zu Rom sind" (Röm. 1. 5—7). — Und welche waren es nun, die diesen Brief, als an sie gerichtet, empfangen durften? Welche anders als die­jenigen, die das Bewußtsein hatten, von Jesu berufen und von Gott geliebt zu sein? Ebenso wird der erste Brief an die Korinther gerichtet, „an die Versammlung Gottes, welche in Korinth ist, den Geheiligten in Christo Jesu, den berufenen Hei­ligen, samt allen, die an allen Orten den Namen un­seres Herrn Jesu Christi, ihres und unseres Herrn, an­rufen" (1. Kor. 1. 2). Die Aufschrift auf den zweiten Brief lautet: „D e r Versammlung Gottes, welche zu Korinth ist, samt „allen Heiligen in Christo Jesu, die zu Philippi sind;" waren dort solche Menschen, die da wußten, daß sie die Versammlung Gottes zu Korinth ausmachten, oder daß sie zu der Zahl der Heiligen gehörten, die sich in Achaja befanden, oder daß sie einen Teil derer bildeten, die an allen Orten den Namen unseres Herrn Jesu Christi an­riefen. Jedoch ist es nicht nötig, bei einem einzigen Falle zu verweilen. Der Brief an die Epheser ist geschrieben, „den Heiligen und Treuen, die zu Ephesus sind", — der Brief an die Philipper:

„allen Heiligen in Christo Jesu, die zu Philipp! sind;"

— der Brief an die Kolosser: „den heiligen und treuen Brü­dern in Christo, welche in Kollossä sind;" — der Briet an die Thessalonicher „der Versammlung der Thessalonicher in Gott dem. Vater, und dem Herrn Jesu Christo."

— Diese Adressen zeigen klar und deutlich, daß die Empfänger der Briefe sich bewußt waren, daß sie unter den angeführten Bezeichnun­gen gemeint, oder mit anderen Worten, daß sie Christen waren.

Daß aber diese Briefe nicht an menschlich geordnete Christenge­meinden, wie die Gegenwart sie uns zeigt, gerichtet sind, in denen ein jeder — ob persönlich von seiner Errettung überzeugt oder nicht — sich das Recht, anmaßen könnte, die Aufschrift, als an ihn gerichtet, zu betrachten, zeigt der Inhalt derselben in der unzweideutigsten Weise, indem aus vielen Stellen klar hervorstrahlt, daß sowohl die Schreiber, als auch die Empfänger ihrer Errettung gewiß waren. Beispielsweise führen wir einige dieser Stellen an: „Gerechtfertigt also aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum." — „Die Hoffnung aber läßt uns nicht beschämt werden; denn die Liebe Gottes ist in unsere Herzen ausgegossen durch den Heiligen

 Geist, welcher uns gegeben ist" (Röm. 5). — „So ist nun keine Verdammnis mehr für die, welche in Christo J e s u sind." — Denn ihr habt nicht den Geist der Knechtschaft, wiederum zur Furcht, sondern ihr habt den Geist der Sohnschaft empfangen, in welchem wir ru­fen: Abba, Vater! Der Geist Selbst zeugt mit unserm Geist, daß wir Kinder Gottes sind" (Röm. 8). — Beweisen nicht schon diese wenigen Stellen, daß sowohl der Apostel, als auch die Gläubigen zu Rom die bestimmteste Gewißheit in Betreff ihrer Erret­tung genossen?

Auch der Korinther-Brief liefert Beweise dazu; denn Paulus schreibt an die Versammlung in Korinth: „Wir haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott ist, auf daß wir die Dinge wissen, die uns von Gott aus Gnaden gegeben sind." — Und an welche Art von Menschen schreibt der Apostel diese Worte? An solche, unter denen etliche wei­land Hurer, Götzendiener, Trunkenbolde und dergleichen gewesen wa­ren, denen er aber das Zeugnis gibt: „Aber ihr seid abgewa­schen, aber ihr seid geheiligt, aber ihr seid gerecht­fertigt in dem Namen unseres Herrn Jesu, und durch den Geist unseres Gottes" (1. Kor. 6, 11). — Würde er dieje­nigen, an welche er schrieb, also bezeichnet haben bei der Vorausset­zung, daß sie nicht gewußt, ob sie der Zahl dieser Abgewaschenen und Geheiligten angehörten? Und was würde in Betreff der Stelle: „Wisset ihr nicht, daß euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist, welchen ihr von Gott habt, und daß ihr nicht euer selbst seid?" — die Meinung und die Kraft einer solchen Frage gewesen sein, wenn der Apostel es nicht für ausgemacht hielt, daß sie, an welche er sein Schreiben rich­tete, sich als ein Tempel Gottes erkannten?

Auch der zweite Brief liefert solche Beweise in Menge. Schon im ersten Kapitel lesen wir: „Gott aber ist es, der uns samt euch befestigt in Christum, und uns gesalbt hat; der uns auch versiegelt hat und das Pfand des Geistes in un­sere Herzen gegeben." — Befestigt worden zu sein durch Gott in Christum, die Salbung zu haben, welche über alle Dinge lehrt, ver­siegelt zu sein und mithin das Merkmal zu besitzen, daß Gott uns als die Seinigen anerkennt, und endlich den Geist nicht nur als Salbung und Siegel zu haben, sondern auch als Pfand und als gegenwärtigen Vorgeschmack der zukünftigen und ewigen Freude, — wie könnte bei jemand alles dieses vorhanden sein, ohne in Betreff der Errettung Ge­wißheit zu haben? Der Apostel sieht nicht allein sich, sondern alle, an welche er schreibt, im Besitz dieser Dinge; denn er sagt: „Der uns mit euch befestigt!" — Und was finden wir zu Anfang des fünften Kapitels: „Denn wir wissen, daß, wenn unser ir­disches Haus diese Hütte zerstört wird, wir einen Bau aus Gott haben, ein Haus nicht mit Händen ge­macht, das ewig ist in den Himmel n." — Siehst du, lieber Leser?


 Da ist keine Ungewißheit; sie ist gänzlich ausgeschlossen in den Worten: „Denn wir wissen." Wie verschieden ist diese Sprache von  der, die man heutzutage so oft hört? Während die Christen in unserer Zeit nicht selten sagen: „Ich hoffe, daß es sich noch einmal machen werde; ich bin nicht ganz ohne Hoffnung," — zeigt sich bei dem Apo­stel nicht eine Spur von Ungewißheit, sondern er bekennt frei und offen: „Wir wissen, daß — — wir einen Bau aus Gott haben."

In Gal. 4, 6 finden wir die Worte: „Weil ihr aber Söhne seid, so sandte Gott den Geist Seines Sohnes aus in unsere Herzen, welcher Abba, Vater! ruft"; — und in Eph. 1. 13, 14: „In welchem ihr auch, nachdem ihr in Ihm gläubig geworden, mit dem Heiligen Geiste der Verheißung versiegelt worden seid, welcher das Pfand unseres Erbes ist, bis zur Erlösung des erworbene n Besitze s, zum Lobe Seiner Herrlichkeit." — Beide Stellen beweisen aufs deutlichste, daß die, an welche sie gerichtet, ihrer Errettung ge­wiß waren. — In dem Briefe an die Kolosser schreibt der Apostel Kap. 1. 3—6: „Wir danken dem Gott und Vater unsers Herrn Jesu Christi — — — wegen der Hoffnung, welche für euch in den Himmeln aufbewahrt ist, wovon ihr zuvor in dem Worte der Wahrheit des Evangeliums gehört habt, welches zu euch gekommen ist, gleichwie in die ganze Welt, und fruchtbringend und wachsend ist, wie auch in euch von dem Tage an, da ihr die Gnade Gottes in Wahrheit gehört und erkannt hab t." — Mit welchem Vertrauen drückt sich hier der Apostel über die Gewißheit der Erkenntnis der Gnade Gottes aus! Wie strömt sein Herz" über, wenn er in V. 12 fortfährt: „Danksagend dem Vater, der uns zu dem Anteil des Erbes der Heiligen in dem Lichte fähig gemacht hat, der uns aus der Gewalt der Finsternis errettet und in das Reich des Sohnes Seiner Liebe versetzt hat, in welchem wir die Erlösung haben, haben, die Vergebung der Sünden." — Da ist kein Schwan­ken! da ist kein Wenn und Aber, sondern eine bestimmte, unum­stößliche Gewißheit. Da heißt es: Er hat uns fähig gemacht, hat uns gerettet, hat uns versetzt. 0 selige, süße Gewißheit! 0 möchte sie doch nie umdüstert sein sowohl in den Herzen der Leser, als auch in dem Herzen des Schreibers dieser Zeilen!

Ebenso deutlich und bestimmt spricht der Apostel im ersten Briefe an die Thessalonicher. Er sagt: „Denn sie selbst verkündigen von uns, welchen Eingang wir zu euch hatten, und wie ihr euch von den Götzenbildern zu Gott bekehrt habt, zu dienen dem lebendigen und wahren Gott, und Seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten, wel­chen Er »aus den Toten auferweckt hat, — Jesum, der uns vor dem. kommenden Zorn errettet" (1. Thess. 1. 9. 10). — „Denn Gott hat uns nicht zum Zorn gestellt, sondern zur Erlangung der Seligkeit durch unsern Herrn Je­sum Christum" (1. Thes. 5, 9). 


Auch im zweiten Briefe hören wir den Apostel sagen: „Wir aber sind schuldig, Gott allezeit für euch, vom Herrn geliebte Brüder, zu danken, weil Gott euch von Anfang zur Seligkeit erwählt hat, in  Heiligkeit des Geistes und im Glauben an die Wahr­heit, wozu Er euch durch unser Evangelium berufen hat, zur Erlangung der Herrlichkeit unseres Herrn Je s u Christi" (2. Thess. 2, 13. 14). — Wiederum sagt er: Unser Herr Jesus Christus Selbst aber, und unser Gott und Vater, der uns geliebt und ewigen Trost und gute Hoffnung durch die Gnade gegeben hat, tröste eure Herzen und befestige euch in allem guten Wort und Werke" (2. Thess. 2, 16. 17). — Der Apostel sagt also von sich und allen seinen Mitgläubigen, daß Jesus sie vom kommenden Zorn errette. daß sie nicht zum Zorn, sondern zur Erlangung der Seligkeit gestellt seien und daß der Herr Jesus Christus und Gott, ihr Vater, sie geliebt und ihnen ewigen Trost und gute Hoffnung gegeben habe' Hier ist nicht der mindeste Schatten eines Vorwandes für die unendlichen Zweifel, die gegenwärtig bei den Christen vorherrschend sind, und die leider von etlichen derselben als Beweise von Demut und als gute Zeichen des Werkes der Gnade bezeichnet werden.

Wenn wir die Briefe weiter verfolgen, so finden wir, daß Paulus mit Vertrauen den Timotheus sein echtes Kind im Glauben nennt; und in Betreff seiner .eigenen Bekehrung fügt er, nachdem er sich den vor­nehmsten der Sünder genannt, die Worte hinzu: „Deswegen aber habe ich Barmherzigkeit empfangen, auf daß an mir zuerst Jesus Christus die ganze Langmut erzeige, um ein Exempel denen darzustellen, die an Ihn zu m' ewigen Leben glauben würde n." Auch ermahnt er den Ti­motheus mit den Worten: „Leide Trübsal mit dem Evange­lium, nach der Kraft Gottes, der uns gerettet und mit heiligem Ruf berufen hat." — So völlig war der Apostel von seiner Errettung überzeugt, und er hält es für ausgemacht, daß auch Timotheus diese Überzeugung für sich habe. In demselben Vertrauen schreibt er an Titus: „Er errettete uns nicht aus Werken, die wir aus Gerechtigkeit getan hatten,3ondern nach Seiner Barmherzigkeit, durch die Waschung d er Wie­dergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes, welchen Er auf uns reichlich durch Jesum Christum, unsern Heiland, ausgegossen hat, auf daß wir, ge­rechtfertigt durch Seine Gnade, nach der Hoffnung des ewigen Lebens würde n."

Wenden wir uns nun zu den Schriften eines anderen Apostels, und wir werden dieselben Zeugnisse finden. Der erste Brief Petri beginnt mit Worten voll Dank und Freude, die keinen Zweifel zurücklassen, daß die Empfänger derselben ihrer Errettung völlig gewiß waren. Der Apo­stel sagt: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi, der uns nach Seiner großen Barm­herzigkeit wieder gezeugt hat zu lebendiger Hoff­nung durch die Auferstehung Jesu Christi aus den Toten, zu einem unverweslichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbteil, welches in den Him­meln für euch aufbewahrt ist, die ihr durch Gottes Macht durch Glauben bewahrt werdet zum Heile, welches bereit ist, in der letzt e n Zeit" offenbart zum werden" (1. Petr. 1. 3—5). — So triumphierend war ihre Gewißheit, daß sie sich, obschon noch unter dem Drucke mannigfacher Versuchun­gen, derselben erfreuen konnten. Der Apostel redet mit ihnen von Christo, als von Ihm, „welchen ihr" — wie er sagt — „obgleich ihr Ihn nicht gesehen, liebet, an welchen glaubend, ob­gleich ihr Ihn jetzt nicht sehet, ihr mit unaussprechlicher Freude frohlocket, indem ihr das Ende eures Glaubens, die Errettung der Seelen davon traget." — Im zweiten Kapitel lesen wir in V. 7 die Worte: „Für euch nun, die ihr glaubt, ist die Kostbarkeit, den Ungläubigen aber, der Stein, den die Bauleute verworfen haben, — dieser ist zum Eckstein geworden, und ein Stein des Anstoßes, und ein Fels der Ärgernis." Sollte es wohl zwei­felhaft sein, daß die, an welche dieser Brief gerichtet war, sich ihrer Errettung gewiß waren?

Vor allem aber setzt der Apostel, den der Herr liebte, der Menge von Beweisen die Krone auf. Richten wir unsere Blicke auf die An­fangsworte seines ersten Briefes, so fühlen Wir gleich die Gewißheit seiner eigenen Errettung, heraus. Freilich hatte er weniger im Auge, uns darüber Versicherungen zu geben, als vielmehr von einem weit er­habeneren Gegenstande, von Jesu Selbst und Seiner wunderbaren Offen­barung unter den Menschen, zu sprechen; jedoch würde er nicht also ge­schrieben haben, wenn er nicht in dem vollen Genüsse Seiner Erlösung gewesen wäre. Unzweideutig zeugen davon seine Worte, wenn er sagt:

„Was von Anfang war, was wir gehört, was wir mit un­seren Augen gesehen, was wir betrachtet und unsere Hände betastet haben von dem Worte des Lebens; — und das Leben ist offenbart worden, und wir haben gesehen, und zeugen und verkündigen euch das ewige Leben, welches bei dem Vater war und uns offenbart worden ist" (1. Joh. 1. 1. l). — „Ja, aber" — wendet vielleicht der eine oder der andere Leser ein — „daß ein Apostel, und namentlich einer, der in dem Schöße Jesu gelegen, also schreiben kann, und daß auch andere ausgezeichnete Christen eine solche Gewißheit erlangen können, will ich gern einräumen; allein ich bezweifle es, daß dieses ein allgemeines Vorrecht der Christen sein könnte." — Gemach, mein Freund, der Apostel selbst gibt dir die Antwort, wenn er sagt: „Was wir gesehen und gehört haben, verkündigen wir euch." — Und warum? Etwa darum, damit man ihn und die anderen Apostel anstaunen soll wegen eines Vorrechts, dessen sich nimmer ein gewöhn­licher Christ erfreuen könne? 0 nein, gerade das Gegenteil; denn er fügt hinzu: „Auf daß ihr mit uns Gemeinschaft habet." Und nun, um zu zeigen, was die Gemeinschaft wertvoll mache, läßt er die Worte folgen: „Und zwar ist unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit Seinem Sohne Jesu Christo." — Wahrlich, hier findet man mehr, als die Gewißheit der Errettung; denn diese würden wir haben können, ohne gerade noch von Gemeinschaft mit dem Vater und Seinem Sohne Jesu Christo gehört zu haben. 


Aber Johannes und die übrigen Apostel hatten diese Gemeinschaft und was sie gesehen und gehört, das verkündigte er uns, damit auch wir mit ihm Gemeinschaft haben möchten, eine Gemeinschaft, die da ist mit dem Vater und dem Sohne. Und als ob er jeden Zweifel darüber, daß wir gleich ihm dasselbe Vorrecht haben, zu beseitigen gedächte, fügt er noch zum Schluß hinzu: „Und dieses schreiben wir euch, auf daß eure Freude völlig se i."

Streng genommen behandelt Johannes erst im zweiten Kapitel die Frage betreffs der Gewißheit der Errettung. Und welche Christen wer­den uns als im Genüsse dieser Gewißheit vorgeführt? Etwa die bejahr­ten, geförderten Christen, die der Apostel unter dem Namen „Väter" bezeichnet? — Nein. — Etwa die tätigen, eifrigen Christen, die in der Kraft des Lebens, in der Hitze des Streites und in dem Drucke der Prüfungen sich befinden — die „Jünglinge?" — Auch nicht; wie­wohl ohne Zweifel diese beiden Arten- von Christen in dem Genüsse der Gewißheit ihrer Errettung waren, so schreibt er dennoch- dieses ihnen nicht. — „Ich schreibe euch, Kinde r," — sagt er, — „weil euch die Sünden um Seines Namens willen ver­geben sind."

Das dritte Kapitel beginnt mit dem Ausruf: „Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater gegeben, daß wir Kinder Gottes heißen sollen! — Und was läßt der Apostel folgen? — „Geliebte! Jetzt sind wir Kinder Gottes; und es ist noch nicht offenbart worden, was wir sein werden;

wir wissen aber, daß, wenn Er offenbart ist, wir Ihm gleich sein werden; denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist.'' — Ist es möglich, sich deutlicher und bestimmter über die Gewißheit der Errettung auszudrücken?

In dem letzten Kapitel finden wir eine Stelle, die zwar mehr die Weise bezeichnet, auf welche der Gläubige sich seiner Errettung ver­sichern kann, die wir aber dennoch hier anführen wollen. Der Apostel sagt: „Dies habe ich euch geschrieben, auf daß ihr wis­set, daß ihr, die ihr an den Namen des Sohnes Gottes glaubt, das ewige Leben habt" (1. Joh. 5, 13). Es war also die Absicht des Heiligen Geistes, die Gewißheit zu versiegeln, den Glau­ben derer zu stärken, die an den Namen des Sohnes Gottes glaubten, und das Bewußtsein zu wecken, daß sie das ewige Leben besäßen. Der Apostel fordert die, an welche er schreibt, nicht auf, an den Sohn Got­tes zu glauben, als ob sie Ungläubige wären, sondern weil sie an diesen gesegneten Namen glaubten, sucht er sie in dem Glauben zu befestigen. Auch schrieb er ihnen nicht, weil ihnen die Gewißheit, ihrer Errettung mangelte, sondern um sie in dieser Gewißheit zu befestigen, und hatten sie diese Gewißheit auf dem Wege einer anderen göttlichen Mitteilung erlangt, so besaßen sie jetzt zur Befestigung das geschriebene Wort. Welch ein fester Grund für die Errettung und für das ewige Leben!

Werfen wir nun noch unseren Blick auf eine Stelle in diesem letz­ten Kapitel, eine Stelle, die geeignet ist, den Schluß zu unserer Be­trachtung zu bilden. Sie heißt: „Wir wissen, daß wir aus Gott sind; und die ganze Welt liegt in dem Bösen. Und wir wissen, daß der Sohn Gottes gekommen ist und uns ein Verständnis gegeben hat, auf daß wir den Wahr­haftigen kennen; und wir sind in dem Wahrhaftigen,  in Seinem Sohne Jesu Christo. Dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben" (1. Joh. 5, 19. 20).

II.

Die Gewißheit, gerettet zu sein, ist eine Sache, deren außerordent­liche Wichtigkeit wohl "niemand in Abrede stellen wird. Und dennoch wird vielleicht mancher diese Zeilen flüchtig durchlaufen, ohne sich einer solch schätzbaren Gnade erfreuen zu können. Einen solchen nun hat vornehmlich der Verfasser dieses Aufsatzes im Auge; und sein Ge­bet ist, daß der Herr diese Bemühung an dem Herzen desselben reich­lich segnen möge.

Es handelt sich also, mein geliebter Leser, zunächst um deine Si­cherheit und deinen Frieden. Ich setze natürlich voraus, daß du an das Dasein eines Gottes glaubst, daß du die Bibel für das Wort Gottes hältst, daß du an ein künftiges Gericht glaubst und darauf vorbereitet zu sein wünschest. Ich setze voraus, daß du der Zahl solcher Menschen angehörst, die im allgemeinen allen Wahrheiten des Christentums ihre' Zustimmung geben und die oft mit den Dingen der Ewigkeit beschäftigt sind, für welche aber die, ihr ewiges Los betreffende Frage noch nicht entschieden ist. Heute hoffst du, ein Christ zu sein, und morgen fürch­test du, daß du es nicht seiest. Und wird einmal geradezu die Frage an dich gerichtet: „Bist du wirklich ein Christ? Bist du deiner Seligkeit gewiß?" — so wirst du plötzlich fühlen, daß dieses eine ungelöste Frage für dein Herz ist. Ist dies nicht dein Zustand, mein Freund?

Aber wie ist es möglich, daß du in solcher Ungewißheit fortleben kannst? Wärest Du in der strengsten Bedeutung ein Ungläubiger, ver­achtetest du gleich vielen sowohl den Namen Christi, als auch die Worte Gottes, spottetest du mit der Sünde und mit der Vorstellung von einer Ewigkeit, — dann würde man deinen Zustand betrauern müssen, aber nicht sich über deine Sorglosigkeit wundern können. Glaub­test du nicht an Gott, kein Wunder, wenn du, da du Seiner Gunst nicht gewiß wärest, dich beruhigen könntest; — erwartest du nichts von der Ewigkeit, kein Wunder, wenn du dich nicht darauf vorbereitest. Oder wärest du auch gerade nicht ungläubig, aber sorglos in Betreff der Ewigkeit, oder lägest du gänzlich gefangen in den Stricken weltlicher Vergnügungen, sodaß kein Gedanke an Gott und an das kommende Gericht in deiner Seele Raum fände, — auch dann würde man deine Torheit bedauern, aber sich nicht über deine gänzliche Gleichgültig­keit in Betreff deiner Errettung wundern können. Aber diese Dinge zu glauben, oder doch wenigstens dieses von sich zu behaupten, ja selbst ein Verlangen nach Errettung zur Schau zu tragen, und dennoch von Woche zu Woche, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr in solcher Ungewißheit fortzuleben, — ich frage dich, lieber Leser: Wie ist es möglich?

In anderen Dingen ist Ungewißheit dir unerträglich. Hast du schon am Sterbebette deiner Eltern, deiner Geschwister, deiner Gattin, deiner Kinder oder. irgend einer dir nahestehenden Person gestanden? Nicht wahr? in Todesangst hingen deine Blicke an den Lippen des Arztes, um dessen Ausspruch zu hören und dadurch dem unerträglichen Zustand zwischen Furcht und Hoffnung enthoben zu werden. — Hast du nicht bei einer wichtigen Angelegenheit einmal den Verhandlungen eines Gerichtshofes beigewohnt, und zwar in dem Augenblicke, wo der Richter sich erhob, um — vielleicht das Todesurteil über einen Gefan­genen auszusprechen? — Wie stockte da der Atem der dem Urteil ent­gegenharrenden Zuschauer! Wie klopften da die von Furcht und Hoff­nung gefolterten Herzen derer, die dem Gefangenen im Leben nahe gestanden! Wie stier waren ihre Blicke auf das Gesicht des Richters gerichtet, als ob sie das Urteil herauslesen wollten, noch bevor der Mund es aussprach! Und wer kann sich eine Vorstellung machen von den Gefühlen, die schwankend zwischen Furcht und Hoffnung, das Herz des unglücklichen Gefangenen durchkreuzten? — Aber dergleichen ernste Auftritte stehen, wie nachhaltig auch ihre Eindrücke sein mögen, fast in keinem Vergleich mit den ernsten Fragen der Ewigkeit. — Ach! wenn du wahrhaftig glaubtest an einen Gott, an einen Himmel, an eine Hölle, an einen Erlöser, wie würdest du dann Ruhe haben können, ohne gewiß zu sein, daß der Erlöser auch der deinige, daß die Hölle für dich verschlossen und der Himmel deine selige Wohnung in der Ewigkeit 'sei! Nein, unmöglich würdest du essen, trinken, ruhen und deinen Ge­schäften nachgehen können, bevor die Frage deiner Zukunft in deinem Herzen entschieden wäre.

0 bedenke doch, mein Freund, daß Gott in diesem Augenblicke mit einem freundlichen, oder mit einem zürnenden Blicke auf dich herab­sieht, und daß der Pfad, auf dem dein eilender Fuß sich bewegt, un­ausbleiblich, entweder zum Himmel oder zur Hölle führt. Ob du unge­wiß über das Ziel dieses Pfades bist, ändert die Sache nicht. Denke dir einmal, du wärest in Köln und stiegst in einen Eisenbahn-Waggon. Der Zug setzt sich in Bewegung und ein Mitreisender fragt dich: „Wo­hin, mein Freund?" — Antwort: „Ich hoffe nach Düsseldorf." — „Wie, nach Düsseldorf?" — ruft jener verwundert aus; — „das muß ein Irr­tum sein, denn dieser Zug fährt nach Mainz." -^ „Ei, das will ich nicht hoffen," — wendest du ein, — „denn sonst hätte man mich falsch be­richtet; ich hoffe doch in Düsseldorf anzukommen." — „Nimmermehr," — wendet der Fremde ein, — „Düsseldorf liegt hinter Ihnen; mit jeder Minute entfernen Sie Sich mehr von diesem Orte und nähern sich in entgegengesetzter Richtung der Stadt Mainz.

 Ich rate Ihnen, an der nächsten Station auszusteigen." — Siehst du, lieber Leser, wenn du in verkehrter Richtung reisest, so wird die Sache dadurch nicht geändert, daß du über den Weg im Ungewissen bist; und darum ist es nötig, daß du dich vorher nach dem Wege genau erkundigst, ehe du die Reise an­trittst. Und dennoch kannst du sorglos vorwärts gehen, unbekümmert um deine Ungewißheit in Betreff der Ewigkeit, ob du dich auf dem Wege des Lebens oder des Todes befindest. Ach! mit rascherer Eile, als dich die Kraft des Dampfes zu tragen vermag, fliegst du hin zum ewi­gen Heile oder zur ewigen Qual. Und fragt man dich: „Wohin, mein Freund?"— so antwortest du mit Gleichgültigkeit: „Ich weiß es so recht nicht." — In diesem Falle aber ist es möglich, daß du, ohne es recht zu wissen, auf deinem Wege zu ewigem Verderben vorwärts eilst. — „Das hoffe ich nicht," — wendest du ein.


Aber wird diese Hoffnung die Sache ändern? Gehst du den Weg des Todes, so kann dies eitle Hoffen zwar dein Gewissen einschläfern, aber ist außer Stande, den Weg des Verderbens in den Weg des Lebens umzuwandeln. Und wärest du wirk­lich errettet und selig und auf dem Wege zum Himmel, wie viel besser würde es deinem Frieden sein, dieses wahrhaftig zu wissen.

Wenn dein Gewissen in der Tat erwacht ist, wenn du in der Ge­genwart Gottes die Bürde der Schuld und des Gerichts fühlst, womit du von Natur und wegen deiner Werke beladen bist, dann kannst du ohne Gewißheit, keine Ruhe, keinen Frieden haben. Und es wäre wirklich besser, daß der Friede, den du wirklich nie gekannt hast, dir fremd bliebe, solange die, deine Zukunft betreffende Sache nicht geordnet ist. 0 gäbe doch der Herr, daß deren viele wären, die da fühlten die Qual der Sünde und die Bürde der Schuld und des Gerichts! Gewiß, dann würde die Bekehrung, oder was man dafür hält, sich nicht so oft als eine Täuschung ausweisen, wie das leider in unseren Tagen häufig der Fall ist. —

Lieber Leser! Laß dich doch bewegen, nicht länger, in Betreff dei­ner Errettung, in Ungewißheit zu bleiben. Der Gedanke an die Ewig­keit ist zu ernst, als daß du es wagen könntest, ihr entgegen zu gehen mit der gebräuchlichen Ausrede: „Ich hoffe selig zu werden; ich denke auf dem Wege zum Himmel zu sein." — Nein; entweder haben wir Vergebung, oder wir haben sie nicht; entweder sind wir Kinder Gottes durch den Glauben an Christo Jesu, oder Kinder des Zorns, wie auch die anderen. Die Möglichkeit .ist für dich vorhanden, deinen Zustand mit Gewißheit zu erkennen. Ruhe nicht, bevor du ihn kennst. Stände dein Haus in Flammen und wärest du ungewiß, ob man des auflodern­den Feuers Meister werde, gewiß, du würdest nicht Ruhe haben, als bis du des Erfolges gewiß wärest. — Brächte die Post dir einen Brief, der dich, bis ein zweiter käme, in Ungewißheit ließe, ob du dich dann wirtschaftlich ruiniert erklären und mit Weib und Kindern den Bettelstab ergreifen müßtest, unmöglich würdest du in der Zwischenzeit Ruhe haben können. — Vernähmst du, daß ein Schiff, auf welchem dein Kind oder eine andere teure Person sich befand, untergegangen und nur ein geringer Teil der Mannschaft gerettet sei, ohne Zweifel würdest du unter der Folter der Ungewißheit die genauesten Erkundigungen einziehen. Was aber ist dieses alles im Vergleich zu dem, worüber du bis jetzt nicht Gewißheit gesucht hast. 


An Gott zu denken, ohne zu wissen, ob Er dein Vater in Christo ist, —zum Himmel empor zu blicken, ohne zu wissen, ob dort ein Erbteil für dich bereit liegt, — auf die Hölle nieder zu schauen mit dem Bewußtsein, sie verdient zu haben, ohne zu wissen, daß du wirklich der Verdammnis entgegengehst, — an die Ungewiß­heit des Lebens zu denken und an die Gewißheit, daß Christus bald als Richter in Macht und Herrlichkeit erscheinen wird, ohne zu wissen, ob Er dich bei Seiner Ankunft annehmen oder auf ewig von Seinem Angesicht und von der Herrlichkeit Seiner Macht entfernen wird, — des abends dich ruhig niederzulegen, und nicht wissen, daß du vielleicht in der ewigen Verdammnis erwachen könntest, — sag mein lieber Le­ser, wie ist es möglich? 0 möchte doch jetzt noch der Gedanke an die Ewigkeit dein Gewissen so sehr beschweren, daß du keinen Augenblick mehr Ruhe glättest, so lange du nicht weißt, ob du vom Tode zum Le­ben hinübergegangen bist! Wie glücklich würdest du sein, wenn auch du die Schriftstellen auf dich anwenden könntest, die wir bereits im ersten Teil betrachtet haben und von denen ich folgende in deine Er­innerung rufen möchte:

„Gerechtfertigt also aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum." — „Wir wissen, daß, wenn unser irdisches Haus dieser Hütte zerstört wird, wir einen Bau aus Gott haben, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist in den Himmeln." — „Geliebte! Jetzt sind wir Kinder Gottes, und es ist noch nicht offenbart worden, was wir sein werden; wir wissen aber, daß, wenn Er offenbart ist, wir Ihm gleich sein werden, denn wir wer­den Ihn sehen, wie Er ist."

—Siehe, mein Freund! Welch eine Gewißheit genossen jene Christen! Nur das Evangelium vermag sie zu geben. 0 möchte doch ein jeder, der diese Zeilen liest, nicht eher ruhen, als bis er der Errettung seiner Seele gewiß ist! Gott gebe dieses um Jesu willen!

Judas 2 Der Weg Kains

(Juda 2)

Das vierte Kapitel des ersten Buches Moses teilt uns ein wichtiges, aber zugleich betrübendes Ereignis mit. Daß die Geschichte uns nichts über die Kindheit und die Erziehung der beiden Brüder Kain und Abel enthüllt, ist an und für sich schon bezeichnend genug. Nachdem mit kurzen Worten ihre Geburt, sowie ihr äußerer Beruf angedeutet wor­den ist, werden sie uns als Opferer oder Gottesverehrer vorgeführt. Auf diese Tatsache richtet der Geist Gottes unseren Blick. Hier zeigt sich der erste Teil des „Weges Kains."

„Es begab sich aber nach der Zeit, daß Kain dem Herrn Opfer brachte von den Früchten des Feldes." Kain war ein Ackersmann; im Schweiße seines Angesichts hatte er der Erde seine Speise und sein Opfer abgerungen. Allein durch die Dar­bringung dieses Opfers verriet er nur zu deutlich, daß er die Ursache nicht kannte, um welcher willen er im Schweiße seines Angesichtes sein Brot essen mußte; und die Art und Weise, in welcher er Gott nahte, lieferte einen traurigen Beweis seines gänzlichen Mangels an Sün­denerkenntnis. Er handelte, wie es schien, in der Meinung, als ob Gott verpflichtet sei, das Beste, was er zu geben vermochte, annehmen zu müssen. Die Begriffe, die er von seiner Stellung zu Gott hatte, waren falsch. Die Sünde war in die Welt gekommen, und Gott konnte kein Opfer von dem Menschen, als einem Sünder, annehmen, bevor der Sünder persönlich mit Gott versöhnt war. Gott handelt stets in der Weise, daß Er zuvor die Person des Sünders begnadigt (Eph. 6); und nachdem Er 'ihn selbst angenommen, nimmt Er auch dessen Werke an. Der Weg aber, den Kain einschlug, zeigte hingegen, daß er sein Werk als Mittel zur Begnadigung seiner Person wählte. Er opferte das Beste,

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 was er besaß; er tat, was er vermochte; und daher entsetzte er sich nicht wenig, als Gott seinem Opfer keine Beachtung schenkte.

Der „Weg Kains" tritt indes deutlicher in der traurigen Geschichte Abels ins Licht. „Durch den Glauben brachte Abel Gott ein besseres Opfer dar, als Kai n." So erklärt der Geist Got­tes jenes Ereignis, welches Er uns im Buche Moses mit den Worten er­zählt: „Und Abel brachte auch von den Erstlingen sei­ner Herde und von ihrem Fette. Und Jehova sah g n ä -diglich an Abel und sein Opfer; aber Kain und sein Opfer sah Er nicht gnädiglich a n." Durch den Glauben hatte Abel geopfert. Das Wort Gottes war ausgegangen, das Urteil des Todes über den Menschen ausgesprochen und das Erdreich um des Menschen willen verflucht. Abel erkannte dieses als Wahrheit durch sein Schlacht­opfer an, bevor noch der Tod dieselbe tatsächlich bestätigt hatte. Sein im Glauben dargebrachtes Opfer war ein Beweis seiner Anerkennung des Todesurteils, sowie der Notwendigkeit eines Mittleramtes. „U n d Jehova sah gnädiglich an Abel und sein Opfer; aber Kain und sein Opfer sah Er nicht gnädiglich an." — Der „Weg Kains" offenbart sich also in der gänzlichen Unwissenheit über den Umstand, daß die Sünde eine schreckliche und unübersteigliche Scheidewand zwischen Gott und dem Menschen aufgerichtet hat, sowie in der Meinung, daß der Mensch zu Gott nahen und Begnadigung fin­den könne ohne Mittleramt. 


Und somit ist der „Weg Kains" Zorn wider Gott, der den Sünder auf dem ihm vorgezeichneten Wege annimmt, und Neid gegen den Sünder, welcher auf diesem Wege Gnade findet. Das Auge Kains ist böse, weil Gott voll Güte ist: „Und Kain er grimmte sehr, und es senkte sich sein Antlitz." Ermahnung, gnä­dige Ermahnung von Seiten des Herrn Selbst vermag nicht den düsteren Blick Kains zu erhellen; und obschon ihm der Herr den Weg zur Be­gnadigung öffnet, so will sich Kain doch nicht unterwerfen. „Und es geschah, als sie auf dem Felde waren, da erhob sich Kain gegen Abel und ermordete ihn." — Dies ist das erste Blatt in der Geschichte, welches uns von der Verfolgung der Kinder Gottes und vom Hasse des Menschen gegen die Gnade kundgibt; — was hier in die Erscheinung tritt, das hat sich fortgepflanzt bis auf un­sere Zeiten, sodaß der „Weg Kains" einem dunklen Faden gleicht, der, in der Geschichte der Menschheit das älteste Jahrhundert mit der Ge­genwart verknüpft.

Sehr treffend offenbart uns der Herr in dem Gleichnis vom ver­lorenen Sohne den „Weg Kains", indem Er uns den ältesten Sohn vor­führt. Sein Vater hatte den verlorenen Sohn in Gnaden wieder ange­nommen, das gemästete Kalb war geschlachtet und ein jeder im väter­lichen Hause war fröhlich. „Es war aber sein ältester Sohn auf dem Felde; und als er kam und sich dem Hause nahte, hörte er die Musik und den Reigen. Und er rief einen der Knechte zu sich und erkundigte sich, was das wäre. Der aber sprach zu ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wieder erhalten hat. — Er aber ward zornig und wollte nicht hineingehen. Sein Vater nun ging hinaus und bat ihn." Da sehen wir den „Weg Kains", den Weg jenes Mannes, der sich so sehr ergrimmte, der sein Antlitz zu Bo­den senkte und zu welchem Jehova sagte: „Warum ergrimmest du, und senket sich dein Antlitz?"

Und war nicht der Herr Jesus Selbst der Abel Seiner Zeit? Und wer hätte in den Hohenpriestern und Ältesten nicht den Kain jener Tage entdeckt? Pilatus hatte Einsicht genug, um zu merken, daß man Jesum nur aus Neid überliefert habe (Matth. 27, 18). Das Wohlgefallen Gottes, welches auf Jesu ruhte (Apostg. 2, 22), hatte den Zorn der Juden wach­gerufen und ihr Antlitz gesenkt; denn dieses Wohlgefallen drückte den Stempel der Eitelkeit auf ihre gottesdienstlichen Anmaßungen. Über die Schriftgelehrten und Pharisäer, die den Weg Kains wandelten, rief der Herr Jesus ein Wehe aus, indem Er mit den Worten schloß: „Und ihr, erfüllet das Maß eurer Väter! . . . . daß alles gerechte Blut, vergossen auf der Erde, auf euch komme, von dem Blute Abels, des Gerechten, an, bis zum Blut des Zacharia, des Sohnes Barachia; den ihr zwischen dem Tempel und dem Altar ermordet habt" (Matth.23,35).

Denselben „Weg" finden wir in der Verfolgung Stephanus! und Saulus, der Pharisäer, der so lange auf diesem Weg gewandelt, aber durch die Gnade davon entrückt war, sagt von seinen Brüdern nach dem Fleische: „Welche sowohl den Herrn Jesum, als auch die Propheten getötet und uns verfolgt haben, und welche Gott nicht gefallen, und welche allen Men­schen entgegen sind, und uns wehren, zu den Natio­nen zu reden, auf daß sie gerettet werden, damit sie ihre Sünden allenthalben ^erfüllen; — aber der Zorn Gottes ist völlig über sie gekommen" (1. Thess. 2, 15. 16). Ohne Zweifel könnte man die Spur des „Weges Kains" durch die Ge­schichte des ganzen Christentums hindurch verfolgen; allein es ist vor allem notwendig das Augenmerk darauf zu richten, daß Judas in seiner Epistel diesen „Weg" als das Kennzeichen der letzten Tage vor unsere Augen stellt.

Hier aber zeigt der „Weg Kains" eine zweite Stufe, die unsere Auf­merksamkeit verdient. „Kain ging hinweg von dem Ange­sicht Jehova s." Er verließ den einzigen Born der Seligkeit. Wohl fühlte seine Seele die Leere; aber er suchte einen anderen Born, um diese Leere wieder auszufüllen: „Er baute eine Stadt und nannte den Namen der Stadt nach dem Namen seines Sohnes Hanoch." Und so steht Kain da als das Haupt einer langen Geschlechts­linie, die sich von jener Zeit bis zu unseren Tagen hin ausstreckt, oder — mit anderen Worten — als das Haupt derer, „die dem Geschöpf mehr Ehre und Dienst geleistet haben, als dem Schöp­fer, welcher gesegnet ist 'in die Zeitalter, Amen." — Verfinstert am Verstande, und entfremdet von dem Leben Gottes durch die in ihm wohnende Unwissenheit, sucht der arme Mensch vergeblich Ruhe und Glück in den Werken seiner Hände. Und dennoch ist er nicht zufrieden; die schreckliche Leere seiner Seele kann nicht ausgefüllt wer­den; denn nur die Gegenwart Dessen, den Kain verließ, würde ihn zu be­friedigen vermögen. 

Ja, in der Tat, nur die Herrlichkeit Gottes, geoffenbart in der Person und in dem Werke Jesu Christi, hat die Macht, den unglücklichen Menschen als Sünder und Geschöpf von seinem Elende zu befreien; denn nur Jesus konnte von sich sagen: „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nicht hun­gern; wer an mich glaubt, wird nie dürste n."

Die Leute des Geschlechts Kains blieben gleich ihrem Vater fern von dem Angesichte Jehovas. Sie haben mancherlei Erfindungen ge­macht; aber sie sind nicht zu Jehova zurückgekehrt. Was die Kunst zum Nutzen und zur irdischen Wohlfahrt hervorbrachte, dies alles stammt von den Söhnen Kains, von Jabal, Jubal und Thubalkain. Wohl mögen die Künste das menschliche Leben erträglich machen und durch ihren Genuß geeignet sein, das Gewissen in Schlummer zu wiegen; allein sie sind nicht im Stande, den Menschen gänzlich glücklich und zufrieden zu machen.

Der „Weg Kains" in seiner ganzen Ausdehnung wird uns endlich in dem Babylon der Offenbarung Johannes vor Augen gestellt; und wir sehen, wie der Geist Gottes auf eine so wunderbare Weise den ersten und letzten Teil der Geschichte des Menschen miteinander verbindet. Alles was zur Bequemlichkeit, zur Wohlfahrt und zum Vergnügen des Menschen gehört, wird in Babylon gefunden, aber zugleich auch „das Blut von Propheten und Heiligen und aller derer, die auf der Erde geschlachtet sind" (Offb. 18). Die höchste Bildung, der schrecklichste Haß gegen Gott und eine gänzliche Verach­tung Seiner Gnade reichen sich hier in Babylon die Hand. Darum steht auch geschrieben: „Gehet aus von ihr, mein Volk, auf daß ihr nicht von ihren Plagen empfangt." Laßt uns daher jene Stadt erwarten, welche Grundlagen hat, wo Gottes Herrlichkeit ist und deren Bürger die Gegenwart Gottes als ihr glückseliges, ewig dauerndes Teil besitzen.

Matthäus 15 Das kananäische Weib

(Matth. 15, 21—28)

Wie erquicklich ist es, den Pfad des Herrn Jesu hienieden zu ver­folgen! Von einer Szene des Leidens und des Kummers ging Er zur ändern und spendete Segnungen mit offener Hand. Er begegnete jeder Not und erfüllte jede Bitte; nicht einen Bedürftigen schickte Er leer von sich. Und je vertrauungsvoller der Glaube für irgend eine Segnung Ihm nahte, 'desto mehr erfreute sich Sein Herz; denn Er war gekom­men, um zu geben. Er hatte das Reich, wo alle Segnungen im Überfluß sind, verlassen, um den verderbten Sünder zu befreien, und um ihn jener Segnungen teilhaftig zu machen. — Obgleich aber der Herr Seine Freude daran hat, den Glauben zu befriedigen, so gefällt es Ihm doch oft, denselben zuerst auf die Probe zu stellen. Er will haben, daß wir ganz auf Ihn vertrauen und viel von Ihm erwarten sollen; ebenso will Er haben, daß der Sünder seinen Platz vor Ihm, als ein Verworfener nehme, als solcher, der keinen Anspruch auf Seine Gnade habe.


 Die Geschichte des Kananäischen Weibes liefert uns für das Gesagte ein schönes' Beispiel. Der Herr gewährt ihre ganze Bitte; aber zuerst übt Er sie im Empfang derselben. Sie war keine Jüdin. Sie gehörte einer Stadt an, welche als ein verderbter Ort bezeichnet war, und sie war von einem Geschlecht, auf welchem der Fluch ruhte (1. Mos. 9, 25). Sie hatte keine Ansprüche an den Herrn, sondern war im vollen Sinne des Wortes eine Verworfene. Jedoch war sie in Not, und in ihrer Not hörte sie von dem Herrn Jesu. Sie glaubte an Ihn, als den verheißenen Er­retter, den Sohn Davids; und als solchen rief sie Ihn an. Sie hatte gehört, daß Er viele Gnaden unter den Juden gespendet hatte, und sie kommt zu Ihm und bittet um Hilfe. Doch der Herr antwortet ihr nicht. Er nimmt von ihrer Anrufung keine Notiz; Sein Ohr ist für ihre Bitte verschlossen. Warum das? Sie wandte sich an Ihn, als „Sohn Davids", in Seinem jüdischen Charakter, als wenn sie eine aus jenem bevorzug­ten Geschlecht gewesen wäre. Aber als „Sohn Davids konnte Er nichts mit einer Kanaaniterin zu tun haben, und in diesem Charakter konnte auch sie keinen Anteil an Ihm haben.

Die Jünger, beunruhigt durch ihren Kummer, wünschen sehr, daß der Herr sie durch Erhörung ihrer Bitte von sich lasse; aber Jesus blieb Seinem Auftrage treu; Er beobachtete den Befehl Gottes. „Ich bin nicht gesandt," erwiderte Er, „es sei denn zu den verlore­nen Schafen von dem Hause Israel ." Sie aber wurde durch diese Antwort nicht entmutigt und rief, zwar in einfacheren doch noch freieren Ausdrücken: „Herr, hilf mir!" Allein auch jetzt gewährt der Herr ihre Bitte nicht. Er antwortet: „E s ziemt sich nicht, das Brot den Kindern zu nehmen und es den Hunden hin­zuwerfen. Ich bin zu den Kindern gekommen, um an dem jüdischen Weinstock, der Gottes Eigentum ist, Frucht zu suchen, und auf diesem Grunde habt ihr Heiden keinen Anspruch." — So weit die Wege Gottes äußerlich offenbart waren, waren die Juden Sein Volk; und jene ge­hörte nicht zu diesem Volke. Sie war ein heidnischer Hund. Was hatte sie nun noch zu hoffen? Warum gab sie ihr Gesuch nicht auf? 0 nein;

sie war in der Tat ein heidnischer Hund, und als ein solcher nahm sie jetzt ihren Platz vor dem Herrn ein. Sie gab jedes Recht und jeden An­spruch auf und warf sich ganz auf das freie Erbarmen 'in Jesu. Sie wußte, an wen sie sich wandte. Ihr Glaube ehrte Ihn als den Schatz der überströmenden Gnade Gottes, welche sogar die Bedürfnisse einer sol­chen, wie sie war, befriedigen konnte. „Ja Herr!" erwiderte sie;

„denn es essen ja auch die Hunde von den Brosamen, welche von dem Tische ihrer Herren fallen." Ach! sie kannte den Herrn des Hauses; sie wußte, daß Er unendlich reich war. Sie kannte die Gnade Gottes in Jesu weit besser als die Jünger, die Ihm nachfolgten. Sie wußte, daß der Geringste in dem überschwenglichen Vorrat des Hauses des Herrn alle seine Bedürfnisse befriedigen konnte.

Wir werden nie wirklich verstehen, was Gott ist, bis wir unsere eigene Unwürdigkeit erkannt haben. Israel verstand fiie die Gnade Gottes, wie diese arme, gläubige Kanaaniterin sie verstand. Erfüllt mit ihrem Selbstvertrauen verwarfen sie dieselbe. Diese dagegen wurde durch das Bewußtsein ihrer Verworfenheit und durch ihre Not zu Jesu geführt, und ihr Glaube entdeckte in Ihm, welcher herniedergekommen

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 war, um den menschlichen Bedürfnissen zu begegnen, den Reichtum der Gnade Gottes. Sie wußte, daß Gott in der Fülle Seiner Liebe sogar die heidnischen Hunde von der Teilnahme Seiner Güte nicht ausschließen würde. Sie ehrt Gott als einen milden Geber, und dies ist Sein Charak­ter, in welchem Er im Evangelium offenbart ist, und sie kam in dem Gefühl und mit dem Bekenntnis ihrer völligen Unwürdigkeit. Sobald sie dieses tat, nahm der Herr jede Scheidewand hinweg. Er, der Freund und Heiland der Sünder, hob auf einmal jeden Unterschied zwischen Sich und der Sünderin auf. Sein Schatz der überströmenden Gnade wurde für sie geöffnet; Er stellt Seinen unendlichen Reichtum zu ihrer Verfügung. „O Weib, dein Glaube ist groß; dir geschehe wie du willst!"

Und nun, mein geliebter Leser, hast auch du erkannt, was du bist und was Gott ist? Hast du deine eigene Unwürdigkeit im Angesicht Gottes gesehen? Hast du erkannt, daß du um nichts besser bist, als jenes kananäische Weib? Bist du ebenso arm zu Gott gekommen, wie sie — als ein solcher, der nichts Gutes in sich selbst hat, der durch seine Sünden nicht nur verderbt, sondern auch völlig unfähig ist, sich selbst zu helfen, — dann, ja dann wirst auch du erfahren haben, wie über­schwenglich reich Seine Gnade ist. Vertraust du aber noch, wie jene ungläubige Masse der Juden, auf dich selbst, auf dein Tun und Lassen und beharrest darin, so wirst du für immer von jeglicher Segnung aus­geschlossen.

Gottes Freude ist es, zu geben; aber das Gefäß, welches Er erfüllt, muß leer sein. Der Sünder muß von aller eigenen Gerechtigkeit ent­blößt sein, ehe Gott ihn mit einem Kleide aus Seinem Schatzhause be­kleidet. Er muß durch das Bewußtsein seines wahren Zustandes ernie­drigt sein, ehe Gott ihn erhöht. Alle Gedanken von Würdigkeit müssen aufgegeben werden, denn zwischen dem Menschen und Gott ist kein Platz für sie.

In der Person Christi ist Gott zu den Menschen herniedergekom­men. Er hat Sich uns nicht offenbart unter den Donnern des Berges Sinai, welchen niemand, ohne zu sterben, anrühren konnte, noch in der Wolkensäule, noch zwischen den Cherubim im Allerheiligsten, noch auf einem königlichen Throne, welchem zu nahen wohl wenige gewagt hätten — nein, Gott ist in denselben Umständen zu uns herniederge­kommen, in welchen wir sind; Er hat uns in unserem jämmerlichen Zustand hienieden besucht. Er hat die Strahlen Seiner göttlichen Herr­lichkeit hier unten in der Knechtsgestalt verborgen, und ist uns in unserem tiefsten Verderben begegnet; ja, in unserem traurigen Elende hat Er Sich mit uns eins gemacht. Er ist nicht nur gnädig gewesen, sondern hat alle Gnade erzeigt, welche Er erzeigen konnte. Denn die Gnade in dem Sohne Gottes konnte nicht mehr tun, als den Platz mit dem Sünder zu vertauschen; und dies hat Jesus getan. Er hat dadurch die Sünde von uns weggenommen, daß Er sie auf Sich nahm. Er hat unser Gericht getragen, damit Er uns zu Teilhabern Seiner unendlichen Segnungen machen und auf Seinen Thron erheben möchte. Sicher, eine solche Gnade hätte nie das Herz des Menschen ersinnen können — eine solche Gnade konnte ihren Ursprung nur in dem Herzen Gottes haben, und allein in der Person Seines Sohnes offenbart werden. 0 möchte

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 doch ein jeder Sünder im Bewußtsein seiner gänzlichen Verderbtheit und im Vertrauen auf diese unendliche Gnade, gleich jener armen Kanaaniterin, zu Jesu eilen, so würde er auch sicher die Worte hören:

„Dir geschehe, w i e d u willst!" ja, er würde empfangen, was er begehrte — Vergebung, Frieden, ewiges Leben und ewige Herrlichkeit.

Die Wege Gottes mit dem Menschen

Ausgenommen die persönliche Errettung und die Gemeinschaft der Seele mit unserm Gott ist für den Christen nichts von größerer Wich­tigkeit und von größerem Werte, als das Zeugnis, welches Gott in die­ser Welt voll Finsternis von Sich Selbst gegeben hat. Zudem hängt auch beides, die Errettung und die Gemeinschaft, von diesem Zeugnis ab. Wie möchte wohl ohne dasselbe der Zustand des Menschen sein? Wie ist sein Zustand da, wo dieses Zeugnis noch nicht durchgedrungen ist? Welch ein köstliches Vorrecht, die Gedanken Gottes selbst über alles, was uns moralisch betrifft, zu besitzen und vermittelst der Mit­teilung Seiner Gedanken in Beziehung zu Ihm zu stehen! Welch ein Vorrecht, Seine Freunde genannt zu werden und dieses Vorrecht in der innigsten Offenbarung Seiner Gedanken und Seiner Zuneigungen. Da nun der Mensch der Gegenstand dieser Zuneigungen war, so entwickeln sich dieselben in den Wegen Gottes mit dem Menschen, in welche selbst die Engel hineinzuschauen begehren. Und in der Tat ist nach der Weis­heit Gottes der Mensch dasjenige Wesen, in Betreff dessen sich der Charakter Gottes und alle Seine moralischen Wege auf die vollkom­menste und die bewunderungswürdigste Weise entfalten. Es ist weder der Verstand noch die moralische Kraft des Menschen, die ihn hierzu geschickt machen, da das Urteil, welches er über das Wesen Gottes zu bilden vermag, keineswegs das Mittel ist, um Gott zu offenbaren. Ohne selbst den Fall des Menschen in Betracht zu ziehen, würde dennoch dieses Urteil stets wegen des Umstandes, daß der Mensch im Vergleich mit Gott ein unvollkommenes und fehlbares Geschöpf ist, insoweit unter der Wahrheit bleiben, als der Mensch unter Gott steht. Der un­schuldige Mensch hat weder Bedürfnis noch Begierde, um ein Urteil über Gott auszusprechen. Er genießt mit Anbetung Seine Wohltaten. Und ein solcher Mensch ist in keiner Beziehung, weder in Betreff sei­nes Zustandes, noch in Betreff seines Verhaltens Gott gegenüber, ge­schickt, um nach der Wahrheit zu urteilen. Selbst der Wille mangelt ihm dazu. Nein, Gott offenbart sich dem Menschen in Seinen eigenen Wegen. Ein Engel gab Ihm hierzu nicht solch eine Gelegenheit wie der Mensch. Ein Engel bedarf nicht der Erbarmung, der Gnade, der Ver­gebung, der göttlichen Gerechtigkeit und der Kraft, die ihn in seiner Schwachheit unterstützt und ihn aus den Toten auferweckt. 


Darum ist auch nicht ein Engel Christo, dem verherrlichten Menschen, gleichförmig geworden. Er ist ein Zeuge der schaffenden und bewahrenden Macht Gottes; er zeichnet sich aus in Kraft. In ihm erblickt man ein durch Gott bewahrtes Geschöpf, welches seinen ursprünglichen Zustand nicht verloren hat. Die Gnade, die Geduld, das Mitleid, die göttliche Gerech­tigkeit sind für einen solchen Zustand nicht notwendig, wohl aber für den gefallenen Menschen. Auch begehren die Engel die herrlichen Wege Gottes mit dem Menschen zu ergründen. Es ist das Herz des Menschen, welcher, bis zur tiefsten Stufe moralischer Wesen herabgesunken, in seinen Ungerechtigkeiten Satan gleichförmig geworden ist und ein Sklave seiner Leidenschaften, stark oder wenigstens übermütig in seinen Anmaßungen dahingeht; — es ist das Herz des Menschen, welcher die Kenntnis des Guten und Bösen besitzt, jedoch an einem Gewissen, das ihn verurteilt; — welcher wegen der Leiden nach einem besseren Zustande seufzt, jedoch unfähig ist, denselben zu erringen; — welcher diese irdische Welt mit einer anderen vertauschen möchte, und dennoch fürchtet, dorthin zu gelangen; — welcher die Notwendigkeit der Ge­meinschaft mit Gott, als dem einzig würdigen Gegenstande für eine lebendige Seele, erkennt, und dennoch das Gefühl gänzlicher Entfer­nung von Gott hat, zugleich verbunden mit solch einer Begierde nach Unabhängigkeit, daß er Gott den Ihm gebührenden Platz nicht ein­räumen will; — dieses Herz des Menschen, fähig für die höchsten Empfindungen und für die erniedrigendsten Freveltaten, bildet Gott zu einer göttlichen Harfe, worin von Ewigkeit zu Ewigkeit die ganze Har­monie Seiner Lobgesänge ertönen sollen. 

Durch die Gnade und gött­liche Macht, die sich in einem neuen, dem Menschen mitgeteilten Le­ben entfalten, sowie durch die Offenbarung Seines Sohnes in der menschlichen Natur, wird der gefallene Mensch fähig gemacht, das Böse Gott gemäß zu beurteilen und das Gute nach der vollkommenen Offenbarung in Christo zu genießen. Zugleich räumt er Gott, der ein Gott der Liebe ist, den Ihm gebührenden Platz ein, während er selbst für sich den Platz der Abhängigkeit wählt, — einer Abhängigkeit, welche nach der Erkenntnis der Vollkommenheiten Gottes strebt. Wollte Gott in dem Zustande des Menschen Seinen Charakter und Sein Wesen offenbaren, und sollten unsere Herzen und Gewissen davon in Kenntnis gesetzt werden, dann war es nötig, den Menschen durch verschiedene Perioden zu führen, welche ihm Gelegenheit geben, Sich in Gnade offenbaren zu können.

Laßt uns daher diese Wege Gottes mit dem Menschen in der Kürze betrachten. Gott hat den Menschen rein, d. h. ohne Sünde, und ohne die Erkenntnis des Guten und Bösen geschaffen. Adam bedurfte auch weiter nichts; er hatte nur mit Dankbarkeit die ihn umringenden Seg­nungen zu genießen. Zugleich aber forderte Gott seinen Gehorsam und stellte denselben auf die Probe durch das Verbot, von einem Baume zu essen, der inmitten des Gartens stand.

Man hat behauptet, daß er die Erkenntnis des Guten besessen und die des Bösen erlangt habe; jedoch hierdurch vernichtete man die Kraft des Ausdrucks: „Siehe, Adam ist geworden als Unser Einer und weiß, was gut und böse ist" (1. Mos. 3, 22). Es war Sünde, von der verbotenen Frucht zu essen, weil es verboten war,

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 davon zu essen. Gott hat dafür gesorgt, daß das Gewissen der stete Begleiter des Menschen in seinem sündhaften Zustande sei.

Der Mensch ist nicht gefallen, ohne versucht zu sein. Der Feind hat seine Seele mit Mißtrauen gegen Gott erfüllt; und dieses Mißtrauen richtet eine Scheidewand zwischen seinem Herzen und Gott auf und räumte seinem eigenen Willen und den Lüsten, sowie dem Hochmut, Gott gleich zu sein, einen Platz ein. Der eigene Wille, die Lüste und der Hochmut bilden nun den wirklichen Zustand des natürlichen Men­schen. Der Mensch hat sich also von Gott geschieden, um sich dadurch, was seinen Willen betrifft unabhängig zu machen, insofern nämlich die Sünde uns unabhängig von dem höchsten Wesen zu machen vermag.

In diesem Zustande konnte der Mensch die Gegenwart Gottes nicht ertragen. Diese Gegenwart jedoch, die göttliches Licht über den Zustand des Menschen warf und ihn fühlen ließ, was aus ihm geworden war, die ihm seine Sünde und seinen Verlust aufdeckte, mußte ihm über alles unerträglich sein. Vermochte er auch in seinen eigenen Augen die Schande der Sünde zuzudecken, — vor Gott wußte er, daß er nackt war.

Die Frage: „Adam, wo bist du?" — die Gott an Adam richtete, war sehr niederschmetternd. Warum ist der Mensch nicht zu Gott gegangen, als er Seine Stimme im Paradiese vernahm? Wo war er? In der Sünde und in Nacktheit; denn das Wort Gottes entblößte den Menschen. Schreckliche Wahrheit, wenn das Gewissen befleckt ist! Eine Wahrheit, vor welcher jede Anmaßung gleich der Lüge vor der Wahrheit ver­schwindet, indem nichts zurückbleibt, als die beschämende Schuld der Anmaßung, der Torheit und der Undankbarkeit, die diese Unabhängig­keit von dem höchsten Wesen gesucht haben.

Der Mensch ist also der Gegenwart Gottes entflohen, bevor Gott ihn aus dem Orte des Friedens, wohin Er ihn gestellt hatte, verjagte. Doch der Befehl Gottes mußte gehandhabt werden. Es geziemte Ihm nicht, die Sünde ungestraft zu lassen. Das Urteil mußte vollzogen wer­den. Die Heiligkeit Gottes verabscheut die Sünde, und die Gerechtigkeit Gottes handelt gemäß dieser Heiligkeit durch ein gerechtes Urteil über den, der Böses tut. Der Mensch wurde aus dem Paradiese vertrieben, und — die Welt begann. Wie aber im Paradiese die Sünde gegen Gott, so wurde in der Welt die Sünde gegen den Nächsten begangen; und der Tod des Gerechten war ein treffliches Vorbild auf den Tod des Herrn. Der Mensch, vertrieben aus der Gegenwart Gottes, hat getrach­tet, die Welt zu verschönern und angenehm zu machen. 

Dies war alles, was ihm übrig blieb. Die Bildung, die Künste und die Gemächlichkeit eines Lebens in Üppigkeit haben zur Genüge die Geschicklichkeit eines Wesens gezeigt, welches keine Verbindung mit der göttlichen Heilig­keit und Vollkommenheit mehr hatte und sich an die Dinge, die unter Gott waren, fesselte und zugleich mit Hoffahrt auf die Früchte seiner Geschicklichkeit blickte. Doch ohne die Erneuerung des menschlichen Willens durch eine höhere Macht' ist es der Bildung unmöglich, der Kraft der Wohllust sowie auch der Missetat, ihren Willen zu tun, zu widerstehen und inmitten aller Hindernisse die Leidenschaften zum Schweigen zu bringen. Die Welt war vor Gott verdorben, und die Welt ist erfüllt mit Missetat.

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 Doch die Gnade Gottes hat ihr Zeugnis nicht zurückgehalten. Das Urteil Gottes über die Schlange kündigte den Samen des Weibes an. Abel, wiewohl gestorben, ist ein Zeuge von der Macht des Bösen in der Welt, zugleich aber auch seitens Gottes von der Annahme des Ge­rechten, der mit einem Opfer, welches die Erkenntnis der Sünde in sich schließt, zu Gott naht. Angenommen von Gott, verworfen von den Men­schen und preisgegeben dem Hasse des Bösen, ist er der Beweis einer Hoffnung außerhalb dieser Welt. Die Aufnahme Henochs, welcher mit Gott wandelt, hat diese Hoffnung befestigt, und versichert dem Gläu­bigen, welcher glaubt, daß Gott ist und denen, die Ihn suchen, ein Be­lohner wird, daß es für den Gerechten bei Ihm ein Glück gibt, welches die Welt nicht geben und nicht nehmen kann. Wiewohl dies alles noch unter einem Schleier verhüllt war, so unterhielt und belebte es doch den Glauben dessen, der mit Gott zu wandeln trachtete, während das Böse mit Macht heranwuchs.

Als die Sünde ihren Höhepunkt erreicht hatte, gab Gott ein an­deres Zeugnis in der Person Dessen, der durch das Gericht, welches der schrecklichen Ausbreitung der Sünde eine Grenze setzte, hindurch­gehen mußte. Dieses Zeugnis redet nicht allein von der Hoffnung, welche den Heiligen außerhalb der Welt einen Platz anweist, sondern auch von dem Gericht der Welt selbst — ein Gericht, welches nach den Grundsätzen der göttlichen Regierung notwendig war, in welchem jedoch ein kleiner gerechter Überrest in der von Gott bereiteten Arche errettet werden sollte.

Hier sehen wir also den Zustand, die Geschichte des Menschen, nach­dem er als Folge der Übertretung eines Gesetzes aus dem irdischen Paradiese, in welches Gott ihn gesetzt hatte, vertrieben und seinem Eigenwillen ohne Gesetz, doch nicht ohne Überzeugung, preisgegeben war. Die Sündflut mußte einem Zustande der Dinge ein Ende machen, worin das Verderben und die Gewalt die Oberfläche des Erdreichs be­deckten, und worin nur acht Personen fähig waren, das Zeugnis Gottes über das kommende Gericht zu offenbaren.

Während der Perioden zwischen der Vertreibung Adams aus dem irdischen Paradiese und der Sündflut bestanden die Menschen aus einer Familie, aus einem Geschlecht. Es gab damals keine Völker, keine Regierung und — was wahrscheinlich ist — keine Abgötterei. Der • Mensch konnte, zwar nicht ohne Zeugnis, doch ohne Zügel seine eigenen Wege gehen; und das Böse ist unerträglich geworden. Die Sündflut hat damit ein Ende gemacht. Nach diesem Ereignis, nach diesem Gericht Gottes begann eine neue Welt und die Regierung wurde eingeführt. Derjenige, welcher einen Menschen töten würde, sollte selbst getötet werden. Doch ungeachtet dieses Hemmnisses der äußeren Sünde dauerte das Verbrechen des Herzens fort. Noah hat gefehlt in dem Zustande, in welchen er nach der Sündflut gestellt wurde, gerade so wie es Adam in dem Paradiese, wie es der Mensch allezeit getan hat, und wie solches geschehen wird bei jedem Wesen, welches nicht direkt durch Gott be­wahrt wird. Gleich nach der Sünde Harns bereitete Gott die Verteilung der Menschen in verschiedene Rassen vor, so wie sie heutzutage noch bestehen, Semiten, Hamiten und Japhetiten.

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 Wie wir bereits sagten, bestand das menschliche Geschlecht sowohl vor als nach der Sündflut aus einer Familie. Infolge des Bauens des babylonischen Turms, der durch den Menschen aufgerichtet ward, um der Mittelpunkt eines Reiches zu sein, zerstreute Gott die Erbauer desselben; und so entstanden Nationen, Sprachen und Völker. Gott wollte, daß die ganze Erde bewohnt werde; und durch die Verwirrung der Sprache hat Er die wirkliche Form der Welt dargestellt. Die per­sönliche Geisteskraft eines Volkes bildet sich in derselben ein Reich, welches Babel zum Mittel- und Ausgangspunkte hat und später in der Geschichte der Menschheit eine große Rolle spielt.

Nachdem das Gericht Gottes die Welt also verteilt hatte und die Sprache der Völker und der Stämme entstanden waren, tritt in der Geschichte der Welt ein bemerkenswertes Ereignis in die Erscheinung. Bisher hatte sich die Sünde des Menschen nur in dem Verderben des Herzens und in der Wirksamkeit eines unabhängigen Willens gegen Gott geoffenbart. Jetzt beginnt sie auf eine andere Weise an den Tag zu treten. Dämonen nehmen in den Augen und in der Vorstellung des Menschen den Platz Gottes ein. Die Abgötterei fängt an unter den Völkern und sogar unter demjenigen Geschlecht, welches Gott am nächsten war — dem Geschlecht Sems — zu herrschen. Und wiewohl diese Abgötterei im Prinzip überall dieselbe war, so hatte doch jedes Volk seine besonderen Götter. Der Mensch hatte also nicht allein ge­gen Gott gesündigt, sondern Ihn auch als Gott verworfen; und ohne Zweifel würde die Erkenntnis des einigen, wahren Gottes und mit der­selben die Erfüllung der Verheißung verloren gegangen sein, wenn Gott nicht aus der Mitte dieser Götzendiener einen Mann gerufen hätte, welcher die Erkenntnis Seines Namens offenbaren sollte. Er beruft Abraham, um sein Land, seine Verwandtschaft und seines Vaters Haus zu verlassen und selbst in seinen innigsten Beziehungen, mit dem durch den Herrn verurteilten Systeme vollkommen zu brechen. Durch die freie Gnade Gottes auserkoren, hatte er nur für Gott zu leben; und durch den Glauben ist er der Verheißungen teilhaftig geworden.

Diese Berufung nun ist von der höchsten Wichtigkeit. Bis jetzt hatte es zwar treue Diener Gottes gegeben, die mit Ihm wandelten, z. B. Abel, Henoch, Noah usw.; doch keiner derselben war gleich Adam das Haupt und der Stamm eines Geschlechts geworden. Abraham nun wurde nicht allein von den Götzendienern abgesondert, sondern zugleich zum Haupte und Stamme eines Geschlechts gemacht, welches seine Segnungen nicht in, sondern außerhalb dieser Welt hatte. Die Völker hatten sich die Teufel zu Göttern erkoren, und Gott erwählt sich einen Mann zum Haupte eines Geschlechts, welches Ihm als Eigentum ange­hören sollte. Die Fettigkeit des Ölbaums Gottes findet sich in allen, die auf dem Stamme Abrahams wachsen, es sei das Volk nach dem Fleische, es sei der Same, welcher an den geschehenen Verheißungen durch die Vereinigung mit Christo, als dem Samen der Verheißung, sein Teil hat. Diese Berufung und Absonderung, welche auch die Perioden sein mögen, die der Mensch durchlaufen muß, bleiben allezeit fest. Christus Selbst — gekommen, um die den Vätern gegebenen Verhei­ßungen zu erfüllen — ist der Zeuge der unveränderlichen Wahrheit Gottes.                                                          '" '

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 Nicht lange jedoch blieb der Zustand der Erben der Verheißung in der ursprünglichen Gestalt. Kurz nachher finden wir ein Volk, das sich wenig um diese Grundsätze kümmert und sich mehr und mehr von dem Glauben entfernt, und welches unter dem Joch einer beklagens­werten Sklaverei seufzt. Dieser Zustand des Volkes gibt zu einem Er­eignis Anlaß, welches einen wichtigen Grundsatz ans Licht stellt, näm­lich den der Erlösung von den Folgen seiner Sünde und von der Skla­verei, unter welcher dieses Volk gebückt ging. Wir werden in den Früchten dieser Erlösung noch Manches finden, was für uns von der höchsten Bedeutung ist.

Das Geschrei des Volkes ist hinaufgedrungen bis zu den Ohren des Herrn der Heerscharen, und Er steigt hernieder, um dasselbe zu er­lösen. Doch der Retter ist zugleich der gerechte Richter; die Vereini­gung dieser beiden Charaktere ist eine Notwendigkeit. Um erlösen zu können, muß Seine Gerechtigkeit befriedigt sein. Ein Gott, der nicht gerecht ist, kann — moralisch betrachtet — kein Retter sein. Und darum offenbart Er Sich in Gerechtigkeit und in Liebe. Er hatte Seine Macht an Pharao gezeigt, indem Er erklärte, ein Recht an Israel zu haben, und ihn zwang, das Volk ziehen zu lassen; allein die Erlösung mußte ohne den Willen des Menschen durch das Gericht Gottes, sowie durch die volle Offenbarung Seines Abscheues gegen die Sünde und zugleich in Liebe vollbracht werden. Gott erscheint sowohl vor den Ägyptern als auch vor Israel als Richter; denn auch Israel war schuldig, und in gewisser Beziehung schuldiger als die Ägypter. Der Würgengel ging über das ganze Land; und nur durch das an die Türpfosten gestrichene Blut des Passahlammes entging Israel dem Gericht, welches über das­selbe hätte kommen müssen. So hatte die Liebe Gottes ein Mittel ge­funden, um das Volk zu erlösen, ohne Seiner Gerechtigkeit Abbruch zu tun.

Gott geht als Richter an Seinem schuldigen Volke, um des durch den Glauben erkannten Blutes willen vorüber. Doch Israel war noch in Ägypten. Seine Erlösung war noch nicht vollbracht, wiewohl der Preis der Erlösung vorbildlich bezahlt war. Israel begibt sich auf den Weg und erreicht das Rote Meer. Hier muß die Frage, betreffs seiner Er­rettung oder seines Untergangs gelöst werden. Pharao hatte, seines Sieges gewiß, das Volk verfolgt; die Wüste, worin Israel sich befand, bot keine Zufluchtsstätte an, und das Rote Meer, ein Bild des Todes und des Gerichts, lag zu seinen Füßen. Dennoch sah Israel am folgen­den Tage nichts als die Leichname seiner Feinde, die bis in das Meer gefolgt waren. Der Tod und das Gericht Christi trennen uns von dem Orte unserer Gefangenschaft.

Die Erlösung schließt mehr in sich als die Tatsache, daß wir dem Gericht Gottes entgangen sind. Wir werden durch die Macht Gottes, der die Erlösung Selbst bewirkte, in einen ganz neuen Zustand versetzt.

In dieser inhaltsreichen Geschichte sehen wir das Vorbild jener großen Begebenheiten, auf welchen unser ewiges Glück ruht: Die Ver­söhnung, die Erlösung und die Rechtfertigung. Die Rechtfertigung wird hier vollkommen dargestellt; 1. die Erlösung durch das Blut, welches uns von aller Schuld der Sünde befreit, und 2. unsere Einführung, kraft des Wertes dieses Blutes, in einen ganz neuen Zustand durch die Auferstehung. Christus ist unsrer Übertretungen wegen dahingegeben, und unserer Rechtfertigung .wegen auferweckt.

Einige wichtige Grundsätze werden uns als Folgen der durch die Erlösung bewirkten Befreiung geoffenbart. Gott wohnte in der Mitte der Israeliten. Er hat weder bei dem unschuldigen Adam, noch bei Abraham, dem durch Seine Gnade Berufenen und Erben der Verhei­ßung gewohnt. Sobald Israel durch die Erlösung erkauft und befreit ist, wohnt Gott inmitten Seines Volkes (Vergl. 2. Mos. 15, 2*) und 29, 45. 46).

Auch erscheint hier zum ersten Male die Heiligkeit Gottes in den , Beziehungen Seines Volkes zu Ihm. Mit Ausnahme eines einzigen Falles, ' wo von der Heiligkeit des Sabbaths die 'Rede ist, wird im ersten Buch Moses weder die Heiligkeit im Allgemeinen, noch die Heiligkeit des Charakters Gottes vorgestellt. Doch 2. Mos. 15 und 19 und 3. Mos. 19, 30, sowie andere Stellen, zeigen uns an, daß, da die Erlösung einmal vollbracht ist, Gott diesen Charakter annimmt gegenüber allem, was zu Ihm in Beziehung steht. — In unmittelbarer Verbindung mit dieser Wahrheit steht eine andere, die ebenfalls notwendig aus der Erlösung hervorgeht, daß nämlich die Erlösten nicht mehr sich selber angehören, sondern daß sie für Gott erkauft, Ihm geweiht und für Ihn abge­sondert sind.

Israel betritt — ein Vorbild von dieser Welt für das Volk Gottes — die Wüste, wo die Treue Gottes für Sein Volk Sorge trägt. Später­hin erreicht er das Land Kanaan, wo von Siegen die Rede ist, die wir davon tragen müssen, um in dieser Welt die uns zugehörenden himm­lischen Vorrechte zu genießen. Wohl ist es wahr, daß wir uns bereits in denselben erfreuen, bevor wir einen einzigen Sieg davon getragen haben; um sie jedoch zu verwirklichen, müssen wir aiegen. Die Wüste und Kanaan machen vorbildlich die beiden Teile des christlichen Lebens aus: die Geduld in dieser Welt unter der uns leitenden Hand Gottes, und der Sieg in dem Streite gegen Satan, um die geistlichen Vorrechte genießen zu können.

Doch ein anderer wichtiger Grundsatz wird während der Wande­rung Israels durch die Wüste ans Licht gestellt. Betrachtet man 2. Mos. 15 und 18 etwas genauer, dann wird man bemerken, daß dort alles Gnade ist, — daß sich jedoch das Volk in 2. Mos. 19 unter das Gesetz stellt und unter der Bedingung ihres Gehorsams gegen alles, was der Herr sagt, den Genuß der Verheißungen annimmt. Der Gehorsam war eine Pflicht; indem sie sich aber unter diesen Bund stellten, vergaßen sie ihre eigene Schwachheit und bahnten sich den Weg zu ihrem Falle. Die traurigen Folgen zeigten sich in rascher Eile; denn noch bevor Moses von dem Berge zurückgekehrt war, hatte Israel .bereits das gol­dene Kalb gemacht. Zwar hat die Geduld Gottes durch die Vermittlung Moses die Beziehungen zu Seinem Volke nicht unterbrochen, bis end­lich, wie Jeremias sagt, keine Heilung mehr möglich war. Jedoch ist

*) In den besten Übersetzungen heißt dieser Vers also: „Der Herr ist meine Stärke und Lobgesang, und ward mein Heil. Dieser ist mein Gott, darum will ich Ihm eine liebliche Wohnung machen; Er ist meines Vaters Gott, Ihn will ich erheben."

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 unsere Aufgabe, die Wege Gottes zu beschreiben; wir dürfen uns daher nicht auf Einzelheiten einlassen. Die Verheißungen Gottes waren dem Abraham ohne Bedingung gegeben, und demzufolge konnte die Frage der Gerechtigkeit nicht zur Sprache kommen. Jetzt wird diese Frage behandelt, und zwar zunächst, da die von Gott geforderte Gerechtigkeit des Menschen die Pflicht des Geschöpfs war.

Keine ernstere Frage existiert für die Seele, als diese: Wo soll ich die Gerechtigkeit vor Gott finden? Wir haben gesagt, daß das Gesetz sie enthüllt hat. Es ist von Wichtigkeit, ihren Standpunkt zu betrach­ten, den sie bei der Einführung des Gesetzes einnimmt. Seit dem Dasein des Menschen war sie verhüllt. In dem irdischen Paradiese stand der Baum des Lebens, bestimmt, das Leben mitzuteilen, sowie der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, an welchen die Verantwortlichkeit geknüpft war. Der Mensch hat nicht von dem Baum des Lebens ge­gessen; und nach dem Falle hat die Barmherzigkeit Gottes, sowie Seine Gerechtigkeit und moralische Ordnung Seiner Regierung ihm den Weg zu diesem Baum versperrt. Ebenso hat der Mensch in seiner Verant­wortlichkeit gefehlt. 

Er kannte zwar die Sünde nicht, jedoch stand er in Beziehung zu Gott. Es war schon Sünde, von dem Baum zu essen, weil Gott es verboten hatte. Sobald der Mensch gefallen war, ist dem Samen des Weibes der zweite Adam angekündigt. Die Erwartungen des mensch­lichen ' Geschlechts stehen jetzt auf einem anderen Grunde. Es wurde kein Mittel verheißen, wodurch der Mensch vermittelst seiner morali­schen-Kraft erlöst werden sollte, sondern eine andere, von Adam un­abhängige Person, sollte ein Brunnen des Lebens werden, die Kraft des Feindes vernichten und die Stelle Adams einnehmen. Dieses war der Same des Weibes. Der erste Adam war eine lebendige Seele und ist verloren; der letzte Adam, der zweite Mensch ist ein lebendig machen­der Geist. Bis zur Ankunft Christi war die Verheißung der einzige Born der Hoffnung; sie unterstützte durch die Gnade den Glauben. — Wir glauben an die Erfüllung der Verheißung.

Als Gott Abraham rief, gab Er ihm die Verheißung, daß in ihm alle Völker gesegnet werden sollten (1. Mos. 12), und späterhin ist die Verheißung seinem Samen zugesagt (1. Mos 22). Der Samen des Weibes muß zugleich aus dem Samen Abrahams sein. Also bat Gott eine Ver­heißung ohne Bedingung gegeben und mithin offenbarte sich weder die Gerechtigkeit noch die Verantwortlichkeit des Menschen. Vierhundert und dreißig Jahre später ist das Gesetz gekommen, und hat die Gerech­tigkeit auf dem Grunde der Verantwortlichkeit des Menschen offenbart, indem es eine vollkommene Regel von dem feststellte, wie der Mensch als Nachkomme Adams sein mußte. Dieses Gesetz mußte man aus zwei verschiedenen Gesichtspunkten beschauen. Es enthielt die absolute Wahrheit, welche Jesus vollkommen ans Licht stellte: die Liebe zu Gott und die Liebe zu dem Nächsten. Dieses ist die vollkommene Regel für das Glück des Geschöpfs. Die Engel befolgen sie in dem Himmel. Doch der Mensch ist von der Befolgung dieses Gesetzes weit entfernt. Diese Regel nun ist auch in besonderen Pflichten entwickelt, die der Bezie­hung entspringen, in welcher der Mensch zu Gott und zu seinem Näch­sten steht. Diese Gebote sind nach dem moralischen Zustande des Men­schen eingerichtet; sie setzen die Sünde voraus und verbieten. Als Ge-

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 setz verurteilt es auf der einen Seite notwendig die Sünde und bekräf­tigt sie auf der anderen Seite. Unter solchen Umständen kann ein Ge­setz nur verdammen und nur, wie Paulus in 2. Kor. 4 sagt, ein Dienst des Todes und der Verdammnis sein. Er fordert die Gerechtigkeit nach einer Vorschrift, die das Gewissen genehmigen mußte und die zu glei­cher Zeit seine Schuld bewies. Das Gesetz gibt Erkenntnis der Sünde. Gott hat es nicht gegeben, um eine Gerechtigkeit hervorzubringen; dazu gehört eine inwendige Kraft. Das Gesetz bietet eine solche Kraft nicht dar; denn es fordert die Gerechtigkeit und kündigt das gerechte Gericht, den gerechten Zorn Gottes an. Es ist also gerecht und gut und darum die Kraft der Sünde; es ist neben eingekommen, auf daß die Übertre­tung überströmend sei. Die, welche aus Gesetzes Werken*) sind, sind unter dem Fluch. Das Fleisch ist dem Gesetz Gottes nicht unterworfen und kann es auch nicht sein. Der Mensch wurde auf die Probe gestellt, ob er eine menschliche Gerechtigkeit hervorzubringen vermöge.

Das Gesetz ist nun in doppelter Beziehung dem Menschen gegeben. Erstens, das Gesetz als solches, ohne alle Beimischung, zweitens, das Gesetz, vermengt mit Gnade. Die Geschichte des Gesetzes, vom ersten Gesichtspunkte aus betrachtet, ist sehr kurz. Bevor Moses den Berg Sinai verließ, hatte Israel bereits das goldene Kalb gemacht. Die Tafeln des Gesetzes sind nicht ins Lager gekommen. Unmöglich vermochten sie den Grund der Beziehungen des Menschen zu Gott zu bilden. Die Gebote Gottes konnten sich nicht mit der Anbetung eines goldenen Kalbes vereinigen.

Infolge dieser Sünde ist Moses der Fürsprecher des Volkes, und er empfängt aufs Neue das Gesetz. Gott handelt in Barmherzigkeit. Die Beziehungen des Volkes zu Gott sind gegründet auf die Vergebung, welche Gott zusteht; jedoch findet dieses nur als Folge der Dazwischenkunft Moses statt. Dem ungeachtet ist das Volk unter das Gesetz gestellt, und jeder Übertreter wurde aus dem Buche Gottes ausgetilgt. Zugleich aber wurde auch das Gesetz in der Bundeslade verborgen, und Gott Selbst verbarg Sich hinter dem Vorhange, wo auf dem Versöhnungs­deckel, welcher mit den Cherubims den Thron Gottes vorstellte, das Blut gesprengt werden mußte. Doch die mit dem Gesetz vermengte Gnade vermochte ebensowenig, wie das Gesetz allein, die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen aufrecht zu erhalten. Sie konnten nur zum Beweise dienen, daß, wie groß die Barmherzigkeit Gottes auch sein mochte, der verantwortliche Mensch außer Stand war, das Leben durch die Gerechtigkeit zu erlangen, die es selbst vollbringen mußte.

Diese Unmöglichkeit, worin der Mensch sich befindet, um den For­derungen der Herrlichkeit Gottes zu genügen, wird uns in einem bemer­kenswerten Bilde vor Augen gestellt, dessen sich der Apostel in dem zweiten Briete an die Korinther bedient. Das Volk bat Moses, sein An­gesicht zu bedecken, da der Abglanz der Herrlichkeit des Allmächtigen noch vorhanden war. Der Mensch konnte die Herrlichkeit Gottes nicht ertragen, da Gott von dem Menschen dasjenige forderte, was derselbe

*) Der Apostel spricht hier (Gal. 3, 10) nicht von wahren Werken, son­dern von einem Wandel auf dem Grundsatze des Gesetzes.

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 vor Ihm sein sollte. Auch der Vorhang stellt uns dieselbe Wahrheit vor:

Gott muß Sich verbergen. Der Weg zum Allerheiligsten war noch nicht offenbart. Ein Gesetz ist gegeben, um das Leben des Menschen zu lei­ten, und ein Opferdienst eingerichtet, um die Beziehung zwischen dem Volke und Gott aufrecht zu erhalten. Der Mensch konnte aber dennoch Gott nicht nahen. Trauriger Zustand! Die Offenbarung der einen Sache, die wirklich geeignet war, Segen in der Gegenwart Gottes zu verbrei­ten, mußte notwendig diejenigen hinwegtreiben, welche diese Segnun­gen genießen wollten. Wir werden sehen, daß in dem Christentum ge­rade das Entgegengesetzte stattfindet. Laßt uns nun die Wege Gottes weiter verfolgen.

Wir haben gesehen, daß Israel seiner Verantwortlichkeit unter dem Gesetz nicht entsprochen hat. Nichtsdestoweniger ertrug Gott dieses Volk in der Wüste und führte es ungeachtet seiner Untreue in das Land Kanaan. Er setzte es in Besitz dieses Landes, indem Er ihm den Sieg über seine Feinde gab; Er erweckte Richter zu seiner Befreiung, als es durch seine Untreue den Feinden preisgegeben war; Er berief Prophe­ten, um es zur Erfüllung des Gesetzes anzuspornen, und sandte endlich mit einer Güte, die das Gericht nicht ausführen wollte, ahne vorher alle Mittel versucht zu haben. Seinen Sohn, um Früchte in Seinem Weinberge zu suchen, — in dem Weinberge, an welchen Er alle Seine Sorge gewandt und dem Er die zärtlichsten Beweise Seiner Liebe ge­geben hatte. Doch der Weinberg brachte keine Frucht, und die, welche ihn bebauten, verstießen und töteten Seine Diener, Seine Propheten und endlich sogar Seinen Sohn, den Erben des Weinberges. Dies war das Ende der Probe, auf welche der Mensch unter dem. Gesetz gestellt war. Alle Anstrengungen, die Gott in Seiner Gnade gemacht hatte, waren fruchtlos geblieben. Das ist die Geschichte des Menschen unter dem Gesetz. 

Wenn wir die Wirkung des Gesetzes auf das Gewissen untersuchen, dann finden wir, daß es die Verurteilung und den Tod bringt. Es ist von großer Wichtigkeit, daß der Leser ernstlich erwägt, was die Folge ist, wenn das Gesetz auf sein Gewissen und auf sein Leben vor Gott angewandt wird. Wenn er, wie jeder Mensch, verant­wortlich ist — wenn er die Gerechtigkeit dessen, was das Gesetz for­dert, erkennen muß — wenn er das, was das Gesetz verbietet, ver­meiden und die zwei Gebote, worin das ganze Gesetz enthalten ist, vollbringen muß — wenn er endlich entdeckt, daß er dies alles nicht tut, und mithin das Gesetz und sein eigenes Gewissen ihn verurteilen muß, wo ist dann das Leben, welches an den Gehorsam geknüpft ist? Wie wird er dem Urteil entfliehen können, welches das Gesetz über den Schuldigen ausspricht? Und betrachtet er sich in seiner Verant­wortlichkeit, so wird er erkennen müssen, daß der Mensch mehr als böse ist, daß das Gute keinen Raum findet und daß der Mensch in einem Zustande ist, gleich demjenigen der Menschheit vor der Sünd­flut — ja in einem Zustande, der, da ihm ein reicheres Maß von Licht geschenkt worden, viel schlimmer ist. Das Gesetz ist gerecht und gut und das Gewissen des Menschen bezeugt dieses. Ist aber dieses der Fall, dann ist der Mensch nach seiner Verantwortlichkeit verloren. Er hat das Leben nicht erlangt. Das durch das Gesetz angekündigte Gericht erwartet den Schuldigen.

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 Die Gegenwart des Sohnes Gottes in der Welt hatte indes nicht allein den Zweck, Frucht für Jehova in Seinem Weingarten zu suchen. Diese Arbeit war sogar der kleinste Teil des Zweckes Seiner Ankunft, und darum — so notwendig sie ohne Zweifel sein mochte, um den Zu­stand des, als Kind Adams vor Gericht verantwortlichen Menschen bloßzustellen — keineswegs der Gegenstand der Ratschlüsse Gottes, noch das Vornehmste dessen, was durch Seine Offenbarung in das Licht gestellt ist.

Gott ist geoffenbart im Fleisch und zwar, weil Er die Liebe ist. Er ist geoffenbart in Rücksicht auf die Schwachheit, das Elend und die Sünden der Menschen. Er war göttlich in Seiner Vollkommenheit, je­doch offenbarte Er diese Vollkommenheit, indem Er Sich in die Stellung versetzte, worin sich der Mensch befand. Jesus hat in Seinem Leben auf Erden eine Macht gezeigt, die ganz und gar das Reich Satans ver­wüstete. Er heilte die Kranken, trieb die Teufel aus, weckte Tote auf und speiste Hungrige. Doch, was noch mehr sagt, der schuldigste Mensch fand in Ihm den Weg, auf welchem er in die Gegenwart Gottes kom­men konnte. Gott Selbst war gekommen, den Menschen zu suchen; Er zeigte ihm, daß keine Sünde zu groß, keine Übertretung zu schwer für Seine Liebe sei. Satan hatte den Menschen verdorben, indem er sein Vertrauen auf Gott vernichtete. Gott wandte alle Mittel an, und zwar mit einer vollkommenen Güte, um dieses Vertrauen wieder herzustel­len. 

Die Güte war der Ausdruck Seines Herzens, und durch dieselbe fand Er in dem Elende, in den Sünden und in der Schwachheit des Menschen die Gelegenheit, ihn versichern zu können, daß in Ihm eine Liebe sei, auf welche er allezeit rechnen könne. Man sieht in dem Zu­sammentreffen Jesu mit der Samariterin am Jakobsbrunnen, wie Seine Liebe das Herz anzieht; und ist einmal im Herzen ein Bedürfnis nach Seiner Güte erwacht, dann ist in demselben ein Vertrauen aufgeweckt, welches das Herz lebendig macht und von dem Bösen abwendet, und welches die Seele von dem schlechten Einfluß der sie umgebenden Dinge erlöst und sie zu Gott bringt mit einer Aufrichtigkeit, welche beweist, daß sie im Lichte Gottes steht. Dieses ist der göttliche Cha­rakter Christi. Es war das Licht, welches alles offenbarte, und die Liebe, welche liebte, als alles offenbar war, welche alles zuvor wußte, und eine vollkommene Zuneigung zu Ihm in dem Herzen bewirkte, weil es eine Erleichterung für das Herz ist, daß Er alles weiß. Der Sünder, der sich schämte vor dem Menschen zu erscheinen, konnte sein Angesicht an der Brust Jesu verbergen, überzeugt, daß kein einziger Vorwurf, betreffs seiner Sünden, sein Ohr treffen werde. Wahrlich, das ist das Herz Gottes!

Mit einem solchen Herzen voll unbeschreiblicher Güte und Liebe hat Christus Sich in dieser Welt geoffenbart; und dennoch — der Mensch hat Ihn verworfen. Er hat gewandelt inmitten der Empörung, des Hasses, der Beleidigung und des Todes. Dieses aber hat den Zustand des Menschen völlig enthüllt. Er ist nicht nur Sünder, hat nicht nur das Gesetz entehrt und die Weckstimmen der Propheten abgewiesen, nein, er hat Gott Selbst verworfen. Sein Herz war durchaus feindlich gegen Gott. Und diese Feindschaft hat sich nicht nur der Herrlichkeit Gottes, die den Sünder verzehrt, sondern einer vollkommenen Güte

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 gegenüber geoffenbart. Der Mensch hat Gott von dem Erdboden ver­trieben; er wollte keinen Erlöser. Und darum auch ist der Mensch als Kind Adams vollkommen in dem Tode Jesu gerichtet. Nichts, kein Mittel von Gott Selbst blieb deshalb mehr übrig, um in dem Herzen des Menschen das Verlangen nach dem Guten aufzuwecken, als das einzige Mittel der Dazwischenkunft Jesu auf dem Kreuze, wodurch es dem Heiligen Geiste möglich wurde, Israel aufzurufen, daß, wenn es sich bekehre, Jesus wiederkommen werde (Apostgsch. 3, 19—21)." Gott hatte den Brunnen Seiner Gnade erschöpft; und der Mensch hatte alles abgewiesen.

Es bedurfte daher einer neuen Natur, einer Erlösung, einer Recht­fertigung, hinreichend für den Sünder, um vor dem Throne des heiligen Gottes erscheinen zu dürfen. Der Mensch mußte eine Gerechtigkeit be­sitzen, die ihn von der Sünde absonderte, ja, die ihn in den Augen Got­tes angenehm und für die Herrlichkeit fähig machte, welche ihm Gott bereitet hatte. Es mußte ein ganz neuer Zustand hervorgerufen sein, in welchem nicht ein einziger Zug des vorigen Zustandes zurückblieb. — Zufolge der Lehre des Christentums ist die Frage der Verantwortlich­keit des Menschen beantwortet. Diese Lehre erkennt sie vollkommen an, verkündigt jedoch, daß der Mensch verloren ist. Dies ist eine Bot­schaft der reinen Liebe, indem sie dem Menschen anzeigt, daß alle. Proben mit Ihm mißglückt sind, und daß nun, um ihn aus diesem Zu­stand zu erlösen, der Sohn Gottes gekommen ist, um ihn zu suchen und selig zu machen. — Der Tag des Gerichts, der das gerechte Gericht Gottes offenbaren wird, ist für den Glauben bereits vorüber gegangen. Der Zorn Gottes ist geoffenbart vom Himmel über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, welche die Wahrheit in Ungerech­tigkeit besitzen; und zugleich ist die Gerechtigkeit Gottes geoffenbart aus Glauben zu Glauben.

Der Tod und die Auferstehung Jesu stellen diese Dinge ins Licht. Sein Tod beschließt die Geschichte des verantwortlichen Menschen — Seine Auferstehung ist der Anfang der Geschichte des Menschen, der Gott gemäß ist. Der Tod ist der Punkt, wo sich das Gute und das Böse in all ihrer Kraft entwickeln bis zur Überwindung des letzteren. Die Auferstehung ist die Ausübung und Offenbarung der Macht, die den Menschen in der Person Christi, welcher überwunden hat, kraft dieser Überwindung in eine neue Stellung versetzt, würdig des Werkes durch welches Christus den Sieg davongetragen hat und angemessen der Ge­genwart Gottes. In diesem neuen Zustande ist der Mensch ohne Sünde und außer der Macht und dem Reiche Satans. In der Auferstehung Christi ist dem Menschen, vermittelst der Versöhnung und der Rechtfertigung, das Leben Gottes geschenkt worden, und ist für die Herr­lichkeit Gottes, welche sich an die Auferstehung knüpft, fähig gemacht. Er ist also angenehm vor Gott als eine neue Schöpfung, eine Frucht des Werkes, worin Gott vollkommen verherrlicht ist. Untersuchen wir dies ein wenig näher.

Wir haben gesagt, daß das Gute und das Böse sich in ihrer ganzen Kraft auf dem Kreuze begegnet sind. Es ist nötig, diese Wahrheit zu verstehen, um die Wichtigkeit des Kreuzes in den Wegen Gottes zu be­greifen. Früher beschrieben wir die Liebe, in welcher Jesus hienieden

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 in vollkommener Reinheit und ohne Sünden wandelte. Der Mensch wies diese Liebe von sich ab, und seine Feindschaft nagelte den Herrn ans Kreuz. Dort hing Er als der vollkommen Reine.

Doch ebenso sehen wir auf dem Kreuze die Macht des Bösen. Dort herrscht der Tod, die Folge der Sünde. Mochte sich diese Macht auch mehr in Gethsemane, als auf dem Kreuze kund geben, so war dieses doch nur die Wirkung des Kreuzesleiden selbst auf die Seele Jesu. „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod." Der Tod, als die Macht der Sünde, lag mit aller Kraft auf Ihm. Der Tod ist das Urteil Gottes über den Menschen im Fleische, ausgeführt durch die Macht Dessen, der der Fürst dieser Welt ist. Dieses mußte Jesus erfahren. Es ist wahr, daß Er durch vollkommene Übergabe an Seinen Vater den Becher aus Seiner Hand genommen hat, .und zwar in einem vollkomme­nen Gehorsam, der Satan keinen Platz einräumte. Doch dieses war Seine Vollkommenheit. Er ist völlig auf die Probe gestellt. Der Tod war die Macht Satans über den Menschen wegen der Sünde, jedoch zu gleicher Zeit auch das Gericht Gottes. Und diese Macht Satans hat sich in allen Umständen offenbart. Pilatus, als Richter, wäscht seine Hände, während er den Unschuldigen verurteilt; der Hohepriester, dessen Pflicht es war, für den Menschen zu sprechen, zeugt gegen Ihn;

Seine Freunde, denen Er fortwährend nur Liebe bezeugte, verlassen Ihn.

So ist also das Gute und das Böse an Jesu offenbart, und das Böse hat seinen Höhepunkt an Ihm erreicht: — Jesus ist gestorben. Nie hat Er der Sünde einen Eingang bei sich gestattet; doch nun gibt Er Sein Leben hin, in welchem Er den Streit führte. Er bricht durch den Tod jede Beziehung mit dem Zustande ab, wo sich die Sünde befindet. Der Mensch hat jedes Band zwischen sich und Gott zerrissen, und Christus hat allen Beziehungen, worin der Mensch stand, ein Ende gemacht; — es ist aus mit dem Menschen und mit der Sünde. Der Mensch im Fleische ist in der Sünde zurückgelassen und ein neuer Mensch ist auf­erstanden — ein Mensch, vollkommen geschieden von dem ersten Zu­stande, von Sünde und Tod — ein Mensch, der im Stande ist, vor Gott zu leben. Da gibt es kein Band mehr mit dem Menschen im Fleische, darum sagt Paulus: „Ich kenne niemanden mehr nach dem Fleische."

Welch eine herrliche Wahrheit! Christus, der ein vollkommenes Leben hatte, der Selbst das Leben war, der, in allen Dingen uns gleich, dieses Leben in Gehorsam und Treue durchpilgerte, der in Seinem Wandel die Kraft des Geistes offenbarte und Seinen Blick nur auf Gott richtete, der sich endlich unter die Macht stellte, welche der Teufel über die Menschen ausübt, — Er hat durch den Tod in Seinem Leibe die Geschichte des Menschen zum Abschluß gebracht.

Also begegnen sich das Gute und das Böse auf dem Kreuze, und das Gute hat das Böse überwunden. Zunächst hat das Leben Jesu Sei­nen Gehorsam inmitten einer sündigen Welt und ungeachtet aller Ver­suchungen des Feindes ans Licht gestellt. Sein Leben war nach dem Geiste der Heiligkeit, Sein Tod der vollkommene Gehorsam. Alles das Böse, wovon wir gesprochen haben, erhöhte nur den Charakter und den Wert dieses Gehorsams. Doch noch mehr, der Mensch ist durch den Tod von dem Bösen erlöst. Der Tod bricht jede Verbindung mit dem Bösen ab, weil die mit dem Bösen verbundene Natur, wenn anders das

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Leben vorhanden ist, nicht mehr besteht. Christus hat keine Sünde ge­tan — doch der Tod löste jedes Verhältnis mit dem Schauplatz auf, wo die Sünde herrscht. Er starb, und wir starben in Ihm.

Überdies ist die vollkommene Liebe geoffenbart und ist selbst dann, als der Mensch sie verwarf, nicht verschwunden, sondern hat ein Werk vollbracht, welches notwendig für die Versöhnung derer war, die sich stets als Feinde offenbarten. Die Liebe Gottes hat bewiesen, daß sie größer ist, als das Böse. Die größte Sünde der Welt ist durch Gott und durch Christum in ein Opfer für die Sünde umgewandelt. Welch eine Weisheit Gottes! Man ist der Sünde gestorben durch eine Tat, welche die Sünde in ihrer ganzen Größe geoffenbart hat; und in dem Aus­drucke des Hasses des Menschen, läßt Gott Seine Liebe kund werden. Ist dieses geschehen, um das Böse zu erlauben? Nein, zu gleicher Zeit ist das gerechte Gericht Gottes ausgeübt. Jesus, für uns zur Sünde ge­macht, mit den Sünden beladen, hat die Strafe der Sünde getragen. Die Gerechtigkeit ist in Ihm gegen die Sünde ausgeübt und die Gnade herrscht durch die Gerechtigkeit. Es bleibt uns nun noch übrig, die Früchte und die Folgen dieses Werkes zu untersuchen.

Zunächst ist Christus durch die Herrlichkeit des Vaters auferweckt worden. Alles, was die Herrlichkeit des Vaters, Seine Natur, in sich faßt: die Liebe, die Gerechtigkeit, die Beziehung des Vaters zu Christo, als dem Sohne, Sein Wohlwollen an dem Leben des Heilandes hienie­den, Seine Befriedigung in dem, was Er vollbracht, und besonders die Herrlichkeit der Seinen unter den Menschenkindern — kurz alles, was das Herz für Den fühlte, der im Grabe ruhte, zeigte sich in der Auf­erstehung des Sohnes des Menschen. Die erste Frucht der Macht Gottes, als Antwort auf das vollbrachte Werk, war die Auferstehung Christi. Hier haben wir bereits den durch den Menschen eingenommenen neuen Standpunkt. Der Tod ist zurückgeblieben — die Sünde, insofern sie uns von Gott trennt, existiert nicht mehr — das göttliche Leben ist das Leben des Menschen '— die Gerechtigkeit ist in der Annahme des Menschen und nicht in seiner Verdammnis geoffenbart, und der Mensch steht nicht mehr in der Schwachheit seiner eigenen Verantwortlichkeit, sondern ist als Frucht der Macht Gottes bereits verherrlicht in Betreff seiner Gerechtigkeit.

Doch wiewohl die Auferstehung den Herrn, und uns in Ihm, in eine Stellung versetzt, welche die Frucht der Macht Gottes ist, und wiewohl Jesus dadurch anerkannt wird als der Sohn Gottes, so war dieses doch nicht das ganze Resultat Seines Werkes. Er mußte bei dem Vater ver­herrlicht werden. Bewunderungswürdige Wahrheit! Ein Mensch ist in der Herrlichkeit und sitzt zur rechten Hand Gottes. Jesus nimmt die­sen Platz ein nach dem Werte Seines Werkes. Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht und Gott in Ihm; wenn aber Gott in Ihm ver­herrlicht ist, so wird Er Ihn in Sich Selber verherrlichen. — „Ich habe Dich auf der Erde verherrlicht; das Werk habe ich vollbracht, welches Du mir gegeben hast, daß ich es tun sollte. Und jetzt verherrlichest Du mich, Vater, bei Dir Selbst mit der Herrlichkeit, die ich bei Dir hatte, ehe die Welt war." Was Christus gebeten, hat Er

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 erlangt: „Sitze zu meiner Rechten, bis ich Deine Feinde zum Schemel Deiner Füße leg e."

Die Folgen dieser Tatsache sind von der größten Tragweite. Auf der einen Seite sehen wir den ersten Adam verantwortlich, gefallen und in der Sünde und darnach das Gesetz und das Gericht — auf der ande­ren Seite sehen wir den Sohn Gottes vom Himmel herabsteigen, Mensch werden und, nachdem Er die vollkommene Gnade Gottes gegen den Menschen geoffenbart und das Versöhnungswerk für die Sünde voll­bracht hat, nach der Gerechtigkeit Gottes zu Seiner Rechten sitzen. Die Tür ist nun für jeden Sünder geöffnet; und Gott kann kraft des Blutes Christi, der Seine Liebe, Gerechtigkeit, Wahrheit und Majestät verherr­licht hat, alle annehmen, die zu Ihm kommen.

Der Mensch ist in die Herrlichkeit eingegangen, um das Haupt aller Schöpfung zu sein (PS. 8,3—7; 1. Kor. 15, 25—27; Ephes. 1. 20—23;

Hebr. 2, 5—9; vergl. Kol. 1. 15 u. ff.). Christus, als Mensch, ist das Haupt aller Dinge im Himmel und auf der Erde. In dieser Beziehung war der erste Adam ein Vorbild des zweiten. Doch wie der erste Adam eine Gehilfin hatte, so auch der zweite. Eva war kein Teil der ir­dischen Welt, deren Herr Adam war; sie war nicht Herrin — sie war die Gattin und Gefährtin Adams. In demselben Falle befindet sich die Versammlung, wenn Christus die Herrschaft über alle Dinge überneh­men wird (Siehe Ephes. 5, 25—27 und die vorigen Stellen). Für den Augenblick sitzt Er zur Rechten Gottes; und' Seine Feinde sind noch nicht unterworfen.

Seine Herrschaft zerfällt in viele Teile. Die Engel sind Ihm unter­worfen (1. Petr. 3, 22; Eph. 1. 21); und zugleich erstreckt sich Seine Herrschaft über die ganze Erde. Diese letztere zeigt sich auf zweifache Art: 1. das ganze menschliche Geschlecht, sei es Jude oder Heide, muß Ihm gehorchen. Er führt den Titel des Königs der Juden; jedoch muß Er auch über die Nationen herrschen. 2. Die ganze Schöpfung ist Ihm unterworfen; sie seufzt nach Seiner Regierung (Röm. 8, 22). — Ebenso ist das ganze Gericht dem Sohne gegeben, weil Er des Menschen Sohn ist (Joh. 5, 22). Er hat Gewalt über alles Fleisch; und das Gericht ist Ihm anvertraut, auf daß alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren (Joh. 5, 23). Es gibt ein Gericht über die Lebendigen und über die Toten. Das erstere knüpft sich an die Regierung Gottes über die Erde, und ist das Endgericht über die Individuen. Das letzte ist der Schluß aller Wege Gottes, wenn das Verborgene der Herzen und ihre Ratschläge offen­bar werden.

Dann wird der Mensch Christus das Königreich dem Vater über­geben, und Gott wird Alles in Allem sein (1. Kor. 15).. Diese Übergabe ändert indes nichts an Seiner Gottheit. Bis dahin hat nach dem Rat­schluß Gottes der Mensch das Königreich im Besitz gehabt. Dieses tausendjährige Reich endet. Christus ist darum nicht minder Gott. Er war Gott während Seiner Erniedrigung auf Erden; Er wird Gott sein, in der Herrlichkeit des Reiches, und er wird es sein, wenn Er als Mensch Sein Königreich dem Vater übergibt.

Wir müssen hier einige Worte hinzufügen über die Wege Gottes, die dieses herrliche Resultat und die tausendjährige Herrlichkeit Christi vorbereiten.

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 Während der Herr zur Rechten des Vaters Seinen Platz eingenom­men hat, sammelt Gott durch die Kraft des Heiligen Geistes die Ver­sammlung aus der Welt. Die gute Botschaft der Gnade wird in der Welt gepredigt, um die Welt von der Sünde zu überzeugen, und dieses insbesondere, da sie den Sohn Gottes verworfen hat. Ihr wird nicht ge­predigt, daß die Sünde vergeben sei und daß sie dieses nur zu glauben habe, sondern, daß sie im Argen liege; aber zu gleicher Zeit wird ihr angekündigt, daß das Blut auf dem Versöhnungsdeckel sei und ein jeglicher eingeladen werde, zu Gott zu kommen, der den Nahenden nach dem Werte dieses Blutes empfangen wolle (2. Kor. 5, 20; Kol. 1. 23; Mark. 16, 15; Luk. 24, 47; 1. Kor. 15, 3) etc.

Doch noch andere herrliche Wahrheiten fließen aus der Ankunft des Heiligen Geistes auf die Erde. Er ist gekommen, weil Christus gen Himmel gefahren ist (Joh. 16, 7). Er ist der Beweis, daß Gott in Betreff des Menschen völlige Befriedigung in dem Werke Christi gefunden hat. Er kam hernieder auf die, welche bereits an Jesum glaubten (Joh. 7, 39; Luk. 24, 49; Apstgsch. 1. 5 und 2), und durch sie verkündigt Er das Evangelium aller Kreatur. Wohnend in dem Gläubigen, gibt Er ihm die Gewißheit, daß alle seine Sünden durch' Christum getragen und für immer hinweggetan sind (Offenb. 1. 5; Hebr. 1. 3) , etc. und daß er zur Gerechtigkeit Gottes in Christo gemacht ist. Ferner ist der Heilige Geist die Versiegelung auf den Tag der Erlösung (Ephes. 4, 30), d. h. vor der Ankunft in der Herrlichkeit, und schenkt dem Gläubigen das Bewußtsein, daß er eins mit Christo und daß er ein Kind, ein Erbe Gottes und ein Miterbe Christi ist (Röm. 8, 16, 17; Gal. 4, 5—8). Er empfängt die Dinge von Christo und verkündigt sie den Gläubigen (Joh. 16, 14. 16).

Dies alles gilt nur für den einzelnen Christen. Doch es ist ein Geist in allen Gläubigen; Er vereinigt sie alle mit Christo, und folg­lich bilden sie zusammen einen Leib (Röm. 12, 4. 5; 1. Kor. 12, 13 etc.), die Braut des Lammes (Ephes. 5, 25). Er erweckt in der Braut das Seh­nen nach der Hochzeit des Lammes (Offenb. 22, 17; 19, 7). Die Gläubigen haben als mit Christus an den Himmel versetzt, eine himmlische Berufuung und können, getrennt von der Welt, ihre Blicke nach oben rich­ten. Auch sollen sie aufgenommen werden, um Christo in der Luft zu begegnen (1. Thess. 4, 15, 17). Christus wird kommen, um sie in das Haus Seines Vaters zu führen, wo sie allezeit bei Ihm sein sollen (Joh. 14, 2. 3; 1. Thess. 4, 17).

Dies ist nicht die Gründung des Königreiches, sondern das Ver­sammeln der Erben, die mit Christo herrschen sollen. Sie empfangen dann ihren Platz bei Ihm — einen Platz, weit erhaben über jegliche Regierung auf dieser Erde, wie herrlich letztere auch sein wird. Darauf wird Satan aus dem Himmel geworfen, wohin er nimmermehr zu­rückkehrt. Er kommt auf die Erde und versammelt alle Völker gegen den Allmächtigen und gegen Christum (Offb. 12, 12; 16, 13. 14; 17, 13. 14; 19, 18 etc.). Alsdann kommt der Herr mit Seinen Heiligen (Off. 19;

Kol. 3). Die Macht des Feindes wird von der Erde hinweggenommen, die Erde von dem Fluche erlöst und Satan in den Abgrund geworfen (Offb. 20, 3), (noch nicht in den See des Feuers) ist nicht mehr der Fürst dieser Welt. Christus und die Seinigen herrschen über alle Werke Gottes

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 (PS. 8, angeführt in 1. Kor. 15; Ephes. l und Hebr. 2). Die Regierung Gottes ist dann gegründet (Vergl. Matth. 16, 26; 28, 17; Mark. 9 und Luk. 9). Die Gerechtigkeit herrscht und die Welt ist im Frieden (Ephes. 1. 10). In diesem Stande des Segens werden alle die Prophezeiungen in Betreff der Segnungen über diese Erde erfüllt. Eine herrliche Zeit wird dann sein, wo kein Krieg mehr sein soll, wo alle die Früchte der Güte Gottes genießen sollen, ohne daß die Leidenschaften die Menschen ge­geneinander in Empörung zu bringen vermögen. Christus wird das Glück aller aufrecht erhalten; und so sich das Böse zeigt, wird es als­bald gerichtet und von der Erde hinweggetan werden.

Auch die Regierung des Sohnes Davids muß wieder hergestellt und alle Verheißungen Gottes in Betreff Israels werden an diesem Volke erfüllt werden. Das Gesetz wird in ihr Herz geschrieben sein. Die Gnade und die Macht Gottes werden dasjenige diesem Volke geben, was es auf dem Grunde der Verantwortlichkeit nicht erlangen konnte. Zu gleicher Zeit wird der Herr über die Nationen herrschen, welche un­ter das bevorrechtete Israel gestellt werden. Also werden alle Dinge unter Ein Haupt zusammengebracht: Engel, Mächte, die Gemeine in dem Himmel, Israel, die Nationen, während Satan gebunden ist. — Doch vor der Erscheinung dieser gesegneten Zeit werden die Gottlosen sich wider Gott erheben. Die Juden, wenigstens der größte Teil dieses Vol­kes, werden sich ihnen anschließen, und die Nationen werden die Em­pörung gegen Gott beginnen. Dieser Aufstand wird mit außergewöhn­lichen Plagen, sowohl im Lande Juda als auch auf der ganzen Erde, be­gleitet sein. In dieser Zeit wird das Zeugnis Gottes die Welt durch­laufen und endlich das Gericht kommen und über die Mächte unter den. Christen, über die aufrührerischen Juden, und über alle Völker, die das Zeugnis Gottes verwarfen, ausgeübt werden. Dies ist das Ge­richt der Lebendigen, während die erste Auferstehung bereits stattge­funden hat. Mit dieser Periode beginnt die Fülle der Zeit.

Noch einige Worte zum Beschluß dieser Skizze. Satan wird losge­lassen werden, wenn die Bewohner der Erde lange Zeit hindurch Ruhe und Glück genossen und die Herrlichkeit Christi geschaut haben. Wenn aber diese Versuchung kommt, dann werden alle fallen, die nicht in Wirklichkeit Jesu angehören. Satan führt die Welt gegen den Thron der Herrlichkeit Gottes auf Erden (Jerusalem) und gegen alle an, die dem Herrn treu sind. Doch er wird vertilgt. Und nun beginnt das Ge­richt der Toten und die Ewigkeit hat einen Anfang genommen.

Es wird ein neuer Himmel und eine neue Erde sein, in welchen die Gerechtigkeit wohnt. Nachdem Christus das Königreich den Händen des Vaters übergeben 'hat, wird Er Selbst als Mensch, nachdem alles Seinen Füßen untergeordnet ist, untergeordnet — doch bleibt Er ewig­lich der Erstgeborene vieler Brüder. Auch glauben wir nicht, daß die Versammlung ihren Platz als Braut, als Wohnung Gottes, verlieren wird (Siehe Ephes. 3 und Offb. 21). Nur die Regierung, welche die Sünde voraussetzt, wird endigen. Alle Dinge werden neu gemacht werden, und Gott wird Alles in Allem sein. Wir werden Ihn in vollkommener Glück­seligkeit genießen und Ihn nach der Vollkommenheit Seiner, in der Geschichte der Menschheit bereits entwickelten Wege, sowie Seinen

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 ewigen Sohn — den Ausdruck Seiner Gedanken und der Erstling derer, die durch Ihn ewiglich glücklich gemacht sind — in Vollkommenheit kennen. Unaussprechliches Glück, gegründet auf Sein kostbares Blut, welches nimmer seinen Wert in der Erinnerung der Glückseligen verliert!

Zur rechten Zeit

Zuweilen gefällt es Gott, eine Seele mit wenigen Worten aufzu­wecken. So geschah es vor etlichen Jahren. — Ein Kurier-Zug stand in D. zum Abfahren bereit; die Mitreisenden waren schon eingestiegen, als ich einen Mann bemerkte, der mit der größten Anstrengung auf den Bahnhof zulief, um noch mitzufahren. — „Abläuten!" rief der Inspek­tor. Die Lokomotive gab das Zeichen zum Abfahren. Es war der letzte Augenblick; der Zug setzte sich schon in Bewegung, — da kam gerade der Mann angerannt und wurde noch eingelassen. Es war noch soeben zur rechten Zeit. Er setzte sich neben mich und die Tür wurde zuge­schlagen. Ich sagte ganz ruhig: „Und die Tür wurde verschlossen." Weiter haben wir, soviel ich mich erinnere, nichts zusammen ge­sprochen.

Zwei Jahre später, als ich dieses Ereignis schon lange vergessen hatte, kam ein Freund von mir mit jenem Manne in Berührung. In einer Unterredung erwähnte dieser jenen Vorfall und fügte hinzu, daß die Worte: „Und die Tür wurde verschlossen," den ersten tiefen Eindruck auf seine Seele gemacht hätten. Er habe sie nicht ver­gessen können. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend seien sie ihm nachgegangen. Er habe erkannt, wie gefährlich es sei, die Errettung sei­ner Seele bis zum letzten Augenblick aufzuschieben, und Gott habe dies Ereignis benutzt, um ihn zu Christo zu bringen.

.  Meine Leser werden sich erinnern daß der Herr Jesus diese Worte:

„Und die Tür wurde verschlossen," im Gleichnis von den zehn Jungfrauen sagt; und sie sind in der Tat sehr beherzigenswert für alle, die sie hören. Noch währt die Zeit der Gnade — die Zeit, wovon der Apostel sagt: „Siehe, jetzt ist die wohlangenehme Zeit, siehe, jetzt ist de r Tag des Heils!" und worin der Herr Jesus immer noch spricht: „Ich bin gekommen zu suchen und zu erretten, was verloren ist," Noch ist die Tür geöff­net; aber bald wird der Zug des Evangeliums gefüllt sein und der letzte Reisende seinen Platz eingenommen haben; und dann? — — Kannst du mir sagen, mein lieber Leser, was du fühlen wirst, wenn du zu spät kommst? Bist du zufrieden, denen zuzugehören, die da rufen wer­den: „Herr, Herr, tue uns auf!" und welchen geantwortet wird: „Ihr Wirker der Ungerechtigkeit, ich kenne euch nicht; gehet von mir hinaus !"

Die Boten des Evangeliums mahnen zum Einsteigen; aber du sagst vielleicht: „Ich habe kein Billet, und kann auch noch keins bezahlen." Traurige Entschuldigung! Die Zeit eilt dahin, der Zug geht ab, und du

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 kommst zu spät. Und bedenke wohl, wo du bleibst, — in einem Reich, wo Satan herrscht, in einer Welt, über welche sehr bald die Gerichte Gottes hereinbrechen werden. Der Rettungszug steht bereit — bereit, um dich aufzunehmen und dich zum Himmel, zur ewigen Herrlichkeit zu bringen — und du willst ihn versäumen? — Deine Entschuldigung zeigt deine Blindheit. Alle, welche in jenen Zug eingestiegen sind, wa­ren ebenso schlecht und ebenso arm wie du. Keiner hatte zu bezahlen, und doch hatte jeder ein Billet — vollkommen gültig bis zum Ziel. Ein anderer zahlte für sie, und zwar Der, der es allein konnte, Jesus Chri­stus. Was wir hätten tun müssen, hat Er getan. Sein Werk ist voll­bracht, Sein kostbares Blut ist vergossen. Dieses Werk und dieses Blut allein tilgen unsere Sünden, bringen uns zu Gott und sichern uns den Platz in der Herrlichkeit. Umsonst darfst du einsteigen, umsonst mitreisen, umsonst die Herrlichkeit Gottes empfangen. Gott, dessen Schuldner du bist, fordert nichts von dir; das Opfer Christi hat Ihn völlig zufrieden gestellt. Sein Zorn ist gestillt, Seine Gerechtigkeit be­friedigt; ja alles ist bezahlt. Gott Selbst hat dafür Sorge getragen; denn er kannte unsere schreckliche Armut. Er ist der Gott, der den Gottlosen rechtfertigt. Und wenn du an Ihn, als einen solchen Gott, glaubst, so wird dir dein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet. Du kannst dann mit allen Gläubigen getrost zu Ihm aufblicken und mit gutem Gewissen und mit ruhigem und glücklichem Herzen ausrufen: „Er hat Jesum um unserer Sünden willen dahingegeben und um un­serer Rechtfertigung willen auferweckt." Hast du allein im Vertrauen auf das Blut Christi, das von aller Sünde reinigt, deinen Platz in diesem Rettungszuge genommen, so kann dich niemand zurück­weisen. Jeder Anklage kannst du mit den Worten entgegentreten:

„Christus ist es, der gestorben, ja noch mehr, der auch auferweckt, der auch zur Rechten Gottes ist, der auch für uns bittet" (Röm. 8, 34). Und dann wirst du aus allem, was Er für dich getan und was Er noch tut, erkennen, wie sehr Er dich geliebt hat und allezeit liebt.

Du sagst nun vielleicht: „Deine Worte kommen mir sehr fremd vor,. Ein anderer Bote hat mir gesagt, daß ich erst viel beten und ringen und alle meine Sünden bereuen müßte, ehe ich meinen Platz einnehmen dürfte. Das habe ich nun auch schon seit Jahren zu tun gesucht, aber ich weiß nicht, ob Gott damit zufrieden ist. Ich habe nie vorher gehört, daß alles getan sei, daß ich umsonst ein Billet bekomme, weil das Blut Christi mein Fahrgeld bezahlt hat." — Jener Bote, mein Freund, der deine Werke forderte, war von einer anderen Gesellschaft; und ich kann dir sagen, daß alle Mitreisenden die sich in dessen Zuge befinden, unsicher sind, ob ihr Reisegeld wirklich bezahlt ist. Ich gehörte auch einst zu dieser Gesellschaft und reiste mit jenen Fahrgästen, aber ich war nie recht glücklich. Es war ein öder und dunkler Weg. Aus einem Tunnel ging es in einen anderen, und kein Wagen war erhellt. Es ging immer bergab, und wir waren alle unsicher, wohin wir fuhren. Da wurde ich mit der freien Gnade Gottes bekannt, und verließ jenen Zug;

und ich kann dir versichern, daß ich dies nie bereut habe.

Du magst fragen: „Ist denn keine Bekehrung nötig?" Gewiß, und die Bekehrung besteht gerade darin, daß man dem Zeugnisse von dem

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 Tode und der Auferstehung Christi glaubt. Oder du sagst: „Man muß doch von der Sünde und der Welt Abschied nehmen." — Das ist wahr;

aber ich sehe nie einen Menschen schneller von einem Orte wegreisen, als wenn er in einem Kurier-Zuge seinen Platz genommen hatte. Willst du wirklich die Sünde und die Welt verlassen, so glaube an den Herrn Jesum Christum, nimm ohne Geld deinen Platz in seinem guten Werke und du wirst völlig getrennt sein. Du brauchst nur durch Glauben in den Rettungszug einsteigen; für das Hinwegkommen hast du nicht zu sorgen. Das Blut Christi ist dein Lösegeld und die allmächtige Kraft Gottes bringt dich ohne Gefahr weiter.

Der Teufel hat viele Wege; aber alle führen zur Hölle. Zum Him­mel führt nur e i n Weg. Jesus allein ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Gehörst du aber vielleicht zu jenen, die da sagen: „Laß mich in Ruhe, ich will nicht reisen," so wisse, mein Freund, daß du dich täu­schest. Reisen mußt du; du bist auf dem Wege zur Ewigkeit. Jeder Tag bringt dich einen Schritt näher zum Himmel oder zur Hölle. Nichts ist gewisser als dieses. Und Einer ruft vom Himmel: „Siehe, ich komme bald!" Gleichst du etwa jenen Toren, welche sagen: „Wir glauben nicht, daß Er kommt; oder jenen, welche ausrufen:

 „Wir wollen nicht, daß dieser über uns herrsche," oder gar jenen Spöttern, welche von jeher mit hochmütigem Gespött frag­ten: „Wo ist die Verheißung Seiner Ankunft?" — Ich versichere dir, Er wird kommen; Sein Wort kann nimmer trügen. Er wird kommen, um die Seinigen in die ewige Herrlichkeit einzuführen, und Er wird kommen, um die Welt zu richten, um die, welche nicht ge­glaubt haben, zu zerstören; ja unerwartet wird Er hereinbrechen, wie die Flut in den Tagen Noahs, wie das verwüstende Feuer über Sodom und Gomorra.

Glaubst du aber, daß Jesus wiederkommen wird, so frage ich dich:

„Bist du bereit, Ihm entgegen zu gehen? Kannst du mit ruhigem und glücklichem Herzen sagen: „Komm Herr Jesu, komme bald!?" Oder mußt du sagen: „Meine Sünden sind noch nicht vergeben, und darum fürchte ich mich. Blicke mit Vertrauen auf das Kreuz. Dort fin­dest du dein Lösegeld, dort die Tilgung aller deiner Sünden. „Glaube an den Herrn Jesum, so wirst du errettet sein." Tau­sende, welche den Namen Christi tragen, liegen im Schlaf der Sünde;

ihre Lampen sind erloschen und in ihren Gefäßen ist kein öl. Welch ein Erwachen wird es sein, wenn der mitternächtliche Ruf erschallt:

„Der Bräutigam kommt!" Und ein Schrecken wird alle ergreifen, wenn Der als Richter erscheint, den sie als Heiland nicht wollten. Laß dich bitten und warnen, mein Freund. Entfliehe aus der Mitte derer, die in sorgloser Gleichmütigkeit, oder im Sündentaumel dahin gehen, bis es zu spät ist. Ja, entfliehe und erwarte Den, der dich geliebt hat und für dich gestorben ist; „denn noch um ein gar Kleines und der Kommende wird kommen und nicht verzie­hen." Und dann kannst auch du sagen: Fahre hin, du arme Welt voll Elend, Sund und Tod, und sei willkommen, du ewige und herrliche Freude; ich werde für immer bei dem Herrn sein! 


2. Könige 5 Naeman der Syrer

(2. Könige 5)

Um aus der Geschichte von Naeman den rechten Nutzen zu ziehen, müssen wir sie unter das Licht des Neuen Testaments bringen und durch dasselbe beleuchten. Alsdann werden wir jeden Punkt dieser Erzählung reich an wichtigen Grundsätzen finden. „Alle Schrift ist von Gott ein gegeben und nütze zur Lehre etc. etc." (2. Timoth. 3, 16). Diese Erklärung ist mit diesem 5. Kapitel des 2. Bu­ches der Könige ganz übereinstimmend. Die Mitteilung von Naemans Zustand, von seinem Gang nach und von dem Jordan, von seiner Reini­gung und dessen Folgen ist voll der köstlichsten Belehrung, wenn dies alles in dem Lichte, welches das Neue Testament darauf wirft, betrach­tet wird. Laßt uns denn in demütiger Abhängigkeit von der Belehrung des Geistes die Betrachtung dieses einfachen, interessanten Abschnitts der Heiligen Schrift vornehmen.

„Naeman, der Feldhauptmann des Königs zu Sy­rien, war ein ansehnlicher Mann vor seinem Herrn, und hoch gehalten; denn durch ihn gab der Herr Heil für Syrien. Und er war ein gewaltiger Mann; aber er. war aussätzig" (V. l). Hier nun haben wir die beiden Seiten von • Naemans Zustande. In Betreff seiner äußeren Umstände war er alles, was sein Herz nur wünschen konnte. „Ansehnlich" — „hoch gehalten" — „gewaltig;" was konnte er mehr sein? Er war, wie die Menschen sagen würden, ein wahres Kind des Glücks. Er war der Befehlshaber der syrischen Truppen; er besaß das Vertrauen und die Achtung des Kö­nigs; er trug an seiner Stirn die Lorbeeren des Sieges.

„Aber er war aussätzig!" Ach! das war ein trauriger Nie­derschlag — ein verzehrender Krebs an allen seinen Würden — eine dunkle Walke über seiner ganzen Herrlichkeit. Die verderbliche Krank­heit, die seinen Körper bedeckte, raubte ihm nicht nur den Genuß an den Ehren, womit das Glück ihn überhäuft hatte, sondern verwandelte diese tatsächlich in ebensoviele Quellen der Demütigung und des Kum­mers. Gerade seine hohe Stellung machte seine Krankheit umso sicht­barer und der Glanz des Wohlstandes sein verächtliches Übel umso augenscheinlicher. Seine militärische Kleidung bedeckte die Person eines Aussätzigen, und seine Sieges-Lorbeeren schmückten die Stirn eines Aussätzigen. Kurz, der niedrigste Diener in Naemans Umgebung würde die Demütigung des Aussatzes bei weitem nicht so schmerzlich gefühlt haben, wie der edle Feldhauptmann sie fühlte. Je höher er gestellt war, desto tiefer mußte er die Erniedrigung und die Plage seiner ekel­haften Krankheit empfinden. Wie viel möchte er wohl dem gegeben haben, der seinen Aussatz auf sich genommen hätte? Und dennoch wurde er bald ganz umsonst von ihm weggenommen.

Wenn wir dies alles nun vom evangelistischen Gesichtspunkte aus betrachten, so finden wir in der Person Naemans das Bild eines Sünders in seinem natürlichen Zustande. Er ist mit dem Aussatz der Sünde be­deckt; ja, von außen ist er von diesem unheilbaren Übel bedeckt und von innen davon durchdrungen. Er mag, gleich dem Naeman, mit Glanz

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 und Reichtum umgeben sein; er mag in den Armen des Glücks gebettet und im Schöße des Luxus gepflegt werden — er ist ein Sünder — er ist verloren — er ist verderbt. Und wenn er einmal dahin gebracht ist, seinen wahren Zustand zu erkennen, dann werden alle seine äußeren Ehren und Würden nur dazu dienen, sein innerliches Verderben für ihn umso fühlbarer zu machen. Er ist verloren, und er bedarf der Er­rettung. Es ist nötig, daß seine Krankheit geheilt, seine Schuld getilgt und sein Gewissen gereinigt werde. Das ist es, was er bedarf, und das ist es, was Gott in Seiner Gnade für ihn zuvor ersehen hat. In Be­treff des Naeman hatte Gott die Wasser des Jordan, um ihn von jedem Flecken seiner Krankheit zu reinigen, und in Betreff des verderbten Sünders hat Er „das kostbare Blut Jesu" zuvor" ersehen, um ihn von jeder Schuld zu befreien und ihn vor aller Verdammnis völlig sicher zu stellen.

• Doch laßt uns sehen, wie deutlich dies alles in unserer Erzählung hervortritt. „Die Syrer aber waren Streifen gezogen und hatten eine kleine Dirne weggeführt aus dem Lande Israel; die war im Dienste des Weibes Naeman. Die sprach zu ihrer Herrin: Wollte Gott, daß mein Herr bei dem Propheten zu Samaria wäre, der würde ihn von seinem Aussatz losmachen" (V. 2. S). Welch ein Unterschied zwischen diesem kleinen gefangenen Mädchen und ihrem edlen Herrn! Und dennoch war sie im Besitz eines großen Geheimnisses, eines Ge­heimnisses, welches jenem völlig unbekannt war. Sie wußte, daß ihr Herr im Lande Israel finden konnte, was er bedurfte. Sie wußte, wo Gnade zu finden war; und die Erkenntnis dieser Gnade erfüllte ihr Herz mit dem Wunsche, daß ihr Herr daran teilhaben möchte. „Wollte Gott," sagte sie, „daß er dort wäre". So ist es immer. Die Gnade erfüllt das Herz mit dem Wunsche für das Wohl der Anderen. Es tat nichts zur Sache, daß das kleine Mädchen aus dem Lande ihrer Väter ver­bannt und eine Gefangene in dem Hause eines Syrers war. Sie sah, daß ihr Herr ein Aussätziger war, und sie hatte Verlangen, daß er auf den Weg der Heilung gebracht würde. Der Gott Israels aber war der Einzige, der dem Bedürfnis eines Aussätzigen begegnen konnte.

„Und einer ging hinein zu seinem Herrn und sagte es ihm an und sprach: So und so hat die Dirne aus dem .Lande Israel geredet. Der König zu Syrien sprach:

So ziehe hin, ich will dem Könige zu Israel einen Brief senden. Und er zog hin und nahm mit sich zehn Zentner Silber und sechstausend Seckel Gold und zehn F e i e r k e i d e r" (V. 4. 5)! Ach wie schwer ist es für das mensch­liche Herz, sich zu den Gedanken Gottes zu erheben! Der Gedanke, umsonst gereinigt zu werden, kam nicht in Naemans Sinn. Er war, wie wir mit Gewißheit sagen können, völlig bereit, vieles zu geben, wenn er dadurch von seinem Aussatz gereinigt werden konnte; aber der Gedanke, alles, was er bedurfte, „ohne Geld und ganz umsonst" zu empfangen, lag außer seinem Bereich, und deshalb machte er auch so große Vorbereitungen. Er kannte nicht die Gnade des Gottes Israels. Er dachte, daß die Gnade durch Geld zu erkaufen sei. Hierin lag sein

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 Irrtum — der Irrtum der Millionen — der Irrtum des menschlichen Herzens in jedem Zeitalter und unter jedem Himmelsstrich.

Doch, wenn man es genauer erwägt, so sieht man, was für eine Torheit es ist, zu denken, durch ein wenig Gold und Silber von „d e m allmächtigen Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde" etwas zu erlangen! Sicher, eine solche Torheit ist leicht zu erkennen; aber es ist nicht ganz so leicht, einzusehen, wie töricht es ist, Gott zu nahen im Vertrauen auf unsere eigenen Werke: auf unsere Moralität, auf unser ehrbares Leben, auf unsere Frömmigkeit, auf unsere christlichen Sitten und Gewohnheiten, auf unsere Teilnahme an christlichen Vereinen und Tätigkeiten, auf unsere Tränen, Gebete, Seufzer, Gelübde. Vorsätze, müden Gaben, auf unsere Gefühle, Be­tragen und Erfahrungen, kurz auf irgend etwas, was wir mit unseren Gedanken, Worten und Werken hervorzubringen vermögen. Dennoch bleibt es sich völlig gleich, ob ich ein Stück Silber oder Gold, oder alle die eben genannten Dinge, und noch zehntausendmal mehr als diese, zum Grunde meines Vertrauens mache. Wenn ich alle die guten Werke, alle Tränen, die je geweint, alle Seufzer, die je der menschlichen Brust entquollen sind — mit einem Worte, wenn ich alles das täte, was von jeher die menschliche Gerechtigkeit in dieser Welt hervorgebracht hat, und es zehntausend mal zehntausend vervielfältigt würde, so wäre dies nicht im Stande, auch nur einen einzigen Flecken von Sünde von mei­nem Gewissen zu vertilgen und mir einen wirklichen Frieden in der Gegenwart des heiligen Gottes zu geben. Diese Dinge haben an ihrem Platze wohl ihren Wert; aber als Fundament für den Frieden unserer Seele müssen wir nichts anderes als Christus haben. Er muß die Stelle von allem einnehmen, worin unsere Herzen Vertrauen setzen wollen. Wir haben alles in Ihm, und haben wir Ihn, so bedürfen wir nichts mehr.

Es bedarf aber oft einer langen Zeit, um uns von der Wertlosigkeit all unserer eigenen Wirksamkeit zu überzeugen. Es ist dem mensch­lichen Herzen fremd, daß wir vor Christo nichts anderes bedürfen, als das, was wir haben, nämlich unser gänzliches Verderben; daß wir nicht nötig haben, zuerst auf die Zubereitung zu warten, daß jeder Schritt der Selbst-Besserung nur ein Schritt auf dem Wege der Selbst-Täu­schung ist; denn das eigene Ich ist nie im Stande, um sich für Gott oder für den Himmel tüchtig zu machen. Das religiöse Fleisch — die Frömmigkeit des natürlichen Menschen — ist ebenso fern von Gott, ebenso fern von der Gerechtigkeit, ebenso fern vom Himmel, wie das Fleisch in der gröbsten und schlechtesten Gestalt. Das ist eine harte Rede, aber sie ist wahr; und es ist gesegnet, wenn sie völlig als wahr erkannt wird. Es ist von der größten Wichtigkeit, daß der Mensch er­kennt, daß das, was er bedarf, nicht eine Selbst-Bekehrung, sondern ein völlig neues Leben ist; dieses Leben ist Christus. Dies ist die große Sache, um welche es sich handelt. Wir müssen alle Hoffnungen und Erwartungen von unserer gefallenen und verderbten Natur auf­geben und Christus annehmen als unser Alles in Allem. Mag jemand mit seinem Fleische oder mit sich selbst alle nur möglichen Versuche anstellen, er wird es nie für Gott — nie für den Himmel tüchtig ma­chen. Das Fleisch kann nicht im Himmel wohnen; es vermag die

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 Atmosphäre jener heiligen Region nicht einzuatmen. Die Bemühung, um das, was Gott verdammt und als unverbesserlich und unheilbar bei Seite gesetzt hat, verbessern zu wollen, würde die fruchtloseste Arbeit sein, die je unternommen werden könnte.

Es ist nun interessant zu sehen, wie das vorliegende Kapitel diese Seite der Wahrheit auf eine ganz besondere Weise vor unseren Blicken entfaltet. Naeman, mit seinem glänzenden Gefolge und all seinem Gold und Silber vor der Tür des Propheten Elisa stehen sehen (V. 9), ist das treffende Bild eines Sünders, der auf seine eigene Anstrengung nach Gerechtigkeit rechnet. Jener schien mit allem versehen zu sein, was sein Herz nur wünschen konnte, aber in Wirklichkeit war alles nur eine unnütze Last; und der Prophet gab ihm dies bald zu verste­hen. Die kurze, einfache und bestimmte Botschaft: „Gehe hin und wasche dich" (V. 10), warf plötzlich alles Vertrauen auf Gold, Sil­ber, prächtige Kleidung, glänzendes Gefolge, Empfehlungsbriefe an den König, ja, alles zu Boden. Sie entblößte ihn von allem, und zeigte ihm seinen wahren Zustand, als armer, unreiner Aussätziger, der nötig hatte, gewaschen zu werden. Sie machte keinen Unterschied zwischen dem hohen Befehlshaber der Heere Syriens und dem ärmsten und niedrig­sten Aussätzigen in allen Gegenden Israels. Ersterer konnte nicht das geringste dazu tun, und Letzterer bedurfte nichts mehr. Reichtum kann den ruinierten Sünder nicht heilen, und Armut kann das Heilmittel Gottes nicht schwächen. Nichts, was auch ein Mensch getan haben mag, ist fähig, ihm den Himmel zu verschließen, und nichts, was er auch tun mag, ist fähig, ihn zu öffnen. „Gehe hin und wasche die h," so heißt das Wort in jedem Falle.

Naeman fühlte augenscheinlich die tiefe Demütigung, welche in der Botschaft des Propheten lag. Er war auf eine solch gänzliche Beiseite­setzung aller menschlichen Anmaßung nicht vorbereitet. Er würde gern einen Besuch gemacht und seine Zentner Silber, seine Sockel Gold und seine Feierkleider niedergelegt haben; aber zu hören: ^,Gehe hin und wasche dich," ohne die leiseste Anspielung auf alle jene Dinge, das war doch gar zu demütigend. „Da erzürnte Naeman, und zog weg, und sprach: Siehe, ich meinte, er sollte zu mir her­auskommen, und hertreten, und den Namen des Herrn, seines Gottes, anrufe in, und mit seiner Hand über die Stelle fahren, und den Aussatz also abtun. Sind nicht Amana und Pharphar, die Flüsse zu Damaskus besser, denn alle Wasser in Israel, daß ich mich da­rinnen wüsche und rein würde? Und er wandte sich und zog weg mit Zorn" (V. 11. 12).

So ist es immer. Der einfache Plan der Errettung Gottes ist so - durchaus demütigend für den Stolz des Menschen, daß er sich ihm nicht unterwerfen kann. „Denn die Gerechtigkeit Gottes nicht erkennend, und ihre eigene Gerechtigkeit aufzu­richten trachtend, haben sie sich der Gerechtigkeit Gottes nicht unterworfen" (Röm. 10, 3). Und doch, möchten wir fragen, welch ein Recht hatte ein Aussätziger, zu zürnen, zu dis­putieren und vorzuschreiben? War er gekommen um gereinigt zu wer­den, oder Vorschriften zu machen? Hatte er versucht, was „Amana" und „Pharphar" für ihn zu tun vermochten? Es war nötig, daß er von

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 Elisa belehrt wurde, nichts vor Gott zu bringen als seinen Aussatz. Alles andere war völlig überflüssig. Das war eine schöne Aufgabe. Naeman mußte alles nach Syrien zurückbringen, was er von dorther mitgebracht hatte, ausgenommen seinen Aussatz. Wenig­stens war dies Elisas Vorsatz, obgleich derselbe in etwa durch Gehasis Geldgier vereitelt wurde (V. 20—25). — Der Sünder möchte so gern seine guten Werke zu Christo bringen. „Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten", so liebt er zu sprechen; aber es ist alles nutz­los. Du mußt zu Christo kommen und nur deine Schuld mitbringen. Du mußt lernen, daß du der Reinigung bedarfst und daß Christus die­selbe für dich hat. Wenn du meinst, da du noch irgend etwas Gutes an dir hast, so hast du deinen Zustand noch nicht in Wahrheit erkannt. Du magst die Amanas und Pharphars des gesetzlichen Systems versu­chen, aber nach allem „mußt du gehen und dich im Jordan waschen", bevor du wissen kannst, daß du göttlich rein bist.

Dies ist eine tiefe Demütigung; es bringt den Mann des Gesetzes „in Zorn". Alle jene, die sich weiser als Gott dünken, müssen früher oder später ihre Torheit kennen lernen; aber jene, welche sich als Ver­lorene erkennen und bekennen, haben nur ihr Vertrauen auf Jesum zu setzen und sind so rein, als das Blut Christi sie rein zu waschen ver­mag. Dies ist der einfache Weg Gottes zur Errettung. Jesus hat alles getan: Er starb für unsere Sünden nach der Schrift, und Er ist jetzt droben im Himmel als Unterpfand, Bestätigung und Maß der Annahme des Gläubigen vor Gott. Alle, welche durch die Gnade des Heiligen Geistes und auf Autorität der heiligen Schrift ihr Vertrauen auf den gestorbenen und auferstandenen Christus setzen, sind von aller Schuld und Verdammnis ebenso frei, wie Er Selbst. Herrliche, erhabene, be­freiende und völlig befriedigende Wahrheit! 0 möchten alle meine ge­liebten Leser ihre überschwengliche Kraft erfahren! Möchten alle er­fahren, wie groß die Segnung ist, Gott bei Seinem Worte zu nehmen!

Dieses war es, was nach gewaltigem Sträuben Naeman tat. Er lernte nach allem, sein Vertrauen auf „Amana und Pharphar" gänzlich aufzugeben, und sich in einfachem „Gehorsam des Glaubens" dem Zeug­nis Gottes zu unterwerfen. „Da nahten seine Knechte zu ihm, redeten mit ihm und sprachen: Lieber Vater, wenn dich der Prophet etwas Großes geheißen hätte, wür­dest du es nicht tun? Wie vielmehr, so er zu dir sagt:

Wasche dich, so wirst du rein. Da stieg er ab und tauchte sich siebenmal im Jordan, wie der Mann Gottes geredet hatte, und sein Fleisch kam wieder, wie das Fleisch eines kleinen Kindes, und er ward rein" (V. 13. 14). Das war eine gerade und einfache Rede. „Wenn dich der Prophet etwas Großes geheißen hätte, würdest du es nicht tun?" Ohne Zweifel; aber dieses Wort: „Gehe hin und wasche dich," war so demü­tigend, so selbstverleugnend. Es ließ keinen Ruhm für das Fleisch übrig. „Dem der nicht wirkt, sondern glaubt . . ." „Nicht durch Werke, damit sich kein Fleisch rühme."

Dies ist der Grundsatz Gottes, und diesem Grundsatz hatte sich Naeman zu unterwerfen. Er ging und wusch sich im Jordan. Er ge­horchte dem Worte des Herrn. Und was war die Folge? „Sein Fleisch

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 kam wieder, wie das Fleisch eines kleinen Kindes, und er ward rein." In demselben Augenblicke, wo der Sünder sich der Gerechtigkeit Gottes unterwirft, wird diese Gerechtigkeit sein Eigentum; in demselben Augen­blicke, wo er sich auf Christum wirft, ist er so frei, wie Christus ihn frei zu machen vermag. Die Herrlichkeit Gottes erweiset sich in der völligen und ewigen Errettung aller derer, die einfach auf Jesum schauen. Naeman mochte sich zehntausendmal in den Wassern „Amanas und Pharphars" untertauchen — er blieb wie er war; aber in dem Augen­blicke, als er den Weg Gottes einschlug, wurde er so rein, als Gott ihn rein zu machen vermochte. Würde an der Person Naemans, nachdem er sich im Wasser des Jordan getaucht hatte, nur ein einziger Fleck vom Aussatz zurückgeblieben sein, so würde dies eine Unehre auf das Heilmittel Gottes geworfen haben. Es würde einen ewigen Schimpf auf die Herrlichkeit Gottes bringen und all den Mächten der Finsternis eine bleibende Ursache des Triumphes bereiten, wenn ein Sünder auf die Gerechtigkeit vertraute und doch nicht errettet würde.

Es ist wichtig, dieses recht zu verstehen. Zu wissen, daß die Herr­lichkeit Gottes mit meiner völligen Errettung verbunden ist, gibt dem Gewissen einen festen Frieden und dem Herzen eine völlige Befreiung. Ich wünschte dies jedem ängstlichen Gewissen recht tief einzuprägen. Gott ist verherrlicht worden im Wegnehmen der Sünde. Welch eine köstliche Wahrheit für jedes unruhige und bedrückte Herz! Es handelt sich nicht mehr darum, was ich mit meinen Sünden zu tun habe; Christus hat diese Frage schon vor neunzehnhundert Jahren be­antwortet. Das ist genug. Ich ruhe hier in der völligen Gewißheit, daß alles auf eine göttliche Weise und auf ewig in Ordnung gebracht ist. Gott ist verherrlicht — ich bin errettet — der Feind ist zum Schweigen gebracht — ich habe nur mit Freuden meinen. Weg zu wandeln.

Laßt uns jetzt die praktischen Folgen von diesem allen betrachten, Wie wir sie in dem Wege Naemans, nachdem er vom Jordan zurück­kehrte, finden. Nichts kann interessanter sein. „Sein Fleisch kam wieder, wie das Fleisch eines kleinen Kindes, und er ward rein. Und er kehrte wieder zu dem Manne Gottes, samt seinem ganzen Zuge. Und da er hinkam, trat er vor i h n und sprach: Siehe, ich erkenne, daß kein Gott ist in allen Landen, außer in Israel. So nimm nun einen Segen von deinem Knechte. Er aber sprach:

So wahr der Herr lebt, vor dem ich stehe, ich nehme es nicht. Und er nötigte ihn, daß er's nähme; aber er weigerte sich" (V. 15. 16).

Welch eine wunderbare Veränderung bei Naeman von dem Augen­blicke an, wo er an der Tür Elisas umwandte und im Zorn wegging, bis er, gereinigt und gleich einem kleinen Kinde, zu dieser Tür wieder zurückkehrte! Er war, als Vorbild, eine neue Schöpfung. Er stand auf einem neuen Grunde; er war in einem neuen Zustande?. Er hatte sich Gott unterworfen, und er fühlte und offenbarte die köstlichen Folgen eines solchen Tuns. Und so ist es in jedem Falle. Der stolze, hochmütige, sich selbst genügende Gesetzesmensch mag den bittern Zorn seines Herzens völlig gegen einen Heilsplan auslassen, der ihn mit den schlech­testen unter den Menschenkindern auf gleichen Boden stellt, er mag

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 disputieren, rechten, Vorschriften machen; doch sobald er seinen Nacken beugt, sobald er sich dem von Gott bestimmten Wege der Errettung unterwirft, ist alles verändert. Der Unwille und der Zorn des Gesetz­lichen samt der Schuld und der Unreinheit des, Sünders sind zugleich in den Fluten des Jordans zurückgelassen, und er kommt gereinigt und versöhnt, ruhig und demütig zurück, um alles, was er ist und was er hat, dem Dienste des wahren Gottes zu widmen.

Doch, laßt mich fragen, warum weigerte sich Elisa, von Naemans Hand eine Gabe anzunehmen? Aus einem wahrhaft edlen Grunde. Er wollte, daß Naeman mit dem Zeugnisse nach Syrien zurückkehren sollte, daß der Gott Israels nichts von ihm genommen hätte, als seinen Aussatz. Er sollte zurückkehren und erklären, daß sein Silber und Gold im Verkehr mit Dem, der alles umsonst gibt, nutzlos gewesen sei. Elisa wollte den Glanz der göttlichen Gnade nicht durch die Annahme eines Seckels von dem Gelde eines Fremden beflecken. Ach, daß der geldgierige Gehasi die edle Absicht seines Herrn verhinderte! Dieser richtete seinen lüsternen Blick auf das Silber und Gold. Er war gänzlich unfähig, sich zu der Höhe der Gedanken seines Herrn zu erheben. Er verstand nicht die heilige Macht der göttlichen Gnade. Er sehnte sich nach Naemans Golde. „So wahr der Herr leb t," sagte er, „ich will ihm nachlaufen und etwas von ihm nehmen" (V. 20). Er konnte nicht, gleich seinem Herrn sagen:

„der Herr, vor welche mich steh e." Elisa stand in der Gegenwart des Herrn — einatmend die Atmosphäre der Gnade. Hierin lag das Geheimnis seiner moralischen Erhebung und seiner heiligen Uneigen­nützigkeit. Gehasi aber liebte das Geld, und darum beachtete er nicht, wie er den Glanz dieser Gnade, welche den Pfad Naemans, des Syriers, bisher umleuchtet hatte, verdunkelte. Er wollte ihn seine Reinigung be­zahlen lassen. Er vergaß, daß es nicht die Zeit war, „Geld und Kleider zu nehmen" (V. 26). Unglücklicher Mann! Er erreichte den Wunsch seines Herzens; aber als „er von seinem Herrn hinaus­ging, war er aussätzig, so weiß wie Schnee" (V.27). Schreckliche Warnung für alle, welche das Geld lieb haben! Die, welche das Geld dieser Welt haben wollen, müssen auch den Aussatz dieser Welt haben. Eine ernste, feierliche Erwägung!

Doch wenden wir uns von dieser traurigen Betrachtung des Gehasi mit seinem Herzen voll Habsucht hinweg und betrachten Naeman mit seinem Herzen voll Dankbarkeit und Lob gegen den Gott Israels. Der Kontrast ist in der Tat sehr groß und schlagend. Naeman kam von Dem, der ohne Geld und ganz umsonst, vollkommen seinem Bedürfnis begegnet war. „Möchte denn," sagte er zu Elisa, „dei­nem Knechte nicht eine Last, so viel als zwei Maul­tiere tragen können, von dieser Erde gegeben wer­den? denn dein Knecht will nicht mehr ändern Göt­tern Brandopfer und Schlachtopfer darbringen, sondern dem Herr n" (V. 17). So stand es mit Naeman. Er hatte als ein unreiner Aussätziger seine Heimat verlassen, und als ein ge­reinigter Anbeter kehrte er dorthin zurück. Welch eine Veränderung! Und alles war in einem Augenblicke geschehen, sobald er den Weg Gottes eingeschlagen hatte. Das Werk war von Gott, und Naeman hatte

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 nur sein Haupt zu beugen und anzubeten. Sobald er seinen Aussatz zurückgelassen hatte, wünschte er einen Altar mitzunehmen, auf wel­chem er dem wahren Gott Opfer darbringen wollte.

Soviel . über die praktischen Folgen in Betreff der Anbetung. Laßt uns jetzt noch ganz kurz die Frage des Wandels erwägen. Es ist einleuchtend, daß Naeman mit diesem letzten Punkte beschäftigt war. In seiner Seele waren neue Quellen von Gedanken und Neigun­gen erweckt worden. Es war ein Gefühl der Verantwortlichkeit in ihm hervorgerufen, was ihm bis dahin ganz fremd geblieben war. Bis zu seiner Reinigung waren alle seine Gedanken auf diese eine Sache, die Befreiung vom Aussatz, gerichtet gewesen; jetzt aber beschäftigte ihn die große Frage in Betreff seines Wandels vor dem Einen, welcher ihn gereinigt hatte. „Nur darin wolle der Herr deinem Knechte gnädig sein: wenn mein Herr in das Haus Rimmon geht. daselbst anzubeten, und er sich an meine Hand lehnet, und ich auch in dem Hause Rimmon anbete, so wolle solches, mein Anbeten, der Herr deinem Knechte vergeben" (V. 18).

Dieser Vorbehalt stand weit unter dem wahren Charakter eines christlichen Wandels. Die völlige Unterwürfigkeit kennt keinen Vorbe­halt; sie sucht nie einen Ausweg; sie wünscht nie, daß ein leichterer Weg vorgeschrieben würde. Wenn jemand fragt: „Darf ich dieses tun? Ist es unrecht, dieses zu tun? Was schadet es, wenn ich es so oder so mache?" so ist es ganz sicher, daß Christus noch nicht Seinen wahren Platz in einem solchen Herzen bekommen hat. Wenn mein ganzes Herz mit Christo erfüllt ist, so mache ich Ihn Selbst zu meiner Richtschnur, meinem Vorbilde, meiner Standarte, meinem Prüfstein in allen Dingen. Die Frage ist dann nicht: „Was schadet es?" sondern: '„Ist es Christus?" Du kannst versichert sein, daß es eine elende, jämmerliche Sache ist, zu fragen, wie weit ich mit meiner Selbst-Verschonung gehen kann, ohne meine ewige Seligkeit aufs Spiel zu setzen. „Leben ist für mich Christus." Das ist wahres Christentum. 0 möchten wir stets dessen Macht erproben und dessen Früchte offenbaren!

Schließlich finden wir in der kurzen Antwort Elisas an Naeman noch eine tiefe und beherzigenswerte Aufgabe. Er stellt ihn nicht unter eine strenge Regel oder gesetzliche Anordnung. Dieses zu tun würde der Gnade Gottes ebenso fremd sein, als für seine Reinigung Gold zu nehmen. Alles muß frei sein. Er durfte nicht ein Joch auf den Nacken eines solchen legen, der bis dahin nur ein Gegenstand der Gnade ge­wesen war. Er konnte nicht sagen: „Gehe," denn dadurch würde er den Götzendienst bestätigt haben; noch konnte er sagen: „Gehe nicht!" denn dadurch würde er das Gesetz bestätigt haben. Das erste würde eine Verleugnung des Daseins Gottes und das letztere eine Verleug­nung Seiner Natur gewesen sein. Bemerke denn wohl, was der Pro­phet sagt; bemerke seine bewunderungswürdige Antwort. „Gehe in Frieden!" Er wirft den Naeman auf die Gnade zurück, welche er schon erfahren hatte. Er bringt ihn nicht unter irgend eine Knechtschaft. Er läßt einen weiten Raum für die liebliche Handlung der persönlichen Verantwortlichkeit, die in keinem Falle mit irgend etwas vermengt werden sollte. Die Erwiderung des Propheten war vorzüglich berech-

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 net, in der Seele Naemans die heilsamste Wirkung hervorzubringen. Sie war berechnet, die Frage in ihm zu erwecken: „Kann ich in den Tempel Rimmon in Frieden gehen?-' Welch eine erforschende Frage! Welch eine heilsame Übung! Konnte er wirklich von dem Altar in Frieden in den Götzentempel gehen? Konnte er den Altar der Erde mit dem Hause Rimmons verbinden? Das Herz, welches nur ein wenig von der Kostbarkeit Christi geschmeckt hat oder den starken Zug Seiner Liebe kennt, wird bei allen solchen Fragen nicht in die geringste Verlegenheit kommen.

Möge der Heilige Geist diese interessante und lehrreiche Erzählung Naemans des Syrers dem Herzen des Lesers recht klar vorstellen und darin zur Anwendung bringen. Es ist in der Tat ein fruchtreiches Ka­pitel der heiligen Schrift. Es zeigt uns die Tiefe des menschlichen Ver­derbens — die Wertlosigkeit aller seiner gesetzlichen Anstrengungen — die Freiheit der Gnade Gottes — die Wirksamkeit des Werkes Christi die köstliche Frucht einer anerkannten Errettung und den wahren Grundsatz eines christlichen Wandels.

Möge der Herr Sein Wort segnen, so wird Sein' Name gepriesen werden!

Ist Christus auch für mich?

Vor einiger Zeit traf ich zufällig mit jemanden zusammen, der in einer sehr einfachen Weise über die .so manches Herz beunruhigende Frage der Anwendung des Werkes Christi sprach. Es ist vielen Seelen nützlich gewesen und in der Hoffnung, daß dies auch noch ferner der Fall sein möge, will ich es hier einfach mitteilen. Er erzählte Fol­gendes: „Ein lieber Knabe, dessen geistliches Wohl mir sehr am Herzen lag und es auch noch tut, wurde mehrere Tage durch die Frage beun­ruhigt: Wie kann ich wissen, daß Christus für mich starb? Er kannte einen großen Teil der Wahrheit. Dem Verstande nach war er so klar und so gut unterrichtet, daß er fähig war, jede falsche Darstellung in einem Traktat oder in einer anderen Lektüre aufzufinden. Er war mit dem Heilsplan ganz genau bekannt und an der Frage des Christentums zeigte er im Allgemeinen großes Interesse. Doch hatte er keinen per­sönlichen Genuß an Christo; er konnte sein eigenes Interesse an Ihm nicht erkennen. Seine große und beständige Schwierigkeit fiel in dieser einen Frage zusammen: Wie kann ich wissen, daß Christus auch für mich starb?

Wie so oft, gefiel es auch jetzt dem Herrn, durch eine ganz einfache Sache das Herz des Knaben zu erleichtern. Er saß eines morgens neben mir in meinem Zimmer, und wir unterhielten uns über den Gegenstand seiner Errettung. Er sagte unter anderem, daß er überzeugt sei, daß Christus für Sünder gestorben wäre; aber er könnte nicht die Überzeu­gung gewinnen, daß dies auch für ihn sei. — Von meinem Fenster aus war auf dem Bahnhof eine große Tafel aufgerichtet, worauf folgende

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 Worte zu lesen waren: „Kinder unter sechs Jahren fahren frei." Ich richtete seine Aufmerksamkeit auf diese Worte und fragte ihn: „Wenn du ein Kind unter sechs Jahren wärst, würdest du dann irgendwelche Schwierigkeiten haben, jene Worte auf dich anzuwenden? Würde es dir nicht vielmehr schwer, ja unmöglich sein, sie nicht auf dich anzuwen­den? Bevor du diese Anwendung verweigern könntest, müßtest du be­weisen, daß du mehr als sechs Jahre alt wärest. Jedes Kind unter sechs Jahren wird jene Verordnung ebenso völlig und so sicher auf sich an­wenden, als wenn es das einzige Kind in der Welt wäre. Freilich ist es wahr, daß du auf jener Tafel nicht deinen Namen findest; doch wenn du ihn fändest, so würde es dir dennoch nichts helfen können, da ja möglicherweise noch ein anderes Kind denselben Namen tragen könnte, — du würdest stets ungewiß sein. Wenn du aber dein Alter, deinen Zustand, deine Stellung siehst, so kannst du weiter keine Schwierigkeit haben. Du magst dich weigern, deinen Platz zu nehmen, aber du kannst die Überzeugung nicht von dir weisen, daß es dich angeht.

Laß uns nun diese Sache auf den wichtigen Gegenstand unserer Unterredung anwenden. Ich lese in 1. Tim. 1. 15: „Das Wort ist treu und aller Annahme wert, daß Christus Jesus in die Welt gekommen ist, Sünder zu erretten." Bist du ein Sünder? „O, ja!" sagte er, „das bin ich in Wahrheit." „Nun, wenn du im Herzen und im Gewissen auf dem Grunde eines verlorenen Sünders stehst, dann ist Christus gekom­men, um dich zu erretten; ebenso sehr, als wenn du der einzige Sün­der in der Welt wärest. Du mußt zuerst beweisen, daß du kein Sünder bist, bevor du die Anwendung der Botschaft des Evangeliums auf dich verweigern kannst. Das Evangelium wendet sich an alle verlorenen Sünder. Es ist für dich, um es zu glauben und dich in der Anwendung zu erfreuen."

Der Geist Gottes segnete diese Unterhaltung. Die einfache Wahrheit des Evangeliums fiel gleich einem Sonnenstrahl in die Seele des Kna­ben und er kniete an meiner Seite nieder und dankte Gott, daß er jetzt wüßte, was er so lange vergeblich zu wissen gesucht hatte, daß näm­lich Christus auch für i h n starb. Es war ein klarer, bestimmter und unverkennbarer Fall. Kurz nachher sagte er zu einem Freunde: „Weißt du, daß alle Teufel in der Hölle jetzt meinen Glauben nicht erschüttern können?" „Wirklich!" sagte der Freund, erstaunt über diesen kühnen Ausspruch aus dem Munde eines Solchen, der so viel von Zweifel und Furcht 'gequält worden war; „wie kommt denn das?" „Weil mein Glaube auf das Wort Gottes gegründet ist!" gab er zur Antwort. — Gesegnete Grundlage! Nicht auf das Gefühl; nicht auf Ver­nunftschlüsse, nicht auf Folgerung, sondern einfach auf das Wort Got­tes! Das ist genug. „Christus ist für unsere Sünden gestor­ben nach den Schriften; Er ist begraben worden, und Er ist am dritten Tage auferstanden nach den Schriften" (1. Kor. 15, 3. 4).

Möge der Herr diesen einfachen Vorfall an vielen ängstlichen See­len segnen, so wird Sein Name gepriesen werden!

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Johannes 4 Das Werk habe ich vollbracht

(Joh. 17,4)

In dem" uns mitgeteilten Gebet des Herrn, in Joh. 17, lesen wir die gesegneten "Worte: „Ich habe Dich auf der Erde verherr­licht; das Werkhabe ich vollbracht, welches Du mir gegeben hast, daß ich es tun sollte" (V. 4). Diese Worte of­fenbaren uns die sichere und feste Grundlage, worauf der Gläubige vor Gott gestellt ist. Das Gewissen ist hier zum Schweigen und das Herz zur Ruhe gebracht. Gott Selbst findet in Betreff unserer Sünde in diesem Werke Seine Ruhe. Er ist völlig darin verherrlicht, und jeder Sünder, mögen seine Sünden auch blutrot sein, der- Ihm hier im Glau­ben begegnet, findet vollkommene Gnade und Liebe. Alles Gericht ist vorüber; die Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes findet keinen Tadel an ihm. Beides ist, anstatt gegen ihn, für ihn. Dieses durch Christum vollbrachte Werk ist von Gott Selbst ausgegangen; Er ist die Quelle desselben: „... welches Du mir gegeben hast, daß ich es tun sollte." Jesus gab Sich — o Dank Seiner Liebe! — freiwillig zum Opfer hin; aber zugleich ist es Gott, der Ihn für uns dahingegeben hat. „Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß Er Sei­nen eingeborenen Sohn dahingegeben hat, auf daß jeder, der an Ihn glaubt, nicht verlorengehe, sondern ewiges Leben habe" (Joh. 3, 16). Und wiederum: „Der doch Seinen Eigenen Sohn nicht verschont, sondern Ihn für uns alle hingegeben ha t" etc. (Röm. 8, 32).

Das Werk Christi ist also nach dem Willen Gottes — es ist die Gabe Gottes — es ist vollbracht durch Christum, und ist bezeugt durch den Heiligen Geist. Dieses alles offenbart uns die Vollkommenheit — die göttliche Vollkommenheit dieses Werkes; und auf Grund desselben kann Gott die Gottlosen recht­fertigen, Christus uns vertraten und für uns bitten, und der Heilige Geist uns heiligen. Haben wir unser Vertrauen völlig auf dieses Werk gesetzt, so kann weder die Vergangenheit, noch die Gegenwart, noch die Zukunft uns beunruhigen, noch kann durch irgend etwas die Ge­rechtigkeit Gottes gegen uns aufgeweckt werden. Gott ist verherrlicht, die Sünde ist getilgt — alles ist Friede. Wir können stets mit Zuversicht ausrufen: „Wenn Gott für uns ist, wer mag wider uns sein? . . . Christus ist es, der gestorben, ja noch mehr, der auch auferweckt, der .auch zur Rechten Gottes ist, der auch für uns bittet. Wer wird uns scheiden von der Liebe des Christus" (Röm. 8, 31. 34).

Es ist bemerkenswert, daß Jesus in dem oben erwähnten Gebete ' von Seinem Werke als von einem vollendeten redet: „Das Werk habe ich vollbracht." In Vers 11 sagt Er: „Ich bin nicht mehr in der Welt," und in Vers 12: „Als ich bei ihnen in der Welt w a r" ... Schon vom 13. Kapitel an nimmt Jesus Seine Stellung nach der Vollendung Seines Werkes, zur Rechten Seines Vaters ein. Von dort aus ist Er für die Seinigen beschäftigt, wäscht ihnen die Füße, ver­kehrt mit ihnen und bittet für sie zum Vater. Dies alles aber offenbarte Er im Voraus solange Er noch in der Welt war, damit die Seinigen es sehen und hören und sich freuen möchten. Dies bezeugt Er Selbst in

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 Vers 13: „Ich rede dieses in der Welt, auf daß sie meine Freude völlig in sich haben" (V. 13). Welch eine Liebe! Was Er redet, was Er tut, was Er offenbart geschieht deshalb, wie wir auch an anderen Stellen finden, damit wir Seine Freude in uns haben möch­ten und unsere Freude völlig sei." Wenn wir in Kapitel 17 Sein Gebet zum Vater in Betreff der Seinigen hören, so wissen wir, was Er jetzt für uns bittet, nachdem Sein Werk vollendet ist und Er zur Rechten Gottes sitzt. Er kann jetzt mit aller Freimütigkeit von uns zum Vater reden; Er kann Sein ganzes Herz offenbaren, und die ganze Innigkeit und Fülle der Liebe gegen die Seinigen vor dem Vater ausströmen lassen. Die Sünde und Unreinigkeit ist kein Hindernis mehr; Sein Werk hat jedes Hemmnis für immer beseitigt. Die Seinigen können in glück­licher Ruhe dasitzen und hören, was Er in Betreff ihrer zum Vater redet. Und sie hören nichts, was sie beunruhigen könnte; kein Wört­chen kommt über Seine Lippen, was im Stande wäre, ihnen auch nur einen Schatten von Furcht einzuflößen. Nicht die geringste Anklage, nicht der leiseste Tadel wird gehört; ihrer Mängel und Gebrechen er­wähnt Er mit keinem Worte. Alles, was Er sagt, offenbart nur Seine unendliche Liebe und Fürsorge für die Seinigen — Alles betrifft ihre Erhaltung und ihre Segnung. Mag es sich um die Vergangenheit, Ge­genwart und Zukunft der Seinigen handeln — Seine Gnade, Liebe und Güte hat alles ausgefüllt. Sein Werk hat sie errettet; Er übergibt sie dem Vater zur Verwahrung; Er bittet für ihre Einheit untereinander und mit Ihm und dem Vater, und Er begehrt, daß Seine Eigene Herr­lichkeit völlig das Teil ihrer Segnung sei. 0 wie glücklich ist der, der diese unaussprechlich gesegneten Worte des Herrn hört und sagen kann:

Sie sind auch für mich; auch ich soll sie hören, damit meine Freude völlig sei! Doch wie schwach ist das Vertrauen und wie mangelhaft die Erkenntnis des Herrn und Seines Werkes derer unter den Seinigen, die diese Worte hören und immerfort mit einem unruhigen Gewissen und einem mit Furcht erfülltem Herzen einhergehen!

Es kann aber der Herr nur auf Grund Seines Eigenen Werkes mit solcher Freimütigkeit zum Vater reden. Sein Werk allein hat uns so nahe gebracht und in eine solch gesegnete Stellung vor Gott gesetzt, daß Er in vollkommener Ruhe von Seiner Liebe und Treue gegen uns und von unseren himmlischen Segnungen reden kann. Er hat nicht mehr nötig, von unseren Sünden vor Gott zu reden; denn Er Selbst hat sie völlig getilgt. Sogar das heilige Auge Gottes sieht nicht einen Flecken an den Seinigen. Sie sind so rein, als Sein Blut sie rein zu waschen vermochte und sind so vollkommen, als Sein Werk sie vollkommen ma­chen konnte. Sie sind bekleidet mit der Gerechtigkeit Gottes; ihre Stel­lung ist Christo Jesu gemäß. Er nahm unseren Platz ein und erduldete, was wir verdient hatten, und brachte uns an Seinen Platz, um zu emp­fangen, was Er verdient hat. 0 bewunderungswürdige Gnade und Liebe! 0 Jesu, Name ohne Gleichen! Haben die Seinigen in sich selbst auch keinen Wert, so sind sie doch Seinem Herzen unendlich teuer. Der Vater hat sie Ihm gegeben, und Er hat sie mit Seinem Eigenen Blute vom Verderben erlöst und sie in Seine gesegnete Stellung ge­bracht — eine Stellung, wo jetzt schon für den Glauben nichts anderes übrig bleibt, als zu bewundern, zu preisen und anzubeten.

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 Doch nicht allein vor dem Vater kann Jesus so freimütig von den Seinigen reden, sondern auch jedem Feinde und allen Anklagen gegen­über. „Wer ist, der verdamme? — Christus ist es» der gestorben, ja noch mehr, der auch auferweckt, der auch zur Rechten Gottes ist, der auch für uns bittet." Wir sehen in Joh. 9, daß Seine Arme geöffnet waren, um den Blind­geborenen, der seines Bekenntnisses wegen aus der Synagoge gestoßen wurde, zu empfangen und ihm den Sohn Gottes zu offenbaren (V. 35—37), und Er konnte vor den Pharisäern mit aller Zuversicht von den Seini­gen bekennen: „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie gehen nicht verloren ewig­lich, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen" (Joh. 10, 27. 28). Überall kann Er mit solcher Bestimmtheit von den Seg­nungen der Seinigen reden. Nichts kann Ihn daran hindern; Sein Werk hat sie in eine Stellung gesetzt, die durch nichts angetastet werden kann. — „Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? So können alle triumphierend ausrufen, die das gesegnete Wort des Herrn: „Das Werk habe ich vollbracht!" gehört und geglaubt haben.

2. Petrus 3  Das Kommen des Herrn und der Tag des Herrn

(2. Petr. 3)

Es mag manchem Leser beim Betrachten dieses Kapitels fremd er­scheinen, daß der Geist Gottes hier, anstatt zuerst vom Kommen des Herrn zu reden, sogleich mit dem Tag des Herrn beginnt. Dieser Ab­schnitt der heiligen Schrift, sowie andere der Art, haben beim ober­flächlichen Lesen nicht selten Veranlassung gegeben, beides miteinan­der zu verwechseln. Doch wir können immer versichert sein, daß die Torheit Gottes weiser ist als die Menschen (1. Kor. 1. 25). Petrus schreibt hier an solche, die früher zu den Juden gehörten und deshalb mit dem Gedanken „des Tages des Herrn" vertrauter waren; denn. im Alten Te­stamente ist viel von demselben, als von dem schrecklichen Tage der göttlichen Handlung mit der bewohnten Erde, die Rede; und gerade um diesen Punkt handelt es sich hier. Es ist nicht nur die Zeit, wo die Menschen auferweckt, um vor dem großen, weißen Throne gerichtet zu werden. Der Tag des Herrn ist die Handlung Gottes mit der Welt, wie sie ist; er beendet ihren Lauf; er hemmt ihr Dichten und Trachten, ihre Geschäfte und ihre Spekulationen, ihre Freuden und Lustbarkeiten, und fordert Rechenschaft von ihnen. Das Alte Testament beschäftigt sich mit dem Menschen auf der Erde und legt deshalb große Wichtig­keit auf „diesen Tag." Das Gericht des großen, weißen Thrones ist außerhalb der Welt. Himmel und Erde werden dann verschwunden sein. Dies Gericht steht nicht in Verbindung mit der Zeit, sondern führt in die Ewigkeit ein.

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 In dem vorliegenden Kapitel tritt uns die Weisheit Gottes auf eine so deutliche Weise entgegen. Diese Menschen, wovon hier die Rede ist, spotten nicht über den Tag des Herrn — sogar ein unbekehrter Jude, mit dem Alten Testament in seiner Hand, würde sich gefürchtet haben als ein Verächter desselben erfunden zu werden — sondern sie sagten:

„Wo ist die Verheißung Seiner Ankunft" (V. 4)? Ihr Christen wartet auf die Ankunft Christi, um dadurch glücklich gemacht zu werden. Ihr seid das elendeste Volk in der Welt; ihr erfreut euch an nichts; ihr trennt euch von allen Interessen und Vergnügungen; ihr tadelt alles, nicht allein unsere bösen Wege, sondern auch unsere besten Bestrebungen; und nach allem — Er kommt nicht. Wo ist die Verhei­ßung Seiner Ankunft? Durch jene Vorwürfe wird in Wahrheit der Platz bezeichnet, auf welchen das Kommen des Herrn den Christen stellt.

Was sagt nun der Geist Gottes von denen, welche die Hoffnung der Heiligen leugnen. Er redet nicht mit ihnen über diese Hoffnung der Christen, einen Gegenstand, den sie gering schätzen, sondern Er warnt sie vor einer schrecklichen Szene, die sie vergessen hatten; Er redet zu ihnen von dem „Tage des Herrn." Er übergeht den Gegenstand der Hoffnung der Versammlung und des Christen — das Kommen des Herrn, um uns zu Sich aufzunehmen, um uns von dieser traurigen Szene hie­nieden hinweg in den Himmel zu versetzen und uns in Frieden und auf ewig gesegnet vor dem Vater darzustellen. In dem zweiten Briefe Petri geht der Heilige Geist in diesen köstlichen Gegenstand nicht ein. Wohl gibt Er uns in Juda, Vers 24, einen kleinen, vorübergehenden Schimmer von den Segnungen der Heiligen vor Gott, indem Er sagt: „D e m a b e r, der euch ohne Anstoß zu bewahren, und euch vor Sei­ner Herrlichkeit tadellos mit Frohlocken darzustel­len vermag . . . ." Hier haben wir einen Blick in die tiefe, innere Freude des Heiligen Gottes, wovon die Welt nichts weiß. Sie weiß nichts von dem, was den Christen in der Gegenwart Gottes, des Vaters, erfreut, noch will sie etwas von dem Kommen des Herrn wissen, welches uns in jene Segnung einführt. Doch wird die Welt den Tag des Herrn se­hen. Wenn dieser Tag erscheint, dann wird der Herr alle die Seinigen im Himmel haben, im vollen Glänze und im vollkommenen Genuß der Freude 'im Hause des Vaters. Darnach wird Er sie hervorbringen, und sie in der Herrlichkeit Seines Vaters vor den Engeln und der Welt dar­stellen, worauf dann das vergeltende Gericht stattfinden wird.

Der Herr wird dann vom Himmel hernieder kommen und mit den Menschen handeln inmitten ihrer Wege, ihrer Geschäfte und Pläne hier unten. — Dies ist es, womit sich der zweite Brief Petri beschäftigt. Ihr spottet, sagt er gleichsam, über unsere Hoffnung; aber ich will euch an eure Furcht erinnern, und wenn ihr davon höret, so möget ihr zittern. Dies Eine sei euch nicht unbekannt, (und die Geliebten Gottes mögen wohl daran denken) daß ein Tag bei dem Herrn ist, wie tausend Jahre, und tausend Jahre, wie ein Tag (V.- 8). Der Herr kann die Ereignisse auf eine erstaunliche Weise zusammendrängen, sodaß die, welche einen Zeitraum von tausend Jah­ren zu erfordern scheinen, auf einen einzigen Tag zusammenfallen, während Er die Ereignisse eines Tages in die Dauer von tausend Jan-159

 ren auszudehnen vermag. Der Herr ist in der Erfüllung Seiner Verhei­ßung nicht lässig; Er ist bereit, den schrecklichen Schlag zu tun, der auf diese Welt fallen wird; „doch Er will nicht, daß irgend welche umkommen, sondern daß alle zur Buße k o m -m e n." Dies verwirft die schreckliche Meinung, daß irgend ein Mensch nach dem Vorsatz Gottes geschaffen sei, um in die Hölle geworfen zu werden. Gott wünscht im Gegenteil, zu erretten. Sein Herz jammert über die Menschen und Er wartet auf sie. Er ladet sie ein, Er sendet ihnen das Evangelium, um es aufzunehmen. Ohne Zweifel ist es Gnade, und nur Gnade, welche eine Seele für die Liebe Gottes erweckt; aber es ist die Sünde, der Unglaube des Menschen, der ihn in der Verwer­fung Seiner Gnade gefangen hält.

Ob nun der Verzug kurz oder lang sei, ob er tausend Jahre oder einen Tag dauere — „der Tag des Herrn wird kommen, wie ein Dieb in der Nacht." Er wird plötzlich hereinbrechen und wird dieser Welt ganz und gar unwillkommen sein. Er umfaßt den ganzen Zeitraum von dem Kommen des Herrn zum Gericht bis zu dem großen, weißen Throne. Ehe dieser Tag beschlossen wird, „werden die Him­mel mit gewaltigem Geräusch vergehen, die Ele­mente aber durch Brennen der Hitze aufgelöst, und die Werke auf ihr verbrenne n" (V. 10).

„Weil denn dieses alles vergeht, welche sollt ihr denn sein in allerlei heiligem Wandel und Gottse­ligkeit" (V. 11). Wir mögen es fühlen und sollen es auch fühlen, was der Mensch in seinem Gespött gegen die Wahrheit Gottes ist. Doch die beste Antwort auf dies alles ist die Wirkung, welche auf unsere Seele und unsern Wandel hervorgebracht wird, sowohl durch die Erkenntnis jener Hoffnung, als auch durch das Bewußtsein des schrecklichen Ge­richts, welches jene erwartet, die nicht nur die Rechte Gottes, sondern auch Seine Gnade verwerfen. Der Herr zeigt uns hier die Wirklichkeit davon. „Welche sollt ihr denn sein... erwartend Und beschleunigend die Ankunft des Tages Gottes" (V. 12). Das ist: wir wünschen nicht um unseretwillen den Aufschub dieses Ta­ges, sondern wir lieben die Langmut Gottes gegen die Menschen; und dies beruhigt unsere Herzen über diesen Aufschub, während wir uns persönlich nach der Ankunft des Herrn sehnen; denn wir wissen, daß, wenn Er gekommen ist und uns mit allen Heiligen weggenommen hat, der Tag Gottes bald über die Erde hereinbrechen muß.

„Wir erwarten aber nach Seiner Verheißung neue Himmel und eine neue Erde, in welchen die Gerech­tigkeit wohnt" (V. 13). Dies gibt uns den Schlüssel zu den Briefen Petri. Gerechtigkeit ist der leitende Gedanke, sowohl in diesem als in dem ersten Briefe. Das Kommen des Herrn für die Seinigen ist nicht die Darstellung der Gerechtigkeit, sondern die Entfaltung Seiner Gnade. Mit uns, welche Er erwählt hat, bei Ihm zu sein, hat Er in völliger und himmlischer Gnade begonnen und wird damit endi­gen. Aber hier haben wir den Tag des Herrn, welcher sogar für uns einen Anblick der Gerechtigkeit darbietet. Wenn aber dieser .erscheint, werden w i r offenbart sein. „Der Tag wird offenbar." Es ist die Zeit, wo wir für unsere Leiden und unsere Treue hienieden Belohnung fin­den werden; und es ist zugleich die Zeit, welche offenbar "machen wird,

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 wo wir untreu -waren und warum wir fielen. Der Tag des Herrn wird nicht eher geschlossen werden, bis alles Böse verbannt und die Gerech­tigkeit eingeführt und befestigt, und bis alle Feinde verschwunden sind. Dieser Tag offenbart eine ebenso vollkommene Gerechtigkeit, wie Sein Kommen die vollkommene Gnade offenbart. Es ist nirgend gesagt, daß die Welt das Kommen des Herrn in Bezug auf Seine Heiligen sehen wird; doch wird sie ohne Zweifel diese vermissen. Die Ermahnung der Gnade wird alsdann beendigt sein, obgleich noch ein Zeugnis von dem kommenden Reiche und dem Gericht stattfinden wird und einige Her­zen dasselbe aufnehmen werden; doch nicht einen Schimmer von Hoff­nung bietet die Schrift denen dar, welche jetzt das Evangelium ver­werfen.

Mitteilungen über das Werk Gottes in unseren Tagen

Amerika

New-Yersy. — Folgender Brief ist von einem jungen Matrosen an Herrn Steward geschrieben: „Werter Bruder in Christo! Ich grüße Sie im Namen unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi. Ich bin noch immer durch die Gnade meines himmlischen Vaters auf dem Wege zu Jesu. Ich habe viel Ursache, meinen Gott zu preisen wegen der Gnade, die Er mir durch die Erhörung meines Gebetes gegeben hat.

Als ich zum ersten Mal auf dieses Schiff kam, wandte ich mich mit der Bitte an den Kapitän, ob er mir erlauben wolle, eine Betstunde auf demselben zu halten. „Nein," war seine Antwort. Meine Hoffnung schwand; doch Gott stand mir bei. Er erhörte mein Gebet, wiewohl ich nur eine geringe Erkenntnis von Seiner Liebe hatte. Als wir etwa sechs Wochen auf der Reise waren, hatte ich an einem gewissen Tage ein Ge­spräch mit dem Anstreicher des Schiffes. Ich konnte meinem Gott dan­ken; denn durch die Gnade Gottes wurde ich das Werkzeug zu seiner Bekehrung. Er geht im Glauben voran und dient mit aller Treue seinem Herrn. Seitdem er bekehrt war, flehten wir beide gemeinschaftlich zu dem Herrn, daß Er uns den Weg zu den Herzen der Anderen öffnen möge. Bald nachher schlössen sich fünf Andere dem Gebete an und wurden wahrhaft bekehrt. Von jetzt an versammelten wir uns auf dem Verdeck und sangen unsere Lieder. Dies dauerte wieder einige Zeit, als wieder zwei andere Seelen bekehrt wurden, und dann gingen wir in den mittleren Raum des Schiffes, wo wir bis jetzt verweilt haben. Und obgleich wir um keine Erlaubnis gebeten haben, so stört uns doch niemand; weder der Kapitän noch der Offizier sagen etwas; sie lassen uns gehen. 0, der Herr ist ein Erhörer der Gebete! Gedenken Sie doch unserer stets vor Ihm, geliebter Bruder!"

New York. — In einer Versammlung von Gläubigen sagte ein junger Mensch: „Nichts trifft so sehr das Herz eines unbekehrten Soh­nes, als das Gebet seiner Mutter. Ich bin immer tief bewegt, wenn ich eine Mutter für ihre unbekehrten Kinder beten höre. Vor zwei Jahren

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 fragte mich meine Mutter, als ich an einem gewissen Morgen ausgehen wollte, ob ich wohl wüßte, welch eine wichtige Zeit für mich sei, und .welch eine große Verantwortlichkeit auf mir ruhe, da der Herr jetzt um mich her so viele Seelen bekehre? Ja, sie sagte mir mit Tränen in den Augen, daß es ein ernster Augenblick für meine Seele sei.

Mein Herz aber blieb bei diesem allen gleichgültig. Sie bat mich, in eine Gebetsstunde zu gehen; ich gab ihr aber keine Antwort. Sie wiederholte ihre Bitte und ermahnte mich, doch hinzugehen. „Gehe, mein Sohn," sagte sie; als ich aufstand, um hinzugehen, „gehe und be­halte dies: „Ich werde für dich beten."

Ich lief durch die Straßen, gleichgültig über alles, was sie zu mir gesagt hatte, ausgenommen über das eine Wort: „Ich werde für dich beten." Es klang mir stets in den Ohren und erschreckte mich. Ich ging in die Betstunde und hörte den ganzen Abend nichts anderes als: „Ich werde für dich beten." Diese Worte konnte ich unmöglich vergessen. Sie verfolgten mich überall, und ich fand nicht eher Ruhe, bis ich all meine Empörung und Feindschaft zu den Füßen des Heilandes nieder­gelegt und mich selbst als ein verlorener und armer Sünder in Seine Arme geworfen hatte. O! das Gebet meiner Mutter! — nichts traf mein Herz, als diese Worte. Möchte meine Geschichte eine Ermahnung an alle gläubigen Eltern sein, für ihre Kinder zu beten. Der Herr wird er- > hören. Ich stehe hier vor euch als ein lebendiges Zeugnis von der Er­hörung des Gebets einer Mutter."

In derselben Versammlung stand ein anderer auf und sagte Fol­gendes:

„Ich befinde mich auf einer hohen Schule und bin erst seit einem Jahr bekehrt. Bei meiner Bekehrung befanden sich meine Eltern noch außerhalb der Arche der Errettung. Unter meinen Mit-Studierenden wa­ren noch acht, deren Eltern unbekehrt waren. Die Geschichte von einem derselben will ich hier mitteilen. Sein Vater war ein sehr welt­licher, trotziger und hartherziger Mann. Er hatte seinem Sohne eine Erziehung geben lassen, die nur dazu berechnet war, eine glänzende Stellung in dem bürgerlichen Leben einzunehmen. Als aber der Augen­blick kam, wo dieser selbst einen Beruf wählen sollte, sagte er ganz offen zu seinem Vater, daß er nicht die Rechte, sondern Theologie zu studieren wünsche.

„Was, du wünschest Theologie zu studieren? Du?" fragte sein Va­ter in Wut.

„Ja, ich wünsche es von Herzen," antwortete der Sohn.

„Um ein Prediger, ein armer Prediger zu werden?"

„Um ein guter Prediger des Evangeliums zu sein."

„Und habe ich dich dafür erzogen?"

„O nein, dafür nicht! Aber ich glaube, daß es mein Beruf ist, das Evangelium zu verkündigen."

„Und du denkst nach der Universität zu gehen?"

„Wenn der Herr will, ja."

„Dann schließe ich dich in diesem Augenblicke von der Erbschaft als Sohn gänzlich aus; ja, ich enterbe dich für immer."

„Hoffentlich, nicht für immer," sagte der Sohn ruhig. — Er kam nun zur Universität und war mit mir einer von den neun Studierenden, welche jeden Abend gemeinschaftlich um die Bekehrung ihrer Eltern

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 beteten. Mit Ausharren haben wir gebetet, und ich kann euch zu mei­ner großen Freude mitteilen, daß alle diese unbekehrten Eltern gläubig geworden sind.

Es ist mir nicht möglich, euch das Zusammentreffen des enterbten Sohnes mit seinem bekehrten Vater zu schildern! Sobald dessen Be­kehrung stattgefunden hatte, begegneten sie sich, — aber welch eine Veränderung! 0, ihr gläubigen Kinder, die ihr noch unbekehrte Eltern habt, werdet nicht müde, für ihre Bekehrung zu beten! Der Herr leitet die Flüsse wohin Er will; Er hat die Herzen in Seiner Hand, und er ist mächtig, die Herzen, der Eltern zu Euch zu kehren, wie Er Eure Her­zen zu den ihrigen gekehrt hat."

Irland

Folgender Brief ist einem in London bei Thomas Harrild erschiene­nen Traktat entnommen.

Clifden, den 28. Nov. 1860

Warter Freund!

Soeben bin ich von einer kurzen Reise hierher zurückgekommen, und nie sah ich die Mission in einem so lieblichen Zustande als jetzt. Die vielen Gebete, die hier zum Thron der Gnade hinaufsteigen, sind auf eine wunderbare Weise erhört worden. Der Heilige Geist hat in Connemare ein großes Werk angefangen; viele Bekehrungen haben da­selbst stattgefunden. Eine dieser Bekehrungen, welche die Aufmerk­samkeit der ganzen Gegend auf sich gezogen und vor etwa einem Mo­nat stattgefunden hat, will ich Ihnen hier mitteilen.

Ein Jüngling, der Sohn einer armen katholischen Witwe, wurde in seiner täglichen Beschäftigung auf eine besondere Weise durch die Gnade ergriffen. Er fiel plötzlich nieder und schrie ganz laut, daß er ein verlorener Sünder sei. Dies geschah an einem Marktage, und ohne irgend eine besondere Veranlassung, in einer der vornehmsten Straßen von Clifden. Es verursachte einen großen Auflauf. Man brachte den Jüngling in das Haus seiner Mutter, und hier litt er längere Zeit auf eine schmerzliche Weise sowohl an Körper als an Geist. Seine Anver­wandten suchten ihn durch die sogenannten Heilsmittel der katholi­schen Kirche wieder herzustellen. Sie besprengten ihn mit geweihtem Wasser und banden, einen Rosenkranz um seinen Hals. Er aber wider­stand ihnen in allem, zerriß den Rosenkranz und wart ihn auf den Boden. Darnach holten sie den Priester zu ihm; aber seine einzige Ant­wort war: „Ich habe keinen Priester nötig, als Jesum." Zuletzt floh er, um diesen Anfällen zu entgehen, aus dem Hause, aber auf dem Wege fiel er ohnmächtig nieder. Niemand wußte, wo er war. Hunderte such­ten ihn. Endlich wurde er durch die Polizei gefunden und in das Haus einer katholischen Familie gebracht. Hier bemerkte man, daß er die Sprache verloren hatte. Auch blieb er mehrere Tage ohne Essen; aber - während dieser ganzen Zeit war er im Genuß eines seligen Friedens, und voll von Liebe zum Heiland. Das ging aus den verschiedenen Antworten, die er auf die an ihn gerichteten Fragen niederschrieb, so-

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 wie aus seinem fortwährenden Lesen in der Schrift, aus seiner Freude, das Gebet und den Gesang zu hören und aus seiner großen Teilnahme am Heil anderer Seelen ganz deutlich hervor. Ein große Menge Men­schen kam, um ihn zu besuchen, denn dieser Vorfall erweckte ein all­gemeines Interesse.

Es ist jetzt einen Monat her, wo er zuerst ergriffen worden ist. Er hat seine körperliche Kraft wiederbekommen; aber er kann noch immer nicht sprechen. Es ist sehr interessant, seinen Ernst, seine Schriftkennt­nis, seine Liebe zu Jesu und seinen großen Eifer zu sehen. Der Herr scheint ihn zu einem besonderen Zwecke besucht zu haben, weil seine Erfahrung in der Wahrheit in der Tat überraschend ist.

Einige Zeit nachher, als er ergriffen war, fragte ihn Herr D'Arcy, ob er für ihn. beten solle. Er schrieb als Antwort: „Betet für meine Mutter, aber lobsingt für mich." Als ich ihn zum ersten Male sah, war er beinahe drei Wochen in diesem Zustande gewesen. Ich fragte ihn:

„Sind Sie glücklich?" Er schrieb: „Ich bin so glücklich, als ich am 2. November war, wo ich dich, o mein Heiland und mein Gott, erwählte." Ich fragte weiter: „Weshalb sind Sie glücklich?" Er schrieb: „Weil ich an meinen Heiland glaube, der am Kreuz Sein kostbares Blut für mich vergossen hat. Er war zornig auf mich; aber Sein Zorn ist völlig von mir abgewandt. Gepriesen sei sein heiliger Name!» Wieder fragte ich: „Haben Sie in Betreff der Zukunft keine Furcht mehr?" Er schrieb:

„Nein, denn Jesus ist bei mir; Sein Stecken und Stab trösten mich. Ich kann jetzt mit Hiob sagen: „Obwohl Er mich schlägt, will ich doch auf Ihn vertrauen." Ich hoffe auch zum Herrn, daß Er mir die Sprache wiedergeben wird, um alle diese herrlichen Dinge armen Sündern zu verkündigen." Ich sagte: „Des Herrn Zeit ist die beste," und er antwor­tete: „Ja, Er hat Seine weisen Absichten, mich stumm sein zu lassen. Er g a b die Sprache, und Er hat sie weggenommen, und wenn Er es für nötig hält, wird Er sie wiedergeben. Ich weiß, daß Er es tun kann; denn Er hat mehr als dieses mir getan. Er hat mich aus der Gewalt des Satans errettet und hat mir Seinen Geist gegeben. Das ist das größte, was Er für mich getan hat, seitdem Er mich auf dieser Erde schuf. Ich glaube, daß das ein größeres Wunder ist, als einen To­ten aufzuerwecken." — Solche Aussprüche, solch stilles Vertrauen und solch ernste Reden an die Umstehenden machen einen noch tieferen Eindruck, wenn man bedenkt, daß er ein sehr unwissender Jüngling war, auferzogen in einer der ärmsten Hütten und umgeben von bi­gotten Katholiken. Beim folgenden Besuch fragte ich ihn, weshalb er nicht sprechen könne. Er schrieb: „Es kam, weil ich. Gott nicht glaubte;

ich dachte in meinem Herzen, daß es nutzlos sei, auf Gott zu vertrauen, und in demselben Augenblick nahm Er die Sprache weg." — Seine Er­mahnungen an alle, Gott zu glauben und nicht zu zweifeln, sind sehr ernst.

Ich habe in den wenigen Tagen viele interessante Unterhaltungen mit diesem jungen Manne gehabt. Er besuchte einige Versammlungen, und schrieb immer ein ernstes und nützliches Wort für die Zuhörer nieder; auch war er stets gewiß, daß er wieder bald würde sprechen können. Der Priester hatte zwar gesagt: dies würde nicht eher der Fall sein, bis er ihm die Hände aufgelegt hätte. — Wir unterließen nicht, für ihn zu beten, wozu sich ein allgemeines Interesse zeigte.

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 Auch haben wir Ursache, zu glauben, daß während der Zeit vier bis fünf Be­kehrungen stattgefunden haben, wodurch unser Eifer noch größer ge­worden ist.

Ich fing diesen Brief schon vor mehreren Tagen an, und schließe ihn erst heute am 28. November. 'Ich bin froh, daß ich dadurch im Stande bin, ihnen noch einen interessanten Vorfall mitzuteilen. Man hatte viel für den jungen Mann gebetet, und er zeigte großes Verlan­gen, eine kleine Gebetsversammlung in der Nähe seiner Wohnung zu besuchen. Dies war gestern abend; er erwartete, wie er sagte, sehr ge­segnet zu werden. Herr D'Arcy betete sehr ernst. Ich las das 15. Kapi­tel von Lukas und sprach einige Worte darüber. Der Jüngling schrieb etwas nieder, und kaum hatte er die Worte beendet: „Meine werten Freunde! Ich hoffe, daß ihr nicht an Gott zweifeln werdet," als es ihm erging wie dem Zacharias, „dessen Mund augenblicklich geöffnet und dessen Zunge gelöst wurde, daß er sprach und Gott lobte."

Alle waren sehr ruhig und still; aber plötzlich rief der Jüngling mit einer Stimme, die in jedem Herzen wiederklang: „Meine Freunde, ich bin frei, lobet den Herrn!" und als er dies gesagt hatte, sank er erschöpft nieder. Sein ganzer Körper zitterte. Es war ein Augenblick, den ich nie in meinem Leben vergessen werde, und den zu beschreiben ich nicht im Stande bin. Die Gemütsbewegung war groß. Es waren etwa an fünfzig Personen anwesend. Alle weinten und waren erschüttert. Herr D'Arcy brachte darauf den Jüngling nach außen, und wir sangen mit unbeschreiblichen Gefühlen: „Lobet den Herrn für alle Seine Seg­nungen!" Hierdurch wurden die Gemüter nach und nach etwas ruhi­ger, und während Herr D'Arcy mit dem Jüngling, der sehr ergriffen, aber völlig bei Sinnen war, sich draußen befand, beteten wir drinnen und dankten Gott für diese unerwartete Gebetserhörung. Der junge Mann kam darauf herein, noch zitternd an seinem Körper, aber ganz klar in seinem Geiste. Jetzt kam auch seine arme Mutter herbei und rief auf irisch: „O, er ist tot!" „Liebe Mutter," sagte der Jüngling in derselben Sprache, „ich bin nicht tot, ich bin in Christo errettet, und meine Sünden sind vergeben. Ich war ein Sünder, ein großer Sünder;

aber meine Sünden sind vergeben." Dann sagte er auf englisch: „Laßt uns, meine Freunde, das Lied singen: „Ich hörte Jesu Stimme sagen:

Komm her, Beladener, Komm etc."

Wir sangen das schöne Lied, und es machte auf alle einen tiefen und gesegneten Eindruck. Darauf bat er uns, auch noch das folgende Lied zu singen: „O schöner Tag, wo ich erwählte, mein Jesu Dich, mein höchstes Gut etc." Nach Beendigung des Liedes sagte er: „O mochte dies doch in Wahrheit die Sprache aller sein, die an diesem gesegneten Abend gegenwärtig sind!"

Dann beteten wir noch sehr ernst zusammen, und verließen mit einem Gefühl von Lob und Dank über die großen Taten Gottes die Wohnung. Ja, Gott ist reich an Gnade und Erbarmen! Ersuchen Sie alle die Gläubigen dort, für uns zu beten, daß der Herr uns Gnade, Weisheit und Demut geben möge, um Ihn in dieser wunderbaren Zeit zu verherrlichen.

Empfangen Sie die herzlichsten Grüße von

Ihrem in Christo verbundenen Bruder Henry Cory Eade.

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Schweden

Aus einem schottischen Blatte, welches uns mehrere liebliche Züge, bezüglich der in Schweden stattfindenden Erweckung berichtet, teilen wir Folgendes mit:

Ein Lehrer aus Smoland schreibt: „In unserem Kirchspiel ist kaum ein Haus zu finden, wo nicht jemand mit Frohlocken bekennt, Verge­bung seiner Sünden durch das Blut Jesu gefunden zu haben. In einigen Häusern wurden alle Bewohner aus ihrem Sündenschlaf aufgeweckt, ja, in einem sogar alle wirklich bekehrt. An einem Nachmittag waren wir in der Wohnung eines Pächters versammelt. Der Geist Gottes wirkte und offenbarte sich in der kräftigsten Weise. Zwei Knaben von elf Jahren wurden in ihrem Gewissen getroffen und freuen sich jetzt im Herrn. Eine Frau wurde so ergriffen, daß sie die ganze Nacht nicht schlafen konnte; aber am Morgen fand auch sie Frieden. Am folgenden Tage machten wir Hausbesuche; und fast überall, wohin wir kamen, fanden wir Menschen, die uns mit Tränen fragten, ob für solch große Sünder, wie sie wären, noch Gnade zu erlangen sei. Viele Andere fan­den wir in großer Freude. Es war in der Tat eine liebliche Szene. Einige sangen und freuten sich in Gott; andere weinten und schrieen um Gnade. Es geschah oft, daß, wenn man ihnen einen Bibelspruch vorlas, ihre Augen alsbald auf Jesum gerichtet wurden."

Der folgende Brief ist von einer sehr hochgestellten Person. „Durch meine mannigfachen Amtsgeschäfte" — schreibt er — „wurde es mir unmöglich, jene Orte, wo der Geist Gottes tätig war, besuchen zu kön­nen. Doch Gott hat durch Seine große Gnade auch hier viele aus dem Tode ins Leben gerufen. In dem Orte I., in der Nähe von H., fand eine große Erweckung statt. Der größte Teil der dortigen Bevölkerung ist ohne alle äußere Entwicklung in ihrem Gewissen getroffen worden;

und sehr viele haben Leben und Frieden gefunden durch den Glauben an den Sohn Gottes. Diese Leute waren früher in die größten Laster versunken; Trunksucht und Unzucht herrschten hier im Allgemeinen. .— Vor einigen Wochen ereignete sich hier folgender Vorfall. Eine Fa­milie, die in der Nähe von Stockholm in einem Gasthaus logierte, begab sich eines abends zur gewöhnlichen Zeit ins Bett; aber ungefähr um Mitternacht erwachen sie alle plötzlich mit einer unerklärlichen Seelen­angst, sodaß sie alle — Eltern und Kinder und das ganze Hausgesinde — das Lager verlassen und gemeinschaftlich zu Gott um Erbarmung schreien. In einem Nebenzimmer saßen mehrere Herren, und spielten Karten. Plötzlich wurde einer derselben von einer solchen Furcht er­griffen, daß er die Karten aus der Hand warf und ausrief: „Ich bin verloren — wir sind alle verloren!" Da erhob sich die ganze Gesell­schaft, fiel auf die Kniee und flehte Gott um Gnade an. — Auch fol­gender Vorfall hat mich sehr gerührt: Ein schwedischer Offizier, ein sehr trotziger und stolzer Mann, hatte eine einzige Tochter, die Freude und Hoffnung seines Herzens. Diese kam eines Tages zu ihm und teilte ihm ihre Angst, nicht allein in Betreff ihrer eigenen, sondern auch seiner Errettung mit. Sie war in ihrem Gewissen, infolge eines Ge­sprächs mit einer kürzlich bekehrten Dienstmagd, von ihrer Sünde überzeugt worden. Ihre Worte verletzten den Stolz ihres Vaters sehr;

er gebot seinem Kinde, ihm die nächsten drei Tage nicht vor die Augen

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 zu kommen, und er blieb selbst während dieser Zeit allein auf seinem Zimmer. Gott aber gebrauchte diese Einsamkeit zu einem Mittel seiner Bekehrung; und am Ende des dritten Tages begegnete er seinem Kinde als eine neue Schöpfung in Christo Jesu."

Einer christlichen Zeitschrift entnehmen wir folgende sehr ergreifende Mitteilung aus Schweden über einen fünfzehnjährigen Knabeni. — Ein Jüngling Namens Axel Oberg war bei einem christlichen Kleider­macher in der Lehre. Er wurde bei dem Vorlesen des Wortes Gottes erweckt und riet in der Angst seiner Seele aus: „Was muß ich tun, um selig zu werden?" — Etliche Tage später erfuhr er die Kraft der Ant­wort: „Glaube an den Herrn Jesum Christum, so wirst du selig werden." — Friede und Freude erfüllte nun sein Herz, und zu allen, die ihm begegneten, redete er von Jesu. Kurz nachher wurde sein Glaube auf die Probe gestellt. Die Zeit war gekommen, wo er bei einem Prediger Unterricht nehmen mußte, um bei dem Abendmahl in der Staatskirche zugelassen zu werden. Er bemerkte jedoch bald, daß sein Lehrer un-bekehrt war und sein Herz widerstrebte sich, an dieser Unterweisung teilzunehmen. Mit aller Offenheit bekannte er seine Überzeugung. Da­rüber ward der Prediger sehr erzürnt; allein der Knabe blieb stand­haft und bezeugte laut, daß die Bekehrung die einzige notwendige Vor­bereitung sei, um an dem Abendmahle teilnehmen zu können. Da nun der Prediger merkte, daß weder seine Versprechungen noch Drohun­gen etwas fruchteten, ließ er den Vater kommen und der Knabe mußte wieder ein hartes Examen bestehen; jedoch hatte dies denselben Er­folg. Jetzt' erklärte der Prediger, daß mit einem solch widerspenstigen Gemüte nichts anzufangen sei; und Axel dachte schon, daß seine Prü­fung zu Ende sei. Doch darin hatte er sich geirrt. Sein Vater ließ ihn nach Hause kommen, um ihn zum Gehorsam zu zwingen und ließ zu diesem Zwecke einen bösen Menschen kommen, der den Knaben fest­halten sollte, um ihn schlagen zu können. Der Knabe blieb standhaft. Da wurde ein anderes Mittel versucht. Vor seiner Bekehrung hatte er auf einer Violine oft zum Tanze gespielt. Der Vater nahm nun das In­strument und befahl ihm-, zu spielen. Er tat dies und spielte ein Lob­lied zur Ehre Gottes, indem er zu seinem Vater sagte, daß er lieber die Violine verbrennen und er selbst lieber sterben würde, als den Namen Dessen zu entehren, der ihn mit Seinem Blute erkauft habe. Da nahm der Vater eine brennende Kerze und stellte sie unter die bloßen Füße seines Sohnes, der die Marter mit großer Geduld ertrug. Noch war die Wut des Vaters nicht gestillt; er .fuhr fort, den armen Knaben zu quälen und schlug ihn eines Tages so heftig, daß er bewußtlos zu Boden fiel. Diese Prüfungen dauern noch immer fort. Bitten wir daher für unseren jungen Bruder, damit der Herr ihm Kraft gebe, um Seines Namens willen mit Freuden zu leiden.

Schottland

Lieber Bruder! Seit meiner Rückkehr aus Schottland fand ich zu meiner größten Freude, daß manche Kinder Gottes mit vieler Teil­nahme des dortigen Werkes gedenken. Übrigens ist es auch der Mühe

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 wert, sich über die Bekehrung einer so großen Menge von Sündern zu freuen, da doch über die Bekehrung eines einzigen Sünders Freude ist bei den Engeln Gottes im Himmel.

Bei unserer Ankunft in Glasgow fanden wir Briefe, in welchen wir dringend nach dem östlichen Teile des Landes eingeladen wurden, wo das Werk Gottes sehr gesegnet sein sollte. Wir reisten am Donnerstag hin und verweilten dort bis Samstag; und jetzt beeile ich mich, Ihnen die Erlebnisse in zwei Abendstunden mitzuteilen, die, wie ich hoffe, bei Vielen noch lange in gesegnetem Andenken bleiben werden.

Am ersten Abend war eine Gebets-Versammlung in dem etwa 8 engl. Meilen von Edinburg gelegenen Dorfe Cockergie. Unter den Be­wohnern dieses Fischerdorfes hatte ein Evangelist, der sehr fähig war, mit solchen Seelen umzugehen, lange Zeit hindurch mit großem Segen gewirkt. Es mochten etwa 120 Personen anwesend sein. Man hatte mich gebeten, eine Ansprache an sie zu halten; und ich legte ihnen die Wich­tigkeit der von Jesu an die Pharisäer gerichtete Frage: „Was denket ihr über den Christus?" ans Herz. Die Wirkung des Geistes Gottes war augenscheinlich spürbar; und ich war überzeugt, daß die Macht Gottes sich offenbaren würde. Während meiner Predigt hatten namentlich zwei Frauen meine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Sie sahen sehr ernst aus, und Tränen füllten ihre Augen. Ich näherte mich ihnen und fragte zunächst die jüngere, ob sie glücklich in Jesu sei?

„O nein, mein Herr," — war ihre Antwort; „ich bin nicht glücklich;

ich bin sehr unglücklich."

„Aber in Jesu findet sich doch genug, was Sie, wenn Sie Ihn an­nehmen, glücklich machen kann."

„Ich weiß dieses und habe schon lange darnach getrachtet; aber ich scheine den Weg noch nicht zu wissen."

Nachdem ich einige Worte über den Weg Gottes zu unserem Heile gesprochen halte, wandte ich mich an die ältere Frau, die Mutter der ersteren, mit den Worten:

„Aber wie sieht es mit Ihnen aus? Hat in dieser gesegneten Zeit die Gnade Gottes Ihr Herz besucht?"

0 nein, mein Herr! Die Gnade scheint bei einem Jeglichen einzu­kehren; nur nicht bei mir;" antwortete sie im Tone der tiefsten Wehmut.

„Sagen Sie mir doch einmal, " — fuhr ich fort; — „glauben Sie, daß Jesus für Sie, eine Sünderin, gestorben ist?"

„Ja, ich glaube, daß Er für uns Sünder starb."

„Und können Sie glauben, daß Jesus für Sie, eine Sünderin, starb, und zugleich sagen, daß für Sie keine Gnade da sei?"

„Ich weiß das, aber es ist noch nicht in mein Herz gekommen; denn außer mir scheint jedermann gesegnet zu sein."

„Nun, wenn es noch nicht z u Ihnen, so ist es doch für Sie gekom­men; Sie haben also nur zu glauben und es anzunehmen. Können Sie denken, daß Gott Seinen lieben Sohn für Sie am Kreuze sterben ließ und daß Er nun sagen würde, daß keine Gnade für Sie in Christo sei? Aber sagen Sie mir doch; was hat Christus am Kreuze vergossen?"

Er vergoß Sein Blut."

„Um welcher Ursache willen?"

„Damit unsere Sünden abgewaschen würden."

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 „Und sollte wohl dieses Blut die Kraft besitzen, alle unser Ver­trauen darauf setzen?"

„O ja, mein Herr, das glaube ich fest."

„Wohlan; so können Sie auch wohl Ihr Vertrauen darauf setzen. Wenn sie dieses tun, so sind alle Ihre Sünden Ihnen vergeben; die Gnade ist zu Ihnen gekommen; glauben Sie nur. Gewiß, wenn Jesus uns so lieb hatte, das Er Sein Leben für uns hingab und Sein Blut vergoß, um unsere Sünden hinwegzunehmen, dann sind wir gezwungen, Ihn wieder zu lieben und all unser Vertrauen auf Ihn, zu setzen. 0 glauben Sie nur, daß Er Sie lieb hat und am Kreuze für Sie starb;

glauben Sie es und schenken Sie Ihm Ihr Herz.

Das Zimmer war noch immer gefüllt; nur einige Personen hatten sich entfernt. An verschiedenen Seiten wurden laute Gespräche geführt;

doch der Geist Gottes segnete die Wahrheit an dem Herzen dieser Frau. Nach einer kurzen Pause tiefen Nachdenkens vermochte sie nicht län­ger ihre Gefühle zu beherrschen, sondern stürzte auf ihre Knie, faltete ihre Hände und flehte mit lauter, bewegter Stimme zu Gott um Gnade. Dann wandte sie sich an Jesum, an das auf Golgatha geschlachtete Lamm; und ihr Gebet war geeignet, auch die härtesten .Herzen zu brechen.

„O teures Lamm Gottes!" — riet sie aus. — „Ja es ist wahr; Du bist gestorben und hast Dein kostbares Blut für ein so armes, sündiges Geschöpf, wie ich bin, vergossen. 0 Lamm Gottes! Kehre doch nun auch bei mir ein! Heute abend noch! Nimm alle meine Sünden hinweg und errette -meine Seele!" —

So betete sie mehrere Minuten. Auch die Tochter und mehrere Anwesende waren so tief ergriffen; und ihre Tränen flossen reichlich zu den Füßen Jesu. Doch gepriesen sei Gott! Mutter und Tochter er­hoben sich endlich von ihren Knien und bekannten, daß sie Gnade gefunden hätten und darum unaussprechlich glücklich seien. Sie konn­ten glauben, daß das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, sie von allen Sünden gereinigt habe. Drei oder vier Andere legten dasselbe Bekennt­nis ab. Auch ihre Herzen waren mit Freude erfüllt. Man stimmte ein Lied an; und nachdem ich auf dringende Bitten das Versprechen, mor­gen abend wieder zu kommen, gegeben hatte, verließen wir spät um 11 Uhr das Zimmer.

Freitag Abend. Da das Schullokal bis um 9 Uhr noch in Gebrauch war, so hielt ich eine Predigt im Freien. Der Abend War schön; und es waren mehr Zuhörer anwesend, als wir in der Schule hätten er­warten dürfen. Viele Fischer waren gekommen, die das Schulzimmer nicht besucht haben würden. Und auch dieses Mal wurde meine Auf­merksamkeit wieder auf jene Mutter und Tochter gelenkt. Die Bibel in der Hand, hatten sie sich auf dem grünen Rasen niedergelassen. Nach der Predigt redete ich sie an und fand sie sehr glücklich. Sie versicher­ten mir, daß nicht der geringste Zweifel, in Betreff ihrer Sündenverge­bung und Errettung, in ihrem Herzen zurückgeblieben sei. In diesem Augenblicke näherte sich eine alte Frau. Sie hatte die letzten Worte gehört und sagte: „Ich wünschte, dieses auch sagen zu können." —Die Tochter begann, ihr das Evangelium zu verkündigen, welches sie selbst durch die Gnade am vorigen Abend angenommen hatte. 0 welche wun­derbare Veränderung bringt doch das kostbare Evangelium zu Wege!

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 Jetzt betraten wir das Schulzimmer, welches während der Zeit für uns geräumt worden war. Ich bemerkte, daß viele an diesem Abend einen großen Segen erwarteten. Ein ernster Christ sagte zu mir: „Ich bin heute mit 6 Seelen zusammen gekommen, die gestern abend Frie­den gefunden haben; und viele andere sind ergriffen. Wir hoffen heute Abend auf einen großen Segen." — Ich hatte indes Gelegenheit, mit vielen Anwesenden über den Zustand ihres Herzens zu sprechen. —

Die Betstunde begann, sobald man in der Schule Platz genommen hatte. Verschiedene gottselige Männer und etliche vor Kurzem bekehrte Jünglinge nahmen Teil an dem Gebet. Einer dieser Letzteren betete mit besonderem Ernst; ihm folgten andere und wieder andere, ohne daß man durch irgend einen Gesang eine Unterbrechung hervorgerufen hätte. Etwa um 10 Uhr, als eben ein Mann am Beten war, verspürte man eine göttliche Kraft in der Versammlung. Es war in der Tat ein Strom der reichsten Gnade aus dem vollen Meere der ewigen Liebe ge­flossen. Aller Herzen waren getroffen. Jünglinge und Jungfrauen, Alt und Jung begannen, laut um Gnade zu schreien. Die Brüder, welche gebetet hatten, und alle, die mich umstanden, weinten vor Freude. Den­noch aber war diese Erscheinung verschieden von der im Norden Ir­lands. Von Krampfanfällen verspürte man hier nichts. Man vergoß viele Tränen; man flehte laut um Gnade; aber dies war auch alles.

Nach etlichen Augenblicken, als einige Ruhe eingetreten war und die Arbeiter ihr Werk übersehen konnten, begannen wir, mit Einzelnen insbesondere zu sprechen. Der Herr hatte in der Tat in Vieler Herzen gewirkt, und Er schenkte uns die Freude, alsbald die Frucht unserer geringen Mühe einsammeln zu können. Besonders waren es 12 Seelen, die laut bezeugten, daß sie Frieden mit Gott gefunden hätten. Doch der Tag der Herrlichkeit wird dereinst vollkommen die Früchte dieses Abends offenbaren.

Wieder war es 11 Uhr geworden; nur ungern trennte man sich. Es war ein wunderbarer Anblick. Viele arme Frauen hatten ihre Kinder bei sich, da sie daheim keine Wärterinnen hatten. Mit Lob und Dank verließen wir diesen Platz und kamen wohlbehalten zu Hause an.

Herzliche Grüße von Ihrem in Christo verbundenen Bruder

London

Vor einiger Zeit war in London eine Versammlung von etwa fünf-bis sechshundert Neubekehrten, um gemeinschaftlich zu beten und ein­ander ihre Erfahrungen mitzuteilen. Das Gebet beim Anfang lautete ungefähr wie folgt:

„Wir sind junge Kinder, o Herr! aber wir begehren durch Deine Gnade zu wachsen. Wir wissen, daß Du bereit bist, uns zu geben, was wir bitten. 0 Herr, es ist eine köstliche Sache, Dich zu kennen, und es ist noch köstlicher, Dich zu lieben. Wir waren große Sünder, und wir loben Dich für alles, was du an uns getan hast. Wir danken Dir, daß wir Dir unsere Herzen übergeben haben. Laß uns alle erfahren, daß Du heute abend in unserer Mitte bist; daß unsere Herzen erfüllt seien

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 mit Lob und Dank für alles, was Du für uns und an uns getan hast. Lehre uns auf Dich zu vertrauen; denn wir wissen, daß wir fallen müssen, sobald wir auf uns selbst vertrauen. Bewahre uns vor den Ver­führungen der Welt; behüte uns, o Herr, und gib uns Kraft, voranzu­gehen. Du weißt, wie wir täglich versucht werden, wie die Freunde Satans uns stets umgeben," besonders in unseren Werkstätten; gib uns Kraft, von Dir zu zeugen. Du, o Herr, hast uns gesucht und gefunden;

suche alle, die hier gegenwärtig sind, und Dich noch nicht kennen, oder die sich über ihren Zustand täuschen!"

Hierauf erzählten mehrere ihre Bekehrung. Ein armer Knabe sagte ungefähr Folgendes: „Gepriesen sei der Herr für das, was Er an mir getan hat! Einige meiner Freunde baten mich oft, mit ihnen zur Kirche zu gehen; aber ich wollte nicht. Am vorigen Sonntage sprach Richard Weaver im Victoria-Theater. Ich ging dorthin; nicht um etwas Gutes zu hören, sondern weil ich von diesem Manne vieles gehört hatte und ihn gern einmal sehen wollte. Gott aber ließ die Bitte in mein Herz drin­gen. Seitdem werde ich viel verfolgt. Ich rede mit meinen Mitarbeitern über das Heil ihrer Seelen; denn ich kann nicht schweigen. Oft aber muß ich mich taub und stumm halten und Gott bitten, daß Er über meinen Mund wache. Der Herr gebe, daß ich mich des Evangeliums von Christo nicht schäme!'

Ein junger Mann, dessen Gesicht ein tiefes Gefühl von Dankbar­keit gegen Gott ausdrückte, sagte: „Ich war ein sehr großer Sünder. Sieben Jahre war ich auf dem Meere, wo ich mich allen Schlechtigkeiten hingegeben habe. An einem Sonntag war ich im Begriff, um nach West-minster zu gehen; aber gegen meinen Vorsatz ging ich nach dem Serry-Theater, wo Herr Carter predigte. Während ich da saß, sah ich meine vielen Sünden. Ich war in großer Not; aber ich wurde auf Jesum ge­wiesen. Ich sah Ihn, ich sah Seine Wunden, und bald nachher erhielt ich die Gewißheit, daß alle meine Sünden getilgt waren. Jetzt bin ich überzeugt, daß ich zum Himmel gehe, nicht weil etwas Gutes in mir ist, sondern weil Jesus Sein kostbares Blut für mich vergossen hat. Ich eilte nach Hause, um meiner Frau zu erzählen, was Gott an mir getan hatte. Sie fragte mich: „Bist du nach Westminster gewesen?" „Nein," gab ich ihr zur Antwort, „der Herr sei gepriesen, der mich zu einem besseren Orte geführt hat. Ich habe jetzt keine Lust mehr am Trinken." Sie ist selbst gegenwärtig und kann erzählen, was der Herr an mir ge­tan hat."

Ein anderer sagte: „Vor zwei Jahren war ich ein Abtrünniger. 0 es ist schwer, wieder zurückzukehren; aber Gott hat Sich über mich er­barmt und mir meinen Abfall vergeben. Christus wohnt jetzt in .mei­nem Herzen. Früher war ich des Sonntags ein Heiliger und Montags ein Diener des Teufels. Vor einigen Sonntagen besuchte ich eine Ver­sammlung und wurde durch das, was ich dort hörte, sehr geschlagen. Den ganzen Abend fühlte ich mich höchst unglücklich. Ich wandte mich zum Herrn; aber ich bekam kein Licht. Einige Tage später forderte mich ein junger Mann auf, mit ihm in eine Betstunde zu gehen. Ich tat es und beschloß in meinem Herzen, den Ort nicht eher wieder zu ver­lassen, bis ich Frieden gefunden hätte. Ich fiel dort auf meine Kniee und flehte viel zum Herrn; und gepriesen sei sein Name! daß Er hat Worte des Friedens in mein Herz fallen lassen."

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 Ein armer Knabe erzählte Folgendes: „Ich arbeite bei meinem Va­ter und habe meine Bibel in der Werkstätte unter einem Brette liegen. Gewohnlich fluchte mein Vater, wenn er mich darin lesen sah; auch war er oft betrunken, und dann mußten wir Kinder ohne Abendessen zu Bette. Gott aber hat meine Gebete erhört. Mein Vater trinkt nicht mehr, und wir bekommen immer unser Abendessen — ein Abendessen für das Herz und für den Leib. Gott ist gut, der mir alle meine Sünden vergeben hat. Er erhört unsere Gebete, und jemehr wir dem Thron der Gnade nahen, desto sicherer gehen wir unseren Weg."

Ein anderer sagte: „Ich wurde weder in einer Kirche noch in einer Versammlung bekehrt, sondern auf meinen Knieen am Bette meines Kindes. Ich habe seitdem durch manche harte Proben gehen müssen;

aber ich habe gelernt, auf Christum zu schauen. „Herr, hilf. mir!" ist mein Gebet in allen Versuchungen; und Er ist immer treu. Durch Seine Liebe und Macht überwinden wir in allem weit."

Geliebter Bruder!

Du fragst, wie es mir in Eurer Mitte gefallen habe, und ich kann Dir antworten, daß ich im allgemeinen unter Euch sehr erquickt und gesegnet war. Besonders erfreute mich die gegenseitige Offenheit. Es ist gewiß eine schöne Sache, wenn einer dem anderen ins Herz schauen darf. Der Charakter des brüderlichen Verhältnisses erfordert dies auch, ohne einmal daran zu erinnern, daß in Christo noch innigere Bande uns vereinigt haben. Und ich kann Dir sagen, daß ich mich immer be­engt fühle, wenn es unter Brüdern so fremd und kalt hergeht, wenn einer den anderen fürchtet, wenn jeder schweigt, aus Furcht, er möchte sich nicht schön und gelehrt genug ausdrücken. Das ist mir immer pein­lich, und ist sicher nicht, wie Jakobus sagt, die Weisheit von oben. Ich meine immer, die H"e r z e n müßten sich begegnen und nicht nur die freundlichen Blicke. Und wer sich so gern versteckt, mag wohl zu­sehen, ob er nicht das Licht scheut. Damit will ich aber nicht sagen, daß der, der sein Herz zu sehr auf der Zunge trägt und in den Tag hineinspricht, nicht oberflächlich und leichtfertig sei.

Was nun das gegenseitige Aussprechen, wie Ihr es nanntet, be-trifff, so hat es gewiß seinen großen Segen, wenn es immer im rechten Geiste geschieht. Doch darüber haben wir sehr zu wachen. Ist der Geist des Richtens wirksam, so geht es gewiß ohne Schaden nicht her. Wer von diesem Geiste geleitet wird, der schweige lieber und denke erst an seinen Balken im Auge. So lange dieser vorhanden ist, sehen wir nicht gut, um den Splitter aus des Bruders Auge wegnehmen zu können. Ohne Mitgefühl, oder sogar Wohlgefallen daran zu finden, jemandes Fehler ans Licht zu stellen, beweist in der Tat nur den trau­rigen Zustand des eigenen Herzens. Das ist nicht der Geist Christi. Der Charakter Seines Geistes offenbart sich in Liebe, Gnade und Sanft-

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 mut. In dieser Gesinnung handelt Er stets gegen die Seinigen, und ge­gen die schwächsten am meisten, weil sie es am meisten bedürfen. Und sicher geziemt sich auch keine andere Gesinnung für uns, die wir Sein sind und von Seinem Geiste geleitet werden. Was könnte auch den fehlenden Bruder bessern, wenn nicht die Liebe? Wodurch könnte er gewonnen werden, wenn nicht durch den Geist der Sanftmut und der Gnade? In der Tat sollte hei einem fehlenden Bruder, wenn er von einem anderen ermahnt wird, nie der Gedanke Raum gewinnen können, daß er vor einem Richter, sondern daß er vor einem geliebten Bruder stehe. Leitet uns bei der Beschäftigung mit den Fehlern Anderer nicht allein die Liebe'und die Ehre Gottes, so sind wir zu diesem Dienst un­fähig. Nur Liebe zum Herrn und Liebe zu den Seinigen kann die ein­zige gesegnete Triebfeder all unserer Handlungen sein. Ohne Liebe hat nichts vor Gott Wert. Darum ist auch durch den Heiligen Geist Seine Liebe in unsere Herzen ausgegossen; und der Apostel fügt die herzliche Ermahnung hinzu: „So liebet einander mit Inbrunst aus reinem Her­zen." Wir werden aber um so geschickter dazu, je mehr wir die voll­kommene Liebe Dessen betrachten, der mit Seinem eigenen Blute uns von unseren ^Sünden abgewaschen hat, und der uns stets mit vollkom­mener Liebe pflegt und trägt. Jemehr wir in Erkenntnis Seiner Liebe zunehmen, desto mehr werden unsere Herzen weit in Liebe gegen An­dere. Seine Liebe ist die alleinige Quelle und das allein würdige Vor­bild der unsrigen. 0 möchten unsere Herzen nur recht begierig sein, stets zu schöpfen und anzuschauen!

Jetzt möchte ich, geliebter Bruder, mit wenigen Worten noch auf etwas kommen, was keinen guten Eindruck auf mich gemacht hat;

und Du wirst es in Liebe aufnehmen, wenn ich auch darüber mich ganz offen ausspreche. Es schien mir nämlich, als wenn bei Eui-em Zusam­menkommen die Herzen zu wenig von dem Gefühl der Gegenwart des Herrn durchdrungen waren. Dies fiel mir besonders kurz vor und nach dem eigentlichen Kultus auf. Es war fast auf den meisten Gesichtern der Eintretenden deutlich zu lesen, daß sie nicht von dem Gedanken erfüllt waren: Ich gehe dahin, wo Jesus mit den Seinigen versammelt ist. Selbst das Benehmen, wenn es auch nicht gerade ungeziemend war, und die Unterhaltung Vieler verrieten deutlich, daß dies Bewußtsein Seiner Gegenwart nicht vorhanden war, oder doch nicht auf eine wür­dige Weise geschätzt wurde. Ebenso war. es nach vollendetem Kultus. Es schien oft, als wenn das, was noch kurz vorher die Herzen bewegte, plötzlich verschwunden sei. Benehmen und Unterhaltung trugen meist einen mehr weltlichen Charakter, und man hätte oft leicht veranlaßt werden können, zu glauben, man sei auf einmal in eine ganz andere Versammlung versetzt worden — in eine Versammlung, die nicht so­eben aus der Gegenwart des Herrn komme. Ich verwerfe gewiß allen gesetzlichen Ernst, alles gemachte Wesen; aber es geziemt uns, stets so zu erscheinen, wie es der Gegenwart des Herrn angemessen und vor Ihm wohlgefällig ist; und dies besonders, wenn wir uns im Namen Jesu versammeln. Wenn wir vor allen bekennen, daß wir, frei von allen menschlichen Formen und Satzungen, uns allein auf Grund des Namens Jesu versammeln und von Seiner Gegenwart jede Segnung erwarten, so ist es auch nötig, zu beweisen, daß uns das Bewußtsein dieser Gegen-

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 NOTIZEN

wart mit dem ihr angemessenen Ernst erfüllt Anders hat die Erkennt­nis dieser gesegneten Wahrheit keinen Wert für uns und dient viel­mehr zur Unehre des Herrn

Ich weiß nun, geliebter Bruder, daß es Euer aller Begehren ist dem Herrn m allem wohlzugefallen, und bin deshalb versichert, daß auch diese Zeilen Dir und den anderen Budern Veranlassung geben werden, über diesen beherzigenswerten Gegenstand nachzudenken Die Gnade des Herrn wolle Euch dann leiten'

Es grüßt Dein in Christo verbundener Bruder etc.