Botschafter des Heils in Christo1861

02/02/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Inhaltsverzeichnis: Botschafter des Heils in Christo 1861


Betrachtung über den Römerbrief (Römerbrief) JND
Der Weg hinauf nach Jerusalem . . ' ..(Markus 10, 17-52) 89-94
Geliebter Bruder in dem Herrn94-96
Was ist zu glauben nötig, um selig zu werden 96-107
Das Blut des Passahlammes und das Rote Meer (2. Mose 12; 2. Mose 13; 2. Mose 14) 107-109
„Der Herr wird für euch streiten" (2. Mose 14,14) 109-110
Bist Du Deiner Seligkeit gewiß? 110-120
Der Weg Kains (Judas 1) 120-123
Das Cananäische Weib (Matthäus 15,21-28) 123-126
Die Wege Gottes mit dem Menschen 126-143
Zur rechten Zeit . 143-146
Naemann der Syrer ( 2. Könige 5) 146-154
Ist Christus auch für mich!  154-156
„Das Werk habe ich vollbracht" (Johannes 17,4) 156-158
Das Kommen des Herrn und der Tag des Herrn (2. Petrus 3)  158-161
Mitteilungen über das Werk Gottes in unseren Tagen 161-172
Geliebter Bruder 172-215

Markus 10 Der Weg hinauf nach Jerusalem.

(Mark. 10, 17-52)

In dem vorliegenden Schriftabschnitt werden uns in dem reichen Jüngling, den Jüngern und dem blinden Bartimäus drei verschiedene Charakterbilder vorgestellt.

l. In der Person des reichen Jünglings finden wir eine große Klasse von Menschen vertreten. Er war für das Wohl seiner Seele nicht ohne wirkliche Besorgnis. Er suchte „ewiges Leben" und hatte sich augen­scheinlich angestrengt, um es durch Gesetzeswerke zu erlangen. Alle seine gesetzlichen Anstrengungen aber hatten ihn nicht befriedigt. Er fühlte immer noch einen Mangel und darum kommt er zu Jesu. Wie aber deckt schon die erste Frage den falschen Grund auf, worauf die­ser reiche Jüngling stand. Er sagt: „Was soll ich tun, daß ich das ewige Leben ererbe?" Sein Geist, durch die Nebel des Gesetzes noch verfin­stert, hatte noch nie die wunderbare Wahrheit aufgenommen, daß „das ewige Leben" die „Gabe Gottes" ist, und nicht eine Belohnung des menschlichen Tuns.

 Seine Frage bewies sehr klar, 'wie wenig er noch die Handlungen Gottes mit dem Menschen, sowie auch seinen eigenen wirklichen Zustand in den Augen Gottes verstand. Deshalb sendet ihn der Herr Jesus zurück zu Mose — zurück zu dem Fuße des Berges Sinai, um die feierlichen und Eindruck machenden Aussprüche zu ler­nen, welche dort unter Donner und Blitz, unter Dunkel und Finsternis und Sturm mitgeteilt wurden. Dies ist die Wirkliche Richtung und auch der Gegenstand der Antwort des Herrn: „Du weißt die Gebote." Es . ist, als wenn Er zu ihm gesagt hätte: „Du bist in deiner Nachtrage um hunderte Jahre zurück. Dein Tun ist schon lange vorher beim Berge Sinai versucht worden, und hat mit Fallen geendigt. Ich bin hier, um den Grund des menschlichen Tuns beiseite zu setzen. Das ewige Leben ist eine Gabe Gottes und nicht das Verdienst des Menschen.

Der reiche Jüngling verstand nicht, wo das Gesetz ihn in Wirklich­keit hinstellte. Er war sowohl in Betreff der Helligkeit des Gesetzes, als auch in Betreff seines eigenen verderbten Zustandes in Unwissen­heit. Er sagt: „Alles dieses habe ich von meiner Jugend auf beobachtet." Niemand, der die Höhe des Gesetzes und die Tiefe des menschlichen Verderbens kennt, wird dies zu behaupten wagen. Alle, welche vom Halten des Gesetzes sprechen, „wissen nicht, was sie sagen, noch was sie behaupten." Wenn der Mensch das Gesetz halten könnte, dann wäre er entweder vollkommen, oder das Gesetz wäre unvollkommen" (Röm. 7, 12). Deshalb ist es unmöglich, daß ein sündiges Geschöpf so das Ge­setz halten könnte, daß es durch das Gesetz das Leben erlangte; und darum war dieser reiche Jüngling, wenn er sagt, daß er alle die Gebote beobachtet habe, ganz im Irrtum. Es würde ihm auch nicht noch etwas gefehlt haben; aber Christus sagt zu ihm:'„Eins fehlt dir." Moses be­schreibt die Gerechtigkeit, die aus dem Gesetze ist: „der Mensch, der dasselbe- getan hat, wird dadurch leben" (Röm. 10, 5). Wenn also ein Mensch behaupten könnte, daß er die Gebote gehalten habe, so würde er ein Recht haben zu leben — als ein Verdienst seines Tuns. Wer aber wollte sich unterstehen, solch eine gewagte Forderung zu machen? Wer

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 hat so die Gebote gehalten, daß er deshalb von Gott das Leben bean­spruchen könnte? Niemand. „Kein Fleisch kann vor Ihm aus Gesetzes Werken gerechtfertigt werden" (Röm. 3, 20). „Denn so viele aus Geset­zes Werken sind, sind unter Fluch" (Gal. 3, 10). „Wenn ein Gesetz ge­geben wäre, welches lebendig machen könnte, dann wäre wirklich die Gerechtigkeit aus Gesetz" (Gal. 3, 21).

Warum aber, könnte man fragen, verweist der Herr diesen Jüng­ling auf die Gebote? Einfach deshalb, damit er einsehen lerne, wie weit er noch von dem, was er zu sein gedachte, entfernt war, und also sei­nen wahren Zustand erkennen möchte. Er sendet ihn zu dem Zucht­meister zurück, und als er bekennt, alles gelernt zu haben, was der Zuchtmeister ihn zu lehren hatte, wendet der Herr eine andere weit eindringlichere Prüfung an, indem Er ihn auffordert, die Welt zu verlassen und das Kreuz auf sich zu nehmen. Dies ging viel weiter, als dieser Jüngling vorbereitet war. Die Welt war in seinen Augen zu lieb­lich und das Kreuz zu häßlich, um einen solchen Tausch einzugehen. Die Welt stand in der Liebe seines Herzens weit höher als Christus. Er würde zufrieden gewesen sein, wenn er das ewige Leben hätte empfangen und auch die Welt behalten können. Der Wunsch des Her­zens ist, „beide Welten zu benutzen." Das kann aber nicht sein. Wenn ein Mensch zu Christo kommt, um das ewige Leben zu erkaufen, so wird er sicher finden, daß der Preis Seine Meinung weit übersteigt. Wenn aber, wie wir gleich sehen werden, ein Mensch als ein Bettler kommt, so empfängt er alles, was er bedarf, umsonst; wenn er kommt als ein Tuender, so wird ihm gesagt, was er t u n muß; wenn er kommt als ein Sünder, so wird ihm gesagt, was er zu glauben hat.

Ein jeder wird das Kreuz, wenn er es aufnehmen soll, zu schwer finden, solange er nicht gesehen hat, daß Christus für ihn und für seine Errettung auf das Kreuz genagelt war. Ferner: „der Weg geht hinauf nach Jerusalem." Dies ist der Weg, welchen Christus betrat, und wel-chen alle betreten müssen, die in Seinen Fußstapfen wandeln — der Weg, den alle zu rauh finden werden, ausgenommen jene, welche „an den Füßen beschuhet sind mit der Zubereitung des Evangeliums des Friedens." Ich muß mich durch den Glauben an das Kreuz lehnen, ehe ich es tragen kann; und ich muß das ewige Leben besitzen, ehe ich in den Fußstapfen Jesu wandeln kann. Das Kreuz zu tragen versuchen, bevor lieh mich in einem gekreuzigten Heiland erfreue, ist noch weit schwerer, als neben dem mit Feuer brennenden Berge zu stehen. Dieser reiche Jüngling, welcher alle Gebote beobachtet zu haben gedachte, wurde durch die finsteren Schatten des Kreuzes zurückge­trieben, und „ging traurig weg."

Aber wollte der Herr Jesus diesen Jüngling belehren, daß er durchs Tun, durchs Verkaufen oder Geben Erbe des ewigen Lebens werden könnte? Keineswegs. Was denn? Er antwortet ihm auf seinem eigenen Grunde. Dieser kam an als ein Tuender und ging weg, weil er nichts tun konnte. Ebenso war es mit Israel in 2. Mos. 19. Sie sagten:

„Alles, was Jehova geredet hat, wollen wir tun," und als Jehova redete, „da ertrugen sie nicht, was geboten ward" (Hebr. 12, 20). Der Mensch spricht vom Tun, und wenn ihm gesagt wird, was zu tun ist, so ist er nie willens noch fähig, es, zu tun. Gottes Wort sagt zu allen, welche unter dem Gesetz zu sein wünschen: „Höret ihr das Gesetz nicht" (Gal.

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 4, 21)? „Der Mensch, der dasselbe getan hat, wird dadurch leben" (Röm. 10, 5). „Was stehet in dem Gesetz geschrieben? wie liesest du" (Luk. 10, 26)?

Dieser angenehme und interessante Jüngling war also nicht ge­neigt, seinen Fuß auf „den Weg zu stellen, welcher hinaufging nach Jerusalem." Der Gedanke, die Welt und ihre Reichtümer und Vergnü­gungen zu verlassen, war weit von Ihm entfernt. Er bedurfte das ewige Leben, aber als er es durch Aufgeben seiner Reichtümer erkaufen sollte, da wollte er den Preis nicht bezahlen, „und er ging traurig hinweg."

Die Jünger bieten uns ein anderes Charakterbild dar. Sie waren durch die Gnade fähig, zu sagen: „Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt." Sie standen eine Stufe über dem reichen Jüng­ling. Für sie war Christus so viel wert, daß sie alle irdischen Güter aufgegeben hatten und Ihm nachgefolgt waren. Sie sollten darum auch nichts verlieren; denn Christus will niemandes Schuldner sein. Was auch immer für Ihn hingegeben ist. Er will es bezahlen-— „hundert­fältig jetzt in dieser Zeit .... und in dem kommenden Zeitalter ewi­ges Leben. Aber viele Erste werden Letzte und viele Letzte werden Erste sein." Mit der Nachfolge Jesu zu beginnen ist aber noch kein Aus­harren. Den ersten Fuß auf den Weg zu setzen ist darum noch kein Wandeln darauf. Das ist eine sehr ernste Wahrheit.

„Sie waren aber auf dem Wege, nach Jerusalem hinaufgehend; und Jesus ging vor ihnen her; sie waren bestürzt und fürchteten sich, indem sie Ihm nachfolgten" (V. 32). Warum das? Warum diese Furcht? Hatten sie nicht freiwillig alles verlassen, um Jesu zu folgen? 0 ja; aber sie hatten nicht vorher gesehen, daß das Kreuz so schwer und der Weg so rauh war. Sie hatten die Reichtümer und die Vergnügungen dieser Welt verlassen; aber sie hatten nicht an die finsteren Wolken gedacht, welche über dem Pfade hingen, der nach Jerusalem hinaufging, und darum waren sie bestürzt und voll Furcht, als sie berufen waren, diesen Din­gen entgegen zu gehen. Die Annehmlichkeit der Welt übte nicht einen solchen Einfluß auf sie aus, daß sie deshalb, wie der reiche Jüngling, betrübt weggegangen wären;" aber sie folgten Jesu mit Bestürzung und Furcht; weil der Pfad, welchen Er sie führte, rauh und finster war. Sie befanden sich in einem ganz anderen Zustande. Sie hatten das Leben und hatten es nicht mehr durch die Werke des Gesetzes zu empfangen;

aber als es nötig war, Christum zu folgen, da hatten sie vergessen, die Folgen zu überschlagen; denn Er war auf Seinem Wege hinauf nach Jerusalem. „Er hatte sein Angesicht fester gestellt", um den schrecklichen Schlachtreihen aller Mächte der Finsternis, verbunden mit dem Hohn, dem Widerspruch, der Feindschaft und der Verachtung derer, welche Er zu retten gekommen war, zu begegnen.

Lasset uns wohl die Gnade jener Worte beachten: „Und Jesus ging vor ihnen her." Er stellte Sich Selbst an die Spitze der Schlacht. Er setzte Sich der ganzen Bosheit der befehligten Kriegsheere der Erde und der Hölle aus. „Siehe! Wir gehen hinauf nach Jerusalem, und der Sohn des Menschen wird den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten überliefert werden, und sie werden Ihn zum Tode verurteilen und Ihn den Nationen überliefern; und sie werden Ihn verspotten und geißeln, und Ihn verspeien und Ihn töten; — und am dritten Tage wird Er auf-

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 erstehen" (V. 33. 34). Mit festem Antlitz überschaute Er die ganze Szene;

aber in dem Reichtum Seiner Gnade übersah Er einen Teil des nahen­den Kelches von unaussprechlichen Leiden, nämlich, daß Er von denen, die Ihm bisher gefolgt waren, verlassen und verleugnet wurde.

Wie wenig nun die Jünger in alle diese Dinge eingegangen waren, zeigt augenscheinlich die Tatsache, daß sie auf dem Wege nach Jerusa­lem mit der Frage über ihren bevorzugten Platz in dem Reiche be­schäftigt waren. Ein, Herz, welches mit der Liebe Christi erfüllt ist, wird in der Gewißheit, nahe bei Ihm zu sein, völlige Befriedi­gung finden. Es handelt sich nicht so sehr um den Platz, wohin ich gehe, als um die Person, welche für immer der Mittelpunkt und die Quelle meiner Freuden sein wird. Paulus beschäftigt sich in Phi­lipper 3 'nicht mit dem Platz, welchen er in dem kommenden Reich inne haben würde, — nein, Christum zu gewinnen, war der heiß­ersehnte Gegenstand seines ergebenen Herzens. Von dem Augenblick an, wo er in der Nähe von Damaskus die Schönheit und Vortrefflich­keit Jesu gesehen hatte, bis zu dem Augenblicke, wo er in Rom ge­opfert wurde, war es die unendliche Größe und Liebe zu Seiner Person, welche ihn vorwärtstrieb. Und gewiß, niemand trank ja tiefer aus Sei­nem „Kelch", oder trat vollständiger in Seine „Taufe" ein, als Paulus.

3. Jetzt haben wir noch für einen Augenblick den „blinden Barti-mäus" zu betrachten. In diesem armen blinden Bettler sehen wir Einen, welcher beide, den reichen Jüngling und die Jünger, beschämte. Er richtete augenblicklich seine geöffneten Augen auf den Sohn Davids, ohne nur einen verlangenden Blick auf sein Gewand zurückzuwerfen, welches er, um zu Jesu zu kommen, „abgeworfen hatte;" ohne einen einzigen Gedanken über die Schwierigkeit und Dunkelheit des Pfades Raum zu geben, „folgte er Jesum auf dem Weg e." Auf was für einem Wege? „Auf dem Wege, welcher nach Jerusalem hinaufging." Es könnte gesagt werden: „Er hatte kein Besitztum zu verlieren," und wußte auch nicht von der Richtung und dem Ende dieses Weges." Wohl möglich, aber das verändert die Sache nicht. 

Es. wird immer der Fall sein, daß wir, wenn das Auge mit Christo erfüllt und das Herz mit Ihm beschäftigt ist, nie stehen bleiben, um über das nachzudenken, was wir aufgeben müssen, um zu Ihm zu gelangen, oder über das, was wir zu ertragen haben, um Ihm nachzufolgen. Jesus Selbst nimmt das ganze Herz ein, und dies allein ist im Stande, uns an Ihn zu fes­seln, und Ihm auf dem Pfade zu folgen. Was war die ganze Welt für Bartimäus? Was war für ihn die Schwierigkeit des Weges? Seine Augen waren geöffnet worden; und nicht allein geöffnet, sondern mit dem schönsten Anblick, den je' das Auge der Menschen und der Engel fes­selte, erfüllt — mit der Person des Sohnes Gottes — Gott geoffenbart im Fleisch — und darum, seine Blindheit und seine Armut weit hinter sich zurücklassend, schritt er vorwärts hinter jener wunderbaren Person her, welche allen seinen Bedürfnissen begegnet war.

Warum sagte ihm Jesus nichts von den Geboten? Warum forderte Er ihn nicht auf, sein Kreuz auf sich zu nehmen und Ihm nachzufolgen? Warum stellte Er ihm nicht den „Kelch" und die „Taufe" vor? Weil er nicht ein Verkäufer, sondern ein Bettler war, — weil er nicht von

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 seinem Tun sprach, sondern seine Not bekannte, und weil er endlich nicht über den Platz, welchen er in dem Reiche einnehmen würde, oder über die Schwierigkeit des Weges dorthin nachdachte, sondern nur Jesum zu erlangen und Ihm, welchen er gefunden hatte, nachzufolgen suchte. Dies ist einfach genug. Christus stellt dem armen, blinden, von Herzen gebrochenen Sünder keine Bedingung. Er kam vom Himmel, nicht um bedient zu werden, sondern um zu d i e n e n und Sein Leben für Viele zur Erlösung hinzugeben.

Es würde ganz verkehrt sein, einen verderbten und hilflosen Sün­der aufzufordern, die Welt zu verlassen, um Jesum zu finden. Er ist „ohne Kraft", was kann er tun? Wenn ich einem Geizigen sagte, daß er sein Gold, oder dem Spieler, daß er sein Spiel, oder dem Trunken­bold, daß er seinen Trunk aufgeben müsse, ehe er zu Jesu kommen könne, so würde er mir erwidern, daß ich ihn ebensogut auffordern könnte, seine rechte Hand abzuhauen. Aber wenn einem solchen zuerst seine Augen geöffnet sind, um das blutende Lamm Gottes zu schauen — wenn er das Heil Gottes gesehen — wenn er die gute Botschaft von der Vergebung der Sünden gehört und das ewige Leben und die Recht­fertigung, welche durch das Blut Christi dargereicht werden, erkannt hat — dann wirst du einen Unterschied sehen. Anstatt, durch die Härte der Bedingungen bewogen, „traurig hinweg zu gehen", erfreut er sich auf seinem Wege iin der Erfüllung des offenbarten Heils. Und anstatt wegen der Rauheit und Dunkelheit des Pfades, von Bestürzung und Furcht bewegt zu werden, dringt er mit einer Freude voran, welche allein die Gemeinschaft mit Christo geben kann.

Geliebter Leser, kannst du in irgend einem dieser vorhergehenden Bilder deinen eigenen Charakter sehen? Was ist der gegenwärtige Zu­stand deiner Seele? Bist du um die Erlangung des ewigen Lebens be­sorgt, wirst aber noch durch das unermeßliche Opfer, welches du damit verbunden wähnst, zurückgeschreckt? Schaue doch allein auf das Lamm, welches auf dem Fluchholz blutete, um die Sünde wegzunehmen. Denke nicht an irgend ein Opfer, welches du zu bringen hast, sondern an ein Opfer, welches Er gebracht hat. Dies wird dir Frieden geben. Schaue völlig von dir selbst ab, direkt auf Jesum; laß nicht einmal das Gewicht einer Feder dazwischen kommen. Er hat alles getan, und die Seele, welche an einen gekreuzigten und auferstandenen Christus glaubt, hat Leben, Vergebung und Rechtfertigung. Oder du magst vielleicht Verge­bung und Frieden in Jesu gefunden haben; du magst von der Welt aus­gegangen und zu Jesu gekommen sein; aber du findest den Weg so •rauh und das Kreuz so schwer. Der verachtende Spott deiner früheren Gesellschaft — die bitteren Vorwürfe und Widersprüche um dich her — die Einsamkeit deines Weges und noch vieles andere ist gegen dich, und darum nehmen oft Bestürzung und Furcht deinen Geist gefangen. Doch, ich sage dir, fürchte, dich nicht! Erinnere dich stets, daß der ge­liebte Meister vorangeht. Du kannst auf der ganzen Länge des rauhen und und finsteren Pfades Seine gesegneten Fußstapfen erkennen. Ver­giß auch nicht, daß „wir durch viel Trübsal in das Reich Gottes ein­gehen müssen." Halte dein Auge stets auf Jesum gerichtet. Die Zeit ist sehr kurz. „Denn noch um ein gar Kleines und der Kommende wird

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 kommen und nicht verziehen." Und dann wird dein Ohr die beglücken­den Worte hören: „Gehe ein zu deines Herrn Freude."

Geliebter Bruder in dem Herrn!

Dein lieber Brief ist mir zu Teil geworden, und es tut mir recht leid, daß dein Herz so beschwert und niedergeschlagen ist. Es würde mich sehr freuen, wenn ich dich ein wenig aufrichten und ermuntern könnte. Ich weiß, daß dies eins von unseren gesegneten Vorrechten ist;

und deshalb hoffe ich, daß der treue Herr auch jetzt mir diese Freude wird zuteil werden lassen.

Es gibt Dinge auf der Erde, die unser Herz wohl mit Trauer und Schmerz erfüllen können. Der gegenwärtige Zustand der Versammlung, wovon du schreibst, ist vornehmlich ein Gegenstand dieser Art. Wer ein Herz für Jesum hat, wer Seine Gefühle und Gesinnungen für die Ver­sammlung teilt, der kann nur mit tiefem Schmerz an die traurige Zer­splitterung und Verwirrung, an den allgemein herrschenden Parteigeist in der Versammlung denken. Auf diesen Zustand gleichgültig hinblicken zu können verrät nur ein Herz, was auch gleichgültig gegen seinen Herrn ist. Nun weiß ich aber auch aus eigener Erfahrung, daß es im Blick auf diesen traurigen Zustand Gefühle gibt, die mehr Un­ruhe und Mutlosigkeit als göttliche Traurigkeit ausdrücken. Das eigene Herz hat alsdann seinen wahren Ruhepunkt verloren, und gedenkt nicht mehr der gesegneten Ermahnung des Apostels: „Sorget um nichts, sondern in allen Dingen lasset durch Gebet und Flehen mit Danksagung euer Begehren vor Gott kund werden." Fehlt unserem eigenen Herzen die wahre Ruhe, so sind wir nie fähig, uns in der rech­ten Weise mit den Fehlern und Mängeln Anderer zu beschäftigen. Nur dann, wenn unser Herz ruhig und glücklich in der Gegenwart Dessen ist, der uns liebt und alle die Seinigen in vollkommener Liebe trägt, so sind wir fähig, den Heiligen ihre Füße zu waschen. 

Wir haben des­halb nötig, recht wachsam und nüchtern zu sein. Das Herz ist sehr ge­neigt, seine eigene Unruhe mit den traurigen Zuständen Anderer zu bedecken, hinter den Gebrechen Anderer seine eigenen zu verbergen. Wir können oft sogar eine gewisse Befriedigung darin finden, über die Mängel und Gebrechen unserer Mitbrüder zu urteilen.! Es wäre aber dann weit nötiger, die ernsten Worte des Herrn zu beherzigen: „Nimm zuerst den Balken aus deinem Auge weg, und dann wirst du gut sehen, den Splitter aus deines Bruders Auge wegzunehmen." — Es kommt in der Tat sehr darauf an, mit was für einem Herzen wir die Mängel An­derer betrachten. Mögen wir, wenn das eigene Herz seinen wahren Ruhepunkt verloren hat, noch so sehr meinen, die traurigen Zustände der Versammlung richtig zu beurteilen, so erscheint doch alles wie ver­ändert, wenn wir persönlich in der Gegenwart Gottes wandeln. Ach! wie oft habe ich selbst diese Erfahrung gemacht! Wir sehen alsdann die Mängel und Gebrechen Anderer oder der Versammlung wohl weit klarer, fühlen sie viel tiefer; aber dies Gefühl drückt sich nicht durch liebloses richten oder selbstgefälliges und nutzloses Seufzen und Kla-

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 gen aus, sondern es offenbart sich vor Gott mit Gebet und Flehen, erweckt die Gnade und Liebe im eigenen Herzen und macht uns eifrig im Dienen. Es führt uns zuerst zur wahren Quelle — nicht nur, weil von dort allein alle Hilfe und aller Segen kommt — sondern weil wo­selbst auch nur dann für Andere ein gesegneter Diener sind, wenn sich unsere Herzen in der Gemeinschaft Gottes befinden. Wenn wir von dort kommen, wo alle Fülle ist, bringen wir immer für Andere etwas mit, nicht aber, wenn wir von unten kommen, wo nichts ist. 0 der Herr , gebe uns viel Gnade, geliebter Bruder, zu jeder Zeit selbst in Gemein­schaft mit der Quelle zu sein, so werden wir auch stets in den Män­geln und Gebrechen der Versammlung gesegnete Diener sein! Wir wer­den alsdann auch immer besser lernen, alles mit dem Herzen Jesu zu fühlen und mit Gnade und Liebe zu behandeln. Alles andere ist nutz­los für die Versammlung; all unser Urteilen, Seufzen und Klagen bleibt ohne Segen für sie. Kommen wir aber im Namen Jesu, kommen wir in Seinem Geiste und in Seiner Gesinnung, so werden wir bald die ge­segneten Früchte davon merken. Hiervon habe ich etwas erfahren, und ich wünsche es immer mehr zu tun. Ich teile es Dir, geliebter Bruder, aber in der Hoffnung mit, daß es Dir in Deiner gegenwärtigen Stellung zum Segen gereichen möge. Ich weiß, daß Du Liebe für die Versamm­lung hast; aber ich weiß auch, daß es nötig ist, daß unsere Liebe immer mehr an Einsicht und Erkenntnis reich werde.

Jetzt möchte ich noch mit wenigen Worten auf einen anderen Ge­genstand Deines Briefes eingehen. Du schreibst von dem kleinen H., daß sein Herz in der letzten Zeit gegen Jesum kälter geworden sei. Diese Mitteilung hat mich sehr geschmerzt, denn Du weißt, welch innige Teilnahme ich an dem Knaben nehme. Der geliebte Heiland hat ihn so früh und so schnell aus seinem verderbten Wesen errettet. Ich war Zeuge davon, und denke immer gern an jene gesegneten Stunden zu­rück, besonders aber an die Freude der Eltern., Ich hoffe aber auch zu­versichtlich zum Herrn, daß Er ihn bald wieder wacker machen wird. Es wird mir aber schwer. Deine Meinung in dieser Beziehung zu teilen, daß nämlich von den Bekehrungen der Jugend nicht viel zu halten sei. Ich wenigstens halte davon, was ich auch von den Bekehrungen der Alten halte, daß nämlich jede wahre Bekehrung, mag sie an einem Jungen oder Alten geschehen, ein Werk des Geistes Gottes ist. Ich freue mich immer, wenn Gott wirkt, mag es unter Kindern oder Er­wachsenen sein, und ich vertraue Seinem Wirken völlig. — Warum auch beten wir für die Bekehrung unserer Kinder, wenn wir von der Erhörung unseres Gebets nicht viel halten? Ich kann Dir sagen, ge­liebter Bruder, daß ich mich unendlich freue, daß ich. den Herrn preise, daß Er in der gegenwärtigen Zeit so viel unter den Kindern wirkt, und die vielen Gebete der Seinigen in dieser Beziehung so reichlich erhört. Ich bin aber auch überzeugt, daß Deine ausgesprochene Meinung nur eine vorübergehende ist, wozu Dich die augenblicklichen Umstände ver­leitet haben. Ich weiß ja, daß Dir gerade die Bekehrungen der Kinder bisher am Herzen lagen, und daß Du das Werk Gottes unter ihnen mit Freuden begrüßt. Es hat aber Deine Mitteilung über den kleinen H. andere errnste Gedanken in mir hervorgerufen.. Ich glaube, daß oft die gläubigen Eltern und andere Gläubige, in deren Mitte solche Kin-

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 der leben, viel Schuld daran haben, wenn ihre Herzen wieder erkalten. Die Kinder finden oft im elterlichen Hause so wenig Nahrung für ihre Seele. Es fehlt an Erbauung, an Ermunterung und an rechter Ermah­nung. Das Wort Gottes ist nicht reichlich vorhanden, wie Paulus er­mahnt; es fehlt auch an erbaulicher Unterhaltung und herzlichem Ver­kehr. Dagegen sind die Herzen vieler gläubiger Eltern mit Sorge und Unruhe in Betreff des Irdischen erfüllt. Das Kind hört oft den ganzen Tag von nichts anderem reden, als von Dingen des täglichen Lebens. Es findet wohl kein Interesse daran, aber auch keine Nahrung für seine Seele. Es bedarf der Pflege, und oft ist niemand da, der sie ihm, weder im Hause noch außer demselben, auf die rechte Weise zuteil werden läßt. Die Christen sind im allgemeinen zu wenig kindlich, um mit einem Kinde auf gesegnete Weise umzugehen. Ist es nun da zu verwundern, wenn das Herz eines solchen Kindes nach und nach er­kaltet? Ist aber eine solche Erfahrung nicht meist eine ernste Mahn­stimme und selbst eine schmerzliche Züchtigung für die Eltern? 0 der Herr möge vielen Eltern in dieser Beziehung die Augen recht öffnen! — Es ist auch vielfach der Fall, geliebter Bruder, daß von gläubigen Eltern oder in den Versammlungen mehr für die Bekehrung der Kin­der gefleht wird, als für die Bewahrung derer, die bekehrt sind. Auch das ist ein großer Fehler. Es wird nicht tief genug erkannt, daß das bekehrte Kind, und jeder Bekehrte, eben so völlig der Gnade Gottes zu seiner Bewahrung bedarf, als es sie auch zu seiner Bekehrung be­durfte. Gottes Gnade allein kann uns bekehren und Gottes Gnade allein uns bewahren. Das ist meine völligste Überzeugung:

Ich schließe nun mit dem herzlichen Wunsche, daß der Herr uns in allem mehr Licht und Einsicht schenken möge, um stets nach Seinem wohlgefälligen Willen zu wandeln. Seine Gnade sei auch reichlich mit Dir und den Deinigen!

Es grüßt Dich Dein in der Liebe Christi verbundener

Bruder G. V. W i g r a m

Was ist zu glauben nötig, um selig zu werden?

Eine wichtigere Frage kann nicht an den Menschen gerichtet wer­den. Es ist eine Frage, über welche der eine mit Leichtfertigkeit hin­weghüpft, und die der andere, wiewohl dadurch in seinem Herzen be­unruhigt, nur unbefriedigend zu beantworten vermag. Selbst wahre Christen, die jedoch, ihrer Errettung nicht völlig gewiß, nicht in dem Genüsse eines beständigen Friedens leben, werden bei Beantwortung dieser Frage verschiedene Auffassungen kund geben, die zwar, was das Wesen des Glaubens im Allgemeinen betrifft, schriftgemäß sein mögen, die aber mehr oder weniger voneinander abweichen, je nachdem der einfache Schriftausdruck der eigenen Meinung untergeordnet ist. Daß man aber nicht in dem strahlenden Lichte des Wortes Gottes, son­dern vielmehr in dem trügerischen Schein der eigenen Anschauung den Schlüssel zur Lösung dieser ernsten Frage sucht, — darin eben

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 liegt die große Schwierigkeit, dieselbe der Wahrheit gemäß zu beant­worten.

Darin, daß Christus der Gegenstand unseres Glaubens sein muß, sind freilich — Gott sei dafür gepriesen! — alle Christen einig. Wagt man indes einen Sehritt weiter, indem man eine nähere Erklärung dieses Glaubens fordert, dann treten die mannigfachen Abweichungen, alsbald ans Licht. Während nämlich der eine diesen Glauben an Chri­stum mit den Worten umschreibt: „Man muß glauben, daß Er der Sohn Gottes und daß Er für alle Menschen gestorben ist," — behauptet ein anderer: ein jeder müsse persönlich für sich überzeugt sein, daß Er für seine Sünden gestorben sei; — während dieser hervorhebt, daß Jesus voll Verlangen sei, uns — und zwar in dem gegenwärtigen Augenblicke — zu erlösen, fügt jener hinzu, daß man glauben müsse, wirklich er­löst zu sein, da Gott das Opfer Christi als eine vollkommene Sühne für unsere Sünden anerkannt habe.. So abweichend lauten die Antworten aus dem Munde der Christen unserer Tage und sind ein gar trauriges Zeugnis einer allgemein herrschenden Unklarheit in Betreff einer Frage, die an Wichtigkeit kaum ihresgleichen hat. Nur die Heilige Schrift kann entscheiden; in ihr werden wir, geleitet durch den Heiligen Geist, eine befriedigende Lösung finden.

Unsere Absicht ist indes nicht, über die Natur des Glaubens zu streiten. Es steht fest, daß jemand die Wahrheit nur scheinbar oder auch wirklich annehmen, daß man ihr infolge einer christlichen Erziehung und eines christlichen Umgangs auf leichtfertige Art zu­stimmen, oder sie als eine Sache'persönlicher Überzeugung — gewirkt im Herzen durch die Kraft des Heiligen Geistes — besitzen kann. Von diesem wahrhaftigen Glauben reden wir; von dem Glauben, der — eine Gabe Gottes — von Gott Selbst vermittelst Seines Wortes hervorge­bracht ist. An diesen Glauben allein knüpft sich unsere Errettung; und die Heilige Schrift liefert dafür eine solche Fülle von Zeugnissen, daß wir nur ein einziges Evangelium und eine einzige Epistel flüchtig zu durchlaufen brauchen, um diese Wahrheit ein für allemal feststeilen zu können. Wir wählen das Evangelium Johannes und den Brief Pauli t an die Römer.

„Johannes kam zum Zeugnis, auf daß er von dem L lichte zeugte, damit alle durch ihn glaubten......

So viele Ihn (Jesum) aber annahmen, denen gab Er das Recht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an Sei­nen Namen glaubten (Ev. Job. 1. 7 u. 12)! (Vergl. Kap. 3, 15 u. 18 u. 36; Kap. 6, 29 u. 35 u. 39 u. 47; Kap. 7, 38; Kap. 9,35; Kapill, 25;

Kap. 12, 36 u. 44 u. 46; Kap. 16, 9 u. 27; Kap. 20, 31).

„Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht;

-denn es ist eine Kraft Gottes zum Heil jedem Glau-A'y benden..... Der Gerechte aber wird aus Glauben '. leben" (Röm. 1. 16. 17). (Vergl. Kap: 3, 22 u. 25 u. 26 u. 28; Kap. 4,3 u. 5 u.-16 u. 24; Kap. 5, l; Kap. 9, 30; Kap. 10, 4 u. 9 u. 11 u. 14).

Wie wichtig, wie bedeutungsvoll sind diese göttlichen Aussprüche! Das herrliche Los des Glaubenden ist streng geschieden von dem trost­losen Zustande des Nichtglaubenden.. An den Glauben ist- das Leben und die Herrlichkeit, an den Unglauben der Tod und die Verdammnis

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 unzertrennlich geknüpft. Weder gute Vorsätze, noch übermäßige An­strengungen; weder eigene Tugenden, noch die glänzenden Verdienste anderer Mitgeschöpfe; — nein; nur die freie Gnade durch den Glauben ist der einzige Grund unserer Seligkeit. Wie unermeßlich wichtig ist daher die Tragweite des Gegenstandes, auf den wir jetzt unsere Auf­merksamkeit lenken wollen. Die Frage lautet: „W äs istzuglauben nötig, um selig zu werden?" Das Wort Gottes soll uns eine bestimmte, unzweideutige Antwort geben.

Wir beginnen mit der Betrachtung der Evangelien. Hier sehen wir jemanden, dessen niedrige Abkunft und dessen dürftigen Umstände bei der jüdischen Nation kein Geheimnis sind; — es ist Jesus von Naza-reth, der Sohn der Maria und — wie man meinte — der Sohn Josephs, eines Zimmermanns. Jedoch die außergewöhnlichen Ereignisse, die Seine Geburt begleiteten, die Ihn betreffenden Zeugnisse Johannes des Täufers und vor allem das Zeugnis Gottes, des Vaters, bei Seiner Taufe;

ferner Seine gewaltigen Worte, Seine staunenswerten Wunderwerke, sowie endlich die zahllosen Prophezeiungen, die in Ihm eine buchstäb­liche Erfüllung fanden, — all dieses ließ in der unscheinbaren Hülle des Menschensohnes den Sohn Gottes Selbst erkennen. Nahmen die Menschen Ihn als den Christus, als den Sohn Gottes auf? Glaubten sie in ihren Herzen, daß Er es wirklich sei? Ach, nein! Obwohl die Rettung von ewigem Verderben durch diesen Glauben bedingt war, so vermochte doch, aller Zeugnisse ungeachtet, der natürliche Verstand Seinen wahren Charakter nicht zu erkennen; vielmehr war eine solche Erkenntnis stets die Wirkung der Offenbarung Gottes, des Vaters. Als einst Petrus das Bekenntnis ablegte: „D u bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!" lautete die Antwort des Herrn:

„Glückselig bist du Simon, Bar Jona! denn Fleisch und Blut haben es dir nicht geoffenbart, sondern mein Vater der im Himmel ist" (Matth. 16.17). — Alle hatten eine falsche Meinung von Seiner Person; nur Petrus, dem es geoffenbart worden, glaubte und bekannte, daß Er der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes sei, und — Jesus pries ihn selig. Das also war es, was, um selig zu werden, zu glauben nötig war.

Nehmen wir jetzt das Evangelium Johannes zur Hand. Auch hier finden wir, daß es sich stets um den Glauben an die Person des Chri­stus handelt. Ihn anzunehmen als Den, der Er zu sein erklärte;

wirklich zu glauben", wie Petrus, daß Er der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes war, — dies nur kennzeichnete jemanden als wahren Gläubigen; denn er besaß den seligmachenden Glauben. Wie bezeichnend sind diese Worte: „Die Welt kannte Ihn nicht. Er kam in Sein Eigentum, und die Seinigen nahmen Ihn nicht auf, so viele ihn aber annahmen, denen gab Er das Recht.» Kinder Gottes zu werden, denen, die an Seinen Namen glaubten." Wenn aber, wie oben angeführt, der Herr das Bekenntnis Petri als eine Wirkung des himmlischen Vaters bezeichnete, so drückt auch hier der Heilige Geist dasselbe in den Worten aus: „Welche nicht aus Geblüt, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Man­nes, sondern aus Gott geboren sind" (Ev. 1. 10—13).

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 Im vierten Kapitel finden wir das Gespräch Jesu mit einer Sama­riterin. Was mangelt dem armen Weibe? Antwort: die Erkenntnis Sei­ner Person. „Wen n du die Gabe Gottes känntest," — sagt Er,

— „und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken,

— duwürdest Ihn gebeten haben, und Er hätte dir le­bendiges Wasser gegeben" (V. 10). — Und als Er voll Güte und erbarmender Liebe Seine Unterhaltung fortsetzt, und als Er von dem Vater redet, der Anbeter in Geist und Wahrheit suche, da öffnet sich das Herz des schuldbeladenen Weibes den Worten Jesu. Sie läßt es durchblicken, daß sie in Ihm den Christus erkennt und ruft aus:

„Ich weiß, daß der Messias kommt, der Christus ge­nannt ist. Wenn Er gekommen ist, wird Er uns alles kund tu n." — Jesus aber spricht zu ihr: „Ich b i n s , der i c h z u d i r r e d e" (V. 25 u. 26). — Ja, wahrlich, sie hat die Gnade ' Gottes und Den, der zu ihr redet, erkannt; und dieses Erkennen ver­wandelt die Sünderin in eine Jüngerin. Selige Umwandlung! Nicht länger mehr kann sie an dem Orte weilen; das helle Licht der Gnade hat in die dunklen Gemächer ihrer Seele hineingeschienen; ihr Herz — soeben noch beunruhigt durch ein verklagendes Gewissen — strömt über in namenloser Freude und treibt sie hin zur Stadt, um dort den Leuten zuzurufen: „Kommt, sehet einen Menschen, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe! Ist dieser nicht der Christus?" In der Tat, ihr Glaube gilt der Person des Christus. Sie glaubt, daß Er Der sei, welcher Er wahrhaftig ist, Der, welchen Gott als Solchen anerkannt. Bei den Leuten in der Stadt aber gewahren wir dieselben Erscheinungen; denn nachdem der Herr zwei Tage lang bei ihnen verweilt hat, bezeugen auch sie dem Weibe gegen­über laut: „Nicht mehr um deines Redenswillen glauben wir; denn wir selbst haben gehört und wissen, daß dieser ist wahrhaftig der Heiland der Welt, der C h r i s t u s." — Nicht unbestimmt, nicht verborgen ist ihr Glaube. Sie glauben und bekennen, daß Er — dieser Mensch Jesus: — der Christus, der Heiland der Welt ist.

Wir wenden uns zum sechsten Kapitel. Viele, noch vor Kurzem herbeigelockt durch die Wunder Jesu, weichen zurück, erschreckt durch die Kraft Seiner Worte. Kaum aber richtet er an die Zwölfe die rüh­rende Frage: „Wollt ihr auch weggehen?" — da zeigt sich alsbald unverhüllt jenes geheimnisvolle Band, welches — mit Ausnahme des Judas — die Jünger an ihren Meister fesselt. Es ist der Glaube an Seine gesegnete Person, ausgedrückt in den Worten Petri: „Herr! Zu wem sollen wir' gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens; und wir glauben und wissen, daß du der Christus, der Sohn Gottes bist" (V. 67—69).

Ebenso stellt uns die Geschichte des Blindgeborenen (Kap. 9) den Gegenstand des Glaubens klar vor die Seele. Die Augen dieses Unglück­lichen sind durch jemanden geöffnet worden, den er unter dem Namen „Jesus" kennt. Freimütig legt er vor den Pharisäern Zeugnis von Ihm ab, dem er seine Heilung verdankt, erkennt Ihn zugleich an als einen Gegenstand der Anbetung und als einen Propheten, und, dieses be­kennend, wird er aus der Synagoge gestoßen. Wohl mangelt ihm noch

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 das volle Licht in Betreff der Herrlichkeit der Person Jesu; aber nach­dem der Herr die Frage: „Glaubst du an den Sohn Gottes?" — an Ihn, den Ausgestoßenen, gerichtet und dadurch ein Verlangen nach Erkenntnis Seiner herrlichen Person geweckt hat, erleuchtet Er zugleich sein Herz durch die Worte: „Du hast Ihn gesehen, und der mit dir redet, Der ist e s." Ihn erkennen, an Ihn glau­ben, — das war das eine, was dem armen Manne Not tat; und sein Ruf: „Ich glaube, Herr?" — ist das Fundament eines, durch den Glauben neugegründeten, ewigdauernden Verhältnisses zwischen ihm und' dem Sohne Gottes; „Er huldigte Ihm."

Es steht also unabänderlich fest, daß, während der Anwesenheit Jesu auf Erden, die Herrlichkeit Seiner Person als des Sohnes Gottes . der große Gegenstand des Glaubens war. Auch andere Stellen des Neuen Testaments liefern dazu die unwiderlegbarsten Beweise. (Vergl. Apstg. 9, 20; 1. Joh. 4, 15; 5, 1 u. 5 u. 13). — Was aber zur Zeit des Herrn auf Erden galt, das gilt auch in unseren Tagen. Denn die Evan­gelien, und vornehmlich das von Johannes, sind erst lange nach dem Tode, der Auferstehung und der Himmelfahrt Jesu verfaßt worden und zwar zu dem Zwecke, „daß i h r" — wie Johannes sagt — „glau­bet, daß Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und daß ihr glaubend das Leben habt in Seinem Namen" (Joh. 20, 31). — Eine bestimmte Erklärung dessen, was man zu glauben hat, ist wohl kaum denkbar; und unerschütterlich fest steht die Wahr­heit, daß das Leben iin Christi Namen an den Glauben geknüpft ist, daß „Jesus der Christus ist, der Sohn des lebendigen Gottes."

Man könnte indes den Einwand machen, daß ein Unterschied be­stehe zwischen den Glaubenden während des Aufenthalts Jesu hienie­den und denen der Jetztzeit, nachdem Er gestorben, auferstanden und gen Himmel gefahren ist. Laßt uns auch in dieser Beziehung ohne Über­eilung in dem Worte Gottes Aufschluß suchen!

Während des Aufenthalts des Herrn auf der Erde war es durchaus eine Notwendigkeit zu unterscheiden und zu erkennen, daß Er, der als Mensch und zwar in den dürftigsten Umständen hienieden wandelte, wirklich der Christus, der Sohn Gottes war. Obwohl aber Zeugnisse in Betreff der Herrlichkeit Seiner Person in Fülle vorhanden waren, so wurde Er dennoch als Sohn Gottes nur von denen geglaubt und erkannt, welchen es nicht durch Fleisch und Blut, sondern durch Seinen Vater geoffenbart worden war. Alle anderen verwarfen Ihn. Keine Schönheit fanden sie an dem Manne der Schmerzen; sie stießen Ihn von sich und überlieferten Ihn den Händen der Henker. Doch wer vermochte Sein Leben von Ihm zu nehmen? Er gab es freiwillig hin; Er ward zum Schlachtopfer für unsere Sünde. Vermochte Ihn der Tod zu halten? Gottlob nein. Vielmehr machte Er durch den Tod den zunichte, der die Kraft des Todes hat, das ist, den Teufel. Siegreich verließ Er das Grab, erschien Seinen dazu auserwählten Zeugen und fuhr dann auf gen Himmel, um sich zu setzen zur Rechten der Majestät in der Höhe. Durch Seinen Tod, Seine Auferstehung und Himmelfahrt hat Er eine neue Stellung eingenommen; kein menschlich Auge schaut Ihn mehr als müden Pilger auf dem Wege nach Jerusalem; aber der Glaube er-

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 blickt in Ihm, dem Auferstandenen und zur Rechten Gottes Erhöhten, Denselben, Jesus von Nazareth, der einst am Jakobsbrunnen aus der Hand einer Sünderin einen Trunk Wassers begehrte. Der Glaube hat den­selben Gegenstand vor sich, nur ist ihm ein größerer Spielraum geboten.

Vor dem Tode Jesu konnte allerdings, selbst bei gänzlicher Unkennt­nis der Notwendigkeit Seines Sterbens und Auferstehens, ein wahrhaftiger Glaube vorhanden sein. Das 16. Kapitel des Matthäus gibt uns dafür einen schlagenden Beweis. Petrus soeben noch selig gepriesen wegen seines Bekenntnisses, gibt seinen Widerwillen gegen das Leiden und Sterben des Herrn in einer so auffallenden Weise zu erkennen, daß er sich dadurch eine der demütigendsten Zurechtweisungen zuzieht. „W eiche, hinter mich, Satan!" so lauten des Herrn ernste Worte; — „Du bist mir ein Ärgernis; denn du sinnest nicht auf das, was Gottes, sondern auf das, was des Menschen ist" (V. 23). — Und diese Unwissenheit, betreffs des Todes und der Auferstehung Jesu, war unter den Gläubigen jener Tage so allgemein herrschend, daß wir selbst nach Seiner Auferstehung die trauernden, nach Emmaus pilgernden Jünger sagen hören: „Wir aber hofften, daß Er Der sei, der Israel erlösen sollte" (Luk. 24, 21). Wie nun? Kennzeichnet diese Unwissenheit die Jünger als solche, die nicht des seligmachenden Glaubens teilhaftig, mithin nicht aus Gott geboren waren? Keineswegs. Sie hatten geglaubt und erkannt, daß Jesus der Sohn Gottes war; und Er Selbst hatte sie zur Freude er­muntert, weil ihre Namen im Himmel angeschrieben seien (Luk. 10, 20). Wie kräftig ist Sein Zeugnis, wenn Er sagt: „Ihr seid schon rein um des Wortes willen, welches ich zu euch geredet habe" (Joh. 15, 3)! und wie bezeichnend ist Sein Gebet: „Dieses aber ist das ewige Leben, daß sie Dich, den allein wahren Gott, und den Du gesandt hast, Jesum Christum, er­kennen. . . Die Worte, die Du mir gegeben, habe ich ihnen gegeben; und sie haben empfangen und wahr­haftig erkannt, daß ich von Dir ausgegangen bin, und haben geglaubt, daß Du mich gesandt hast. . . . . Ge­rechter Vater! Und die Welt hat Dich nicht erkannt;

-- Ich aber habe Dich erkannt, und diese haben er­kannt, daß Du mich gesandt hast" (Joh. 17, 3 u. 8 u. 25). Bedürfen wir noch weitere Versicherungen wegen der Echtheit ihres Glaubens, ungeachtet ihrer Unwissenheit in Betreff des Todes und der Auferstehung des Herrn? Gewiß nicht.

Bei den Gläubigen unserer Tage aber ist eine solche Unwissenheit in diesen Dingen zur Unmöglichkeit geworden. Die Wahrheit, daß Jesus

- der Sohn Gottes ist, kann nicht geglaubt werden, ohne zugleich an Seinen Tod und an Seine Auferstehung zu glauben. Der Glaube an Seine Person schließt unbedingt den Glauben an diese herrlichen Tatsachen mit ein.

Sein ganzes Leben voller Schmerz und Mühsal hat genügend den Beweis geliefert, daß Er der Sohn Gottes ist. Er redete, wie niemand geredet; Seine Werke zeugten von Ihm; voll Liebe und Erbarmen war Er in einer Welt voll Sünde die stete Offenbarung des Vaters, von welchem Er kam und in dessen Schoß Er lag. Der Beurteilung des  Menschen anheim gegeben, erkannte der Glaube, in Ihm den Sohn Gottes. Nachdem aber die Welt Seine völlige Verwerfung gesehen, er­höhte Gott Ihn zu Seiner Rechten und drückte also durch die Tatsache der Auferstehung aus den Toten das Siegel auf jenen Beweis der Wahr­heit, daß Er wirklich der' Sohn Gottes ist. „Er ist dem Geiste der Heiligkeit nach als Sohn Gottes in Kraft erwiesen durch Toten-Auferstehung" (Röm. 1. 4). Der Heilige Geist aber, als die Kraft des Zeugnisses vom Himmel gesandt, bewirkt, daß hinfort die Jünger nicht nur in der Person Jesu den Sohn Gottes ver­kündigen, sondern auch zugleich reden von dem Beweise dieser Wahr­heit, von der herrlichen Tatsache Seiner Auferstehung aus den Toten, deren Zeugen sie waren. Der Glaube umfaßt beides. „Wenn du" — sagt der Apostel — „mit deinem Munde den Herrn Jesum bekennst und in deinem Herzen glaubst, daß Gott Ihn aus den Toten auferweckt hat, wirst du selig werden" (Röm. 10, 9).

Das glorreiche Ereignis der Auferstehung des Herrn ist in der Tat der Brennpunkt, in welchem sich alle Strahlen der göttlichen Gnade vereinigen; es ist — wie schon gesagt — der kräftige Beweis der Herr­lichkeit des Sohnes Gottes. Nachdem Er das Grab verlassen, gebot Er Seinen dazu auserwählten Zeugen, allen Nationen, mit Hinweisung auf Seinen Tod und Seine Auferstehung, Buße und Vergebung der Sünden anzukündigen (Luk. 24, 46—48); — und, erfüllend diesen Auftrag, bildete die Auferstehung fortan den Kern ihres Zeugnisses. Schon in den er­sten Kapiteln der Apostelgeschichte (vergl. Kap. 1. 22; Kap. 2. 24, 32 u. 36;

Kap. 3, 15; Kap. 4,10; Kap. 5,30) stellt uns Petrus in seinen Predigten diese Tatsache in ihrer ganzen Tragweite vor Augen. Daß der von die­ser Welt verworfene Jesus der Christus, der Sohn Gottes ist, und daß Gott Ihn aus den Toten auferweckt hat, bildet für den Glauben ein un­zertrennliches Ganzes. Oder sollte wohl jemand, der etliche Wochen zuvor den Herrn am Kreuze enden sah, dem Zeugnisse Petri in Betreff Seiner Auferstehung Glauben geschenkt haben, ohne zugleich zu glau­ben, daß Er der Herr, der Christus sei? Oder sollte im entgegengesetz­ten Falle jemand Ihn als den Herrn, den Christus erkannt haben, ohne an Seine Auferstehung zu glauben? Unmöglich. Das eine schließt das an­dere in sich. Jesus von Nazareth, geboren von der Jungfrau Maria und öffentlich gekreuzigt zu Jerusalem, ist wahrlich der Christus, der Sohn Gottes — Gott »geoffenbart im Fleisch — und als solcher'„i n Kraft erwiesen durch Toten-Auferstehung". —

Eingetreten in das Haus des Kornelius, geht Petrus in seinem Zeug­nis noch einen Schritt weiter (Apgsch. 10). Nachdem er die Hauptzüge der Geschichte des Herrn geschildert hat, bezeichnet er Ihn, den Ge­kreuzigten und Auferstandenen, als den Richter der Lebendigen und der Toten und verkündet jedem Glaubenden durch Seinen Namen Ver­gebung der Sünden. Glauben die Zuhörer etwa nur einen Teil dieser Predigt? Nein; ihr Glaube umfaßte das Ganze. Sie glaubten, daß Jesus der Gesalbte (Christus) sei, daß Er gekreuzigt worden und daß Er von Gott aus den Toten auferweckt und zum Richter über alle verordnet sei. Und was war die Wirkung dieses Glaubens? Sie empfingen die Verge­bung der Sünden. Oder bezweifelten sie etwa diese Gnadenbotschaft

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 der Sündenvergebung? Keineswegs; denn „a 1s Petrus diese Worte redete, fiel der Heilige Geist auf alle, die das Wort hörte n." Die Vergebung ihrer Sünden ward versiegelt durch die Gabe des Heiligen Geistes; und alle hatten Anteil daran, welche das Zeugnis Petri in Betreff des Christus im Glauben aufnahmen.

' Auch in den Predigten Pauli findet die Auferstehung Christi aus den Toten den hervorragendsten Platz (Vergl. Apstgsch. 13, 30 u. 33; — 17, 3 u. 31). Er verkündet Jesum als den Auferstandenen, und ruft (Apgsch.13) den Juden in Antiochien zu: „So sei euch denn kund, Männer, Brüder ! daß durch Diesen euch die Vergebung der Sünden verkündigt wird. Und von allem, worin ihr in dem Gesetz Moses nicht gerechtfertigt werden konntet, 1 s t i n Diesem jeder Glaubende ge­rechtfertigt." — Und was sollte geglaubt werden? Das was Paulus verkündigte. Wer nun dieser Predigt des Apostels Glauben schenkte, erhielt von Gott Selbst durch den Mund Pauli die Versicherung, daß er von allem gerechtfertigt sei. Wie einfach, wie süß ist doch das Evange­lium, die frohe Botschaft der Gnade Gottes!

Am deutlichsten jedoch tritt die herrliche Tatsache der Auferstehung als Glaubenspunkt in dem 15. Kapitel des Korintherbriefes in den Vor­dergrund. Sie bildet hier die Hauptsumme des apostolischen Zeugnisses, weil sie, als ein unumstößlicher Beweis der Herrlichkeit des Sohnes Gottes, alle anderen Grundwahrheiten in sich schließt, die zu glauben. nötig sind, um selig zu werden., Wer an die Auferstehung des Herrn glaubt, der glaubt an Seinen Tod; — wer aber glaubt, daß Er gestorben ist; der wird auch die Ursache und den Zweck des Todes Dessen kennen, der, ohne Sünde, das Leben in Sich Selber hatte und mithin nicht unter der Macht des Todes sein konnte. Unmöglich kann Glauben an den Aut­erstandenen vorhanden sein, ohne zu glauben und zu erkennen, daß unsere Sünden die Ursache und unsere Erlösung der Zweck Seines Todes waren. Lieber Leser! Glaubst du wahrhaftig in deinem Herzen, daß Gott Jesum aus den Toten auferweckt hat? Nun, dann glaubst du auch, daß Er der Christus, der Sohn Gottes ist; ja, dann glaubst du auch an das versöhnende Blut Dessen, „welchen Gott vorgestellt hat zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben an Sein Blut." — Wahrlich, mit dem herrlichen Ereig­nis der Auferstehung hängt alles zusammen, was zur Seligkeit zu glauben nötig ist; denn „wenn du mit deinem Munde den Herrn Jesum bekennst und in deinem Herzen glaubst, daß Gott Ihn aus den Toten auferweckt hat, wirst du selig "werden."

 Was ist also zu glauben nötig, um selig zu werden? Um dem Leser die Antwort ZJJ erleichtern, wollen wir noch einmal die Hauptmomente unserer Betrachtung flüchtig an seinen Blicken vor­ig; fiberrühren. Wir haben gesehen, daß in Gottes Wort die Seligkeit unzertrennlich an den Glauben geknüpft ist, daß der Glaube zur Zeit des Ben-n in Ihm den Christus, den Sohn Gottes, den Erlöser der Welt er-siEännte, daß der Glaube unserer Tage keinen anderen Gegenstand, wohl aber in der Auferstehung Jesu den kräftigsten Beweis und die trefflichste Offenbarung Seiner Person, als Sohn Gottes, besitzt, und daß

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 endlich der Glaube an Seine Auferstehung aus den Toten die Erkennt­nis der Ursache und des Zweckes Seines Todes voraussetzen läßt und mithin den Glauben an Sein versöhnendes Blut in sich schließt. Was ist also zu glauben nötig, um selig zu werden? 'Das, was die Apostel in der bestimmtesten und unzweideutigsten Weise betreffs der Person des Christus verkündigt haben; und die Gewißheit der Er­rettung wird die Frucht dieses Glaubens sein.

Was nun aber ist die Ursache der allgemein herrschenden Unsicher­heit hinsichtlich der Errettung bei den Gläubigen unserer Tage? Woher die Furcht und die Unruhe angesichts der so klaren Aussprüche der heiligen Schrift? — Lieber Leser! Vielleicht räumst auch du ein, daß dir die völlige Gewißheit mangelt, obwohl du an den gekreuzigten und auferstandenen Heiland glaubst; vielleicht sogar holst du aus der Rüst­kammer des Wortes Gottes eine Waffe, indem du dich auf die drei­tausend am Tage der Pfingsten, die nach der Predigt Petri, anstatt ihrer Errettung gewiß zu sein, vielmehr mit zerknirschtem, angster­fülltem Herzen ausriefen: „Was sollen wir tun, Männer, Brü­der?" — oder gar auf den Apostel Paulus selbst, der, anstatt die süße Frucht des Glaubens zu genießen, den Angstruf ausstieß: „Wer bist Du, Herr !" — Du hast Recht. In diesen beiden einzigen Fällen führt die Heilige Schrift uns Personen vor, die wahrlich an Christum glaub­ten, ohne von der Furcht ihres Gewissens befreit zu sein. Zwischen dem Augenblicke, wo die Auferstehung und Erhöhung des Christus ge­glaubt, und jenem, wo das Mittel und der Grund ihrer persönlichen Seligkeit erkannt wurde, lag eine, wenn auch nur kurze Zwischenzeit. Jedoch die Ursache dieser Erscheinung zu finden, wird uns nicht schwie­rig sein, wenn wir einen Blick auf die Predigt werfen. 

Was verkün­digte Petrus seinen Zuhörern? Er beschuldigte sie, Jesum von Nazareth getötet zu haben, und verkündigte ihnen, daß Gott Ihn auferweckt und sowohl zum Herrn .als auch zum Christus gemacht habe; aber von Sün­denvergebung war keine Rede. Ganze Scharen glaubten dem Zeugnis des Apostels und — „es schnitt ihnen durchs Her z." Wie konn­ten sie — überzeugt, den Messias getötet zu haben — angesichts der unwiderlegbarsten Beweise Seiner Auferstehung und Seiner Erhöhung etwas anderes erwarten, als daß Er in Gerechtigkeit von Seiner Macht und Herrschaft zu ihrer Vertilgung Gebrauch machen werde? Und was hätte das Herz des nach Mord lechzenden Saulus zur Freude bewegen können, als er die Macht Dessen sah, den er im Unverstande seines Eifers verfolgte? Nein, in beiden Fällen ward dem Glauben nichts ge­boten, was den Brand in dem erwachten Gewissen löschen konnte. Doch nicht lange dauerte dieser unerträgliche Zustand. Von Neuem wendet sich Petrus an die zerknirschten Herzen seiner Zuhörer, fordert sie auf, sich zu bekehren und sich taufen zu lassen in dem Namen Jesu zur Vergebung der Sünden, und — die Gabe des Heiligen Geistes ist das Siegel ihrer Errettung. Ebenso eilt Ananias, im Auftrage des Herrn, zu dem seit drei Tagen erblindeten Saulus; und dieser, folgend der Mahnung: „Stehe auf, laß dich taufen und deine Sünden abwaschen. Seinen Namen anrufen d," — erhebt sich und predigt alsbald Jesum, daß Dieser der Sohn Gottes sei.

Was war also die Ursache ihres Schreckens? Sie glaubten nicht über

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 das hinaus, was ihnen verkündigt ward. Weder der erste Teil der Pre­digt Petri, noch die Erscheinung des Herrn auf dem Wege nach Damas­kus enthielt die frohe Gnadenbotschaft der Sündenvergebung. Unmög­lich aber, lieber Leser, kannst du diese Ausnahmställe deinem unsiche­ren Zustande anpassen, da das Wort Gottes dir den herrlichen Gegen­stand deines Glaubens in Seiner ganzen Fülle vorführt. Nur die mensch­liche Weisheit ist es, welche den vollen Glanz des Wortes Gottes ver­dunkelt und dich hindert, das zu unterscheiden, was so klar und ein­fach geoffenbart ist. Seit Petrus, dem Rufe Gottes gehorchend, seinen Fuß in das Haus des Kornelius setzte, ist den Nationen die Gnadentür weit geöffnet worden; und von dieser Zeit an wird Jesus nicht nur als der Christus, als der Sohn Gottes, der gestorben und auferstanden, ge­predigt, sondern es wird auch Vergebung der Sünden allen denen ver­kündigt, die dieses Zeugnis in ihrem Herzen glauben. Jetzt ist das Zeug­nis von Jesu nicht mehr durch einen Zwischenraum getrennt.

Lieber Leser! Weißt du nun, was zu glauben nötig ist, um selig zu werden? Und glaubst du wirklich, daß Jesus Christus, der Sohn Gottes, und daß Er unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt ist? — Ohne Zweifel. — Bist du denn nun deiner Errettung gewiß? Wie! Du zögerst diese Frage zu bejahen? Armer Freund! Sage mir doch einmal, wo findest du den Beweis, daß Jesus der Sohn Gottes, und daß Er gestorben und auferstanden ist? — Im Worte Gottes — antwortest du. — Ganz recht. Aber wenn die Hei­lige Schrift in der Tat die Quelle ist, aus welcher du 'diesen köstlichen Beweis schöpfst, dann hast du auch dieselbe Quelle und denselben Be­weis, dich zu versichern, daß du „glaubend das Leben hast in Seinem Namen; — „und daß, wenn du mit deinem Munde den Herrn Jesum bekennst und in deinem Herzen glaubst, daß Gott Ihn aus den Toten auferweckt hat, du selig werden wirst" (Röm. 10 9). — Gott. sei gepriesen für eine so bestimmte, unzweideutige Antwort auf eine so ernste, wichtige Frage!

Jetzt noch zum Schluß ein Wort an denjenigen Leser, der, weil er diese Zeilen nur flüchtig durchgelesen, mit Leichtigkeit sagen könnte:

„Ei, wenn nichts anderes zu glauben nötig ist, dann gehöre auch ich in die Reihe der Gläubigen; denn ich habe diese Sache nie bestritten." — Aber, mein Lieber, eine Wahrheit nicht bestreiten und an eine Wahrheit glauben sind zwei verschiedene Dinge. Vielleicht hast du die Wahrheit, daß Jesus — der Gekreuzigte und Auferstandene — der Sohn Gottes ist, nie bestritten, weil andere Gegenstände deine Zeit, deine Gedanken, deine Kräfte in Anspruch nahmen und jeden ernsten Gedanken an die Ewigkeit aus deinem Herzen verbannten, oder gar weil es dir für Torheit galt, über Dinge nachzudenken, über welche diese Welt längst schon ihren Stab gebrochen hat. Wohl möglich, daß du nicht diese oder jene grobe Sünde begangen und geradezu kein är­gerliches, lasterhaftes Leben geführt haben magst; wohl möglich, daß Konzerte, Theater, Bälle, Spiele und andere leidenschaftliche Vergnü­gungen dich nicht mit ihren Netzen umstrickt haben mögen; aber waren es nicht deine Freunde, war es nicht deine Familie, dein Geschäft, dein Geld, waren es nicht ungezählte Dinge, die mehr anziehendes und einen

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 unvergleichlich höheren Wert für dich hatten, als der von dieser Welt verworfene Jesus von Nazareth? Nein, wahrlich, an Ihn glaubst du nicht; darum hat Er keinen Wert für dein Herz. Ich will dirs offen sagen, woran du glaubst: Es sind die Dinge, woran du denkst Und mit denen du dich beschäftigst. Du glaubst an den Nutzen des Geldes, und darum ringst du unermüdlich nach seinem Besitz; du glaubst an ein glückliches, bequemes Leben in deiner Familie, und darum suchst du dein Haus so angenehm als möglich einzurichten; du glaubst an den Wert der Gelehrsamkeit, und darum strebst du mit Eifer, deinen Geist mit Kenntnissen aller Art zu bereichern; du glaubst endlich an die Vor­teile eines guten Namens, und darum trachtest du alle menschlichen Tugenden zur Schau zu tragen. — Siehst du? An diese Dinge glaubst du von ganzem Herzen. 0 gewiß; wäre der Sohn Gottes der Gegenstand deines Glaubens, — du würdest dich mit Ihm beschäftigen, würdest Ihm vertrauen und Ihn anbeten. Ein eitles, leichtfertiges, unbedach­tes Bejahen ist etwas anderes, als der Glaube an eine Sache, an welche eine ewige Erlösung geknüpft ist.

Einmal lebte wirklich ein Mensch auf Erden — ein Mann, der Sohn der Jungfrau Maria, der Sein Leben endete unter den Schmerzen der Kreuzigung; — und dieser Mensch ist es, den Gott als Seinen eingebore­nen Sohn 'anerkannte und den Er auferweckte aus den Toten. — Und dieses ist die Wahrheit, die du nicht glaubst. Du achtest eine so große Errettung gering; und diese Geringschätzung — die Frucht deines Un­glaubens — ist der entsetzliche Beweis, daß du den Sohn Gottes mit Füßen trittst. Ohne Zweifel hast du dich auch anderer Sünden schuldig gemacht, die an Zahl die Haare deines Hauptes übertreffen werden, und durch welche, wo du darin beharrest, du dir Zorn aufhäufen wirst für den Tag des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes; allein die unter allen schrecklichste Sünde ist. daß du dem Zeugnisse Gottes in Betreff Seines Sohnes nicht glaubst, mithin die in dem Evangelium angekündigte Gnade Gottes von dir stoßest und durch dein Beharren im Unglauben die ganze, entsetzliche Last deiner Sünden mit eiserner Kette an deine arme Seele bindest. Schon jetzt in diesem Augenblicke ist das Urteil Gottes über dich gefällt; denn „wer nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes glaubt" (Joh. 3, 18).

0 möchte der Herr doch geben, daß du erwachest aus deinem trau­rigen, trost- und hoffnungslosen Zustande? Möchte doch dein Gewis­sen kräftig genug überführt und die Frage in dir geweckt werden:

„Wer ist dieser Jesus, von welchem Gott in. Seinem Worte zu mir spricht?" Möchtest- du, ergriffen durch" die überschwängliche, allen Menschen erschienene Gnade, glaubend zu den Fü­ßen Jesu sinken, mit dem Rufe: "Mein Herr und mein Gott!" Gewiß, du würdest voll Freude mit dem Apostel ausrufen: „Gerecht­fertigt also aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott, durch unsern Herrn Jesum Christum" (Röm. 5, l).

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2 Mose 12 Das Blut des Passahlammes und das Rote Meer

(2. Mos. 12—1,4)

Die hier angeführten Kapitel offenbaren uns in Wirklichkeit und zugleich als V o r b i l d ein doppeltes Gericht in Betreff der Feinde Gottes und eine doppelte Errettung in Betreff des Volkes Gottes. — Zuerst sehen wir, wie Gott als Richter durch Ägyptenland zog und alle Erstgeburt schlug. Der Zweck dieses Gerichts war, den Pharao zu zwin­gen, von seiner frevelhaften Verfolgung der Kinder Israel abzulassen. In dem Gericht des Roten Meeres aber offenbarte Gott Seine ganze Macht an den Feinden Seines Volkes, und zerstörte mit dem Hauche Seines Mundes den, der sich in Übermut gegen Ihn empörte, Pharao samt seinen Reitern und Wagen wurden in den Fluten des Meeres be­graben. Es war das Schlußgericht, welches für immer die Feinde Gottes vernichtete. — In dem ersten Gericht nun blieb Israel verschont, und das letztere wurde seine Befreiung. Da Gott als Richter ganz Ägypten­land durchzog und die Erstgeburt der Ägypter tötete, ging Er an den Kindern Israel vorüber. Weshalb aber verschonte Er sie? Durch wel­ches Mittel waren sie von diesem Gericht in Sicherheit gebracht? Durch ihre Gottesfurcht? 0 nein; sondern allein durch das Blut des Passah­lammes. Auf Befehl Gottes hatte jede Familie der Kinder Israel ein fehlerloses Lamm geschlachtet und dessen Blut an die Türpfosten gestri­chen; und der Richter ging an jedem Hause, wo Er dieses Blut fand, ohne weiteres vorüber. Dies Blut reichte vollkommen hin, um das Schwert des Richters abzuhalten. Wo dies Blut aber fehlte, da war auch nichts im Stande, diesem Schwerte zu entrinnen. Das Blut allein war das sichere Schirmdach für das Volk Gottes. Gott Selbst hatte in Seiner großen Liebe für Sein Volk diesen Weg zur Errettung eröffnet. In dem vergossenen Blute war jede Forderung Seiner Gerechtigkeit gegen die Sünde befriedigt und aller Zorn zum Schweigen gebracht. Es bezeugte, daß das Gericht vollzogen, und daß für alles, was Gott in Seinem Wesen ist, eine vollkommene und gänzliche Genugtuung ge­schehen war. Beim Anblick desselben ging Gott als Gott, nach Seiner Gerechtigkeit, Heiligkeit und Wahrheit, an den Türen der Kinder Israel schonend vorüber. Dies Blut bezeugte, daß Sein Gericht schon vollzogen und Seine Gerechtigkeit befriedigt war.

Das Blut des Passahlammes würde Israel aber keinen Schutz ge­währt haben, wenn nicht Gott dasselbe verordnet hätte, und Er ver­ordnete es im Hinblick auf "das Lamm, „welches schon vor Grundlegung der Welt zuvorerkannt war" — auf das Blut Seines eingeborenen Soh­nes. Ja, das Blut Christi allein hat die Kraft, uns vor dem Gericht Gottes in, Sicherheit zu bringen. Gott Selbst hat Sich Sein Lamm auserwählt. 0 anbetungswürdige Liebe! Gott schonte Sich nicht, Er schonte nicht das Blut Seines eingeborenen und geliebten Sohnes, um gottvergessene Sünder völlig zu schonen. Christus Selbst ging ins Gericht, belud sich mit dem Fluch der Sünde und erduldete den Zorn, damit uns kein Gericht treffe, sondern Gnade und Liebe uns überströme. Außer Seinem Blute aber gibt es keine Errettung; und nur dann, wenn wir durch Glauben auf diesem Blute allein ruhen, haben wir einen sicheren Frie-

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 den. Wir verstehen dann, daß in dem Herzen Gottes nur Liebe für uns ist und nicht mehr ein Gedanke von Zorn. Anders aber fürchten wir noch immer Gott als Richter.

Wir dürfen nun aber nicht vergessen, daß selbst dann, wenn wir wirklich bekehrt, wenn wir durch Glauben an das Blut Jesu vor dem Gericht Gottes in Sicherheit gebracht worden, wir noch nicht von der Macht des Feindes befreit sind. Und so lange wir nicht von dessen Macht getrennt sind, so lange wir uns noch in Ägyptenland befinden, so lange wird auch der Feind immer aufs Neue Angriffe gegen den Frieden unserer Seele machen. Doch, Gott sei Dank! wir sind auch von der Macht des Feindes getrennt worden; und dies leitet unsere Gedan­ken auf das andere Vorbild unserer Errettung, welches uns in dem Durchgang der Kinder Israels durchs Rote Meer vorgestellt wird.

Am Roten Meere trat Gott in Befreiungsmacht für Sein Volk ein, und handelte für dasselbe nach den Absichten Seiner Liebe. Er bahnte ihnen mitten im Meere einen Weg, sodaß sie trockenen Fußes hindurch­gingen. Die Ägypter dagegen, welche denselben Weg zur Empörung einschlugen, wurden von den Wellen bedeckt. Sie erkannten nicht, daß es der Weg Gottes war — ein Weg des Lebens für Sein Volk, aber ein Weg des Todes für Seine Feinde — ein Weg, der jene für immer von diesen trennte. Israel war jetzt völlig von der Macht seiner Verfolger befreit, und es blieb für sie nichts weiter übrig, als die Liebe und Macht Gottes zu besingen und mit Frohlocken Seinen Sieg zu feiern (Kap. 15). Gott war verherrlicht und Sein Volk errettet; und alle Ehre und aller Ruhm gebührte Ihm allein.

Dies Vorbild vom Roten Meer stellt augenscheinlich den Tod und die Auferstehung Christi und Seines Volkes in Ihm vor unsere Augen. Christus Selbst hat Sich in die Fluten des Todes geworfen, damit die Seinigen frei und unberührt von denselben hindurchgehen möchten. In Seinem Tode ist Er in die ganze Tiefe dieses Elends eingetreten, und die Macht Satans und der Zorn Gottes haben an Ihm ihre ganze Stärke entfaltet. In der Auferstehung aber ist Gott Selbst ins Mittel ge­treten, um Christum, und uns in Ihm, tadellos vor Sein Angesicht in Liebe darzustellen. Gott Selbst ist hier also tätig, um Sein Volk aus dem Tode, worin Er es in Christo versetzt hatte, ausgehen zu lassen, und es vor jeder Berührung des Feindes in Sicherheit zu bringen. Jetzt ist der Feind, welcher Gottes Volk hart bedrängte, ohne Rettung ge­schlagen Wir sind von Seiner Macht, von der Macht des Fürsten dieser Welt, befreit. Wir sind mit Christo auferstanden und für immer in die Gnade und Gunst Gottes gebracht. So völlig wie Christus von jener Macht des Feindes befreit ist, so völlig sind wir es in Ihm; so weit Er von derselben getrennt ist, so weit sind auch wir es in Ihm. In dem auferstandenen Christus haben wir einen Rettungs- und Bergungsort gefunden, wo uns kein Feind mehr antasten kann. Es ist aber, so lange wir hienieden sind, nur Sache des Glaubens. Der Glaube allein erkennt und verwirklicht diese gesegnete Stellung; und für den Gläubigen ist jetzt nichts anderes übrig geblieben, als die Liebe und Macht Gottes zu besingen, und mit jubelndem Herzen Seinen Sieg über alle Seine und unsere Feinde zu feiern. Jetzt triumphieren wir im Glauben und bald im Schauen.

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 Das Blut Christi schützt uns also vollkommen vor dem Gericht Gottes, und das Rote Meer zeigt uns als Vorbild, daß die Macht, welche uns mit Christo auferweckt hat, uns von der Macht Satans befreit und vor seinen Angriffen gegen den Frieden unserer Seelen in Sicherheit gebracht hat. Möge der Heilige Geist stets unsere Herzen vermittelst des Glaubens auf diese beiden gesegneten Wahrheiten richten; denn nur dann sind wir fähig, im Frieden hienieden zu wandeln und im Lauf auszuharren. Der christliche Weg, das ist der Weg einer befreiten Seele, beginnt erst nach dem Durchgang durchs Rote Meer, nachdem wir in Wahrheit verstanden haben, daß wir mit Christo gestorben und aufer­standen sind.

2 Mose 14 Der Herr wird für euch streiten, und ihr sollt stille sein

(2. Mose 14, 14)

Diese köstlichen Worte sagte Moses zu den Kindern Israel, als sie Ägypten verlassen und am roten Meer angelangt waren. Sie befanden sich hier in einer sehr bedrängten Lage. Vor ihnen war das Meer, hinter ihnen die verfolgenden Feinde und rechts und links die Wüste. Jeder Ausweg war versperrt. Wie benahm sich nun das Volk in dieser Lage? Wie sich das Volk Gottes immer benommen hat und noch benimmt, wenn das Auge des Glaubens geschlossen ist. Sie sprachen zu Mose:

„Waren nicht Gräber in Ägypten, daß du uns mußtest wegführen, daß wir in der Wüste sterben" (V. 11)? Der Unglaube sieht immer die Um­stände an und urteilt und handelt darnach, und nur der Glaube bleibt auf Gott gerichtet. Jener sieht mit dem Auge des Menschen, dieser mit dem Auge Gottes; und wo das Auge des schwachen Menschen keinen Ausweg mehr erblickt, da erblickt das Auge des Allmächtigen Auswege die Menge. Und im Glauben antwortete Moses dem Volke: „Fürchtet euch nicht, stehet fest und sehet zu, was für ein Heil der Herr heute an euch tun wird; denn diese Ägypter, die ihr heute sehet, werden ihr nimmermehr sehen in Ewigkeit. Der Herr wird für euch strei­ten und ihr sollt stille sei n." ^— Moses führte Gott in die Umstände ein, und war überzeugt, daß Er mächtig genug war, nach allen Seiten hin einen sicheren Ausweg zu eröffnen, und daß Er auch Liebe genug hatte, um es zu tun. Gewiß, Gott beschämt nie den Glauben Sei­nes Volkes. In den schwierigsten Umständen ruft Er den Seinigen zu. „Fürchtet euch» nicht!" — „Sorget um nichts — „Ich will für euch strei­ten und ihr sollt stille sein!" Es ist Sein Wohlgefallen, ja die Freude Seines Herzens, in allen Umständen Seine innige Liebe und Sein voll­kommenes Mitgefühl für die Seinigen an den Tag zu legen. Er führt sie gerade solche Wege und durch solche Umstände, wo Er Gelegenheit findet, um bezeugen zu können: „Sehet doch, daß ich euer Gott bin, daß ich euch von Herzen liebe!" — Nur der Glaube der Seinigen erkennt es, und er freut sich darin mit stillem, ergebenem Herzen. Der Un­glaube aber murrt und zweifelt selbst nach tausendfachen Beweisen Seiner Liebe und Macht. Darum möge der Herr Glauben und Vertrauen immer mehr in unseren Herzen befestigen.

109

Bist Du Deiner Seligkeit gewiß

 l.

Von der gegenwärtigen, unter den Christen so allgemein verbrei­teten Ungewißheit in Betreff ihrer Errettung findet sich im Neuen Te­stamente keine Spur. Die Briefe der Apostel sind sämtlich, an solche gerichtet, die da wußten, daß sie Christen und als solche erlöste Men­schen waren; sie sind in der Absicht geschrieben, dieselben in der Ge­wißheit ihrer Errettung zu befestigen; und die darin enthaltenen Er­mahnungen setzen stets diese Gewißheit voraus. Selbst die wenigen Schriftstellen, die scheinbar eine Unsicherheit der damaligen Christen durchblicken lassen und die mancher so gern zum Ruhekissen gebraucht, beweisen, im Zusammenhang gelesen, das Gegenteil. Ohne diese Ge­wißheit kann weder ein beständiger Friede, noch Macht über die Sünde, noch Kraft zur Verherrlichung Gottes, noch endlich Freude bei dem Gedanken an die nahe Ankunft des Herrn im Herzen sein. Und dennoch halten es viele für höchst gefährlich, eine wohlgegründete Gewißheit der Errettung zu besitzen; wiewohl es teststeht, daß gerade diesem Mangel der Verfall des Christentums und der gegenwärtig so traurige Zustand der Versammlung Gottes zuzuschreiben ist.

Kaum hat der Herr Jesus eine Jüngerschar um Sich versammelt, die — von Gott dem Vater gelehrt — in Ihm dem Christus, den Sohn des lebendigen Gottes erkannte, so beginnt Er auch schon, ihren Herzen Licht, Freude und Trost darzureichen. „Fürchte dich nicht, kleine Herde! denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben" (Luk. 12, 32). — -„D och darin freut euch nicht, daß euch die Geister unterworfen sind; freuet euch aber, daß eure Namen in den Him­meln geschrieben stehen" (Luk. 10, 20). — „Wahrlich, wahrlich, Ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubet Dem, der mich gesandt hat, hat das ewige Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tode in das Leben hinübergegangen" (Joh. 5, 24). — So sprach der gepriesene Herr, als Er kaum Seinen Dienst begonnen hatte. Je näher aber Sein Ende heranrückte, desto deutlicher wurden Seine an die Jünger gerichteten Worte; denn, verheißend die Sendung des Heiligen Geistes, sagt Er: „An jenem Tage werdet ihr er­kennen, daß ich in meinem Vater bin, und ihr in mir und ich in euch" (Joh. 14, 20). — Das Herabkommen des Heiligen Geistes sollte nicht allein die Wirkung haben, in den Jüngern das Be­wußtsein zu wecken, daß Christus in dem Vater war, sondern auch, daß sie in Christo waren und Er in ihnen war. Wie innig ist ihre Verei­nigung mit Ihm nach Seiner Auferstehung, wo Er Seinen Platz vor Gottes Angesicht mit ihnen teilt und dieses in den Worten ausdrückt:

„G ehe aber zu meinen Brüdern hin und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott" (Joh. 20,17)! — Sollten jene, welche diese Botschaft empfingen, wohl den meisten Zweifel be­treffs ihrer Errettung gehabt haben können? Wie wäre dieses möglich gewesen, da der auferstandene Erlöser Sich nicht schämte, sie Brüder

 zu nennen, und da Er Seinen Vater als den ihrigen. Seinen Gott als den ihrigen bezeichnete? Ach! möchten doch diese köstlichen Offenbarungen gebraucht werden, um aus der Seele aller matten und schwachen Gläu­bigen, die diese Schriftstelle lesen, jede Spur von Ungewißheit gänz­lich zu verbannen!

Wie schon bemerkt, sind die Briefe der Apostel an solche gerich­tet, die Christen waren und das Bewußtsein davon hatten. Schon zu Anfang des Römerbriefes sehen wir, daß der Apostel von sich selber, als von jemand spricht, der Gnade und Apostelamt zum Glaubens-Gehorsam unter allen Nationen empfangen habe, „unter welchen"

— sagt er — „auch ihr seid, Berufene Jesu Christi! allen Geliebten Gottes und berufenen Heiligen, die zu Rom sind" (Röm. 1. 5—7). — Und welche waren es nun, die diesen Brief, als an sie gerichtet, empfangen durften? Welche anders als die­jenigen, die das Bewußtsein hatten, von Jesu berufen und von Gott geliebt zu sein? Ebenso wird der erste Brief an die Korinther gerichtet, „an die Versammlung Gottes, welche in Korinth ist, den Geheiligten in Christo Jesu, den berufenen Hei­ligen, samt allen, die an allen Orten den Namen un­seres Herrn Jesu Christi, ihres und unseres Herrn, an­rufen" (1. Kor. 1. 2). Die Aufschrift auf den zweiten Brief lautet: „D e r Versammlung Gottes, welche zu Korinth ist, samt „allen Heiligen in Christo Jesu, die zu Philippi sind;" waren dort solche Menschen, die da wußten, daß sie die Versammlung Gottes zu Korinth ausmachten, oder daß sie zu der Zahl der Heiligen gehörten, die sich in Achaja befanden, oder daß sie einen Teil derer bildeten, die an allen Orten den Namen unseres Herrn Jesu Christi an­riefen. Jedoch ist es nicht nötig, bei einem einzigen Falle zu verweilen. Der Brief an die Epheser ist geschrieben, „den Heiligen und Treuen, die zu Ephesus sind", — der Brief an die Philipper:

„allen Heiligen in Christo Jesu, die zu Philipp! sind;"

— der Brief an die Kolosser: „den heiligen und treuen Brü­dern in Christo, welche in Kollossä sind;" — der Briet an die Thessalonicher „der Versammlung der Thessalonicher in Gott dem. Vater, und dem Herrn Jesu Christo."

— Diese Adressen zeigen klar und deutlich, daß die Empfänger der Briefe sich bewußt waren, daß sie unter den angeführten Bezeichnun­gen gemeint, oder mit anderen Worten, daß sie Christen waren.

Daß aber diese Briefe nicht an menschlich geordnete Christenge­meinden, wie die Gegenwart sie uns zeigt, gerichtet sind, in denen ein jeder — ob persönlich von seiner Errettung überzeugt oder nicht — sich das Recht, anmaßen könnte, die Aufschrift, als an ihn gerichtet, zu betrachten, zeigt der Inhalt derselben in der unzweideutigsten Weise, indem aus vielen Stellen klar hervorstrahlt, daß sowohl die Schreiber, als auch die Empfänger ihrer Errettung gewiß waren. Beispielsweise führen wir einige dieser Stellen an: „Gerechtfertigt also aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum." — „Die Hoffnung aber läßt uns nicht beschämt werden; denn die Liebe Gottes ist in unsere Herzen ausgegossen durch den Heiligen

 Geist, welcher uns gegeben ist" (Röm. 5). — „So ist nun keine Verdammnis mehr für die, welche in Christo J e s u sind." — Denn ihr habt nicht den Geist der Knechtschaft, wiederum zur Furcht, sondern ihr habt den Geist der Sohnschaft empfangen, in welchem wir ru­fen: Abba, Vater! Der Geist Selbst zeugt mit unserm Geist, daß wir Kinder Gottes sind" (Röm. 8). — Beweisen nicht schon diese wenigen Stellen, daß sowohl der Apostel, als auch die Gläubigen zu Rom die bestimmteste Gewißheit in Betreff ihrer Erret­tung genossen?

Auch der Korinther-Brief liefert Beweise dazu; denn Paulus schreibt an die Versammlung in Korinth: „Wir haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott ist, auf daß wir die Dinge wissen, die uns von Gott aus Gnaden gegeben sind." — Und an welche Art von Menschen schreibt der Apostel diese Worte? An solche, unter denen etliche wei­land Hurer, Götzendiener, Trunkenbolde und dergleichen gewesen wa­ren, denen er aber das Zeugnis gibt: „Aber ihr seid abgewa­schen, aber ihr seid geheiligt, aber ihr seid gerecht­fertigt in dem Namen unseres Herrn Jesu, und durch den Geist unseres Gottes" (1. Kor. 6, 11). — Würde er dieje­nigen, an welche er schrieb, also bezeichnet haben bei der Vorausset­zung, daß sie nicht gewußt, ob sie der Zahl dieser Abgewaschenen und Geheiligten angehörten? Und was würde in Betreff der Stelle: „Wisset ihr nicht, daß euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist, welchen ihr von Gott habt, und daß ihr nicht euer selbst seid?" — die Meinung und die Kraft einer solchen Frage gewesen sein, wenn der Apostel es nicht für ausgemacht hielt, daß sie, an welche er sein Schreiben rich­tete, sich als ein Tempel Gottes erkannten?

Auch der zweite Brief liefert solche Beweise in Menge. Schon im ersten Kapitel lesen wir: „Gott aber ist es, der uns samt euch befestigt in Christum, und uns gesalbt hat; der uns auch versiegelt hat und das Pfand des Geistes in un­sere Herzen gegeben." — Befestigt worden zu sein durch Gott in Christum, die Salbung zu haben, welche über alle Dinge lehrt, ver­siegelt zu sein und mithin das Merkmal zu besitzen, daß Gott uns als die Seinigen anerkennt, und endlich den Geist nicht nur als Salbung und Siegel zu haben, sondern auch als Pfand und als gegenwärtigen Vorgeschmack der zukünftigen und ewigen Freude, — wie könnte bei jemand alles dieses vorhanden sein, ohne in Betreff der Errettung Ge­wißheit zu haben? Der Apostel sieht nicht allein sich, sondern alle, an welche er schreibt, im Besitz dieser Dinge; denn er sagt: „Der uns mit euch befestigt!" — Und was finden wir zu Anfang des fünften Kapitels: „Denn wir wissen, daß, wenn unser ir­disches Haus diese Hütte zerstört wird, wir einen Bau aus Gott haben, ein Haus nicht mit Händen ge­macht, das ewig ist in den Himmel n." — Siehst du, lieber Leser?


 Da ist keine Ungewißheit; sie ist gänzlich ausgeschlossen in den Worten: „Denn wir wissen." Wie verschieden ist diese Sprache von  der, die man heutzutage so oft hört? Während die Christen in unserer Zeit nicht selten sagen: „Ich hoffe, daß es sich noch einmal machen werde; ich bin nicht ganz ohne Hoffnung," — zeigt sich bei dem Apo­stel nicht eine Spur von Ungewißheit, sondern er bekennt frei und offen: „Wir wissen, daß — — wir einen Bau aus Gott haben."

In Gal. 4, 6 finden wir die Worte: „Weil ihr aber Söhne seid, so sandte Gott den Geist Seines Sohnes aus in unsere Herzen, welcher Abba, Vater! ruft"; — und in Eph. 1. 13, 14: „In welchem ihr auch, nachdem ihr in Ihm gläubig geworden, mit dem Heiligen Geiste der Verheißung versiegelt worden seid, welcher das Pfand unseres Erbes ist, bis zur Erlösung des erworbene n Besitze s, zum Lobe Seiner Herrlichkeit." — Beide Stellen beweisen aufs deutlichste, daß die, an welche sie gerichtet, ihrer Errettung ge­wiß waren. — In dem Briefe an die Kolosser schreibt der Apostel Kap. 1. 3—6: „Wir danken dem Gott und Vater unsers Herrn Jesu Christi — — — wegen der Hoffnung, welche für euch in den Himmeln aufbewahrt ist, wovon ihr zuvor in dem Worte der Wahrheit des Evangeliums gehört habt, welches zu euch gekommen ist, gleichwie in die ganze Welt, und fruchtbringend und wachsend ist, wie auch in euch von dem Tage an, da ihr die Gnade Gottes in Wahrheit gehört und erkannt hab t." — Mit welchem Vertrauen drückt sich hier der Apostel über die Gewißheit der Erkenntnis der Gnade Gottes aus! Wie strömt sein Herz" über, wenn er in V. 12 fortfährt: „Danksagend dem Vater, der uns zu dem Anteil des Erbes der Heiligen in dem Lichte fähig gemacht hat, der uns aus der Gewalt der Finsternis errettet und in das Reich des Sohnes Seiner Liebe versetzt hat, in welchem wir die Erlösung haben, haben, die Vergebung der Sünden." — Da ist kein Schwan­ken! da ist kein Wenn und Aber, sondern eine bestimmte, unum­stößliche Gewißheit. Da heißt es: Er hat uns fähig gemacht, hat uns gerettet, hat uns versetzt. 0 selige, süße Gewißheit! 0 möchte sie doch nie umdüstert sein sowohl in den Herzen der Leser, als auch in dem Herzen des Schreibers dieser Zeilen!

Ebenso deutlich und bestimmt spricht der Apostel im ersten Briefe an die Thessalonicher. Er sagt: „Denn sie selbst verkündigen von uns, welchen Eingang wir zu euch hatten, und wie ihr euch von den Götzenbildern zu Gott bekehrt habt, zu dienen dem lebendigen und wahren Gott, und Seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten, wel­chen Er »aus den Toten auferweckt hat, — Jesum, der uns vor dem. kommenden Zorn errettet" (1. Thess. 1. 9. 10). — „Denn Gott hat uns nicht zum Zorn gestellt, sondern zur Erlangung der Seligkeit durch unsern Herrn Je­sum Christum" (1. Thes. 5, 9). 


Auch im zweiten Briefe hören wir den Apostel sagen: „Wir aber sind schuldig, Gott allezeit für euch, vom Herrn geliebte Brüder, zu danken, weil Gott euch von Anfang zur Seligkeit erwählt hat, in  Heiligkeit des Geistes und im Glauben an die Wahr­heit, wozu Er euch durch unser Evangelium berufen hat, zur Erlangung der Herrlichkeit unseres Herrn Je s u Christi" (2. Thess. 2, 13. 14). — Wiederum sagt er: Unser Herr Jesus Christus Selbst aber, und unser Gott und Vater, der uns geliebt und ewigen Trost und gute Hoffnung durch die Gnade gegeben hat, tröste eure Herzen und befestige euch in allem guten Wort und Werke" (2. Thess. 2, 16. 17). — Der Apostel sagt also von sich und allen seinen Mitgläubigen, daß Jesus sie vom kommenden Zorn errette. daß sie nicht zum Zorn, sondern zur Erlangung der Seligkeit gestellt seien und daß der Herr Jesus Christus und Gott, ihr Vater, sie geliebt und ihnen ewigen Trost und gute Hoffnung gegeben habe' Hier ist nicht der mindeste Schatten eines Vorwandes für die unendlichen Zweifel, die gegenwärtig bei den Christen vorherrschend sind, und die leider von etlichen derselben als Beweise von Demut und als gute Zeichen des Werkes der Gnade bezeichnet werden.

Wenn wir die Briefe weiter verfolgen, so finden wir, daß Paulus mit Vertrauen den Timotheus sein echtes Kind im Glauben nennt; und in Betreff seiner .eigenen Bekehrung fügt er, nachdem er sich den vor­nehmsten der Sünder genannt, die Worte hinzu: „Deswegen aber habe ich Barmherzigkeit empfangen, auf daß an mir zuerst Jesus Christus die ganze Langmut erzeige, um ein Exempel denen darzustellen, die an Ihn zu m' ewigen Leben glauben würde n." Auch ermahnt er den Ti­motheus mit den Worten: „Leide Trübsal mit dem Evange­lium, nach der Kraft Gottes, der uns gerettet und mit heiligem Ruf berufen hat." — So völlig war der Apostel von seiner Errettung überzeugt, und er hält es für ausgemacht, daß auch Timotheus diese Überzeugung für sich habe. In demselben Vertrauen schreibt er an Titus: „Er errettete uns nicht aus Werken, die wir aus Gerechtigkeit getan hatten,3ondern nach Seiner Barmherzigkeit, durch die Waschung d er Wie­dergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes, welchen Er auf uns reichlich durch Jesum Christum, unsern Heiland, ausgegossen hat, auf daß wir, ge­rechtfertigt durch Seine Gnade, nach der Hoffnung des ewigen Lebens würde n."

Wenden wir uns nun zu den Schriften eines anderen Apostels, und wir werden dieselben Zeugnisse finden. Der erste Brief Petri beginnt mit Worten voll Dank und Freude, die keinen Zweifel zurücklassen, daß die Empfänger derselben ihrer Errettung völlig gewiß waren. Der Apo­stel sagt: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi, der uns nach Seiner großen Barm­herzigkeit wieder gezeugt hat zu lebendiger Hoff­nung durch die Auferstehung Jesu Christi aus den Toten, zu einem unverweslichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbteil, welches in den Him­meln für euch aufbewahrt ist, die ihr durch Gottes Macht durch Glauben bewahrt werdet zum Heile, welches bereit ist, in der letzt e n Zeit" offenbart zum werden" (1. Petr. 1. 3—5). — So triumphierend war ihre Gewißheit, daß sie sich, obschon noch unter dem Drucke mannigfacher Versuchun­gen, derselben erfreuen konnten. Der Apostel redet mit ihnen von Christo, als von Ihm, „welchen ihr" — wie er sagt — „obgleich ihr Ihn nicht gesehen, liebet, an welchen glaubend, ob­gleich ihr Ihn jetzt nicht sehet, ihr mit unaussprechlicher Freude frohlocket, indem ihr das Ende eures Glaubens, die Errettung der Seelen davon traget." — Im zweiten Kapitel lesen wir in V. 7 die Worte: „Für euch nun, die ihr glaubt, ist die Kostbarkeit, den Ungläubigen aber, der Stein, den die Bauleute verworfen haben, — dieser ist zum Eckstein geworden, und ein Stein des Anstoßes, und ein Fels der Ärgernis." Sollte es wohl zwei­felhaft sein, daß die, an welche dieser Brief gerichtet war, sich ihrer Errettung gewiß waren?

Vor allem aber setzt der Apostel, den der Herr liebte, der Menge von Beweisen die Krone auf. Richten wir unsere Blicke auf die An­fangsworte seines ersten Briefes, so fühlen Wir gleich die Gewißheit seiner eigenen Errettung, heraus. Freilich hatte er weniger im Auge, uns darüber Versicherungen zu geben, als vielmehr von einem weit er­habeneren Gegenstande, von Jesu Selbst und Seiner wunderbaren Offen­barung unter den Menschen, zu sprechen; jedoch würde er nicht also ge­schrieben haben, wenn er nicht in dem vollen Genüsse Seiner Erlösung gewesen wäre. Unzweideutig zeugen davon seine Worte, wenn er sagt:

„Was von Anfang war, was wir gehört, was wir mit un­seren Augen gesehen, was wir betrachtet und unsere Hände betastet haben von dem Worte des Lebens; — und das Leben ist offenbart worden, und wir haben gesehen, und zeugen und verkündigen euch das ewige Leben, welches bei dem Vater war und uns offenbart worden ist" (1. Joh. 1. 1. l). — „Ja, aber" — wendet vielleicht der eine oder der andere Leser ein — „daß ein Apostel, und namentlich einer, der in dem Schöße Jesu gelegen, also schreiben kann, und daß auch andere ausgezeichnete Christen eine solche Gewißheit erlangen können, will ich gern einräumen; allein ich bezweifle es, daß dieses ein allgemeines Vorrecht der Christen sein könnte." — Gemach, mein Freund, der Apostel selbst gibt dir die Antwort, wenn er sagt: „Was wir gesehen und gehört haben, verkündigen wir euch." — Und warum? Etwa darum, damit man ihn und die anderen Apostel anstaunen soll wegen eines Vorrechts, dessen sich nimmer ein gewöhn­licher Christ erfreuen könne? 0 nein, gerade das Gegenteil; denn er fügt hinzu: „Auf daß ihr mit uns Gemeinschaft habet." Und nun, um zu zeigen, was die Gemeinschaft wertvoll mache, läßt er die Worte folgen: „Und zwar ist unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit Seinem Sohne Jesu Christo." — Wahrlich, hier findet man mehr, als die Gewißheit der Errettung; denn diese würden wir haben können, ohne gerade noch von Gemeinschaft mit dem Vater und Seinem Sohne Jesu Christo gehört zu haben. 


Aber Johannes und die übrigen Apostel hatten diese Gemeinschaft und was sie gesehen und gehört, das verkündigte er uns, damit auch wir mit ihm Gemeinschaft haben möchten, eine Gemeinschaft, die da ist mit dem Vater und dem Sohne. Und als ob er jeden Zweifel darüber, daß wir gleich ihm dasselbe Vorrecht haben, zu beseitigen gedächte, fügt er noch zum Schluß hinzu: „Und dieses schreiben wir euch, auf daß eure Freude völlig se i."

Streng genommen behandelt Johannes erst im zweiten Kapitel die Frage betreffs der Gewißheit der Errettung. Und welche Christen wer­den uns als im Genüsse dieser Gewißheit vorgeführt? Etwa die bejahr­ten, geförderten Christen, die der Apostel unter dem Namen „Väter" bezeichnet? — Nein. — Etwa die tätigen, eifrigen Christen, die in der Kraft des Lebens, in der Hitze des Streites und in dem Drucke der Prüfungen sich befinden — die „Jünglinge?" — Auch nicht; wie­wohl ohne Zweifel diese beiden Arten- von Christen in dem Genüsse der Gewißheit ihrer Errettung waren, so schreibt er dennoch- dieses ihnen nicht. — „Ich schreibe euch, Kinde r," — sagt er, — „weil euch die Sünden um Seines Namens willen ver­geben sind."

Das dritte Kapitel beginnt mit dem Ausruf: „Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater gegeben, daß wir Kinder Gottes heißen sollen! — Und was läßt der Apostel folgen? — „Geliebte! Jetzt sind wir Kinder Gottes; und es ist noch nicht offenbart worden, was wir sein werden;

wir wissen aber, daß, wenn Er offenbart ist, wir Ihm gleich sein werden; denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist.'' — Ist es möglich, sich deutlicher und bestimmter über die Gewißheit der Errettung auszudrücken?

In dem letzten Kapitel finden wir eine Stelle, die zwar mehr die Weise bezeichnet, auf welche der Gläubige sich seiner Errettung ver­sichern kann, die wir aber dennoch hier anführen wollen. Der Apostel sagt: „Dies habe ich euch geschrieben, auf daß ihr wis­set, daß ihr, die ihr an den Namen des Sohnes Gottes glaubt, das ewige Leben habt" (1. Joh. 5, 13). Es war also die Absicht des Heiligen Geistes, die Gewißheit zu versiegeln, den Glau­ben derer zu stärken, die an den Namen des Sohnes Gottes glaubten, und das Bewußtsein zu wecken, daß sie das ewige Leben besäßen. Der Apostel fordert die, an welche er schreibt, nicht auf, an den Sohn Got­tes zu glauben, als ob sie Ungläubige wären, sondern weil sie an diesen gesegneten Namen glaubten, sucht er sie in dem Glauben zu befestigen. Auch schrieb er ihnen nicht, weil ihnen die Gewißheit, ihrer Errettung mangelte, sondern um sie in dieser Gewißheit zu befestigen, und hatten sie diese Gewißheit auf dem Wege einer anderen göttlichen Mitteilung erlangt, so besaßen sie jetzt zur Befestigung das geschriebene Wort. Welch ein fester Grund für die Errettung und für das ewige Leben!

Werfen wir nun noch unseren Blick auf eine Stelle in diesem letz­ten Kapitel, eine Stelle, die geeignet ist, den Schluß zu unserer Be­trachtung zu bilden. Sie heißt: „Wir wissen, daß wir aus Gott sind; und die ganze Welt liegt in dem Bösen. Und wir wissen, daß der Sohn Gottes gekommen ist und uns ein Verständnis gegeben hat, auf daß wir den Wahr­haftigen kennen; und wir sind in dem Wahrhaftigen,  in Seinem Sohne Jesu Christo. Dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben" (1. Joh. 5, 19. 20).

II.

Die Gewißheit, gerettet zu sein, ist eine Sache, deren außerordent­liche Wichtigkeit wohl "niemand in Abrede stellen wird. Und dennoch wird vielleicht mancher diese Zeilen flüchtig durchlaufen, ohne sich einer solch schätzbaren Gnade erfreuen zu können. Einen solchen nun hat vornehmlich der Verfasser dieses Aufsatzes im Auge; und sein Ge­bet ist, daß der Herr diese Bemühung an dem Herzen desselben reich­lich segnen möge.

Es handelt sich also, mein geliebter Leser, zunächst um deine Si­cherheit und deinen Frieden. Ich setze natürlich voraus, daß du an das Dasein eines Gottes glaubst, daß du die Bibel für das Wort Gottes hältst, daß du an ein künftiges Gericht glaubst und darauf vorbereitet zu sein wünschest. Ich setze voraus, daß du der Zahl solcher Menschen angehörst, die im allgemeinen allen Wahrheiten des Christentums ihre' Zustimmung geben und die oft mit den Dingen der Ewigkeit beschäftigt sind, für welche aber die, ihr ewiges Los betreffende Frage noch nicht entschieden ist. Heute hoffst du, ein Christ zu sein, und morgen fürch­test du, daß du es nicht seiest. Und wird einmal geradezu die Frage an dich gerichtet: „Bist du wirklich ein Christ? Bist du deiner Seligkeit gewiß?" — so wirst du plötzlich fühlen, daß dieses eine ungelöste Frage für dein Herz ist. Ist dies nicht dein Zustand, mein Freund?

Aber wie ist es möglich, daß du in solcher Ungewißheit fortleben kannst? Wärest Du in der strengsten Bedeutung ein Ungläubiger, ver­achtetest du gleich vielen sowohl den Namen Christi, als auch die Worte Gottes, spottetest du mit der Sünde und mit der Vorstellung von einer Ewigkeit, — dann würde man deinen Zustand betrauern müssen, aber nicht sich über deine Sorglosigkeit wundern können. Glaub­test du nicht an Gott, kein Wunder, wenn du, da du Seiner Gunst nicht gewiß wärest, dich beruhigen könntest; — erwartest du nichts von der Ewigkeit, kein Wunder, wenn du dich nicht darauf vorbereitest. Oder wärest du auch gerade nicht ungläubig, aber sorglos in Betreff der Ewigkeit, oder lägest du gänzlich gefangen in den Stricken weltlicher Vergnügungen, sodaß kein Gedanke an Gott und an das kommende Gericht in deiner Seele Raum fände, — auch dann würde man deine Torheit bedauern, aber sich nicht über deine gänzliche Gleichgültig­keit in Betreff deiner Errettung wundern können. Aber diese Dinge zu glauben, oder doch wenigstens dieses von sich zu behaupten, ja selbst ein Verlangen nach Errettung zur Schau zu tragen, und dennoch von Woche zu Woche, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr in solcher Ungewißheit fortzuleben, — ich frage dich, lieber Leser: Wie ist es möglich?

In anderen Dingen ist Ungewißheit dir unerträglich. Hast du schon am Sterbebette deiner Eltern, deiner Geschwister, deiner Gattin, deiner Kinder oder. irgend einer dir nahestehenden Person gestanden? Nicht wahr? in Todesangst hingen deine Blicke an den Lippen des Arztes, um dessen Ausspruch zu hören und dadurch dem unerträglichen Zustand zwischen Furcht und Hoffnung enthoben zu werden. — Hast du nicht bei einer wichtigen Angelegenheit einmal den Verhandlungen eines Gerichtshofes beigewohnt, und zwar in dem Augenblicke, wo der Richter sich erhob, um — vielleicht das Todesurteil über einen Gefan­genen auszusprechen? — Wie stockte da der Atem der dem Urteil ent­gegenharrenden Zuschauer! Wie klopften da die von Furcht und Hoff­nung gefolterten Herzen derer, die dem Gefangenen im Leben nahe gestanden! Wie stier waren ihre Blicke auf das Gesicht des Richters gerichtet, als ob sie das Urteil herauslesen wollten, noch bevor der Mund es aussprach! Und wer kann sich eine Vorstellung machen von den Gefühlen, die schwankend zwischen Furcht und Hoffnung, das Herz des unglücklichen Gefangenen durchkreuzten? — Aber dergleichen ernste Auftritte stehen, wie nachhaltig auch ihre Eindrücke sein mögen, fast in keinem Vergleich mit den ernsten Fragen der Ewigkeit. — Ach! wenn du wahrhaftig glaubtest an einen Gott, an einen Himmel, an eine Hölle, an einen Erlöser, wie würdest du dann Ruhe haben können, ohne gewiß zu sein, daß der Erlöser auch der deinige, daß die Hölle für dich verschlossen und der Himmel deine selige Wohnung in der Ewigkeit 'sei! Nein, unmöglich würdest du essen, trinken, ruhen und deinen Ge­schäften nachgehen können, bevor die Frage deiner Zukunft in deinem Herzen entschieden wäre.

0 bedenke doch, mein Freund, daß Gott in diesem Augenblicke mit einem freundlichen, oder mit einem zürnenden Blicke auf dich herab­sieht, und daß der Pfad, auf dem dein eilender Fuß sich bewegt, un­ausbleiblich, entweder zum Himmel oder zur Hölle führt. Ob du unge­wiß über das Ziel dieses Pfades bist, ändert die Sache nicht. Denke dir einmal, du wärest in Köln und stiegst in einen Eisenbahn-Waggon. Der Zug setzt sich in Bewegung und ein Mitreisender fragt dich: „Wo­hin, mein Freund?" — Antwort: „Ich hoffe nach Düsseldorf." — „Wie, nach Düsseldorf?" — ruft jener verwundert aus; — „das muß ein Irr­tum sein, denn dieser Zug fährt nach Mainz." -^ „Ei, das will ich nicht hoffen," — wendest du ein, — „denn sonst hätte man mich falsch be­richtet; ich hoffe doch in Düsseldorf anzukommen." — „Nimmermehr," — wendet der Fremde ein, — „Düsseldorf liegt hinter Ihnen; mit jeder Minute entfernen Sie Sich mehr von diesem Orte und nähern sich in entgegengesetzter Richtung der Stadt Mainz.

 Ich rate Ihnen, an der nächsten Station auszusteigen." — Siehst du, lieber Leser, wenn du in verkehrter Richtung reisest, so wird die Sache dadurch nicht geändert, daß du über den Weg im Ungewissen bist; und darum ist es nötig, daß du dich vorher nach dem Wege genau erkundigst, ehe du die Reise an­trittst. Und dennoch kannst du sorglos vorwärts gehen, unbekümmert um deine Ungewißheit in Betreff der Ewigkeit, ob du dich auf dem Wege des Lebens oder des Todes befindest. Ach! mit rascherer Eile, als dich die Kraft des Dampfes zu tragen vermag, fliegst du hin zum ewi­gen Heile oder zur ewigen Qual. Und fragt man dich: „Wohin, mein Freund?"— so antwortest du mit Gleichgültigkeit: „Ich weiß es so recht nicht." — In diesem Falle aber ist es möglich, daß du, ohne es recht zu wissen, auf deinem Wege zu ewigem Verderben vorwärts eilst. — „Das hoffe ich nicht," — wendest du ein.


Aber wird diese Hoffnung die Sache ändern? Gehst du den Weg des Todes, so kann dies eitle Hoffen zwar dein Gewissen einschläfern, aber ist außer Stande, den Weg des Verderbens in den Weg des Lebens umzuwandeln. Und wärest du wirk­lich errettet und selig und auf dem Wege zum Himmel, wie viel besser würde es deinem Frieden sein, dieses wahrhaftig zu wissen.

Wenn dein Gewissen in der Tat erwacht ist, wenn du in der Ge­genwart Gottes die Bürde der Schuld und des Gerichts fühlst, womit du von Natur und wegen deiner Werke beladen bist, dann kannst du ohne Gewißheit, keine Ruhe, keinen Frieden haben. Und es wäre wirklich besser, daß der Friede, den du wirklich nie gekannt hast, dir fremd bliebe, solange die, deine Zukunft betreffende Sache nicht geordnet ist. 0 gäbe doch der Herr, daß deren viele wären, die da fühlten die Qual der Sünde und die Bürde der Schuld und des Gerichts! Gewiß, dann würde die Bekehrung, oder was man dafür hält, sich nicht so oft als eine Täuschung ausweisen, wie das leider in unseren Tagen häufig der Fall ist. —

Lieber Leser! Laß dich doch bewegen, nicht länger, in Betreff dei­ner Errettung, in Ungewißheit zu bleiben. Der Gedanke an die Ewig­keit ist zu ernst, als daß du es wagen könntest, ihr entgegen zu gehen mit der gebräuchlichen Ausrede: „Ich hoffe selig zu werden; ich denke auf dem Wege zum Himmel zu sein." — Nein; entweder haben wir Vergebung, oder wir haben sie nicht; entweder sind wir Kinder Gottes durch den Glauben an Christo Jesu, oder Kinder des Zorns, wie auch die anderen. Die Möglichkeit .ist für dich vorhanden, deinen Zustand mit Gewißheit zu erkennen. Ruhe nicht, bevor du ihn kennst. Stände dein Haus in Flammen und wärest du ungewiß, ob man des auflodern­den Feuers Meister werde, gewiß, du würdest nicht Ruhe haben, als bis du des Erfolges gewiß wärest. — Brächte die Post dir einen Brief, der dich, bis ein zweiter käme, in Ungewißheit ließe, ob du dich dann wirtschaftlich ruiniert erklären und mit Weib und Kindern den Bettelstab ergreifen müßtest, unmöglich würdest du in der Zwischenzeit Ruhe haben können. — Vernähmst du, daß ein Schiff, auf welchem dein Kind oder eine andere teure Person sich befand, untergegangen und nur ein geringer Teil der Mannschaft gerettet sei, ohne Zweifel würdest du unter der Folter der Ungewißheit die genauesten Erkundigungen einziehen. Was aber ist dieses alles im Vergleich zu dem, worüber du bis jetzt nicht Gewißheit gesucht hast. 


An Gott zu denken, ohne zu wissen, ob Er dein Vater in Christo ist, —zum Himmel empor zu blicken, ohne zu wissen, ob dort ein Erbteil für dich bereit liegt, — auf die Hölle nieder zu schauen mit dem Bewußtsein, sie verdient zu haben, ohne zu wissen, daß du wirklich der Verdammnis entgegengehst, — an die Ungewiß­heit des Lebens zu denken und an die Gewißheit, daß Christus bald als Richter in Macht und Herrlichkeit erscheinen wird, ohne zu wissen, ob Er dich bei Seiner Ankunft annehmen oder auf ewig von Seinem Angesicht und von der Herrlichkeit Seiner Macht entfernen wird, — des abends dich ruhig niederzulegen, und nicht wissen, daß du vielleicht in der ewigen Verdammnis erwachen könntest, — sag mein lieber Le­ser, wie ist es möglich? 0 möchte doch jetzt noch der Gedanke an die Ewigkeit dein Gewissen so sehr beschweren, daß du keinen Augenblick mehr Ruhe glättest, so lange du nicht weißt, ob du vom Tode zum Le­ben hinübergegangen bist! Wie glücklich würdest du sein, wenn auch du die Schriftstellen auf dich anwenden könntest, die wir bereits im ersten Teil betrachtet haben und von denen ich folgende in deine Er­innerung rufen möchte:

„Gerechtfertigt also aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum." — „Wir wissen, daß, wenn unser irdisches Haus dieser Hütte zerstört wird, wir einen Bau aus Gott haben, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist in den Himmeln." — „Geliebte! Jetzt sind wir Kinder Gottes, und es ist noch nicht offenbart worden, was wir sein werden; wir wissen aber, daß, wenn Er offenbart ist, wir Ihm gleich sein werden, denn wir wer­den Ihn sehen, wie Er ist."

—Siehe, mein Freund! Welch eine Gewißheit genossen jene Christen! Nur das Evangelium vermag sie zu geben. 0 möchte doch ein jeder, der diese Zeilen liest, nicht eher ruhen, als bis er der Errettung seiner Seele gewiß ist! Gott gebe dieses um Jesu willen!

Judas 2 Der Weg Kains

(Juda 2)

Das vierte Kapitel des ersten Buches Moses teilt uns ein wichtiges, aber zugleich betrübendes Ereignis mit. Daß die Geschichte uns nichts über die Kindheit und die Erziehung der beiden Brüder Kain und Abel enthüllt, ist an und für sich schon bezeichnend genug. Nachdem mit kurzen Worten ihre Geburt, sowie ihr äußerer Beruf angedeutet wor­den ist, werden sie uns als Opferer oder Gottesverehrer vorgeführt. Auf diese Tatsache richtet der Geist Gottes unseren Blick. Hier zeigt sich der erste Teil des „Weges Kains."

„Es begab sich aber nach der Zeit, daß Kain dem Herrn Opfer brachte von den Früchten des Feldes." Kain war ein Ackersmann; im Schweiße seines Angesichts hatte er der Erde seine Speise und sein Opfer abgerungen. Allein durch die Dar­bringung dieses Opfers verriet er nur zu deutlich, daß er die Ursache nicht kannte, um welcher willen er im Schweiße seines Angesichtes sein Brot essen mußte; und die Art und Weise, in welcher er Gott nahte, lieferte einen traurigen Beweis seines gänzlichen Mangels an Sün­denerkenntnis. Er handelte, wie es schien, in der Meinung, als ob Gott verpflichtet sei, das Beste, was er zu geben vermochte, annehmen zu müssen. Die Begriffe, die er von seiner Stellung zu Gott hatte, waren falsch. Die Sünde war in die Welt gekommen, und Gott konnte kein Opfer von dem Menschen, als einem Sünder, annehmen, bevor der Sünder persönlich mit Gott versöhnt war. Gott handelt stets in der Weise, daß Er zuvor die Person des Sünders begnadigt (Eph. 6); und nachdem Er 'ihn selbst angenommen, nimmt Er auch dessen Werke an. Der Weg aber, den Kain einschlug, zeigte hingegen, daß er sein Werk als Mittel zur Begnadigung seiner Person wählte. Er opferte das Beste,

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 was er besaß; er tat, was er vermochte; und daher entsetzte er sich nicht wenig, als Gott seinem Opfer keine Beachtung schenkte.

Der „Weg Kains" tritt indes deutlicher in der traurigen Geschichte Abels ins Licht. „Durch den Glauben brachte Abel Gott ein besseres Opfer dar, als Kai n." So erklärt der Geist Got­tes jenes Ereignis, welches Er uns im Buche Moses mit den Worten er­zählt: „Und Abel brachte auch von den Erstlingen sei­ner Herde und von ihrem Fette. Und Jehova sah g n ä -diglich an Abel und sein Opfer; aber Kain und sein Opfer sah Er nicht gnädiglich a n." Durch den Glauben hatte Abel geopfert. Das Wort Gottes war ausgegangen, das Urteil des Todes über den Menschen ausgesprochen und das Erdreich um des Menschen willen verflucht. Abel erkannte dieses als Wahrheit durch sein Schlacht­opfer an, bevor noch der Tod dieselbe tatsächlich bestätigt hatte. Sein im Glauben dargebrachtes Opfer war ein Beweis seiner Anerkennung des Todesurteils, sowie der Notwendigkeit eines Mittleramtes. „U n d Jehova sah gnädiglich an Abel und sein Opfer; aber Kain und sein Opfer sah Er nicht gnädiglich an." — Der „Weg Kains" offenbart sich also in der gänzlichen Unwissenheit über den Umstand, daß die Sünde eine schreckliche und unübersteigliche Scheidewand zwischen Gott und dem Menschen aufgerichtet hat, sowie in der Meinung, daß der Mensch zu Gott nahen und Begnadigung fin­den könne ohne Mittleramt. 


Und somit ist der „Weg Kains" Zorn wider Gott, der den Sünder auf dem ihm vorgezeichneten Wege annimmt, und Neid gegen den Sünder, welcher auf diesem Wege Gnade findet. Das Auge Kains ist böse, weil Gott voll Güte ist: „Und Kain er grimmte sehr, und es senkte sich sein Antlitz." Ermahnung, gnä­dige Ermahnung von Seiten des Herrn Selbst vermag nicht den düsteren Blick Kains zu erhellen; und obschon ihm der Herr den Weg zur Be­gnadigung öffnet, so will sich Kain doch nicht unterwerfen. „Und es geschah, als sie auf dem Felde waren, da erhob sich Kain gegen Abel und ermordete ihn." — Dies ist das erste Blatt in der Geschichte, welches uns von der Verfolgung der Kinder Gottes und vom Hasse des Menschen gegen die Gnade kundgibt; — was hier in die Erscheinung tritt, das hat sich fortgepflanzt bis auf un­sere Zeiten, sodaß der „Weg Kains" einem dunklen Faden gleicht, der, in der Geschichte der Menschheit das älteste Jahrhundert mit der Ge­genwart verknüpft.

Sehr treffend offenbart uns der Herr in dem Gleichnis vom ver­lorenen Sohne den „Weg Kains", indem Er uns den ältesten Sohn vor­führt. Sein Vater hatte den verlorenen Sohn in Gnaden wieder ange­nommen, das gemästete Kalb war geschlachtet und ein jeder im väter­lichen Hause war fröhlich. „Es war aber sein ältester Sohn auf dem Felde; und als er kam und sich dem Hause nahte, hörte er die Musik und den Reigen. Und er rief einen der Knechte zu sich und erkundigte sich, was das wäre. Der aber sprach zu ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wieder erhalten hat. — Er aber ward zornig und wollte nicht hineingehen. Sein Vater nun ging hinaus und bat ihn." Da sehen wir den „Weg Kains", den Weg jenes Mannes, der sich so sehr ergrimmte, der sein Antlitz zu Bo­den senkte und zu welchem Jehova sagte: „Warum ergrimmest du, und senket sich dein Antlitz?"

Und war nicht der Herr Jesus Selbst der Abel Seiner Zeit? Und wer hätte in den Hohenpriestern und Ältesten nicht den Kain jener Tage entdeckt? Pilatus hatte Einsicht genug, um zu merken, daß man Jesum nur aus Neid überliefert habe (Matth. 27, 18). Das Wohlgefallen Gottes, welches auf Jesu ruhte (Apostg. 2, 22), hatte den Zorn der Juden wach­gerufen und ihr Antlitz gesenkt; denn dieses Wohlgefallen drückte den Stempel der Eitelkeit auf ihre gottesdienstlichen Anmaßungen. Über die Schriftgelehrten und Pharisäer, die den Weg Kains wandelten, rief der Herr Jesus ein Wehe aus, indem Er mit den Worten schloß: „Und ihr, erfüllet das Maß eurer Väter! . . . . daß alles gerechte Blut, vergossen auf der Erde, auf euch komme, von dem Blute Abels, des Gerechten, an, bis zum Blut des Zacharia, des Sohnes Barachia; den ihr zwischen dem Tempel und dem Altar ermordet habt" (Matth.23,35).

Denselben „Weg" finden wir in der Verfolgung Stephanus! und Saulus, der Pharisäer, der so lange auf diesem Weg gewandelt, aber durch die Gnade davon entrückt war, sagt von seinen Brüdern nach dem Fleische: „Welche sowohl den Herrn Jesum, als auch die Propheten getötet und uns verfolgt haben, und welche Gott nicht gefallen, und welche allen Men­schen entgegen sind, und uns wehren, zu den Natio­nen zu reden, auf daß sie gerettet werden, damit sie ihre Sünden allenthalben ^erfüllen; — aber der Zorn Gottes ist völlig über sie gekommen" (1. Thess. 2, 15. 16). Ohne Zweifel könnte man die Spur des „Weges Kains" durch die Ge­schichte des ganzen Christentums hindurch verfolgen; allein es ist vor allem notwendig das Augenmerk darauf zu richten, daß Judas in seiner Epistel diesen „Weg" als das Kennzeichen der letzten Tage vor unsere Augen stellt.

Hier aber zeigt der „Weg Kains" eine zweite Stufe, die unsere Auf­merksamkeit verdient. „Kain ging hinweg von dem Ange­sicht Jehova s." Er verließ den einzigen Born der Seligkeit. Wohl fühlte seine Seele die Leere; aber er suchte einen anderen Born, um diese Leere wieder auszufüllen: „Er baute eine Stadt und nannte den Namen der Stadt nach dem Namen seines Sohnes Hanoch." Und so steht Kain da als das Haupt einer langen Geschlechts­linie, die sich von jener Zeit bis zu unseren Tagen hin ausstreckt, oder — mit anderen Worten — als das Haupt derer, „die dem Geschöpf mehr Ehre und Dienst geleistet haben, als dem Schöp­fer, welcher gesegnet ist 'in die Zeitalter, Amen." — Verfinstert am Verstande, und entfremdet von dem Leben Gottes durch die in ihm wohnende Unwissenheit, sucht der arme Mensch vergeblich Ruhe und Glück in den Werken seiner Hände. Und dennoch ist er nicht zufrieden; die schreckliche Leere seiner Seele kann nicht ausgefüllt wer­den; denn nur die Gegenwart Dessen, den Kain verließ, würde ihn zu be­friedigen vermögen. 

Ja, in der Tat, nur die Herrlichkeit Gottes, geoffenbart in der Person und in dem Werke Jesu Christi, hat die Macht, den unglücklichen Menschen als Sünder und Geschöpf von seinem Elende zu befreien; denn nur Jesus konnte von sich sagen: „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nicht hun­gern; wer an mich glaubt, wird nie dürste n."

Die Leute des Geschlechts Kains blieben gleich ihrem Vater fern von dem Angesichte Jehovas. Sie haben mancherlei Erfindungen ge­macht; aber sie sind nicht zu Jehova zurückgekehrt. Was die Kunst zum Nutzen und zur irdischen Wohlfahrt hervorbrachte, dies alles stammt von den Söhnen Kains, von Jabal, Jubal und Thubalkain. Wohl mögen die Künste das menschliche Leben erträglich machen und durch ihren Genuß geeignet sein, das Gewissen in Schlummer zu wiegen; allein sie sind nicht im Stande, den Menschen gänzlich glücklich und zufrieden zu machen.

Der „Weg Kains" in seiner ganzen Ausdehnung wird uns endlich in dem Babylon der Offenbarung Johannes vor Augen gestellt; und wir sehen, wie der Geist Gottes auf eine so wunderbare Weise den ersten und letzten Teil der Geschichte des Menschen miteinander verbindet. Alles was zur Bequemlichkeit, zur Wohlfahrt und zum Vergnügen des Menschen gehört, wird in Babylon gefunden, aber zugleich auch „das Blut von Propheten und Heiligen und aller derer, die auf der Erde geschlachtet sind" (Offb. 18). Die höchste Bildung, der schrecklichste Haß gegen Gott und eine gänzliche Verach­tung Seiner Gnade reichen sich hier in Babylon die Hand. Darum steht auch geschrieben: „Gehet aus von ihr, mein Volk, auf daß ihr nicht von ihren Plagen empfangt." Laßt uns daher jene Stadt erwarten, welche Grundlagen hat, wo Gottes Herrlichkeit ist und deren Bürger die Gegenwart Gottes als ihr glückseliges, ewig dauerndes Teil besitzen.

Matthäus 15 Das kananäische Weib

(Matth. 15, 21—28)

Wie erquicklich ist es, den Pfad des Herrn Jesu hienieden zu ver­folgen! Von einer Szene des Leidens und des Kummers ging Er zur ändern und spendete Segnungen mit offener Hand. Er begegnete jeder Not und erfüllte jede Bitte; nicht einen Bedürftigen schickte Er leer von sich. Und je vertrauungsvoller der Glaube für irgend eine Segnung Ihm nahte, 'desto mehr erfreute sich Sein Herz; denn Er war gekom­men, um zu geben. Er hatte das Reich, wo alle Segnungen im Überfluß sind, verlassen, um den verderbten Sünder zu befreien, und um ihn jener Segnungen teilhaftig zu machen. — Obgleich aber der Herr Seine Freude daran hat, den Glauben zu befriedigen, so gefällt es Ihm doch oft, denselben zuerst auf die Probe zu stellen. Er will haben, daß wir ganz auf Ihn vertrauen und viel von Ihm erwarten sollen; ebenso will Er haben, daß der Sünder seinen Platz vor Ihm, als ein Verworfener nehme, als solcher, der keinen Anspruch auf Seine Gnade habe.


 Die Geschichte des Kananäischen Weibes liefert uns für das Gesagte ein schönes' Beispiel. Der Herr gewährt ihre ganze Bitte; aber zuerst übt Er sie im Empfang derselben. Sie war keine Jüdin. Sie gehörte einer Stadt an, welche als ein verderbter Ort bezeichnet war, und sie war von einem Geschlecht, auf welchem der Fluch ruhte (1. Mos. 9, 25). Sie hatte keine Ansprüche an den Herrn, sondern war im vollen Sinne des Wortes eine Verworfene. Jedoch war sie in Not, und in ihrer Not hörte sie von dem Herrn Jesu. Sie glaubte an Ihn, als den verheißenen Er­retter, den Sohn Davids; und als solchen rief sie Ihn an. Sie hatte gehört, daß Er viele Gnaden unter den Juden gespendet hatte, und sie kommt zu Ihm und bittet um Hilfe. Doch der Herr antwortet ihr nicht. Er nimmt von ihrer Anrufung keine Notiz; Sein Ohr ist für ihre Bitte verschlossen. Warum das? Sie wandte sich an Ihn, als „Sohn Davids", in Seinem jüdischen Charakter, als wenn sie eine aus jenem bevorzug­ten Geschlecht gewesen wäre. Aber als „Sohn Davids konnte Er nichts mit einer Kanaaniterin zu tun haben, und in diesem Charakter konnte auch sie keinen Anteil an Ihm haben.

Die Jünger, beunruhigt durch ihren Kummer, wünschen sehr, daß der Herr sie durch Erhörung ihrer Bitte von sich lasse; aber Jesus blieb Seinem Auftrage treu; Er beobachtete den Befehl Gottes. „Ich bin nicht gesandt," erwiderte Er, „es sei denn zu den verlore­nen Schafen von dem Hause Israel ." Sie aber wurde durch diese Antwort nicht entmutigt und rief, zwar in einfacheren doch noch freieren Ausdrücken: „Herr, hilf mir!" Allein auch jetzt gewährt der Herr ihre Bitte nicht. Er antwortet: „E s ziemt sich nicht, das Brot den Kindern zu nehmen und es den Hunden hin­zuwerfen. Ich bin zu den Kindern gekommen, um an dem jüdischen Weinstock, der Gottes Eigentum ist, Frucht zu suchen, und auf diesem Grunde habt ihr Heiden keinen Anspruch." — So weit die Wege Gottes äußerlich offenbart waren, waren die Juden Sein Volk; und jene ge­hörte nicht zu diesem Volke. Sie war ein heidnischer Hund. Was hatte sie nun noch zu hoffen? Warum gab sie ihr Gesuch nicht auf? 0 nein;

sie war in der Tat ein heidnischer Hund, und als ein solcher nahm sie jetzt ihren Platz vor dem Herrn ein. Sie gab jedes Recht und jeden An­spruch auf und warf sich ganz auf das freie Erbarmen 'in Jesu. Sie wußte, an wen sie sich wandte. Ihr Glaube ehrte Ihn als den Schatz der überströmenden Gnade Gottes, welche sogar die Bedürfnisse einer sol­chen, wie sie war, befriedigen konnte. „Ja Herr!" erwiderte sie;

„denn es essen ja auch die Hunde von den Brosamen, welche von dem Tische ihrer Herren fallen." Ach! sie kannte den Herrn des Hauses; sie wußte, daß Er unendlich reich war. Sie kannte die Gnade Gottes in Jesu weit besser als die Jünger, die Ihm nachfolgten. Sie wußte, daß der Geringste in dem überschwenglichen Vorrat des Hauses des Herrn alle seine Bedürfnisse befriedigen konnte.

Wir werden nie wirklich verstehen, was Gott ist, bis wir unsere eigene Unwürdigkeit erkannt haben. Israel verstand fiie die Gnade Gottes, wie diese arme, gläubige Kanaaniterin sie verstand. Erfüllt mit ihrem Selbstvertrauen verwarfen sie dieselbe. Diese dagegen wurde durch das Bewußtsein ihrer Verworfenheit und durch ihre Not zu Jesu geführt, und ihr Glaube entdeckte in Ihm, welcher herniedergekommen

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 war, um den menschlichen Bedürfnissen zu begegnen, den Reichtum der Gnade Gottes. Sie wußte, daß Gott in der Fülle Seiner Liebe sogar die heidnischen Hunde von der Teilnahme Seiner Güte nicht ausschließen würde. Sie ehrt Gott als einen milden Geber, und dies ist Sein Charak­ter, in welchem Er im Evangelium offenbart ist, und sie kam in dem Gefühl und mit dem Bekenntnis ihrer völligen Unwürdigkeit. Sobald sie dieses tat, nahm der Herr jede Scheidewand hinweg. Er, der Freund und Heiland der Sünder, hob auf einmal jeden Unterschied zwischen Sich und der Sünderin auf. Sein Schatz der überströmenden Gnade wurde für sie geöffnet; Er stellt Seinen unendlichen Reichtum zu ihrer Verfügung. „O Weib, dein Glaube ist groß; dir geschehe wie du willst!"

Und nun, mein geliebter Leser, hast auch du erkannt, was du bist und was Gott ist? Hast du deine eigene Unwürdigkeit im Angesicht Gottes gesehen? Hast du erkannt, daß du um nichts besser bist, als jenes kananäische Weib? Bist du ebenso arm zu Gott gekommen, wie sie — als ein solcher, der nichts Gutes in sich selbst hat, der durch seine Sünden nicht nur verderbt, sondern auch völlig unfähig ist, sich selbst zu helfen, — dann, ja dann wirst auch du erfahren haben, wie über­schwenglich reich Seine Gnade ist. Vertraust du aber noch, wie jene ungläubige Masse der Juden, auf dich selbst, auf dein Tun und Lassen und beharrest darin, so wirst du für immer von jeglicher Segnung aus­geschlossen.

Gottes Freude ist es, zu geben; aber das Gefäß, welches Er erfüllt, muß leer sein. Der Sünder muß von aller eigenen Gerechtigkeit ent­blößt sein, ehe Gott ihn mit einem Kleide aus Seinem Schatzhause be­kleidet. Er muß durch das Bewußtsein seines wahren Zustandes ernie­drigt sein, ehe Gott ihn erhöht. Alle Gedanken von Würdigkeit müssen aufgegeben werden, denn zwischen dem Menschen und Gott ist kein Platz für sie.

In der Person Christi ist Gott zu den Menschen herniedergekom­men. Er hat Sich uns nicht offenbart unter den Donnern des Berges Sinai, welchen niemand, ohne zu sterben, anrühren konnte, noch in der Wolkensäule, noch zwischen den Cherubim im Allerheiligsten, noch auf einem königlichen Throne, welchem zu nahen wohl wenige gewagt hätten — nein, Gott ist in denselben Umständen zu uns herniederge­kommen, in welchen wir sind; Er hat uns in unserem jämmerlichen Zustand hienieden besucht. Er hat die Strahlen Seiner göttlichen Herr­lichkeit hier unten in der Knechtsgestalt verborgen, und ist uns in unserem tiefsten Verderben begegnet; ja, in unserem traurigen Elende hat Er Sich mit uns eins gemacht. Er ist nicht nur gnädig gewesen, sondern hat alle Gnade erzeigt, welche Er erzeigen konnte. Denn die Gnade in dem Sohne Gottes konnte nicht mehr tun, als den Platz mit dem Sünder zu vertauschen; und dies hat Jesus getan. Er hat dadurch die Sünde von uns weggenommen, daß Er sie auf Sich nahm. Er hat unser Gericht getragen, damit Er uns zu Teilhabern Seiner unendlichen Segnungen machen und auf Seinen Thron erheben möchte. Sicher, eine solche Gnade hätte nie das Herz des Menschen ersinnen können — eine solche Gnade konnte ihren Ursprung nur in dem Herzen Gottes haben, und allein in der Person Seines Sohnes offenbart werden. 0 möchte

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 doch ein jeder Sünder im Bewußtsein seiner gänzlichen Verderbtheit und im Vertrauen auf diese unendliche Gnade, gleich jener armen Kanaaniterin, zu Jesu eilen, so würde er auch sicher die Worte hören:

„Dir geschehe, w i e d u willst!" ja, er würde empfangen, was er begehrte — Vergebung, Frieden, ewiges Leben und ewige Herrlichkeit.

Die Wege Gottes mit dem Menschen

Ausgenommen die persönliche Errettung und die Gemeinschaft der Seele mit unserm Gott ist für den Christen nichts von größerer Wich­tigkeit und von größerem Werte, als das Zeugnis, welches Gott in die­ser Welt voll Finsternis von Sich Selbst gegeben hat. Zudem hängt auch beides, die Errettung und die Gemeinschaft, von diesem Zeugnis ab. Wie möchte wohl ohne dasselbe der Zustand des Menschen sein? Wie ist sein Zustand da, wo dieses Zeugnis noch nicht durchgedrungen ist? Welch ein köstliches Vorrecht, die Gedanken Gottes selbst über alles, was uns moralisch betrifft, zu besitzen und vermittelst der Mit­teilung Seiner Gedanken in Beziehung zu Ihm zu stehen! Welch ein Vorrecht, Seine Freunde genannt zu werden und dieses Vorrecht in der innigsten Offenbarung Seiner Gedanken und Seiner Zuneigungen. Da nun der Mensch der Gegenstand dieser Zuneigungen war, so entwickeln sich dieselben in den Wegen Gottes mit dem Menschen, in welche selbst die Engel hineinzuschauen begehren. Und in der Tat ist nach der Weis­heit Gottes der Mensch dasjenige Wesen, in Betreff dessen sich der Charakter Gottes und alle Seine moralischen Wege auf die vollkom­menste und die bewunderungswürdigste Weise entfalten. Es ist weder der Verstand noch die moralische Kraft des Menschen, die ihn hierzu geschickt machen, da das Urteil, welches er über das Wesen Gottes zu bilden vermag, keineswegs das Mittel ist, um Gott zu offenbaren. Ohne selbst den Fall des Menschen in Betracht zu ziehen, würde dennoch dieses Urteil stets wegen des Umstandes, daß der Mensch im Vergleich mit Gott ein unvollkommenes und fehlbares Geschöpf ist, insoweit unter der Wahrheit bleiben, als der Mensch unter Gott steht. Der un­schuldige Mensch hat weder Bedürfnis noch Begierde, um ein Urteil über Gott auszusprechen. Er genießt mit Anbetung Seine Wohltaten. Und ein solcher Mensch ist in keiner Beziehung, weder in Betreff sei­nes Zustandes, noch in Betreff seines Verhaltens Gott gegenüber, ge­schickt, um nach der Wahrheit zu urteilen. Selbst der Wille mangelt ihm dazu. Nein, Gott offenbart sich dem Menschen in Seinen eigenen Wegen. Ein Engel gab Ihm hierzu nicht solch eine Gelegenheit wie der Mensch. Ein Engel bedarf nicht der Erbarmung, der Gnade, der Ver­gebung, der göttlichen Gerechtigkeit und der Kraft, die ihn in seiner Schwachheit unterstützt und ihn aus den Toten auferweckt. 


Darum ist auch nicht ein Engel Christo, dem verherrlichten Menschen, gleichförmig geworden. Er ist ein Zeuge der schaffenden und bewahrenden Macht Gottes; er zeichnet sich aus in Kraft. In ihm erblickt man ein durch Gott bewahrtes Geschöpf, welches seinen ursprünglichen Zustand nicht verloren hat. Die Gnade, die Geduld, das Mitleid, die göttliche Gerech­tigkeit sind für einen solchen Zustand nicht notwendig, wohl aber für den gefallenen Menschen. Auch begehren die Engel die herrlichen Wege Gottes mit dem Menschen zu ergründen. Es ist das Herz des Menschen, welcher, bis zur tiefsten Stufe moralischer Wesen herabgesunken, in seinen Ungerechtigkeiten Satan gleichförmig geworden ist und ein Sklave seiner Leidenschaften, stark oder wenigstens übermütig in seinen Anmaßungen dahingeht; — es ist das Herz des Menschen, welcher die Kenntnis des Guten und Bösen besitzt, jedoch an einem Gewissen, das ihn verurteilt; — welcher wegen der Leiden nach einem besseren Zustande seufzt, jedoch unfähig ist, denselben zu erringen; — welcher diese irdische Welt mit einer anderen vertauschen möchte, und dennoch fürchtet, dorthin zu gelangen; — welcher die Notwendigkeit der Ge­meinschaft mit Gott, als dem einzig würdigen Gegenstande für eine lebendige Seele, erkennt, und dennoch das Gefühl gänzlicher Entfer­nung von Gott hat, zugleich verbunden mit solch einer Begierde nach Unabhängigkeit, daß er Gott den Ihm gebührenden Platz nicht ein­räumen will; — dieses Herz des Menschen, fähig für die höchsten Empfindungen und für die erniedrigendsten Freveltaten, bildet Gott zu einer göttlichen Harfe, worin von Ewigkeit zu Ewigkeit die ganze Har­monie Seiner Lobgesänge ertönen sollen. 

Durch die Gnade und gött­liche Macht, die sich in einem neuen, dem Menschen mitgeteilten Le­ben entfalten, sowie durch die Offenbarung Seines Sohnes in der menschlichen Natur, wird der gefallene Mensch fähig gemacht, das Böse Gott gemäß zu beurteilen und das Gute nach der vollkommenen Offenbarung in Christo zu genießen. Zugleich räumt er Gott, der ein Gott der Liebe ist, den Ihm gebührenden Platz ein, während er selbst für sich den Platz der Abhängigkeit wählt, — einer Abhängigkeit, welche nach der Erkenntnis der Vollkommenheiten Gottes strebt. Wollte Gott in dem Zustande des Menschen Seinen Charakter und Sein Wesen offenbaren, und sollten unsere Herzen und Gewissen davon in Kenntnis gesetzt werden, dann war es nötig, den Menschen durch verschiedene Perioden zu führen, welche ihm Gelegenheit geben, Sich in Gnade offenbaren zu können.

Laßt uns daher diese Wege Gottes mit dem Menschen in der Kürze betrachten. Gott hat den Menschen rein, d. h. ohne Sünde, und ohne die Erkenntnis des Guten und Bösen geschaffen. Adam bedurfte auch weiter nichts; er hatte nur mit Dankbarkeit die ihn umringenden Seg­nungen zu genießen. Zugleich aber forderte Gott seinen Gehorsam und stellte denselben auf die Probe durch das Verbot, von einem Baume zu essen, der inmitten des Gartens stand.

Man hat behauptet, daß er die Erkenntnis des Guten besessen und die des Bösen erlangt habe; jedoch hierdurch vernichtete man die Kraft des Ausdrucks: „Siehe, Adam ist geworden als Unser Einer und weiß, was gut und böse ist" (1. Mos. 3, 22). Es war Sünde, von der verbotenen Frucht zu essen, weil es verboten war,

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 davon zu essen. Gott hat dafür gesorgt, daß das Gewissen der stete Begleiter des Menschen in seinem sündhaften Zustande sei.

Der Mensch ist nicht gefallen, ohne versucht zu sein. Der Feind hat seine Seele mit Mißtrauen gegen Gott erfüllt; und dieses Mißtrauen richtet eine Scheidewand zwischen seinem Herzen und Gott auf und räumte seinem eigenen Willen und den Lüsten, sowie dem Hochmut, Gott gleich zu sein, einen Platz ein. Der eigene Wille, die Lüste und der Hochmut bilden nun den wirklichen Zustand des natürlichen Men­schen. Der Mensch hat sich also von Gott geschieden, um sich dadurch, was seinen Willen betrifft unabhängig zu machen, insofern nämlich die Sünde uns unabhängig von dem höchsten Wesen zu machen vermag.

In diesem Zustande konnte der Mensch die Gegenwart Gottes nicht ertragen. Diese Gegenwart jedoch, die göttliches Licht über den Zustand des Menschen warf und ihn fühlen ließ, was aus ihm geworden war, die ihm seine Sünde und seinen Verlust aufdeckte, mußte ihm über alles unerträglich sein. Vermochte er auch in seinen eigenen Augen die Schande der Sünde zuzudecken, — vor Gott wußte er, daß er nackt war.

Die Frage: „Adam, wo bist du?" — die Gott an Adam richtete, war sehr niederschmetternd. Warum ist der Mensch nicht zu Gott gegangen, als er Seine Stimme im Paradiese vernahm? Wo war er? In der Sünde und in Nacktheit; denn das Wort Gottes entblößte den Menschen. Schreckliche Wahrheit, wenn das Gewissen befleckt ist! Eine Wahrheit, vor welcher jede Anmaßung gleich der Lüge vor der Wahrheit ver­schwindet, indem nichts zurückbleibt, als die beschämende Schuld der Anmaßung, der Torheit und der Undankbarkeit, die diese Unabhängig­keit von dem höchsten Wesen gesucht haben.

Der Mensch ist also der Gegenwart Gottes entflohen, bevor Gott ihn aus dem Orte des Friedens, wohin Er ihn gestellt hatte, verjagte. Doch der Befehl Gottes mußte gehandhabt werden. Es geziemte Ihm nicht, die Sünde ungestraft zu lassen. Das Urteil mußte vollzogen wer­den. Die Heiligkeit Gottes verabscheut die Sünde, und die Gerechtigkeit Gottes handelt gemäß dieser Heiligkeit durch ein gerechtes Urteil über den, der Böses tut. Der Mensch wurde aus dem Paradiese vertrieben, und — die Welt begann. Wie aber im Paradiese die Sünde gegen Gott, so wurde in der Welt die Sünde gegen den Nächsten begangen; und der Tod des Gerechten war ein treffliches Vorbild auf den Tod des Herrn. Der Mensch, vertrieben aus der Gegenwart Gottes, hat getrach­tet, die Welt zu verschönern und angenehm zu machen. 

Dies war alles, was ihm übrig blieb. Die Bildung, die Künste und die Gemächlichkeit eines Lebens in Üppigkeit haben zur Genüge die Geschicklichkeit eines Wesens gezeigt, welches keine Verbindung mit der göttlichen Heilig­keit und Vollkommenheit mehr hatte und sich an die Dinge, die unter Gott waren, fesselte und zugleich mit Hoffahrt auf die Früchte seiner Geschicklichkeit blickte. Doch ohne die Erneuerung des menschlichen Willens durch eine höhere Macht' ist es der Bildung unmöglich, der Kraft der Wohllust sowie auch der Missetat, ihren Willen zu tun, zu widerstehen und inmitten aller Hindernisse die Leidenschaften zum Schweigen zu bringen. Die Welt war vor Gott verdorben, und die Welt ist erfüllt mit Missetat.

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 Doch die Gnade Gottes hat ihr Zeugnis nicht zurückgehalten. Das Urteil Gottes über die Schlange kündigte den Samen des Weibes an. Abel, wiewohl gestorben, ist ein Zeuge von der Macht des Bösen in der Welt, zugleich aber auch seitens Gottes von der Annahme des Ge­rechten, der mit einem Opfer, welches die Erkenntnis der Sünde in sich schließt, zu Gott naht. Angenommen von Gott, verworfen von den Men­schen und preisgegeben dem Hasse des Bösen, ist er der Beweis einer Hoffnung außerhalb dieser Welt. Die Aufnahme Henochs, welcher mit Gott wandelt, hat diese Hoffnung befestigt, und versichert dem Gläu­bigen, welcher glaubt, daß Gott ist und denen, die Ihn suchen, ein Be­lohner wird, daß es für den Gerechten bei Ihm ein Glück gibt, welches die Welt nicht geben und nicht nehmen kann. Wiewohl dies alles noch unter einem Schleier verhüllt war, so unterhielt und belebte es doch den Glauben dessen, der mit Gott zu wandeln trachtete, während das Böse mit Macht heranwuchs.

Als die Sünde ihren Höhepunkt erreicht hatte, gab Gott ein an­deres Zeugnis in der Person Dessen, der durch das Gericht, welches der schrecklichen Ausbreitung der Sünde eine Grenze setzte, hindurch­gehen mußte. Dieses Zeugnis redet nicht allein von der Hoffnung, welche den Heiligen außerhalb der Welt einen Platz anweist, sondern auch von dem Gericht der Welt selbst — ein Gericht, welches nach den Grundsätzen der göttlichen Regierung notwendig war, in welchem jedoch ein kleiner gerechter Überrest in der von Gott bereiteten Arche errettet werden sollte.

Hier sehen wir also den Zustand, die Geschichte des Menschen, nach­dem er als Folge der Übertretung eines Gesetzes aus dem irdischen Paradiese, in welches Gott ihn gesetzt hatte, vertrieben und seinem Eigenwillen ohne Gesetz, doch nicht ohne Überzeugung, preisgegeben war. Die Sündflut mußte einem Zustande der Dinge ein Ende machen, worin das Verderben und die Gewalt die Oberfläche des Erdreichs be­deckten, und worin nur acht Personen fähig waren, das Zeugnis Gottes über das kommende Gericht zu offenbaren.

Während der Perioden zwischen der Vertreibung Adams aus dem irdischen Paradiese und der Sündflut bestanden die Menschen aus einer Familie, aus einem Geschlecht. Es gab damals keine Völker, keine Regierung und — was wahrscheinlich ist — keine Abgötterei. Der • Mensch konnte, zwar nicht ohne Zeugnis, doch ohne Zügel seine eigenen Wege gehen; und das Böse ist unerträglich geworden. Die Sündflut hat damit ein Ende gemacht. Nach diesem Ereignis, nach diesem Gericht Gottes begann eine neue Welt und die Regierung wurde eingeführt. Derjenige, welcher einen Menschen töten würde, sollte selbst getötet werden. Doch ungeachtet dieses Hemmnisses der äußeren Sünde dauerte das Verbrechen des Herzens fort. Noah hat gefehlt in dem Zustande, in welchen er nach der Sündflut gestellt wurde, gerade so wie es Adam in dem Paradiese, wie es der Mensch allezeit getan hat, und wie solches geschehen wird bei jedem Wesen, welches nicht direkt durch Gott be­wahrt wird. Gleich nach der Sünde Harns bereitete Gott die Verteilung der Menschen in verschiedene Rassen vor, so wie sie heutzutage noch bestehen, Semiten, Hamiten und Japhetiten.

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 Wie wir bereits sagten, bestand das menschliche Geschlecht sowohl vor als nach der Sündflut aus einer Familie. Infolge des Bauens des babylonischen Turms, der durch den Menschen aufgerichtet ward, um der Mittelpunkt eines Reiches zu sein, zerstreute Gott die Erbauer desselben; und so entstanden Nationen, Sprachen und Völker. Gott wollte, daß die ganze Erde bewohnt werde; und durch die Verwirrung der Sprache hat Er die wirkliche Form der Welt dargestellt. Die per­sönliche Geisteskraft eines Volkes bildet sich in derselben ein Reich, welches Babel zum Mittel- und Ausgangspunkte hat und später in der Geschichte der Menschheit eine große Rolle spielt.

Nachdem das Gericht Gottes die Welt also verteilt hatte und die Sprache der Völker und der Stämme entstanden waren, tritt in der Geschichte der Welt ein bemerkenswertes Ereignis in die Erscheinung. Bisher hatte sich die Sünde des Menschen nur in dem Verderben des Herzens und in der Wirksamkeit eines unabhängigen Willens gegen Gott geoffenbart. Jetzt beginnt sie auf eine andere Weise an den Tag zu treten. Dämonen nehmen in den Augen und in der Vorstellung des Menschen den Platz Gottes ein. Die Abgötterei fängt an unter den Völkern und sogar unter demjenigen Geschlecht, welches Gott am nächsten war — dem Geschlecht Sems — zu herrschen. Und wiewohl diese Abgötterei im Prinzip überall dieselbe war, so hatte doch jedes Volk seine besonderen Götter. Der Mensch hatte also nicht allein ge­gen Gott gesündigt, sondern Ihn auch als Gott verworfen; und ohne Zweifel würde die Erkenntnis des einigen, wahren Gottes und mit der­selben die Erfüllung der Verheißung verloren gegangen sein, wenn Gott nicht aus der Mitte dieser Götzendiener einen Mann gerufen hätte, welcher die Erkenntnis Seines Namens offenbaren sollte. Er beruft Abraham, um sein Land, seine Verwandtschaft und seines Vaters Haus zu verlassen und selbst in seinen innigsten Beziehungen, mit dem durch den Herrn verurteilten Systeme vollkommen zu brechen. Durch die freie Gnade Gottes auserkoren, hatte er nur für Gott zu leben; und durch den Glauben ist er der Verheißungen teilhaftig geworden.

Diese Berufung nun ist von der höchsten Wichtigkeit. Bis jetzt hatte es zwar treue Diener Gottes gegeben, die mit Ihm wandelten, z. B. Abel, Henoch, Noah usw.; doch keiner derselben war gleich Adam das Haupt und der Stamm eines Geschlechts geworden. Abraham nun wurde nicht allein von den Götzendienern abgesondert, sondern zugleich zum Haupte und Stamme eines Geschlechts gemacht, welches seine Segnungen nicht in, sondern außerhalb dieser Welt hatte. Die Völker hatten sich die Teufel zu Göttern erkoren, und Gott erwählt sich einen Mann zum Haupte eines Geschlechts, welches Ihm als Eigentum ange­hören sollte. Die Fettigkeit des Ölbaums Gottes findet sich in allen, die auf dem Stamme Abrahams wachsen, es sei das Volk nach dem Fleische, es sei der Same, welcher an den geschehenen Verheißungen durch die Vereinigung mit Christo, als dem Samen der Verheißung, sein Teil hat. Diese Berufung und Absonderung, welche auch die Perioden sein mögen, die der Mensch durchlaufen muß, bleiben allezeit fest. Christus Selbst — gekommen, um die den Vätern gegebenen Verhei­ßungen zu erfüllen — ist der Zeuge der unveränderlichen Wahrheit Gottes.                                                          '" '

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 Nicht lange jedoch blieb der Zustand der Erben der Verheißung in der ursprünglichen Gestalt. Kurz nachher finden wir ein Volk, das sich wenig um diese Grundsätze kümmert und sich mehr und mehr von dem Glauben entfernt, und welches unter dem Joch einer beklagens­werten Sklaverei seufzt. Dieser Zustand des Volkes gibt zu einem Er­eignis Anlaß, welches einen wichtigen Grundsatz ans Licht stellt, näm­lich den der Erlösung von den Folgen seiner Sünde und von der Skla­verei, unter welcher dieses Volk gebückt ging. Wir werden in den Früchten dieser Erlösung noch Manches finden, was für uns von der höchsten Bedeutung ist.

Das Geschrei des Volkes ist hinaufgedrungen bis zu den Ohren des Herrn der Heerscharen, und Er steigt hernieder, um dasselbe zu er­lösen. Doch der Retter ist zugleich der gerechte Richter; die Vereini­gung dieser beiden Charaktere ist eine Notwendigkeit. Um erlösen zu können, muß Seine Gerechtigkeit befriedigt sein. Ein Gott, der nicht gerecht ist, kann — moralisch betrachtet — kein Retter sein. Und darum offenbart Er Sich in Gerechtigkeit und in Liebe. Er hatte Seine Macht an Pharao gezeigt, indem Er erklärte, ein Recht an Israel zu haben, und ihn zwang, das Volk ziehen zu lassen; allein die Erlösung mußte ohne den Willen des Menschen durch das Gericht Gottes, sowie durch die volle Offenbarung Seines Abscheues gegen die Sünde und zugleich in Liebe vollbracht werden. Gott erscheint sowohl vor den Ägyptern als auch vor Israel als Richter; denn auch Israel war schuldig, und in gewisser Beziehung schuldiger als die Ägypter. Der Würgengel ging über das ganze Land; und nur durch das an die Türpfosten gestrichene Blut des Passahlammes entging Israel dem Gericht, welches über das­selbe hätte kommen müssen. So hatte die Liebe Gottes ein Mittel ge­funden, um das Volk zu erlösen, ohne Seiner Gerechtigkeit Abbruch zu tun.

Gott geht als Richter an Seinem schuldigen Volke, um des durch den Glauben erkannten Blutes willen vorüber. Doch Israel war noch in Ägypten. Seine Erlösung war noch nicht vollbracht, wiewohl der Preis der Erlösung vorbildlich bezahlt war. Israel begibt sich auf den Weg und erreicht das Rote Meer. Hier muß die Frage, betreffs seiner Er­rettung oder seines Untergangs gelöst werden. Pharao hatte, seines Sieges gewiß, das Volk verfolgt; die Wüste, worin Israel sich befand, bot keine Zufluchtsstätte an, und das Rote Meer, ein Bild des Todes und des Gerichts, lag zu seinen Füßen. Dennoch sah Israel am folgen­den Tage nichts als die Leichname seiner Feinde, die bis in das Meer gefolgt waren. Der Tod und das Gericht Christi trennen uns von dem Orte unserer Gefangenschaft.

Die Erlösung schließt mehr in sich als die Tatsache, daß wir dem Gericht Gottes entgangen sind. Wir werden durch die Macht Gottes, der die Erlösung Selbst bewirkte, in einen ganz neuen Zustand versetzt.

In dieser inhaltsreichen Geschichte sehen wir das Vorbild jener großen Begebenheiten, auf welchen unser ewiges Glück ruht: Die Ver­söhnung, die Erlösung und die Rechtfertigung. Die Rechtfertigung wird hier vollkommen dargestellt; 1. die Erlösung durch das Blut, welches uns von aller Schuld der Sünde befreit, und 2. unsere Einführung, kraft des Wertes dieses Blutes, in einen ganz neuen Zustand durch die Auferstehung. Christus ist unsrer Übertretungen wegen dahingegeben, und unserer Rechtfertigung .wegen auferweckt.

Einige wichtige Grundsätze werden uns als Folgen der durch die Erlösung bewirkten Befreiung geoffenbart. Gott wohnte in der Mitte der Israeliten. Er hat weder bei dem unschuldigen Adam, noch bei Abraham, dem durch Seine Gnade Berufenen und Erben der Verhei­ßung gewohnt. Sobald Israel durch die Erlösung erkauft und befreit ist, wohnt Gott inmitten Seines Volkes (Vergl. 2. Mos. 15, 2*) und 29, 45. 46).

Auch erscheint hier zum ersten Male die Heiligkeit Gottes in den , Beziehungen Seines Volkes zu Ihm. Mit Ausnahme eines einzigen Falles, ' wo von der Heiligkeit des Sabbaths die 'Rede ist, wird im ersten Buch Moses weder die Heiligkeit im Allgemeinen, noch die Heiligkeit des Charakters Gottes vorgestellt. Doch 2. Mos. 15 und 19 und 3. Mos. 19, 30, sowie andere Stellen, zeigen uns an, daß, da die Erlösung einmal vollbracht ist, Gott diesen Charakter annimmt gegenüber allem, was zu Ihm in Beziehung steht. — In unmittelbarer Verbindung mit dieser Wahrheit steht eine andere, die ebenfalls notwendig aus der Erlösung hervorgeht, daß nämlich die Erlösten nicht mehr sich selber angehören, sondern daß sie für Gott erkauft, Ihm geweiht und für Ihn abge­sondert sind.

Israel betritt — ein Vorbild von dieser Welt für das Volk Gottes — die Wüste, wo die Treue Gottes für Sein Volk Sorge trägt. Später­hin erreicht er das Land Kanaan, wo von Siegen die Rede ist, die wir davon tragen müssen, um in dieser Welt die uns zugehörenden himm­lischen Vorrechte zu genießen. Wohl ist es wahr, daß wir uns bereits in denselben erfreuen, bevor wir einen einzigen Sieg davon getragen haben; um sie jedoch zu verwirklichen, müssen wir aiegen. Die Wüste und Kanaan machen vorbildlich die beiden Teile des christlichen Lebens aus: die Geduld in dieser Welt unter der uns leitenden Hand Gottes, und der Sieg in dem Streite gegen Satan, um die geistlichen Vorrechte genießen zu können.

Doch ein anderer wichtiger Grundsatz wird während der Wande­rung Israels durch die Wüste ans Licht gestellt. Betrachtet man 2. Mos. 15 und 18 etwas genauer, dann wird man bemerken, daß dort alles Gnade ist, — daß sich jedoch das Volk in 2. Mos. 19 unter das Gesetz stellt und unter der Bedingung ihres Gehorsams gegen alles, was der Herr sagt, den Genuß der Verheißungen annimmt. Der Gehorsam war eine Pflicht; indem sie sich aber unter diesen Bund stellten, vergaßen sie ihre eigene Schwachheit und bahnten sich den Weg zu ihrem Falle. Die traurigen Folgen zeigten sich in rascher Eile; denn noch bevor Moses von dem Berge zurückgekehrt war, hatte Israel .bereits das gol­dene Kalb gemacht. Zwar hat die Geduld Gottes durch die Vermittlung Moses die Beziehungen zu Seinem Volke nicht unterbrochen, bis end­lich, wie Jeremias sagt, keine Heilung mehr möglich war. Jedoch ist

*) In den besten Übersetzungen heißt dieser Vers also: „Der Herr ist meine Stärke und Lobgesang, und ward mein Heil. Dieser ist mein Gott, darum will ich Ihm eine liebliche Wohnung machen; Er ist meines Vaters Gott, Ihn will ich erheben."

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 unsere Aufgabe, die Wege Gottes zu beschreiben; wir dürfen uns daher nicht auf Einzelheiten einlassen. Die Verheißungen Gottes waren dem Abraham ohne Bedingung gegeben, und demzufolge konnte die Frage der Gerechtigkeit nicht zur Sprache kommen. Jetzt wird diese Frage behandelt, und zwar zunächst, da die von Gott geforderte Gerechtigkeit des Menschen die Pflicht des Geschöpfs war.

Keine ernstere Frage existiert für die Seele, als diese: Wo soll ich die Gerechtigkeit vor Gott finden? Wir haben gesagt, daß das Gesetz sie enthüllt hat. Es ist von Wichtigkeit, ihren Standpunkt zu betrach­ten, den sie bei der Einführung des Gesetzes einnimmt. Seit dem Dasein des Menschen war sie verhüllt. In dem irdischen Paradiese stand der Baum des Lebens, bestimmt, das Leben mitzuteilen, sowie der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, an welchen die Verantwortlichkeit geknüpft war. Der Mensch hat nicht von dem Baum des Lebens ge­gessen; und nach dem Falle hat die Barmherzigkeit Gottes, sowie Seine Gerechtigkeit und moralische Ordnung Seiner Regierung ihm den Weg zu diesem Baum versperrt. Ebenso hat der Mensch in seiner Verant­wortlichkeit gefehlt. 

Er kannte zwar die Sünde nicht, jedoch stand er in Beziehung zu Gott. Es war schon Sünde, von dem Baum zu essen, weil Gott es verboten hatte. Sobald der Mensch gefallen war, ist dem Samen des Weibes der zweite Adam angekündigt. Die Erwartungen des mensch­lichen ' Geschlechts stehen jetzt auf einem anderen Grunde. Es wurde kein Mittel verheißen, wodurch der Mensch vermittelst seiner morali­schen-Kraft erlöst werden sollte, sondern eine andere, von Adam un­abhängige Person, sollte ein Brunnen des Lebens werden, die Kraft des Feindes vernichten und die Stelle Adams einnehmen. Dieses war der Same des Weibes. Der erste Adam war eine lebendige Seele und ist verloren; der letzte Adam, der zweite Mensch ist ein lebendig machen­der Geist. Bis zur Ankunft Christi war die Verheißung der einzige Born der Hoffnung; sie unterstützte durch die Gnade den Glauben. — Wir glauben an die Erfüllung der Verheißung.

Als Gott Abraham rief, gab Er ihm die Verheißung, daß in ihm alle Völker gesegnet werden sollten (1. Mos. 12), und späterhin ist die Verheißung seinem Samen zugesagt (1. Mos 22). Der Samen des Weibes muß zugleich aus dem Samen Abrahams sein. Also bat Gott eine Ver­heißung ohne Bedingung gegeben und mithin offenbarte sich weder die Gerechtigkeit noch die Verantwortlichkeit des Menschen. Vierhundert und dreißig Jahre später ist das Gesetz gekommen, und hat die Gerech­tigkeit auf dem Grunde der Verantwortlichkeit des Menschen offenbart, indem es eine vollkommene Regel von dem feststellte, wie der Mensch als Nachkomme Adams sein mußte. Dieses Gesetz mußte man aus zwei verschiedenen Gesichtspunkten beschauen. Es enthielt die absolute Wahrheit, welche Jesus vollkommen ans Licht stellte: die Liebe zu Gott und die Liebe zu dem Nächsten. Dieses ist die vollkommene Regel für das Glück des Geschöpfs. Die Engel befolgen sie in dem Himmel. Doch der Mensch ist von der Befolgung dieses Gesetzes weit entfernt. Diese Regel nun ist auch in besonderen Pflichten entwickelt, die der Bezie­hung entspringen, in welcher der Mensch zu Gott und zu seinem Näch­sten steht. Diese Gebote sind nach dem moralischen Zustande des Men­schen eingerichtet; sie setzen die Sünde voraus und verbieten. Als Ge-

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 setz verurteilt es auf der einen Seite notwendig die Sünde und bekräf­tigt sie auf der anderen Seite. Unter solchen Umständen kann ein Ge­setz nur verdammen und nur, wie Paulus in 2. Kor. 4 sagt, ein Dienst des Todes und der Verdammnis sein. Er fordert die Gerechtigkeit nach einer Vorschrift, die das Gewissen genehmigen mußte und die zu glei­cher Zeit seine Schuld bewies. Das Gesetz gibt Erkenntnis der Sünde. Gott hat es nicht gegeben, um eine Gerechtigkeit hervorzubringen; dazu gehört eine inwendige Kraft. Das Gesetz bietet eine solche Kraft nicht dar; denn es fordert die Gerechtigkeit und kündigt das gerechte Gericht, den gerechten Zorn Gottes an. Es ist also gerecht und gut und darum die Kraft der Sünde; es ist neben eingekommen, auf daß die Übertre­tung überströmend sei. Die, welche aus Gesetzes Werken*) sind, sind unter dem Fluch. Das Fleisch ist dem Gesetz Gottes nicht unterworfen und kann es auch nicht sein. Der Mensch wurde auf die Probe gestellt, ob er eine menschliche Gerechtigkeit hervorzubringen vermöge.

Das Gesetz ist nun in doppelter Beziehung dem Menschen gegeben. Erstens, das Gesetz als solches, ohne alle Beimischung, zweitens, das Gesetz, vermengt mit Gnade. Die Geschichte des Gesetzes, vom ersten Gesichtspunkte aus betrachtet, ist sehr kurz. Bevor Moses den Berg Sinai verließ, hatte Israel bereits das goldene Kalb gemacht. Die Tafeln des Gesetzes sind nicht ins Lager gekommen. Unmöglich vermochten sie den Grund der Beziehungen des Menschen zu Gott zu bilden. Die Gebote Gottes konnten sich nicht mit der Anbetung eines goldenen Kalbes vereinigen.

Infolge dieser Sünde ist Moses der Fürsprecher des Volkes, und er empfängt aufs Neue das Gesetz. Gott handelt in Barmherzigkeit. Die Beziehungen des Volkes zu Gott sind gegründet auf die Vergebung, welche Gott zusteht; jedoch findet dieses nur als Folge der Dazwischenkunft Moses statt. Dem ungeachtet ist das Volk unter das Gesetz gestellt, und jeder Übertreter wurde aus dem Buche Gottes ausgetilgt. Zugleich aber wurde auch das Gesetz in der Bundeslade verborgen, und Gott Selbst verbarg Sich hinter dem Vorhange, wo auf dem Versöhnungs­deckel, welcher mit den Cherubims den Thron Gottes vorstellte, das Blut gesprengt werden mußte. Doch die mit dem Gesetz vermengte Gnade vermochte ebensowenig, wie das Gesetz allein, die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen aufrecht zu erhalten. Sie konnten nur zum Beweise dienen, daß, wie groß die Barmherzigkeit Gottes auch sein mochte, der verantwortliche Mensch außer Stand war, das Leben durch die Gerechtigkeit zu erlangen, die es selbst vollbringen mußte.

Diese Unmöglichkeit, worin der Mensch sich befindet, um den For­derungen der Herrlichkeit Gottes zu genügen, wird uns in einem bemer­kenswerten Bilde vor Augen gestellt, dessen sich der Apostel in dem zweiten Briete an die Korinther bedient. Das Volk bat Moses, sein An­gesicht zu bedecken, da der Abglanz der Herrlichkeit des Allmächtigen noch vorhanden war. Der Mensch konnte die Herrlichkeit Gottes nicht ertragen, da Gott von dem Menschen dasjenige forderte, was derselbe

*) Der Apostel spricht hier (Gal. 3, 10) nicht von wahren Werken, son­dern von einem Wandel auf dem Grundsatze des Gesetzes.

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 vor Ihm sein sollte. Auch der Vorhang stellt uns dieselbe Wahrheit vor:

Gott muß Sich verbergen. Der Weg zum Allerheiligsten war noch nicht offenbart. Ein Gesetz ist gegeben, um das Leben des Menschen zu lei­ten, und ein Opferdienst eingerichtet, um die Beziehung zwischen dem Volke und Gott aufrecht zu erhalten. Der Mensch konnte aber dennoch Gott nicht nahen. Trauriger Zustand! Die Offenbarung der einen Sache, die wirklich geeignet war, Segen in der Gegenwart Gottes zu verbrei­ten, mußte notwendig diejenigen hinwegtreiben, welche diese Segnun­gen genießen wollten. Wir werden sehen, daß in dem Christentum ge­rade das Entgegengesetzte stattfindet. Laßt uns nun die Wege Gottes weiter verfolgen.

Wir haben gesehen, daß Israel seiner Verantwortlichkeit unter dem Gesetz nicht entsprochen hat. Nichtsdestoweniger ertrug Gott dieses Volk in der Wüste und führte es ungeachtet seiner Untreue in das Land Kanaan. Er setzte es in Besitz dieses Landes, indem Er ihm den Sieg über seine Feinde gab; Er erweckte Richter zu seiner Befreiung, als es durch seine Untreue den Feinden preisgegeben war; Er berief Prophe­ten, um es zur Erfüllung des Gesetzes anzuspornen, und sandte endlich mit einer Güte, die das Gericht nicht ausführen wollte, ahne vorher alle Mittel versucht zu haben. Seinen Sohn, um Früchte in Seinem Weinberge zu suchen, — in dem Weinberge, an welchen Er alle Seine Sorge gewandt und dem Er die zärtlichsten Beweise Seiner Liebe ge­geben hatte. Doch der Weinberg brachte keine Frucht, und die, welche ihn bebauten, verstießen und töteten Seine Diener, Seine Propheten und endlich sogar Seinen Sohn, den Erben des Weinberges. Dies war das Ende der Probe, auf welche der Mensch unter dem. Gesetz gestellt war. Alle Anstrengungen, die Gott in Seiner Gnade gemacht hatte, waren fruchtlos geblieben. Das ist die Geschichte des Menschen unter dem Gesetz. 

Wenn wir die Wirkung des Gesetzes auf das Gewissen untersuchen, dann finden wir, daß es die Verurteilung und den Tod bringt. Es ist von großer Wichtigkeit, daß der Leser ernstlich erwägt, was die Folge ist, wenn das Gesetz auf sein Gewissen und auf sein Leben vor Gott angewandt wird. Wenn er, wie jeder Mensch, verant­wortlich ist — wenn er die Gerechtigkeit dessen, was das Gesetz for­dert, erkennen muß — wenn er das, was das Gesetz verbietet, ver­meiden und die zwei Gebote, worin das ganze Gesetz enthalten ist, vollbringen muß — wenn er endlich entdeckt, daß er dies alles nicht tut, und mithin das Gesetz und sein eigenes Gewissen ihn verurteilen muß, wo ist dann das Leben, welches an den Gehorsam geknüpft ist? Wie wird er dem Urteil entfliehen können, welches das Gesetz über den Schuldigen ausspricht? Und betrachtet er sich in seiner Verant­wortlichkeit, so wird er erkennen müssen, daß der Mensch mehr als böse ist, daß das Gute keinen Raum findet und daß der Mensch in einem Zustande ist, gleich demjenigen der Menschheit vor der Sünd­flut — ja in einem Zustande, der, da ihm ein reicheres Maß von Licht geschenkt worden, viel schlimmer ist. Das Gesetz ist gerecht und gut und das Gewissen des Menschen bezeugt dieses. Ist aber dieses der Fall, dann ist der Mensch nach seiner Verantwortlichkeit verloren. Er hat das Leben nicht erlangt. Das durch das Gesetz angekündigte Gericht erwartet den Schuldigen.

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 Die Gegenwart des Sohnes Gottes in der Welt hatte indes nicht allein den Zweck, Frucht für Jehova in Seinem Weingarten zu suchen. Diese Arbeit war sogar der kleinste Teil des Zweckes Seiner Ankunft, und darum — so notwendig sie ohne Zweifel sein mochte, um den Zu­stand des, als Kind Adams vor Gericht verantwortlichen Menschen bloßzustellen — keineswegs der Gegenstand der Ratschlüsse Gottes, noch das Vornehmste dessen, was durch Seine Offenbarung in das Licht gestellt ist.

Gott ist geoffenbart im Fleisch und zwar, weil Er die Liebe ist. Er ist geoffenbart in Rücksicht auf die Schwachheit, das Elend und die Sünden der Menschen. Er war göttlich in Seiner Vollkommenheit, je­doch offenbarte Er diese Vollkommenheit, indem Er Sich in die Stellung versetzte, worin sich der Mensch befand. Jesus hat in Seinem Leben auf Erden eine Macht gezeigt, die ganz und gar das Reich Satans ver­wüstete. Er heilte die Kranken, trieb die Teufel aus, weckte Tote auf und speiste Hungrige. Doch, was noch mehr sagt, der schuldigste Mensch fand in Ihm den Weg, auf welchem er in die Gegenwart Gottes kom­men konnte. Gott Selbst war gekommen, den Menschen zu suchen; Er zeigte ihm, daß keine Sünde zu groß, keine Übertretung zu schwer für Seine Liebe sei. Satan hatte den Menschen verdorben, indem er sein Vertrauen auf Gott vernichtete. Gott wandte alle Mittel an, und zwar mit einer vollkommenen Güte, um dieses Vertrauen wieder herzustel­len. 

Die Güte war der Ausdruck Seines Herzens, und durch dieselbe fand Er in dem Elende, in den Sünden und in der Schwachheit des Menschen die Gelegenheit, ihn versichern zu können, daß in Ihm eine Liebe sei, auf welche er allezeit rechnen könne. Man sieht in dem Zu­sammentreffen Jesu mit der Samariterin am Jakobsbrunnen, wie Seine Liebe das Herz anzieht; und ist einmal im Herzen ein Bedürfnis nach Seiner Güte erwacht, dann ist in demselben ein Vertrauen aufgeweckt, welches das Herz lebendig macht und von dem Bösen abwendet, und welches die Seele von dem schlechten Einfluß der sie umgebenden Dinge erlöst und sie zu Gott bringt mit einer Aufrichtigkeit, welche beweist, daß sie im Lichte Gottes steht. Dieses ist der göttliche Cha­rakter Christi. Es war das Licht, welches alles offenbarte, und die Liebe, welche liebte, als alles offenbar war, welche alles zuvor wußte, und eine vollkommene Zuneigung zu Ihm in dem Herzen bewirkte, weil es eine Erleichterung für das Herz ist, daß Er alles weiß. Der Sünder, der sich schämte vor dem Menschen zu erscheinen, konnte sein Angesicht an der Brust Jesu verbergen, überzeugt, daß kein einziger Vorwurf, betreffs seiner Sünden, sein Ohr treffen werde. Wahrlich, das ist das Herz Gottes!

Mit einem solchen Herzen voll unbeschreiblicher Güte und Liebe hat Christus Sich in dieser Welt geoffenbart; und dennoch — der Mensch hat Ihn verworfen. Er hat gewandelt inmitten der Empörung, des Hasses, der Beleidigung und des Todes. Dieses aber hat den Zustand des Menschen völlig enthüllt. Er ist nicht nur Sünder, hat nicht nur das Gesetz entehrt und die Weckstimmen der Propheten abgewiesen, nein, er hat Gott Selbst verworfen. Sein Herz war durchaus feindlich gegen Gott. Und diese Feindschaft hat sich nicht nur der Herrlichkeit Gottes, die den Sünder verzehrt, sondern einer vollkommenen Güte

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 gegenüber geoffenbart. Der Mensch hat Gott von dem Erdboden ver­trieben; er wollte keinen Erlöser. Und darum auch ist der Mensch als Kind Adams vollkommen in dem Tode Jesu gerichtet. Nichts, kein Mittel von Gott Selbst blieb deshalb mehr übrig, um in dem Herzen des Menschen das Verlangen nach dem Guten aufzuwecken, als das einzige Mittel der Dazwischenkunft Jesu auf dem Kreuze, wodurch es dem Heiligen Geiste möglich wurde, Israel aufzurufen, daß, wenn es sich bekehre, Jesus wiederkommen werde (Apostgsch. 3, 19—21)." Gott hatte den Brunnen Seiner Gnade erschöpft; und der Mensch hatte alles abgewiesen.

Es bedurfte daher einer neuen Natur, einer Erlösung, einer Recht­fertigung, hinreichend für den Sünder, um vor dem Throne des heiligen Gottes erscheinen zu dürfen. Der Mensch mußte eine Gerechtigkeit be­sitzen, die ihn von der Sünde absonderte, ja, die ihn in den Augen Got­tes angenehm und für die Herrlichkeit fähig machte, welche ihm Gott bereitet hatte. Es mußte ein ganz neuer Zustand hervorgerufen sein, in welchem nicht ein einziger Zug des vorigen Zustandes zurückblieb. — Zufolge der Lehre des Christentums ist die Frage der Verantwortlich­keit des Menschen beantwortet. Diese Lehre erkennt sie vollkommen an, verkündigt jedoch, daß der Mensch verloren ist. Dies ist eine Bot­schaft der reinen Liebe, indem sie dem Menschen anzeigt, daß alle. Proben mit Ihm mißglückt sind, und daß nun, um ihn aus diesem Zu­stand zu erlösen, der Sohn Gottes gekommen ist, um ihn zu suchen und selig zu machen. — Der Tag des Gerichts, der das gerechte Gericht Gottes offenbaren wird, ist für den Glauben bereits vorüber gegangen. Der Zorn Gottes ist geoffenbart vom Himmel über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, welche die Wahrheit in Ungerech­tigkeit besitzen; und zugleich ist die Gerechtigkeit Gottes geoffenbart aus Glauben zu Glauben.

Der Tod und die Auferstehung Jesu stellen diese Dinge ins Licht. Sein Tod beschließt die Geschichte des verantwortlichen Menschen — Seine Auferstehung ist der Anfang der Geschichte des Menschen, der Gott gemäß ist. Der Tod ist der Punkt, wo sich das Gute und das Böse in all ihrer Kraft entwickeln bis zur Überwindung des letzteren. Die Auferstehung ist die Ausübung und Offenbarung der Macht, die den Menschen in der Person Christi, welcher überwunden hat, kraft dieser Überwindung in eine neue Stellung versetzt, würdig des Werkes durch welches Christus den Sieg davongetragen hat und angemessen der Ge­genwart Gottes. In diesem neuen Zustande ist der Mensch ohne Sünde und außer der Macht und dem Reiche Satans. In der Auferstehung Christi ist dem Menschen, vermittelst der Versöhnung und der Rechtfertigung, das Leben Gottes geschenkt worden, und ist für die Herr­lichkeit Gottes, welche sich an die Auferstehung knüpft, fähig gemacht. Er ist also angenehm vor Gott als eine neue Schöpfung, eine Frucht des Werkes, worin Gott vollkommen verherrlicht ist. Untersuchen wir dies ein wenig näher.

Wir haben gesagt, daß das Gute und das Böse sich in ihrer ganzen Kraft auf dem Kreuze begegnet sind. Es ist nötig, diese Wahrheit zu verstehen, um die Wichtigkeit des Kreuzes in den Wegen Gottes zu be­greifen. Früher beschrieben wir die Liebe, in welcher Jesus hienieden

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 in vollkommener Reinheit und ohne Sünden wandelte. Der Mensch wies diese Liebe von sich ab, und seine Feindschaft nagelte den Herrn ans Kreuz. Dort hing Er als der vollkommen Reine.

Doch ebenso sehen wir auf dem Kreuze die Macht des Bösen. Dort herrscht der Tod, die Folge der Sünde. Mochte sich diese Macht auch mehr in Gethsemane, als auf dem Kreuze kund geben, so war dieses doch nur die Wirkung des Kreuzesleiden selbst auf die Seele Jesu. „Meine Seele ist betrübt bis in den Tod." Der Tod, als die Macht der Sünde, lag mit aller Kraft auf Ihm. Der Tod ist das Urteil Gottes über den Menschen im Fleische, ausgeführt durch die Macht Dessen, der der Fürst dieser Welt ist. Dieses mußte Jesus erfahren. Es ist wahr, daß Er durch vollkommene Übergabe an Seinen Vater den Becher aus Seiner Hand genommen hat, .und zwar in einem vollkomme­nen Gehorsam, der Satan keinen Platz einräumte. Doch dieses war Seine Vollkommenheit. Er ist völlig auf die Probe gestellt. Der Tod war die Macht Satans über den Menschen wegen der Sünde, jedoch zu gleicher Zeit auch das Gericht Gottes. Und diese Macht Satans hat sich in allen Umständen offenbart. Pilatus, als Richter, wäscht seine Hände, während er den Unschuldigen verurteilt; der Hohepriester, dessen Pflicht es war, für den Menschen zu sprechen, zeugt gegen Ihn;

Seine Freunde, denen Er fortwährend nur Liebe bezeugte, verlassen Ihn.

So ist also das Gute und das Böse an Jesu offenbart, und das Böse hat seinen Höhepunkt an Ihm erreicht: — Jesus ist gestorben. Nie hat Er der Sünde einen Eingang bei sich gestattet; doch nun gibt Er Sein Leben hin, in welchem Er den Streit führte. Er bricht durch den Tod jede Beziehung mit dem Zustande ab, wo sich die Sünde befindet. Der Mensch hat jedes Band zwischen sich und Gott zerrissen, und Christus hat allen Beziehungen, worin der Mensch stand, ein Ende gemacht; — es ist aus mit dem Menschen und mit der Sünde. Der Mensch im Fleische ist in der Sünde zurückgelassen und ein neuer Mensch ist auf­erstanden — ein Mensch, vollkommen geschieden von dem ersten Zu­stande, von Sünde und Tod — ein Mensch, der im Stande ist, vor Gott zu leben. Da gibt es kein Band mehr mit dem Menschen im Fleische, darum sagt Paulus: „Ich kenne niemanden mehr nach dem Fleische."

Welch eine herrliche Wahrheit! Christus, der ein vollkommenes Leben hatte, der Selbst das Leben war, der, in allen Dingen uns gleich, dieses Leben in Gehorsam und Treue durchpilgerte, der in Seinem Wandel die Kraft des Geistes offenbarte und Seinen Blick nur auf Gott richtete, der sich endlich unter die Macht stellte, welche der Teufel über die Menschen ausübt, — Er hat durch den Tod in Seinem Leibe die Geschichte des Menschen zum Abschluß gebracht.

Also begegnen sich das Gute und das Böse auf dem Kreuze, und das Gute hat das Böse überwunden. Zunächst hat das Leben Jesu Sei­nen Gehorsam inmitten einer sündigen Welt und ungeachtet aller Ver­suchungen des Feindes ans Licht gestellt. Sein Leben war nach dem Geiste der Heiligkeit, Sein Tod der vollkommene Gehorsam. Alles das Böse, wovon wir gesprochen haben, erhöhte nur den Charakter und den Wert dieses Gehorsams. Doch noch mehr, der Mensch ist durch den Tod von dem Bösen erlöst. Der Tod bricht jede Verbindung mit dem Bösen ab, weil die mit dem Bösen verbundene Natur, wenn anders das

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Leben vorhanden ist, nicht mehr besteht. Christus hat keine Sünde ge­tan — doch der Tod löste jedes Verhältnis mit dem Schauplatz auf, wo die Sünde herrscht. Er starb, und wir starben in Ihm.

Überdies ist die vollkommene Liebe geoffenbart und ist selbst dann, als der Mensch sie verwarf, nicht verschwunden, sondern hat ein Werk vollbracht, welches notwendig für die Versöhnung derer war, die sich stets als Feinde offenbarten. Die Liebe Gottes hat bewiesen, daß sie größer ist, als das Böse. Die größte Sünde der Welt ist durch Gott und durch Christum in ein Opfer für die Sünde umgewandelt. Welch eine Weisheit Gottes! Man ist der Sünde gestorben durch eine Tat, welche die Sünde in ihrer ganzen Größe geoffenbart hat; und in dem Aus­drucke des Hasses des Menschen, läßt Gott Seine Liebe kund werden. Ist dieses geschehen, um das Böse zu erlauben? Nein, zu gleicher Zeit ist das gerechte Gericht Gottes ausgeübt. Jesus, für uns zur Sünde ge­macht, mit den Sünden beladen, hat die Strafe der Sünde getragen. Die Gerechtigkeit ist in Ihm gegen die Sünde ausgeübt und die Gnade herrscht durch die Gerechtigkeit. Es bleibt uns nun noch übrig, die Früchte und die Folgen dieses Werkes zu untersuchen.

Zunächst ist Christus durch die Herrlichkeit des Vaters auferweckt worden. Alles, was die Herrlichkeit des Vaters, Seine Natur, in sich faßt: die Liebe, die Gerechtigkeit, die Beziehung des Vaters zu Christo, als dem Sohne, Sein Wohlwollen an dem Leben des Heilandes hienie­den, Seine Befriedigung in dem, was Er vollbracht, und besonders die Herrlichkeit der Seinen unter den Menschenkindern — kurz alles, was das Herz für Den fühlte, der im Grabe ruhte, zeigte sich in der Auf­erstehung des Sohnes des Menschen. Die erste Frucht der Macht Gottes, als Antwort auf das vollbrachte Werk, war die Auferstehung Christi. Hier haben wir bereits den durch den Menschen eingenommenen neuen Standpunkt. Der Tod ist zurückgeblieben — die Sünde, insofern sie uns von Gott trennt, existiert nicht mehr — das göttliche Leben ist das Leben des Menschen '— die Gerechtigkeit ist in der Annahme des Menschen und nicht in seiner Verdammnis geoffenbart, und der Mensch steht nicht mehr in der Schwachheit seiner eigenen Verantwortlichkeit, sondern ist als Frucht der Macht Gottes bereits verherrlicht in Betreff seiner Gerechtigkeit.

Doch wiewohl die Auferstehung den Herrn, und uns in Ihm, in eine Stellung versetzt, welche die Frucht der Macht Gottes ist, und wiewohl Jesus dadurch anerkannt wird als der Sohn Gottes, so war dieses doch nicht das ganze Resultat Seines Werkes. Er mußte bei dem Vater ver­herrlicht werden. Bewunderungswürdige Wahrheit! Ein Mensch ist in der Herrlichkeit und sitzt zur rechten Hand Gottes. Jesus nimmt die­sen Platz ein nach dem Werte Seines Werkes. Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht und Gott in Ihm; wenn aber Gott in Ihm ver­herrlicht ist, so wird Er Ihn in Sich Selber verherrlichen. — „Ich habe Dich auf der Erde verherrlicht; das Werk habe ich vollbracht, welches Du mir gegeben hast, daß ich es tun sollte. Und jetzt verherrlichest Du mich, Vater, bei Dir Selbst mit der Herrlichkeit, die ich bei Dir hatte, ehe die Welt war." Was Christus gebeten, hat Er

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 erlangt: „Sitze zu meiner Rechten, bis ich Deine Feinde zum Schemel Deiner Füße leg e."

Die Folgen dieser Tatsache sind von der größten Tragweite. Auf der einen Seite sehen wir den ersten Adam verantwortlich, gefallen und in der Sünde und darnach das Gesetz und das Gericht — auf der ande­ren Seite sehen wir den Sohn Gottes vom Himmel herabsteigen, Mensch werden und, nachdem Er die vollkommene Gnade Gottes gegen den Menschen geoffenbart und das Versöhnungswerk für die Sünde voll­bracht hat, nach der Gerechtigkeit Gottes zu Seiner Rechten sitzen. Die Tür ist nun für jeden Sünder geöffnet; und Gott kann kraft des Blutes Christi, der Seine Liebe, Gerechtigkeit, Wahrheit und Majestät verherr­licht hat, alle annehmen, die zu Ihm kommen.

Der Mensch ist in die Herrlichkeit eingegangen, um das Haupt aller Schöpfung zu sein (PS. 8,3—7; 1. Kor. 15, 25—27; Ephes. 1. 20—23;

Hebr. 2, 5—9; vergl. Kol. 1. 15 u. ff.). Christus, als Mensch, ist das Haupt aller Dinge im Himmel und auf der Erde. In dieser Beziehung war der erste Adam ein Vorbild des zweiten. Doch wie der erste Adam eine Gehilfin hatte, so auch der zweite. Eva war kein Teil der ir­dischen Welt, deren Herr Adam war; sie war nicht Herrin — sie war die Gattin und Gefährtin Adams. In demselben Falle befindet sich die Versammlung, wenn Christus die Herrschaft über alle Dinge überneh­men wird (Siehe Ephes. 5, 25—27 und die vorigen Stellen). Für den Augenblick sitzt Er zur Rechten Gottes; und' Seine Feinde sind noch nicht unterworfen.

Seine Herrschaft zerfällt in viele Teile. Die Engel sind Ihm unter­worfen (1. Petr. 3, 22; Eph. 1. 21); und zugleich erstreckt sich Seine Herrschaft über die ganze Erde. Diese letztere zeigt sich auf zweifache Art: 1. das ganze menschliche Geschlecht, sei es Jude oder Heide, muß Ihm gehorchen. Er führt den Titel des Königs der Juden; jedoch muß Er auch über die Nationen herrschen. 2. Die ganze Schöpfung ist Ihm unterworfen; sie seufzt nach Seiner Regierung (Röm. 8, 22). — Ebenso ist das ganze Gericht dem Sohne gegeben, weil Er des Menschen Sohn ist (Joh. 5, 22). Er hat Gewalt über alles Fleisch; und das Gericht ist Ihm anvertraut, auf daß alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren (Joh. 5, 23). Es gibt ein Gericht über die Lebendigen und über die Toten. Das erstere knüpft sich an die Regierung Gottes über die Erde, und ist das Endgericht über die Individuen. Das letzte ist der Schluß aller Wege Gottes, wenn das Verborgene der Herzen und ihre Ratschläge offen­bar werden.

Dann wird der Mensch Christus das Königreich dem Vater über­geben, und Gott wird Alles in Allem sein (1. Kor. 15).. Diese Übergabe ändert indes nichts an Seiner Gottheit. Bis dahin hat nach dem Rat­schluß Gottes der Mensch das Königreich im Besitz gehabt. Dieses tausendjährige Reich endet. Christus ist darum nicht minder Gott. Er war Gott während Seiner Erniedrigung auf Erden; Er wird Gott sein, in der Herrlichkeit des Reiches, und er wird es sein, wenn Er als Mensch Sein Königreich dem Vater übergibt.

Wir müssen hier einige Worte hinzufügen über die Wege Gottes, die dieses herrliche Resultat und die tausendjährige Herrlichkeit Christi vorbereiten.

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 Während der Herr zur Rechten des Vaters Seinen Platz eingenom­men hat, sammelt Gott durch die Kraft des Heiligen Geistes die Ver­sammlung aus der Welt. Die gute Botschaft der Gnade wird in der Welt gepredigt, um die Welt von der Sünde zu überzeugen, und dieses insbesondere, da sie den Sohn Gottes verworfen hat. Ihr wird nicht ge­predigt, daß die Sünde vergeben sei und daß sie dieses nur zu glauben habe, sondern, daß sie im Argen liege; aber zu gleicher Zeit wird ihr angekündigt, daß das Blut auf dem Versöhnungsdeckel sei und ein jeglicher eingeladen werde, zu Gott zu kommen, der den Nahenden nach dem Werte dieses Blutes empfangen wolle (2. Kor. 5, 20; Kol. 1. 23; Mark. 16, 15; Luk. 24, 47; 1. Kor. 15, 3) etc.

Doch noch andere herrliche Wahrheiten fließen aus der Ankunft des Heiligen Geistes auf die Erde. Er ist gekommen, weil Christus gen Himmel gefahren ist (Joh. 16, 7). Er ist der Beweis, daß Gott in Betreff des Menschen völlige Befriedigung in dem Werke Christi gefunden hat. Er kam hernieder auf die, welche bereits an Jesum glaubten (Joh. 7, 39; Luk. 24, 49; Apstgsch. 1. 5 und 2), und durch sie verkündigt Er das Evangelium aller Kreatur. Wohnend in dem Gläubigen, gibt Er ihm die Gewißheit, daß alle seine Sünden durch' Christum getragen und für immer hinweggetan sind (Offenb. 1. 5; Hebr. 1. 3) , etc. und daß er zur Gerechtigkeit Gottes in Christo gemacht ist. Ferner ist der Heilige Geist die Versiegelung auf den Tag der Erlösung (Ephes. 4, 30), d. h. vor der Ankunft in der Herrlichkeit, und schenkt dem Gläubigen das Bewußtsein, daß er eins mit Christo und daß er ein Kind, ein Erbe Gottes und ein Miterbe Christi ist (Röm. 8, 16, 17; Gal. 4, 5—8). Er empfängt die Dinge von Christo und verkündigt sie den Gläubigen (Joh. 16, 14. 16).

Dies alles gilt nur für den einzelnen Christen. Doch es ist ein Geist in allen Gläubigen; Er vereinigt sie alle mit Christo, und folg­lich bilden sie zusammen einen Leib (Röm. 12, 4. 5; 1. Kor. 12, 13 etc.), die Braut des Lammes (Ephes. 5, 25). Er erweckt in der Braut das Seh­nen nach der Hochzeit des Lammes (Offenb. 22, 17; 19, 7). Die Gläubigen haben als mit Christus an den Himmel versetzt, eine himmlische Berufuung und können, getrennt von der Welt, ihre Blicke nach oben rich­ten. Auch sollen sie aufgenommen werden, um Christo in der Luft zu begegnen (1. Thess. 4, 15, 17). Christus wird kommen, um sie in das Haus Seines Vaters zu führen, wo sie allezeit bei Ihm sein sollen (Joh. 14, 2. 3; 1. Thess. 4, 17).

Dies ist nicht die Gründung des Königreiches, sondern das Ver­sammeln der Erben, die mit Christo herrschen sollen. Sie empfangen dann ihren Platz bei Ihm — einen Platz, weit erhaben über jegliche Regierung auf dieser Erde, wie herrlich letztere auch sein wird. Darauf wird Satan aus dem Himmel geworfen, wohin er nimmermehr zu­rückkehrt. Er kommt auf die Erde und versammelt alle Völker gegen den Allmächtigen und gegen Christum (Offb. 12, 12; 16, 13. 14; 17, 13. 14; 19, 18 etc.). Alsdann kommt der Herr mit Seinen Heiligen (Off. 19;

Kol. 3). Die Macht des Feindes wird von der Erde hinweggenommen, die Erde von dem Fluche erlöst und Satan in den Abgrund geworfen (Offb. 20, 3), (noch nicht in den See des Feuers) ist nicht mehr der Fürst dieser Welt. Christus und die Seinigen herrschen über alle Werke Gottes

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 (PS. 8, angeführt in 1. Kor. 15; Ephes. l und Hebr. 2). Die Regierung Gottes ist dann gegründet (Vergl. Matth. 16, 26; 28, 17; Mark. 9 und Luk. 9). Die Gerechtigkeit herrscht und die Welt ist im Frieden (Ephes. 1. 10). In diesem Stande des Segens werden alle die Prophezeiungen in Betreff der Segnungen über diese Erde erfüllt. Eine herrliche Zeit wird dann sein, wo kein Krieg mehr sein soll, wo alle die Früchte der Güte Gottes genießen sollen, ohne daß die Leidenschaften die Menschen ge­geneinander in Empörung zu bringen vermögen. Christus wird das Glück aller aufrecht erhalten; und so sich das Böse zeigt, wird es als­bald gerichtet und von der Erde hinweggetan werden.

Auch die Regierung des Sohnes Davids muß wieder hergestellt und alle Verheißungen Gottes in Betreff Israels werden an diesem Volke erfüllt werden. Das Gesetz wird in ihr Herz geschrieben sein. Die Gnade und die Macht Gottes werden dasjenige diesem Volke geben, was es auf dem Grunde der Verantwortlichkeit nicht erlangen konnte. Zu gleicher Zeit wird der Herr über die Nationen herrschen, welche un­ter das bevorrechtete Israel gestellt werden. Also werden alle Dinge unter Ein Haupt zusammengebracht: Engel, Mächte, die Gemeine in dem Himmel, Israel, die Nationen, während Satan gebunden ist. — Doch vor der Erscheinung dieser gesegneten Zeit werden die Gottlosen sich wider Gott erheben. Die Juden, wenigstens der größte Teil dieses Vol­kes, werden sich ihnen anschließen, und die Nationen werden die Em­pörung gegen Gott beginnen. Dieser Aufstand wird mit außergewöhn­lichen Plagen, sowohl im Lande Juda als auch auf der ganzen Erde, be­gleitet sein. In dieser Zeit wird das Zeugnis Gottes die Welt durch­laufen und endlich das Gericht kommen und über die Mächte unter den. Christen, über die aufrührerischen Juden, und über alle Völker, die das Zeugnis Gottes verwarfen, ausgeübt werden. Dies ist das Ge­richt der Lebendigen, während die erste Auferstehung bereits stattge­funden hat. Mit dieser Periode beginnt die Fülle der Zeit.

Noch einige Worte zum Beschluß dieser Skizze. Satan wird losge­lassen werden, wenn die Bewohner der Erde lange Zeit hindurch Ruhe und Glück genossen und die Herrlichkeit Christi geschaut haben. Wenn aber diese Versuchung kommt, dann werden alle fallen, die nicht in Wirklichkeit Jesu angehören. Satan führt die Welt gegen den Thron der Herrlichkeit Gottes auf Erden (Jerusalem) und gegen alle an, die dem Herrn treu sind. Doch er wird vertilgt. Und nun beginnt das Ge­richt der Toten und die Ewigkeit hat einen Anfang genommen.

Es wird ein neuer Himmel und eine neue Erde sein, in welchen die Gerechtigkeit wohnt. Nachdem Christus das Königreich den Händen des Vaters übergeben 'hat, wird Er Selbst als Mensch, nachdem alles Seinen Füßen untergeordnet ist, untergeordnet — doch bleibt Er ewig­lich der Erstgeborene vieler Brüder. Auch glauben wir nicht, daß die Versammlung ihren Platz als Braut, als Wohnung Gottes, verlieren wird (Siehe Ephes. 3 und Offb. 21). Nur die Regierung, welche die Sünde voraussetzt, wird endigen. Alle Dinge werden neu gemacht werden, und Gott wird Alles in Allem sein. Wir werden Ihn in vollkommener Glück­seligkeit genießen und Ihn nach der Vollkommenheit Seiner, in der Geschichte der Menschheit bereits entwickelten Wege, sowie Seinen

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 ewigen Sohn — den Ausdruck Seiner Gedanken und der Erstling derer, die durch Ihn ewiglich glücklich gemacht sind — in Vollkommenheit kennen. Unaussprechliches Glück, gegründet auf Sein kostbares Blut, welches nimmer seinen Wert in der Erinnerung der Glückseligen verliert!

Zur rechten Zeit

Zuweilen gefällt es Gott, eine Seele mit wenigen Worten aufzu­wecken. So geschah es vor etlichen Jahren. — Ein Kurier-Zug stand in D. zum Abfahren bereit; die Mitreisenden waren schon eingestiegen, als ich einen Mann bemerkte, der mit der größten Anstrengung auf den Bahnhof zulief, um noch mitzufahren. — „Abläuten!" rief der Inspek­tor. Die Lokomotive gab das Zeichen zum Abfahren. Es war der letzte Augenblick; der Zug setzte sich schon in Bewegung, — da kam gerade der Mann angerannt und wurde noch eingelassen. Es war noch soeben zur rechten Zeit. Er setzte sich neben mich und die Tür wurde zuge­schlagen. Ich sagte ganz ruhig: „Und die Tür wurde verschlossen." Weiter haben wir, soviel ich mich erinnere, nichts zusammen ge­sprochen.

Zwei Jahre später, als ich dieses Ereignis schon lange vergessen hatte, kam ein Freund von mir mit jenem Manne in Berührung. In einer Unterredung erwähnte dieser jenen Vorfall und fügte hinzu, daß die Worte: „Und die Tür wurde verschlossen," den ersten tiefen Eindruck auf seine Seele gemacht hätten. Er habe sie nicht ver­gessen können. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend seien sie ihm nachgegangen. Er habe erkannt, wie gefährlich es sei, die Errettung sei­ner Seele bis zum letzten Augenblick aufzuschieben, und Gott habe dies Ereignis benutzt, um ihn zu Christo zu bringen.

.  Meine Leser werden sich erinnern daß der Herr Jesus diese Worte:

„Und die Tür wurde verschlossen," im Gleichnis von den zehn Jungfrauen sagt; und sie sind in der Tat sehr beherzigenswert für alle, die sie hören. Noch währt die Zeit der Gnade — die Zeit, wovon der Apostel sagt: „Siehe, jetzt ist die wohlangenehme Zeit, siehe, jetzt ist de r Tag des Heils!" und worin der Herr Jesus immer noch spricht: „Ich bin gekommen zu suchen und zu erretten, was verloren ist," Noch ist die Tür geöff­net; aber bald wird der Zug des Evangeliums gefüllt sein und der letzte Reisende seinen Platz eingenommen haben; und dann? — — Kannst du mir sagen, mein lieber Leser, was du fühlen wirst, wenn du zu spät kommst? Bist du zufrieden, denen zuzugehören, die da rufen wer­den: „Herr, Herr, tue uns auf!" und welchen geantwortet wird: „Ihr Wirker der Ungerechtigkeit, ich kenne euch nicht; gehet von mir hinaus !"

Die Boten des Evangeliums mahnen zum Einsteigen; aber du sagst vielleicht: „Ich habe kein Billet, und kann auch noch keins bezahlen." Traurige Entschuldigung! Die Zeit eilt dahin, der Zug geht ab, und du

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 kommst zu spät. Und bedenke wohl, wo du bleibst, — in einem Reich, wo Satan herrscht, in einer Welt, über welche sehr bald die Gerichte Gottes hereinbrechen werden. Der Rettungszug steht bereit — bereit, um dich aufzunehmen und dich zum Himmel, zur ewigen Herrlichkeit zu bringen — und du willst ihn versäumen? — Deine Entschuldigung zeigt deine Blindheit. Alle, welche in jenen Zug eingestiegen sind, wa­ren ebenso schlecht und ebenso arm wie du. Keiner hatte zu bezahlen, und doch hatte jeder ein Billet — vollkommen gültig bis zum Ziel. Ein anderer zahlte für sie, und zwar Der, der es allein konnte, Jesus Chri­stus. Was wir hätten tun müssen, hat Er getan. Sein Werk ist voll­bracht, Sein kostbares Blut ist vergossen. Dieses Werk und dieses Blut allein tilgen unsere Sünden, bringen uns zu Gott und sichern uns den Platz in der Herrlichkeit. Umsonst darfst du einsteigen, umsonst mitreisen, umsonst die Herrlichkeit Gottes empfangen. Gott, dessen Schuldner du bist, fordert nichts von dir; das Opfer Christi hat Ihn völlig zufrieden gestellt. Sein Zorn ist gestillt, Seine Gerechtigkeit be­friedigt; ja alles ist bezahlt. Gott Selbst hat dafür Sorge getragen; denn er kannte unsere schreckliche Armut. Er ist der Gott, der den Gottlosen rechtfertigt. Und wenn du an Ihn, als einen solchen Gott, glaubst, so wird dir dein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet. Du kannst dann mit allen Gläubigen getrost zu Ihm aufblicken und mit gutem Gewissen und mit ruhigem und glücklichem Herzen ausrufen: „Er hat Jesum um unserer Sünden willen dahingegeben und um un­serer Rechtfertigung willen auferweckt." Hast du allein im Vertrauen auf das Blut Christi, das von aller Sünde reinigt, deinen Platz in diesem Rettungszuge genommen, so kann dich niemand zurück­weisen. Jeder Anklage kannst du mit den Worten entgegentreten:

„Christus ist es, der gestorben, ja noch mehr, der auch auferweckt, der auch zur Rechten Gottes ist, der auch für uns bittet" (Röm. 8, 34). Und dann wirst du aus allem, was Er für dich getan und was Er noch tut, erkennen, wie sehr Er dich geliebt hat und allezeit liebt.

Du sagst nun vielleicht: „Deine Worte kommen mir sehr fremd vor,. Ein anderer Bote hat mir gesagt, daß ich erst viel beten und ringen und alle meine Sünden bereuen müßte, ehe ich meinen Platz einnehmen dürfte. Das habe ich nun auch schon seit Jahren zu tun gesucht, aber ich weiß nicht, ob Gott damit zufrieden ist. Ich habe nie vorher gehört, daß alles getan sei, daß ich umsonst ein Billet bekomme, weil das Blut Christi mein Fahrgeld bezahlt hat." — Jener Bote, mein Freund, der deine Werke forderte, war von einer anderen Gesellschaft; und ich kann dir sagen, daß alle Mitreisenden die sich in dessen Zuge befinden, unsicher sind, ob ihr Reisegeld wirklich bezahlt ist. Ich gehörte auch einst zu dieser Gesellschaft und reiste mit jenen Fahrgästen, aber ich war nie recht glücklich. Es war ein öder und dunkler Weg. Aus einem Tunnel ging es in einen anderen, und kein Wagen war erhellt. Es ging immer bergab, und wir waren alle unsicher, wohin wir fuhren. Da wurde ich mit der freien Gnade Gottes bekannt, und verließ jenen Zug;

und ich kann dir versichern, daß ich dies nie bereut habe.

Du magst fragen: „Ist denn keine Bekehrung nötig?" Gewiß, und die Bekehrung besteht gerade darin, daß man dem Zeugnisse von dem

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 Tode und der Auferstehung Christi glaubt. Oder du sagst: „Man muß doch von der Sünde und der Welt Abschied nehmen." — Das ist wahr;

aber ich sehe nie einen Menschen schneller von einem Orte wegreisen, als wenn er in einem Kurier-Zuge seinen Platz genommen hatte. Willst du wirklich die Sünde und die Welt verlassen, so glaube an den Herrn Jesum Christum, nimm ohne Geld deinen Platz in seinem guten Werke und du wirst völlig getrennt sein. Du brauchst nur durch Glauben in den Rettungszug einsteigen; für das Hinwegkommen hast du nicht zu sorgen. Das Blut Christi ist dein Lösegeld und die allmächtige Kraft Gottes bringt dich ohne Gefahr weiter.

Der Teufel hat viele Wege; aber alle führen zur Hölle. Zum Him­mel führt nur e i n Weg. Jesus allein ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Gehörst du aber vielleicht zu jenen, die da sagen: „Laß mich in Ruhe, ich will nicht reisen," so wisse, mein Freund, daß du dich täu­schest. Reisen mußt du; du bist auf dem Wege zur Ewigkeit. Jeder Tag bringt dich einen Schritt näher zum Himmel oder zur Hölle. Nichts ist gewisser als dieses. Und Einer ruft vom Himmel: „Siehe, ich komme bald!" Gleichst du etwa jenen Toren, welche sagen: „Wir glauben nicht, daß Er kommt; oder jenen, welche ausrufen:

 „Wir wollen nicht, daß dieser über uns herrsche," oder gar jenen Spöttern, welche von jeher mit hochmütigem Gespött frag­ten: „Wo ist die Verheißung Seiner Ankunft?" — Ich versichere dir, Er wird kommen; Sein Wort kann nimmer trügen. Er wird kommen, um die Seinigen in die ewige Herrlichkeit einzuführen, und Er wird kommen, um die Welt zu richten, um die, welche nicht ge­glaubt haben, zu zerstören; ja unerwartet wird Er hereinbrechen, wie die Flut in den Tagen Noahs, wie das verwüstende Feuer über Sodom und Gomorra.

Glaubst du aber, daß Jesus wiederkommen wird, so frage ich dich:

„Bist du bereit, Ihm entgegen zu gehen? Kannst du mit ruhigem und glücklichem Herzen sagen: „Komm Herr Jesu, komme bald!?" Oder mußt du sagen: „Meine Sünden sind noch nicht vergeben, und darum fürchte ich mich. Blicke mit Vertrauen auf das Kreuz. Dort fin­dest du dein Lösegeld, dort die Tilgung aller deiner Sünden. „Glaube an den Herrn Jesum, so wirst du errettet sein." Tau­sende, welche den Namen Christi tragen, liegen im Schlaf der Sünde;

ihre Lampen sind erloschen und in ihren Gefäßen ist kein öl. Welch ein Erwachen wird es sein, wenn der mitternächtliche Ruf erschallt:

„Der Bräutigam kommt!" Und ein Schrecken wird alle ergreifen, wenn Der als Richter erscheint, den sie als Heiland nicht wollten. Laß dich bitten und warnen, mein Freund. Entfliehe aus der Mitte derer, die in sorgloser Gleichmütigkeit, oder im Sündentaumel dahin gehen, bis es zu spät ist. Ja, entfliehe und erwarte Den, der dich geliebt hat und für dich gestorben ist; „denn noch um ein gar Kleines und der Kommende wird kommen und nicht verzie­hen." Und dann kannst auch du sagen: Fahre hin, du arme Welt voll Elend, Sund und Tod, und sei willkommen, du ewige und herrliche Freude; ich werde für immer bei dem Herrn sein! 


2. Könige 5 Naeman der Syrer

(2. Könige 5)

Um aus der Geschichte von Naeman den rechten Nutzen zu ziehen, müssen wir sie unter das Licht des Neuen Testaments bringen und durch dasselbe beleuchten. Alsdann werden wir jeden Punkt dieser Erzählung reich an wichtigen Grundsätzen finden. „Alle Schrift ist von Gott ein gegeben und nütze zur Lehre etc. etc." (2. Timoth. 3, 16). Diese Erklärung ist mit diesem 5. Kapitel des 2. Bu­ches der Könige ganz übereinstimmend. Die Mitteilung von Naemans Zustand, von seinem Gang nach und von dem Jordan, von seiner Reini­gung und dessen Folgen ist voll der köstlichsten Belehrung, wenn dies alles in dem Lichte, welches das Neue Testament darauf wirft, betrach­tet wird. Laßt uns denn in demütiger Abhängigkeit von der Belehrung des Geistes die Betrachtung dieses einfachen, interessanten Abschnitts der Heiligen Schrift vornehmen.

„Naeman, der Feldhauptmann des Königs zu Sy­rien, war ein ansehnlicher Mann vor seinem Herrn, und hoch gehalten; denn durch ihn gab der Herr Heil für Syrien. Und er war ein gewaltiger Mann; aber er. war aussätzig" (V. l). Hier nun haben wir die beiden Seiten von • Naemans Zustande. In Betreff seiner äußeren Umstände war er alles, was sein Herz nur wünschen konnte. „Ansehnlich" — „hoch gehalten" — „gewaltig;" was konnte er mehr sein? Er war, wie die Menschen sagen würden, ein wahres Kind des Glücks. Er war der Befehlshaber der syrischen Truppen; er besaß das Vertrauen und die Achtung des Kö­nigs; er trug an seiner Stirn die Lorbeeren des Sieges.

„Aber er war aussätzig!" Ach! das war ein trauriger Nie­derschlag — ein verzehrender Krebs an allen seinen Würden — eine dunkle Walke über seiner ganzen Herrlichkeit. Die verderbliche Krank­heit, die seinen Körper bedeckte, raubte ihm nicht nur den Genuß an den Ehren, womit das Glück ihn überhäuft hatte, sondern verwandelte diese tatsächlich in ebensoviele Quellen der Demütigung und des Kum­mers. Gerade seine hohe Stellung machte seine Krankheit umso sicht­barer und der Glanz des Wohlstandes sein verächtliches Übel umso augenscheinlicher. Seine militärische Kleidung bedeckte die Person eines Aussätzigen, und seine Sieges-Lorbeeren schmückten die Stirn eines Aussätzigen. Kurz, der niedrigste Diener in Naemans Umgebung würde die Demütigung des Aussatzes bei weitem nicht so schmerzlich gefühlt haben, wie der edle Feldhauptmann sie fühlte. Je höher er gestellt war, desto tiefer mußte er die Erniedrigung und die Plage seiner ekel­haften Krankheit empfinden. Wie viel möchte er wohl dem gegeben haben, der seinen Aussatz auf sich genommen hätte? Und dennoch wurde er bald ganz umsonst von ihm weggenommen.

Wenn wir dies alles nun vom evangelistischen Gesichtspunkte aus betrachten, so finden wir in der Person Naemans das Bild eines Sünders in seinem natürlichen Zustande. Er ist mit dem Aussatz der Sünde be­deckt; ja, von außen ist er von diesem unheilbaren Übel bedeckt und von innen davon durchdrungen. Er mag, gleich dem Naeman, mit Glanz

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 und Reichtum umgeben sein; er mag in den Armen des Glücks gebettet und im Schöße des Luxus gepflegt werden — er ist ein Sünder — er ist verloren — er ist verderbt. Und wenn er einmal dahin gebracht ist, seinen wahren Zustand zu erkennen, dann werden alle seine äußeren Ehren und Würden nur dazu dienen, sein innerliches Verderben für ihn umso fühlbarer zu machen. Er ist verloren, und er bedarf der Er­rettung. Es ist nötig, daß seine Krankheit geheilt, seine Schuld getilgt und sein Gewissen gereinigt werde. Das ist es, was er bedarf, und das ist es, was Gott in Seiner Gnade für ihn zuvor ersehen hat. In Be­treff des Naeman hatte Gott die Wasser des Jordan, um ihn von jedem Flecken seiner Krankheit zu reinigen, und in Betreff des verderbten Sünders hat Er „das kostbare Blut Jesu" zuvor" ersehen, um ihn von jeder Schuld zu befreien und ihn vor aller Verdammnis völlig sicher zu stellen.

• Doch laßt uns sehen, wie deutlich dies alles in unserer Erzählung hervortritt. „Die Syrer aber waren Streifen gezogen und hatten eine kleine Dirne weggeführt aus dem Lande Israel; die war im Dienste des Weibes Naeman. Die sprach zu ihrer Herrin: Wollte Gott, daß mein Herr bei dem Propheten zu Samaria wäre, der würde ihn von seinem Aussatz losmachen" (V. 2. S). Welch ein Unterschied zwischen diesem kleinen gefangenen Mädchen und ihrem edlen Herrn! Und dennoch war sie im Besitz eines großen Geheimnisses, eines Ge­heimnisses, welches jenem völlig unbekannt war. Sie wußte, daß ihr Herr im Lande Israel finden konnte, was er bedurfte. Sie wußte, wo Gnade zu finden war; und die Erkenntnis dieser Gnade erfüllte ihr Herz mit dem Wunsche, daß ihr Herr daran teilhaben möchte. „Wollte Gott," sagte sie, „daß er dort wäre". So ist es immer. Die Gnade erfüllt das Herz mit dem Wunsche für das Wohl der Anderen. Es tat nichts zur Sache, daß das kleine Mädchen aus dem Lande ihrer Väter ver­bannt und eine Gefangene in dem Hause eines Syrers war. Sie sah, daß ihr Herr ein Aussätziger war, und sie hatte Verlangen, daß er auf den Weg der Heilung gebracht würde. Der Gott Israels aber war der Einzige, der dem Bedürfnis eines Aussätzigen begegnen konnte.

„Und einer ging hinein zu seinem Herrn und sagte es ihm an und sprach: So und so hat die Dirne aus dem .Lande Israel geredet. Der König zu Syrien sprach:

So ziehe hin, ich will dem Könige zu Israel einen Brief senden. Und er zog hin und nahm mit sich zehn Zentner Silber und sechstausend Seckel Gold und zehn F e i e r k e i d e r" (V. 4. 5)! Ach wie schwer ist es für das mensch­liche Herz, sich zu den Gedanken Gottes zu erheben! Der Gedanke, umsonst gereinigt zu werden, kam nicht in Naemans Sinn. Er war, wie wir mit Gewißheit sagen können, völlig bereit, vieles zu geben, wenn er dadurch von seinem Aussatz gereinigt werden konnte; aber der Gedanke, alles, was er bedurfte, „ohne Geld und ganz umsonst" zu empfangen, lag außer seinem Bereich, und deshalb machte er auch so große Vorbereitungen. Er kannte nicht die Gnade des Gottes Israels. Er dachte, daß die Gnade durch Geld zu erkaufen sei. Hierin lag sein

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 Irrtum — der Irrtum der Millionen — der Irrtum des menschlichen Herzens in jedem Zeitalter und unter jedem Himmelsstrich.

Doch, wenn man es genauer erwägt, so sieht man, was für eine Torheit es ist, zu denken, durch ein wenig Gold und Silber von „d e m allmächtigen Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde" etwas zu erlangen! Sicher, eine solche Torheit ist leicht zu erkennen; aber es ist nicht ganz so leicht, einzusehen, wie töricht es ist, Gott zu nahen im Vertrauen auf unsere eigenen Werke: auf unsere Moralität, auf unser ehrbares Leben, auf unsere Frömmigkeit, auf unsere christlichen Sitten und Gewohnheiten, auf unsere Teilnahme an christlichen Vereinen und Tätigkeiten, auf unsere Tränen, Gebete, Seufzer, Gelübde. Vorsätze, müden Gaben, auf unsere Gefühle, Be­tragen und Erfahrungen, kurz auf irgend etwas, was wir mit unseren Gedanken, Worten und Werken hervorzubringen vermögen. Dennoch bleibt es sich völlig gleich, ob ich ein Stück Silber oder Gold, oder alle die eben genannten Dinge, und noch zehntausendmal mehr als diese, zum Grunde meines Vertrauens mache. Wenn ich alle die guten Werke, alle Tränen, die je geweint, alle Seufzer, die je der menschlichen Brust entquollen sind — mit einem Worte, wenn ich alles das täte, was von jeher die menschliche Gerechtigkeit in dieser Welt hervorgebracht hat, und es zehntausend mal zehntausend vervielfältigt würde, so wäre dies nicht im Stande, auch nur einen einzigen Flecken von Sünde von mei­nem Gewissen zu vertilgen und mir einen wirklichen Frieden in der Gegenwart des heiligen Gottes zu geben. Diese Dinge haben an ihrem Platze wohl ihren Wert; aber als Fundament für den Frieden unserer Seele müssen wir nichts anderes als Christus haben. Er muß die Stelle von allem einnehmen, worin unsere Herzen Vertrauen setzen wollen. Wir haben alles in Ihm, und haben wir Ihn, so bedürfen wir nichts mehr.

Es bedarf aber oft einer langen Zeit, um uns von der Wertlosigkeit all unserer eigenen Wirksamkeit zu überzeugen. Es ist dem mensch­lichen Herzen fremd, daß wir vor Christo nichts anderes bedürfen, als das, was wir haben, nämlich unser gänzliches Verderben; daß wir nicht nötig haben, zuerst auf die Zubereitung zu warten, daß jeder Schritt der Selbst-Besserung nur ein Schritt auf dem Wege der Selbst-Täu­schung ist; denn das eigene Ich ist nie im Stande, um sich für Gott oder für den Himmel tüchtig zu machen. Das religiöse Fleisch — die Frömmigkeit des natürlichen Menschen — ist ebenso fern von Gott, ebenso fern von der Gerechtigkeit, ebenso fern vom Himmel, wie das Fleisch in der gröbsten und schlechtesten Gestalt. Das ist eine harte Rede, aber sie ist wahr; und es ist gesegnet, wenn sie völlig als wahr erkannt wird. Es ist von der größten Wichtigkeit, daß der Mensch er­kennt, daß das, was er bedarf, nicht eine Selbst-Bekehrung, sondern ein völlig neues Leben ist; dieses Leben ist Christus. Dies ist die große Sache, um welche es sich handelt. Wir müssen alle Hoffnungen und Erwartungen von unserer gefallenen und verderbten Natur auf­geben und Christus annehmen als unser Alles in Allem. Mag jemand mit seinem Fleische oder mit sich selbst alle nur möglichen Versuche anstellen, er wird es nie für Gott — nie für den Himmel tüchtig ma­chen. Das Fleisch kann nicht im Himmel wohnen; es vermag die

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 Atmosphäre jener heiligen Region nicht einzuatmen. Die Bemühung, um das, was Gott verdammt und als unverbesserlich und unheilbar bei Seite gesetzt hat, verbessern zu wollen, würde die fruchtloseste Arbeit sein, die je unternommen werden könnte.

Es ist nun interessant zu sehen, wie das vorliegende Kapitel diese Seite der Wahrheit auf eine ganz besondere Weise vor unseren Blicken entfaltet. Naeman, mit seinem glänzenden Gefolge und all seinem Gold und Silber vor der Tür des Propheten Elisa stehen sehen (V. 9), ist das treffende Bild eines Sünders, der auf seine eigene Anstrengung nach Gerechtigkeit rechnet. Jener schien mit allem versehen zu sein, was sein Herz nur wünschen konnte, aber in Wirklichkeit war alles nur eine unnütze Last; und der Prophet gab ihm dies bald zu verste­hen. Die kurze, einfache und bestimmte Botschaft: „Gehe hin und wasche dich" (V. 10), warf plötzlich alles Vertrauen auf Gold, Sil­ber, prächtige Kleidung, glänzendes Gefolge, Empfehlungsbriefe an den König, ja, alles zu Boden. Sie entblößte ihn von allem, und zeigte ihm seinen wahren Zustand, als armer, unreiner Aussätziger, der nötig hatte, gewaschen zu werden. Sie machte keinen Unterschied zwischen dem hohen Befehlshaber der Heere Syriens und dem ärmsten und niedrig­sten Aussätzigen in allen Gegenden Israels. Ersterer konnte nicht das geringste dazu tun, und Letzterer bedurfte nichts mehr. Reichtum kann den ruinierten Sünder nicht heilen, und Armut kann das Heilmittel Gottes nicht schwächen. Nichts, was auch ein Mensch getan haben mag, ist fähig, ihm den Himmel zu verschließen, und nichts, was er auch tun mag, ist fähig, ihn zu öffnen. „Gehe hin und wasche die h," so heißt das Wort in jedem Falle.

Naeman fühlte augenscheinlich die tiefe Demütigung, welche in der Botschaft des Propheten lag. Er war auf eine solch gänzliche Beiseite­setzung aller menschlichen Anmaßung nicht vorbereitet. Er würde gern einen Besuch gemacht und seine Zentner Silber, seine Sockel Gold und seine Feierkleider niedergelegt haben; aber zu hören: ^,Gehe hin und wasche dich," ohne die leiseste Anspielung auf alle jene Dinge, das war doch gar zu demütigend. „Da erzürnte Naeman, und zog weg, und sprach: Siehe, ich meinte, er sollte zu mir her­auskommen, und hertreten, und den Namen des Herrn, seines Gottes, anrufe in, und mit seiner Hand über die Stelle fahren, und den Aussatz also abtun. Sind nicht Amana und Pharphar, die Flüsse zu Damaskus besser, denn alle Wasser in Israel, daß ich mich da­rinnen wüsche und rein würde? Und er wandte sich und zog weg mit Zorn" (V. 11. 12).

So ist es immer. Der einfache Plan der Errettung Gottes ist so - durchaus demütigend für den Stolz des Menschen, daß er sich ihm nicht unterwerfen kann. „Denn die Gerechtigkeit Gottes nicht erkennend, und ihre eigene Gerechtigkeit aufzu­richten trachtend, haben sie sich der Gerechtigkeit Gottes nicht unterworfen" (Röm. 10, 3). Und doch, möchten wir fragen, welch ein Recht hatte ein Aussätziger, zu zürnen, zu dis­putieren und vorzuschreiben? War er gekommen um gereinigt zu wer­den, oder Vorschriften zu machen? Hatte er versucht, was „Amana" und „Pharphar" für ihn zu tun vermochten? Es war nötig, daß er von

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 Elisa belehrt wurde, nichts vor Gott zu bringen als seinen Aussatz. Alles andere war völlig überflüssig. Das war eine schöne Aufgabe. Naeman mußte alles nach Syrien zurückbringen, was er von dorther mitgebracht hatte, ausgenommen seinen Aussatz. Wenig­stens war dies Elisas Vorsatz, obgleich derselbe in etwa durch Gehasis Geldgier vereitelt wurde (V. 20—25). — Der Sünder möchte so gern seine guten Werke zu Christo bringen. „Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten", so liebt er zu sprechen; aber es ist alles nutz­los. Du mußt zu Christo kommen und nur deine Schuld mitbringen. Du mußt lernen, daß du der Reinigung bedarfst und daß Christus die­selbe für dich hat. Wenn du meinst, da du noch irgend etwas Gutes an dir hast, so hast du deinen Zustand noch nicht in Wahrheit erkannt. Du magst die Amanas und Pharphars des gesetzlichen Systems versu­chen, aber nach allem „mußt du gehen und dich im Jordan waschen", bevor du wissen kannst, daß du göttlich rein bist.

Dies ist eine tiefe Demütigung; es bringt den Mann des Gesetzes „in Zorn". Alle jene, die sich weiser als Gott dünken, müssen früher oder später ihre Torheit kennen lernen; aber jene, welche sich als Ver­lorene erkennen und bekennen, haben nur ihr Vertrauen auf Jesum zu setzen und sind so rein, als das Blut Christi sie rein zu waschen ver­mag. Dies ist der einfache Weg Gottes zur Errettung. Jesus hat alles getan: Er starb für unsere Sünden nach der Schrift, und Er ist jetzt droben im Himmel als Unterpfand, Bestätigung und Maß der Annahme des Gläubigen vor Gott. Alle, welche durch die Gnade des Heiligen Geistes und auf Autorität der heiligen Schrift ihr Vertrauen auf den gestorbenen und auferstandenen Christus setzen, sind von aller Schuld und Verdammnis ebenso frei, wie Er Selbst. Herrliche, erhabene, be­freiende und völlig befriedigende Wahrheit! 0 möchten alle meine ge­liebten Leser ihre überschwengliche Kraft erfahren! Möchten alle er­fahren, wie groß die Segnung ist, Gott bei Seinem Worte zu nehmen!

Dieses war es, was nach gewaltigem Sträuben Naeman tat. Er lernte nach allem, sein Vertrauen auf „Amana und Pharphar" gänzlich aufzugeben, und sich in einfachem „Gehorsam des Glaubens" dem Zeug­nis Gottes zu unterwerfen. „Da nahten seine Knechte zu ihm, redeten mit ihm und sprachen: Lieber Vater, wenn dich der Prophet etwas Großes geheißen hätte, wür­dest du es nicht tun? Wie vielmehr, so er zu dir sagt:

Wasche dich, so wirst du rein. Da stieg er ab und tauchte sich siebenmal im Jordan, wie der Mann Gottes geredet hatte, und sein Fleisch kam wieder, wie das Fleisch eines kleinen Kindes, und er ward rein" (V. 13. 14). Das war eine gerade und einfache Rede. „Wenn dich der Prophet etwas Großes geheißen hätte, würdest du es nicht tun?" Ohne Zweifel; aber dieses Wort: „Gehe hin und wasche dich," war so demü­tigend, so selbstverleugnend. Es ließ keinen Ruhm für das Fleisch übrig. „Dem der nicht wirkt, sondern glaubt . . ." „Nicht durch Werke, damit sich kein Fleisch rühme."

Dies ist der Grundsatz Gottes, und diesem Grundsatz hatte sich Naeman zu unterwerfen. Er ging und wusch sich im Jordan. Er ge­horchte dem Worte des Herrn. Und was war die Folge? „Sein Fleisch

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 kam wieder, wie das Fleisch eines kleinen Kindes, und er ward rein." In demselben Augenblicke, wo der Sünder sich der Gerechtigkeit Gottes unterwirft, wird diese Gerechtigkeit sein Eigentum; in demselben Augen­blicke, wo er sich auf Christum wirft, ist er so frei, wie Christus ihn frei zu machen vermag. Die Herrlichkeit Gottes erweiset sich in der völligen und ewigen Errettung aller derer, die einfach auf Jesum schauen. Naeman mochte sich zehntausendmal in den Wassern „Amanas und Pharphars" untertauchen — er blieb wie er war; aber in dem Augen­blicke, als er den Weg Gottes einschlug, wurde er so rein, als Gott ihn rein zu machen vermochte. Würde an der Person Naemans, nachdem er sich im Wasser des Jordan getaucht hatte, nur ein einziger Fleck vom Aussatz zurückgeblieben sein, so würde dies eine Unehre auf das Heilmittel Gottes geworfen haben. Es würde einen ewigen Schimpf auf die Herrlichkeit Gottes bringen und all den Mächten der Finsternis eine bleibende Ursache des Triumphes bereiten, wenn ein Sünder auf die Gerechtigkeit vertraute und doch nicht errettet würde.

Es ist wichtig, dieses recht zu verstehen. Zu wissen, daß die Herr­lichkeit Gottes mit meiner völligen Errettung verbunden ist, gibt dem Gewissen einen festen Frieden und dem Herzen eine völlige Befreiung. Ich wünschte dies jedem ängstlichen Gewissen recht tief einzuprägen. Gott ist verherrlicht worden im Wegnehmen der Sünde. Welch eine köstliche Wahrheit für jedes unruhige und bedrückte Herz! Es handelt sich nicht mehr darum, was ich mit meinen Sünden zu tun habe; Christus hat diese Frage schon vor neunzehnhundert Jahren be­antwortet. Das ist genug. Ich ruhe hier in der völligen Gewißheit, daß alles auf eine göttliche Weise und auf ewig in Ordnung gebracht ist. Gott ist verherrlicht — ich bin errettet — der Feind ist zum Schweigen gebracht — ich habe nur mit Freuden meinen. Weg zu wandeln.

Laßt uns jetzt die praktischen Folgen von diesem allen betrachten, Wie wir sie in dem Wege Naemans, nachdem er vom Jordan zurück­kehrte, finden. Nichts kann interessanter sein. „Sein Fleisch kam wieder, wie das Fleisch eines kleinen Kindes, und er ward rein. Und er kehrte wieder zu dem Manne Gottes, samt seinem ganzen Zuge. Und da er hinkam, trat er vor i h n und sprach: Siehe, ich erkenne, daß kein Gott ist in allen Landen, außer in Israel. So nimm nun einen Segen von deinem Knechte. Er aber sprach:

So wahr der Herr lebt, vor dem ich stehe, ich nehme es nicht. Und er nötigte ihn, daß er's nähme; aber er weigerte sich" (V. 15. 16).

Welch eine wunderbare Veränderung bei Naeman von dem Augen­blicke an, wo er an der Tür Elisas umwandte und im Zorn wegging, bis er, gereinigt und gleich einem kleinen Kinde, zu dieser Tür wieder zurückkehrte! Er war, als Vorbild, eine neue Schöpfung. Er stand auf einem neuen Grunde; er war in einem neuen Zustande?. Er hatte sich Gott unterworfen, und er fühlte und offenbarte die köstlichen Folgen eines solchen Tuns. Und so ist es in jedem Falle. Der stolze, hochmütige, sich selbst genügende Gesetzesmensch mag den bittern Zorn seines Herzens völlig gegen einen Heilsplan auslassen, der ihn mit den schlech­testen unter den Menschenkindern auf gleichen Boden stellt, er mag

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 disputieren, rechten, Vorschriften machen; doch sobald er seinen Nacken beugt, sobald er sich dem von Gott bestimmten Wege der Errettung unterwirft, ist alles verändert. Der Unwille und der Zorn des Gesetz­lichen samt der Schuld und der Unreinheit des, Sünders sind zugleich in den Fluten des Jordans zurückgelassen, und er kommt gereinigt und versöhnt, ruhig und demütig zurück, um alles, was er ist und was er hat, dem Dienste des wahren Gottes zu widmen.

Doch, laßt mich fragen, warum weigerte sich Elisa, von Naemans Hand eine Gabe anzunehmen? Aus einem wahrhaft edlen Grunde. Er wollte, daß Naeman mit dem Zeugnisse nach Syrien zurückkehren sollte, daß der Gott Israels nichts von ihm genommen hätte, als seinen Aussatz. Er sollte zurückkehren und erklären, daß sein Silber und Gold im Verkehr mit Dem, der alles umsonst gibt, nutzlos gewesen sei. Elisa wollte den Glanz der göttlichen Gnade nicht durch die Annahme eines Seckels von dem Gelde eines Fremden beflecken. Ach, daß der geldgierige Gehasi die edle Absicht seines Herrn verhinderte! Dieser richtete seinen lüsternen Blick auf das Silber und Gold. Er war gänzlich unfähig, sich zu der Höhe der Gedanken seines Herrn zu erheben. Er verstand nicht die heilige Macht der göttlichen Gnade. Er sehnte sich nach Naemans Golde. „So wahr der Herr leb t," sagte er, „ich will ihm nachlaufen und etwas von ihm nehmen" (V. 20). Er konnte nicht, gleich seinem Herrn sagen:

„der Herr, vor welche mich steh e." Elisa stand in der Gegenwart des Herrn — einatmend die Atmosphäre der Gnade. Hierin lag das Geheimnis seiner moralischen Erhebung und seiner heiligen Uneigen­nützigkeit. Gehasi aber liebte das Geld, und darum beachtete er nicht, wie er den Glanz dieser Gnade, welche den Pfad Naemans, des Syriers, bisher umleuchtet hatte, verdunkelte. Er wollte ihn seine Reinigung be­zahlen lassen. Er vergaß, daß es nicht die Zeit war, „Geld und Kleider zu nehmen" (V. 26). Unglücklicher Mann! Er erreichte den Wunsch seines Herzens; aber als „er von seinem Herrn hinaus­ging, war er aussätzig, so weiß wie Schnee" (V.27). Schreckliche Warnung für alle, welche das Geld lieb haben! Die, welche das Geld dieser Welt haben wollen, müssen auch den Aussatz dieser Welt haben. Eine ernste, feierliche Erwägung!

Doch wenden wir uns von dieser traurigen Betrachtung des Gehasi mit seinem Herzen voll Habsucht hinweg und betrachten Naeman mit seinem Herzen voll Dankbarkeit und Lob gegen den Gott Israels. Der Kontrast ist in der Tat sehr groß und schlagend. Naeman kam von Dem, der ohne Geld und ganz umsonst, vollkommen seinem Bedürfnis begegnet war. „Möchte denn," sagte er zu Elisa, „dei­nem Knechte nicht eine Last, so viel als zwei Maul­tiere tragen können, von dieser Erde gegeben wer­den? denn dein Knecht will nicht mehr ändern Göt­tern Brandopfer und Schlachtopfer darbringen, sondern dem Herr n" (V. 17). So stand es mit Naeman. Er hatte als ein unreiner Aussätziger seine Heimat verlassen, und als ein ge­reinigter Anbeter kehrte er dorthin zurück. Welch eine Veränderung! Und alles war in einem Augenblicke geschehen, sobald er den Weg Gottes eingeschlagen hatte. Das Werk war von Gott, und Naeman hatte

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 nur sein Haupt zu beugen und anzubeten. Sobald er seinen Aussatz zurückgelassen hatte, wünschte er einen Altar mitzunehmen, auf wel­chem er dem wahren Gott Opfer darbringen wollte.

Soviel . über die praktischen Folgen in Betreff der Anbetung. Laßt uns jetzt noch ganz kurz die Frage des Wandels erwägen. Es ist einleuchtend, daß Naeman mit diesem letzten Punkte beschäftigt war. In seiner Seele waren neue Quellen von Gedanken und Neigun­gen erweckt worden. Es war ein Gefühl der Verantwortlichkeit in ihm hervorgerufen, was ihm bis dahin ganz fremd geblieben war. Bis zu seiner Reinigung waren alle seine Gedanken auf diese eine Sache, die Befreiung vom Aussatz, gerichtet gewesen; jetzt aber beschäftigte ihn die große Frage in Betreff seines Wandels vor dem Einen, welcher ihn gereinigt hatte. „Nur darin wolle der Herr deinem Knechte gnädig sein: wenn mein Herr in das Haus Rimmon geht. daselbst anzubeten, und er sich an meine Hand lehnet, und ich auch in dem Hause Rimmon anbete, so wolle solches, mein Anbeten, der Herr deinem Knechte vergeben" (V. 18).

Dieser Vorbehalt stand weit unter dem wahren Charakter eines christlichen Wandels. Die völlige Unterwürfigkeit kennt keinen Vorbe­halt; sie sucht nie einen Ausweg; sie wünscht nie, daß ein leichterer Weg vorgeschrieben würde. Wenn jemand fragt: „Darf ich dieses tun? Ist es unrecht, dieses zu tun? Was schadet es, wenn ich es so oder so mache?" so ist es ganz sicher, daß Christus noch nicht Seinen wahren Platz in einem solchen Herzen bekommen hat. Wenn mein ganzes Herz mit Christo erfüllt ist, so mache ich Ihn Selbst zu meiner Richtschnur, meinem Vorbilde, meiner Standarte, meinem Prüfstein in allen Dingen. Die Frage ist dann nicht: „Was schadet es?" sondern: '„Ist es Christus?" Du kannst versichert sein, daß es eine elende, jämmerliche Sache ist, zu fragen, wie weit ich mit meiner Selbst-Verschonung gehen kann, ohne meine ewige Seligkeit aufs Spiel zu setzen. „Leben ist für mich Christus." Das ist wahres Christentum. 0 möchten wir stets dessen Macht erproben und dessen Früchte offenbaren!

Schließlich finden wir in der kurzen Antwort Elisas an Naeman noch eine tiefe und beherzigenswerte Aufgabe. Er stellt ihn nicht unter eine strenge Regel oder gesetzliche Anordnung. Dieses zu tun würde der Gnade Gottes ebenso fremd sein, als für seine Reinigung Gold zu nehmen. Alles muß frei sein. Er durfte nicht ein Joch auf den Nacken eines solchen legen, der bis dahin nur ein Gegenstand der Gnade ge­wesen war. Er konnte nicht sagen: „Gehe," denn dadurch würde er den Götzendienst bestätigt haben; noch konnte er sagen: „Gehe nicht!" denn dadurch würde er das Gesetz bestätigt haben. Das erste würde eine Verleugnung des Daseins Gottes und das letztere eine Verleug­nung Seiner Natur gewesen sein. Bemerke denn wohl, was der Pro­phet sagt; bemerke seine bewunderungswürdige Antwort. „Gehe in Frieden!" Er wirft den Naeman auf die Gnade zurück, welche er schon erfahren hatte. Er bringt ihn nicht unter irgend eine Knechtschaft. Er läßt einen weiten Raum für die liebliche Handlung der persönlichen Verantwortlichkeit, die in keinem Falle mit irgend etwas vermengt werden sollte. Die Erwiderung des Propheten war vorzüglich berech-

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 net, in der Seele Naemans die heilsamste Wirkung hervorzubringen. Sie war berechnet, die Frage in ihm zu erwecken: „Kann ich in den Tempel Rimmon in Frieden gehen?-' Welch eine erforschende Frage! Welch eine heilsame Übung! Konnte er wirklich von dem Altar in Frieden in den Götzentempel gehen? Konnte er den Altar der Erde mit dem Hause Rimmons verbinden? Das Herz, welches nur ein wenig von der Kostbarkeit Christi geschmeckt hat oder den starken Zug Seiner Liebe kennt, wird bei allen solchen Fragen nicht in die geringste Verlegenheit kommen.

Möge der Heilige Geist diese interessante und lehrreiche Erzählung Naemans des Syrers dem Herzen des Lesers recht klar vorstellen und darin zur Anwendung bringen. Es ist in der Tat ein fruchtreiches Ka­pitel der heiligen Schrift. Es zeigt uns die Tiefe des menschlichen Ver­derbens — die Wertlosigkeit aller seiner gesetzlichen Anstrengungen — die Freiheit der Gnade Gottes — die Wirksamkeit des Werkes Christi die köstliche Frucht einer anerkannten Errettung und den wahren Grundsatz eines christlichen Wandels.

Möge der Herr Sein Wort segnen, so wird Sein' Name gepriesen werden!

Ist Christus auch für mich?

Vor einiger Zeit traf ich zufällig mit jemanden zusammen, der in einer sehr einfachen Weise über die .so manches Herz beunruhigende Frage der Anwendung des Werkes Christi sprach. Es ist vielen Seelen nützlich gewesen und in der Hoffnung, daß dies auch noch ferner der Fall sein möge, will ich es hier einfach mitteilen. Er erzählte Fol­gendes: „Ein lieber Knabe, dessen geistliches Wohl mir sehr am Herzen lag und es auch noch tut, wurde mehrere Tage durch die Frage beun­ruhigt: Wie kann ich wissen, daß Christus für mich starb? Er kannte einen großen Teil der Wahrheit. Dem Verstande nach war er so klar und so gut unterrichtet, daß er fähig war, jede falsche Darstellung in einem Traktat oder in einer anderen Lektüre aufzufinden. Er war mit dem Heilsplan ganz genau bekannt und an der Frage des Christentums zeigte er im Allgemeinen großes Interesse. Doch hatte er keinen per­sönlichen Genuß an Christo; er konnte sein eigenes Interesse an Ihm nicht erkennen. Seine große und beständige Schwierigkeit fiel in dieser einen Frage zusammen: Wie kann ich wissen, daß Christus auch für mich starb?

Wie so oft, gefiel es auch jetzt dem Herrn, durch eine ganz einfache Sache das Herz des Knaben zu erleichtern. Er saß eines morgens neben mir in meinem Zimmer, und wir unterhielten uns über den Gegenstand seiner Errettung. Er sagte unter anderem, daß er überzeugt sei, daß Christus für Sünder gestorben wäre; aber er könnte nicht die Überzeu­gung gewinnen, daß dies auch für ihn sei. — Von meinem Fenster aus war auf dem Bahnhof eine große Tafel aufgerichtet, worauf folgende

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 Worte zu lesen waren: „Kinder unter sechs Jahren fahren frei." Ich richtete seine Aufmerksamkeit auf diese Worte und fragte ihn: „Wenn du ein Kind unter sechs Jahren wärst, würdest du dann irgendwelche Schwierigkeiten haben, jene Worte auf dich anzuwenden? Würde es dir nicht vielmehr schwer, ja unmöglich sein, sie nicht auf dich anzuwen­den? Bevor du diese Anwendung verweigern könntest, müßtest du be­weisen, daß du mehr als sechs Jahre alt wärest. Jedes Kind unter sechs Jahren wird jene Verordnung ebenso völlig und so sicher auf sich an­wenden, als wenn es das einzige Kind in der Welt wäre. Freilich ist es wahr, daß du auf jener Tafel nicht deinen Namen findest; doch wenn du ihn fändest, so würde es dir dennoch nichts helfen können, da ja möglicherweise noch ein anderes Kind denselben Namen tragen könnte, — du würdest stets ungewiß sein. Wenn du aber dein Alter, deinen Zustand, deine Stellung siehst, so kannst du weiter keine Schwierigkeit haben. Du magst dich weigern, deinen Platz zu nehmen, aber du kannst die Überzeugung nicht von dir weisen, daß es dich angeht.

Laß uns nun diese Sache auf den wichtigen Gegenstand unserer Unterredung anwenden. Ich lese in 1. Tim. 1. 15: „Das Wort ist treu und aller Annahme wert, daß Christus Jesus in die Welt gekommen ist, Sünder zu erretten." Bist du ein Sünder? „O, ja!" sagte er, „das bin ich in Wahrheit." „Nun, wenn du im Herzen und im Gewissen auf dem Grunde eines verlorenen Sünders stehst, dann ist Christus gekom­men, um dich zu erretten; ebenso sehr, als wenn du der einzige Sün­der in der Welt wärest. Du mußt zuerst beweisen, daß du kein Sünder bist, bevor du die Anwendung der Botschaft des Evangeliums auf dich verweigern kannst. Das Evangelium wendet sich an alle verlorenen Sünder. Es ist für dich, um es zu glauben und dich in der Anwendung zu erfreuen."

Der Geist Gottes segnete diese Unterhaltung. Die einfache Wahrheit des Evangeliums fiel gleich einem Sonnenstrahl in die Seele des Kna­ben und er kniete an meiner Seite nieder und dankte Gott, daß er jetzt wüßte, was er so lange vergeblich zu wissen gesucht hatte, daß näm­lich Christus auch für i h n starb. Es war ein klarer, bestimmter und unverkennbarer Fall. Kurz nachher sagte er zu einem Freunde: „Weißt du, daß alle Teufel in der Hölle jetzt meinen Glauben nicht erschüttern können?" „Wirklich!" sagte der Freund, erstaunt über diesen kühnen Ausspruch aus dem Munde eines Solchen, der so viel von Zweifel und Furcht 'gequält worden war; „wie kommt denn das?" „Weil mein Glaube auf das Wort Gottes gegründet ist!" gab er zur Antwort. — Gesegnete Grundlage! Nicht auf das Gefühl; nicht auf Ver­nunftschlüsse, nicht auf Folgerung, sondern einfach auf das Wort Got­tes! Das ist genug. „Christus ist für unsere Sünden gestor­ben nach den Schriften; Er ist begraben worden, und Er ist am dritten Tage auferstanden nach den Schriften" (1. Kor. 15, 3. 4).

Möge der Herr diesen einfachen Vorfall an vielen ängstlichen See­len segnen, so wird Sein Name gepriesen werden!

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Johannes 4 Das Werk habe ich vollbracht

(Joh. 17,4)

In dem" uns mitgeteilten Gebet des Herrn, in Joh. 17, lesen wir die gesegneten "Worte: „Ich habe Dich auf der Erde verherr­licht; das Werkhabe ich vollbracht, welches Du mir gegeben hast, daß ich es tun sollte" (V. 4). Diese Worte of­fenbaren uns die sichere und feste Grundlage, worauf der Gläubige vor Gott gestellt ist. Das Gewissen ist hier zum Schweigen und das Herz zur Ruhe gebracht. Gott Selbst findet in Betreff unserer Sünde in diesem Werke Seine Ruhe. Er ist völlig darin verherrlicht, und jeder Sünder, mögen seine Sünden auch blutrot sein, der- Ihm hier im Glau­ben begegnet, findet vollkommene Gnade und Liebe. Alles Gericht ist vorüber; die Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes findet keinen Tadel an ihm. Beides ist, anstatt gegen ihn, für ihn. Dieses durch Christum vollbrachte Werk ist von Gott Selbst ausgegangen; Er ist die Quelle desselben: „... welches Du mir gegeben hast, daß ich es tun sollte." Jesus gab Sich — o Dank Seiner Liebe! — freiwillig zum Opfer hin; aber zugleich ist es Gott, der Ihn für uns dahingegeben hat. „Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß Er Sei­nen eingeborenen Sohn dahingegeben hat, auf daß jeder, der an Ihn glaubt, nicht verlorengehe, sondern ewiges Leben habe" (Joh. 3, 16). Und wiederum: „Der doch Seinen Eigenen Sohn nicht verschont, sondern Ihn für uns alle hingegeben ha t" etc. (Röm. 8, 32).

Das Werk Christi ist also nach dem Willen Gottes — es ist die Gabe Gottes — es ist vollbracht durch Christum, und ist bezeugt durch den Heiligen Geist. Dieses alles offenbart uns die Vollkommenheit — die göttliche Vollkommenheit dieses Werkes; und auf Grund desselben kann Gott die Gottlosen recht­fertigen, Christus uns vertraten und für uns bitten, und der Heilige Geist uns heiligen. Haben wir unser Vertrauen völlig auf dieses Werk gesetzt, so kann weder die Vergangenheit, noch die Gegenwart, noch die Zukunft uns beunruhigen, noch kann durch irgend etwas die Ge­rechtigkeit Gottes gegen uns aufgeweckt werden. Gott ist verherrlicht, die Sünde ist getilgt — alles ist Friede. Wir können stets mit Zuversicht ausrufen: „Wenn Gott für uns ist, wer mag wider uns sein? . . . Christus ist es, der gestorben, ja noch mehr, der auch auferweckt, der .auch zur Rechten Gottes ist, der auch für uns bittet. Wer wird uns scheiden von der Liebe des Christus" (Röm. 8, 31. 34).

Es ist bemerkenswert, daß Jesus in dem oben erwähnten Gebete ' von Seinem Werke als von einem vollendeten redet: „Das Werk habe ich vollbracht." In Vers 11 sagt Er: „Ich bin nicht mehr in der Welt," und in Vers 12: „Als ich bei ihnen in der Welt w a r" ... Schon vom 13. Kapitel an nimmt Jesus Seine Stellung nach der Vollendung Seines Werkes, zur Rechten Seines Vaters ein. Von dort aus ist Er für die Seinigen beschäftigt, wäscht ihnen die Füße, ver­kehrt mit ihnen und bittet für sie zum Vater. Dies alles aber offenbarte Er im Voraus solange Er noch in der Welt war, damit die Seinigen es sehen und hören und sich freuen möchten. Dies bezeugt Er Selbst in

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 Vers 13: „Ich rede dieses in der Welt, auf daß sie meine Freude völlig in sich haben" (V. 13). Welch eine Liebe! Was Er redet, was Er tut, was Er offenbart geschieht deshalb, wie wir auch an anderen Stellen finden, damit wir Seine Freude in uns haben möch­ten und unsere Freude völlig sei." Wenn wir in Kapitel 17 Sein Gebet zum Vater in Betreff der Seinigen hören, so wissen wir, was Er jetzt für uns bittet, nachdem Sein Werk vollendet ist und Er zur Rechten Gottes sitzt. Er kann jetzt mit aller Freimütigkeit von uns zum Vater reden; Er kann Sein ganzes Herz offenbaren, und die ganze Innigkeit und Fülle der Liebe gegen die Seinigen vor dem Vater ausströmen lassen. Die Sünde und Unreinigkeit ist kein Hindernis mehr; Sein Werk hat jedes Hemmnis für immer beseitigt. Die Seinigen können in glück­licher Ruhe dasitzen und hören, was Er in Betreff ihrer zum Vater redet. Und sie hören nichts, was sie beunruhigen könnte; kein Wört­chen kommt über Seine Lippen, was im Stande wäre, ihnen auch nur einen Schatten von Furcht einzuflößen. Nicht die geringste Anklage, nicht der leiseste Tadel wird gehört; ihrer Mängel und Gebrechen er­wähnt Er mit keinem Worte. Alles, was Er sagt, offenbart nur Seine unendliche Liebe und Fürsorge für die Seinigen — Alles betrifft ihre Erhaltung und ihre Segnung. Mag es sich um die Vergangenheit, Ge­genwart und Zukunft der Seinigen handeln — Seine Gnade, Liebe und Güte hat alles ausgefüllt. Sein Werk hat sie errettet; Er übergibt sie dem Vater zur Verwahrung; Er bittet für ihre Einheit untereinander und mit Ihm und dem Vater, und Er begehrt, daß Seine Eigene Herr­lichkeit völlig das Teil ihrer Segnung sei. 0 wie glücklich ist der, der diese unaussprechlich gesegneten Worte des Herrn hört und sagen kann:

Sie sind auch für mich; auch ich soll sie hören, damit meine Freude völlig sei! Doch wie schwach ist das Vertrauen und wie mangelhaft die Erkenntnis des Herrn und Seines Werkes derer unter den Seinigen, die diese Worte hören und immerfort mit einem unruhigen Gewissen und einem mit Furcht erfülltem Herzen einhergehen!

Es kann aber der Herr nur auf Grund Seines Eigenen Werkes mit solcher Freimütigkeit zum Vater reden. Sein Werk allein hat uns so nahe gebracht und in eine solch gesegnete Stellung vor Gott gesetzt, daß Er in vollkommener Ruhe von Seiner Liebe und Treue gegen uns und von unseren himmlischen Segnungen reden kann. Er hat nicht mehr nötig, von unseren Sünden vor Gott zu reden; denn Er Selbst hat sie völlig getilgt. Sogar das heilige Auge Gottes sieht nicht einen Flecken an den Seinigen. Sie sind so rein, als Sein Blut sie rein zu waschen vermochte und sind so vollkommen, als Sein Werk sie vollkommen ma­chen konnte. Sie sind bekleidet mit der Gerechtigkeit Gottes; ihre Stel­lung ist Christo Jesu gemäß. Er nahm unseren Platz ein und erduldete, was wir verdient hatten, und brachte uns an Seinen Platz, um zu emp­fangen, was Er verdient hat. 0 bewunderungswürdige Gnade und Liebe! 0 Jesu, Name ohne Gleichen! Haben die Seinigen in sich selbst auch keinen Wert, so sind sie doch Seinem Herzen unendlich teuer. Der Vater hat sie Ihm gegeben, und Er hat sie mit Seinem Eigenen Blute vom Verderben erlöst und sie in Seine gesegnete Stellung ge­bracht — eine Stellung, wo jetzt schon für den Glauben nichts anderes übrig bleibt, als zu bewundern, zu preisen und anzubeten.

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 Doch nicht allein vor dem Vater kann Jesus so freimütig von den Seinigen reden, sondern auch jedem Feinde und allen Anklagen gegen­über. „Wer ist, der verdamme? — Christus ist es» der gestorben, ja noch mehr, der auch auferweckt, der auch zur Rechten Gottes ist, der auch für uns bittet." Wir sehen in Joh. 9, daß Seine Arme geöffnet waren, um den Blind­geborenen, der seines Bekenntnisses wegen aus der Synagoge gestoßen wurde, zu empfangen und ihm den Sohn Gottes zu offenbaren (V. 35—37), und Er konnte vor den Pharisäern mit aller Zuversicht von den Seini­gen bekennen: „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie gehen nicht verloren ewig­lich, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen" (Joh. 10, 27. 28). Überall kann Er mit solcher Bestimmtheit von den Seg­nungen der Seinigen reden. Nichts kann Ihn daran hindern; Sein Werk hat sie in eine Stellung gesetzt, die durch nichts angetastet werden kann. — „Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? So können alle triumphierend ausrufen, die das gesegnete Wort des Herrn: „Das Werk habe ich vollbracht!" gehört und geglaubt haben.

2. Petrus 3  Das Kommen des Herrn und der Tag des Herrn

(2. Petr. 3)

Es mag manchem Leser beim Betrachten dieses Kapitels fremd er­scheinen, daß der Geist Gottes hier, anstatt zuerst vom Kommen des Herrn zu reden, sogleich mit dem Tag des Herrn beginnt. Dieser Ab­schnitt der heiligen Schrift, sowie andere der Art, haben beim ober­flächlichen Lesen nicht selten Veranlassung gegeben, beides miteinan­der zu verwechseln. Doch wir können immer versichert sein, daß die Torheit Gottes weiser ist als die Menschen (1. Kor. 1. 25). Petrus schreibt hier an solche, die früher zu den Juden gehörten und deshalb mit dem Gedanken „des Tages des Herrn" vertrauter waren; denn. im Alten Te­stamente ist viel von demselben, als von dem schrecklichen Tage der göttlichen Handlung mit der bewohnten Erde, die Rede; und gerade um diesen Punkt handelt es sich hier. Es ist nicht nur die Zeit, wo die Menschen auferweckt, um vor dem großen, weißen Throne gerichtet zu werden. Der Tag des Herrn ist die Handlung Gottes mit der Welt, wie sie ist; er beendet ihren Lauf; er hemmt ihr Dichten und Trachten, ihre Geschäfte und ihre Spekulationen, ihre Freuden und Lustbarkeiten, und fordert Rechenschaft von ihnen. Das Alte Testament beschäftigt sich mit dem Menschen auf der Erde und legt deshalb große Wichtig­keit auf „diesen Tag." Das Gericht des großen, weißen Thrones ist außerhalb der Welt. Himmel und Erde werden dann verschwunden sein. Dies Gericht steht nicht in Verbindung mit der Zeit, sondern führt in die Ewigkeit ein.

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 In dem vorliegenden Kapitel tritt uns die Weisheit Gottes auf eine so deutliche Weise entgegen. Diese Menschen, wovon hier die Rede ist, spotten nicht über den Tag des Herrn — sogar ein unbekehrter Jude, mit dem Alten Testament in seiner Hand, würde sich gefürchtet haben als ein Verächter desselben erfunden zu werden — sondern sie sagten:

„Wo ist die Verheißung Seiner Ankunft" (V. 4)? Ihr Christen wartet auf die Ankunft Christi, um dadurch glücklich gemacht zu werden. Ihr seid das elendeste Volk in der Welt; ihr erfreut euch an nichts; ihr trennt euch von allen Interessen und Vergnügungen; ihr tadelt alles, nicht allein unsere bösen Wege, sondern auch unsere besten Bestrebungen; und nach allem — Er kommt nicht. Wo ist die Verhei­ßung Seiner Ankunft? Durch jene Vorwürfe wird in Wahrheit der Platz bezeichnet, auf welchen das Kommen des Herrn den Christen stellt.

Was sagt nun der Geist Gottes von denen, welche die Hoffnung der Heiligen leugnen. Er redet nicht mit ihnen über diese Hoffnung der Christen, einen Gegenstand, den sie gering schätzen, sondern Er warnt sie vor einer schrecklichen Szene, die sie vergessen hatten; Er redet zu ihnen von dem „Tage des Herrn." Er übergeht den Gegenstand der Hoffnung der Versammlung und des Christen — das Kommen des Herrn, um uns zu Sich aufzunehmen, um uns von dieser traurigen Szene hie­nieden hinweg in den Himmel zu versetzen und uns in Frieden und auf ewig gesegnet vor dem Vater darzustellen. In dem zweiten Briefe Petri geht der Heilige Geist in diesen köstlichen Gegenstand nicht ein. Wohl gibt Er uns in Juda, Vers 24, einen kleinen, vorübergehenden Schimmer von den Segnungen der Heiligen vor Gott, indem Er sagt: „D e m a b e r, der euch ohne Anstoß zu bewahren, und euch vor Sei­ner Herrlichkeit tadellos mit Frohlocken darzustel­len vermag . . . ." Hier haben wir einen Blick in die tiefe, innere Freude des Heiligen Gottes, wovon die Welt nichts weiß. Sie weiß nichts von dem, was den Christen in der Gegenwart Gottes, des Vaters, erfreut, noch will sie etwas von dem Kommen des Herrn wissen, welches uns in jene Segnung einführt. Doch wird die Welt den Tag des Herrn se­hen. Wenn dieser Tag erscheint, dann wird der Herr alle die Seinigen im Himmel haben, im vollen Glänze und im vollkommenen Genuß der Freude 'im Hause des Vaters. Darnach wird Er sie hervorbringen, und sie in der Herrlichkeit Seines Vaters vor den Engeln und der Welt dar­stellen, worauf dann das vergeltende Gericht stattfinden wird.

Der Herr wird dann vom Himmel hernieder kommen und mit den Menschen handeln inmitten ihrer Wege, ihrer Geschäfte und Pläne hier unten. — Dies ist es, womit sich der zweite Brief Petri beschäftigt. Ihr spottet, sagt er gleichsam, über unsere Hoffnung; aber ich will euch an eure Furcht erinnern, und wenn ihr davon höret, so möget ihr zittern. Dies Eine sei euch nicht unbekannt, (und die Geliebten Gottes mögen wohl daran denken) daß ein Tag bei dem Herrn ist, wie tausend Jahre, und tausend Jahre, wie ein Tag (V.- 8). Der Herr kann die Ereignisse auf eine erstaunliche Weise zusammendrängen, sodaß die, welche einen Zeitraum von tausend Jah­ren zu erfordern scheinen, auf einen einzigen Tag zusammenfallen, während Er die Ereignisse eines Tages in die Dauer von tausend Jan-159

 ren auszudehnen vermag. Der Herr ist in der Erfüllung Seiner Verhei­ßung nicht lässig; Er ist bereit, den schrecklichen Schlag zu tun, der auf diese Welt fallen wird; „doch Er will nicht, daß irgend welche umkommen, sondern daß alle zur Buße k o m -m e n." Dies verwirft die schreckliche Meinung, daß irgend ein Mensch nach dem Vorsatz Gottes geschaffen sei, um in die Hölle geworfen zu werden. Gott wünscht im Gegenteil, zu erretten. Sein Herz jammert über die Menschen und Er wartet auf sie. Er ladet sie ein, Er sendet ihnen das Evangelium, um es aufzunehmen. Ohne Zweifel ist es Gnade, und nur Gnade, welche eine Seele für die Liebe Gottes erweckt; aber es ist die Sünde, der Unglaube des Menschen, der ihn in der Verwer­fung Seiner Gnade gefangen hält.

Ob nun der Verzug kurz oder lang sei, ob er tausend Jahre oder einen Tag dauere — „der Tag des Herrn wird kommen, wie ein Dieb in der Nacht." Er wird plötzlich hereinbrechen und wird dieser Welt ganz und gar unwillkommen sein. Er umfaßt den ganzen Zeitraum von dem Kommen des Herrn zum Gericht bis zu dem großen, weißen Throne. Ehe dieser Tag beschlossen wird, „werden die Him­mel mit gewaltigem Geräusch vergehen, die Ele­mente aber durch Brennen der Hitze aufgelöst, und die Werke auf ihr verbrenne n" (V. 10).

„Weil denn dieses alles vergeht, welche sollt ihr denn sein in allerlei heiligem Wandel und Gottse­ligkeit" (V. 11). Wir mögen es fühlen und sollen es auch fühlen, was der Mensch in seinem Gespött gegen die Wahrheit Gottes ist. Doch die beste Antwort auf dies alles ist die Wirkung, welche auf unsere Seele und unsern Wandel hervorgebracht wird, sowohl durch die Erkenntnis jener Hoffnung, als auch durch das Bewußtsein des schrecklichen Ge­richts, welches jene erwartet, die nicht nur die Rechte Gottes, sondern auch Seine Gnade verwerfen. Der Herr zeigt uns hier die Wirklichkeit davon. „Welche sollt ihr denn sein... erwartend Und beschleunigend die Ankunft des Tages Gottes" (V. 12). Das ist: wir wünschen nicht um unseretwillen den Aufschub dieses Ta­ges, sondern wir lieben die Langmut Gottes gegen die Menschen; und dies beruhigt unsere Herzen über diesen Aufschub, während wir uns persönlich nach der Ankunft des Herrn sehnen; denn wir wissen, daß, wenn Er gekommen ist und uns mit allen Heiligen weggenommen hat, der Tag Gottes bald über die Erde hereinbrechen muß.

„Wir erwarten aber nach Seiner Verheißung neue Himmel und eine neue Erde, in welchen die Gerech­tigkeit wohnt" (V. 13). Dies gibt uns den Schlüssel zu den Briefen Petri. Gerechtigkeit ist der leitende Gedanke, sowohl in diesem als in dem ersten Briefe. Das Kommen des Herrn für die Seinigen ist nicht die Darstellung der Gerechtigkeit, sondern die Entfaltung Seiner Gnade. Mit uns, welche Er erwählt hat, bei Ihm zu sein, hat Er in völliger und himmlischer Gnade begonnen und wird damit endi­gen. Aber hier haben wir den Tag des Herrn, welcher sogar für uns einen Anblick der Gerechtigkeit darbietet. Wenn aber dieser .erscheint, werden w i r offenbart sein. „Der Tag wird offenbar." Es ist die Zeit, wo wir für unsere Leiden und unsere Treue hienieden Belohnung fin­den werden; und es ist zugleich die Zeit, welche offenbar "machen wird,

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 wo wir untreu -waren und warum wir fielen. Der Tag des Herrn wird nicht eher geschlossen werden, bis alles Böse verbannt und die Gerech­tigkeit eingeführt und befestigt, und bis alle Feinde verschwunden sind. Dieser Tag offenbart eine ebenso vollkommene Gerechtigkeit, wie Sein Kommen die vollkommene Gnade offenbart. Es ist nirgend gesagt, daß die Welt das Kommen des Herrn in Bezug auf Seine Heiligen sehen wird; doch wird sie ohne Zweifel diese vermissen. Die Ermahnung der Gnade wird alsdann beendigt sein, obgleich noch ein Zeugnis von dem kommenden Reiche und dem Gericht stattfinden wird und einige Her­zen dasselbe aufnehmen werden; doch nicht einen Schimmer von Hoff­nung bietet die Schrift denen dar, welche jetzt das Evangelium ver­werfen.

Mitteilungen über das Werk Gottes in unseren Tagen

Amerika

New-Yersy. — Folgender Brief ist von einem jungen Matrosen an Herrn Steward geschrieben: „Werter Bruder in Christo! Ich grüße Sie im Namen unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi. Ich bin noch immer durch die Gnade meines himmlischen Vaters auf dem Wege zu Jesu. Ich habe viel Ursache, meinen Gott zu preisen wegen der Gnade, die Er mir durch die Erhörung meines Gebetes gegeben hat.

Als ich zum ersten Mal auf dieses Schiff kam, wandte ich mich mit der Bitte an den Kapitän, ob er mir erlauben wolle, eine Betstunde auf demselben zu halten. „Nein," war seine Antwort. Meine Hoffnung schwand; doch Gott stand mir bei. Er erhörte mein Gebet, wiewohl ich nur eine geringe Erkenntnis von Seiner Liebe hatte. Als wir etwa sechs Wochen auf der Reise waren, hatte ich an einem gewissen Tage ein Ge­spräch mit dem Anstreicher des Schiffes. Ich konnte meinem Gott dan­ken; denn durch die Gnade Gottes wurde ich das Werkzeug zu seiner Bekehrung. Er geht im Glauben voran und dient mit aller Treue seinem Herrn. Seitdem er bekehrt war, flehten wir beide gemeinschaftlich zu dem Herrn, daß Er uns den Weg zu den Herzen der Anderen öffnen möge. Bald nachher schlössen sich fünf Andere dem Gebete an und wurden wahrhaft bekehrt. Von jetzt an versammelten wir uns auf dem Verdeck und sangen unsere Lieder. Dies dauerte wieder einige Zeit, als wieder zwei andere Seelen bekehrt wurden, und dann gingen wir in den mittleren Raum des Schiffes, wo wir bis jetzt verweilt haben. Und obgleich wir um keine Erlaubnis gebeten haben, so stört uns doch niemand; weder der Kapitän noch der Offizier sagen etwas; sie lassen uns gehen. 0, der Herr ist ein Erhörer der Gebete! Gedenken Sie doch unserer stets vor Ihm, geliebter Bruder!"

New York. — In einer Versammlung von Gläubigen sagte ein junger Mensch: „Nichts trifft so sehr das Herz eines unbekehrten Soh­nes, als das Gebet seiner Mutter. Ich bin immer tief bewegt, wenn ich eine Mutter für ihre unbekehrten Kinder beten höre. Vor zwei Jahren

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 fragte mich meine Mutter, als ich an einem gewissen Morgen ausgehen wollte, ob ich wohl wüßte, welch eine wichtige Zeit für mich sei, und .welch eine große Verantwortlichkeit auf mir ruhe, da der Herr jetzt um mich her so viele Seelen bekehre? Ja, sie sagte mir mit Tränen in den Augen, daß es ein ernster Augenblick für meine Seele sei.

Mein Herz aber blieb bei diesem allen gleichgültig. Sie bat mich, in eine Gebetsstunde zu gehen; ich gab ihr aber keine Antwort. Sie wiederholte ihre Bitte und ermahnte mich, doch hinzugehen. „Gehe, mein Sohn," sagte sie; als ich aufstand, um hinzugehen, „gehe und be­halte dies: „Ich werde für dich beten."

Ich lief durch die Straßen, gleichgültig über alles, was sie zu mir gesagt hatte, ausgenommen über das eine Wort: „Ich werde für dich beten." Es klang mir stets in den Ohren und erschreckte mich. Ich ging in die Betstunde und hörte den ganzen Abend nichts anderes als: „Ich werde für dich beten." Diese Worte konnte ich unmöglich vergessen. Sie verfolgten mich überall, und ich fand nicht eher Ruhe, bis ich all meine Empörung und Feindschaft zu den Füßen des Heilandes nieder­gelegt und mich selbst als ein verlorener und armer Sünder in Seine Arme geworfen hatte. O! das Gebet meiner Mutter! — nichts traf mein Herz, als diese Worte. Möchte meine Geschichte eine Ermahnung an alle gläubigen Eltern sein, für ihre Kinder zu beten. Der Herr wird er- > hören. Ich stehe hier vor euch als ein lebendiges Zeugnis von der Er­hörung des Gebets einer Mutter."

In derselben Versammlung stand ein anderer auf und sagte Fol­gendes:

„Ich befinde mich auf einer hohen Schule und bin erst seit einem Jahr bekehrt. Bei meiner Bekehrung befanden sich meine Eltern noch außerhalb der Arche der Errettung. Unter meinen Mit-Studierenden wa­ren noch acht, deren Eltern unbekehrt waren. Die Geschichte von einem derselben will ich hier mitteilen. Sein Vater war ein sehr welt­licher, trotziger und hartherziger Mann. Er hatte seinem Sohne eine Erziehung geben lassen, die nur dazu berechnet war, eine glänzende Stellung in dem bürgerlichen Leben einzunehmen. Als aber der Augen­blick kam, wo dieser selbst einen Beruf wählen sollte, sagte er ganz offen zu seinem Vater, daß er nicht die Rechte, sondern Theologie zu studieren wünsche.

„Was, du wünschest Theologie zu studieren? Du?" fragte sein Va­ter in Wut.

„Ja, ich wünsche es von Herzen," antwortete der Sohn.

„Um ein Prediger, ein armer Prediger zu werden?"

„Um ein guter Prediger des Evangeliums zu sein."

„Und habe ich dich dafür erzogen?"

„O nein, dafür nicht! Aber ich glaube, daß es mein Beruf ist, das Evangelium zu verkündigen."

„Und du denkst nach der Universität zu gehen?"

„Wenn der Herr will, ja."

„Dann schließe ich dich in diesem Augenblicke von der Erbschaft als Sohn gänzlich aus; ja, ich enterbe dich für immer."

„Hoffentlich, nicht für immer," sagte der Sohn ruhig. — Er kam nun zur Universität und war mit mir einer von den neun Studierenden, welche jeden Abend gemeinschaftlich um die Bekehrung ihrer Eltern

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 beteten. Mit Ausharren haben wir gebetet, und ich kann euch zu mei­ner großen Freude mitteilen, daß alle diese unbekehrten Eltern gläubig geworden sind.

Es ist mir nicht möglich, euch das Zusammentreffen des enterbten Sohnes mit seinem bekehrten Vater zu schildern! Sobald dessen Be­kehrung stattgefunden hatte, begegneten sie sich, — aber welch eine Veränderung! 0, ihr gläubigen Kinder, die ihr noch unbekehrte Eltern habt, werdet nicht müde, für ihre Bekehrung zu beten! Der Herr leitet die Flüsse wohin Er will; Er hat die Herzen in Seiner Hand, und er ist mächtig, die Herzen, der Eltern zu Euch zu kehren, wie Er Eure Her­zen zu den ihrigen gekehrt hat."

Irland

Folgender Brief ist einem in London bei Thomas Harrild erschiene­nen Traktat entnommen.

Clifden, den 28. Nov. 1860

Warter Freund!

Soeben bin ich von einer kurzen Reise hierher zurückgekommen, und nie sah ich die Mission in einem so lieblichen Zustande als jetzt. Die vielen Gebete, die hier zum Thron der Gnade hinaufsteigen, sind auf eine wunderbare Weise erhört worden. Der Heilige Geist hat in Connemare ein großes Werk angefangen; viele Bekehrungen haben da­selbst stattgefunden. Eine dieser Bekehrungen, welche die Aufmerk­samkeit der ganzen Gegend auf sich gezogen und vor etwa einem Mo­nat stattgefunden hat, will ich Ihnen hier mitteilen.

Ein Jüngling, der Sohn einer armen katholischen Witwe, wurde in seiner täglichen Beschäftigung auf eine besondere Weise durch die Gnade ergriffen. Er fiel plötzlich nieder und schrie ganz laut, daß er ein verlorener Sünder sei. Dies geschah an einem Marktage, und ohne irgend eine besondere Veranlassung, in einer der vornehmsten Straßen von Clifden. Es verursachte einen großen Auflauf. Man brachte den Jüngling in das Haus seiner Mutter, und hier litt er längere Zeit auf eine schmerzliche Weise sowohl an Körper als an Geist. Seine Anver­wandten suchten ihn durch die sogenannten Heilsmittel der katholi­schen Kirche wieder herzustellen. Sie besprengten ihn mit geweihtem Wasser und banden, einen Rosenkranz um seinen Hals. Er aber wider­stand ihnen in allem, zerriß den Rosenkranz und wart ihn auf den Boden. Darnach holten sie den Priester zu ihm; aber seine einzige Ant­wort war: „Ich habe keinen Priester nötig, als Jesum." Zuletzt floh er, um diesen Anfällen zu entgehen, aus dem Hause, aber auf dem Wege fiel er ohnmächtig nieder. Niemand wußte, wo er war. Hunderte such­ten ihn. Endlich wurde er durch die Polizei gefunden und in das Haus einer katholischen Familie gebracht. Hier bemerkte man, daß er die Sprache verloren hatte. Auch blieb er mehrere Tage ohne Essen; aber - während dieser ganzen Zeit war er im Genuß eines seligen Friedens, und voll von Liebe zum Heiland. Das ging aus den verschiedenen Antworten, die er auf die an ihn gerichteten Fragen niederschrieb, so-

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 wie aus seinem fortwährenden Lesen in der Schrift, aus seiner Freude, das Gebet und den Gesang zu hören und aus seiner großen Teilnahme am Heil anderer Seelen ganz deutlich hervor. Ein große Menge Men­schen kam, um ihn zu besuchen, denn dieser Vorfall erweckte ein all­gemeines Interesse.

Es ist jetzt einen Monat her, wo er zuerst ergriffen worden ist. Er hat seine körperliche Kraft wiederbekommen; aber er kann noch immer nicht sprechen. Es ist sehr interessant, seinen Ernst, seine Schriftkennt­nis, seine Liebe zu Jesu und seinen großen Eifer zu sehen. Der Herr scheint ihn zu einem besonderen Zwecke besucht zu haben, weil seine Erfahrung in der Wahrheit in der Tat überraschend ist.

Einige Zeit nachher, als er ergriffen war, fragte ihn Herr D'Arcy, ob er für ihn. beten solle. Er schrieb als Antwort: „Betet für meine Mutter, aber lobsingt für mich." Als ich ihn zum ersten Male sah, war er beinahe drei Wochen in diesem Zustande gewesen. Ich fragte ihn:

„Sind Sie glücklich?" Er schrieb: „Ich bin so glücklich, als ich am 2. November war, wo ich dich, o mein Heiland und mein Gott, erwählte." Ich fragte weiter: „Weshalb sind Sie glücklich?" Er schrieb: „Weil ich an meinen Heiland glaube, der am Kreuz Sein kostbares Blut für mich vergossen hat. Er war zornig auf mich; aber Sein Zorn ist völlig von mir abgewandt. Gepriesen sei sein heiliger Name!» Wieder fragte ich: „Haben Sie in Betreff der Zukunft keine Furcht mehr?" Er schrieb:

„Nein, denn Jesus ist bei mir; Sein Stecken und Stab trösten mich. Ich kann jetzt mit Hiob sagen: „Obwohl Er mich schlägt, will ich doch auf Ihn vertrauen." Ich hoffe auch zum Herrn, daß Er mir die Sprache wiedergeben wird, um alle diese herrlichen Dinge armen Sündern zu verkündigen." Ich sagte: „Des Herrn Zeit ist die beste," und er antwor­tete: „Ja, Er hat Seine weisen Absichten, mich stumm sein zu lassen. Er g a b die Sprache, und Er hat sie weggenommen, und wenn Er es für nötig hält, wird Er sie wiedergeben. Ich weiß, daß Er es tun kann; denn Er hat mehr als dieses mir getan. Er hat mich aus der Gewalt des Satans errettet und hat mir Seinen Geist gegeben. Das ist das größte, was Er für mich getan hat, seitdem Er mich auf dieser Erde schuf. Ich glaube, daß das ein größeres Wunder ist, als einen To­ten aufzuerwecken." — Solche Aussprüche, solch stilles Vertrauen und solch ernste Reden an die Umstehenden machen einen noch tieferen Eindruck, wenn man bedenkt, daß er ein sehr unwissender Jüngling war, auferzogen in einer der ärmsten Hütten und umgeben von bi­gotten Katholiken. Beim folgenden Besuch fragte ich ihn, weshalb er nicht sprechen könne. Er schrieb: „Es kam, weil ich. Gott nicht glaubte;

ich dachte in meinem Herzen, daß es nutzlos sei, auf Gott zu vertrauen, und in demselben Augenblick nahm Er die Sprache weg." — Seine Er­mahnungen an alle, Gott zu glauben und nicht zu zweifeln, sind sehr ernst.

Ich habe in den wenigen Tagen viele interessante Unterhaltungen mit diesem jungen Manne gehabt. Er besuchte einige Versammlungen, und schrieb immer ein ernstes und nützliches Wort für die Zuhörer nieder; auch war er stets gewiß, daß er wieder bald würde sprechen können. Der Priester hatte zwar gesagt: dies würde nicht eher der Fall sein, bis er ihm die Hände aufgelegt hätte. — Wir unterließen nicht, für ihn zu beten, wozu sich ein allgemeines Interesse zeigte.

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 Auch haben wir Ursache, zu glauben, daß während der Zeit vier bis fünf Be­kehrungen stattgefunden haben, wodurch unser Eifer noch größer ge­worden ist.

Ich fing diesen Brief schon vor mehreren Tagen an, und schließe ihn erst heute am 28. November. 'Ich bin froh, daß ich dadurch im Stande bin, ihnen noch einen interessanten Vorfall mitzuteilen. Man hatte viel für den jungen Mann gebetet, und er zeigte großes Verlan­gen, eine kleine Gebetsversammlung in der Nähe seiner Wohnung zu besuchen. Dies war gestern abend; er erwartete, wie er sagte, sehr ge­segnet zu werden. Herr D'Arcy betete sehr ernst. Ich las das 15. Kapi­tel von Lukas und sprach einige Worte darüber. Der Jüngling schrieb etwas nieder, und kaum hatte er die Worte beendet: „Meine werten Freunde! Ich hoffe, daß ihr nicht an Gott zweifeln werdet," als es ihm erging wie dem Zacharias, „dessen Mund augenblicklich geöffnet und dessen Zunge gelöst wurde, daß er sprach und Gott lobte."

Alle waren sehr ruhig und still; aber plötzlich rief der Jüngling mit einer Stimme, die in jedem Herzen wiederklang: „Meine Freunde, ich bin frei, lobet den Herrn!" und als er dies gesagt hatte, sank er erschöpft nieder. Sein ganzer Körper zitterte. Es war ein Augenblick, den ich nie in meinem Leben vergessen werde, und den zu beschreiben ich nicht im Stande bin. Die Gemütsbewegung war groß. Es waren etwa an fünfzig Personen anwesend. Alle weinten und waren erschüttert. Herr D'Arcy brachte darauf den Jüngling nach außen, und wir sangen mit unbeschreiblichen Gefühlen: „Lobet den Herrn für alle Seine Seg­nungen!" Hierdurch wurden die Gemüter nach und nach etwas ruhi­ger, und während Herr D'Arcy mit dem Jüngling, der sehr ergriffen, aber völlig bei Sinnen war, sich draußen befand, beteten wir drinnen und dankten Gott für diese unerwartete Gebetserhörung. Der junge Mann kam darauf herein, noch zitternd an seinem Körper, aber ganz klar in seinem Geiste. Jetzt kam auch seine arme Mutter herbei und rief auf irisch: „O, er ist tot!" „Liebe Mutter," sagte der Jüngling in derselben Sprache, „ich bin nicht tot, ich bin in Christo errettet, und meine Sünden sind vergeben. Ich war ein Sünder, ein großer Sünder;

aber meine Sünden sind vergeben." Dann sagte er auf englisch: „Laßt uns, meine Freunde, das Lied singen: „Ich hörte Jesu Stimme sagen:

Komm her, Beladener, Komm etc."

Wir sangen das schöne Lied, und es machte auf alle einen tiefen und gesegneten Eindruck. Darauf bat er uns, auch noch das folgende Lied zu singen: „O schöner Tag, wo ich erwählte, mein Jesu Dich, mein höchstes Gut etc." Nach Beendigung des Liedes sagte er: „O mochte dies doch in Wahrheit die Sprache aller sein, die an diesem gesegneten Abend gegenwärtig sind!"

Dann beteten wir noch sehr ernst zusammen, und verließen mit einem Gefühl von Lob und Dank über die großen Taten Gottes die Wohnung. Ja, Gott ist reich an Gnade und Erbarmen! Ersuchen Sie alle die Gläubigen dort, für uns zu beten, daß der Herr uns Gnade, Weisheit und Demut geben möge, um Ihn in dieser wunderbaren Zeit zu verherrlichen.

Empfangen Sie die herzlichsten Grüße von

Ihrem in Christo verbundenen Bruder Henry Cory Eade.

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Schweden

Aus einem schottischen Blatte, welches uns mehrere liebliche Züge, bezüglich der in Schweden stattfindenden Erweckung berichtet, teilen wir Folgendes mit:

Ein Lehrer aus Smoland schreibt: „In unserem Kirchspiel ist kaum ein Haus zu finden, wo nicht jemand mit Frohlocken bekennt, Verge­bung seiner Sünden durch das Blut Jesu gefunden zu haben. In einigen Häusern wurden alle Bewohner aus ihrem Sündenschlaf aufgeweckt, ja, in einem sogar alle wirklich bekehrt. An einem Nachmittag waren wir in der Wohnung eines Pächters versammelt. Der Geist Gottes wirkte und offenbarte sich in der kräftigsten Weise. Zwei Knaben von elf Jahren wurden in ihrem Gewissen getroffen und freuen sich jetzt im Herrn. Eine Frau wurde so ergriffen, daß sie die ganze Nacht nicht schlafen konnte; aber am Morgen fand auch sie Frieden. Am folgenden Tage machten wir Hausbesuche; und fast überall, wohin wir kamen, fanden wir Menschen, die uns mit Tränen fragten, ob für solch große Sünder, wie sie wären, noch Gnade zu erlangen sei. Viele Andere fan­den wir in großer Freude. Es war in der Tat eine liebliche Szene. Einige sangen und freuten sich in Gott; andere weinten und schrieen um Gnade. Es geschah oft, daß, wenn man ihnen einen Bibelspruch vorlas, ihre Augen alsbald auf Jesum gerichtet wurden."

Der folgende Brief ist von einer sehr hochgestellten Person. „Durch meine mannigfachen Amtsgeschäfte" — schreibt er — „wurde es mir unmöglich, jene Orte, wo der Geist Gottes tätig war, besuchen zu kön­nen. Doch Gott hat durch Seine große Gnade auch hier viele aus dem Tode ins Leben gerufen. In dem Orte I., in der Nähe von H., fand eine große Erweckung statt. Der größte Teil der dortigen Bevölkerung ist ohne alle äußere Entwicklung in ihrem Gewissen getroffen worden;

und sehr viele haben Leben und Frieden gefunden durch den Glauben an den Sohn Gottes. Diese Leute waren früher in die größten Laster versunken; Trunksucht und Unzucht herrschten hier im Allgemeinen. .— Vor einigen Wochen ereignete sich hier folgender Vorfall. Eine Fa­milie, die in der Nähe von Stockholm in einem Gasthaus logierte, begab sich eines abends zur gewöhnlichen Zeit ins Bett; aber ungefähr um Mitternacht erwachen sie alle plötzlich mit einer unerklärlichen Seelen­angst, sodaß sie alle — Eltern und Kinder und das ganze Hausgesinde — das Lager verlassen und gemeinschaftlich zu Gott um Erbarmung schreien. In einem Nebenzimmer saßen mehrere Herren, und spielten Karten. Plötzlich wurde einer derselben von einer solchen Furcht er­griffen, daß er die Karten aus der Hand warf und ausrief: „Ich bin verloren — wir sind alle verloren!" Da erhob sich die ganze Gesell­schaft, fiel auf die Kniee und flehte Gott um Gnade an. — Auch fol­gender Vorfall hat mich sehr gerührt: Ein schwedischer Offizier, ein sehr trotziger und stolzer Mann, hatte eine einzige Tochter, die Freude und Hoffnung seines Herzens. Diese kam eines Tages zu ihm und teilte ihm ihre Angst, nicht allein in Betreff ihrer eigenen, sondern auch seiner Errettung mit. Sie war in ihrem Gewissen, infolge eines Ge­sprächs mit einer kürzlich bekehrten Dienstmagd, von ihrer Sünde überzeugt worden. Ihre Worte verletzten den Stolz ihres Vaters sehr;

er gebot seinem Kinde, ihm die nächsten drei Tage nicht vor die Augen

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 zu kommen, und er blieb selbst während dieser Zeit allein auf seinem Zimmer. Gott aber gebrauchte diese Einsamkeit zu einem Mittel seiner Bekehrung; und am Ende des dritten Tages begegnete er seinem Kinde als eine neue Schöpfung in Christo Jesu."

Einer christlichen Zeitschrift entnehmen wir folgende sehr ergreifende Mitteilung aus Schweden über einen fünfzehnjährigen Knabeni. — Ein Jüngling Namens Axel Oberg war bei einem christlichen Kleider­macher in der Lehre. Er wurde bei dem Vorlesen des Wortes Gottes erweckt und riet in der Angst seiner Seele aus: „Was muß ich tun, um selig zu werden?" — Etliche Tage später erfuhr er die Kraft der Ant­wort: „Glaube an den Herrn Jesum Christum, so wirst du selig werden." — Friede und Freude erfüllte nun sein Herz, und zu allen, die ihm begegneten, redete er von Jesu. Kurz nachher wurde sein Glaube auf die Probe gestellt. Die Zeit war gekommen, wo er bei einem Prediger Unterricht nehmen mußte, um bei dem Abendmahl in der Staatskirche zugelassen zu werden. Er bemerkte jedoch bald, daß sein Lehrer un-bekehrt war und sein Herz widerstrebte sich, an dieser Unterweisung teilzunehmen. Mit aller Offenheit bekannte er seine Überzeugung. Da­rüber ward der Prediger sehr erzürnt; allein der Knabe blieb stand­haft und bezeugte laut, daß die Bekehrung die einzige notwendige Vor­bereitung sei, um an dem Abendmahle teilnehmen zu können. Da nun der Prediger merkte, daß weder seine Versprechungen noch Drohun­gen etwas fruchteten, ließ er den Vater kommen und der Knabe mußte wieder ein hartes Examen bestehen; jedoch hatte dies denselben Er­folg. Jetzt' erklärte der Prediger, daß mit einem solch widerspenstigen Gemüte nichts anzufangen sei; und Axel dachte schon, daß seine Prü­fung zu Ende sei. Doch darin hatte er sich geirrt. Sein Vater ließ ihn nach Hause kommen, um ihn zum Gehorsam zu zwingen und ließ zu diesem Zwecke einen bösen Menschen kommen, der den Knaben fest­halten sollte, um ihn schlagen zu können. Der Knabe blieb standhaft. Da wurde ein anderes Mittel versucht. Vor seiner Bekehrung hatte er auf einer Violine oft zum Tanze gespielt. Der Vater nahm nun das In­strument und befahl ihm-, zu spielen. Er tat dies und spielte ein Lob­lied zur Ehre Gottes, indem er zu seinem Vater sagte, daß er lieber die Violine verbrennen und er selbst lieber sterben würde, als den Namen Dessen zu entehren, der ihn mit Seinem Blute erkauft habe. Da nahm der Vater eine brennende Kerze und stellte sie unter die bloßen Füße seines Sohnes, der die Marter mit großer Geduld ertrug. Noch war die Wut des Vaters nicht gestillt; er .fuhr fort, den armen Knaben zu quälen und schlug ihn eines Tages so heftig, daß er bewußtlos zu Boden fiel. Diese Prüfungen dauern noch immer fort. Bitten wir daher für unseren jungen Bruder, damit der Herr ihm Kraft gebe, um Seines Namens willen mit Freuden zu leiden.

Schottland

Lieber Bruder! Seit meiner Rückkehr aus Schottland fand ich zu meiner größten Freude, daß manche Kinder Gottes mit vieler Teil­nahme des dortigen Werkes gedenken. Übrigens ist es auch der Mühe

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 wert, sich über die Bekehrung einer so großen Menge von Sündern zu freuen, da doch über die Bekehrung eines einzigen Sünders Freude ist bei den Engeln Gottes im Himmel.

Bei unserer Ankunft in Glasgow fanden wir Briefe, in welchen wir dringend nach dem östlichen Teile des Landes eingeladen wurden, wo das Werk Gottes sehr gesegnet sein sollte. Wir reisten am Donnerstag hin und verweilten dort bis Samstag; und jetzt beeile ich mich, Ihnen die Erlebnisse in zwei Abendstunden mitzuteilen, die, wie ich hoffe, bei Vielen noch lange in gesegnetem Andenken bleiben werden.

Am ersten Abend war eine Gebets-Versammlung in dem etwa 8 engl. Meilen von Edinburg gelegenen Dorfe Cockergie. Unter den Be­wohnern dieses Fischerdorfes hatte ein Evangelist, der sehr fähig war, mit solchen Seelen umzugehen, lange Zeit hindurch mit großem Segen gewirkt. Es mochten etwa 120 Personen anwesend sein. Man hatte mich gebeten, eine Ansprache an sie zu halten; und ich legte ihnen die Wich­tigkeit der von Jesu an die Pharisäer gerichtete Frage: „Was denket ihr über den Christus?" ans Herz. Die Wirkung des Geistes Gottes war augenscheinlich spürbar; und ich war überzeugt, daß die Macht Gottes sich offenbaren würde. Während meiner Predigt hatten namentlich zwei Frauen meine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Sie sahen sehr ernst aus, und Tränen füllten ihre Augen. Ich näherte mich ihnen und fragte zunächst die jüngere, ob sie glücklich in Jesu sei?

„O nein, mein Herr," — war ihre Antwort; „ich bin nicht glücklich;

ich bin sehr unglücklich."

„Aber in Jesu findet sich doch genug, was Sie, wenn Sie Ihn an­nehmen, glücklich machen kann."

„Ich weiß dieses und habe schon lange darnach getrachtet; aber ich scheine den Weg noch nicht zu wissen."

Nachdem ich einige Worte über den Weg Gottes zu unserem Heile gesprochen halte, wandte ich mich an die ältere Frau, die Mutter der ersteren, mit den Worten:

„Aber wie sieht es mit Ihnen aus? Hat in dieser gesegneten Zeit die Gnade Gottes Ihr Herz besucht?"

0 nein, mein Herr! Die Gnade scheint bei einem Jeglichen einzu­kehren; nur nicht bei mir;" antwortete sie im Tone der tiefsten Wehmut.

„Sagen Sie mir doch einmal, " — fuhr ich fort; — „glauben Sie, daß Jesus für Sie, eine Sünderin, gestorben ist?"

„Ja, ich glaube, daß Er für uns Sünder starb."

„Und können Sie glauben, daß Jesus für Sie, eine Sünderin, starb, und zugleich sagen, daß für Sie keine Gnade da sei?"

„Ich weiß das, aber es ist noch nicht in mein Herz gekommen; denn außer mir scheint jedermann gesegnet zu sein."

„Nun, wenn es noch nicht z u Ihnen, so ist es doch für Sie gekom­men; Sie haben also nur zu glauben und es anzunehmen. Können Sie denken, daß Gott Seinen lieben Sohn für Sie am Kreuze sterben ließ und daß Er nun sagen würde, daß keine Gnade für Sie in Christo sei? Aber sagen Sie mir doch; was hat Christus am Kreuze vergossen?"

Er vergoß Sein Blut."

„Um welcher Ursache willen?"

„Damit unsere Sünden abgewaschen würden."

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 „Und sollte wohl dieses Blut die Kraft besitzen, alle unser Ver­trauen darauf setzen?"

„O ja, mein Herr, das glaube ich fest."

„Wohlan; so können Sie auch wohl Ihr Vertrauen darauf setzen. Wenn sie dieses tun, so sind alle Ihre Sünden Ihnen vergeben; die Gnade ist zu Ihnen gekommen; glauben Sie nur. Gewiß, wenn Jesus uns so lieb hatte, das Er Sein Leben für uns hingab und Sein Blut vergoß, um unsere Sünden hinwegzunehmen, dann sind wir gezwungen, Ihn wieder zu lieben und all unser Vertrauen auf Ihn, zu setzen. 0 glauben Sie nur, daß Er Sie lieb hat und am Kreuze für Sie starb;

glauben Sie es und schenken Sie Ihm Ihr Herz.

Das Zimmer war noch immer gefüllt; nur einige Personen hatten sich entfernt. An verschiedenen Seiten wurden laute Gespräche geführt;

doch der Geist Gottes segnete die Wahrheit an dem Herzen dieser Frau. Nach einer kurzen Pause tiefen Nachdenkens vermochte sie nicht län­ger ihre Gefühle zu beherrschen, sondern stürzte auf ihre Knie, faltete ihre Hände und flehte mit lauter, bewegter Stimme zu Gott um Gnade. Dann wandte sie sich an Jesum, an das auf Golgatha geschlachtete Lamm; und ihr Gebet war geeignet, auch die härtesten .Herzen zu brechen.

„O teures Lamm Gottes!" — riet sie aus. — „Ja es ist wahr; Du bist gestorben und hast Dein kostbares Blut für ein so armes, sündiges Geschöpf, wie ich bin, vergossen. 0 Lamm Gottes! Kehre doch nun auch bei mir ein! Heute abend noch! Nimm alle meine Sünden hinweg und errette -meine Seele!" —

So betete sie mehrere Minuten. Auch die Tochter und mehrere Anwesende waren so tief ergriffen; und ihre Tränen flossen reichlich zu den Füßen Jesu. Doch gepriesen sei Gott! Mutter und Tochter er­hoben sich endlich von ihren Knien und bekannten, daß sie Gnade gefunden hätten und darum unaussprechlich glücklich seien. Sie konn­ten glauben, daß das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, sie von allen Sünden gereinigt habe. Drei oder vier Andere legten dasselbe Bekennt­nis ab. Auch ihre Herzen waren mit Freude erfüllt. Man stimmte ein Lied an; und nachdem ich auf dringende Bitten das Versprechen, mor­gen abend wieder zu kommen, gegeben hatte, verließen wir spät um 11 Uhr das Zimmer.

Freitag Abend. Da das Schullokal bis um 9 Uhr noch in Gebrauch war, so hielt ich eine Predigt im Freien. Der Abend War schön; und es waren mehr Zuhörer anwesend, als wir in der Schule hätten er­warten dürfen. Viele Fischer waren gekommen, die das Schulzimmer nicht besucht haben würden. Und auch dieses Mal wurde meine Auf­merksamkeit wieder auf jene Mutter und Tochter gelenkt. Die Bibel in der Hand, hatten sie sich auf dem grünen Rasen niedergelassen. Nach der Predigt redete ich sie an und fand sie sehr glücklich. Sie versicher­ten mir, daß nicht der geringste Zweifel, in Betreff ihrer Sündenverge­bung und Errettung, in ihrem Herzen zurückgeblieben sei. In diesem Augenblicke näherte sich eine alte Frau. Sie hatte die letzten Worte gehört und sagte: „Ich wünschte, dieses auch sagen zu können." —Die Tochter begann, ihr das Evangelium zu verkündigen, welches sie selbst durch die Gnade am vorigen Abend angenommen hatte. 0 welche wun­derbare Veränderung bringt doch das kostbare Evangelium zu Wege!

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 Jetzt betraten wir das Schulzimmer, welches während der Zeit für uns geräumt worden war. Ich bemerkte, daß viele an diesem Abend einen großen Segen erwarteten. Ein ernster Christ sagte zu mir: „Ich bin heute mit 6 Seelen zusammen gekommen, die gestern abend Frie­den gefunden haben; und viele andere sind ergriffen. Wir hoffen heute Abend auf einen großen Segen." — Ich hatte indes Gelegenheit, mit vielen Anwesenden über den Zustand ihres Herzens zu sprechen. —

Die Betstunde begann, sobald man in der Schule Platz genommen hatte. Verschiedene gottselige Männer und etliche vor Kurzem bekehrte Jünglinge nahmen Teil an dem Gebet. Einer dieser Letzteren betete mit besonderem Ernst; ihm folgten andere und wieder andere, ohne daß man durch irgend einen Gesang eine Unterbrechung hervorgerufen hätte. Etwa um 10 Uhr, als eben ein Mann am Beten war, verspürte man eine göttliche Kraft in der Versammlung. Es war in der Tat ein Strom der reichsten Gnade aus dem vollen Meere der ewigen Liebe ge­flossen. Aller Herzen waren getroffen. Jünglinge und Jungfrauen, Alt und Jung begannen, laut um Gnade zu schreien. Die Brüder, welche gebetet hatten, und alle, die mich umstanden, weinten vor Freude. Den­noch aber war diese Erscheinung verschieden von der im Norden Ir­lands. Von Krampfanfällen verspürte man hier nichts. Man vergoß viele Tränen; man flehte laut um Gnade; aber dies war auch alles.

Nach etlichen Augenblicken, als einige Ruhe eingetreten war und die Arbeiter ihr Werk übersehen konnten, begannen wir, mit Einzelnen insbesondere zu sprechen. Der Herr hatte in der Tat in Vieler Herzen gewirkt, und Er schenkte uns die Freude, alsbald die Frucht unserer geringen Mühe einsammeln zu können. Besonders waren es 12 Seelen, die laut bezeugten, daß sie Frieden mit Gott gefunden hätten. Doch der Tag der Herrlichkeit wird dereinst vollkommen die Früchte dieses Abends offenbaren.

Wieder war es 11 Uhr geworden; nur ungern trennte man sich. Es war ein wunderbarer Anblick. Viele arme Frauen hatten ihre Kinder bei sich, da sie daheim keine Wärterinnen hatten. Mit Lob und Dank verließen wir diesen Platz und kamen wohlbehalten zu Hause an.

Herzliche Grüße von Ihrem in Christo verbundenen Bruder

London

Vor einiger Zeit war in London eine Versammlung von etwa fünf-bis sechshundert Neubekehrten, um gemeinschaftlich zu beten und ein­ander ihre Erfahrungen mitzuteilen. Das Gebet beim Anfang lautete ungefähr wie folgt:

„Wir sind junge Kinder, o Herr! aber wir begehren durch Deine Gnade zu wachsen. Wir wissen, daß Du bereit bist, uns zu geben, was wir bitten. 0 Herr, es ist eine köstliche Sache, Dich zu kennen, und es ist noch köstlicher, Dich zu lieben. Wir waren große Sünder, und wir loben Dich für alles, was du an uns getan hast. Wir danken Dir, daß wir Dir unsere Herzen übergeben haben. Laß uns alle erfahren, daß Du heute abend in unserer Mitte bist; daß unsere Herzen erfüllt seien

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 mit Lob und Dank für alles, was Du für uns und an uns getan hast. Lehre uns auf Dich zu vertrauen; denn wir wissen, daß wir fallen müssen, sobald wir auf uns selbst vertrauen. Bewahre uns vor den Ver­führungen der Welt; behüte uns, o Herr, und gib uns Kraft, voranzu­gehen. Du weißt, wie wir täglich versucht werden, wie die Freunde Satans uns stets umgeben," besonders in unseren Werkstätten; gib uns Kraft, von Dir zu zeugen. Du, o Herr, hast uns gesucht und gefunden;

suche alle, die hier gegenwärtig sind, und Dich noch nicht kennen, oder die sich über ihren Zustand täuschen!"

Hierauf erzählten mehrere ihre Bekehrung. Ein armer Knabe sagte ungefähr Folgendes: „Gepriesen sei der Herr für das, was Er an mir getan hat! Einige meiner Freunde baten mich oft, mit ihnen zur Kirche zu gehen; aber ich wollte nicht. Am vorigen Sonntage sprach Richard Weaver im Victoria-Theater. Ich ging dorthin; nicht um etwas Gutes zu hören, sondern weil ich von diesem Manne vieles gehört hatte und ihn gern einmal sehen wollte. Gott aber ließ die Bitte in mein Herz drin­gen. Seitdem werde ich viel verfolgt. Ich rede mit meinen Mitarbeitern über das Heil ihrer Seelen; denn ich kann nicht schweigen. Oft aber muß ich mich taub und stumm halten und Gott bitten, daß Er über meinen Mund wache. Der Herr gebe, daß ich mich des Evangeliums von Christo nicht schäme!'

Ein junger Mann, dessen Gesicht ein tiefes Gefühl von Dankbar­keit gegen Gott ausdrückte, sagte: „Ich war ein sehr großer Sünder. Sieben Jahre war ich auf dem Meere, wo ich mich allen Schlechtigkeiten hingegeben habe. An einem Sonntag war ich im Begriff, um nach West-minster zu gehen; aber gegen meinen Vorsatz ging ich nach dem Serry-Theater, wo Herr Carter predigte. Während ich da saß, sah ich meine vielen Sünden. Ich war in großer Not; aber ich wurde auf Jesum ge­wiesen. Ich sah Ihn, ich sah Seine Wunden, und bald nachher erhielt ich die Gewißheit, daß alle meine Sünden getilgt waren. Jetzt bin ich überzeugt, daß ich zum Himmel gehe, nicht weil etwas Gutes in mir ist, sondern weil Jesus Sein kostbares Blut für mich vergossen hat. Ich eilte nach Hause, um meiner Frau zu erzählen, was Gott an mir getan hatte. Sie fragte mich: „Bist du nach Westminster gewesen?" „Nein," gab ich ihr zur Antwort, „der Herr sei gepriesen, der mich zu einem besseren Orte geführt hat. Ich habe jetzt keine Lust mehr am Trinken." Sie ist selbst gegenwärtig und kann erzählen, was der Herr an mir ge­tan hat."

Ein anderer sagte: „Vor zwei Jahren war ich ein Abtrünniger. 0 es ist schwer, wieder zurückzukehren; aber Gott hat Sich über mich er­barmt und mir meinen Abfall vergeben. Christus wohnt jetzt in .mei­nem Herzen. Früher war ich des Sonntags ein Heiliger und Montags ein Diener des Teufels. Vor einigen Sonntagen besuchte ich eine Ver­sammlung und wurde durch das, was ich dort hörte, sehr geschlagen. Den ganzen Abend fühlte ich mich höchst unglücklich. Ich wandte mich zum Herrn; aber ich bekam kein Licht. Einige Tage später forderte mich ein junger Mann auf, mit ihm in eine Betstunde zu gehen. Ich tat es und beschloß in meinem Herzen, den Ort nicht eher wieder zu ver­lassen, bis ich Frieden gefunden hätte. Ich fiel dort auf meine Kniee und flehte viel zum Herrn; und gepriesen sei sein Name! daß Er hat Worte des Friedens in mein Herz fallen lassen."

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 Ein armer Knabe erzählte Folgendes: „Ich arbeite bei meinem Va­ter und habe meine Bibel in der Werkstätte unter einem Brette liegen. Gewohnlich fluchte mein Vater, wenn er mich darin lesen sah; auch war er oft betrunken, und dann mußten wir Kinder ohne Abendessen zu Bette. Gott aber hat meine Gebete erhört. Mein Vater trinkt nicht mehr, und wir bekommen immer unser Abendessen — ein Abendessen für das Herz und für den Leib. Gott ist gut, der mir alle meine Sünden vergeben hat. Er erhört unsere Gebete, und jemehr wir dem Thron der Gnade nahen, desto sicherer gehen wir unseren Weg."

Ein anderer sagte: „Ich wurde weder in einer Kirche noch in einer Versammlung bekehrt, sondern auf meinen Knieen am Bette meines Kindes. Ich habe seitdem durch manche harte Proben gehen müssen;

aber ich habe gelernt, auf Christum zu schauen. „Herr, hilf. mir!" ist mein Gebet in allen Versuchungen; und Er ist immer treu. Durch Seine Liebe und Macht überwinden wir in allem weit."

Geliebter Bruder!

Du fragst, wie es mir in Eurer Mitte gefallen habe, und ich kann Dir antworten, daß ich im allgemeinen unter Euch sehr erquickt und gesegnet war. Besonders erfreute mich die gegenseitige Offenheit. Es ist gewiß eine schöne Sache, wenn einer dem anderen ins Herz schauen darf. Der Charakter des brüderlichen Verhältnisses erfordert dies auch, ohne einmal daran zu erinnern, daß in Christo noch innigere Bande uns vereinigt haben. Und ich kann Dir sagen, daß ich mich immer be­engt fühle, wenn es unter Brüdern so fremd und kalt hergeht, wenn einer den anderen fürchtet, wenn jeder schweigt, aus Furcht, er möchte sich nicht schön und gelehrt genug ausdrücken. Das ist mir immer pein­lich, und ist sicher nicht, wie Jakobus sagt, die Weisheit von oben. Ich meine immer, die H"e r z e n müßten sich begegnen und nicht nur die freundlichen Blicke. Und wer sich so gern versteckt, mag wohl zu­sehen, ob er nicht das Licht scheut. Damit will ich aber nicht sagen, daß der, der sein Herz zu sehr auf der Zunge trägt und in den Tag hineinspricht, nicht oberflächlich und leichtfertig sei.

Was nun das gegenseitige Aussprechen, wie Ihr es nanntet, be-trifff, so hat es gewiß seinen großen Segen, wenn es immer im rechten Geiste geschieht. Doch darüber haben wir sehr zu wachen. Ist der Geist des Richtens wirksam, so geht es gewiß ohne Schaden nicht her. Wer von diesem Geiste geleitet wird, der schweige lieber und denke erst an seinen Balken im Auge. So lange dieser vorhanden ist, sehen wir nicht gut, um den Splitter aus des Bruders Auge wegnehmen zu können. Ohne Mitgefühl, oder sogar Wohlgefallen daran zu finden, jemandes Fehler ans Licht zu stellen, beweist in der Tat nur den trau­rigen Zustand des eigenen Herzens. Das ist nicht der Geist Christi. Der Charakter Seines Geistes offenbart sich in Liebe, Gnade und Sanft-

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 mut. In dieser Gesinnung handelt Er stets gegen die Seinigen, und ge­gen die schwächsten am meisten, weil sie es am meisten bedürfen. Und sicher geziemt sich auch keine andere Gesinnung für uns, die wir Sein sind und von Seinem Geiste geleitet werden. Was könnte auch den fehlenden Bruder bessern, wenn nicht die Liebe? Wodurch könnte er gewonnen werden, wenn nicht durch den Geist der Sanftmut und der Gnade? In der Tat sollte hei einem fehlenden Bruder, wenn er von einem anderen ermahnt wird, nie der Gedanke Raum gewinnen können, daß er vor einem Richter, sondern daß er vor einem geliebten Bruder stehe. Leitet uns bei der Beschäftigung mit den Fehlern Anderer nicht allein die Liebe'und die Ehre Gottes, so sind wir zu diesem Dienst un­fähig. Nur Liebe zum Herrn und Liebe zu den Seinigen kann die ein­zige gesegnete Triebfeder all unserer Handlungen sein. Ohne Liebe hat nichts vor Gott Wert. Darum ist auch durch den Heiligen Geist Seine Liebe in unsere Herzen ausgegossen; und der Apostel fügt die herzliche Ermahnung hinzu: „So liebet einander mit Inbrunst aus reinem Her­zen." Wir werden aber um so geschickter dazu, je mehr wir die voll­kommene Liebe Dessen betrachten, der mit Seinem eigenen Blute uns von unseren ^Sünden abgewaschen hat, und der uns stets mit vollkom­mener Liebe pflegt und trägt. Jemehr wir in Erkenntnis Seiner Liebe zunehmen, desto mehr werden unsere Herzen weit in Liebe gegen An­dere. Seine Liebe ist die alleinige Quelle und das allein würdige Vor­bild der unsrigen. 0 möchten unsere Herzen nur recht begierig sein, stets zu schöpfen und anzuschauen!

Jetzt möchte ich, geliebter Bruder, mit wenigen Worten noch auf etwas kommen, was keinen guten Eindruck auf mich gemacht hat;

und Du wirst es in Liebe aufnehmen, wenn ich auch darüber mich ganz offen ausspreche. Es schien mir nämlich, als wenn bei Eui-em Zusam­menkommen die Herzen zu wenig von dem Gefühl der Gegenwart des Herrn durchdrungen waren. Dies fiel mir besonders kurz vor und nach dem eigentlichen Kultus auf. Es war fast auf den meisten Gesichtern der Eintretenden deutlich zu lesen, daß sie nicht von dem Gedanken erfüllt waren: Ich gehe dahin, wo Jesus mit den Seinigen versammelt ist. Selbst das Benehmen, wenn es auch nicht gerade ungeziemend war, und die Unterhaltung Vieler verrieten deutlich, daß dies Bewußtsein Seiner Gegenwart nicht vorhanden war, oder doch nicht auf eine wür­dige Weise geschätzt wurde. Ebenso war. es nach vollendetem Kultus. Es schien oft, als wenn das, was noch kurz vorher die Herzen bewegte, plötzlich verschwunden sei. Benehmen und Unterhaltung trugen meist einen mehr weltlichen Charakter, und man hätte oft leicht veranlaßt werden können, zu glauben, man sei auf einmal in eine ganz andere Versammlung versetzt worden — in eine Versammlung, die nicht so­eben aus der Gegenwart des Herrn komme. Ich verwerfe gewiß allen gesetzlichen Ernst, alles gemachte Wesen; aber es geziemt uns, stets so zu erscheinen, wie es der Gegenwart des Herrn angemessen und vor Ihm wohlgefällig ist; und dies besonders, wenn wir uns im Namen Jesu versammeln. Wenn wir vor allen bekennen, daß wir, frei von allen menschlichen Formen und Satzungen, uns allein auf Grund des Namens Jesu versammeln und von Seiner Gegenwart jede Segnung erwarten, so ist es auch nötig, zu beweisen, daß uns das Bewußtsein dieser Gegen-

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 NOTIZEN

wart mit dem ihr angemessenen Ernst erfüllt Anders hat die Erkennt­nis dieser gesegneten Wahrheit keinen Wert für uns und dient viel­mehr zur Unehre des Herrn

Ich weiß nun, geliebter Bruder, daß es Euer aller Begehren ist dem Herrn m allem wohlzugefallen, und bin deshalb versichert, daß auch diese Zeilen Dir und den anderen Budern Veranlassung geben werden, über diesen beherzigenswerten Gegenstand nachzudenken Die Gnade des Herrn wolle Euch dann leiten'

Es grüßt Dein in Christo verbundener Bruder etc.

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