Botschafter des Heils in Christo 1912

02/08/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger
Botschafter des Heils in Christo Inhaltsverzeichnis: 1912Seite
Betrachtungen über das zweite Buch der Könige Rossier1
Die Versammlung, der Leib Christi12
Friede27
Es fehlt nicht viel (Gedicht)28
Im Verkehr mit der Welt41
Der Herr ist nah, ganz nah! (Gedicht)84
Wie ein Schlauch im Rauch,"95
Die Liebe freut sich nicht der Ungerechtigkeit109
Ich will.111
Alteste und Diener128
Ewigkeit139
Sorget um nichts! (Gedicht)140
Gedanken164
Die Weise Pauli165
Am Jakobsbrunnen (Gedicht)168
Der Engel der Versammlung184
Wenn wir aber Nahrung und Bedeckung haben,198
so wollen wir uns daran genügen lassen."
Allein mit dem Herrn206
Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken216
Halbe und ganze Herzen238
Über Mara und Elim.268
Wann trug Christus unsere Sünden?280
Kurze praktische Bemerkungen aus einer Betrachtung293
über Kolosser 2-4, 4
Jesus ist mein."304
Ich weiß und glaube (Gedicht)308
Seid meine Nachahmer, gleichwie auch ich Christi.".314
Von der Zeit an."323
Seine Liebe330
2. Chronika 6, 1. 2..331
Zu Jesu Füßen (Gedicht)336

Botschafter des Heils in Christo

Sechszigster Jahrgang

Elberfeld – Verlag von R. Brockhaus

1912

Die Versammlung der Leib Christi

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 12ff

Wir haben in einem früheren Aufsatz (s. Jahrgang 1911) die Versammlung oder Gemeinde als das H a u s Gottes, als Seine Wohnstätte im Geiste, betrachtet; reden wir heute von ihr als dem Leibe Christi, oder als der Gemeinschaft der zu einem Leibe vereinigten und mit ihrem verherrlichten Haupt im Himmel verbundenen Kinder Gottes. „Da ist ein Leib und ein Geist“. Wir sind berufen in einer Hoffnung unserer Berufung (Eph. 4, 4). Wie wohl tun solche Worte einem Herzen, in welches die Liebe· Gottes ausgegossen ist, und das sich nun der innigen Beziehungen, in welche es zu allen Mitgläubigen in Christo gebracht worden, bewusst ist! Es ist, wie wenn Himmelsluft uns umwehte. Wir« treten ein in den Kreis der wunderbaren Liebesratschlüsse Gottes, die durch die Wandlungen der Zeit nicht beeinflusst werden können, und beten die Liebe an, die sich selbst für uns hingegeben hat.

Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, starb für uns. Nach vollendetem Werke ist Er in die Höhe hinaufgestiegen und hat Seinen Platz zur Rechten Gottes eingenommen — ein beständiges Zeugnis von der Tatsache, dass das Erlösungswerk vollbracht und wir in dem Geliebten. annehmlich gemacht worden sind«, ja, dass die Herrlichkeit selbst unser Teil ist. Zum Beweise der Annahme Seines Werkes hat Christus den Heiligen Geist herniedergesandt, damit Er in den Gläubigen Wohnung mache und in ihnen zeuge, dass sie Kinder Gottes sind; wenn aber Kinder, dann auch Erben, Erben Gottes und Miterben Christi. (Röm. 8, 17.) Durch diesen Geist versiegelt auf den Tag der Erlösung, d. h. der Verherrlichung unserer Leiber (vergl. Röm. 8,23; Phil. 3, 21), besitzen wir Ihn als „das Unterpfand unseres Erbes“ (Eph. 1, 13. 14).

Aber wir sind nicht nur als Einzelwesen errettet, Christus starb, um die zerstreuten Kinder Gottes in eins zu versammeln. Wir sind alle „Glieder Seines Leibes, von Seinem Fleische und von Seinen Gebeinen“ (Eph. 5, 30), unaufIöslich mit Christo, dem Haupte, und miteinander als Glieder verbunden. Wir sind „Glieder voneinander“. „Denn auch in einem Geiste *) sind wir alle zu einem Leibe getauft worden, es seien Juden oder Griechen, es seien Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geiste getränkt worden“ (1. Kor. 12, 13).

Von dieser kostbaren Wahrheit reden die Schriften des Neuen Testamentes immer wieder. Lasst uns sie, wenn ich mich so ausdrücken darf, ihrer Entwicklung gemäß betrachten. Da finden wir denn zunächst im 1. und 3. Kapitel des Epheserbrieses den göttlichen Ratschluss. Die Wahrheit von dem einen Leibe war ein „Geheimnis“, das „Geheimnis des Christus“, welches in anderen Geschlechtern den Söhnen der Menschen nicht kundgetan war, aber jetzt den heiligen Aposteln und Propheten des Neuen Testamentes geoffenbart worden ist. (Kap. 3, 4. 5.) Gott hatte vorbildlich in Adam und Eva von Christo und der Versammlung geredet, aber dieses Vorbild blieb unverständlich, musste so bleiben, bis die Verwirklichung kam. Es war das „Geheimnis“ des Willens Gottes, das Er sich vorgesetzt hatte in sich selbst „für die Verwaltung der Fülle der Zeiten: alles unter ein Haupt zusammenzubringen in dem Christus, das was in den Himmeln und das was auf der Erde ist“ (Kap. 1, 9. 10.) Und zwar sollte Christus als Haupt über alles nicht allein sein. Die nach dem Vorsatz Gottes Zuvorbestimmten (die Braut, das Weib des Lammes) sollten in Ihm auch ein Erbteil erlangen, mit Ihm alles teilen.

Zur Ausführung des Willens und Ratschlusses Gottes hat Christus gelitten; denn wir waren tot in Vergehungen und Sünden. (Kap. 2, 1.) Er ging in den Tod für uns. Aber dann hat die „Macht der Stärke Gottes“ in Ihm gewirkt und Ihn aus den Toten auferweckt; und dieselbe Kraft hat sich in ihrer überschwänglichen Größe an uns erwiesen, indem sie uns mit Ihm auferweckte und in Ihm (noch nicht mit Ihm) mitversetzte in die himmlischen Orten Sein Leben ist unser Leben. Ein unauflösliches Band ist zwischen Ihm und uns geknüpft: wir sind in Ihm, Er ist in uns. Ja, Er ist, zur Rechten Gottes erhöht und über jedes Fürstentum und jede Gewalt und Kraft und Herrschaft und jeden Namen gesetzt, »als Haupt über alles der Versammlung gegeben, welche Sein Leib ist, die Fülle Dessen, der alles in allem erfüllt“ (Kap.1,19-—23). Er ist das Haupt, wir vervollständigen Ihn. Ein Haupt ohne Leib ist nicht vollständig; darum heißt der Leib Seine Fülle. Diese wunderbare Tatsache begann sich zu entfalten, als Christus droben verherrlicht wurde. Sie wird in ihrer ganzen Vollendung gesehen werden, wenn die Versammlung als das Weib des Lammes zur Seite Christi in Herrlichkeit erscheinen wird. Von Christo, dem Haupte, geht alles aus, hängt alles ab. Aus Ihm wächst der ganze Leib das Wachstum Gottes, indem er durch die Gelenke und Bande Darreichung empfängt und zusammengefügt ist (Kol. 2, 19).

Im 2. Kapitel des Epheserbriefes wird uns mitgeteilt, wie die Gnade und Macht Gottes zur Erfüllung dieses Seines Ratschlusses in Wirksamkeit getreten sind. Alle Menschen, ob Juden oder Heiden, waren Kinder des Zorns, tot in Sünden, Söhne des Ungehorsams. Gottes Barmherzigkeit und Gnade waren allein imstande, hier rettend einzutreten. Es ist geschehen, und nun sind die Toten lebendig gemacht, die Fernen nahe geworden. Aus Juden und Heiden hat Gott in Christo einen neuen Menschen geschaffen, eben diesen Menschen Seiner Ratschlüsse. Christus ist gestorben, um die beiden in einem Leibe mit Gott zu versöhnen durch das Kreuz. Er hat aus beiden eines gemacht und die Zwischenwand der Umzäunung abgebrochen. In der Versammlung (Gemeinde) ist nicht mehr Jude und Grieche, Beschneidung und Vorhaut, Sklave und Freier, sondern alle sind einer in Christo. Die aus den Nationen sind Miterben, Miteinverleibte und Mitteilhaber der Verheißung Gottes. Den Fürstentümern und Gewalten in den himmlischen Örtern wird durch die Versammlung kundgetan die gar mannigfaltige Weisheit Gottes, **) und in der Versammlung wird Gott Herrlichkeit gebracht in Christo Jesu auf alle Zeitalter der Zeitalter hin (Kap. 3).

Untersuchen wir im Anschluss an das Gesagte, wann und wie die Bildung der Versammlung, des Leibes Christi, geschichtlich begann. Die Untersuchung ist einfach. So lange der Herr hienieden wandelte, konnte die Versammlung nicht gebildet werden. Er sagt deshalb, wie uns bekannt, in Matth. 16, 18: „ich will bauen“; und in Joh. 17, 20. 21 bittet Er nicht allein für die, welche Sein Wort bereits angenommen hatten, sondern auch für die, welche durch ihr Wort an Ihn glauben würden, auf dass sie alle eins seien, damit die Welt glaube, dass der Vater Ihn gesandt habe. Erst durch die Herniederkunft des Heiligen Geistes am Pfingsttage wurde die Versammlung gebildet. Die damaligen Gläubigen wurden in einem Geiste zu einem Leibe getauft, und die unmittelbare Folge davon war, dass alle, welche glaubten, auch die Tausende, die durch die Predigt Petri gewonnen worden waren, „beisammen waren" ***), alles gemein hatten“ und „einmütig im Tempel verharrten“ (Apostelgeschichte 2, 44 — 46).

Die Einheit der Erretteten jener Tage war durch die Gegenwart des vom Himmel herniedergekommenen Heiligen Geistes ****) zur Tatsache geworden. Sie bildeten einen Leib auf Erden, einen sichtbaren, von Gott anerkannten Körper, welchem alle, die Er zur Erkenntnis Seiner selbst berief, sich anfügten, geleitet von dem Herrn, der in ihren Herzen wirkte. Es war die Versammlung des lebendigen Gottes, die allerdings zunächst nur aus Juden bestand, und deren Glieder noch wenig oder gar nichts von der Wahrheit, die wir eben betrachten, verstanden. Die „Verwaltung“ dieses Geheimnisses war ja, wie wir wissen, in besonderer Weise dem Apostel Paulus anvertraut. Aber nichtsdestoweniger war der Leib gebildet, und Gott sorgte in Seiner Weisheit dafür, dass vor dem Auftreten des Apostels der Heiden nicht nur Samariter, sondern auch Kornelius, ein Heide, mit seinem ganzen Hause und seinen Verwandten und nächsten Freunden (wohl auch lauter Heiden), der Versammlung hinzugetan wurde. Auf diese Weise wurde die Einheit des Werkes bewahrt.

Jerusalem und die jüdische Nation als solche hatten kein Ohr für die Predigt der Gnade in ihrer Mitte. Stephanus, den letzten Boten Gottes an sie, steinigten sie zu Tode und verwarfen so, nach der Ermordung des Sohnes Gottes, auch das Zeugnis des Heiligen Geistes. Danach wird Saulus, der Ausdruck des Christushasses der Juden in Person, zum Zeugen Gottes berufen. Aber nicht ein nach dem Fleische gekannter Christus, auch nicht Jerusalem, der Mittelpunkt des jüdischen Gottesdienstes, wird zum Ausgangspunkt seiner Sendung, sondern der zur Rechten Gottes verherrlichte Menschensohn (den Stephanus schon geschaut hatte) und Antiochien, eine heidnische Stadt. Sein Auftrag ergeht in besonderer Weise an alle Menschen, (die Elfe hatten die ihnen in Matth. 28, 19. 20 gewordene Mission bis dahin nicht ausgeführt); er sollte den Namen des Herrn tragen sowohl vor Nationen, als auch vor Könige und Söhne Israels. (Apostelgeschichte 9, 15; 22, 15.) Saulus sieht Jesum zum ersten mal in der himmlischen Herrlichkeit· Es ist nicht Jesus in Seinem Charakter als Messias und König Israels, sondern als der auferstandene und verherrlichte Menschensohn in Verbindung mit Seinen Jüngern hienieden. „Ich bin Jesus, den du verfolgst“, so ruft Er dem rasenden Verfolger der kleinen Herde zu. Die Gläubigen waren Er selbst, Sein Leib. So verband sich die Bekehrung des Saulus unmittelbar mit der Offenbarung der Vereinigung des Herrn mit den Gliedern Seines Leibes auf der Erde. Von jenem Augenblick an zeugte er mit der ganzen heiligen Begeisterung seiner feurigen Seele von der wunderbaren, alle Erkenntnis übersteigenden Liebe des Christus und von dem Geheimnis des Willens Gottes in Verbindung mit Christo. Und wir? Wir lesen die Worte unseres hochgelobten Herrn und sagen: „Herr, es ist genug!“ — O auf welch einen kostbaren Boden stellen uns die Worte Jesu! Unmittelbar aus Seinem Herzen heraus empfangen wir den stärksten Ausdruck unserer Vereinigung mit Ihm droben. Wir wissen jetzt, dass Er das schwächste Glied Seines Leibes als einen Teil von sich selbst betrachtet. Ist das nicht genug, teurer Leser, um unsere Herzen überströmen zu machen? Und dabei sollten wir noch an einen anderen Namen und an andere Verbindungen denken? sollten begehren, neben einem Gliede am Leibe Christi noch Glied von irgend etwas anderem, einer Kirche, einer Gemeinde oder Gemeinschaft, zu sein? O wenn die Kinder Gottes doch alle bedenken möchten, wie sie das Herz ihres Vaters betrüben, wenn sie neben den Namen Seines Geliebten noch einen anderen Namen setzen und von der einfachen, aber so gesegneten Zugehörigkeit zu der Versammlung, dem Leibe Christi, nicht befriedigt sind!

Beachten wir zugleich, wie die auf dem Wege nach Damaskus gemachte Offenbarung unser Verhältnis zueinander berührt. Sind wir Glieder des Leibes Christi, so sind wir auch Glieder voneinander und haben Verpflichtungen gegeneinander. „Denn gleichwie wir in einem Leibe viele Glieder haben, aber die Glieder nicht alle dieselbe Verrichtung haben, also sind wir, die Vielen, ein Leib in Christo, einzeln aber Glieder voneinander.« (Röm. 12, 4. 5.) Kein Glied kann von dem anderen sagen: „Ich bedarf deiner nicht“, oder: „du gehst mich nichts an“. Die Versammlung ist absolut eins. So war sie auch im Anfang der Welt bekannt. Eine Gemeinde, erfüllt mit dem Heiligen Geiste, gab Zeugnis von dem Heile Gottes und von Seiner Gegenwart auf der Erde. Mochte sie auch bald durch die Verfolgungen der Menschen zerstreut werden, so blieb sie doch die eine Gemeinde, die Versammlung Gottes hienieden. „Saulus verwüstete die Versammlung.“ „Es geschah ihnen aber, dass sie ein ganzes Jahr in der Versammlung zusammenkamen.“ ,“Herodes legte die Hände an etliche von der Versammlung.“ „Es waren aber in Antiochien, in der dortigen Versammlung“ u. s. w. Auch wenn Gott den Apostel Paulus erweckt und mit einer besonderen Botschaft an die Heiden betraut, wird es nicht anders. Wie wäre es auch möglich gewesen? Die Versammlung war ja so, wie sie nun geoffenbart war, der Gegenstand der ewigen, unwandelbaren Ratschlüsse Gottes vor Grundlegung der Welt.

Die Einheit des Leibes wurde von den Gläubigen anerkannt und verwirklicht und war vor aller Augen sichtbar. An jedem Orte, wo der Geist Gottes wirkte, bildete sich eine Versammlung, welche die Einheit der ganzen Gemeinde, ja, den Leib Christi örtlich darstellte, Der Apostel konnte an »die Versammlung Gottes, die in Korinth ist«, schreiben, und obwohl er hinzufügt: ,,samt allen, die an jedem Orte den Namen unseres Herrn Jesu« Christi anrufen«, konnte er doch den Korinthern sagen: »Ihr seid der Leib Christi und Glieder insonderheit«. (1, Kor. 12, 27.) Die Versammlung in Korinth war die örtliche Darstellung des Leibes Christi, und wenn ein Glied des Leibes Christi von Korinth nach Ephesus ging oder umgekehrt, so war es dort notwendigerweise ebenso sehr ein Glied wie an seinem Wohnorte. Es ist den Gläubigen in jenen Tagen gewiss nie anders in den Sinn gekommen. Sie waren nicht Glieder einer Gemeinde oder Gemeinschaft, sondern Glieder Christi. Sie gehörten der Versammlung oder Gemeinde Gottes an. Dass über einige Lehrpunkte Meinungsverschiedenheiten bestanden, ist wahr und leicht begreiflich, da die Christen der ersten Tage einerseits nicht die gesammelten Schriften des Neuen Testamentes besaßen wie wir, und andererseits die Gläubigen aus den Juden große Mühe hatten, von den aus dem Alten Bunde herübergebrachten Begriffen und Satzungen loszukommen; aber im Blick auf das Einssein aller Gläubigen in Christo herrschte keinerlei Unklarheit, und es ist geradezu unfasslich, wie ein gläubiger Schreiber sagen kann: „Die juden- und heidenchristlichen Gemeinden im apostolischen Zeitalter waren sich, von außen betrachtet, nicht mehr einig, wie es die landeskirchlichen Gemeinschaften, die Presbyterianer, Independenten, Baptisten und Methodisten untereinander sind; im allgemeinen vielleicht noch nicht einmal so viel“. Wir möchten nicht unfreundlich sein gegen einen Bruder, aber wir können doch nicht umhin zu sagen: Wer so redet, beweist, dass er noch nicht angefangen hat zu verstehen, was die Versammlung (Gemeinde) nach Gottes Gedanken ist und im Anfang auch nach außen hin darstellte. Wie scharf verurteilt der Apostel Paulus im 1. Korintherbriefe die Keime des Bösen, welche zu all dem Parteiwesen und Parteihader führen mussten, die das schöne Zeugnis Gottes auf Erden verdorben haben!

Wenden wir uns jetzt noch ein wenig zu den beiden Kapiteln, welche vornehmlich von dem „Leibe“ und den Verrichtungen der einzelnen Glieder reden: Eph. 4 und 1. Kor. 12. In Eph. 4 ermahnt der Apostel die Gläubigen, in aller Demut der Berufung würdig zu wandeln, mit welcher sie berufen worden waren. Von dieser Berufung hatte er im 2. Kapitel (V. 19 — 22) geredet: die Gläubigen bildeten die Behausung Gottes im Geiste, und das Bewusstsein der Gegenwart Gottes macht immer demütig. In Verbindung damit ermahnt er sie weiter, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens; denn jene Behausung Gottes war die Versammlung, der Leib, und sie waren Glieder« dieses Leibes. Es kann nicht stark genug betont werden, dass Einheit nicht Einigkeit ist, also nicht eine Gleichartigkeit der Gesinnung, der Gefühle, Interessen u. s. w. Diese sollte sich sicherlich auch bei den Gläubigen finden, und vielleicht denkt der Herr in Joh. 17, 11 vornehmlich daran, wenn Er bittet: „auf dass sie eins seien, gleichwie wir“ ****) Aber die Einheit des Geistes ist, wie gesagt, nicht eine Einheitlichkeit der Gefühle, nicht »ein gemeinsames Glaubens- und Liebesleben«, »ein höheres Geistesleben, das allen Gläubigen in der Wiedergeburt mitgeteilt wird“, sondern einfach die Einheit der Glieder des Leibes, die der Geist gemacht hat. Diese sollen wir zu bewahren suchen, denn starke Einflüsse von innen und außen stellen sich ihrer praktischen Verwirklichung entgegen.

Der Leib bedarf der Bedienung. Sie wird ihm zuteil durch die Glieder, und zwar ist „jedem einzelnen Gliede die Gnade gegeben worden nach dem Maße der Gabe des Christus“ (V. 7). Da die Bedürfnisse verschiedenartig sind, ist auch der Dienst verschiedenartig. Aber alles fließt von dem Haupte aus, hängt von Ihm ab. Er ist hinaufgestiegen in die Höhe, hat den, der uns gefangen hielt, Satan, gefangen geführt und uns, den also Befreiten, Gaben gegeben. Diese Gaben sind der Beweis von dem Siege des Herrn über Satan; denn die, welche sie ausüben, waren einst hilflose, ohnmächtige Sklaven Satans. Durch sie erbaut, nährt und pflegt der Herr Seinen Leib. „Und Er hat die einen gegeben als Apostel und andere als Propheten, und andere als Evangelisten, und andere als Hirten und Lehrer, zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes Christi“ (V. 11. 12). Die Apostel und Propheten bilden die Grundlage des ganzen Baues, wie wir in Kap. 2, 20 gelesen haben: ,,aufgebaut auf die Grundlage der Apostel und Propheten, indem Jesus Christus selbst Eckstein ist“. Evangelisten, Hirten und Lehrer bleiben bis zum Ende hin, „bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und zur Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Manne, zu dem Maße des vollen Wuchses der Fülle des Christus“. Bis zur Erreichung dieses Zieles, das hier auf Erden angestrebt wird, (mit anderen Worten also: so lange es Gläubige hienieden gibt, die auf diesem Boden stehen, zu dem Leibe gehören) werden Evangelisten, Hirten und Lehrer nicht fehlen — die einen zur Sammlung, die anderen zur Auferbauung und Pflege der Glieder. Das Haupt, der Christus, wird in Seiner unfehlbaren Treue und nie wankenden Liebe für alles sorgen.

Welch eine wunderbare Gnade! Nicht Menschen sind es also, denen die Sorge für den Leib Christi anvertraut ist, obwohl sie als gesegnete Werkzeuge für ihn benutzt werden, sondern Christus selbst. Der unausforschliche Reichtum (Kap. 3, 8) Dessen, der in der Macht Seines Erlösungswerkes „alles erfüllt“ (Kap. 4, 10), von dem Staube des Todes bis hinauf zu dem Throne Gottes, bildet die Grundlage der Auferbauung der Versammlung, des Leibes, indem jedes einzelne Glied, nach der ihm verliehenen Gnade, dazu mitwirkt, sich von dem Herrn dazu gebrauchen lässt. „Die Wahrheit festhaltend in Liebe, lasst uns in allem heranwachsen zu Ihm hin, der das Haupt ist, der Christus, aus welchem der ganze Leib, wohl zusammengefügt und verbunden durch jedes Gelenk der Darreichung, nach der Wirksamkeit in dem Maße jedes einzelnen Teiles, für sich das Wachstum des Leibes bewirkt zu seiner Selbstauferbauung in Liebe“ (V. 15. 16).

Wie einfach und klar verständlich, und doch wie groß und erhaben ist das alles! Es find Gottes Gedanken, das geoffenbarte „Geheimnis des Christus“. Wie schwinden da all die klugen Überlegungen und weisen Aufstellungen des menschlichen Geistes wie die leichten Morgennebel vor der ausgehenden Sonne! Wie weit wird das Herz, und in welch einem Lichte erscheinen all die Einrichtungen des menschlichen Willens auf religiösem Gebiet, die Kirchen und Kirchlein, die Gemeinden und Gemeindlein mit ihren vielerlei Namen, Bekenntnissen, Einrichtungen, Statuten u. s. w.! Vor Gottes Auge und nach Gottes Gedanken gibt es nur eine Gemeinde, nur einen Leib, und da wo Gläubige das anerkennen und auf diesem einfachen, göttlichen Boden sich zusammenfinden, empfängt die Gemeinde oder Versammlung ihre örtliche Darstellung ******); und wären es auch nur zwei oder drei, sie dürfen aus die Anerkennung und den Segen des Herrn rechnen. Er ist in ihrer Mitte (Matth. 18, 20).

Warum will man das nicht? Warum greift man die Gläubigen, welche sich so versammeln, immer wieder an? Warum tun das vornehmlich solche, die an denselben Herrn zu glauben und auf dem gleichen Pfade zu wandeln bekennen? Weil die Wahrheit unerbittlich ist und für den Willen und die Ehre des Menschen keinen Raum lässt, und ferner, weil die Wahrheit die Angreifer in ihrem Gewissen überführt und ihnen keine Ruhe lässt. Leider ist es wahr, wir wiederholen es, dass die Angegriffenen schwach sind, ja, dass sie oft untreu waren und nicht der empfangenen Gnade gemäß gewandelt und gehandelt haben; aber das ändert nichts an der von ihnen vertretenen Wahrheit, tut nichts davon ab, auch nichts hinzu. Der Herr schreibe deshalb den einen tief ins Herz: „Übrigens sucht man hier an den Verwaltern (ob über viel oder wenig gesetzt), dass einer treu erfunden werde“, und Er erinnere die anderen an die Worte: „So urteilet nicht etwas vor der Zeit, bis der Herr kommt, welcher auch das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen und die Ratschläge der Herzen offenbaren wird; und dann wird einem jeden sein Lob werden von Gott“ (1. Korinther 4, 2—5.) Wir dürfen überzeugt sein, dass das Urteil und Lob Gottes ganz anders ausfallen wird, als das Urteil und Lob der Menschen. Beeifern wir uns deshalb, Ihm wohlgefällig zu sein, äußerlich und innerlich, in Bekenntnis, Wandel und Gesinnung!

Was wir weiter oben von den einzelnen Gliedern sagten, ist selbstverständlich auch wahr von den Gaben. Sie sind nicht gegeben für einen bestimmten Kreis von Gläubigen, nicht für einen Teil des Leibes, sondern für den ganzen Leib. Ein Hirte oder ein Lehrer ist das nicht nur für die örtliche Versammlung, zu welcher er unmittelbar gehört, sondern für alle Versammlungen, wohin der Herr ihn führt. Ein Apollos z. B., um nicht von den Aposteln zu reden, war gerade so anerkannt in Korinth wie in Ephesus. Ganz anders war es mit den Ältesten und Diakonen. Sie hatten ein Amt in der örtlichen Versammlung zu versehen, und nur in

ihr. Doch darüber vielleicht später mehr ausführlich.

Fußnote:

*) dem Heiligen Geiste, der persönlich in und bei den Gläubigen ist (Joh. 14, 16. 17).

**) Jene Fürstentümer und Gewalten haben die Schöpfermacht Gottes, Seine Weisheit, Seine Geduld und Treue, Seine Regierungswege, gesehen, aber niemals einen himmlischen Leib auf der Erde, verbunden mit dem Sohne Gottes im Himmel.

***) Man behauptet, dass das Versammeln in eins heute eine Unmöglichkeit sei. Damals ist es geschehen, und es war sicherlich nach Gottes Gedanken. Wenn auch die Tausende in Jerusalem, z. B. beim Brotbrechen, nicht an einem und demselben Orte versammelt waren, ja, nicht versammelt sein konnten, so verhinderte das doch nicht, dass sie nach Gottes Gedanken eine wahre und wirkliche Einheit bildeten. Da waren nicht (weder in Jerusalem, noch später in Antiochien, Korinth oder Rom) „zwei oder mehrere Versammlungen, alle etwas verschieden voneinander“, da bestanden nicht „neben der eigentlichen Gemeinde und der Hausgemeinde noch verschiedene andere Gruppen gläubiger Leute, von denen jede ihre besonderen Zusammenkünfte u. s. w. hatten“. Das alles sind grundlose Behauptungen, mit denen man seine eigene verkehrte Stellung stützen will, die aber der ganzen Belehrung des Wortes Gottes zuwiderlaufen.

****) und nicht nur die Einheit, sondern auch die Einigkeit, das ist eine durch denselben Geist bewirkte einmütige Gesinnung — zwei ganz verschiedene, aber oft miteinander verwechselte Dinge.

*****) Im 21. Verse geht der Gedanke weiter. Alle, auch die später an Jesum glauben würden, sind eingeschlossen, und der Herr bittet: „auf dass sie in uns (dem Vater und dem Sohne) eins seien“ (nicht „gleichwie wir“). Es ist ein Einssein und eine Gemeinschaft kraft der Offenbarung des Vaters in dem Sohne und des Sohnes als Gegenstand der Liebe und Wonne des Vaters, in welche wir durch den Heiligen Geist eingeführt sind; und diese Einheit soll als Zeugnis der Welt gegenüber dienen: „auf dass die Welt glaube, dass du mich gesandt hast“. Im 23. Verse werden wir noch weiter geführt. Wir treten unmittelbar in die „Herrlichkeit“ ein, wo dann das Einssein „vollendet“ sein wird und die Welt bei unserer Erscheinung mit Jesu „erkennen“ (nicht glauben) wird, dass der Vater den Sohn gesandt und uns geliebt hat, gleichwie Er Ihn geliebt hat: „ich in ihnen und du in mir“. (Vergl. 2. Thess. 1, 10.) So ist denn ein deutliches Fortschreiten in der dreimaligen Bitte des Herrn zu erkennen.

******) nicht aber da, wo ,,man sich gemäß der empfangenen Belehrung, Erziehung (!), Erkenntnis u.s. w. nach dem ganzen göttlichen Wort (?) richtet“, wo „man sich biblisch einrichtet (!), Vorsteher, Älteste, Prediger u. s. w. wählt".

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Friede

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 27ff

Bei der Geburt des Herrn wurde die Erde mit Worten des Friedens begrüßt. ,“Friede auf Erden!“ verkündigten die Engel auf den Fluren von Bethlehem.

Das war aber nur ein Gruß. Es war nicht eine wirkliche Verkündigung des Friedens. Es glich dem Worte, welches der Herr später in den Mund Seiner Apostel oder richtiger der Siebzig legte (Luk. 10), als Er sie zu je zwei und zwei vor Seinem Angesicht hersandte und ihnen gebot: „In welches Haus irgend ihr eintretet, sprechet zuerst: Friede diesem Hause!“ Das war wiederum ein Gruß, ein Segenswunsch, dessen Erfüllung von dem Vorhandensein eines „Sohnes des Friedens“ abhing.

Doch nach der Auferstehung des Herrn war es anders. Da sprach der auferstandene Heiland zu den Seinigen, zu denen Er nach vollendetem Werke zurückgekehrt war: „Friede euchI“ und als Er das gesagt hatte, zeigte Er ihnen Seine Hände und Seine Seite. Er gab ihnen so ihr Anrecht an diesen Frieden zu verstehen. Friede wurde jetzt nicht nur gewünscht, sondern in gebietender Weise verkündigt. Jesus gab ihnen jetzt Frieden, weil Er am Kreuze Frieden für sie gemacht hatte. Und diesen Frieden dürfen wir, die wir ihn kennen und genießen, unseren Mitmenschen bezeugen. Wir sagen nicht nur wie die Siebzig: „Friede diesem Hause!“ indem wir es grüßen und ihm Segen wünschen, sondern wir verkündigen einen sicheren, geordneten und teuer erworbenen Frieden, auf welchen Sünder ein Anrecht haben durch das Blut des Lammes.

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Es fehlt nicht viel

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 28ff

Autor: H.

Es fehlt nicht viel!

Bald ist der letzte Schritt getan.

Bald kommt das Ziel.

Bald heißt`s In Kanaan!

Es fehlt nicht viel.

Es fehlt nicht viel!

Schon ist der Morgenstern in Sicht,

zeigt und das Ziel,

wo unsere Heimat liegt.

Es fehlt nicht viel.

Es fehlt nicht viel!

Des Bräut`gams Schritt hallt durch die Nacht.

Er bringt ans Ziel

die treulich hier gewacht.

Es fehlt nicht viel.

Es fehlt nicht viel!

Nur eine kurze Spanne Zeit

trennt uns vom Ziel.

Drum eilt, macht euch bereit!

Es fehlt nicht viel

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Die Versammlung der Leib Christi

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 37ff

Wir kommen jetzt zu 1. Korinther 12. Der Haupt- unterschied zwischen diesem und dem soeben betrachteten Kapitel besteht wohl darin, dass Epheser 4 uns den Leib in Verbindung mit seinem himmlischen Haupte zeigt, während er in 1. Kor. 12 mehr betrachtet wird als der Schauplatz der Wirksamkeit des Heiligen Geistes hienieden. Nicht von ungefähr ist es jedoch, dass der Apostel Paulus, ehe er über die verschiedenen Gnadengaben, Dienste und Wirkungen in der Versammlung (Kap. 12, 4 —6) zu reden beginnt, ausführlich des Mahles des Herrn gedenkt, dieses ausdrucksvollen Bildes von der Einheit des Leibes, zu welcher in dem Tode des Herrn der Grund gelegt wurde. Diese beiden Dinge, Versammlung und Einheit des Leibes, gehören unmittelbar zusammen. Man kann nicht von der Versammlung in dem wahren Sinne des Wortes reden, ohne an die Einheit des Leibes zu denken. Christus ist „das Haupt Seines Leibes, der Versammlung“ (Kol. 1, 18). Es wird nie gesagt, dass Er „der Herr“ der Versammlung sei. Er ist selbstverständlich Herr in der Versammlung, unser aller Herr; wer Ihn nicht als Herrn anerkennt, ist kein Christ. Aber Er steht in dieser Beziehung zu dem Einzelnen, nicht zu der Versammlung als solcher. Im Blick auf sie ist Er das Haupt. Sobald daher von der Versammlung die Rede ist, wird auch dieses Verhältnis zu ihrem Haupte in Erinnerung gebracht. Es ist schon oft gesagt worden, dass die Versammlung Gottes ein organisches Ganzes sei, bestehend aus Haupt und Gliedern, dem menschlichen Körper vergleichbar. So stellt das Wort Gottes es dar. Schon der Titel „Haupt des Leibes“ bedingt Einheit und Verbindung mit und unter den Gliedern. Wenn dem aber so ist, wie kann man dann von „unabhängigen« Versammlungen oder Gemeinden reden? Damit leugnet man sofort die Wahrheit von der Einheit des Leibes. Entweder sind wir der „Leib Christi“, und „Glieder voneinander“, und geben diesem Verhältnis schriftgemäßen Ausdruck, oder wir bilden selbständige, unabhängige Körperschaften und sind dann Glieder dieser Körperschaften. Beides miteinander zu vereinigen ist unmöglich. Das eine schließt das andere aus.

Doch wo und wie wird dieser Einheit des Leibes der schriftgemäße Ausdruck gegeben? Ist es da, wo Gläubige sich gelegentlich zu gemeinsamem Gebet, zur Wortbetrachtung, zu gegenseitiger Erbauung oder Belehrung usw. zusammenfinden? Oder kommt sie zur Darstellung, wenn man sich zur Verkündigung des Evangeliums oder zu anderer gemeinsamer Liebesarbeit miteinander verbindet? Nein, so schön, Gott wohlgefällig und gesegnet das Genannte sein mag, indem es den Eifer und die einmütige Gesinnung der also Handelnden ans Licht stellt, ist und bleibt doch der einzige Platz, die einzige Gelegenheit, wo der Einheit (nicht Einigkeit oder Einmütigkeit) Ausdruck gegeben werden kann, der Tisch des Herrn. Nur hier findet sie in dem einen Brote, von welchem alle essen, eine sichtbare, sinnfällige Darstellung. Dass sich an die Feier des Abendmahls andere Zusammenkünfte der Versammlung schließen, ist selbstverständlich, aber sie bildet den Mittelpunkt, die Grundlage von allem.

Das ist denn auch der Grund, weshalb der Apostel die gläubigen Korinther zunächst über diesen Punkt belehrt und sie über die Unordnungen in ihrer Mitte hinsichtlich der Abendmahlsfeier ernstlich tadelt. Im 10. Kapitel (V. 14 — 22) stellt er, in Verbindung mit der Ermahnung, den Götzendienst zu fliehen, den Tisch des Herrn in Gegensatz zu dem Tische der Dämonen, dem Götzenaltar. Der vorherrschende Gedanke in dieser Stelle ist Gemeinschaft. Dieser Gemeinschaft wurde in jedem Falle durch das Essen Ausdruck gegeben (Vers 16. 18. 2().) So wie das Volk Israel in Gemeinschaft war mit dem Altar, von dessen Schlachtopfern *) es aß, so waren die Heiden mit dem Altar ihrer Götzen, (hinter denen die Dämonen sich verbargen, vergl. 5.Mose 32, 17; Ps. 106, 37, darum „Tisch der Dämonen“), in Gemeinschaft, die Christen ihrerseits mit »dem Tische des Herrn“. Die Anbeter hatten in jedem Falle teil an dem, was sie von den übrigen Menschen unterschied. In unserem Falle ist es das Blut und der Leib Christi. Der Kelch steht hier voran, weil das Blut uns die Erlösung am deutlichsten vor Augen stellt und die tiefsten, innigsten Gedanken und Gefühle in unseren Herzen wachruft. Das Brot folgt erst an zweiter Stelle, weil es sich, als Ausdruck der Gemeinschaft der Gläubigen (als des einen Leibes) mit Christo, der weiteren Belehrung des Apostels unmittelbarer anschließt. „Denn ein Brot, ein Leib, sind wir, die Vielen.“ Merke auf, mein Leser: „wir, die Vielen“! Nicht: „ihr, die ihr gerade versammelt seid“, sondern alle Gläubige, das ganze Volk Gottes aus der Erde. Naturgemäß können in einem gegebenen Falle nur wenige gegenwärtig sein, — die das Abendmahl Feiernden bilden immer nur einen kleinen Bruchteil des gesamten Körpers, — aber der Glaube sieht alle Gläubige mit sich auf demselben Boden vereinigt, durch dasselbe Blut gewaschen, von Gott dem einen Leibe als Glieder eingefügt. „Wir, die Vielen, sind ein Leib in Christo“ (Röm. 12, 5), und wir geben dieser Wahrheit Ausdruck, bringen sie zur Darstellung, indem wir, mit dem Herrn selbst in unserer Mitte, von dem einen Brote essen, nicht als Glieder irgend einer Gemeinschaft, einer religiösen Benennung, ob groß oder klein, alt oder jung, sondern als Glieder des Leibes Christi, versammelt an Seinem Tische, um Ihn, den gekreuzigten Herrn, geschart.

Indem wir dies tun, folgen wir auch der Ermahnung: „euch befleißigend, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens“ (Eph. 4, 3). Es mag einem jungen Christen nicht leicht erscheinen, dieses Wort in der um ihn her herrschenden Verwirrung in Ausübung zu bringen. Aber in Wirklichkeit ist es, wenn er nur einfältig und demütig ist, nicht so schwer. Er hat keine Einheit zu mach en, oder sich dem anzuschließen, was andere gemacht haben. Nein, der Heilige Geist hat eine Einheit gemacht, und des Gläubigen Sache ist es, auf diese Einheit zu achten, sie zu bewahren. Sie ist gemacht in der Versammlung (Gemeinde), dem Leibe Christi. Es ist nicht eine Einheit oder Vereinigung von Christen oder von Kindern Gottes, obwohl alle Glieder des Leibes selbstverständlich Christen und Kinder Gottes sind. Man redet viel von der Einheit der Kinder Gottes und denkt dabei nur an die Familien-Beziehung. Diese besteht gewiss, aber es gibt mehr als das, es gibt eine Einheit des Leibes, dessen Haupt Christus ist, und in welchem der Heilige Geist wohnt, wirkt und leitet.

So lange der Gläubige auf Meinungen und Lehren der Menschen achtet, kommt er allerdings nicht zur Ruhe, nicht zur Klarheit. Aber Gott sei Dank! er ist nicht solchen Meinungen und Lehren überlassen; er besitzt das Wort Gottes, und hier findet er deutliche Fingerzeige, Grenzsteine, Richtlinien. Indem er dieses Wort durchforscht, entdeckt er, dass Gott Seine Kinder in eins versammelt, und zwar zu dem Namen Christi hin, nicht zu dem Namen irgend eines Menschen oder zu einem Bekenntnis, einer Lieblingslehre und dergleichen. Er findet ferner, dass da, wo zwei oder drei zu diesem Namen hin versammelt sind, der Herr in der Mitte ist, so dass man nicht von der Gegenwart irgend eines Menschen abhängig oder auf sie hingewiesen ist, sondern von dem Herrn und auf den Herrn allein. Er entdeckt, dass Gott es ist, der alles in allen wirkt, und der Heilige Geist, der allen austeilt, wie Er will.

Findet er nun Gläubige, Christen, die auf diesem Boden stehen, die nach dieser Richtschnur wandeln, so ist sein Platz in ihrer Mitte. Dankbar und freudig wird er seine Stimme mit der ihrigen vereinigen zum Lobe Dessen, der Seiner Verheißung treu bleibt trotz allen: Untreue des Menschen, der sich verherrlicht in der

Mitte derer, die auf Ihn trauen, und der die ehrt, die Ihn ehren.

Wiederum möchten wir ausrufen: Wie einfach und groß sind die Gedanken Gottes, und wie töricht und klein erscheinen ihnen gegenüber die Meinungen, Einrichtungen und Satzungen der Menschen! Wiederum aber möchten wir auch fragen: Warum will man die einfache, göttliche Wahrheit nicht? Warum bekämpft man sie so hartnäckig und oft sogar mit so wenig ritterlichen Waffen? Die Antwort lautet: Weil die Wahrheit so gar keinen Raum lässt für die Entfaltung menschlicher Wichtigkeit und Ehrsucht, nicht einmal in dem Sinne, dass bei der erhabensten christlichen Feier, dem Abendmahl, irgend eine Gabe oder ein Amt in besonderer Weise in Ausübung käme. Nein, „der Kelch der Segnung, den wir segnen — das Brot, das wir brechen“, so lesen wir im 10. Kapitel, und im 11. heißt es zweimal ganz allgemein: ,,Dies tut zu meinem Gedächtnis«, und: »So oft ihr dieses Brot esset und den Kelch trinket, verkündiget ihr den Tod« des Herrn, bis Er kommt“. Da ist keine Spur von einer priesterlichen Weihung des Brotes und Kelches, noch von irgendwelchen Handlungen einer mit Autorität bekleideten, hierzu beauftragten und allein befugten Person. Wir, ihr, euch, so heißt es immer wieder; das will sagen: wir, ihr, die Gläubigen. Aber, wird man einwenden, muss nicht eine einzelne Person das Brot brechen und das Dankgebet zu Brot und Kelch sprechen? Freilich! Aber es gibt keine von Gott zu diesem Dienste besonders verordneten und deshalb allein befugten Männer. Einer der Teilnehmer versieht diesen Dienst, und er tut es im Namen und als der Mund aller Versammelten. Dass es, wenn möglich, ein älterer und in jedem Falle ein vorwurfsfreier Bruder sein sollte, sagt uns der gesunde christliche Sinn; aber ein Bruder, nicht ein Beamteter, sei es ein Prediger oder irgend eine andere dazu ordinierte und allein befugte Persönlichkeit. Das Neue Testament kennt nur ein Priestertum aller Gläubigen. Das Judentum hatte Priester, die vermittelnd zwischen Gott und dem Volke standen, weil dieses nicht unmittelbar Gott nahen konnte; aber nachdem der Vorhang zerrissen und der Weg zu Gott gebahnt ist, sind die Gläubigen Gott nahe gebracht und haben Freimütigkeit zum Eintritt in das Heiligtum. Das Christentum kennt keine Priester zwischen Gott und Seinem Volke. Die Einsetzung von Priestern ist deshalb im Grunde nichts anderes als eine Leugnung des Christentums.

Fußnote:

*) Bei den sogenannten Friedensopfern wurde bekanntlich ein Teil des Opfertiers auf dem Altar verbrannt, dann aß der Priester den Teil, der für Gott abgesondert und Ihm dargebracht wurde, und den Rest aßen die Opfernden

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Zum Verkehr mit der Welt

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 44ff

Wir haben uns kürzlich *) mit dem lieblichen Bilde beschäftigt, welches die Geschwister darstellen, wenn sie einträchtig beieinander wohnen. Und wirklich gibt es für die Kinder Gottes kaum etwas Schöneres hienieden, als gemeinsam — abseits von der Welt und ihrem Getriebe —— in der Stille dem Herrn anhangen und Ihm dienen zu dürfen. Ihre Berufung ist damit aber nicht erschöpft.

Wir hören in Joh. 17 aus dem Munde des Herrn, dass Wir nicht von der Welt sind (V. 14 u. 16); wir sind aber in ihr gelassen (V. 11. u. 15) und, gleichwie Er vom Vater in die Welt gesandt wurde, von Ihm in die Welt gesandt (V. 18), um ihr das Evangelium zu verkünden. Gänzlich aus Ägypten herausgenommen, befinden wir uns doch noch ganz in Ägypten, d. h. in der Welt, „welche geistlicherweise Ägypten heißt, wo auch unser Herr gekreuzigt wurde“ (Vergl. Offbg. 11, 8). Wir sind gestorben, und unser Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott (Kol. 3, 3), zugleich aber stellen wir vor den Augen der Menschen „die Stadt dar, die oben auf einem Berge liegt und nicht verborgen sein kann“. (Matth. 5, 14.) Dieser Berufung wird die Kirche Christi zwar erst in der Herrlichkeit, im neuen Jerusalem, ganz entsprechen, wo die heilige Stadt die Herrlichkeit Gottes haben wird, wo „ihr Lichtglanz gleich einem kostbaren Edelstein, wie ein krystallhelIer Jaspisstein“ ist und »die Nationen durch ihr Licht wandeln“ (Offbg. 21). Aber es ist nicht minder wahr, dass wir nach den Gedanken Gottes jetzt schon die Stadt bilden, die nicht verborgen sein kann.

So vor der Welt offenbar, ein Brief Christi, gekannt und gelesen von allen Menschen (2. Kor. 3, 2), heißt es, wachsam sein, um nicht in Weltförmigkeit zu fallen, um nicht den Charakter solcher zu verlieren, die der Welt gar nicht mehr angehören.

„Seid nicht gleichförmig dieser Welt!“ ruft uns der Apostel in Röm. 12 zu. In uns allen steckt ja die Neigung zur Weltförmigkeit, und wir reden uns leicht ein, dass wir wohl ohne Schaden für unseren inneren Menschen ein wenig von der Welt mitgenießen könnten. Und jede Berührung mit der Welt benutzt der Teufel gern, um uns das, was in ihr ist, von neuem anziehend vorzustellen. Auch fügt Paulus seiner Warnung vor Weltförmigkeit die Mahnung hinzu : „Werdet verwandelt durch die Erneuerung eures Sinnes, dass ihr prüfen möget, was der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist“. Gleichförmigkeit mit der Welt kann noch neben viel liebender Tätigkeit und religiösem Eifer bestehen; doch an der Seele desjenigen, der im Verkehr mit der Welt in Treue dem Willen seines Gottes und Vaters folgt, prallen die Macht und der Einfluss der weltlichen Grundsätze ab.

Diesen Willen Gottes in „allen Umständen zu unterscheiden, zu erkennen, dazu gehört viel Gnade. Auf unsere eigene Meinung können wir uns nie verlassen; auch das schwankende und oft getrübte Gewissen ist kein zuverlässiger Führer. Sicher und untrüglich leitet nur das Wort Gottes. Wie einst die Wolken- und Feuersäule bei den Kindern Israel, so muss das Licht des Wortes Gottes unserer Füße Leuchte sein. Selten aber beantwortet das Wort unsere Fragen mit speziellen Anweisungen und Vorschriften. Es wendet sich nicht an Hand und Fuß, indem es sagt: „Tue dies“, oder: „Tue das!“ — „Gehe hin“, oder: „Gehe nicht hin!“ Im Gegenteil, es bringt dich vielleicht in große Herzens-Übung, weil du keine andere Antwort erhältst, als wie einst Naaman von dem Propheten Elisa: „Gehe hin in Frieden!“ Das Wort redet zu deinem Herzen, und seine Sprache ist deutlich und bestimmt. Es stellt allgemeine, immer zutreffende Grundsätze vor deine Seele, wie z. B.: „Liebe nicht die Welt, noch was in der Welt ist“ (1. Joh. 2,15), Es richtet deinen Blick auf Christum, „der dir ein Beispiel hinterlassen hat, auf dass du Seinen Fußstapfen nachfolgest“ (1. Petr. 2, 21), und erinnert dich auf jede Frage daran, dass alle Dinge dieser Erde nicht nach ihren Beziehungen zu deiner Person, sondern nach ihren Beziehungen zu dem von der Welt verworfenen und verachteten Christus zu.beurteilen sind.

Wir müssen Jesum betrachten, sowohl als einträchtige Geschwister untereinander, wie auch als Seine Zeugen in der Welt. Wenn unser Auge auf dem Angesicht des von den Menschen verachteten Sohnes Gottes ruht, drängt sich uns von selbst der Wunsch auf, doch auch, wie Er, als Fremdlinge und Pilgrime diese Welt zu durchschreiten. Wenn schon die Patriarchen, um ihrer Berufung als Fremdlinge zu entsprechen, in Zelten lebten, zufrieden, gleichsam auf der Oberfläche der Erde zu wohnen, und umherzogen, ohne Wurzel zu fassen, wie viel mehr sollte uns das Kreuz Christi, durch welches uns die Welt, und wir der Welt gekreuzigt sind, zu Fremdlingen machen! Und doch findet so mancher unter uns in dieser Welt angenehme Wanderrast, ja sogar lockendes Wanderziel, weil er seine Umgebung nicht mit den Augen des Herrn, sondern durch die Brille seiner alten Natur betrachtet. Ähnlich machten es auch einst die Jünger, als sie vom Ölberg aus mit Bewunderung den Tempel betrachteten. Sie erfreuten sich an der Pracht und Schönheit des stolzen Bauwerks und· riefen aus: „Lehrer, siehe, welche Steine, welche Gebäude!“ Aber was antwortete ihnen der Herr? „Es wird nicht ein Stein auf dem anderen gelassen werden, der nicht abgebrochen werden wird“ (Mark. 13, 2).

Wie schön und herrlich auch die Erde unserem Auge erscheinen mag, das Wort sagt uns, „dass die Gestalt dieser Welt vergeht“. (1. Kor. 7, 31). Und was die Erde selbst betrifft, so ist sie „durch Sein Wort aufbewahrt, für das Feuer behalten auf den Tag des Gerichts und des Verderbens der gottlosen Menschen“ (2. Petr. 3, 7). Die Menschen freilich denken anders; sie meinen, ihre Häuser ständen in Ewigkeit, ihre Wohnungen von Geschlecht zu Geschlecht; sie nennen Ländereien nach ihrem Namen. (Ps. 49, 11.) Und wie sie in ihrem Urteil über die Erde irren, so steht auch ihre ganze Weltanschauung, ihr Denken über die Bestimmung des Menschen in unmittelbarem Widerspruch zu den Aussprüchen Gottes. Die Weisen der Welt sprechen von einer fortschreitenden, erzieherischen Entwicklung der ganzen Menschheit, welche durch den Geist unserer aufgeklärten Zeit immer mehr zur Vollendung komme. Gott aber erklärt, dass die Weltgeschichte eine Geschichte der Sünde ist, und dass der von Gott abgefallene Mensch nicht erzogen, sondern errettet werden muss, wenn er nicht ewig verloren gehen soll. Die fromme Welt meint, der Mensch müsse religiös werden; Gott sagt: er muss von neuem geboren werden. Der Rationalist hofft auf eine langsame Verbesserung, Veredelung des Menschengeschlechtes; Gott aber sagt: der Mensch ist schon gerichtet und kann nicht erzogen werden, ehe Seine Gnade, die heilbringend ist für alle Menschen, ihn errettet hat.

Nun, weil das so ist, und wir in unserem ganzen Denken und unseren Zielen von der Welt abweichen, können wir uns unmöglich dazu berufen fühlen, an der Verbesserung und Verschönerung der Welt mitzuwirken. Wir leben in einer Zeit, welche der Fürst dieser Welt benutzt, um sein Haus durch seine Diener auskehren und schmücken zu lassen, und die Menschen bewundern die Fortschritte der Technik, der Kultur und — wie wir es täglich in den Zeitungen lesen und auch bei Eröffnungen von Ausstellungen hören können — beglückwünschen sich dazu, wie herrlich weit sie es gebracht haben. Die Kinder Gottes können nur dadurch ihren Mitmenschen zum Heile dienen, dass sie, in ernster Absonderung von der Welt, die Ehre Gottes behaupten, für den Gekreuzigten zeugen und den Menschen „das Evangelium verkünden, welches Gottes Kraft ist zum Heil jedem Glaubenden“ (Röm. 1, 16).

„Ihr seid das Salz der Erde«, sagt der Herr in Matth. 5 zu Seinen Jüngern, vor den Ohren der Volksmenge. Es ist eine bildliche, aber leicht verständliche Sprache. Der Einfluss der strafenden und bewahrenden Wahrheit — davon ist das reinigende, erhaltende, vor Fäulnis bewahrende Salz ein Bild — soll von allen denen ausgehen, die durch wahre Buße und Bekehrung zu Gott gebracht sind. Sie sind ermahnt, gegen das Wesen und Treiben um sie her zu zeugen, wie es in Eph. 5, 11 heißt: ,“Habet nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, vielmehr aber strafet sie auch“.

Gott erwartet von uns, dass wir die Kraft Seiner Wahrheit, nach der Weise des Salzes, auf unsere Umgebung wirken lassen, damit dem Verderben gesteuert, und, wer sich noch retten läßt, gerettet werde. Doch wir können nur dann wahre und treue Zeugen der Wahrheit sein, wenn unsere Herzen mit Jesu, „dem treuen und wahrhaftigen Zeugen“ (Offbg. 3, 14), der selbst einst »vor Pontius Pilatus das gute Bekenntnis bezeugt hat“ (1. Tim. 6, 13), eng verbunden sind. Fehlt diese Gemeinschaft, so laufen wir Gefahr, matt, schwach und weltförmig zu werden. „Wenn aber das Salz kraftlos geworden ist, womit soll es gesalzen werden? Es taugt zu nichts mehr, als hinausgeworfen und von den Menschen zertreten zu werden“ (Matth. 5, 13). Öffnen wir unser Ohr dieser ernsten Warnung; denn die Geschichte aller Zeugnisse, welche Gott von Anfang an aufgerichtet hat, (mögen wir Israel oder die Kirche betrachten,) zeigt uns, dass der Mensch stets wieder verdarb, was Gott ihm anvertraute. „Daher, wer zu stehen sich dünkt, sehe zu, dass er nicht falle!“ (1. Kor. 10, 12).

So lange es Zeugen der Wahrheit Gottes in der Welt gibt, wird der volle Abfall aufgehalten; sobald aber kein Salz mehr vorhanden ist, nimmt das Verderben überhand. Erst als Lot aus Sodom errettet war, begann das Gericht über die sündige Stadt. Die ungezügelte Erhebung der Gesetzlosigkeit, welche dem Gericht vorausgeht, wie in 2. Thess. 2 zu lesen ist, kann nicht eintreten, so lange Gott in der Person des Heiligen Geistes, der in jedem Gläubigen wohnt, das Böse zurückhält und Seine Autorität in der Welt wahrt. Gott tut dies durch die Macht, welche aus der Erde in den Regierungen wirksam ist, durch die Obrigkeiten, die ihre Gewalt von Ihm haben. Dieser Charakter bleibt den Obrigkeiten, auch wenn sie ihre Gewalt mißbrauchen. Jesus konnte zu Pilatus sagen: „Du hättest keine Gewalt über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben wåre“. Wie böse Pilatus und später auch Nero sein mochten, ihre Gewalt wird, als von Gott kommend, anerkannt. Darum werden wir auch um des Herrn willen ermahnt, uns jeder Obrigkeit, sei es dem König oder den Statthaltern, zu unterwerfen und Fürbitte für sie zu tun; und wir bringen ein Urteil über uns, wenn wir der Obrigkeit, der Anordnung Gottes, widerstehen (Röm. 13, 2).

Möchte denn, Brüder, unser Salz auch in dieser Weise wirksam sein, dass wir in der gegenwärtigen, jeder Autorität feindlichen Zeit den König ehren, dem Kaiser geben, was des Kaisers ist, und Ehre, dem wir Ehre, Furcht, dem wir Furcht schuldig find! Lasst uns die von der Obrigkeit auferlegten Steuern ohne Murren und Wortstreit entrichten, indem wir uns daran erinnern, dass selbst unser Herr einst Steuern bezahlte, die Er persönlich nicht einmal schuldig war, und die niemand von Ihm zu fordern berechtigt war! Anstatt sich auf Sein Recht zu berufen, bezahlte Er ruhig, „um kein Argernis zu geben“ (Matth. 17, 27).

Und weiter: „Die Obrigkeit ist Gottes Dienerin, uns zum Guten“ (Röm. 13, 4). Sie erlaubt uns, „ein ruhiges und stilles Leben zu führen in aller Gottseligkeit und würdigem Ernst“ (1. Tim. 2, 2). Sollten wir dafür nicht dankbar fein, wie es einst die aus Babylon in das Land ihrer Väter znrückgekehrten Juden waren? Sie unterwarfen sich willig der heidnischen Macht, welcher Gott sie übergeben hatte. Sie nahmen die Gunst des Cyrus und des Artaxerxes an, redeten mit Achtung von den heidnischen Mächten und zeigten sich erkenntlich für die ihnen von denselben erwiesene Güte, indem sie Gott dafür priesen. Aber das alles hinderte sie nicht, ein abgesondertes Volk zu bleiben, und ihre Weigerung, mit den Samaritern eine Verbindung einzugehen, war ebenso aufrichtig, wie die Annahme der Gunst der heidnischen Könige.

So sollte es auch bei uns sein!

Indes ist es nicht nur unsere Aufgabe, als „das Salz der Erde“ hienieden wirksam zu sein, wir sind auch als „das Licht der Welt“ berufen, durch Handel und Wandel, durch Wort und Werk und besonders durch unsere Werke der Liebe die Tugenden Dessen zu verkünden, der uns aus der Finsternis in Sein wunderbares Licht berufen hat. Von Natur sind wir nicht nur blind, sondern auch Finsternis (Eph. 5, 8). Paulus war von dem Herrn zu den Nationen gesandt worden, „um ihre Augen aufzutun, auf dass sie sich bekehrten von der Finsternis zu dem Licht, und von der Gewalt des Satans zu Gott, aus dass sie Vergebung der Sünden empfingen und ein Erbe unter denen, die durch den Glauben an Christum geheiligt sind“ (Apstgsch. 26, 18). Es ist ein mächtiges Werk der Gnade nötig, um solche, wie wir von Natur sind, aus der Finsternis herauszuhoIen. Aber Gott sei gepriesen! Diese Gnade ist da. Wir sind durch den Glauben an Iesum Christum der göttlichen Natur teilhaftig geworden, und sind nun Licht in dem Herrn. Nicht als ob wir in uns selbst Licht wären; nein, wir sind nur Lichtträger, wir empfangen unser Licht einzig und allein von Ihm und durch Ihn· „Denn der Gott, der aus der Finsternis Licht leuchten hieß, ist es, der in unsere Herzen geleuchtet hat zum Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Christi“ (2. Kor. 4, 6).

Wir sind jetzt berufen, „als unbescholtene Kinder Gottes, inmitten eines verdrehten und verkehrten Geschlechts, wie Lichter in der Welt zu scheinen, darstellend das Wort des Lebens“ (Phil. 2, 15. 16). Als Kinder des Lichts können und sollen wir prüfen, was dem Herrn wohlgefällig ist, und die Frucht des Lichts, welche in aller Gütigkeit, Gerechtigkeit und Wahrheit besteht, vor den Menschen offenbaren (Siehe Eph. 5, 9. 10). Immer wieder werden wir ermahnt, gute Werke zu betreiben, den Armen zu helfen, Kranke zu pflegen, Leidende zu trösten, Schwache zu stützen, Gastfreundschaft zu üben.

Wir leben in einer Zeit, wo die Welt sich bemüht, gerade in diesen Tugenden ein gutes Vorbild zu geben, wo Staat und Stadt in den Bestrebungen gesellschaftlicher Fürsorge für Arme, Waise, Kranke, Schwache miteinander wetteifern, wo von weltlichen und christlichen Kanzeln jedermann aufgefordert wird, an den Werken der allgemeinen Menschenliebe teilzunehmen. Sollen wir uns von dem Eifer der Welt, sich wohltätig und hilfreich zu betätigen, beschämen lassen? Nein; aber andererseits wollen wir uns auch darüber völlig klar bleiben, welch eine große Kluft zwischen den sogenannten guten Werken der Menschen und den Früchten des Lichts der Kinder Gottes besteht.

Der natürliche Mensch schaltet bei seinem Gutestun Gott und die Ehre Gottes vollständig aus. Er läßt sich nur durch seinen Willen und durch das Gefühl von seiner vermeintlichen Menschenwürde leiten. Darum beruft er sich auch so gern auf den bekannten Spruch Goethes: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut! Denn das allein unterscheidet ihn von allen Wesen, die wir kennen.“

Wir aber, als Lichter im Herrn, sollen unser Licht vor den Menschen leuchten lassen, damit sie — nicht etwa uns unterscheiden, sondern — damit sie unsere guten Werke sehen und unseren Vater, der in den Himmeln ist, verherrlichen (Matth. 5, 16). Wir sollen unseren Wandel unter den Nationen ehrbar führen, damit die Menschen aus den guten Werken, die sie anschauen, Gott verherrlichen am Tage der Heimsuchung (1. Petr. 2, 12).

Auch Gott fordert den Menschen auf, hilfreich und gütig zu sein, aber wie lauten Seine Worte? „Er hat dir kundgetan, o Mensch, was gut ist; und was fordert Jehova von dir, als Recht zu üben und Güte zu lieben und demütig zu wandeln mit deinem Gott?“ (Micha 6, 8).

Wir lernen aus diesen drei Stellen des Wortes, dass unsere Liebestätigkeit den Mitmenschen gegenüber in erster Linie bezwecken soll, Gott den Armen als den eigentlichen Geber, den Schwachen als den Tröster und den Kranken als den Arzt vor die Seele zu stellen, damit alle durch unseren Liebesdienst veranlasst werden, Gott zu preisen. Nie sollte die eigene Ehre, der eigene Ruhm dabei eine Rolle spielen. Wie könnte ein demütiger Wandel vor Gott damit verbunden sein? „Lass deine Linke nicht wissen, was deine Rechte tut“, sagt der Herr. Wir sollten es deshalb unter allen Umständen vermeiden, bei Fällen öffentlicher Mildtätigkeit, falls wir die Bitte um Mitbeteiligung nicht abschlagen können, irgend eine leitende, in die Augen fallende Stellung einzunehmen, welche An- und Aufsehen für uns mit sich bringt. Dem Herrn zu gefallen ist besser, als unter den Menschen geehrt zu sein, und Fruchtbarkeit vor Gott besser, als aller Ruhm der Welt.

Vielleicht ist es für manchen nützlich, hier an das hübsche Gleichnis zu erinnern, welches Jotham (Richter 9) einst auf dem Gipfel des Berges Gerisim aussprach: Die Bäume bieten dem Olivenbaum die Königswürde an. Der Olivenbaum fühlt sich aber gar nicht versucht, diese Ehre anzunehmen, und sagt: „Sollte ich meine Fettigkeit ausgeben, welche Götter und Menschen an mir preisen, und sollte hingeben, zu schweben über den Bäumen?“

Da haben wir das Bild eines Menschen, der nicht an seine eigene Ehre denkt, dem es genug ist, Gott und den Menschen zu dienen, wenn er auch selbst im Hintergrund bleibt.

Dann wenden sich die Bäume an den Feigenbaum, der sie jedoch mit den Worten zurückweift: „Sollte ich meine Süßigkeit und meine gute Frucht aufgeben, und sollte hingehen, zu schweben über den Bäumen?“ und an den Weinstock, welcher sich gleichfalls weigert, seinen Most, der Götter und Menschen erfreut, aufzugeben, um König über den Bäumen zu sein.

Auch diesen beiden ist es genug, dass andere durch ihre Früchte erquickt und erfreut werden; der Baum, der die Früchte getragen hat, mag vergessen sein.

Doch der Dornstrauch, der nichts hatte, womit er andere erfreuen konnte, ließ sich leicht bewegen, die Königswürde anzunehmen.

Mit jedem Schritt abseits von dem stillen, verborgenen Wandel mit Gott nimmt unsere Fruchtbarkeit vor Gott ab. Nur in einem ungeteilten Herzen, nur in einer wirklich abhängigen Seele kann die Gnade Gottes arbeiten, kann Seine Kraft in Schwachheit vollbracht werden, so dass Fettigkeit, Süßigkeit und Most, woran Gott und Menschen sich erfreuen, hervorkommen. Nur in enger Verbindung mit unserem Herrn, und auch mit unseren Geschwistern, sind wir fähig, vor Gott in der Welt fruchtbar zu sein. Nur „wenn wir Salz in uns selbst haben und in Frieden untereinander sind“ (Mark. 9, 50), vermögen wir die irdischen Verhältnisse mit der Schärfe der göttlichen Wahrheit zu durchsetzen und gegen das böse Treiben der Welt zu zeugen.

Welch ein leuchtendes Vorbild haben wir hier, wie in allein anderen, in unserem hochgelobten Herrn! Wie wurde Gottes Forderung an den Menschen, »Recht zu üben, Güte zu lieben und demütig zu wandeln vor seinem Gott“, durch Ihn verwirklicht! In welcher Harmonie war bei Ihm Gesinnung, Wort und Werk, wie reinigend das Salz, wie hellleuchtend das Licht! Von Ihm hat Lukas an Theophilus geschrieben, „von allem, was Jesus anfing, sowohl zu tun, als auch zu lehren“. Wort und Tat waren bei Ihm in völligster Übereinstimmung.

Wie können wir einem solchen Herrn zeigen, dass Er kostbar für unsere Herzen ist? Durch eine treue Nachfolge. Und wenn wir Ihn, den Gekreuzigten, im Gedächtnis halten, könnten wir uns da wohl der Welt gleichstellen, die Ihn verachtet und hasst, oder gar sie lieben und mit ihr raten und taten? O lasst uns bedenken: Weltsinn und Weltlichkeit ist Gefühllosigkeit gegen den Herrn, der uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat!

Die Versammlung der Leib Christi

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 68ff

Es wäre noch gar manches in Verbindung mit dem „Tische des Herrn« zu sagen. Es sei hier aber nur noch darauf hingewiesen, dass der Tag, an welchem man das Abendmahl von jeher vorwiegend gefeiert hat, nicht unmittelbar geboten ist, —— wir stehen unter Gnade, nicht unter Gesetz, und die Liebe soll die Triebfeder bei all unserem Tun sein, —— dass er aber als der erste Tag der Woche, der Auferstehungstag unseres Herrn und Heilandes, der Beginn der neuen Schöpfung, sich von jeher den Herzen der Gläubigen empfohlen hat und heute noch empfiehlt. Nicht so, dass nur an diesem Tage und an keinem anderen der Tod des Herrn Verkündigt werden dürfte; nein, da ist Freiheit gelassen, aber wir tun sicher wohl, die wenigen Fingerzeige, welche das Wort uns in dieser Beziehung gibt, zu beachten. Des Herrn Tag (so wird der erste Wochentag in Offbg. 1, 10 genannt) und des Herrn Abendmahl (so redet der Apostel in 1. Kor. 11, 20 vom Tische des Herrn) gehören naturgemäß zusammen. Es ist gewiss auch nicht von ungefähr, dass das mit „Tag“ und „Abendmahl“ verbundene griechische Wort kiikizk0s = dem Herrn gehörig, im ganzen Neuen Testament nur an diesen beiden Stellen vorkommt.

So oft denn der erste Tag der Woche, des Herrn Tag, wiederkehrt, an welchem Er einst zum ersten mal nach Seiner Auferstehung mit dem kostbaren Gruß „Friede euch!“ in der Mitte Seiner versammelten Jünger erschien -— so oft wird auch in dem Innern eines seinen Meister liebenden Jüngers ganz besonders der Wunsch wach werden, mit den übrigen Erlösten des Herrn Mahl zu genießen und dort dankbaren Herzens der Liebe zu gedenken, welche einst für ihn an dem schmachvollen Kreuze litt und starb. Es kann sein, dass die Herzen so in Liebe und Dankbarkeit brennen, dass sie die Wiederkehr des nächsten ersten Wochentages nicht erwarten können und vorher, vielleicht gar eine Zeitlang täglich *), des Herrn Mahl feiern. Solche Zeiten besonderer Kraft und Frische hat der Herr zuweilen gegeben. Wir gehen deshalb mit dem schon wiederholt angeführten Schreiber ganz einig, wenn er sagt: „Alle, die dem Herrn im Geist und in der Wahrheit dienen, können unter Umständen das Brot jeden Tag brechen“; aber wenn er dann hinzufügt: „oder alle acht oder vierzehn Tage oder vier Wochen, je nachdem es sich ihnen innerlich nahe legt“, so möchten wir doch fragen: Wie muss es mit einem Christen stehen, dem es sich innerlich nahelegt, immer größere Zwischenräume zwischen die einzelnen Abendmahlsfeiern zu setzen? Regieren da wohl der Herr und Seine Liebe im Herzen, oder haben sich fremde, störende Einflüsse zwischen Ihn und das Herz gedrängt, sei es was es sei?

„So oft ihr dieses Brot esset und den Kelch trinket, verkündiget ihr den Tod des Herrn, bis Er kommt“ (1.Kor. 11, 26.) Bis Er kommt, — und Seine Ankunft ist nicht fern, „die Nacht ist weit vorgerückt“, — soll also dieses Zeugnis fortdauern; bis Er kommt, will der Herr die Seinen immer wieder um sich versammelt sehen; bis Er kommt, soll die ganze Versammlung (Gemeinde) als die Zeugin Gottes in dieser Welt stehen, als das leuchtende Gefäß der in ihr wirkenden Gnade und Macht Gottes. Wunderbare, göttliche Kräfte sind in sie niedergelegt und entfalten sich, wenn die Untreue der Einzelnen und der Gesamtheit ihnen nicht hindernd und störend in den Weg tritt. „Es sind aber Verschiedenheiten von Gnadengaben, aber derselbe Geist; und es sind Verschiedenheiten von Diensten, und derselbe Herr; und es sind Verschiedenheiten von Wirkungen, aber derselbe Gott, der alles in allen wirkt“ (V. 4 — 6).

Beim Lesen dieser Stelle fällt uns sofort, neben der nachdrücklichen Hervorhebung der Einheit in der Verschiedenheit, auf, dass die drei Personen der Gottheit, obwohl nicht gerade im Sinne der Dreieinheit: Gott Vater, Gott Sohn und Gott Heiliger Geist, als wirksam in der Versammlung auf Erden dargestellt werden. Der Geist, der Herr und Gott werden nacheinander genannt, und in Verbindung damit die geistlichen Offenbarungen in drei verschiedenen Beziehungen, gleichsam drei konzentrische Kreise des göttlichen Wirkens: Gnadengaben in Beziehung zu dem Geiste, von welchem sie kommen; Dienste in Beziehung zu dem Herrn, unter dem und zu dessen Verherrlichung sie ausgeübt werden, und Wirkungen in Beziehung zu Gott, denn Er ist es, der alles in allen wirkt. Und weiter, damit niemand denke, der Geist sei nicht Gott oder sei doch Gott untergeordnet, wird gleich nachher gesagt: „Einem jeden aber wird die Offenbarung des Geistes zum Nutzen gegeben. Denn einem wird durch den Geist das Wort der Weisheit gegeben. . . Alles dieses aber wirkt ein und derselbe Geist, einem jeden insbesondere austeilend, wie Er will“ (V. 7 — 11). So wird dem Geiste die Darreichung und Austeilung der verschiedenen Gaben und Wirkungen in dem Leibe zugeschrieben, und zwar soll der Dienst jedes einzelnen Gliedes dem ganzen Leibe zu gute kommen.

Die Versammlung (Gemeinde) war und ist verantwortlich dafür, dass der Absicht Gottes im Blick auf sie entsprochen werde. So wie wir in Eph. 4 lasen, dass der Herr die Gefangenschaft gefangen geführt und den Menschen Gaben gegeben, mit anderen Worten, dass Er Satan besiegt und uns dessen Macht und Herrschaft für immer entrissen habe, so wird uns hier die wunderbare Tatsache vor Augen geführt, dass in dieser Welt, dem Reiche Satans, eine Körperschaft besteht, in welcher der Heilige Geist wohnt, die nicht mehr Satan und seinen Interessen dient, sondern nur einen Herrn, Jesum Christum, kennt, und in welcher der lebendige Gott alles wirkt — ein Leib, dessen Glieder, als Gefäße der in ihnen wirkenden Kraft Gottes, verantwortlich sind, ihre bezüglichen Verrichtungen zu versehen, die vom Geist empfangenen Gaben treu zu verwalten und dem Herrn zu dienen, zum Nutzen des Einzelnen und zur Erbauung des Ganzen. Nicht ein sterblicher Mensch, nicht menschliche Verordnungen, nicht Menschenwitz und Menschenklugheit regieren hier, sondern der Geist gibt, der Herr ordnet an, und Gott wirkt alles in allen; und ich wiederhole: zum Nutzen aller, nicht zur Hervorhebung oder Auszeichnung des Einzelnen.

„Das klingt großartig“, sagt man. Es würde nicht auffallen, wenn solche Worte aus dem Munde oder der Feder eines Ungläubigen kämen, aber einen Gläubigen so reden zu hören, tut weh. Nein, es klingt nicht großartig, es ist göttlich groß. Da war und ist eine Versammlung auf dieser Erde, in welcher Gottes Weisheit sich so offenbart, dass die Fürstentümer und Gewalten in den himmlischen Örtern staunend und bewundernd aus sie herniederschauen (Eph. 3, 10). Da ist eine Kraft in dieser Versammlung wirksam, dass ein in sie eintretender Ungläubiger oder Unkundiger so von ihr überführt und überwältigt werden kann, dass er auf sein Angesicht fällt und anbetend verkündigt, dass Gott wirklich in ihrer Mitte ist. (1. Kor. 14, 24. 25). Ganz gewiss wird auf die Frage, inwieweit die göttlichen Gedanken und Absichten praktisch von uns verwirklicht werden, die Antwort immer demütigend für uns ausfallen; aber sollten wir deshalb den göttlichen Boden verlassen und mit weniger zufrieden sein, als Gott uns geschenkt hat? Sollten wir den Ratschluss Gottes hinsichtlich Seiner Gemeinde aufgeben und dafür die menschlichen Gedanken annehmen über Kirchen und deren Einrichtungen, über die „Gründung biblischer Gemeinden“ mit ihren selbstgewählten Predigern, Vorstehern und Leitern, mit ihren Satzungen und Namen, wodurch die Wahrheit von dem einen Leibe tatsächlich geleugnet wird? Sollten wir, weil das Fleisch sich an die Stelle des Geistes drängen und Unordnung und Unheil anrichten kann, Verzweifelnd sagen: Eine Geistesleitung ist unmöglich, und wir müssen uns selbst helfen, so gut es geht? Nimmermehr!

Mögen auch Verfall und Verwirrung noch so groß geworden sein, es bleibt bestehen: „Gleichwie der Leib einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich viele, ein Leib sind: also auch der Christus. Denn auch in einem Geiste (dem Heiligen Geiste) find wir alle zu einem Leibe getauft worden, es seien Juden oder Griechen, es seien Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geiste getränkt worden“ (V. 12. 13). Der Glaube darf heute wie immer in dieser kostbaren Wahrheit ruhen. Nachdem die Frage der persönlichen Errettung für den Glaubenden geordnet ist, tritt er in den Kreis der Familie Gottes ein, es beginnt für ihn das gemeinschaftliche, korporative Verhältnis. Durch den Heiligen Geist auf Erden errichtet, besteht dieses Verhältnis und bleibt bestehen, mag die Untreue des Menschen in seine äußere Darstellung auch so viele Löcher gerissen haben, dass kaum noch einzelne Trümmer übriggeblieben sind. Da ist, Gott sei gepriesen! ein Leib, bestehend aus allen wahren Gläubigen, und in ihm wirkt ein und derselbe Geist. Der Glaube erfasst diese unveränderliche göttliche Wahrheit, und indem er das tut, wird der Gläubige aus all den verschiedenen Gemeinden und Körperschaften mit ihren mannigfaltigen Abstufungen herausgehoben und auf den Boden des einen Leibes gestellt, in welchem es nach Gottes Gedanken nie eine Spaltung gibt. (V. 25.) Er weiß nicht nur, dass er persönlich in Christo ist (2. Kor. 5, 17), sondern dass er nun auch einen Platz in der Versammlung (Gemeinde) hat, dass er ein Glied an dem Leibe ist, Von Gott an seinen bestimmten Platz gebracht, „Wie es Ihm gefallen hat“ (V. 18), und dass infolge dessen die ernste Verantwortlichkeit auf ihm ruht, diesen Platz nach Gottes Gedanken auszufüllen.

Ach! dass die Arbeiter des Herrn« in unseren Tagen mehr ihre heilige Pflicht verstehen möchten, die Neubekehrten weiterzuführen und sie heranwachsen zu lassen zu Christo, dem Haupte, hin! Paulus, der nicht nur Diener des Evangeliums, sondern auch Diener der Versammlung war, ermahnte und lehrte jeden Menschen in aller Weisheit, um jeden Menschen vollkommen (erwachsen) in Christo darzustellen. Statt dessen ist man heute meist schon zufrieden, wenn ein Mensch bekennt, Vergebung seiner Sünden gefunden zu haben; man überlässt es ihm, „sich irgendwo anzuschließen“, je nach Belieben, da wo es ihm am besten passt. Ja, indem man noch ein Übriges tut und ihm ein Verzeichnis der am Orte bestehenden christlichen Gemeinschaften in die Hand drückt, damit er so leichter seine Auswahl treffen könne, meint man sehr brüderlich und nach den Grundsätzen wahrer christlicher Freiheit gehandelt zu haben. O welch bittere Tränen würde Paulus vergießen, wenn er dem heute zuschauen müsste, und mit welch heiliger Entrüstung würde er die also Handelnden zurechtweisen!

Die Art und Weise, wie der Heilige Geist Seine Gnadengaben darreicht, ist nicht Konzentration, Vereinigung aller Gaben in einer einzelnen Person, sondern Verteilung im weitesten Sinne: Er gibt vielen, allen, dem einen so, dem anderen so. Es ist hier nicht der Platz, von den verschiedenen Gnadengaben im Einzelnen zu reden; es sei nur darauf hingewiesen, dass der Geist austeilt, wie Er will, in reichster Mannigfaltigkeit, und dass Gott alles in allen wirkt. Da gibt es hervorragende, „wohlanständige“ Glieder, wie Hand und Fuß, Auge und Ohr, und da sind verborgene, „unehrbarere“ Teile des Körpers. Aber alle sind nötig und gerade da nötig, wo Gott ihnen ihren Platz angewiesen hat. Denn „wenn alle ein Glied wären, wo wäre der Leib? Nun aber sind der Glieder zwar viele, der Leib aber ist einer“ (V. 19. 20). Und vorher: „Denn gleichwie der Leib einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich viele, ein Leib sind: also auch der Christus“ **) (V. 12).

O wenn die Gläubigen nur einfältig und vorurteilsfrei auf die Belehrungen des Wortes lauschen wollten, wie bald würden alle Schwierigkeiten schwinden! Alle, die des Herrn sind, sind durch einen Geist zu einem Leibe getauft. (V. 13.) Nicht der Glaube ist das Band der Einheit — er ist rein persönlich, er gibt Leben, aber vereinigt nicht, wenngleich er die Glaubenden zur Vereinigung passend macht. Nicht Einstimmigkeit im Blick auf die verschiedenen Teile der göttlichen Wahrheit, nicht gleiche Gefühle, Ansichten sc. Bilden das Band der Einheit, so begehrenswert eine solche Einstimmigkeit sein mag — nein, die Taufe mit dem Heiligen Geiste, die nach dem Glauben kommt (vergl. Eph. 1, 13), ist es, die das Einheitsband um alle Erlösten schlingt, und das Ergebnis davon ist eben der eine Leib. Darum sagte der Herr auch Seinen Jüngern nach Seiner Auferstehung: „Ihr werdet mit Heiligem Geiste getauft werden nach nunmehr nicht vielen Tagen“ (Apstgsch. 1, 5). Der eine Leib hatte bis dahin nie bestanden. Erst mit dem Pfingstfest begann sein geschichtliches Bestehen auf dieser Erde, und der Geist, der damals herniederkam, wird bei uns und in uns bleiben in Ewigkeit (Joh. 14, 16. 17). Das Band ist unzerreißbar, das Verhältnis für alle Ewigkeit gegründet. Aber vergessen wir nicht, dass es nicht erst in der Ewigkeit gesehen werden soll, sondern dass es schon in dieser Zeit und für diese Zeit besteht, und dass alle, die ihm nicht Rechnung tragen, den Herrn verunehren und Seine Rechte nicht beachten.

Was also den Leib in besonderer Weise kennzeichnet, ist, dass er aus vielen Gliedern besteht, und dass jedes einzelne Glied des anderen bedarf, dass das eine auf das andere angewiesen ist und nicht sagen kann: „Ich bedarf deiner nicht“, oder: „Weil ich nicht dies oder das bin, so bin ich nicht von dem Leibe“ -genau wie in dem menschlichen Organismus; und ferner, dass kein Glied seinen Platz, oder seine Tätigkeit selbst wählen kann, dass auch nicht andere Glieder befugt sind, ihm einen Platz anzuweisen, sondern „dass Gott den Leib zusammengefügt hat, indem Er dem Mangelhafteren reichlichere Ehre gegeben, auf dass keine Spaltung in dem Leibe sei, sondern die Glieder dieselbe Sorge füreinander haben möchten“.(V.24.25). Der Leser beachte wohl das Wort: die „Glieder“, nicht etwa die „Gemeinschaften“, die „Benennungen“, als wären diese in ihrer Gesamtheit Glieder des Leibes und aufeinander angewiesen, füreinander nötig. Man hat es so zu erklären gesucht, so unglaublich es klingen mag; aber wozu ist der Mensch in seinem Eigenwillen nicht fähig! Die Glieder des Leibes sind die einzelnen Gläubigen, nicht aber die verschiedenen religiösen Körperschaften, welche der Mensch gebildet hat. Diese stehen vielmehr, als die Ergebnisse der Parteisucht des Menschen, in unmittelbarem Widerspruch mit der ganzen Lehre unseres Kapitels, sind eine praktische Leugnung der Einheit des Leibes, so viel man auch theoretisch von dieser Einheit reden mag.

Wir haben schon weiter oben gesagt, wie wichtig es für jedes Glied ist, seinen Platz am Leibe zu kennen und sich nicht über die anderen Glieder zu erheben, oder diese zu beneiden, indem man mit dem eigenen, anscheinend unwichtigeren Platze unzufrieden ist. Wie töricht wäre es und welch ein Zerrbild würde sich ergeben, wenn im menschlichen Körper jedes Glied denselben Platz und dieselbe Tätigkeit haben wollte! Welch eine Unordnung und welch ein Nachteil für den ganzen Organismus würde schon entstehen, wenn nur eines seine Tätigkeit einstellen oder die eines anderen Gliedes übernehmen wollte! „Wenn der ganze Leib Auge wäre, wo wäre das Gehör? wenn ganz Gehör, wo der Geruch?“ (V. 17). Nein, so wie im menschlichen Körper alles wunderbar nach göttlicher Weisheit geordnet ist, so auch in der Versammlung. Da hat „Gott jedes einzelne Glied“, das kleinste wie das größte, das herrlichste wie das mangelhafteste, ,,gesetzt, wie es Ihm gefallen hat«, und wahrlich, wir können nichts Besseres, nichts Weiseres tun, als uns der Anordnung unseres Gottes und Vaters zu unterwerfen, und nichts Böseres und Törichteres, als unseren eigenen Gedanken und Meinungen zu folgen.

So ist denn der Leib einer, der Glieder aber sind viele. Aber so viele es ihrer auch geben, und so verschieden ihre Bestimmung und Berufung sein mag, die Einheit des Leibes erleidet dadurch keine Einbuße. Im Gegenteil, wie schön und harmonisch sind die Bewegungen eines Menschen, bei welchem jedes Glied richtig ausgebildet ist und seinen Platz und seine Bestimmung am Leibe nach des Schöpfers Willen ausfüllt! Ach, wenn es so doch auch in dem Leibe Christi wäre! Aber wie viel Eigenwille, Selbstbestimmung, Neid, Eifersucht, Unzufriedenheit und Überhebung zeigt sich da! Auch wie viel Unwissenheit und Unbekanntschaft mit Gottes Gedanken! Ich rede jetzt natürlich nur von Kindern Gottes, von Gliedern am Leibe Christi. Der eine nennt sich Prediger (Hirte) dieser oder jener Kirche oder Gemeinschaft, und bedenkt nicht, dass er sich dadurch in unmittelbaren Widerspruch mit Gottes Wort und Willen setzt; der andere sagt: „Ich bin ganz frei; ich gehe, wohin es mir beliebt, und arbeite, wo man mich haben will“, und weiß gar nicht, dass er dadurch seine Abhängigkeit von dem Haupte leugnet und die Segenskanäle verstopft, die von anderen Gliedern des Leibes zu ihm und von ihm zu anderen führen sollten. Zu welchem Zweck hat Gott die Glieder an dem Leibe gesetzt, in welcher Absicht teilt der Geist Seine Gnadengaben aus und beruft der Herr Seine Knechte in Seinen Dienst? „Auf dass die Versammlung Erbauung empfange“ (1. Kor. 14, 5. 12. 26), und auf dass „die Glieder dieselbe Sorge füreinander haben möchten“. O wie viel Segen geht auch in dieser Beziehung durch die unheilvolle Zersplitterung der Gläubigen verloren! Da sind Evangelisten, Hirten und Lehrer überall in den verschiedenen Benennungen zerstreut und durch die Schranken und Zäune, durch die Spaltungen und Trennungen in der Ausübung ihrer Gaben eingeschränkt, behindert, ja, vielfach völlig lahm gelegt. Welch ein Verlust das für sie und für die Versammlung (Gemeinde) im allgemeinen ist, wer könnte das auch nur annähernd beschreiben!

Wem zu gute werden die verschiedenen Gaben gegeben? Dem ganzen Leibe, nicht einem kleinen Bruchstück desselben. „Einem jeden aber wird die Offenbarung des Geistes zum Nutzen gegeben.“ So verschieden die Gaben, Dienste und Wirkungen sein mögen, sie alle sollten in einer Weise ausgeübt werden und sich offenbaren, dass die göttliche Einheit des Ganzen ans Licht träte und dem Wohl und der Förderung des Ganzen gedient würde. Diese Einheit besteht vollkommen mit der Verschiedenheit der Glieder, und umgekehrt die Verschiedenheit der Glieder steht in vollem Einklang mit dem einen Leibe. Aber wohin ist man in der Christenheit gekommen! Einerseits erwartet man, dass eine und dieselbe Person all die verschiedenen Gaben in sich vereinige und ausübe, und andererseits begegnet man schier zahllosen „Leibern“, die alle voneinander verschieden und einander entgegengesetzt sind. Und warum ist das so? Hauptsächlich deshalb, weil man die Wahrheit Gottes bezüglich des einen Geistes und des einen Leibes außer acht gelassen, die Abhängigkeit vom Herrn vergessen und so in seiner Not zu menschlichen Erfindungen und Einrichtungen seine Zuflucht genommen hat.

Was ist das Heilmittel? Ein Mittel zur Heilung des allgemeinen Verfalls und Verderbens gibt es nicht. Es bleibt nur dem Einzelnen übrig, von allem abzustehen, was dem Worte Gottes zuwider ist, und mit denen, die ebenfalls dem Herrn treu sein möchten, zurückzukehren zu dem, „was von Anfang war“, —- nicht in hochmütiger Beurteilung der übrigen, sondern in demütiger Beugung unter die gemeinsame Schuld und in aufrichtigem Bekenntnis der eigenen.

Wie innig die Verbindung der Glieder des Leibes ist, geht besonders aus den Worten hervor: „Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, oder wenn ein Glied verherrlicht wird, so freuen sich alle Glieder mit“ (V. 26). Dies ist ganz besonders wahr, wenn es sich um eine örtliche Versammlung, die Darstellung des Leibes Christi in einer Stadt, einem Dorfe usw. handelt, wie hier in Korinth: „Ihr (Korinther) seid der Leib Christi *) und Glieder insonderheit“ (V. 27). Aber es ist auch wahr im weiteren, alle Glieder umfassenden Sinne. Es ist ganz unmöglich, dass ein Glied (in geistlichem Sinne) erkranke oder blühe und erstarke, ohne dass die anderen Glieder davon beeinflusst würden. Denken wir nur nicht, dass ein Übel an irgend einem Teile des Leibes Christi ausbrechen könnte, sei es selbst in einem ganz anderen Lande oder Erdteil, ohne dass wir dadurch berührt würden und darunter litten. Fühlen es die Glieder eines menschlichen Leibes nicht, wenn ein Fuß oder eine Hand erkrankt? Wird nicht sofort der ganze Leib in Mitleidenschaft gezogen? Genau so ist es in dem Leibe Christi. Er wäre kein einheitliches organisches Ganzes, wenn es anders wäre. Dass der gegenwärtige Zustand der Zerrissenheit und Weltförmigkeit die geistliche Empfindsamkeit überaus vermindert hat, liegt auf der Hand, — der ganze Organismus ist krank, schwerkrank, — aber sie ist noch da und wird erhalten durch den Heiligen Geist, der in dem Leibe wohnt. Der Herr schenke uns und all den Seinigen, diese Wahrheit in ihrem ganzen tiefen Ernst zu erfassen und zu verwirklichen! Wie völlig hat man sie vergessen!

Es bleibt uns noch übrig, der Verschiedenheit der Gaben und Dienste zu gedenken. „Und Gott hat etliche in der Versammlung gesetzt: erstens Apostel, zweitens Propheten, drittens Lehrer, sodann Wunderkräfte, sodann Gaben der Heilungen, Hilfsleistungen, Regierungen, Arten von Sprachen. Sind etwa alle Apostel? Alle Propheten? alle Lehrer? haben alle Wunderkräfte? haben alle Gnadengaben der Heilungen? reden alle in Sprachen? legen alle aus?“ (V. 28 — 30). Noch einmal wird in der deutlichsten Weise bestätigt, dass Gott es ist, der den Gliedern und Gaben in der Versammlung ihren bezüglichen Platz und Dienst anweist. Der Mensch oder die Versammlung haben nichts mit einer Beauftragung oder Bestätigung zu tun, es sei denn in dem ausschließlichen Sinne, dass sie die von Gott geschenkten Gaben anerkennen und sich den von Ihm gegebenen Lehrern und Führern unterwerfen. Die Quelle aller Autorität und Macht ist in Gott. Weder ein Apostel noch ein Prophet noch ein Lehrer bedurfte einer Einsetzung oder Bestätigung seitens der Menschen. Der Herr berief und befähigte einen Menschen zu dem Werke, das er tun sollte, und Er tut es heute noch; und der Geist leitet sowohl diesen Einzelnen an, treu zu sein in der Ausübung seiner Gabe, als auch die anderen, ihn darin anzuerkennen. Darum: „Je nach dem ein jeder eine Gnadengabe empfangen hat, dienet einander damit als gute Verwalter der mancherlei Gnade Gottes“ (1. Petr. 4, 10).

Die Fragen des Apostels in Vers 29 und 30 weisen ferner auf die bereits erwähnte Tatsache hin, dass die verschiedenen Gaben unter die Glieder des Leibes verteilt sind, so dass weder einem alle Verrichtungen obliegen, noch alle dasselbe zu tun haben. Je nach dem ein jeder empfangen hat, soll er in Einfalt und Treue dienen, und alle sollen eifern um die größeren Gnadengaben, die zur Erbauung der Gläubigen und nicht zum äußeren Schmuck der Versammlung oder zu einem Zeichen für die Ungläubigen (vergl. Kap. 14, 22) dienten. Die Korinther waren kindisch genug, — und wie viele Gläubige unserer Tage gleichen ihnen darin! — nach der mehr ins Auge fallenden, aber geringsten Gabe des Zungenredens zu trachten und die weit gesegnetere und deshalb „größere“ Gabe des Redens zur Erbauung, Ermahnung und Tröstung gering zu schätzen (Vergl. Kap. 14, 1 — 5).

Aber so begehrenswert es war, diese größeren Gaben zu besitzen — es gab doch noch etwas Höheres, Begehrenswerteres. „Einen noch vortrefflicheren Weg zeige ich euch«, sagt der Apostel, und dann redet er von der Liebe. Das ist der beste, vortrefflichste Weg, auf welchem wir wandeln, dienen und Gott verherrlichen können. Was könnte es mir nützen, wenn ich Prophezeiung hätte und alle Geheimnisse und Erkenntnis wüsste, ja, wenn ich selbst den Glauben besäße, Berge versetzen zu können, und hätte nicht Liebe? Ich wäre nichts! Was sind Prophezeiungen, Sprachen und Erkenntnis im Vergleich mit der Liebe? Sie alle werden aufhören und weggetan werden; aber die Liebe bleibt. Sie ist die Natur Gottes und deshalb ewig. Wo man „von Gott gelehrt ist, einander zu lieben“ (1. Thess. 4, 9), da grünt und blüht alles, da schwinden Eigenliebe, Neid und Ehrfucht, da herrscht der Friede des Christus in den Herzen, und Wort und Feder dienen nicht zum Unsegen und zur Entzweiung, sondern zur gegenseitigen Erbauung und Tröstung.

Möchte denn an uns und allen unseren geliebten Geschwistern der Wunsch oder das Gebet des Apostels in Erfüllung gehen: ,,Euch aber mache der Herr völlig und überströmend in der Liebe gegeneinander und gegen alle. . ., um eure Herzen tadellos in Heiligkeit zu befestigen vor unserem Gott und Vater, bei der Ankunft unseres Herrn Jesu mit allen Seinen Heiligen“ (1.Thess. 3, 12.)

„Wer seinen Bruder liebt, bleibt in dem Lichte, und kein Ärgernis ist in ihm“ (1. Joh. 2, 10).

Fußnote:

*) In der allerersten Zeit hat man anscheinend täglich das Abendmahl gefeiert: „Indem sie täglich einmütig im Tempel verharrten und zu Hause das Brot brachen“ (Apstgsch. 2, 46)

**) Auch ein beachtenswertes Wort. Wir würden erwarten: „also auch die Versammlung“ (Gemeinde), aber nein: „also auch der Christus“, d. i. jener geheimnisvolle Mensch der Ratschlüsse Gottes, von welchem wir bei der Betrachtung von Eph. 2 schon hörten. Christus und die Versammlung sind eins, Er das Haupt, sie der Leib.

***) d. h. nicht unabhängig von anderen Versammlungen, sondern in Verbindung mit ihnen, aber in vertretender Weise für den Ort

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Der Herr ist nah, ganz nah!

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 84ff

Der Herr ist nah, ganz nah! – Das letzte Glied,

mit dem der Vollzahl Gnadenring sich rundet,

ist eingefüget bald. Der Geist bekundet

verheißne Wunder, die kein Herz erriet.

Der Herr ist nah, ganz nah! – Bald ist`s genug

Gehäuften Erdenwehs. Mit güt`gen Händen,

mit Händen, die der Eisenpflock durchschlug,

wird tränenstillend Er die Trübsal enden.

Der Herr ist nah, ganz nah! – Schon schimmert`s hell,

wie Morgenröte durch der Zeiten Dämmern.

Beim Erdenpendelschlag im Werktagshämmern,

stehn wir bereit zum göttlichen Appell.

Der Zeit aufdringlich lärmend Marktgeschrei

soll nimmer unser lauschend Ohr betäuben,

des Tages farbenbuntes Vielerlei

nicht unser Auge mählich überstäuben.

Der Herr ist nah, ganz nah! – Das Herz, es schwillt

In freud`gem Harre, dass Er heute käme,

des Leibes morsche Hülle von uns nähme,

bekleidend uns mit himmlischen Gebild.

Das Ende eilt! Schon glimmet hie und da

ein heimlich Züngeln von verdeckten Bränden,

und Umsturzstürme rütteln fern und nah

verderbendrohend schon an festen Wänden.

Der Herr ist nah – Posaunen Sein Signal!

Ein Heroldsruf dringt bald in Gräbertiefen.

Die heilgen Scharen, die ein Weilchen schliefen,

erstehn, der Fessel frei, in selger Zahl.

Und sieh, in Ost und West, in einem Nu,

bei den Erlösten gibt`s ein staunend Stocken,

vereint dem Erstling dann, der Heimat zu,

ein freudig Aufwärtsziehen mit Frohlocken!

K.

Wie ein Schlauch im Rauche

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 95ff

„Denn wie ein Schlauch im Rauche bin ich geworden; deine Satzungen habe ich nicht vergessen“ (Psalm 119, 83).

Wenn wir die ganze Abteilung des Psalmes lesen, in welcher diese Worte vorkommen, so werden wir finden, dass darin von Leiden die Rede ist, und zwar von einem Leiden, welches das Rufen um Erlösung immer dringender macht, und das sich in den Worten kundgibt: „Wann wirst du mich trösten? . . . Wann wirst du Gericht üben an meinen Verfolgern? . . . Hilf mir!“ Der Gläubige, der hier spricht, befindet sich unter dem Druck einer Prüfung, die bis zum Äußersten gekommen ist (Vers 87), und nichts bleibt ihm übrig, als auf den Herrn zu warten, der ihn daraus erretten kann. Er wartet indessen im Vertrauen auf Gottes Wort, in welchem ihm die Zusage gegeben ist, dass der Herr das Rufen aller derer hört, die auf Ihn vertrauen und in Seinen Satzungen wandeln, mögen sie auch den Zeitpunkt nicht kennen, da Gott sich aufmachen wird, um den auf Ihn Harrenden aus der Macht derer zu befreien, welche ihn ohne Ursache hassen und verfolgen.

Welcher Art das Leiden ist, wird uns in dem Bilde eines im Rauche hangenden Schlauches gezeigt. Um dieses Bild verstehen zu können, müssen wir uns das Zelt eines Morgenländers vorstellen. In der Spitze des Zeltes hängt ein Schlauch, in welchem der Wein aufbewahrt wird (Matth. 9, 17). Im Zelte selbst brennt ein offenes Feuer; der Schlauch ist somit fortwährend dem nach oben abziehenden Rauche des Feuers ausgesetzt, so dass er seine Farbe und Form verliert, schwarz wird und zusammenschrumpft. Glücklicherweise leidet der Wein darunter nicht; im Gegenteil, man sagt, —— und es kann sehr wohl möglich sein, — dass der neue Wein durch die Hitze des Feuers rascher reif zum Trinken werde. Ist das wahr, so empfängt das Bild für uns noch eine schöne Bedeutung, denn dann sehen wir, dass der erstickende Rauch wohl unangenehm ist für den Schlauch, aber gerade heilsam für den Inhalt.

Wenn wir mit diesem Bilde vor Augen das Leiden des treuen Überrestes von Israel in den letzten Tagen betrachten, so empfangen wir eine richtige Vorstellung, nicht allein von den tiefgehenden Leiden dieses Überrestes, sondern auch von der Wirkung jenes Leidens und von dem Zwecke, dem es dient. Zum besseren Verständnis des Gesagten ist es nötig, den Zustand des Überrestes, so wie er uns im 119. Psalm beschrieben wird, ein wenig näher zu betrachten. Nach aller Untreue, in welcher das Volk gewandelt hat, finden wir den Überrest zufolge dieses Psalms zu Gott zurückgekehrt, die Seele kann sich wieder mit Vertrauen zu Ihm wenden inmitten alles Elends und aller Bedrückung. Das Gesetz ist, wie es aus diesem Psalm hervorgeht, in ihre Herzen geschrieben. Darum heißen sie „glückselig“; sie wandeln nicht im Rate der Gottlosen und stehen nicht auf dem Wege der Sünder, noch sitzen sie im Kreise der Spötter, sondern ihre Lust ist am Gesetz Jehovas, und sie sinnen über- dasselbe Tag und Nacht. (Vergl. Psalm 1, 1. 2).

Was hier von dem Zustand des Überrestes Israels gesagt wird, ist im Grunde genommen auch für jede Seele zutreffend die von Gott abgeirrt und wieder zu Ihm zurückgekehrt ist, auf welche Weise die Rückkehr auch geschehen sein mag. Der Herr ist frei in der Wahl der Mittel, und Er weiß stets das rechte Mittel zu wählen, um die Seele zur Rückkehr zu bringen. In den meisten Fällen wählt Er dazu, wie bei Israel, Leiden und Demütigung. Das Gewissen wird dadurch aufgeweckt, und die Seele kommt zu Gott zurück mit Bekenntnis der Schuld. Das Vertrauen kehrt dann zurück, und das gedemütigte Herz ist glücklich in der Gegenwart Gottes, wenn auch das Leiden, als Folge der Untreue und Abirrung, noch fortdauern mag. In diesem Charakter müssen wir uns das Leiden des Überrestes Israels denken, wie es in diesem Psalm geschildert wird. Die Seele ist wiederhergestellt, sie hofft auf Gott, sie vertraut auf Sein Wort, erwartet von Ihm die Errettung aus der Macht der Feinde, und sie kann das tun, obgleich der Rauch noch um den Schlauch wirbelt und ihn zusammenschrumpfen lässt.

Wie bemerkt, ist dies im Grunde genommen die Erfahrung jeder Seele, die in Wahrheit zu Gott zurückgekehrt ist. Doch darf uns dieses nicht verleiten, den Unterschied zwischen Israel und der Versammlung (Gemeinde) aus dem Auge zu verlieren. Der aufrichtige Israelit wandelt in den Satzungen des Herrn und findet seine Freude darin, wohingegen der an Christum Glaubende außerdem die Liebe des Vaters kennt und genießt (Luk. 15). Bei dem Gläubigen der Gegenwart ist alles Gnade, und auf diese Gnade setzt er auch seine Hoffnung, was die in der Zukunft liegenden Segnungen betrifft, während der treue Überrest Israels erwartet, dass Gott ihm Recht schaffe, weil er in den Satzungen Jehovas wandelt, obschon er weiß, dass diese Erwartung sich auf die Güte des Herrn stützt.

Das Bild von dem „Schlauch im Rauche“ lässt nicht zu, dass wir an ein anderes denn ein äußeres Leiden denken; und in diesem Lichte betrachtet, können wir es ebenso gut anwenden auf den Gläubigen in dieser Zeit als auf den Überrest Israels am Ende der Tage. Auch für uns wird die Schule des Leidens erst geschlossen beim Verlassen dieser Erde, mag dies nun geschehen durch das Kommen des Herrn Jesu, oder dadurch dass wir durch den Tod eingeführt werden in die ewige Ruhe, die da bleibt für das Volk Gottes.

Das Leiden und die Prüfungen verändern ihren Charakter nicht, wenn wir auch auf einem anderen Boden stehen als der Überrest und unsere Beziehungen zu Gott als Vater viel inniger sind als diejenigen Israels. Der Gläubige wird beim Lesen der Heiligen Schrift oft daran erinnert und wird mit dem Zweck des Leidens bekannt gemacht. Wird dieser Zweck aus dem Auge verloren, so kann man sich wohl in das Leiden schicken, weil es nun einmal nicht anders ist, wie der Fatalist sich in sein Schicksal ergibt; aber das Herz ist unglücklich. Das will der Herr nun bei den Seinen verhüten, und darum richtet Er unser Auge auf die Offenbarung Christi in Herrlichkeit, worin wir frohlocken, wenn wir auch für eine kurze Zeit, wenn es nötig ist, betrübt sind durch mancherlei Versuchungen (1. Petr. 1, 5. 6). In demselben Briefe, in welchem die Gläubigen in diesen Leiden betrachtet werden, wird ihnen auch gesagt: „Geliebte, lasst euch das Feuer der Verfolgung unter euch, das euch zur Versuchung geschieht, nicht befremden, als begegne euch etwas Fremdes, sondern insoweit ihr der Leiden des Christus teilhaftig seid, freuet euch, auf dass ihr auch in der Offenbarung Seiner Herrlichkeit mit Frohlocken euch freuet“ (1. Petr. 4, 12. 13). So finden wir denn auch hier denselben Gedanken wie in dem Bilde von dem Schlauch im Rauche, und der, welcher das Wort des Herrn (Seine Satzungen) nicht vergisst, wird durch das kostbare Wort gestärkt und ermutigt werden.

Wir dürfen freilich nicht vergessen, dass in den Briefen des Petrus, die an Gläubige aus den Juden geschrieben sind, vornehmlich die Rede ist von Leiden um Christi willen. Die Gläubigen werden ermahnt, sich dieser Leiden nicht zu schämen. Als Christ zu leiden war keine Schande; im Gegenteil, es diente zur Verherrlichung Gottes, weil es ein Leiden war um des Namens des Herrn willen. Wenn jemand litt um etwas Böses, das er getan hatte, sei es als Mörder, Dieb, Übeltäter oder als einer, der sich in fremde Sachen mischte, so hatte er Grund sich zu schämen. Vor diesen Dingen mussten die Gläubigen sich bewahren, denn solches Leiden diente nicht zur Verherrlichung Gottes; im Gegenteil, sie gaben dadurch Anlass, dass der Name des Herrn verlästert wurde.

Aber wenn auch in den Briefen des Apostels Petrus die Leiden um Christi willen im Vordergrunde stehen, können wir doch die schöne Belehrung, die uns in dem Bilde des 119. Psalms gegeben wird, ohne Sorge auf die Leiden der gegenwärtigen Zeit anwenden. Die Hauptsache, auf welche es ankommt, ist der kostbare Inhalt des Schlauches: „Deine Satzungen habe ich nicht vergessen“. Dieser Inhalt muss bewahrt werden, denn nur so werden wir gestärkt auf dem oft so schwierigen Pfade durch das Land unserer Fremdlingschaft.

Stellen wir uns nochmals den Zeltbewohner Vor. Nach einer mühsamen Reise, gequält durch die Hitze der Mittagssonne und den heißen Sand der Wüste, der seine Füße zu versengen droht, inmitten zahlloser Gefahren, kommt er endlich an einen Ruheplatz. Er schlägt sein Zelt auf, um ein wenig auszuruhen und sich von den ausgestandenen Strapazen zu erholen. Was dünkt euch, wird jetzt sein Auge nicht zu allererst auf den Schatz fallen, der in dem Schlauche verborgen ist, auf den Wein, den Gott dem Menschen zur Freude seines Herzens gegeben hat? (Ps. 104, 15; vergl. Richter 9, 13). Wird nicht ein Trunk davon ihn erquicken und stärken, um mit erneutem Mut seine Reise fortzusetzen, trotz aller Hindernisse und Beschwerden, bis er das Endziel, das Land der Ruhe, erreicht hat, wo alle durchgemachten Beschwerden und Mühsale für immer vergessen sein werden?

Nun, wie der Zeltbewohner das Auge auf den Wein richtet, so richten wir. unser Auge auf den Herrn, wenn wir in Leiden sind und geprüft werden. Der Herr benutzt Sein Wort, um dem Müden Kraft zu geben und Stärke dem Unvermögenden. Der Gott alles Trostes wendet sich durch Sein Wort an die betrübten Herzen, damit sie nicht durch Traurigkeit verschlungen werden. Viel ließe sich noch hierüber sagen, wenn wir uns die vielen Wege und Umstände vergegenwärtigen wollten, in welchen die Gläubigen auf Gott rechnen können, dessen Zeugnisse sie aufrecht halten und vor dem Ermatten bewahren.

„Von aller Vollkommenheit habe ich ein Ende gesehen“, heißt es im 96. Verse unseres Psalmes, und darum kann es dem Zeltbewohner auch geschehen, dass der Wein zu mangeln beginnt. Diese Furcht besteht jedoch nicht im Blick auf die Satzungen des Herrn, denn „dein Gebot ist sehr weit“. Welch köstliche und segensreiche Erfahrungen kann der Gläubige machen, der bei dem, was ihm auf dem Wege durch dieses Leben begegnet, die Satzungen des Herrn nicht vergisst! Leider, leider vergessen wir sie zu oft. Darum sollten wir dem Herrn immer wieder für Seine Güte und Gnade danken, wenn Er uns aufs neue an die Kostbarkeit derselben erinnert.

Die Gefahr, die Satzungen des Herrn zu vergessen, ist manchmal größer, als wir uns selbst bewusst sind. Um dies ein wenig näher zu erläutern, möchte ich den Blick nochmals auf den treuen Überrest der letzten Tage lenken. Kein äußeres Leiden, wie drückend es auch sein mag, keine noch so schmerzliche Feindschaft oder Verachtung seitens derer, mit welchen sie früher verbunden waren, wird sie dazu bringen, die Satzungen des Herrn zu vergessen. Inmitten von allem, was sie durchmachen, bewahren sie die Satzungen unverletzt, so dass sie nicht allein durch sie getröstet und gestärkt werden, sondern auch den Weg erkennen, den sie zu wandeln haben. Auf diesem Wege der Treue erwarten sie, dass ihr Rufen um Errettung aus der Hand ihrer Feinde erhört werden wird; und wenn es auch wahr ist, dass das Warten darauf sie fragen lässt: „Wann wirst du mich trösten?“ so zweifeln sie doch nicht an der endlichen Errettung, die ihnen bei dem Kommen des Messias zu teil werden wird. Schön und bewunderungswürdig ist diese Treue, besonders wenn wir an die frühere Untreue denken, deren das ganze Volk sich schuldig gemacht hatte und infolge deren sie leiden müssen und in den Zustand eines „Schlauches im Rauche“ gekommen sind.

Wenn wir uns den Überrest so vorstellen – und das Wort Gottes gibt uns dazu ein Recht — welch ein beschämendes Vorbild sind sie dann für uns, die wir durch Gott so viel reicher gesegnet sind! Uns hat Er bekannt gemacht mit dem ganzen Reichtum Seiner Gnade und Liebe in Christo Jesu, unserem Herrn, indem Er uns eingeführt hat in die Erkenntnis Seines Willens. Sind nun auch uns, den so reich Bevorzugten, die Satzungen des Herrn so teuer? Bilden sie auch die fortwährende Betrachtung unserer Herzen? Lassen wir uns durch sie unterweisen, und sind sie für uns ein Licht auf unserem Pfade und eine Leuchte für unsere Füße? Das sind Fragen, die wir uns immer wieder vorlegen sollten. Die Antwort wird uns gewiss zunächst in den Staub beugen, aber uns dann auch eine reiche Segensfrucht einbringen. O möchten wir alle besser verstehen, welch einen Segen der Herr mit einem Wandeln in Seinen Satzungen verbunden hat! Das wird Freude in unser Herz geben, mehr als zur Zeit da unseres Kornes und Mostes viel ist (Ps. 4, 7).

Besonderer Nachdruck muss hier gelegt werden auf die Worte: „Deine Satzungen“. Als der Herr Jesus auf Erden war, wies Er Seine Jünger im Besonderen, aber auch die Pharisäer und Schriftgelehrten, auf sie hin. Er stellte ihnen unter die Augen, wie sie Gottes Gebot kraftlos machten durch ihre Satzungen. (Matth.15.) Das ist eine ernste Sache, und auch wir, die wir an Christum glauben, sind dieser Gefahr ausgesetzt. Der Mensch von Natur ist unglaublich erfinderisch, weil ihm das „einfältige Auge“ fehlt, wodurch „der ganze Leib licht ist“. Das gegenwärtige Namenschristentum weiß ebenso gut wie die Pharisäer die Mittel zu finden, durch welche der Schein der Gottseligkeit erhalten bleibt, während die Kraft verleugnet wird. Der Herr Jesus hat dieses „Sauerteig“ genannt und hat Seine Jünger davor gewarnt. Der Herr kannte das Herz und wusste, welchen Gefahren Seine Jünger nach Seinem Weggang ausgesetzt sein würden. So lange Er noch nicht tatsächlich durch das Volk verworfen war, blieb Er noch mit ihm in Verbindung. Das war auch der Standpunkt Seiner Jünger. Diesem Verhältnis hat das Kreuz ein Ende gemacht. Aber damit ist die Gefahr nicht weggenommen, an Stelle der Satzungen des Herrn Menschensatzungen zu stellen, oder göttliche und menschliche Satzungen miteinander zu verbinden.

Die ganze Geschichte der Kirche beweist uns, wie die Gemeinde Gottes auf Erden dieser Gefahr nicht entronnen ist, sondern grundsätzlich, um Leiden, Verachtung und Verkennung zu entgehen, diesen Weg eingeschlagen hat. Der Weg des Apostels Paulus wurde in demselben Maße einsamer, wie er die noch rückständigen Drangsale des Christus für Seinen Leib, das ist die Versammlung, in seinem Fleische ergänzte. (Kol. 1, 24.) Demas verließ ihn, weil er den gegenwärtigen Zeitlauf liebgewonnen hatte. Viele vor ihm hatten ihn aus anderen Gründen verlassen. Es gebrach ihm an dem Mut und der Hingebung des Herzens, um mit dem Apostel das Kreuz zu tragen. Indes soll damit nicht gesagt sein, dass Demas den Herrn tatsächlich und offenbar verlassen und somit aufgehört habe, ein Christ zu sein. Der Rauch des Leidensfeuers, der den Schlauch seiner Farbe und Gestalt beraubte, ließ ihn fliehen, wohingegen er den Apostel keinen Fuß breit weichen ließ; bei ihm blieb der kostbare Inhalt bis ans Ende hin bewahrt, wie er selbst bezeugt: „Ich“ habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe den Glauben bewahrt“ (2. Tim. 4, 7).

Der Teufel hat allezeit danach getrachtet, das Menschliche mit dem Göttlichen zu vermengen. Sobald der Herr Seinen Acker mit gutem Samen besät hatte, wartete der Feind nur auf den günstigen Augenblick, „als die Menschen schliefen“, um, Unkraut unter den Weizen zu« säen. So verdarb er das schöne Werk Gottes. In ähnlicher Weise hat er von Anbeginn darauf hingearbeitet, den schmalen Pfad der Absonderung für Gott etwas breiter und dadurch bequemer zu machen, damit der Schlauch nicht allzu viel von dem Rauche der Drangsale mitbekäme. Wie ist ihm das bei dem größten Teil der Gläubigen geglückt! Hatten wir nicht im Worte Gottes Vorbilder wie das des Apostels Paulus und des Überrestes Israels in den letzten Tagen, so würde uns fast der Mut entsinken, um die Reise auf dem schmalen Pfade fortzusetzen, und wir würden Gefahr laufen, „die Satzungen des Herrn zu vergessen“. Aber, Gott sei Dank! Er weiß uns zu stärken und zu befestigen. Können wir .unsere Empfindungen auch nicht auf eine Linie stellen mit denen des Apostels Paulus, so haben doch auch wir etwas davon verstanden, was es für ihn war, als die große Masse der Christen ihn verließ und jenen breiteren Weg einschlug, auf welchem die Schmach Christi ein wenig gemildert war, weil der Weg mehr mit dem der Welt gleichlief.

Im „Lager“ zu bleiben ist bequemer für das Fleisch und anziehender für die Natur. Je nachdem der Verfall in der Christenheit zunimmt, die Parteien: sich mehren und der Riss tiefer und breiter« wird, kann das durch den Feind gesäte Unkraut weiter und weiter wuchern in der Verbreitung von allerlei Irrlehre und Ketzerei. Die Grenze zwischen dem „innerhalb“ und „außerhalb“ des Lagers wird dadurch stets schwieriger zu unter- scheiden, und das ist gefährlich für alle, die mit Ernst suchen dem Herrn zu dienen und Ihm zu folgen. Aber ganz besonders groß ist die Gefahr für junge Gläubige, die noch wenig Erfahrung und geistliches Verständnis besitzen, und für welche ein weltliches Christentum so viel Verlockendes hat. Wie leicht sucht man dann nach Verstandesgründen, um das Gewissen zu beruhigen, anstatt einfältig auf die Satzungen des Herrn zu lauschen und sich an ihnen zu halten.

Für Timotheus, der auch noch jung und derselben Gefahr ausgesetzt war, weil der Verfall der Kirche in seinen Tagen schon begonnen hatte, war es darum gesegnet, dass er von Kindheit an die heiligen Schriften kannte. Um die Zeugnisse des Herrn nicht zu vergessen und darin zu wandeln, muss man sie in erster Linie kennen, und das war bei Timotheus der Fall. Welch ein Glück wäre es, wenn von allen jungen Gläubigen dasselbe gesagt werden könnte! Aber wie oft mangelt ihnen die Lust, das Wort Gottes für sich selbst zu lesen! Wie wenige erforschen das, was ihnen zur Bewahrung in den vielen Versuchungen der Welt und zur Befestigung in der Wahrheit Gottes nützlich sein könnte! In der Jugend wird durchweg die Grundlage gelegt, und das Gebäude, das sich später darauf aufbaut, entspricht der Grundlage. Taugt das Fundament nicht, so wird das Gebäude das erweisen. Darum, ihr jüngeren Leser, beachtet das Wort: „Wodurch wird ein Jüngling seinen Pfad reinigen? Indem er sich bewahrt nach Deinem Worte“

Richten wir noch einmal unser Auge auf das Bild von dem „Schlauch im Rauche“ in Verbindung mit der gesegneten Person des Herrn Jesu. Wie uns bekannt ist, reden die Psalmen nicht nur von den Leiden und Prüfungen des treuen Überrestes, sondern oft auch von dem Leiden des Herrn selbst. Das macht sie für uns so überaus wichtig. Die Gefühle und Ausdrücke, welche dem Überrest zur Ermutigung, zum Trost und Ausharren- dienen und ihn in den schwierigsten Umständen aufrecht halten sollen, werden durch den Geist Christi in ihren Herzen gewirkt. Um dies möglich zu machen, musste unser geliebter Herr selbst die Leiden durchmachen. Nur so kann Er sie auf dieselbe Quelle hinweisen, aus welcher Er in den Leiden Erquickung schöpfte. Ähnlich ist am Schluss von Hebr. 2 über Seine Leiden die Rede in Beziehung zu uns. Was da gesagt wird, geht viel weiter, als was der Herr als Messias für Sein Volk auf Erden sein konnte. So ist denn für alles Vorsorge getroffen, damit der Herr, wenn die Seinen durch Leiden und Versuchungen gehen, ihnen zu Hilfe kommen kann.

Auf niemand ist das Bild von dem „Schlauch im Rauche“ mehr anwendbar, als auf Ihn, den Sohn Gottes, der, Mensch geworden, freiwillig in alle Leiden eingegangen ist. Er betrat damit ein Gebiet, auf welchem alles durch den Teufel verdorben ist, wo jede Quelle, die Gott zum Heil der Menschen gegeben hat, durch Satan vergiftet ist, und wo er selbst herrscht als Fürst dieser Welt. Was es für den Herrn, den Heiligen, war, dieses Gebiet zu betreten, wird nie ein Mensch ausdenken und ergründen können. Welch eine wunderbare Liebe und Güte! Eine Liebe, die keine Grenzen kennt, und die uns zu Anbetern Dessen macht, der sie uns erwiesen hat.

Das ganze Leben des Herrn war ein Leidensweg. Schon als Kind in der Krippe wurde Er verfolgt, und es gab kein anderes Rettungsmittel für Ihn als die Flucht (Matth. 2, 18).

Das durch den Teufel auf Erden angezündete Feuer sandte unaufhörlich seine Rauchwolken in allerlei Gestalten und Formen empor, und unser teurer Herr litt unendlich dadurch. Aber in all diesem Leiden setzte Er Sein Vertrauen auf Gott, mochte der Weg auch bis zum Äußersten, zum Tode, führen. Nie hat Er die „Satzungen Seines Gottes“ vergessen. Für andere mögen diese Satzungen kostbar gewesen sein und noch sein, sie mögen mit Treue darin gewandelt haben, aber allezeit klebte menschliche Schwachheit ihrem Tun an. Bei Ihm jedoch war alles vollkommen. Wie hoch auch die Wogen des Widerstandes und der Feindschaft seitens der Menschen gingen, mit welchen Versuchungen Satan an Ihn herantreten mochte, ja, selbst wenn Er, zur Sünde gemacht, durch Gott verlassen werden musste, an den „Satzungen Seines Gottes“ hielt Er fest, und sie dienten zur Tröstung Seiner Seele!

Von finstern Mächten ganz umgeben,

bliebst Du doch völlig Gott geweiht;

gabst willig hin Dein teures Leben

zu Gottes Ehr’ und Herrlichkeit.

Hast Deine Lieb’ am Kreuz enthülIet,

so wie der Mensch den tiefsten Hass,

hast Gottes Willen ganz erfüllet,

und ach! der Mensch sein Sündenmaß.

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Die Liebe freut sich nicht der Ungerechtigkeit

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 109ff

Der Prophet Jona wurde zornig, als Gott der Stadt Ninive Gnade erzeigte. Er hätte lieber gesehen, dass seine Prophezeiung in Erfüllung gegangen wäre. Aber Gott hatte Wohlgefallen an Barmherzigkeit gegen Menschen und Tiere. „Menschen und Vieh rettest du, Jehova“ (Ps. 36, 6). Wie traurig ist es, mit Gott zu zürnen wegen Seiner Gnade, deren wir doch alle so sehr bedürfen! Moses, der Mann Gottes, wurde seiner Zeit erbittert, so dass er unbedacht redete mit seinen Lippen (Ps. 106, 33). Auch er war zornig, und anstatt mit dem Felsen zu reden, schlug er ihn mit dem Stabe (4. Mose 20, 11. 12).

Das sind Worte für uns alle, besonders wenn wir unseren Geist haben erbittern lassen und zornig werden, den Stock gebrauchen wollen, anstatt auf den Herrn zu warten und Dem zu vertrauen, der Mittel und Wege hat, um selbst einem widerspenstigen Volke zu Hilfe zu kommen.

Die Jünger Jakobus und Johannes gingen noch weiter. Sie hätten gern Feuer vom Himmel fallen lassen, um die Samariter zu vernichten (Luk. 9, 54 —56). Sie hatten vergessen, wes; Geistes sie waren. Sie wollten für den Herrn eifern, wie einst Elia es tat. Auch das sind Worte für uns. Wie oft haben auch wir vergessen, wessen Geistes wir sind und welch einem gnädigen Gott wir angehören! Aber so wie die Jünger von ihrem Herrn lernten, der voll Gnade und Wahrheit war, so haben auch wir von Ihm gelernt und lernen noch immer in Seiner Schule.

Die letzte Ermahnung des Apostels Petrus (der einst das Schwert zog) zeigt, wie Petrus in der Schule des Herrn gelernt hatte. „Wachset aber in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi“ (2. Petrus 3, 18.) Die Zeit war finster und das Übel groß, und man konnte ihm mit nichts anderem begegnen, als mit der Gnade Gottes.

„Sei stark in der Gnade, die in Christo Jesu ist“ (2. Tim. 2, 1). Auch das sind Worte, passend für uns und unsere Zeit. Denn Gott ist der Gott aller Gnade. Die Kinder Israel fürchteten sich so sehr vor der Gnade, dass sie von Gott sagten, Er wolle sie alle töten (4. Mose 17, 12. 13). Und als der Apostel den Juden erzählte, dass Gottes Gnade auch die Heiden umfasse, wurden sie mit Zorn erfüllt, erhoben ihre Stimme und .schrien: „Hinweg von der Erde mit einem solchen, denn es geziemte sich nicht, dass er am Leben blieb!“ (Apstgsch. 22, 22).

Der älteste Sohn (Luk. 15) war auch zornig über die Gnade, welche seinem Bruder erwiesen worden war; er machte dem Vater sogar Vorwürfe über sein Tun. Aber die Liebe im Herzen des Vaters für den Verlorenen konnte einmal nicht gedämpft werden — sie wollte ihr Ziel erreichen, nämlich den Verlorenen umarmen und ihn passend für das Vaterhaus am Tische des Vaters haben.

Hätte der Herr mit Seinen Jüngern wegen Petrus Rat genommen, so würden sie ohne Zweifel geraten haben, Petrus könne und dürfe nicht mehr in ihrer Mitte sein. Aber die Liebe des Herrn für einen gefallenen Gläubigen konnte und kann ebenfalls nicht gedämpft werden. Diese Liebe hatte ein Gebet für Petrus, einen Blick für ihn, eine Botschaft für ihn, eine Zusammenkunst mit ihm. Ja, die Liebe des guten und großen Hirten konnte nicht ruhen, bis der gefallene Petrus völlig wiederhergestellt und zu einem Hirten für andere gemacht worden war. Und wie gut Petrus seine Lektion gelernt hatte, das zeigen seine Briefe: er hat die Schafe Christi geweidet und gehütet. „Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu Seiner ewigen Herrlichkeit in Christo Jesu, nachdem ihr eine kleine Zeit gelitten habt, Er selbst wird euch vollkommen machen, befestigen, kräftigen, gründen. Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen“ (1. Petr. 5, 10. 11).

„Von deiner Gnade will ich singen,

die mich erfüllt mit sel’ger Ruh’.“

Ich will

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 111ff

Hart und böse ist der Wille des natürlichen Menschen, wenn er in seinem Trotze spricht: Ich will, und es kostet Gott oft unendliche Mühe, ihn zu brechen. Selbst in dem Gläubigen findet sich statt der Sanftmut und Gelindigkeit des Christus gar manchmal noch viel Eigenwille und ungebrochenes Wesen. Indes ist der Wille nicht immer etwas Schlechtes. Es gibt einen erneuerten Willen, der das Gute liebt und mit heiliger Energie zu tun begehrt. Wenn z. B. der verlorene Sohn zu sich selbst kommt und nun mit Herzensentschluss sagt: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und will zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt“, oder wenn der Psalmist nach langem Sträuben endlich in die Worte ausbricht: „Ich will Jehova meine Übertretungen bekennen“, so ist das gewiss ein gesegnetes und segenbringendes Wollen, ein heilsamer Entschluss. Ebenso kann es Gott nur wohlgefällig gewesen sein, wenn Sein erlöstes Volk, am anderen Ufer des Roten Meeres stehend, seinen Lobgesang anstimmte mit den Worten: „Singen will ich Jehova, denn hoch erhaben ist Er“, (2. Mose 15), oder wenn Debora in ernster schwerer Zeit mit bewunderungswürdiger Kraft des Glaubens jubelte: „Ich will, ja , ich will Jehova singen, will singen und spielen Jehova, dem Gott Israels“ (Richter 5, 3.) Das ist ein Wille, der mit dem Willen Gottes im Einklang steht und Gottes Ehre sucht, wobei der Mensch, das Ich, seine Rechnung nicht findet.

Es gibt zwei bemerkenswerte Gelegenheiten, bei denen die Wörtchen „Ich will“ in besonderer Kraft über die Lippen des Herrn Jesu kamen, des Sanftmütigen und von Herzen Demütigen, dessen Wille selbstverständlich immer vollkommen gut und heilig war. Er antwortet dem Aussätzigen, der zu Ihm sagt: „Herr. wenn du willst, kannst du mich reinigen“, und der so nicht nur seinen unreinen Zustand rückhaltlos bekennt, sondern auch seinem Glauben an die Macht des Herrn Ausdruck gibt: „Ich will, sei gereinigt“ (Matth. 8) Und Er bittet im Blick auf die geliebten Seinigen, die Er in dieser Welt zurücklassen musste: „Vater, ich will, dass die, welche du mir gegeben hast, auch bei mir seien, wo ich bin, auf dass sie meine Herrlichkeit schauen“ (Joh. 17). Dem ersten „Ich will“ folgte alsbald die Ausführung, das zweite harrt noch seiner Erfüllung, aber diese ist ebenso gewiss wie jene. „Gnade und Herrlichkeitwird Jehova geben, kein Gutes vorenthalten denen, die in Lauterkeit wandeln“ (Ps. 84). Er wird alles ausführen nach dem Wohlgefallen Seines Willens, zum Preise der Herrlichkeit Seiner Gnade (Eph. 1). Er wird keinen der Seinigen verlieren.

Älteste und Diener

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 128ff

Den Christen, welche dem bestimmten Gebote Gottes folgend aus den religiösen „Lagern“ der Christenheit „zu Ihm“ hinausgegangen sind (Hebr. 13, 13), wird häufig der Vorwurf gemacht, dass sie jedes „Amt“, oder doch die Fortdauer desselben, in der Versammlung oder Gemeinde Gottes leugneten. Der Vorwurf ist nicht gerecht. Jene Christen leugnen nicht das Amt überhaupt, sie verurteilen nur das, was der Mensch daraus gemacht hat. Sie können das, was man heute unter „Amt“ (in geistlichem Sinne) versteht, nicht als schriftgemäß erkennen und darum auch nicht anerkennen.

Die Hauptursache der Verworrenheit der Begriffe in dieser Hinsicht liegt wohl in der Nichtbeachtung des Unterschiedes zwischen Amt und Gabe. Auf diesen Unterschied ist schon oft hingewiesen worden. *) Das

Außerachtlassen desselben muss notwendigerweise zu allerlei verkehrten Schlüssen und Handlungen führen.

Die Gaben stehen in Verbindung mit dem Leibe Christi in seiner Gesamtheit. Sie werden verliehen zu dessen Sammlung und Auferbauung. Es handelt sich dabei nicht um den Besitz bestimmter Eigenschaften oder besonderer Erfahrungen, um das Erlangthaben einer gewissen Stufe im Alter oder in der Erkenntnis; nein, die Gaben sind, wie schon das Wort ausdrückt, freie Mitteilungen der Gnade, Geschenke des Herrn, vermittelt durch die Kraft und Wirksamkeit des Heiligen Geistes. Er (Christus) ist hinaufgestiegen in die Höhe und hat den Menschen Gaben gegeben (Eph. 4, 8).

Ämter stehen in Beziehung zu der örtlichen Darstellung des Leibes Christi, der Ortsgemeinde; ihre Befugnisse gehen nicht über diese hinaus, der Kreis ihrer Ausübung ist durchaus auf die örtliche Versammlung beschränkt. Deshalb kann man nicht von einem Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten oder Lehrer einer örtlichen Gemeinde reden, wohl aber von Ältesten und Dienern (Diakonen) oder Dienerinnen der Versammlung von Philippi, Jerusalem u. s. w. Jene sind gleichsam Gesamteigentum, diese örtlicher Besitz. Darum finden wir einen Apollos heute tätig in Ephesus, bald darauf in Korinth und später auf der Insel Kreta. (Apstgsch. 18, 24 — 27; 1. Kor. 3, 6; Tit. 3, 13.) Älteste aber waren an ihren Wohnort gebunden; hier, und nur hier, war die Stätte ihrer Wirksamkeit.

Der Umstand, dass Luther das griechische Wort (diakonia - Dienst, an vielen Stellen mit „Amt“ übersetzt hat, hat wohl dazu mitgeholfen, die Begriffe zu verwirren. Wenn er z. B. in Apostelgesch. 6, 4 redet vom ,,Amte des Wortes« (vergl. auch Kap· 20, 24; 21, 19), in 2. Kor. 3, 8 und 9 von „dem Amt, das den Geist gibt“, — „das die Verdammnis (die Gerechtigkeit) predigt“ (Vergl. Kap. 5, 18), in Eph. 4, 12 vom „Werke des Amts, dadurch der Leib Christi erbauet werde“; wenn man ferner in Kol. 4, 17 liest: „siehe auf das Amt, das du empfangen hast“, oder in 2. Tim. 4, 5: „richte dein Amt redlich aus“ (vergl. 1. Tim. 1, 12 u. a. St.), so kann man verstehen, dass manche des Griechischen nicht kundige Leser des Neuen Testaments nicht zu einem klaren Verständnis der Bedeutung des Wortes kommen können. An all den genannten Stellen steht im Griechischen diakonia = Dienst; sobald man dieses Wort (statt „Amt“) in den Text setzt, wird alles einfach.

Das Wort diakonia bedeutet irgend einen Dienst, sei es im Evangelium, in der Verkündigung des Wortes an die Gläubigen, in der Austeilung von Liebesgaben an die Witwen, in der Bedienung der Tische, in der Besorgung der Herde Christi, oder was irgend sonst es sei. Es erscheint fast immer mit einem Beiwort, das seine nähere Bedeutung bestimmt. In Hebr. 1, 14 wird es absolut gebraucht in Verbindung mit „Engeln“; so auch in 2. Tim. 4, 11 im Blick auf Markus: „er ist mir nützlich zum Dienst“. Was in beiden Fällen gemeint ist, ist unschwer zu verstehen. Niemals aber hat das Wort die Bedeutung von „Amt“ in dem Sinne, wie man heute von einem „geistlichen Amt“, „Predigtamt“, „Lehramt“ und dergl. redet. Von alledem weiß die Schrift nichts. Sie redet von Gaben oder Gnadengaben, Diensten und Wirkungen (1. Kor. 12, 4 — 6; Eph. 4, 8).

Das Wort „Amt“ enthält den Begriff eines Angestelltseins zu irgend einem Dienst, es umfasst zugleich all die Obliegenheiten, die mit dieser Stellung verbunden und dem Angestellten übertragen sind. In diesem Sinne könnte man vielleicht von einem Apostelamt reden, obwohl zu bemerken ist, dass das dafür gebrauchte griechische Wort eigentlich „Apostelschaft« bedeutet. (Vergl. die vier einzigen Stellen, wo es vorkommt: Apstgsch. 1, 25; Römer 1, 5; 1. Kor. 9, 2; Gal. 2, 8). In dem eigentlichen Sinne des Wortes gibt es aber nur zwei Ämter in der Gemeinde Gottes, und zwar das der Ältesten und das der Diener (Diakonen). Beide, Älteste und Diener, wurden förmlich zu einem bestimmten Dienst angestellt und mit ihren Pflichten und Obliegenheiten bekannt gemacht. Zugleich werden die Eigenschaften, welche für die Anstellung entscheidend waren, genau aufgezählt.

Die Ältesten (Griech.: presbyteroi = Ältere, daher das heute noch übliche „Presbyter“) waren mit der Beaufsichtigung und Hut der Herde in geistlichem Sinne betraut, die Diakonen mit der Sorge für das irdische Wohl der Gläubigen; die einen besorgten gleichsam die inneren, die anderen die äußeren Angelegenheiten der betreffenden Versammlung. Allerdings konnten die Ältesten auch besondere Gaben haben, und die Diakonen, wenn sie ,,wohl gedient hatten, sich eine schöne Stufe erwerben und viel Freimütigkeit im Glauben“ (1. Tim. 3, 13), und so, wie z. B. der Evangelist Philippus, auch in anderer Weise vom Herrn benutzt werden und zum Segen für Bekehrte und Unbekehrte dienen.

Die Ältesten werden an verschiedenen Stellen „Aufseher“ (Griech.: episkopoi, woraus unser Wort „Bischof“ entstanden ist) genannt, weil eben ihre besondere Verantwortlichkeit darin bestand, Aufsicht zu führen und die Herde Gottes zu hüten (1.Petr. 5,1.2). Älteste und Aufseher waren also nicht etwa zwei verschiedene Klassen von Personen, sondern dieselben Leute **) Paulus sagt zu den Ältesten der Versammlung von Ephesus, die er nach Milet hatte kommen lassen: „Habet nun acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, in welche der Heilige Geist euch als Aufseher gesetzt hat, die Versammlung Gottes zu hüten“ (Apstgsch. 20, 28). Derselbe Apostel schreibt an Titus, dass er auf Kreta in jeder Stadt „Älteste“ anstellen möge, und nachdem er einige für den Ältesten notwendige Eigenschaften aufgezählt hat, fährt er fort: „Denn der Aufseher muss untadelig sein als Gottes Verwalter“ (Tit. 1, 5 — 7), so unwiderleglich erweisend, dass „Älteste“ und „Aufseher“ gleichbedeutende Begriffe sind, zwei Bezeichnungen für dieselben Personen, die eine mehr auf Alter und Stellung, die andere mehr auf die Art der Tätigkeit hindeutend.

Zu Ältesten konnten naturgemäß nicht junge oder neubekehrte Leute bestellt werden: „nicht ein Neuling, auf dass er nicht, aufgebläht, ins Gericht des Teufels verfalle“ (1. Tim. 3, 6.) Ein Ältester musste verheiratet sein, und zwar eines Weibes Mann, untadelig in seinem persönlichen Leben, ein guter Gatte und Vater, der dem eigenen Hause wohl vorstand, von gelindem, friedfertigem Charakter, gastfrei, besonnen, enthaltsam, lehrfähig, von gutem Zeugnis bei der Welt u. s. w. (Vergl. 1. Tim. 3, 1 — 7; Tit. 1, 6 — 9). Als ein „Aufseher“ hatte er die schöne Aufgabe, Sorge zu tragen für die Schafe und Lämmer der Herde Christi, sie zu hüten vor allen Gefahren, von Haus zu Haus, von Familie zu Familie zu gehen, zu weinen mit den Weinenden, sich zu freuen mit den sich Freuenden, die Alten zu ermuntern, die Jungen zu ermahnen, die erschlafften Hände aufzurichten und die gelähmten Knie zu befestigen, auf jeden Einzelnen das Licht des Wortes leuchten zu lassen und mit aufrichtiger Liebe und väterlichem Verständnis an den Schwierigkeiten aller teilzunehmen. Er musste „fähig sein, sowohl mit der gesunden Lehre zu ermahnen, als auch die Widerspenstigen zu überführen“. Denn es gab schon damals ,,zügellose Schwätzer und Betrüger«, welche um schändlichen Gewinnes willen böse, ungeziemende Dinge lehrten und ganze Häuser umkehrten (Tit. 1, 9. 10). Solchen mussten sie rücksichtslos „den Mund stopfen“.

Es ist offenbar, dass zu solch gesegnetem, vielseitigem Dienst nur treue, erprobte Männer fähig waren, und dass es einer sorgfältigen Auswahl bei ihrer Bestellung bedurfte. Es war ein großes Vorrecht, in solcher Weise tätig sein zu dürfen. Darum sagt der Apostel auch: „Wenn jemand nach einem Aufseherdienst trachtet, so begehrt er ein schönes Werk«. (1. Tim. 3, 1.) Nur durchaus unbescholtene Männer, die persönlich in den verschiedenen Lebensverhältnissen, als Jüngling, Mann, Gatte, Vater, Erfahrungen gemacht hatten, konnten den Anforderungen eines solchen Dienstes genügen. Sollten ihre Ermunterungen, Ermahnungen und Zurechtweisungen Kraft haben, so musste ihr Leben und ihr ganzes Verhalten beweisen, dass sie zunächst auf sich selbst acht hatten und unter der Zucht des Geistes standen (Apstgsch. 20, 28).

Kommen wir noch einmal kurz auf einige der von dem Apostel genannten Vorbedingungen zurück. Sie beweisen, dass es sich zunächst gar nicht um Begabung handelte, — obwohl diese, wie bemerkt, vorhanden sein konnte, denn die, „welche wohl vorstanden, sollten doppelter Ehre würdig geachtet werden, sonderlich die da arbeiteten in Wort und Lehre2 (1. Tim. 5,17), — sondern nur um sittliche Eigenschaften und geistliche Fähigkeiten. So durfte ein Ältester, wie wir wissen, nicht unverheiratet sein, aus Gründen, die leicht zu erraten sind. Auch musste er eines Weibes Mann sein, d. h. er durfte nicht, wie es in jenen Tagen unter Juden und Heiden vielfach gebräuchlich war, mehrere Weiber haben. Das war ein Verstoß gegen Gottes ursprüngliche Ordnung. Solchen Männern konnte die Gemeinschaft am Tische des Herrn nicht verweigert werden, wenn sie bekehrt wurden, aber zu Aufsehern, zu heiligen Wächtern über die Ordnung Gottes unter den Gläubigen, waren sie nicht tauglich.

Ferner musste ihr persönlicher Charakter untadelig, ihr Zeugnis vor der Welt unbescholten sein. Es hat Gott oft gefallen, Leute, deren Vorleben in sittlicher Beziehung höchst traurig war, als gesegnete Evangelisten zu benutzen und sie vielen zu Wegweisern aus Schmutz und Gewalttat heraus dienen zu lassen; aber zu einem Aufseherdienst würden sie nicht geschickt gewesen sein. Auch war zu einem solchen Dienst ein besonderes Maß von Bescheidenheit, würdigen: Ernst, Sittsamkeit und Enthaltsamkeit notwendig. Wie hätten sonst die Ermahnungen Gewicht, die Bitten und Vorstellungen Einfluss haben können? Die Möglichkeit eines Hinweises auf eigenes Verfehlen und Zukurzkommen würde unter Umständen jeden guten Eindruck von vornherein ausgeschlossen haben.

Weiterhin musste ein Aufseher „lehrfähig“ sein, oder, wie Paulus an Titus schreibt, „dem zuverlässigen Worte nach der Lehre anhangen, auf dass er fähig sei, sowohl mit der guten Lehre zu ermahnen, als auch die Widersprechenden zu überführen“ (Tit. 1, 9). Es war nicht erforderlich, dass er ein „Lehrer“ im eigentlichen Sinne des Wortes war, aber er musste die gute, zuverlässige Lehre kennen und imstande sein, das Wort im persönlichen Verkehr mit den Seelen richtig anzuwenden, den Schwachen und Kleinmütigen zum Trost, den Irrenden und Unordentlichen zur Zurechtweisung, den Verkehrten und Widerstrebenden zur Überführung, nicht eigenmächtig, zornmütig oder streitsüchtig, sondern als ,,Gottes Verwalter« sanft und gelinde, aber bestimmt und ernst. Denn „eine gelinde Antwort wendet den Grimm ab, aber ein kränkendes Wort erregt den Zorn“; und „ein weiser Mann versöhnt den Grimm“, „eine gelinde Zunge zerbricht Knochen“ (Spr. 15, 1; 16, 14; 25, 15).

Um allezeit in dieser Verfassung zu sein, durfte ein Aufseher sich nicht dem Weingenuss ergeben. Der Wein „erhitzt“ (Jes. 5, 11), raubt Nüchternheit und Besonnenheit und trübt das Urteil: man unterscheidet nicht mehr zwischen dem Heiligen und Unheiligen, zwischen dem Reinen und Unreinen. (3. Mose 10, 9.. 10).

Einer der Gründe, weshalb ein Ältester verheiratet sein musste, ist auch wohl darin zu suchen, dass sein Haus gastfrei sein sollte, offen für jeden Bruder und jede Schwester. Einem unverheirateten Bruder ist es kaum möglich, ein solch offenes Haus zu haben. Gastfreundschaft ist aber Gott besonders wohlgefällig. (Vergl. Röm. 12, 13; 1. Tim. 5, 10·; Hebr. 13, 2; 1. Petr. 4, 9). In dieser Hinsicht sollte also der Aufseher den Gläubigen mit gutem Beispiel vorangehen, „ein Vorbild der Herde“ sein. Gajus in Korinth war der Wirt des Apostels Paulus und der ganzen Versammlung. Er war wohl kein angestellter Ältester, denn in Korinth scheinen keine Ältesten gewesen zu sein; aber so steht von ihm geschrieben zur Ermunterung für uns. (Röm. 16, 23.) Welch eine liebliche Vorsorge hatte der Herr auf diese Weise für das leibliche Wohl Seiner Knechte getroffen, die von Stadt zu Stadt gingen mit dem Worte des Evangeliums oder der Erbauung! Wie ermunternd ist es auch heute noch für einen Diener des Herrn, der sich auf langer, ermüdender Reise oder Fußwanderung befindet, zu wissen: Heute Abend darf ich frei bei dem und dem Bruder einkehren; er ist von dem Herrn unterwiesen, gastfrei zu sein, nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig aus dem Besuch zu machen!

Eine wichtige Eigenschaft lautete: „nicht gelbliebend“, oder: „nicht schändlichem Gewinn nachgehend“ (Tit. 1, 7). Petrus ermahnt die Ältesten, „die Aufsicht nicht aus Zwang zu führen, sondern freiwillig, auch nicht um schändlichen Gewinn, sondern bereitwillig“ (1. Petr. 5, 2). In Apstgsch. 20, 35 wird den Ältesten empfohlen, mit eigenen Händen zu arbeiten und sich der Schwachen anzunehmen, eingedenk der Worte des Herrn Jesu: „Geben ist seliger als nehmen“.

Besonders ernst war die Bedingung: „der seinem eigenen Hause wohl vorsteht, der seine Kinder in Unterwürfigkeit hält mit allem würdigen Ernst; denn wenn jemand dem eigenen Hause nicht vorzustehen weiß, wie wird er die Versammlung Gottes besorgen!« (Vergl. Tit. 1, 6.) Es mochte mancherlei Gründe für die in dem Hause eines Gläubiger: herrschende Unordnung geben, aber wenn solche vorhanden war, wenn es dem Hausvater an der nötigen Weisheit und Energie mangelte, wenn seine Kinder zügellos oder gar ausschweifend waren, so konnte er nicht mit der Aufsicht über die Versammlung Gottes betraut werden. Selbst der Besitz einer Gabe als Evangelist oder Lehrer änderte hieran nichts.

Dass ein Ältester kein „Neuling“ sein durfte, haben wir bereits erwähnt. Im Alten wie im Neuen Testament

wird unter einem „Ältesten“ immer ein Mann in reiferen Jahren verstanden. Es gibt wohl keine einzige Ausnahme von dieser Regel. Das Wort deutet ja schon an und für sich darauf hin, dass ein junger Mann unmöglich für dieses Amt in Aussicht genommen werden konnte· Er würde bald, „aufgebläht, in das Gericht des Teufels verfallen“ sein. Denn abgesehen von den „jugendlichen Lüsten“, sind Selbstgefälligkeit und Überschätzung der eigenen Wichtigkeit besondere Gefahren der Jugend.

Fragen wir jetzt nach der Zahl der Ältesten, so ist im Worte Gottes darüber keine Anordnung getroffen; wir wissen nur, dass es in einer Versammlung niemals nur einen, sondern immer mehrere Älteste gab. Die Zahl richtete sich jedenfalls nach der Größe der örtlichen Gemeinde und nach den vorliegenden Bedürfnissen. In Apstgsch. 14, 23 heißt es: „Als sie (die Apostel Paulus und Barnabas) ihnen aber in jeder Versammlung Älteste gewählt hatten usw.“ Im nächsten Kapitel wird uns berichtet, dass die Apostel und die Ältesten von Jerusalem sich versammelten (V. 6). Im 20. Kapitel ruft Paulus die Ältesten der Versammlung von Ephesus nach Milet herüber (V. 17). Titus wurde von dem Apostel in Kreta zurückgelassen, damit er »in jeder Stadt Älteste anstellen möchte“ (Tit. 1, 5). Ja der Anrede an die Versammlung .in Philippi werden außer den Heiligen „Aufseher“ (Ålteste) und Diener genannt. In Jak. 5, 14 wird der Kranke angewiesen, die Ältesten der Versammlung zu sich zu rufen.

Neben dieser wichtigen, aber leider so oft vergessenen Tatsache, dass es niemals nur einen Ältesten, Aufseher oder Vorsteher in einer Versammlung (Gemeinde) gab, ist zu beachten, dass niemand die Obliegenheiten eines Ältesten erfüllen konnte, selbst wenn er die nötigen Eigenschaften und Fähigkeiten dazu besaß, es sei denn dass er in geziemender Weise bevollmächtigt war. Er bedurfte einer Anstellung, und zwar musste diese durch einen Apostel oder den Bevollmächtigten eines Apostels vollzogen werden. Nirgendwo finden wir in den Tagen der Apostel ein Beispiel von der Wahl oder Anstellung von Ältesten seitens einer Versammlung (Gemeinde). Weder in der Apostelgeschichte noch in einem Briefe an eine Versammlung ist von einer solchen Wahl die Rede. Dagegen wird Titus von Paulus auf Kreta zurückgelassen, „um was noch mangelt, in Ordnung zu bringen und in jeder Stadt“, also in bereits bestehenden Versammlungen, „Älteste anzustellen«. Nachdem er diesen Auftrag vollzogen hatte, sollte er nach Nikopolis kommen.

Fußnote:

*) Vergleiche auch die in gleichem Verlag erschienene Abhandlung über „Gaben und Ämter“ von J. N. Darby.

**) Ist es Oberflächlichkeit und Ungründlichkeit, wenn ein Mann, der nach dem ganzen göttlichen Worte sich zu richten bekennt, schreibt: „In Ephesus, Antiochien, Lystra, Ikonium werden die Gemeindeleiter(?) „Älteste“ genannt, in Philippi „Bischöfe“ und „Diakonen“ (Phil.1, 1), in Thessalonich „Vorsteher“ (1. Thess. 5, 12); also überall etwas anders“? Oder ist es Mangel an Schriftkenntnis? In beiden Fällen ist er ernstlich zu tadeln.

Ewigkeit

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 139ff

Der endliche Geist des Menschen vermag ebenso wenig eine Dauer ohne Anfang und Ende zu fassen, wie er die Unendlichkeit des Raumes begreifen kann. Ein Wassertropfen, der in den großen atlantischen Ozean fällt, erscheint uns, vergleichsweise redend, unendlich klein, fast wie ein Nichts; und doch ist er nicht so klein wie ein Jahr im Vergleich mit der Ewigkeit. Wie ernst ist deshalb der Gedanke, dass wir alle voranschreiten, dieser endlosen Ewigkeit zu, und das mit unwiderstehlicher Gewalt! Kein Milliardär, und wäre er bereit, Hunderte von Millionen dafür zu opfern, kann die Zeiger der Weltuhr auch nur für eine Minute aufhalten oder ein Körnlein Sand verhindern, aus dem Stundenglas der Zeit zu rinnen. Voran schreiten wir, ob es uns gefällt oder nicht, der Ewigkeit zu!

Wir lesen in 2. Kor. 4, 18: „Das, was man sieht, ist zeitlich, das aber, was man nicht sieht, ewig“. „Zeitlich“ könnte also als Inschrift auf alles geschrieben werden, was wir rund um uns her sehen, auf die Häuser, in denen wir wohnen, auf die Pflanzen und Bäume, die sich unseren Blicken darbieten, kurz auf alles das, was uns im täglichen Leben begegnet. Aber die unsichtbaren Dinge, die mit Gott und der Seele in Beziehung stehen, sind ewig. Für den wahren Christen hat das Wort Ewigkeit nicht eine Spur von Erschreckendem; denn sein Platz in der Herrlichkeit und all seine Segnungen sind auf ewig gesichert kraft der ewigen Gültigkeit des Opfers Christi, der durch den ewigen Geist sich selbst ohne Flecken Gott geopfert hat. Und er ist berufen. eine gesegnete Ewigkeit mit Dem zu verbringen, der ihn geliebt und sich selbst für ihn hingegeben hat.

Aber wer kann aussprechen, was es ist, in die Ewigkeit zu gehen mit seinen Sünden, nicht errettet, ohne Gott und ohne Hoffnung — auf immerdar aus Gottes Gegenwart verbannt! Wir können den Vorhang, der uns von der Ewigkeit der Verlorenen trennt, nicht weiter lüften, als die Schrift es tut; sie sagt: „Und wenn jemand nicht geschrieben gefunden wurde in dem Buche des Lebens, so wurde er in den Feuerofen geworfen“ (Offbg. 22, 15; 21, 8). Kein Wunder, dass der Apostel Paulus sagt: „Da wir nun den Schrecken des Herrn kennen, so überreden wir die Menschen“. Wie viele um uns her eilen voran - manche sorglos und gleichgültig, manche mit einer Form der Gottseligkeit ohne Kraft, manche die Entscheidung bis zu einer gelegenen Zeit aufschiebend — aber alle eilen voran, unwiderstehlich und mit unfehlbarer Sicherheit, der Ewigkeit zu!

Sorget um nichts!

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 140ff

O lass dich nimmer sorgen,

was Leides kommen mag;

nein denk an jedem Morgen,

es sei der letzte Tag!

Und wenn Betrübnis habend

den Tag du zugebracht,

so denk an jedem Abend,

es sei die letzte Nacht!

Noch eh beim sanften Grauen

das junge Licht erscheint,

bist du zu selgem Schauen

vielleicht dem Herrn vereint.

K.

Älteste und Diener

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 151ff

Dem Satze, dass die Anstellung eines Ältesten nur durch einen Apostel oder dessen Bevollmächtigten habe geschehen können, ist oft widersprochen worden. Man sagt, die Versammlungen (Gemeinden) hätten sich ihre Ältesten selbst gewählt und sollten es heute noch tun. Da man dafür keine Belege bringen kann, weder in der Form einer durch den Geist Gottes gegebenen Anweisung, noch in geschichtlichen Beispielen, nimmt man seine Zuflucht zu Beweisführungen, die oft recht wunderlich sind. So sagt man z. B.: „Die elf Jünger samt „der Schar“ (die ganze Zahl betrug 120) wählen nach der Himmelfahrt des Herrn unter Gebet und Anwendung des Loses an Stelle des abgewichenen Judas den Matthias zum Apostel. (Apstgsch. 1, 15 - 26.) . . . Und wenn die Gläubigen im allgemeinen hier einen Apostel mitwählen können, der doch eine höhere Stelle innehatte als ein Gemeindeältester, weshalb sollen die Gemeinden sich dann nicht an einer Ältestenwahl beteiligen können?“

Ganz abgesehen von der Frage, ob jene Gläubigen „einer Anordnung des Herrn zuwider handelten“ oder nicht, was für unseren Gegenstand nichts beweisen würde, denn die Einsetzung eines Apostels und eines Ältesten sind eben zwei sehr verschiedene Dinge, muss von vornherein betont werden, dass von der Wahl eines Apostels in der angeführten Stelle überhaupt nicht die Rede ist. Nachdem Petrus im Anschluss an Psalm 109, 8 die Erfordernisse für einen „Zeugen der Auferstehung des Herrn“ deutlich bezeichnet hatte, — es musste ein Mann sein, der von der Taufe Johannes an bis zur Himmelfahrt Christi mit den Aposteln gegangen war, — lesen wir weiter: „Und sie stellten zwei dar: Joseph, genannt Barsabas, der Justus zubenamt war, und Matthias“. Beide Männer entsprachen ohne Frage den gestellten Anforderungen, aber die Versammelten wagten nicht, einen von den zwei zu wählen, sondern warfen Lose über sie, indem sie so dem Herrn die Entscheidung anheimstellten. „Du, Herr, Herzenskündiger aller“, beten sie, „zeige von diesen beiden den einen an, den du auserwählt hast.“ Es war also ein Apostel, der die ganze Sache einleitete, es waren Apostel, welche die zwei Männer vor den Herrn stellten, und es war der Herr, der wählte.

Aber selbst wenn die Gläubigen den Matthias gewählt hätten, was, wie wir gesehen haben, keineswegs der Fall war, so würde es doch mehr als gewagt sein, die Schlussfolgerung daraus zu ziehen, dass sie sich ebenso gut oder gar mit noch größerem Recht an einer Ältestenwahl hätten beteiligen können. Viel eher noch könnte man den Schluss machen, wenn wir überhaupt zu solchen Folgerungen berechtigt wären, dass es uns heute noch gestattet sei, Apostel zu wählen. Aber daran wird kein dem Worte unterwürfiger Gläubiger im Ernste denken.

Unwillkürlich ist man versucht zu fragen: Warum will man durchaus etwas tun, wozu Gottes Wort weder Anleitung noch die Wege weisende Beispiele gibt? Die Antwort ist einfach: Weil man, ohne Rücksicht auf den eingetretenen Verfall und unter Beiseitesetzung der Wahrheit von der Einheit des Leibes, „Gemeinden bilden will nach apostolischem Vorbilde“, wie man es nennt, in denen man dann nicht nur Älteste und Diener, sondern auch Gemeindevorsteher, Evangelisten, Prediger usw. nach eigener Wahl ernennen kann. Man will „unabhängige Gemeinden“ haben, in denen der Mensch eine Rolle spielen kann. Das ist das ganze Geheimnis der Sache. Man will einerseits seine Herde haben, an deren Spitze man steht, und man will andererseits die Verantwortlichkeit von sich auf eine Anzahl Männer abwälzen, die zu Vorstehern, Leitern usw. der Gemeinde gewählt sind. Anstatt hinsichtlich aller Bedürfnisse der Herde Christi einfach auf den Herrn zu warten und in Anerkennung der allgemeinen Verwirrung die einzelnen Bruchstücke zu Ihm hin zu sammeln, der der einzig wahre Mittelpunkt ist und dessen Name allein Wert hat, will man seine Gemeinde, seinen Prediger, seine Ältesten usw. haben. Statt einfältig zu fragen: Wie steht geschrieben? sagt man: Warum sollten wir nicht dies, warum könnten wir nicht das tun? Mit einem Wort: der Mensch ist auf dem Plan.

Wenn der Herr gewollt hätte, dass nach dem Tode der Apostel die Befugnis, Älteste anzustellen, fortdauern sollte, würde Er, dem das Wohl Seiner Gemeinde so am Herzen liegt, uns über eine so wichtige Sache nicht eine klare und verständliche Mitteilung gegeben haben? Oder wenn es nach Seinem Willen gewesen wäre, dass die Versammlungen sich selbst Älteste wählen sollten, würde Er uns diesen Willen nicht so kundgegeben haben, dass keine Missdeutung möglich wäre? Ganz gewiss. Es ist aber keines von beidem geschehen. Damit ist nicht gesagt, „dass nach dem Heimgang der Apostel das Ältestenamt aufhören sollte«. Im Gegenteil, es besteht fort; nur fehlt es an der Autorität, Älteste zu ernennen. Und wer sind wir, dass wir ohne ein klares Wort Gottes eine so ernste, bedeutungsvolle Handlung vornehmen sollten?

Wenn nun dennoch eine kleinere oder größere Zahl von Gläubigen, die sich zu einer Gemeinde zusammen- geschlossen hat und sich nun „biblisch einrichten“ will, selbständig aus ihrer Mitte einige nach ihrer Meinung für das Ältestenamt passende Männer wählt und zu Ältesten ernennt, kann man von diesen Brüdern, so treu und ehrenwert sie sein mögen, deshalb sagen, dass »der Heilige Geist sie als Aufseher in der Versammlung (Gemeinde) Gottes gesetzt habe“? Und das müsste doch so sein, wenn die „ganze Herde“, die ganze Gemeinde „in der Stadt“ sie als solche anerkennen und ihnen unterwürfig sein soll. Älteste irgend einer Sondergemeinschaft kennt Gottes Wort nicht, nur Älteste der Versammlung oder Gemeinde an irgend einem Orte.

Dann hat also doch nach dem Heimgang der Apostel und ihrer Bevollmächtigten das Amt der Ältesten aufgehört, und wir sind des gesegneten Dienstes solcher Männer für immer beraubt? Keineswegs! Gottes liebende Sorge für Sein Volk hört nimmer auf. Der Herr gedenkt an die Bedürfnisse Seiner Herde auch in den schwierigsten Zeiten und stillt sie. Es gibt, Sein Name sei dafür gepriesen! noch viele Männer, die zu Ältesten oder Aufsehern geschickt sind, trotzdem es keine Apostel mehr gibt, um sie zu wählen und einzusetzen. Man kann kaum einen Blick in irgend eine Versammlung von Kindern Gottes werfen, ohne von dem einen oder anderen würdigen älteren Bruder zu hören, der den Irrenden nachgeht, die Unordentlichen zurechtweist, die Kleinmütigen tröstet, den Schwachen aufhilft, mit einem Wort, der da ermahnt, warnt und Aufsicht übt. Und was ist die Pflicht der Gläubigen solchen Männern gegenüber, auch wenn sie nicht, wie im Anfang, förmlich angestellt sind? Sie um ihres Werkes willen zu schätzen, sie zu lieben und ihnen unterwürfig zu sein als solchen, die der Geist Gottes gegeben und gesetzt hat, um über die Seelen ihrer Geschwister zu wachen. Man braucht sie nicht Älteste zu nennen, sie nicht zu wählen und anzustellen, um so die demütigende Tatsache möglichst zu verdecken, dass alles in Verfall und Unordnung ist. Nein, last uns lieber diesen Verfall und seine Folgen bereitwillig anerkennen und uns dementsprechend vor Gott und Menschen verhalten! Der Herr wird uns in Seiner Gnade zu Hilfe kommen, und wir werden erfahren, dass Er für Seine kleine, schwache Herde sorgt, auch wenn so vieles fehlt, was einst das Zeugnis zierte.

Bei dieser Gelegenheit sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es in den ersten Zeiten der Kirche wohl nicht in allen Gemeinden Älteste gegeben hat, und dass der Apostel durch den Heiligen Geist geleitet worden ist, an solche Versammlungen, die keine Ältesten hatten, Briefe zu richten, die nun für unsere Tage und mangelhaften Zustände von ganz besonderer Wichtigkeit sind; so z. B. die Briefe an die Thessalonicher und an die Korinther. In Korinth sah es so unordentlich aus, dass, wenn irgendwo, dort die Einsetzung von Ältesten notwendig hätte er- scheinen müssen. Aber in den beiden Briefen des Apostels findet sich nicht der geringste Hinweis auf Älteste. Wären sie vorhanden gewesen, so würde Paulus sicherlich sie zunächst zur Rechenschaft gezogen und sie aus die Vernachlässigung ihrer Pflichten aufmerksam gemacht haben. *)

Es scheint überhaupt nicht die Weise der Apostel gewesen zu sein, in ganz jungen Gemeinden Älteste anzustellen. Die Versammlungen, von welchen in Apostelgesch. 14, 23 die Rede ist, bestanden schon seit mehreren Jahren, so dass die geistlichen Fähigkeiten Zeit zu ihrer Entwicklung gehabt hatten und die Männer, welche für das so wichtige Ältestenamt ausersehen werden konnten, mehr bekannt geworden waren. Hier gehen wir mit dem wiederholt angeführten Schreiber ganz einig, wenn er sagt, dass „die Apostel wie auch Timotheus und Titus die Gemeinden wohl mit zu Rate gezogen und gefragt haben, welche unter ihnen für diesen wichtigen Dienst in Betracht kommen könnten“. Warum auch nicht? Wenn jemand „nach einem Aufseherdienst trachtet“ (1. Tim. 3, 1) konnte, warum sollten dann nicht andere ihn zu einem solchen Dienst vorschlagen oder ermuntern können?

Wenn der Apostel in 1. Thess. 5, 12 die Gläubigen ermahnt, die zu erkennen, die unter ihnen arbeiteten und ihnen vorstanden im Herrn (vergl. Röm. 12, 8; 1. Tim. 5, 17), so geht daraus hervor, dass es „Vorsteher“ unter ihnen gab, die an anderen Stellen „Führer“ genannt werden (Hebr. 13, 7. 17); aber aus der ganzen Redeweise des Apostels ergibt sich zugleich mit großer Wahrscheinlichkeit, dass diese Männer nicht „angestellte“ Vorsteher oder Führer waren, sondern „durch ihr Werk“ (Vers 13) sich als solche erwiesen hatten. In ähnlicher Weise hatten Stephanas und sein Haus in Achaja sich selbst den Heiligen zum Dienst verordnet, und es sollten ihnen deshalb die Gläubigen „untertan sein und jedem, der mitwirkte und arbeitete“ (1. Kor. 16, 15. 16).

Wenn man fragt: Wie konnten denn solche Männer als vom Herrn in ihren Dienst gestellt erkannt werden? so ist die Antwort schon gegeben. „Durch ihr Werk“, sagt der Apostel. Oder: „den Ausgang ihres Wandels anschauend, ahmet ihren Glauben nach“ (Hebr. 13, 7). Woran erkennt man einen wahren Christen? Woran einen Evangelisten, Hirten oder Lehrer? An dem treuen Wandel, dem Eifer, Seelen für Christum zu gewinnen oder die für Jesum gewonnenen weiter zu führen, zu pflegen, zu nähren, zu weiden und zu hüten. So war es in den ersten Tagen der Gemeinde Gottes, und so ist es heute noch. Sollten wir nun außerstande sein, solche Männer aus unserer Mitte zu erkennen, die als Vorsteher und Führer Ruf und Befähigung von dem Haupte des Leibes empfangen haben? Und wenn wir auch nicht den Auftrag und die Macht haben, sie zu Aufsehern der Herde Gottes zu ernennen, sollten wir sie deshalb weniger achten, ihnen weniger Liebe und Vertrauen entgegenbringen? Ach! was uns so sehr mangelt, ist nicht Einsicht und Erkenntnis, sondern Herzenseinfalt und Herzensunterwürfigkeit.

Die Heranziehung von Stellen wie Apstgsch. 13, 1 — 3; 15, 1. 2. 22; 2. Kor. 8, 19. 23, um darzutun, dass die Wahl von Ärmsten berechtigt sei, zeigt, wie arm man an Beweisen sein muss. Dass die Versammlungen nicht tote Maschinen waren oder heute sein sollen, ist klar. Der Geist Gottes wirkte in ihnen und leitete sie an, in der verschiedensten Weise ihre Teilnahme an dem Werke des Herrn kundzutun, entstehenden Schwierigkeiten zu begegnen, über die von ihnen gesammelten Gelder zu verfügen, zum Zwecke von Verhandlungen oder zur Überbringung der Gaben Männer aus ihrer Mitte abzuordnen und dergleichen Dinge mehr. Aber was beweist das alles für die uns beschäftigende Frage? Im Anschluss an die erstgenannte Stelle, Apstgsch. 13,1 — 3, sei noch ein Wort über das Händeauflegen gesagt. Was man daraus gemacht hat im Laufe der Jahrhunderte, ist bekannt. Zunächst sei daran erinnert, dass nirgendwo im Neuen Testament von Händeauflegen die Rede ist als einem Zeichen der Weihung eines Menschen zum Evangelisten, Hirten, Prediger und dergleichen. Der Herr legte den Kindlein, welche zu Ihm gebracht wurden, oder auch Kranken zur Segnung und Heilung die Hände auf. Die Apostel taten das Gleiche bei Kranken oder bei solchen, welche noch nicht den Heiligen Geist empfangen hatten. Weiter geschah das Händeauflegen, um Männer, die von Gott begabt und bereits in Seinen Dienst berufen waren, Seiner Gnade zu einem besonderen Werk zu Befehlen (Apstgsch. 14, 26), oder andere in förmlicher Weise mit der Besorgung eines Dienstes in zeitlichen Dingen zu betrauen (Apstgsch. 6, 6), oder endlich um durch die Kraft des Heiligen Geistes einem Menschen eine Gabe zu übertragen (2. Tim. 1, 6).

Es mag sein, dass auch Ältesten die Hände aufgelegt worden sind, aber gesagt ist es nirgendwo; vielleicht gerade aus dem Grunde, weil der Heilige Geist voraussah, welch ein Missbrauch mit dieser Handlung getrieben werden würde. Die einzige Stelle, welche dahin gedeutet werden könnte, ist 1. Tim. 5, 22, wo nach einigen Vorschriften betreffs der Ältesten der Apostel sein Kind ermahnt: „Die Hände lege niemandem schnell auf“. Aber ob er dies in Verbindung mit dem Vorangegangenen tut, oder ob er ganz allgemein spricht, ist schwer zu entscheiden. Jedenfalls wäre die Annahme, dass die Worte sich ausschließlich oder auch nur vornehmlich auf die Einsetzung von Ältesten bezögen, durch nichts begründet.

Im allgemeinen war das Händeauflegen im Alten wie im Neuen Testament eine Handlung des Segnens oder des Sicheinsmachens mit dem, welchem die Hände aufgelegt wurden. Selbst in dem obengenannten besonderen Falle der Übertragung einer Gabe durch den Apostel ist diese Bedeutung nicht ausgeschlossen. Nach 1. Tim. 4, 14 waren Weissagungen über Timotheus ergangen, durch welche der Heilige Geist ihn im voraus für den Dienst, den er tun sollte, bezeichnet hatte. Hierdurch geleitet legte der Apostel ihm die Hände auf und teilte ihm so mittelst des Heiligen Geistes die Gnadengabe mit, welche ihn zu jenem Dienst befähigte. Mit dem Apostel hatten sich die Ältesten, die am Orte waren, vereinigt, so dass die Gabe „gegeben worden war durch Weissagung mit Händeauflegen der Ältestenschaft“; zugleich war sie nach 2. Tim. 1, 6 in Timotheus durch das Auflegen der Hände des Apostels. Aus den beiden Stellen geht also einerseits hervor, dass die Ältesten nichts mit der Mitteilung der Gabe zu tun hatten (sie gaben nur ihrer Gemeinschaft mit dem Apostel und Timotheus Ausdruck), und andererseits, dass der Apostel handelte im Anschluss an eine bestimmte Offenbarung des Geistes.

Nachdem wir uns so lange bei den „Ältesten“ auf- gehalten haben, können wir uns im Blick auf die „Diener“ kurz fassen.

Das Amt der Diener oder Diakonen (Griech.: diaconoi) war von geringerer Wichtigkeit als das der Ältesten. Ihnen lag, wie wir im Anfang unserer Betrachtung sahen, die Sorge für das irdische Wohl der Gläubigen ob. Darum waren die Anforderungen, welche an die Diakonen gestellt werden mussten, niedriger als bei den Ältesten. Von ihnen heißt es: „Die Diener desgleichen, würdig, nicht doppelzüngig, nicht vielem Wein ergeben, nicht schändlichem Gewinn nachgehend, die das Geheimnis des Glaubens in reinem Gewissen bewahren“ (1. Tim. 3, 8. 9.) Sie mussten, ehe sie dienen durften, eine Probezeit durchmachen und konnten erst angestellt werden, wenn sie sich als „untadelig“ erwiesen hatten. Auch ihre Weiber mussten »würdig sein, nicht verleumderisch, nüchtern, treu in allem“. Es gab, wie wir aus dem Falle der Phöbe ersehen, auch weibliche Diakonen, „Dienerinnen der Versammlung“, aber an der uns beschäftigenden Stelle handelt es sich ohne Zweifel um die Frauen der Diakonen. Da diese sich naturgemäß vielfach mit den Umständen und zeitlichen Angelegenheiten der Familien beschäftigen mussten, konnten sich ihre Weiber sehr nützlich dabei machen, was bei den Ältesten. die über die Seelen der Gläubigen und deren geistliches Wohl zu wachen hatten, ausgeschlossen war. Deshalb wird bei jenen nichts von Weibern gesagt; hier aber werden Anforderungen an die Frauen gestellt, deren Erfüllung das Ansehen ihrer Männer, der Diakonen, erhöhte und sie selbst vor Schwätzereien und deren üblen Folgen bewahrte.

Die Diener durften, wie die Ältesten, nur ein Weib haben und mussten ihren Kindern und Häusern wohl vorstehen (V. 12).

Die einzige Stelle, welche uns Näheres über die Wahl und Anstellung von Diakonen berichtet, ist Apstgsch. 6, 1 — 6. Zwar werden die „Sieben“, welche dort zur „Bedienung der Tische“ bestellt werden, nicht gerade Diakonen genannt, aber der ganze Bericht zeigt deutlich, dass es sich um die Anstellung von solchen Männern handelt, wie sie in 1. Tim. 3, 8 — 13 beschrieben werden. Und wie geschah die Anstellung? Die Versammlung oder Gemeinde sah sich um nach geeigneten Männern aus ihrer Mitte, die über dieses Geschäft bestellt werden konnten, und die Apostel bestellten sie. Hier trat also die Versammlung (Gemeinde) unmittelbar und in entscheidender Weise in Tätigkeit. Und war es nicht ganz richtig so? Wenn eine Versammlung aus ihrem irdischen Besitz zur Unterhaltung der Armen, Witwen usw. beisteuert, ist es dann nicht durchaus am Platze, dass sie auch eine Stimme in der Wahl derer hat, welche die Gaben zur Verwendung bringen? Sollte sie sich nicht nach solchen Männern aus ihr umsehen, die durch ihr bisheriges Verhalten die Gewähr bieten, dass sie in der Austeilung der Gelder nicht nur mit peinlicher Gewissenhaftigkeit, sondern auch mit Weisheit von oben zu Werke gehen werden? Ja, zeigt sich nicht Gottes Güte und Treue gerade darin, dass Er uns in Seinem Worte ein solch einfaches und deutliches Beispiel von dem diesbezüglichen Verhalten einer Versammlung gegeben hat?

„Und die Rede gefiel der ganzen Menge; und sie erwählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und Heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, einen Proselyten aus Antiochien, welche sie vor die Apostel stellten; und als sie gebetet hatten, legten sie ihnen die Hände auf“ (V. 5. 6). Die ganze Menge der Gläubigen erwählte also die Männer, welche sie für den Dienst geeignet hielt, aber doch gab diesen die bloße Wahl noch nicht ihren Platz“. Die Gewählten wurden vor die Apostel gebracht, und diese bestellten sie dann förmlich zu ihrem Amt.

Was folgt daraus? Dass wir heute keine Diakonen mehr wählen dürfen? Nein; wenn das Bedürfnis sich dazu ergibt, hat eine Versammlung gewiss heute wie damals die Berechtigung, sich nach Männern aus ihrer Mitte umzusehen, welche geeignet und imstande sind, die irdischen Angelegenheiten der Versammlung zu besorgen. Die Sache liegt ganz anders als bei den Ältesten. Fehlt auch, hier wie dort, die apostolische Macht, um die Gewählten zu bestätigen und förmlich anzustellen (wer sollte es tun?), so gibt es doch nach der Schrift keinen Grund, weshalb eine Versammlung ihre äußeren Angelegenheiten heute nicht mehr in der Weise ordnen dürfte, wie Gottes Wort in Apstgsch. 6, 1 — 6 ihr Anleitung dazu gibt. Indes wird man diese Männer infolge der Zersplitterung wohl nicht Diener der Versammlung in . . . nennen dürfen. 164

Noch einmal sei daran erinnert, dass es sich hier ausschließlich um äußere Dienste, nicht aber um irgendwelche Betätigung von Geistesgaben handelt. Dass Diener, welche wohl gedient hatten, sich ,,eine schöne Stufe« erwerben konnten und „viel Freimütigkeit im Glauben, der in Christo Jesu ist2, sagt uns 1. Tim. 3, 13; und die Fälle von Stephanus und Philippus beweisen es. Auch war und ist Gott selbstverständlich nicht beschränkt, solchen Männern Gaben zur Verkündigung des Evangeliums, zur Auferbauung der Seinigen, zur Verteidigung Seiner Wahrheit. zu verleihen. Wenn man aber sagt: „Stephanus tut große Wunder und Zeichen unter dem Volke und legt geistesmächtige Zeugnisse vom Herrn ab, und Philippus Verkündigt das Evangelium in Samaria; mithin musste der Dienst, zu dem die sieben Männer gewählt wurden, die Wortverkündigung und den Evangelistenberuf in sich schließen“, so widerspricht das so unmittelbar den einfachen Belehrungen der Schrift, dass man eine Erklärung nur finden kann in dem dichten, jeden klaren Ausblick und Umblick hindernden Nebel menschlicher Meinungen und Lehren, von welchen man nicht loskommen kann. Immer wieder will der Mensch, bewusst oder unbewusst, in die Rechte eingreifen, welche Gott sich vorbehalten hat. Nur die Gnade vermag uns von dieser bösen Neigung zu befreien, und je mehr wir sie in uns wirken lassen, desto mehr werden wir mit heiligen: Eifer über die Rechte Gottes wachen und dem Ich den Platz anweisen, der ihm gebührt, sei es im persönlichen Leben, sei es in der Versammlung und im Dienste des Herrn. Was kann ein Mensch, was eine ganze Versammlung zu tun haben mit der Übertragung von Gaben, die von dem verherrlichten Christus ausfließen und von dem Heiligen Geiste ausgeteilt werden, wie Er will?

Fußnote:

*) Man sagt: „Der Schluss ist unrichtig; denn Paulus hat alle seine Gemeindeschreiben an die Heiligen, Brüder usw. gerichtet und nicht an die Ältesten, Vorsteher, auch wenn solche, wie z. B. in Ephesus, vorhanden waren“. Selbstverständlich! Hätte er das nicht getan, so wären es ja gar keine Gemeindeschreiben, sondern Briefe an die Ältesten oder Vorsteher.

Dass in dem Briefe an die Versammlung in Ephesus, wo es Älteste gab, diese nicht erwähnt werden, ist wiederum leicht begreiflich. Die Zustände waren zur Zeit der Abfassung des Briefes so gut, dass eine besondere Warnung oder Mahnung an die Ältesten gar nicht am Platze gewesen wäre. Diese hatten getan, was der Apostel ihnen in Milet ans Herz gelegt hatte (Apstgsch. 20, 28).

Gedanken

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 164ff

Das einzige Mittel, um Gottes Gedanken kennen zu lernen, ist das Wort Gottes; die Kraft, dieses Wort zu verstehen, ist der Geist Gottes, und Der, in dessen Licht es allein verstanden werden kann, ist der Christus Gottes.

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„Gebet Wein denen, die betrübter Seele sind“ lesen wir in den Sprüchen (Kap. 31,6); aber Seine Liebe ist besser als Wein, sie erquickt und stärkt ohne jede Erregung des Fleisches oder der Natur.

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Die Weise Pauli

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 165ff

Der Herr erwartet von uns, dass wir, nachdem wir errettet sind, uns auch um die Rettung anderer bemühen. Er will, dass wir ihnen erzählen von unserem Glück, von dem Reichtum Seiner Gnade, dass wir sie aufmerksam machen auf ihre gefährliche Lage und ihnen den Weg des Heils zeigen, indem wir ihnen das kostbare Evangelium bringen. Es ist auch eines der sichersten Kennzeichen von dem Wachstum und der richtigen Herzensstellung (des Einzelnen sowohl, wie einer ganzen Versammlung), wenn ein lebhaftes Verlangen nach Errettung unsterblicher Seelen vorhanden ist. Und dieses Begehren nimmt umso mehr zu, je mehr wir ihm nachkommen. Paulus wünschte, wie er an die Korinther schreibt, „das Evangelium noch überströmender weiter über sie hinaus zu verkündigen“ (2. Korinther 10, 16). Ja „weiter über die Nächststehenden hinaus“, das sollte auch der Wahlspruch für jeden sein, den das Herz treibt, Christum den Seelen zum Heile vorzustellen.

Das ,,weiter hinaus« kennt keine Grenzen, als nur die, welche der Herr uns durch Seinen Willen und durch das Maß der geschenkten Befähigung steckt. Es bedeutet für den einen das nächste Haus, für den anderen die nächste Straße, das nächste Dorf, die nächste Stadt, das nächste Land, ja, vielleicht die Enden der Erde. Wie weit für dich, wie weit für mich, das müssen wir vor dem Herrn abwägen. Wir sollten aber nicht träge sein. Die Zeit ist gedrängt. Die Ewigkeit rückt immer näher. Der Herr ist nahe. Jede Seele ist kostbar. Die Zeit des Wirkens ist bald vorbei. Lasst uns denn den kostbaren Samen der Wiedergeburt immer „weiter hinaustragen! „Säe deinen Samen am Morgen, und des Abends ziehe deine Hand nicht ab“, (d. h. lass nicht ab, fahre unermüdlich fort,) „denn du weißt nicht, welches gedeihen wird: ob dieses oder jenes“ (Pred. 11, 6).

„Gib einen Teil an sieb en (die vollkommene Zahl), ja, sogar an acht (wohl eine Andeutung auf die Gnade Gottes, die sich ohne Grenzen über alle erstreckt), denn du weißt nicht, was für Unglück sich auf der Erde ereignen wird (Pred. 11, 2).

Der Herr erwartet aber noch mehr von uns in dem Dienst, das Evangelium „weiter über uns hinaus“ zu verkündigen. Es ist nicht genug, die Schafe zu sammeln, um sie dann sich selbst zu überlassen. Das entspricht nicht der Weise unseres Herrn Jesu. Seine Sorge, Sein ganzes Interesse gehört dem Erretteten von dem Augenblick an, da er auf Seine Stimme hört, bis zu der Zeit, wann er im Hause des Vaters bei Ihm sein wird. Paulus verstand das. Er sagte zu Barnabas, auch einem Lehrer in der Versammlung zu Antiochien, in dessen Gemeinschaft er das Evangelium „über Antiochien hinaus“ verkündigt hatte: „Lass uns zurückkehren und die Brüder besuchen in jeder Stadt, in welcher wir das Wort des Herrn verkündigt haben, und sehen, wie es ihnen geht“ (Apstgsch. 15, 36).

Sein Herz drängte ihn, die Brüder, „die einen gleich kostbaren Glauben mit ihm empfangen hatten“ (vergl. 2. Petr. 1), wieder aufzusuchen, um zu sehen, wie es ihnen ging. Wie weittragend sind diese Worte: „wie es ihnen geht“! Nicht allein körperlich oder geistig; nein, Paulus wollte sich überzeugen, ob ihre Erkenntnis Fortschritte machte, ob ihre Freude im Herrn wuchs, ob sie selbst immer reichlicher zunahmen, er wollte zusehen, in welcher Weise sie wandelten, und inwieweit sie in der Wahrheit befestigt waren inmitten der Prüfungen und Umstände dieses Lebens.

Der Herr ist besonders besorgt für die Kindlein im Glauben. Kann es etwas Rührenderes geben, als die Sorgfalt des Herrn, mit welcher er den Ananias dem eben bekehrten Saulus sandte? „Ananias! Stehe auf und gehe in die Straße, welche die gerade genannt wird, und frage im Hause des Judas nach einem mit Namen Saulus, von Tarsus; denn siehe, er betet!“ (Apstgsch. 9, 11). Beachte, mit welcher Genauigkeit der Herr die Adresse dieses neugefundenen Schafes angibt. Er nennt die Straße, die Hausnummer so zu sagen, den vollständigen Namen des Saulus und sogar seine Beschäftigung für den Augenblick. Sein gnädiges Auge umfasst jedes Ding, das mit denen in Beziehung steht, für welche Er Sein kostbares Leben gegeben hat. Es gibt eben nichts, keinen noch so alltäglichen Umstand auf dem Pfade des Schwächsten Seiner Glieder, wofür unser hochgelobter Herr nicht ein Auge hätte. Sein Name sei dafür gepriesen!

Mögen Seine Gnade und Liebe uns eifriger machen, »das Evangelium überströmender, immer weiter über unsere Umgebung hinaus, zu verkündigen«, und uns dann drängen, „zurückzukehren und die Brüder zu besuchen in jeder Stadt, in welcher wir das Wort des Herrn verkündigt haben, und zu sehen, wie es ihnen geht“!

Barnabas ist der Aufforderung Pauli nicht gefolgt; er zog es vor, mit der Verkündigung des Evangeliums „weiter hinaus“ in Cypern fortzufahren. Wenn auch sein Dienst dort gesegnet gewesen sein mag, so hören wir doch nichts mehr von ihm, während der Heilige Geist von Paulus niedergeschrieben hat, dass er, „von den Brüdern der Gnade Gottes befohlen, Syrien und Cilicien durchzog und die Versammlungen befestigte“ (Apstgsch. 15, 40. 41).

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Am Jakobsbrunnen

Bibelstelle: Johannes 4

Botschafter des Heils 1912 S. 168ff

Wer schreitet dort aus Sichars Toren

zum Brunnen hin im Mittagsbrand?

Ein Weib, verachtet und verloren,

die Niedrigste vielleicht im Land.

Zur Zeit, da aus dem weichen Lager

der Nachbarn Schar des Traums begehrt, —

der Hoffnung bar, gebeugt und hager,

mit Schmach bedeckt, von Schuld beschwert,

die Stunde meidend, da im Schwarme

die Menge ihre Krüge füllt,

den Schöpfkrug aus gebranntem Arme —-

so geht sie hin, der Schande Bild.

Wer eilt zurück zu Sichars Toren,

leichtfüßig fliegend durch den Sand?

Ein Weib, erlöst und neugeboren,

die Glücklichste vielleicht im Land!

Dess will ihr jubelnd Herz sich freuen,

sie fand Den, dem kein Andrer gleicht,

und braucht den Trunk nie zu erneuen,

den Seine Gnade ihr gereicht.

Durchsichtig lag, gleich dem Kristalle,

vor Seinem Blick ihr Herzensschrein,

und Frieden ward ihr — alle, alle

Bedrückten ladet sie jetzt ein!

Der Engel der Versammlung

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 184ff

Die sieben Sendschreiben der Offenbarung sind bekanntlich nicht unmittelbar an die Versammlungen oder Gemeinden selbst, sondern „an den Engel der Versammlung« gerichtet. Hieraus hat man gefolgert, dass an der Spitze dieser Versammlungen ein Aufseher oder Diener gestanden habe, „der für seine Herde verantwortlich gemacht werde“. Der Herr wende sich an diesen Engel oder Vorsteher und ziehe ihn für den jeweiligen Zustand in der Gemeinde zur Rechenschaft.

Wir wollen uns einen Augenblick mit dieser Folgerung und den auf sie gegründeten Handlungen beschäftigen. Vorher sei jedoch ein kurzes Wort über die Gemeinden selbst gesagt. Dass es zur Zeit der Abfassung des Buches der Offenbarung sieben Versammlungen in der römischen Provinz Asien (einem Teile des jetzigen Kleinasien) gab, deren Zustand dem in den Sendschreiben geschilderten entsprach, unterliegt keinem Zweifel, wird auch wohl von niemand bestritten. Diese sieben Gemeinden haben geschichtlich bestanden. Aber ganz von selbst drängt sich dem aufmerksamen Leser der Briefe die Frage auf: Warum hat der Herr gerade diese, außer Ephesus so wenig bekannten Gemeinden aus den vielen damals bestehenden ausgewählt? Warum gerade sieben? Die Zahl »sieben« ist dem Bibelforscher bekannt als Ausdruck von irgend etwas Vollkommenem, Abgerundetem, in geistlichem Sinne. Dass sie gerade hier, in dem Buche der Offenbarung, bedeutungsvoll ist, liegt auf der Hand. Aber mehr noch. Die sieben Sendschreiben stellen uns nach der Erklärung des Herrn selbst das, „was ist“, vor Augen. „Schreibe nun was du gesehen hast (Kap. 1, 9 ff.), und was ist (Kap. 2 u. 3), und was geschehen wird nach diesem“ (Kap. 4 ff.) Dass diese Einteilung nicht willkürlich ist, beweist Kap. 4, 1. Dieselbe Stimme, welche im 1. Kapitel geredet hatte, ruft hier dem Propheten zu: „Komm hier herauf, und ich werde dir zeigen, was nach diesem geschehen muss“. Das, „was ist“, (was schon zu Lebzeiten des Johannes bestand) endet daher mit dem 3. Kapitel, und im 4. beginnt die Erzählung dessen, „was nach diesem (d. h. nach dem Inhalt des 2. und 3. Kapitels) geschehen muss« — der Prophet wird von der Erde in den Himmel entrückt und sieht den Thron, von welchem aus die Gerichte über die Erde ergehen.

Es gab also in jener Zeit sieben Versammlungen, deren innerer Zustand dem von dem Herrn entworfenen Bilde entsprach. Sie werden mit goldenen Leuchtern (Lichtträgern) verglichen. In ihrer Mitte wandelt der in richterlichem Gewande erscheinende Sohn des Menschen. Dass der Herr allezeit „als Segensquelle“ in der Versammlung ist und als Haupt des Leibes die Seinigen nährt und pflegt, ist zweifellos; aber hier wird Er nicht in diesem Charakter geschaut. Er erscheint nicht als Der, welcher Öl auf die Lampen gießt, wenn es nötig wird, nicht als der gute Hirte der Schafe, oder als Der, welcher die Füße der Seinigen wäscht oder den Menschen Gaben austeilt, sondern in Seiner ernsten Würde als Richter. Aus Seinem Munde geht ein scharfes, zweischneidiges Schwert hervor, und mit Augen, die wie eine Feuerflamme sind, sieht Er zu, ob die Leuchter ihrer Verantwortlichkeit entsprechen.

Ist denn der Ausdruck „was ist“ auf die sieben örtlichen Gemeinden zu beschränken, an welche die Sendschreiben gerichtet wurden? Waren für sie allein die Mitteilungen des Herrn bestimmt? Oder müssen wir an die ganze christliche Kirche denken, wie sie damals auf Erden bestand? Die Zahl „sieben“ leitet unsere Gedanken, wie gesagt, auf etwas „Vollkommenes“. Jene sieben Gemeinden machten aber nur einen ganz kleinen Teil des gesamten christlichen Zeugnisses von damals aus. Zugleich werden die Ermahnungen, welche auf Grund des inneren Zustandes der Gemeinden ergehen, an alle gerichtet, welche ein Ohr haben zu hören: „Wer ein Ohr hat, höre was der Geist den Versammlungen sagt“.

Wir möchten also wohl an die ganze Gemeinde des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung denken, wenn nicht ein wichtiger Punkt dagegen spräche. Jedes Sendschreiben schildert bekanntlich einen anderen Zustand, verschieden von den vorhergehenden oder nachfolgenden. Es ist deshalb kaum möglich, alle sieben auf den Gesamtzustand der damaligen Kirche anzuwenden. Alle sieben können nicht zu gleicher Zeit charakteristisch für diesen Gesamtzustand gewesen sein. Und was für jene ersten Tage gilt, ist selbstverständlich auch wahr für alle späteren Zeiten. Man kann unmöglich sieben so völlig verschiedene, ja, einander entgegengesetzte Zustände zu irgend einem gegebenen Zeitpunkt auf den allgemeinen Zustand der Kirche anwenden. Wenn das aber so ist, dann ergibt sich ganz von selbst der Gedanke, dass die Sendschreiben eine Reihenfolge von Zuständen beschreiben müssen, welche sich im Laufe der Jahrhunderte, während der ganzen Dauer des christlichen Haushalts, in der bekennenden Kirche zeigen würden, und welche das Auge des Herrn voraussah.

Damit wird dann auch die Zahl ,,sieben« durchaus verständlich, ebenso die Auswahl der Gemeinden, nicht nach Alter, Größe, Bedeutung oder dergleichen, sondern nach den damals in ihrer Mitte herrschenden charakteristischen Zuständen. Die Geschichte der Kirche zieht in einem ergreifenden prophetischen Gemälde von dem ersten Beginn des Verfalls, dem Verlassen ihrer ersten Liebe (in Ephesus), bis zum Ausgespieenwerden aus dem Munde des Herrn (in Laodicäa) an unserem Auge vorüber. Der Herr selbst beurteilt und richtet den Zustand, warnt, droht und gibt dem Überwinder Verheißungen. Er ist „der Erstgeborene“, der den ganzen Erdkreis richten wird (vergl. die späteren Kapitel der Offenbarung); aber Sein Gericht beginnt beim Hause Gottes.

Die Versammlung (Gemeinde) ist an die Stelle Israels getreten. Jerusalem war einst der Mittelpunkt oder Sitz des Zeugnisses Gottes. Von dort aus strahlte Sein Licht über die Erde. Israel und Jerusalem haben aber ihrer Verantwortlichkeit als Lichtträger nicht entsprochen und sind deshalb beiseite gesetzt worden. An ihre Stelle ist das Christentum getreten. Die bekennende Kirche ist Gottes Leuchter oder Lichtträger geworden. Jerusalem, die Stadt, welche durch die Ermordung des Messias Gottes Zorngericht über- sich gebracht hat, ist verschwunden, und die bekennende Kirche ist jetzt die einzige Zeugin für Gott in dieser Welt. Unter diesem Charakter und von diesem Gesichtspunkt aus wird die Kirche in der Offenbarung gesehen. Daher das Symbol der „sieben goldenen Leuchter“, in deren Mitte der Sohn des Menschen wandelt mit „Füßen gleich glänzendem Kupfer, als glühten sie im Ofen« — wiederum ein ausdrucksvolles Bild des Gerichts (Vergl. Dan. 7, 9. 10).

Es ist hier indes nicht der Platz, in weitere Einzelheiten einzugehen. Wir kommen deshalb zu unserem eigentlichen Thema.

„Dem Engel der Versammlung in Ephesus schreibe: Dieses sagt usw.“ So beginnt das erste Sendschreiben, und mit genau denselben Worten werden »die anderen sechs eingeleitet. Der Herr wendet sich also nicht unmittelbar an die Versammlungen selbst. Warum nicht ? Paulus richtete seinen Brief an »die Heiligen und Treuen, die in Ephesus sind«; in anderen Fällen schreibt er, an »die Versammlung Gottes, die in Korinthe ist«, an „die Versammlung der Thessalonicher in Gott, dem Vater«, an „alle Heiligen in Christo Jesu, die in Philippi sind, mit den Aufsehern und Dienern“ usw. Seine Anrede ist also immer herzlich und voll Gnade. Warum ist es mit einemmale so ganz anders? Haben sich die Gedanken und Gefühle des Herrn im Blick auf Seine Gemeinde verändert? Keineswegs. Wie wäre das möglich? Nein, was sich verändert hat ist die Gemeinde. Sie ist nicht mehr das, was sie im- Anfang war, und wenn der Herr sie mit Seinem alles erforschenden Auge betrachtet, als Herr und Richter, wie wir sahen, so kann Er nicht mehr in dem familiären, vertraulichen Ton der Liebe zu ihr reden wie früher. Er ist der Gerechte und bleibt in Seinen Regierungswegen sich selbst treu. Er kann sich nicht verleugnen. Und da die Versammlung bereits ihre erste Liebe verlassen hat, so redet Er gleichsam aus einer gewissen Entfernung und beauftragt Seinen Knecht, nicht an die Versammlung selbst, sondern an ihren Engel oder Vertreter zu schreiben.

Wer ist nun der Engel der Versammlung? Ein wirklicher Engel, eines jener geistlichen Wesen, die um den Thron Gottes her stehen, Seines Winks gewärtig, „Täter Seines Wohlgefallens? (Ps. 103, 21). Das kann nicht wohl sein; es wäre den Wegen Gottes, soweit sie uns bekannt sind, völlig entgegen. Gott gebraucht wohl Engel, um durch sie den Menschen Seinen Willen kundzutun oder ihnen eine Botschaft zu senden, niemals aber hat Er Menschen (hier wäre es Johannes) als Mittelspersonen zwischen sich und Seinen Engeln verwandt.

Dann war der Engel also doch wohl, wie die meisten Ausleger meinen, irgend eine amtliche Person, der Aufseher (Bischof) oder ein durch Alter, Erfahrung usw. hervorragender Ältester? Auch das ist nicht möglich. Denn wenn auch in nicht viel späteren Tagen (da der Verfall reißend schnelle Fortschritte machte) eine einzelne Person als Hirte oder Bischof einer örtlichen Gemeinde Anerkennung fand, so war das in der Zeit der Abfassung des Buches der Offenbarung doch noch eine völlig unbekannte Sache; sie steht ja auch mit den Belehrungen der Heiligen Schrift über die Versammlung oder Gemeinde in geradem Widerspruch. Die Schrift redet niemals von einem Aufseher oder Ältesten einer Gemeinde, sondern immer nur von den Aufsehen: oder Ältesten« der Versammlung in — —. Die Anstellung und Anerkennung einer Person als Leiter, Aufseher, Hirte usw. einer Gemeinde ist eine Erfindung des Menschen, nicht mehr und nicht weniger; eine Erfindung allerdings, die bis in die ersten Anfänge der Geschichte der Kirche, bis in den Beginn des 2. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung hinausreicht, die aber deshalb doch nicht mehr Wert oder Gewicht hat als jedes andere Menschensündlein. Und selbst wenn sie noch älter wäre, würde der Herr ihr wohl Seine Anerkennung zuteil haben werden lassen, Er, der so eifersüchtig über die Aufrechthaltung Seiner Wahrheit wacht? Nimmermehr!

Überdies wäre der Titel „Engel“ für einen Aufseher oder Ältesten eine völlig neue Sache, die wiederum durch nichts in den apostolischen Schriften gestützt oder auch nur angedeutet ist. Wir müssen deshalb nach einer anderen Erklärung suchen, und wir meinen, sie liege in dem Buche der Offenbarung, das von Symbolen mannigfaltigster Art angefüllt ist, nicht fern.

Der Titel „Engel“— hat offenbar eine symbolische oder sinnbildliche Bedeutung, ähnlich wie die Bezeichnung „Sterne“ in Kap. 1, 20: „Die sieben Sterne (in der Rechten des Herrn) sind Engel der sieben Versammlungen«. Und wenn das so ist, so haben wir uns unter dem „Engel der Versammlung“ eben nicht eine bestimmte amtliche Person, sondern eine sinnbildliche Vertretung der Gemeinde zu denken. Zu dieser Auffassung gibt uns die Schrift selbst unmittelbare Anleitung· Immer wieder begegnen· wir der Benutzung von Engeln in vertretendem Sinne. Der Engel des Herrn, der Engel des Bandes — so heißt es an vielen Stellen in den Büchern des Alten Testamentes. Gott selbst sagt in 2. Mose 23, 21 von dem Engel, den Er Israel als Führer und Hüter senden wollte: „Hüte dich vor ihm und höre auf seine Stimme und reize ihn nicht; denn er wird eure Übertretung nicht vergeben, denn mein Name ist in ihm“. Und oft werden die Ausdrücke ,,Jehova« oder »der Engel Jehovas« wechselseitig gebraucht. Der Engel Jehovas steht für Jehova selbst. (Vergl. z. B. Richt. 6.) Im Buche Daniel werden Engel mit Israel oder anderen Mächten eins gemacht: „Der Fürst des Königreichs Persien (ein Engelfürst) stand mir entgegen“; „in jener Zeit wird Michael aufstehen, der große Fürst, der für die Kinder deines Volkes steht“ (Kap. 10, 13; 12, 1). Im Neuen Testament hören wir, dass die ,,Engel der kleinen Kinder allezeit das Angesicht des Vaters im Himmel schauen (Matth. 18, 10), und wenn Petrus, auf wunderbare Weise aus dem Kerker befreit, an die Tür des Hauses der Maria klopft, sagen die im Hause versammelten Gläubigen der Botschaft bringenden Magd: „Es ist sein Engel“ (Apstgsch. 12).

So ist denn der Engel der Versammlung gleichsam die Verkörperung ihrer Verantwortlichkeit, der ideale verantwortliche Vertreter des Ganzen. Die Aufseher der Gemeinden, ob von den Aposteln angestellt oder nicht, hatten infolge ihrer Stellung gewiss eine besondere Verantwortlichkeit. Der Engel stellt jedoch die ganze Versammlung dar, wenn auch jene Personen zunächst gemeint sein mögen, weil sie eben unter einer höheren und ernsteren Verantwortlichkeit standen als die übrigen. Darum kann auch zu dem Engel gesagt werden: „Ich werde deinen Leuchter aus seiner Stelle wegtun“, oder: „Ich habe ein weniges wider dich, das; du solche dort hast“; während wir an anderen Stellen lesen: „Der Teufel wird etliche von euch ins Gefängnis werfen“; „auch in den Tagen, in welchen Antipas mein treuer Zeuge war, der bei euch . . . ermordet worden ist“; „euch aber sage ich, den übrigen, die in Thyatira sind, so viele diese Lehre nicht haben“ usw.

Der Engel erscheint also an vielen Stellen als gleichbedeutend mit der Versammlung, an anderen wird zwischen ihm und der Versammlung ein Unterschied gemacht, indem diese selbst oder einzelne Teile von ihr angeredet oder hervorgehoben werden — ein Beweis also, dass die Briefe, wenn auch nicht unmittelbar, so doch in ihrer ganzen schwerwiegenden Bedeutung an die Gemeinden selbst sich richten und für sie bestimmt sind. Der Gedanke an eine einzelne, mit Autorität bekleidete Person in ihrer Mitte oder gar an ihrer Spitze, welche die Verantwortlichkeit für die Gesamtheit trüge, ist völlig ausgeschlossen, durchaus schriftwidrig. Alle Beweisführungen, die man hierauf stützt, um darzutun, dass jeder örtlichen Versammlung ein einzelner Mensch, unter welchem Titel es nun sei -— als Hirte, Lehrer, Prediger, Aufseher oder dergl. — vorstehen und sie leiten solle, sind demnach hinfällig. Das berührt aber keineswegs die Frage der ernsten Verantwortlichkeit aller derer, welchen der Herr eine Gabe anvertraut oder einen Austrag, einen Dienst für die Versammlung, Seinen Leib, gegeben hat. Diese Verantwortlichkeit bleibt in ihrem ganzen Umfang bestehen, und da, wo sie gefühlt wird, wird dieses Gefühl Ernst und heilige Wachsamkeit in der Seele wachrufen.

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Wenn wir Nahrung und Bedeckung haben so wollen wir uns daran genügen lassen

Bibelstelle: 1. Timotheus 6,8

Botschafter des Heils 1912 S. 193ff

Gottes Wort bezeichnet den Christen als einen Fremdling in dieser Welt. Er ist durch den Tod seines geliebten Herrn so völlig von ihr abgesondert, wie einst Israel durch den Durchgang durch das Rote Meer von Ägypten getrennt war. Er ist mit Christo gestorben und auferweckt. (Kol. 2, 12.) Als ein himmlischer Fremdling pilgert er durch die Welt, die für ihn eine Wüste geworden ist. Mit umgürteten Lenden und brennender Lampe (d. h. stets bereit, jeden Dienst, den der Herr ihm aufträgt, auszuführen und ein treues Zeugnis für Ihn und die Wahrheit zu sein) steht er täglich, stündlich da und wartet auf seinen Herrn. Dieser wird bald zurückkehren und ihn ins Vaterhaus holen, wo schon eine Stätte für ihn bereitet ist. Von allem, was er hier besessen hat, nimmt er dann nichts mit; wenn er es könnte, welchen Wert würde es dort haben? Auch kommt es nicht in Betracht, welche Stellung er auf Erden eingenommen hat, ob hoch oder niedrig, geehrt oder gering geachtet, ob er arm oder reich war- Solche Unterschiede kommen dort nicht mehr zur Geltung. Da ist in Wahrheit Christus alles und in allen. Mit einem Leibe bekleidet, der dem Leibe Seiner Herrlichkeit gleichgestaltet ist, werden alle Ihm gleich sein. (Phil. 3, 21; 1.Joh. 3, 2.) Alle sind Kinder und darum Erben, Erben Gottes und Miterben Christi (Röm. 8, 17). Dass es nichts Herrlicheres geben kann, — mit Ausnahme der Herrlichkeit Dessen, der alles in allem erfüllt, — brauchen wir kaum zu sagen.

Doch wie herrlich diese unsere Hoffnung auch sein mag, noch sind wir hienieden, in der Wüste. Noch wandeln wir im Glauben, nicht im Schauen. Einst führte Jehova Sein Volk Israel durch die Wüste nach Kanaan. Sie waren auf diesem Wege ganz von Ihm abhängig. In der Wüste fanden sie nichts von dem, was sie für ihren Lebensunterhalt bedurften; ja, sie kannten nicht einmal den richtigen Weg. Doch wie treu hat Gott für alles gesorgt! Er speiste Sein Volk mit dem „Man“ und tränkte es aus dem „Kieselfelsen“. Er sorgte dafür, dass ihre Kleider nicht zerfielen, ja, dass selbst ihre Füße auf der langen Reise nicht schwollen (5. Mose 8).

Darin liegt eine wichtige Belehrung für uns, die wir uns jetzt aus dem Wege nach dem himmlischen Kanaan befinden. „Denn alles was zuvor geschrieben ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben“ (Röm. 15, 4.) Möchten wir es nur von Herzen verstehen, wie abhängig wir auf unserer Reise von Ihm find, den wir als unseren Vater kennen, und der uns vollkommen liebt! Er will, „dass wir nicht besorgt sind für das Leben, was wir essen, noch für den Leib, was wir anziehen sollen“ (Luk. 12, 22). Wir dürfen alle unsere Sorgen auf Ihn werfen, denn Er ist besorgt für uns. (1. Petr. 5, 7.) Das sind tröstliche, ermunternde Aussprüche aus dem Munde Dessen, der zu Seinem Worte steht, der da hält was Er verspricht. Kostbare, gesegnete Erfahrungen machen Gottes Kinder, wenn sie, durch mancherlei Schwierigkeiten und Entbehrungen gehend, dem Vater vertrauen und auf Seine Hilfe warten. Wenn Gott die Raben speist und die Lilien kleidet, wieviel mehr Seine Kinder, die Ihm so teuer geworden sind!

Doch es gibt noch eine andere Gefahr für die Kinder Gottes, als Kleinglaube und Verzagtheit. Vielleicht ist im Blick auf den Lebensunterhalt gar kein Mangel da, und doch trachtet man nach den irdischen Dingen, nach Hab und Gut, und ist voll Unruhe. Die Alten, welche 50, 60 und noch mehr Jahre zurückblicken können, sehen erstaunt, welch unermessliche Veränderungen in den irdischen Verhältnissen stattgefunden haben. Durch vorteilhafte, erstaunliche Erfindungen sind Industrie und Handel auf eine ungeahnte Höhe gebracht worden. Kunst und Wissenschaft haben einen außerordentlichen Ausschwung genommen. Und wenn auch Gott durch ernste, erschütternde Ereignisse von Zeit zu Zeit zu den Gewissen der Menschen zu reden sucht und manche frevelhafte Spötterei unverzüglich bestraft, so scheint es doch, als wolle Er noch einmal vor dem bald kommenden großen Weltgericht Seine Güte und Menschenliebe einer feindseligen Welt in besonderer Weise offenbaren. Jahre inneren und äußeren Segens sind auch über Deutschland und die umliegenden Länder hingegangen. Trotz der vorhandenen Gärung unter den Völkern hat Gott den Frieden schon über 40 Jahre erhalten.

Wenn wir nun aber fragen: Sind die Menschen durch die vielen Beweise der Güte Gottes zufriedener und dankbarer geworden? so fällt die Antwort verneinend aus. Im Gegenteil, Murren und Unzufriedenheit haben zugenommen. Das Trachten nach den irdischen Dingen ist stärker geworden. Der Mensch tut, als ob er ewig hier bleiben würde, und der von diesem Geist umgebene Gläubige steht in Gefahr, es auch so zu machen und das Bewusstsein seiner Fremdlingschaft zu verlieren. Das einzige Heilmittel ist das unverrückte Anschauen des vor ihm liegenden herrlichen Zieles. Sobald der Herr und die Hoffnung, Ihn zu schauen, aufhören, der ungeteilte Gegenstand des Herzens zu sein, macht das Fleisch seine Ansprüche geltend. Man vergisst erstaunlich rasch, was uns als Fremdlinge kennzeichnen sollte; und in demselben Maße wie man dem Fleische Raum gibt, gewinnen die sichtbaren Dinge an Wert. Man trachtet nach ihnen, man sinnt auf das, was auf der Erde ist (Kolosser 3, 2). Man ist voll Unruhe und fällt in Versuchung und in viele unvernünftige und schädliche Lüste. (1. Tim. 6, 9. 10.) Aber wie steht ein solcher Zustand im Widerspruch mit der Stellung, die dem Gläubigen in dieser Welt geziemt! „Du aber, o Mensch Gottes, fliehe diese Dinge!“

Mancher sucht sich dadurch zu beruhigen, dass er sich einredet, es sei doch „erlaubt“, Reichtum zu erwerben, wenn nur das Herz sich nicht daran hänge. Aber lasst uns nicht vergessen, dass unser Herz ein sehr betrügliches Ding ist. Der Herr allein ist Herzenskündiger. Der Mensch, wir alle urteilen leicht falsch, besonders wenn es sich um uns selbst handelt. Wir sind berufen, in allem den Charakter eines himmlischen Fremdlings vor der Welt zu offenbaren. Zeigt sich dieser völlige Gegensatz zwischen uns und denen, »die auf der Erde wohnen“? Stellen wir in unserem täglichen Leben, im Geschäft, in unseren wohnlichen Einrichtungen, in Kleidung und all unseren Handlungen vor den Blicken der Menschen dar was wir bekennen?

„Wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein«, sagt der Herr Jesus, und Er ist die Wahrheit. Hat nicht mancher seinen Schuh aus dieser Erde und sucht ihn da möglichst zu vergrößern? Und wo muss dann das Herz sein? Würde das Wort: „Wenn wir Nahrung und Bedeckung haben, so wollen wir uns daran genügen lassen“, mehr verwirklicht werden, so würde sicherlich manches, was man sich heute erlaubt, unterbleiben als unpassend für himmlische Fremdlinge.

Lass uns denn, gläubiger Leser, viel an das Wort denken: „Noch um ein gar Kleines, und der Kommende wird kommen und nicht verziehen“! Dann werden die verborgenen Ratschläge der Herzen offenbar werden; alles wird „im Lichte“ gesehen werden. O wie wird es dann zu unserer Freude gereichen, wenn wir hier unserem Herrn treu gewesen sind!

Allein mit dem Herrn

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 206ff

In Joh. 12 sehen wir unseren Herrn inmitten von drei Geschwistern, welche, wie das Wort besonders hervorhebt, alle drei Seine Liebe besaßen. „Jesus aber liebte die Martha und die Maria und den Lazarus.“ (Kap. 11, 5.) Welchen Frieden, welches Licht, welchen Trost brachte Seine Gegenwart in diesen traulichen Familienkreis!

Martha, hier nicht mehr besorgt und beunruhigt um viele Dinge, dient dem Herrn mit glücklichem Herzen; Maria, zu Seinen Füßen sitzend, huldigt Ihm und salbt Ihn mit Salbe von echter, kostbarer Narbe, so dass das Hans von dem Geruch der Salbe erfüllt wurde; und Lazarus, der aus den Toten Auf- erweckte, der Freund Jesu und Seiner Jünger, liegt mit Ihm zu Tische und genießt die Süßigkeit eines stillen, verborgenen Verkehrs. Und in der Mitte der Drei ist Er. Seine heilige· Gegenwart erfüllt ihre Herzen und macht die einfache Hütte von Bethanien zu einer Paradiesstätte.

In dieser um Jesum gescharten Familie erblicken wir zwar zunächst ein Abbild von dem wahren Überrest Israels in seiner verschiedenartigen Stellung dem Messias gegenüber; zugleich aber spiegelt sich in ihr unser Herzensverhältnis zum Herrn in dreifacher Färbung wieder. Jesus blickt auch auf uns, wie damals auf Martha, mit Wohlgefallen, wenn wir Ihm glücklichen Herzens in dieser Welt dienen; Jesus weckt auch in unseren Herzen, wenn wir, wie Maria, Seines Todes gedenken, das Lob, welches als ein Wohlgeruch zu Seinem und unserem Gott emporsteigt; und einem jeden von uns steht auch der vertrauliche Platz des Lazarus an Seiner Seite offen, der Platz des persönlichen, stillen Verkehrs.

Immer ist Jesus in unserer Nähe, wenn wir Seine Gemeinschaft suchen, und Er erquickt unser Herz, gleichviel ob wir Ihm als Diener, oder als Anbeter, oder in persönlicher, verborgener Zwiesprache gegenüberstehen; nur ist der Charakter der Gemeinschaft verschieden. Heute noch ermahnt und lobt Er liebevoll eine Martha, weint mit einer Maria und unterhält sich mit einem Lazarus. Seine Nähe ruft in der Seele des Dieners und Anbeters triumphierenden Jubel hervor und verleiht dem Herzen des in Seiner stillen, verborgenen Gemeinschaft Ruhenden eine tiefe, innerliche Befriedigung, eine „völlige Freude“, wie das Wort es nennt, wenn es von der Gemeinschaft mit dem Vater und Seinem Sohne Jesu Christo spricht: „Ich schreibe euch dieses, auf dass eure Freude völlig sei (1. Joh. 1, 4.)

Die drei Geschwister wussten dieses traute Zusammensein sehr zu schätzen. Ist es auch unser Begehren, mit Ihm sozusagen zu Tische zu liegen, und, getrennt von der Welt, uns um Ihn zu scharen, wo nichts Ihn hindert, uns zu segnen, und wo wir durch nichts gehindert sind, gesegnet zu werden?

Ohne die Stunden persönlicher Gemeinschaft mit dem Herrn vermögen wir den hohen und heiligen Auftrag, Seine Mitarbeiter in dieser Welt zu sein, nicht auszuführen. Er gibt uns keine persönlichen Mitteilungen für unseren Dienst aus einer gewissen Entfernung; wir müssen Ihm nahe sein, um Mitteilungen empfangen zu können. Das wusste Petrus, als er sich an den im Schoße Jesu liegenden Jünger wandte, um zu erfahren, wer von ihnen den Herrn überliefert: würde. Er sah sich auch nicht darin getäuscht, denn „Johannes, sich an die Brust Jesu lehnend, spricht zu Ihm: Herr, wer ist es?“ Und Jesus beantwortete die Frage alsbald (Joh. 13, 24. 25), Freilich ist der eigentliche Zweck der vertrauten Gemeinschaft nicht der, von Ihm Mitteilungen zu empfangen; wir sollten vielmehr unser Haupt an Seine Brust zu legen wünschen, nur aus Liebe zu Seiner Person. Diese muss vor unseren Augen stehen, indem das eigene Ich mit allem, was wir vielleicht für Ihn tun oder getan haben mögen, völlig in den Hintergrund tritt. Die Schönheit und Lieblichkeit Seiner Person sollte uns zu Ihm hinziehen, der sich so gern einem jeden von uns persönlich in Seiner ganzen Fülle zu erkennen geben möchte.

Dieser Sehnsucht seines Herzens gibt David in Psalm 27 in beredten Worten Ausdruck: ,,Eines habe ich von Jehova erbeten, nach diesem will ich trachten: zu wohnen im Hause Jehovas alle Tage meines Lebens, um anzuschauen die Lieblichkeit Jehovas und nach Ihm zu forschen in Seinem Tempel«. Das war sein Begehren, das Eine, wonach er trachten wollte: beständig da zu wohnen, wo Jehova ihm begegnete in der Vollkommenheit Seiner Liebe, wo er eingehen konnte in der Vollkommenheit Seiner Gerechtigkeit. Unendliche Reichtümer lagen da vor seinem geistigen Auge ausgebreitet, aber was ihn zuerst fesselte, was er zunächst ersehnte, das war, — wir mögen es beachten, — „Seine Lieblichkeit anzuschauen«. Der Wunsch, „in Seinem Tempel zu forschen“, so wichtig und schön er war, kam doch erst an zweiter Stelle. Aus demselben Grunde schätzen auch wir z. B. das Zusammenkommen am Tische des Herrn, wo wir bei der Gedächtnisfeier Seines Todes „Seine Lieblichkeit anschauen“, noch höher, als die gesegneten Stunden, in denen wir »in Seinem Tempel forschen“, d. h. über die Mitteilungen und Offenbarungen Gottes nachsinnen, um Ihn besser kennen zu lernen, der die Wonne Gottes und unser Herr und Hirte ist.

Wenn wir Ihm also mit glücklichem Herzen dienen wollen, wie die Martha, müssen wir zuerst in der Gemeinschaft mit Ihm Seine Lieblichkeit anschauen und uns durch Ihn zum Dienst vorbereiten lassen. Zuerst Ruhen in Christo, dann Entgegennahme Seiner Belehrungen und der für den Dienst notwendigen Kraft. Unserer Neigung entspricht es mehr, zunächst dem Herrn zu dienen und dann in Ihm zu ruhen, uns zuerst im Dienst zu bemühen und dann die Ruhe zu genießen. Aber nein, wir wollen uns aus der Geschichte des Herrn mit Seinen Jüngern belehren lassen.

Diese Jünger hatten viele Vorrechte. Das erste und höchste derselben war, dass sie persönlich „beim Herrn sein“ durften. Wir lesen in Markus 3, 14: „Und Jesus bestellte zwölf, auf dass sie bei Ihm seien, und auf dass Er sie aussende, zu predigen und Gewalt zu haben, die Krankheiten zu heilen und die Dämonen auszutreiben“. Damit der Dienst eine Freude sei, ruft der Herr auch uns zuerst in Seine Gegenwart, auf dass wir bei Ihm seien. Er lässt uns Seine Lieblichkeit anschauen und macht uns zu Seinen Freunden. Auf diese Weise wird der Dienst, zu welchem wir uns Ihm hingegeben haben, ein heiliger und glücklicher, ein Dienst, der frei von Zwang oder Knechtschaft ist. Er soll uns keine Seufzer auspressen, sondern ein Lied auf unsere Lippen legen. Auch wünscht der Herr, dass wir ihn nicht in blindem Gehorsam tun, sondern in der Freude eines geübten Herzens und in dem vollen Verständnis seiner Bedeutung vor Gott. Zur Ausübung des Dienstes gehört ferner eine Kraft, die wir in uns selbst nicht haben, die Er uns zuvor geben muss. Auch diese erhalten wir nur in der Stunde der Gemeinschaft, und zwar je nach den Erfordernissen des Tages, nicht etwa im Vorrat. „Wie deine Tage, so deine Kraft“ (5. Mose 33, 25). Nur wie und wo wir der Kraft bedürfen, gibt der Herr sie uns, denn wenn wir sie auf Vorrat empfingen, so würden wir dadurch nur unabhängig gemacht werden.

Es war Gottes Kraft, wenn Abraham mit seinen wenigen Knechten das Heer von vier verbündeten Königen schlug. Aber noch weit mehr Kraft bedurfte der Patriarch, um alle Anerbietungen des Königs von Sodom, vom Faden bis zum Schuhriemen, auszuschlagen. Dort siegte sein Arm, hier sein Geist. Er hatte so viel genossen in der Gemeinschaft Melchisedeks, des Königs von Salem,-. dass alle Habe des heidnischen Königs in seinen Augen wertlos war. „Nichts für mich!“ konnte er sagen (1. Mose 14).

Auch wir können solche geistlichen Triumphe nur in der Kraft der Gemeinschaft mit unserem Herrn erringen. Aber nicht nur Kraft, nicht nur Verständnis, nicht nur Freude am Dienst gewinnen wir in der verborgenen Gemeinschaft mit Ihm, nein, sie schenkt uns noch Größeres, Wunderbareres. Durch Seine Gnade dürfen wir der Ausdruck Seines liebevollen Herzens sein, sowohl den Seinigen, als auch der Welt gegenüber. Wir sollen den Verbindungskanal bilden zwischen Seinem Herzen und jeglicher Art von Bedürfnissen, wie wir ihnen täglich begegnen. Bewegt es uns nicht, wenn wir in Matth. 15 von der Speisung der 4000 Mann lesen und hören, dass der Herr zunächst Seine Jünger um sich sammelte und ihnen sagte: ,,Ich bin innerlich bewegt über die Volksmenge, denn schon drei Tage weilen sie bei mir und haben nichts zu essen; und ich will sie nicht entlassen, ohne dass sie gegessen haben, damit sie nicht etwa aus dem Wege verschmachten“? Ist es nicht, als ob Er sagte: „Ich bin innerlich bewegt und hätte gern, dass ihr es auch wäret? Ich möchte, dass ihr in meine Gedanken und in meine Gefühle einginget, dass ihr dächtet wie ich, fühltet wie ich? Ich möchte, dass ihr diese hungrigen, abgematteten Menschen, die wie Schafe ohne Hirten sind, mit meinen Augen anschautet, ehe ich das Brot und die Fische in eure Hände lege?“

Und wie damals, so bemüht Er sich auch heute noch, in der Stille der Gemeinschaft die Liebe und das Erbarmen Seines eigenen Herzens in das unsrige zu pflanzen, damit wir doch mit Ihm fühlen und so fähig sein möchten, für Ihn zu handeln. Und wenn uns das zum Bewusstsein gekommen ist, so lasst uns fragen: Ist es nicht eine wunderbare Herablassung des Herrn zu uns, dass das, was Sein Herz bewegt, durch uns in der Welt seinen Ausdruck finden soll?

Aber nicht allein ruft uns der gnädige Herr vor Beginn unseres Dienstes in Seine Gemeinschaft, damit wir dann treu und freudig den Dienst verrichten, sondern Er erwartet auch von uns, dass wir nach der Erfüllung unserer Aufgabe wiederum Seine Gemeinschaft aufsuchen, um zu Seinen Füßen zu sitzen und unsere Herzen in Lob und Dank auszuschütten für die Liebe und Gnade, welche all unser Tun begleitet haben. In Markus 6 sendet der Herr die Jünger in die Arbeit, in Sein Werk. Nachdem Er sie herzu gerufen und um sich gesammelt hat, gibt Er ihnen Anleitung, wie sie ausgehen, und belehrt sie, wie sie predigen und sich der Welt gegenüber verhalten sollen. Und später (V. 30) hören wir, dass die von der Reise zurückgekehrten Jünger sich wiederum zu Jesu versammeln, „um Ihm alles zu berichten, was sie getan und was sie gelehrt hatten“.

Das ist schön und nachahmungswert. In Seiner Gegenwart, allein mit Ihm, all unser Tun noch einmal an unserem Auge vorübergehen lassen zu dürfen, alles Erlebte, auch unsere Schwachheiten und Fehler, mit Ihm besprechen zu können, mit Ihm, vor dessen Auge unser Tun bloß und aufgedeckt ist (Hebr. 4, 13), der alles in uns sah, was uns hinderlich war, Ihm mit glücklichem Herzen zu dienen, und der andererseits Mitleid hatte mit unseren Schwachheiten auf dem Wege (Hebr. 4, 15) — welch eine Gnade und welch ein Segen ist das! Je mehr wir diese Stunden des Alleinseins mit Jesu aufsuchen, desto heilsamer wird sich ihr Einfluss auf unser ganzes Verhalten erweisen. Ernst und Eifer werden sich vermehren, und wir werden tiefer und tiefer in die Gnadengedanken unseres Meisters einzudringen und mit wachsender Heiligkeit Sein Werk fortzusetzen vermögen. Denn Gnade und Heiligkeit strahlen uns in Seiner Gegenwart entgegen, und wir sind berufen, diese beiden lieblichen Charakterzüge unseres Herrn im Widerschein von uns auf unsere Umgebung ausstrahlen zu lassen.

Und wie der Herr die Jünger, die sich um Ihn versammelt hatten, um Ihm von ihrem Tun und Lehren zu berichten, aufforderte, sich ein wenig auszuruhen, so tut Er es auch bei uns, da Er weiß, dass wir der Ruhe bedürfen. Und ruhend in Seiner Nähe, wallt unser Herz über von Preis und Dank für Seine Liebe und nie fehlende Gnade.

Doch es gibt eine Stunde der Gemeinschaft, des Alleinseins mit unserem Herrn, von noch höherer Art; eine Stunde, in welcher wir nicht Kraft holen für unser Tun oder reden von unserem Tun, oder wo wir dem Herrn danken für den erhaltenen Segen, sondern wo wir uns selbst und unser Tun völlig aus dem Auge verlieren, wo unsere Seele sich in heiliger Anbetung vor Gott und Seinen Wegen beugt, und der Herr selbst sich uns offenbar machen kann. Es hängt von unserem Zustand Ab, ob wir den Genuss solcher Stunde haben dürfen. Den Jüngern von Markus 6, welche, wie wir oben hörten, zum Herrn gerufen wurden, um vor Antritt ihres Dienstes die nötigen Anleitungen zu empfangen, und die auch nach ihrer Rückkehr von der Reise den Herrn aufsuchten, um Ihm ihre Erlebnisse zu berichten und bei Ihm auszuruhen —wurde der Genuss dieses dritten Alleinseins mit dem Herrn versagt. Er nahm Abschied von ihnen und ging allein auf den Berg, um zu beten. Die Jünger hatten Ihn nicht zu verherrlichen vermocht angesichts der 5000 Mann, die Er speiste; es hatte ihnen an Glaube und Liebe dazu gemangelt. Darum ließ der Herr sie für einige Zeit allein und nötigte sie, in ein Schiff zu steigen und an das jenseitige Ufer vorauszufahren. Er ließ sie durch Leiden und Übungen gehen, indem Er einem Sturm erlaubte, sie in große Not zu versetzen. Er tat es, um sie zur Erkenntnis ihrer selbst zu bringen; doch wandte Er Sein Auge keinen Augenblick von ihnen ab. Sobald Seine Liebesabsichten erreicht waren, erschien Er, gebot dem Sturm und den Wellen und stieg zu ihnen ins Schiff; und nun machte Seine heilige Nähe ihre Herzen wieder glücklich. Aber die Stunde der Gemeinschaft mit Ihm in der oben angedeuteten Weise hatten sie eingebüßt. Nur wenn wir uns selbst völlig aus dem Auge verloren haben, wenn wir uns, wie David, vor Jehova niedersetzen und sagen: „Wer bin ich, Herr, Jehova?“ (2. Samuel 7, 18) können wir diese höchste Art der Gemeinschaft, des Alleinseins mit Christo, genießen. David saß in der Gegenwart des Herrn in dem wolkenlosen Bewusstsein Seiner vergebenden Liebe; es war ein völliges Ruhen in Ihm, ohne Zweifel und ohne Bedenken. Er fühlte, dass er nichts, und dass der Herr alles war. Er redet nicht von seinem Tun, nicht von seinem Wunsche, Jehova ein Haus zu bauen, nein, seine Seele beugt sich in Anbetung nieder vor Gott. Und damit war der Augenblick gekommen, dass Jehova zu ihm reden konnte »von dem Hause Seines Knechtes in die Ferne hin«.

Damit erreicht auch unsere Gemeinschaft mit dem Herrn ihren Höhepunkt. Indem wir uns selbst ganz vergessen und nur ruhen in Ihm, der uns alles geworden ist: Weisheit von Gott und Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung, so dass wir uns nur Seiner rühmen, während wir selbst nichts sind, kann Er mit uns reden, wie ein Mann mit seinem Freunde redet. Er behandelt uns als solche, welche auf persönliche Freundes-Vertrautheit Anspruch haben dürfen. Diese stillen, verborgenen Stunden der Gemeinschaft mit Jesu, in welcher Er unseren Herzen Seine ganze Liebe kundgibt, sich selbst uns offenbar macht und unseren Blick zugleich auf Sein nahes Kommen lenkt, sind Stunden besonderer, tiefer Freude. Wir schauen dann hinein in die Dinge, die kein Auge gesehen, kein Ohr gehört hat, die in keines Menschen Herz gekommen sind; wir erfahren ein wenig von dem Außersichsein des Apostels nach 2. Kor. 5, 13, und unser ganzes Wesen wird Kunde geben von dem Orte, wo wir gewesen sind, und von der Herrlichkeit, die wir angeschaut haben.

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Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 216ff

„Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geiste“ (Röm. 14, 17).

„Essen und Trinken« waren Dinge, welche mit vielen anderen Satzungen und Gebräuchen das System des Judentums ausmachten. Sie halfen mit, die Religion des Fleisches zu bilden. Denn alle diese äußeren Dinge hatten es mit »dem Menschen im Fleische« zu tun, mit dem Menschen, wie er hienieden lebt. Es war »ein Dienst des Todes, mit Buchstaben in Steine eingegraben«. (2.Kor. 3, 7.) Die in Verbindung mit ihm vollbrachten Werke waren nach Hebr. 6 „tote Werke“. Der ganze Dienst ist seiner Schwachheit und Nutzlosigkeit wegen und weil er nichts zur Vollendung bringen konnte, abgeschafft. worden (Hebr. 7, 18).

Der Christ steht auf einem ganz anderen Boden. Er ist nicht im Fleische, sondern im Geiste (Röm. 8, 9). Er gehört auch nicht der Erde, sondern dem Himmel an. (Phil. 3, 20; Eph. 1, 3; 2, 6.) Mit Christo ist er den Elementen der Welt gestorben, und nun wird ihm zugerufen: „Wenn ihr mit Christo den Elementen der Welt gestorben seid, was unterwerfet ihr euch Satzungen, als lebtet ihr noch in der Welt? Berühre nicht, koste nicht, betaste nicht! (Dinge, welche alle zur Zerstörung durch den Gebrauch bestimmt sind), nach den Geboten und Lehren der Menschen“ (Kol. 2, 20 -— 22).

„Elemente der Welt« nennt das Wort Gottes also auch die Dinge, welche von Gott im Judentum angeordnet waren: die Opfer, den Dienst, das Sichenthalten von Speisen und Getränken, das Beobachten von Tagen und Monaten, das Halten von Festen und Sabbaten — alles äußere, sichtbare Dinge. Ja, selbst die Stiftshütte wird ein „weltliches“ Heiligtum genannt (Hebr. 9, 1). Alle diese Dinge standen mit der sichtbaren Welt, mit der Erde, in Verbindung. Es waren „Satzungen des Fleisches, auferlegt bis aus die Zeit der Zurechtbringung“ (Hebr. 9, 10. 11). Sie hörten nach den Gedanken Gottes auf zu bestehen, sobald Christus, der Körper all dieser Schatten, gekommen war. „Als wir“ Unmündige waren, waren wir geknechtet unter die Elemente der Welt; als aber die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott Seinen Sohn, geboren von einem Weibe, geboren unter Gesetz, aus dass Er die, welche unter Gesetz waren, loskaufte, auf dass wir die Sohnschaft empfingen. Weil ihr aber Söhne seid, so hat Gott den Geist Seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der da ruft: Abba, Vater!“ (Gal. 4, 3 — 6).

So sehen wir, dass das Christentum mit diesen äußeren Dingen nichts zu tun hat. Ist man in der bekennenden Christenheit zu ihnen zurückgekehrt, so beweist das nur, wie weit man von der Wahrheit abgeirrt ist. Für einen Christen gelten nicht äußere Satzungen und Verordnungen und ein damit verbundener äußerer Dienst; das Wichtige für ihn ist, dass die Wahrheit sein Inneres, das Herz, beherrsche. Das war, was den einzelnen Gläubigen betrifft, schon so im alten Bunde. Gott ruft in Spr. 23, 26: „Gib mir, mein Sohn, dein Herz!“ Dem Herrn kommt es auf die inneren Beweggründe und Quellen an, aus denen das äußere Betragen hervorgeht. Er hat Lust an der Wahrheit im Innern (Psalm 51, 6). Das äußere Verhalten hat vor Ihm nur insofern Wert, als es durch die Gnade im Herzen gewirkt worden ist.

Gesetzliche Vorschriften können, wie jemand mit Recht gesagt hat, denen, die unter dem Glaubensgehorsam Jesu Christi stehen, überhaupt nicht gegeben werden. „Die Gnade Gottes . . unterweist uns, auf dass wir, die Gottlosigkeit und die weltlichen Lüste verleugnend, besonnen und gerecht und gottselig leben sollen in dem jetzigen Zeitlauf, erwartend die glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesu Christi“ (Tit. 2, 11 — 13). Im 14. Verse desselben Kapitels wird dann der Zweck, zu welchem Christus sich für uns hingegeben hat, beschrieben mit den Worten: „Auf dass Er uns loskaufte von aller Gesetzlosigkeit und reinigte sich selbst ein Eigentumsvolk, eifrig in guten Werken“. Nicht Verordnungen und Vorschriften, sondern die herzbewegende Tatsache, dass Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat, soll für uns der Beweggrund sein zu einem Wandel in Gerechtigkeit und Heiligkeit.

Nach der unserer Betrachtung zu Grunde liegenden Schriftstelle sind Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geiste die wesentlichen, sittlichen Grundzüge und Eigenschaften des Reiches Gottes. Deshalb ermahnt der Herr Jesus: „Trachtet aber zuerst nach dem Reiche Gottes und nach Seiner (Gottes) Gerechtigkeit“. (Matth. 6, 33.) Gerechtigkeit ist die Grundlage des Reiches Gottes; auf sie baut sich alles andere auf. Um in das Reich eingehen zu können, muss der Mensch mit göttlicher Gerechtigkeit bekleidet sein, d. h. er muss Christum als seine Gerechtigkeit kennen gelernt haben. (Vergl. 2.Kor. 5, 21.) „Ungerechte werden das Reich Gottes nicht ererben“ (1. Kor. 6, 9). „Denn ich sage euch: Wenn nicht eure Gerechtigkeit vorzüglicher ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Reich der Himmel eingehen“ (Matth. 5, 20).

Nachdem der Mensch mit göttlicher Gerechtigkeit bekleidet worden ist, wird er verantwortlich gemacht, seinen Wandel mit dieser seiner neuen Stellung in Übereinstimmung zu bringen. Dem Apostel Paulus stand diese Verantwortlichkeit immer voll und klar vor Augen. Er konnte sagen: „Ihr seid Zeugen und Gott, wie göttlich und gerecht und untadelig wir gegen euch, die Glaubenden, waren“ (1. Thess. 2, 10). Er war allezeit mit dem Brustharnisch der Gerechtigkeit angetan. (Eph. 6, 14.) Sein Gewissen war vor Gott, und von Menschen zur Rechenschaft gezogen, konnte er antworten: ,,Brüder, ich habe mit allem guten Gewissen vor Gott gewandelt bis auf diesen Tag“; oder: „Ich übe mich, allezeit ein Gewissen ohne Anstoß zu haben vor Gott und Menschen“ (Apstgsch· 23, 1; 24, 16). Am Schluss des Hebräerbriefes lesen wir: „Betet für uns; denn wir halten dafür, dass wir ein gutes Gewissen haben, da wir in allem ehrbar zu wandeln begehren2. (Hebr. 13, 18.) Und am Ende seiner Laufbahn konnte Paulus sich auf den gerechten Richter berufen, der ihm die Krone der Gerechtigkeit nicht vorenthalten würde (2.Tim. 4, 7. 8).

Es ist ein kostbares Ding, wenn das Gewissen so vor Gott geübt ist, ja, es ist für einen Wandel zur Ehre Gottes unerlässlich. Denn nur dann sind wir fähig, alles das zu erwägen, was wahr und würdig, was gerecht, rein und lieblich ist, alles was wohllautet. Und indem wir das tun, wird der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, unsere Herzen und unseren Sinn bewahren in Christo Jesu. Mehr noch: auf diesem Wege wird der Gott des Friedens selbst mit uns sein (Phil. 4, 8. 9). Dass unsere Füße dann auch beschuht sein werden mit der Bereitschaft des Evangeliums des Friedens, brauchen wir kaum zu sagen (Eph. 6, 15).

Es bleibt uns noch übrig, einige Stellen anzuführen, die von der Freude des Gläubigen reden. Wir wissen zunächst, dass Freude im Himmel und auf Erden ist, wenn ein Sünder Buße tut, oder mit anderen Worten, wenn ein Mensch im Begriff steht, ins Reich Gottes einzugehen. Weiter sagt der Herr Jesus zu Seinen Jüngern: „Dies habe ich zu euch geredet, aus dass meine Freude in euch sei und eure Freude völlig werde“ (Joh. 15, 11; vergl. auch Kap. 16,22;17,13.) Auch in dem 1. Briefe des Johannes lesen wir: „Dies schreiben Wir euch, auf dass eure Freude völlig sei“ (Kap. 1, 4). In dem Briefe an die Philipper, welcher die Erfahrungen eines Christen schildert, der das Leben, wie es uns in Christo geschenkt worden ist, hienieden lebt, ist fünfzehnmal von Freude die Rede.

„Die Freude am Herrn ist eure Stärke“, riefen Nehemia und Esra einst ihren Volksgenossen zu (Neh. 8, 10). Damit kommen wir noch auf einen anderen Punkt in Verbindung mit dem „Reiche Gottes“, den Paulus in seinem ersten Briefe an die Korinther mit den Worten erwähnt: »Das Reich Gottes besteht nicht im Worte, sondern in Kraft«. (Kap. 4, 20.) Im „Reiche Gottes« kommt es nicht darauf an, wie viel oder wie schön und gelehrt jemand zu sprechen vermag, sondern die Frage ist, ob das Wort mit Kraft begleitet ist, ob die Reden gesalbt sind, d. h. ob sie zur Erbauung, Belehrung und Ermunterung dienen, so dass sie dem Hörenden Gnade darreichen. Wie in allem, so müssen wir auch hierin von dem Herrn lernen. »Er redete das Wort so, wie die Menschen es zu hören vermochten." (Mark. 4, 33.) „Und die Volksmenge erstaunte sehr über Seine Lehre, denn Er lehrte sie wie einer, der Gewalt hat, und nicht wie ihre Schriftgelehrten.« (Matth. 7, 28. 29.) An einer anderen Stelle hören wir den Herrn sagen: „Wenn ich durch den Geist Gottes die Dämonen austreibe, so ist also das Reich Gottes zu euch hingekommen“ (Matth. 12, 28).

So waren denn die Kennzeichen des Reiches vorhanden, und die Kraft, die es begleitet, in Seiner Person dargestellt. Das Reich Gottes war mitten unter ihnen (Luk. 17, 20).

In demselben Maße nun, wie bei uns Gerechtigkeit, Friede, Freude, Kraft usw. gefunden werden, stellen auch wir an unserem geringen Teile das Reich Gottes dar; und insoweit wird uns auch jetzt schon »der Eingang in das ewige Reich unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi dargereicht“ (2 Petr. 1, 11). Manche verlegen diesen Eingang an das Ende des Christenlaufes, in den Augenblick, wo der Gläubige die Welt verlässt, um zu Jesu zu gehen. Aber damit nehmen sie den Worten des Apostels ihre eigentliche Kraft und Bedeutung. Die Darreichung ist gegenwärtig. Der Eingang liegt den also Wandelnden klar und weit vor Augen.

Ob nun das Reich Gottes ,,im Geheimnis *) besteht, wie jetzt (vergl. Matth. 13, 11, Luk. 8, 10), oder ob es später bei dem Erscheinen des Herrn „in Macht und Herrlichkeit geoffenbart“ werden wird -—— die es kennzeichnenden Grundsätze sind immer dieselben» Auch dann werden Gerechtigkeit, Friede und Freude miteinander vereint sein. Heute leben wir in der Zeit der Ungerechtigkeit. Sie herrscht auf der ganzen Erde und wird ihren Höhepunkt erreichen, wenn der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens, welcher widersteht und j«1ch selbst erhöht über alles, was Gott heißt oder ein Gegenstand der Verehrung ist, sich in den Tempel Gottes setzt und sich selbst darstellt, dass er Gott sei (2. Thess. 2, 3. 4).

Den Beginn dieser Dinge sehen wir in unseren Tagen schon deutlich. Viele Führer unter den Namenchristen steuern auf dieses Ziel hin, ohne sich über das Ende ihres Weges klar zu sein. Aussprüche von ihnen und ihre sogenannten Glaubensbekenntnisse beweisen das. Alle diese Erscheinungen sind ein Zeichen des nahen Endes. Der Herr wird durch Sein plötzliches Erscheinen diesen Zuständen ein Ende machen.

Dieses Erscheinen des Herrn zum Gericht wird die Erwartung des gläubigen Überrestes aus Israel sein, der in das Reich eingeht.*") Sie werden sagen: „Ja, wir haben dich, Jehova, erwartet auf dem Pfade deiner Gerichte . . . denn wenn deine Gerichte die Erde treffen, so lernen Gerechtigkeit die Bewohner des Erdkreises.« (Jes. 26, 8.) In Psalm 45 wird „der König« aufgefordert, Sein Schwert um die Hüfte zu gürten und hinzuziehen um der Wahrheit und der Gerechtigkeit willen. Und Er wird der Aufforderung folgen. „Gerechtigkeit und Gericht sind Seines Thrones Grundfeste“ (Ps. 97, 2.) „Siehe, ein König wird regieren in Gerechtigkeit, und die Fürsten, sie werden nach Recht herrschen . . . . Und das Recht wird sich niederlassen in der Wüste, und die Gerechtigkeit auf dem Fruchtgefilde wohnen“(Jes. 32, 1. 16). 223

Aber auch durch ,,Friede und Freude« wird das Reich in besonderer Weise gekennzeichnet werden. Bei der Geburt des Herrn lobte die Menge der himmlischen Heerscharen Gott und sprach: „Herrlichkeit Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, an den Menschen ein Wohlgefallen“ (Luk. 2, 13). Doch Der, der im Begriff stand, den Frieden zu bringen, wurde verworfen; und so konnte fortan nur von Frieden im Himmel die Rede sein. (Vergl. Luk. 12, 49; 19, 38.) Aber dann, in den Tagen des Friedefürsten, werden „die Mehrung der Herrschaft und der Friede kein Ende haben“ (Jes. 9, 7). Der gläubige Überrest wird sagen: „Jehova, du wirst uns Frieden geben, denn du hast ja alle unsere Werke für uns vollführt“ (Jes. 26, 12.) Dann »wird das Werk der Gerechtigkeit Friede sein und der Ertrag der Gerechtigkeit Ruhe und Sicherheit ewiglich“. Und Israel „wird wohnen an einer Wohnstätte des Friedens und an sicheren Wohnungen und an stillen Ruhestätten“ (Jes. 32, 17. 18). „Siehe, ich wende ihr Frieden zu wie einen Strom“ (Jes. 66, 12 u. a. St.). „Und ich werde einen Bund des Friedens mit ihnen machen und werde die bösen Tiere aus dem Lande vertilgen; und sie werden in der Wüste sicher wohnen und in den Wäldern schlafen“ (Hes. 34, 25; vergl. Ps. 29, 11; 72, 3. 7; 85, 10. 11; Hagg. 2, 9 u. a. St.) Selbst unter den Tieren wird Friede sein. (Vergl. Jes. 11, 6; 65, 25).

Und was die ,,Freude« betrifft, so lesen wir: »Dann wirst du sehen und vor Freude strahlen«. (Jes. 60, 5.) „Siehe, meine Knechte werden jubeln vor Freude des Herzens“ „Ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; sie werden Wonne und Freude erlangen, Kummer und Seufzen werden entfliehen“ (Jes. 65, 14; 35, 10; 51, 11). „Freuet euch mit Jerusalem und . .. seid hocherfreut mit ihr!“ (Jes. 66, 10).

Aus allen diesen Stellen ersehen wir, wie Gerechtigkeit, Friede und Freude im Reiche Hand in Hand miteinander gehen werden. Gott selbst wird „Frieden reden zu Seinem Volke“ und „Freude in ihr Herz geben“. Nun, was dann auf Grund der Gegenwart des Herrn auf dieser Erde gesehen werden wird, das sollte sich jetzt schon in praktischem Sinne bei den Gläubigen zeigen; »denn wer in diesem dem Christus dient, ist Gott wohlgefälIig und den Menschen bewährt“ (Röm. 14, 18.)

Fußnote:

*) So lange der Herr, der König des Reiches, verworfen ist und die Ungerechtigkeit herrscht, kann nur von dem Bestehen des Reiches in einer geheimnisvollen Gestalt die Rede sein.

**) Das Kommen des Herrn für die Gläubigen der Jetztzeit ist mehr ein Akt der Gnade und der Barmherzigkeit. (Judas Vers 21.) Sie werden aus der Welt der Ungerechtigkeit herausgenommen und bleiben so bewahrt vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu versuchen, die auf der Erde wohnen (Offbg. 3, 10).

Halbe und ganze Herzen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 238ff

Wir lesen in Johannes 6, dass viele Personen Jesu aus rein selbstsüchtigen« Gründen nachfolgten. Der Herr, der alle Herzen durchschaut, musste ihnen sagen: ,,Ihr suchet mich, nicht weil ihr Zeichen gesehen, sondern weil ihr von den Broten gegessen habt und gesättigt worden seid«. Nicht die Person des Herrn, nicht das, was Er in sich selbst war, hatte sie zur Nachfolge bewogen, sondern das, was der Herr für sie hatte; denn als Jesus ihnen sagte: „Es sei denn, dass ihr das Fleisch des Sohnes des Menschen esset und Sein Blut trinket, so habt ihr kein Leben in euch selbst“, gingen viele Seiner Jünger zurück und wandelten nicht mehr mit Ihm.

Wenn wir nun auch zu denen gehören, welche (wie Petrus später) zum Herrn sagen können: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt, dass du der Heilige Gottes bist“, —— wenn wir auch beides zu schätzen missen, was der Herr für uns hat und was Er für uns ist, so mag doch oft das Heil mehr der Gegenstand unseres Erkennens und Genießens sein, als der Urheber des Heils selbst, der Heilige Gottes, geoffenbart im Fleische. Zur treuen Nachfolge Jesu gehört aber nicht allein das Bewusstsein unserer Errettung, sondern auch ein vertrautes persönliches Verhältnis mit Ihm, dem Retter, in wahrer, aufrichtiger Gottesfurcht.

Gott zu fürchten ist unerlässlich für einen. Treuen Wandel, denn die Furcht Jehovas ist, wie Salomo sagt, der Anfang der Erkenntnis und der Weisheit (Spr.1, 7; 9, 10). Aber diese Furcht muss wahr und echt sein. Es heißt in den Sprüchen weiter: „Fürchte Gott und weiche vom Bösen«, und: „Die Furcht Jehovas ist: das Böse hassen«. (Spr. 3, 7; 8, 13; vergl. Hiob 28, 28.) Es ist möglich, dass Gottesfurcht in der Seele ist, und dass man doch in der einen oder anderen Weise mit der Welt, die nichts von Ihm wissen will, in Verbindung bleibt; wie man auch Jesum lieben. und doch die traute Gemeinschaft mit Ihm aus Liebe zur Welt einbüßen kann.

Man hört zuweilen sagen, dass ein Verharren in unheiligen Verbindungen, vorausgesetzt, dass man in ihnen treu zu wandeln suche, ein Segen für die weltliche Umgebung sei. Das ist aber ein Trugschluss. Die Wirkung des Aufenthaltes Lots in Sodom war nicht etwa, dass Sodom durch des Heiligen Gegenwart geheiligt worden wäre, sondern dass er verunreinigt wurde. Auch brachte das Bleiben Jonathans in dem Hause Sauls, der von Gott verworfen war, keinerlei Änderung zum Guten hervor.

Das Unheilige wird durch die Berührung mit dem Heiligen nicht heilig, wohl aber das Heilige durch die Berührung mit dem Unheiligen unrein. So ließ der Herr einst durch den Propheten Haggai die Priester fragen: „Siehe, trägt jemand heiliges Fleisch im Zipfel seines Kleides, und er berührt mit seinem Zipfel Brot oder Gekochtes oder Wein oder Öl oder irgend eine Speise, wird es heilig werden? Und die Priester antworteten und sprachen: Nein. Und „Haggai sprach: Wenn ein wegen einer Leiche Verunreinigter alles dieses anrührt, wird es unrein werden? Und die Priester antworteten und sprachen: Es wird unrein werden.“

Um unserer Berufung zu leben und auch unseren Mitmenschen wahrhaft nützen zu können, ist es unbedingt nötig, uns vom Bösen abzusondern und die Grundsätze der Welt durchaus nicht zu teilen. »Du sollst nicht Zeug von verschiedenartigem Stoff anziehen, Wolle und Leinen zusammen“ (5. Mose 22,11). Gläubige mit gemischten Grundsätzen, deren Kleider, im Widerspruch zu der Berufung Gottes und zu Seinem heiligen Worte, aus Wolle und Leinen zusammengewebt sind, mögen vielleicht Gott fürchten und den Herrn lieben, sie entbehren aber die Nähe und innige Gemeinschaft des Herrn; sie mögen das vor ihnen liegende Ziel noch anschauen, aber sie laufen nur zögernd mit, sie jagen nicht hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christo Jesu. Ihr Zeugnis in der Welt ist schwach, und ihre Freude im Herrn gering.

Das Wort gibt uns lehrreiche Lebensbeschreibungen von treuen Zeugen und Kämpfern, die, völlig getrennt von dem Bösen um sie her, durch die Wahrheit für Gott abgesondert, in Gehorsam und Abhängigkeit ihren Weg verfolgten. Wir nennen Abraham, Samuel, David, Elia und Jeremia. Es beschreibt uns aber gleichzeitig auch Zeitgenossen dieser treuen Männer, nämlich Lot, Eli, Jonathan, Obadja und Ebedmelech, denen die Verbindung mit der Welt in ihrem Zeugnis im Wege stand.

Lot verließ, gleich Abraham, seines Vaters Haus und kam mit ihm nach dem Tode Tarahs nach Kanaan. Er war ein gläubiger, gerechter Mann, aus dessen persönlichem Leben das Wort keine offenbare Befleckung erwähnt, während Abraham wiederholt der Stimme der Natur gehorchte und sich mit Beschämung aus den Fallstricken Ägyptens und Abimelechs losmachen musste. Auch lesen wir von Lot: „Der unter ihnen (den Sodomitern) wohnende Gerechte quälte durch das, was er sah und hörte, Tag für Tag seine gerechte Seele mit ihren gesetzlosen Werken" (2.Petr. 2, 8). Er hasste aber das Böse nicht, sondern liebte die Welt. Er--zog mit Abraham«, als dieser der persönlichen Berufung Gottes folgte. (1.Mose 12, 4.) Sein ganzer Wandel war von gemischten Grundsätzen durchdrungen, er trug ein Kleid von „Wolle und Leinen“.

Während Abraham, gehorsam dem Rufe Gottes, ein Fremdling blieb, in Zelten sich aushielt und der Welt keinerlei Zugeständnisse machte, wurde Lot ein Bürger Sodoms. Darum lesen wir auch nirgendwo, dass Gott sich den Gott Lots nennt. Er konnte Seinen heiligen Namen nicht mit dem eines Bürgers von Sodom verbinden, während Er sich nicht schämt, der Gott der Fremdlinge und Pilger zu heißen. (Hebr. 11, 16.) Die Welt, und nur die Welt, redete zu dem Herzen Lots. Er hatte nicht einmal, wie Jonathan, die Entschuldigung verwandtschaftlicher Beziehungen, oder, wie Obadja, der Lebensstellung für sich und seine Familie. Darum konnte Lot kein Kämpfer fein. Weder Freude noch Kraft noch Triumph zieren seinen Weg. Er wurde schließlich errettet, aber so wie durchs Feuer.

Geliebte Brüder! Gibt es auch unter uns Leute, die, wie Lot, in einer so engen Verbindung mit der Welt leben, dass man sie wohl vielleicht noch auf das Zeugnis der Schrift hin als Brüder anerkennen kann, während doch das völlige. und köstliche Vertrauen zu» der Gewissheit ihrer Auserwählung fehlt? jene Gewissheit, von der Paulus an die Thessalonicher schreibt: „Wissend, von Gott geliebte Brüder, eure Auserwählung“?

Wie von Lot, »kann man auch von Eli ohne Zweifel sagen, dass er seine gerechte Seele mit dem Bösen um ihn her quälte; aber auch bei ihm zeigte sich dasselbe traurige Vergessen von dem, was der Heiligkeit Gottes gebührte. Eli war ein gläubiger Mann, der das Böse verurteilte, aber er trennte sich nicht davon. Er ist ein ernster Beleg für den göttlichen Grundsatz -(den wir im Verkehr mit der Welt leicht vergessen), dass man für das Böse, welches man zwar verurteilt, von dem man sich aber nicht trennt, mit verantwortlich ist. Eli wurde nach dem Worte Jehovas an Samuel gestraft und gerichtet, weil er von dem Bösen gewusst, wodurch „seine Söhne sich den Fluch zuzogen, und er ihnen nicht gewehrt hatte“ (1.Sam. 3, 13).

Das ist „zu unserer Belehrung geschrieben“ (Röm. 15, 4). Darum lasst uns täglich an das Wort Pauli denken: „Habet nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, vielmehr aber strafet sie auch“! (Eph. 5, 11.) Müssen wir da nicht zu unserer Beschämung eingestehen, dass bei gelegentlichen Berührungen mit diesen unfruchtbaren Werken auch wir ihnen nicht immer gewehrt haben, ja, dass vielleicht unsere Seele nicht einmal so wegen des Bösen gequält wurde, wie die gerechte Seele Lots?

Es gibt indessen in dem Leben Elis auch etwas, das wir uns zum Muster nehmen können. Er unterwarf sich in Ergebenheit dem Gericht, welches er für seine Nachsicht gegen das Böse verdient hatte, indem er sagte: „Er ist Jehova, Er tue was gut ist in Seinen Augen“. Da sehen wir ein Herz, das sich nicht wider den Willen Gottes auflehnt, sondern in ausrichtiger Beugung die Folgen seiner Untreue annimmt, weil es eben der gute und vollkommene Wille Gottes ist.

Schön, wenigstens in einem Sinne, ist auch Elis Ende. Nicht das Gericht über seine Familie, nicht die Nachricht von dem Tode seiner beiden Söhne, Hophni und Pinehas, tötete ihn, sondern die Unehre, welche auf Jehova gefallen war, und die Entfernung der Bundeslade aus der Mitte des Volkes. „Und es geschah, als der Bote die Lade Gottes erwähnte, da fiel Eli rücklings vom Stuhle, und brach das Genick und starb“ (1. Sam. 4, 18).

Einer der anziehendsten und liebenswürdigsten Charaktere im Worte ist Jonathan, der Sohn Sauls, und die Anwendbarkeit seines Verhältnisses zu David auf Christum, den wahren David, macht uns seine Geschichte so besonders beachtenswert.

Jonathan war ein edler Mann und voll Gnade, doch leider, wie Lot und Eli, nie völlig von dem getrennt, was Gott verworfen hatte. Wohl überragt er beide, weil er mehr ein Mann des Glaubens war und innigere geistliche Zuneigung verriet; aber auch er war den reinen, von Gott in seinen Tagen festgestellten Grundsätzen nicht treu, trug gleichfalls ein Kleid von Wolle und Leinen und nahm nicht die Stellung ein, zu welcher ihn Gott berufen hatte. Es fehlte ihm nicht an Liebe, doch hätte er die Leiden Davids, des Gesalbten Jehovas, in anderer Weise teilen sollen, als nur mit seinem Herzen. Auch war sein Glaube nicht stark genug, um einem verworfenen König zu folgen. Wir müssen zugeben, dass seine Stellung es schwer machte, einen solchen Schritt zu tun. Sein Glaube hätte aber auch diese Schwierigkeit überwinden sollen.

Der Hof Sauls war damals eine Stätte der Gottlosigkeit und des Abfalls, — wie ja heute die ganze uns umgebende Welt, — während Gott mit David war und die Herrlichkeit sich gleichsam bei ihm in der Wüste, in den Höhlen und Klüften der Erde befand. Bei ihm war das Ephod, der Prophet, der Priester, samt dem unvergleichlichen Schwerte Goliaths (1. Sam. 21, 9), diesem Zeugen seines Sieges, während die Krone und die Erfüllung der Verheißungen seiner warteten.

Und Jonathan, obwohl er David wie seine Seele liebte, obwohl er den Sieg Davids im Terebinthentale, ja, mehr noch den Sieger schätzte, obwohl er als Beweis seiner ungeteilten Liebe sich selbst auszog und Oberkleid, Schwert und Bogen an David gab, um ihn damit zu schmücken, — Jonathan hatte nicht die Kraft, sich vom Hofe Sauls zu trennen und sich mit David zu verbinden.

Und diese Unentschiedenheit brachte auch die „Wenn’s“ auf seinen Weg (Kap. 14, 9. 10; 20, 13. 21), welche es für David gar nicht gab, und ließ ihn auf Zeichen warten, statt einfach zu sagen: „Dein Knecht will gehen“. Ach! vor dem „Komm, folge mir nach!“ wendet auch heute noch eine so liebenswürdige Natur, wie die Jonathans, den Rücken, vielleicht mit Trauer, aber sie zieht „die vielen Güter“ des Hauses der Schmach Dessen vor, der in dieser Welt nicht hatte, wohin Er Sein Haupt legen konnte. Und doch finden wir bei Jesu nichts als Liebe und Gnade. „Ich habe euch Freunde genannt“, sagte Er zu denen, die auf dem Punkte standen, Ihn zu verleugnen, zu fliehen, Ihn allein zu lassen. „Ihr seid es, die mit mir ausgeharrt haben“, sagte Er zu denen, die kurz darauf nicht einmal eine Stunde mit Ihm wachen konnten. Wir können nicht zu gleicher Zeit mit Saul und David gehen, nicht gleichzeitig Christum und die Welt genießen. Jetzt ist die Zeit des Leidens, der Trübsal, des Ausharrens; die Zeit der Ruhe liegt vor uns. · Das Leiden muss zuerst kommen, dann die Herrlichkeit; und wer mit eigener Hand die Leiden des Geschmähtwerdens, des Verstoßenseins von dieser Welt von sich abzuwenden sucht, ist kein Kämpfer für Gottes Reich, nur ein Mitläufer, und beweist, dass die Gegenwart ihm wichtiger ist als die Zukunft.

Und noch .eins. Da, wo die Namen und Taten der Helden Davids durch den Heiligen Geist aufgezählt werden (2. Sam. 23), suchen wir vergeblich nach dem Namen Jonathans. So auch wird uns am Tage des Herrn die Anerkennung fehlen, wenn wir uns, wie Jonathan, nicht von der Welt und dem was in ihr ist trennen können und uns weigern, dem wahren David nach der Höhle Adullam zu folgen. Das ist der Platz, wo Christus sich heute in der Welt befindet, und diesen Platz müssen wir mit Ihm teilen, wenn wir Gemeinschaft mit Ihm haben, mit und für Ihn hienieden kämpfen und dafür später Anerkennung und Lohn finden wollen. Auf einen solchen Lohn musste auch Ebedmelech verzichten, der Äthiopier, der im Hause des Königs Zedekia war, als man Jeremia, den Propheten Jehovas, in die Grube geworfen hatte. Dieser Mann liebte den Propheten Gottes, verteidigte ihn angesichts eines gotteslästerlichen Hofes und diente ihm mit einer rührenden Hingebung. Dennoch war er kein Zeuge wie Jeremia, denn er fürchtete die Menschen, was ein Zeuge ungeteilten Herzens für Gott nicht tut (Jer. 39, 17). „Menschenfurcht legt einen Fallstrick“ (Spr. 29, 25). Die unumschränkte Gnade aber verachtete die Schwachheit Ebedmelechs nicht, denn er empfing am Gerichtstage Jehovas nach seinem Maße: er trug sein Leben als Beute davon, während Jeremia außerdem noch mit Ehre umgeben wurde (Vergl. Jer. 38 und 39).

Wir sagten eben, dass Jonathans Name und Taten nicht in der Liste der Helden Davids aufgeführt seien. Ähnlich war es in dem vorliegenden Falle. Ebedmelech wurde gerettet, aber das war auch alles. Der Prophet trug noch eine reiche Belohnung davon.

Sicherlich soll der Gedanke an die in Aussicht gestellte Belohnung nicht der Beweggrund unserer Hingabe fiir Gott sein, denn dann machten wir es wie Petrus, der in einem lohnsüchtigen Geiste den Herrn fragte: »(-Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt; was wird uns nun werden?“ (Matth. 19, 27). Die Schrift spricht nur von einer Belohnung, um uns in den Schwierigkeiten und Gefahren im Dienste des Herrn zu ermuntern und zum Ausharren zu bewegen. Christus selbst ,,erduldete, der Schande nicht achtend, für die vor Ihm liegende Freude das Kreuz“, und doch wissen wir, dass nicht die Belohnung, sondern die Liebe Ihn trieb. Auch Mose ,,hielt standhaft aus, als sähe er den Unsichtbaren . . . denn er schaute auf die Belohnung«. Aber nicht der Gedanke an die Belohnung, sondern die Sorge für seine Brüder erfüllte sein Herz.

Nichtsdestoweniger ist die Belohnung eine große Gnade, und wir werden sie erhalten nach unserer eigenen Arbeit. Gott ist nicht ungerecht, das zu vergessen, was wir aus Liebe zu Seinem Namen an den Seinigen getan haben (Hebr. 6, 10). Das sehen wir bei Jonathan und Ebedmelech, obgleich Mangel an Entschiedenheit und Menschenfurcht uns hindern mögen, so für Jesum zu zeugen und mit Ihm zu leiden, wie ein wahrhaft treuer Diener es tun wird.

In 1. Könige 18 finden wir einen Mann, über den der Heilige Geist ein sehr schönes Zeugnis ausstellt, der Jehova sehr fürchtete, und der sich doch von Elia sagen lassen musste, dass nicht Jehova, sondern der götzendienerische König Ahab sein Herr sei. (1. Kön. 18, 8.) Von diesem Manne, dem Verwalter des königlichen Palastes, sagt das Wort: „Obadja fürchtete Jehova sehr; und es geschah, als Isebel die Propheten Jehovas ausrottete, da nahm Obadja hundert Propheten und versteckte sie, je fünfzig Mann in eine Höhle, und versorgte sie mit Brot und Wasser“ (1. Kön. 18, 3 und 4). Obadja selbst teilt später dem Propheten mit, dass er Jehova von seiner Jugend an gefürchtet habe. (V.12). Daraus dürfen wir wohl entnehmen, dass auch seine Eltern fromme Leute waren, die ihm den Namen Obadja d. h. des Herrn Diener offenbar in dem Wunsch gegeben hatten, ihn als Diener Jehovas aufwachsen zu sehen.

Dass Obadja sich nicht durch die Sitten der damaligen Zeit, in welcher der Baalsdienst der moderne Gedanke war, verführen ließ, sondern im Glauben ausharrte, war entschieden ein Beweis seiner Treue. Auch gehörte Mut dazu, am Hofe der Isebel, die von bitterem Hass gegen den Dienst Jehovas erfüllt war, zu weilen, und zugleich im Geheimen für die Bedürfnisse der Propheten Gottes Sorge zu tragen. Obadja verdiente also den Namen eines gottesfürchtigen Mannes. Er hatte auch ein Herz für die Leiden der Diener Jehovas· Dennoch waren seine Wege nicht in Übereinstimmung mit der Energie des Geistes Gottes in jenen Tagen. Das war eben unmöglich, so lange er nicht bloß Gottes Diener, sondern auch Ratgeber und Diener eines Königs war, in dessen Reiche die Ungerechtigkeit herrschte. Sein aus Wolle und Leinen gewebtes Gewand bildete einen schroffen Gegensatz zu dem ledernen Gürtel des Elia, und das trat bei dem Zusammentreffen dieser beiden Männer offensichtlich zu Tage.

Sie begegnen sich an dem Tage, da Obadja und Ahab infolge der furchtbaren Dürre durchs Land zogen, um Gras für die Rosse und Maultiere zu suchen, während Elia von Gott den Auftrag empfangen hatte, Ahab mitzuteilen, dass Er wieder Regen auf den Erdboden geben wolle. In der hochinteressanten Unterredung, die sich zwischen diesen beiden Männern Gottes entwickelt, wird der durch die Verbindung mit der Welt schwankende Charakter Obadjas und sein geteiltes Herz ganz offenbar. Elia, der von dem allgemeinen Abfall völlig getrennt war und im Gehorsam, auf Gottes Befehl, mutig die Botschaft seines Herrn an Ahab auszurichten im Begriff stand, fordert Obadja auf, ihn bei dem König, seinem Herrn, anzumelden. Aber Obadja, dieser Mann, der Jehova sehr fürchtete und eine von Gott an- erkannte Hingabe für die Seinen gezeigt hatte, weigert und fürchtet sich. Es ist auch ganz natürlich, denn nur ein Mann ungeteilten Herzens, der von Menschen unabhängig ist, vermag auf jeden Befehl Gottes einfach zu antworten: „Dein Knecht will gehen“.

Zu seiner Verteidigung sagt Obadja: „Was habe ich gesündigt?« Doch warum das? wo doch Elia ihn keiner Sünde beschuldigt, noch irgendwie sein Verhalten getadelt hatte. Es war die leise Stimme des Gewissens, die den Hausmeister Ahabs daran erinnerte, dass seine Stellung Jehova gegenüber nicht so war, wie sie sein sollte. Und in der Erkenntnis dieser falschen Stellung fühlte er, wie jeder von uns, wenn wir auf eine Abweichung vom Wege Gottes aufmerksam gemacht werden, das Bedürfnis, sich zu. rechtfertigen und von sich selbst ein gutes Zeugnis abzulegen. „Ist meinem Herrn — sagt er — nicht berichtet worden, was ich getan habe, als Isebel die Propheten Jehovas tötete? dass ich von den Propheten Jehovas hundert Mann versteckte und sie mit Brot und Wasser versorgte?“

Das war ja wahr, es ist im Anfang des Kapitels ausdrücklich vom Geiste Gottes mitgeteilt, aber es war nicht die Aufgabe Obadjas, dies festzustellen. David rühmte sich seines Sieges über den Löwen und Bären erst, als er beweisen musste, dass er nicht in eigener Kraft gegen Goliath vorging. Paulus behielt vierzehn Jahre lang das Geheimnis der Entrückung in den dritten Himmel für sich, und sprach es nicht eher aus, als bis der Zustand der Korinther ihn dazu zwang.

Wir bemerken auch nicht, dass das Erinnern an frühere gesegnete Tage den Propheten veranlasste, seine Zurückhaltung Obadja gegenüber aufzugeben. Er sah in ihm nur den Mann, der der Welt diente, den Diener seines Herrn Ahab. Und so wie zwischen dem in Sodom lebenden Lot und Abraham keine Gemeinschaft des Geistes bestand, ebenso wenig konnte eine solche zwischen Elia, dem Fremdling im Lande, und Obadja, dem Verwalter des Hauses Ahabs, vorhanden sein. Und ist es nicht auch heute noch so? Genügt das Erinnern an Treue in der Vergangenheit, um die Gemeinschaft mit dem Volke Gottes wiederherzustellen? Lauter nicht immer die entscheidende Frage: Trägst du jetzt Vorsorge für den Herrn oder für das Fleisch? Kommst du jetzt vom Himmel oder von dem Hofe Ahabs? Wir können nicht der Welt dienen, ihrem Zuge folgen und zugleich mit den Heiligen Gemeinschaft pflegen.

Weltliebe trennt uns nicht nur von Gott, sondern auch von den Geschwistern, Und wenn wir bei den genannten Gläubigen auch leuchtende, durch die Gnade hervorgebrachte Eigenschaften entdecken: bei Lot eine sich über das Böse quälende Seele, bei Eli große Ergebenheit, bei Jonathan einen starken Glauben und ein Herz voll Liebe, bei Ebedmelech eine liebevolle Hingabe für den Diener des Herrn, bei Obadja endlich eine aufopfernde, selbstlose Barmherzigkeit gegen die Propheten Jehovas eine Sache trennte doch alle von ihren treueren Zeitgenossen, Abraham, Samuel, David, Jeremia und Elia, und das war das aus Wolle und Leinen zusammengewebte Kleid, und infolge dessen die Weltliebe, die sich mehr oder minder mit ihren Zuneigungen zum Herrn verband, der Mangel an Mut, an Ausharren und vor allem an einem vertrauten Verhältnis zu ihrem Herrn.

Ja, ein vertrautes Verhältnis zu ihrem Gott ernteten die treuen Zeugen als Lohn für ihr ungeteiltes Herz! Bei Abraham, dem Freunde Gottes, lässt sich Jehova zu den Worten ehrenden Vertrauens herab: „Sollte ich vor Abraham verbergen, was ich tun will?“ (1. Mose 18, 17). Von Samuel, dessen Leben eine. fortlaufende Entwickelung in der Heiligkeit zeigt, lesen wir: Er betete Jehova an (1. Sam. 1, 28), er diente Ihm vor Eli, dem Priester (2, 11), er wurde groß bei Jehova (2, 21), und endlich: er wurde fort und fort größer und angenehmer bei Gott und Menschen (2, 26). David wird ein Mann nach dem Herzen Gottes. genannt. Elia, der Tisbiter, konnte sagen: der Gott Israels, vor dessen Angesicht ich stehe!

Das war der Charakter des inneren Lebens Elias. ,,Glückselig sind diese deine Knechte, die beständig vor- dir stehen, die deine Weisheit hören!« (1.Kön.10, 8) so sprach die Königin von Scheba zu Salomo. Aber hier war mehr als Salomo. Wie viel glückseliger war darum dieser Knecht! Aber nicht in eigener Stärke stand Elia vor Gott, — er war ein Mensch von gleichen. Gemütsbewegungen wie wir, — sondern in der Kraft Gottes, getreu seinem Namen Elia, was verdolmetscht heißt: „Der Herr ist meine Stärke“. Das Herz des Elia schlug ungeteilt für seinen Herrn und dessen Ehre, und das „Stehen vor Seinem Angesicht“ gab Kunde von einem besonderen, persönlichen Verhältnis zu Gott.

Und was war das Geheimnis der Kraft eines Jeremia? Er gehorchte Gott ohne Säumen und brachte alle Schwierigkeiten mit kindlicher Einfalt vor Ihn.· Wir sehen in ihm die Schwachheit »des Gefäßes, zugleich aber auch die Kraft Gottes. Ängstlich und zurückhaltend von Natur, empfing er von dem Herrn den unbeugsamsten Mut. Er, der im Anfang seiner Berufung jung war und nicht zu reden wusste, wurde in Gottes Hand „zu einer festen Stadt, zu einer eisernen Säule und zu einer ehernen Mauer wider das ganze Land“ (Jer. 1, 6. 18). Weil er nach Gottes Wort hungerte, weil er „Seine Worte gegessen hatte, und diese ihm zur Wonne und zur Freude seines Herzens geworden waren“ (vergl. Kap. 15, 16), darum konnte Jehova „Seine Worte in seinen Mund legen“ und Jeremia konnte sein ,,wie Sein Mund“ (Kap.1,9; 15,19) .

Wir sehen bei all diesen treuen Zeugen, was das Wort des Herrn für sie war. Nach diesem Worte -wandelten sie im Gehorsam, aus dem Worte empfingen sie Trost und Freude, und durch das Wort wurde die ernste Scheidung zwischen ihnen und dem sie umringenden Bösen aufrecht gehalten. Und was das Wort des Herrn für sie war, das sollte es auch für uns sein. In dem Achthaben auf das Wort und die Lehre liegt die einzige Beschirmung in den bösen Tagen des Endes. Der Gehorsam gegen das Wort führt zur Trennung von allem Ungöttlichen und befähigt uns, treue Zeugen für Gott zu sein inmitten der im Argen liegenden Welt. Ja, die von Gott eingegebenen Schriften unterweisen -uns, auf dass wir ,,vollkommen seien, zu jedem guten Werke völlig geschickt“ (2. Tim. 3, 17).

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Halbe und ganze Herzen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 238ff

Wir lesen in Johannes 6, dass viele Personen Jesu aus rein selbstsüchtigen« Gründen nachfolgten. Der Herr, der alle Herzen durchschaut, musste ihnen sagen: ,,Ihr suchet mich, nicht weil ihr Zeichen gesehen, sondern weil ihr von den Broten gegessen habt und gesättigt worden seid«. Nicht die Person des Herrn, nicht das, was Er in sich selbst war, hatte sie zur Nachfolge bewogen, sondern das, was der Herr für sie hatte; denn als Jesus ihnen sagte: „Es sei denn, dass ihr das Fleisch des Sohnes des Menschen esset und Sein Blut trinket, so habt ihr kein Leben in euch selbst“, gingen viele Seiner Jünger zurück und wandelten nicht mehr mit Ihm.

Wenn wir nun auch zu denen gehören, welche (wie Petrus später) zum Herrn sagen können: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt, dass du der Heilige Gottes bist“, —— wenn wir auch beides zu schätzen missen, was der Herr für uns hat und was Er für uns ist, so mag doch oft das Heil mehr der Gegenstand unseres Erkennens und Genießens sein, als der Urheber des Heils selbst, der Heilige Gottes, geoffenbart im Fleische. Zur treuen Nachfolge Jesu gehört aber nicht allein das Bewusstsein unserer Errettung, sondern auch ein vertrautes persönliches Verhältnis mit Ihm, dem Retter, in wahrer, aufrichtiger Gottesfurcht.

Gott zu fürchten ist unerlässlich für einen. Treuen Wandel, denn die Furcht Jehovas ist, wie Salomo sagt, der Anfang der Erkenntnis und der Weisheit (Spr.1, 7; 9, 10). Aber diese Furcht muss wahr und echt sein. Es heißt in den Sprüchen weiter: „Fürchte Gott und weiche vom Bösen«, und: „Die Furcht Jehovas ist: das Böse hassen«. (Spr. 3, 7; 8, 13; vergl. Hiob 28, 28.) Es ist möglich, dass Gottesfurcht in der Seele ist, und dass man doch in der einen oder anderen Weise mit der Welt, die nichts von Ihm wissen will, in Verbindung bleibt; wie man auch Jesum lieben. und doch die traute Gemeinschaft mit Ihm aus Liebe zur Welt einbüßen kann.

Man hört zuweilen sagen, dass ein Verharren in unheiligen Verbindungen, vorausgesetzt, dass man in ihnen treu zu wandeln suche, ein Segen für die weltliche Umgebung sei. Das ist aber ein Trugschluss. Die Wirkung des Aufenthaltes Lots in Sodom war nicht etwa, dass Sodom durch des Heiligen Gegenwart geheiligt worden wäre, sondern dass er verunreinigt wurde. Auch brachte das Bleiben Jonathans in dem Hause Sauls, der von Gott verworfen war, keinerlei Änderung zum Guten hervor.

Das Unheilige wird durch die Berührung mit dem Heiligen nicht heilig, wohl aber das Heilige durch die Berührung mit dem Unheiligen unrein. So ließ der Herr einst durch den Propheten Haggai die Priester fragen: „Siehe, trägt jemand heiliges Fleisch im Zipfel seines Kleides, und er berührt mit seinem Zipfel Brot oder Gekochtes oder Wein oder Öl oder irgend eine Speise, wird es heilig werden? Und die Priester antworteten und sprachen: Nein. Und „Haggai sprach: Wenn ein wegen einer Leiche Verunreinigter alles dieses anrührt, wird es unrein werden? Und die Priester antworteten und sprachen: Es wird unrein werden.“

Um unserer Berufung zu leben und auch unseren Mitmenschen wahrhaft nützen zu können, ist es unbedingt nötig, uns vom Bösen abzusondern und die Grundsätze der Welt durchaus nicht zu teilen. »Du sollst nicht Zeug von verschiedenartigem Stoff anziehen, Wolle und Leinen zusammen“ (5. Mose 22,11). Gläubige mit gemischten Grundsätzen, deren Kleider, im Widerspruch zu der Berufung Gottes und zu Seinem heiligen Worte, aus Wolle und Leinen zusammengewebt sind, mögen vielleicht Gott fürchten und den Herrn lieben, sie entbehren aber die Nähe und innige Gemeinschaft des Herrn; sie mögen das vor ihnen liegende Ziel noch anschauen, aber sie laufen nur zögernd mit, sie jagen nicht hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christo Jesu. Ihr Zeugnis in der Welt ist schwach, und ihre Freude im Herrn gering.

Das Wort gibt uns lehrreiche Lebensbeschreibungen von treuen Zeugen und Kämpfern, die, völlig getrennt von dem Bösen um sie her, durch die Wahrheit für Gott abgesondert, in Gehorsam und Abhängigkeit ihren Weg verfolgten. Wir nennen Abraham, Samuel, David, Elia und Jeremia. Es beschreibt uns aber gleichzeitig auch Zeitgenossen dieser treuen Männer, nämlich Lot, Eli, Jonathan, Obadja und Ebedmelech, denen die Verbindung mit der Welt in ihrem Zeugnis im Wege stand.

Lot verließ, gleich Abraham, seines Vaters Haus und kam mit ihm nach dem Tode Tarahs nach Kanaan. Er war ein gläubiger, gerechter Mann, aus dessen persönlichem Leben das Wort keine offenbare Befleckung erwähnt, während Abraham wiederholt der Stimme der Natur gehorchte und sich mit Beschämung aus den Fallstricken Ägyptens und Abimelechs losmachen musste. Auch lesen wir von Lot: „Der unter ihnen (den Sodomitern) wohnende Gerechte quälte durch das, was er sah und hörte, Tag für Tag seine gerechte Seele mit ihren gesetzlosen Werken" (2.Petr. 2, 8). Er hasste aber das Böse nicht, sondern liebte die Welt. Er--zog mit Abraham«, als dieser der persönlichen Berufung Gottes folgte. (1.Mose 12, 4.) Sein ganzer Wandel war von gemischten Grundsätzen durchdrungen, er trug ein Kleid von „Wolle und Leinen“.

Während Abraham, gehorsam dem Rufe Gottes, ein Fremdling blieb, in Zelten sich aushielt und der Welt keinerlei Zugeständnisse machte, wurde Lot ein Bürger Sodoms. Darum lesen wir auch nirgendwo, dass Gott sich den Gott Lots nennt. Er konnte Seinen heiligen Namen nicht mit dem eines Bürgers von Sodom verbinden, während Er sich nicht schämt, der Gott der Fremdlinge und Pilger zu heißen. (Hebr. 11, 16.) Die Welt, und nur die Welt, redete zu dem Herzen Lots. Er hatte nicht einmal, wie Jonathan, die Entschuldigung verwandtschaftlicher Beziehungen, oder, wie Obadja, der Lebensstellung für sich und seine Familie. Darum konnte Lot kein Kämpfer fein. Weder Freude noch Kraft noch Triumph zieren seinen Weg. Er wurde schließlich errettet, aber so wie durchs Feuer.

Geliebte Brüder! Gibt es auch unter uns Leute, die, wie Lot, in einer so engen Verbindung mit der Welt leben, dass man sie wohl vielleicht noch auf das Zeugnis der Schrift hin als Brüder anerkennen kann, während doch das völlige. und köstliche Vertrauen zu» der Gewissheit ihrer Auserwählung fehlt? jene Gewissheit, von der Paulus an die Thessalonicher schreibt: „Wissend, von Gott geliebte Brüder, eure Auserwählung“?

Wie von Lot, »kann man auch von Eli ohne Zweifel sagen, dass er seine gerechte Seele mit dem Bösen um ihn her quälte; aber auch bei ihm zeigte sich dasselbe traurige Vergessen von dem, was der Heiligkeit Gottes gebührte. Eli war ein gläubiger Mann, der das Böse verurteilte, aber er trennte sich nicht davon. Er ist ein ernster Beleg für den göttlichen Grundsatz -(den wir im Verkehr mit der Welt leicht vergessen), dass man für das Böse, welches man zwar verurteilt, von dem man sich aber nicht trennt, mit verantwortlich ist. Eli wurde nach dem Worte Jehovas an Samuel gestraft und gerichtet, weil er von dem Bösen gewusst, wodurch „seine Söhne sich den Fluch zuzogen, und er ihnen nicht gewehrt hatte“ (1.Sam. 3, 13).

Das ist „zu unserer Belehrung geschrieben“ (Röm. 15, 4). Darum lasst uns täglich an das Wort Pauli denken: „Habet nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, vielmehr aber strafet sie auch“! (Eph. 5, 11.) Müssen wir da nicht zu unserer Beschämung eingestehen, dass bei gelegentlichen Berührungen mit diesen unfruchtbaren Werken auch wir ihnen nicht immer gewehrt haben, ja, dass vielleicht unsere Seele nicht einmal so wegen des Bösen gequält wurde, wie die gerechte Seele Lots?

Es gibt indessen in dem Leben Elis auch etwas, das wir uns zum Muster nehmen können. Er unterwarf sich in Ergebenheit dem Gericht, welches er für seine Nachsicht gegen das Böse verdient hatte, indem er sagte: „Er ist Jehova, Er tue was gut ist in Seinen Augen“. Da sehen wir ein Herz, das sich nicht wider den Willen Gottes auflehnt, sondern in ausrichtiger Beugung die Folgen seiner Untreue annimmt, weil es eben der gute und vollkommene Wille Gottes ist.

Schön, wenigstens in einem Sinne, ist auch Elis Ende. Nicht das Gericht über seine Familie, nicht die Nachricht von dem Tode seiner beiden Söhne, Hophni und Pinehas, tötete ihn, sondern die Unehre, welche auf Jehova gefallen war, und die Entfernung der Bundeslade aus der Mitte des Volkes. „Und es geschah, als der Bote die Lade Gottes erwähnte, da fiel Eli rücklings vom Stuhle, und brach das Genick und starb“ (1. Sam. 4, 18).

Einer der anziehendsten und liebenswürdigsten Charaktere im Worte ist Jonathan, der Sohn Sauls, und die Anwendbarkeit seines Verhältnisses zu David auf Christum, den wahren David, macht uns seine Geschichte so besonders beachtenswert.

Jonathan war ein edler Mann und voll Gnade, doch leider, wie Lot und Eli, nie völlig von dem getrennt, was Gott verworfen hatte. Wohl überragt er beide, weil er mehr ein Mann des Glaubens war und innigere geistliche Zuneigung verriet; aber auch er war den reinen, von Gott in seinen Tagen festgestellten Grundsätzen nicht treu, trug gleichfalls ein Kleid von Wolle und Leinen und nahm nicht die Stellung ein, zu welcher ihn Gott berufen hatte. Es fehlte ihm nicht an Liebe, doch hätte er die Leiden Davids, des Gesalbten Jehovas, in anderer Weise teilen sollen, als nur mit seinem Herzen. Auch war sein Glaube nicht stark genug, um einem verworfenen König zu folgen. Wir müssen zugeben, dass seine Stellung es schwer machte, einen solchen Schritt zu tun. Sein Glaube hätte aber auch diese Schwierigkeit überwinden sollen.

Der Hof Sauls war damals eine Stätte der Gottlosigkeit und des Abfalls, — wie ja heute die ganze uns umgebende Welt, — während Gott mit David war und die Herrlichkeit sich gleichsam bei ihm in der Wüste, in den Höhlen und Klüften der Erde befand. Bei ihm war das Ephod, der Prophet, der Priester, samt dem unvergleichlichen Schwerte Goliaths (1. Sam. 21, 9), diesem Zeugen seines Sieges, während die Krone und die Erfüllung der Verheißungen seiner warteten.

Und Jonathan, obwohl er David wie seine Seele liebte, obwohl er den Sieg Davids im Terebinthentale, ja, mehr noch den Sieger schätzte, obwohl er als Beweis seiner ungeteilten Liebe sich selbst auszog und Oberkleid, Schwert und Bogen an David gab, um ihn damit zu schmücken, — Jonathan hatte nicht die Kraft, sich vom Hofe Sauls zu trennen und sich mit David zu verbinden.

Und diese Unentschiedenheit brachte auch die „Wenn’s“ auf seinen Weg (Kap. 14, 9. 10; 20, 13. 21), welche es für David gar nicht gab, und ließ ihn auf Zeichen warten, statt einfach zu sagen: „Dein Knecht will gehen“. Ach! vor dem „Komm, folge mir nach!“ wendet auch heute noch eine so liebenswürdige Natur, wie die Jonathans, den Rücken, vielleicht mit Trauer, aber sie zieht „die vielen Güter“ des Hauses der Schmach Dessen vor, der in dieser Welt nicht hatte, wohin Er Sein Haupt legen konnte. Und doch finden wir bei Jesu nichts als Liebe und Gnade. „Ich habe euch Freunde genannt“, sagte Er zu denen, die auf dem Punkte standen, Ihn zu verleugnen, zu fliehen, Ihn allein zu lassen. „Ihr seid es, die mit mir ausgeharrt haben“, sagte Er zu denen, die kurz darauf nicht einmal eine Stunde mit Ihm wachen konnten. Wir können nicht zu gleicher Zeit mit Saul und David gehen, nicht gleichzeitig Christum und die Welt genießen. Jetzt ist die Zeit des Leidens, der Trübsal, des Ausharrens; die Zeit der Ruhe liegt vor uns. · Das Leiden muss zuerst kommen, dann die Herrlichkeit; und wer mit eigener Hand die Leiden des Geschmähtwerdens, des Verstoßenseins von dieser Welt von sich abzuwenden sucht, ist kein Kämpfer für Gottes Reich, nur ein Mitläufer, und beweist, dass die Gegenwart ihm wichtiger ist als die Zukunft.

Und noch .eins. Da, wo die Namen und Taten der Helden Davids durch den Heiligen Geist aufgezählt werden (2. Sam. 23), suchen wir vergeblich nach dem Namen Jonathans. So auch wird uns am Tage des Herrn die Anerkennung fehlen, wenn wir uns, wie Jonathan, nicht von der Welt und dem was in ihr ist trennen können und uns weigern, dem wahren David nach der Höhle Adullam zu folgen. Das ist der Platz, wo Christus sich heute in der Welt befindet, und diesen Platz müssen wir mit Ihm teilen, wenn wir Gemeinschaft mit Ihm haben, mit und für Ihn hienieden kämpfen und dafür später Anerkennung und Lohn finden wollen. Auf einen solchen Lohn musste auch Ebedmelech verzichten, der Äthiopier, der im Hause des Königs Zedekia war, als man Jeremia, den Propheten Jehovas, in die Grube geworfen hatte. Dieser Mann liebte den Propheten Gottes, verteidigte ihn angesichts eines gotteslästerlichen Hofes und diente ihm mit einer rührenden Hingebung. Dennoch war er kein Zeuge wie Jeremia, denn er fürchtete die Menschen, was ein Zeuge ungeteilten Herzens für Gott nicht tut (Jer. 39, 17). „Menschenfurcht legt einen Fallstrick“ (Spr. 29, 25). Die unumschränkte Gnade aber verachtete die Schwachheit Ebedmelechs nicht, denn er empfing am Gerichtstage Jehovas nach seinem Maße: er trug sein Leben als Beute davon, während Jeremia außerdem noch mit Ehre umgeben wurde (Vergl. Jer. 38 und 39).

Wir sagten eben, dass Jonathans Name und Taten nicht in der Liste der Helden Davids aufgeführt seien. Ähnlich war es in dem vorliegenden Falle. Ebedmelech wurde gerettet, aber das war auch alles. Der Prophet trug noch eine reiche Belohnung davon.

Sicherlich soll der Gedanke an die in Aussicht gestellte Belohnung nicht der Beweggrund unserer Hingabe fiir Gott sein, denn dann machten wir es wie Petrus, der in einem lohnsüchtigen Geiste den Herrn fragte: »(-Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt; was wird uns nun werden?“ (Matth. 19, 27). Die Schrift spricht nur von einer Belohnung, um uns in den Schwierigkeiten und Gefahren im Dienste des Herrn zu ermuntern und zum Ausharren zu bewegen. Christus selbst ,,erduldete, der Schande nicht achtend, für die vor Ihm liegende Freude das Kreuz“, und doch wissen wir, dass nicht die Belohnung, sondern die Liebe Ihn trieb. Auch Mose ,,hielt standhaft aus, als sähe er den Unsichtbaren . . . denn er schaute auf die Belohnung«. Aber nicht der Gedanke an die Belohnung, sondern die Sorge für seine Brüder erfüllte sein Herz.

Nichtsdestoweniger ist die Belohnung eine große Gnade, und wir werden sie erhalten nach unserer eigenen Arbeit. Gott ist nicht ungerecht, das zu vergessen, was wir aus Liebe zu Seinem Namen an den Seinigen getan haben (Hebr. 6, 10). Das sehen wir bei Jonathan und Ebedmelech, obgleich Mangel an Entschiedenheit und Menschenfurcht uns hindern mögen, so für Jesum zu zeugen und mit Ihm zu leiden, wie ein wahrhaft treuer Diener es tun wird.

In 1. Könige 18 finden wir einen Mann, über den der Heilige Geist ein sehr schönes Zeugnis ausstellt, der Jehova sehr fürchtete, und der sich doch von Elia sagen lassen musste, dass nicht Jehova, sondern der götzendienerische König Ahab sein Herr sei. (1. Kön. 18, 8.) Von diesem Manne, dem Verwalter des königlichen Palastes, sagt das Wort: „Obadja fürchtete Jehova sehr; und es geschah, als Isebel die Propheten Jehovas ausrottete, da nahm Obadja hundert Propheten und versteckte sie, je fünfzig Mann in eine Höhle, und versorgte sie mit Brot und Wasser“ (1. Kön. 18, 3 und 4). Obadja selbst teilt später dem Propheten mit, dass er Jehova von seiner Jugend an gefürchtet habe. (V.12). Daraus dürfen wir wohl entnehmen, dass auch seine Eltern fromme Leute waren, die ihm den Namen Obadja d. h. des Herrn Diener offenbar in dem Wunsch gegeben hatten, ihn als Diener Jehovas aufwachsen zu sehen.

Dass Obadja sich nicht durch die Sitten der damaligen Zeit, in welcher der Baalsdienst der moderne Gedanke war, verführen ließ, sondern im Glauben ausharrte, war entschieden ein Beweis seiner Treue. Auch gehörte Mut dazu, am Hofe der Isebel, die von bitterem Hass gegen den Dienst Jehovas erfüllt war, zu weilen, und zugleich im Geheimen für die Bedürfnisse der Propheten Gottes Sorge zu tragen. Obadja verdiente also den Namen eines gottesfürchtigen Mannes. Er hatte auch ein Herz für die Leiden der Diener Jehovas· Dennoch waren seine Wege nicht in Übereinstimmung mit der Energie des Geistes Gottes in jenen Tagen. Das war eben unmöglich, so lange er nicht bloß Gottes Diener, sondern auch Ratgeber und Diener eines Königs war, in dessen Reiche die Ungerechtigkeit herrschte. Sein aus Wolle und Leinen gewebtes Gewand bildete einen schroffen Gegensatz zu dem ledernen Gürtel des Elia, und das trat bei dem Zusammentreffen dieser beiden Männer offensichtlich zu Tage.

Sie begegnen sich an dem Tage, da Obadja und Ahab infolge der furchtbaren Dürre durchs Land zogen, um Gras für die Rosse und Maultiere zu suchen, während Elia von Gott den Auftrag empfangen hatte, Ahab mitzuteilen, dass Er wieder Regen auf den Erdboden geben wolle. In der hochinteressanten Unterredung, die sich zwischen diesen beiden Männern Gottes entwickelt, wird der durch die Verbindung mit der Welt schwankende Charakter Obadjas und sein geteiltes Herz ganz offenbar. Elia, der von dem allgemeinen Abfall völlig getrennt war und im Gehorsam, auf Gottes Befehl, mutig die Botschaft seines Herrn an Ahab auszurichten im Begriff stand, fordert Obadja auf, ihn bei dem König, seinem Herrn, anzumelden. Aber Obadja, dieser Mann, der Jehova sehr fürchtete und eine von Gott an- erkannte Hingabe für die Seinen gezeigt hatte, weigert und fürchtet sich. Es ist auch ganz natürlich, denn nur ein Mann ungeteilten Herzens, der von Menschen unabhängig ist, vermag auf jeden Befehl Gottes einfach zu antworten: „Dein Knecht will gehen“.

Zu seiner Verteidigung sagt Obadja: „Was habe ich gesündigt?« Doch warum das? wo doch Elia ihn keiner Sünde beschuldigt, noch irgendwie sein Verhalten getadelt hatte. Es war die leise Stimme des Gewissens, die den Hausmeister Ahabs daran erinnerte, dass seine Stellung Jehova gegenüber nicht so war, wie sie sein sollte. Und in der Erkenntnis dieser falschen Stellung fühlte er, wie jeder von uns, wenn wir auf eine Abweichung vom Wege Gottes aufmerksam gemacht werden, das Bedürfnis, sich zu. rechtfertigen und von sich selbst ein gutes Zeugnis abzulegen. „Ist meinem Herrn — sagt er — nicht berichtet worden, was ich getan habe, als Isebel die Propheten Jehovas tötete? dass ich von den Propheten Jehovas hundert Mann versteckte und sie mit Brot und Wasser versorgte?“

Das war ja wahr, es ist im Anfang des Kapitels ausdrücklich vom Geiste Gottes mitgeteilt, aber es war nicht die Aufgabe Obadjas, dies festzustellen. David rühmte sich seines Sieges über den Löwen und Bären erst, als er beweisen musste, dass er nicht in eigener Kraft gegen Goliath vorging. Paulus behielt vierzehn Jahre lang das Geheimnis der Entrückung in den dritten Himmel für sich, und sprach es nicht eher aus, als bis der Zustand der Korinther ihn dazu zwang.

Wir bemerken auch nicht, dass das Erinnern an frühere gesegnete Tage den Propheten veranlasste, seine Zurückhaltung Obadja gegenüber aufzugeben. Er sah in ihm nur den Mann, der der Welt diente, den Diener seines Herrn Ahab. Und so wie zwischen dem in Sodom lebenden Lot und Abraham keine Gemeinschaft des Geistes bestand, ebenso wenig konnte eine solche zwischen Elia, dem Fremdling im Lande, und Obadja, dem Verwalter des Hauses Ahabs, vorhanden sein. Und ist es nicht auch heute noch so? Genügt das Erinnern an Treue in der Vergangenheit, um die Gemeinschaft mit dem Volke Gottes wiederherzustellen? Lauter nicht immer die entscheidende Frage: Trägst du jetzt Vorsorge für den Herrn oder für das Fleisch? Kommst du jetzt vom Himmel oder von dem Hofe Ahabs? Wir können nicht der Welt dienen, ihrem Zuge folgen und zugleich mit den Heiligen Gemeinschaft pflegen.

Weltliebe trennt uns nicht nur von Gott, sondern auch von den Geschwistern, Und wenn wir bei den genannten Gläubigen auch leuchtende, durch die Gnade hervorgebrachte Eigenschaften entdecken: bei Lot eine sich über das Böse quälende Seele, bei Eli große Ergebenheit, bei Jonathan einen starken Glauben und ein Herz voll Liebe, bei Ebedmelech eine liebevolle Hingabe für den Diener des Herrn, bei Obadja endlich eine aufopfernde, selbstlose Barmherzigkeit gegen die Propheten Jehovas eine Sache trennte doch alle von ihren treueren Zeitgenossen, Abraham, Samuel, David, Jeremia und Elia, und das war das aus Wolle und Leinen zusammengewebte Kleid, und infolge dessen die Weltliebe, die sich mehr oder minder mit ihren Zuneigungen zum Herrn verband, der Mangel an Mut, an Ausharren und vor allem an einem vertrauten Verhältnis zu ihrem Herrn.

Ja, ein vertrautes Verhältnis zu ihrem Gott ernteten die treuen Zeugen als Lohn für ihr ungeteiltes Herz! Bei Abraham, dem Freunde Gottes, lässt sich Jehova zu den Worten ehrenden Vertrauens herab: „Sollte ich vor Abraham verbergen, was ich tun will?“ (1. Mose 18, 17). Von Samuel, dessen Leben eine. fortlaufende Entwickelung in der Heiligkeit zeigt, lesen wir: Er betete Jehova an (1. Sam. 1, 28), er diente Ihm vor Eli, dem Priester (2, 11), er wurde groß bei Jehova (2, 21), und endlich: er wurde fort und fort größer und angenehmer bei Gott und Menschen (2, 26). David wird ein Mann nach dem Herzen Gottes. genannt. Elia, der Tisbiter, konnte sagen: der Gott Israels, vor dessen Angesicht ich stehe!

Das war der Charakter des inneren Lebens Elias. „Glückselig sind diese deine Knechte, die beständig vor- dir stehen, die deine Weisheit hören!« (1.Kön.10, 8) so sprach die Königin von Scheba zu Salomo. Aber hier war mehr als Salomo. Wie viel glückseliger war darum dieser Knecht! Aber nicht in eigener Stärke stand Elia vor Gott, — er war ein Mensch von gleichen. Gemütsbewegungen wie wir, — sondern in der Kraft Gottes, getreu seinem Namen Elia, was verdolmetscht heißt: „Der Herr ist meine Stärke“. Das Herz des Elia schlug ungeteilt für seinen Herrn und dessen Ehre, und das „Stehen vor Seinem Angesicht“ gab Kunde von einem besonderen, persönlichen Verhältnis zu Gott.

Und was war das Geheimnis der Kraft eines Jeremia? Er gehorchte Gott ohne Säumen und brachte alle Schwierigkeiten mit kindlicher Einfalt vor Ihn.· Wir sehen in ihm die Schwachheit »des Gefäßes, zugleich aber auch die Kraft Gottes. Ängstlich und zurückhaltend von Natur, empfing er von dem Herrn den unbeugsamsten Mut. Er, der im Anfang seiner Berufung jung war und nicht zu reden wusste, wurde in Gottes Hand „zu einer festen Stadt, zu einer eisernen Säule und zu einer ehernen Mauer wider das ganze Land“ (Jer. 1, 6. 18). Weil er nach Gottes Wort hungerte, weil er „Seine Worte gegessen hatte, und diese ihm zur Wonne und zur Freude seines Herzens geworden waren“ (vergl. Kap. 15, 16), darum konnte Jehova „Seine Worte in seinen Mund legen“ und Jeremia konnte sein ,,wie Sein Mund“ (Kap.1,9; 15,19) .

Wir sehen bei all diesen treuen Zeugen, was das Wort des Herrn für sie war. Nach diesem Worte -wandelten sie im Gehorsam, aus dem Worte empfingen sie Trost und Freude, und durch das Wort wurde die ernste Scheidung zwischen ihnen und dem sie umringenden Bösen aufrecht gehalten. Und was das Wort des Herrn für sie war, das sollte es auch für uns sein. In dem Achthaben auf das Wort und die Lehre liegt die einzige Beschirmung in den bösen Tagen des Endes. Der Gehorsam gegen das Wort führt zur Trennung von allem Ungöttlichen und befähigt uns, treue Zeugen für Gott zu sein inmitten der im Argen liegenden Welt. Ja, die von Gott eingegebenen Schriften unterweisen -uns, auf dass wir ,,vollkommen seien, zu jedem guten Werke völlig geschickt“ (2. Tim. 3, 17).

Über Mara nach Elim

Bibelstelle: 2. Mose 15

Botschafter des Heils 1912 S. 268ff

Als die Kinder Israel das Rote Meer durchschritten hatten und gänzlich befreit am anderen Ufer standen, öffnete sich ihr Mund zu einem lauten Triumphgesang zur Ehre ihres Retters und Helfers aus der Not. Sie hatten „die große Macht gesehen, die Jehova an den Ägyptern betätigt hatte“ (Kap. 14, 31), und nun priesen sie Ihn, der Sein Volk „erlöst und durch Seine Stärke zu Seiner heiligen Wohnung geführt hatte“ (Kap. 15, 13.) Das Passah hatte sie von einem wohlverdienten Gericht befreit, jetzt aber war derselbe Jehova, den sie mit Recht als Richter fürchten mussten, ihr Heil, ihre Rettung geworden. Sie brauchten nichtlänger mehr auf Gnade zu hoffen, sondern durften sich der Tatsache erfreuen, dass ihr Gericht vorüber und sie von ihren Feinden befreit waren.

Leider hielt diese Freude vor den Schwierigkeiten der Wüste nicht lange stand. Drei Tage lang wanderten sie ohne Wasser, und als sie endlich das ersehnte Labsal in Mara fanden, erwies es sich als bitter und ungenießbar. Das war die erste Wüstenerfahrung: sie mussten von demselben bitteren Salzwasser trinken, durch welches sie im Roten Meere zur Rettung geführt worden waren. Sie mussten gleichsam den Tod, der sie erlöst hatte, praktisch auf sich anwenden, wie sie das auch später taten, sobald sie den Jordan (das Bild des Todes und der Auferstehung mit Christo) durchschritten hatten, indem sie in Gilgal sich beschneiden ließen. Wir begegnen diesem Gedanken in besonderer Weise im 38. Kapitel des Propheten Jesaja. Nach seiner tödlichen Erkrankung, in welcher er ein Vorbild ist von dem Sohne Davids, als auferweckt aus den Toten, sowie von der Macht Christi, wie sie sich in einem ebenfalls (moralisch) aus den Toten erstehenden Volke entfalten soll, sagt Hiskia dort: „O Herr! durch dieses lebt man, und in jeder Hinsicht ist darin das Leben meines Geistes“ (Jes. 38, 16).

Die Erlösung hatte gezeigt, was im Herzen Jehovas war, und nun sollte das bittere Wasser offenbaren, was im Herzen Israels war und von ihm gerichtet werden musste. Das Volk murrte; als es aber durch Mose zu Jehova schrie, zeigte Jehova, dass es keine Bitterkeit gibt, die Er nicht versüßen kann. Er wies Mose ein Holz, das er in das Wasser werfen musste, und siehe da, „das Wasser ward süß“ (V. 25). Nach dieser schmerzlichen aber gesegneten Unterweisung kann Jehova sich wieder mit Israel beschäftigen. „Dort stellte Er ihm Satzung und Recht, und dort versuchte Er es“ (V. 25). Bevor das Volk erlöst war, hören wir nichts von Satzungen und Versuchungen. Vor der Erlösung hatte der Pharao sie in Trübsal gebracht, aber nach der Erlösung kam von Jehova selbst die Prüfung, die Versuchung über sie. Von jetzt ab hatten sie es nur mit ihrem Gott zu tun, und sie sollten Ihn in einem neuen Charakter kennen lernen, als den Jehova, der sie heilte. „Und Er sprach: Wenn du fleißig auf die Stimme Jehovas, deines Gottes, hören wirst, und tun was recht ist in Seinen Augen, und horchen wirst auf Seine Gebote und beobachten alle Seine Satzungen, so werde ich keine der Krankheiten auf dich legen, die ich auf Ägypten gelegt habe; denn ich bin Jehova, der dich heilt“ (V. 26).

Zugleich haben wir hier den Grundsatz der Verantwortlichkeit des Volkes. Gehorsam ist die Bedingung zu ihrem Wohlbefinden unter der Regierung Gottes, wenn auch Jehova nicht aufhörte, stets wieder in Gnade mit ihnen zu handeln.

Nachdem Israel in Mara gelernt hatte, was in seinem Herzen war, kam es nach Elim. Sobald die Gemeinschaft mit Gott wiedergefunden ist, strömt der volle Segen göttlicher Gnade und Güte von neuem. In lieblicher Abhängigkeit von ihrem Gott genießen sie jetzt die vollkommene Erquickung der zwölf Wasserquellen und den vollkommenen Schutz vor der sengenden Sonne unter den siebzig Palmbäumen. Die Zahlen 12 und 70 weisen auf die Vollkommenheit dieser Erquickung hin. „Und sie lagerten sich daselbst an den Wassern“ (V. 27).

Wären sie doch in dieser seligen Gemeinschaft mit Gott geblieben! Dann würde die „große und schreckliche Wüste“ (5. Mose 8,15) ihre Schrecken für sie verloren haben, und unbesorgt und vertrauensvoll hätten sie „das Land der Steppen und der Gruben, das Land der Dürre und des Todesschattens“ (Jer. 2, 6) durchschreiten können.

Jehova wollte Sein Volk in die Wüste führen, um ihm zum Herzen zu reden. (Vergl. Hos. 2, 14). Er wollte es in der Wüste demütigen und versuchen, damit Er ihm wohltue an seinem Ende. (5. Mose 8, 16.) Er wollte es „pflegen“ auf der ganzen Reise. (Apstgsch. 13, 18.) Ach, wenn Sein Volk nur auf Ihn gehört, wenn Israel nur in Seinen Wegen gewandelt hätte! „Mit dem Fette des Weizens würde Er es gespeist und mit Honig aus dem Felsen es gesättigt haben.“ Aber Israel hat nicht auf Ihn gehört, Sein Volk ist nicht willig gegen Ihn gewesen. (Ps. 81.) Trotzdem ihnen nach dem Aufbruch von Elim, „als sie sich gegen die Wüste wandten“, die Herrlichkeit Jehovas in der Wolke erschien (Kap. 16, 10), murrten sie und fürchteten sich immer wieder, und endlich stellten sie sich, anstatt in der Abhängigkeit der Gnade zu bleiben, gar unter ein Bündnis von Werken. Die Folge davon war, dass nur zwei Pilger von Mara und Elim das gelobte Land erreichten. Alle übrigen kamen in der Wüste um.

„Alles was zuvor geschrieben ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben“ (Röm. 15, 4). So hat auch der Anfang der Wüstenreise Israels nicht bloß ein geschichtliches Interesse für uns, sondern wir schauen hier in einen Spiegel, in welchem wir uns selber erblicken. Nur dürfen wir nicht versäumen, den Spiegel in die richtige Beleuchtung zu rücken, d. h. Zeit und Umstände des Vorbildes sorgfältig zu berücksichtigen.

Die Israeliten befanden sich damals zwischen dem Roten Meer und dem Jordan, diesen beiden Grenzpunkten der Wüste, die für uns ihr Gegenbild in dem Tode Christi finden. Das Rote Meer bedeutete für Israel die Trennung von Ägypten, der Jordan die Einführung in das Land Kanaan. Zwischen beiden lag die Wüste. Wir Gläubige sind durch den Tod Christi nicht nur von dem gegenwärtigen, bösen Zeitlauf getrennt, sondern Gott hat uns auch ,,mitauferweckt und mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christo Jesu“ (Eph. 2, 6.) Einerseits umringt von den Dingen Ägyptens, andererseits nach den wirklichen Erfahrungen mitten in der Wüste, bewegen wir uns doch gleichzeitig schon durch die Kraft des Glaubens in Kanaan. Die Erziehung in der Wüste ist nicht dafür da, um uns ein Recht auf Kanaan zu geben, sondern hat den Zweck, uns unser eigenes Herz erkennen und die Kraft der Gemeinschaft mit unserem Gott verstehen zu lassen; auch soll sie dazu dienen, unsere Fähigkeit zum Genuss Kanaans, in welches Land wir schon tatsächlich eingeführt sind, zu erhöhen. Darum finden sich auf unserem Wege hienieden so viele bittere Maras, aber, darauf folgend, auch so manche erquickende Elims.

Wir alle haben wohl nach unserer Bekehrung, im Blick auf die vollbrachte Erlösung, gleich den Kindern Israel einen Lobgesang angestimmt. Um nun aber die praktische Wirkung des Erlösungswerkes, d. i. den Genuss Gottes selbst, in der Seele kennen zu lernen, muss das Fleisch, welches diesen Genuss stets verhindern will, gerichtet werden. Denn nur insoweit wir uns der Sünde für tot halten, können wir Gott leben in Christo Jesu. (Röm. 6, 11.) So lange unsere Natur nicht zerbrochen ist, vermögen wir die aus Gott selbst in unsere Seelen strömenden Segensquellen nicht zu genießen. So führt uns Gott denn zu den bitteren Wassern von Mara, denen wir so gern entrinnen möchten, mit anderen Worten, zu allerlei Trübsalen hin, um da Seinen Finger zu legen aus unseren Eigensinn, unsere Selbstsucht, unsere Weltliebe, kurz auf alles, was unserer Abhängigkeit von Ihm im Wege steht oder uns hindert, uns Seiner ganz zu erfreuen.

Schon mancher Christ, der solch bitteres Wasser trinken musste, hat gemeint, dass die Trübsal ihn treffe, weil er noch nicht erlöst sei. Doch nein, gerade weil er ein Erlöster ist, begegnet ihm dieses Leid. Gott setzt uns zum Trank dieselbe Sache vor, die uns erlöst hat, nämlich den „Tod“. Seine Hand muss das Todesurteil über unsere Natur schreiben, sie in der Stellung des Todes erhalten. Die Wahrheit, das Urteil des Todes in sich zu tragen, oder, wie Paulus sagt, „das Urteil des Todes in uns selbst zu haben“ (2. Kor. 1, 9), muss von jedem gelernt werden. Die Erlösung hatte die Kinder Israel zu Gott gebracht, aber in Mara mussten sie geübt und geprüft werden, um in Elim ihre Freude in Gott haben zu können. So ist es auch bei uns.

Es handelt sich hier nicht um Strafen für bestimmte Sünden, für grobe Vergehungen. Aber in dem Gläubigen ist die alte Natur, das Fleisch, und es gibt in jedem Herzen etwas, worüber Gott mit uns zu reden hat, weswegen Herz und Gewissen in Tätigkeit treten müssen —- etwas, worin Er sich als der Gott offenbaren will, der uns heilt. Es ist nur zu natürlich, dass wir dieses Sein Tun oft schlecht verstehen, und dass ein fragendes, schmerzliches „Warum?“ aus unserem Innern aufsteigt. Und auf dieses: „Warum?“ erfolgt vielleicht anfangs keine andere Antwort, als wie sie auch Petrus vom Herrn erhielt: „Was ich tue, weißt du jetzt nicht, du wirst es aber hernach verstehen“ (Joh. 13, 7).

Da heißt es denn geduldig zu warten, von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, bis der Herr das Verständnis für die Trübsal öffnet und dem Leid ein Ende macht. Wir mögen den Herrn immer wieder anflehen, aber nie sollen wir ungeduldig werden. „Er will nicht“, sagt ein anderer Schreiber, „dass man Ihm diktiere, aber Er liebt den Hilferuf des Glaubens.“ Seine Liebe und Gnade kürzen die Wartezeit ab und bringen nach und nach die widerstrebende Seele dazu, mit dem Psalmisten sagen zu können: „Habe ich meine Seele nicht beschwichtigt und gestillt? Gleich einem entwöhnten Kinde bei seiner Mutter, gleich dem entwöhnten Kinde ist meine Seele in mir“ (Ps. 131, 2).

Bedenke, dass die Leiden an sich den Menschen nicht über seinen natürlichen Zustand erheben, dass sie im Gegenteil Anlass zur Herzensverhärtung, ja, zur Gottentfremdung geben können. Das eigene Leid gibt uns scheinbar ein Recht, das „Ich“ in den Mittelpunkt zu stellen und für die Röte anderer gleichgültig zu sein. Nehmen wir aber die Trübsal aus Gottes Hand als Erziehungsmittel an, dann bekämpfen wir solch selbst-süchtige Neigung und bringen an ihrer Stelle Früchte der Liebe für andere hervor. Gerade die Leiden werden uns zu einem Mittel, teilnahmsvoll für andere zu fühlen, und das durch die bitteren Wasser von Mars! Geprüfte Herz ist imstande, außer den eigenen auch die fremden Leiden vor den Thron der Gnade zu bringen.

Soll aus der Trübsal die friedsame Frucht der Gerechtigkeit erwachsen, so muss zu den Leiden etwas hinzukommen. Wir müssen durch die Leiden lernen, unseren Willen dem Willen Gottes unterzuordnen, uns ganz unter Seinen Willen zu beugen. Wir wollen vielleicht von Anfang an gehorsam und folgsam sein, aber dabei selbst unser Kreuz aussuchen und das uns nach Gottes Führung zugewiesene Kreuz abweisen. Wir sind wohl bereit, ein Kreuz zu tragen, aber das eine gerade, das für uns bestimmte, erscheint uns zu schwer und unseren Kräften nicht angemessen. Und von da bis zur gänzlichen Übergabe unseres Willens, bis zu einem willigen Gehorsam, ist noch ein weiter Schritt. Nur durch Leiden erlangen wir die ehrliche Erkenntnis, dass Gott mit Seinen Geschöpfen handeln kann, wie Er will; nur in der Leidensschule von Mara lernen wir die demütige Unterwerfung, und weiter, wie diese zu einer vertrauenden Unterwerfung wird. Das Vertrauen ist da, sobald wir wirklich erkennen, dass alles Leid den Kindern Gottes zum Guten mitwirkt, und wenn der Ruf in unseren Herzen erklingt: „Ich lasse dich nicht los, du habest mich denn gesegnet«. (1. Mose 32, 26.) Dann erblicken wir Gottes Gnadenhand in der Prüfung, sehen das Holz, das Kreuz Christi, in den bitteren Wassern —- und die Wasser werden süß für uns.

Nun wird Er, der gekreuzigte Christus, der die Wasser der Trübsal süß gemacht hat, Er, die Quelle aller Freuden, unseren Herzen teuer. Vor den Leiden Maras hatten die irdischen Dinge Ihn vielleicht aus unseren Herzen verdrängt, die himmlischen Güter waren nur Anhängsel, nur Beilagen zu den uns wichtigeren irdischen; oder das eigene Ich stand in der einen oder anderen Weise im Vordergrunde und wirkte lähmend, erschlaffend auf unser persönliches Verhältnis zu Christo. Aber aus unserem Leidenswege hat das Leben in den Dingen dieser Welt seine Anziehungskraft verloren, und wir selbst haben uns erkannt in der ganzen Hässlichkeit des natürlichen Ichs, und in demselben Maße haben Christus und die himmlischen Dinge an Wert für uns gewonnen. Gott war uns ein Gott, der uns heilte. Seine bittere Arznei hat uns zur Genesung gedient.

Doch die schönste Frucht der Leiden ist die, wenn die bitteren Maras zur Verherrlichung des Herrn dienen. Größere Ehre kann Gott von Seinen Kindern nicht erwiesen werden, als wenn sie Ihn unter der Last der Drangsal, unter dem Druck der Schmerzen loben und preisen. Dann erkennt die Welt, dass wahre Frömmigkeit nicht auf Lohn rechnet, und dass der Gott ein herrlicher Gott sein muss, an welchem der Mensch unter allen Umständen und in den schmerzlichsten Lagen festhält, trotzdem er vielleicht alles entbehren muss, was der Mensch zu seinem Glück für notwendig hält.

Ist der Gläubige dahin gekommen, den guten und wohlgefälligen und vollkommenen Willen Gottes als solchen geduldig hinzunehmen, dann trinkt er willig das bittere Wasser und merkt alsbald, dass es süß geworden ist. Das ist die Freude in der Drangsal. Und gleich öffnet sich ihm dann auch die Tür zu weiterem Segen. Elim tut sich vor ihm auf, Elim mit seinen zwölf Wasserquellen, Elim mit seinen siebzig Palmbäumen.

Freilich, Elim ist noch nicht Kanaan· Das war es auch nicht für die Kinder Israel, obschon es ihnen einen Vorgeschmack von dem gelobten Lande gab. Sie fanden große Erfrischung in dieser Oase inmitten der öden Wüste; die Erquickung war aber nur vorübergehend und nur zu ihrer Belebung und Stärkung für die Weiterreise bestimmt. Sie durften nicht heimisch werden an diesen Wassern der Ruhe und unter den schattenspendenden Palmen; ihr Blick musste frei bleiben für die Wolken- und Feuersäule. Des ersten Winkes gewärtig, mussten sie allezeit bereit stehen, aufzubrechen und den Marsch fortzusetzen.

Elim gewährt auch uns nicht die ungestörte Ruhe, welche dem Volke Gottes bleibt. (Hebr. 4, 9.) Diese finden wir erst droben. Elim ist eine Oase inmitten der Wüste, und Wüste bleibt Wüste; doch in dieser Wüste lässt unser treuer Herr diejenigen, denen Er die Ruhe des Gewissens umsonst geschenkt hat, nun auch aus dem Wege über Mara Elim-Oasen und damit Ruhe für ihre Seelen finden. Diese Ruhe der Seele in einer Welt voll Unruhe, Kampf und Beschwerde wird allen zu teil, die sich in der Schule von Mara kennen gelernt und des Herrn Joch auf sich genommen haben. Denn dieses Jochaufnehmen setzt ein zerbrochenes Herz voraus und ist mit ständiger Verleugnung des eigenen Willens verbunden. Eine völlige, nie unterbrochene Abhängigkeit, die Stellung eines Dieners, der dem Willen des Vaters stets unterworfen war — das war das Joch, das unser Herr trug, als Er hienieden pilgerte.

Und diese Ruhe in Gott, welche dem Träger des Joches Christi beschieden ist, ist das gegenwärtige Teil des Glaubens und wird von uns in Elim genossen. Da sitzen wir im Schatten der Palmbäume zu den Füßen Jesu und lernen von Ihm, der die Liebe des Vaters geoffenbart hat — jene Liebe, in welcher Er als Mensch hier stets ruhte. Und an den Wassers! von Elim liegend, genießen wir jenen Frieden, den Er selbst genoss, indem Er in der innigsten Gemeinschaft mit Seinem Gott und Vater durch diese Welt schritt; sagt Er doch in Joh. 14 zu Seinen Jüngern: „Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch“.

Und nicht nur Ruhe und Frieden bietet uns Elim, sondern auch große Freude. So wie Jehova einst Sein Volk Israel wieder und wieder aufforderte, sich zu freuen: „Ihr sollt euch vor Jehova, eurem Gott, freuen“ (3. Mose 23, 40), ,,Du sollst dich freuen all des Guten, das Jehova, dein Gott, dir und deinem Hause gegeben hat« (5. Muse 26, 11), —- so ist es auch der Wille des Herrn, das; wir glücklich sind und uns freuen. Dazu gibt Er uns die Elim-Oasen inmitten der Wüste. Wir sollen uns freuen in Ihm, der die Quelle aller Freuden ist. Nicht ohne Grund hatte Elim gerade zwölf Quellen und gerade siebzig Palmbäume. Beide Zahlen finden wir im Worte in Verbindung mit dem geistlichen Dienst, den Gott für Sein Volk hienieden bereitet hat. Jesus erwählte zwölf Jünger und sandte siebzig andere vor sich her in jede Stadt und in jeden Ort, wohin Er selbst kommen wollte (Luk. 6, 13; 10, 1).

Aller geistliche Dienst weist auf Christum hin, und in Elim, dem Platz der Ruhe und des Friedens, wird Sein Dienst an uns, die »wir aufgefordert werden, „uns allezeit zu freuen“, „uns stets zu freuen im Herrn“, erst recht unsere Herzen mit Glück und Freude erfüllen.

Manche wahre Gläubige wissen und genießen wenig von der Ruhe, dem Frieden und der Freude, die in Elim für sie bereit liegen. Johannes genoss sie, als er sich an die Brust Jesu lehnte, Maria fand sie zu Jesu Füßen, und Paulus erlangte sie, als er um der Vortrefflichkeit des Herrn Jesu willen alles, was ihm Gewinn war, für Verlust achtete. Und auch du und ich werden sie finden, wenn wir in Mara uns selbst in unserem Nichts und den Herrn als „den Gott, der uns heilt“, kennen gelernt haben, und uns nun von Seiner Hand an die Wasser von Elim führen lassen. Da steht dann der Herr bereit, um uns Seine Ruhe, Seinen Frieden und Seine Freude zu geben. Neu gekräftigt setzen wir unsere Pilgerreise fort, nähren uns von dem Man der Wüste und trinken das erfrischende Wasser aus dem geschlagenen Fels. Und indem wir rüstig vorwärts schreiten, dem himmlischen Kanaan zu, singen wir dankbaren Herzens:

Dort in den Höfen voller Segen,

wo aus der Fremd’ ich kehre ein,

kommt mir kein fremder Gott entgegen,

denn Er ist Gott und Vater mein.

Die Liebe, die mich dort begrüßet,

die mich umgibt mit Herrlichkeit,

hat mir die Wüste schon versüßet,

hat mich erquickt in dieser Zeit.

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Wann trug Christus unsere Sünden?

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 280ff

Es ist eine bekannte Behauptung, dass das Leben Christi einen stellvertretenden Wert für uns gehabt habe, dass z. B. Sein Gehorsam uns zugerechnet werde, dass Seine treue Erfüllung des Gesetzes in allen seinen Teilen für unser tägliches Fehlen genug getan habe, dass die Gerechtigkeit, welche sich in Seinem Leben und Wandel kundgab, uns zu gute komme usw. Aber diese Behauptung ist falsch, gerade so falsch wie jene andere, dass unser geliebter Herr zwar nicht in Seinem Dienst unter den Menschen, aber doch in den Leiden, die sie ihm bereiteten, und ganz besonders am Ende Seines Lebens (vor dem Synedrium, vor Pilatus und Herodes, unter den Kriegsknechten usw.) ein Sündenträger gewesen sei. Jedes einsichtsvolle gläubige Herz wird mit Anbetung zustimmen, wenn gesagt wird, dass alle Leiden unseres hochgelobten Herrn einen unendlichen Wert haben, und dass sie alle für uns waren; aber es wird entschieden Einspruch erheben, wenn man den Leiden des Herrn vor den drei Stunden der Finsternis einen sühnenden Charakter beilegen will. Es weiß vielmehr, dass sein geliebter Heiland gehorsam ward bis zum Tode, ja, zum Tode am Kreuze, dass so Seine Vollkommenheit als das wohlriechende, reine Speisopfer im Feuer erprobt und erwiesen wurde; es weiß, dass Er sich selbst durch den ewigen Geist ohne Flecken Gott geopfert hat, und dass Er in vollkommener, ungestörter Gemeinschaft mit dem Vater war während der schweren Stunden Seines Verhörs, ja, selbst noch in den ersten drei Stunden Seines Leidens auf dem Kreuze. In all dieser Zeit litt Er nicht von seiten Gottes um der Sünde willen, sondern von seiten der Menschen um der Gerechtigkeit willen, als der treue Zeuge und gehorsame Mensch.

Kurze praktische Bemerkungen aus einer Betrachtung über Kolosser 2 - 4,4

Bibelstelle: Kolosser 2 - 4,4

Botschafter des Heils 1912 S. 293ff

„Christus in uns, die Hoffnung der Herrlichkeit«« (Kap. 1, 27), das ist der leitende Gedanke in diesem Briefe, ,,wir in Christo« der Hauptgedanke des Epheserbriefes· Der Vater liebt uns um Seines Sohnes willen. Unsere Herzen werden getröstet und in Liebe vereinigt, wenn wir die volle Gewissheit des Verständnisses über dieses Verhältnis besitzen. „Ein Gott, der Seinen Sohn gegeben, ein solcher Gott versagt nichts mehr“ von alledem, was uns zum Glück und zur Freude dient nach Seinen Gedanken. Es ist Seine Wonne, uns zu segnen und zu beglücken. Indes dürfen wir uns nicht mit der bloßen Kenntnis der köstlichen Wahrheit des Einsseins mit Christo begnügen; wir müssen dieses ,,Geheimnis Gottes« mit dem Herzen glauben und in der Gegenwart Gottes genießen, um o an den Augen unseres Herzens erleuchtet zu werden. Eine bloße Bereicherung des Verstandes ohne die Verwirklichung im Herzen wirkt nur Schaden. „Die Erkenntnis bläht auf.“

,,Dies sage ich aber, auf dass niemand euch verführe durch überredende Wortes« (Kap. 2, 4.) Wenn wir umgürtet sind mit der Wahrheit, so sind wir mit Kraft ausgerüstet (Christus als die Wahrheit ist die Kraft unseres Lebens) und vermögen den Lockungen der falschen Lehrer zu widerstehen. „Überredende Worte“ können besonders den Jüngeren unter uns zum Schaden dienen. Wie wichtig ist es daher, dass auch der Jüngste von uns für seine Person genau von der Richtigkeit feiner Stellung überzeugt ist! Leicht können verwandtschaftliche oder auch freundschaftliche Beziehungen die Veranlassung zu dem Wunsche bieten, »in Gemeinschaft« zu sein mit denen, die da wünschen, die Wahrheit festzuhalten in Liebe. Und das hat dann wenig Wert. Kommt eine Zeit der Probe und Sichtung, so fehlt solchen Seelen Halt und Kraft.

Unsere Stellung in Christo ist vollkommen und kann durch Untreue nicht verwirkt werden; aber der wahre Genuss derselben, ferner ein gutes Zeugnis für den Herrn und ein Nutzen für andere kann nur dadurch erzielt werden, dass man sich beständig der hohen Berufung bewusst bleibt, ihrer gemäß wandelt und so mehr und mehr befestigt wird in dem Glauben.

„Wie ihr nun den Christus Jesus, den Herrn, empfangen habt, so wandelt in Ihm, gewurzelt und auferbaut in Ihm und befestigt in dem Glauben, so wie ihr gelehrt worden seid, überströmend in demselben mit Danksagung.“ (Kap. 2, 6. 7.) Christus ist unser Leben. Wenn wir nun in Ihm bleiben, wenn die Wurzeln unseres geistlichen Lebens im Verborgenen Nahrung und Kraft ziehen aus Christo, so wird ein Zustand überströmend mit Danksagung« unser Teil sein. Dank, inniger Dank gegen den Herrn wird unser Herz erfüllen. Aber führt das nicht leicht zur Selbstüberhebung? Nein; denn in dem Maße, wie wir des Herrn Gnade erkennen, werden wir uns auch bewusst, wie verderbt das Fleisch, die alte Natur, ist, die jedem anhaftet, so lange er auf Erden pilgert.

„Ihr seid vollendet in Ihm“ (Kap. 2, 10). Der schwächste Gläubige ist so passend für den Himmel, wie der gefördertste Christ. Dennoch besteht ein großer Unterschied zwischen beiden, nicht nur betreffs ihres Zeugnisses hienieden und des Genusses ihrer vorzüglichen Stellung, sondern auch hinsichtlich ihres Lohnes im Himmel. Aber wie beglückt es den treuen Christen, der sich beständig fürchtet und immer wieder erfährt, wie schwach er ist, sich sagen zu dürfen: Du bist „vollendet in Ihm“!

Der Teufel ist ein besiegter Feind. (V.15.) Trotzdem versucht er, und traurigerweise gelingt es ihm auch, Gläubige zu Fall zu bringen. Ein Fallen ist unausbleiblich, wenn man die Tatsache vergisst, dass man mit Christo gestorben und mit Ihm lebendig gemacht ist (V. 11 — 13), wenn man den Schild des Glaubens nicht hoch hält und das Schwert des Geistes (das Wort Gottes) nicht gebraucht. Wenn ein Christ in der Waffenrüstung« Gottes dasteht (er braucht sich dann gar nicht mit der Macht des Feindes zu beschäftigen, das würde ihn ja nur an der kraftgebenden Beschäftigung mit dem Herrn hindern), so hat er unbedingten Sieg über den Feind durch die Gnade, mittelst des Glaubens.

Wenn ich gefehlt habe, so zeigt sich, was in meinem Herzen ist; ich kann dann nicht sagen: »Der Feind hat mich verführt«, sondern muss bekennen: „Ich habe gesündigt“. Es gibt zwei Mittel, sich kennen zu lernen: einmal indem man dem Worte glaubt und sich dadurch belehren lässt, zum anderen auf dem schmerzlichen Wege der Erfahrung. — Die Möglichkeit, zu sündigen, ist stets vorhanden, nie aber eine Notwendigkeit.

Das weltlich religiöse Wesen ist böse. Man kann sich seine furchtbare Schädlichkeit am besten veranschaulichen, wenn man bedenkt, dass gerade die religiöse Welt der damaligen Zeit den Anstoß gab zur Kreuzigung des Herrn. Die Religion der Welt leugnet die Notwendigkeit des Gestorbenseins mit Christo. Sie erkennt nicht und will nicht zugeben, dass der natürliche Mensch völlig verderbt ist. So bereitet sie für ihn allerlei Arten von religiösen Gebrauchen, Formen, Satzungen, Übungen, „Elemente der Welt“, wie der Apostel sie nennt.

Wir sollten nie von dem traurigen Zustand sprechen, wie er sich unter den Christen unserer Tage zeigt, ohne uns selbst darunter zu beugen und darüber zu trauern; denn wir alle sind mitschuldig.

Das Gestorbensein in Kap. 2, 20 bedeutet das Gelöstsein vom Alten, das Auferwecktsein in Kap. 3, 1 die Verbindung mit dem Neuen. Aber die Beschäftigung mit den Dingen hienieden nimmt so leicht unsere Sinne gefangen. Darum ist die Ermahnung: „Suchet was droben ist“, so bedeutsam, besonders in unserer Zeit. Ein jeder mag sich prüfen, wieviel sein Sinnen himmlischer Natur ist, oder wieweit sich seine Gedanken auf der Erde bewegen.

„Tötet nun eure Glieder, die auf der Erde sind“ (Kap. 3, 5.) Es muss uns ein heiliges Anliegen sein, die Ausflüsse unserer Herzen im Lichte Gottes zu prüfen. Zeigen sich böse Gedanken, so müssen sie rückhaltlos verurteilt werden. Jede Beschäftigung mit dem Bösen (auch der Kampf dagegen) beschmutzt. Das einzige Bewahrungsmittel ist: Richte deinen Blick auf Jesum!

Die Furcht vor mir selbst braucht keine Beunruhigung in mir zu schaffen, sie treibt mich vielmehr in die glückselige Nähe des Herrn. Innere Treue und ein beständiges Selbstgericht bewirken ein äußeres, ehrbares Vorangehen in Gottseligkeit zum klaren, schönen Zeugnis für den Heiland in Wort und Werk. Tritt bei jemand eine Sünde nach außen hin in die Erscheinung, so ist es sicher, dass er sie schon vorher im Innern geduldet hat. Nicht nur die bösen Gedanken sind zu verurteilen, sondern auch die ihnen zu Grunde liegende böse Neigung, die unreine Quelle; sonst wird der Feind fortgefetzt die bösen Gedanken hervorrufen. Böse Neigungen sind nicht etwa Schwachheiten, wie mancher sich so gern einreden möchte, nein, sie find durchaus böse, strafwürdig. Die alte Natur bleibt stets Feindschaft gegen Gott, bleibt immer zu allem Bösen fähig; deshalb hilft ihr gegenüber nur die schonungslose Ausführung und Aufrechthaltung des Todesurteils.

Wenn irgend ein hartes, liebloses Wort von einem Christen gesprochen wird, hat er nicht nur nötig, sich deswegen vor Gott zu beugen, sondern er muss auch die Schuld vor dem bekennen, zu dem er also gesprochen hat. Niemals sollte man leicht über eine sogenannte kleine Sünde hinweggehen.

„Belüget einander nicht“ (Kap. 3, 9). Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit sind unerlässliche Vorbedingungen zu einem durch das Band der Liebe geknüpften Verhältnis, wie es unter Gotteskindern besteht. Sind sie vorhanden, so wird auch gegenseitiges Vertrauen da sein. Die hässlichste Wahrheit ist besser als die höflichste Lüge. Wenn ich keine Zeit habe, und es besucht mich jemand, so wäre es unaufrichtig, wenn ich sagen würde: „Bleiben Sie nur, es macht nichts aus“. Andererseits heißt ,,wahr« sein noch keineswegs »unhöflich« oder gar ,,grob« sein, wie manche zu meinen scheinen. Jede Wahrheit kann in eine liebliche Form gekleidet werden, so dass sie nicht abstößt, sondern selbst dann noch Wertschätzung hervorruft, wenn sie etwas rügen muss.

Gefühle der Freundlichkeit und des Wohlwollens zu zeigen, wenn sie nicht da sind, ist unaufrichtig. Sicher haben wir uns sehr zu verurteilen, wenn Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Gütigkeit, Treue, Sanftmut und Enthaltsamkeit, die ,,Frucht des Geistes« (Gal. 5, 22), nicht bei uns vorhanden sind, und wir sollten Gott ernstlich um diese Tugenden bitten. Aber sie heucheln wollen wäre abscheulich.

Die Liebe ist das Band der Vollkommenheit. (Kap. 3, 14; vergl. Eph. 5, 1. 2.) Sie fasst die einzelnen Tugenden in vollkornmener Weise zusammen. Ein Fass muss zunächst einen guten Boden haben, sodann müssen die einzelnen Dauben fest aneinander gefügt sein (es darf nichts zwischen ihnen liegen), aber die Reifen, das Band, machen das Fass erst brauchbar. Nie sollten deshalb ungeordnete Dinge längere Zeit zwischen Geschwistern liegen; alles sollte geregelt werden, sobald der Geist Gottes darauf aufmerksam macht. Verfehlungen anderer sollte man nie weiter sagen, es sei denn um sie gemeinsam mit dem, welchem man sie erzählt, vor den Thron der Gnade zu bringen."

„Und der Friede des Christus regiere in euren Herzen“ (V. 15). Ich sollte meine Entscheidungen immer so treffen, wie ich es im Genuss des Friedens Gottes (Phil. 4, 7) tun kann. „Gehe hin in Frieden!“ (2. Kön. 5, 19).

„Seid dankbar!“ Der Herr macht nie einen Fehler in unseren Lebensführungen; das zwingt und bringt zum Dank.

Würd’ Gott ich Dank für jede Wohltat sagen,

ich fände wahrlich keine Zeit zum Klagen.

Der Herr Jesus sagt: „Ich danke dir, Vater, dass du mich allezeit erhörst.“ — „Ehe sie rufen, will ich sie erhören.“ So darf im Gebet des Glaubens stets das Danken den Hauptplatz einnehmen. Der Herzenszustand eines Christen wird darin kund, wie viel er dankt. Wenn unser Dank dem Herrn fehlt, so betrübt es Ihn, wenn es auch Seine Gesinnung gegen uns nicht beeinflusst, denn „Gott ist gütig gegen die Undankbaren“. Aber wie ist es mit uns? Ändert sich auch unsere Gesinnung nicht, wenn uns kein Dank wird?

Es geziemt sich auch Dankbarkeit gegen Gott für die Gaben in der Versammlung, und wir müssen uns ernstlich davor hüten, die Gaben, die der Herr gegeben hat, zu kritisieren. Andererseits wird ein geistlicher Christ Freimütigkeit haben, einen Bruder, der eigenwillig dient, in geziemender Weise zu ermahnen.

„Lasst das Wort des Christus reichlich in euch wohnen“ (V. 16). Das Wort ist der einzige Leitfaden für unser Handeln. Darum ist es so wichtig, sich bei allem Tun zu prüfen, welche Beweggründe uns leiten. Die Bibel ist zugleich das beste Bildungsmittel. Aber ach! was alles muss sie sich gefallen lassen! Doch wenn ich an einem gedeckten Tische (dem Worte Gottes) sitze und essend gewahre, dass mein Hunger gestillt wird, so bin ich dankbar und lasse Einwendungen gegen die Speise nicht gelten.

„Und alles was immer ihr tut, im Wort oder im Werk, alles tut im Namen des Herrn Jesu, danksagend Gott, dem Vater, durch Ihn“ (V. 17). Das Christentum adelt jede Beschäftigung, sofern sie sich mit dem Christentum verträgt. Darum wird auch gesagt: „Ein jeder bleibe in dem Beruf, in welchem er berufen worden ist“, doch „bei Gott“. Ist man treu darin, so lohnt es Gott (Vergl. 1. Kor. 7, 20. 24).

„Ihr Weiber, seid euren Männern unterwürfig, wie es sich geziemt in dem Herrn« (V. 18.) Die Gefahr der Frau ist, herrschen zu wollen; deshalb ermahnt das Wort Gottes sie immer wieder zur Unterwürfigkeit, „wie es sieh geziemt in dem Herrn“. Es kann vor- kommen, dass der Mann etwas verlangt, was Gott nicht gefällt. Jn einem solchen Falle hat die Frau Gott mehr zu gehorchen als dem Manne. Beide aber, Mann und Frau, sollten alle ihre Angelegenheiten, sofern sie gemeinsam zu besprechen sind, vor dem Herrn erledigen. Wohl soll der Wille des Mannes ausschlaggebend sein, aber doch mit der Vorbedingung, dass der Mann Gott unterworfen ist.

„Ihr Männer, liebet eure Weiber und seid nicht bitter gegen sie“ (V. 19). Der Mann hat andere Gefahren als das Weib. Er kann leicht hart und bitter werden. Er sollte lernen, sein Weib stets gleichmäßig zu lieben, ihren Dienst anzuerkennen und ihr, als dem schwächeren Gefäß, Ehre zu geben (1. Petr. 3, 7). Hat die Frau etwas verfehlt, so ist liebevolles Aussprechen am Platze, nicht aber unmutiges Schweigen. Das gemeinschaftliche Gebet wird stets das beste Mittel zur Erhaltung des häuslichen Glückes bilden. Für den guten Stand der Ehe ist in erster Linie der Mann verantwortlich, wie überhaupt auch in allen anderen Dingen. Er hat sein Weib als ein Geschenk Gottes zu betrachten und demgemäß zu schätzen: sie soll ihm eine Gehilfin im Irdischen wie im Geistlichen sein.

O selig Haus, wo Mann und Weib in einer,

In Deiner Liebe eines Geistes sind,

Als beide eines Heils gewürdigt, keiner

Im Glaubensgrunde anders ist gesinnt.

Vor allem bei der Kindererziehung ist es bedeutsam, dass Mann und Frau Hand in Hand gehen. Welch traurige Folgen eine Erziehung haben kann, bei welcher die Eltern nicht eines Sinnes sind, das haben schon manche Gläubige zu ihrem tiefen, lebenslänglichen Schmerz erfahren müssen. Ferner ist es (V. 21) von Wichtigkeit, keines der Kinder dem anderen vorzuziehen, das Gute in ihnen anzuerkennen und Schlechtes liebevoll, doch ernst, zu tadeln. Etwa nötige Strafe darf nie im Zorn ausgeführt werden, sondern im Schmerz darüber, dass man zum Strafen genötigt ist. Wie bei unserem himmlischen Vater den Seinen gegenüber, so muss auch bei den Eltern Liebe die Triebfeder zu den Züchtigungen sein. Vor der Bestrafung sollte man den Kindern sagen, weshalb sie bestraft werden, nach einiger Zeit durch Fragen festzustellen suchen, ob die Kinder einsehen, dass die Strafe gerecht war. Die Befolgung eines gegebenen Gebots oder Verbots ist unbedingt zu verlangen; sonst ist es besser, nicht zu gebieten bzw. zu verbieten. Die Kinder sollten früh regelmäßig zur Versammlung mitgenommen werden, sowohl zu den Wortverkündigungen, als auch tunlichst am Tage des Herrn, wenn man zum Brotbrechen zusammenkommt. Selbstverständlich gehören sie in die Sonntagsschule. Auf den Verkehr sollte man wohl acht haben, denn die Kinder der Gläubigen sind „geheiligt“. Je früher die Kinder zum Heiland kommen, umso besser. Fehlt (strauchelt) ein Kind, das errettet zu sein bekennt, so sollte man nicht gleich sagen-: „Du willst bekehrt sein? Das kann doch nicht stimmen.“ Lasst uns einerseits eingedenk sein, dass wir Kinder vor uns haben, und andererseits nicht vergessen, dass die Bürgschaft für die Bekehrung eines Menschen nicht allein in einem tadellosen Wandel besteht. Hier ist ganz gewiss auch das Wort des Apostels am Platz: „Ihr Väter, ärgert eure Kinder nicht, auf dass sie nicht mutlos werden“.

Wenn es sich um den irdischen Lohn für meine Berufsarbeit handelt, so ist es nicht das Wichtigste, wieviel ich verdiene, sondern ob das, was ich erhalte, des Herrn Segen haben kann (Kap. 3, 22 — 25). Gläubige Herren werden ihren Angestellten nicht nur das geben, was rechtlich vereinbart ist, sondern treue Dienste billigerweise besonders belohnen (Kap. 4, 1).

„Beharret im Gebet und wachet in demselben mit Danksagung“ (Kap. 4, 2). Wo viel gebetet wird, da mögen Umstände mancherlei Art eintreten; sie werden aber ein gefasstes Herz antreffen, das seinen Frieden nicht verliert. Ein treues, eifriges Lesen des Wortes Gottes und ein fleißiges Beten gehen gewöhnlich miteinander. Im Gebet müssen wir wachen, dass die Gedanken nicht durch den Feind abgelenkt werden. Öffentlich sollten wir möglichst kurz beten, und zwar „beten mit dem Geist“ und ,,mit dem Verstand«. —- Eine Versammlung kann nur für einen Arbeiter im Werke des Herrn beten, den der Herr ausgesandt hat, und von welchem man den Eindruck hat, dass er „in allem ehrbar zu wandeln begehrt“ (Hebr. 13, 18). Wichtig ist, dass nicht nur das, was gesagt wird, richtig ist, sondern auch die Weise, wie es gesagt wird. Sogar der Apostel bittet die Kolosser um Fürbitte in dieser Beziehung: „Betet zugleich auch für uns, auf dass Gott uns eine Tür des Wortes auftue, . . . auf dass ich es offenbare, wie ich reden soll“ (V. 3. 4).

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Jesus ist mein

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 304ff

Mehrere Abende nacheinander war in einer Stadt das Evangelium verkündigt worden. Viele waren gekommen, und manche hatten sich in Wahrheit zu Gott bekehrt.

Eines Abends kam vor Beginn der Versammlung ein armes, abgezehrt aussehendes Weib zu mir. Sie hatte ein Liederblatt, wie wir solche zu den Versammlungen zu verteilen pflegten, in der Hand und sagte, indem sie auf einen Vers wies, mit bewegter Stimme: ,,Jesus ist mein«. Auf meinen fragenden Blick setzte sie hinzu: ,,Gestern Abend konnte ich diese Worte noch nicht singen, aber heute kann ich es, dem Herrn sei Dank!“

„Da haben Sie in der Tat Ursache, dem Herrn zu danken, liebe Frau“, erwiderte ich, „und sind Sie jetzt glücklich?“

„O ja“, antwortete sie, „heute gewiss! Aber gestern war ich sehr unglücklich. Als das Lied „Jesus ist mein“ stehend gesungen wurde, flüsterte eine Stimme in mir: „Das kannst du nicht singen, denn Jesus ist nicht dein“. Da stand ich nun, zitternd vor Furcht, und vermochte kein Wort hervorzubringen. Und als ich dann die vielen glücklichen Gesichter sah, da drohte mein Herz zu brechen. Ich wusste nicht, was ich anfangen sollte. Zu Hause angekommen, konnte ich nur weinen. An Schlafen war nicht zu denken. Ich betete und betete, der Herr möchte doch meine Seele erretten und mir schenken, sagen zu können: Jesus ist mein. Und der Herr hat sich meiner erbarmt. Er antwortete auf mein Gebet. Ich wurde ruhiger, legte mich zu Bett, und bevor ich einschlief, konnte ich sagen: Jesus ist mein; und jetzt bin ich ganz glücklich.“

„Fürwahr, Sie haben Kostbares gefunden«, versetzte ich, „Sie sollten die glücklichste Frau auf Erden sein. Aber wie haben Sie denn die Gewissheit empfangen, dass Jesus Ihr Eigentum ist?“

„O das war sehr einfach. Es kam mir zum Bewusstsein, dass Jesus ebenso wohl für mich gestorben ist wie für die anderen, und dass ich dies glauben und mein Vertrauen auf Ihn setzen sollte, denn Er würde mich nicht von sich stoßen. Und da fühlte ich, dass ich Ihm vertrauen und Ihn lieben konnte; ich erhielt die Gewissheit, dass Er auch für mich, die große Sünderin, gestorben ist.“ —- „Ich möchte nun“, setzte sie hinzu, „heute Abend so gern dieses Lied mit den anderen singen, wenn Sie es, bitte, vorschlagen wollen.“

Es war klar zu erkennen, dass der Heilige Geist selbst der Lehrmeister dieses armen Weibes gewesen war. Ich tat der Versammlung ihren Wunsch kund und erwähnte dabei einiges von dem mir Erzählten. Mit herzlicher Freude wurde das Lied gesungen. Die Frau stimmte mit ein. Was es für mein Herz war, können nur die verstehen, welche ähnliche Erfahrungen gemacht haben.

Nach Schluss der Versammlung erkundigten wir uns bei der glücklichen Frau, wer sie in unsere Mitte gebracht habe. Sie nannte eine Schwester. Es war gut, dass wir diese Erkundigung einzogen, sonst würden wir vielleicht nie von dem Zeugnis und Ende dieses armen Weibes gehört haben. Sie selbst sahen wir nie wieder.

Durch die genannte Schwester erfuhren wir später folgendes: Die Frau lebte in kümmerlichen Verhältnissen. Obwohl krank, musste sie sich ihr Brot durch ihrer Hände Arbeit verdienen. Schließlich wurde ihr Leiden so schlimm, dass sie gezwungen war, ins Krankenhaus zu gehen. Hier sagte man ihr, dass nur von einer Operation Heilung zu erhoffen sei, zugleich aber sprach der betreffende Arzt die Befürchtung aus, dass sie zu schwach sei, um die Operation zu überstehen. Ihre Erwiderung war, sie fürchte den Tod nicht. Wenn der Herr sie zu sich nehmen wolle, so sei sie mit Freuden bereit zu gehen. Sie bat die Schwester, welche sie in die Versammlung gebracht hatte, um ihre Meinung und entschloss sich dann zu dem ernsten Schritt.

Auf die dringende Bitte der Kranken erhielt die Schwester die Erlaubnis, sie in den Operationssaal zu begleiten, und hier war sie Zeugin einer Szene, wie sie gewiss selten ist an solch ernster Stätte. Während man mit den Vorbereitungen zur Operation beschäftigt war, schien der Geist der Kranken in ganz besonderer Weise auf Jesum hingelenkt zu werden. Anstatt an die kommenden schrecklichen Augenblicke — ihrer Schwäche wegen durfte sie nicht chloroformiert werden — zu denken, begann sie plötzlich ihr Lied zu singen:

„Ich habe einen Freund gefunden,

Jesus ist mein!

Er bleibt mir treu zu allen Stunden,

Jesus ist mein!

Ob Erdenfreuden auch entschwinden,

die Liebsten mir die Freundschaft künden,

In Ihm ist endlos mehr zu finden.

Jesus ist mein!“

Der Leser möge sich selbst den Eindruck ausmalen, den ein solcher Gesang im Operationssaal machen musste, wo sich außer den Ärzten und Helfern noch eine Anzahl Studenten befand. Alle waren tiefbewegt. Dann begann die Operation. Es kam so, wie der Arzt befürchtet hatte. Die Kranke fiel in Ohnmacht und entschlief kurz nachher in Jesu.

Wir fragen unwillkürlich: Was war es, das diesem armen, schwachen Geschöpf die Kraft gab, in solchen Umständen „Mehr als Überwinder“ zu sein? Es gibt nur eine Antwort: Sie kannte Jesum, den, „der uns geliebt hat“ (Röm. 8, 37). Sie war sich nicht nur der Vergebung ihrer Sünden bewusst, hatte nicht nur an eine ihr verkündigte Wahrheit geglaubt, sondern sie kannte Jesum selbst, eine lebende Person. Gott hatte auch zu ihr geredet „im Sohne“ (Hebr. 1, 1). Das gab ihr die siegende Kraft, das legte angesichts der Leiden und des Todes ein Lied auf ihre Lippen. Sich stützen zu können auf einen Arm, der nie erlahmt, in« ein Auge zu schauen, das nie trübe blickt, auf ein Herz zu vertrauen, das nie erkaltet, das gibt Ruhe, Friede und Freude.

Lieber gläubiger Leser, wie steht es mit uns in dieser Beziehung? Wir kennen den Wert des Werkes Christi für das Gewissen, genießen wir aber auch die Kostbarkeit Seiner Person für unser Herz? Wie unendlich viel verlieren wir, wenn letzteres nicht der Fall ist! Was die Sonne für die Erde ist, das ist die Person Christi für den Gläubigen. »Wie ein Apfelbaum unter den Bäumen — des Waldes, so ist mein Geliebter inmitten der Söhne; ich habe mich mit Wonne in seinen Schatten gesetzt, und seine Frucht ist meinem Gaumen süß (Hohel. 2, 3).

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Ich weiß und Glaube

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 308ff

„Nur auf Gott Vertrauet still meine Seele! Denn von Ihm kommt meine Erwartung.

Nur Er ist mein Fels und meine Rettung, meine hohe Feste; ich werde nicht wanken.“ (Psalm 62, 5. 6)

Glückselig der, der’s weiß und glaubt:

Es fällt kein Haar von meinem Haupt

ohn’ meines Gottes Willen!

Er, der mir Jesum hat geschenkt,

der meine Wege freundlich lenkt,

wird alles wohl erfüllen.

Und geht es gleich durch Kampf und Leid,

dies weiß und glaub’ ich jederzeit,

dass denen, die Gott lieben,

jedwedes dient zum Besten hier;

ich soll nur lernen für und für

im Glauben mich zu üben.

Und treten auf der Lebensbahn

der Proben viel an mich heran

in seltsam dunkler Weise — — —-

Wenn sich mein Sinn in Demut beugt,

dann singt mein Herz, der Mund bezeugt:

Es ist zu Gottes Preise!

Drum will ich stille Tag für Tag,

gibt’s Trübsal, Not und Ungemach, ·

dem Herrn allein vertrauen.

ich weiß und glaub’: Mein guter Hirt

sorgt stets, dass mir nichts mangeln wird

bis hin zum sel’gen Schauen.

Seid meine Nachahmer gleichwie auch ich Christi

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 314ff

Unter den Knechten des Herrn, von deren Leben und Wirken das Neue Testament berichtet, nimmt der Apostel Paulus unstreitig einen besonderen Platz ein. Der Herr hat uns sehr ausführliche Mitteilungen über den Wandel und die Gesinnung dieses treuen Dieners gegeben, der ohne Überhebung, geleitet durch den Heiligen Geist, sagen konnte: „Seid meine Nachahmer, gleichwie auch ich Christi“ (1. Kor. 11, 1).

Abgesehen von seinem „ehemaligen Wandel im Judentum“, zieht uns zunächst seine einzigartige Bekehrung an, wie sie uns in Apostelgeschichte 9 überliefert ist. Es gefiel dem Gott, der unseren Apostel „von seiner Mutter Leibe an abgesondert hatte“, aus dem Wege nach Damaskus Seinen Sohn durch die Macht Seiner Gnade in ihm zu offenbaren (Vergl. Gal. 1, 15. 16). Von einem überwältigenden Licht aus dem Himmel zu Boden geworfen, hörte er eine Stimme: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ Wer könnte beschreiben, was es für diesen selbstbewussten, eigengerechten Mann war, als er erkennen musste, dass der verachtete Jesus von Nazareth, dessen Namen er auszutilgen versuchte, indem er Seine schwachen Jünger wie ein blutgieriges, rasendes Tier verfolgte, dass dieser Jesus der Sohn Gottes, der Herr der Herrlichkeit war, mit welchem jene Verfolgten in so inniger Verbindung standen, dass Er sie als einen Teil von sich selbst anerkannte? Durch das strahlende Licht völlig geblendet, wurde Saulus von seinen Begleitern nach Damaskus geführt, wo er drei Tage lang nicht sah und weder aß noch trank. Was in diesen drei Tagen und Nächten zwischen ihm und Gott vorging, entzieht sich unserer Beurteilung. Es wird uns nur berichtet, dass der Herr am Ende dieser Zeit Seinen Jünger Ananias zu ihm sandte, „damit er wieder sehend und mit Heiligem Geiste erfüllt werde“. „Siehe, er betet“, sagt der Herr zu Ananias, „und er hat im Gesicht einen Mann, mit Namen Ananias, gesehen, der hereinkam und ihm die Hände auflegte, damit er wieder sehend werde.“ Und so geschah es. Als Ananias, der göttlichen Weisung folgend, ihm die Hände auflegte, fiel es wie Schuppen von seinen Augen; er stand auf und wurde getauft, und Speise zu sich nehmend, wurde er nach Leib und Seele gestärkt.

Ein vollständiger Bruch mit seinem vergangenen Leben war die gesegnete Folge von dem, was er gesehen, gehört und erfahren hatte. Das zeigte sich in all seinem Denken und Handeln bis zum Schluss seiner irdischen Laufbahn. Mit derselben Kraft, mit der er bis dahin (in Unwissenheit) Satan, dem Mörder von Anfang, gedient hatte, diente er jetzt seinem neuen Herrn, dem „Urheber des Lebens“. Fortan konnte er sagen: „Das Leben ist für mich Christus“ (Phil. 1, 21).

Bemerkenswert ist, dass, bei all seinem unvergleichlichen Erfassen der Gnade Gottes und der gesegneten Stellung des Gläubigen auf Grund des Opfers Christi, er doch nie vergessen hat, was er in seinem natürlichen Zustande gewesen war, aus welchem Verderben der Herr ihn errettet hatte.*) Noch in den letzten Jahren seines Lebens bekannte er freimütig, dass er „zuvor ein Lästerer, Verfolger und Gewalttäter“ gewesen war; er nennt sich den „ersten der Sünder“, und an einer anderen Stelle den „allergeringsten von allen Heiligen“ (Siehe 1. Tim. 1, 13 — 15; Eph. 3, 8).

Die Erkenntnis dessen, was er in sich selbst war, verbunden mit einem außerordentlichen Verständnis der anbetungswürdigen Liebe und Gnade seines Herrn, bewirkte denn auch trotz der besonderen Gaben und Offenbarungen, die er empfangen hatte, eine „von Herzen demütige« Gesinnung in ihm. Wenn irgendwo, so ist er hierin ein nachahmungswürdiges Vorbild für die Gläubigen. Selbst dann, wenn er genötigt wurde, von seiner apostolischen Autorität Gebrauch zu machen, wie z. B. bei den Korinthern, trat diese aufrichtige Demut und Niedriggesinntheit deutlich zu Tage.

Paulus hatte erfahren, dass während seiner Abwesenheit in der Versammlung zu Korinth betrübende Dinge in sittlicher Beziehung hervorgetreten und Spaltungen entstanden waren. Daraufhin schrieb er von Ephesus aus seinen ersten Brief an die Korinther. Wie er denen gegenüber gesinnt war, die seine Liebe verkannten und ihn so falsch beurteilten, zeigen die Worte: „Aus vieler Drangsal und Herzensangst schrieb ich euch mit vielen Tränen, nicht auf dass ihr traurig gemacht werden solltet, sondern auf dass ihr die Liebe erkennen möchtet, die ich überschwänglicher zu euch habe“ (2. Kor. 2, 4.) Es war sein Vorhaben gewesen, aus dem Wege nach Mazedonien zuerst zu ihnen zu kommen; als er aber erfahren hatte, wie es in Korinth aussah, hatte er es vorgezogen, ihnen den erwähnten Brief zu schreiben und zuerst nach Mazedonien zu gehen. (Vergl. 1. Kor. 16, 5; 2. Korinther 1, 15 u. 16.) Doch dieses Verhalten des Apostels war von den Korinthern verurteilt und seine Handlung als ein „Vornehmen nach dem Fleische“ angesehen worden.

War er denn wirklich nur durch ein fleischliches Vornehmen geleitet worden? Hören wir seine eigenen Worte: „Ich aber rufe Gott zum Zeugen an auf meine Seele, dass ich, um euer zu schonen, noch nicht nach Korinth gekommen bin«. (2. Kor. 1, 23.) Wie zeigt das den traurigen Zustand der Korinther! Aber entdecken wir nicht heute oft Ähnliches unter uns? Liebloses Richten und Verurteilen anderer, ohne dass man deren Beweggründe kennt oder sich Gewissheit darüber zu verschaffen sucht, kennzeichnen den niedrigen Herzenszustand mancher Seelen und verwunden viele Herzen. —— Bist du frei davon, lieber Leser?

Doch die Liebe lässt sich nicht erbittern, „sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles“. Das Verhalten unseres Apostels beweist deutlich, wie nahe er mit seinem Herzen der Quelle dieser Liebe war und aus ihr schöpfte. Die zarten Gefühle für seine geliebten Korinther, die in seinem Innern hin- und herwogenden sorgenden Gedanken hatten es Paulus eine Zeit lang gereuen lassen, den ersten Brief geschrieben zu haben; er fürchtete, sie durch denselben zu sehr betrübt zu haben. Als ihm in Troas „eine Tür im Herrn aufgetan wurde“, hatte er in seinem Geiste keine Ruhe. Titus, der ihm Nachricht über den Stand der Dinge in Korinth bringen sollte, war nicht da! So litt es ihn nicht länger in Troas; er nahm Abschied von dort und zog nach Mazedonien (Kap. 2, 12. 13).

Aber auch hier „hatte sein Fleisch keine Ruhe“, denn noch immer war er ohne Nachricht. Unter großem Kampf von außen und Befürchtungen von innen scheint er eine Zeit lang sehr gedrückt gewesen zu sein. Mag uns dies einerseits zeigen, dass er ein Mensch war „von gleichen Gemütsbewegungen wie wir“, so lässt es uns andererseits doch auch erkennen, wie sehr ihm das Wohl derer am Herzen lag, für welche der Herr Sein teures Leben hingegeben hatte. Und Er, der die Niedrigen tröstet, tröstete auch ihn durch die Ankunft des Titus und vor allem durch die erfreulichen Mitteilungen über die gesegnete Wirkung des ersten Briefes. Bei all seiner Drangsal war jetzt das Herz des treuen Mannes mit überströmender Freude erfüllt; ja, in der ihm eigenen Selbstlosigkeit und Uneigennützigkeit freute er sich „noch überschwänglicher“ über die Freude des Titus, dessen Geist durch die Korinther erquickt worden war (Vergl. 2. Kor. 7, 4 —13).

Ausnehmend schön ist das Gemälde, das sich hier so ungesucht und ungezwungen vor unseren Augen entrollt. Lasst es uns mit Aufmerksamkeit betrachten, unter dem Einfluss des Wortes: „Seid meine Nachahmer, gleichwie auch ich Christi“! Und dann lasst uns noch einen Blick auf das Leben Pauli werfen bezüglich der Drangsale, die er erlitt, und die zuweilen einen solchen Höhepunkt erreichten, dass er, „Über Vermögen beschwert, selbst am Leben verzweifelte“ (2. Kor. 1, 8).

Um der Gefahr zu begegnen, dass der Sinn der Korinther durch den bösen Einfluss der falschen Lehrer von der Einfalt gegen Christum abgewandt werde (Kap. 11, 3), fand Paulus sich veranlasst, ihnen einen Bericht von den mancherlei Leiden und Gefahren zu geben, die ihm auf seinen vielen Reisen begegnet waren. (Kap. 11, 23—29.) Wir würden wohl nie eine Mitteilung darüber erhalten haben, wenn die genannten Umstände ihn nicht zum Reden gezwungen hätten. Von sich selbst zu reden war ja im Grunde nur Torheit. Darum wollte er sich auch in Demut am allerliebsten seiner Schwachheiten rühmen, auf dass die Kraft des Christus über ihm wohne. (Kap. 12, 9.) Aber um der Korinther willen war es nötig, »ein Tor zu werden«; und wenn wir nun die Schilderung jener Drangsale lesen, so fühlen wir uns immer wieder verursacht zu fragen: Wie war es möglich, dass ein schwacher, sterblicher Mensch solche Leiden und Entbehrungen erdulden konnte, ohne zu unterliegen? Aber Paulus konnte sagen: „In diesem allem sind wir mehr als Überwinder durch Den, der uns geliebt hat“ (Vergl. Röm. 8, 37 — 39). Ja, seine Liebe zu dem Herrn und zu den Seinigen war so groß, dass er an die Korinther zu schreiben vermochte: „Ich will aber sehr gern alles verwenden und völlig verwendet werden für eure Seelen, wenn ich auch, je überschwänglicher ich euch liebe, umso weniger geliebt werde“ (2. Kor. 12, 15).

Sein zweiter Brief an Timotheus zeigt uns ihn am Ende seines mühevollen Weges. Aber mochte auch sein »äußerer Mensch« verfallen und das ,,irdene Gefäß« dem Zerbrechen nahe sein, in seinem Geiste stand er noch in derselben Frische und Kraft da wie im Anfang. Er ermahnt und ermuntert sein »geliebtes Kind« Timotheus, in Treue auszuharren und seinen Dienst zu vollführen, indem er sich selbst als Vorbild hinstellt: „Du aber hast genau erkannt meine Lehre, mein Betragen, meinen Vorsatz, meinen Glauben, meine Langmut, meine Liebe, mein Ausharren, meine Verfolgungen, meine Leiden“ (Kap. 3, 10. 11).

Schmerzlich fühlte er den Verfall, der sich schon in jenen Tagen so erstaunlich bemerkbar machte. Weil er die Wahrheit, wie sie ihm geoffenbart worden war, in seinem Wandel mit solcher Treue darstellte, hatten sich alle, die in Asien **) waren, von ihm abgewandt. Doch angesichts der traurigen Zustände, die sich überall geltend machten, stand er da als ein »guter Kriegsmann Jesu Christi« und ermunterte Tin1otheus, seinem Beispiel nachzuahmen. Mochte es auch rund um ihn her gar trübe aussehen und er selbst den baldigen Märtyrertod vor Augen haben, so wusste er doch, dass das Wort Gottes nicht gebunden war. Und so lange er noch ein Zeuge für die Wahrheit (wenn auch in Ketten) sein durfte, erduldete er alles um der Auserwählten willen, dass auch sie die Seligkeit erlangen möchten, die in Christo Jesu ist, mit ewiger Herrlichkeit. Welch eine ernste, ergreifende Sprache redet das alles zu denen, die sich in. unseren Tagen im Werke des Herrn bemühen, nachdem der Verfall der Kirche völlig eingetreten ist und selbst unter den Gläubigen sich so böse Irrtümer und traurige Zustände zeigen!

Im Blick auf den gewaltsamen Tod, den der Apostel zu erwarten hatte, sagte er zu Timotheus: „Ich werde schon als Trankopfer gesprengt, und die Zeit meines Abscheidens ist vorhanden“. Die Aussicht auf ein vielleicht qualvolles Ende erschreckte ihn nicht; er wusste, wem er geglaubt hatte. Und im Rückblick auf seinen Pilgerlauf konnte er in Demut mit voller Freimütigkeit bezeugen: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe den Glauben bewahrt“, und dann in freudiger Zuversicht hinzufügen: „Fortan liegt mir bereit die Krone der Gerechtigkeit, welche der Herr, der gerechte Richter, mir zur Vergeltung geben wird an jenem Tage; nicht allein aber mir, sondern auch allen, die Seine Erscheinung lieb haben“ (Kap. 4, 6 - 8).

Der Herr schenke uns, dass unser Herzenszustand ein solcher sei, dass auch wir die Erscheinung unseres Herrn lieb haben! Er wird an jenem Tage „die Ratschläge der Herzen offenbaren, und dann wird einem jeden sein Lob werden von Gott“ (1. Kor. 4, 5). Beachten wir auch, dass nicht die besonderen Vorrechte und Offenbarungen es waren, die den Apostel zu einem so treuen Wandel befähigten. Jn diesen lag im Gegenteil eine Gefahr für ihn, sich zu überheben. Nein, die Erkenntnis des Sohnes Gottes, der ihn geliebt und sich selbst für ihn hingegeben hatte, hatte sein Herz so von allem gelöst, dass der Heilige Geist ungeschwächt in ihm wirken und ihm die Kraft darreichen konnte, die ihn zu einem solch gottseligen Leben befähigte.

Nun, die Gnade hat den schwächsten Christen in dieselbe Stellung versetzt wie den Apostel. Einsgemacht mit dem auferstandenen und verherrlichten Herrn, besitzt er dasselbe Leben und denselben Geist, und dieselbe Kraft ist für ihn vorhanden. Sollten wir nicht von dieser göttlichen Kraft mehr Gebrauch machen und die Ermahnung beherzigen: „Seid meine Nachahmer, gleichwie auch ich Christi“? Die Zeit ist gedrängt! „Denn noch über ein gar Kleines, und der Kommende wird kommen und nicht verziehen“ (Hebräer 10, 37).

Fußnote:

*) Beiläufig sei hier bemerkt, dass wir auch in diesem Umstand eine Belehrung für unsere Tage finden können, wo die Bekehrungen vielfach so oberflächlich sind und die Selbsterkenntnis so gering. Besonders für solche, die sich mit Unbekehrten beschäftigen, ob im Verkehr mit Einzelnen oder in der öffentlichen Verkündigung des Evangeliums, ist es wichtig, die Seelen zu einer wirklichen Erkenntnis ihrer Schuld und ihres verderbten Zustandes zu führen. Wenn auch die Errettung nicht von dem Maße der Selbsterkenntnis abhängt, sondern das Teil aller ist, die in lebendigem Glauben zu Jesu kommen, zeigt es sich doch später oft, welch nachteilige Folgen es hat, wenn die Seelen erst durch schmerzliche und demütigende Erfahrungen zu einer tieferen Erkenntnis ihrer Sündhaftigkeit und des hoffnungslosen Verderbens des Fleisches gebracht werden müssen.

**) der römischen Provinz, deren Hauptstadt Ephesus war.

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Von der Zeit an

Bibelstelle: Matthäus 16, 20 - 28

Botschafter des Heils 1912 S. 323ff

(Aus einer Ansprache über Matth. 16, 20 —28).

Israel war an einem ernsten Wendepunkt in seiner Geschichte angekommen. Gott hatte von dem Tage an, da Er das Volk aus Ägypten herausführte, Seine Knechte und Propheten zu ihm gesandt, aber das Volkhatte nicht auf sie gehört. Es kam endlich so weit, dass sie die Boten Gottes verspotteten, Seine Worte verachteten und Seine Propheten äfften (2. Chron. 36, 16), und dass Gott in gerechtem Zorn zu dem Propheten Jeremia sagen musste: „Du aber, bitte nicht für dieses Volk und erhebe weder Flehen noch Gebet für sie, und dringe nicht in mich; denn ich werde nicht auf dich hören“ (Jer. 7, 16; vergl. Kap. 11, 14; 14, 11). Und an einer anderen Stelle: „Wenn auch Mose und Samuel vor mir ständen, so würde meine Seele sich nicht zu diesem Volke wenden. Treibe sie von meinem Angesicht hinweg, dass sie fortgehen“ (Jer. 15, 1). Bald darauf gab Gott Sein Volk in die Gefangenschaft. Die Gnade ließ aber einen Überrest aus Babel zurückkehren. Um diesen auf noch eine (und zwar die letzte) Probe zu stellen, sandte Gott Seinen Sohn; wie es in dem Gleichnis von dem „Weinberg“ heißt: ,,Zuletzt sandte er (der Herr des Weinbergs) seinen Sohn zu ihnen, indem er sagte: Sie werden sich vor meinem Sohne scheuen. Als aber die Weingärtner den Sohn sahen, sprachen sie untereinander: Dieser ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten und sein Erbe in Besitz nehmen! Und sie nahmen ihn, warfen ihn zum Weinberg hinaus und töteten ihn“ (Vergl. Matth. 21, 33 — 46).

Unser Abschnitt beginnt mit den Worten: »Dann gebot Jesus Seinen Jüngern, dass sie niemand sagten, dass Er der Christus sei«. Die Zeit" dafür war vorbei. Die Juden standen im Begriff, ihrem von Gott gesandten König die Dornenkrone aufzusetzen und Ihn ans Fluchholz zu schlagen. So lesen wir denn im nächsten Verse: »Von der Zeit an begann Jesus Seinen Jüngern zu zeigen, dass Er nach Jerusalem hingehen müsse, und von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten vieles leiden und getötet und am dritten Tage auferweckt werden müsse«. (V. 21.) Das ist von ergreifendem Ernst. ,,Er kam in das Seinige, und die Seinigen nahmen Ihn nicht an.« (Joh. 1, 11.) Dass es zugleich in dem bestimmten Ratschluss Gottes lag, dass Sein Christus leiden sollte, ändert nichts an der Schuld des Volkes. „Ihr habt Ihn“, sagt Petrus, „durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geheftet und umgebracht“ (Apstgsch. 2, 23). Auf Grund jenes Gnadenratschlusses wird am Ende der Tage das Volk zurückgeführt und angenommen werden. Dann werden sie fragen: „Was sind das für Wunden in deinen Händen? Und Er wird sagen: Es sind die Wunden, womit ich geschlagen worden bin im Hause derer, die mich lieben“ (Sach. 13, 6). Das Herz dieses Volkes wird umgewandelt werden. Gott wird das steinerne Herz aus seinem Fleische wegnehmen und ihm ein fleischernes Herz geben (Hesekiel 36, 24. 26). Er wird Sein Gesetz in ihr Inneres legen und es auf ihr Herz schreiben (Jer. 31, 33.) Aber für die Gegenwart ist Israel dahingegeben; es ist Lo-Ammi, Nicht-mein-Volk.

Wenn Jesus sagt, Er müsse leiden, so lag die Ursache zu diesem „Muss“ einmal in der Liebe Gottes, in der Heilandsliebe des Herrn Jesu, zum anderen in unserem Jammer und Elend. Gott wollte sich in dem Hinwegtun der Sünde und in unserer Errettung verherrlichen. Der Weg dahin war das Kreuz. „Musste nicht der Christus dies leiden und in Seine Herrlichkeit eingehen?“ (Luk. 24, 26). Auf dieser Grundlage kann Gott jetzt alle Sünden vergeben; wenn sie auch blutrot sind (wenn selbst ein Mord auf dem Gewissen lastete), sie sollen schneeweiß werden (Vergl. Jes. 1, 18).

Petrus suchte den Herrn auf diesem Wege der Verherrlichung Gottes und der Ausführung Seiner Heilsgedanken aufzuhalten mit den Worten: „Gott behüte dich, Herr! dies wird dir nicht widerfahren“ (V. 22). Er schreckte vor dem Leiden zurück. Als ihm der Herr kurz vorher ankündigte, Er werde ihm die Schlüssel des Reiches der Himmel anvertrauen, antwortete er nicht: „Gott verhüte, dass das geschehe!“ Nein, er war ganz einverstanden damit. So ist der Mensch, so ist unser selbstsüchtiges Herz. Derselbe Mund, der eben erst das schöne Bekenntnis abgelegt hatte: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“, spricht jetzt: „Gott behüte dich, Herr! dies wird dir nicht widerfahren“. Petrus lässt sich hier unmittelbar von Satan gebrauchen und muss infolge dessen von dem Herrn die ernsten Worte hören: „Gehe hinter mich, Satan! Du bist mir ein Ärgernis, denn du sinnest nicht aus das, was Gottes, sondern auf das, was der Menschen ist«. (V. 23.) Wäre Petrus nur durch Gefühle der Liebe für seinen Herrn so falsch geleitet worden, würde der Herr ihm wohl kaum in solch ernster Weise entgegengetreten sein. Aber sein eigenes Ich stand im Vordergrunde. Daher die schneidende Antwort des Herrn. Gerade so persönlich wie der erste Ausspruch geläutet hatte: „Glückselig bist du, Simon, Sohn Jonas“, gerade so persönlich heißt es jetzt: „Gehe hinter mich, Satan!“

Nach dem Willen Gottes führte der Weg des Herrn über das Kreuz. Petrus aber wollte nicht, dass sein Meister gekreuzigt werde, und zwar, wie gesagt, nicht so sehr aus Mitgefühl für Jesum, als vielmehr aus Besorgnis für sich selbst. Was sollte aus all seinen Hoffnungen für diese Erde werden, wenn Jesus gekreuzigt wurde? Satan war schon früher dem Herrn in den Weg getreten und hatte versucht, Ihn in Seinem Laufe aufzuhalten. Es war ihm nicht gelungen, und so hatte er Ihn für eine Zeit allein gelassen. Jetzt benutzte er einen der Lieblingsjünger des Herrn, um Ihm ein Ärgernis in den Weg zu legen. Wäre ihm sein Anschlag gelungen, so wäre alles dahin gewesen: die Verherrlichung Gottes im Blick aus die Sünde, der Sieg über Tod und Teufel, unsere Annahme, der Segen Israels, die Wiederherstellung aller Dinge, die Errettung der Nationen, die Herbeiführung des ewigen Segenszustandes — alles , alles wäre dahin gewesen, und Satan hätte triumphiert.

Die Menschen lieben es nicht, verhöhnt und verspottet zu werden, zu entbehren und zu leiden; aber Gottes Gedanken waren, dass Sein Sohn leiden sollte, und unser Herr wollte Sein Leben nicht retten. Er wählte das Kreuz und nahm den Kelch aus der Hand des Vaters. Mochte auch der Feind, der Judas als Verräter benutzte, hinter den Hohenpriestern und Pharisäern, den Schriftgelehrten und der Volksmenge, hinter Herodes und Pilatus stehen — über alles hinüber- blickend sah der Herr den Kelch in der Hand des Vaters, und aus Seiner Hand nahm Er ihn.

Das gläubige Herz frohlockt, wenn es daran denkt, und sagt mit Gefühlen tiefster Dankbarkeit und Anbetung: Mein Herr und Heiland, das hast du für mich getan! Um mich aus der Hand Satans zu retten, nahmst du den bitteren Kelch aus der Hand des Vaters!

Das Wort des Herrn an Seine Jünger, hinfort niemand mehr zu sagen, dass Er der Christus sei, ist ernst. Die Zeit dafür war, wie gesagt, für Israel vorbei. Aber so wird auch einmal eine ähnliche Stunde für jeden kommen, der jetzt dem Evangelium Gottes nicht gehorcht. Es wird ihm dann nicht mehr gesagt werden, dass er errettet werden könne. Statt der freundlichen Einladung: „Kommet her zu mir!“ wird es heißen: „Gehet von mir, ich kenne euch nicht!“ — Ja, „es kommt die Nacht, da niemand wirken kann“.

Die Zeit, in der wir leben, ist sehr ernst· Wir stehen ganz nahe am Ziel. Satan weiß das sehr wohl, und darum tritt er mit List an den Menschen heran und sucht ihn davon abzuhalten, den Weg zu gehen, auf welchem allein Heil, Rettung und Leben für ihn zu finden sind. O wenn ihm doch jeder mit den Worten des Herrn antworten wollte: „Gehe hinter mich, Satan!“ Um Werkzeuge und Mittel zur Erreichung seiner Ziele ist der Feind heute ebenso wenig verlegen wie damals; bei dem einen versucht er dies, bei dem anderen das. Hier gebraucht er einen guten Freund, dort eine liebe Braut; hier das Vergnügen, dort das Geschäft. Immer wieder sucht er den Menschen mit grellen Farben vorzustellen, was sie aufzugeben oder möglicherweise zu erdulden haben werden. Und da sie das, was man bei Jesu findet, nicht kennen, schrecken sie zurück.

Die Menschen möchten die Tage dieses flüchtigen Lebens möglichst ausnutzen, essen, trinken, spielen, das Leben genießen. Ach! sie bedenken nicht, dass sie gerade dadurch das Leben verlieren. Denn wer Jesu nachkommen und das Leben finden will, muss sich selbst verleugnen Und sein Kreuz ausnehmen. (V. 24.) Einen anderen Weg gibt es nicht. ,,Denn wer irgend sein Leben erretten will, wird es verlieren; wer aber irgend sein Leben verliert um meinetwillen, wird es finden“ (V. 25) Mit anderen Worten: Wer um Jesu willen sein Leben in dieser Welt verliert, das heißt, wer alles das ausgibt, was dem natürlichen Menschen das Leben begehrenswert macht: die Anerkennung seitens der Menschen, die gesellschaftlichen Freuden und Vergnügungen, die weltlichen Genüsse und Bestrebungen u. v. a., der wird das Leben finden. Paulus sagt: „Was irgend mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Verlustgeachtet“ (Phil. 3, 7). Alles was ihn in den Augen der Menschen erheben konnte, all seine Vorrechte und Vorzüge, ferner die Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten des Lebens, alles hatte er um Jesu willen aufgegeben. War er deshalb zu bedauern? Von rein menschlichem Standpunkt aus betrachtet, war er ein Narr, von göttlichem Standpunkt aus gesehen, ein glücklicher, beneidenswerter Mann. Er selbst hätte weder mit Fürsten noch Königen getauscht. Als ein mit Ketten beladener Gefangener rief er dem König Agrippa und dessen glänzender Umgebung die denkwürdigen Worte zu: „Ich wollte zu Gott, dass über kurz oder lang nicht allein du, sondern auch alle, die mich heute hören, solche würden wie ich bin, ausgenommen diese Bande!“ (Apstgsch. 26, 29).

Es handelt sich also um einen Entschluss, bei dem die Seele des Menschen der Preis ist. „Ihr habt um den Preis eurer Seelen geirrt«, rief einst der Prophet Jeremia den Juden zu, die der Stimme Jehovas nicht gehorchen wollten. (Jer. 42, 20.) Ein furchtbarer Irrtum! Irrt jemand um den Preis seines Vermögens, seiner Stellung oder seiner Gesundheit, so ist das schon sehr schlimm. Aber ein solcher Verlust ist vielleicht wieder gut zu machen oder doch zu verschmerzen; jedenfalls ist es nur ein zeitlich er Verlust, nicht nennenswert im Vergleich mit dem, was ein Mensch Verliert, wenn er um den Preis seiner Seele irrt. Ein solcher Irrtum hat .Ewigkeitsbedeutung. Er ist nie wieder gut zu machen, der Verlust ist nie wieder zu ersetzen. „Was wird ein Mensch als Lösegeld geben für seine Seele?“ (V. 26). Alles Gold und Silber dieser Welt, alle sittlichen Güter eines Menschen: ein guter Name, Werke der Nächstenliebe, Religiosität oder was es sonst sein mag, reichen als Lösegeld nicht hin. Auch vermag ein Bruder den anderen nicht zu erlösen, er muss davon abstehen auf ewig (Ps. 49, 7. 8).

Aber Gott selbst sagt: „Ich habe eine Sühnung gefunden“ (Hiob 33, 24). Er hat gleichsam einem jeden das Lösegeld in die Hand gegeben. Wer im Glauben Gebrauch davon macht, ist gerettet. Er darf »vor den Menschen singen und sagen: Ich hatte gesündigt und die Geradheit verkehrt, und es ward mir nicht vergolten. Er hat meine Seele erlöst“ — Doch die Stunden eilen dahin. Nicht mehr lange wird die Zeit der Gnade währen. Plötzlich wird sie ihren Abschluss finden. „Denn der Sohn des Menschen wird kommen in der Herrlichkeit Seines Vaters, mit Seinen Engeln, und dann wird Er einem jeden vergelten nach seinem Tun“ (V. 27). Jedes Auge wird Ihn dann sehen (Offbg. 1, 7). Die Gläubigen haben dieses Kommen des Herrn zum Gericht nicht zu fürchten. Sie werden dann ja mit Ihm kommen in derselben Herrlichkeit· Denn ehe der Herr zum Antritt Seiner Herrschaft und zur Aufrichtung Seines Reiches erscheint, holt Er die Seinigen heim ins Vaterhaus. Sie werden bewahrt bleiben »vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu versuchen, welche auf der Erde wohnen“ (Offbg. 3, 10). Aber wehe allen denen, die ihr Leben in dieser Welt lieben! Sie werden es auf ewig Verlieren.

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Seine Liebe

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 330ff

Der Apostel Petrus ermahnt uns am Schluss seines zweiten Briefes, in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi zu wachsen. Jeder Gläubiger hat eine gewisse Erkenntnis von Christo, wie der Herr sagt: „Ich kenne die Meinen und bin gekannt von den Meinen“ (Joh. 10, 14). Wir haben Ihn alle als unseren Heiland kennen gelernt. Er ist das Lösegeld, Er starb für unsere Sünden. Durch Seinen Tod und Seine Auferstehung fanden wir Vergebung, Leben, Gerechtigkeit und Annahme bei Gott, dem Vater. Und die Freude über die große Liebe, die der Herr uns erwiesen hat, entzündet in unseren Herzen eine brennende Liebe für Ihn, und erweckt in uns den Ruf der Braut im Hohenliede: „Mein Geliebter ist mein, und ich bin Sein“ (Hohelied 2, 16).

Es ist nun gewiss eine kostbare Sache, uns in dem zu freuen, was wir in Christo haben, dass Er »unser« ist. Wir sollten aber dabei nicht stehen bleiben. Wir sollten nicht nur Ihn lieben für das, was Er.an uns getan hat, sondern auch wachsen, Fortschritte machen in der Erkenntnis dessen, was Er in sich selbst ist.

Wir haben schon gesagt, dass wir Jesum als unseren Heiland kennen, als den Sohn des Menschen, der als Gegenbild des Propheten Jona drei Tage und drei Nächte in dem Herzen der Erde war (s. Matth. 12, 40), als Den, durch dessen Tod wir Vergebung gefunden haben und zu glücklichen Kindern Gottes gemacht sind. Der Heilige Geist leitet uns aber auch dahin, unseren Erlöser in der-Herrlichkeit Gottes zu betrachten, Ihn kennen zu lernen als das Gegenbild des Salomo, ja mehr noch, als den ·verherrlichten Menschensohn zur Rechten Gottes droben; und welch wunderbare Blicke tun sich da vor uns auf!

Nicht nur bin ich durch Ihn, »der mehr als In na ist«, von der Sünde und dem Verderbnis des ersten Menschen befreit, sondern ich bin durch Den, »der mehr ist als Salomo«, durch Ihn, den letzten Adam, das Haupt einer neuen Schöpfung, so reich gemacht, dass alle Dinge hienieden dagegen verblassen und verschwinden. Und je häufiger wir Christum in diesem letzten Charakter anschauen, desto weniger werden wir von den Dingen dieser Welt gefesselt werden, desto mehr aber lernen, von uns abzusehen und zuerst an Seine, und dann erst an unsere Interessen zu denken.

Diesen Fortschritt in der Erkenntnis ihres Geliebten nehmen wir an der Sulammith wahr. Während sie anfangs ausrief: „Mein Geliebter ist mein, und ich bin Sein“, hören wir sie später sagen: „Ich bin meines Geliebten, und mein Geliebter ist mein“ (Hohel. 6, 3). Damals dachte sie mehr an sich, als an Ihn; nun aber ist es umgekehrt. Jetzt beherrscht sie der Gedanke, dass sie Sein Eigentum ist, und das Glücksgefühl, Ihn zu besitzen, kommt erst an zweiter Stelle.

Ja, glücklich ist die Seele, welche weiß, dass der Herr Jesus ihr angehört; glücklicher aber ist diejenige, welche den wunderbaren, innigen Platz der Liebe erkannt hat, den Er ihr in Seinem Herzen gegeben hat. Diese Erkenntnis von der alles Denken und Fühlen übersteigenden Liebe Jesu zu uns gewinnen wir nur in dem beständigen Anschauen Seiner kostbaren Person. Und wie wir dazu gelangen, können wir von der Königin von Scheba lernen. Zwei wichtige Dinge finden wir bei dieser Frau, die „von den Enden der Erde kam, um die Weisheit Salomos zu hören“ (Matth. 12, 42.) Zunächst leitete sie ein wahrer Herzensentschluss, der sich weder durch die große Entfernung noch durch die Mühsale und Entbehrungen der langen Reise schrecken ließ. Und dann, als sie das Ziel ihrer Wünsche erreicht hatte und den König von Angesicht zu Angesicht sehen durfte, „redete sie zu ihm alles, was in ihrem Herzen war“ (1.Könige10, 2).

So sollte es auch bei uns sein. Wir müssen zu Christo kommen, und zwar nicht nur als einer Zuflucht in der Not oder aus bloßer Dankbarkeit, sondern weil Er uns unentbehrlich ist. Und indem wir dann den verherrlichten Christus betrachten, uns Ihm ganz an- vertrauen und unser ganzes Herz vor Ihm ausschütten, löst Er alle Fragen unseres Herzens und zeigt uns Seine kostbare Liebe. Und was ist die weitere Folge? Wir sehen sie bei Paulus. Nachdem er Christum in der Herrlichkeit geschaut hatte, war dieser Christus allein das Ziel, nach welchem er sich ausstreckte, achtete er alles, selbst das Beste und Höchste, dessen der Mensch sich rühmen kann, für Verlust, und vergaß im Vorwärtsdringen zu dem „Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christo Jesu« alles, was dahinten war.

Dort, in der Gegenwart des verherrlichten Herrn, vergessen auch« wir uns selbst. Dort tritt unsere Liebe zu Ihm, im Vergleich mit Seiner· Liebe zu uns, ganz in den Hintergrund. Wir denken gar nicht mehr daran. Dort erkennen wir, dass Er, »der Ausgezeichnete vor Zehntausenden«, Er, „an dem alles sehr köstlich ist2 uns arme, schwache Geschöpfe so unaussprechlich liebt, dass wir unsere Liebe über den weit höheren Gedanken Seiner Liebe zu uns vergessen. Wir machen dann dieselbe Erfahrung wie die Sulammith, wenn sie allmählich zu einer immer tieferen Erkenntnis ihres Geliebten gelangt. Sie vergisst sich völlig und beschäftigt sich nur noch mit Seiner Liebe zu ihr. Sie sagt nicht mehr: „Ich bin meines Geliebten, und mein Geliebter ist mein!« sondern kommt, ganz überwältigt von Seiner Liebe zu ihr, zu dem Ausruf: „Ich bin meines Geliebten, und nach mir ist Sein Verlangen“ (Hohelied 7, 10).

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2.Chronika 6,1.2

Bibelstelle: 2.Chronika 6,1.2

Botschafter des Heils 1912 S. 334ff

Es war kein gewöhnlicher Augenblick in den Erfahrungen eines Mannes Gottes, als Salomo die Worte sprach: „Jehova hat gesagt, dass Er im Dunkel wohnen wolle. Ich aber habe dir ein Haus gebaut zur Wohnung, und eine Stätte zu deinem Sitze für Ewigkeiten.“

Es war ein wunderbarer Gedanke, dass etwas, was auf der Oberfläche dieser verderbten Erde errichtet wurde, den Gott der Herrlichkeit veranlassen sollte, aus der Entfernung hervorzutreten, in welche die Sünde Ihn gleichsam hineingezwungen hatte. Denn die Sünde hatte Ihn dem Schauplatz Seiner Schöpfung entfremdet. Unermessliche Entfernung, undurchdringliches Dunkel lagen zwischen Ihm und der abgefallenen Welt, und nun sollte Er dahin gebracht werden, Seine Wohnung wieder bei den Menschen aufzuschlagen? Wunderbarer Gedanke!

Aber so war es! Und Salomos Geist wurde es gegeben, die Tatsache in jenem Augenblick zu erfassen.

Es war ja allerdings nur ein vorübergehender, augenblicklicher Vorgeschmack von dem, was im Reiche dereinst in die Erscheinung treten wird. Salomo vereinigte damals die Herrlichkeiten des Priesters und Königs in einer Person. Als Priester saß er auf dem Thron. Die gewöhnlichen Priester waren für den Augenblick beiseite gesetzt, und er, als der königliche Priester, stand im Begriff, das Volk zu segnen und dem Herrn Anbetung darzubringen, wie es in den Tagen des noch vor uns liegenden Reiches der Fall sein wird (Vergl. Sach. 6, 13).

In jenen zukünftigen Tagen werden wir dasselbe Bild erblicken. Die Wohnung Gottes wird bei den Menschen sein, und Er wird bei ihnen wohnen, indem die Herrlichkeit wieder auf die Erde zurückgekehrt ist.

Aber dieses Hervortreten aus dem tiefen Dunkel oder der unermesslichen Entfernung, in welche die Sünde Gott hineingezwungen hatte, kennen wir noch in einer anderen Weise. Wir sind heute schon berufen, im Geiste in dem vollen, wolkenlosen Licht der göttlichen Gegenwart zu wandeln, mögen die Umstände auch noch nicht dementsprechend sein.

Durch das Evangelium, die Vorsorge Gottes für den Sünder, ist Gott jetzt schon aus der Entfernung und dem Dunkel zurückgebracht. Seine Gnade hat einen Weg geschaffen, auf dem Er uns nahen kann, und wenn der Glaube von diesem Wege Gebrauch macht, so kommt Gott ganz nahe zu uns, ja, Er findet Seine Stätte, Seine Wohnung, Sein Heim wieder bei uns. „Denn wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat. Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in „Gott und Gott in ihm“ (1.Joh. 4, 16).

Aber es gibt ein anderes Dunkel, in welchem Gott auch für uns vorläufig noch wohnt. meine das Dunkel, das den ganzen Schauplatz der Umstände oder der Führungen der Vorsehung rings um uns her einhüllt. Hier wirkt Gott im allgemeinen ungesehen. Hier sagt Er, wenn ich mich so ausdrücken darf: „Was ich tue, weißt du jetzt nicht«, und wir müssen durch Glauben wandeln, so lange es Gott gefällt, in diesem Sinne im Dunkel zu wohnen. Hernach werden wir alles Dunkle und Rätselhafte verstehen. Dann werden wir von Angesicht zu Angesicht sehen. Gott ist Sein eigener Ausleger, und Er wird einmal alles klar machen. Und so wie heute der Glaube an Seine Gnadenvorkehrungen in Christo Ihn aus dem fernen Dunkel hervortreten lässt, in welches Er sich gerechterweise vor dem Sünder zurückziehen musste, so wird bald die Herrlichkeit Ihn aus jenem Dunkel hervortreten lassen, in welchem Er jetzt Seine Vorsehungswege für die Heiligen bestimmt. Dann wird „keine Nacht mehr sein“, so wie wir jetzt im Geiste schon, nicht den Umständen nach, sagen können: „Die Finsternis vergeht, und das wahrhaftige Licht leuchtet schon“ (Offbg. 22, 5; 1. Joh. 2, 8).

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Zu Jesu Füßen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1912 S. 336ff

Zu Jesu Füßen

o köstlich Teil!

In Ruh’ genießen

das Wort voll Heil;

in Liebe hangen

an Seinem Mund,

ein heiß Verlangen

im Herzensgrund —

Ich tausche nimmer

den teuren Platz,

um Schein und Schimmer

den höchsten Schatz.

zu Jesu Füßen

will stets ich sein,

mein Herz erschließen

nur Ihm allein!