Depression – Woher kommt sie? J. C. Reumermann (2)

05/02/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

BEISPIELE FÜR DEPRESSION IN DER SCHRIFT

Hiob 3, 1‑3: „Danach tat Hiob seinen Mund auf und verfluchte seinen Tag. Und Hiob hob an und sprach: „Es verschwinde der Tag, an dem ich geboren wurde.“ Wie wir wohl alle wissen, hatte Hiob in seinem Unglück zunächst eine andere Einstellung: „Er zerriss sein Gewand und schor sein Haupt, und er fiel zur Erde nieder und betete an“ (Hiob 1, 20).

Lasst uns dies einmal auf uns selbst anwenden: Alles, was wir besitzen, wird weggenommen. Kommen wir dann zur Anbetung? Hiob betete an! „Und er sprach: Nackt bin ich aus meiner Mutter Leibe gekommen, und nackt werde ich dahin zurückkehren; Jehova hat gegeben, und Jehova hat genommen, der Name Jehovas sei gepriesen! Bei diesem allem sündigte Hiob nicht und schrieb Gott nichts Ungereimtes zu“ (Verse 21 und 22). Er verherrlichte in diesem allem Jehova, seinen Herrn! Er nahm es aus der Hand des Herrn ‑ das Vertrauen zum Herrn war geblieben.

In Kapitel 2 wird ihm noch seine Gesundheit genommen. Er wird krank, schwer krank. Seine Frau spricht: „Sage dich los von Gott und stirb!“ Und wie ist seine Antwort? „Du redest, wie eine der Törinnen redet. Wir sollten das Gute von Gott annehmen, und das Böse sollten wir nicht auch annehmen? Bei diesem allem sündigte Hiob nicht mit seinen Lippen“ (Kap. 2, 10). Und dann lesen wir in Kapitel 3 diese völlig anderen Worte. Wie ist das möglich? Wie kam das? Ich denke, dass in dem Herzen Hiobs auf irgendeine Weise doch ein Zweifel an Gott entstanden war.

Dieser Zweifel an und für sich wird von Gott nicht getadelt. Wir tun das wohl. Wir sagen vielleicht, wenn jemand depressiv wird: Der soll nur mal gut nachdenken, was für eine Sünde oder Ungerechtigkeit dahinter steckt. Möglicherweise mangelt es am Glauben! So spricht Gott nicht, wohl aber sprechen die Freunde Hiobs so. Eigentlich meinen sie: „Hiob, du sagst wohl, dass du gerecht bist, aber bei dir stimmt es nicht. Gott straft dich“ ‑ und sie haben damit nicht recht. Die drei Freunde waren leidige Tröster, wie Hiob selbst sagt. Nur Elihu, der vierte und jüngste, führte eine andere Sprache. Wir sehen daraus, wie vorsichtig wir sein müssen. Es ist uns allen klar, dass ein Gläubiger körperlich krank werden kann und darf, auf welchem Gebiet auch immer. Aber wie wir noch sehen werden, sind Körper, Seele und Geist in der Schrift eine Einheit.

Wir lehnen Behauptungen ab, wie: Ein Gläubiger, der richtig glaubt, wird nicht körperlich krank; Krankheiten sind vom Teufel usw. Die Schrift spricht anders. Wie steht es aber mit psychischen Krankheiten? Da sagen manche unter uns, dass ein Gläubiger darunter nicht zu leiden brauche. Als ob das nicht auch eine Krankheit wäre ... Wenn eine schlechte Nachricht schon Kummer des Herzens hervorrufen kann oder wenn ein zerschlagener Geist entsteht, wie wir vorhin gelesen haben, dann erkennen wir, dass ein enger Zusammenhang zwischen Geist, Seele und Leib besteht. Daraus folgt, dass auch ein Gläubiger psychisch krank werden kann, ohne dass die Ursache im fehlenden Glauben liegt. Natürlich kann es auch am Glauben mangeln. Aber ich kenne sehr viele ernste Geschwister, gerade solche, die oft einen guten Dienst in verschiedener Hinsicht getan haben, die unter Depressionen leiden oder Angst bekommen. Woher kommt das? Es kann sein, dass ihnen auf irgendeine Weise etwas zu viel wird oder sie überlastet sind. Es gibt u. a. Erschöpfungsdepressionen. Ein Bruder sagte einmal: „Es ist nicht immer ein Kompliment, wenn man nie etwas von tiefer Niedergeschlagenheit erlebt hat.“ Er meinte damit: Wenn wir bei schlimmen Erlebnissen z. B. in der Familie, im Beruf oder in der Versammlung seelisch nichts weiter davon spüren, dann ist dies unter Umständen auf eine gewisse Gleichgültigkeit zurückzuführen. Wir haben dann unsere natürliche Empfindsamkeit verloren.

In den Worten Elihus, des vierten Freundes Hiobs, finden wir weitere Andeutungen für Erscheinungsformen und Beschwerden einer Depression: „Auch wird er gezüchtigt mit Schmerzen auf seinem Lager und mit beständigem Kampf in seinen Gebeinen. Und sein Leben verabscheut das Brot, und seine Seele die Lieblingsspeise; sein Fleisch zehrt ab, dass man es nicht mehr sieht, und entblößt sind seine Knochen, die nicht gesehen wurden; und seine Seele nähert sich der Grube, und sein Leben den Würgern“ (Hiob 33, 19‑22). – Dann kommt die Wiederherstellung: „ … Sein Fleisch wird frischer sein als in der Jugend; er wird zurückkehren zu den Tagen seiner Jünglingskraft. Er wird zu Gott flehen, und Gott wird ihn wohlgefällig annehmen, und er wird sein Angesicht schauen mit Jauchzen; und Gott wird dem Menschen seine Gerechtigkeit vergelten“ (V. 25. 26).

Wir sahen schon vorher, dass Hiob eigentlich auf seinen Tod wartete (Kap. 3). Das ist für einen schwer Depressiven kennzeichnend. In seinen Gedanken sieht er keinen anderen Ausweg als den Tod. Aber so wie Gott dafür sorgte, dass Hiob wieder ganz auf die Höhe kam, so will Er auch einem jeden helfen, der sich tief im Tal des Todesschattens fühlt.

Elihu spricht von einer beständigen Unruhe, von Kampf. Der Kranke verabscheut das Brot, hat keinen Appetit, keine Lust zum Essen; wozu auch? Er braucht keine Speisen mehr. Hier wird eine ganz ausgeprägte Abmagerung beschrieben. Der Leidende zehrt ab, die früher nicht sichtbaren Knochen treten hervor. Er hat das Gefühl, dass alles dem Ende zugeht. Das ist eine lebhafte Beschreibung dieser schlimmen Krankheit.

Die Schrift berichtet noch von anderen Menschen, und zwar z. T. bedeutenden Menschen, die mehr oder weniger zeitweise an Depressionen zu leiden hatten. Ich denke an Mose, diesen großen Mann Gottes. In 4. Mose 11 lesen wir, wie es ihm zu viel wurde. „Woher soll ich Fleisch haben, um es diesem ganzen Volke zu geben? Denn sie weinen gegen mich und sagen: Gib uns Fleisch, dass wir essen! Ich allein vermag nicht dieses ganze Volk zu tragen, denn es ist mir zu schwer. Und wenn du also mit mir tust, so bringe mich doch um, wenn ich Gnade gefunden habe in deinen Augen, damit ich mein Unglück nicht ansehe“ (V. 13‑15). War das keine Depression? Er sagte gleichsam: Ich kann es nicht tragen! Wo hatte Gott gesagt, dass Mose das Volk tragen sollte? Gott wollte es tragen! Aber als der Widerstand zunahm, wurde es Mose zu viel, und dann hat er dieses alles zu Gott gesagt. Wie verhielt sich Gott dazu? Sagte Er: „Dein Verhalten ist unmöglich, du hast Strafe verdient?“ Nein, so sprach Gott nicht. Wenn Er auch von dem Geist, den Mose besaß, auf siebzig andere Personen legte, so machte Er ihm doch keinen Vorwurf! Je mehr wir selbst von dem Erbarmen des Herrn gespürt haben und täglich spüren, um so mehr verstehen wir die Handlungsweise Gottes. Auch ein Mose, dieser große Mann Gottes, der zu den Glaubenshelden in Hebräer 11 gezählt wird, hat solch einen Tiefpunkt erlebt. Wir können ihn verstehen. Der Herr hat ihn wieder aufgerichtet.

Elia, der große Prophet Gottes, der auf wunderbare Weise einem gottlosen König Ahab widerstand, der auf dem Berge Karmel zeigte, wer Gott war und wer Baal, der auf dem Höhepunkt des Glaubens stand, dieser selbe Elia flüchtet vor einer Frau, vor Isebel. Er wurde depressiv. Wir fragen, warum? So war er in seiner menschlichen Schwachheit. Jakobus 5 erwähnt, dass er von gleicher Natur war wie wir, auch in seiner Schwäche. Er ist die einzige Person aus dem Alten Testament, von der im Neuen Testament etwas Nachteiliges berichtet wird (Röm 11). In seiner Depression klagte er Gottes Volk an. Das sollte uns allen zur Belehrung dienen.

Ein warnendes Beispiel ist Jona, der erst ungehorsam war und vor dem Angesicht Jehovas flüchtete. Von Gott zurückgeholt, kündigte er Ninive das Gericht an. War Jona nun froh, als die Niniviten Buße taten? Im Gegenteil. Er wurde depressiv aus Neid, was oft vorkommt. Ein verborgener Neid, eine verborgene Eifersucht, ein Sichvergleichen mit anderen kann häufig ein Grund für eine unerwartete Depression sein.

Zum Schluss möchte ich noch Noomi nennen. Auch sie wurde depressiv. Zwar war ihr Mann bei dem Ortswechsel der Hauptverantwortliche, aber sie ging doch mit nach den Feldern Moabs, als Hungersnot war. Sie sagte: „Nennet mich nicht Noomi (das bedeutet Liebliche oder Huldvolle), sondern Mara (das ist Bitterkeit), denn der Allmächtige hat es mir sehr bitter gemacht' (Ruth 1, 20). War das wirklich so? Hatte der Herr das getan? Sicherlich nicht, aber so waren ihre Gefühle. Gott brachte sie in Seiner Gnade wieder zurecht, und am Ende des Buches Ruth finden wir eine glückliche Noomi mit ihrem Enkelkind Obed auf dem Schoß. Wunderbare Wiederherstellung, wie Gott sie bewirkt!

URSACHEN VON DEPRESSIONEN

1. Thessalonicher 5, 23 unterscheidet beim Menschen zwischen Geist, Seele und Leib. Die Verbindung zwischen Seele und Geist (und auch dem Leib) ist so eng, dass nur das Wort Gottes imstande ist, zu unterscheiden und zu scheiden: „… durchdringend bis zur Scheidung von Seele und Geist“ (Hebr 4, 12). Nur das Wort kann zwischen den Äußerungen der Seele (Sitz der Gefühle, Empfindungen und Leidenschaften) und denen des Geistes unterscheiden. Mit unserem Geist können wir mit Gott in Verbindung treten, erhalten wir z. B. auch Einsicht in das Wesen der Dinge um uns her.

Mir geht es darum, zu zeigen, wie eng der Zusammenhang zwischen Seele und Geist ist. Auch bei dem Herrn Jesus können wir diese Dreieinheit erkennen: „Meine Seele ist sehr betrübt“, sagte Er. In Lukas 23, 46 lesen wir: „Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist.“ Schließlich ist in den Evangelien von dem Leib Jesu die Rede.

Ursachen von Depressionen können in diesen drei Bereichen liegen. Bevor ich auf Einzelheiten eingehe, möchte ich zunächst eine Übersicht geben.

Körperliche Ursachen

Eine Überfunktion der Schilddrüse z. B. geht oft einher mit Depression bzw. mit einer Labilität der Empfindungen. Man kommt sich selbst fremd vor und wird empfindlich, was man vorher bei sich nicht kannte. Es handelt sich im Grunde um eine hormonelle Störung. Hormone sind Wirkstoffe, die von Drüsen, wie etwa der Schilddrüse, in das Blut abgegeben werden.

Diabetes mellitus (= Zuckerkrankheit) entsteht, wenn die Bauchspeicheldrüse zu wenig Insulin abgibt. Durch den steigenden Blutzuckergehalt kann es zu psychischen Beschwerden kommen.

Gewisse Formen von Blutarmut sind dafür bekannt, dass sie zu Depressionen führen können.

Auch körperliche Erschöpfung kann eine Depression auslösen. Gerade in unserer Zeit kommt es häufig vor, dass jemand zu lange arbeiten will oder muss. Man gönnt sich zu wenig Ruhe. Manchmal ist es auch gar nicht so einfach, Zeit zu ausreichender Entspannung zu finden.

Seelische Ursachen

Seelische Erregungen können zu körperlichen Störungen führen. Bekannt sind verschiedene Formen von Ekzemen (Hautkrankheit), die sich bei Erregungs- oder Spannungszuständen erkennbar verschlimmern. Viele Magengeschwüre haben da ihre Ursache. Gerade Menschen, die äußerlich ruhig erscheinen, es aber in Wirklichkeit nicht sind, verzehren gleichsam ihre eigene Magenschleimhaut oder Magenwand. Hier handelt es sich um psychosomatische Leiden. Ebenso verhält es sich bei manchen Asthmakrankheiten.

Geistige Ursachen

Hier sind nicht nur verborgene Sünden zu nennen, die ein andauerndes Schuldbewusstsein hervorrufen. Auch grundlegend verkehrte Auffassungen über das Wort Gottes können Veranlassung für den Ausbruch eines depressiven Leidens sein. Davon können besonders Menschen betroffen werden, die durch Zugehörigkeit zu bestimmten Religionsgemeinschaften Schaden genommen haben. Ganz allgemein sind noch sogenannte endogene (von innen kommende), krankhafte Veränderungen im Geist eines Menschen zu erwähnen, die auch durch den Mediziner nicht ohne weiteres zu erklären sind.

Bevor wir auf einige Einzelheiten eingehen, will ich betonen, dass ich nicht nach den Maßstäben der modernen Psychologie oder Psychiatrie vermeintliche Krankheitsursachen beurteilen möchte. Vielmehr habe ich den Wunsch, mich bei meinen Erklärungen auf die Heilige Schrift zu stützen.

ERKENNBARE KRANKHEITSURSACHEN

Unerwünschtes Kind

Ich hatte mehrere Patienten, die mir sagten, dass sie als Kind unerwünscht waren. Wie schrecklich muss das sein. Erfahrungsgemäß ist es für den Betroffenen schwierig, darüber hinwegzukommen, auch dann, wenn er zum lebendigen Glauben an den Herrn Jesus gekommen ist. Der Verstand sagt ihm zwar, was seine Krankheitsursache ist. Trotzdem wird er vielleicht jahrelang mit dem Gefühl nicht fertig, dass er eigentlich überflüssig ist.

Und doch ist es möglich, wie ich aus Erfahrung weiß, wenn dieser Leidende im wirklichen Glauben die Hilfe des Herrn annimmt.

Probleme in der Schule

Vielleicht hat ein Lehrer das Kind immer wieder fühlen lassen, weich einen schlechten Eindruck es macht, und hat ihm dementsprechend auch schlechte Noten gegeben. Dagegen war das Kind machtlos. Es kam das Gefühl auf: Ich bin zu nichts nütze. Sehr häufig bricht die Depression aber nicht schon zu diesem Zeitpunkt durch, sondern zwanzig oder dreißig Jahre nach diesem Erlebnis.

Mangel an elterlicher Liebe

Es kann sein, dass es die Eltern nicht an guten Worten haben fehlen lassen, aber das Kind achtet unbewusst viel mehr auf das Verhalten der Eltern. Manche Eltern sagen ihrem Kind sogar ganz ausdrücklich, dass sie es lieben, aber das Kind erfährt die Wirklichkeit ganz anders. Und diese spricht viel lauter. So entsteht das entscheidende Gefühl: Ich werde nicht geliebt.

Ehrgeizige Eltern

Andere Eltern stellen zu hohe Anforderungen an ihr Kind. Ein Vater z. B., der durch ungünstige Verhältnisse verhindert war, eine gute Ausbildung zu absolvieren, nimmt sich vor, dass seine Kinder es einmal weiter bringen sollen als er. Kann ein Kind die erwarteten Leistungen aber nicht bringen, dann wird es unter Druck gesetzt. Im Zeugnis werden nur die schlechten Zensuren kritisiert, die guten werden gar nicht beachtet.

Patienten haben mir gesagt, dass sie Angst hatten, mit ihrem Zeugnis nach Hause zu kommen. Aus Furcht vor Strafe versuchten sie dann, ihr Zeugnis zu verheimlichen. Die Folge war ein schwerwiegendes Minderwertigkeitsgefühl.

Leistungsprinzip

Ich meine damit, dass Eltern zu ihren Kindern sagen: Wenn du dies tust, bist du lieb, wenn nicht, bist du nicht lieb. Wiederholt sich das immer wieder, dann denkt das Kind schließlich, die Liebe des Vaters oder der Mutter hänge nur von dem ab, was es leistet oder tut. Die Wertschätzung wird in diesem Fall nicht mit der Person verbunden, sondern mit ihren Taten. Die Folge davon ist ein Leistungszwang.

Man kann sich gut vorstellen, dass in solch einem Kind das Gefühl entsteht, nichts wert zu sein, weil es nichts leistet. Vielleicht kann es mit der Zeit seine Arbeiten nicht mehr tun und gleitet in die Depression ab.

Übertriebene Strafen

Ich bin ganz und gar nicht gegen körperliche Züchtigung. Die Schrift selber empfiehlt sie, und die Eltern wissen, wie wichtig dieses Erziehungsmittel ist. Sehr folgenschwer kann es aber sein, wenn Eltern ihre eigenen Probleme durch unmäßige körperliche Strafen auf die Kinder abwälzen. Ja, es gibt sogar Fälle von Misshandlung. Hier kann der Grund dafür zu suchen sein, wenn das Kind oder der junge Mensch erst sehr spät zum Glauben kommt.

Einschneidender Verlust

Der Verlust z. B. eines geliebten Menschen kann zur Depression führen. Deshalb braucht sich niemand zu schämen. Ein so tiefgreifendes Erlebnis muss zunächst einmal verarbeitet werden. U. a. heißt das, dass er sich darüber anderen gegenüber aussprechen muss. Sagen die Nächsten aber zu dem Betroffenen: „Lass nur, es wird schon wieder gut; sprich besser nicht davon“, so kann er aus der Depression nicht herauskommen. Gerade das Aussprechen ist sehr nötig.

Depression als Bestrafung

Es gibt auch Fälle, in denen jemand durch Flucht in die Depressivität die Aufmerksamkeit anderer auf sich lenken will. Es soll wie eine Bestrafung auf die Umgebung wirken für etwas, was ihm tatsächlich oder nur vorgeblich angetan worden ist. Hier kann man aber erkennen, dass keine tatsächliche Depression vorliegt. Der wirklich Kranke wirkt gern bei der Suche nach den Ursachen mit, wenn erst einmal Vertrauen entstanden ist. Er will aus seiner Lage herauskommen. Der andere will aber nicht wahrhaft geheilt werden, eben weil er sein Leiden als Druckmittel bei seinen Nächsten benutzen möchte.

WAS GESCHIEHT BEI EINER DEPRESSION?

Im allgemeinen verwirft der Betroffene sich selbst. Er kann sich nicht leiden, ja er beschuldigt sich selbst. Alle nur möglichen schlechten Gefühle richtet er gegen sich selbst. Das verbraucht natürlich viel Energie – die Folge davon ist dann Müdigkeit.

Jemand verglich Depression mit eingefrorener Wut oder Aggression. Aggression und Depression stehen einander gegenüber. Z. B. wird viel elektrische Energie verbraucht, um Lebensmittel in der Gefriertruhe einzufrieren. Genauso ist es, wenn wir gleichsam unser eigenes Inneres einfrieren wollen. Der Bedauernswerte führt einen beständigen Kampf gegen sich selbst. Alles, was er hört oder denkt, ist für ihn ein Anlass, diesen Kampf fortzusetzen.

So verstehen wir auch, was es für den Depressiven bedeutet, wenn ihm etwa gesagt wird: „Du hast keinen rechten Glauben. Bestimmt hast du eine Sünde begangen. Es ist schon richtig, der Herr muss sich einmal mit dir beschäftigen.“ Mit solchen Bemerkungen können wir keine Hilfe sein, im Gegenteil, wir machen es nur schlimmer.

Noch eine Erscheinung möchte ich erwähnen, die man bei Depressiven häufig antrifft: Das Sich‑Vergleichen mit anderen Menschen, wie wir es z. B. in Psalm 73 von Asaph lesen. Kam er zu dem Ergebnis, dass er besser daran war als die übrigen, weil er den Herrn hatte und in Ihm reich war? Durchaus nicht. Er meinte vielmehr, es gehe ihm schlecht, während die anderen glücklich wären. Das Gute hatte er vergessen. So geht es oft bei dem Vergleichen, und so handelt auch der Depressive. Er sieht sich selbst immer in der schlechtesten Position.

Wer dies vor Augen hat, kann besser helfen.

WIE KÖNNEN WIR NUN HELFEN?

Fast immer gibt es einen Zusammenhang zwischen der Vergangenheit und den auftretenden Beschwerden. Die Krankheitsursache zu finden, ist schon die Hälfte der Wiederherstellung, weil dies auf die rechte Therapie hinweist. Zunächst einmal muss der Kranke sein eigenes Problem erkennen. Vielleicht sagt er, es fehle ihm nichts, weil er sich schämt und sich schlecht vorkommt. Er möchte sich, so gut es geht, selbst täuschen. Es hilft aber nichts, er muss zuerst seine Schwierigkeiten selbst zugeben.

Dann muss der Seelsorger versuchen, der Ursache des Leidens auf die Spur zu kommen. Er muss wissen, dass es körperliche, psychische oder geistige Ursachen gibt. Es kann auch eine Kombination verschiedener Ursachen vorliegen. Wer helfen will, braucht ferner etwas Einsicht in den Vorgang der Depression. Dazu habe ich schon einige Bemerkungen gemacht.

Wenn der Helfer das vorliegende Problem erkannt hat, kann er schließlich die Bibel zu Rate ziehen und anwenden. Dabei ist es sehr wichtig, dass er dem Leidenden Liebe beweist und ihm auch erklärt, dass Gottes Liebe bedingungslos ist, weil sie auf das vollbrachte Werk des Herrn Jesus gegründet ist. Deshalb kann der Vater jedem von uns in Gnade und Liebe begegnen.

Gott liebt den Menschen nicht, weil er etwas für Ihn geleistet hat. Gerade das Leistungsprinzip kann einen Menschen in die Depression treiben.

Über Verfehlungen haben wir schon gesprochen. Hierfür gilt 1. Johannes 1, 9: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit.“

Man muss aber auch klar unterscheiden zwischen echter Schuld und Pseudoschuld. Der gläubige Kranke sucht die Ursache seines Leidens in sich selbst und findet dann auch eine vermeintliche Schuld. Aber obwohl er sie vor Gott bekannt hat, fühlt er sich weiter schuldig, während wirkliche Schuld vergeben wird, wie das Wort Gottes sagt. Solche Schuldgefühle werden Pseudoschuld genannt.

Drei Hinweise für den Helfer

Zuoberst steht: Den Mitgläubigen akzeptieren.

Wir meinen natürlich alle, dass wir das tun, aber wie sieht die Praxis aus? Wenn wir dem Mitbruder oder der Mitschwester nur vorhalten, was nach unserer Meinung verkehrt gewesen ist, handeln wir dann nicht wie die drei Freunde Hiobs? Konnten sie helfen? Bekanntlich ganz und gar nicht. Im Verurteilen des anderen kommt zum Ausdruck, dass wir von uns selbst höher denken. Aber in der Schrift steht: „In meinem Fleische wohnt nichts Gutes“ (vgl. Röm 7, 18). Wir wissen wohl, dass auch wir zu allem Bösen fähig sind und dass nur die Gnade des Herrn uns bewahren kann. Wenn wir dies bedenken, sind wir besser imstande, den anderen, so wie er ist, anzunehmen. „Deshalb nehmet einander auf (oder: an), gleichwie auch der Christus euch aufgenommen hat, zu Gottes Herrlichkeit“ (Röm 15, 7). Wie hat der Herr Jesus uns aufgenommen? Welchen Grund hatte Er dazu? Was für Gutes hatten wir denn vor Ihm aufzuweisen? Gar nichts, nur Feindschaft, Hass und Sünde waren auf unserer Seite.

Wenn wir uns dies bewusst machen, können wir einander besser akzeptieren, in unserem Fall auch den depressiv Kranken.

Zweitens: Zuhören, d. h. ohne Vorurteile.

Das ist gewiss nicht jedermanns Stärke. Im allgemeinen nehmen wir das Gehörte auf, wägen ab, ob wir damit übereinstimmen können und bilden uns ein Urteil. Dann geben wir Antwort, mit oder ohne Argument.

Z. B. sagt jemand zu uns: „Ich wage nicht, mich in eine Menschenansammlung zu begeben.“ Vielleicht antworten wir darauf: „Ach was, natürlich kannst du das!“ Wir haben dann gar nicht richtig hingehört. Bedenken wir lieber, dass es der Depressive ernst meint und mit seinen Worten eine Absicht verfolgt, und dass hinter seinem ungewöhnlichen Verhalten eine Ursache steckt.

Zunächst muss man die Worte so nehmen, auch wenn sie uns nicht passen und wir die Dinge anders sehen. Man muss mit einem Kranken nicht „diskutieren“, er braucht unsere Hilfe, eine biblische Hilfe.

Stellen wir besser ergänzende Fragen, wie: Was fühlst du denn? Warum empfindest du das? Oder: Warum möchtest du da und dort nicht hingehen?

So bekommt unser Gesprächspartner Gelegenheit, sich zu äußern. Er merkt auch, dass er nicht abgelehnt wird – sein Vertrauen wächst. Das ist von größter Bedeutung. Ebenso notwendig ist es auch, dass wir den Aussagen positiv begegnen, selbst Vertrauen schenken, Liebe beweisen und etwas Ermunterndes sagen. Das alles kostet viel Zeit und Geduld. Daher ist es auch nicht einfach, einem anderen zu helfen. Aber es lohnt sich.

Und zum Schluss: Ermunterung ist wichtig!

Der Kranke hat große Mühe, selbst Entscheidungen zu treffen. In dieser Lage bestehen für den wohlmeinenden Helfer zwei Gefahren:

1. Er stellt den Depressiven trotzdem vor die wichtige Entscheidung, ob er z. B. ein Haus kauft oder nicht. Gerade zu einer solchen Entscheidung ist er aber ja jetzt nicht in der Lage.

2. Er nimmt dem Kranken jede Entscheidung ab, indem er sagt: Ich mache das für dich. Wie aber soll der Mutlose so selbständig werden und aus seinem Kreislauf herauskommen? Er fühlt dann noch mehr als bisher seine Kraftlosigkeit.

Richtig ist, dass wir ihn ermuntern, mit der Hilfe des Herrn selbst die Lösung zu finden, und ihn dann auch beim Beschreiten des neuen Weges unterstützen. Das sollte stufenweise geschehen.

Römer 12, 15 sagt uns: „Freuet euch mit den sich Freuenden, weinet mit den Weinenden.“ Obwohl das gewiss nicht einfach ist, heißt das in unserem Fall, mit dem Kranken mitzuempfinden, Verständnis zu haben, und die Verheißungen aus dem Worte Gottes zu betonen. Vermeiden wir jetzt möglichst Ermahnungen, denn der Depressive hat sich selbst schon genug beschuldigt und verurteilt.

Nach meiner Erfahrung ist es notwendig, ihm immer wieder zu sagen, dass es eine Hoffnung gibt, wie in Römer 5, 2b‑5 steht: „… und rühmen uns in der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale, da wir wissen, dass die Trübsal Ausharren bewirkt, das Ausharren aber Erfahrung, die Erfahrung aber Hoffnung; die Hoffnung aber beschämt nicht, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben worden ist.“

Es konzentriert sich alles auf Hoffnung, und wir dürfen diese Hoffnung vermitteln. Gerade dann, wenn jemand im dunklen Tal ist, vielleicht im Tal des Todesschattens, dürfen wir ihm Hoffnung machen. Es gibt einen Ausweg.

Ist das nicht ein lohnender Weg, wenn wir ganz allgemein dies einander weitergeben und so dem anderen ‑ durch die Gnade des Herrn ‑ eine Hilfe sein können, indem wir uns gegenseitig annehmen, uns Zeit füreinander nehmen, einander Liebe beweisen und so weiterhelfen zur Ehre Gottes?

1 Psychische Ursachen haben Auswirkungen auf den Körper. Ein zerschlagener Geist kann auf das Gebein eine solche Auswirkung haben, dass es gleichsam vertrocknet. Ein Depressiver stellt auch fest, dass alle möglichen Körperfunktionen reduziert werden.