Mütter in des Meisters Hand, Elisabeth Zentz

03/31/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

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Es mag vor etwa 30 Jahren gewesen sein, als hierzulande noch nicht die Rede war von Muttertag. Da las ich in einem Blatt des Auslandes von diesem sinnigen Fest. Und sogleich stand mir mein Mütterlein vor der Seele, dieses schlichte, vielgeplagte, allzeit überlastete, nie gefeierte und dennoch so hingebende Mütterlein, dem ich so viel verdankte. 

Wenn eine einzige Mutter auf der Welt diesen Festtag verdiente, war nicht sie es? Und warum sollte sie nicht die erste sein in unserem Dorf, die diesen Tag feiern durfte?
Ich schrieb meinem ältesten Bruder, der gleich mir vor kurzem auswärts seine erste Anstellung erhalten hatte, und meinem jüngsten, der in Paris in der Lehre war. Beide gingen begeistert auf meinen Plan ein und machten es möglich, für diesen Tag Urlaub zu bekommen. Dann wandte ich mich an meine Schwester im Elternhaus. 

Die mußte ja das Fest vorbereiten. Ein ordentlicher Anteil meines Monatsgehalts sollte ihr dabei behilflich sein. Und der zweite meiner Brüder, der zu Hause das Bäckerhandwerk erlernte, sollte seine ganze Kunst erproben. Bei ihm wurde eine Torte bestellt - nun, die größte Form, die er auftreiben würde, und verziert sollte sie sein. Er sollte einfach zeigen, was er konnte. Auf jeden Fall mußte draufstehen: „Unserer lieben Mutter zum Muttertag", damit sie wenigstens wußte, was los war.
Die Überraschung gelang prächtig. Als ich, die ich sonst nur in längeren Ferien zu Hause war, eines Samstagabends der Mutter beim Kartoffelschälen in der Küche plötzlich gegenüberstand, fiel ihr vor
freudigem Schreck das Messer aus der Hand. Ein wenig Schrecken war schon dabei, und erst, als ich sie überzeugt hatte, daß wirklich nichts passiert war und nur die „Sehnsucht nach Hause" mich hergetrieben hatte, siegte die Freude. Beim Abendbrot lachte unversehens der Älteste durchs Fenster mit einem mächtigen Maiblumenstrauß. Ja, da brachte sie den Mund nicht mehr zusammen vor Vergnügen.

„Gib acht, Mutter", neckten wir, „was sich zweit, das dritt sich." Aber da blitzten ihre sanften braunen Augen uns vorwurfsvoll an. „Seit wann seid ihr abergläubisch?" Dennoch verriet das Leuchten, das auf ihre Züge trat, daß ihre Gedanken nur, den Letzten und Fernsten, ihren Liebling, suchten. Der schlug dann in der grauen Sonntagmorgenfrühe ihren Bettvorhang zurück - wir hatten ihr strenge und außergewöhnliche Sonntagsruhe verordnet, um ungestört den Festtisch rüsten zu können - und diesmal gab es beiderseits Tränen. „Und nun will ich wissen, was los ist", schluchzte sie unter ihrem Betthimmel hervor. „Denn das habt ihr doch ausgemacht! Und es hat doch niemand Geburtstag!"

Als wir sie dann aber im Triumph an den festlich geschmückten Frühstückstisch geleiteten und sie die Widmung auf der wirklich kunstvollen Torte und den Glückwunschkarten las, begriff sie gar nichts. Ich mußte meine eigene Rührung bemeistern und ihr einen ausführlichen Vortrag halten über die Bedeutung des Tages. Als ich ihr von dem Jugendblatt sprach, in dem vom Muttertag die Rede war, sah sie mich von der Seite an: „Geh mir doch weg", sagte sie, und es war nicht zu ergründen, ob sie damit ihre Abneigung gegen ausländische „Moden" oder etwa den Zweifel in die Worte der Tochter bekunden wollte, der sie zutraute, daß sie diesen Tag extra erfunden hatte, weil - nun, weil sie manchmal an etwas phantastischen Ideen litt und an der Neigung, Feste zu feiern, wenn kein Mensch daran dachte.

Es gab dann einige buntbebänderte Päckchen zu öffnen, die allerhand Nützliches enthielten, und die Vater, der die Entwicklung der Dinge mit schmunzelndem Lächeln begleitete, zur Begutachtung unterbreitet wurden. Gerade als die Kirchenglocke das erstemal läutete, kam ein Pariser Schal zum Vorschein, ein Schal aus schwarzer Seide - nein, aus Samt? - Wir einigten uns auf „Seidensamt" - mit unwirklich blaßschimmernden Lilarosen. „Und den ziehst du heute an", kommandierte strahlend der Jüngste, „und dann gehen wir wieder einmal alle fünf mit euch in die Kirche."
„Geh mir doch weg!" sagte die Mutter zum zweitenmal und versuchte, sich des eitlen Prunkstückes zu entledigen. Aber was können zwei schwache Mutterhände ausrichten, wenn zehn starke, junge Arme sie umklammert halten? -
So wurde denn der Lilarosenschal in entsprechende Falten gelegt und mit einer alten Brosche festgesteckt. Dann wurde der Hahn, der zum Fest das Leben gelassen hatte, in die vorsichtig geheizte Backröhre geschoben. Ein mächtiger Holzklotz garantierte die Feuerung für eine Stunde - und Vater und Mutter gingen mit ihren fünf Kindern nach alter, lieber Gewohnheit zum Gottesdienst. Kein Mensch wußte von dem Fest, das in unserem Haus gefeiert wurde. Man wunderte sich bloß darüber, uns wieder einmal so alle zusammen zu sehen. Wir aber wandelten den ganzen Tag wie auf Rosen. 

Denn jede Stunde trug den Duft des Niedagewesenen, Erstmaligen und Ursprünglichen, einen Schmelz, den alle späteren Muttertage, die vielleicht noch reicher ausgestaltet waren, entbehren mußten. Am Nachmittag, als der Vater mit den Brüdern einen Gang durch die Maienflur machte und Schwesterlein noch in der Küche hantierte, saß ich, die ich ja in wenigen Stunden wieder abreisen mußte, einen seltenen Augenblick allein bei der Mutter an ihrem trauten Fensterplatz. Sie unterrichtete mich über die jüngsten Dorfereignisse. Unwillkürlich glitten unser beider Blicke über die Straße hinüber zu dem stattlichen Nachbarhaus: „Ja, es ist hart", sagte die Mutter, „sehr hart! Du mußt doch einen Augenblick zur Karlintante hinübergehn. Sie dauert einen so in ihrer schrecklichen Einsamkeit."

Dann erzählte mir meine Mutter ausführlich, was sie mir in einem Brief nur knapp berichtet hatte: Drüben in dem großen, reichen Haus, in dem wir als Kinder so oft gespielt hatten, war während meiner Abwesenheit die einzige Tochter gestorben - im Wochenbett mit dem ersten Kind. Das Kindlein hatte sie nur acht Tage überlebt. Der Schlag hatte ihre Eltern um so härter getroffen, als vor fünf Jahren ihre andere ältere Tochter in wenigen Tagen durch eine Gehirnentzündung dahingerafft worden war. „Und nun haben sie niemand mehr", schloß meine Mutter ihren Bericht.
Es graute mir wirklich, als ich aus unserem heute. so besonders durchsonnten, belebten Haus in die totenstille, kalte Stube drüben trat, um die leidgeprüfte, einsame Mutter meiner Jugendfreundin zu grüßen. Ich fand sie über die aufgeschlagene Bibel gebeugt. Bei meinem Anblick stürzten ihr Tränenbäche aus den Augen. „Du", schrie sie mir entgegen, und alle Verzweiflung und ein wilder Vorwurf klang aus ihrem Wort. „Du kommst wieder! Und ihr alle kommt wieder! Und bei euch ist Leben, und hier ist alles tot, alles still, alles kalt! Denn von den Meinen kommt keins wieder, keins!"

Und die Hand, die sie mir so vorwurfsvoll ent-gegengereckt hatte, ballte sich zur Faust, und ein hagerer Finger wies auf die beiden, in dicke Goldrahmen gefaßten lebensgroßen Fotografien der Töchter, die in ihrer Jugendblüte von den Wänden lächelten. Ja, dies war Christine, an deren Totenbett ich gestanden, drin in der Kammer. Noch empfand ich den Schauer, der mich damals durchbebte, als meine Hand ihre kalte Stirn berührte, weil ich nicht fassen konnte, daß eine, die in diesen Stuben so wild mit uns getollt, plötzlich so starr daliegen konnte.
Und dies war das Brautbild von Emmy. 

Sie war meine Freundin gewesen, ein feines Mädchen, das nicht die ausgetretenen Wege der wilden Dorflust gegangen war. Wie strahlte sie auf dem Bild! Ja, an ihrer Hochzeit hatte ich sie zum letztenmal gesehen. Und das Bildchen des winzigen, in Woll-wämschen gepackten Jüngelchens, sollte das ihr BUb-lein darstellen?
Mir selbst kamen die Tränen, und ich brachte kein Wort hervor. Aber das gequälte Mutterherz mußte sich Luft machen. „Wo", sagte sie, „wo ist ein gerechter Gott? Wo? Wo ist ein barmherziger Heiland? Waren sie nicht beide brav? Und besonders die Emmy, seit ihrer Schwester Tod! Hat sie sich nicht von allem Weltlichen zurückgehalten? War sie nicht das frömmste Mädchen im ganzen Dorf? Hat sie es nicht verdient, daß sie endlich in dem jungen Lehrer einen Mann bekam, der zu ihr paßte? 

Warum durfte sie ihr Glück nicht genießen? Nicht einmal ein ganzes Jahr? Warum? Warum? -
Und warum müssen wir beide jetzt so ganz allein sein, der Vater und ich? Jetzt, wo wir alt werden? - Denn der Tochtermann, der Fred, hat sich von hier fortgemeldet. Es ist ihm nicht zu verdenken - er hält es in seinem verödeten Schulhaus nicht aus."
Ach, ich war so jung, so jung in meiner Lebens-und in meiner Glaubenserfahrung. Und ich war selbst so erschüttert. Ich wußte kaum ein Trostwörtlein diesem abgrundtiefen Leid gegenüber. Und ich war nur froh, als ich wieder in unsere sonnige Stube zu meiner Mutter flüchten konnte.
„Was soll man da sagen, Mutter?" Ich fragte es angstvoll, als ich wieder an ihrer Seite saß. „Man kann wirklich nicht begreifen, warum Gott so etwas zuläßt, und man kann verstehen, daß sie mit Ihm hadert." Da nickte meine Mutter ernsthaft.

„Freilich - man kann vieles nicht begreifen. Aber mit Gott hadern darf ein Mensch nicht, auch wenn er nicht begreift. Er soll aber in sich gehen."
Meine Mutter schwieg eine Weile. Mir war, sie kämpfte mit sich selbst, ob sie weiter reden sollte. Dann fuhr sie fort: „Sieh, ein Menschenleben ist wohl kurz, aber doch manchmal lang genug, daß man vieles begreifen lernt. Der Mensch ist oft selbst verantwortlich, wo er Gott Verantwortung zuschieben will. Manches rächt sich eben."
„Sieh" - sie mochte merken, daß ich ihren rätselhaften Worten nachsann - „du bist nun alt genug, daß man ein verständiges Wort mit dir reden kann. Und was ich dir jetzt sage, das hat mir meine Mutter schon gesagt.
Ich will gewiß niemand verurteilen. Aber ich denke so manchmal an vergangene Zeiten zurück. Du weißt, wir sind von jeher mit drüben - sie sah nach dem mir so düster erscheinenden Haus hinüber - verbunden gewesen. Schon die Großeltern waren verwandt und haben immer gute Nachbarschaft gehalten. Karolines Vater war mein Pate. Aber ein wenig schauten sie immer auf uns herab. Denn sie waren stets die wenigen - ein oder zwei Kinder - und wir waren immer viele. Darum sind sie wohl auch reicher geworden als wir.

Karlintante, in meinem Alter, war auch die einzige. Wir sind zusammen jung gewesen. Wir haben die Karoline manchmal beneidet, wir fünf Schwestern, weil sie drei Reihen breites Samtband auf ihren Röcken trug, während wir es höchsens zu einem schmalen Litzchen brachten.
Unsere Hochzeit war fast gleichzeitig. Aber als ihre Älteste, die Christine, auf die Welt kam, hatten wir schon ein Kindergräblein auf dem Gottesacker. Und kurz ehe ihre Zweite, die Emmy, geboren wurde, trugen wir unser Liesele zu seinem kleinen Schwe-sterlein hinaus. Damals kam sie oft, um mich zu trösten. Aber ihr Trost klang manchmal nach einem kleinen Triumph über ihre wohlgedeihenden Kinder oder nach einem leisen Vorwurf, als ob ich doch vielleicht an den meinen irgend etwas versäumt hätte. 

Als du geboren wurdest, stärkte es meinen Mut nicht sehr, daß sie auch dir kein langes Leben prophezeite. Dann kam dein Bruder - und er erweckte ein wenig ihren Neid, weil's ein strammer Bub war. Als ich sie aber damit trösten wollte, daß der sich bei ihr auch noch einstellen könnte, lachte sie mich tüchtig aus: ‚Nein', sagte sie ganz offen. ‚Mehr als zwei sind bei uns nicht Mode. Und wo Mädchen sind, finden sich die Buben schon ein, wenn eine gute Mitgift bereit ist.'
Jedes deiner Geschwister bekam zu seiner Geburt seinen besonderen Spruch von ihr. Bei deinem zweiten Bruder meinte sie: ‚Jetzt heißt es aber früh aufstehen, daß die Stücke nicht zu klein werden.'

Als deine Schwester kam, sagte sie trocken und unverschämt: ‚Wem nicht zu raten ist, dem ist auch nicht zu helfen.' Und an der Wiege unseres Jüngsten hielt sie es wohl für angebracht, mir dennoch gute Ratschläge zu erteilen. Ich lehnte sie aber ab, indem ich ihr kurzerhand erklärte: ‚Wir sind auch fünf Mädchen gewesen und haben uns alle fünf gefreut, als ganz spät ein kleiner Bruder ankam. Und unsere Mutter hat mich gelehrt: Besser sechs auf dem Kissen als eins auf dem Gewissen. Daran will ich mich halten.'

Von da an hat sie geschwiegen. Aber sie hat es nicht unterlassen können, bei Gelegenheit ein wenig zu sticheln über die Häuser mit dem vielen Kindergeschrei und -gekrabbel. Und das alte Lied ging von vorn an: Ihr beklagtet euch so manchesmal, daß die Nachbarsmädchen schönere Zopfbänder und bessere Kleider trugen als ihr. Und weißt du noch, wie eifersüchtig du warst, als sie vor einigen Jahren ihr Haus umbauten und neu und fein einrichteten? Und nun: wes wird es sein. .
„Hast du nie mit ihr davon gesprochen?" forschte ich leise, als meine Mutter schieg.
„Ich? Ach Kind, das ist nicht meine Sache. Das sähe nun so aus, als wollte ich triumphieren. Es ist hart genug - und lauter Gnade, wenn man seine Kinder großziehen und behalten darf und sie auf rechte Wege kommen. Und nur, damit du in diesen Dingen einen hellen Blick bekommst, darum erzähle ich dir das. Mit ihr zu reden über diesen Punkt, das will ich Gott überlassen. Er gibt nicht umsonst die stillen Stunden der schlaflosen Nächte. Und Er kommt mit jedem zurecht." - Damit endete das Gespräch, denn die Trennungsstunde schlug rasch.

Ob Er mit ihr zurechtgekommen ist? - Ich weiß es nicht. Ich habe sie in späteren Jahren nur selten besucht, weil mein Besuch immer die alten Wunden aufriß. Sie ist dann noch verhältnismäßig früh an einer Operation im Krankenhaus gestorben. Ihr Mann lebte zuletzt ganz allein und fand ein noch trostloseres Ende: Er lag eines Morgens tot im Stall. Niemand wußte, wie er gestorben war. Fremde teilten mit dem Schwiegersohn das Erbe. Und einmal, als ich wieder nach Hause kam, sahen fremde Gesichter hinter den gleichen Vorhängen hervor, die meine Freundin zur Hochzeit aufgesteckt hatte.

Mein Mütterlein feierte ihren letzten Muttertag mit uns vor dem Krieg. Hochbetagt erlitt sie dann einen Unfall, als der Kriegssturm über das Dorf brauste. Der Sohn, der im Elternhaus wohnte, setzte sein Leben ein, um ihr ärztliche Hilfe zu verschaffen. Sie aber ging still, wie sie gelebt, hinüber, ohne daß ihre drei in der Ferne weilenden Kinder etwas davon ahnten.
„Ich habe sie für euch alle versorgt", versicherte der Bruder, der mir, als man wieder zusammenkommen konnte, die schmerzliche Nachricht brachte. „Es hat ihr an nichts gefehlt. Ihr hättet nicht mehr tun können. Während der Beschießung trug ich sie in den Keller. Als es nicht mehr ging, blieb ich bei ihr und hielt sie im Arm. Dort ist sie entschlafen."
Dieses Bruders vier Kinder erfüllen nun das alte Elternhaus mit frohem Leben. 

Neulich wanderte ich mit dem Jüngsten über den Heimatfriedhof, um all die Lieben vergangener Tage zu grüßen. So stand ich auch mit ihm an der Familiengruft des Nachbarhauses. Der prunkvolle Grabstein war der letzte Zeuge einstiger Wohlhabenheit. Da kam mir's in den Sinn, daß der Kleine, den sie eine Woche nach seiner Mutter hier eingesenkt, nun ein Mann wäre, der das Leben hätte weitertragen können in dem Haus, in dem jetzt Fremde wohnten.
Dann ging ich mit meinem Neffen, dem kleinen Albert, weiter an Großmutters Grab, um das unter-Wegs gepflückte Sträußlein niederzulegen. „Mutter?" sagte das Büblein, das eben die ersten Sprechversuche machte, und sah mit großen, fragenden Augen zu mir auf, als ich ihm die schon leise welkenden Wiesenkinder aus den lebenswarmenHändkin nahm. Irgendwie hatte er an diesem Ort dieses Wort aufgeschnappt.
Und mir war es einen Augenblick, als streiche ihre segnende Hand linde über die fröhlich flatternden Flachshärlein des Enkels, den ihre irdischen Augen nie geschaut hatten.

SPÄTE BLÜTEN
Mit besonderer Freude denke ich an jenes letzte Mutterfest zurück, das mein liebes Mütterlein auf dieser Erde feierte. Es war vor dem Krieg, und wir waren zum letztenmal im lückenlosen Familienkreis um sie versammelt. Ich genoß damals so ganz besonders das Zusammensein mit meinem jüngsten Bruder, den ich mit seiner Familie über ein Jahrzehnt nicht mehr sehen hatte, da er in weiter Ferne wohnte. Wi/ hatten einander so viel zu sagen und nütztejninchen Frühlingstag zum Gang über die heimitliche Flur, manche späte, stille Stunde zu trauter Zwiesprache.
Da nahm mich meine Mutter beiseite. „Höre", sagte sie in ihrer herzlich eindringlichen Weise, „paß ein wenig auf! Deine Schwägerin wird eifersüchtig, wenn du ihren Mann so oft mit Beschlag belegst und von ihrer Seite holst. Und du weißt ja doch . . . man muß besonders zart mit ihr umgehen."
Ich verstand, was meine Mutter mir sagen wollte. Mein Bruder hatte mir anvertraut, daß seine Frau ihr drittes Kindchen erwartete. Das war nicht so leicht. Die beiden Ältesten waren bereits erwachsen: Christa auf einem Büro, Christoph in einer kaufmännischen Lehre. Die Sorgen um dieses bevorstehende Ereignis waren öfters der Gegenstand unserer Gespräche.
Nun versuchte ich, meiner Schwägerin näherzukommen. Und eines Nachmittags, als wir miteinander Muster zu Kinderjäckchen studierten, öffnete sie mir ihr Herz.
„Ja", gab ich zu, „mit den großen Geschwistern