Geschichte des bekannten Neurochirurgen Ben Carson

03/19/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Die siamesischen Zwillinge Lea und Tabea aus Lemgo wurden von Ben Carson getrennt. LeiderBN9687-1.jpg?1679222139338 überlebte Tabea diesen Eingriff nicht. In seiner Biographie erzählt Dr. Carson nicht nur von seinen beruflichen Erfolgen: Er lässt den Leser auch an seinem tiefen Glauben teilhaben, der ihn dazu motiviert, anderen Menschen zu helfen. Sein warmherziger Humor und seine geistreiche Art zu erzählen, machen diese Autobiographie zu einem echten Lese-Erlebnis!

VOR WORT Mehr Blut! Die Stille im Operationssaal wurde von erstaunlich ruhig erteilten Anweisungen unterbrochen. 50 Bluteinheiten hatten die Zwillinge bereits erhalten, doch die Blutung war noch immer nicht gestillt. „Es ist, kein typenspezifisches Blut mehr da", hieß es, „wir haben alles aufgebraucht' Diese Aussage löste unterdrückte Panik aus. Alle Konserven der Blutgruppe AB negativ waren von der Blutbank des Johns-Hop-kins-Krankenhauses abgerufen worden. Dabei brauchten die sieben Monate alten Patienten, die seit Geburt am Hinterkopf zusammengewachsen waren, unbedingt mehr Blut - oder sie würden sterben. Die einzige Chance auf ein normales Leben hatten sie nur jetzt und hier. Ihre Mutter, Theresa Binder (aus Ulm), hatte sich durch die &esamte medizinische Fachwelt durchgefragt und nur ein einziges Arzteteam gefunden, das bereit war, die Trennung ihrer Zwillinge zu versuchen, um beide am Leben zu erhalten. 

Die meisten Chirurgen hatten ihr schlichtweg erklärt, das sei nicht möglich - wenigstens einer der Jungen würde die Operation nicht überstehen. Einen ihrer geliebten Söhne opfern? Theresa konnte den Gedanken nicht ertragen. Obwohl beide Kinder am Kopf miteinander verwachsen waren, hatte jedes schon im Alter von sieben Monaten eine eigene Persönlichkeit. Unter keinen Umständen wollte sie den Kampf um ihre Jungen aufgeben. Nach Monaten der verzweifelten Suche entdeckte sie schließlich das Ärzteteam des Johns-Hop-kins-Krankenhauses. Viele der 70 Mitarbeiter in dieser chirurgischen Abteilung erboten sich, Blut zu spenden; denn die Dringlichkeit der Situation war ihnen bewußt. Die mühsame, spannungsreiche 17stündige Operation hatte bereits gute Fortschritte gemacht.

An alles war gedacht worden. Nach nur kurzer Zeit hatte die Narkose gewirkt - ihr war eine komplizierte Prozedur vorausgegangen, denn die Patienten hatten einen gemeinsamen Blutkreislauf. Die Vorbereitungen zum kardiovaskulären Bypass hatten nicht länger gedauert als geplant (die fünf Planungsmonate und die zahllosen Proben hatten sich bezahlt gemacht). Auch an die Stelle zu gelangen, wo die Zwillinge miteinander verbunden waren, hatte den jungen erfahrenen Neurochirur-gen nicht allzu große Schwierigkeiten bereitet. Infolge der Maßnahmen zum Bypass hatte das Blut seine Gerin-nungseigenschaft verloren. 

Nun blutete jede Stelle am Kopf der Kinder, die nur bluten konnte! Glücklicherweise konnte die städtische Blutbank innerhalb kürzester Zeit die benötigte Anzahl von Bluteinheiten ausfindig machen und zustellen, um die Operation fortzusetzen. Dank ihrer Fähigkeit und Erfahrung in ihrem Spezialgebiet schafften es die Chirurgen schließlich, die Blutung innerhalb weniger Stunden zu stillen. Die Operation konnte weitergehen. Endlich wurden die letzten Hautlappen über die offenen Wunden genäht, und die 22 Stunden dauernde Anspannung war vorüber. Die siamesischen Zwillinge Patrick und Benjamin waren zum ersten Mal in ihrem Leben eigenständige Menschen! Der leitende Neurochirurg, der den Operationsplan ausgearbeitet hatte, stammte aus einem Ghetto Detroits. Candy Carson

TSCHÜS, VATI! „Tja, Bennie und Curtis. Euer Vater wird nun nicht mehr bei uns wohnen." „Ja, warum denn nicht?" fragte ich nun schon zum soundsovielten Male und versuchte verzweifelt, den Kloß in meinem Hals runterzuschlucken. Ich konnte mich einfach nicht abfinden mit der merkwürdigen Unnachgiebigkeit in Mutters Worten. „Ich hab' ihn doch lieb, meinen Vati!" »Er dich auch, Bennie ... aber er muß gehen. Zu seinem und unserem Besten' - »Aber warum denn? Ich will nicht, daß er geht. Ich will, daß er bleibt, hier bei uns!" „Er muß gehen ..." „Hab ich irgendwas getan, weswegen er jetzt gehen will?" „0 nein, Bennie, absolut nicht. Dein Vater hat dich wirklich liebt' Nun kamen die Tränen doch, und zwar gewaltig. „Dann unternimm etwas, damit er zurückkommt!" - „Ich kann nicht. Daran läßt sich einfach nichts ändern' Mutters starke Arme hielten mich fest, sie versuchte mich zu trösten. Allmählich erstarb mein Schluchzen, und ich beruhigte mich. Sobald mich meine Mutter aber losließ, kamen die Fragen wieder. „Euer Vater hat ..' Sie machte eine Pause. 

Obgleich ich noch jung war, wußte ich doch, daß sie nach Worten suchte, um mir zu erklären, was ich nicht begreifen konnte. „Bennie, dein Vater hat schlimme Sachen gemacht, etwas ganz Schlechtes' Ich wischte mir mit der Hand über die Augen. „Dann vergib ihm doch! Laß ihn nicht fort!" „Es geht um mehr als nur um vergeben, Bennie ..." - »Aber ich will, daß er hierbleibt mit Curtis und mir und dir!" Noch einmal versuchte Mutter, mir verständlich zu machen, warum Vater fortging, aber ihre Erklärung war für einen Achtjährigen nicht zu verstehen. Ich kann heute nicht mehr sagen, inwieweit ich begriff, warum mein Vater gegangen war. Und das, was in meinen Kopf hineinging, wollte ich nicht wahrhaben. Es tat mir so weh, von Mutter zu hören, daß mein Vater nie zurückkommen würde. Wo ich ihn doch so liebhatte!

Vater war stets aufmerksam und liebevoll. Er war oft unterwegs, aber wenn er nach Hause kam, nahm er mich auf den Schoß und spielte mit mir, wann ich nur wollte. Er hatte große Geduld. Ich staunte über die großen Adern auf seinem kräftigen Handrücken und drückte gern auf ihnen herum. Dabei beobachtete ich, wie sie sich wieder auffüllten. „Schau! Da sind sie wieder!" Wir hatten viel zu lachen, und ich versuchte mit der ganzen Kraft meiner kleinen Hände, seine Adern einzudrücken. Vater saß immer ruhig da und ließ mich spielen, solange ich woljte. Manchmal sagte er dann: „Schatz, du bist einfach nicht stark genug!' und ich drückte noch fester drauf. Natürlich bewirkte ich nichts, verlor irgendwann die Lust und spielte mit etwas anderem. Obwohl Mutter sagte, Vater habe schlimme Dinge getan, konnte ich ihn mir einfach nicht als „schlecht" vorstellen. Curtis, mein Bruder, und ich hatten ihn nie so erlebt. Hin und wieder hatte Vati uns etwas mitgebracht, ohne besonderen Grund. „Ich dachte, das könnte euch gefallen", meinte er dann augenzwinkernd. Abends ließ ich meiner Mutter oft keine Ruhe. Ich beobachtete die Uhr, bis es Zeit war, daß Vati von der Arbeit heimkam. Wenn es soweit war, rannte ich nach draußen, um auf ihn zu warten. Ich schaute so lange nach ihm aus, bis ich ihn auf dem Weg zu unserm Haus entdeckte. Mit einem „Vati, Vati!" lief ich ihm entgegen. Er fing mich mit offenen Armen auf, schwang mich hoch und trug mich ins Haus. 

All das war zu Ende, als ich acht Jahre alt war und Vater 1959 unser Heim für immer verließ. Für mich jungen, seelisch tief verletzten Menschen sah die Zukunft unendlich trostlos aus. Ich konnte mir kein Leben ohne meinen Vater vorstellen und wußte auch nicht, ob wir, mein zehnjähriger Bruder Curtis und ich, ihn jemals wiedersehen würden. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie lange ich an dem Tag, als Vater verschwand, noch weinte und fragte; ich weiß nur, daß es der traurigste Tag meines Lebens war. 

Die Tränen trockneten zwar, aber das Fragen hörte nicht auf. Wochenlang bedrängte ich meine Mutter mit jedem nur vorstellbaren Argument, das sie dazu bewegen sollte, meinen Vater zurückzuholen. Sollte es nicht doch einen Weg geben? „Wie sollen wir denn ohne Vater zurechtkommen?" „Warum willst du ihn nicht mehr haben?« »Er wird bestimmt wieder anständig sein. Frag ihn doch! Bestimmt macht er nichts Dummes mehr!" Mein Betteln brachte jedoch nichts. Meine Eltern hatten schon alles besprochen und geregelt, ehe Curtis und ich davon erfuhren. „Mütter und Väter sollten zusammenbleiben", beharrte ich, „und beide sollten bei ihren kleinen Jungen sein." - „Ja, Bennie, du hast recht! Aber manchmal klappt das einfach nicht." 

- „Ich verstehe nur nicht, warum!" sagte ich. Dabei dachte ich an alles, was Vati mit uns unternommen hatte. Fast jeden Sonntag war er mit uns im Auto unterwegs gewesen. Wir besuchten Freunde, und besonders bei einer Familie hielten wir oft an. Vater unterhielt sich mit den Eltern, während Curtis und ich mit den Kindern spielten. Erst viel später erfuhren wir die Wahrheit. Mein Vater hatte eine andere Frau und Kinder, von denen wir nichts gewußt hatten. Ich habe keine Ahnung, wie meine Mutter hinter Vaters Doppelleben kam, denn sie belastete Curtis und mich nie mit dieser Sache. Heute, wo ich erwachsen bin, kann ich ihr nur das eine vorwerfen: sie sprang über ihren eigenen Schatten, nur um uns zu verheimlichen, wie schlecht es stand. Nie ließ sie uns wissen, wie tief der Schmerz bei ihr saß. Aber das war nun einmal Mutters Art. Sie wollte uns schonen und war überzeugt, sich richtig zu verhalten. 

Erst Jahre später verstand ich, was „sein Betrug mit Frauen und Drogen« zu bedeuten hatte. Noch ehe meine Mutter von der anderen Familie erfuhr, hatte ich gespürt, daß es zwischen meinen Eltern nicht gerade gut stand. Streit hatten sie nicht miteinander; mein Vater ging einfach weg, wenn es Unstimmigkeiten gab. Immer öfter verließ er das Haus und blieb immer länger fort. Ich wußte nie, warum. Mutters Worte brachen mir aber dann doch das Herz, als sie sagte: »Dein Vater kommt nicht wieder' Ich habe ihr nie erzählt, daß ich jede Nacht vor dem Einschlafen betete: „Lieber Herr Jesus, hilf, daß Mutter und Vater wieder zusammenfinden." Ich war ganz sicher, daß Gott ihnen helfen würde, ihre Ehe zu heilen, damit wir wieder ein glückliche Familie sein könnten. 

Eine Zukunft ohne Vater war für mich einfach nicht vorstellbar. Vater aber kam nie mehr nach Hause. Tage und Wochen vergingen, und ich stellte fest, daß wir auch ohne ihn zurechtkamen. Wir waren zwar ärmer dran, und ich merkte, daß Mutter sich Sorgen machte, obwohl sie gegenüber Cur-tis oder mir kaum etwas verlauten ließ. Allmählich (ich war etwa elf Jahre alt) wurde mir klar, daß wir drei tatsächlich glücklicher lebten als zu der Zeit, da Vater noch bei uns war. Es ging friedlich zu bei uns. Die Zeiten eisigen Schweigens waren vorbei. Wir verkrochen uns nicht mehr vor Angst in unser Zimmer so wie früher, wenn Mutter und Vater nicht miteinander redeten.

Damals hörte ich auf, um Vaters Rückkehr zu beten. „Ich glaube, es ist besser für beide, getrennt zu bleiben; was meinst du?" fragte ich Curtis. ‚ja, glaub' ich auch: So wie Mutter erzählte auch er nicht viel über seine Gefühle. Aber vermutlich hatte er ebenfalls festgestellt, daß es uns ohne Vater besser ging. An Wutausbrüche oder zornige Reaktionen kann ich mich nicht erinnern. Meine Mutter sagte aber, daß diese Erfahrung Cur-tis und mir viel zu schaffen gemacht hat. Zweifellos fiel uns die Umstellung sehr schwer. Trotzdem kann ich mich kaum an das erinnern, was vor Vaters Weggehen geschah. Vielleicht war das die beste Art, mit dem Schmerz umzugehen: ich vergaß.

„Dafür haben wir kein Geld, Bennie!" Nachdem uns Vati verlassen hatte, haben wir diese Rede wohl hundertmal gehört! Natürlich hatte Mutter recht. Bettelten wir wie in früheren Zeiten um Spielzeug oder Süßigkeiten, so mußten wir nun an Mutters Gesichtsausdruck ablesen, daß es ihr weh tat, unsere Bitten abschlagen zu müssen. Schließlich ließ ich die Fragerei bleiben. Es hatte doch keinen Sinn, um etwas zu bitten, was wir sowieso nicht bekommen konnten. Manchmal war ein Anflug von Arger in Mutters Gesicht. Ihre Stimme wurde dann ruhig und fest, und sie erklärte, daß uns Vater zwar sehr liebhabe, aber kein Geld für uns geben wolle. Ich kann mich dunkel daran erinnern, daß Mutter etliche Male vor Gericht ging, um Unterhalt für uns einzufordern. 

Kurz darauf schickte Vater für ein oder zwei Monate Geld, jedoch nie den vollen Betrag, und jedesmal hatte er eine anscheinend stichhaltige Ausrede. „Ich kann euch dieses Mal nicht das ganze Geld geben, aber der Rest kommt bestimmt beim nächsten Mal. Versprochen:' Die Rückstände wurden nie beglichen. Kein Wunder, daß es Mutter schließlich aufgab, sich um finanzielle Unterstützung seinerseits zu bemühen. Daß Vater kein Geld gab, erschwerte unser Leben beträchtlich. Doch in meiner kindlichen Liebe zu einem Vater, der freundlich und liebevoll zu uns gewesen war, rechnete ich ihm das nicht an. Trotzdem konnte ich nicht verstehen, wie er uns liebhaben wollte und gleichzeitig das Geld für das Notwendigste verweigerte. 

Ein Grund dafür, daß ich gegenüber Vater weder Wut noch Haß empfand, lag in Mutters Verhalten. Sie beschuldigte ihn fast nie, zumindest nicht, wenn wir dabei waren. Ich kann mich nicht erinnern, sie je schlecht über Vater reden gehört zu haben. Was für uns jedoch noch viel wichtiger war: Mutter schaffte es, ein Gefühl der Geborgenheit in unserem Drei-Personen-Haushalt auszustrahlen. Ich vermißte meinen Vater zwar sehr, fühlte mich aber zufrieden und wohl, nur mit meiner Mutter und meinem Bruder zusammenzusein; denn wir waren eine wirklich glückliche Familie. -. Meine Mutter, eine fast ungebildete Frau, war In einer großen Familie unter schwierigen Umständen aufgewachsen. 

Dennoch leistete sie Unvorstellbares in ihrem Leben, und obendrein schaffte sie ein kleines Wunder in unserem. Ich höre noch ihre Stimme, selbst wenn es schlecht um uns stand: „Bennie, es wird alles gut' Das war kein leeres Versprechen, sondern sie glaubte daran. Und weil sie so fest darauf vertraute, fühlten Curtis und ich uns sicher. Mutters Worte beruhigten und boten einen tröstlichen Schutz. Ihre Stärke wurzelte in ihrem tiefen Glauben an Gott und in ihrer Fähigkeit, Curtis und mir das zu vermitteln, was sie meinte. Wir wußten beide, daß wir nicht reich waren; und doch sorgten wir uns nicht darum, was wir essen oder wo wir wohnen würden, ganz gleich, wie düster es aussah. Mutter trug schwer an den täglichen Sorgen und der Verantwortung, uns ohne Vater zu erziehen.

Aber sie beklagte sich nie, jedenfalls nicht uns gegenüber. Auch bemitleidete sie sich nie selbst, sondern versuchte nach besten Kräften, die Lage zu meistern. Wenn sie lange von zu Hause weg war, um Geld zu verdienen, tat sie es für uns. Ihre Hingabe und Opferbereitschaft beeindruckten mich sehr. Abraham Lincoln sagte einmal: „Was ich bin oder jemals sein kann, verdanke ich meiner Mutter:' So würde ich es vielleicht nicht sagen, doch meine Mutter, Sonya Carson, übte wirklich den stärksten Einfluß in meinem Leben aus. Uber meine Erfolge zu reden, ohne zuerst auf meine Mutter einzugehen, wäre nicht möglich. Deshalb beginnt meine Geschichte mit ihr.