Mutterstress einmal nur die Sonne Küssen, Sylvia Renz

03/03/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Mutterstress

Jamila beugte sich mit einer Tasse über mich „Trink das, das ist gut."

Nach drei Schlucken schüttelte es mich. „Was ist das für ein fürchterliches Gebräu? Schmeckt ja - widerlich brachte ich heraus.
..„Milchbildungstee. Der Doktor hat ihn bei mir bestellt. Du musst sechs Tassen davon trinken, damit die Milch einschießt." ‚ -
„Aber mir graust davor .....‚ wandte ich ein.'
es Spielt keine Rolle, runter damit, der Doktor hat es angeordnet."
»Du führst dich auf wie ein Oberhäuptling", fand ich,, aber sie lachte nur. Mit energischen Bürstenstrichen striegelte sie mein Haar und holte einen frischen Sarong aus dem Einbauschrank. Bevor ich mich wehren konnte, hatte, sie mich gewaschen und in das neue Tuch gehüllt. Sie schüttelte die Decke frisch auf und räumte alle Spuren der Geburt weg: die Schüsseln und Tücher und was so alles noch herumlag. Die ganze Zeit über trällerte sie vor sich hin. Aus dem Badezimmer hörte ich lautes Protestgeschrei.
„Ich frage mich, was David da drinnen mit ihm anstellt,, dass der Kleine so weint - ach, ich hätte ihn so gern noch eine Weile im Arm gehalten", flüsterte ich.
J amila warf mir einen strengen Blick zu. „Aber Jati, er muss doch untersucht werden! Vielleicht hat er eine Krankheit und
wenn man sie gleich entdeckt -" -
‚Jaja, ist schon gut!", warf ich ein. Ich wollte jetzt nicht über die möglichen Krankheiten und Behinderungen meines Kindes nachdenken. Ich sehnte mich nach David, nach seiner zärtlichen Berührung, ich wollte von ihm hören, dass er glücklich war und unser Kind lieb hatte - auch wenn ihm eine „Tochter, doppelt so schön wie Bagus", vorerst nicht vergönnt war.
„Warum dauert es denn so lange .....‚jammerte ich.
„Der Doktor weiß schon, was er tut", sagte Jamila Seit neustem war David für 'sie „der Doktor" - ein höheres Wesen, an dessen Entscheidungen nicht zu rütteln war. 'Seufzend legte ich mich in die Kissen zurück.
Es klopfte an der Tür. Mutter 'steckte den Kopf durch den Spalt.
‚ja, ist es denn wahr? Ich bin schon Großmama?", fragte sie und schielte verstohlen auf meinen Bauch Es war- so schön, ihr Gesicht zu sehen —voller Spannung und Vorfreude. Hinter ihr stand Vater und wagte aus lauter Taktgefühl nicht, Sich anzuschauen - wahrscheinlich sah ich grauenhaft aus!


„Kommt herein, liebe Eltern", sagte ich, und ich spürte eine neue Wärme in' mir aufsteigen gegenüber diesen Menschen, 'die mich so selbstverständlich in ihre Familie aufgenommen hatten - von Anfang an.
In diesem Augenblick flog die Tür zum' Badezimmer auf und David stand da, von Kopf bis Fuß stolzer' Vater, seinen Sohn im Arm. Er machte ein Gesicht, als hoffte er, eine Musikkapelle 'würde zu seiner Ehre einen Tusch anstimmen oder ein heller Scheinwerfer würde seinen Strahl auf ihn richten. Vielleicht erwartete er auch, dass wir alle „Ah" und „Oh" rufen, in einen tiefen Hofknicks versinken und ihm huldigen würden. Doch die Eltern schenkten ihm nur einen kurzen Blick, dann setzte sich Mutter an meine Bettkante. 'Ohne' ihren Sohn und ihren Enkel zu beachten, nahm sie meine Hand und legte ihre Wange hinein.
„Ich bin so glücklich, Jati! Ich danke dir für dieses Kind
Du machst uns alle sehr froh", sagte sie. '
Vater nickte: „Wir sind heilfroh, dass du eine so leichte Geburt hattest. Wir haben Wen Tag dafür gebetet!"
'Ich war sprachlos und die Augen wurden mir feucht: ' so viel Liebe, so viel Wärme! Ich war ihnen wichtig!
David war inzwischen zu uns gestoßen und legte flur das Baby in die Arme. Jetzt konnte ich es zum ersten Mal richtig
betrachten, Unser Sohn hatte ein Büschel kohlschwarzes Haar auf seinem runden Kopf. Er war kaum zerknautscht, der Mund hatte schon eine Nuckelbiase, und der kleine Daumen eine dicke Schwiele. Der Kleine öffnete ein Auge und schmatzte genießerisch.
Alle lachten.
Jamila sagte: „Er riecht wohl schon die Milch!"
„Komm, leg ihn gleich an', drängte David. „Damit die Milch einschießt."
„Das höre ich heute schon zum zweiten Mal. Bin ich eine Kuh oder was?", sagte ich.
Wieder lachten alle.
„Ich möchte ihn erst ein bisschen anschauen", sagte ich. „Ich muss doch seine Finger nachzählen, am Ende fehlt einer."
„Das ist schon erledigt', sagte David und ließ sich am Fußende nieder. Er strich sich die feuchten Haare aus der Stirn, und erst jetzt sah ich, wie erschöpft er war. Ich streckte die Arme nach ihm aus, und er rutschte ein Stück näher, doch er wich meinem Blick aus.
„Ist irgendetwas mit dem Kind nicht in Ordnung, David?", schaltete sich der Vater ein.
„Der Kleine ist gesund und normal entwickelt, aber.
„Was aber?", bohrte Mutter.
„Ich hatte ja eigentlich mit einem Mädchen gerechnet."
‚jetzt mach dich aber nicht lächerlich!", tadelte der Vater. „Du weißt genau, dass man darüber keine Kontrolle hat, und das ist auch sehr gut so. Wir haben um ein gesundes Kind gebetet, und Gott hat uns erhört."
„Wir würden es auch lieben, wenn es krank oder behindert wäre", widersprach die Mutter. „Kind ist Kind!"
David kaute auf seinem Fingerknöchel. „Vielleicht muss ich mich erst an den Gedanken gewöhnen — ich habe mir das alles etwas anders vorgestellt." Er seufzte und ging mit schweren Schritten hinaus.
Vater hob die Schultern und meinte: „Wahrscheinlich sind ihm die Nerven durchgegangen. Bei vielen frisch gebackenen Vätern setzt der Verstand aus. Ich gehe mal nachsehen, vielleicht kann ich mit ihm reden."
Mutter verdrehte die Augen.,, Männer!", sagte sie mit Nachdruck,
Als Vater hinausgegangen war, wandte sich Mutter dem Meinen zu, und ihr Gesicht verklärte sich.
„Komm, Jati, pack ihn noch mal aus, wir wollen ihn anschauen!", sagte sie, und Jamila machte einen langen Hals.
„Schwester, komm her, du siehst ja kaum etwas!", rief ich ihr zu, und sie lächelte und setzte sich auf einen niedrigen Hocker, den sie ans Bett geschoben hatte.
Vorsichtig wickelten wir das Baby aus den Tüchern. Es hatte einen hübschen Meinen Trommelbauch und schon zwei Speckfalten an den Beinchen. Da sah ich es: Der Kleine hatte an Brust und Bauch helle und dunkle Flecken, als wäre er schmutzig und nur teilweise gewaschen worden. Ich feuchtete einen Tuchzipfel mit der Zunge an und rieb ein wenig, doch die Farbe war echt. Am Rücken waren die dunklen Stellen noch deutlicher zu sehen als vorne, und auch die Beine hatten helle und dunkle Zonen.
»Pigmentflecken", sagte Mutter und zuckte die Achseln. „Na und?"
Sie drückte dem Baby einen herzhaften Kuss auf die Nase, worauf es niesen musste. Jamila half mir beim Einpacken; sie hat durch Muncak viel Übung im Wickeln, dann legte ich meinen Sohn an die Brust. Er wusste sofort, was er zu tun hatte und saugte kräftig. Mir wurde dabei schwindelig, aber nach einer Weile konnte ich es aushalten. Noch einmal schmatzte der Kleine, dann schmiegte er sich enger an mich und schlief ein. Auch mir fielen die Augen zu. Mutter erhob sich und schlich hinaus, Jamila rückte hier und dort noch etwas zurecht, dann löschte sie das Licht, und ich sank in einen wohligen Dämmerschlaf.
Am nächsten Morgen erwachte ich zeitig. David saß auf dem Boden neben meinem Bett und untersuchte das Baby, das• nackt auf einer Decke lag und wimmerte.
„Der Meine friert', gähnte ich. „Deck ihn wenigstens zu." David nickte und wickelte das Kind in Tücher. „Es - es ist nicht so arg, wie ich gestern dachte", murmelte er.
„Was macht dir Unruhe, mein Liebster?"
„Ich weiß nicht - ich dachte, es wird so aussehen wie du, oder auch ein bisschen wie ich, aber.
„Es ist eben ein Mischlingskind, was hast du denn erwartet?", fragte ich.
Er schwieg.
„Wolltest du lieber ein Kind mit goldenen Haaren und meerblauen Augen?", stichelte ich. ‚;Darm hättest du Irene heiraten sollen."
Er warf mir einen gekränkten Blick zu und brummte: „Aber Jati.,."
„Also? Was ist jetzt? Krieg ich einen Kuss oder nicht? Ich weiß schon gar nicht mehr, wie du schmeckst!"
Er seufzte und beugte sich über mich. Seine Wangen waren feucht. Hatte er etwa geweint? Aus Zorn oder Enttäuschung?
„David???"
Da nahm er mich in die Arme und sagte: „Ich bin so froh, dass du alles gut überstanden hast. Was meinst du, wie viel Angst ich hatte!"
„Aber dafür gab es doch keinen Anlass! Es ging alles so leicht und
‚ja .... Er holte tief Luft. „Dafür bin ich unendlich dankbar. Trotzdem, du glaubst nicht, wie aufgeregt ich war, als das Kind dann kam."
Ich rückte ein Stück von ihm ab. „Du? Aufgeregt? Du hast doch schon mehr Kinder geholt, als ich Finger und Zehen habe!"
„Weißt du, bei fremden Frauen ist es anders. Total anders. Ich hatte solche Angst, dass ich etwas falsch mache und du und das Kind. . . aber jetzt ist alles gut."
„Und deshalb hast du so ein Theater gemacht wegen der Pigmentflecken?"
„Ach, die Flecken. .. das spielt keine Rolle. Ich war einfach nur durcheinander. Ich wusste selbst nicht, was in mir abläuft. Freude und Erleichterung und Angst und Sorge Ich bin ja so glücklich 
Ich schloss die Augen und lehnte mich an meinen dummen, klugen Mann. Wunderdoktor oder nicht, von Gefühlen hatte er keine Ahnung.