Papke Käthe, Lesebuch

06/03/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Heinz Ehlert, der junge Forstassessor, lag der Länge nach ausgestreckt unter einer großen Fichte im Moos, die Arme unter dem Kopf verschränkt, und gab sich ganz dem Zauber der milden Maiennacht hin. Der spitze Jägerhut lag neben ihm. Das Gewehr hatte er an den Baum gelehnt. In den Wipfeln rauschte der Nachtwind. Irgendwo fern im Wald bellte ein Fuchs.

Sonst war alles still.
Und doch war alles voll des geheimen, jungen Lebens, das knospend und sprossend zur Entfaltung drängte. Uberall war zauberhaftes Raunen und Rauschen, Blühen und Duften, so dass das Blut schneller kreiste und das Herz rascher schlug.
Heinz richtete sich auf und breitete weit die Arme aus. Ein frohes Lächeln glitt über das blühende Gesicht des Sechsundzwanzigjährigen. Er durchlebte in Gedanken noch einmal die letzten Stunden; Er hatte mit einigen Freunden einen Ausflug zum Kloster Walkenried gemacht.

Das war ein froher Nachmittag, voller Scherzen und Lachen, voller Wanderlust und Lebensfreude; Selbst Annegret, die meistens ernste Tochter seines Vorgesetzten, des Oberförsters Werner, hatte sich von den lustigen Einfällen Hans Garmstedts mit fortreißen lassen. Hans studierte in Berlin Theologie und genoss die Pfingstferien daheim bei seinem Vater im Pfarrhaus. Eine echte Freundschaft verband Heinz mit Rolf Winter, dem Erben der Brunnenbachmühle. Sein Vater hatte gewünscht, dass er das Handwerk auch anderswo kennen lernen solle. So hatte er den Winter über in einer Mühle in Bayern gearbeitet. Nun war er wieder da!
Die Gedanken des jungen Träumers gingen weiter. War es nicht am aller schönsten, dass auch Liesel Wich-mann den Ausflug mitgemacht hatte? Man konnte alles mit ihr besprechen, auch ernste Probleme, die ihn beschäftigten. Auf alles ging sie ein, und ihre Meinung war stets wohlüberlegt. Merkwürdig, dass es ihn so zu diesem einfachen Dorfmädchen hinzog, das mit seiner Großmutter den Kolonialwarenladen in der Hauptstraße führte. Die Eltern waren schon lange tot. Von ihrer Mutter, die gleich nach Liesels Geburt gestorben war, sollte sie die eigenartige Schönheit geerbt haben. Soviel hatte Heinz da und dort gehört. Ihre Großmutter hatte sie nach Nordhausen in die Oberschule geschickt. Daher stammte auch die Freundschaft mit Annegret Werner, besonders aber mit Friedlinde Winter, der Müllers Tochter.
Heinz kam oft in die Mühle. Dort hatte er Liesel bei Friedlinde kennengelernt. Zuerst war ihm natürlich ihre Schönheit aufgefallen, dann aber hatte ihn ihr Charakter gefesselt. Immer war sie hilfsbereit und bestrebt, andere zu erfreuen. Sie besaß ein tiefes Gemüt und war sehr darauf bedacht, sich selbst weiterzubilden. Sie las viel und sprach die gelesenen Bücher gerne mit ihm durch. - Als Heinz sie einlud, ihn einmal in den Wald zu begleiten, zögerte sie zuerst. Dann aber war es ihm ein Genuss, sie in die reiche Schönheit des Waldes einzuführen. Schon einige Male waren sie so zusammen gewandert. Und dann kam es, wie es nicht anders möglich war - eine große, tiefe Liebe einte ihre Hrzen und verband ihre Seelen. Nun wurde es erst recht achöh, kam doch zu dem Verstehen in vielen Dingen noch das Bewusstsein des innersten Ein eins, des Zusammen-gehörens.
Heinz Ehlert sprang auf. »0 Welt, o Leben, wie bist du schön!« kam es dankbar von seinen Lippen. Dann griff er nach Hut und Gewehr und schritt langsam im Wald dahin.
Eigentlich hatte er, als er heute abend nach Hause gekommen war, gleich zu Bett gehen wollen, aber das Glück in seiner Brust ließ es ihn nicht im Zimmer aushalten, er musste noch hinaus in den Wald. Das war von jeher sein liebster Aufenthaltsort gewesen. Dahin eilte er als Junge, wenn es in der Schule nicht klappte - dahin floh er beim Tod des Vaters, der als Beamter in Ebers-walde starb. In die Waldeinsamkeit trug er sein Glück; als die Mutter ihm eröffixete, sie wolle ihm, ihrem Einzigen, nicht im Wege sein, wenn er das Forstfach, nach dem all sein Sinnen stand, als Beruf ei-wählen wollte. 

Er wusste, dass dies mit finanziellen Opfern verbunden war. Mutter würde sich ihm zuliebe auf ihre bescheidene Pension beschränken und die Zinsen des kleinen Sparkapitals ihm zum Studium geben müssen. Aber glücklicherweise hatte ihm seine Patentante einen Betrag vererbt, der ihm jetzt besonders willkommen war. So musste er, wenn er sparsam war, die Mutter nicht allzu-sehr in Anspruch nehmen. Aber Heinz gelobte sich damals, sie treulich zu unterstützen, sobald er eine feste. Anstellung habe.Er wollte ihr ihre Liebe und Opferwilligkeit vergelten!
Der Wald war auch Zeuge seines und Liesels heimlichen Glücks geworden - o wie liebte er seinen Beruf, wie hing er mit Leib und Seele an ihm' Er wusste auch, dass Oberförster Werner, sein Vorgesetzter, mit ihm zufrieden war. Auch mit Förster Warlich, bei dem er im
örsthaus Wiethfeld wohnte, stand er auf kamerad-ehaftlichem Fuß.

Wie schön war doch das Leben! Konnte es etwas Herrlicheres geben als diese Harzberge mit ihren unendlichen Wäldern, Tälern und Gründe& Wenn er erst Förster, nein Oberförster war - nirgends anders als im z wollte er wohnen, und in seinem Haus sollte nie-od anders als Liesel Wichmann Hausfrau sein
Der Wald lichtete sich vor ihm. Er trat auf eine Wiese hinaus. Ein leiser Ruf des Staunens entglitt ihm - so weit war er in seinen Gedanken und Träumen gewan-
dert? Dort unten lag ja die einsame Bnnmenbachmühle' Leise plätscherte der Brunnenbach. Das Mondlicht übergoss mit zauberhaftem Glanz Mühle, Wasser, Wie-
se, Wald und Berge. Traumhaft schön war diese Nacht!
Er stand lange verloren da. Seine Blicke glitten über die Mühle hin, in der er schon so viele schöne Stunden ver-
lebt hatte und hoffentlich noch .verleben würde. Dann wandte er sich wieder zurück zum Wald, um heimzugehen.
Er lachte leise vor sich hin - gewiss war er der einzige aller seiner Wandergenossen, der noch wachte. -
Aber diesmal hatte er sich geirrt, und wenn er gewusst hätte, dass gerade Rolf Winter, sein Freund, am Fenster
seines Zimmers saß und in tiefe Gedanken versunken
war, er hätte vielleicht geklopft und wäre noch bei ihm eingekehrt, zumal, wenn er gewusst hätte, dass Rolf sich
stark mit ihm beschäftigte: Der stattliche Müllerssohn
hatte nach seiner Rückkehr in die Heimat seine Tätigkeit in der väterlichen Mühle mit Eifer und Verständnis aufgenommen. Der Freundeskreis war unverändert
herzlich und harmonisch. Das hatte er heute gesehen. Nur Annegret, die Jugendgespielin der MüIlerskinder, fand er ernster und Liesel entschieden noch hübscher. Viele behaupteten, sie sei die Schönste von ganz Tanne und Umgebung. Aber es hatten ja nicht alle den gleichen Geschmack. Auf ihn zum Beispiel hatte Annegrets Freundin, Heiderose Mieland, einen tiefen Eindruc gemacht. Sie wohnte in Goslar und war zur Zeit in der Oberförsterei zu Besuch. Wenn er zu wählen hätte... Er musste lachen.

 Wie kam er nur auf solche Gedanken? Nun, es war ihm nicht verborgen geblieben, dass der 1 freundschaftliche Verkehr zwischen Heinz und Liese! ernstere Formen angenommen haben musste. Er runzelte die Stirn. Was dachte sich Heinz eigentlich bei der ganzen Geschichte? Er nahm sich vor, möglichst bald ernstlich mit ihm darüber zu reden. Für eine bloße Spielerei war das charaktervolle Mädchen mit dem feinen Wesen, das sie vor allen auszeichnete, entschieden zu schade. Das würde Heinz nie tun; dafür kannte er seinen Freund zu genau. Aber eine Heirat konnte doch auch nicht in Frage kommen; denn dadurch würde er sich ja die ganze Laufbahn zerstören. Dann konnte es ihm nicht weiter als bis zum Förster reichen.

An Liesel selbst war nichts auszusetzen. Wäre ihr Charakter nicht einwandfrei gewesen, hätte sie niemals Eingang in den Freundeskreis gefunden. Aber freundschaftlicher Verkehr war etwas ganz anderes als eine Heirat. Daran hätte Heinz denken müssen und dem Mädchen nicht irgendwelche Hoffnungen machen, die er nie erfüllen konnte. Wollte er das dennoch, dann musste er auch die Konsequenzen ziehen. Aber so weit hatte der Idealist Heinz sicher noch nie gedacht. Mit grenzenloser Harmlosigkeit nahm er die Dinge, wie sie kamen. Er genoss das »Heute« und dachte kaum an das »Morgen«. Er aber wollte ihm ein treuer Freund sein und ihn auf alles aufmerksam machen, was ihm nützen nier schaden könnte.

Am allerbesten wäre es, wenn Liesel bald heiraten würde. Da kam aber außer Heinz, der ja auch erst in einigen Jahren daran denken konnte, nur August Meier-hadi in Betracht, der den großen Bauernhof oben im Dorf hatte. Er war ein sehr wohlhabender Mann, Mitte her Zwanzig, und verfügte über einen stattlichen Besitz.
Seine Eltern waren vor einigen Jahren kurz nacheinander gestorben. Seitdem bewirtschaftete er seinen Hof alein mit Hilfe von einigen Knechten und zwei Mägden.
Auserdem war er in der Gemeinde nicht sehr beliebt. Sein Wesen war ebenso derb wie sein Äußeres. Man munkelt auch so allerlei über ihn und seine Mägde. Nie-and konnte sagen, was daran Wahres war. Das waren in schließlich Privatsachen, in die sich niemand einmi-
ithen wollte. Der junge Bauer verstand keinen Spaß.
Nun ging seit kurzem die Rede von ihm, er hätte auf Liesel ein Auge geworfen. Aber sollte man ihr diesen
Mann wünschen? Rolf schüttelte den Kopf. Nein, nein, ie war viel zu schade für ihn und tat recht daran, wenn sie ihn abwies.
Man muss eben abwarten, wie sich alles entwickeln wird«, murmelte er halblaut vor sich hin. Dann stand er nE und ging zu Bett - er war zu müde zum Denken geworden.
Liesel Wichmann stand im kleinen Stübchen hinter hin Laden und rüstete sich zu einem Weg nach Elbin-gerude. Fast jede Woche unternahm sie einmal den dreistündigen Weg, um allerlei Geschäftsbesorgungen zu machen. Die Großmutter war immer in Sorge, we sie Liesel so allein ziehen lassen musste. Darum freute sie sich, wenn sich eine Gelegenheit zum Mitfahren bot oder andere Dorfbewohner den gleichen Weg machen mussten und sie begleiteten. Seit aber der junge Heinz Ehlert so oft herkam und es immer wieder einzurichten wußte, Liesel ein Stück Wegs zu begleiten und ihr auch am Abend entgegenging, war sie, wenigstens nach dieser Seite hin, ohne Sorge. Sie wusste Liesel in guter Hand.

Der Verkehr zwischen den beiden passte ihr zwar nicht so ganz. Sie konnte es kaum glauben, dass der junge Mann es ernst meine und ermahnte zuweilen ihr Enkelkind, auf der Hut zu sein.
Mit ungläubigem Staunen in den dunkelblauen Augen schaute Liesel sie beim ersten Mal an und erwiderte: nur: »Aber Großmutter, was denkst du nur von Heinz!« Als aber die Ermahnung sich wiederholte, sagte sie freundlich, aber bestimmt: »Lass das meine Angelegenheit und Sorge sein, Großmütterchen. Heinz ist ein Ehrenmann. Ich habe sein Wort, und er hat das meine. Ein Zweifel an ihm ist eine Beleidigung, die mich zugleich trifft. Mein Vertrauen zu ihm ist unbegrenzt.« - Da sagte die Großmutter nichts mehr. Sie freute sich im Stillen, dass ihrem Liebling eine schöne Zukunft winkte.

Neuerdings war sie aber wieder schwankend geworden, seit sie merkte, dass August Meierbaeh sich um das Mädchen bemühte. Der hatte doch entschieden mehr in die Suppe zu brocken als Heinz! Wenn ihre Liesel die reichste Frau der ganzen Gegend werden würde...
Als diese davon hörte, war sie zuerst sehr erstaunt und lachte dann darüber. Sie schüttelte sich. Der Gedanke, Frau Meierbach werden zu müssen, war ihr - ganz abgesehen von ihrem Jawort an Heinz - einfach unerträglich.
ic Großmutter schwieg dazu, sprach auch zu kei-der anderen Dorfbewohner davon. In dieser Beziehung war sie eine mustergültige Ausnahme sämtlicher öwohnerinnen Tannes - und wahrscheinlich auch nej anderer Orte.
lt herzlichem »Behüt dich Gott!« entließ sie heute e Enkelin nach Elbingerode. Der Weg führte das ciehen dicht hinter Tanne in den Wald hinein. Nach er knappen Viertelstunde gesellte sich Heinz zu ihr. oh schritten sie dahin.
Der Weg ging über eine Anhöhe, von der rechts eine khtc, halbhohe Tannenschonung bis hinunter zur indstraße führte. Links fiel der Hang, mit hohen Fich-- bestanden, sanft gegen einen kleinen Waldteich ab, r nur im Herbst und Winter Wasser hatte. Im Som-
war er meist trocken oder schlammig. Dieser kleine Timpel lag wohl idyllisch im Waldesdunkel, wurde aber von den Dorfbewohnern ängstlich gemieden Es ging ;die Sage, dass es hier nicht ganz geheuer wäre! Vor Zeiten sollte hier ein Mord an einer Frau begangen worden
in. Die Alten wollten von ihren Vätern gehört haben, dss man zuweilen dort Seufzen und Stöhnen vernehemen könne. Etliche behaupteten sogar, gespensterhafte Gestalten gesehen zu haben. Genaues wusste niemand, aber wer konnte, mied den Weg, der an diesem unheimlichen Ort vorüberfürhrte.
Auf der Anhöhe rasteten die beiden. Sie träumten von cm künftigen gemeinsamen Haushalt. Dann sprach hinz von seinen Studien, denen Liesel nicht nur Inte-sse, sondern auch Verständnis entgegenbrachte.
»Ach, ich muss noch viel praktisch lernen, bis ich Dberförster bin«, seufzte Heinz endlich, »und die Anstellungsmöglichkeiten sind auch dünn gesät. Wer weiß,

@1998 Christliches Verlagshaus ISBN 376757070x