Zum drittenmal war auf der Insel -der Hoffnung im sogenannten „Balls Revier" an der grönländischen Westküste Weihnachten gefeiert worden. Zum drittenmal hatte Pfarrer Hans Egede Norwegern, Dänen und Eskimos die Weihnachtsgeschichte und die prophetischen Weissagungen gelesen und mit ihnen die altbekannten Lieder zur Christnacht gesungen.
Nun war der dritte Weihnachtstag des Jahres 1723 angebrochen. Für Hans Egede bedeutete er keine Ruhepause, denn er predigte täglich - das war in der Monotonie des Grönlandwinters unumgänglich. Auf dem langen Gang vor den Stuben des Langhauses, das er nach seiner Ankunft auf Grönland im Jahr 1721 hatte erbauen lassen, war Stimmengewirr zu hören. -Die Leute drängten sich dort, denn das Wetter ließ es nicht zu, daß -sie ins Freie hinaustreten konnten. Hoher Schnee und wütender Sturm hatten das Haus und die Nebengebäude seit Tagen eingeschlossen.
Für die meisten Leute der Siedlung bestand das Pest in einem warnen Bad im Keller, einer dicken gesalzenen Fleischsuppe und reichlich Klippfisch. Dazu gab es eine doppelte Branntwein- und Bierration, von der jedoch niemand einen Rausch bekam. -
Egedes fünfzehnjähriger Sohn Poul trat in die Stube; ih folgte ein junger, gedrungener Eskimo mit einer lustigen Stupsnase und lebhaften, freundlichen Augen Es war kein Unbekannter, er hieß Pooq, was soviel wie Sack bedeutet, und hatte schon seit einiger Zeit den Weg zu Egedes Siedlung gefunden und sich dort für altes lebhaft interessiert - vor allem für die Bücher des „Palasi", des Pastors Egede, und die Erzeugnisse des Schmieds Ole Johannesen.
„Stören wir, Vater?" fragte Poul.
„Nein, gar nicht - gibt es etwas Besonderes?" „Ich glaube ja", erwiderte Poul. Und zu Pooq gewandt: Sag du es ihm!" Doch dem Eskimo schien es die Rede verschlagen zu haben, und so mußte denn Poul Egede sein Anliegen vortragen.
„Pooq hat mir gesagt, er würde sehr gern das Land kennenlernen, aus dem wir gekommen sind, Vater. Und natürlich wolle er nicht dableiben, sondern wieder nach Hause kommen und seinen Freunden berichten, was er dort sah. Du weißt ja, sie glauben, wir Kavlunakker hätten gar kein Heimatland, wir lebten in Schiffen auf dem Meer - darum müßten wir uns auch bei den Inuit niederlassen und ihnen die Fische und Seehunde wegfangen. Pooq möchte etwas Dänisch lernen - und er möchte von Jesus wissen."
„So!" sagte Egede, der den klugen jungen Eskimo gern kommen sah. Er glaubte jedoch, dessen Wunsch rühre vom Erlebnis der christlichen Weihnacht her, denn er war die Festtage über in der Siedlung gewesen. Solche Wünsche entstanden gern im Überschwang der Gefühle und klangen dann sehr schnell wieder ab.
„Darüber müssen wir in aller Ruhe reden", sagte er, „vielleicht morgen - wenn Pooq dann seinen Wunsch noch hegt."
Die beiden jungen Leute gingen hinaus. Pooq mochte etwa zehn Jahre älter sein' als Poul Egede, sein genaues Alter wußte er nicht.
Hans Egede klopfte dreimal an die Wand, das war ein Zeichen, daß Hartvig Jentoft zu ihm herüberkommen sollte,
der Cominissarius der .Bergener Grönlandcompagnie, dem der Handel oblag - dieser Handel und die' Tätigkeit des „Missionaires" Egede waren eng verbunden. Man kannte es nicht anders: das eine hängte sich an das andere.
Hartvig Jentoft trat ein Man konnte nicht sagen, daß die beiden Männer, den Theologen und den Geschäftsmann, Freundschaft verband; aber sie waren aufeinander angewiesen.
„Pooq war eben bei mir", begann Egede, „und was glaubt Ihr, Jentoft, was er im Sinn hat? Er will mit dem Schiff nach Dänemark reisen und dann zurückkehren, um hier zu erzählen, was er sah!"
„So!" sagte Jentoft ebenso kühl wie vor wenigen Minuten Egede; doch es blitzte in seinen Augen. Er schnippte mit den Fingern.
„Ehrwürden, wenn das bloß keine Marotte von ihm ist! Wenn er dabei bleibt, dann könnte ich mir keine bessere Werbung für den Grönlandhandel vorstellen. Ein Eskimo in Kopenhagen - der freiwillig von Grönland kam! Einer der fernsten und wildesten Untertanen Seiner Majestät, bedürftig der Zivilisation und der christlichen Lehre! Zwei Fliegen mit einer Klappe! Er kann für den Grönlandhandel werben und für die Mission. Und. - erfreuen wir Majestät mit solch einem exotischen Untertan, dann ist uns wohl ein Erweis besonderer königlicher Gnade sicher. Wir konnten einen solchen brauchen. Unsere Schreiben landen gewöhnlich in den Archiven, aber einen Wilden von Grönland kann man nicht übersehen. Ganz Kopenhagen wird davon sprechen - wenn es bloß keine Inuit-Marotte ist!"
„Auch ich habe mir schon Gedanken gemacht", sagte Egede. „Doch das leidige ‚aap' und ‚naamik - ja und nein bei den Eskimos. Heute so und morgen so.
Dazu hat sie wohl, das Land und das Wettet erzogen; Wir müssen es geschickt anpacken. Am besten tun wir so, als wäre es ein großes Geschen für Pooq, wenn er mit Euch reiste."
„Verbleiben wir so und warten wir ab."
Pooq blieb dabei: im nächsten Frühjahr oder Sommer wollte er mit einem Schiff ins Land der Kavlunakkut reisen - bezahlen könne er die Reise natürlich nicht.
Das brauche er auch nicht, wollte Egede sagen; doch er sprach:
„Das werden andere tun, Pooq. Aber wenn du wirklich nach Dänemark reisen willst, dann mußt du auch einige Wörter und Sätze der dänischen Sprache lernen. Und den Glauben der Christen muß ich dir dann noch genauer erklären, als es bisher möglich war."
Poul Egede dolmetscht; und Pooq nickte - wie die Kav-lunakkut, wenn sie zu faul waren, ja zusagen.
Pooq wohnte in dem großen Haus der Siedlung, und er war nicht der erste Eskimo, der dort für einige Zeit Quartier bezogen hatte. An enges Beisammenleben war man hier gewöhnt, niemand konnte für sich allein sein - höchstens der Schmied in seiner Schmiede. Es sprach sich herum, warum Ehrwürden Egede sich solche Mühe mit dem Eskimo Pooq gab, und man nickte verstehend, wenn man unter sich war. Der Pastor kämpfte um sein Verbleiben auf Grönland. Er wollte die Eskimos zu Christen machen, nachdem sich sein ursprüngliches Vorhaben, die Nachkommen der alten Wikinger zu lehren und ihnen das Evangelium zu verkündigen, bisher als nicht durchführbar erwies, weil man einfach keine Wi-
kingernachkommen entdeckte. -
Hans Egede und sein Sohn Poul unterwiesen Pooq im Dänischen - mit norwegischem Akzent - und ließen sich dabei
gleirheitig von ihm im Grönländischen unterweisen. So hatten beide Seiten ihren Nutzen von diesen Stunden, und meist
saß auch noch der dreizehnjährige Niels Egede dabei, der schon weit fortgeschritten war und sich grönländisch mit Grönländern unterhalten konnte.
„Hoffentlich macht sich der Bursche nicht nur gute Tage bei Euch und springt ab, wenn es ernst wird, Ehrwürden",meinte etwas sarkastisch Jentoft. Er glaubte seine Erfahrungen mit Eskimos gemacht zu haben, die in ihren Entschlüssen sehr wankelmütig waren. Die meisten Norweger und Dänen, Kon-tinentler überhaupt, vermochten nicht zu begreifen, daß Grönland seine Menschen so geformt hatte. Es ließ nicht zu, daß sie sich festlegten.. Man lebte heute - und morgen würde man ja sehen.
Jentoff sollte recht behalten.
Als der Frühling gekommen war und auch er zur Rückkehr nach Bergen rüstete - er war 1721 inh Egede nach Grönland gekommen, und seine Zeit warum—, redete er mit Pooq. Und da sagte Pooq unter vielen Drehungen und Wendungen, er werde wahrscheinlich in diesem Jahr noch nicht zu den Kav-lunaklcut fahren - vielleicht im nächsten Sommer.
„Da habt Ihr's, Ehrwürden" sagte Jentoft, und Egede war verärgert. Er hatte sich solche Mühe mit dem Burschen gegeben. Gjertrud, seine Frau, tröstete ihn: vergebliche Mühe
sei es ja nicht - er, ihr Mann, suche doch Eskimos, die sich willig unterweisen ließen. Und einiges hatten er und die Jungen ja auch von Pooq gelernt.
Egede grübelte.
„Wenn man einen Eskimo fände, der ihn begleiten könnte?" Er sah seine Söhne an und fragte: „Hat er einen besonderen
Freund?"
„Pooq hat viele Freunde, er ist sehr beliebt, aber sein bester Freund ist bestimmt Qiperoq drüben auf den Koek-Inseln."
„Wenn ihr nun Pooq mal fragtet, ob er reisen würde, wenn Qiperoq mitkäme?"
„Qiperoq ist verheiratet, Vater, und er hat Kinder.
Er wird es wohl kaum tun. Aber er fährt ja auch sonst den ganzen Sommer über von seiner Familie weg auf Fang Wir versuchen es."
Sie hatten Glück. Qiperoq, eine stattliche Erscheinung, größer als .Pooq, schlanker und fast mit einem Norwegergesicht ausgestattet, das dem Poul Egedes etwas ähnelte, sagte - wenn auch zögernd - ja.
Die beiden Eskimos sonnten sich im Glanz ihres künftigen Rühmes und rüsteten zur weiten Reise, von ihren Familien und Sippen anfangs nur widerstrebend, doch schließlich bestens ausgestattet. Alles, was der Inuk auf Grönland braucht, der Fänger und Jäger, wurde ausgewählt, auch achteten- die Angehörigen darauf, daß beide Festgewänder mit auf die Reise bekamen, mit denen sie sich bei den Weißen sehen lassen konnten.
Jentoft sah und hörte es gern. Er wußte nicht, daß es zwischen Egede und seiner Frau ernste Gespräche gab.
„Es ist richtig, Hans", sagte Gjertrud Egede, „früher hat man Eskimos mit Gewalt und List aus ihrer Heimat entführt, um sie als Beweisstücke kühner Fahrten vorzuzeigen. Das haben unsere Eskimos ja nicht vergessen. Die armen Leute sind in der Ferne gestorben. So ist das ja bei Pooq und Qiperoq nicht - aber ich kann mir nicht helfen: ich werde ein ungutes Gefühl nicht los."
„Aber es ist doch nichts Schlechtes, wenn sie in Kopenhagen und Bergen sagen: ‚Kommt herauf und helft uns!' Denk an Paulus in Troas !"
„Du siehst es so. Nun, gebe Gott, daß dieses Abenteuer gut ausgeht Denn ein Abenteuer wird es für die beiden Ein Lob wird dir und Jentoft die Gesellschaft nicht vorenthalten können - die beiden sehen gut aus. Besser als mancher hier! Es sind wahrlich keine ‚Wilden', wie wir oft gedankenlos gesagt haben."
„Es ging ja nicht von uns aus, Frau! Pooq hat doch den Anfang gemacht, und Qiperoq, sein Freund, reist mit ihm. Wir werden die beiden mit unserer Fürbitte begleiten."
„Und Jentoft wird es mit seinen Berechnungen!"
„Meine Hoffnungen reichen weiter, Gjertrud. Die beiden werden unsere Kirchen sehen, unsere Städte und Häuser • - vielleicht den König und die Königin, was weiß man. Wenn sie als Freunde wiederkämen - als Eskimos, die gern Christen würden! Was wäre da für uns • gewonnen! Ihre Worte haben größeres Gewicht als meine Predigten."
„Da muß ich dir recht geben. 'Vielleicht würden wir dadurch mehr einheimische - Helfer • gewinnen; denn ohne sie wird es auf die Dauer nicht gehen. Nur darf sie ein anderer Jentoft, ein möglicher Nachfolger dieses nicht gerade königlichen Kaufmanns, nicht für seine Zwecke ausnutzen."
„Du kannst dich mit dem Kommerz nicht abfinden?"
„Nie, Hans. Doch ich habe einsehen müssen, daß er nicht zu entbehren ist."
Es war das erstemal, daß sie etwas in dieser Richtung sagte, und Egede war dankbar für ihre Einsicht.
Inzwischen war die Zeit gekommen, da man nach den Schiffen von Bergen Ausschau zu halten begann Es wardies, wenn es sich hinzog, ein die. Stimmung bedrückendes Warten. Bei den weniger Geduldigen und Starken in der Siedlung schlug es in Fluchen, Sarkasmus, Zügellosigkeit und Schwarzmalerei um - bis dann Kajakmänner aufgeregt schrien: „Umiaissuakut!" Und die des Dänisch-Norwegischen -etwas Kundigen-: „Ski-
-bene kominer -. die Schiffe kommen!" --
Das lästige Treib- und Packeis verzögerte in diesem Jahr die Ankunft der Schiffe, und Qiperoq sagte zu Pooq, dies sei wahrscheinlich ein Zeichen, daß man sich nicht auf die- weite Reise begeben solle. Doch Pooq redete ihm seine Bedenken aus. Um ehrlich zu sein: auch bei ihm ging es auf und ab, er