Saatkörner Februar 1954

01/12/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Wie eine Blinde sehend wurde


Wie meine Eltern mir erzählt haben, bin ich nicht blind von Geburt, sondern habe erst einige Tage nach meiner Geburt das Augenlicht verloren. Ich war sieben Jahre alt, als man mich nach Hannover brachte, üm tirt, wo im Jahre 1840 König Georg erblindete und operiert werden sollte, auch operiert zu werden. Der Professor, der die Operation vollziehen sollte, war aus Berlin; ihm wurde ich vorgestellt. Er nahm mich auf die Knie und bedauerte mich, dass ich so lange blind gewesen sei. Bald sollte ich wieder sehen können; er wolle mich glücklich machen, nur müsste ich nach Berlin kommen in seine Anstalt.
Meine Eltern, obwohl nicht bemittelt, brachten das Opfer und führen mit mir nach Berlin. Dort wurde ich bald operiert; doch als man mich nach einigen Tagen untersuchte, wurde meinen betrübten Eltern mitgeteilt, dass meine Blindheit unheilbar sei. Es war dies eine Mitteilung, die uns tief niederbeugte.
Mehrere Jahre nachher starben meine lieben Eltern, und so stand ich als blinde Waise allein in der Welt. Verwandte brachten mich nach Hannover in die Blindenanstalt. Dort schloss sich ein blinder Knabe von neun Jahren innig an mich. Wir teilten Leid und Freud miteinander wie Bruder und Schwester.

Eines Sonntags sprach der Prediger in der Anstalt sehr ernst über den Richterstuhl Jesu Christi, vor welchem alle einst erscheinen müssten (2. Kor. 5, 10). Mich hatte die Predigt nicht berührt. Anders aber war es mit meinem kleinen Freunde. Er kam nachher an meine Seite und sagte: «Liebe Gesina, wie ist mir so bange vor dem Richterstuhl! Wie wird's uns gehen, wenn wir einmal dahin kommen? 0, liebe Gesinü, ich bin ein böser Junge. Ich gehe verloren.

» In diesen und ähnlichen Worten klagte der Kleine noch lange vor mir, bis ich's müde und ärgerlich wurde. «Ach!» sagte ich, «nun hör' auf damit. Für uns Blinde ist das Gericht nicht schlimm. Wir können nicht viel böses tun. Und wenn wir arme Blinde auch noch in die Hölle kommen sollten, das wäre ungerecht. Nein, wir kommen in den Himmel.» - Dies schien meinen Freund zu beruhigen. Er schwieg und ging seines Weges.
Am andern Morgen aber schon kam der Knabe wieder und sagte: «Liebe Gesina, ich habe die Nacht nicht schlafen können vor Angst. Ich bin ein böser Junge und komme gewiss nicht in den Himmel. Sage mir, was ich anfangen soll. Mir ist so bange vor dem Gericht.»
Nun wurde ich zornig und stiess den Kleinen von mir weg. «Fort!» rief ich, «belästige mich nicht mehr mit deinem Kram, sonst sind wir Freunde gewesen!» Aber der Knabe liess nicht nach, er kam immer wieder und wollte wissen, was er anfangen müsse, um dereinst vor dem Richterstuhl Christi bestehen zu können.
Das ging so mehrere Tage weiter. Allmählich aber merkte ich, dass er ruhiger wurde, obwohl er immer noch viele Fragen hatte, die ich nicht beantworten konnte. Eines Morgens nun kam er voller Freude zu mir und sagte: €0, liebe Gesina, wie glücklich bin ich jetzt! Jetzt habe ich keine Furcht mehr. Du kennst doch den Spruch; «Also hat Gott die Welt gelidbt, dass Er Seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern ewiges Leben haben.» Verstehst du das?. Man geht nicht verloren, man hat ewiges Leben, wenn man an den Herrn Jesus glaubt. Ich glaube an Ihn. Darum gehe ich nicht verloren. Nun ist mir nicht mehr Angst vor dem Richterstuhl. Der Herr Jesus hat sich für mich strafen lassen. 0, wie glücklich bin ich! Gesina, bist du nicht auch glücklich? Glaube doch auch all den Herrn Jesus, der rettet dich, und dann bist du auch glücklich.»

So war ich neunzehn Jahre alt geworden, ohne einmal ernstlich um das Heil meiner Seele bekümmert gewesen zu sein. Aber das wurde jetzt anders. Ich musste von da ab viel an die Ewigkeit denken und an meine Begegnung mit Gott. Niemand hatte mich je persönlich auf die Notwendigkeit der Errettung meiner Seele hingewiesen; aber Gott hatte sich meines kleinen Freundes dazu bedient, mich aus meiner Gleichgültigkeit und aus meinem Todesschlaf aufzuwecken. Nun gingmir's wie zuvor ihm, ich musste mir sagen, dass ich nicht im Gericht bestehen könne. 

Der Gedanke an den Richterstuhl war mir jetzt furchtbar. Ich betete zu Gott, fasste gute Vorsätze, aber meine Not wurde nur grösser. Je länger ich mein Leben betrachtete, desto unglücklicher wurde ich. Ich strengte mich an, «b e s s e r z u wer d e n», indem ich das offenbar Böse vermied. Aber dabei hin noch immer keine Ruhe und kein Frieden in meine Seele. Ich weinte oft ganze Nächte lang und sagte alle Gebete her; die ich daheim oder in der Anstalt gelernt hatte. Und ;in meiner Not wandte ich mich bald an diesen, bald an jenen in der Anstalt, aber sie waren alle schlechte Berater. 

Der eine sagte mir: «Man muss tun was San kann und das ist genug», und der andere lachte mich aus. Mein kleiner Freund aber war nicht mehr in der Anstalt; er war bald, nachdem er den Herrn Jesum als seinen Heiland erkannt hatte, heimgeholt worden. Ach, wie sehr fehlte er mir jetzt!
«Ach!» seufzte ich oft, «dass ich doch sehen und lesen könnte!» Denn, dass die Bibel Gottes Wort sei, hatte ich oft gehört. Und es war mir gesagt worden, dass man in den Himmel komme, wenn man tue, was darin geschrieben sei. Aber ich armes Mädchen war blind. Was sollte ich tun? 

Ja, je mehr ich mich anstrengte, um in meinem Herzen heilig zu werden und mir dadurch den Himmel zu verdienen, um so elender und erbärmlicher kam ich mir vor, sündhaft und verderbt. Zuletzt wurde ich überzeugt, dass ich den Himmel nicht verdiene, dass ich verloren gehen müsse. Doch hörte ich trotzdem nicht auf, zu ringen und zu kämpfen, wenn auch keine Aussicht zu sein schien, dass ich je selig werden
würde. -
In diesem uuglüskllchen Zustande verbrachte ich zehn lange Jahre. Da fiel meinem armen kampfesmüden Herzen eines Tages der kostbare Spruch aus -Gottes Wort ein:

«Also hat Gott die Welt geliebt, dass ErSeinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an Ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern ewiges Leben haben.» Es war derselbe Spruch, der einst meinem kleinen Freunde Ruhe und Frieden gebracht hatte. 0, wie wurde mir dieses herrliche Wort nun auf einmal so klar und kostbar. Also Gott lieb t e mich, die Unwürdige, die Verlorene! Er liebte mich, so wie ich war! Und was hatte Er für mich zu tun vermocht? 0, Er hatte Seinen eingeborenen Sohn für mich dahingegeben, um mich zu retten; ich sollte nicht verloren geben, sondern ewiges Leben haben. Ich Torin aber, hatte zehn Jahre lang gekämpft, um mich selbst zu retten. Kein Wunder, dass es nicht gelang. Wozu wäre der Sohn Gottes gestorben, wenn es für irgend jemand auf
- der Erde möglich wäre, sich selbst zu retten? Ich wollte mir den Himmel verdienen und- der Herr Jesus hatte mir ihn verdienen müssen und langst verdient. Er hatte meine Schuld auf sich genommen und am Kreuze bezahlt Er litt und starb -dort als der Gerechte für mich, die Ungerechte. Und durch den Glauben an Ihn, indem ich auf Ihn und auf Sein Werk mein ganzes Vertrauen setzte, sollte ich gerettet werden! Ja, und ich vertraute auf Ihn. Eine andere Hoffnung hatte ich ja nicht mehr. 

Auf Ihn, auf J h n allein,  musste ich mein Heil gründen, wenn ich gerettet werden sollte. Weil ich aber auf Ihn vertraute, konnte ich - nicht verloren gehen, sondern war gerettet und hatte Teil am Himmel. Dies machte Gott meinem Herzen klar.
0, welch ein Friede zog da ein in mein Herz! Es wallte über vor Freude und Glück mi Blick auf das unendliche Meer der Liebe Gottes für die verlorenen Menschenkinder' Ein Strom von Freudentränen floss über meine Wangen, und meine Seele nute Gott preisen und erheben, der Seinen eingeborenen Sohn dahingegeben und mich, die Sünderin,
errettet hatte-! -. - - -
Nach nicht langer Zeit verliess ich die Anstalt, indem Verwandte mich zu sich holten. Dort besuchte mich nach Jahren ein gläubiger Christ, der mir die freudige Mitteilung machte, dass- für blinde das Wort Gottes auf erhabener Schrift -gedruckt worden sei, so dass diese -es mit den Fingern lesen könnten. -

Einige Tage später schon schickte mir der Freund das Evangelium Johannes zu m Blindenschrift Ich druckte das Büchlein an mein Herz und küsste es vor Freude. Nachdem ich dann auf den Knieen um Seinen Beistand angerufen, dass ich lesen -lernen möchte, machte ich mich - mit Eifer ans Buchstabieren. Oft blieb ich nachts auf und las bis morgens 2-3 Uhr und länger noch und lernte. 0, wie glücklich war ich, als ich dann das 3 Kapitel im Evangelium Johannes lesen durfte und - den kostbaren Spruch fand:
«Also hat Gottdie Welt geliebt!» -
Jetzt besitze ich das ganze Neue Testament und das 1. Buch Mose und den Propheten Daniel in Blindenschrift. Kann ich nachts nicht schlafen, dann nehme ich mir das teure Gotteswort zur Hand und lese -- ohne dass ich erst Licht anzünden müsste - was Gott uns in Seinem ewigen Wort hat schreiben lassen. So hat Gott mir Licht geschenkt, das da leuchtet in's ewige Leben. Ja, ich bin es inne geworden: «Gott ist Licht» und «Gott ist Liebe». -

Wiedergeboren oder- nicht?
Missionar Wilkinson reiste, von einigen seiner bekehrten Hindus begleitet, in den Vierzigerjahren durch die wilden Gegenden Orissa's, einer ostindischen Provinz. Nachdem er lange durch eine Einöde gewandert war, in welcher mir Raubtiere und gefährliche Schlangenarten hausten, stiess er eines Tages zu seiner -grossen Freude - auf eine - englische - Militärstation und wurde vom kommandierenden Offizier freundlich in sein Zelt geführt und zum- Essen eingeladen. Als nun der Missionar im Laufe des Gesprächs seinen Gastwirt mit dem Zwecke sjner Reise bekannt -machte, sagte dieser: «Sie sind also desa1h den weiten Weg von England hergekommen, um die -Hindus zu bekehren?»-