Kapitel 1 Ursprünge (1826-1836)Dublin(1)

01/20/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Kapitel 1 Ursprünge (1826-1836)

Die Geschichte der Christenheit ist keine erquickliche Lektüre. Sie ist eine An­einanderreihung von Untreue und Verfall. Doch immer da, wo Gott neues Licht über alte Wahrheiten gab, finden wir ein befreiendes Wiederaufleben, eine Entfaltung der Gnade, einen neuen Beginn" durch alle Finsternis hindurch. 

So war es im er­sten Jahrhundert, so war es bei der Reformation, und so war es, als Gott zu Be­ginn des vorigen Jahrhunderts Seiner Kirche die ganze Paulinische Wahrheit zu­rückgab. Christlicher Abfall verfinstert, aber ein Betrachten der "Ursprünge" macht dankbar. 

Leider kennen nur sehr wenige Gläubige, die in der Christenheit einen Platz der Absonderung vom Bösen einnehmen, den historischen Ursprung die­ses Standpunkts ‑ und doch ist das sehr wichtig. Natürlich liegt dieser Ursprung im Neuen Testament; doch was seitdem jahrhundertelang unter einer dicken Staub­schicht verborgen war, wurde durch die Güte Gottes vor etwa 150 Jahren wieder ans Licht gebracht.

 Den Beginn davon müssen wir in Dublin (Irland) suchen, in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts, obwohl, wie wir sehen werden, auch an vielen anderen Orten gleichgesinnte Herzen gefunden wurden. Inmitten der allge­meinen Verweltlichung und des Verfalls, nicht allein

 in der anglikanischen Kir­che, sondern auch in den verschiedenen Freikirchen, fand Gott an verschiedenen Stellen in Dublin bereitwillige Gläubige, die den Zustand erkannten und nach ei­ner Grundlage suchten, auf der sie Brot brechen konnten. Es gab sicher vier sol­cher Kreise von Gläubigen in dieser Stadt, mit unterschiedlicher Überzeugung und geistlicher Reife; doch Gottes Gnade brachte sie alle zusammen.

I. DUBLIN

(1) Um das Jahr 1825 gab es in Dublin drei Freunde, die von Herzen demselben Herrn dienten und die ganze Woche über zusammen waren, aber da sie zu verschie­denen Denominationen gehörten, sonntags stets verschiedene Wege gingen. Nach und nach wurde ihnen klar, wie seltsam es war, daß sie, die eins waren in demselben Herrn, davon nicht öffentlich Zeugnis geben konnten, indem sie dasselbe Brot brachen. 

Aufgrund ihrer verschiedenen Auffassungen konnten sie auch nicht in eine und dieselbe Kirche zum Abendmahl gehen, so daß sie Ausschau hielten nach einer Gruppe, wo sie zusammen Brot brechen konnten, ohne dem Gewissen des anderen Gewalt anzutun. Aber jedesmal stießen sie auf eine Reihe von Bedingungen, die sie nicht alle drei unterschreiben konnten. 

Doch verlangten sie danach, so­wohl dem Wunsch des Herrn zu folgen ("Tut dies zu meinem Gedächtnis"), als auch ihre Einheit an Seinem Tisch auszudrücken. In aller Einfachheit begannen sie hiermit, noch ohne viel Einsicht, aber in der Kraft des Glaubens, und ohne auf andere zu warten. Einer dieser drei Freunde war John V. Parnell, der spätere be­kannte Lord Congleton.

Gott segnete den Glauben dieser Brüder, indem Er sofort andere hinzufügte. Zu­erst zwei Schwestern, sodann Bruder William i. Stokes. Letzterer verließ an ei­nem Sonntagmorgen sein Haus und traf Herrn Patterson, einen Prediger, der ihn nach dem üblichen Gruß fragte, wohin er gehe. "Wohin ich gehe?" sagte Stokes. „!Wie Sie sehen, gehe ich in die eine Richtung und Sie in die andere!" Patterson verstand die Empfindungen des anderen sofort und antwortete: "Oh, ist es so mit Ihnen bestellt? 

Kommen Sie mit, dann werde ich Ihnen etwas zeigen, was ganz nach Ihrem Sinn ist"' ‑ und brachte ihn zu der kleinen Gruppe von Brüdern und Schwe­stern. Einen sehr beständigen Charakter hatte diese Gruppe noch nicht, um so mehr, als Parnell nicht in Dublin wohnte.

 In den Jahren 1827 und 1828 hielt er sich jedoch lange Zeit in Dublin bei seinem Onkel auf und lernte während dieser Zeit J.G. Bellett kennen, von dem wir noch mehr hören werden. Als ein kleiner Kreis, zu dem Bellett und ein gewisser Francis Hutchinson gehörten, sich im No­vember 1829 zu versammeln begann, schloß sich Stokes ihnen schon bald an, und auch Parnell, wenn er in Dublin war (wie wir sogleich sehen werden).

(2) Parnell war später sehr befreundet mit Edward Cronin, um den sich bereits im Jahre 1826 eine zweite Gruppe von Freikirchlichen gebildet hatte. Cronin, ein bekehrter Katholik aus Cork (Süd‑Irland), kam in diesem Jahr aus gesundheitli­chen Gründen nach Dublin. Anfänglich wurde er als "Gast" in allen Freikirchen in Dublin zum Abendmahl zugelassen. 

Als man jedoch merkte, daß er sich als Student der Medizin in Dublin seßhaft gemacht hatte, bekam er zu hören, daß er in keiner dieser Kirchen mehr Brot brechen dürfe, es sei denn, daß er "offiziell Mitglied" in einer von ihnen würde. Das lehnte er entschieden ab, weil er einen klaren Be­griff davon hatte (wenn auch noch mit wenig Einsicht, wie er später selbst schrieb), daß die Versammlung Gottes eine ist und daß alle Gläubigen Glieder des einen Leibes sind. 

Weil er dadurch nicht mehr am Abendmahl teilnehmen konnte und zudem eine zunehmende Abneigung gegen den unbiblischen Ein‑Mann‑Dienst am Wort empfand, wurde er gar bald der Fleischlichkeit und Gesetzlosigkeit (Antincmia­nismus) beschuldigt. 

Das brachte den jungen Studenten in tiefe Seelenübungen und trennte ihn von vielen, die er im Herr, liebte. Um den Anschein des Bösen zu vermeiden, verbrachte er manchen Sonntagmorgen während des morgendlichen Gottes­dienstes unter einem Baum oder in einem Heuschober.

Doch der Herr schenkte einen Ausweg. Einer der freikirchlichen Prediger verur­teilte Cronin öffentlich von der Kanzel herab, aber das war der Anlaß für einen der "deacons" (niederer Geistlicher) dieser Kirche, Edward Wilson (Sekretär der Bibelgesellschaft), gegen diese Verurteilung Einspruch zu erheben und sich schließlich ebenfalls zurückzuziehen. In Wilsons Haus kamen die beiden Männer nun fortan zum Brotbrechen und zum Gebet zusammen. 

Der Herr segnete das, denn auch Cronins beide Kusinen, die Damen Drury, verließen dieselbe Kirche, eben­falls der Buchhändler Timms, und schlossen sich diesen beiden Brüdern an. Nach­dem Wilson nach England verzogen war (wo er jung starb), versammelten sich die übrigen im Hinterzimmer von Cronins Haus in der Lower Penbroke Street, wo sich ihnen andere anschlossen. 

Hier fand sie der bereits genannte Francis Hutchinson, der ihnen, weil sie zahlreich waren, sein großes Wohnzimmer am Fitzwilliam Squa­re zur Benutzung anbot (November 1829). So kamen sie in Kontakt mit zwei Brü­dern, die sich zwar noch viel in der englischen Kirche aufhielten, doch sehr den allgemeinen Zustand bedauerten und von Zeit zu Zeit die kleine Versammlung am Fitzwilliam Square besuchten. Diese Männer waren John G. Bellett und John N. Darby.

(3) John Gifford Bellett wurde am 19. Juli 1795 in Dublin geboren, verbrachte jedoch den größten Teil seiner Jugend in einem Landhaus außerhalb der Stadt. Er war das älteste Kind der Familie; zwischen ihm und seinem Bruder George (der später Pfarrer wurde) entstand eine bemerkenswert tiefe Zuneigung. Zusammen be­suchten sie die Elementarschule in Taunton und verbrachten die Ferien in Somer­set bei ihrer Großmutter, einer sehr gottesfürchtigen Frau. 

Auf der höheren Schule in Exeter zeichnete sich John besonders aus, ebenfalls am Trinity College in Dublin, wo er anscheinend mühelos die höchsten Auszeichnungen in den klassi­schen Sprachen erhielt. Sein Interesse für hohe Grade und interessante Gesell­schaften schwand jedoch zusehends" als Gott eine Umkehr in seinem Leben bewirk­te.

 In London setzte er sein Studium der Rechte fort und bekam darauf eine An­stellung in Dublin; er gab seine Stellung aber schon bald auf, um sich völlig dem Studium und Predigen des Wortes Gottes zu widmen. 

In diesen Jahren heiratete er Mary Drury; zu Beginn ihrer Ehe mußten sie viermal einen ernsten Schlag hin­nehmen, da es dem Herrn gefiel, viermal ein geliebtes Kind wegzunehmen. Vom Sterbebett seines 19‑jährigen Sohnes, der zur Gewißheit des Glaubens kam, hat Bellett eine ergreifende Niederschrift verfaßt.

In Dublin lernte Bellett im Jahre 1827 Anthony N. Groves kennen. Dieser hatte bereits 1816 (im Alter von 21 Jahren) eine blühende Zahnarztpraxis in Exeter, als in ihm der Wunsch aufkam, Missionar zu werden. Deshalb ließ er sich im Herbst 1826 am Trinity College in Dublin für das theologische Studium einschrei­ben. 

Er studierte jedoch zu Hause (sein Hauslehrer war der später bekanntgewor­dene Bruder Henry Craik) und fuhr nur zu den Quartalsexamina nach Dublin. Wäh­rend dieser Besuche logierte er bei Bellett und traf dort auch Darby. Groves un­terhielt lediglich lockere kirchliche Verbindungen und besuchte in Dublin gern evangelische Zusammenkünfte. 

Bei einem seiner periodischen Besuche in Dublin An­fang 1827 äußerte er gegenüber Bellett, daß es schriftgemäß wäre, jeden Sonntag Brot zu brechen; vor seiner Rückkehr nach Exeter scheinen sie tatsächlich zu ei­nigen das Abendmahl gefeiert zu haben. Im Sommer 1827 nahm Groves bereits Ab­schied vom Trinity College; Ostern 1828 hätte er seinen theologischen Grad er­werben sollen.

 Inzwischen kamen ihm jedoch Bedenken, ob es wohl nötig und schriftgemäß wäre, zuerst eine theologische Ordination zu erhalten, bevor er seine Missionsarbeit anfing. Der Herr entschied die Sache für ihn, denn zwei Tage, bevor er nach Dublin abreisen wollte, stahl ein Einbrecher das Geld, das er für die Reise bereitgelegt hatte. Erleichtert gab Groves seine Ordination auf. 

Ende 1828 machte er in Dublin einen Abschiedsbesuch. Dabei äußerte er ge­genüber Bellett, daß es nach den Gedanken Gottes wäre, in aller Einfachheit als Jünger zusammenzukommen, nicht auf angestellte Pfarrer zu warten, sondern darauf zu vertrauen, daß der Herr, was zur Auferbauung diene, mittels solcher Brüder geben würde, die Er aus ihrer eigenen Mitte gebrauchen wolle. Diese Worte mach­ten auf Bellett einen tiefen Eindruck, wie er später schrieb.

Am 12. Juni 1829 trat Groves mit seiner Familie seine Missionsreise von England in den Vorderen Orient an. Begleitet von dem bereits genannten Bruder John Par­nell, fuhren sie mit einem Schiff, das letzterer geliehen hatte, nach St. Pe­tersburg, von wo aus Parnell zurückkehrte, während Groves' Familie die entsa­gungsvolle Reise nach Bagdad machte. Einige Monate später begannen Bellett und sein Freund Hutchinson mit ziemlich regelmäßigen Zusammenkünften am Fitzwilliam Square, wie wir nun bereits mehrere Male gesehen haben.

(4) Bis hierher haben wir verschiedene Brüder kennengelernt, die alle zur Ein­sicht kamen, daß es nach den Gedanken des Herrn sei, einfach als Gläubige zusam­menzukommen und Brot zu brechen, außerhalb menschlicher kirchlicher Einrichtun­gen und Predigtämter. Doch war noch wenig oder kein Verständnis über die schriftgemäßen Grundsätze vorhanden, aufgrund derer Gläubige zusammenkommen müs­sen, nämlich die Einheit des Leibes Christi und die Absonderung vom Bösen. Hier­auf warf der Herr Licht durch den Dienst von J.N. Darby.

John Nelson Darby wurde am 18. November 1800 als Sohn eines wohlhabenden iri­schen Gutsbesitzers und Kaufmanns in Westminster (London) geboren. Mit fünfzehn Jahren begann er sein Studium am Trinity College in Dublin, wo er im Jahre 1819 seinen Grad in klassischen Sprachen erhielt. Nachdem er kurze Zeit als Rechtsan­walt gearbeitet hatte, gab er seine sehr verheißungsvolle Karriere auf, um Geistlicher zu werden. 1825 wurde er in der niedersten geistlichen Ordnung ("de­acon") der anglikanischen Kirche eingesetzt. 

1826 weihte Erzbischof Magee ihn zum Priester, und er wurde als Hilfsprediger in dem Dörfchen Calary in den Ber­gen der Grafschaft Wicklow angestellt. 1818 hatte er sich bekehrt, doch sieben Jahre verbrachte er in tiefen geistlichen Übungen, bis er zur Gewißheit des Glaubens kam und Frieden mit Gott fand. In Calary lebte er als Einsiedler in ei­nem Bauernhaus unter völliger Vernachlässigung seiner Kleidung und Verpflegung. Tag und Nacht verbrachte er mit seelsorgerischer Tätigkeit unter solch entsa­gungsvollen Umständen, daß seine röm.‑katholischen Gemeindeglieder ihn als einen alten, aus den Toten auferstandenen Heiligen betrachteten. 

Das Geld seines Va­ters gebrauchte er zum Bau von Schulen usw. In dieser Zeit kamen Hunderte von Katholiken in Irland zur Bekehrung und traten der anglikanischen Kirche bei. Als Magee von ihnen den Treueeid gegenüber dem englischen König (dem Haupt der Kir­che) forderte, bekam Darby seinen ersten öffentlichen Konflikt mit der Kirche wegen ihres irdischen und fleischlichen Charakters. Er schrieb hierüber 1826 ei­nen offenen Brief an den Erzbischof (seine erste Veröffentlichung), der jedoch nichts ausrichtete, sondern lediglich seine Bande zur Kirche weiter lockerte.

Im November 1827 fiel er vom Pferd und wurde deshalb nach Dublin gebracht ‑ wie wunderbar ist die Vorsehung des Herrn ‑, wo er bei seiner Schwester und seinem Schwager Pennefather in Fitzwilliam Street bis Anfang 1828 gepflegt wurde. Dort traf er zum erstenmal Francis W. Newman aus Oxford, den Bruder des späteren Kardinals Newman. 

Dieser F.W. Newman, der Hauslehrer bei den Pennefathers war, wurde tief von der Einfachheit und geistlichen Gesinnung Darbys beeindruckt. Wir werden später mehr von diesem Mann hören. Im Haus seines Schwagers wurde Darby natürlich auch von seinem treuen Freund Bellett besucht. Die beiden Männer waren einander während ihrer gemeinsamen Studien am Trinity College begegnet und hatten dabei eine echte Freundschaft fürs Leben geschlossen. Später besuchte Darby die Familie Bellett viele Male, manchmal Wochen hintereinander. Bellett pflegte zu sagen: "

Wenn ich ein Verdienst habe, dann das, daß ich früh erkannt habe, was in John Darby war. Er hatte ihn mehrere Male in Calary besucht, während Darby ihn bei seinen Besuchen in Dublin mit Francis Hutchinson bekanntgemacht hatte, einem treuen Bruder, der 1802 geboren war und bereits 1833 entschlief. Während der Genesungszeit Darbys in Dublin kamen vier Personen gleicher Gesinnung (Bellett, Hutchinson, Cronin und ein gewisser Brooke) bei ihm im Haus Pennefather zusammen, wo sie gemeinsam die Schrift studierten. 

Darby schlug vor, am folgenden Sonntag Brot zu brechen, und Hutchinson stellte dazu sein Haus zur Verfügung. So brachen diese vier Brüder am Sonntag Brot (Brooke war zurückgeschreckt und kam nicht).

Dies war sicherlich noch nicht der Beginn regelmäßiger Zusammenkünfte, wie es manchmal dargestellt wird. Darby kehrte vielmehr nach Calary zurück; dort legte er zwar 1828 sein Amt nieder (1829 schickten seine Pfarrkinder ihm einen liebenswürdigen Dankesbrief, der sich augenblicklich in meinem Besitz befindet), begann aber, immer noch als Geistlicher, umherzuziehen und zu predigen.

 1828 veröffentlichte er seinen bekannten Artikel "Gedanken über das Wesen und die Einheit der Kirche Christi", worin er seine in der Schrift gefundenen Ansichten über die Versammlung zum Ausdruck brachte. Es dauerte jedoch bis 1833, bevor er alle Bindungen zur englischen Kirche endgültig abbrach. Das war bestimmt keine leichtfertige Tat, sondern das Ergebnis eines umfangreichen Schriftstudiums und vieler innerer Übungen im Licht Gottes. Auch Bellett zögerte lange, bevor er sich völlig von jedem menschlichen System löste. 

Im Sommer 1829 war er mit sei­ner Familie außerhalb der Stadt und besuchte die schottische Kirche. Als er je­doch nach Dublin zurückkehrte, fand er, Hutchinson, der ebenfalls eine Reihe von Kirchen besucht hatte, völlig bereit, fortan im Namen des Herrn mit allen denen Gemeinschaft zu üben, die Ihn in Aufrichtigkeit liebten. Dieser schlug vor, zu diesem Zweck ein Zimmer seines Hauses zu benutzen, und so wurde schließlich im November 1829 mit regelmäßigen Zusammenkünften begonnen. 

Die Anfangszeiten wur­den jedoch so gewählt, daß jeder, der es wollte, auch Gelegenheit hatte, den kirchlichen Gottesdiensten beizuwohnen. Auch wurde für jede Zusammenkunft eine Art Gottesdienstordnung festgesetzt. Den festen Kern dieser "Versammlung" bilde­ten Hutchinson, Cronin, Stokes und einige Schwestern. Wenn sie in Dublin waren, besuchten auch Parnell, Bellett und Darby die Zusammenkünfte, aber, wie gesagt, die beiden letzteren noch mit einer gewissen Zurückhaltung und vorläufig, ohne ihre Bindung an die Kirche völlig aufzugeben. So gab es zwar einen Anfang, aber mit noch wenig Licht und viel Schwachheit.

(5) Trotz menschlicher Schwachheit gab der Herr Segen. Allmählich schlossen sich weitere Gläubige dieser kleinen Gruppe an. Da auch sehr einfache Brüder beitra­ten, war das vornehme Herrenhaus Hutchinsons als Versammlungsort weniger geeig­net. Einige meinten auch, daß der Tisch des Herrn ein mehr öffentliches Zeugnis sein müßte. Deshalb kam Bruder Parnell mit dem Vorschlag, in einen öffentlichen Raum umzuziehen; er mietete zu diesem Zweck ein großes Versteigerungslokal in Aungier Street, das einem Tischler gehörte. 

Im Mai 1830 begannen die Brüder sich dort zu versammeln. Für Bellett und Hutchinson kam dieser Schritt in die Öffent­lichkeit noch etwas zu überraschend, so daß ersterer einige Sonntage fernblieb, bevor er sich wieder den anderen anzuschließen wagte. Darby war bei dem Umzug abwesend, besuchte aber später die dortigen Zusammenkünfte. Unterdessen blieb die Anzahl der Gläubigen, die sich dort versammelten, gering; noch im Jahre 1834 hatte J.B. Stoney Hemningen, sich diesen "unscheinbar wenigen'* in der Aungier Street anzuschließen. 

Doch das Zusammengehörigkeitsgefühl war groß; bereits am Samstagabend begann die Gemeinschaft, wenn verschiedene Brüder (Cronin, Parnell, Stokes u.a.) das Mobiliar zur Seite schoben und den einfachen Tisch mit Brot und Wein deckten. Cronin beschreibt, wie sie zu Beginn dieser gottgemäßen Bewegung das Wohlgefallen und die Zustimmung des Meisters erfuhren.

Im Lauf des Jahres 1830 hatten einige Brüder den Wunsch, sich A.N. Groves in Bagdad anzuschließen. Bruder G.V. Wigram aus England sagte das anfänglich eben­falls zu, und deshalb kam er nach Dublin. Im Septeniber 1830 reiste schließlich eine Gruppe ab, bestehend aus E. Cronin, J. Parnell, F.W. Newman (der sich von Oxford aus ihnen anschloß) und einigen anderen. Was in Aungier Street zurück­blieb, war nach Belletts eigener Aussage ärmlich.

 Es gab einige Fälle ernsthaf­ten Abweichens, und es war nur wenig geistliche Energie vorhanden, aber sie blieben in der Gnade und Fürsorge des Herrn beisammen und wuchsen in der Er­kenntnis Seiner Gedanken. Sowohl die festgesetzte "Gottesdienstordnung" als auch die sogenannten "Ältesten" verschwanden allmählich in dem Maß, wie der Herr mehr Licht gab. Dieses konsequente Handeln entsprechend der zunehmenden Einsicht in die Gedanken Gottes wurde belohnt, indem schließlich viele beitraten.

II. Oxford (2)

01/20/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

II. OXFORD

(1) wir erinnern uns, daß Darby, als er im Winter 1827/28 krank im Haus seines Schwagers lag, Francis W. Newman begegnete, der tief von ihm beeindruckt war. Dieser Newman war Ende 1828 nach Oxford zurückgekehrt und war dort Mitglied des Lehrkörpers am Balliol College. Er wurde Privatlehrer eines gewissen Benjamin W. Newton, eines früheren jüngeren Freundes, mit dem er sich auch während seines Aufenthalts in Dublin in ständigem Briefwechsel befand und dem er bereits über Darby geschrieben hatte, vor allem über dessen prophetische Ansichten. 

Newton war außergewöhnlich begabt und bereits mit 19 Jahren (1826) Mitglied des Exeter College geworden. 1827 kam er zur Bekehrung und spielte seitdem eine Hauptrolle in einem Kreis evangelischer Christen in Oxford. Seine Bekehrung bedeutete für ihn nämlich auch eine strikte Bejahung extremer calvinistischer Dogmen, weshalb er und sein Kreis von der Staatskirche mit Argwohn beobachtet wurden. Der Mit­telpunkt dieses Kreises war Pfarrer H.B. Bulteel von der St. Ebbe's Kirche in Oxford. Der Besuch dieser Kirche wurde sogar von behördlicher Seite verboten.

Bulteel machte Newton mit einem anderen jungen Mann bekannt, der, ebenso wie Newton, eine große Rolle in der Geschichte der "Brüder" spielen sollte. Das war George V. Wigram, das zwanzigste Kind eines wohlhabenden Geschäftsmanns in Ion­don. Er war für die militärische LaußDahn bestimmt, kam aber 1824 (mit 19 Jah­ren) zu einer geistlichen Umkehr, gab die Armee auf und begann ein theologisches Studium am Queen's College. Auch er schloß sich diesem Kreis an.

 Als Newman aus Dublin zurückkehrte, wußte er die Gruppe für die prophetischen Gedanken zu be­geistern, die er bei Darby kennengelernt hatte, und so wurde in den Räumen Newtons eine Reihe von Zusammenkünften über dieses Thema gehalten. Im Februar 1829 führte Newton den jungen Pfarrer von Plymstock, James L. Harris, der vor­übergehend in Oxford zu Besuch war, in den Kreis ein. Durch das Studium der Schrift kam Harris während dieses Besuchs zur vollen Erkenntnis der Gnade Got­tes; später sollte er eine führende Rolle in der Versannlung von Plymouth spie­len.

(2) Im Scmmer 1830 konnte Newman Darby dazu bewegen, nach Oxford zu kommen. Er war dort Gast von Dr. Hill, der ebenfalls zu diesem Kreis zählte. Unverzüglich lud Newman seinen Schüler Newton zu einer Begegnung mit Darby in seinem Haus ein. Newton kam ziemlich widerstrebend. Bevor jedoch der Abend vorbei war, hatte er seine Haltung aufgrund der Schriftauslegung Darbys völlig geändert. Er lud ihn in sein eigenes Zimmer ein, wo Darby ihn durch seine Auffassung beruhigte, das Gnadenangebot sei allgemein, die Versöhnung sei dies nicht. Auch auf andere junge Männer machte Darby einen tiefen Eindruck; durch seine Menschenkenntnis und Sanftmt wurde er sehr bald eine Art Beichtvater für einige von ihnen. Er lernte Wigram kennen, was zu einer echten Freundschaft für das ganze Leben füh­ren sollte.

Darbys erster Besuch war nur von kurzer Dauer. In demselben Jahr 1830 hielt er sich einige zeit bei seinem Vater in Westminster auf und machte auf Newtons Bit­te hin auch einen Besuch in Schottland (wie auch Wigram), um die besonderen Geistesoffenbarungen der Irvingianer zu untersuchen. Sein Urteil war negativ. Auch in Irland reiste er einige Monate umher, während er in demselben Jahr sogar Paris besuchte, wo er die Arbeit von F.P. Monod unterstützte. 

Danach besuchte er Oxford erneut, gerade als der widerstand gegen den evangelischen Kreis Bulteels zum Ausbruch kam. Am 6. Februar 1831 war Bulteel nämlich an der Reihe, die Pre­digt im Universitätsgottesdienst zu halten. Dabei verteidigte er den Calvinismus leidenschaftlich gegenüber der englischen Staatskirche, die er scharf verurteil­te. Newton, mit dem er die Predigt zuvor durchgesprochen hatte, nannte diesen Tag den Wendepunkt seines Lebensl Professor Burton griff die Predigt Bulteels in einer Broschüre heftig an, doch seine Argumente wurden von Darby, der gerade an­wesend war, glühend widerlegt. Diese Veröffentlichung (die Newton übrigens sehr enttäuschte) wurde sehr bekannt;

 Darby traf sogar W.E. Gladstone, den späteren Premier von England, der sich jedoch wieder abwandte. Später berichtete Darby, daß seine Broschüre gegen Burton das einzige Schriftstück gewesen sei, an dem er jemals etwas Geld verdient habe. Die ganze Affäre vergrößerte den allgemeinen Widerwillen gegen die Staatskirche und trug dazu bei, daß viele sich von ihr trennten. Bulteels Entwicklung verlief schon bald negativ (er verfiel dem Ir­vingianisnus und verwarf sogar seinen feurig verteidigten Calvinismus), doch Newton, erschüttert durch die Ereignisse, sah von einer Ordinierung ab, verließ Oxford endgültig und ließ sich in seiner Geburtsstadt Plymuth nieder, wo er be­reits Anfang 1831 Brot brach. Vor den Ereignissen um Bulteel war ein anderer Hauptrollenspieler, Newman, bereits mit Cronin und Parnell nach Bagdad abgereist (September 1830), wie wir gesehen haben.

In Oxford entstand noch keine Versammlung (obwohl Wigram dort bereits 1830 mit einigen Brot gebrochen hatte); aber doch war es der wichtige Begegnungsort von vier bedeutungsvollen Männern, die für den Augenblick herzliche Freunde geworden waren. Leider ‑ die Freundschaft von zweien (Darby und Wigram) sollte bestehen bleiben, doch die beiden anderen (Newman und Newton) sollten ihre erbittertsten Feinde werden, weil sie, jeder auf verschiedene Weise, die Wahrheit leugneten und schlecht machten. Newman wurde einer der ärgsten Gottesleugner des vorigen Jahrhunderts ...