II. Oxford (2)

01/20/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

II. OXFORD

(1) wir erinnern uns, daß Darby, als er im Winter 1827/28 krank im Haus seines Schwagers lag, Francis W. Newman begegnete, der tief von ihm beeindruckt war. Dieser Newman war Ende 1828 nach Oxford zurückgekehrt und war dort Mitglied des Lehrkörpers am Balliol College. Er wurde Privatlehrer eines gewissen Benjamin W. Newton, eines früheren jüngeren Freundes, mit dem er sich auch während seines Aufenthalts in Dublin in ständigem Briefwechsel befand und dem er bereits über Darby geschrieben hatte, vor allem über dessen prophetische Ansichten. 

Newton war außergewöhnlich begabt und bereits mit 19 Jahren (1826) Mitglied des Exeter College geworden. 1827 kam er zur Bekehrung und spielte seitdem eine Hauptrolle in einem Kreis evangelischer Christen in Oxford. Seine Bekehrung bedeutete für ihn nämlich auch eine strikte Bejahung extremer calvinistischer Dogmen, weshalb er und sein Kreis von der Staatskirche mit Argwohn beobachtet wurden. Der Mit­telpunkt dieses Kreises war Pfarrer H.B. Bulteel von der St. Ebbe's Kirche in Oxford. Der Besuch dieser Kirche wurde sogar von behördlicher Seite verboten.

Bulteel machte Newton mit einem anderen jungen Mann bekannt, der, ebenso wie Newton, eine große Rolle in der Geschichte der "Brüder" spielen sollte. Das war George V. Wigram, das zwanzigste Kind eines wohlhabenden Geschäftsmanns in Ion­don. Er war für die militärische LaußDahn bestimmt, kam aber 1824 (mit 19 Jah­ren) zu einer geistlichen Umkehr, gab die Armee auf und begann ein theologisches Studium am Queen's College. Auch er schloß sich diesem Kreis an.

 Als Newman aus Dublin zurückkehrte, wußte er die Gruppe für die prophetischen Gedanken zu be­geistern, die er bei Darby kennengelernt hatte, und so wurde in den Räumen Newtons eine Reihe von Zusammenkünften über dieses Thema gehalten. Im Februar 1829 führte Newton den jungen Pfarrer von Plymstock, James L. Harris, der vor­übergehend in Oxford zu Besuch war, in den Kreis ein. Durch das Studium der Schrift kam Harris während dieses Besuchs zur vollen Erkenntnis der Gnade Got­tes; später sollte er eine führende Rolle in der Versannlung von Plymouth spie­len.

(2) Im Scmmer 1830 konnte Newman Darby dazu bewegen, nach Oxford zu kommen. Er war dort Gast von Dr. Hill, der ebenfalls zu diesem Kreis zählte. Unverzüglich lud Newman seinen Schüler Newton zu einer Begegnung mit Darby in seinem Haus ein. Newton kam ziemlich widerstrebend. Bevor jedoch der Abend vorbei war, hatte er seine Haltung aufgrund der Schriftauslegung Darbys völlig geändert. Er lud ihn in sein eigenes Zimmer ein, wo Darby ihn durch seine Auffassung beruhigte, das Gnadenangebot sei allgemein, die Versöhnung sei dies nicht. Auch auf andere junge Männer machte Darby einen tiefen Eindruck; durch seine Menschenkenntnis und Sanftmt wurde er sehr bald eine Art Beichtvater für einige von ihnen. Er lernte Wigram kennen, was zu einer echten Freundschaft für das ganze Leben füh­ren sollte.

Darbys erster Besuch war nur von kurzer Dauer. In demselben Jahr 1830 hielt er sich einige zeit bei seinem Vater in Westminster auf und machte auf Newtons Bit­te hin auch einen Besuch in Schottland (wie auch Wigram), um die besonderen Geistesoffenbarungen der Irvingianer zu untersuchen. Sein Urteil war negativ. Auch in Irland reiste er einige Monate umher, während er in demselben Jahr sogar Paris besuchte, wo er die Arbeit von F.P. Monod unterstützte. 

Danach besuchte er Oxford erneut, gerade als der widerstand gegen den evangelischen Kreis Bulteels zum Ausbruch kam. Am 6. Februar 1831 war Bulteel nämlich an der Reihe, die Pre­digt im Universitätsgottesdienst zu halten. Dabei verteidigte er den Calvinismus leidenschaftlich gegenüber der englischen Staatskirche, die er scharf verurteil­te. Newton, mit dem er die Predigt zuvor durchgesprochen hatte, nannte diesen Tag den Wendepunkt seines Lebensl Professor Burton griff die Predigt Bulteels in einer Broschüre heftig an, doch seine Argumente wurden von Darby, der gerade an­wesend war, glühend widerlegt. Diese Veröffentlichung (die Newton übrigens sehr enttäuschte) wurde sehr bekannt;

 Darby traf sogar W.E. Gladstone, den späteren Premier von England, der sich jedoch wieder abwandte. Später berichtete Darby, daß seine Broschüre gegen Burton das einzige Schriftstück gewesen sei, an dem er jemals etwas Geld verdient habe. Die ganze Affäre vergrößerte den allgemeinen Widerwillen gegen die Staatskirche und trug dazu bei, daß viele sich von ihr trennten. Bulteels Entwicklung verlief schon bald negativ (er verfiel dem Ir­vingianisnus und verwarf sogar seinen feurig verteidigten Calvinismus), doch Newton, erschüttert durch die Ereignisse, sah von einer Ordinierung ab, verließ Oxford endgültig und ließ sich in seiner Geburtsstadt Plymuth nieder, wo er be­reits Anfang 1831 Brot brach. Vor den Ereignissen um Bulteel war ein anderer Hauptrollenspieler, Newman, bereits mit Cronin und Parnell nach Bagdad abgereist (September 1830), wie wir gesehen haben.

In Oxford entstand noch keine Versammlung (obwohl Wigram dort bereits 1830 mit einigen Brot gebrochen hatte); aber doch war es der wichtige Begegnungsort von vier bedeutungsvollen Männern, die für den Augenblick herzliche Freunde geworden waren. Leider ‑ die Freundschaft von zweien (Darby und Wigram) sollte bestehen bleiben, doch die beiden anderen (Newman und Newton) sollten ihre erbittertsten Feinde werden, weil sie, jeder auf verschiedene Weise, die Wahrheit leugneten und schlecht machten. Newman wurde einer der ärgsten Gottesleugner des vorigen Jahrhunderts ...

III. Plymouth (3)

01/20/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

III. PLYMOUTH

(1) Nicht Oxford, sondern Plymouth sollte in England der Beginn dieser großen Bewegung werden, die der Herr überall auf der Erde entstehen lassen wollte. Newton und Wigram hatten sich beide in Plymouth niedergelassen. Dort lernten sie einen bemerkenswerten Mann von 27 Jahren kennen, Percy F. Hall, Sohn eines Pro­fessors der Theologie und selbst Kapitän der Küstenwache in Plymouth. 

Dieser hatte seine Stellung als marineoffizier aufgegeben, seine Besitzungen verkauft und führte ein sehr schlichtes Leben. Mit Newton besuchte er in dem Boot der Kü­stenwache verschiedene Orte, wo Hall in den Häusern predigte und Newton die Ge­bete las. Durch diese Predigten wurden sehr viele angezogen. Im Lauf des Jahres 1831 lud Newton Darby ein, nach Plyniouth zu kommen, vor allem, um dort in den Kirchen zu predigen. 

Darby kam und logierte in Plymstock bei dem bekanntgeworde­nen Bruder Richard Hill, der bereits früher Brot gebrochen hatte. Das große Werk, das sich bald ausbreitete, war für Wigram, einen sehr vermögenden Mann, der Anlaß, eine ungenutzte Kapelle zu übernehmen, die sogenannte Vorsehungskapelle (deshalb wurden sie in der Stadt "Vorsehungsmenschen" genannt). Dort wurden fortan jeden Montagabend Vorträge gehalten (im besonderen über die Prophetie), denen auch viele Geistliche beiwohnten. 

Viele andere Geistliche widersetzten sich jedoch dieser neuen Bewegung heftig und verbreiteten allerlei Lügen darüber. Schon bald begann man, wahrscheinlich am Ende der Erbauungszusanuenkünfte, Brot zu brechen. Nach einigen Monaten, während eines Besuchs von Darby, schlug Wigram vor, am Sonntagabend in der Sakristei mit einigen Brot zu brechen. Bereits eine Woche später wurde dies (gegen den Willen von Darby und Newton) in die Kapelle selbst, und zwar auf den Sonntagmorgen, verlegt.

So entstand 1832 in Plymuth die erste "Versammlung" in England. Viele Gläubige verkauften ihre Juwelen zugunsten der Armen und entledigten sich weltlicher Bücher, Kleidung und Hobel, ohne daß jemand sie dazu aufforderte. Das einzige Motiv war das innige Verlangen, sich für den Herrn abzusondern von allem, was zu Ihm in Gegensatz stand, und Sein Kcmmen zu erwarten. 

Die Brüder waren beständig beieinander; nach einem Privatleben war kein Verlangen. Newton hatte neben seiner Familie beständig etwa sieben oder acht Personen zu Tisch, sogar während einer ernsten Krankheit. Das war 1836 und führte dazu, daß Harris und Soltau (siehe unten) seine seelsorgerische Arbeit übernahmen, so daß Newton sich auf das Schreiben und Predigen beschränken konnte.

(2) Kurz nach dem Beginn im Jahre 1832 entstand durch Wigram auch ein Zeugnis in London. Er verbrachte allerdings die meiste Zeit in Plymuth. Darby selbst blieb nur kurze Zeit in der Stadt, doch die Ereignisse dort hatten einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht. "Plymouth", so schrieb er im April 1832 aus Dublin, "hat das Bild des Christentums für mich verändert, dadurch daß ich Brüder fandl die einträchtig zusaimen handelten. "

Wiederholt schrieb er 1832 Briefe an und über die Brüder in Plymuth, aus denen seine warme Zuneigung und besondere Fürsorge für das junge Zeugnis an diesem Ort hervorgeht, das zahlenmäßig schnell zunahm. In diesem Jahr gab auch der, bereits genannte begabte J.L. Harris (39 Jahre und damit ältester Bruderl) sein Pfarramt auf und schloß sich den "Brüdern" an. 

Zwei andere fähige männer folgten, der 26‑jährige Pfarrer HenrY Borlase (der jedoch schon 1835 starb) und 1835 Samuel P. Tregelles, ein angeheirateter Vetter Newtons, der später ein gelehrter Textkritiker wurde. In dieser Zeit waren dort ungefähr achtzig in Gemeinschaft, doch einige Jahre später waren es bereits vie­le Hunderte. 

In Plymuth erschien auch die erste Zeitschrift der Brüder, Der Christliche Zeuge, begonnen 1834 von Borlase und nach dessen Tod von Harris fortgesetzt. Da in Plymuth das Zeugnis in England begann, sich vor allem von dort ausbreitete und in Plymuth auch die meisten Druckschriften erschienen (1838 wurde ein Verlag gegründet, u.a. von dem bekanntgewordenen Bruder Henry W. .Soltau), wurden die Brüder allmählich überall "Plymouth‑Brüder" genannt, und das ist in den englischsprechenden Ländern bis heute der Fall.

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