II. London (8)

01/20/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

II. LONDON

(1) Wir haben gesehen, daß schon zu Beginn der dreißiger Jahre, vor allem durch den Dienst von Bruder G.V. Wigram, in London ein Zeugnis entstand. 1833 muß es eine Versammlung in einem Privathaus in der Nähe des Regent Square gegeben ha­ben. Einige Jahre danach kam diese Versammlung in einem Raum in der Rawstorne Street, in Camden Town, zusammen. 1838 gab es bereits eine beachtliche Anzahl Versammlungen in London; zudem ereignete sich in diesem Jahr einiges in dieser Stadt, das von wesentlicher Bedeutung für die Geschichte der Versammlungen war.

Einmal war das der Beitritt von Bruder William H. Dorman (36 Jahre). Er war der kongregationalistische Prediger der Union Chapel (Einheitskapelle) in Islington (London), der aber ungefähr ab 1835 durch ernstes Studium des Wortes Gottes Gedanken entwickelt hatte, die er bei den "Brüdern" wiederfand. 1838 ließ er bei ihnen eine Broschüre drucken mit dem Titel "Grundsätze der Wahrheit über den gegenwärtigen Zustand der Kirche, oder vielmehr: Gründe für den Austritt aus der Unabhängigen oder Kongregationalistischen Körperschaft und aus der Islington Kapelle". 

Darin schrieb er an seine Gemeinde unter anderem: "Das Priesteramt der Gläubigen, die unschriftgemäße Unterscheidung zwischen Geistlichen und Laien, Freiheit des Dienstes, der einfache Grundsatz der Gemeinschaft der Heiligen, das Unschriftgemäße der Kirchenbankmieten, die Vielfalt von Ältesten sind keine neuen Lehrsätze in der Islington Kapelle; und viele von euch können mit mir bezeugen, welche Versuche ich unterncnmn habe, um die Dinge unter euch nach dieser Ordnung zu verwirklichen. "

Bei allen diesen Versuchen war jedoch nichts herausgekommen, und mehrere Male war er mit dem Kirchenvorstand zusaiwengestoßen. Alles äußerliche Beiwerk in der Kirche ärgerte ihn immer mehr, und vor allem die grobe und erniedrigende Art, in der die Armen von den Reichen getrennt wurden, war ihm ein Greuel. Als er einmal in einer kongregationalistischen Kapelle in Bristol predigte, lehnte er es ab, den Talar zu tragen und die Kanzel zu betreten, und sprach feurig Über 1. Korinther 2,14. Die Folge war ein bestürzter Brief von Bristol nach Islington, so daß man Donran bei seiner Rückkehr die Kanzel verbot. Daraufhin legte er sein Predigtamt nieder und schloß sich den "Brüdern" an. 

Diese Tatsache war um so bemerkenswerter, als er der einzige nonkonformistische9 Prediger von einiger Bedeutung war, der diesen Schritt tat. Er war ein großer Gewinn für die jungen Versammlungen in London. Später arbeitete er in Reading, wo er das Mittel wurde, durch das der bekannte Bruder C.E. Stuart die Staatskirche verließ und sich den "Brüdern" anschloß. Viele Jahre war Dorman eng mit Darby verbunden, bis 1866 ein unglücklicher Streit dem ein Ende machte, wie wir sehen werden.

(2) In demselben Jahr (1838) fand ein zweites bedeutsames Ereignis statt, nämlich die Bildung eines Zeugnisses in Tottenham (Nord‑London) durch die Arbeit von John E. Howard (31 Jahre) und seinem Bruder Robert. Beide waren Teilhaber der chemischen Fabrik Howard & Söhne, zusammen mit ihrem Vater Luke, dem namhaften Meteorologen. 1835 hatte John, auferzogen unter den Quäkern, Frieden mit Gott gefunden; im folgenden Jahr wurden er und seine Frau getauft; er brach die Verbindung zu den Quäkern ab und begann, überall das Evangelium zu verkündigen. 1838 wurde in einem kleinen Raum mit dem Brotbrechen begonnen, und in darauffolgenden Jahr baute John ein Wkal in der Brook Street; auch sein Vater schloß sich ihnen dort an. 1842 waren bereits 88 in Gemeinschaft. In späterer Zeit gehörte auch i. Hudson Taylor, kurz bevor er nach China abreiste, zu dieser Versamlung.

John E. Howard wurde ein eifriger und allenthalben bekannter Evangelist. Vor allem zu Beginn schrieb er viel gegen die Quäker. Begabt, wie er war.. wurde er außerdem bekannt durch naturwissenschaftliche Leistungen, vor allem durch Arbeiten über das Chinin. Er wurde Mitglied der berühmten Royal Society wie auch der Linnaean Society; doch was noch wichtiger war: er arbeitete aktiv gegen allerlei naturwissenschaftliche Philosophien seiner Zeit und gab u.a. eine Serie von Vorträgen heraus über "Schrift und Wissenschaft", worin er zeigte, daß es keinen Konflikt zwischen der Natur und der Bibel gibt und geben kann.

(3) Ein drittes Ereignis im Jahre 1838 übertraf die vorigen noch an Bedeutung. In diesem Jahr schrieb Bruder Wigram einen Brief an Darby, in dem er die Frage stellte: "Wie sollten Zusanwenkünfte zur Gemeinschaft der Heiligen in dieser Gegend geregelt werden? Wäre es zur Ehre des Herr, und zur Förderung des Zeugnisses, eine zentrale Zusaramnkunft zu haben, in der die gemeinschaftliche Verantwortung aller, die in der betreffenden Gegend wohnen, zum Ausdruck kommt, und soviele Versammlungen den dort getroffenen Entscheidungen zu unterwerfen, wie es die Gnade erlaubt ‑ oder ist es als besser zu betrachten, die Versamlungen frei aufwachsen zu lassen ohne gegenseitige Bindung und lediglich abhängig von der Energie einzelner Personen?

Das war in der Tat eine wichtige Frage, die auch mehrere Male eine entscheidende Rolle in der Geschichte der "Brüder" spielen sollte. Sollten die Versanmlungen völlig unabhängig voneinander wachsen und handeln, und wenn nicht, wie weit durfte die gegenseitige Abhängigkeit gehen? Dabei war die Situation in London ein besonderer Fall, weil vieles dafür sprach, London als einen Ort anzusehen, so daß dann dort, entsprechend der Schrift, lediglich von einer Versanndung gesprochen werden konnte. 

Deshalb sollten die Versammlungen in London gegenseitig eine besondere Verbindung pflegen, die dann auch ab 1838 durch eine zentrale "Samßtagszusanmnkunft" ausgedrückt wurde. Darby schrieb über diese wöchentliche Zusammenkunft, daß sie "aus Brüdern von verschiedenen Versannlungen besteht, deren Mitteilungen zur gegenseitigen Auferbauung ‑ falls kein weiterer Dienst vorhanden ist ‑ dazu beitragen, die Einheit des Handelns in den Versamlungen (die zahlreich sind) in und um London herum aufrecht zu erhalten. Während dieser Zusammnkunft können Zuchtfälle genannt werden und ebenso Personen, die in Gemeinschaft aufgenommn werden möchten, damit sie bekannt sind; und die Brüder können sich in allen aufkommenden Fragen besprechen. "' 1

Unter den Versamlungen in London nahm die in Rawstorne Street eine führende Stellung ein. Ihr Einfluß wurde noch vergrößert, als John V. Parnell 1842 aus Teignmouth nach Islington übersiedelte, um die Nachfolge seines verstorbenen Vaters als Lord Congleton anzutreten. Als Darby im August 1843 London besuchte, freute er sich (wie er in einem Brief schreibt), über das Wachstum der Brüder und ihre geistliche Gesinnung (es fiel ihm auf, daß die Brüder viel über Gott und wenig über den Menschen sprachen). Diese Gesinnung zeigte sich u.a. in der Tatsache, daß sonntags viele junge Brüder aus allen Teilen Londons um 7 Uhr morgens zu einer Gebetsstunde zusammenkamen. Bruder Wigram sorgte für ein Frühstück, so daß sie zum Gottesdienst um halb elf bleiben konnten.

III. STAFFORD

In Stafford (Mittelengland) entstand bereits früh eine Versamlung, die ein bedeutendes Zentrum inmitten der "Brüder" werden sollte, über deren Beginn wir jedoch leider wenig wissen. Ungefähr von 1829 an war William H. Dolman unabhängiger Pfarrer in der Zion‑Kapelle in Stafford gewesen, bevor er 1835 nach Isling

11 J.N. Darby, Collected Writings Bd. 20 (Stow Hill Ausg.), S. 82.

ton übersiedelte. 1838, während er eben dabei war, sich von dem kirchlichen Sy­stem zu lösen, besuchte er seinen alten Wohnort, weil er gehört hatte, daß viele Gläubige dort ausgetreten waren. Tatsächlich hatte sich dort eine neue Gemein­schaft gebildet, und zwar um die Person von Alexander Stewart. Dieser war von 1834 an presbyterianischer Pfarrer in Stafford gewesen und hatte in dem (soge­nannten) Alten Staffordechen Versammlungslokal eine große Gemeinde gebildet. mit unter dem Einfluß Dormans gab Stewart sein Amt auf, und man begann, sich nach den Grundsätzen zu versammeln, zu denen die "Brüder" sich bekannten. Ende Januar 1839 machte Darby dort einen Besuch. 1840 bauten die Brüder mit Hilfe Herefords ein eigenes Lokal.

IV. NORD ‑ ENGLAND

(1) B.W. Newton aus Plymuth entstantnte einer Familie, die über allerlei Linien verwandt war mit einem weitverzweigten Netz von Quäker‑Familien. In den dreißi­ger Jahren hatte sich unter diesen Familien eine kräftige evangelische Strömung entwickelt, besonders durch eine Schrift von einem Verwandten Newtons, Isaac Cre,wdson in Kendal (Westmoreland). Daraus entstand ein Streit unter den Quäkern, zu dem auch Newton selbst durch ein Pamphlet beitrug, und auch die Howards von Tottenham spielten darin ein wesentliche Rolle. Die Folge war, daß sich in Nord­england viele Quäker den "BrüderC anschlossen. Im Lauf der dreißiger Jahre ent­stand in Kendal ein kräftiges Zeugnis um die Crewdsons und den Bankier Wake­field, und auch in Liverpool, Manchester und Hawkshead entstanden Versammlungen. Wakefield wurde später einer der Verwalter der Waisenhäuser Müllers, und Küller selbst machte viele Besuche in den Versammlungen des Nordens. Seine eigene Toch­ter wurde später die Frau von James Wright, dem Sohn eines anderen ehemaligen Quäkers und späteren Mitdirektors der Waisenhäuser.

Die Crewdsons hatten ihrerseits wieder Beziehungen zu den anglikanischen Penne­fathers von Dublin, zu denen Darbys Schwager gehörte und durch den er mit dem umfangreichen Werk im Norden in Berührung kam. In den späten dreißiger Jahren schrieb er über eine große Zunahme der Brüder im Norden, in Cumberland und sogar in Edinburgh. Ende 1843 besuchte er Kendal, wo er ein großes Arbeitsfeld vor­fand. Auch in Birmingham war ungefähr um diese Zeit eine Versammlung entstanden, und zwar durch eine andere Quäker‑Familie, die Lloyds, verwandt sowohl mit Newton als auch mit den Howards. In dieser Stadt arbeitete Peter G. Anderson, ein schottischer Bauernsohn, der sich als Lehrer in Birmingham niederließ und dort eine kraftvolle Verkündigung begann. Dieser große Freund von Bruder Chapman in Barnstaple wurde ein geachteter Führer unter den "Brüdern", vor allem durch seinen seelsorgerischen und auferbauenden Dienst.

(2) In Yorkshire fanden ähnliche, kraftvolle Entwicklungen statt. Zu Beginn der vierziger Jahre entstand in Hull ein Zeugnis mittels eines der merkwürdigsten unter den alten "Brüdern", nämlich Andrew Jukes. Dieser hatte seine Laufbahn als Soldat begonnen und war in einem Krankenhaus in Indien zur Bekehrung gekcmmen. 1840 gewann er in Cambridge einen Preis mit einem Aufsatz über 'Tie Grundsätze der prophetischen Deutung". Er wollte Pfarrer in der Staatskirche werden und wurde 1842 als "Deacon" in Hull eingesetzt. Er wurde jedoch niemals zum Priester ordiniert, u.a. wegen Streitfragen über die Kindertaufe. Nachdem er aus seinem Amt entlassen war, ließ er sich von einem Baptistenprediger taufen und fing an, überall unter freiem Himmel zu predigen. Mit seinen Jungbekehrten begann er, Zu­sammenkünfte zur Auferbauung und zum Brotbrechen abzuhalten, die jedoch anfäng­lich ziemlich von überheblichen Leuten behindert wurden, die gebotene Freiheit mißbrauchten. 

Einer der bemerkenswerten Züge Jukes' war seine Einsicht in die Typologie der Bibel. Seine Bücher über Das Gesetz der Opfer und Vorbilder in 1. Mose hatten in der Anfangszeit großen Einfluß unter den "Brüdern" und regten sie an, die Vorbilder der Schrift gründlich zu untersuchen. Jukes selbst war jedoch ein Individualist, der einen eigenen Weg ging und sich immer mehr in mystischen Betrachtungen verlor. 1866 baute er eine kreuzförmige Kapelle in Hull, die er die Kirche von St. Johannes dem Evangelisten nannte und wo er wieder allerlei Elemente des anglikanischen Gottesdienstes einführte. Kurz danach schrieb er ein Buch, in dem er sich als Anhänger der Allersöhnungslehre entpuppte, wodurch er sich von den ("offenen") Brüdern trennen mußte und in die Staatskirche zurück­kehrte (1869). Seine eigenen früheren typologischen Studien betrachtete er nun als unreife Erzeugnisse.

(3) Ein anderer Bruder der ersten Stunde in Yorkshire war William Trotter. Die­ser wurde 1818 geboren und fand schon mit 12 Jahren Frieden mit Gott durch den Dienst eines Methodistenpredigers. Als er 14 Jahre alt war, begann er bereits zu predigen, und mit 19 Jahren wurde er als Pastor der Neuen Methodistischen Ge­meinschaft bestätigt. Er arbeitete mit viel Segen, begann sich aber schon bald an allerlei falschen Zuständen in der Kirchengemeinde zu stoßen. Der Riß zwi­schen Geistlichen und Laien wurde immer tiefer, und man drängte zu stark darauf, sich Glaubensbekenntnissen zu unterwerfen. 

Trotter wirkte vor allem der Sucht nach Reichtum und Wohlfahrtseinrichtungen (auch denen fÜr Pastörel) entgegen und befürwortete ein persönliches Verantwortungsbewußtsein im Blick auf das, was der Herr uns anvertraut, um es für die Familie, für die Gläubigen und für alle Be­dürftigen zu verwenden. Als die MethodistenfÜhrer ihn zu einer unscheinbaren Ka­pelle in London versetzten wollten, legte der junge Pastor in Bradford sein Amt nieder. Schon bald darauf (Anfang der vierziger Jahre) sehen wie ihn aktiv an der Arbeit in der Versammlung im benachbarten Halifax. Er wurde einer der treue­sten Freunde Darbys bis zu seinem frühen Tod im Jahre 1865 und wurde von Freund und Feind als einer der liebenswürdigsten und ehrwürdigsten aller "Brüder" be­trachteti Er ist hauptsächlich bekanntgeworden durch seine prächtigen Bücher über die Prophetie und durch seine berühmte Broschüre über die Bethesda‑Frage (siehe Kapitel 4). Mit dem späteren Dr. Thcmas Neatby, ebenfalls aus Yorkshire, war er einer der wenigen Methodisten, die Führer unter den "Brüdern» wurden.

V. BRITISCH ‑ GUAYANA

(1) Bis hierher haben wir uns auf die britischen Inseln beschränkt; das soll je­doch nicht heißen, daß der Herr nicht gleichzeitig an zahllosen anderen Orten durch Seinen Geist in den Gläubigen wirkte. Gerade das ist wohl einer der auf­fallendsten Beweise, daß der Herr Selbst diese Bewegung in Gang gebracht hat, daß Er überall auf der Erde dieselben Wahrheiten zu ungefähr derselben Zeit vielen Herzen entfaltete. Eine dieser frühesten Entwicklungen fand in Britisch­Guayana statt, und zwar durch den Dienst von Bruder Leonard Strong. 

Dieser Pfar­rerssohn, 1797 in Herefordshire geboren, war mit zwölf Jahren zur Marine gegan­gen, wo er als Seekadett in den französischen und amerikanischen Kriegen diente. Als er einmal in Westindien war, schlug das Boot, mit dem er an Land ging, durch einen Windstoß um, so daß er beinahe ertrunken wäre. Dadurch wurde er an seine Sünden erinnert und rief zu Gott um Gnade. So kam er zur Bekehrung. Er verließ dann die Marine und ging 1823 nach Oxford, weil er Missionar werden wollte. Nach kurzer Zeit wurde er in der Staatskirche als Hilfspastor in Ross‑on‑Wye bestä­tigt. Weil er sich aber nach Westindien zurücksehnte, ging er 1826 nach Britisch­Guayana und wurde dort Pfarrer in St. Matthew's (Demerara) . 

Er predigte dort mit viel Segen, vor allem unter den armen Negersklaven. Dadurch zog er sich die Wut der Pf lanzer zu; sie drohten ihn zu erschießen. Enttäuscht mußte er weggehen und arbeitete anschließend in Peter's Hall und Georgetown. Inzwischen hatte er durch eifriges persönliches Untersuchen des Wortes Gottes ernsthaft zu zweifeln begon­nen, ob die englische Kirche wohl auf schriftgemäßem Boden stehe. Die Bibel lehrte ihn allerlei Wahrheiten über den Gottesdienst und den Dienst am Wort, die völlig in Widerspruch standen zu seiner Stellung als Pfarrer. 

Deshalb gab er 1827 sein Amt auf (wodurch er zugleich sein Jahreseinkcmmen von 800 Pfund preis­gabl) und begann mit den Jungbekehrten und Gläubigen einfältig zum Gottesdienst zusammenzukommen. Während der ersten Zusammenkunft, die in einem großen Schuppen gehalten wurde, der zum Kaffeetrocknen diente, waren ungefähr 2000 Personen an­wesendl In Georgetown wurde ebenfalls ein Zeugnis gebildet; und dann bedenke man, daß an diesen Orten in dieser Weise bereits öffentlich Brot gebrochen wur de, bevor das in Dublin oder Plymuth geschahl

(2) Als die Nachricht über diese Versammlung Europa erreichte, löste sie viel Interesse und Unterstützung für sie aus. Verschiedene zogen nach Britisch­Guayana, um zu helfen, das Zeugnis dort aufzubauen. Unter ihnen waren Johannes Meyer und seine Frau, ein Missionarsehepaar aus der Schweiz. Sie kamen 1840 dort an und arbeiteten drei Jahre an den Ufern des Demerara‑Flusses und längs der Ostküste des Landes. Ende 1843 verzog Meyer an die Essequibo‑Küste, um dort auf die Suche nach Indianerstämtneen zu gehen. Tief im Innern des Landes ließ er sich mit seiner Frau und seinen Kindern unter den Indianern in Kum3ka nieder, mitten im Urwald, wo er ihre Sprache auf zeichnete, Lieder dichtete und Teile der Bibel übersetzte, die er mit einer Handpresse druckte. Mit der größten Hingabe und Selbstaufopferung unternahm er lebensgefährliche Reisen in den Dschungel.

Vor allem George Müller in Bristol unterstützte das Werk von Strong und Meyer, indem er über seine Anstalt für Schriftkenntnis Gaben sandte. Das bedeutete eine besondere Anerkennung dieses Werkes, denn güller unterstützte nur Missionare, von denen er überzeugt war, daß die nach schriftgemäßen Grundsätzen arbeiteten. 1843 ging Strong nach Bristol auf Urlaub und kehrte im August von dort zurück, begleitet von den Eheleuten Barrington. 1844 folgte Bruder Mordal, der eine Säu­le der Versammlung in Bristol war, mit seiner großen Familie nach Britisch­ Guayana, wo er jedoch drei Monate nach seiner Ankunft am Fieber starb. Auch Mey­er fiel dem Fieber 1847 zum Opfer, aber sein Werk wurde von anderen fortgesetzt. Strong kehrte kurz danach endgültig nach England zurück und arbeitete in Torquay in Wort und Schrift.

VI. Die Schweiz (9)

01/20/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

VI. DIE SCHWEIZ

(1) Es war in der französischen Schweiz, wo die neue "Bewegung" auf dem europä­ischen Kontinent zuerst Fuß faßte, und zwar durch den Dienst von John N. Darby. Die Umstände dazu waren außerordentlich günstig, und zwar dadurch, daß der Herr zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine mächtige Trennungsbewegung entstehen ließ. 

Um 1817 hatte Robert Haldane in Genf gearbeitet, wodurch eine Reihe junger män­ner sich von dem verfallenen Calvinismus getrennt hatte. Dies führte zur Bildung der ersten Freikirche in der französischen Schweiz; beteiligt war auch der eng­lische Bankier Henry Drummond, der 1819 eine Gesellschaft zur Verbreitung reli­giöser Kenntnis gründete. Unter den Missionaren der Gesellschaft waren die Brü­der Frangoi s und Henri Olivier, die Führer der Freikirchlichen werden sollten. Von Genf aus begannen verschiedene das Werk im Kanton Vaud, u.a. Miss Greaves und Felix Neff.

Die Landeskirche reagierte auf diese Bewegung mit einer außergewöhnlich starken Feindschaft, mit Widerstand mittels einer sarkastischen Presse, Volkskrawallen und strengen Geboten. 1824 wurden sogar private Zusammenkünfte verboten. In dem­selben Jahr wurden Charles Rochat, der Pfarrer von Vevey, ausgestoßen und bilde­te eine Freikirche. 1828 gab es bereits 15 solcher Kirchen in Vaud. 

Die Gefühle dieser Freikirchlichen und übrigens auch die vieler evangelisch Gesinnter, die noch in der Landeskirche blieben, waren in vieler Hinsicht verwandt mit denen der Freikirchlichen in England. Der Irvingianismus bekam, nachdem Henry Drummond sich dazu bekannt hatte, einen starken, hindernden Einfluß auf die schweizeri­schen Freikirchlichen (um 1837); auch entstand Uneinigkeit über die Wesleyani­sche Irrlehre von der Heiligung, die von Henri Olivier verfochten wurde, dem führenden freiki‑rchlichen Prediger in Lausanne. Vor allem jedoch zog die schwei­zerische Trennungsbewegung die Aufmerksamkeit der "Bräder" in England auf sich; es war Darby, der sich gedrungen fühlte, die französische Schweiz zu besuchen.

(2) 1837 machte Darby seinen ersten Besuch in Genf, der jedoch nur von kurzer Dauer war. Im Herbst 1839 kam er dorthin zurück, und nun sollte sein Aufenthalt auf dem Kontinent vier Jahre dauern1 Nach eigener Aussage ging er nach Genf, weil er gehört hatte, daß er dort Männer finden würde mit Auffassungen, die den seinen ähnlich wären und daß es dort Versammlungen gäbe wie in England. Anstelle davon zeigte sich, daß die freikirchliche Gemeinde dort ziemlich in Verwirrung war; die Gemeindeglieder hatten sich mit den Predigern überworfen und ebenso die Prediger untereinander.

 Der wichtigste Streitpunkt war ein offizieller Dienst am Wort und angestellte Älteste, im Gegensatz zur freien Wirksamkeit des Heiligen Geistes in der Gemeinde. Darby wußte vorläufig die Eintracht wiederherzustellen und arbeitete lange Zeit in Frieden unter den Freikirchlichen in Genf; er anerkannte jedoch niemals deren kirchlichen Standpunkt und zog bei seinen Predigten sowohl Gläubige aus der Freikirche wie auch aus der Landeskirche an. Nach der Sonntagnorgenpredigt feierte er das Abendmahl mit allen anwesenden Gläubigen, ohne einen Unterschied zwischen ihrer kirchlichen Bindung zu machen, sogar ohne auf jemanden einzuwirken, die Landeskirche zu verlassen. 

Und gerade indem er so, ohne kirchliche Organisation, mit ihnen Brot brach und ihnen gleichzeitig die Wahrheit über die Versammlung nach den Gedanken Gottes und den Verfall der Christenheit vorstellte, traten viele aus ihren Kirchen aus, sowohl aus der Landeskirche als auch aus den Freikirchen. Verschiedene junge Brüder wurden durch Darbys Beispiel angezogen, wurden einzeln von ihm unterwiesen (nahezu ein Jahr lang brachen sie jeden Tag Brot mit ihm) und zogen aus in die französische Schweiz und nach Frankreich. 

Innerhalb einiger Jahre entstanden Dutzende "Versammlungen", die erste in Vevey; dies also war der erste Ort, wo auf dem Kontinent in der Weise, wie die "Brüder" das gewöhnt sind, Brot gebrochen wurde. Im Dezember 1840 schloß Pfarrer C.F. Recordon sich ihnen an; obwohl er elf Kinder hatte, gab er freudig sein Predigergehalt auf. Dreißig Jahre lang war er ein bekannter Führer unter den "Brüdern»; er wurde auch der erste Redakteur ihrer Zeitschrift, des Messager Evangälique (Evangeliumsbotschafter). Auch in Genf (la Pölisserie) sonderten sich später nach viel Geduld endlich etwa vierzig Gläubige ab, um eine Versammlung zu bilden in Gemeinschaft mit den "BrÜdern" (März 1842); unter ihnen war der bekannte Bruder i. Foulquier.

(3) Im März 1840 hatte Darby nach England zurückkehren wollen, kam aber nicht weiter als bis nach Lausanne, wo er (wie er schrieb), "aufgehalten wurde". Später im Jahr versuchte er aufs neue abzureisen, wurde aber wiederum zurückgerufen. Der Grund war, daß Henri Oliviers Verkündigung der Heiligungslehre (und später der Allversöhnungslehre) Spaltung auf Spaltung unter den Freikirchlichen in lausanne verursacht hatte, so daß ein einflußreiches Mitglied unter ihnen Darby bat, als Friedensstifter einzutreten. 

Dies tat Darby, indem er eine vor­treffliche Broschüre gegen die Heiligungslehre schrieb, in der er einerseits zeigte, daß die Sünde weiter in dem Gläubigen wohnt, bis er bei dem Herrn ist, aber anderseits, daß die Kraft des Geistes Gottes den Gläubigen in die Lage ver­setzt, daß er nicht zu sündigen braucht, sondern Gott dienen kann. Diese Bro­schüre wurde so gesegnet, daß sogar Henri Olivier sich geschlagen gab und ein treuer Bundesgenosse Darbys wurde (1841).

Ein zweiter Disput entstand 1840 durch eine Reihe von elf Vorträgen, die Darby in Genf hielt über das Thema: Die Hoffnung der Versammlung Gottes. Diese Vorträ­ge schlugen wie eine Bcffibe ein, nicht nur in lausanne, wo sie eine große Wirkung hatten, sondern sie wurden auch innerhalb weniger Jahre ins Englische, Holländi­sche und Deutsche Übersetzt. 

Es war Pfarrer H.P. Scholte, einer der bekanntesten Glaubensmänner der freikirchlichen Bewegung in den Niederlanden, bei dem Darby im Herbst 1841 in Utrecht logierte, der diese Vorträge ins Holländische über­setzte und, versehen mit einem begeisterten Vorwort, 1842 herausgab. Diese Vor­träge zeigen deutlich, weshalb beinahe von Anfang an das Studium der Wahrheit über die Versammlung und das Studium der Prophetie bei den "Brüdern" Hand in Hand gingen. 

Darby zeigte darin, wie groß der Unterschied ist zwischen der Stel­lung und der Erwartung des irdischen Volkes Israel und der der himmlischen Ver­sammlung. Darüber hinaus machte er einerseits deutlich, was die Versammlung ist nach den ewigen Ratschlüssen Gottes, und andererseits, wie die Christenheit, was ihre Verantwortlichkeit betrifft, eine Ruine geworden ist und als solche gerich­tet werden wird. Darby schrieb auch, welche Ereignisse damit verbunden sein wer­den: die Entrückung der wahren Versammlung, der völlige Abfall der Christenheit, das Aufkommen des Antichristen, der im Unglauben wiederhergestellte Staat Isra­el, die Wiederkunft Christi, das Friedensreich, die zweierlei Auferstehung.

Die Vorträge und einige Broschüren Darbys zogen ihn in einen lang andauernden Federkrieg. In der Schrift Der Abfall in den aufeinanderfolgenden Haushaltungen zeigte er, daß jedesmal, wenn Gott neue Beziehungen mit dem Menschen anknüpfte, dieser unmittelbar das verdarb, was Gott ihm anvertraute; jede Haushaltung ende­te also in völligem Abfall, wobei stets ein kleiner Überrest durch die Gnade Gottes treu blieb. 

In einer zweiten Schrift Über die Bildung von Kirchen nahm er sowohl das Bestehen "nationaler" Kirchen wie auch die Bildung neuer "freier" Splitterkirchen aufs Korn. Darby zeigte, daß es nach den Gedanken Gottes ist, wenn Gläubige den Verfall erkennen und sich von jeder Verbindung mit dem Bösen absondern, mu einfältig zum Namen des Herrn und in Einheit mit allen Gläubigen zusainmnzukcmmn. Diese Broschüre rief eine Reaktion August Rochats hervor, Pre­diger der Freikirche in Rolle (bei Lausanne) und Bruder des bereits genannten Charles Rochat aus vevey.

 Darby beantwortete das Pamphlet Rochats mit einer neu­en Broschüre, worauf Rochat aufs neue eine Schrift veröffentlichte, die wiederum von Darby beantwortet wurde. Der wesentliche Vorwurf, den Darby Rochat machte, war, daß dieser den Zustand der Christenheit nicht anerkennen wollte und die Be­hinderung der freien Wirksamkeit des Geistes Gottes in der Versammlung durch menschliche Einrichtungen guthieß.

Auch mit anderen Schreibern kam Darby in Konflikt. Seine Broschüre Über den Dienst am Wort: sein Wesen, seine Quelle, Kraft und Verantwortlichkeit (um 1842) wurde von dem Theologiestudenten P. Wolff angegriffen (1843), worauf Darby eine Gegenschrift veröffentlichte (1844). Ein anderer Gegner war Henris Bruder Fran­cois Olivier in Lausanne, der in einer Broschüre den Verfall zugab, aber behauptete, daß dies nicht die Gemeinde, sondern das Königreich Gottes betreffe. Darby verfaßte eine Entgegnung (1843) und beantwortete Oliviers Reaktion mit einer Studie über Römer 11 und über die Verantwortlichkeit der Versammlung (1844). 

Aber nicht nur schriftlich wurde Darby angegriffen. Im September 1842 hielten die freikirchlichen Prediger eine Zusammenkunft, der Darby widerstrebend bei­wohnte und wo seine Lehre öffentlich verurteilt wurde. Die Prediger anerkannten den verfallenen Zustand der Gemeinde, leugneten aber ihre Mitverantwortung daran mit der Behauptung, daß sie nicht verantwortlich seien für das Böse ihrer Vorvä­ter. Die Zusammenkunft endete in großem Tumult. Darby schrieb, daß er, obwohl er sie liebte, nicht länger mit den Freiki‑rchlern verbunden bleiben könne und daß er seitdem viel freier und glücklicher sei und daß es offensichtlich Segen gebe.

(4) Dieser Segen bestand nicht zuletzt in der Entstehung vieler "Versammlungen", vor allem in Vaud; doch auch in Bern und Basel wurde Darbys Einfluß gefühlt. Ei­nige liefen 80 Kilcmeter, um ihn in Genf sprechen zu hören. Auch während seines Aufenthalts in der Schweiz machte er viele Reisen, bis nach Holland. 1843 berei­ste er u.a. England, wo er verschiedene Versammlungen besuchte, wie wir sahen (Hereford, London, Kendal, usw.). 

Anfang 1844 machte er erneut einen Besuch in der Schweiz und verließ sie im März 1845 wegen ermster Schwierigkeiten in Ply­mouth (Siehe Kap. 4). Unmittelbar danach entstand eine politische Revolution in Lausanne, die zu schweren und gewalttätigen Verfolgungen (teils von den Jesuiten angezettelt) gegen die "BrÜder" und die Freikirchlichen führte. Aus Angst, daß große Versammlungen von der Obrigkeit verboten werden würden, kamen die "Brüdern in kleinen Gruppen in den Häusern zusammen. Doch was Darbys Widersacher prophe­zeit hatten, geschah nicht: weder religiöse noch politische Spannungen richteten die Versammlungen zugrunde; ein kräftiges Zeugnis blieb durch die Güte Gottes bis auf den heutigen Tag bewahrt.

VII. FRANKREICH

Bereits Mitte der dreißiger Jahre erreichten Berichte die "Brilder" in England über eine verwandte evangelische Bewegung in der Ukcr‑bung von Lyon durch die Tä­tigkeit von A. Monod, der sowohl Katholiken als auch Protestanten anzog. Auch hatten sie Kenntnis von einem Gläubigen in Nizza, der von Zeit zu Zeit mit ei­nigen Gläubigen, die sich dort aufhielten, Brot gebrochen hatte und später ins Gefängnis kam, weil er in der Bibel las.

Nachdem Bruder Darby mit seiner Arbeit in Genf und Lausanne begonnen hatte, gab es bald junge Brüder, die, wir wir sahen, in der Schweiz, aber auch in Frank­reich umherzogen und überall Versammlungen bildeten, trotz Widerstand und Miß­handlung. Drei dieser Evangelisten arbeiteten etwa 1840 in dem Gebiet von Al­boussi6re (Ardbche): der Schweizer Lehrer A. Guignard und die Franzosen Pierre Dorel und Andrä Moureton, der zu derselben Zeit wie A. Monod und A. Dentan in Lyon tätig gewesen war. Letzterer arbeitete auf dem "Plateau" als freikirchli­cher Prediger in Le Riou und La Pireye. Er lernte jedoch die Wahrheit kennen und gab sein festes Predigergehalt auf, obwohl er eine große Familie hatte. Er wurde für die Versammlungen, die in diesen Gegenden entstanden, sehr zum Segen.

Darby machte von der Schweiz aus regelmäßig Besuche in Frank‑ reich. Im Januar 1843 schrieb er nach einem solchen Besuch: "In Frankreich gibt es Fortschritte, und ich fand die Brüder wohlauf und im allgemeinen in der Nähe des Herrn vor­angehen. An der Gard gibt es nun ein großes offenes Feld ... Obwohl in St. Hippolyte andere gleichfalls arbeiten, haben sich mehrere aufrichtige Männer, die äußerst voreingencomen, waren (als sie sahen, daß unsere Brüder mehr mit dem Herrn gingen und Seinen Segen erfuhren), den Brüdern zugewandt und das bekannt ... In Isere gibt es einen Beginn des Segens, ebenfalls im D6partement DrÖme, in Montmeyran, wo sie jedoch schwach sind; dieser Ort wird mir wahrscheinlich maßlose Feindschaft entgegenbringen ... Das Wachwerden hinsichtlich des wirklichen Zustandes geschieht hauptsächlich, wenn auch nicht ausschließlich, unter einfachen Brüdern. Sie sind treu und eifrig ‑ das ist ein bemerkenswertes Kennzeichen ... Die Brüder komnen in Frankreich zum Brotbrechen zusammen an Orten, von deren Bestehen ich nichts wußte, bis ich auf meiner letzten Reise dorthin kam.‑12 IM Frühjahr 1844 schrieb Darby Briefe aus Montpellier und St. Hippolyte du Fort während einer Reise zu verschiedenen Orten.

VIII. DEUTSCHLAND

George Müller von Bristol hatte sein Geburtsland Deutschland nicht vergessen und dort um 1840 verschiedene Besuche gemacht, jedoch immer nur für kurze Zeit. Anfang 1841 drängte ihn sein Freund Robert Chapman aus Barnstaple, der soeben von einer Reise zum Kontinent zurückgekehrt war, die bereits erschienenen Teile seines Werkes Beschreibungen einiger der Handlungen des Herrn mit George Müller im Deutschen herauszugeben und auch selbst mehr in Deutschland zu arbeiten. Im Mai 1843 erhielt er zudem einen Brief von einer deutschen Dame, die ihn eineinhalb Jahre zuvor in Bristol besucht hatte, die auch seine Lebensbeschreibung ' Deutsche übersetzt hatte und dadurch zur Bekehrung gekcmmen war. 

Sie hatte eine kleine Baptistengemeinde in Stuttgart gefunden, war dort getauft worden und nun Mitglied dieser Gemeinde. Sie fügte ihrem Brief einen anderen Brief bei, von einem gewissen Dr. R., einem Rechtsanwalt des höchsten Gerichtshofs in Württemberg, der ebenfalls Baptist war. Dieser bat Müller um eine schriftgewäße Erläuterung seiner Auffassung über "offene Gemeinschaft", die er in Müllers Lebensbeschreibung gefunden hatte und die scharf abstach von der Praxis der Baptistengemeinde in Stuttgart. 

Zwei andere Gläubige in Stuttgart hatten darum gebeten, getauft zu werden, aber die Baptisten lehnten dies ab, es sei denn, daß sie versprächen, niemals das Abendmahl mit ungetauften Gläubigen oder mit Gliedern einer Staatskirche zu feiern. Dies konnten die beiden Bekehrten jedoch nicht versprechen und machten deshalb eine Reise von 1200 km nach Bristol, um von Müller getauft zu werden. Das bestärkte ihn in seiner Uberzeugung, daß der Herr wollte, daß er nach Stuttgart gehe: als er darüber hinaus eine Gabe bekam, reiste er sofort mit seiner Frau und den beiden Deutschen ab.

Von August 1843 bis Februar 1844 blieben die Müllers in Stuttgart, wo sie mit offenen Armen von den Baptisten empfangen wurden. Er sprach in allen ihren Zusammenkünften und außerdem in zusätzlichen Zusammkünften an allen Abenden in der Woche. Es entstanden jedoch sofort Schwierigkeiten, vor allem über die Frage, ob Müller nun am Abendmahl teilnehmen konnte oder nicht. Am 3. September wurde Müller während des morgendlichen Gottesdienstes öffentlich von dem lehrenden Ältesten widersprochen. 

Müller warnte ernstlich vor einer Spaltung, weil dies dem Zeugnis schaden würde, doch war eine Trennung nicht zu vermeiden. Abends kamen zwölf Gemeindeglieder zu seiner Privatwohnung, wo sie mit den Müllers, einer englischen Schwester und zwei Brüdern aus der Schweiz, "die den Weg der Wahrheit völliger kennengelernt hatten durch unseren Bruder John Darby"13 Brot brachen. Müller rechtfertigte die Trennung aufgrund des sektiererischen Standpunkts der Extremeren in der Baptistengemeinde, die lehrten, daß man durch die Taufe Vergebung der Sünden und Wiedergeburt empfange, und außerdem behaupteten, daß allein sie "die Kirche" wären und die Wahrheit kennten.

Müller widmete sich nun völlig der Belehrung der kleinen Versammlung. Das Schwierigste war, sie, die so an den Ein‑Mann‑Dienst am Wort gewöhnt waren, zu lehren, was die freie Wirksamkeit des Heiligen Geistes in den Zusammenkünften ist, der gebraucht, wen er will. Es wurde jede Woche Brot gebrochen mit allen Gläubigen, die kamen, ohne daß kirchliche Unterschiede gemacht wurden. Auch diese "offene Gemeinschaft" war etwas völlig Neues. 

"Es ist ein Bruder unter uns", schrieb Müller, "der durch den geliebten John Darby in der Schweiz den Weg Gottes völliger gelernt hatte und darüber häufig gesprochen hatte, bevor ich kam, aber auf den man nicht sehr hörte und der nicht in Gemeinschaft aufgenommen wurde, weil er nicht getauft war. Am Ende von Müllers Aufenthalt waren es 25, die Zusammenkamen, unter ihnen drei frühere Älteste der Baptistengemeinde. 

In­,zwischen hatte güller auch eine eigene Übersetzung seiner Lebensbeschreibung fertiggestellt und herausgegeben. Als er abreiste, winkten ihm nicht nur die Ge­schwister der kleinen Versanntlung nacil‑, sondern auch 19 Gläubige, die in der Baptistengemeinde zurückgeblieben waren. 1845 besuchte er Stuttgart erneut für einige Monate, u.a. wegen Gerüchten über verkehrte Meinungen, die sich in die Versannlung eingeschlichen hätten.

Dieser Anfang in Stuttgart nahm eine eigene Entwicklung und stand völlig ge­trennt von der Bewegung, die in den fünfziger Jahren in Elberfeld entstehen sollte und die sich auch weiterhin für sich entwickelte als Folge der traurigen Spaltungen, die 1845 und danach in England stattfanden.

Kapitel 3 ‑ Scheidung der Geister (1832 ‑ 1845)

Wer aufmerksam die erste Phase der Geschichte der "Brüder" verfolgt, kann sich des Gedankens nicht erwehren, daß die Bewegung von Anfang an keine Einheit war. Überall hatten Gläubige sich von den kirchlichen Systemen abgesondert, um in Einfalt zum Namen des Herrn hin zusammenzukommen ‑ doch ihre Beweggründe waren sehr verschiedenartig. Einige hatten sich an liturgischen und klerikalen Syste­men gestoßen und sich deshalb getrennt, andere hatten derartige Elemente auch zum Teil in der "Versammlung" aufrechterhalten. Es gab unterschiedliche Ansich­ten über die Freiheit des Dienstes am Wort, Über das Anstellen von Ältesten und vor allem über die Grundlage, auf der die Gläubigen zusammenkamen. Anfänglich waren die Auffassungen bei verschiedenen führenden Brüdern noch nicht scharf um­rissen, und zudem milderte die erste Begeisterung die Unterschiede. 

Doch in dem Maß, wie die Auffassungen sich weiter herauskristallisierten, nahmen auch die Gegensätze zu. Nun braucht das noch keine wirkliche Gefahr zu bedeuten. Natür­lich ist es schade, wenn Brüder nicht einmütig dasselbe denken, doch anderer­seits gibt es auch keine zwei Brüder, die über alle Einzelheiten der Wahrheit dieselben Gedanken haben. Unterschiede in der Einsicht sind möglich und können sogar teilweise mit der Verschiedenheit der Gaben zusammenhängen, die der Herr der Versammlung gegeben hat. 

Niemals dürfen Unterschiede in der Einsicht jedoch zu Uneinigkeit und Trennung führen, denn das ist das reinste Sektierertum ‑ und die "Brüder" hatten sich gerade auch von den Sekten (nicht nur von den Kirchen) getrennt! Sekten sind Gruppen, die nur mit solchen Gläubigen volle Gemeinschaft haben wollen, die über bestimmte Punkte dieselben Auffassungen haben wie sie und die Mitglied ihrer Gesellschaft werden ‑ aber die "Brüder" betrachteten es als das Verlangen des Herrn, daß sie Gemeinschaft mit allen wahren Gläubigen pfleg­ten, ohne Mitgliedschaftsgrenzen.

Deshalb ist es völlig unzutreffend, die "Brüder" selbst eine Sekte zu nennen. Sie waren keine abgetrennte Kirchengemeinschaft, sie waren überhaupt keine Kir­chengemeinschaft. Sie hatten keine bevorzugten Lehrsätze, die sie als Bedingun­gen für die Gemeinschaft anderen auferlegten; sie hatten überhaupt keine Bedin­gungen, als nur, daß jemand ein wahrer Gläubiger ist, rein in Wandel und Wahr­heit. Man hat den "Brüdern‑ jedoch den Vorwurf gemacht, daß sie trotz ihrer frcmmn Grundsätze soviele Trennungen erlebt haben, und das ist leider wahr. Aber man sieht dabei nicht, daß diese Trennungen von dreierlei Art waren:

(1) Entweder ging es um den Ausschluß eines falschen Lehrers, der eine Anzahl Versammlungen in seinem Fahrwasser mitriß. Hier ging es um Irrlehre, die die Fundamente des Christentums antastete ‑ und welcher Gläubige wagte zu sagenf daß `das nicht schlimm wäre oder daß dagegen nicht vorgegangen zu werden brauchte? 

(2) Oder es ging um Personen oder Versammlungen, die sich aus fleischlichen Motiven oder aus unbiblischen Gründen selbst zurückzogen; darüber können wir nur trauern und uns demütigen. (3) oder es ging tatsächlich um Meinungsverschiedenheiten, die niemals eine Trennung hätten zustandebringen dürfen. Das ist sehr beschämend, aber zugleich beeilen wir uns zu sagen, daß der Herr in Seiner Güte die meisten dieser Trennungen wieder beseitigt hat. Das werden wir noch sehen.

Die Gegensätze nun, die in den ersten Jahrzehnten der Versammlungen aufkamen, waren leider tatsächlich zu einem Teil wesentlicher Art. Sie betrafen sowohl die Grundlage, auf der sich die Gläubigen versammelten" als auch die Fundamente des christlichen Glaubens; sind diese beiden übrigens nicht eng miteinander verbunden? Das Entstehen dieser Gegensätze war, menschlicherweise gesprochen, nicht zu vermeiden. Viele Personen, die beitraten, waren niemals von verantwortlichen Brüdern besucht und befragt worden, und wir haben gesehen, daß in vielen Fällen sogar ganze Gemeinden (wie in Bristol und Barnstaple) in ihrer Gesamtheit sich allmählich in "Versammlungen der Brüder" umwandelten. 

Es konnte nicht anders sein, als daß viel Spreu unter dem Weizen war. Aber was noch schlimmer war: sogar bei vielen führenden Brüdern war wenig Licht über die Frage vorhanden, was die Versammlung Gottes nun eigentlich ist, sowohl nach den Ratschlüssen Gottes als auch in ihrer praktischen Darstellung auf der Erde. Das war in Wirklichkeit die Ursache, daß bei vielen völlig verkehrte Gedanken heranreiften über die Grundlage des Versammelns, über die Art und Weise der Zusanmenkünfte und vor allem Über unser Verhältnis gegenüber sittlich und lehrmäßig Bösem.

Ein wichtiges Beispiel dafür ist folgendes. Als Darby hörte, daß die Brüder in Dublin sich 1830 in der Aungier Street zu versammeln begannen, fragte er sie bei der erstbesten Gelegenheit, nach welchen Grundsätzen sie zusammenkämen. Sie antworteten u.a., daß sie aufgrund der Tatsache zusammenkämen, daß sie Kinder eines Gottes seien und dasselbe Leben besäßen. Daraufhin legte Darby ihnen dar, daß diese Dinge für jeden persönlich vollkcmnen wahr sind, aber daß es nicht die Grundlage ist, auf der die Versammlung Gottes errichtet ist (Mt 16,16‑18), und daß, wenn sie auf dieser Grundlage fortführen, sie keine wahre Basis hätten, um eine Verbindung mit Bösem zurückweisen zu können. 

Er zeigte ihnen, daß die Ver­sammlung mit einem verherrlichten Haupt im Himmel verbunden ist und daß der Geist herniedergekcmmn ist, um auf der Erde unter den Gläubigen die Bedingungen aufrechtzuerhalten, die mit dem Haupt übereinstimmen. Der größte Teil der Ver­sammlung nahm die Wahrheit mit Dankbarkeit an, aber einige, die äußerlich zu­stimmten, hielten in ihren Herzen an ihren verkehrten Grundsätzen fest, und sie alle wurden in der traurigen Spaltung von 1848 mitgerissen.

Das ist die große Tragik der Anfangszeit. Viele haben nicht mehr gesehen, als daß sie zu einer neuen Bewegung gehörten, die keine Geistlichkeit kannte und wo alle Gläubigen Brot brechen konnten. So wie heute noch allenthalben sogenannte "freie Kreise" entstehen, gebildet aus unzufriedenen Gläubigen, die sich in ih­rer "Kirche" aus allen möglichen Gründen nicht mehr zurechtfinden und dann ein­fach etwas für sich beginnen, so war es auch damals manchmal. Das erklärt, wes­halb die "Offenen Brüder" (die geistlichen Nachkcmnen der Gläubigen, die im An­fang diese Gesinnung hatten) bis heute aus solchen "freien Gruppen" bestehen, oft fast ohne irgendwelchen gegenseitigen Zusanmenhang, oft mit stark klerikalen Elementen und auch oft kaum zu unterscheiden von freien evangelischen, Pfingst­oder Baptistengemeinden. Einer von ihnen (E.H. Broadbent) veröffentlichte 1931 ein Buch, The Pilgrim Church (Die Pilgerkirche), worin er zu zeigen versuchte, daß die Bewegung der "Brüder" nur eine Erscheinung sei in dem langen Strom von freien, radikalen und pietistischen Gruppierungen, durch alle Jahrhunderte der Christenheit hindurch ‑ und was die "Offenen Brüder" betrifft, hatte er recht. Deshalb verstehen wir auch, daß es immer wieder "Offene Brüder" gegeben hat, die versuchten zu zeigen, daß nicht J.N. Darby, sondern A.N. Groves als der "Grün­der" der Bewegung angesehen werden nässe, weil dieser als erster vorschlug, ein­fach als Gläubige Brot zu brechen, ohne offizielle Geistliche und mit allen wah­ren Kindern Gottes, die teilnehmen wollten. Nun fühle ich persönlich keinerlei Bedürfnis, einen bestimmten Bruder als Gründer in den Vordergrund zu stellen, aber ich weiß wohl, daß A.N. Groves niemals wirkliche Sympathie für die Grundla­ge hatte, auf der die "Brüder" sich versammelten, und er hat sich auch niemals als einer der Ihrigen betrachtet. Die Gedanken, die er äußerte, waren unzweifel­haft sehr wichtig ‑ aber sie waren weder neu in der christlichen Geschichte noch entscheidend für die Grundlage, auf der die "BrÜder" zusammenkamen. Um weitere Ereignisse verstehen zu können, werden wir deshalb nun zuerst kurz untersuchen, wie in einer Zeit von etwa 13 Jahren die Auffassungen verschiedener führender Personen feste (und leider entgegengesetzte) Formen annahmen. Dabei werden wir uns beschränken auf J.N. Darby, A.N. Groves, G. Müller, H. Craik und B. W. Newton.

I. DARBY

(1) Es ist klar zu sehen, daß es der Dienst von Bruder J.N. Darby war, seine vielen Reisen, seine zahlreichen Schriften und vor allem seine außergewöhnlich tiefe Einsicht in die Schrift, wodurch während der Anfangszeit inmitten der Brüder das meiste Licht auf die Wahrheit von der Versammlung und die Prophezeiungen geworfen wurde. Ein amerikanischer Theologe hat später gesagt: "Gott hat seiner Gemeinde drei große Männer gegeben: Paulus hat uns die gesamte neutestamentliche Wahrheit gegeben, Luther hat uns die Rechtfertigung aus Glauben zurückgegeben, und Darby hat uns die gesamte durch Paulus offenbarte Wahrheit zurückgegeben." Sogar nach dem zweiten Weltkrieg bemerkte eine englischer (anglikanischer) Theo­loge während einer großen Konferenz, daß seit Darby kein wesentlich neues Licht auf die Prophezeiungen geworfen worden sei. Vor nicht langer Zeit fragte ein "Offener Bruder" bei einem amerikanischen Herausgeber an, ob es möglich sei, die Werke Darbys ohne dessen Namen herauszugeben, weil er davon überzeugt war, daß seine Mitgeschwister dadurch großen Gewinn und Segen empfangen würden, solange sie nur nicht wüßten, daß der Autor der von ihnen geschmähte Darby war ...

In den folgenden Kapiteln werden wir noch zur Genüge auf die Ansichten dieses Gottesmannes zurückkommn; deshalb will ich an dieser Stelle den Leser auf zwei Zitate aufmerksam machen, die ein gutes Bild seiner Gedanken geben.

(2) Das erste ist ein Zitat aus einem Brief, den Darby 1855 an Herrn Sudhoff ge­schrieben hat (nicht an Professor Tholuck, wie man vielfach angenomnen hat).

"Die Heilige Schrift wurde für mich absolute Autorität, obwohl ich sie immer als das Wort Gottes anerkannt hatte. Ich verstand, daß ich mit Christus im Himml einsgemacht war und daß deshalb Sein Platz vor Gott der meine war. Ich sah, daß mein armes, elendes "Ich", mit dem ich mich sechs oder sieben Jahre lang gequält hatte, um die Forderungen des Gesetzes zu erfüllen, vor Gott weggetan war. Fer­ner wurde mir klar, daß die wahre Kirche nur aus solchen besteht, die mit Chri­stus verbunden sind, und daß die Christenheit, wie sie sich nach außen hin dar­stellt, nicht "die Kirche" sein kann, sondern in Wirklichkeit die Welt ist (ab­gesehen von der Verantwortlichkeit, die sie auf sich lädt, indem sie sich nach Christus nennt; in sich selbst eine äußerst wichtige Sache). Ebenfalls sah ich, daß der Gläubige" der in Christus einen Platz im Himmel hat, nichts anderes er­warten kann als die Wiederkunft seines Heilandes, um dann in Wirklichkeit in die Herrlichkeit versetzt zu werden, die bereits in Christus sein Teil ist.

Das sorgfältige Lesen der Apostelgeschichte zeigte mir den Zustand der Kirche im Anfang und ließ mich zutiefst fühlen, wie weit die Kirche Gottes in unserer Zeit abgewichen ist. Ich war zu der Zeit genötigt, mit Krücken zu laufen, wodurch ich dem Gottesdienst nicht beiwohnen konnte. Es war offensichtlich die gute Hand Gottes, die mir zu Hilfe kam und meine geistliche Schwachheit hinter der körper­lichen Unfähigkeit verbarg. Während ich so abwarten mußte, kam ich zu der Uber­Zeugungf daß das, was die Christenheit tat, in keiner Hinsicht dem entsprach, was nach den Gedanken Gottes sein mußte. Jesaja 32 lehrte mich in der deutlich­sten Weise in reiner Einsamkeit, daß es Gottes Absicht war, in der Zukunft noch eine Haushaltung für Sich zu haben, eine Ordnung der Dinge, die es jetzt noch nicht gibt. Das Bewußtsein meiner Verbindung mit Christus ließ mich das himm­lische Teil genießen; genanntes Kapitel stellte mir ein irdisches Erbe vor Au­gen. Zwar konnte ich beide noch nicht völlig an ihren rechten Platz einordnen, doch der Geist Gottes hat es mir durch das Lesen Seines Wortes offenbart.

Was war nun zu tun? Ich fand in dem Wort, daß Christus wiederkcunt‑, um Seine Kirche zu Sich in die Herrlichkeit zu nehmen. Ich sah dort das Kreuz, die gött­liche Grundlage des Heils, das im Hinblick auf das Kcmmn des Herrn dem Christen sowie der Kirche seinen Charakter aufprägen sollte; und ich sah auch, daß zwi­schenzeitlich der Heilige Geist gegeben war als Quelle der Einheit der Kirche wie auch als Triebfeder ihrer Tätigkeit und aller christlichen Energie ...

Die Gegenwart des Heiligen Geistes, der aus dem Himmel gesandt worden war, um als 'Salbung', 'Siegel' und 'Unterpfand des Erbes, in den Gläubigen zu wohnen, wie auch die Wahrheit, daß Er in der Kirche die Kraft ist, die sie zu einem Leib verbindet und den Gliedern Gaben austeilt, wie Er will, wurden immer größer in meinen Augen und gewannen immer mehr an Bedeutung. Mit der letztgenannten Wahr­heit verband sich auch die Frage des Dienstes. wo hatte dieser Dienst seinen Ur­sprung? Es ist ganz klar, daß er, entsprechend der Bibel, allein von Gott durch das freie und mächtige Wirken des Heillgen Geistes kommen konnte.

In der Zeit, in der ich mich in besonderer weise mit diesen Dingen beschäftigte, hatte ich als Pfarrer in meiner Gemeinde einen Freund, der ein vortrefflicher Christ war und besonderes Vertrauen verdiente. Ich fühlte mich in besonderer Weise zu ihm hingezogen. Es waren jedoch keine Menschen, die mein Gewissen be­einflußten, sondern Grundsätze, denn aus Liebe zum Herri hatte ich von allem, was die Welt mir bieten konnte, Abstand gencnmn. Ich sagte mir: Wenn der Apo­stel Paulus hierher käme, dürfte er nach den Kirchengesetzen nicht predigen, weil er nicht, wie vorgeschrieben, ordiniert war. Wenn aber ein Diener Satans käme, der durch seine Lehre den Heiland verleugnete, könnte dieser ohne weiteres predigen, sofern er ordiniert wäre. Und mein gläubiger Freund müßte ihn als Mit­arbeiter betrachten, während er das mächtigste Werkzeug des Geistes Gottes nicht anerkennen könnte, auch wenn dieser noch so gesegnet wäre in seiner Arbeit und ganze Scharen zum Herrn bringen würde. Ich mußte für mich selbst erkennen, daß dies alles verkehrt ist. Es geht dabei nicht einfach um einen Mißbrauch, wie wir ihn überall antreffen können; es ist der Grundsatz des System, der verkehrt ist. Der Dienst ist durch den Geist. Ohne Zweifel gibt es auch unter den Pfar­rern solche, die sich in ihrem Dienst durch den Geist Gottes leiten lassen. Aber der Grundsatz dieses kirchlichen System ist in völligem Gegensatz zu der Wahr­heit.

Die Folge dieser Erkenntnis war, daß ich nicht länger in solch einem System bleiben konnte. Anstelle einer Geistlichkeit, die auf verkehrtem Boden stand, sah ich in der Schrift Gaben, die den Dienst ausübten. Das Heil,' die Kirche (Versammlung), der Dienst, alles ist aufs engste mit Christus verbunden, dem himmlischen Haupt der Kirche, der ein vollkommenes Heil brachte, und mit der Ge­genwart des Heiligen Geistes auf der Erde, der die Glieder mit dem Haupt und un­tereinander zu einem Leib verbindet und nach Seinem Willen in ihnen wirkt.

Das Kreuz Christi und Seine Wiederkunft sollten die Versammlung und alle ihre Glieder kennzeichnen. Was war nun zu tun? Wo war diese Einheit, dieser Leib? Wo wurde die Macht des Heiligen Geistes anerkannt? Wo wurde der Herr wirklich er wartet? Die Staatskirche war mit der Welt verbunden, und selbst Gläubige waren darin aufgegangen, obwohl Christus sie von der Welt getrennt hatte. Das Abendmahl, das göttliche Sinnbild der Einheit des Leibes" war ein Symbol ihrer Verbindung mit der Welt geworden, also gerade das Entgegengesetzte von dem, was Christus eingesetzt hatte. Trennung von der Staatskirche hatte zweifellos die Wirkung, daß die wahren Kinder Gottes offenbarer wurden, doch vereinigten sie sich wieder entsprechend anderen Grundsätzen als denen der‑Einheit des Leibes Christi. Wenn ich mich ihnen anschließen würde, würde ich mich gleichzeitig wieder von anderen Kindern Gottes absondern1 Das würde Zersplitterung des Leibes bedeuten, und nicht seine Einheit.

Was sollte ich tun? Ich stand vor dieser ernsten Frage, ohne dabei einen anderen Gedanken zu haben, als mein Gewissen zufriedenzustellen im Licht des Wortes Gottes. Matthäus 18,20 gab mir die Antwort auf meine Frage: "Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte." Das war gerade das, was ich nötig hatte: Unserer Zusammenkunft war die Gegenwart des Herrn Jesus verheißen; dort will Er Seinen Namen wohnen lassen, so wie Er das einst im Tempel in Jerusalem getan hatte, damit man dort zusammenkamen.15

(3) Das zweite Zitat stammt aus einer Broschüre, die Darby in der Anfangszeit veröffentlichte und die den Titel trug: Absonderung van Bösen, Gottes Grundsatz der Einheit.

"Die Notwendigkeit der Einheit wird gegenwärtig von jedem rechtgesinnten Christen gefühlt. Die Macht des Bösen wird von allen gefühlt ... Die Empfindungen, die das Bewußtsein von dem Fortschreiten des Bösen zustande bringt, können verschieden sein. Einige, obwohl es nur wenige sind, vertrauen möglicherweise noch auf die Bollwerke, an denen sie lange hinaufgesehen haben ... Andere vertrauen vielleicht auf eine vermeintliche Kraft der Wahrheit, die diese aber niemals ausgeübt hat, außer in einer kleinen Gruppe, weil Gott und das Werk Seines Geistes dort waren; andere vertrauen auf eine Einheit, die auf der Seite des Guten noch niemls das Mittel zur Kraft war, nämlich eine Einheit aufgrund von Übereinkunft und Einstbmügkeit ... Dies führt zu der Frage, wo der Pfad des Gläubigen ist und wo wirkliche Einheit zu finden ist.

Im folgenden weist Darby die Falschheit der breiten römisch‑katholischen und der engen sektiererischen Grundsätze der Einheit nach und legt dar, daß nur Gott Selbst der wahre Mittelpunkt der Einheit ist, aber daß dann zugleich auch die, die Ihn umgeben, Seinem Maßstab der Heiligkeit entsprechen müssen. So war es in der ersten Schöpfung. Doch die Gemeinschaft mit Gott ging durch den Sündenfall verloren.

Darby fährt fort: "Die Welt liegt im Bösen, und der Gott der Einheit ist der heilige Gott. Absonderung vcm Bösen wird deshalb die notwendige und einzige Grundlage und Norm (ich sage nicht: die Kraft) der Einheit. Denn Gott muß der Mittelpunkt und die Kraft der Einheit sein, solange das Böse besteht; deshalb müssen diejenigen, die in Gottes Einheit sein wollen, von dem Verderben getrennt sein; denn Er kann keine Geminschaft mit dem Bösen haben ... Doch diese Abson­derung geschieht jetzt noch nicht durch eine richtende Macht, die (nicht das Gute vom Bösen, das Köstliche vom Gemeinen, sondern) das Gemeine vom Köstlichen absondert ... indem sie das Unkraut zusammnbindet und in den Feuerofen wirft ... Es ist jetzt nicht die Zeit, um richtend das Böse vom Guten in der Welt, dem Acker Christi, abzusondern, indem die Gottlosen abgeschnitten und ausgerottet werden. Aber deshalb gibt Gott den Gedanken an Einheit nicht auf, und genausawe­nig kann Er eine Einheit mit Bösem anerkennent Da ist ein Geist und ein Leib. Die Kinder Gottes, die verstreut waren, versanymlt Er in eins ... Er sondert die Berufenen vom Bösen ab. 'Gehet aus ihrer Mitte aus und sondert euch ab ... und ich werde euch aufnehmen.' Das war Gottes Weise des Versanimlns, indem Er sagte: Geht aus ihrer Mitte hinaus ....

Es kann keine andere sittliche Kraft geben, die, abgesondert vcm Bösen, vereint, als Christus. Er allein als die vollkomnene Gnade und Wahrheit deckt all das Böse auf, das von Gott trennt und wovon Gott trennt. Er allein kann, nach den Gedanken Gottes, der anziehende Mittelpunkt sein, der alle zu Sich zieht, mit denen Gott so handelt ... Als der Auferweckte und schließlich als Derjenige, der höher als die Hinnel geworden ist, wird Er der Mittelpunkt und einzige Gegen­ stand der Einheit "Laßt uns zu ihm hinausgehen, außerhalb des Lagers, seine Schmach tragend"Auch im Blick auf die offenbare Entfaltung der Macht und Herrlichkeit des Sohnes des Menschen wurde der Heilige Geist herniedergesandt, um die Berufenen mit ihrem himmlischen Haupt zu vereinigen und sie von der Welt abzusondern, in der sie bleiben mußten ... Auf diese weise in eins versammelt, wurden die Gläubigen die Wohnung Gottes im Geist ... So wie die Einheit des alten Israel gegründet war auf die Erlösung und Berufung aus der Mitte der Heiden, die sie umgaben (und eine Absonderung von ihnen aufrechterhielt), so wurde auch die Einheit der Kirche auf die Macht des Heiligen Geistes gegründet, der herniederkam vom Himmel, ein eigenes Volk aus der Welt für Christus absonderte und unter ihnen wohnte, so daß Gott Selbst unter ihnen wohnte und wandelte. Denn da ist ein Geist und ein Leib, so wie wir berufen sind in einer Hoffnung unserer Berufung. Übrigens, der Name des Heiligen Geistes selbst weist darauf hin, denn Heiligkeit ist Absonderung vom Bösen ... Er ist die Grundlage der Heiligkeit der Kirche und ihrer Einheit in ihrer Absonderung für Gott, nach Seiner eigenen Natur und der Macht Seiner Gegenwart ...

Doch nun ergibt sich eine Schwierigkeit. Angenommen, das Böse ist in diesen einen Leib eingedrungen, der so tatsächlich auf der Erde gebildet worden ist1 gilt der Grundsatz dann noch immer? Wie kann in diesem Fall Absonderung vom Bösen die Einheit aufrechterhalten? ... Hier ist die Gegenwart Gottes richtend ‑nicht in der Welt, weil Gott in der Welt noch nicht offenbart ist ..., sondern die Kirche richtet die, die drinnen sind. Deshalb muß die Kirche den Bösen aus ihrer Mitte wegtun und so ihre Absonderung vom Bösen aufrechterhalten ... Aber leider ‑ wir wissen, daß weltliche Gesinnung eindringt und die geistliche Kraft abnimmt; der Geschmack an dem Segen verflacht, weil er nicht in der Kraft des Geistes genossen wird; die geistliche Gemeinschaft mit Christus, dem himmlischen Haupt, erschlafft, und die Kraft, die das Böse aus der Kirche fernhält, ist nicht länger in einer lebendigen Weise wirksam ... Aber Gott wird sich selbst niemals ohne Zeugnis lassen ... Wenn die (Kirche] sich weigert, dem Wesen und der Natur Gottes zu entsprechen und der Unvereinbarkeit dieser Natur mit dem Bösen (so daß es in der Tat ein falsches Zeugnis für Gott wird), dann tritt der erste und unveränderliche Grundsatz in Kraft; man muß sich von dem Bösen absondern.

Die Einheit, die nach einer solchen Absonderung aufrechterhalten wird, wird ein Zeugnis von der Unvereinbarkeit des Heiligen Geistes mit dem Bösen ... [Die falsche] Einheit ist die große Macht des Bösen, die im Neuen Testament vorausgesagt wird, verbunden mit der bekennenden Kirche und dem 'Schein der Gottseligkeit'. Davon haben wir uns abzuwenden. Diese Macht des Bösen in der Kirche kann geistlich erkannt und verlassen werden, wenn das Bewußtsein des Unvermögens vor ist, und die Schrift kann nicht gebrochen werden. Das Sanktionieren unterschiedlicher Gemeinschaften ist das, was Herr Groves von den Brüdern unterscheidet.20

III. Müller und Craik

Henry Craik, der der Lehrer von Groves gewesen war (obwohl zehn Jahre jünger alE dieser), hatte die Grundlage für seine Gemeindeauffassungen bei Groves erworben und sympathisierte ununterbrochen und stark mit dessen Ideen. Dasselbe galt für George Müller, der mit Groves' Schwester verheiratet war. Wenn Groves England besuchte, blieb er gewöhnlich in Bristol. Seine zwei Freunde, die beiden Führer der früheren Baptistengemeinde, hatten eine geschlossene Gemeinschaft fallengelassen, als sie einsahen, daß sie die Gläubigentaufe nicht als Bedingung zum Brotbrechen stellen konnten, und nahmen nun alle Gläubigen auf. Ich habe bereits früher gesagt, daß in ihrer Versammlung allerlei klerikale Elemente erhalten geblieben waren, und es ist tatsächlich nicht völlig eindeutig, ob sie nun wirklich überall als eine "Versammlung der Brüder» betrachtet wurden oder doch mehr als eine allgemeine freie Baptistengemeinde.

Wie die Verhältnisse in der Bethesda‑Kapelle lagen, ist aus folgendem Beispiel ersichtlich. Im Jahre 1839 gab es mancherlei Meinungsverschiedenheiten in der Gemeinde über Fragen bezüglich der Gemeindeordnung und der Zucht. Diese Differenzen wurden nicht in Gebetsstunden und Wortbetrachtungen der Gemeinde gelöst, sondern lediglich Müller und Craik zogen sich für zwei Wochen zurück, um die Probleme zu überdenken. Sie bestimmten, daß es in der Gemeinde Älteste geben sollte, angestellt durch den Heiligen Geist, doch anerkannt von den Gläubigen, die sich ihnen unterwerfen mußten. Zuchtfragen sollten zuerst von diesen Ältesten behandelt und schließlich der ganzen Gemeinde vorgelegt werden. Zulassung sollte eine Handlung sowohl der Ältesten als auch der gesamten Gemeinde sein. Die Ältesten sollten offenbar auch diejenigen sein, die das Abenchahl bedienten. Dies alles ist klar im Gegensatz zur Schrift, denn sie lehrt, daß das Amt eines Ältesten nur durch einen Apostel (oder seinen Beauftragten) verliehen werden konnte und niemals abhängig war von der Anerkennung durch die Versammlung. Auch werden die Ältesten nirgends in der Schrift in Verbindung gebracht mit Zulassung oder Ausschluß oder mit dem Brotbrechen. Bis auf den heutigen Tag werden in vielen Versammlungen der "Offenen Brüder" offizielle Älteste angetroffen.

Daß müller und Craik kein gutes Verständnis über den himmlischen Charakter der Versammlung hatten, ist auch aus der Tatsache ersichtlich, daß sie niemals eingesehen haben, daß die Versammlung vor dem Offenbarwerden des Antichristen entrückt wird. Auch heute gibt es viele "Offene Brüder", die lehren, daß die Versammlung durch die "große Drangsal" gehen wird. Daß ein verkennen der himniischen Stellung und Zukunft der Versammlung mit einer verkehrten Einsicht in die heutige Stellung der Versammlung auf der Erde und in die Heilsgeschichte gepaart geht, wird immer wieder deutlich. Die Wahrheit ist in allen ihren Teilen zusammenhängend; wer den gegenwär‑tigen Zustand der Christenheit ungenügend durchschaut, kann kein wahres Verständnis von der Grundlage und den Grundsätzen des Versammelns haben. Und noch ärger war, daß Craik bereits 1835 Gedanken über die Menschheit des Herrn Jesus entwickelte, die, wenn sie nicht böse in sich selbst waren, doch seine Augen für die Verkehrtheit der Irrlehren schlossen, mit denen B.W. Newton dann 1847 ans Licht kam.

IV. NEWTON

(1) wir haben gesehen, daß Benjamin W. Newton von Anfang an extremcalvinistische Grundsätze vertrat, die sowohl in seinen Auffassungen über die Versammlung als auch über die Prophetie zum Ausdruck kamen. Hierdurch nahm er einen isolierten Platz unter den "Brüdern" ein. Er hielt Bibelbetrachtungen, zu denen andere dienende Brüder nicht zugelassen wurden, weil es angeblich schlecht für die Gläubigen war, zu hören, wie die Autorität von Lehrern in Zweifel gezogen wurde, denn das würde ihrem Vertrauen, das sie in diese Lehrer setzten, schaden. 1834 und 1835 wohnte er auch nicht den prophetischen Konferenzen in Dublin bei, sondern veranstaltete 1834 zur selben Zeit eine eigene Konferenz in Plymouth. Dieser folgten viele andere Zusanmnkünfte, wo er seine eigenartigen Auffassungen verbreitete. Schwestern wurden systematisch darin unterwiesen, diese unter den Einfältigen zu verbreiten und sie in Briefen rundzusenden. Eine Zusammenkunft wurde sofort beendet, als ein Bruder es wagte, Newtons Äußerungen zu kritisieren.

Die Brüder andernorts bedauerten Newtons isolierte Haltung und Parteibildung, duldeten das aber. Während einer Konferenz erzählte Newton Darby, daß seine Grundsätze über den Dienst am Wort und damit zusammenhängende Fragen sich geändert hätten; Darby antwortete" daß seine sich nicht geändert hätten und daß er fühle, daß er sie durch die Unterweisung des Herrn empfangen habe und sie mit Seiner Gnade bis zum Ende festhalten wolle. Mit durch die Haltung Newtons verließen verschiedene Brüder die versammlung in Plymouth, um an anderen Orten zu arbeiten: Captain Hall ging nach Hereford und Wigram nach London. Harris blieb in Plymouth, so daß viele hofften, daß durch seine Gegenwart noch eine cewisse Kontrolle über Newtons Verhalten ausgeübt werden könnte. Ungefähr zur selben Zeit (1837) kam die Frage bezüglich der Anstellung von Ältesten auf. Darby legte eindeutig dar, daß die Versammlung aufgrund der Schrift dazu keine Befugnis habe, aber daß andererseits gutgesinnte Gläubige sicherlich die Arbeiter des Herrt in ihrer Mitte anerkennen würden, und nannte dabei in der Versammlung die Namen Newton, Harris und Sir Alexander Campbell (der kurz danach ebenfalls verzog). Vielleicht war dies nicht weise, doch die Behauptung, die geäußert worden ist, Darby hätte Newton zum Ältesten ernannt, ist in jedem Fall völlig unzutreffend.

(2) In den Jahren darauf verbreitete Newton seine prophetischen Auffassungen durch handschriftlich kopierte Briefe weit und breit unter den Gläubigen. In diesen Briefen verurteilte er alle, die meinten, daß die Versammlung vor dem Ende aufgenommen würde, und daß bestinnte Teile des Neuen Testaments auf andere als auf die Versammlung Bezug hätten, so z.B. auf etwaige Gläubige nach der vermeintlichen Entrückung der Versammlung. Auch behauptete er, daß diejenigen, die Matthäus 24 nicht auf die Versaimdung anwendeten, damit alle Evangelien verwürfen und daß, wenn man solchen Personen Gehör schenkte, "die Grundlagen des Christentums fort wären". Er legte so feurig dar, daß die Versammlung jetzt schon in der Drangsal sei, daß einige sich vornahmen, das Gebiet des Römischen Reiches zu verlassen1 Brüder, die hierüber anders dachten, wurden sorgfältig von Plymuth ferngehalten und als Irrlehrer bezeichnet ‑und das noch von den schwärmerischen Schwestern, die Newtons Vorträge verbreiteten1 Es ist unglaublich, in welch großem Umfang und wie raffiniert Newtons System durchgeführt wurde. Die einfältigen Gläubigen wurden nicht genährt mit Christus und verstanden nichts von Newtons Lehre; sie verstanden nur Harris, der sie besuchte und ihr Freund war.

Als Darby Newtons Rundbriefe gelesen hatte (um 1840), sagte er ihm, daß er nicht erkennen könne, daß sie aus dem Geist wären. Newton teilte ihm daraufhin mit, daß alle Freundschaft zwischen ihnen zu Ende sei und daß er nicht mehr wie frü­her mit ihm sprechen könne. Darby sagte ihm, daß seine Haltung gegenüber Newton sich nicht ändern würde, und sprach eindringlich mit ihm, bis Newton ihm endlich die Hand gab. In den Jahren danach nahm der Klerikalismus in der Versanmiung in Plymouth (Ebrington Street) beständig größere Formen an. Die Leitung des Heili­gen Geistes in der Versamlung wurde ersetzt durch die der Lehrer, und ihre Au­torität war so absolut, daß niemand sie zur Verantwortung ziehen konnte und nur sie die Leitung in den Zusammnkünften hatten. Als Darby in Plymouth war, fühlte er, daß der Geist so ausgelöscht war, daß er keine Freimütigkeit hatte, sich auszusprechen, #und elend aus der Zusarumnkunft kam. Bei Harris fand er hierüber nicht viel Gehör. In einem Briefwechsel mit ihm (1844/45) wurde ihm klar, daß in Plymouth alles drunter und drüber ging. Harris hatte lange versucht, von den Entwicklungen dort freizubleiben; nun bat er Darby, aus der Schweiz nach Ply­mouth zu kcmnen. Dies brachte Darby in großen Zwiespalt. Sowohl in Lausanne als auch in Plymouth sah er ernste Schwierigkeiten voraus, und in beiden Fällen lei­der zu Recht.

(3) Das klerikale System Newtons besaß noch viele andere traurige Kennzeichen. Er lehrte, daß nur angesehene und gebildete Kinner als Lehrer auftreten könnten. Es ist unbegreiflich, wie viele einfältige, aber auch wohlgebildete Brüder sich durch diesen Diotrephes den Mund stopfen ließen. Die Armen wagten kein Lied mehr vorzuschlagen ‑ es wurde einfach nicht angestinmt; einige zogen sich zurück, um sich der Kirche wieder anzuschließen. Kein Bruder durfte mehr Ausführungen ma­chen oder beim Brotbrechen den Tisch bedienen; jeder wußte, ob Newton oder Har­ris an der Reihe war. Es wurde als richtig angesehen, daß der Sprecher seine Predigt gründlich vorbereitete, wenn er an der Reihe war. Aufgrund ihrer Autori­tät wurden sogar ihre schlinnoten Äußerungen ohne weiteres geschluckt. Andere Brüder durften nicht sprechen, wagten es aber manchmal, ein Kapitel aus der Bi­bel vorzulesen. Dies wurde unterbunden, und einer bekam sogar Besuch von einer der führenden Schwesternt Das größte Bestreben Newtons schien wohl zu sein, neue und abweichende Dinge zu lehren, die andere Brüder in Mißkredit brachten. Auch begann er, je länger, um so eigenmächtiger, in Zuchtsachen aufzutreten. Die ein­zigen, deren Autorität er noch anerkannte, waren Harris, Soltau, Dyer, Clulow und Batten. Eine Krise konnte nicht ausbleiben.

Kapitel 4 ‑ Der Bruch In Plymouth und Bethesda (1845 ‑ 1849)

Die Situatuion in Plymuth war von Brüdern an anderen Orten mit größter Sorge beobachtet worden, doch niemand hatte etwas unternommen. Es war Darby, der mit bangen Ahnungen im März 1945 nach Plymuth kam und sich dort niederließ. Wigram sagte zu Darby, daß immer, wenn er wegen dieser Dinge zum Herrn gebetet habe, es ihm aufs Herz gelegt worden sei, daß es zu einem Ausbruch kcnymn werde. Tatsäch­lich näherte sich die Krise mit schnellen Schritten.

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