VI. Die Schweiz (9)

01/20/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

VI. DIE SCHWEIZ

(1) Es war in der französischen Schweiz, wo die neue "Bewegung" auf dem europä­ischen Kontinent zuerst Fuß faßte, und zwar durch den Dienst von John N. Darby. Die Umstände dazu waren außerordentlich günstig, und zwar dadurch, daß der Herr zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine mächtige Trennungsbewegung entstehen ließ. 

Um 1817 hatte Robert Haldane in Genf gearbeitet, wodurch eine Reihe junger män­ner sich von dem verfallenen Calvinismus getrennt hatte. Dies führte zur Bildung der ersten Freikirche in der französischen Schweiz; beteiligt war auch der eng­lische Bankier Henry Drummond, der 1819 eine Gesellschaft zur Verbreitung reli­giöser Kenntnis gründete. Unter den Missionaren der Gesellschaft waren die Brü­der Frangoi s und Henri Olivier, die Führer der Freikirchlichen werden sollten. Von Genf aus begannen verschiedene das Werk im Kanton Vaud, u.a. Miss Greaves und Felix Neff.

Die Landeskirche reagierte auf diese Bewegung mit einer außergewöhnlich starken Feindschaft, mit Widerstand mittels einer sarkastischen Presse, Volkskrawallen und strengen Geboten. 1824 wurden sogar private Zusammenkünfte verboten. In dem­selben Jahr wurden Charles Rochat, der Pfarrer von Vevey, ausgestoßen und bilde­te eine Freikirche. 1828 gab es bereits 15 solcher Kirchen in Vaud. 

Die Gefühle dieser Freikirchlichen und übrigens auch die vieler evangelisch Gesinnter, die noch in der Landeskirche blieben, waren in vieler Hinsicht verwandt mit denen der Freikirchlichen in England. Der Irvingianismus bekam, nachdem Henry Drummond sich dazu bekannt hatte, einen starken, hindernden Einfluß auf die schweizeri­schen Freikirchlichen (um 1837); auch entstand Uneinigkeit über die Wesleyani­sche Irrlehre von der Heiligung, die von Henri Olivier verfochten wurde, dem führenden freiki‑rchlichen Prediger in Lausanne. Vor allem jedoch zog die schwei­zerische Trennungsbewegung die Aufmerksamkeit der "Bräder" in England auf sich; es war Darby, der sich gedrungen fühlte, die französische Schweiz zu besuchen.

(2) 1837 machte Darby seinen ersten Besuch in Genf, der jedoch nur von kurzer Dauer war. Im Herbst 1839 kam er dorthin zurück, und nun sollte sein Aufenthalt auf dem Kontinent vier Jahre dauern1 Nach eigener Aussage ging er nach Genf, weil er gehört hatte, daß er dort Männer finden würde mit Auffassungen, die den seinen ähnlich wären und daß es dort Versammlungen gäbe wie in England. Anstelle davon zeigte sich, daß die freikirchliche Gemeinde dort ziemlich in Verwirrung war; die Gemeindeglieder hatten sich mit den Predigern überworfen und ebenso die Prediger untereinander.

 Der wichtigste Streitpunkt war ein offizieller Dienst am Wort und angestellte Älteste, im Gegensatz zur freien Wirksamkeit des Heiligen Geistes in der Gemeinde. Darby wußte vorläufig die Eintracht wiederherzustellen und arbeitete lange Zeit in Frieden unter den Freikirchlichen in Genf; er anerkannte jedoch niemals deren kirchlichen Standpunkt und zog bei seinen Predigten sowohl Gläubige aus der Freikirche wie auch aus der Landeskirche an. Nach der Sonntagnorgenpredigt feierte er das Abendmahl mit allen anwesenden Gläubigen, ohne einen Unterschied zwischen ihrer kirchlichen Bindung zu machen, sogar ohne auf jemanden einzuwirken, die Landeskirche zu verlassen. 

Und gerade indem er so, ohne kirchliche Organisation, mit ihnen Brot brach und ihnen gleichzeitig die Wahrheit über die Versammlung nach den Gedanken Gottes und den Verfall der Christenheit vorstellte, traten viele aus ihren Kirchen aus, sowohl aus der Landeskirche als auch aus den Freikirchen. Verschiedene junge Brüder wurden durch Darbys Beispiel angezogen, wurden einzeln von ihm unterwiesen (nahezu ein Jahr lang brachen sie jeden Tag Brot mit ihm) und zogen aus in die französische Schweiz und nach Frankreich. 

Innerhalb einiger Jahre entstanden Dutzende "Versammlungen", die erste in Vevey; dies also war der erste Ort, wo auf dem Kontinent in der Weise, wie die "Brüder" das gewöhnt sind, Brot gebrochen wurde. Im Dezember 1840 schloß Pfarrer C.F. Recordon sich ihnen an; obwohl er elf Kinder hatte, gab er freudig sein Predigergehalt auf. Dreißig Jahre lang war er ein bekannter Führer unter den "Brüdern»; er wurde auch der erste Redakteur ihrer Zeitschrift, des Messager Evangälique (Evangeliumsbotschafter). Auch in Genf (la Pölisserie) sonderten sich später nach viel Geduld endlich etwa vierzig Gläubige ab, um eine Versammlung zu bilden in Gemeinschaft mit den "BrÜdern" (März 1842); unter ihnen war der bekannte Bruder i. Foulquier.

(3) Im März 1840 hatte Darby nach England zurückkehren wollen, kam aber nicht weiter als bis nach Lausanne, wo er (wie er schrieb), "aufgehalten wurde". Später im Jahr versuchte er aufs neue abzureisen, wurde aber wiederum zurückgerufen. Der Grund war, daß Henri Oliviers Verkündigung der Heiligungslehre (und später der Allversöhnungslehre) Spaltung auf Spaltung unter den Freikirchlichen in lausanne verursacht hatte, so daß ein einflußreiches Mitglied unter ihnen Darby bat, als Friedensstifter einzutreten. 

Dies tat Darby, indem er eine vor­treffliche Broschüre gegen die Heiligungslehre schrieb, in der er einerseits zeigte, daß die Sünde weiter in dem Gläubigen wohnt, bis er bei dem Herrn ist, aber anderseits, daß die Kraft des Geistes Gottes den Gläubigen in die Lage ver­setzt, daß er nicht zu sündigen braucht, sondern Gott dienen kann. Diese Bro­schüre wurde so gesegnet, daß sogar Henri Olivier sich geschlagen gab und ein treuer Bundesgenosse Darbys wurde (1841).

Ein zweiter Disput entstand 1840 durch eine Reihe von elf Vorträgen, die Darby in Genf hielt über das Thema: Die Hoffnung der Versammlung Gottes. Diese Vorträ­ge schlugen wie eine Bcffibe ein, nicht nur in lausanne, wo sie eine große Wirkung hatten, sondern sie wurden auch innerhalb weniger Jahre ins Englische, Holländi­sche und Deutsche Übersetzt. 

Es war Pfarrer H.P. Scholte, einer der bekanntesten Glaubensmänner der freikirchlichen Bewegung in den Niederlanden, bei dem Darby im Herbst 1841 in Utrecht logierte, der diese Vorträge ins Holländische über­setzte und, versehen mit einem begeisterten Vorwort, 1842 herausgab. Diese Vor­träge zeigen deutlich, weshalb beinahe von Anfang an das Studium der Wahrheit über die Versammlung und das Studium der Prophetie bei den "Brüdern" Hand in Hand gingen. 

Darby zeigte darin, wie groß der Unterschied ist zwischen der Stel­lung und der Erwartung des irdischen Volkes Israel und der der himmlischen Ver­sammlung. Darüber hinaus machte er einerseits deutlich, was die Versammlung ist nach den ewigen Ratschlüssen Gottes, und andererseits, wie die Christenheit, was ihre Verantwortlichkeit betrifft, eine Ruine geworden ist und als solche gerich­tet werden wird. Darby schrieb auch, welche Ereignisse damit verbunden sein wer­den: die Entrückung der wahren Versammlung, der völlige Abfall der Christenheit, das Aufkommen des Antichristen, der im Unglauben wiederhergestellte Staat Isra­el, die Wiederkunft Christi, das Friedensreich, die zweierlei Auferstehung.

Die Vorträge und einige Broschüren Darbys zogen ihn in einen lang andauernden Federkrieg. In der Schrift Der Abfall in den aufeinanderfolgenden Haushaltungen zeigte er, daß jedesmal, wenn Gott neue Beziehungen mit dem Menschen anknüpfte, dieser unmittelbar das verdarb, was Gott ihm anvertraute; jede Haushaltung ende­te also in völligem Abfall, wobei stets ein kleiner Überrest durch die Gnade Gottes treu blieb. 

In einer zweiten Schrift Über die Bildung von Kirchen nahm er sowohl das Bestehen "nationaler" Kirchen wie auch die Bildung neuer "freier" Splitterkirchen aufs Korn. Darby zeigte, daß es nach den Gedanken Gottes ist, wenn Gläubige den Verfall erkennen und sich von jeder Verbindung mit dem Bösen absondern, mu einfältig zum Namen des Herrn und in Einheit mit allen Gläubigen zusainmnzukcmmn. Diese Broschüre rief eine Reaktion August Rochats hervor, Pre­diger der Freikirche in Rolle (bei Lausanne) und Bruder des bereits genannten Charles Rochat aus vevey.

 Darby beantwortete das Pamphlet Rochats mit einer neu­en Broschüre, worauf Rochat aufs neue eine Schrift veröffentlichte, die wiederum von Darby beantwortet wurde. Der wesentliche Vorwurf, den Darby Rochat machte, war, daß dieser den Zustand der Christenheit nicht anerkennen wollte und die Be­hinderung der freien Wirksamkeit des Geistes Gottes in der Versammlung durch menschliche Einrichtungen guthieß.

Auch mit anderen Schreibern kam Darby in Konflikt. Seine Broschüre Über den Dienst am Wort: sein Wesen, seine Quelle, Kraft und Verantwortlichkeit (um 1842) wurde von dem Theologiestudenten P. Wolff angegriffen (1843), worauf Darby eine Gegenschrift veröffentlichte (1844). Ein anderer Gegner war Henris Bruder Fran­cois Olivier in Lausanne, der in einer Broschüre den Verfall zugab, aber behauptete, daß dies nicht die Gemeinde, sondern das Königreich Gottes betreffe. Darby verfaßte eine Entgegnung (1843) und beantwortete Oliviers Reaktion mit einer Studie über Römer 11 und über die Verantwortlichkeit der Versammlung (1844). 

Aber nicht nur schriftlich wurde Darby angegriffen. Im September 1842 hielten die freikirchlichen Prediger eine Zusammenkunft, der Darby widerstrebend bei­wohnte und wo seine Lehre öffentlich verurteilt wurde. Die Prediger anerkannten den verfallenen Zustand der Gemeinde, leugneten aber ihre Mitverantwortung daran mit der Behauptung, daß sie nicht verantwortlich seien für das Böse ihrer Vorvä­ter. Die Zusammenkunft endete in großem Tumult. Darby schrieb, daß er, obwohl er sie liebte, nicht länger mit den Freiki‑rchlern verbunden bleiben könne und daß er seitdem viel freier und glücklicher sei und daß es offensichtlich Segen gebe.

(4) Dieser Segen bestand nicht zuletzt in der Entstehung vieler "Versammlungen", vor allem in Vaud; doch auch in Bern und Basel wurde Darbys Einfluß gefühlt. Ei­nige liefen 80 Kilcmeter, um ihn in Genf sprechen zu hören. Auch während seines Aufenthalts in der Schweiz machte er viele Reisen, bis nach Holland. 1843 berei­ste er u.a. England, wo er verschiedene Versammlungen besuchte, wie wir sahen (Hereford, London, Kendal, usw.). 

Anfang 1844 machte er erneut einen Besuch in der Schweiz und verließ sie im März 1845 wegen ermster Schwierigkeiten in Ply­mouth (Siehe Kap. 4). Unmittelbar danach entstand eine politische Revolution in Lausanne, die zu schweren und gewalttätigen Verfolgungen (teils von den Jesuiten angezettelt) gegen die "BrÜder" und die Freikirchlichen führte. Aus Angst, daß große Versammlungen von der Obrigkeit verboten werden würden, kamen die "Brüdern in kleinen Gruppen in den Häusern zusammen. Doch was Darbys Widersacher prophe­zeit hatten, geschah nicht: weder religiöse noch politische Spannungen richteten die Versammlungen zugrunde; ein kräftiges Zeugnis blieb durch die Güte Gottes bis auf den heutigen Tag bewahrt.

VII. FRANKREICH

Bereits Mitte der dreißiger Jahre erreichten Berichte die "Brilder" in England über eine verwandte evangelische Bewegung in der Ukcr‑bung von Lyon durch die Tä­tigkeit von A. Monod, der sowohl Katholiken als auch Protestanten anzog. Auch hatten sie Kenntnis von einem Gläubigen in Nizza, der von Zeit zu Zeit mit ei­nigen Gläubigen, die sich dort aufhielten, Brot gebrochen hatte und später ins Gefängnis kam, weil er in der Bibel las.

Nachdem Bruder Darby mit seiner Arbeit in Genf und Lausanne begonnen hatte, gab es bald junge Brüder, die, wir wir sahen, in der Schweiz, aber auch in Frank­reich umherzogen und überall Versammlungen bildeten, trotz Widerstand und Miß­handlung. Drei dieser Evangelisten arbeiteten etwa 1840 in dem Gebiet von Al­boussi6re (Ardbche): der Schweizer Lehrer A. Guignard und die Franzosen Pierre Dorel und Andrä Moureton, der zu derselben Zeit wie A. Monod und A. Dentan in Lyon tätig gewesen war. Letzterer arbeitete auf dem "Plateau" als freikirchli­cher Prediger in Le Riou und La Pireye. Er lernte jedoch die Wahrheit kennen und gab sein festes Predigergehalt auf, obwohl er eine große Familie hatte. Er wurde für die Versammlungen, die in diesen Gegenden entstanden, sehr zum Segen.

Darby machte von der Schweiz aus regelmäßig Besuche in Frank‑ reich. Im Januar 1843 schrieb er nach einem solchen Besuch: "In Frankreich gibt es Fortschritte, und ich fand die Brüder wohlauf und im allgemeinen in der Nähe des Herrn vor­angehen. An der Gard gibt es nun ein großes offenes Feld ... Obwohl in St. Hippolyte andere gleichfalls arbeiten, haben sich mehrere aufrichtige Männer, die äußerst voreingencomen, waren (als sie sahen, daß unsere Brüder mehr mit dem Herrn gingen und Seinen Segen erfuhren), den Brüdern zugewandt und das bekannt ... In Isere gibt es einen Beginn des Segens, ebenfalls im D6partement DrÖme, in Montmeyran, wo sie jedoch schwach sind; dieser Ort wird mir wahrscheinlich maßlose Feindschaft entgegenbringen ... Das Wachwerden hinsichtlich des wirklichen Zustandes geschieht hauptsächlich, wenn auch nicht ausschließlich, unter einfachen Brüdern. Sie sind treu und eifrig ‑ das ist ein bemerkenswertes Kennzeichen ... Die Brüder komnen in Frankreich zum Brotbrechen zusammen an Orten, von deren Bestehen ich nichts wußte, bis ich auf meiner letzten Reise dorthin kam.‑12 IM Frühjahr 1844 schrieb Darby Briefe aus Montpellier und St. Hippolyte du Fort während einer Reise zu verschiedenen Orten.

VIII. DEUTSCHLAND

George Müller von Bristol hatte sein Geburtsland Deutschland nicht vergessen und dort um 1840 verschiedene Besuche gemacht, jedoch immer nur für kurze Zeit. Anfang 1841 drängte ihn sein Freund Robert Chapman aus Barnstaple, der soeben von einer Reise zum Kontinent zurückgekehrt war, die bereits erschienenen Teile seines Werkes Beschreibungen einiger der Handlungen des Herrn mit George Müller im Deutschen herauszugeben und auch selbst mehr in Deutschland zu arbeiten. Im Mai 1843 erhielt er zudem einen Brief von einer deutschen Dame, die ihn eineinhalb Jahre zuvor in Bristol besucht hatte, die auch seine Lebensbeschreibung ' Deutsche übersetzt hatte und dadurch zur Bekehrung gekcmmen war. 

Sie hatte eine kleine Baptistengemeinde in Stuttgart gefunden, war dort getauft worden und nun Mitglied dieser Gemeinde. Sie fügte ihrem Brief einen anderen Brief bei, von einem gewissen Dr. R., einem Rechtsanwalt des höchsten Gerichtshofs in Württemberg, der ebenfalls Baptist war. Dieser bat Müller um eine schriftgewäße Erläuterung seiner Auffassung über "offene Gemeinschaft", die er in Müllers Lebensbeschreibung gefunden hatte und die scharf abstach von der Praxis der Baptistengemeinde in Stuttgart. 

Zwei andere Gläubige in Stuttgart hatten darum gebeten, getauft zu werden, aber die Baptisten lehnten dies ab, es sei denn, daß sie versprächen, niemals das Abendmahl mit ungetauften Gläubigen oder mit Gliedern einer Staatskirche zu feiern. Dies konnten die beiden Bekehrten jedoch nicht versprechen und machten deshalb eine Reise von 1200 km nach Bristol, um von Müller getauft zu werden. Das bestärkte ihn in seiner Uberzeugung, daß der Herr wollte, daß er nach Stuttgart gehe: als er darüber hinaus eine Gabe bekam, reiste er sofort mit seiner Frau und den beiden Deutschen ab.

Von August 1843 bis Februar 1844 blieben die Müllers in Stuttgart, wo sie mit offenen Armen von den Baptisten empfangen wurden. Er sprach in allen ihren Zusammenkünften und außerdem in zusätzlichen Zusammkünften an allen Abenden in der Woche. Es entstanden jedoch sofort Schwierigkeiten, vor allem über die Frage, ob Müller nun am Abendmahl teilnehmen konnte oder nicht. Am 3. September wurde Müller während des morgendlichen Gottesdienstes öffentlich von dem lehrenden Ältesten widersprochen. 

Müller warnte ernstlich vor einer Spaltung, weil dies dem Zeugnis schaden würde, doch war eine Trennung nicht zu vermeiden. Abends kamen zwölf Gemeindeglieder zu seiner Privatwohnung, wo sie mit den Müllers, einer englischen Schwester und zwei Brüdern aus der Schweiz, "die den Weg der Wahrheit völliger kennengelernt hatten durch unseren Bruder John Darby"13 Brot brachen. Müller rechtfertigte die Trennung aufgrund des sektiererischen Standpunkts der Extremeren in der Baptistengemeinde, die lehrten, daß man durch die Taufe Vergebung der Sünden und Wiedergeburt empfange, und außerdem behaupteten, daß allein sie "die Kirche" wären und die Wahrheit kennten.

Müller widmete sich nun völlig der Belehrung der kleinen Versammlung. Das Schwierigste war, sie, die so an den Ein‑Mann‑Dienst am Wort gewöhnt waren, zu lehren, was die freie Wirksamkeit des Heiligen Geistes in den Zusammenkünften ist, der gebraucht, wen er will. Es wurde jede Woche Brot gebrochen mit allen Gläubigen, die kamen, ohne daß kirchliche Unterschiede gemacht wurden. Auch diese "offene Gemeinschaft" war etwas völlig Neues. 

"Es ist ein Bruder unter uns", schrieb Müller, "der durch den geliebten John Darby in der Schweiz den Weg Gottes völliger gelernt hatte und darüber häufig gesprochen hatte, bevor ich kam, aber auf den man nicht sehr hörte und der nicht in Gemeinschaft aufgenommen wurde, weil er nicht getauft war. Am Ende von Müllers Aufenthalt waren es 25, die Zusammenkamen, unter ihnen drei frühere Älteste der Baptistengemeinde. 

In­,zwischen hatte güller auch eine eigene Übersetzung seiner Lebensbeschreibung fertiggestellt und herausgegeben. Als er abreiste, winkten ihm nicht nur die Ge­schwister der kleinen Versanntlung nacil‑, sondern auch 19 Gläubige, die in der Baptistengemeinde zurückgeblieben waren. 1845 besuchte er Stuttgart erneut für einige Monate, u.a. wegen Gerüchten über verkehrte Meinungen, die sich in die Versannlung eingeschlichen hätten.

Dieser Anfang in Stuttgart nahm eine eigene Entwicklung und stand völlig ge­trennt von der Bewegung, die in den fünfziger Jahren in Elberfeld entstehen sollte und die sich auch weiterhin für sich entwickelte als Folge der traurigen Spaltungen, die 1845 und danach in England stattfanden.

Kapitel 3 ‑ Scheidung der Geister (1832 ‑ 1845)

Wer aufmerksam die erste Phase der Geschichte der "Brüder" verfolgt, kann sich des Gedankens nicht erwehren, daß die Bewegung von Anfang an keine Einheit war. Überall hatten Gläubige sich von den kirchlichen Systemen abgesondert, um in Einfalt zum Namen des Herrn hin zusammenzukommen ‑ doch ihre Beweggründe waren sehr verschiedenartig. Einige hatten sich an liturgischen und klerikalen Syste­men gestoßen und sich deshalb getrennt, andere hatten derartige Elemente auch zum Teil in der "Versammlung" aufrechterhalten. Es gab unterschiedliche Ansich­ten über die Freiheit des Dienstes am Wort, Über das Anstellen von Ältesten und vor allem über die Grundlage, auf der die Gläubigen zusammenkamen. Anfänglich waren die Auffassungen bei verschiedenen führenden Brüdern noch nicht scharf um­rissen, und zudem milderte die erste Begeisterung die Unterschiede. 

Doch in dem Maß, wie die Auffassungen sich weiter herauskristallisierten, nahmen auch die Gegensätze zu. Nun braucht das noch keine wirkliche Gefahr zu bedeuten. Natür­lich ist es schade, wenn Brüder nicht einmütig dasselbe denken, doch anderer­seits gibt es auch keine zwei Brüder, die über alle Einzelheiten der Wahrheit dieselben Gedanken haben. Unterschiede in der Einsicht sind möglich und können sogar teilweise mit der Verschiedenheit der Gaben zusammenhängen, die der Herr der Versammlung gegeben hat. 

Niemals dürfen Unterschiede in der Einsicht jedoch zu Uneinigkeit und Trennung führen, denn das ist das reinste Sektierertum ‑ und die "Brüder" hatten sich gerade auch von den Sekten (nicht nur von den Kirchen) getrennt! Sekten sind Gruppen, die nur mit solchen Gläubigen volle Gemeinschaft haben wollen, die über bestimmte Punkte dieselben Auffassungen haben wie sie und die Mitglied ihrer Gesellschaft werden ‑ aber die "Brüder" betrachteten es als das Verlangen des Herrn, daß sie Gemeinschaft mit allen wahren Gläubigen pfleg­ten, ohne Mitgliedschaftsgrenzen.

Deshalb ist es völlig unzutreffend, die "Brüder" selbst eine Sekte zu nennen. Sie waren keine abgetrennte Kirchengemeinschaft, sie waren überhaupt keine Kir­chengemeinschaft. Sie hatten keine bevorzugten Lehrsätze, die sie als Bedingun­gen für die Gemeinschaft anderen auferlegten; sie hatten überhaupt keine Bedin­gungen, als nur, daß jemand ein wahrer Gläubiger ist, rein in Wandel und Wahr­heit. Man hat den "Brüdern‑ jedoch den Vorwurf gemacht, daß sie trotz ihrer frcmmn Grundsätze soviele Trennungen erlebt haben, und das ist leider wahr. Aber man sieht dabei nicht, daß diese Trennungen von dreierlei Art waren:

(1) Entweder ging es um den Ausschluß eines falschen Lehrers, der eine Anzahl Versammlungen in seinem Fahrwasser mitriß. Hier ging es um Irrlehre, die die Fundamente des Christentums antastete ‑ und welcher Gläubige wagte zu sagenf daß `das nicht schlimm wäre oder daß dagegen nicht vorgegangen zu werden brauchte? 

(2) Oder es ging um Personen oder Versammlungen, die sich aus fleischlichen Motiven oder aus unbiblischen Gründen selbst zurückzogen; darüber können wir nur trauern und uns demütigen. (3) oder es ging tatsächlich um Meinungsverschiedenheiten, die niemals eine Trennung hätten zustandebringen dürfen. Das ist sehr beschämend, aber zugleich beeilen wir uns zu sagen, daß der Herr in Seiner Güte die meisten dieser Trennungen wieder beseitigt hat. Das werden wir noch sehen.

Die Gegensätze nun, die in den ersten Jahrzehnten der Versammlungen aufkamen, waren leider tatsächlich zu einem Teil wesentlicher Art. Sie betrafen sowohl die Grundlage, auf der sich die Gläubigen versammelten" als auch die Fundamente des christlichen Glaubens; sind diese beiden übrigens nicht eng miteinander verbunden? Das Entstehen dieser Gegensätze war, menschlicherweise gesprochen, nicht zu vermeiden. Viele Personen, die beitraten, waren niemals von verantwortlichen Brüdern besucht und befragt worden, und wir haben gesehen, daß in vielen Fällen sogar ganze Gemeinden (wie in Bristol und Barnstaple) in ihrer Gesamtheit sich allmählich in "Versammlungen der Brüder" umwandelten. 

Es konnte nicht anders sein, als daß viel Spreu unter dem Weizen war. Aber was noch schlimmer war: sogar bei vielen führenden Brüdern war wenig Licht über die Frage vorhanden, was die Versammlung Gottes nun eigentlich ist, sowohl nach den Ratschlüssen Gottes als auch in ihrer praktischen Darstellung auf der Erde. Das war in Wirklichkeit die Ursache, daß bei vielen völlig verkehrte Gedanken heranreiften über die Grundlage des Versammelns, über die Art und Weise der Zusanmenkünfte und vor allem Über unser Verhältnis gegenüber sittlich und lehrmäßig Bösem.

Ein wichtiges Beispiel dafür ist folgendes. Als Darby hörte, daß die Brüder in Dublin sich 1830 in der Aungier Street zu versammeln begannen, fragte er sie bei der erstbesten Gelegenheit, nach welchen Grundsätzen sie zusammenkämen. Sie antworteten u.a., daß sie aufgrund der Tatsache zusammenkämen, daß sie Kinder eines Gottes seien und dasselbe Leben besäßen. Daraufhin legte Darby ihnen dar, daß diese Dinge für jeden persönlich vollkcmnen wahr sind, aber daß es nicht die Grundlage ist, auf der die Versammlung Gottes errichtet ist (Mt 16,16‑18), und daß, wenn sie auf dieser Grundlage fortführen, sie keine wahre Basis hätten, um eine Verbindung mit Bösem zurückweisen zu können. 

Er zeigte ihnen, daß die Ver­sammlung mit einem verherrlichten Haupt im Himmel verbunden ist und daß der Geist herniedergekcmmn ist, um auf der Erde unter den Gläubigen die Bedingungen aufrechtzuerhalten, die mit dem Haupt übereinstimmen. Der größte Teil der Ver­sammlung nahm die Wahrheit mit Dankbarkeit an, aber einige, die äußerlich zu­stimmten, hielten in ihren Herzen an ihren verkehrten Grundsätzen fest, und sie alle wurden in der traurigen Spaltung von 1848 mitgerissen.

Das ist die große Tragik der Anfangszeit. Viele haben nicht mehr gesehen, als daß sie zu einer neuen Bewegung gehörten, die keine Geistlichkeit kannte und wo alle Gläubigen Brot brechen konnten. So wie heute noch allenthalben sogenannte "freie Kreise" entstehen, gebildet aus unzufriedenen Gläubigen, die sich in ih­rer "Kirche" aus allen möglichen Gründen nicht mehr zurechtfinden und dann ein­fach etwas für sich beginnen, so war es auch damals manchmal. Das erklärt, wes­halb die "Offenen Brüder" (die geistlichen Nachkcmnen der Gläubigen, die im An­fang diese Gesinnung hatten) bis heute aus solchen "freien Gruppen" bestehen, oft fast ohne irgendwelchen gegenseitigen Zusanmenhang, oft mit stark klerikalen Elementen und auch oft kaum zu unterscheiden von freien evangelischen, Pfingst­oder Baptistengemeinden. Einer von ihnen (E.H. Broadbent) veröffentlichte 1931 ein Buch, The Pilgrim Church (Die Pilgerkirche), worin er zu zeigen versuchte, daß die Bewegung der "Brüder" nur eine Erscheinung sei in dem langen Strom von freien, radikalen und pietistischen Gruppierungen, durch alle Jahrhunderte der Christenheit hindurch ‑ und was die "Offenen Brüder" betrifft, hatte er recht. Deshalb verstehen wir auch, daß es immer wieder "Offene Brüder" gegeben hat, die versuchten zu zeigen, daß nicht J.N. Darby, sondern A.N. Groves als der "Grün­der" der Bewegung angesehen werden nässe, weil dieser als erster vorschlug, ein­fach als Gläubige Brot zu brechen, ohne offizielle Geistliche und mit allen wah­ren Kindern Gottes, die teilnehmen wollten. Nun fühle ich persönlich keinerlei Bedürfnis, einen bestimmten Bruder als Gründer in den Vordergrund zu stellen, aber ich weiß wohl, daß A.N. Groves niemals wirkliche Sympathie für die Grundla­ge hatte, auf der die "Brüder" sich versammelten, und er hat sich auch niemals als einer der Ihrigen betrachtet. Die Gedanken, die er äußerte, waren unzweifel­haft sehr wichtig ‑ aber sie waren weder neu in der christlichen Geschichte noch entscheidend für die Grundlage, auf der die "BrÜder" zusammenkamen. Um weitere Ereignisse verstehen zu können, werden wir deshalb nun zuerst kurz untersuchen, wie in einer Zeit von etwa 13 Jahren die Auffassungen verschiedener führender Personen feste (und leider entgegengesetzte) Formen annahmen. Dabei werden wir uns beschränken auf J.N. Darby, A.N. Groves, G. Müller, H. Craik und B. W. Newton.

I. DARBY

(1) Es ist klar zu sehen, daß es der Dienst von Bruder J.N. Darby war, seine vielen Reisen, seine zahlreichen Schriften und vor allem seine außergewöhnlich tiefe Einsicht in die Schrift, wodurch während der Anfangszeit inmitten der Brüder das meiste Licht auf die Wahrheit von der Versammlung und die Prophezeiungen geworfen wurde. Ein amerikanischer Theologe hat später gesagt: "Gott hat seiner Gemeinde drei große Männer gegeben: Paulus hat uns die gesamte neutestamentliche Wahrheit gegeben, Luther hat uns die Rechtfertigung aus Glauben zurückgegeben, und Darby hat uns die gesamte durch Paulus offenbarte Wahrheit zurückgegeben." Sogar nach dem zweiten Weltkrieg bemerkte eine englischer (anglikanischer) Theo­loge während einer großen Konferenz, daß seit Darby kein wesentlich neues Licht auf die Prophezeiungen geworfen worden sei. Vor nicht langer Zeit fragte ein "Offener Bruder" bei einem amerikanischen Herausgeber an, ob es möglich sei, die Werke Darbys ohne dessen Namen herauszugeben, weil er davon überzeugt war, daß seine Mitgeschwister dadurch großen Gewinn und Segen empfangen würden, solange sie nur nicht wüßten, daß der Autor der von ihnen geschmähte Darby war ...

In den folgenden Kapiteln werden wir noch zur Genüge auf die Ansichten dieses Gottesmannes zurückkommn; deshalb will ich an dieser Stelle den Leser auf zwei Zitate aufmerksam machen, die ein gutes Bild seiner Gedanken geben.

(2) Das erste ist ein Zitat aus einem Brief, den Darby 1855 an Herrn Sudhoff ge­schrieben hat (nicht an Professor Tholuck, wie man vielfach angenomnen hat).

"Die Heilige Schrift wurde für mich absolute Autorität, obwohl ich sie immer als das Wort Gottes anerkannt hatte. Ich verstand, daß ich mit Christus im Himml einsgemacht war und daß deshalb Sein Platz vor Gott der meine war. Ich sah, daß mein armes, elendes "Ich", mit dem ich mich sechs oder sieben Jahre lang gequält hatte, um die Forderungen des Gesetzes zu erfüllen, vor Gott weggetan war. Fer­ner wurde mir klar, daß die wahre Kirche nur aus solchen besteht, die mit Chri­stus verbunden sind, und daß die Christenheit, wie sie sich nach außen hin dar­stellt, nicht "die Kirche" sein kann, sondern in Wirklichkeit die Welt ist (ab­gesehen von der Verantwortlichkeit, die sie auf sich lädt, indem sie sich nach Christus nennt; in sich selbst eine äußerst wichtige Sache). Ebenfalls sah ich, daß der Gläubige" der in Christus einen Platz im Himmel hat, nichts anderes er­warten kann als die Wiederkunft seines Heilandes, um dann in Wirklichkeit in die Herrlichkeit versetzt zu werden, die bereits in Christus sein Teil ist.

Das sorgfältige Lesen der Apostelgeschichte zeigte mir den Zustand der Kirche im Anfang und ließ mich zutiefst fühlen, wie weit die Kirche Gottes in unserer Zeit abgewichen ist. Ich war zu der Zeit genötigt, mit Krücken zu laufen, wodurch ich dem Gottesdienst nicht beiwohnen konnte. Es war offensichtlich die gute Hand Gottes, die mir zu Hilfe kam und meine geistliche Schwachheit hinter der körper­lichen Unfähigkeit verbarg. Während ich so abwarten mußte, kam ich zu der Uber­Zeugungf daß das, was die Christenheit tat, in keiner Hinsicht dem entsprach, was nach den Gedanken Gottes sein mußte. Jesaja 32 lehrte mich in der deutlich­sten Weise in reiner Einsamkeit, daß es Gottes Absicht war, in der Zukunft noch eine Haushaltung für Sich zu haben, eine Ordnung der Dinge, die es jetzt noch nicht gibt. Das Bewußtsein meiner Verbindung mit Christus ließ mich das himm­lische Teil genießen; genanntes Kapitel stellte mir ein irdisches Erbe vor Au­gen. Zwar konnte ich beide noch nicht völlig an ihren rechten Platz einordnen, doch der Geist Gottes hat es mir durch das Lesen Seines Wortes offenbart.

Was war nun zu tun? Ich fand in dem Wort, daß Christus wiederkcunt‑, um Seine Kirche zu Sich in die Herrlichkeit zu nehmen. Ich sah dort das Kreuz, die gött­liche Grundlage des Heils, das im Hinblick auf das Kcmmn des Herrn dem Christen sowie der Kirche seinen Charakter aufprägen sollte; und ich sah auch, daß zwi­schenzeitlich der Heilige Geist gegeben war als Quelle der Einheit der Kirche wie auch als Triebfeder ihrer Tätigkeit und aller christlichen Energie ...

Die Gegenwart des Heiligen Geistes, der aus dem Himmel gesandt worden war, um als 'Salbung', 'Siegel' und 'Unterpfand des Erbes, in den Gläubigen zu wohnen, wie auch die Wahrheit, daß Er in der Kirche die Kraft ist, die sie zu einem Leib verbindet und den Gliedern Gaben austeilt, wie Er will, wurden immer größer in meinen Augen und gewannen immer mehr an Bedeutung. Mit der letztgenannten Wahr­heit verband sich auch die Frage des Dienstes. wo hatte dieser Dienst seinen Ur­sprung? Es ist ganz klar, daß er, entsprechend der Bibel, allein von Gott durch das freie und mächtige Wirken des Heillgen Geistes kommen konnte.

In der Zeit, in der ich mich in besonderer weise mit diesen Dingen beschäftigte, hatte ich als Pfarrer in meiner Gemeinde einen Freund, der ein vortrefflicher Christ war und besonderes Vertrauen verdiente. Ich fühlte mich in besonderer Weise zu ihm hingezogen. Es waren jedoch keine Menschen, die mein Gewissen be­einflußten, sondern Grundsätze, denn aus Liebe zum Herri hatte ich von allem, was die Welt mir bieten konnte, Abstand gencnmn. Ich sagte mir: Wenn der Apo­stel Paulus hierher käme, dürfte er nach den Kirchengesetzen nicht predigen, weil er nicht, wie vorgeschrieben, ordiniert war. Wenn aber ein Diener Satans käme, der durch seine Lehre den Heiland verleugnete, könnte dieser ohne weiteres predigen, sofern er ordiniert wäre. Und mein gläubiger Freund müßte ihn als Mit­arbeiter betrachten, während er das mächtigste Werkzeug des Geistes Gottes nicht anerkennen könnte, auch wenn dieser noch so gesegnet wäre in seiner Arbeit und ganze Scharen zum Herrn bringen würde. Ich mußte für mich selbst erkennen, daß dies alles verkehrt ist. Es geht dabei nicht einfach um einen Mißbrauch, wie wir ihn überall antreffen können; es ist der Grundsatz des System, der verkehrt ist. Der Dienst ist durch den Geist. Ohne Zweifel gibt es auch unter den Pfar­rern solche, die sich in ihrem Dienst durch den Geist Gottes leiten lassen. Aber der Grundsatz dieses kirchlichen System ist in völligem Gegensatz zu der Wahr­heit.

Die Folge dieser Erkenntnis war, daß ich nicht länger in solch einem System bleiben konnte. Anstelle einer Geistlichkeit, die auf verkehrtem Boden stand, sah ich in der Schrift Gaben, die den Dienst ausübten. Das Heil,' die Kirche (Versammlung), der Dienst, alles ist aufs engste mit Christus verbunden, dem himmlischen Haupt der Kirche, der ein vollkommenes Heil brachte, und mit der Ge­genwart des Heiligen Geistes auf der Erde, der die Glieder mit dem Haupt und un­tereinander zu einem Leib verbindet und nach Seinem Willen in ihnen wirkt.

Das Kreuz Christi und Seine Wiederkunft sollten die Versammlung und alle ihre Glieder kennzeichnen. Was war nun zu tun? Wo war diese Einheit, dieser Leib? Wo wurde die Macht des Heiligen Geistes anerkannt? Wo wurde der Herr wirklich er wartet? Die Staatskirche war mit der Welt verbunden, und selbst Gläubige waren darin aufgegangen, obwohl Christus sie von der Welt getrennt hatte. Das Abendmahl, das göttliche Sinnbild der Einheit des Leibes" war ein Symbol ihrer Verbindung mit der Welt geworden, also gerade das Entgegengesetzte von dem, was Christus eingesetzt hatte. Trennung von der Staatskirche hatte zweifellos die Wirkung, daß die wahren Kinder Gottes offenbarer wurden, doch vereinigten sie sich wieder entsprechend anderen Grundsätzen als denen der‑Einheit des Leibes Christi. Wenn ich mich ihnen anschließen würde, würde ich mich gleichzeitig wieder von anderen Kindern Gottes absondern1 Das würde Zersplitterung des Leibes bedeuten, und nicht seine Einheit.

Was sollte ich tun? Ich stand vor dieser ernsten Frage, ohne dabei einen anderen Gedanken zu haben, als mein Gewissen zufriedenzustellen im Licht des Wortes Gottes. Matthäus 18,20 gab mir die Antwort auf meine Frage: "Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte." Das war gerade das, was ich nötig hatte: Unserer Zusammenkunft war die Gegenwart des Herrn Jesus verheißen; dort will Er Seinen Namen wohnen lassen, so wie Er das einst im Tempel in Jerusalem getan hatte, damit man dort zusammenkamen.15

(3) Das zweite Zitat stammt aus einer Broschüre, die Darby in der Anfangszeit veröffentlichte und die den Titel trug: Absonderung van Bösen, Gottes Grundsatz der Einheit.

"Die Notwendigkeit der Einheit wird gegenwärtig von jedem rechtgesinnten Christen gefühlt. Die Macht des Bösen wird von allen gefühlt ... Die Empfindungen, die das Bewußtsein von dem Fortschreiten des Bösen zustande bringt, können verschieden sein. Einige, obwohl es nur wenige sind, vertrauen möglicherweise noch auf die Bollwerke, an denen sie lange hinaufgesehen haben ... Andere vertrauen vielleicht auf eine vermeintliche Kraft der Wahrheit, die diese aber niemals ausgeübt hat, außer in einer kleinen Gruppe, weil Gott und das Werk Seines Geistes dort waren; andere vertrauen auf eine Einheit, die auf der Seite des Guten noch niemls das Mittel zur Kraft war, nämlich eine Einheit aufgrund von Übereinkunft und Einstbmügkeit ... Dies führt zu der Frage, wo der Pfad des Gläubigen ist und wo wirkliche Einheit zu finden ist.

Im folgenden weist Darby die Falschheit der breiten römisch‑katholischen und der engen sektiererischen Grundsätze der Einheit nach und legt dar, daß nur Gott Selbst der wahre Mittelpunkt der Einheit ist, aber daß dann zugleich auch die, die Ihn umgeben, Seinem Maßstab der Heiligkeit entsprechen müssen. So war es in der ersten Schöpfung. Doch die Gemeinschaft mit Gott ging durch den Sündenfall verloren.

Darby fährt fort: "Die Welt liegt im Bösen, und der Gott der Einheit ist der heilige Gott. Absonderung vcm Bösen wird deshalb die notwendige und einzige Grundlage und Norm (ich sage nicht: die Kraft) der Einheit. Denn Gott muß der Mittelpunkt und die Kraft der Einheit sein, solange das Böse besteht; deshalb müssen diejenigen, die in Gottes Einheit sein wollen, von dem Verderben getrennt sein; denn Er kann keine Geminschaft mit dem Bösen haben ... Doch diese Abson­derung geschieht jetzt noch nicht durch eine richtende Macht, die (nicht das Gute vom Bösen, das Köstliche vom Gemeinen, sondern) das Gemeine vom Köstlichen absondert ... indem sie das Unkraut zusammnbindet und in den Feuerofen wirft ... Es ist jetzt nicht die Zeit, um richtend das Böse vom Guten in der Welt, dem Acker Christi, abzusondern, indem die Gottlosen abgeschnitten und ausgerottet werden. Aber deshalb gibt Gott den Gedanken an Einheit nicht auf, und genausawe­nig kann Er eine Einheit mit Bösem anerkennent Da ist ein Geist und ein Leib. Die Kinder Gottes, die verstreut waren, versanymlt Er in eins ... Er sondert die Berufenen vom Bösen ab. 'Gehet aus ihrer Mitte aus und sondert euch ab ... und ich werde euch aufnehmen.' Das war Gottes Weise des Versanimlns, indem Er sagte: Geht aus ihrer Mitte hinaus ....

Es kann keine andere sittliche Kraft geben, die, abgesondert vcm Bösen, vereint, als Christus. Er allein als die vollkomnene Gnade und Wahrheit deckt all das Böse auf, das von Gott trennt und wovon Gott trennt. Er allein kann, nach den Gedanken Gottes, der anziehende Mittelpunkt sein, der alle zu Sich zieht, mit denen Gott so handelt ... Als der Auferweckte und schließlich als Derjenige, der höher als die Hinnel geworden ist, wird Er der Mittelpunkt und einzige Gegen­ stand der Einheit "Laßt uns zu ihm hinausgehen, außerhalb des Lagers, seine Schmach tragend"Auch im Blick auf die offenbare Entfaltung der Macht und Herrlichkeit des Sohnes des Menschen wurde der Heilige Geist herniedergesandt, um die Berufenen mit ihrem himmlischen Haupt zu vereinigen und sie von der Welt abzusondern, in der sie bleiben mußten ... Auf diese weise in eins versammelt, wurden die Gläubigen die Wohnung Gottes im Geist ... So wie die Einheit des alten Israel gegründet war auf die Erlösung und Berufung aus der Mitte der Heiden, die sie umgaben (und eine Absonderung von ihnen aufrechterhielt), so wurde auch die Einheit der Kirche auf die Macht des Heiligen Geistes gegründet, der herniederkam vom Himmel, ein eigenes Volk aus der Welt für Christus absonderte und unter ihnen wohnte, so daß Gott Selbst unter ihnen wohnte und wandelte. Denn da ist ein Geist und ein Leib, so wie wir berufen sind in einer Hoffnung unserer Berufung. Übrigens, der Name des Heiligen Geistes selbst weist darauf hin, denn Heiligkeit ist Absonderung vom Bösen ... Er ist die Grundlage der Heiligkeit der Kirche und ihrer Einheit in ihrer Absonderung für Gott, nach Seiner eigenen Natur und der Macht Seiner Gegenwart ...

Doch nun ergibt sich eine Schwierigkeit. Angenommen, das Böse ist in diesen einen Leib eingedrungen, der so tatsächlich auf der Erde gebildet worden ist1 gilt der Grundsatz dann noch immer? Wie kann in diesem Fall Absonderung vom Bösen die Einheit aufrechterhalten? ... Hier ist die Gegenwart Gottes richtend ‑nicht in der Welt, weil Gott in der Welt noch nicht offenbart ist ..., sondern die Kirche richtet die, die drinnen sind. Deshalb muß die Kirche den Bösen aus ihrer Mitte wegtun und so ihre Absonderung vom Bösen aufrechterhalten ... Aber leider ‑ wir wissen, daß weltliche Gesinnung eindringt und die geistliche Kraft abnimmt; der Geschmack an dem Segen verflacht, weil er nicht in der Kraft des Geistes genossen wird; die geistliche Gemeinschaft mit Christus, dem himmlischen Haupt, erschlafft, und die Kraft, die das Böse aus der Kirche fernhält, ist nicht länger in einer lebendigen Weise wirksam ... Aber Gott wird sich selbst niemals ohne Zeugnis lassen ... Wenn die (Kirche] sich weigert, dem Wesen und der Natur Gottes zu entsprechen und der Unvereinbarkeit dieser Natur mit dem Bösen (so daß es in der Tat ein falsches Zeugnis für Gott wird), dann tritt der erste und unveränderliche Grundsatz in Kraft; man muß sich von dem Bösen absondern.

Die Einheit, die nach einer solchen Absonderung aufrechterhalten wird, wird ein Zeugnis von der Unvereinbarkeit des Heiligen Geistes mit dem Bösen ... [Die falsche] Einheit ist die große Macht des Bösen, die im Neuen Testament vorausgesagt wird, verbunden mit der bekennenden Kirche und dem 'Schein der Gottseligkeit'. Davon haben wir uns abzuwenden. Diese Macht des Bösen in der Kirche kann geistlich erkannt und verlassen werden, wenn das Bewußtsein des Unvermögens vor ist, und die Schrift kann nicht gebrochen werden. Das Sanktionieren unterschiedlicher Gemeinschaften ist das, was Herr Groves von den Brüdern unterscheidet.20

III. Müller und Craik

Henry Craik, der der Lehrer von Groves gewesen war (obwohl zehn Jahre jünger alE dieser), hatte die Grundlage für seine Gemeindeauffassungen bei Groves erworben und sympathisierte ununterbrochen und stark mit dessen Ideen. Dasselbe galt für George Müller, der mit Groves' Schwester verheiratet war. Wenn Groves England besuchte, blieb er gewöhnlich in Bristol. Seine zwei Freunde, die beiden Führer der früheren Baptistengemeinde, hatten eine geschlossene Gemeinschaft fallengelassen, als sie einsahen, daß sie die Gläubigentaufe nicht als Bedingung zum Brotbrechen stellen konnten, und nahmen nun alle Gläubigen auf. Ich habe bereits früher gesagt, daß in ihrer Versammlung allerlei klerikale Elemente erhalten geblieben waren, und es ist tatsächlich nicht völlig eindeutig, ob sie nun wirklich überall als eine "Versammlung der Brüder» betrachtet wurden oder doch mehr als eine allgemeine freie Baptistengemeinde.

Wie die Verhältnisse in der Bethesda‑Kapelle lagen, ist aus folgendem Beispiel ersichtlich. Im Jahre 1839 gab es mancherlei Meinungsverschiedenheiten in der Gemeinde über Fragen bezüglich der Gemeindeordnung und der Zucht. Diese Differenzen wurden nicht in Gebetsstunden und Wortbetrachtungen der Gemeinde gelöst, sondern lediglich Müller und Craik zogen sich für zwei Wochen zurück, um die Probleme zu überdenken. Sie bestimmten, daß es in der Gemeinde Älteste geben sollte, angestellt durch den Heiligen Geist, doch anerkannt von den Gläubigen, die sich ihnen unterwerfen mußten. Zuchtfragen sollten zuerst von diesen Ältesten behandelt und schließlich der ganzen Gemeinde vorgelegt werden. Zulassung sollte eine Handlung sowohl der Ältesten als auch der gesamten Gemeinde sein. Die Ältesten sollten offenbar auch diejenigen sein, die das Abenchahl bedienten. Dies alles ist klar im Gegensatz zur Schrift, denn sie lehrt, daß das Amt eines Ältesten nur durch einen Apostel (oder seinen Beauftragten) verliehen werden konnte und niemals abhängig war von der Anerkennung durch die Versammlung. Auch werden die Ältesten nirgends in der Schrift in Verbindung gebracht mit Zulassung oder Ausschluß oder mit dem Brotbrechen. Bis auf den heutigen Tag werden in vielen Versammlungen der "Offenen Brüder" offizielle Älteste angetroffen.

Daß müller und Craik kein gutes Verständnis über den himmlischen Charakter der Versammlung hatten, ist auch aus der Tatsache ersichtlich, daß sie niemals eingesehen haben, daß die Versammlung vor dem Offenbarwerden des Antichristen entrückt wird. Auch heute gibt es viele "Offene Brüder", die lehren, daß die Versammlung durch die "große Drangsal" gehen wird. Daß ein verkennen der himniischen Stellung und Zukunft der Versammlung mit einer verkehrten Einsicht in die heutige Stellung der Versammlung auf der Erde und in die Heilsgeschichte gepaart geht, wird immer wieder deutlich. Die Wahrheit ist in allen ihren Teilen zusammenhängend; wer den gegenwär‑tigen Zustand der Christenheit ungenügend durchschaut, kann kein wahres Verständnis von der Grundlage und den Grundsätzen des Versammelns haben. Und noch ärger war, daß Craik bereits 1835 Gedanken über die Menschheit des Herrn Jesus entwickelte, die, wenn sie nicht böse in sich selbst waren, doch seine Augen für die Verkehrtheit der Irrlehren schlossen, mit denen B.W. Newton dann 1847 ans Licht kam.

IV. NEWTON

(1) wir haben gesehen, daß Benjamin W. Newton von Anfang an extremcalvinistische Grundsätze vertrat, die sowohl in seinen Auffassungen über die Versammlung als auch über die Prophetie zum Ausdruck kamen. Hierdurch nahm er einen isolierten Platz unter den "Brüdern" ein. Er hielt Bibelbetrachtungen, zu denen andere dienende Brüder nicht zugelassen wurden, weil es angeblich schlecht für die Gläubigen war, zu hören, wie die Autorität von Lehrern in Zweifel gezogen wurde, denn das würde ihrem Vertrauen, das sie in diese Lehrer setzten, schaden. 1834 und 1835 wohnte er auch nicht den prophetischen Konferenzen in Dublin bei, sondern veranstaltete 1834 zur selben Zeit eine eigene Konferenz in Plymouth. Dieser folgten viele andere Zusanmnkünfte, wo er seine eigenartigen Auffassungen verbreitete. Schwestern wurden systematisch darin unterwiesen, diese unter den Einfältigen zu verbreiten und sie in Briefen rundzusenden. Eine Zusammenkunft wurde sofort beendet, als ein Bruder es wagte, Newtons Äußerungen zu kritisieren.

Die Brüder andernorts bedauerten Newtons isolierte Haltung und Parteibildung, duldeten das aber. Während einer Konferenz erzählte Newton Darby, daß seine Grundsätze über den Dienst am Wort und damit zusammenhängende Fragen sich geändert hätten; Darby antwortete" daß seine sich nicht geändert hätten und daß er fühle, daß er sie durch die Unterweisung des Herrn empfangen habe und sie mit Seiner Gnade bis zum Ende festhalten wolle. Mit durch die Haltung Newtons verließen verschiedene Brüder die versammlung in Plymouth, um an anderen Orten zu arbeiten: Captain Hall ging nach Hereford und Wigram nach London. Harris blieb in Plymouth, so daß viele hofften, daß durch seine Gegenwart noch eine cewisse Kontrolle über Newtons Verhalten ausgeübt werden könnte. Ungefähr zur selben Zeit (1837) kam die Frage bezüglich der Anstellung von Ältesten auf. Darby legte eindeutig dar, daß die Versammlung aufgrund der Schrift dazu keine Befugnis habe, aber daß andererseits gutgesinnte Gläubige sicherlich die Arbeiter des Herrt in ihrer Mitte anerkennen würden, und nannte dabei in der Versammlung die Namen Newton, Harris und Sir Alexander Campbell (der kurz danach ebenfalls verzog). Vielleicht war dies nicht weise, doch die Behauptung, die geäußert worden ist, Darby hätte Newton zum Ältesten ernannt, ist in jedem Fall völlig unzutreffend.

(2) In den Jahren darauf verbreitete Newton seine prophetischen Auffassungen durch handschriftlich kopierte Briefe weit und breit unter den Gläubigen. In diesen Briefen verurteilte er alle, die meinten, daß die Versammlung vor dem Ende aufgenommen würde, und daß bestinnte Teile des Neuen Testaments auf andere als auf die Versammlung Bezug hätten, so z.B. auf etwaige Gläubige nach der vermeintlichen Entrückung der Versammlung. Auch behauptete er, daß diejenigen, die Matthäus 24 nicht auf die Versaimdung anwendeten, damit alle Evangelien verwürfen und daß, wenn man solchen Personen Gehör schenkte, "die Grundlagen des Christentums fort wären". Er legte so feurig dar, daß die Versammlung jetzt schon in der Drangsal sei, daß einige sich vornahmen, das Gebiet des Römischen Reiches zu verlassen1 Brüder, die hierüber anders dachten, wurden sorgfältig von Plymuth ferngehalten und als Irrlehrer bezeichnet ‑und das noch von den schwärmerischen Schwestern, die Newtons Vorträge verbreiteten1 Es ist unglaublich, in welch großem Umfang und wie raffiniert Newtons System durchgeführt wurde. Die einfältigen Gläubigen wurden nicht genährt mit Christus und verstanden nichts von Newtons Lehre; sie verstanden nur Harris, der sie besuchte und ihr Freund war.

Als Darby Newtons Rundbriefe gelesen hatte (um 1840), sagte er ihm, daß er nicht erkennen könne, daß sie aus dem Geist wären. Newton teilte ihm daraufhin mit, daß alle Freundschaft zwischen ihnen zu Ende sei und daß er nicht mehr wie frü­her mit ihm sprechen könne. Darby sagte ihm, daß seine Haltung gegenüber Newton sich nicht ändern würde, und sprach eindringlich mit ihm, bis Newton ihm endlich die Hand gab. In den Jahren danach nahm der Klerikalismus in der Versanmiung in Plymouth (Ebrington Street) beständig größere Formen an. Die Leitung des Heili­gen Geistes in der Versamlung wurde ersetzt durch die der Lehrer, und ihre Au­torität war so absolut, daß niemand sie zur Verantwortung ziehen konnte und nur sie die Leitung in den Zusammnkünften hatten. Als Darby in Plymouth war, fühlte er, daß der Geist so ausgelöscht war, daß er keine Freimütigkeit hatte, sich auszusprechen, #und elend aus der Zusarumnkunft kam. Bei Harris fand er hierüber nicht viel Gehör. In einem Briefwechsel mit ihm (1844/45) wurde ihm klar, daß in Plymouth alles drunter und drüber ging. Harris hatte lange versucht, von den Entwicklungen dort freizubleiben; nun bat er Darby, aus der Schweiz nach Ply­mouth zu kcmnen. Dies brachte Darby in großen Zwiespalt. Sowohl in Lausanne als auch in Plymouth sah er ernste Schwierigkeiten voraus, und in beiden Fällen lei­der zu Recht.

(3) Das klerikale System Newtons besaß noch viele andere traurige Kennzeichen. Er lehrte, daß nur angesehene und gebildete Kinner als Lehrer auftreten könnten. Es ist unbegreiflich, wie viele einfältige, aber auch wohlgebildete Brüder sich durch diesen Diotrephes den Mund stopfen ließen. Die Armen wagten kein Lied mehr vorzuschlagen ‑ es wurde einfach nicht angestinmt; einige zogen sich zurück, um sich der Kirche wieder anzuschließen. Kein Bruder durfte mehr Ausführungen ma­chen oder beim Brotbrechen den Tisch bedienen; jeder wußte, ob Newton oder Har­ris an der Reihe war. Es wurde als richtig angesehen, daß der Sprecher seine Predigt gründlich vorbereitete, wenn er an der Reihe war. Aufgrund ihrer Autori­tät wurden sogar ihre schlinnoten Äußerungen ohne weiteres geschluckt. Andere Brüder durften nicht sprechen, wagten es aber manchmal, ein Kapitel aus der Bi­bel vorzulesen. Dies wurde unterbunden, und einer bekam sogar Besuch von einer der führenden Schwesternt Das größte Bestreben Newtons schien wohl zu sein, neue und abweichende Dinge zu lehren, die andere Brüder in Mißkredit brachten. Auch begann er, je länger, um so eigenmächtiger, in Zuchtsachen aufzutreten. Die ein­zigen, deren Autorität er noch anerkannte, waren Harris, Soltau, Dyer, Clulow und Batten. Eine Krise konnte nicht ausbleiben.

Kapitel 4 ‑ Der Bruch In Plymouth und Bethesda (1845 ‑ 1849)

Die Situatuion in Plymuth war von Brüdern an anderen Orten mit größter Sorge beobachtet worden, doch niemand hatte etwas unternommen. Es war Darby, der mit bangen Ahnungen im März 1945 nach Plymuth kam und sich dort niederließ. Wigram sagte zu Darby, daß immer, wenn er wegen dieser Dinge zum Herrn gebetet habe, es ihm aufs Herz gelegt worden sei, daß es zu einem Ausbruch kcnymn werde. Tatsäch­lich näherte sich die Krise mit schnellen Schritten.

Die Krise (10)

01/20/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

I. DIE KRISE

(1) Sofort nach der Ankunft Darbys begannen die Spannungen in Plymouth. Newton gebrauchte die persönlichen Briefe Darbys an Harris, um überall darzulegen" daß Darby die Wahrheit antaste, und um die Menschen gegen Darby in Harnisch zu brin­gen. Darby seinerseits begann sofort, gegen die herrschenden Grundsätze zu zeu­gen. Er besuchte auch die Armn und diente in den Zusammenkünften. Newton kam, um Darby in seinem Quartier (bei Richard Hill) zu begrüßen, schrieb aber am 30. Wärz einen Brief an Harris, Soltau und Batten, um sie vor Darbys Auftreten und seinen Lehren zu warnen. Harris und Batten kamen daraufhin zu Darby, um sich zu informieren, weshalb er gekcnmn sei; dieser bestritt jedoch, daß er gegen Newton selbst feindlich eingestellt sei. Newton schrieb deshalb AnfangApril ei­nen versöhnlichen Brief und schlug vor, in Frieden miteinander zu verkehren, doch Darby schrieb düster zurück, Newton habe "gegenüber vielen geliebten Brü­dern und vor dem Angesicht Gottes sehr schlecht gehandelt; und dies ist der Grund für mein Verhalten, und nicht irgendwelche persönlichen Gefühle."

In seiner Antwort tat Newton sehr entrüstet und bat Darby, Namen und Umstände zu nennen ‑ und das, während er sechs Jahre lang systematisch Rundbriefe mit der Beschuldigung versandt hatte, daß Darby und andere die Grundlagen des Christen­tums antastetent Darby wünschte jedoch keinen Papierkrieg, sondern schlug vor, in Anwesenheit interessierter Brüder eine vollständige Darlegung zu geben. Newton bestand jedoch darauf, persönlich zu hören, was Darbys Beschuldigung sei, und dieser schrieb öffentlich zurück, daß Newton systematisch versuche, eine Sekte zu bilden und andersdenkende Brüder in Mißkredit zu bringen. Newton antwortete, daß diese Beschuldigung völlig neu für ihn sei, daß dies zugleich die anderen Brüder berühre und daß er ihnen deshalb diese Beschuldigung vorlegen werde. Harris schlug Darby deshalb vor, eine Versammlung einzuberufen, um die Beschuldigungen des Sektierertums zu untersuchen. So kamen Mitte April fünfzehn Brüder zusammen; die meisten waren Freunde Newtons. Nach einer Darlegung Darbys bestätigte Newton ungewollt die Richtigkeit der Beschuldigungen Darbys, indem er in große Wut ausbrach und ausrief, daß er Plymouth zu einem Zentrum für ein Zeugnis gegen die Lehren anderer Brüder machen wolle und daß er zumindest Devon und Somerset schon unter seinem Einfluß zu haben glaube. 

Darby fragte die Brüder, ob Plymuth tatsächlich dieses Ziel anstrebe, weil er es in diesem Fall verlassen müsse. Auch Harris protestierte, aber die anderen schwiegen. Während zweier folgender Zusammenkünfte wurden die "Irrlehren", gegen die Newton so gerne zeugen wollte, untersucht, doch vor allem wurde das sektiererische Bestreben Newtons mit Besorgnis besprochen. (2) Um den Brüdern Gelegenheit zu geben, diese Sache ruhig zu überdenken, verließ Darby Plymouth und durchzog Scmrset, wo er jedoch merkte, wie auch in anderen Versammlungen die klerikalen und sektiererischen Grundsätze Newtons bereits eingeführt waren. Auch Harris verreiste und besuchte Irland" wo die Brüder größtenteils auf Darbys Seite standen. Möglicherweise unter ihrem Einfluß kam er mit Ermahnungen zurück, doch der Parteigeist kehrte sich sofort gegen ihn. 

Zum Ende des Frühlings hielt sich auch Newton eine Zeitlang außerhalb von Plymouth auf und hielt Zusammenkünfte in London ab, um seine Auffassungen darzulegen. Der einzige jedoch, der sich scharf gegen ihn wandte, war Wigram. Darby und Harris drängten in Plymuth auf eine Zusammenkunft zur Demütigung und zum Gebet, doch Newton schrieb im Juli an Harris, daß er ihm keine Knüppel zwischen die Beine werfen solle. Gleichzeitig entstanden zwei andere Schwierigkeiten. Von Anfang an hatte in Plymuth jeden Freitag eine Zusammenkunft maßgeblicher Brüder stattgefunden, um die Belange der Versammlung zu besprechen, doch diese Brüderzusammkunft wurde allmählich von Newton boykottiert und schließlich aufgehoben und durch die eigenen Beschlüsse Newtons und seiner wenigen Freunde ersetzt. Hierdurch war auch die Möglichkeit abgeschnitten, daß Darby in der Brüderzusammenkunft den Zustand in Plymouth besprechen konnte.

Die zweite Schwierigkeit entstand durch zwei Schriften Newtons. Die erste war ein Bericht über die April‑Zusammenkunft, der laut vielen Brüdern ungenau und irreführend war. Zweitens veröffentlichte Newton im Sonymr 1845 den ersten seiner fünf Briefe, die er bis dahin sechs Jahre lang nur privat hatte zirkulieren lassen und in denen er die andersdenkenden Brüder der Irrlehre beschuldigt hatte. Darby versuchte daraufhin, die wöchentliche Brüderzusammenkunft wiederherzustellen, doch das gelang ihm ebensowenig wie Harris. Dreimal sprach Darby mit Soltau, doch dieser tat nichts. Schließlich sah Darby nur noch eine Möglichkeit: nach der Sonntagmorgenzusammenkunft. in der Ebrington Street teilte er mit, daß er bei den führenden Brüdern kein Gehör finde und deshalb die Sache auf das Gewissen aller Brüder und Schwestern lege. Daraufhin ging er nach Jersey, um der Versaffmlung Gelegenheit zu geben, die Sache in aller Ruhe zu überdenken. Im Sommer 1845 veröffentlichte Darby (in Teilen) auch seine vortreffliche Widerlegung von Newtons Gedanken blier die Offenbarung (herausgegeben 1843). Newton antwortete auf den ersten Teil mit einem Brief an die Versammlung, worauf Darby eine Entgegnung schrieb; darauf folgte ein zweiter Brief Newtons und eine zweite Entgegnung Darbys

(3) Nach einiger Zeit kehrte Darby aus Jersey zurück und stellte fest, daß sich in Plymouth nichts geändert hatte. Daher blieb ihm keine andere Wahl mehr übrig: bleiben mochte er nicht, und einfach weggehen und Plymouth dem Bösen preisgeben konnte er nicht verantworten. Deshalb teilte er am 26. Oktober 1845 am Ende der Mörgenzusammenkunft in tiefem Schmerz mit, daß er die Versammlung verlassen müsse und sich aus der Gemeinschaft zurückziehe. Es war ihm unmöglich, in diesem bewegten Augenblick alle elenden Umstände aufs neue vor der Versammlung zu wiederholen" und deshalb nannte er nur die Gründe, weshalb er sich zurückzog: Gott war praktisch beiseite gestellt; die Grundlage, auf der sie zusammenkamen, war vollständig umgekehrt, und es wurde nicht‑zugegebenes und ungerichtetes Böses aufrechterhalten. Darauf brach er in Tränen aus und verließ den Saal als ein gebrochener Mann. In seinem Zimmer warf er sich aufs Bett und dachte, daß er sterben wilrde; sein Werk schien zu Ende zu sein ...

II. EIN NEUES ZEUGNIS

(1) Harris hatte bereits am 8. Oktober an Newton geschrieben, daß er von weite­rem Dienst am Wort absehe. Nachdem Darby sich zurückgezogen hatte, erläuterte er während einer speziellen Zusammenkunft seine Gründe und kündigte an, daß er sich aus der Gemeinschaft zurlickzöge. Hiermit waren die Brüder nicht einverstanden, und sie schlugen vor, am folgenden Montag (17. November) erneut zusammenzukommen zu weiterer Überlegung, wo auch Darby Gelegenheit haben sollte, sein Weggehen näher zu erläutern. Am Montag kamen zwischen zwei‑ und dreihundert zusammen, trotz heftiger Versuche Newtons, die Brüder und Schwestern zu hindern, der Zu­sammenkunft beizuwohnen. Darby erläuterte seine Gründe, ohne Newton selbst zu beschuldigen.

(2) Da Darby nun völlig außerhalb stand, wurde er gebeten, eine Anzahl führender Brüder zusammenzurufen, um die Sache zu besprechen, bevor er anderswo Brot brach. Captain Hall schrieb, er sei besorgt, daß Darby einen zweiten Tisch er­richten werde; aber Darby schrieb zurück, daß er durchaus keinen zweiten Tisch wolle, sondern daß es darum gehe, ob es überhaupt noch.einen Tisch in Plymuth gäbe. Verschiedene Brüder besuchten daraufhin Plymouth, um den Zustand zu unter­suchen; unter ihnen waren Lord Congleton, Wigram und Sir Alexander Campbell. Die beiden letzten und andere Besucher weigerten sich, in Ebrington Street Brot zu brechen, solange sie in Plymouth waren. Die Brüder von außerhalb befragten Newton zweimal fünf Stunden lang. Einige hatten sich geweigert, dabeizusein (Caffpbell und Wigram); zu den anderen sagte Newton, daß er gerne mit ihnen spre­chen wolle, wenn sie sich nur nicht in die Sachen von Plymuth einmischen wür­den. 

Darauf erhielt Darby am 26. November einen Brief von Lord Congleton und drei anderen, die mit der Angelegenheit beschäftigt waren, mit der Aufforderung, vier Personen zu benennen für ein Gespräch mit vier weiteren Personen, die Newton benennen würde. Darby verwarf diesen weltlichen und unbiblischen Vor­schlag, weil die Sache eine Frage des Gewissens sei, die nicht von einer Jury, sondern von der gesamten Versamlung behandelt werden müsse. wohl erklärte er sich bereit, gegenüber allen Gläubigen persönlich oder gemeinschaftlich Rechen­schaft von seinem Standpunkt abzulegen. Die Brüder sandten ihm einen scharfen Brief zurück und sprachen den Verdacht aus, daß Darby um die Sache herumgehe, weil er seine Beschuldigungen nicht beweisen könne. Und das, während sie selbst Darby überhaupt noch nicht gefragt hatten, was seine Beschuldigungen eigentlich seient

Ungefähr zur gleichen Zeit unternahm Darby erneut einen versuch, die gesamte Versammlung in Ebrington Street in die Sache einzubeziehen, indem er ihr einen gedruckten Brief sandte, worin er darlegte, daß die Versammlung sich als außer­stande erwiesen habe, das Böse zu verurteilen, daß sie sich im Bann des Sektie­rertums befinde und die Einheit des Leibes leugne, u.a. durch Newtons Haltung gegenüber den auswärtigen Brüdern. Campbell, Congleton, Rhind und zwei andere setzten inzwischen ein Schreiben auf, worin sie sagten, daß Newton nach ihrem Eindruck nicht hätte irreführen vollen, obwohl er Anlaß zu diesem Verdacht gege­ben hätte; zudem drängten sie darauf, daß die Sache vor die gesammte Versammlung gebracht würde. Newton lehnte das entschieden ab mit der Behauptung, daß kein "Timtheus" da sei, der einen Ältesten öffentlich tadeln könne, und daß es nicht angemessen sei, daß "Kinder" ihren "Vater" verurteilten(1). Das Schreiben der Brüder wurde zurückgencumen, doch privat schrieben Rhind und Congleton ihm, daß sie von seiner Aufrichtigkeit überzeugt seien.

(3) Weil die auswärtigen Brüder nicht zu einer Entscheidung gekccmen waren, ver­faßten die Führer von Plymuth (W.B. Dyer, H.W. Soltau, J.E. Batten und J. Clu­low) selbst eine Erklärung, daß die Anklage gegen Newton ihrer Meinung nach un­begründet sei ‑ und das, während sie teilweise ebenso schuldig wareni Verschie­dene auswärtige Brüder kehrten in Uneinigkeit und unverrichteter Sache nach Hau­se zurück, während Newton überall Privatzusaffmnkünfte einberief, wo er die Be­hauptungen Wigrams, Cmrpbells und Darbys als falsch bezeichnete und allerlei an­dere, klar nachweisbare Lügen ausstreute. Schließlich behauptete Newton, daß die einzig richtige Handlungsweise sei, diese Sache vor der ganzen Versammlung zu besprechen ‑ und dies war nun gerade das, was Darby immer vorgeschlagen hattet Wochen nacheinander wurden Zusammenkünfte angehalten, wo seine Freunde Fragen stellen durften und entsprechende Darstellungen gegeben wurden.

Inzwischen gab es für Darby keinen Grund mehr, noch länger mit dem Brotbrechen zu warten. Jahre zuvor hatten die Brüder sich in dem Lokal in Raleigh Street versammelt" das noch immer das Eigentum Wigrams war und zur Evangeliumsverkündi­gung benutzt wurde. Wigram forderte das Lokal von Soltau zurück, weil die Ver­sammlung in Ebrington Street ihre ursprünglichen Grundsätze preisgegeben hatte. ,Am 28. Dezember 1845 wurde der endgültige Schritt getan ‑ Darby und Wigram bra­chen getrennt von Ebrington Street Brot. Darby wollte nicht herausfordernd han­deln, indem er öffentlich in Raleigh Street Brot brach, und sorgte deshalb für einen kleinen Raum, denn er wußte, daß sechs andere mit ihm teilnehmen wollten. 

Er forderte weiter niemanden auf und machte auch keine Besuche mehr, um jeden Anschein einer Parteibildung zu meiden ‑ doch bereits am ersten Sonntag waren keine sechs daf sondern fünfzig bis sechzig. Nach jeder Informationszusammen­kunft, die Newton hielt, gab es mehr, die seine Falschheit durchschauten und sich den anderen anschlossen, die sich nun in der Kapelle in Raleigh Street ver­sammelten. Darby besuchte sie nicht, um keinerlei parteiischen Einfluß auszu­üben; Newton dagegen beeiferte sich, seine Gemindeglieder durch Schmeichelei, Bedrohung, Erpressung oder Bestechung festzuhalten. Ein Mann weigerte sich, mit seiner Frau zu essen, wenn sie zur Raleigh Street gehen würde. Die Reichen kauf­ten nicht mehr bei den Kaufleuten, wenn diese sich zu trennen wagten. Trotz al­ledem kamen innerhalb kurzer Zeit einige Hundert Brüder und Schwestern in Ra­leigh Street zusammen.

(4) Aus dieser Zeit etwa stammt ein (undatierter) Brief, den Darby an Frau Newton geschrieben hat. Dieser Brief muß Ende 1845 oder Anfang 1846 geschrieben worden sein, weil Frau Newton am 18. Mal 1846 starb (nach Behauptung einiger mit durch den Kummer, der ihr von Darby und den Seinen angetan worden war). Dieser Brief, von dem Darby eine Kopie in seiner eigenen Handschrift aufbewahrt hat, liegt hier vor mir. Ich gebe eine Übersetzung davon, weil dieser Brief deutlich beweist, wie falsch die Beschuldigung ist, daß Darby aus persönlicher Abneigung, Eifersucht oder Rivalität gegen Newton gehandelt habe, wie bis heute oft behaup­tet wird.

Verehrte Frau Newton, mein Name, dessen bin ich gewiß, kann augenblicklich nur schmerzliche Erinnerun­gen bei Ihnen hervorrufen, obwohl ich viele empfangene Freundlichkeiten Ihrer­seits nicht vergessen habe. Doch ich schreibe, weil ich gehört habe, daß Newton sehr krank ist, und um Ihnen zu versichern, daß ich ‑ wie sehr ich es auch als meine Pflicht gefühlt haben mag, in öffentlichen Angelegenheiten nach langem Zö­gern mit unbeugsamem Widerstand gegen seinen Weg vorzugehen ‑ in seiner Krank­heit nur aufrichtig mit Ihnen empfinde und keinen anderen Wunsch habe als Segen für ihn.

Die Stellung, in der ich mich befand, gab keine Gelegenheit, irgendwel­che Gefühle zum Ausdruck zu bringen; es wäre unpassend gewesen. Doch seine Krankheit gibt diese Gelegenheit, und ich nehme sie mit Freuden wahr und wäre sehr froh, wenn Sie ihm dies gelegentlich, ohne daß ihm dadurch ein Schaden ge­schieht, mitteilen würden. Wenn auch meine Meinung, was meine Pflicht betrifft" unverändert ist, habe ich doch niemals aufgehört, über ihn persönlich Leid zu tragen. Ich hoffe, daß der Herr Seine barmherzige Hand über ihn und über Sie in seiner Krankheit ausbreitet. Das ist mein ernstes Verlangen. Ich habe häufig für ihn gebetet, seit ich so entschieden gehandelt habe, und ich verberge nicht vor mir selbst, daß alle diese Dinge für Sie alle persönlich schmerzlich gewesen sein müssen. Ich versichere Ihnen, daß ich keine anderen Gefühle habe als ein ernstes Verlangen nach Segen für ihn, und das auf jede Weise. Ich wage nun wei­ter nichts zu Ihnen zu sagen, damit ich Ihre Gefühle nicht verletze, statt sie zu beruhigen, sondern bitte Sie, mir aufrichtig zu glauben. Indem ich daran den­ke, wie sehr ich Ihnen verpflichtet bin, und indem ich den Herrn bitte, ihn zu segnen', bin ich Ihr im Herrn verbundener J.N.D.

III. DIE LONDONER ZUSAMMENKÜNFTE

(1) Lord Congleton war sehr bestürzt darüber, daß Darby getrennt Brot gebrochen hatte, und nannte das "unzweifelhaft sektiererisch". Wigram, der ebenso wie er selbst in London wohnte, beschuldigte er, Spaltungen zu verursachen. Diese An­klage wurde nicht weiter untersucht, wohl aber versuchte man im Frühjahr 1846, eine Zusantmnkunft einzuberufen, um die Entwicklungen zu besprechen und sich vor Gott zu demütigen. Newton wurde auch eingeladen, weigerte sich aber zu kcomen, da er nicht vor einer Art Gericht erscheinen wolle, wie er am 20. März schrieb. Eine wiederholte Bitte zu kommen wurde durch ein gedrucktes manifest beantwor­tet, unterzeichnet von Soltau, Newton, Dyer, Clulow und Batten. Darin wiederhol­ten sie ihre Befürchtung vor einer Art Gericht, beklagten sich ausführlich über alle falschen Beschuldigungen, die Darby gegen sie geäußert habe, und endeten mit einer glühenden Verteidigung ihrer Rechtgläubigkeit und einer Warnung vor ihren Gegnern. In dem bekannten "Bericht (Narrative] über die Tatsachen in Ver­bindung mit der Absonderung von der Versammlung, die in Ebrington Street zusam­menkcnmt", den Darby im Verlauf des Jahres 1846 veröffentlichte, behandelt er diesen heuchlerischen Brief der Plymuth‑Führer ausführlich.

Trotz Newtons Weigerung zu kcmwn wurden Anfang April Zusammenkünfte in London gehalten. Lord Congleton wollte anfänglich nicht kommen, wenn Darby und Wigram anwesend wären, kam aber am zweiten Tag doch und sandte Newton später einen Be­richt über die Zusammenkünfte. Chapman von Barnstaple hatte die moralische Lei­tung und trug bei zu einem Geist des Selbstgerichts und der Denütigung. Congle­ton warf Darby und Wigram unrechtmäßige Beschuldigungen vor, schrieb aber an Newton, daß auch er nicht makellos sei und den Anschein des Sektierertums auf sich geladen habe, indem er die wöchentliche Brüderzusannenkunft nicht wieder­herstellte.

(2) Im Herbst 1846 besuchte Newton London und hielt einige private Zusc‑urmnkünf­te in den Häusern von Brüdern und Schwestern, die zur Versammlung in Rawstorne Street gehörten, unter anderem, wie er zu Bruder Henry Gough sagte, um sich zu rechtfertigen gegen Beschuldigungen, die gegen ihn geäußert worden wären. Gough teilte dies Cronin mit, und Cronin brachte dies auf der wöchentlichen zentralen Brüderversammlung in London vor, worauf ein Gespräch zwischen Newtonf Cronin, Dorman und einem vierten Bruder in Cronins Haus vereinbart wurde. Während dieses Gesprächs (am 10. November) wurde Newton ein Brief ausgehändigt, unterzeichnet von zehn Brüdern der Rawstorne Street, mit der Frage, wann und wo er "die Gläu­bigen treffen" könne. Am folgenden Tag wurde dargelegt, daß es darum gehe, eine öffentliche Zusammenkunft einzuberufen. Dies lehnte Newton ab, weil er fand, dap er genügend verncmnen worden sei und daß eine bestimmte Verteidigung, die er ge­schrieben hatte, für die Brüder ausreichend sein müsse.

Gerade während dieser Zeit war Darby durch die Vorsehung des Herrn auch in Lon­don. Er war auf dem Weg nach Frankreich, hatte seinen Paß absteffpeln lassen, sein Geld gewechselt und war im Begriff weiterzureisen, als die Brüder ihn drin gend baten zu bleiben, damit sie ein öffentliches Treffen mit Newton anberaumen könnten. Nach Newtons Weigerung sandte Dorman ihm am 20. Naveniber einen Brief mit der wiederholten Bitte um eine Zusammenkunft mit Darby in Rawstorne Street. Dies wurde erneut abgelehnt, nun nicht nur von Newton, sondern auch von seinen Sekundanten Soltau und Clulow. Die Sache wurde in den Versammlungszusammenkünf­ten in Rawstorne Street behandelt, wieder und wieder wurden Briefe geschickt und die ablehnenden Antworten besprochen. Schließlich sandte die Versammlung in Raw­storne Street am 13. Dezember einen Brief an Newton, unterschrieben von Dorman und Gough, worin sie ihm mit Betrübnis mitteiltenf daß sie keine Gemeinschaft am Tisch des Herrn mit ihm haben könnten, bis die Sache vollständig untersucht wäre. Einige waren mit diesem Beschluß jedoch nicht einverstanden gewesen" ins­besondere einige Freunde Newtons, die wegen dieser Angelegenheit nach London ge­kcmmn waren.

Auf den Ausschluß durch London reagierte Newton mit der Veröffentlichung einer schriftlichen Verteidigung, in der er sich von allen Beschuldigungen freizuspre­chen trachtete. zweitens folgte eine Erklärung, unterschrieben von Soltau, Clu­low, Dyer und Batten, in der sie darlegten, aus welchen Gründen Newton nicht auf die Aufforderung von Rawstorne Street habe eingehen können. Und als drittes er­folgte ein offizieller Protest der Plymuth‑Führer gegen die Zurückweisung Newtons durch Rawstorne Street. Auch diese Stücke wurden von Darby alle ausführ­lich in einer gedruckten Niederschrift widerlegt, die vielen die Augen für die Falschheit von Newtons System öffnete.

(3) Im Februar 1847 wurde in Rawstorne Street eine große Zusammenkunft gehalten, der Brüder aus allen Teilen des Landes beiwohnten. Der Zweck war, sie über die Geschehnisse zu unterrichten. Es wurden deutliche und ernste Zeugnisse abgelegt, u.a. von den Brüdern Lean, Harris, Carvpbell McAdam, Captain Hall und Young. Trotter schrieb, daß es im Augenblick kaum einen Bruder gebe, dessen Name wohl­bekannt sei.unter denen, die im Wort arbeiteten und über die Seelen wachten, der nicht die traurige Notwendigkeit zur Absonderung vom Bösen und dem verderblichen System einsehe.

IV. IRRLEHRE

(1) Nach den traurigen Ereignissen, die wir nun beschrieben haben, kann man sich kaum vorstellen, daß noch weitaus schlimmere Dramen folgen sollten. Und doch ge­schah das; all das Obenstehende war lediglich ein Vorspiel. Nach der Trennung in Ebrington Street (Plymouth) war die Anzahl der Personen, die dort zurückgeblie­ben waren, verhältnismäßig klein geworden, aber das waren dann auch eifrige Anhänger Newtons. Sie fuhren fort, seine Vorträge aufzuzeichnen und an eine Reihe Brüder und Schwestern in verschiedenen Teilen Englands zu senden. Bis dahin wa­ren auf diese Weise bereits sehr merberdige Lehren verkündigt worden, die zudem in Verbindung standen mit der Errichtung eines klerikalen Systems, um diese Lehren wirkungsvoll zu verbreiten. Erst im laufe des Jahres 1847 jedoch kam ans Licht, daß bereits geraune zeit positive Irrlehre in bezug auf die Person Chri­sti von Newton verbreitet wurde.

Newton trug seine Vorträge immer ruhig vor, so daß die Schwestern sie genau und vollständig aufschreiben konnten. Anschließend wurden sie systematisch verviel­fältigt und verbreitet. Einen derartigen Vortrag, der in Exeter von Newtons Vet­ter George Treffey ausgeteilt worden war, gab eine Schwester aus Exeter an die Frau von Bruder Harris mit der Bemerkung weiter, daß sie dadurch sehr erbaut worden sei. Harris wollte dieses System der Verbreitung eigentlich nicht in sei­nem Haus zulassen und nahm sich vor, die Aufzeichnungen zurückzuschicken. Inzwi­schen hatte seine Frau sie jedoch durchgesehen und war auf einige merkwürdige Ausdrücke gestoßen, vor allem diesen: "Das Kreuz war lediglich das abschließende Ereignis im Leben Christi." Daraufhin sah Harris das Manuskript durch und war schockiert über die unschriftgewäße und Christus entehrende Lehre, die er darin fand. Er zeigte die Aufzeichnungen auch McAdam, der gleichfalls erschrocken war; eine Zusammenkunft wurde einberufen, wo die Lehren verurteilt wurden. Harris gab daraufhin eine Broschüre heraus (Die Leiden Christi, wie dargelegt in einem Vor­trag über Psalm 6), worin der Vortrag und seine Widerlegung abgedruckt war.

In seinem Vortrag hatte Newton u.a. folgendes gesagt: "Psalm 6 und viele andere beschreiben die Hand Gottes, ausgestreckt [gegen Christus], während Er im Zorn bestraft und in grinmigem Mißbehagen züchtigt; und bedenke, dies ist nicht die Schilderung des Kreuzes ... (Dies letzte] war lediglich das abschließende Ereig­nis Seines langen Lebens von Leiden und Schwerzen; so daß, wenn wie unser Auge allein darauf richten würden, dies bedeutete, daß wir wenig wissen, was der Cha­rakter Seiner wirklichen leiden war." Und weiterhin: "Jesus wurde also ein Teil des verfluchten Volkes ‑ eines Volkes, das Gottes Zorn durch Übertretung auf Übertretung verdient hatte ... Jesus wurde also dem Zorn Gottes in dem Augen­blick ausgesetzt, als Er in die Welt kam.'123 Newton stellte dabei sorgfältig fest, daß er hiermit nicht das stellvertretende Leiden Christi meinte (was er früher geschrieben hatte, obwohl auch das eine grobe Unrichtigkeit war, aber we­niger Christi persönliche Heiligkeit entehrend) und auch nicht die züchtigende Hand Gottes, so wie die nun in Liebe über Seine Kinder kcnwt, sondern wdas Stra­fen in Zorn, dem Er unterlag, weil Er Teil eines verfluchten Volkes war; die Hand Gottes war also in verschiedenen Weisen fortwährend gegen Ihn ausge­streckt."24 Aus diesem schrecklichen Zustand soll der Herr teilweise bei Seiner Taufe durch Johannes befreit worden sein, weil dadurch eine Tür für Israel ge­öffnet wurde. Dankbar ließ Er sich taufen, "weil Er eins war mit Israel, in ih­rem Zustand verkehrte, einem Zustand des Zorns von seiten Gottes."

(2) Diese Veröffentlichung verursachte natürlich überall große Bestürzung unter den Brüdern und verlangte eine Reaktion Newtons. Er gab eine Broschüre heraus (Bemerkungen über die Leiden des Herrn Jesus), in der er seinen Vortrag nicht verwarf, sondern seine Lehren aufrechterhielt; er spann. sie sogar noch weiter aus, lediglich in einer weniger greifbaren und verletzenden Form, und verteidig­te danach diese Auffassungen. Diese Broschüre wurde in einer ausführlichen Ver­öffentlichung von Bruder Darby beantwortet. Er wies nach, daß Newtons lehren die Grundlagen des Christentums antasteten; dies hatte Newton natürlich nicht beab­sichtigt, "aber", sagte Darby, "jemandes Lehren müssen beurteilt werden nach dem, was er lehrt, nicht nach seiner eigenen Meinung darüber."25 Dieser wichti­ge, auf der Hand liegende Grundsatz ist leider allzu häufig übersehen worden. im folgenden zeigt Darby, daß, wenn der Herr tatsächlich in Seinem Leben auf der Erde dem Zorn Gottes preisgegeben gewesen wäre und folglich auch dem Tod (1), und das nicht als Stellvertreter für uns, sondern aufgrund dessen, was Er Selbst als Mensch und Israelit war, es dann völlig unmöglich gewesen wäre, daß Er auf dem Kreuz den Zorn Gottes auch noch einmal für uns erduldet haben könnte. Wenn Christus um dessentwillen, was Er Selbst war (wenn auch nicht durch eigene Sün­den, wohl aber als Teil eines verfluchten Volkes), die unvermeidbare Zielscheibe des Mißfallens Gottes gewesen wäre, dann wäre Er ungeeignet gewesen, unser Erlö­ser zu werden, sondern hätte Selbst einen Erlöser nötig gehabt.

Newton veröffentlichte eine zweite Broschüre, um darin Harris, Widerlegung zu entkräften. Aufs neue schrieb Darby eine ausführliche Betrachtung, in der er den wahren Charakter der Irrlehre Newtons und ihre verheerenden Folgen an den Pran­ger stellte. Der Herr segnete dies, denn beinahe überall wurde die falsche Lehre entrüstet abgewiesen. Sogar vielen von Newtons Freunden gingen die Augen auf, und sie drangen auf Newton ein, seine Lehren zu widerrufen. Erschreckt durch Darbys Antworten und durch die Haltung seiner Freunde, gab Newton insoweit nach, daß er im November 1847 eine Broschüre herausgab mit dem Titel: Eine Erklärung und Anerkennung betreffend bestinmte lehrräßige Irrtikmr. Darin zog er seine beiden Broschüren zurück, jedoch nicht, um sie zu widerrufen, sondern um sie er­neut zu überdenken; das einzige, was er widerrief, war etwas, das er ein Jahr zuvor im Christi= Witness (Christlicher Zeuge) geschrieben hattel nämlich daß der Herr dem Zorn Gottes unterworfen wäre, weil Er unter Adam als "Bundeshaupt" geboren wäre und Ihm deshalb Adams Schuld zugerechnet würde. Doch um diesen Punkt ging es hier überhaupt nicht; alles aber, was er in seinem Vortrag über Psalm 6 und in seiner zweiten Broschüre gesagt hatte, ließ er in vollem Umfang bestehen. Darin hatte er gesagt, daß Christus unter dem Fluch eines gebrochenen Gesetzes geboren wäre und daß Er Sich zu einem Punkt hochgearbeitet hätte, wo Gott Ihm doch hätte begegnen können (der Tod unter dem Zorn Gottest) und daß man sich nicht hätte wundern müssen, wenn Er gestrauchelt wäre ... Es war erneut Darby, der das Verräterische dieser sogenannten Anerkennung ins Licht stellte.

Bis heute behaupten die "Offenen Brüder", daß Newton in dieser Broschüre doch wohl gründlich seine falschen Lehren vollständig widerrufen habe, und sie be­schuldigen Darby und andere Brüder, daß sie ein aufrichtiges und vollständiges Bekenntnis geringschätzig von der Hand gewiesen hätten. Doch sie wissen nicht (oder verschweigen), daß auch George Müller, der der bedeutendste Führer der "Offenen Brüder" wurde, die sogenannte Widerrufung Newtons vollständig abwies. Am 12. Dezember 1848 schrieb Bruder güller an Bruder i. Deck:

"... Meine Hoffnung war jedoch, daß dieser arme Newton sich aus der Schlinge des Teufels befreien würde, da er den schrecklichen Irrtum bezüglich des Bundeshaup­tes Adam bekannt und die beiden schrecklichen verkehrten Broschüren zurückgezo­gen hatte, um sie erneut zu überdenken. Als jedoch die neue Überarbeitung her­auskam und ich entdeckte, daß trotz all des Feilens und Polierens von Ausdrücken diese letzte Broschüre nichts anderes war als eine Verteidigung der beiden frü­heren, betrachtete ich es als meine, Pflicht, meine Handlungsweise zu ändern, und ausführlich legte ich vor vielen Wochen diese schrecklichen Irrtümr dar, die die Grundlagen selbst unseres heiligen Glaubens antasten.

Wenn jemand übrigens wirklich anniffmt, daß Newton tatsächlich von seinem Irrweg zurückgekehrt sei, dann braucht er nur zu lesen, was Newton viele Jahre später (1867) in einem Artikel mit dem Titel "Christus, unser leidender Bürge» ge­schrieben hat. Darin koffmt folgende Passage vor: "Obwohl es wahr ist, daß die Feuer, die auf dem Sinai brannten, Ihn bis auf Golgatha nicht in ihrer vollstän­digen, verzehrenden Macht überfielen, brannten diese Feuer doch allezeit gegen Ihn als den Bürgen der Sünder und sandten von Zeit zu Zeit gleichsam ihre flak­kernden Blitze aus, versengend, wenn auch nicht verzehrend.

(3) Durch die genannten Ereignisse wurde die bereits schwach gewordene Versam­lung in Ebrington Street in noch größere Verwirrung gebracht, und deshalb zog Newton sich, um die Brüder und Schwestern nicht in weitere Verlegenheit zu brin­gen, am 8. Dezenber 1847 aus der Versammlung zurück und verschwand für imner aus der Geschichte der "Brüder". In seinem späteren Leben hatte er eine eigene Ka­pelle in‑London, getrennt von den "Brüdern" und auch von den "Offenen Brüdern". Doch wenn er späterhin in Plymouth war, diente er inmr in den dortigen "offe­nen" Versammlungen, während Personen seiner Kapelle in London immer in den uof­fenen" Versamlungen daselbst Brot brechen konnten, wenn Newton abwesend und seine Kapelle geschlossen war. Dies trotz der Tatsache, daß es öffentlich be­kannt war, daß diese Personen Newtons Lehren anhingen.

Die Freunde Newtons, die in Plymuth zurückblieben, beriefen, nachdem Newton sich zurückgezogen hatte, eine Zusammenkunft zum Bekenntnis und zur Demütigung ein, die am 13. Dezember gehalten wurde. Soltau und Batten gaben ein gründliches Bild von den verkehrten Auffassungen, die sie (wie sie zugaben) so lange mit Newton geteilt hatten. Dies konnte die Versammlung jedoch nicht begreifen, und anstatt sich zu demütigen, versuchte sie sich zu rechtfertigen. Deshalb zogen sich die beiden Brüder aus der Gemeinschaft zurück und gaben Ende Dezember jeder eine Schrift heraus, ebenso Bruder Dyer, worin sie ihre bösen Lehren und Verbin­dungen aufrichtig und gründlich bekannten. Glücklicherweise hatten diese Schrif­ten eine gute Auswirkung, so daß verschiedene andere sich aus Ebrington Street zurückzogen und allmählich ihren Platz bei den Gläubigen einnahmen, die sich in Raleigh Street und woanders versammelten. Die übrigen veröffentlichten am 10. Januar 1848 unter der Leitung von Samuel Tregelles eine "Erklärung", worin sie behaupteten, nichts von den nun bekanntgewordenen Irrtümern gewußt zu haben. SiE verwarfen sie zwar, ohne jedoch zu verneinen, daß Christus dadurch, daß Er als Israelit geboren war, viele Folgen des Zustands Israels teilte. Welch eine Gleichgültigkeit gegenüber Christus ‑ gefühllos für das geworden zu sein, was Seine Person entehrt, und nicht imstande, das einzusehen, wenn dieser Bosheit die Maske abgerissen wirdt

Im Sommer 1848 siedelte der Rest der ursprünglichen Versammlung in Plymouth von der großen Kapelle in Ebrington Street zu einem kleineren Lokal in Ccnpton Stre­et Über. In dieser Zeit unternahm Newton einen letzten Versuch, sein Ansehen zu retten durch Veröffentlichung von Ein Brief Über Themen in Verbindung mit der Menschheit des Herrn, worin er seine Lehren aufrechterhielt und erneut in mög­lichst verschleierten Begriffen zu verteidigen suchte. Das einzige, was er be# kannte, war "mangelnde Sorgfalt" und "ein verkehrter Gebrauch theologischer Ter­mini"28. Erneut wurden Newtons Argumente von Darby widerlegt.

(4) Im Mai 1848 wurde in Bath eine große Zusammenkunft gehalten, an der ungefähr hundert Brüder aus vielen Orten teilnahmen. Während dieser Zusammenkunft wieder­holten die Brüder Soltau, Batten und Dyer noch einmal mündlich die Bekenntnisse, die sie veröffentlicht hatten. Nicht nur gestanden sie ihre frühere Bejahung bö­ser Lehren und ihre Verbindung damit ein, sondern gaben auch das unwahrhaftige, unmoralische System in Ebrington Street zu, wie Darby es in seinen Berichten Über die Ereignisse in Plymouth und London ins Licht gestellt hatte. Dieses Ein­geständnis war sicher die Folge einer besonderen Gnade des Herrn, denn dadurch wurde vor allen offenbar, wie falsch nicht nur die Lehre, sondern auch das kle­rikale System in Plymouth gewesen war; und gerade im Blick auf die Ereignisse, die bedauerlicherweise schnell folgen sollten, war dies von größter Bedeutung. Leider versuchte Lord Congleton fünf Stunden lang darzulegen, daß Darbys Berichte falsch waren, doch dies hatte eine entgegengesetzte Wirkung. Denn gerade da­durch kam erst gut ans Licht, wie genau und objektiv diese Berichte nämlich in Wirklichkeit waren. Verschiedene, die bis dahin mißtrauisch waren, riefen aus, daß sie niemals etwas gesehen hätten, dessen Wahrheit so deutlich bewiesen sei; unter ihnen waren Robert Howard aus Tottenham und Andrew Jukes aus Hull, beide bereits früher genannt. Lord Congletons Haltung während der Zusammenkunft war so traurig, daß die Brüder ihn, als er nach Rawstorne Street (London) zurückkehrte, nicht zulassen wollten, bevor er nicht Reue über sein verhalten gezeigt hätte.

V. BETHESDA

(1) Die Gläubigen, die in der Bethesda‑Kapelle in Bristol zusanmnkamen, wußten nicht im geringsten von den Schwierigkeiten, die eingetreten waren, und von den falschen Lehren, die in Plymouth ans Licht gebracht worden waren; ihre Führer, Müller und Craik, hatten sich völlig aus der Sache herausgehalten. Ein Hinweis mehr, daß Bethesda eine völlig isolierte Stellung unter den "Brüdern« einnahm und nur wenig mehr als eine gewöhnliche Baptistengemeinde war. Andererseits hat­te Bethesda vor allem durch die Waisenhäuser Müllers Verbindungen mit zahllosen Versammlungne in England, und die Arbeit von Müller und Craik wurde nicht zu Un­recht sehr geachtet. Hier in Bethesda lag der Ursprung der dritten und letzten Phase dieses großen Dramas. Zweimal war es den führenden Brüdern durch unermüd­liche Arbeit und mit Hilfe des Herrn gelungen, den allergrößten Teil der Brüder von dem Bösen, das am Werk war, zu überzeugen: das erste Mal nach der Trennung von dem klerikalen und sektiererischen System Newtons, und das zweite Mal nach der Verurteilung seiner falschen Lehren. Doch beim dritten Test sollte sich zei­gen, wer tatsächlich richtig stand und jede Verbindung mit dem Bösen wirklich positiv verurteilte. Zweimal hatte auch in der Ebrington‑Street‑Versammlung eine Trennung stattgefunden: Ende 1845 und Ende 1847. Was übrigblieb, waren die er­gebenen Freunde und Anhänger Newtons.

Zwei von ihnen, die Gebrüder Woodfall, besuchten im Frühjahr 1848 Bristol und fragten in Bethesda, ob sie am Brotbrechen teilnehmen dürften. Henry Woodfall war einer der bedeutendsten Anhänger Newtons während der zweiten Plymouth­Trennung im Dezember 1847.. und es war bekannt, daß die Gebrüder mit Newtons Lehren behaftet waren. Drei Brüder in Bethesda erhoben aus diesen Gründen gegen die Zulassung der Woodfalle Einspruch, gaben aber in erster Instanz nach. Darauf nahmen die Woodfalls an der Abendmahlsfeier teil, trotz der Tatsache, daß auch Brüder von außerhalb vor dem Wesen und den Auffassungen dieser Personen ernst­lich warnten. Gleichzeitig wurde auch eeine Schwester Brown zugelassen, die als eine glühende Anhängerin Newtons bekannt war. Alle drei verbreiteten Newtons Broschüren in der Versammlung in Bethesda, die dort laut eines Zeugen eifrig ge­lesen und sehr geschätzt wurden. Kurz danach, am 20. April, machte Darby in Bri­stol einen Zwischenbesuch, wo er mitteilte, daß er die Zulassung der Newton­Anhänger so sehr mißbillige, daß er nicht mehr nach Bethesda kcmw, es sei denn, daß die Versammlung die Irrtümer Newtons untersuche und verurteile. Er schrieb dies auch in einem Brief an müller. Bruder G. Alexander, einer der drei, die an­fänglich Einspruch erhoben hatten, drang auf eine derartige Untersuchung, aber vergeblich. Deshalb sah er sich genötigt, sich mit einigen anderen von diesem Bösen in der Bethesda‑Versammlung abzusondern; er legte seine Gründe dafür in einem Brief an die führenden Brüder in Bethesda ausführlich dar.

Daraufhin verfaßten zehn Älteste einen Brief, der als Der Brief der Zehn berühmt geworden ist und der auf einer besonderen Zusammenkunft der Versammlung am 29. Juni und 3. Juli 1848 vorgelesen und erläutert wurde. Dieser Brief ist deshalb so bekannt geworden, weil die Darlegung bis auf den heutigen Tag die Grundlage wiedergibt, auf der sich die "Offenen Brüder" versammeln, und er mit Recht als ihre "Magna Charta" betrachtet werden kann. Die Grundsätze, die darin verteidigt werden, werden wir später noch einer genaueren Untersuchung unterziehen; haupt­sächlich besagen sie folgendes: (1) Die Bethesda‑FUhrer weigerten sich entschie­den, die Lehre Newtons zu untersuchen, (a) um die Brüder und Schwestern nicht damit zu belasten und (b) weil Newtons Auffassungen sich häufig geändert hätten, schwierig zu verstehen wären und verschieden ausgelegt würden; und (2) selbst wenn Newton tatsächlich Irrlehre verkündigt hätte, dann bedeute das nicht, daß damit auch seine Anhänger im voraus verurteilt wären.

Die Art und Weise, in der die Versammlung gezwungen wurde, diesen Brief der Füh­rer anzunehmen, war regelrechte Erpressung. Craik teilte der Versammlung mit, daß zuerst der Brief von Bruder Alexander und danach der der Zehn vorgelesen werde und daß sie nicht erlaubten, daß über die Lehren Newtons gesprochen werde, bevor der Brief der Zehn angencmmen sei. Man stelle sich einmal vor: Die Ver­sammlung wird durch einen Brief von zehn Führern gezwungen, einen neutralen Kurs zu fahren zwischen einem Irrlehrer mit seinen Freunden und denen, die sie als böse verurteilen, ohne daß der Versammlung erlaubt wird, zuerst zu hören, was die Irrtümer Newtons denn eigentlich waren. Als einige einwendeten, daß eine derartige Entscheidung ein Sprung ins Dunkle sei, antwortete güller, daß zuerst die Unterzeichner des Briefes gerechtfertigt werden müßten, und wenn die Ver­sammlung das nicht täte, könnten die Führer nicht weiter unter ihnen arbeitent Um nicht ihre verehrten und geliebten Führer zu verlieren, gab der größte Teil der Versammlung klein bei, gab durch Aufstehen seine Zustimmng zu diesem Brief und wurde damit völlig verantwortlich für dessen Inhalt. Daß diese Personen Newtons Irrtümer nicht gründlich untersucht hatten, änderte nichts an ihrer Ver­antwortlichkeit; übrigens hatte Bruder Alexander ihnen vorher mitgeteilt, daß es um Irrtümer ging, die die Person und das Werk des Herrn Jesus antasteten, und außerdem waren die Broschüren in der Versammlung verbreitet.

(2) Fünfzig bis sechzig Gläubige in Bethesda konnten sich nicht einsmachen mit dem neutralen Standpunkt, der im Blick auf die entehrenden Aussagen über den Herrn Jesus eingencmmen wurde, und verließen die Versammlung. unter ihnen war Joseph Stanccube, den wir später wiedertreffen werden. Kurz danach besuchte Dar­by Bristol und sprach mit Müller und Craik, merkte jedoch, daß sie sich hartnäk­kig weigerten, gegen das Böse Stellung zu nehmen, und warnte sie ernstlich vor den Folgen. Am 26. August 1848 veröffentlichte er sein sogenanntes Bethesda­Rundschreiben, in dem er den Standpunkt Bethesdas allen Versammlungen vorlegte und ihre Gemeinschaft mit eifrigen Anhängern Newtons streng verurteilte. Dieser Rundbrief endete wie folgt: "[Das Böse) ist formell und wohlbedacht in Bethesda zugelassen worden unter dem Vorwand, man wolle es nicht untersuchen (an sich ein Grundsatz, durch den man sich weigert, gegenüber Wurzeln der Bitterkeit wachsam zu sein), und es ist wirklich beschönigt worden. Und wenn dies gestattet wird, indem man Personen von Bethesda zuläßt, dann werden die, die das tun, moralisch mit dem Bösen identifiziert, denn die Versammlung, die so handelt, ist in ihrer Gesamtheit verantwortlich für das Böse, das sie zuläßt. Wenn die Brüder denken, daß sie solche zulassen können, die die Person und die Herrlichkeit Christi un­tergraben, und Grundsätze zulassen können, die zu soviel Unwahrheit und Unauf­richtigkeit geführt haben, dann ist es gut, daß sie das sagen, damit solche, die das nicht können, wissen, was sie zu tun haben. Ich lege die Sache nur den Ge­wissen der Brüder vor und stelle sie ihnen eindringlich vor gemäß ihrer Treue Christus gegenüber. Ich bin ihnen gegenüber rein in meinem Gewissen. Was mich betrifft, so würde ich nicht nach Bethesda gehen in seinem gegenwärtigen Zu­stand, und ebensowenig, solange es in diesem Zustand ist, irgendwohin, wo Perso­nen von Bethesda wissentlich zugelassen wurden. Ich will mich darüber hier nicht ausbreiten, sondern lege es den Brüdern vor und appelliere an ihre Treue zu Christus und ihre Sorge für Seine geliebten Heiligen.

Nach dieser Veröffentlichung ging Darby selbst ins Ausland. Von seinem Rund­schreiben wurde anfänglich wenig Notiz gencmmn. Es gab lediglich einen feindse­ligen Brief von dem Bankier Wakefield in Kendal, einem der Verwalter der Waisen­häuser Müllers, und einen Brief von Jukes aus Hull an die Versammlungen in Leeds und Otley, worin er für Bethesda eintrat. Hierauf reagierten die Brüder Trotter und William mit einem Rundbrief, in dem sie darlegten, was das betreffende Böse sei, wie Bethesdas Bejahung dieses Bösen alle Versammlungen bedrohe und was nach ihren Gedanken Gottes Weg in diesen umtänden sei. Allmählich entstand mehr Wi­derstand, und der Druck auf Bethesda nahm zu, bis es endlich begriff, daß es Tausenden aus dem Volke Gottes zu einem Anstoß geworden war.

(3) Als Folge dieses Druckes wurde in Bethesda am 31. Oktober 1848 eine Zusam­menkunft gehalten, in der man sich von allen Beschuldigungen freisprechen woll­te. Müller legte dar, daß nach seinem persönlichen Urteil die Broschüren Newtons von Anfang bis Ende heimtückische Irrtümer enthielten, die in ihren Konsequenzen die Grundlagen des christlichen Glaubens verdürben" weil, wenn sie richtig wä­ren, "der Herr geradesogut wie die anderen einen Erlöser nötig hatte".30 Unge­achtet dessen sagte Müller, daß er Newton keinen Irrlehrer nennen könne und ihn weiter als einen Bruder betrachten werde. Man stelle sich das vor: Wenn jemand Lehren bringt, die besagen, daß Christus nicht in der Lage war, mein Erlöser zu sein, so daß ich für ewig verloren bin, muß ich so jemanden keinen Irrlehrer nennen? Kann ich ihn einen Bruder nennen?? Zudem ging Müller noch weiter und rechtfertigte den "Brief der Zehn" vollständig und sagte, daß sie in ähnlichen Umständen wieder genauso handeln würden. Die Lehre wird einerseits als verräte­risch und böse betrachtet ‑ und andererseits wird ihr die Tür sperrangelweit ge­öffnet.

Der allgemine Widerstand war nun jedoch so stark, daß die Führer beschlossen, tiefer auf die Sache einzugehen, und so wurden zwischen dem 27. November und dem 11. Dezember 1848 sieben Zusammenkünfte in Bethesda gehalten, um Newtons Bro­schüren zu studieren. Was im Juli als absolut verkehrt zurückgewiesen wurde (nämlich das Untersuchen der Lehre Newtons), wurde nun, nachdem fünfzig bis sechzig Gläubige sich zurückgezogen hatten und überall Unruhe gesät war, als richtig betrachtet, ohne jede Demütigung im Blick auf die, die durch diese Hal­tung hinausgetrieben worden wareni Die Schlußfolgerung, zu der man während die­ser sieben Zusammenkünfte kam, war, "daß niemand, der die Auffassungen oder Bro­schüren des Herrn Newton verteidigte, aufrechterhielt oder stützte, in Gemein­schaft zugelassen werden sollte."31 Doch was bedeutete diese Entscheidung? Er­stens: Warum wurde sie ein halbes Jahr verborgen gehalten und erst im Juni 1849 veröffentlicht in einer Broschüre von A.N. Groves (der gerade während dieser Zeit bei seinem Schwager in Bristol war)? Zweitens: Warum wurde denen nicht ent­gegengetreten, die, obwohl sie Newton verteidigten, bereits in Bethesda zugelas­sen waren? Drittens: Was sollte mit denen geschehen, die jahrelang Newtons Leh­ren eingesogen hatten und sich nicht einmal bewußt waren, wie sehr sie davon an­gesteckt waren? Sie sollten in Bethesda zugelassen werden, solange sie Newtons Auffassungen nicht "verteidigten, daran festhielten oder sie stützten". Sie konnten mit Hochachtung Über Newtons Person sprechen, so daß sie den Gläubigen in Bethesda Sand in die Augen streuten, sie konnten sagen, daß sie alle Angriffe gegen Newton nicht begriffen oder verabscheuten ‑ das machte alles nichts aus, solange sie seine Lehren nicht verteidigten. Diese Entscheidung im Dezember ent­sprach also völlig dem Geist des "Briefes der Zehn", was den Grundsatz der Zu­lassung betraf.

(4) Groves teilt uns unter Berufung auf Lord Congleton mit, daß an 12. Februar 1849 alle Freunde Newtons in Bethesda sich zurückgezogen hatten, nämlich die Ge­brüder Woodfall, das Ehepaar Aitchison und fünf Schwestern. Und dies wird bis auf den heutigen Tag zur Verteidigung Bethesdas angeführtl Man beachte: Nicht die Versammlung hat diese Personen ausgeschlossen, sondern sie selbst haben sich zurückgezogen; und das, während die Führer Bethesdas von Anfang an hoch und hei­lig behauptet hatten, daß es niemanden in Bethesda gebe, der Newtons Auffassun­gen teile. Nun plötzlich zogen "Newtons Freunde" sich zurück ‑ und wer ist das?

Die Woodfalls, von denen behauptet wurde, daß sie frei von Newtons Irrtümern seien; und weiterhin Herr Aitchison, einer der Mitunterzeichner des "Briefes der Zehn"1 Also einer der Führer, die Bethesda in eine neutrale Stellung im Blick auf das Böse zwangen, wird nun von Lord Congleton (einem glühenden Anhänger Bethesdas) ein "Freund Newtons" genannt. Und trotz alledem gibt es kein Wort des Bekenntnisses und der Deffütigung seitens der Bethesda‑Führer; Bethesda habe von Anfang bis Ende einen geraden Kurs gefahren ...

Und dann muß man auch noch sehen, aus welchen Gründen die Woodfalls sich zurückgezogen haben, wie sie in einem Brief darlegten. Sie schrieben: 'Wir haben uns schließlich zu diesem Schritt entschlossen nach einem Gespräch mit einem eurer Führer, der zu denken scheint, daß dies sie von einigen ihrer Schwierigkeiten befreien würde ... Indem wir diesen Schritt tun, nehmen wir, als Brüder in Christus, keineswegs Abstand von unserem Anrecht auf einen Platz am Tisch des Herrn hier."32 Ist da die Rede von Demütigung, von einem Anerkennen des Irrtums? Nein, es geht lediglich um eine Regelung, die es den Führern von Bethesda gegenüber Auswärtigen etwas einfacher machen soll, ohne daß die Woodfalls das Recht zum Brotbrechen aufgeben1 Bethesda unterhält weiterhin freundschaftliche Bande mit "Newtons Freunden", und verschiedene in Bethesda behalten sich das Recht vor, mit diesen Freunden Brot zu brechen. Wer kann nun Bethesda rein im Blick auf das Böse nennen?

Im Juni 1849 effpfing Bethesda einen Brief von der Versammlung in Rawstorne Street (London) mit der Mitteilung, daß sie nach Demütigung und Gebet beschlossen hätte, unter den herrschenden Umständen keine Gemeinschaft mit Bethesda zu haben, und dringend bitte, eine öffentliche Zusammenkunft in Bristol oder woanders zu halten, um den Zustand völlig unvoreingenonven zu untersuchen, da überall Trennungen drohten. güller lehnte eine solche Zusammenkunft, bei der auch Darby und Wigram anwesend sein sollten, hartnäckig ab und schrieb, daß selbst, wenn diese Brüder sich im Blick auf Bethesda zufriedengestellt zeigen würden, es heuchlerisch wäre, ihnen die Rechte der brüderlichen Gemeinschaft zu reichent Ist das nicht abscheulich? Müller hat ein halbes Jahr zuvor erklärt, daß er die Lehren Newtons streng verurteile, aber keinen Grund sieht, ihn nicht weiter als einen Bruder zu betrachten; die Herrlichkeit Christi darf angetastet werden, die Fundamente des Glaubens dürfen untergraben werden, doch Miller hält sich neutral und unterhält weiterhin gute Beziehungen zu Newtons Freunden. Nun sagt Darby, daß diese Haltung böse ist und daß er sich nicht verunreinigen will, indem er Gemeinschaft damit hat, und was antwortet Miller? Er weigert sich, Darby die Hand zu geben, und fordert, daß Darby und Wigram öffentlich bekennen, daß sie Spaltungen verursachen und Verleumder sind. Er macht sich kein Gewissen daraus, mit den Freunden Newtons Gemeinschaft im Brotbrechen zu haben, weigert sich aber, mit den Freunden Darbys zusaim‑enzukommen, um offen und ehrlich zu untersu­chen, welche Fehler auf beiden Seiten gemacht worden sein könnten.

(5) Noch einige Tatsachen müssen genannt werden, um den wahren Zustand Bethesdas deutlich zu machen. Im Juli unternahm Darby, der sich mit der Haltung Bethesdas einfach nicht abfinden konnte, einen letzten versöhnenden Versuch, es zu gewin­nen. Dazu suchte er Miller persönlich in seinen Waisenhäusern auf; Müller lehnte jedoch ein Gespräch mit Darby ab, erstens weil er keine Zeit habe, und zweitens, weil (wie er sagte) "Sie so böse gehandelt haben in dieser ganzen Sache, daß viele Dinge besprochen werden müssen, bevor wir wirklich wieder einswerden kön­nen.1,33 So gingen diese beiden großen Männer auseinander, um sich hier auf der Erde nicht wiederzusehen.

Die Freunde Newtons, die sich wohlweislich aus Bethesda zurückgezogen hatten, um es den Führern leicht zu machen, bildeten eine eigene Partei und versammelten sich in einem öffentlichen Lokal, wo zwei der Unterzeichner des "Briefes der Zehn" anwesend waren (Aitchison und Withy) und wo auch Newton aufgencmmen wurde. Die Bewegung versandete jedoch, und diese beiden Führer wurden wieder in Bethes­da zugelassen ohne das geringste Bekenntnis ihrer offenbaren und groben Sünde. Sie anerkannten als einziges, daß es verkehrt gewesen war, Bethesda zu verlas­sen1 Es war niemand da, der sie aufforderte, das Böse ihrer innigen Gemeinschaft mit einem falschen Lehrer zu bereuen, der noch inmr an seinen fundamentalen Irrlehren festhielt ‑ obwohl diese von Bethesda laut verworfen worden waren.

Es gibt übrigens Hinweise darauf, daß sogar Henry Craik in beträchtlichem Maße mit Newtons falschen Lehren über die Menschheit des Herrn Jesus sympathisierte. Das ist jedoch ein strittiger Punkt. In jedem Fall hat Darby 1866, als Craik auf dem Sterbebett lag, ihm einen außergewöhnlich herzlichen Brief geschrieben, um ihm allen Segen des Herrn zu wünschen. Das ist wichtig, denn sowohl Darbys Brief an Frau Newton wie seine versöhnliche Haltung gegenüber Müller als auch sein Brief an Craik beweisen sonnenklar, daß Darby nicht aus persönlicher Antipathie oder Eifersucht handelte, sondern aus Liebe zu seinem Herrn, einer Liebe, die seine größte Liebe zu welchem Bruder auch inuer bei weitem übertraf. Es war be­kannt, daß Darby gegenüber dem Bösen äußerst scharf auftrat, aber gegenüber den Personen häufig gutgläubig war; er war immr geneigt, das Beste von einem Ent­gleisten anzunehmen, auch wenn andere schon längst von dessen böser Gesinnung überzeugt waren. Kelly schrieb, daß es kennzeichnend für Darby war, daß da, wo andere schon längst von der Hoffnungslosigkeit Bethesdas überzeugt waren, er doch noch einen Versöhnungsversuch wagte und erst nach der groben Zurückweisung durch ffäller einsah, daß die anderen recht hatten. Noch 1852 wirkte er mit an Zusammenkünften (in Taunton und Bristol), die eine Versöhnung bezwecken sollten, doch leider ohne Erfolg. Ich weise auf dies alles mit Nachdruck hin, weil ich hier einen ganzen Stapel Schriften vor mir habe, die alle zu zeigen versuchen, wie grausam und rücksichtslos Darby, getrieben von Abneigung und Rivalität, dem armen Newton und müller das Leben vergällt und Leid unter Tausende Brüder gesät habe ...

VI. DER WELTWEITE RISS

(1) Alle Versammlungen auf der ganzen Erde wurden nach und nach in den Konflikt hineingezogen und waren gezwungen, Stellung zu nehmen: entweder sich mit dem Standpunkt Bethesdas einszumachen oder sich vom Bösen abzusondern. Im Juli 1849 schrieb Trotter einen Brief, worin er mitteilte, aus welchen fünf Gründen er keine Gemeinschaft mehr mit Bethesda haben könne:

(a) wegen des öffentlichen Einnehmens einer neutralen St ellung im Blick auf das böse System und die bösen Lehren Newtons, (b) wegen des freisinnigen Grundsatzes, enthalten in dem "Brief der Zehn" und von der Versammlung (Bethesda) angenommen, daß ihnen, die in erklärter Gemein­schaft mit Irrlehrern sind, nicht die Zulassung zum Tisch des Herrn verweigert werden, es sei denn, daß sie selbst Irrlehren angenommen und bejaht haben, (c) wegen des Versuches, den Eindruck zu erwecken, daß die neutrale Stellung aufgegeben sei zugunsten einer Stellung der Absonderung im Blick auf Newton und seine Broschüren, ohne irgendein Bekenntnis der Sünde oder des Irrtums, daß sie zuerst eine neutrale Stellung eingenommen haben, (d) weil die neutrale Stellung nicht wirklich aufgegeben ist; da solche, die mit der Irrlehre sympathisieren, noch in Bethesda geduldet werden und ihrem freien Umgang mit erklärten Anhängern der Irrlehre außerhalb Bethesdas keine Schranken gesetzt werden, (e) wegen der Aussagen H. Craiks in seinem Brief an T.M. als Antwort auf G.V.Wigranis Appell; was er über die Menschheit des Herrn sagte, läßt keinen Rawn für Zweifel, daß er in großem Maß mit den ungesunden Auffassungen Newtons sympathisierte.

Im übrigen wählten verschiedene einflußreiche Führer in Nordengland die Seite Bethesdas, wie Wakefield in Kendal, Jukes in Hull, Anderson in Birmingham. Mehrere Führer, die Newtons Lehren radikal zurückgewiesen hatten und keine Gemeinschaft mit ihm hatten haben wollen, schienen nun keine Bedenken gegen Gemeinschaft mit Newtons feurigen Anhängern zu haben. Es ist traurig, das sagen zu müssen, aber solche Führer waren Rhind in Ross und Chapman in Barnstaple. Die Führer von Plymouth, die Newton so lange unterstützt hatten, doch schließlich diese Verbindung gelöst und öffentlich bekannt hatten, zeigten nun, welchen wert ihr Bekenntnis hatte: Harris, Soltau, Dyer samt Tregelles wählten die Seite Bethesdas. Die große Versammlung in Hereford versuchte lange, sich abseits zu halten, doch Wellesley bagatellisierte Newtons Irrtümer; schließlich sonderte Cetain Hall sich mit einem Teil der Brüder und Schwestern von denen ab, die Bethesda treu blieben (1850).

(2) In London teilten Wigram, Dorman und Cronin den Standpunkt Darbys völlig. Doch Lord Congleton, der bisher immer die schwächste Haltung gegenüber Newton eingenommen hatte, zog sich endgültig zurück. Auch die Versammlung in Orchard Street stützte Bethesda weiterhin. In Tottenhan kam die Sache ins Rollen, als Groves dort Anfang 1849 einen Besuch machte. Groves hatte die ganze letzte Zeit in Bethesda mitgemacht und hatte, wie man aus seinen Grundsätzen verstehen kann, die Haltung güllers und Craiks aktiv unterstützt. Als bekannt wurde, daß Groves in Tottenham zugelassen war, schrieb Dorman an den Führer von Tottenham, John E. Howard, daß keine Gemeinschaft mit dieser Versammlung mi5glich wäre, wenn sie Personen von Bethesda aufnehme. Am 4. März 1849 gab Tottenham eine Erklärung heraus, worin sie schrieben, daß sie jeden wahren Gläubigen aufnehmen würden, ungeachtet seiner oder ihrer Verbindung mit welcher Partei auch immer ‑ der neutrale Grundsatz in reinster Form.

Verschiedene Brüder, sogar ein bekannter "Offener Bruder" (wie die Bethesda Anhänger gewöhnlich genannt werden), haben ausdrücklich erklärt, daß ein großer Teil oder vielleicht sogar die Mehrheit derer, die die Seite Bethesdas wählten, das taten, um auf diese Weise der Zucht zu entgehen. Und in der Tat, was kann für das religiöse Fleisch anziehender sein, als zu einer Partei zu gehören,wo man auf eigene Verantwortung teilnimmt und wo nicht auf jemandes Lehren und Verbindungen geachtet wird? Bis auf den heutigen Tag sind Fälle zu nennen, wo Personen, die wegen ernstem sittlich oder lehrmäßig Bösem ausgeschlossen werden mußten, sofort mit offenen Armen von einer "offenen Versammlung" aufgenommen wurden. Übrigens trennte sich die Mehrzahl der "Brüder" in England 1849 und später von Bethesda; traurig war jedoch, daß gerade soviele Führer zu Bethesda hielten.

(3) Auch viele alte irische Freunde ließen Darby im Stich, wie Code und Hargrove (seine alten Kameraden von Westport) und Maunsell, sein treuer Verbündeter in Limerick. In Dublin (Brunswick Street) entstand die Schwierigkeit durch die Ankunft Lord Congletons, der auf der Durchreise mit den Brüdern in Dublin Brot brach. Der Schmerz darüber brachte Bruder Bellett an den Rand des Todes, da er den Brüdern in Dublin so viele Jahre gedient hatte und sie einander innig liebten und er den Gedanken an eine Trennung fast nicht ertragen konnte. Viele Zusammenkünfte wurden gehalten, in denen Bellett praktisch allein stand; die Versuchung war groß für ihn, sein Gewissen zu beruhigen und mit seinen vertrauten und bewährten Freunden in Gemeinschaft zu bleiben. Der Schmerz und der Kummer begannen, an seiner Gesundheit zu nagen, so daß er schließlich, an Seele und Leib gebrochen, sich überreden ließ, Dublin zu verlassen und einige Jahre in Bath (England) zu wohnen. Doch nach einer gewissen Zeit wurden seine Gedanken klar und sehr entschieden (er schrieb: "Der Herr hat mich wiederhergestellt‑35), und er kehrte nach Dublin zurück. Dort wurde ein Zeugnis mit denen errichtet, die sich von den übrigen (unter ihnen Stokes) abgesondert hatten und deren Anzahl beständig zunahm. unter ihnen nahm er seinen Dienst wieder auf, der (wie jenkind von ihm schrieb) gekennzeichnet wurde durch zunehmende Kraft, vor allem in Hinsicht auf die "Einheit des Geistes" und die Heiligkeit ihrer Verbindungen, Wahrheiten, die er, wie er sagte, mit neuer Frische und Deutlichkeit zu sehen begann. Dies zur Freude Darbys, der einen Augenblick um seinen alten Freund ge­bangt hatte.

Übrigens unterhielt Bellett weiterhin freundschaftliche Bande mit seinen Freun­den, von denen er nun im Brotbrechen getrennt war, aber die er deshalb nicht we­niger liebte, obwohl er mehrere Male in seinen Gesprächen mit ihnen "Spießruten laufen mußte", wie er es ausdrückte. W.B. Neatby (ein scharfer Schreiber über die Geschichte der "Brüder") nannte ihn "einen eigenartigen Darbystenu, weil er manchmal Arm in Arm mit seinen "offenen" Freunden durch die Straßen Dubl* ,ging‑ Niemand verwundere sich darüber. Der große Bruch war nicht aus persönli­chen Antipathien hervorgekoawen, sondern aus Treue gegenüber Gottes Grundsätzen. Diejenigen, die sich von Bethesda absonderten, hatten weiterhin (bis auf schlechte Ausnahmen) ihre Brüder von Herzen lieb und schätzten ihren Dienst, auch wenn sie ihre Grundsätze verabscheuten.

Kapitel 5 ‑ Die Offenen Brüder ( 1849 bis heute)

Es erscheint etwas ungerecht, in diesem Buch die "Offenen Brüder", die doch einen sehr großen Teil derer ausmachen, die als "Brüder" bezeichnet werden, in lediglich einem Kapitel zu behandeln. Doch dafür gibt es verschiedene Gründe. Erstens können sie nicht als kennzeichnend betrachtet werden für die Bewegung, die der Herr vor 150 Jahren ins Leben rief, und zweitens haben sie hinsichtlich ihres Gemeindelebens wenig Geschichte gemacht. Daß sie nicht kennzeichnend sind für das Licht, das der Herr den "Brüdern" anvertraute, habe ich im dritten Kapitel bereits kurz erwähnt. Überhaupt bilden sie gewöhnliche, unabhängige Versamlungen nach dem kongregationalistischen oder freikirchlichen Grundsatz, die sich von den üblichen Freikirchen hauptsächlich darin unterscheiden, daß sie keine Mitgliedschaft und gewöhnlich keine angestellten Prediger kennen. Dadurch haben sie auch praktisch keine Geschichte, denn durch ihre Grundsätze der Unabhängigkeit der einzelnen Versamulungen und der persönlichen Verantwortlichkeit bilden sie ein unzusammenhängendes Ganzes freier Gemeinden, deren Grundsätze und Praktiken so weit auseinandergehen, daß die Grenzen zu allerlei anderen christlichen Gruppierungen fließend sind. Ihre Geschichte haben sie vor allem durch ihre erstaunliche Missionstätigkeit gemacht, und darin sind sie außergewöhnlich zu schätzen1

Die "Offenen Brüder« bilden das, was man den linken Flügel der Bewegung nennen könnte. Auf der rechten Seite findet man einen ebenfalls umfangreichen Flügel, den der sogenannten Exklusiven' oder Taylor‑Brüder. Beide Flügel fanden ihren Ursprung in fundamentaler Irrlehre, die die Person Christi antastete; fünfundvierzig Jahre nach dem Beginn des vorigen Jahrhunderts wurde die falsche Lehre B.W. Newtons offenbar, und genau fünfundvierzig Jahre später die von F.E. Raven, dem Führer der Radikal‑Exklusiven. Dazwischen bewegt sich ein "Mittelstrom", der sowohl die Lehre Newtons als auch die Lehre Ravens verwirft und zudem bewahrt geblieben ist hinsichtlich der Grundsätze des Zusammenkommens vor den beiden entgegengesetzten Extremen, in die die beiden Flügel gefallen sind: links eine weitgehende Gleichgültigkeit gegenüber der Absonderung vom Bösen und rechts eine extreme Durchführung der Absonderung bis ins Absurde. Links ein völliges Fehlen des Zusammenhangs der einzelnen Versammlungen und der Autorität und rechts eine absolute, zentrale Autorität, die mit strenger Hand über alle Bereiche des Lebens regiert. Wir werden uns in diesem Buch hauptsächlich mit dem "Mittelstrom" beschäftigen, der in großer Schwachheit und mit betrüblich vielem Versagen versucht hat, den schmalen Pfad zwischen den Extremen zu gehen, im Bestreben, auf der einen Seite die Einheit des Leibes zu bewahren, andererseits keine zentrale Autorität anzuerkennen (mit Ausnahme des Herrn); einerseits alle wahren Kinder Gottes zuzulassen" andererseits keine Gemeinschaft mit dem Bösen zu haben, auch nicht mit dem Bösen unreiner Verbindungen. Auch dieser "Mittelstrcm" hat leider (unnötige) Trennungen erlebt, doch das Bemerkenswerte ist, daß die Gnade des Herrn die meisten dieser Trennungen wieder geheilt hat.

In diesem Kapitel werden wir nun die Versanndungs‑Grundsätze der "Offenen Brüder" unter die Lupe nehmen und prüfen, auf welche Weise diese Grundsätze von Lehrern unter den Brüdern, die sich von Bethesda getrennt haben, widerlegt worden sind. Dann werden wir kurz die Geschichte der "Offenen Brüder" bis in die gegenwärtige Zeit verfolgen.

I. DER BRIEF DER ZEHN

(1) Im dritten Kapitel haben wir gesehen, daß die Ansichten der "Offenen Brüder" über die Einheit und Gemeinschaft bereits im Keim in dem allzu berühmten Brief von Groves an Darby (1836) enthalten waren. Im vierten Kapitel sahen wir dann, daß diese Ansichten formell in dem noch berühmteren "Brief der Zehn" niedergelegt sind, einem Schreiben, das von zehn Ältesten der Bethesda‑Versammlung in Bristol (1848) unterzeichnet wurde und in dem sie rechtfertigten, weshalb sie die Irrlehre Newtons nicht mit der Versammlung zu untersuchen wünschten, aber dennoch die Freunde Newtons zum Brotbrechen zulassen wollten. Es ist gut, diesen Standpunkt einmal näher zu betrachten.

Ein erster Grund, weshalb die "Zehn" im Blick auf die Auseinandersetzung um Newton einen neutralen Standpunkt einnehmen wollten, ist folgender (ich zitiere): "Es war uns allgemein bekannt, daß die große Mehrheit der Gläubigen unter uns sich in glücklicher Unwissenheit im Blick auf die Plymouth‑Kontraverse befand, und es erschien uns nicht richtig, als solche angesehen zu werden, die sich mit einer der beiden Parteien einsmachten.112 Doch wie kann man neutral bleiben, wenn es um Lehren geht, die die gelobte Person unseres Heilandes anta­sten? Kann man da abseits stehenbleiben, während ein Makel an Seine reinen und heiligen Beziehungen zu Gott geheftet wird? Und welche Führer wagen es, sich an­zumaßen, eine Versammlung darüber in Unwissenheit zu halten, aber sie wohl zu zwingen, diejenigen, die Christus entehren, zuzulassen? Darby schrieb 1864: "Das Böse in Bethesda ist die höchst grundsatzlose Zulassung von Lästerern Christi, die kälteste Mißachtung Seiner, der ich je begegnet bin.',3 Es bedeutet auch Ver­achtung der Verantwortlichkeit der Versammlung, es ihr nicht vorzulegen, wenn sie mit dem Bösen konfrontiert wird. Selbst der jüngste oder einfältigste Gläu­bige trägt Mitverantwortung für Böses, das willentlich und wissentlich geduldet wird.

Kelly schrieb darüber: "Neutral zu sein, wo es sich um die Wahrheit handelt, be­deutet teilzunehmen an den bösen Werken der Widersacher [Christi). Der 2. Johan­nesbrief zeigt entschieden, daß es nicht ausreicht, persönlich gesund im Glauben zu sein. Selbst eine Fraul die auserwählte Frau, und ihre Kinder werden ernst­lich von dem Apostel gewarnt bezüglich ihrer unmittelbaren Verantwortung, falls sie jemanden aufnehmen würden, der die Lehre Christi nicht brachte ... So deut­lich legt der Heilige Geist den Grundsatz dar, daß die einfältigsten Gläubigen, die solche unterstützen, die einen falschen Christus bringen, teilnehmen an ih­ren bösen Werken [Verse 10.11], selbst wenn sie die böse Lehre nicht aufnehmnen. Eine geistliche Gesinnung wird fühlen, daß, wie schrecklich es auch ist, in solch eine Irrlehre zu verfallen, doch in gewissem Sinn der mehr Schuld trägt, der, während er die Wahrheit von Christus bekennt, bereit ist, Gemeinschaft mit jemanden zu pflegen, der sie leugnet. 'Nun ihr aber saget: Wir sehen, so bleibt eure Sünde.' Neutralität in solch einem Fall ist eine abscheuliche Sünde, und dies entsprechend der Erkenntnis.

(2) Ein zweiter Grund, den der "Brief der Zehn" für die neutrale Haltung Bethes­das nennt, ist folgender: "Die Ansichten des besagten Schreibers [Newton] kann man nur aufrichtig kennenlernen durch ein Studium seiner eigenen anerkannten Schriften... Nun haben sich die Auffassungen des betreffenden Schreibers so häu­fig geändert, daß es schwierig festzustellen ist, was er nun als seine eigenen anerkennen würde."5 Trotter schrieb als Reaktion hierauf: "Weil also der Urheber einer Irrlehre im Widerspruch mit sich selbst ist und weiß, wie er seine Leser durch offensichtlich widersprüchliche Behauptungen in Nebel und Verwirrung brin­gen muß, müssen die Armen der Herde aber seine Jünger in ihrer Mitte zulassen, damit diese das Gift seiner Ideen umherstreuen, und die Führer weisen zu ihrer Rechtfertigung gerade auf die Verschlungenheit des Irrtums hin, der ihn doppelt gefährlich und eine Barriere dagegen doppelt notwendig macht.“

Wenn wir das Neue Testament aufschlagen, sehen wir, daß es gerade ein Kennzei­chen von Irrlehrern ist, daß sie mit Verwirrung und Widersprüchen kommen, die es schwierig machen, ihre Lehre in den Griff zu bekommen. Wir werden später genau dasselbe bei Raven sehen. Paulus sagt: "Wer euch aber verwirrt, wird das Urteil tragen, wer er auch sei" (Gal 5,10); "niemand verführe euch mit eitlen [leeren] Worten" (Eph 5,6); "wovon etliche abgeirrt sind und sich zu eitlem Geschwätz ge­wandt haben" (1.Tim 1,6); "die ungöttlichen eitlen Geschwätze aber vermeide; denn sie werden zu weiterer Gottlosigkeit fortschreiten, und ihr Wort wird um sich fressen wie ein Krebs" (l. Tim 6,20; 2. Tim 2, 16.17).

Wie gefährlich diese Neutralität gegenüber einer falschen Lehre ist, zeigt sich aufs ernsteste in der unausbleiblichen Tatsache, daß die, die angeblich neutral sind, auf die Länge der Zeit immer völlig blind für diese falsche Lehre oder so­gar von ihr angesteckt werden. Professor F.F. Bruce, ein bekannter "Offener Bru­der", Hochschullehrer für Bibelkritik und Bibelexegese in Manchester, schrieb vor nicht langer Zeit (in einem Vorwort zu Fromow‘s Lebensbeschreibung von Newton und Tregelles): "Newton mag zwar noch immer als Ketzerführer betrachtet werden ... von einigen Vertretern der darbystischen Tradition; es ist ein er­staunliches Zeugnis einer widernatürlichen Fähigkeit des kirchlichen Denkens, daß solch eine Beschuldigung einem Lehrer anklebt, dessen ganze Laufbahn von seiner absolut unbeugsamen Orthodoxie zeugt"(!).

N. Noel, einer der ausführlichsten Schreiber über die Geschichte der "Brüder" und selbst einer von ihnen, schrieb über diese Schein‑Neutralität, die in Wirk­lichkeit verunreinigt: "Richter 19 und 20 ist sehr lehrreich, was die gemein­schaftliche Verantwortung des Volkes Gottes betrifft. Zuerst war da das Gericht über Gibea, das die Männer Belials schützte; zweitens das Gericht über den ge­samten Stamm Benjamin" weil er Gibea schützte und sich selbst dadurch mit dem Bösen einsmachte; drittens war da der Fall der Neutralen oder Abwesenden. Gehet hin und schlaget die Bewohner von Jabes‑Gilead mit der Schärfe des Schwertes.' ‑Warum? Denn 'kein Mann von Jabes‑Gilead war ins Lager, in die Versammlung, ge­kommen“ ; es war, ,nicht in die Versammlung zu Jehova heraufgekommen' , als es um das Gericht am Stamm Benjamin ging (Ri 21, 5.8).

Abwesenheit von der Versammlung war eine 'Neutralität', die sie mit dem Bösen einsmachte. Und deshalb sagt der Herr: 'Wer nicht mit mir ist, ist wider mich.' ,weil du lau bist ..., so werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.' Die Grund­lage des Friedens in Israel war also, wie bereits bemerkt, das Verurteilen des Bösen, das im Widerspruch zum Namen Jehovas war. Dasselbe gilt für die Versamm­lung Gottes heutzutage. Christus wurde in Plymuth entehrt, und dort war, gerade wie in Gibea, eine Partei um den falschen Lehrer gebildet worden, um das Böse zu beschirmen. In Bristol gab es anfänglich Entschuldigung und Laschheit; und da­nach öffentliche Zulassung von sieben Personen aus Plymuth, die 'Gemeinschaft hatten mit seinen bösen Werken'. Dies war, ebenso wie bei Benjamin, ein Beschir­men Gibeas. Und dann waren dort andere, die auf ihrer Neutralität bestanden und sagten: 10 wir haben nichts mit dem falschen Lehrer oder mit Plymouth oder mit Bethesda zu tun; wir wollen uns durch diese Sache keine Schwierigkeiten aufbür­den.' Das entspricht der Haltung, die von iabes‑Gilead eingenamen wurde: die Verantwortlichkeit nicht mit denen teilen wollen, die sich um die Herrlichkeit Jehovas in Israel bekümmerten.

(3) Neben dem Neutralitätsstandpunkt ist der zweite große Grundsatz, der in dem "Brief der Zehn" verteidigt wird, darin wie folgt in Worte gefaßt: "Angenomnen, daß der Schreiber der Broschären (Newton] ein fundamentaler Irrlehrer war, so würde uns das noch nicht ermächtigen, diejenigen abzuweisen, die von ihm unterwiesen waren, bis wir davon überzeugt wären, daß sie sich Ansichten zu eigen gemacht haben, die die fundamentale Wahrheit ganz wesentlich untergraben.

Trotter komnentiert: "Das bedeutet also, daß ein Mann jahrelang Lehren bringen darf, die anerkannterweise fundamentale Irrlehre sind (z.B. Sozinianer*); die Versammlung, die ihm erlaubt, dies zu lehren (z.B. Sozinianismus) gibt eine Erklärung heraus, die die Lehren zurückweist, von denen man jedoch nichtsdestoweniger weiß, daß sie noch immer unter ihnen gelehrt und dadurch von ihnen anerkannt werden; Glieder der Versammlung bitten andernorts, in Gemeinschaft zugelassen zu werden, und wenn nicht bewiesen werden kann, daß sie sich persönlich sozinianische Lehren 'zu eigen gemacht haben', fordert dieser Bethesda‑Grundsatz ihre Zulassung. Sie sind Glieder einer Versammlung, die einen sozinianischen Prediger zuläßt, und pochen darauf, daß er tief unterwiesen ist im Wort usw.; doch wenn wir nicht beweisen können, daß sie selbst wissentlich sozinianische Lehren angenommen haben, ist es uns nicht erlaubt (sagt Bethesda) sie abzuweisen. Haben Gläubige mehr als dies nötig, um sich die Augen öffnen zu lassen betreffs der Stellung, die Bethesda eingenommen hat?"

Ein anderer Bruder schreibt: "Bethesda hat immer nach dem Grundsatz gehandelt, daß man in den Dingen Gottes unterscheiden kann zwischen einer Person und ihren Verbindungen. Ein derartiger Grundsatz öffnet die Tür für die Unreinigkeit der Christenheit und würde in menschlichen Dingen keinen Augenblick geduldet werden. Nimm zum Beispiel an, daß ich an der Schwelle meines Hauses einen Mann treffe, der darum bittet, einen Abend in meinem Familienkreis verleben zu dürfen, der jedoch, wenn ich ihn frage, zugeben muß, daß er in seiner Familie Scharlach hat; oder daß er sich in gesellschaftlichen Kreisen bewegt, wo ein Verleumder meiner Mutter willkommen geheißen wird, oder daß er in anderen Beziehungen sich mit Dieben und unmoralischen Personen einläßt. Was würde man von mir denken, wenn ich so jemanden in meiner Familie willkommen hieße? Ich würde sie nicht nur der Ansteckung preisgeben, sondern würde jedem normalen moralischen Gefühl Gewalt antun und würde den Schein auf mich laden, jemand zu sein, der dem, was sich geziemt, gleichgültig gegenübersteht. Was macht es aus, daß ich, wenn ich so jemanden ablehne, als ein "Exklusiver" bezeichnet werde?"

Der bekannte Bruder Andrew Miller sagt von diesem Exklusivismus: "Ohne Zweifel sollte diese Bezeichnung ein Vorwurf sein, um Ängstliche in Furcht zu setzen, wie es bis zu diesem Tage üblich ist. Sie ist aber fraglos in Übereinstimmung mit dem Worte Gottes. Aus 1. Korinther 5 ersehen wir, daß die Versammlung "exklusiv" sein muß, wenn gesunde Zucht ausgeübt und das Haus Gottes für Seine Gegenwart rein erhalten werden soll. Die Kirche ist gewiß feierlich verpflichtet, Lehre und Verhalten aller zu prüfen, die sich zum Tisch des Herrn melden, und die zurückzuweisen, die Böses in die Versammlung hineintragen würden, sowie die hinauszutun, die in Irrlehre oder Unmoral gefallen sind, obwohl ihr Glaube an Christus nicht angezweifelt werden mag. Das heißt in Wahrheit exklusiv sein."

Die Tatsache, daß bei den "Offenen Brüdern" jemandes Verbindungen nicht untersucht werden, verbunden mit dem allmählich wohldefinierten Grundsatz des "Teilnehmens aufgrund der persönlichen Verantwortlichkeit" hat zu den größten Mißständen geführt. Nicht nur, daß sich die Anhänger Newtons frei unter ihnen bewegen konnten; Kelly schreibt: "Von einigen ist bekannt, daß sie es nicht so genau nehmen mit der Leugnung des ewigen Gerichts, und das in einer Versammlung, die so angesehen ist, wie es in England nur der Fall sein kann. Das Verhalten der Führer und der Versammlung war unerhört; doch keine Versammlung, ja, niemand schien sich ‑ über einen Protest hinaus, der im Ofen landete ‑ darum zu kümmern, und alle gingen zusammen weiter ‑ in sogenannter Liebet Doch wo ist die Wahrheit? Wo ist Christus? Zugegeben, an einigen Orten tun sie unter starkem Druck eine Gruppe dieser Anstößigen hinaus; solche Kraft gibt es vielleicht von zeit zu Zeit hier und dort. Doch wo es nicht so ist ... halten sie gegenseitige Gemeinschaft ebenso fröhlich aufrecht. Sie befinden sich auf einer freien und unbekümmerten Grundlage, die jedermann seinen Willen läßt und niemandes Gewissen überprüft.

Ein anderer Bruder beschreibt, wie in Deutschland ein sehr begabter Bruder die Allversöhnungslehre zu bringen begann und nach vielem Untersuchen und vieler Geduld schließlich ausgeschlossen werden mußte. Sofort wurde er von den "Offenen Brüdern" ohne jede Nachfrage aufgenommen, obwohl sie von seiner falschen Lehre wußten, und er wurde sogar Redakteur ihres Monatsblattes. Der Schreiber nennt auch Beispiele von Personen, die ohne weiteres zugelassen wurden, obwohl sie lehrten, daß Gläubige verlorengehen können oder daß Menschen für ewig vernichtet werden. Indem man Fremde? die bekennen, Gläubige zu sein, manchmal nur fragt, ob sie die ganze Schrift gelten lassen, holen sie sich alle mögliche Irrlehre herein, denn wer bekennt sich schon als Christ und leugnet die Schrift? Manchmal begnügt man sich sogar mit der Frage, ob der Betreffende ein Gläubiger ist, und auf die bejahende Antwort wird er dann ohne weiteres zugelassen. Es ist ein Fall bekannt, wo man diese Frage zwei hereingekommenen Mohammedanern stellte, die sie natürlich mit einem vollen Ja beantworteten und prompt mit teilnahmen! Erst hinterher stellte sich der Irrtum heraus.

II. UNREINE VERBINDUNGEN

(1) Um den Standpunkt der "Offenen Brüder" in bezug auf die Grundsätze des Zusammenkommens nun näher zu analysieren, müssen wir zuerst fragen, was die Schrift über die Verbindungen eines Gläubigen lehrt. wenn ein Christ persönlich rein ist, was seinen Wandel und seine Auffassungen betrifft, ist er dann durch verkehrte Verbindungen trotzdem unrein, oder haben die darauf keinen Einfluß? Und wenn ein Unreiner sich inmitten einer Versammlung befindet, die selbst rein ist, verunreinigt seine Anwesenheit dann die Versammlung, oder nimmt er allein aufgrund eigener Verantwortung teil? Und wenn jemand, der in seinem persönlichen Wandel rein ist, zu einer offenbar unreinen Versammlung gehört, verunreinigt er dann eine Versammlung, wo er zu Gast ist?

Wir wollen mit dem ersten beginnen. Machen verkehrte Verbindungen (im Falle von Irrlehre) mich unrein? Wir haben bereits gesehen, daß der 2. Brief des Johannes darauf eine klare Antwort gibt: "wenn jemand zu euch kommt und diese Lehre nicht bringt, so nehmet ihn nicht ins Haus auf und grüßet ihn nicht. Denn wer ihn grüßt, nimmt teil an seinen bösen Werken." Wenn jemand in seiner Lehre systematisch die Person Christi antastet, darf ich keine Gemeinschaft mit ihm haben. Ich darf ihn nicht in mein Haus aufnehmen und ihn nicht einmal grüßen ‑geschweige denn Gemeinschaft mit ihm haben am Tisch des Herrn. Das Abendmahl ist nicht nur zum Gedächtnis des Herrn, sondern es ist auch der Ausdruck der Gemeinschaft der Gläubigen (l. Kor 10, 14‑22), es ist sogar die höchste, innigste, aber auch die zarteste und reinste Form der Gemeinschaft mit Christus. Aber mit einem Irrlehrer darf ich keine einzige Form der Gemeinschaft üben, nicht einmal einen einfachen Grußt Setze ich mich darüber hinweg, so habe ich Gemeinschaft mit seinen bösen Werken. Wohlgemerkt: Dort steht nicht, daß ich seine Irrlehre übernehme oder bejahe. Vielleicht bin ich absolut nicht einig mit ihm; aber wenn ich Gemeinschaft mit ihm habe, bedeutet das auch, Gemeinschaft mit seiner Unreinigkeit zu haben. Ich bin vielleicht nicht mit ihm einig, doch durch meine Gemeinschaft mit ihm zeige ich, daß ich der Person Christi, die durch diese Irrlehre angetastet wird, gleichgültig gegenüberstehe. Ich übernehme, vielleicht seine bösen Werke nicht und folge ihnen auch nicht nach ‑aber ich habe wohl Gemeinschaft damit.

Dies führt uns also zu einer wichtigen Schlußfolgerung. Wenn jemand Gemeinschaft mit einem Irrlehrer unterhält, dann ist er unrein, auch wenn er die Irrlehre ablehnt; und mit solch einem Unreinen dürfen wir keine Gemeinschaft haben, sonst würden wir uns verunreinigen. Kelly schreibt hierüber: "Nun, da wir jegliche Gemeinschaft mit solchen Wegen und Personen ablehnen, werden wir mit den bittersten Vorwürfen überschüttet! Man beschuldigt uns,. wir würden neue Bedingungen aufstellen, und ich weiß nicht, was sonst noch; während es tatsächlich der geliebte Apostel war, und nicht wir, der den 2. Johannesbrief schrieb. Und wenn er keine neue Bedingung einführte, als er auf einer kompromißlosen Härte bestand, überall, wo es um einen falschen Christus ging, wie kann man uns dann dessen beschuldigen, die wir ganz einfach das Wort Gottes ausführen, das durch Ihn gegeben ist? Diejenigen, die in solch einem Fall der Laxheit das Wort reden, wären konsequenter, wenn sie die Autorität des Wortes Gottes überhaupt leugnen würden.

Wir dürfen also nicht nur keine Gemeinschaft mit einem Irrlehrer haben, sondern auch nicht mit denen, die Gemeinschaft haben mit seinen bösen Werken (auch wenn sie selbst rein in der Lehre sind). Nun antwortet man häufig: Aber wenn man das konsequent durchführt, dann entsteht eine lange Kette von Verunreinigung: wir dürften dann keine Gemeinschaft haben mit denen, die selbstwohl rein sind, aber Gemeinschaft haben mit anderen, die ebenfalls selbst rein sind, aber Gemeinschaft haben mit einem Irrlehrer. Unsere Antwort darauf ist: Dies ist in der Tat die allgemeine Lehre der Schrift, von A bis Z. Nehmen wir ein deutliches Beispiel: In 4. Mose 19 lehrt uns Gott, daß die Berührung von Unreinem jemanden unrein macht. Es geht dort nicht um Menschen, die selbst Unreinigkeit aussprechen oder ausüben, sondern allein um solche, die sogar ohne ihr Verschulden mit Unreinigkeit in Berührung kommen. Selbst wenn jemand aus Versehen ein Grab berührte, war er unrein. Da haben wir die "Kette": ein Grab ist an sich nicht unrein, aber es ist unrein durch den Toten, der darin liegt. Und doch machte (selbst unbewußte und ungewollte) Berührung mit diesem Grab den Israeliten unrein. Und Gott nahm das so schwer, daß, wenn so jemand sich nicht reinigen ließ, er aus der Versammlung ausgerottet werden mußte, denn sonst verunreinigte er auch die Versminlung und das Heiligtum.

Kann man dann dabei bleiben, daß jemandes verkehrte Verbindungen ihn nicht unrein machen? Und daß, wenn so jemand sich nicht von seinen Verbindungen reinigt, er trotzdem nicht aus der Versammlung ausgeschlossen werden maß? Wir lesen die Antwort ganz klar in 4. Mose 5,1‑4; nicht nur die, die in sich selbst unrein waren (durch Aussatz oder durch einen Fluß), sondern auch solche, die, obwohl. selbst rein, unrein waren durch die Berührung eines Töten, mußten aus dem Lager fortgeschickt werden. wo das Reine und das Unreine miteinander in Verbindung Mmmen, wird, einfach durch die Verbindung, das Reine unrein, und es wird dann selbst auch alles verunreinigen, womit es in Berührung kcnnt. Dies lehrt Haggai 2, wo der Prophet die Priester erkennen läßt, daß das Heilige niemals etwas Unheiliges heiligen kann, wohl aber umgekehrt: Wenn jemand einen Toten anrührt, wird er durch die Verbindung nicht nur selbst unrein, sondern auch alles, was er anrührt, wird unreint (Vers 14). Wohlgemerkt: der Mann war kein Sünder, kein Aussätziger, kein Irrlehrer; er war lediglich unrein durch etwas Unreines, das er berührt hatte. Doch das reichte aus, daß er seinerseits, solange er nicht gereinigt war, alles verunreinigte, was er anrührte. Das haben nicht "Brüder" ausgedacht, sondern das sind die unveränderlichen Grundsätze Gottes. Judas sagt (Vers 23): "Indem ihr auch das von dem Fleische befleckte Kleid hasset."

(2) Wenn wir über diese Grundsätze nachdenken, begreifen wir auch, daß Uhreinigkeit in der Versammlung die ganze Versamulung verunreinigt, einfach durch ihre Anwesenheit. Wir sehen das deutlich in 1. Korinther 5. Das sittlich Böse, das in der Versammlung in Korinth anwesend war, nennt der Apostel Sauerteig, und sagt davon: "Wisset ihr nicht, daß ein wenig Sauerteig die ganze Masse durchsäuert? Feget den alten Sauerteig aus, auf daß ihr eine neue Masse sein möget, gleichwie ihr ungesäuert seid." Dies letzte weist hin auf ihre heilige Stellung'vor Gott in Christus ‑ doch die Korinther hatten die Verantwortung, daß ihre Praxis mit ihrer Stellung in Übereinstimmng sein mußte. Und deshalb mußten sie lernen, daß ein wenig Sauerteig in ihrer Mitte sie alle durchsäuern würde. Bedeutet das nun, daß sie alle Hurer geworden waren oder werden würden? Natürlich nicht, davor hatte der Apostel keine Angst. Er sagt später, daß sie sich erwiesen hatten, selbst an dieser Sache rein zu sein (2. Kor 7,11). Doch einfach die Anwesenheit des Bösen würde sie völlig verunreinigen, wenn sie es nicht verurteilten und wegtaten. Auch wenn sie an der Übertretung selbst keinen Anteil hatten, würden sie doch unrein sein durch ihre Verbindung mit dem Übertreter, sofern sie ihn nicht hinaustaten.

Und das gilt nicht nur für sittlich Böses, sondern auch für Irrlehre. Denn auch davon sagt Paulus: "Ein wenig Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig" (Gal 5,9). Es liegt also auf genau derselben Ebene wie der Fall in 1. Korinther 5, und deshalb gilt auch hier die Folgerung von 1. Korinther 5: "Tut den Bösen von euch selbst hinaus." Wo Sauerteig gefunden wird, ob es nun sittlich oder lehrmäßig Böses ist, da muß er weggetan werden, weil sonst der ganze Teig verunreinigt wird. Häufig wird eingewendet, daß, wenn das so wäre, im Galaterbrief doch auch eine deutliche Ermahnung stehen müßte, Irrlehrer auszuschließen. Nun muß man immer vorsichtig sein, Schlußfolgerungen aus Dingen zu ziehen, die nicht in der Bibel stehen. Es ist ganz und gar nicht eindeutig, ob die Irrlehrer, von denen im Galaterbrief die Rede ist, zu einer der Versamlungen in Galatien gehörten. Darüber hinaus ist die Ordnung in der Versamlung gar nicht der Gegenstand des Galaterbriefes, und im übrigen schreibt Paulus auch an mehrere Versanynlungen gleichzeitig. Aber überdies: Paulus sagt von jemandem, der solche Lehren wie diese Irrlehrer verkündigt: "Er sei verflucht" (Gal 1, 8.9). Muß so jemand nicht als ein Böser betrachtet werden? Und dann gilt für ihn: "Tut den Bösen von euch selbst hinaus."

Eine sehr deutliche Veranschaulichung von der Verunreinigung der Versammlung finden wir in Josua 7. Wir lesen dort ausdrücklich, daß nur Achan etwas aus jericho wegstahl, und doch drückt der Heilige Geist das so aus: "und die Kinder Israel begingen Untreue an dem Verbannten; und Achan ... nahm von dem verbannten; und der Zorn Jehovas entbrannte wider die Kinder Israel (vers 1). und nach der Niederlage des Volkes sagte Gott zu Josua: "Israel hat gesündigt, und auch haben sie meinen Bund übertreten, den ich ihnen geboten habe; und auch haben sie von dem Verbannten genommen ... Und die Kinder Israel werden vor ihren Feinden nicht zu bestehen vermögen ..., denn sie sind zum Banne geworden. Ich werde nicht mehr mit euch sein, wenn ihr nicht den Bann aus eurer Mitte vertilget,' (Verse 11.12). Durch die Sünde Achans war das ganze Volk genauso verunreinigt, als wenn das ganze Volk selbst gestohlen hätte; deshalb drückt Gott es so stark aus: "Israel hat gesündigt." Und es konnte erst wieder auf den Segen Gottes rechnen, wenn es den Bösen aus seiner Mitte weggetan haben würde; und in dieses Wegtun wurde die ganze Versanrüung einbezogen, jung und alt, denn alle mußten geübt und gedemütigt werden, und "ganz Israel» half mit, Achan zu steinigen (Verse 24.25). So war es auch bei anderen Gelegenheiten (4. Mose 15, 35.36).

Wir entdecken also zwei wichtige Grundsätze; erstens, daß jemand verunreinigt wird durch Gemeinschaft mit einem Bösen; und zweitens, daß auch eine ganze Versammlung verunreinigt wird durch Gemeinschaft mit einem Unreinen. Diese Grundsätze werden von den "Offenen Brüdern" geleugnet. Ein treffendes Beispiel finden wir in einem Brief von James Wright, dem Schwiegersohn George güllers" der 1883 schrieb: "Die Grundlage, auf der wir zum Tisch des Herrn zulassen, ist Gesundheit im Glauben und ein geordneter Wandel des einzelnen Gläubigen. Wir würden niemanden zurückweisen, von dem wir Gründe hätten zu glauben, daß er persönlich gesund ist im Glauben und einen geordneten Wandel führt, einfach weil er oder sie in Gemeinschaft war mit einer Gruppe Christen, die Newton erlauben würde, unter ihnen zu dienen: genau nach demselben Grundsatz, daß wir keine Person zurückweisen würden, die ebenso gesund im Glauben und ordentlich im Wandel ist, einfach weil er oder sie von einer Gruppe Christen kommt, unter denen der verstorbene J.N. Darby gedient hatte; obwohl wir aufgrund der weitaus ungesunderen Lehren jüngeren Datums von letzterem von vornherein vielleicht mehr gezögert haben würden." Wenn dies das allgemeine Empfinden der "Offenen Brüder" ist, dann bedeutet das, daß sie noch lieber Gemeinschaft haben mit jemandem, der von der Zuhörerschaft Newtons herkam, als einem, der von Darbys Zuhörern kam ...

Es liegt unterdessen sehr nahe, daß der Standpunkt der "Offenen Brüder" viel anziehender für das Fleisch ist. Deshalb sind seit 1848 bis heute von Zeit zu Zeit ganze Gruppen von "Brüdern" zu diesem offenen Standpunkt abgeglitten, wie wir noch sehen werden. Miller schrieb, daß der Grundsatz der Absonderung, wenn er abstrakt behandelt wurde, für viele wohl noch annehmbar war, aber sobald er praktisch angewendet werden mußte, wurden die Argumente mit der hastigen Schlußfolgerung beiseite gesetzt: "0, dieser Grundsatz der Gemeinschaft kann niemals richtig sein, denn er würde diesen und jenen lieben, gottesfürchtigen Bruder vom Tisch des Herrn ausschließen." So denken viele, die nur nach ihrem Gefühl handeln. Aber die Schrift lehrt etwas anderes. Die "Brüder" haben die "offenen Versammlungen" zu Recht als "offene Gefäße" betrachtet (4. Mo 19,15), weil sie, auch wenn sie vielleicht selbst rein sind, grundsätzlich offen sind für Unreinigkeit und auf ihnen "kein festgebundener Deckel ist". Dieser notwendige Deckel ist die biblische Form des "Exklusivisnus".

Darüber hinaus sind solche offenen Gefäße nach 2. Timotheus 2 "Gefäße zur Unehre". Die Einteilung in Gefäße zur Ehre und Gefäße zur Unehre (Vers 20) geschieht nach der Norm in Vers 19: "jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit"; wer das tut, ist ein Gefäß zur Ehre, und wer das nicht tut, ist ein Gefäß zur Unehre (des Herrn). Die Ungerechtigkeit, um die es hier ging, war Irrlehre: einige waren von der Wahrheit abgewichen, indem sie sagten, daß die Auferstehung bereits stattgefunden habe (Vers 18). Vielleicht empfinden manche das nicht als solch ernste Irrlehre, denn die Person Christi wird doch dadurch nicht angetastet? Aber dem Apostel war es Anlaß genug, die Gläubigen aufzufordern" von der Ungerechtigkeit abzustehen. Doch beachten wir gut: das bedeutete nicht nur, daß man dafür sorgen mußte, selbst von Irrlehre frei zu bleiben, sondern man mußte sich auch von solchen Personen zurückziehen.

Und das nicht nur von Irrlehrern selbst, sondern von allen Gefäßen zur Unehre, allen, die sich weigerten, mit der Ungerechtigkeit zu brechen. Vers 21 sagt nicht: "Wenn jemand sich hiervon (nämlich von der Ungerechtigkeit) reinigt", sondern: "Wenn nun jemand sich von diesen [nämlich den Gefäßen zur Unehre) reinigt, so wird er ein Gefäß zur Ehre sein, geheiligt, nützlich dem Hausherrn, zu jedem guten Werke bereitet." Dabei tut es nichts zur Sache, ob diese Gefäße zur Unehre Irrlehrer oder rein in der Lehre sind oder ob sie Ungläubige oder "liebe, gottesfürchtige Brüder" sind. Die einzige Frage ist: Stehen sie ab von der Ungerechtigkeit? Wenn nicht, dann muß ich mich von ihnen zurückziehen. Das bedeutet nicht nur "den Umgang abbrechen», sondern wörtlich steht da "wegreinigen". Dasselbe Wort wird in 1. Korinther 5,7 gebraucht in Verbindung mit Ausschließen vom Tisch des Herrn. Ich muß mich, was die Versammlung betrifft, von ihnen absondern und mich vereinigen mit allen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen (2. Tim 2,22). Ich muß tun, was Gott zu Jeremia sagt: "Und wenn du das Köstliche vom Gemeinen ausscheidest, so sollst du wie mein Mund sein. Jene sollen zu dir umkehren, du aber sollst nicht zu ihnen umkehren" (Jer 15,19).

Das tue ich nicht aus Hochmut, sondern aus Gehorsam und Selbsterhaltung. Offenbarung 18,14 warnt: "Gehet aus ihr [d.i. Babylon hinaus, mein Volk, auf daß ihr nicht ihrer Sünden mitteilhaftig werdet, und auf daß ihr nicht empfanget ‑von ihr Plagen." Ich bin in gewissem Sinn verantwortlich für alle diejenigen, mit denen ich teilnehme am Tisch des Herrn. Natürlich ist die Verantwortung in erster Linie persönlich (l. Kor 11, 27‑34), aber es gibt auch eine gemeinsame Verantwortung. Der Tisch des Herrn ist ja der praktische Ausdruck der Einheit und der Gemeinschaft des Leibes Christi, und diese Gemeinschaft ist unvereinbar mit der Gemeinschaft mit dem Bösen (l. Kor 10,14‑22). Es ist die Einheit des Geistes, und die ist unvereinbar mit offensichtlicher, tolerierter Wirksamkeit des Fleisches (Eph 4,1‑3). Dieser Zusammenhang mit der Einheit des Leibes führt uns zu dem folgenden Thema.

III. UNABHÄNGIGKEIT DER VERSAMMLUNGEN

(1) Der Grundsatz, daß jeder nur für sich verantwortlich ist und daß man sich nicht darum kümmert, ob jemand verkehrte Verbindungen pflegt, führt zu einem anderen Grundsatz, der damit zusammenhängt, nämlich dem der gegenseitigen Unabhängigkeit örtlicher Versammlungen. Nach dieser Auffassung ist ein Beschluß, den eine Versammlung gefaßt hat (z.B. der Ausschluß eines Unreinen), nicht ohne weiteres für andere Versammlungen bindend. Zu welchen Mißständen diese Auffassung geführt hat" beschreibt ein Bruder wie folgt: "[Angenomnenl, ein Lehrer bei den "Offenen Brüdern" wird grober falscher Lehre bezüglich der Person Christi für schuldig befunden, und führende Brüder. unter ihnen lehnen ihn als solchen ab und warnen die anderen vor ihm. Die Versammlung in A weist ihn deshalb zurück, während die Versammlung in B ihn zuläßt. Als Folge davon wird jemand von A nicht mehr nach B gehen, und jemand von B nicht mehr nach A. Doch bei einer bestimmten Gelegenheit kommen sie beide in C zusammen und brechen dort gemeinsam Brot. Das ist Unordnung und die natürliche Folge davon, daß sie den göttlichen Grundsatz ablehnen, daß böse Verbindungen verunreinigen." Anm. G.W. Ware (a.a.O.), S. 78,79. Ein Beispiel des 20. Jahrhunderts aus Holland: Verschiedene "Offene Brüder" gaben öffentlich bekannt, daß sie mit einem bestimmten Irrlehrer (K.R.) und seinen Anhängern durchaus kein Brot zu brechen wünschten; aber Brüder beider Parteien kamen in Versammlungen, die einen sogenannten neutralen Standpunkt einnahmen und Personen beider Seiten zum Brotbrechen zuließen.

Die Ursache dieser Unordnung liegt ausschließlich in der Leugnung der Einheit der Versammlung auf der Erde. Allerdings gibt es, gerade durch die gegenseitige Unabhängigkeit der Versammlungen der "Offenen Brüder", unter ihnen stark auseinanderlaufende Ansichten über die Grundsätze des Versammelns, doch diese Verkennung der Einheit kommt in ihren Schriften sehr häufig zum Ausdruck. Man behauptet, daß der Ausdruck "Versammlung" im Neuen Testament lediglich in zwei Bedeutungen vorkomme, nämlich (a) für die gesamte Versammlung aller Gläubigen seit dem Pfingsttag (Apg.2) bis zum Kommen Christi, und (b) für die gesamte Versammlung aller Gläubigen an einem bestimmten Ort (Dorf, Stadt) zu einem gegebenen Augenblick. Es ist eindeutig, daß das Wort "Versammlung" im Neuen Testament tatsächlich in diesen Bedeutungen gebraucht wird, aber es ist genauso eindeutig, daß es noch eine dritte Bedeutung gibt: (c) die Versammlung ist auch die Gesamtheit aller Gläubigen, die in einem bestimmten Augenblick auf der Erde leben. Es ist diese Einheit, die Einheit aller Gläubigen, die jetzt auf der Erde sind, die von den "Offenen Brüdern" im allgemeinen geleugnet wird; damit begann B.W. Newton bereits 1846, und dies ist der Fall bis auf den heutigen Tag. Viele haben behauptet, daß von der Einheit des Leibes erst die Rede sein kann, wenn der Leib vollständig ist, d.h. beim Kommen des Herrn. Diese Auffassung zeigt lediglich, daß man nicht versteht, was es im Neuen Testament bedeutet, daß die Versammlung "der Leib Christi" genannt wird.

Das Bild eines Leibes wird für die Versammlung gebraucht, um drei Dinge zu veranschaulichen: (1) ihre Verbindungen mit ihrem himmlischen Haupt (siehe Eph 1,22; 4,15; 5,23; Kol 1,18; 2,19), (2) ihre Mannigfaltigkeit an Gnadengaben in ihren "Gliedern" (siehe Röm 12,3‑8; 1. Kor 12,14‑31) und (3) ihre Einheit. Letzteres finden wir sehr deutlich in 1. Korinther 12, wo wir zugleich sehen, wie die Einheit des Leibes entstanden ist: "Denn gleichwie der Leib e i n e r ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich viele, e i n Leib sind: also auch der Christus. Denn auch in e i n e m Geiste sind wir alle zu e i n e m Leibe getauft worden" (Verse 12 und 13). Diese Taufe durch den Heiligen Geist hat am Pfingsttag stattgefunden ( Apg 1,5; 2,4; vgl. 11,16); an diesem Tag taufte der Heilige Geist alle Gläubigen, die damals anwesend waren, zu e i n e m Leib! Nicht durch den Besitz des neuen Lebens, nicht durch den Glauben, sondern durch den einen Geist sind die Gläubigen eine Einheit; vordem waren die Kinder Gottes zerstreut (Joh 11,52). Bei der Ausgießung des Heiligen Geistes, der in den Gläubigen Wohnung nahm, wurden sie eine Einheit, e i n Leib durch e i n e n Geist (vgl. Eph 4,3‑4). Doch das bedeutet, daß die Versammlung, betrachtet als der Leib Christi, vom allerersten Beginn an vollständig war 1 Sonst hätte nicht gesagt werden können, daß die Gläubigen durch e i n e n Geist zu e i n e m Leib getauft worden sind.

Das ist gerade einer der schönen Gesichtspunkte am Bild des Leibes. Er zeigt uns, daß die Versammlung in jedem Augenblick auf der Erde als eine Einheit gesehen wird, auch wenn das Wachstum noch nicht abgeschlossen ist. Ist es mit einem menschlichen Leib nicht auch so? Er ist von Geburt an vollständig, er ist eine Einheit, alles ist vorhanden; daß er noch wächst, ist eine völlig andere Sache, die damit nichts zu tun hat. Überall, wo der Leib Christi auf der Erde gesehen wird, wird er im Neuen Testament als eine Einheit betrachtet (siehe Röm 12,5; 1. Kor 10,17; 12,12; Eph 2,15‑16; 4,3‑4), während andererseits ebenso deutlich gezeigt wird, daß das Wachstum des Leibes noch nicht abgeschlossen ist (Eph 4,1216; Kol 2,19). Überdies müssen wir sehen, daß mit dem Leib Christi immer die gesamte Versammlung auf der Erde gemeint ist; deshalb spricht Paulus stets über "wir" (Röm 12,5; 1. Kor 10,17; 12,13). Es gibt nur eine scheinbare Ausnahme, und zwar in 1. Kor 12,27, wo Paulus nicht "wir“ sagt, sondern "ihr": "Ihr aber seid Christi Leib, und Glieder insonderheit. " Beachten wir, daß hier vor "Leib" kein Artikel steht. Die Gläubigen in Korinth waren nicht der Leib, als ob die Versammlung auf der Erde aus vielen Leibern bestünde, sondern sie trugen die Charakterzüge des gesamten Leibes Christ! auf der Erde.

Ich sage absichtlich "Ausdruck", weil nur örtlich die Einheit des Leibes öffentlich sichtbar wird, und zwar in der Weise, die der Herr gegeben hat: "Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes des Christus? Denn e i n Brot, e i n Leib sind wir, die Vielen, denn wir alle nehmen teil an dem e i n e n Brote" (l. Kor 10,16‑17). Allein örtlich wird das Abendmahl gefeiert, am Tisch des Herrn; doch dieses Brotbrechen ist der Ausdruck der Einheit des gesamten Leibes auf der Erde. In jeder örtlichen Versammlung wird die Einheit aller Gläubigen, die in diesem Augenblick auf der Erde leben und die zusammen den einen Leib Christi bilden, zum Ausdruck gebracht.

Wenn Gläubige also in diesem Punkt ihre Verantwortung verstehen, dann werden sie an einem bestimmten Ort auf der Grundlage der Einheit dieses einen Leibes zusammenkommen. Das Heißt, (1) daß sie alle wahren Gläubigen (die dadurch Glieder des Leibes Christi sind) am Tisch des Herrn zulassen und dazu keine besondere Mitgliederschaft der einen oder anderen Gemeinschaft fordern, (2) daß sie ferner alle solche nicht zulassen, die zwar bekennen, Christen zu sein, aber (a) in sittlich Bösem leben oder (b) fundamentalen Irrlehren anhängen, die die Person Christi und den christlichen Glauben antasten, oder (c) mit solchen Personen Gemeinschaft haben, und (3) schließlich werden sie alle auf der ganzen Erde anerkennen, die auf derselben Grundlage zusammenkommen. Wer in einer Versammlung zugelassen ist, ist in allen Versammlungen zugelassen. Wer in einer Versammlung ausgeschlossen ist, ist in allen Versammlungen ausgeschlossen. Wo Gläubige diese Grundsätze nicht aufrechterhalten, kann man nicht sagen, daß sie sich auf der Grundlage der Einheit des Leibes Christi versammeln.

Es ist häufig eingewendet worden, daß man doch schwerlich behaupten kann, wirklich die Einheit des Leibes aufrecht zu erhalten, wenn man Glieder dieses Leibes vom Tisch des Herrn ausschließt. Doch dieses Argument ist einfach zu widerlegen: (a) Daß auch wahre Gläubige manchmal ausgeschlossen werden müssen, ist deutlich aus einem Vergleich von 1. Korinther 5 mit 2. Korinther 2,5‑11 ersichtlich; (b) es ist völlig falsch, Zucht in Verbindung mit dem Leib Christi zu bringen, denn die Glieder des Leibes können niemals abgeschnitten werden, auch nicht durch Ausschluß; vielmehr steht Zucht im Neuen Testament immer in Verbindung mit dem Haus Gottes (vgl. 1. Kor 3,17; 2. Kor 6,14‑18; 1. Tim 3,15; 2. Tim 2119‑22; 1. Petr 4,17). Die Einheit des Leibes kommt nicht zum Ausdruck in dem Ausüben oder Nicht‑Ausüben der Zucht, sondern in der einmütigen Anerkennung jedes Zulassungs oder Ausschlußbeschlusses.

(2) Wir wollen nun sehen, was die praktischen Konsequenzen der Aufrechterhaltung der Einheit des Leibes sind. Der erste wichtige Punkt ist, daß, wenn eine Ver­sammlung einen Beschluß faßt im Namen des Herrn, dieser Beschluß anerkannt wird von allen Versammlungen, mit denen sie in Gemeinschaft ist. Ja, wenn der Leib einer ist, dann muß ein Beschluß, der in der Autorität des Herrn in einer be­stimmten Versammlung gefaßt wird, für alle Versammlungen bindend sein. Es gibt in der Versammlung keine höhere Autoritätsinstanz als die örtliche Versammlung, das heißt die zwei oder drei, die zum Namen des Herrn versammelt sind; was sie als solche auf der Grundlage der Versammlung und im Anerkennen der Autorität des Herrn beschließen, ist maßgebend in zweifacher Hinsicht: es ist gültig für die

ganze "Erde" (d.h. für alle Versammlungen), und es wird im Himmel anerkannt (Mt 18,15‑20). Das will nicht sagen, daß jeder Versammlungsbeschluß ein guter Beschluß ist (das wird vielleicht nachträglich untersucht werden müssen), aber er ist wohl ein Beschluß und muß also von vornherein von jeder Versammlung anerkannt werden; denn wenn jemand in einer Versammlung ausgeschlossen ist, dann ist er für diese ganze Erde außerhalb des Zeugnisses gestellt, und dies wird im Himmel anerkannt.

Das diese universale Gültigkeit tatsächlich ein schriftgemäßer Grundsatz ist, wird an zahllosen Stellen deutlich. Nimm z.B. den Fall in 1. Korinther 5. Hatte dieser Ausschluß allein mit Korinth zu tun? Oder war es nicht so, daß, wenn ein Böser in Korinth ausgeschlossen war, er genausowenig in irgendeiner anderen Versammlung geduldet werden konnte? ohne Zweifel. Der Apostel richtet seinen Brief, der vor allem von der Ordnung in der Versammlung handelt, auch nicht nur an Korinth, sondern an alle, "die an jedem Orte den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen" (1,2); alle Versammlungen hatten mit dem Bösen in Körinth zu tun. Immer aufs neue wiederholt der Apostel, daß die Vorschriften, die er für die Versammlung gibt, für alle Versammlungen gelten (4,17; 7,17; 11,16; 14,33‑34; 16,1). Und auch der Fall eines Ausschlusses unterliegt nicht allein der Beurteilung Korinths, denn Paulus selbst verbindet sich im Geist mit den Korinthern, versammelt mit ihnen in der Kraft des Herrn (5,4). Und wie weit reichte die Verantwortung der Korinther? Allein bis zu denen, die sich in Korinth versammelten.

Nein, ihre Zuständigkeit hatte Bezug auf alle, die "drinnen" sind (Vers 12), und das sind alle Gläubigen, also die Gläubigen der gesamten Versammlung auf der Erde, denn sie werden im Gegensatz gesehen zu denen, die "draußen" sind, und das sind nach Vers 10 und 11 die Menschen dieser Welt.

Darby schreibt: "Es ist einleuchtend: Wenn ich in Treue gegenüber Christus hier am Ausschluß einer Person beteiligt bin, kann ich nicht an einem anderen Ort mit ihr zusammen das Brot brechen. Brüder, die versammelt sind zum Namen des Herrn, sind nicht unfehlbar, und ein Einwand kann zu Recht bestehen, doch wenn eine Person an einem Ort zugelassen wird, während sie an einem anderen Ort ausgeschlossen ist, dann ist klar, daß es mit der Einheit und einem gemeinschaftlichen Handeln vorbei ist." Um diese Einheit in der rechten Weise aufrechtzuerhalten, gab es Beratungen zwischen Jerusalem und Antiochien (Apg 15); man suchte Gemeinschaft im Handeln zu erzielen. Es wird häufig entgegnet, daß eine derartige Einheit des Handelns gar nicht aus Offenbarung 2 und 3 ersichtlich ist; dort werden Smyrna und Philadelphia nicht aufgefordert, sich mit dem Bösen in anderen Versammlungen zu beschäftigen und sich davon zu trennen. Dabei vergißt man aber, daß ein prophetisches Buch wie die Offenbarung nicht der geeignete Platz ist für ein Thema wie Zucht und Ordnung in der Versammlung. Doch darüber hinaus ist sehr wohl die Rede von einer kollektiven Verantwortung, denn siebenmal wird gesagt: "Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Versammlungen sagt" (Mehrzahl)! Jede der sieben Versammlungen bekam jeden der sieben Briefe und mußte auf das achten, was in jedem Brief gesagt wurde. Hatte Smyrna nichts damit zu tun, wenn der Leuchter aus Ephesus weggenommen würde? Konnte Smyrna noch anerkennen, was der Herr nicht mehr als Zeugnis anerkennen würde? Und wo der Herr in Thyatira und Sardes nur noch einen kleinen Überrest anerkannte, hatte das den anderen Versammlungen wohl nichts zu sagen?

Wer einmal verstehen gelernt hat, was die Einheit des Leibes ist, versteht auch, wie nützlich es ist, daß Gläubige, die eine andere Versammlung besuchen, einen Empfehlungsbrief ihrer eigenen Versammlung mitnehmen. Gerade weil jemand nicht nur aufgrund seiner eigenen Verantwortung teilnimmt, sondern die gesamte Versammlung für ihn verantwortlich ist, muß er von seiner eigenen Versammlung, wo man ihn kennt, ein Zeugnis mitnehmen, daß er seinen Platz am Tisch des Herrn einnimmt. Dies schließt in sich, daß er treu in seinem Wandel und seinen Ansichten sowie rein in seinen Verbindungen ist. Aus Apostelgeschichte 18,27; Römer 16,1; 2. Korinther 3,1 und Kolosser 4,10 können wir sehen, daß es üblich war, Gläubigen Empfehlungsbriefe mitzugeben an andere Orte, sofern sie dort unbekannt waren. Dadurch wußten die Versammlungen, wen sie zuließen, und hatten eine Waffe gegen falsche Brüder; auch wurde ihre beiderseitige Ordnung und Gemeinschaft dadurch gestärkt.

(3) Die Aufrechterhaltung der Einheit der Versammlungen nach den Grundsätzen der Schrift ist der schwierigste Weg, der denkbar ist. Überall in der Christenheit hat man deshalb andere Wege ausgedacht, die einfacher sind; entweder nimmt man seine Zuflucht zur Einsetzung einer zentralen Autorität ‑ in dem episkopalen System ist das das Kollegium der Bischöfe, im presbyterianischen System ist es die Synode ‑ oder man zieht ein System freier, unabhängiger Gemeinden vor (NonKonformismus, Kongregationalismus usw.). Die "Offenen Brüder" haben sich für letzteres entschieden und behaupten, daß die anderen Brüder, indem sie das Unabhängigkeitsprinzip verwerfen, automatisch in das andere Extrem verfallen müssen: das einer zentralen Autorität. In der Tat, wenn man die Einheit aller Versammlungen festhalten will, ist die Gefahr, daß ein derartiger zentralisierter Förderalismus entsteht, sehr groß, und niemand wird abstreiten können, daß die "Brüder" leider mehrere Male in diesen Fehler verfallen sind.

Die Wahrheit der Schrift ist jedoch der schmale, goldene Mittelweg: (a) keine zentrale Autorität, denn die einzige Autorität in Versammlungsdingen, die Gott auf der Erde anerkennt, ist die Autorität der örtlichen Versammlung in den Fragen, die sie selbst betreffen. Die Einheit der Versammlungen kommt darin zum Ausdruck, daß alle Versammlungen alle derartigen Beschlüsse aller anderen Versammlungen wegen der göttlichen Autorität, die damit verbunden ist, anerkennen, auch wenn später u.U. über die Richtigkeit eines solchen Beschlusses gesprochen werden kann, was etwas völlig anderes ist. (b) Es ist der Vorwurf gemacht worden, daß diese Grundsätze zu einer festen, anerkannten Gruppe von Versammlungen führen, und das sei sektiererisch. Dieses Argument ist jedoch völlig falsch. Ein Zeugnis von der Einheit des Leibes inmitten der gegenwärtigen Verwirrung kann nur aus einem Kreis von Versammlungen bestehen, die sich gegenseitig anerkennen als auf der Grundlage dieser Einheit stehend. Es könnte erst von Sektierertum die Rede sein, wenn diese Gruppe von Versammlungen einen bestimmten Namen annähme und die Einhaltung bestimmter Bedingungen oder eine besondere Mitgliedschaft für die Zulassung zum Abendmahl forderte. Doch solange diese Versammlungen alle Kinder Gottes bedingungslos zulassen, vorausgesetzt, daß sie gesund im Wandel, rein in der Lehre bezüglich der Fundamente des Christentums und rein in ihren Verbindungen sind (das bedeutet u.a., daß sie nicht zu einem System gehören, wo fundamentale Irrlehre geduldet wird!), kann von Sektierertum keine Rede sein.

Im Gegenteil, eine Versammlung, die bewußt unabhängig von diesem Kreis von Versammlungen bleiben will, ist sektiererisch. Der bekannte Bruder F.W.Grant schreibt hierüber: "je mehr wir das bestehende Sektierertum beklagen und ablehnen, umso mehr werden wir gedrängt, mit Freuden den Leib Christi überall anzuerkennen, wo das möglich ist. Dieser Kreis von Versammlungen, obwohl er nicht der Leib ist, gibt uns die Möglichkeit, den Leib auf eine wahrhaftige und heilige Weise anzuerkennen, soweit der Zustand des Verfalls, in dem die Versammlung sich befindet, das zuläßt. Mit Liebe zu allen, die Christus angehören ‑ mit einer offenen Türe für die Zulassung aller, entsprechend den Bedingungen der Wahrheit und Heiligkeit ‑ ist solch ein Kreis nicht sektiererisch, sondern ein Protest dagegen, während die Versammlung, die die Verbindung mit ihm verweigert, sektiererisch ist in der vollen Bedeutung des Wortes." Eine Gruppe von Gläubigen, die sich auf der Grundlage der Einheit des Leibes versammeln will, wird also nur in Gemeinschaft mit umliegenden Versammlungen ein neues Zeugnis errichten und niemals in Unabhängigkeit.

Aus diesen Grundsätzen folgt auch, daß, wenn eine Versammlung als Ganzes das Böse in ihrer Mitte zugelassen hat und sich bewußt weigert, dieses Böse wegzutun, sie nach einigen Warnungen nicht länger als ein Zeugnis von der Einheit des Leibes anerkannt werden kann. Auch hier werden die umliegenden Versammlungen sich mit solch einer Versammlung beschäftigen und letztlich beschließen, sie nicht länger anzuerkennen. Auch hier wird dieser Beschluß von allen anderen Versammlungen anerkannt werden. Wir haben hierfür zwei lehrreiche Bilder im Alten Testament. Am Ende von 3.Mose 14 lesen wir von einem Haus, das verunreinigt war durch Steine, denen Aussatz anhaftete. Diese Steine mußten herausgerissen werden. Wenn sich aber herausstellte, daß die Unreinigkeit bereits so weit um sich gegriffen hatte, daß kein Einhalt geboten werden konnte, dann mußte das ganze Haus abgebrochen und außerhalb der Stadt gebracht werden. Daß die Versammlung mit einem Haus verglichen wird, ist bekannt (siehe Eph 2,20‑22; 1. Tim 3,15; Hebr 3,6; 1. Petr 2,5; 4,17); in 3. Mose 14 hat das Bild Bezug auf örtliche Versammlungen, die zusammen eine Stadt bilden. Ein völlig unreines Haus mußte aus der Stadt hinausgeschafft werden.

Ein ähnliches Bild haben wir in 5. Mose 13, wo vorgeschrieben ist, wie Israel mit einer Stadt handeln mußte, in der Götzendienst geübt wurde. Wenn dies tatsächlich der Fall zu sein schien, dann ging dieses Böse nicht nur die betreffende Stadt an, sondern Gott sagt zu ganz Israel: "Dieser Greuel ist in deiner Mitte verübt worden." Deshalb hat das gesamte Volk die Verantwortung, eine solche Stadt aus seiner Mitte auszurotten, damit Gott nicht dem ganzen Volk entgegentreten mußte, wie im Fall Achans. Keine einzige der anderen Städte Israels konnte sagen: "Wir haben mit der fernen Stadt, wo Götzendienst geübt wird, nichts zu tun; wir bleiben neutral." Wir haben schon gesehen, wie Jabes in Gilead gestraft wurde wegen seiner neutralen Haltung im Blick auf das Böse in Israel (Rich 21). Es ist natürlich klar, daß die Versammlungen, die im nächsten Umkreis der entsprechenden Versammlung liegen, die meiste Verantwortung haben, einzuschreiten (vgl. 5. Mo 21,1‑9), doch schließlich müssen alle Versammlungen das Ablehnen einer Versammlung anerkennen; Neutralität ist in den Augen Gottes ein Greuel.

IV. ANDERE ABWEICHUNGEN

(1) Nicht nur hinsichtlich der Grundsätze des Versammelns, sondern auch in vielen anderen Hinsichten haben sich unter den "Offenen Brüdern" alle möglichen anderen abweichenden Gedanken über die Wahrheit gebildet. Hierfür kann man verschiedene Ursachen nennen. (a) Dadurch, daß ihre Versamulungen wenig Zusammenhang untereinander haben und wenig Zucht ausgeübt wird bezüglich dessen, was gelehrt wird, gibt es auch wenig Zusammenhang in der Belehrung und ist viel Raum für allerlei unschriftgemäße Lehren.

(b) Diese "Offenheit" hat auch zu allerhand Verbindungen mit zahlreichen sektiererischen Strömungen geführt, deren Lehren einen starken Einfluß auf die Auffassungen der "Offenen Brüder" ausgeübt haben. (c) Was die geistliche Arbeit unter ihnen betrifft, ist ihre Stärke immer die Evangelisations‑ und Missionsarbeit gewesen; überhaupt haben sie bemerkenswert wenige Lehrer gehabt. Eine starke Ausrichtung auf die Verkündigung des Evangelium birgt allerdings die Gefahr einer Einseitigkeit in sich, die blind macht für abstrakte, objektive Wahrheiten (vor allem, was die Ratschlüsse Gottes und die Versammlung betrifft) ‑ und diese Gefahr laufen nicht nur die "Offenen Brüder"

(d) Im allgemeinen wird unter ihnen die himadische Stellung der Versammlung wenig oder nicht verstanden; und wenn es etwas gibt, das zu zahllosen falschen Schlußfolgerungen führt, dann ist es wohl dies, wie wir sogleich sehen werden. (e) Durch ihre Kontakte mit kirchlichen Strömungen haben sie sich allerlei klerikalen und theologischen Einflüssen ausgesetzt. Auch dazu werden wir einige Beispiele unter die Lupe nehmen.

Wir müssen bei alledem im Auge behalten, daß die "Offenen Brüder" eine sehr uneinheitliche Gruppe bilden und daß ihre Versamulungen sehr verschiedenen Ursprungs sind. Allerhand Auffassungen, die zu nennen sind, gelten damit auch bei weitem nicht für sie alle, sondern für einen Teil von ihnen. Aber die Tatsache, daß bestimmte Auffassungen eine weite Verbreitung unter ihnen haben, ist immerhin erwähnenswert.

(2) Von Anfang an gab es, wie gesagt, wenig Verständnis über die himmlische Stellung, die die Versammlung in dem auferweckten und verherrlichten Herrn im Himmel hat, und über ihre Fremdlingschaft auf der Erde. Alle drei Initiatoren dieser Bewegung der "Offenen Brüder", Newton, Müller und Craik, lehnten den biblischen Gedanken von der Entrückung vor den Gerichten ab und glaubten, daß die Versammlung durch die "große Drangsal" gehen werde. Dieser Gedanke hält sich auch heute noch bei vielen von ihnen. Daß man dadurch keinen Blick hat für den unterschiedlichen Platz der Versammlung im Blick auf Israel und die Völker, für den treuen Überrest, den Gott in den letzten Tagen in Israel bilden wird, und für die Stellung der Versammlung im Tausendjährigen Friedensreich, ist deutlich.

Durch das Mißverstehen dieser himmlischen Stellung gab es auch kein rechtes Verständnis über unsere Fremdlingschaft auf der Erde, wodurch sich bei ihnen mehr Vermischung mit der Politik dieser Welt vorfand als bei anderen "Brüdern‑‑. um ein Beispiel zu nennen: In England wurden verschiedene Lords unter den "offenen Brüdern« aktive Mitglieder des Oberhauses (der ersten Kammr). Lord Congleton stützte eifrig Lord Shaftesbury bei verschiedenen von dessen Reformen, und auch ein anderer "Offener Bruder», Lord Farnham, diente einige Jahre im Parlament.

(3) Eine Neigung zum Klerikalismus und Theologisieren ist den "Offenen BrüderC leider nicht fremd geblieben. Es ist sicher nicht zufällig, daß einer der bedeutendsten unter ihnen (F.F. Bruce) in England Professor der Theologie isti In Zahllosen offenen Versammlungen ist es das Selbstverständlichste, daß eine anerkannte Gruppe offizieller Ältester die Führung bei Entscheidungen übernimmt. Zudem sind es häufig diese Ältesten, die auch in größerem oder geringerem Maß die Zusammenkünfte leiten, die das Brotbrechen anführen und den Dienst am Wort regeln. Die "Offenen Brüder" haben den "Brüdern" vorgeworfen, daß sie zu Föderalismus und zentraler Autorität neigen, wie ich erwähnt habe. Doch in Wirklichkeit bestehen ihre eigenen Versammlungen meistens dank dieser zentralen Autorität der Ältesten, und darüber hinaus wird auch eine Gruppe von Versammlungen häufig einigermaßen zusammengehalten durch die Autorität und die Persönlichkeit e i n e s Mannes. Wenn dieser wegfällt, fallen auch die Versammlungen häufig schnell auseinander oder finden eine andere starke Persönlichkeit.

Der Vorwurf des Sektierertum. kehrt sich also häufig gegen die "Offenen Brüder" selbst. Das gilt auch für die Bedeutung, die sie der Taufe beimessen. Sie sind unveränderlich Verfechter der Gläubigentaufe, während ein großer Teil der übrigen "Brüder" glaubt, daß nach den Belehrungen der Schrift ganze Familien durch die Taufe auf den christlichen Boden gebracht werden sollten. Sie haben jedoch nahezu niemals eine bestimmte Form der Taufe oder eine bestimmte Taufauffassung als Bedingung zur Zulassung gestellt, da dies ohne weiteres einen sektiererischen Standpunkt bedeuten würde. Bei den "Offenen Brüdern" wird jedoch gewöhnlich die Forderung gestellt, daß man sich als Gläubiger taufen oder wiedertaufen läßt.' 9

19 Ein Beispiel: Der ("geschlossene") Bruder John Weston in London erzählt, daß er einmal (etwa 1935) an einem Sc‑mtagabend von einem führenden "Offenen Bruder" (A.M.) aus Amerika angerufen wurde, mit der Frage, ob der am Sonntag bei den »geschlossenen" Brüdern Brot brechen könne. Als Weston ihn fragte, weshalb er denn nicht zu der großen "offenen" Versammlung in London gehe, antwortete M.: "Ich fürchte, daß sie mich nicht zulassen werden, weil ich die Haustaufe vertrete." Weston antwortete:"Wenn ich noch nicht gewußt hätte, daß der Standpunkt der "Offenen Brüder" falsch ist, weiß ich es jetzt.

Eine betrübliche Erscheinung in den Zusammenkünften vieler offener Versammlungen ist, daß die Schwestern aktiv teilnehmen an dem Vorschlagen von Liedern und dem Sprechen von Gebeten, um nicht zu reden von einer Beteiligung am Dienst am Wort (auch von Evangelisationsvorträgen, Wortbetrachtungen und dem Schreiben von Betrachtungen); und dies trotz der deutlichen Unterweisung von 1. Korinther 14 und 1. Timotheus 2. Es ist wirklich erstaunlich, wie bekannte "Offene Brüder", wie z.B. G.H.Lang (Die Versamlung Gottes), Mühe aufwenden, sich aus diesen unmißverständlichen Schriftabschnitten herauszuwinden und einen öffentlichen Dienst durch Schwestern in den Zusantrenkünften zu verteidigen.

V. DIE ERWECKUNG

(1) Nach der großen Spaltung von 1848 erlebten die "Offenen Brüder" einen kurzen Rückgang, dem dann ein Jahrzehnt beständigen Wachstums folgte. Einen großen Verlust erlitten sie durch den Heimgang von A.N. Groves, der am 20. Mai 1853 im Haus von Müller entschlief mit den Worten: "Treuer Herr Jesus." Die Bildung spontaner, unabhängiger Versammlungen ging beständig voran. In Liverpool entstand eine große Versammlung um den geliebten Bruder William Collingwood, der ein bekannter Maler war.

1859 begann eine gewaltige Erweckung, die in Nordamerika ihren Anfang nahm und dort in wenigen Jahren das religiöse Leben veränderte, ebenfalls in Großbritannien. Eine dieser Gruppen, auf die dieses geistliche Aufleben den größten Einfluß hatte, waren die "Offenen Brüder". Innerhalb von 20 Jahren veränderte sich ihr Charakter völlig und verlagerte sich der Nachdruck stark auf ihre evangelistische Arbeit. Viele Evangeliumsprediger in den Tagen der Erweckung schlossen sich den offenen Versammlungen an, wie der bekannte Joseph Denham Smith, ein guter Freund Belletts, der zuvor kongregationalistischer Pfarrer in Dublin war. Er wurde bekannt durch seine Lieder und Schriften. Ein anderer war Gordon Foreklong, Rechstanwalt in Aberdeen, der in den sechziger Jahren eine kraftvolle Evangelisationsarbeit in London begann. Zu den größten Predigern gehörten drei Evangelisten, die viel zusammenarbeiteten: Richard Weaver ( ein früherer Berg­werksarbeiter und Preisfechter), der lockere Verbindungen mit den "Offenen Brü­dern" unterhielt, John Hambleton (ein früherer Schauspieler und Abenteurer) und Henry Moorhouse (ein früherer Spieler und Trinker); die beiden letzten schlossen sich völlig den "Offenen Brüdern" an.

Auf den Britischen Inseln begann die Erweckung in Nordirland. Dort wohnte ein presbyterianischer Pfarrer, John G. McVicker, der Frieden fand, sich den offenen Versammlungen anschloß und eine große Arbeit begann. Zugleich wuchs das Werk von J.Denham Smith in Dublin; einer von denen, die bei ihm zur Bekehrung kamen, T. Shuldham Henry, wurde ebenfalls ein führender Evangelist in der Erweckung. In Dublin wurde 1863 eins der größten Gebäude der "Offenen Brüder" errichtet, die bekannte Merrion Hall; einer ihrer Stifter war Somrset Maxwell, der spätere Lord Farnham, der bereits erwähnt wurde. Auffallend war, daß die Versammlungen in Nordirland einen für "offene" Begriffe stark "geschlossenen" Charakter beibe­hielten. Sie wurden dann auch mit anderen Versammlungen zusammen als tight Brethren ("enge Brüder") bezeichnet.

Die Erweck:ung wurde durch zwei verschiedene Arten von Evangelisten gekennzeich­net. Einerseits gab es die Populären "Prediger aus dem Volk", die alle in ihrem unbekehrten Zustand ein bewegtes Leben geführt hatten (wie die genannten Hamble­ton und Moorhouse) und mit einfachen, eindringlichen Worten direkt zum Herzen des Volkes sprachen. Andererseits gab es die großen Evangelisten aus den aller­höchsten Klassen der Gesellschaft, die die "drei Kerry‑Landherren", William Talbot‑Crosbie, Richard J. Mahony und F.C. Bland. Sie hatten eine Zeitlang Kon­takt mit (dem späteren Sir Robert Anderson, der hernach Hauptfahndungsbeamter bei Scotland Yard werden sollte und durch seine zahlreichen Schriften sehr be­kannt geworden ist, und dessen Freund George F. Trench, der ebenfalls Prediger wurde. Von noch höherem Stand waren die Grafen Cavan und Carrick, die beide ak­tive Prediger wurden.

(2) In England bestand vor der Erweckung natürlich bereits eine umfangreiche Be­wegung, die neben Plymuth, Bristol und Hereford auch Töttenham und Hackney zu ihren Zentren rechnen konnte. Die beiden letzten erhielten Auftrieb durch das Kommen von Henry Heath aus Devon und durch den zeitweiligen Aufenthalt von James Wright aus Bristol. Die einflußreichste Person wurde jedoch John Morley, der viele der bekannten Prediger nach London holte, einige sogar veranlaßte, zeitweise dort zu wohnen (Denham Smith, McVicker), die enorme Clapton Hall baute (1880) und an einem außergewöhnlichen Wachstum der Versaumlung in London und Umgebung mitwirkte. Seine Nichte, Rebekka Morley, heiratete 1872 Herbert W. Taylor, einen anderen bekannten Evangelisten unter den "Offenen Brüdern", der 1869 bis 1870 Moorhouse auf einer Evangelisationstournee nach Amerika begleitet hatte. Moorhouse übte dor‑t einen großen Einfluß aus auf das Predigen des berühmten Evangelisten D.L. Moody.

In Süd‑London wurde die Bewegung durch den Beitritt des ehemaligen Pfarrers William Lincoln (1862) stark gefördert, der durch seine Schriften sehr bekannt wurde. Kurz danach begann Gordon Forlong einen großen Evangelisationsfeldzug in London. In einigen Jahrzenten war die Umgebung Londons mit offenen Versanwdungen übersät. In Mittelengland wirkte vor allem Hambleton und im Norden vornehmlich Moorhouse. In Schottland leistete der eifrige Prediger Donald Rosa Pionierarbeit; er gründete viele Versammlungen in Nördamerika. In Kilmarnock erblühte ab 1879 ein wichtiges Evangelisationszentrum unter der Verkündigung von John Ritchie, der zahllose hervorragende Bücher schrieb. In den Blackdown‑Bergen in Sü westengland wirkten ab 1863 George Brealey, ein Schuhmacher aus Exeter, und seine Frau. Er sorgte für Lokale in den sechs oder sieben Dörfern und begann eine stetige Arbeit als Hirte in den kleinen, armen Versammlungen; er erfuhr viel Unterstützung von Müller. Nach seinem Tod setzte sein Sohn Walter das Werk fort, und diesem folgte dessen Sohn Douglas Brealey, der einer der am meisten geschätzten Führer unter den "Offenen Brüdern" wurde.

Die besondere Sorge George Brealeys für die Schwachen und die Armen wurde allmählich allerorts zu einem treffenden Kennzeichen für die große Erweckung. Die Sorge erstreckte sich, wie wir sahen. sogar bis zu Lord Congletons Unterstützung sozialer Reformen durch das Parlament. William J.Stockes, dessen wir uns als einem Pionier der ersten Zeit erinnern, begründete ein großes Werk unter den Waisen und Ausgestoßenen in Dublin. James W.G. Fegan in Kent begann ebenfalls eine große Arbeit unter den Waisen und dem Abschaum der Gesellschaft. Er gewann die Sympathie Charles Darwins, der in dieser Gegend wohnte und Fegan ein Lokal für dessen Arbeit lieh; als eines seiner Motive gab er an, daß durch Fegans Arbeit kein Trinker im Dorf übriggeblieben war. Die Erweckung war der große Anstoß zu dem kraftvollen Wachstum der Bewegung, so daß es zur Zeit des ersten Weltkrieges ungefähr zwölfhundert offene Versanmlungen in Großbritannien und Irland gab; 1959 waren es sogar rund siebzehnhundert. Die Anzahl "Offener Brüder" kann augenblicklich in diesen Ländern auf 6000( bis 70000 geschätzt werden.

VI. MISSIONSARBEIT

(1) In verhältnismäßig kurzer Zeit breitete sich die Bewegung der "Offenen Brüder" über die ganze Welt aus, beginnend auf dem europäischen Kontinent. Robert Chapman hatte bereits 1838 eine Evangelisationsreise durch Spanien gemacht; er besuchte das Land erneut im Jahre 1862 und ließ zwei Mitarbeiter dort zurück.

Gegenwärtig gibt es etwa siebzig offene Versammlungen in Spanien, und in Portugal sind es sogar hundert. In Italien entstand ein vollständig einheimisches

Werk durch Graf Piet Guicciardini, der (nach seiner Bekehrung) 1849 mit evangelistischen Zusammenkünften begonnen hatte. Diese wurden 1850 gewaltsam niedergeschlagen, und 1851 wurde Guicciardini und sechs andere ein halbes Jahr gefangengesetzt. Noch weitaus härtere Urteile folgten gegen andere Evangelische. Guicciardini kam nach England und machte dort Bekanntschaft mit den "Offenen Brüdern", vor allem mit Groves. Auch traf er einen italienischen politischen Gefangenen, Teodoro P. Rosetti, der durch ihn zur Bekehrung kam und sich ebenfalls den *Offenen Brüdern" anschloß.

Nach einigen Jahren konnten beide nach Italien zurückkehren; durch ihren Dienst entstand eine große Anzahl offener Versammlungen in diesem Land. Augenblicklich gibt es ungefähr zweihundert. In anderen Ländern Westeuropas blieben die "Offenen Brüder" lange zeit hinter den "Brüdern" zurück. Lediglich in Deutschland

entstand eine starke einheimische Bewegung, mit durch die Gründung einer Bibelschule in Berlin im Jahre 1905. die wegen Versorgungsschwierigkeiten nach 1918 nach Wiedenest verlegt wurde und dort lange Zeit unter der Leitung von Erich Sauer stand.

Unter anderem durch die starke Auswanderung gegen Ende des vorigen Jahrhunderts breitete sich die Bewegung auch schnell über Nordamerika aus. In den sechziger Jahren schon hatte Henry Groves, der älteste Sohn von A.N. Groves, die Vereinig­ten Staaten besucht. 1871 zog Richard W.Owens (von der Merrion Hall in Dublin) nach New York und begann eine ausgedehnte Arbeit als Hirte unter den gut dreißig Versammlungen, die dort im Lauf von 50 Jahren entstanden. Etwas später ging Do­nald Ross nach Amerika und Alexander Marshall nach Kanada. Augenblicklich gibt es ungefähr sechshundert offene Versammlungen in den Vereinigten Staaten und dreihundert in Kanada. Die konservativen Versammlungen unter ihnen sind solche, die von Großbritannien her gebildet wurden. Außergewöhnlich stark war auch die Ausbreitung in Australien und Neuseeland. 1853 zog J.G. Deck, der bekannte Lie­derdichter, der eine Zeitlang mit den "Offenen Brüdern" sympathisierte, in letztgenanntes Land. Ihm folgte 1876 Gordon Forlong. In demselben Jahr ließ sich Harrison Ord, eine bekannter Evangelist der Erweck:ung, in Melbourne nieder, wo er seine Verkündigung in großem Umfang fortsetzte. 1879 folgte ihm John Harble­ton. Eine große Anzahl offener Versammlungen war auch dort die gesegnete Folge.

(2) Bemerkenswert ist die Geschichte der Bewegung in den slawischen Ländern. Ei­ner der ersten und bedeutendsten Missionare in diesem Gebieten war Friedrich Ba­edeker aus Westfalen. Nach einem abenteuerlichen vagabundenleben wurde er Doktor der Philosophie in Freiburg, heiratete 1862 in England (39 Jahre alt), bekehrte sich 1866, und zwar in Evangelisationszusammenkünften, die Lord Cavan dort ver­anstaltet hatte. Der Prediger dort war Lord Radstock, der bereits an einer um­fangreichen Evangelisationsarbeit in Osteuropa beteiligt war und Baedeker seinen Freunden dort vorstellte. Dieser machte darauf viele Reisen durch Rußland und sogar Sibirien, und das trotz bitterer Verfolgungen, und bewirkte durch seinen Dienst die Bildung zahlloser kleiner Glaubensgemeinschaften. Er starb 1906, doch sein Werk wurde fortgesetzt von gännern wie Edmund H. Broadbent und James Lees (gestorben 1958). Letzterer besuchte auch Skandinavien, die baltischen Länder und die Balkanländer.

Trotz zweier Weltkriege, und vor allem trotz des Kormunismus konnten viele offe­ne Versammlungen sich in osteuropäischen Ländern behaupten, obwohl sie manchmal zu formaler Vereinigung mit allerlei Sekten gezwungen wurden; leider hat das zu einer weiteren Zerstörung ihrer Grundlage geführt. Dies geschah sowohl in Polen als auch in der Tschechoslowakei. Auch in Runänien entstanden seit Beginn dieses Jahrhunderts viele offene Versammlungen.

(3) Wir haben gesehen, daß in Südamerika das Werk bereits früh begann. In der Trennung von 1848 wählte Leonard Strong in Britisch‑‑Guayana, der viel von gdller unterstützt wurde, die Seite Bethesdas. Die Arbeit wuchs beständig und breitete sich allmählich über ganz Westindien aus. In den Republiken Süd‑Amerikas er­reichte die Bewegung mit augenblicklich ungefähr dreihundert Versammlungen in Argentinien und ungefähr zweihundert in Brasilien das größte Ausmaß. Auch in an­deren Ländern besteht ein aktives Missionswerk; der tragische Mord an fünf Mis­sionaren unter dem Auka‑Stam in Ecuador ist allgemein bekannt.

In Asien war das Missionswerk der "Offenen Brüder" von A.N. Groves begonnen wor­den, wie wir wissen. Seine vornehmsten Arbeitsgebiete waren Bagdad und Indien. Er brachte schweizerische und britische Missionare nach Indien, die das Werk dort fortsetzten; unter ihnen waren Bowden und Beer aus Barnstaple, wie wir sa­hen, und auch Parnell (der spätere Iord Congleton) arbeitete dor‑t eine Zeitlang. Sie erfuhren die Unterstützung des einheimischen Predigers John C. Aroolappen. Als Folge ihres Dienstes bestehen noch zahllose Versammlungen in Indien und auch in Pakistan. In Malaysia entstand ein spontanes Werk dadurch, daß zwei Prediger dort 1860 eine Versammlung bildeten, die sich später den "Offenen Brüdern" an­schloß. Viele andere Versammlungen wurden gebildet,vor allem unter der chinesi­schen Bevölkerung. Auch in 1.aos, auf den Philippinen und in Thailand haben Mis­sionare mit mehr oder weniger Erfolg gearbeitet. In China wurde das Werk von der China Inland Mission begonnen, die zu einem erheblichen Teil aus den "Offenen Brüdern" hervorging. Daneben arbeiteten viele andere Missionare der "Offenen Brüder", doch ihre Arbeit wurde durch die KÜmmnisten zugrunde gerichtet. Nur in Hongkong und Taiwan besteht das Werk fort. Das Werk in Japan datiert auch be­reits aus dem vorigen Jahrhundert. Doch erst nach dem zweiten Weltkrieg hat es sich stark ausgebreitet.

(4) Eins der wichtigsten Missionsgebiete wurde wohl Afrika, hauptsächlich der zentrale Teil dieses Iandes. Im Norden ist vor allem die Arbeit von John R. 01­ley (1902 bis 1956) in Tschad sehr bedeutsam gewesen, und in Südafrika entstan­den seit 1850 etwa hundert Versammlungen. Doch das Hauptgebiet lag im tropischen Zentralafrika, wohin eine Missionsreise im vorigen Jahrhundert ein außergewöhn­lich gefährliches Unternehmen war. Einer der großen Pioniere war Frederick S. Arnot, der 1881 als Dreiundzwanzigjähriger in Südafrika ankam und zu Fuß in das zentrale Binnenland zog. Unter zahlreichen Todesgefahren (Krankheit, Wasserman­gel, feindliche Stämme) kam er 1885 als erster Weißer nach Katanga, wo er das Vertrauen des Häuptlings zu gewinnen wußte. In späteren Jahren errichtete er eine lange Reihe von Missionsposten von Benguela bis Katanga. Durch die Entbeh­rungen starb er bereits 1914, doch seine Arbeit wurde von anderen fortgesetzt, auch in Angola, Kongo, Sambia und Rhodesien.

Ein zweiter Pionier war Dan Crawford, der Arnot 1889 auf dessen zweiter Reise nach Afrika begleitete. Er war damals erst 18 Jahre altl Auch er arbeitete zu der Zeit in Katanga, als dieses belgisches Gebiet wurde. In den Spannungen, die dadurch entstanden, dienten Crawfords Missionsposten häufig als Zufluchtsorte. Er Übersetzte die gesamte Bibel in die einheimische Sprache und machte sich völ­lig mit afrikanischen Lebensgewohnheiten eins. Er starb, ebenso wie Arnot be­reits mit 55 Jahren. Ein anderer, der 1899 mit ihnen gekommen war, der Arzt Walter Fisher, arbeitete viele Jahre im Sambesi‑Tal, wo er 1906 eine medizini­sche Station errichtete, die heute eine der vielen medizinischen Missionsposten der "Offenen Brüder" in Afrika ist. Darüber hinaus gibt es ungefähr fünfhundert offene Versammlungen in Sambia, Kongo, Angola und Rhodesien.

Nach dieser kurzen Übersicht ist wohl deutlich, daß die augenblickliche Mis­sionsarbeit der "Offenen Brüder" in aller Welt sehr umfangreich ist. Es gibt selbstverständlich keine genauen Zahlen, doch es müssen augenblicklich weit mehr als tausend Missionare in der Arbeit stehen. Aus dem 20. Jahrhundert will ich noch drei nennen, die besonders auffallen; alle drei waren etwa gleich alt und starben in den fünfziger Jahren. Der erste ist der etwas überspannte George H. Lang, aus dessen eigentümlichen Schriften ich bereits zitiert habe. Er reiste durch Ägypten und Indien, Nordafrika und Osteuropa. Der zweite ist der sympathi­sche Harold St. John, der als Missionar eine Zeitland in Südamerika arbeitete, aber später um die ganze Welt reiste, um biblische Belehrung zu erteilen. Er war ursprünglich mit den " (geschlossenen) Brüdern" in Gemeinschaft. Der dritte ist Professor Arthur Rendle Short, ein berühmter Chirurg in Bristol, der nicht in der Fremde, sondern im eigenen Land aktiv an der Evangelisationsarbeit beteiligt war, im besonderen unter Studenten. Zugleich war er der Initiator einer Bewegung von Missionsklassen, die zu einer großen Ausbreitung der Mission führte. Er war der letzte große Führer in einer Reihe von Führern seit Miller und Craik, die Bristol zu einem wichtigen Zentrum der "Offenen Brüder" machten.

VII. UNEINIGKEIT

(1) Wir haben bereits gesehen, daß die "Offenen Brüder" eine völlig lockere und unzusammenhängende Gruppe freier Versammlungen bilden. Dadurch sind sie wenig der Gefahr weltweiter Trennungen ausgesetzt. Wenn an einem bestimmten Ort eine offene Versammlung in zwei Teile zerfällt, dann reicht die Wirkung dieser Tren­nung selten über die Umgebung dieses Ortes hinaus. Das hat zur Folge, daß Perso­nen verschiedener Parteien eines Ortes es entschieden ablehnen, gemeinsam Brot zu brechen, doch wenn beide einen anderen Ort besuchen, brechen sie getrost mit­einander an einem Tisch Brot. Die "Offenen Brüder" haben den sogenannten "Ge­schlossenen Brüdern" immer scharfe Vorwürfe gemacht, weil sie als Folge ihres "verkehrten" Systems in verschiedene Gruppen auseinandergefallen sind. Doch in Wirklichkeit ist die Zersplitterung unter den "Offenen Brüdern" viel größer, nur weniger ins Auge fallend.

wenn an einem bestimmten Ort die sogenannten "Geschlossenen Brüder" drei ver­schiedene Versammlungen A, B und C haben, die untereinander keine Gemeinschaft üben, dann ist das natürlich ein sehr trauriger Zustand; aber es ist doch noch immer so, daß ein anderer Ort dieselben drei Arten von Versammlungen A,B und C haben kann und daß eine Versammlung A in Gemeinschaft ist mit allen Versammlun­gen A an anderen Orten. Doch wenn an eim bestimmten Ort eine offene Versammlung in drei Teile A, B und C zerfallen ist (wie es manchmal tatsächlich der Fall ist), dann stimmt diese Aufteilung selten oder niemals mit der Aufteilung an an­deren Orten überein; an einem zweiten Ort kann man die Parteien D, E und F und an einem dritten die Parteien G, H und I antreffen, die nach einem koplizierten Muster Gemeinschaft mit Parteien an anderen Orten übenf aber nicht mit den Par­teien ihres Ortest Auf diese Weise wird es nach obengenanntem Beispiel an hun­dert Orten doch insgesamt nur drei Gruppen nicht offerner "Brüder" geben, doch von den "Offenen Brüdern" können es insgesamt dreihundert Gruppen seint Das ist ein sehr verwerflicher Zustand. Wenn "Offene Brüder" wirklich offen und unabhän­gig sind, warum haben sie dann wohl Gemeinschaft mit allerlei Sekten (häufig voller Irrlehre), weigern sich aber, Gemeinschaft zu haben mit "Offenen BrüderC anderer Splittergruppen an demselben Ort? Und was ist inkonsequenter, als daß sie nichts darin sehen, mit denselben Brüdern sehr wohl Brot zu brechen, wenn sie einander an anderen Orten treffen?

(2) Die einzige Trennung unter den "Offenen Brüdern" die eine beträchtliche Reichweite hatte (abgesehen von der seit Anfang bestehenden Aufteilung in Müller‑Anhänger und Newton‑Anhänger) entstand gerade aus dem Bewußtsein dieser Inkonsequenz, die, entsprechend dem Gefühl vieler, die Folge unangemessener Füh­rerschaft und ungenügender Abstimmung der Zucht war. 1887 wurde in England mit der Herausgabe einer Zeitschrift begonnen" "Needed Truthn (Notwendige Wahrheit) genannt, die das Sprachrohr jener Versammlungen wurde, die nach einem engeren gegenseitigen Band und nach strengerer Absonderung von den Sekten strebten. 1899 behaupteten verschiedene dieser Versammlungen, daß allein sie das Haus Gottes und die Versammlung Gottes an einem bestimmten Ort wären. Einer der Redakteure der Needod Truth, W.H. Hunter (ein bekannter Wasserbauingenieur), schrieb, daß man, um das "Haus Gottes" zu sein, "festhalten" müsse (Hebr 3,6) und daß also allein eine Versammlung, die an einem bestimmten Ort die Wahrheit "festhielt", an diesem Ort das Haus Gottes sei, wie viele andere Christen es auch an diesem Ort geben mochte. Allein diese Versammlung sei "die Versammlung Gottes an diesem Ort" im Sinn von Matthäus 18, und alle anderen Christen gehörten nicht zu dieser Versammlung, wenn sie wohl auch zu der "Versammlung" im Sinn von Matthäus 16 ge­hörten. Durch diese Anmaßung, die Versammlung Gottes in ihrer Stadt oder in ih­rem Dorf zu sein, mit Ausschluß aller anderen Gläubigen an diesem Ort, machten viele Versammlungen sich natürlich unter den "Offenen Brüder" unmöglich. Auf ei­ner Konferenz in Windermere (1891) versuchte Henry Dyer noch eine Versöhnung, doch es half nichts mehr. Ab 1892 zogen sich viele Versammlungen zurück und bildeten seitdem eine geschlossene Gemeinschaft von Versammlungen mit einer durch und durch presbyterianischen Organisation.

Was sie nicht sahen, war, daß alle Gläubigen an einem Ort die Versammlung Gottes an diesem Ort bilden und daß ein Zeugnis, das an diesem Ort auf der Grundlage der Einheit des Leibes errichtet wird, nicht mehr ist als der Ausdruck dieser Versammlung. Wo solch eine Versammlung das Abendmahl am Tisch des Herrn feiert, dort macht sie die Einheit der gesamten örtlichen Versammlung, ja, der gesamten Versammlung auf der Erde sichtbar.

Alle Gläubigen an diesem Ort sind Glieder dieser einen örtlichen Versammlung und haben ihren Platz am Tisch des Herrn (es sei denn, daß sie durch Verunreinigung verhindert sind); daß sie diesen Platz nicht alle einnehmen, ist ein andere Sa­che. Was diese Needed‑Truth‑Brüder (wie sie genannt werden) auch nicht sahen, war, daß sie von dem offenen, unabhängigen Standpunkt in das andere Extrem verfielen, indem sie eine Vereinigung mit einer zentralen Autorität bildetent Hunter schrieb, daß eine Gemeinschaft von Versammlungen nur aufrechterhalten werden könne mittels örtlicher, überörtlicher und nationaler Ältester oder Aufseher, also genau entsprechend dem presbyterianischen Synodensystem. Dieses System wurde auch stark von Dr. C.M. Luxmoore verteidigt, der einer der fünf nationalen "Oberältesten" wurde.

(3) Es konnte nicht ausbleiben, daß dieses strenge System zentraler Führer, die die letzte Entscheidung in allen wichtigen Sachen fällten, zu neuen Trennungen führte. Dies geschah nicht in einem kleinen Winkel, denn die fanatische Needed Truth‑Bewegung war sehr umfangreich. Noch immer zählt sie etwa siebzig Versammlungen in Großbritannien, die extrem in der Lehre und der Zucht sind. Ihre Ideen sind über die ganze Welt verbreitet, und viele offene Versannlungen in Amerika sind in Wirklichkeit Needed‑Truth‑Versammlungen, die als "exklusiv‑offen" oder "konservativ‑offen" bezeichnet werden und häufig viel geschlossener sind als die sogenannten "Geschlossenen Brüder".

1904 kam es erneut zu einer Trennung. In einer Versammlung in Schottland war große Unruhe entstanden wegen eines Ältesten, der Anstoß erregt hatte, und über den man nicht einstimmig werden konnte, Die Frage kam nun auf, wer hier eine Lösung herbeiführen müßte: die örtlichen, die überörtlichen oder die nationalen Ältesten. Eine Versammlung des Ältesten von Schottland, England, Wales und Irrland wurde einberufen, wo Dr. Luxmoore anordnete, daß, wenn beispielsweise die schottischen Ältesten nicht zu einem Beschluß kommen könnten, die nationalen Ältesten behilflich sein müßten. Die schottischen Aufseher unter Führung des Evangelisten F. Vernal weigerten sich, das anzunehmen, und begründeten das in einer gedruckten Erklärung. Die Folge war, daß alle Aufseher und dienenden Brüder in Schottland unter Zucht gestellt wurden. Dies führte schließlich zur Bildung einer Vernal‑Partei und einer Luxmoore‑Partei, wohl auch die Schottoschen Aufaeher‑Brüder und die Highway‑Brüder (nach Lum‑noores Zeitschrift Highways to Zion) genannt.

(4) Noch weitere Trennungen folgten. In Australien entstand die Gruppe der Rice & Hopkins‑Brüder (genannt nach ihrem Führer Rice T. Hopkins), die von bestimmten Needed‑Truth‑Brüdern in England und anderswo abgewiesen und nicht länger aner­kannt wurden. In anderen Ländern entstanden wieder andere Spaltungen unter den "Offenen Brüdern"; wir werden später sehen, wie sie sich z.B. in Amerika, Hol­land und Deutschland entwickelt haben.

Kapitel 6 - Diener und Schriften (19. Jahrhundert)

Während die "Offenen Brüder" sich nach 1850 vor allem der Mission und der Verkündigung des Evangeliums widmeten, wurden die anderen "Brüder" durch große Gaben an Lehrern', durch ein tiefgehendes Untersuchen des Wortes Gottes und einen überreichen Strom an Schriften gekennzeichnet. Bei weitem die wichtigste Literatur der "Brüder" stammt aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Sie bildet einen bis heute weit und breit studierten, unvergleichlichen Schatz an Lektüre zum Bibelstudium, die hier und da zwar, was den Stil, nicht aber was den Inhalt betrifft, veraltet ist. Daneben gab es auch zweifellos große Evangelisten; denken wir nur an George Cutting, dessen Büchlein Sicherheit, Gewißheit und Genuß in vielen Millionen Exemplaren (in vielen Sprachen) verbreitet wurde.

In diesem Kapitel werden wir einige der größten Gaben vorstellen, die Christus während dieser Zeitepoche der Versammlung gegeben hat, und eine Übersicht über die wichtigsten Schriften und Zeitschriften geben. Der Nachdruck liegt hierbei tatsächlich auf dem, was Christus gegeben hat, denn es wäre völlig fehl an Platz, Menschen zu verherrlichen und das Bibelwort zu mißachten: 'Denn wenn einer sagt: Ich bin des Paulus; der andere aber: Ich des Apollos; seid ihr nicht menschlich? Wer ist denn Apollos, und wer Paulus? Diener, durch welche ihr geglaubt habt, und zwar wie der Herr einem jeden gegeben hat ... Also ist weder, der da pflanzt, etwas, noch der da begießt, sondern Gott, der das Wachstum gibt auf daß ihr an uns lernet, nicht über das hinaus zu denken, was geschrieben ist, auf daß ihr euch nicht aufblähet für den einen, wider den anderen. Denn wer unterscheidet dich? Was aber hast du, das du nicht empfangen hast?' (l. Kor 3,4-7; 4, 6. 7)

I. DARBY UND KELLY

(1) Die Geschichte der "Brüder", die wir bisher beschrieben haben, war zum großen Teil die Geschichte von John Nelson Darby. Er war dann auch, wie gesagt, eine der größten Gaben, die der Herr jemals der Versammlung gegeben hat. Das haben sogar viele außerhalb der "Brüder" dankbar anerkannt. Dabei war er einer der hingebungsvollsten Diener Christi, der ein Leben der Ehre und Bequemlichkeit hätte führen können, aber keinen anderen Wunsch hatte, als Jesus zu folgen und sich völlig für die Versammlung Gottes einzusetzen. Durch seine großen Gaben, seine außergewöhnlich zahlreichen Schriften, seine vielen, unermüdlichen Reisen und vor allem durch seine völlige Hingabe wurde er das wichtigste Instrument Gottes in der Bewegung der 'Brüder". Selbst heute gibt es Hunderttausende Christen auf der Erde, die ihre Kenntnis der Wahrheit direkt oder indirekt seiner einzigartigen Einsicht in die Schrift zu verdanken haben. von weltlicher Gesinnung war bei ihm nichts zu finden, und sein Fleiß war geradezu unglaublich; beides kann uns heute zur Beschämung dienen.

In der Tat hätte Darby durch seine intellektuellen Fähigkeiten einen sehr hohen Platz in dieser Welt erreichen können. Er war sehr begabt in den klassischen, juristischen und theologischen Wissenschaften. Er sprach und schrieb Englisch, Französisch, Italienisch und Deutsch und sogar etwas Holländisch. Er hätte mühelos ein großer Philosoph oder ein Dichter werden können - seine geistlichen Gedichte gehören zu den tiefsten und schönsten unter dem Überfluß an Liedern, die die "Brüder" hervorgebracht haben (wie Denny, Deck, Midlane, Wigram usw.). Er hätte eine hohe politische oder kirchliche Stellung bekleiden können. Doch er zog es vor, "mit dem Volk Gottes Ungemach zu leiden ..., indem er die Schmach des Christus für größeren Reichtum hielt als die Schätze Ägyptens". Selbst solche, die eingewendet haben, daß Darby zwar nicht in der Welt, wohl aber inmitten der "Brüder" den höchsten Platz einnehmen wollte, haben ihm großes Unrecht angetan. Sie haben nicht erkannt, daß bei den Gelegenheiten, wo dieser milde und sanftmütige Mann außergewöhnlich heftig und scharf war, er nicht durch Eifersucht, Antipathie oder Ehrsucht getrieben wurde, sondern durch Liebe zu dem heiligen Namen des Herri, wobei er keine Kmprcmisse kannte. Wenn er gegen etwas stritt, das die Person oder das Werk des Herr, antastete oder das Wort Gottes untergrub, dann nahm er auf nichts und niemanden Rücksicht. Doch wo er Liebe und Hingabe bemerkte, war er mild und nachsichtig, manchmal vielleicht sogar mehr, als zu verantworten war. Nichts ist bemerkenswerter in dem Charakter Darbys als seine messerscharfen Angriffe auf verderbliche Lehren, die er bei anderen Christen feststellte (auch bei "Brüdern"), und zugleich seine tiefe Achtung vor dem, was er an Geistlichem bei ihnen fand, ja, seine warme Liebe für seine Gegner (wie Craik, Chapman und sogar Newton).

Obwohl er ein großer Gelehrter war, trat er niemals eingebildet oder selbstbewußt auf. Seine Bescheidenheit war auffallend; in seinen Ansprachen machte er fast niemals Anspielungen auf den hebräischen und griechischen Grundtext, wodurch er Menschen, die auf imponierende Eindrücke seiner Gelehrsamkeit warteten, enttäuschte. Er besaß wenig Selbstvertrauen; als er einmal gebeten wurde, unter freiem Himmel zu sprechen, bat er einen jungen Mann, dies zu tun, weil er, wie er sagte, sich fürchtete, mittendrin steckenzubleiben. Solche, die ihn gut kannten, widersprachen völlig dem Bild, das häufig von ihm gezeichnet wird, als wäre er ein außergewöhnlich ehrsüchtiger Mann gewesen. Wenn er wirklich darauf aus gewesen wäre, Führer einer großen Partei zu werden, dann hätte er versucht, sich mit Newton in Plymouth gütlich zu einigen. Doch statt dessen wählte er die Ehre Christi und zog sich zurück, obgleich er wußte, daß er in Plymouth praktisch keine Anhänger hatte und er aus anderen Teilen Englands viel Widerstand erfahren würde. Wenn er durch Ehrsucht gekennzeichnet wurde, dann war es die Sucht, die Ehre des Herrn zu wahren. Unlängst sah ich seinen Grabstein, worauf ein Gedicht von ihm zu lesen ist: "Herr, laß mich harren auf Dich allein; mein Leben soll nur dieses sein: dir hier auf Erden ungekannt zu dienen und dann deine himmlische Freude zu teilen." Als er in hohem Alter noch durch Italien reiste, mußte er in einer sehr unbequemen Herberge übernachten. Ermüdet, den Kopf in den Händen, hörte man ihn murmeln: "Herr Jesus, ich habe mein Kreuz aufgenommen, um alles zu verlassen und Dir zu folgen."

Es ist kein Wunder, daß große Menschenmengen beeindruckt wurden von der Hingabe dieses Mannes, der aus Liebe zu seinem Heiland und zu den Seelen auf den größten Teil seines ansehnlichen Reichtums verzichtet hatte, ja, der selbst den Freuden eines Ehe- und Familienlebens für die Sache des Herrn entsagt hatte. Daß er seine Liebe zu Kindern nicht verleugnen konnte, trat immer wieder ans Licht. Während einer Ansprache rollte er seinen Mantel zu einem Kissen zusammen für ein schlafendes Kind, dessen unbequeme Lage ihn gerührt hatte. Auf einer seiner vielen Reisen muß er beobachtet worden sein, während er die ganze Nacht mit einem unruhigen Kind in seinen Armen auf dem Deck auf und ab ging, um der erschöpften Mutter etwas Ruhe zu ermöglichen. Bei einer anderen Gelegenheit besuchte er einen armen Bruder in Amerika (er hatte dafür die Einladung eines einflußreichen Mannes abgeschlagen) und bemerkte während des Essens, wie traurig eins der Kinder war. Der kleine Junge gestand, daß es sein Kaninchen war, das als Hauptgericht diente, worauf Darby ihm in rührender Weise sein Mitempfinden zeigte. Er weigerte sich, von dem Gericht zu essen, und spielte sofort nach dem Essen eine Stunde lang mit dem Kleinen, um ihn zu trösten.

Gegenüber Gläubigen aus unteren Schichten verhielt er sich in einer rührend gewinnenden Weise, und das fällt noch mehr auf, wenn man sich die großen Standesunterschiede jener Tage vor Augen hält.. Wenn er in den Bergen Frankreichs und der Schweiz auf Reisen war, war er häufig zu Gast bei armen, einfachen Bergbewohnern. Während die Mutter auf dem Feld arbeitete, war die Hälfte seines Geistes mit seinen Studien beschäftigt, und mit der anderen Hälfte half er den Kindern, die um ihn herum spielten oder arbeiteten. Er war wirklich in ihrer Mitte als der Dienende. Seine Einfachheit war außergewöhnlich. Eine alte Frau, die den Wunsch hatte, zum Tisch des Herr, zugelassen zu werden, wurde von zwei verhältnismäßig jungen Männern und von Darby besucht. Anschließend sagte sie, daß die zwei zweifellos recht klug und gelehrt seien, aber daß sie sie nicht verstehen konnte; am besten sei sie mit dem einfachen alten Herrn, der dabei war, zurechtgekommen ... Bei einer anderen Gelegenheit, während einer Konferenz, wurde er in dem Haus, wo er zu Gast war, zur Zeit des Schlafengehens vermißt. Endlich fand man ihn auf dem Dachboden in einem Bett, das für einen armen Bruder hergerichtet war und das er benutzte, damit der Bruder eine komfortablere Schlafgelegenheit hätte. Eine ähnliche Situation ergab sich, als er einmal mit dem Zug in einer Stadt ankam, wo er eine große Zahl Brüder aus dem betreffenden Ort auf dem Bahnsteig vorfand, die alle ihn willkommen heißen wollten. Verschiedene wohlhabende Schwestern waren dort und versuchten, die Ehre einzustreichen, sein Gastgeber zu werden. In dieser peinlichen Situation stellte Darby die Frage, wer gewöhnlich die (umherziehenden dienenden) "Brüder" beherberge. Daraufhin trat ein anspruchsloser Mann hervor, der sich bescheiden im Hintergrund gehalten hatte; und dieser Bruder, der die Mühe und Unbequemlichkeit hatte, beständig so vielen umherziehenden Predigern ein Obdach zu gewähren, wurde der Gastgeber dieses geehrten Gastes. Überall übrigens, wo Darby bemerkte, daß wohlhabende Brüder sich auf ihr Ansehen etwas einbildeten, war er verstimmt und enttäuscht, hielt sich abseits und zog die Gemeinschaft der Armen und Einfachen vor.

Ist dies das Bild eines Mannes, der Ehre und Ansehen sucht? Wo er diesen Eindruck erweckte, geschah es dort, wo er unerbittlich für die Wahrheit eintrat. wo er für Gehorsam gegenüber Versammlungsbeschlüssen und für die Aufrechterhaltung der Einheit stritt, nannte man ihn einen Papst, der seinen willen durchzudrücken suchte und keinen Widerspruch duldete. Und das, während er bloß schriftgemäße Grundsätze verteidigte und selbst so wenig wie möglich mit Zuchtfragen zu tun haben wollte, weil er gut über die Menschen dachte. Es schien mir gut, dieses kleine Portrait seines Charakters zu geben, um zu zeigen, was in Versammlungsfragen seine Motive waren. Seine Rolle in der weiteren Geschichte und seine Schriften kommen später zur Sprache.

(2) Der begabteste Bruder nach J.N. Darby war ohne Zweifel William Kelly. Er war zwanzigeinhalb Jahre jünger als Darby und studierte nicht nur eifrig dessen Schriften, sondern war zugleich ihr fähigster Ausleger. Die Anzahl Schriften, die er veröffentlichte, kommt der von Darby beinahe gleich, in Gelehrsamkeit war er seinesgleichen, und in Klarheit und Exaktheit der Ausdrücke übertraf er ihn.

William Kelly wurde im Mai 1821 als Sohn eines Gutsbesitzers aus Ulster geboren. Er empfing seine Ausbildung in Downpatrick und am Trinity College in Dublin, wo er die höchste Auszeichnung in den klassischen Sprachen erhielt. Er war protestantisch erzogen und kam durch Offenbarung 20,12a zur Bekehrung, aber er erlangte erst die christliche Freiheit, als er sich als Hauslehrer auf der Insel Sark niedergelassen hatte, wo ihn eine Dane der Familie Acland auf 1. Johannes 5,9-10 hinwies (1840). Kurz darauf (1841) trat er aus der Kirche aus und begann mit drei Schwestern Brot zu brechen, bevor er jemals einen "Bruder» gesehen hatte. Im Sommer 1845 begegnete er zum ersten Mal Darby in einem Laden in Plymuth (also gerade während der Auseinandersetzung dort). Darbys Begrüßung war sehr offen und herzlich. Kelly wählte ein für allemal die Seite der Ehre Christi und blieb in den Trennungen, die bald folgten, unerschütterlich auf der Seite Darbys. Sein Fortschritt in der Wahrheit war erstaunlich, und bereits bald nahm der Dienst des Herrn ihn völlig in Anspruch. Er war ein außergewöhnlich belesener Mann, der eine enorme Bibliothek von 15 000 Bänden (mit einem Gewicht von 17 t) sammelte, darunter die großen Handschriften der Bibel, die Werke der Kirchenväter und eine ausgedehnte wissenschaftliche Literatur. Dabei besaß er große Gaben zu selbständigem Forschen, ein selten logisches Urteil, eine unwiderstehliche Beweiskraft und äußerste Genauigkeit. Seine Gelehrsamkeit war so groß, daß der berühmte Prediger C.H. Spurgeon ihn "einen hervorragenden Theologen" nannte,"...einen vorzüglichen Prediger .... einen Mann, für das Weltall geboren, der seinen Geist durch den Darbysmus hat beschränken lassen."

Daß dieser Mann sich tatsächlich "beschränken" ließ, hatte seinen Grund darin, daß er die Ehre Christi, nicht die von Menschen suchte. Als ein Professor in Dublin zu ihm sagte, daß, wenn er sich dort als Lehrer niederließe, er sein Glück machen könne, antwortete Kelly: "Für welche Welt?" Deshalb suchte er nicht die Gesellschaft der Angesehenen, sondern diente den "Elenden der Schafe". War er auch ein echter Stubengelehrter, so erfreute er sich doch sehr an der Gemeinschaft der Heiligen und am praktischen Dienst. Im Sprechen ragte er besonders hervor, da er mühelos in der Öffentlichkeit auftrat, wobei seine Worte tief beeindruckten. Ohne gelehrt zu tun, war seine Gelehrtheit doch gediegen. In seinem Auftreten war er besonders gewinnend und von einem feinsinnigen Humor (obwohl er auch sarkastisch sein konnte und deshalb manchmal Anstoß gab). Nicht nur in der Belehrung von Gläubigen, sondern auch im Evangelium war er sehr eifrig. Darby erklärte mehrmals, daß er wünsche, das Evangelium so verkündigen zu können wie Kelly.

Kelly selbst hatte eine große Wertschätzung für Darbys Schriften und verbreitete sie soviel wie möglich. Niemand verstand und verteidigte sie besser als er. Er betrachtete Darby als unübertrefflich in der Entfaltung lang verlorener Wahrheiten der Schrift und sagte regelmäßig, bis zuletzt: "Lies Darby. 1' Er hat der Versammlung Gottes einen außergewöhnlichen Dienst erwiesen, indem er Die gesammlten Werke von J.N.Darby redigierte und herausgab und Darbys Betrachtungen über das Wort Gottes (Synopsis) aus dem Französischen übersetzte, mit dem Ergebnis, daß die Übersetzung sogar besser war als das Original. Die Synopsis betrachtete er als Darbys besten Kcmmntar und die Widerlegung von Newtons Apocalypse als seine beste Kritik. Mit großer Hochachtung und Liebe sprach und schrieb er über Darby, obwohl er ihm niemals blindlings folgte und Gott und Sein Wort über alles stellte. Was er als schriftwidrig erkannte, wies er streng und logisch ab, mochte es um "Brüder" gehen oder um andere.

Lange Zeit wohnte Kelly auf der Insel Guernsey, wo er seine erste Frau kennenlernte, ein gewisses,Fräulein Montgomery. Die letzte Hälfte seines Lebens wohnte er in Blackheath (London). Seine zweite Frau war die Tochter von Pfarrer Henry Gibbs aus Hereford; sie war, ebenso wie er, eine begabte Sprachgelehrte, die ihrem Mann bei seiner Arbeit eine große Hilfe war. Als sie 1884 starb, hatte sie die Psalmen bis zur Hälfte übersetzt. Kelly vollendete das Werk und gab es als persönliche Erinnerung an seine geliebte Frau heraus. Selbst schrieb Kelly Hunderte von Büchern und Broschüren, über die wir später sprechen werden. Er führte einen sehr umfangreichen Schriftwechsel, u.a. mit vielen Gelehrten seiner Zeit wie den Mitgliedern der Revisionskonndssion für das Neue Testament. Er fand Darbys Neue Übersetzung zuverlässiger als die Revised Version (Revidierte Übersetzung) dieser Kcmmission, die er vollständig und kritisch in seinem berühmten Monatsblatt The Bible Treasury (Bibelschatzkammer) beurteilte, einer Zeitschrift, die von vielen, unter ihnen sogar Erzdekan Denison, betrachtet wurde als "das einzige, was noch länger wert ist, gelesen zu werden". Als Redakteur dieser Zeitschrift korrespondierte er auch mit bekannten Theologen wie Dean Alford, Dr. Scott, Principal Edwards, Professor Sanday und E.B. Elliott. Er assistierte Dr. S.P. Tregelles bei dessen textkritischem Werk und schrieb selbst zahllose kritische Artikel. im Jahre 1860 veröffentlichte er eine textkritische Ausgabe des griechischen Textes der Offenbarung mit einer wörtlichen englischen Übersetzung und einer vollständigen Angabe der (teilweise niemals zuvor gebrauchten) Textdokumente (Handschriften, Übersetzungen und frühe Zitate) und den verschiedenen Lesarten in den Fußnoten; eine zweite Ausgabe erschien 1868/69. Professor Ewald hielt dies für das beste Werk seiner Art, das er jemals zu sehen bekommen hatte. Kelly übersetzte selbst einen großen Teil der Bibel, gab seine Übersetzungen jedoch niemals als ein Ganzes heraus, aus Respekt, wie man sagt, vor der Neuen Übersetzung von Darby.

II. ANDERE BRÜDER

(1) Nach diesen kurzen Portraits zweier äußerst begabter Brüder möchte ich nun das Interesse des Lesers auf sechs weitere besondere Diener richten, und zwar in chronologischer Geburtsfolge. Zwei von ihnen sind bereits früher erwähnt worden, und der älteste von ihnen ist Bruder John G. Bellett. Wir haben bereits gesehen, welche Rolle Bellett in der allerersten Anfangsphase spielte und später in den Wirren der vierziger Jahre. Es ist der Mühe wert, etwas mehr von dem Charakter dieses warmen, liebenswürdigen Mannes zu erfahren, denn nur wenige unter den "Brüdern" waren allenthalben so beliebt wie er. Jemand schrieb von ihm: "Seine Freundlichkeit, seine Höflichkeit, seine Originalität haben bei mir eine unauslöschliche Erinnerung an ihn hinterlassen, aber seine Liebe zu seinem Gott und Heiland und das Licht, das er auf das Leben des Heilandes in den Evangelien werfen konnte, machen ihn in außergewöhnlicher Weise beliebt bei allen, die ihn kannten ... der Ton seiner Stimme, sein warmer, liebevoller Händedruck, seine sanfte, liebenswürdige, wohlgesittete Höflichkeit, vor allem sein unbegrenzter Glaube, seine Verwirklichung der Person und des Charakters des Herrn Jesus machen ihn für mich zu einer unaussprechlich liebenswerten und einzigartigen Persönlichkeit.

Bellett stand immer früh auf; an Wintermorgenden ließ er seinen Tisch in die Nähe des Küchenfeuers setzen und las, sann nach und schrieb dort einige Zeit vor dem Frühstück. Häufig empfing er Gäste zum Frühstück, wie es damals üblich war. Er machte daraus Morgenzusammenkünfte, denen er einen eigenen Reiz verlieh und wo er allerlei Gäste empfing, auch außerhalb der "Brüder". Er konnte sich freundlich und mit Humor unterhalten, doch immer kam das Gespräch auf Den, der ihm am teuersten war, und verschiedene seiner lieblichsten Aussprüche über Christus stammen von solchen Gelegenheiten. Ein Amsterdamer Pfarrer, der einmal bei ihm frühstückte, fragte ihn, ob er wohl einmal am Rhein gewesen sei, und entgegnete auf die verneinende Antwort lächelnd: "Wie können Sie so freundlich sein, ohne jemals den Rhein gesehen zu haben!" Ein anderer sagte: "Ich habe niemals jemanden gesehen, der so voller Liebe war wie Herr Bellett."

Es war bemerkenswert, wie wenig Mühe es ihn kostete, etwas Angenehmes preiszugeben aus Treue zum Herrn. In einem Gespräch mit einem Mitreisenden, der eine Bemerkung über die Vergnügungen der Reise machte" antwortete Bellett, daß das Leben zu ernst sei, um in Vergnügen vertan zu werden. Augenblicklich kam die Antwort: "Ich denke, daß ich ein paar Ihrer Freunde kenne, mein Herr; sind Sie nicht einer der Plymouth-Brüder?" Nicht, daß Bellett ein düsterer Mann war, im Gegenteil; er sagte häufig, daß die Meßschnüre ihm in lieblichen Örtern gefallen seien (Ps 16,6), und seine innere Freude war beständig auf seinem Gesicht zu lesen. Er war unbekümmert und manchmal rührend naiv. An einem Abend verließ er das Haus eines Gastgebers und begegnete an der Tür einem aufdringlichen Mann, der Bürsten verkaufte. Er kaufte eine, schellte wieder bei seinem Gastgeber mit einem Handfeger in der Hand und fragte, ob sie den haben wollten, weil er keine Lust hatte, ihn mit nach Hause zu nehmen! Er gab übrigens Bettlern sehr viele Almosen und sagte beinahe immer dazu: "Das ist um des Herrn Jesus willen." Er stand einmal vor einem Schaufenster und wollte gern ein nettes Schreibtäfelchen für seine Tochter kaufen. Doch auf einmal dachte er: "Wieviele haben nicht einmal Brot", und lief festen Schrittes weiter. Reichtum habe nur Wert, weil man ihn weggeben könnte, sagte er häufig.

Jeden Sonntag und mehrmals in der Woche predigte Bellett; oder besser gesagt: Sein Dienst war mehr ein Entfalten des Wortes in der ihm so eigenen Weise, wobei er voller Hingabe die Schönheit des "Buches Gottes" (wie er es gerne nannte) vorstellte. Er sprach vor allem gern über Themen aus Lukas, über die Erzväter und über den Hebräerbrief, und es war unvergeßlich, wenn er über das Gespräch des Herrn am Brunnen von Sichar (Joh 4) sprach. Niemals redete er über die Bibel zur Befriedigung des Intellekts, sondern immer, um den Bedürfnissen der Seele zu begegnen. Ein Freund sagte von ihm: "Bellett gibt nicht immer Antwort auf deine Schwierigkeiten; aber er erhebt dich über sie." Wenn man ihn nach seinen Gedanken über eine bestimmte Schriftstelle fragte (und es schien wohl keine Stelle zu geben, über die er noch nicht nachgedacht hatte), gab seine Antwort immer Ruhe und Befriedigung. Doch ebenso erstaunlich war sein Respekt, den er vor anderen hatte, vor allem, wenn er fand, daß sie geistlicher waren als er. Gern erzählte er von einem Freund, den er einmal fragte: "Was ist der Charakter deiner Gemeinschaft mit Gott, wenn du betest? Der von meiner ist hauptsächlich Bekenntnis." Mit einem strahlenden Gesicht kam die Antwort: "0, der von meiner ist Lobpreis!“ Ebenso fühlte Bellett, daß in dieser feindlichen Welt der Pfad des Christen der der Nachfolge Christi war, und er sagte häufig: "Märtyrerschaft ist der natürliche Tod eines Christen." Doch dankte er Gott inbrünstig für Frieden und Ruhe, geschenkt, wie er sagte, für "Zaghafte wie mich, die nicht von dem Holz sind, aus dem Märtyrer geschnitzt werden."

Bellett war der Patriarch unter den alten Führern der "Brüder" und der erste von ihnen, der entschlief, und zwar am 10. Oktober 1864, in seinem 70. Lebensjahr. Es ist ergreifend, über seinen Gemütszustand zu lesen, während er auf dem Krankenbett lag, über die Freude seiner Seele und die herrlichen Worte, die er über den Heiland sprach. Sieben Wochen vor seinem Heimgang schrieb er u.a. folgendes an Darby: "Vielleicht sehe ich dich nie wieder, mein geliebter Bruder; doch ich muß dir sagen, und zwar von einem Sterbebett, wie ich aus der Tiefe meiner Seele den Herrn preise, daß Er mir die Wahrheit offenbart hat ... Ich habe dich geliebt, wie ich, meiner Meinung nach, in gewissem Sinn keinen anderen geliebt habe; und nun, nach so langer Zeit, befinden wir uns zusammen in der kostbaren Gemeinschaft desselben Bekenntnisses ... Niemals hatte ich solch eine friedliche, glückliche Ruhe in Christus .. . " Einige Wochen später konnte Darby ihn besuchen, und es war ergreifend zu sehen, wie Bellett ihn in seinen Armen hielt und seine große Zuneigung zu ihm ausdrückte. In seinen letzten Augenblicken sprach Bellett, während die Tränen über seine Wangen rollten: "Mein teurer Herr Jesus. Du weißt, wie vollkommen ich mit Paulus sagen kann: Abzuscheiden, um bei Dir zu sein, ist bei weitem das Beste. 0 wieviel besser! Ich verlange danach! Sie kommen, um mir über eine Krone der Herrlichkeit zu sprechen - ich flehe sie an aufzuhören. Über die Herrlichkeiten des Himmls - ich flehe sie an zu enden. Ich will keine Kronen! Ich habe IHN SELBST, IHN SELBSTI Ich werde bei IHM sein! 0 bei dem Mann von Sichar; bei Ihm, der stehenblieb, um Zachäus zu rufen; bei dem Mann von Johannes 8; bei dem Mann, der am Kreuz hing; bei dem Mann, der starb; o bei Ihm zu sein, bevor die Herrlichkeiten, die Kronen und das Königreich erscheinen! Es ist wunderbar, wunderbar! Allein bei dem Mann von Sichar; dem Mann an dem Tor der Stadt Nain; und ich werde allezeit bei Ihm sein, diesen traurigen, traurigen Schauplatz, der Ihn verwarf, mit Seiner Gegenwart eintauschen! 0 der Mann von Sichar! So ging Bellett heim in die Freude seines Herrn.

(2) Ein zweiter Bruder der Anfangszeit, dem wir bereits früher begegnet sind, war George Vicesims Wigran, einer der treuesten Freunde Darbys. Wigram war niemals berühmt als Redner oder Schreiber, sondern wurde durch eine auffallend geistliche Gesinnung und Hingabe gekennzeichnet wie auch durch Entschiedenheit in dem, was den Herrn und die Liebe zu Seiner Herde betraf. Er wurde sehr geachtet wegen seiner sittlichen Kraft und seiner wunderbaren Einfachheit; mit einer bemerkenswerten Würde in seinem Auftreten vereinte er eine besondere Ruhe und Herzlichkeit. In seinen polemischen Schriften konnte er sehr scharf sein (was er später bedauern mußte), doch niemals weckte er den Eindruck, für seine eigene Ehre zu streiten. Wigram besaß ein ansehnliches Vermögen, das er nicht für sich selbst, sondern entschlossen und uneigennützig für den Dienst des Herrn verwendete.

Der berühmteste Gebrauch, den er von seinem Vermögen machte, war zweifellos die Herausgabe einer griechischen und einer hebräischen Konkordanz, um solchen zu helfen, die die Bibel untersuchten und selbst keine oder nur wenig Kenntnis des Grundtextes besaßen. Der Plan zu diesem ungeheuren Werk wurde zusammen mit Pfarrer William DeBurgh gemacht, der die richtigen Gelehrten aussuchte, während Wigram die Mittel verschaffte. Diese Kosten beliefen sich auf den (ganz bestimmt für diese zeit) außergewöhnlichen Betrag von 600.000 Mark" doch Wigram sprach in wahrer Demut über diesen Betrag als etwas, das "lediglich durch seine Hände gegangen war", so völlig betrachtete er sich als Gottes Verwalter. 1839 erschien die Griechische und Englische Konkordanz des Neuen Testaments, und 1843 folgte die Hebräische und Chaldäische Konkordanz des Alten Testaments" u.a. durch die Mitarbeit von Dr. Bialloblotzky, einem polnischen Rabbiner. Durch diese Werke von unschätzbarem Wert hat Wigram der Versammlung Gottes einen großen Dienst erwiesen. Noch immer werden diese Werke neu aufgelegt, während sie auch als Grundlage für verschiedene spätere Nachschlagewerke gedient haben.

Nachdem die älteste Zeitschrift der "Brüder", die bereits früher genannte Christian Witness (Der christliche Zeuge) eingestellt worden war, begann Wigram 1849 eine Zeitschrift, genannt The Present Töstimony (Das gegenwärtige Zeugnis), zu der er auch selbst viele Beiträge lieferte, u.a. seine Artikel über die Psalmen. Es ist sehr bemerkenswert, daß Wigram, als sich der geistliche Zustand unter den "Brüdern" in den siebziger Jahren verschlechterte, die Herausgabe seiner Zeitschrift einstellte, weil seiner Meinung nach das besondere Zeugnis, das die "Brüder" nach göttlicher Berufung bildeten, vorbei war! "Wir mußten auf unseren Knien in anhaltendem Gebet um die Wahrheit bitten", bemerkte er einmal, "aber jetzt kann sie billig gekauft werden." Eine andere bedeutende Herausgabe Wigrams war ein Liederbuch (1856): Lieder für die kleine Herde, das mit einigen Überarbeitungen noch immer von den "Brüdern" in englischsprechenden Ländern gebraucht wird. Verschiedene schöne Lieder stammen von Wigram selbst.

Im letzten Abschnitt seines Lebens machte er längere Besuche in Westindien, Neuseeland usw., wo sein Dienst sehr geschätzt wurde. Ein Teil seiner Schriften und Vorträge ist in einer Serie unter Redaktion von E. Dennett herausgegeben worden. Am Neujahrstag 1879 entschlief dieser Bruder, der wegen seiner praktischen Lebensheiligung geachtet wurde wie nahezu kein anderer.

(3) Wir werden nun einigen Brüdern begegnen, die noch kaum oder gar nicht genannt worden sind. Der älteste von ihnen ist Andrew Müller, der am 27. Januar 1810 in dem Dorf Kilmaurs (Ayrshire, Schottland) geboren wurde. Als junger Mann trat er in die Firma Smith, Anderson & Co. in Glasgow ein. Er übernahm deren Londoner Filiale, die später umbenannt wurde in Miller, Sohn & Torrance (Cannon Street, London). Während er seine geschäftlichen Aufgaben wahrnahm, war er zugleich der freiwillige Führer einer schottischen Baptistenkapelle, die er in William Street (Barnsbury) hatte bauen lassen. Wenn er in der Stadt war, predigte er in seiner Kapelle, doch beinahe in der Hälfte der Zeit war er in der Evangelisationsarbeit tätig in verschiedenen Zentren der Provinz, wo er zum großen Segen wirkte.

In dem Maß, wie seine Einsicht in die Wahrheit zunahm, lernte er seine sektiererischen Grundsätze mehr und mehr aufzugeben. Etwa 1852 teilte er seiner Gemeinde mit, daß er keine Gemeinschaft mehr mit ihr haben könne und daß er sich von der folgenden Woche an allein mit denen versammeln werde, die, ebenso wie er, die Grundsätze verträten, zu denen sich die "Brüder" bekannten. In der Woche darauf kam der größte Teil der Gemeinde wieder zu der Kapelle, um sich fortan in Absonderung vom Bösen und auf der Grundlage der Einheit des Leibes Christi zu versammeln. Als Arbeiter des Herrn begann er unter den "Brüdern" einen immer geschätzteren Platz einzunehmen.

Von verschiedenen ist Miller als der begabteste Redner unter den alten "Brüdern" bezeichnet worden. Seine Predigten waren so außerordentlich populär, daß er die Aufmerksamkeit jedes Hörers in seinen außerordentlich langen Ansprachen bis zum Ende fesseln konnte. Seine große Beredsamkeit ging gepaart mit einer echten Ergriffenheit, denn er hatte ein Herzensverlangen nach unbekehrten Seelen. Selten verkündigte er das Evangelium, ohne daß Tränen über seine Wangen strömten, wenn er die Liebe des Herrn vorstellte und die Gewissen aufzurütteln versuchte. Sogar zynische Zuhörer weinten mit den übrigen mit. Durch seinen Dienst sind sehr viele bekehrt worden. Es bereitete ihm Kummer, daß es in verschiedenen Versammlungen sehr viel Interesse für Wahrheiten über die Versanmlung und die Prophetie gab, aber so wenig für das Evangelium.

Als Schreiber ist er vor allem bekannt geworden durch seine zwei Bände der Kirchengeschichte und sein Büchlein über die Geschichte der "Brüder". Darüber hin aus ermunterte er seinen Freund C.H. Mackintosh beim Schreiben seiner "Gedanken Über die fünf Bücher Mose", schrieb das Vorwort dazu und half bei der Finanzierung der Herausgabe. Ebenfalls zusammen mit seinem Freund gab er viele Jahre lang ein Monatsblatt heraus unter dem Titel Things New and Old (Neues und Altes), worin einfache, aber gediegene Unterweisung gegeben wurde. Miller starb 1883.

(4) Auch Charles Henry Mackintosh wurde ein bekannter Führer unter den "Brüdern". Er wurde im Oktober 1820 in Glenmalure Barracks in der Grafschaft Wicklow, Irland, geboren. Sein Vater war Kapitän im "Highlanderls Regiment" und hatte während des Aufstands in Irland gedient. Mit 18 Jahren erlebte Charles eine geistliche Erweckung durch Briefe, die seine Schwester ihm nach ihrer Bekehrung schrieb. Er bekam Frieden durch das Lesen von Darbys Schrift Die Wirksamkeit des Heiligen Geistes, vor allem durch den Gedanken, daß es "das Werk Christi für uns ist, nicht Sein Werk in uns, das Frieden gibt". Er trat in den Dienst einer Firma in Limerick und begann in seiner freien Zeit eifrig zu studieren, mit der Folge, daß er 1844 in Westport eine Schule eröffnen konnte, wo er sich mit ganzem Herzen der Erziehungsarbeit hingab. Doch mit noch größerer Energie arbeitete er im Dienst des Herrn, so daß er 1853 seine Schule aufgab, weil sie ihn zuviel in Beschlag nahm. Daraufhin zog er nach Dublin, wo er mit Bellett und anderen Gläubigen in Kontakt kam. Dort begann er öffentlich zu predigen, sowohl zur Auferbauung als im Evangelium. Vor allem, als die Erweckung Irland ergriff (1859 1860), war er besonders aktiv. So sprach er in Dromore einmal über den Schluß von Titus 2, wodurch F.C. Bland zu Christus geführt wurde, der selbst, wie wir bereits früher sahen, ein aktiver Prediger wurde.

Mackintosh besaß Gaben, die ein sehr breites Publikum anzusprechen verrechten. Das wurde vor allem deutlich aus der Volkstümlichkeit seiner aufeinanderfolgenden "Gedanken zu den fünf Büchern Mose", die im Lauf von vierzig Jahren erschienen und mit denen er bereits in jungen Jahren angefangen hatte. Der Einfluß dieser Werke, die in Millionen Exemplaren und in vielen Sprachen verbreitet sind, ist unermeßlich. Sie werden gekennzeichnet durch einen warmen evangelistischen Geist und schildern "die vollkommene Verderbtheit des Menschen durch die Sünde und Gottes vollkommene Rettung in Christus ausführlich, deutlich und oftmals sehr treffend", wie Miller in einem Vorwort schrieb. Doch hatte er nicht so sehr eine Gabe als "Lehrer"; seine Gedanken sind nicht so scharf und systematisch formuliert, wie man es von einem Lehrer erwartet. Doch gerade seine einfache Sprache und ungezwungene Weitläufigkeit machten seine Schriften so verständlich und bei einem sehr breiten Leserpublikum beliebt. Deshalb war er der bedeutsamste Darsteller der Gedanken der "Brüder" für kirchliche Gläubige. Er schrieb, wie er war: im gewöhnlichen Leben war er ein äußerst liebenswerter Mann. Wir werden ihm noch mehrere Male begegnen.

(5) Ebensowenig ein Lehrer, aber sehr wohl ein außergewöhnlich begabter Evangelist war Charles Stanley. Geboren 1821 in einem Dorf in Yorkshire und bereits mit vier Jahren Waise, wurde er von seinem Großvater auferzogen. Von seinem siebten Lebensjahr an besuchte er im Winter die Dorfschule, mußte jedoch im Sommer sein Brot auf dem Land verdienen. Als er 11 Jahre alt war, nahm ein vornehmer Herr ihn in sein Haus auf und erteilte ihm einen vorzüglichen Unterricht. Zwei Jahre später sagte er beim Abschied zu ihm: "Charles, du wirst entweder ein Fluch oder ein Segen für die Menschheit werden." Durch Gottes Gnade bewahrheitete sich letzteres, denn mit 14 Jahren fand er Frieden mit Gott und hielt zu gleicher Zeit seine erste Evangelisationsansprachei Danach siedelte er nach Sheffield über, wo er einen kleinen Laden eröffnete. Erst im Alter von 23 Jahren entdeckte er seine Unkenntnis über die Schrift und begann mit einem intensiven Bibelstudium. So kam er auch bald mit den "Brüdern" in Kontakt und schloß sich ihnen von Herzen an. In ihren Zusammenkünften erfuhr er zum erstenmal die wunderbare Leitung des Heiligen Geistes, die solch einen bedeutenden Platz in seinem weiteren Leben haben sollte, wie er in seinem Büchlein The way the Lord hath led me (Wie der Herr mich führte) beschrieben hat.

Je mehr er das Wort studierte, um so kleiner fühlte er sich. Aber der Herr brachte ihn dazu, doch mit der Verkündigung anzufangen, und so begann er (zehn Jahre nach seinem ersten Auftreten) aufs neue. Jahrelang war er durch ganz England hin als Handelsreisender unterwegs und tat zugleich "das Werk eines Evangelisten". Selten öffnete er seinen Mund, ohne daß eine Seele zu Gott bekehrt wurde! Es ist nicht annähernd abzuschätzen, wieviele Tausende durch den Dienst dieses einen Mannes zu Christus geführt wurden. Entlang den Wegen, den Flüssen, im Zug, auf dem Dampfer, bei Festlichkeiten, in Kirchen und Stuben, in Küchen und Fabriken, Theatern und Kapellen, überall bezeugte er das Evangelium, und überall wurden Seelen gerettet. Obwohl er anfänglich wenig Geldmittel hatte und für eine große Familie sorgen mußte, brachte er es doch fertig, einen großen Teil seiner Zeit im Evangelium zu arbeiten, während der Herr auf wunderbare Weise für seinen Unterhalt sorgte. Der große Segen zu seiner Arbeit war ohne Zweifel mit die Folge seiner besonderen Abhängigkeit vom Herrn und seines starken Glaubens an dessen Führung. Von Mal zu Mal offenbarte der Herr ihm, daß er an bestimmte Orte gehen mußte, wo er niemals gewesen war, und im Glauben ging er, während der Herr alle Hindernisse wunderbar wegräumte.

Den größten Teil seines Lebens wohnte er in Rotherham. Er schrieb viele Traktate, unter denen das über Mephiboseth das bekannteste ist. Es läßt sich nicht abschätzen, wieviele Seelen allein durch dieses Traktat gerettet worden sind. Eine besondere Sammlung bilden die sogenannten Eisenbahntraktate, die seine Erfahrungen in der Bahn wiedergeben und die in vielen Sprachen über die ganze Welt verbreitet sind. Ich beschließe das Portrait dieses bemerkenswerten Bruders mit zwei Begebenheiten aus seinem Dienst. Einmal sagte der Herr ihm, daß er auf dem Dampfer sprechen solle, der von Hull abfuhr. Das Schiff war überfüllt mit Menschen, die vom Markt kamen, und Stanley sprach stundenlang an einem Stück, bis zum Ende der Reise. An verschiedenen Orten längs der Route stiegen Menschen aus, und Jahre später zeigte sich, daß es kaum ein Dorf an dem Fluß gab, wo nicht Menschen waren, die bekannten, sich während dieser Fahrt bekehrt zu haben! Ein anderes Mal sagte der Herr ihm, er solle nach York gehen, um dort auf dem Markt zu predigen. Das Gerücht entstand, daß er ein Irrlehrer wäre, der die Stadt in Aufruhr bringen wollte, und deshalb ließ der Bürgermeister ihn festnehmen. Als jedoch deutlich wurde, daß Stanley ein Christ ohne Mitgliedschaft in einer Kirche war, ließ der Bürgermeister ihn gehen, brachte aber eine große Polizeimacht auf die Beine, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Der Markt war voll mit Tausenden Menschen, und Stanley sprach bis zum späten Abend, während der Donner rollte und die Blitze zuckten. In dem Haus eines Freundes sprach er danach bis Mitternacht mit Bekümmerten. Das war der Anfang eines großen Werkes in York.

(6) Treffen wir in Bellett und Mackintosh auf besondere Gaben als Hirten, finden in Miller und Stanley begabte Evangelisten, so war der letzte Bruder, den ich hier nenne, ebenso wie Darby und Kelly, deutlich Lehrer. Ich meine Frederick William Grant, der am 25. Juli 1834 im Putney-Distrikt Londons geboren wurde. Durch das Lesen der Schrift kam er, ohne die Hilfe anderer Menschen, zur Bekehrung. Er durchlief King's College in London und hoffte eine Position im Regierungsdienst am Kriegsministerium zu bekommen. Es fehlten ihm jedoch die "einflußreichen Verbindungen", und deshalb emigrierte er mit 21 Jahren nach Kanada. Dort waren dringend Prediger nötig, denn überall eröffnete die Englische Kirche neue Pfarrgemeinden; nach einer Prüfung wurde Grant zum Pfarrer eingesegnet, ohne daß er dazu eine theologische Ausbildung erhalten hatte. Er begann jedoch eifrig die Literatur der "Brüder" zu lesen, was zur Folge hatte, daß er schließlich die kirchlichen System verließ. Er siedelte darauf nach Toronto über, dann in die Vereinigten Staaten, wo er in der Stadt Brooklyn wohnte. Danach ließ er sich in Plainfield (New Jersey) nieder, wo er bis zu seinem Heimgang wohnte.

Ich habe hier vor mir einen sehr interessanten Stapel Briefe, die Grant in der Zeit von 1864 bis 1875 an Darby geschrieben hat und von denen vor allem die ältesten ein gutes Bild seiner eigenen geistlichen Entwicklung geben, im besonderen, was die Entdeckungen betrifft, die eine lebendiggemachte Seele in ihrem eigenen verdorbenen Fleisch macht und in den Gefahren der Selbstsucht und des Intellektualismus. Diese Selbsterkenntnis ist um so bemerkenswerter, als er sich in seinen Schriften tatsächlich manchmal einer weniger gut fundierten Spekulation hingibt, unabhängig von den allgemeinen Gedanken unter den "Brüdern". Doch das beeinträchtigte nicht seine tiefe Einsicht in die Wahrheit, die er immer mit großer Freude entfaltete. Sein Herzensverlangen war es, Christus teurer zu machen und die Liebe zu Seinem Wort zu entfachen, damit es mehr gelesen werde. Die, die ihn persönlich kannten, liebten ihn wegen seines würdigen und noblen Charakters, der Frucht der Gnade Gottes.

Jahrelang erforschte er eifrig das Buch der Psalmen, nicht nur wegen seines Inhalts, sondern auch wegen seiner Form, seiner Einteilung in einen "Pentateuch" und seines Zusammenhangs. Als er in diesem Buch eine besondere Zahlenstruktur entdeckte, begann er weiterzusuchen und traf dieselbe Struktur in der ganzen Schrift an. Die Resultate dieser Untersuchung veröffentlichte er in den nacheinander erscheinenden Bänden seiner berühmten Numerical Bible (Zahlenbibel), in der er den Bibeltext entsprechend der von ihm gefundenen Zahlenstruktur einteilte und ausführlich mit Kommentaren versah. Eine große Anzahl anderer wertvoller Werke aus seiner Feder erschien im Lauf der Jahre. Leider wurde er 1884 mit der Anlaß zu einer traurigen Trennung in Amerika, deren Wunden noch immer nicht völlig geheilt sind.

III. ENGLISCHE KRITIKER

(1) Es ist verständlich, daß die Zeit der größten Blüte der Bewegung der "Brüder" zugleich die größte Feindschaft hervorrufen mußte, besonders auch Haß gegen die Grundsätze, die die "Brüder" liebten. Jemand sagte einmal zu C.H. Mackintosh, daß ein bekannter Redner Vorträge gegen die "Brüder" hielte. Darauf antwortete dieser: "Sage ihm, daß ich dasselbe tue, nur mit dem Unterschied, daß er gegen ihre Grundsätze predigt und ich gegen ihre Praxis." In den siebziger Jahren erschienen in kurzer Reihenfolge einige heftige Angriffe auf die «Brüderw; 1865 erschien Mearns Christliche Wahrheit und Plymouthtum. In dem Jahr darauf folgte sein Buch Brüder in den Keelhowes. 1877 (eine andere Ausgabe nennt 1870) erschien ein Buch, das außerordentlich populär wurde, aber das vielleicht der schändlichste Angriff auf die "Brüder" ist, der jemals geschrieben wurde. Dieses Buch, Die Irrlehren der Plymouthbrüder, war geschrieben von J.C.L. Carson, einem nordirischen Arzt, der eifrig einige beliebte Steckenpferdchen ritt: das Studium der Schädelformen, die Abschaffung der Todesstrafe und die Irrtümer der "Brüder". Dieses Buch wurde, wie das des schottischen Pfarrers Willi&n Reid (1875), Plymouth-Brüdertum entschleiert und widerlegt, durch leidenschaftliche Vorurteile und ein völliges Unverständnis über die Gedanken der "Brüder" gekennzeichnet. Ihre Angriffe richteten sich vor allem gegen die Führer, die am wenigsten stark waren im scharfen Formulieren der Lehre, wie Mackintosh und Stanley. Hier und da sind die Angriffe ausgesprochen lächerlich. E.J. Whateley schrieb 1876 eine Reihe Artikel gegen die "Brüder", die danach in Buchform herausgegeben wurden unter dem Titel Plymouth-Brüdertum. Pfarrer Thomas Croskery veröffentlichte 1879 ein Buch mit dem Titel Plymouth-Brüdertum: eine Widerlegung seiner Grundsätze und Lehren, in dem er die Lehre der "Brüder" als eine Vermengung katholischer und rationalistischer Elemente darstellte!

Tatsächlich gab Mackintosh gelegentlich Anlaß zur Kritik an seiner Ausdrucksweise. Er schrieb in seinen Gedanken zum dritten Buch Mose häufig über die "himmlische Menschheit" des Herrn Jesus und verband mit dieser ungenauen Umschreibung etwas gefährliche Schlußfolgerungen. Nun war er kein Lehrer, und deshalb wurde die Beschuldigung der Irrlehre viel zu' schnell geäußert. Darby nahm die Feder zur Hand (etwa 1862) und erklärte, daß Mackintosh unsorgfältig gewesen sei, daß aber seine Kritiker noch ärger seien! Mackintosh zog daraufhin die verkehrten Ausdrücke zurück, und die Sache wurde beigelegt.

(2) Es gibt zwei Kritiker der "Brüder", die von besonderem Interesse sind, weil sie bei dem Kritisieren der Grundsätze der "BrÜder" allmählich von der Wahrheit dieser Grundsätze überzeugt wurden! Diese Brüder waren Edward Dennett und B.F. Pinkerton. Ersterer wurde 1831 auf der Insel Wight geboren und anglikanisch erzogen; doch nach seiner Bekehrung wurde er Prediger einer Baptistenkapelle in Greenwich. Dennett hatte ein Buch gegen die "Brüder" geschrieben, aber 1873 wurde er krank und für ein Jahr nach Veytaux gesandt. Dort kam er in Kontakt mit "Brüdern", die in derselben Pension waren und ihn von all seinen Schwierigkeiten im Blick auf die "Brüder" befreiten. So lernte er die Grundsätze des Versammlens verstehen und erklärte sie nach seiner Rückkehr seiner Baptistengemeinde. Seine Gemeindeglieder konnten sich hiermit nicht einsmachen, und er mußte sein Amt niederlegen. Kurz danach brach er Brot mit den "Brüdern", die er zuvor bekämpft hatte. Er schrieb sogar einen Brief an Kelly, um sich für seine frühere Haltung zu entschuldigen. Dennett hat danach eine Reihe sehr geschätzter Betrachtungen über die Schrift geschrieben.

Pinkerton war Missionar und stand im Libanon im Dienst einer Missionsgesellschaft, von der er den Auftrag erhielt, Schriften der "Brüder" zu untersuchen und zu widerlegen. Diesen Auftrag nahm er an. Doch in dem Maß, wie er diese Schriften studierte, wurde er von ihrer Wahrheit überzeugt. Zum großen Mißfallen der Missionsgesellschaft machte er sich die Grundsätze, die die "Brüder" liebten, stets mehr zu eigen, bis ihm bewußt wurde, daß seine Verbindung mit der Gesellschaft nicht schriftgemäß war. Er schloß sich den *'Brüdern" an und arbeitete nun, unabhängig von Menschen und völlig im Dienst des Herrn, als Missionar in den arabischen Ländern, vor allem im Libanon und in Ägypten. Er überzeugte auch einige seiner Kollegen in Ägypten, und so entstand eine große Anzahl Versammlungen in diesem Landl Er schrieb viele Werke in Arabisch und übersetzte vieles in diese Sprache. Sein Mitarbeiter und "Nachfolger" war der in Deutschland geborene Bruder L. Schlotthauer, der mehr als 55 Jahre in Oberägypten arbeitete und 1921 in Alexandrien starb. im besonderen durch seinen Dienst breitete sich die Anzahl der Versanmlungen in Ägypten stark aus, so daß es heute ungefähr 190 sind.

(3) Um zu zeigen, daß nicht alle Prediger so scharf gegen die "Brüder" auftraten, gebe ich nun einen Auszug aus einer anonymen Broschüre von 1874 mit dem Titel Beschuldiger der Brüder (London). Darin bezieht der Schreiber Stellung für die "Brüder" und bekämpft ihre Kritiker scharf. Er sagt unter anderem: Nachdem ich nun über einen Zeitraum von fünfundzwanzig Jahren die Werke der Brüder gelesen habe und sie gründlich kenne, bin ich in der Lage, meinen Lesern zu versichern, daß diese Beschuldigungen der Irrlehre völlig jeder Grundlage entbehren. Ihre Schriften zeigen, daß sie, ebenso stark wie jede andere Gruppe Christen auch, viele Dinge bejahen, wovon mm behauptet, daß sie nicht daran festhalten: (1) die vollständige Inspiration der Schrift, e2) die wirkliche Menschheit Christi, (3) den Sühnungstod Christi als Grundlage für unsere Rechtfertigung, (4) daß durch den Gehorsam Christi Gläubige gerechtfertigt werden, (5) fortschreitende Heiligung, (6) daß Bekehrung nicht nur eine Veränderung des Gemüts ist, sondern ein Hassen der Sände und ein sittliches Selbstgericht durch den Heiligen Geist, (7) daß man allein zu Gott beten muß, (8) daß Gläubige ihre Sünden bekennen müssen, (9) daß Glaube nicht das bloße Annehmen eines Zeugnisses ist, (10) daß der Tag des Herrn göttliche Autorität hat, (11) den christlichen Dienst, (12) Ablehnung der Vollkcnymnheitslehre, (13) Festhalten an der Pflicht des Christen, im Wandel allem zu entsprechen, was sittlich verpflichtend in Gottes Wort ist, seien es nun die zehn Gebote oder etwas anderes.

Niemand anders schreibt schriftgemäßer und kräftiger gegen Sozinianismus, Rationalismus, Ritualismus, röm. Katholizismus und Antinomianismus und alle großen Irrtümer dieser Zeit als die Brüder ... Sie wurden als die Besten unserer Kirchen betrachtet, als sie sich noch dort aufhielten; und als sie sich aus diesen Kirchen zurückzogen, brach das beinahe die Herzen der Pfarrer. Warm sollten wir sie denn jetzt schlecht behandeln und verleumderisch beschreiben, die wir gern umschrieben als 'die Vortrefflichen der Erde" aus keinem anderen Grund, als daß sie in Treue gegenüber Christus und dem Gewissen nicht länger 'uns nachfolgen'? ... Ihre praktischen Schriften werden Ihnen viel Gutes tun, denn sie sind rein geistlich und schriftgemäß und sehr geeignet, um Sündern den Weg der Erlösung zu zeigen und Gläubige aufzuerbauen. Kontakt mit den Brüdern und ihren Schriften und dergleichen Werken machten Moody [den berühmten amerikanischen Evangelisten] zu dem gründlich zubereiteten Mann Gottes, der er ist, und mächtig in den Schriften. Das Lesen der Schriften von Mackintosh ... und anderer Werke der Brüder gaben ihm eine erste Grundlage in der Kenntnis seiner Bibel, wovon ganz Schottland den Segen erfahren hat. (Ich spreche über das, was öffentlich in Chicago bekannt ist.) Und die Bücher, die Moody soviel Gutes brachten, werden uns nichts Böses tun. Wo Sie solch einen gesunden Christen wie Moody jahrelang die Bücher der Brüder und seine Bibel haben genießen sehen bis zu dem rechten Verständnis, wozu er den Schlüssel von den Brüdern und in den Schriften der Brüder bekam, lassen Sie Ihre Gemüter nicht voreingenoumen werden durch alles, was gegen sie gesagt oder geschrieben worden sein mag ...

Es kommt uns in den Sinn, zu erwähnen, daß C.H. Spurgeon, als er vor einigen Jahren im Stadthaus von Glasgow predigte, christliche Liebe demonstrierte, indem er erzählte, daß er beim Lesen eines Buches sehr erbaut worden sei und sogleich einen Brief geschrieben habe, um sich bei dem Schreiber zu bedanken; und es stellte sich heraus, daß der Autor ein Plymuth-Bruder war - nämlich C.H. Mackintosh -, und das Buch war Gedanken zum vierten Buch Mose. Es war eine christliche Tat, zu schreiben und für den empfangenen Segen zu danken, und es war eine noble und männliche Tat, das öffentlich zuzugeben ... Auch wir können zusammen mit Tausenden Christen bezeugen, daß diese Bücher äußerst wertvoll sind als geistliche Hilfsmittel in christlicher Erkenntnis und fortschreitender Heiligkeit; und wir würden unsere Pflichtunseren Lesern gegenüber nicht erfüllen, wenn wir ihnen nicht von Herzen empfehlen würden, sie zuerst zu lesen, bevor sie die Schriften der Beschuldiger der 'Brüder'lesen, die sie so unbegründet verurteilt haben ...

Ich kann aus Erfahrung bezeugen, daß diejenigen, die aus meiner Kirche ausgetreten sind, zu einem großen Teil gerade die Besten unserer Gemeinde waren, was die Gottesfurcht betrifft. Sie waren am besten unterwiesen, unsere besten Arbeiter, unsere Beter, unsere Laienprediger, unsere Sonntagschullehrer, unsere Traktatverteiler, Hausbesucher, ... die hingebungsvollsten und am wenigsten weltlichen Männer und Frauen, denen ich jemals begegnet bin, treue und heilige Nachfolger des Lammes ... Ich konnte sie nicht gehen lassen, ohne sie auf meine eigene Bitte hin an ihren Versammlungsplätzen zu besuchen und ihnen ein herzliches Lebewohl zu wünschen; und niemals wußten wir, daß wir einander liebten mit solch einer tiefen und echten Liebe in Christus Jesus, wie in dem Augenblick, als wir unsere Seelen füreinander vor dem Thron der Gnade ausschütteten, unsere Herzen überwältigt von Traurigkeit und unsere Stimme beinahe erstickt von Ergriffenheit, bis wir schließlich in ein allgemeines Schluchzen und Weinen ausbrachen ... Sie waren und sind meine geliebten Brüder in Christus - das Salz und das Licht der Stadt, wo sie wohnen ... Die Öffentlichkeit beginnt, die seltsame Erscheinung zu untersuchen, die sich ihnen darbietet, daß Menschen, von denen man sagt, daß sie so schriftwidrig in der Lehre sind, doch so heilig, konsequent und schriftgemäß in ihrem täglichen Leben sind! ...

IV. ENGLISCHE SCHRIFTEN

Wir haben Über die Brüder gesprochen, die bedeutende Bücher, Broschüren und Traktate geschrieben haben, wir haben Über die Kritiker gesprochen, die diese Schriften angegriffen haben; nun wollen wir uns ein Bild machen von den wichtigsten dieser (englischen) Schriften des vorigen Jahrhunderts, und zwar beginnen wir mit den Bibelkommtaren.

Den ersten Platz unter ihnen nehmen die Schriften Darbys und Kellys ein. Es gibt keine gründlicheren und tiefschürfenderen Schriften der "Brüder" als die von Darby, doch nahm er sich leider nicht die Zeit, seine Gedanken so deutlich und einfach auszudrücken, wie es wünschenswert gewesen wäre. Er schrieb sehr schnell, so wie die Gedanken sich in seinem Geist bildeten, und häufig fast ohne ein Wort zu verändern. Er liebte verschachtelte Sätze, oft mit vielen Nebensätzen und Bemerkungen, um die Wahrheit völlig klar zu machen und einem Mißverständnis vorzubeugen. Dies machte seine Schriften für viele reizlos, ja, auf den ersten Blick sogar unverständlich, so daß selbst fortgeschrittene Gläubige das Studium aufgaben, weil sie nicht in der Lage waren, solche verschachtelten Sätze zu verarbeiten. Er war literarischem Ruhm gegenüber völlig gleichgültig und bezeichnete sich selbst lediglich als einen Bergmann, der es anderen überließ, das Erz zu schmelzen und das Metall in Umlauf zu bringen. Viele taten das dann auch, einige sogar, von denen man es nicht erwartet hätte oder die anderen gegenüber nichts Gutes über Darby zu sagen wußten.

Kelly schrieb über ihn: "Der heimgegangene Bruder Darby war ein hochgebildeter wie auch ein äußerst fähiger Mann von außerordentlicher Gelehrsamkeit in beinahe allen Zweigen der Wissenschaft, von hervorragender logischer Kraft, von einer moralischen und metaphysischen Analyse, der kaum etwas gleichkommt, ganz zu schweigen von seinen sprachkundlichen Fähigkeiten in alten und modernen Sprachen ... Was unseren geschätzten Bruder kennzeichnete als Gläubigen und als Diener, war eine Einsicht in die Gedanken Gottes in der Schrift, tiefer als sie irgendein anderer, von dem ich jemals gewußt oder gehört habe, in irgendeinem Jahrhundert seit den Aposteln jemals annähernd erreicht hätte: ebenso war seine geistliche Kraft, Christus miteinzubeziehen bei Entscheidungen in großen und kleinen Fragen. Keine seiner Werke sind oder waren populär (offensichtlich in dem Sinn von 'Bestsellern']. Sein größtes Werk ist die Synopsis; seine fähigste Kritik die Studie über Newtons Gedanken über die Offenbarung (Prophetische Schriften von J.N.D., Teil 3), und sein Meisterwerk (nach seiner eigenen Meinung) eine Broschüre: Die Gerechtigkeit Gottes nach 1. Petrus 2,24, als Antwort an Bonar. Er ist zeitweilig hier und dort großartig [was den Stil betrifft), häufig allerdings unklar; und so hoch über dem durchschnittlichen Leser, daß er nur mit Kühe verstanden wird. Man kann deshalb nicht viel über seinen Stil sagen. Wie er zu mir sagte: Kelly, du schreibst; ich denke lediglich auf Papier. Ich bin ein Bergmann und bringe das köstliche Erz zu Tage, das andere bearbeiten. Er war auf ungekünstelte Weise originell, aber hatte eine ziemliche Geringschätzung für literarisches Polieren."

Wer sich der Mühe unterzieht, sich an seine Sprache und seinen Stil zu gewöhnen, entdeckt bald den wunderbaren Reichtum, der in beinahe jedem Satz verborgen liegt. Über seine Synopsis of the Books of the Bible, einen vollständigen Bibelkommentar in fünf Bänden, hat ein Theologe einmal gesagt, daß er kein Werk kenne, das, ohne selbst inspiriert zu sein, der Heiligen Schrift so nahe kommt Wer Darby wirklich versteht, hat für das Verstehen der Hauptlinien und der Gedankenentwicklung in einem bestimmten Bibelbuch oder Kapitel an der Synopsis genug. Daneben wird er gerne zu speziellen, ausführlicheren Kommentaren über die verschiedenen (vor allem neutestamentlichen) Bücher greifen, wie sie in seinen von Kelly redigierten Collected Writings (Gesammelte Schriften) zu finden sind. Erwähnenswert sind vor allem seine Betrachtungen über die Psalmen, Jesaja, Daniel, die Evangelien (unter anderem verschiedene spezielle über Johannes), die Apostelgeschichte, die Briefe und die Offenbarung. Die Collected Writings umfassen zwei apologetische, einen kritischen, neun lehrmäßige, vier die Versammlung betreffende, zwei evangelistische, sieben erklärende, fünf verschiedenartige Fragen behandelnde, zwei praktische und vier prophetische Bände. Daneben sind nach seinem Heimgang noch sieben Bände erschienen mit Notes and Comments on Scripture, from the Note Books of J.N. Darby (Aufzeichnungen und Kommntare über die Schrift aus den Notizbüchern von J.N. Darby) und einige Bändchen Notes and Jottings from Various Meetings with J.N. Darby (Aufzeichnungen und Notizen von verschiedenen Zusammenkünften mit J.N. Darby), nun vereinigt in einem Band. Schließlich ist auch ein großer Teil seiner Briefe in drei Bänden herausgegeben worden.

So schwach wie der Stil Darbys war, so kräftig war der von Kelly. Seine Schriften sind in einem äußerst klaren und sorgfältigen Englisch geschrieben (häufig kontrolliert von einem Sprachgelehrten), das scharfsinnig und tiefgehend ist, aber zugleich im Stil so einfach, daß dieser die Leser unmittelbar anspricht. Viele seiner Bücher sind Niederschriften von Vorträgen, die in Stenografie aufgenommen wurden und aufgrund ihrer vorzüglichen Ausdrucksweise kaum korrigiert zu werden brauchten, wenn sie geschrieben waren. von seinen Bibelkommentaren können mit Darbys Synopsis am besten seine Lectures Introductory to the Old Testament (Einführungsvorträge, 1. Mose bis einschließlich Esther, und die Kleinen Propheten) verglichen werden, und ebenso to the New Testament (über das vollständige Neue Testament, in drei Bänden). Daneben hat er über viele Bibelbücher ausführlichere Betrachtungen geschrieben oder Vorträge gehalten, die zuerst in seiner Zeitschrift The Bible Treasury (Die Bibelschatzkanmer) veröffentlicht und danach als einzelne Bücher herausgegeben wurden. Es ist sehr leicht, Kellys Werke zu bekommen, weil alle Jahrgänge seines Monatsblattes noch immer neu erhältlich sind. The Bible Treasury ist zweifellos die ausgezeichnetste Bibelstudienzeitschrift, die jemals erschienen ist. Sie erschien zum erstenmal im Juni 1856 unter Redaktion von Professor Wallace, doch nach einem halben Jahr übernahm Kelly die Redaktion und setzte sie fort bis einen Monat vor seinem Heimgang im März 1906. Von da an bis Juli 1920 war F.E. Race ihr Redakteur; während dieser Zeit wurden noch viele Vorträge und Manuskripte von Kelly in dieser Zeitschrift veröffentlicht. Sein berühmtester Kcmuentar war möglicherweise sein Lectures on the Book of the Revelation (Vorträge Über die Offenbarung), ein tiefgehendes, kritisches Werk, in dem er eine gründliche Analyse von Elliots Horae Apocalypticae gibt. Interessant ist auch sein umfangreiches Buch über The Inspiration of the Scriptures (Die Inspiration der Schriften), worin er u.a. eine kurze Übersicht über alle Bibelbücher gibt.

Da wir uns noch immer auf die englischen Kommentare aus dem vorigen Jahrhundert beschränken, müssen wir nun zweifellos die Numerical Bible von Grant nennen, über die wir bereits gesprochen haben. Leider hat Grant dieses Werk nicht vollenden können; ein Teil des Alten Testaments fehlt. Neben dieser Zahlenbibel können wir vor allem seine Bücher über das erste und das zweite Buch Mose nennen. Die fünf Bücher Mose waren übrigens allgemein ein beliebtes Thema der alten "Brüder"; wir haben bereits gesehen, welch großen Einfluß die Betrachtungen von Mackintosh über die Bücher Mose gehabt haben. Nicht tiefgehend, aber originell und herzerfrischend ist'Belletts Betrachtung Über The Patriarchs (Die Erzväter). Wegen seines außergewöhnlich schönen und lieblichen Schreibstils nannte sein Freund Darby ihn "die Nachtigall unter den Schreibern". Das reiche Gefühlsleben dieses Bruders liegt in seinen Schriften völlig offen. Der Schmerz um den Verlust seines 19-jährigen Sohnes schlug eine tiefe Wunde in sein Herz und wurde der Anlaß zu seinen Meditations on the Book of Job. Andere beliebte Betrachtungen von ihm behandeln die Psalmen und die Evangelien.

Von den anderen Brüdern, die ich genannt habe, schrieb Miller u.a. Betrachtungen über verschiedene Psalmen und das Hohelied. Von Dennett wurden besonders seine Betrachtungen Über 2. Mose, Sacharja und die Offenbarung geschätzt. Stanley schrieb eine einfache Betrachtung über den Römerbrief. Der begabte C.E. Stuart schrieb Kcmmentare über eine große Zahl Bibelbücher. Unter den Werken der "Offenen Brüder" müssen vor allem die Kommentare von William Lincoln erwähnt werden.

(2) Nach diesen Kommentaren über Bibelbücher müssen vor allem die Abhandlungen biblischer Themen genannt werden, und zwar hauptsächlich die Bücher über den Charakter und die Grundsätze der Versmmlung Gottes. Für diese und für alle folgenden Kategorien gilt selbstverständlich, daß man immer zuerst die Collected Writings von Darby nachschlägt, von denen vier Bände nur von der Versamlung handeln, während man auch genügend in den lehrmäßigen und erklärenden Bänden finden wird. Was Kelly betrifft, wird man außer nach vielen Artikeln in The Bible Treasury zuerst nach seinen bekannten Lectures on the Church of God (Vorträge über die Versammlung Gottes) greifen. in unserem Jahrhundert sind viele Werke über die Versamlung hinzugekommen, doch aus dem vorigen Jahrhundert kann ich lediglich auf einige kleinere Werke hinweisen wie die Simple Papers on the Church of God von C.E. Stuart, The Blackruck Lectures von F.G. Patterson und Traktate von Stanley, Mackintosh und Trotter.

Auch die Prophezeiungen fanden besonders großes Interesse, und so gibt es viele Vorträge oder Betrachtungen namentlich über die Wiederkunft Christi von Brüdern wie Darby, Kelly, Dennett, Lincoln, Ritchie, H.H. Snell, Sir T.B. Baines, Sir R. Anderson und Dr. W.T.P. Wolston, mehr allgemeine Studien von Snell, Wolston, W. Trotter und W. Scott. Andere beliebte Themen aus dem Alten Testament waren die Schatten und Vorbilder, vor allem die der Stiftshütte, über die die wichtigsten Betrachtungen (abgesehen von den genannten Kcmmentaren über 2. Mose) von Soltau, Ritchie, Th. Newberry, W. Scott und S. Ridout stammen. Ritchie schrieb auch (ebenso wie A.J. Holiday) über die Feste in Israel, und Neiberry schrieb auch über die Tempel Salomos und Hesekiels sowie über die Opfer in 3. Mose (ebenso A. Jukes, C.E. Stuart und R.F. Kingscote).

Beeindruckend sind die beiden Bücher, die Bellett über die Person Christi schrieb. Das eine heißt: The Moral Glory of the Lord Jesus Christ (Die Herrlichkeit Jesus Christi unseres Herrn als Mensch) und das andere: The Son of God (Der Sohn Gottes). In diesem Zusammenhang nenne ich auch das prächtige Büchlein von Grant Über The Crowned Christ (Der gekrönte Christus). Auch erschienen verschiedene Werke über die Person des Heiligen Geistes, u.a. einige von Darby, und vor allem Kellys Doctrine of the Holy Spirit (Die Lehre des Neuen Testamentes Über den Heiligen Geist; ein Buch von außergewöhnlich großem Wert). Daneben sind noch erwähnenswert Another Comforter (Ein anderer Sachwalter) von Dr. W.T.P. Wolston und The Person and Work of the Holy Spirit von S. Ridout.

Bei verschiedenen Brüdern ist es schwierig, Titel zu nennen, weil ihre Werke in Serien zusammengefaßt sind unter der Bezeichnung Ministry of G.V. Wigrom, Ministry of J.B. Stoney, usw. (Ministry = Dienst). Von letzterem sollte man übrigens das Büchlein lesen, in dem er anhand vieler biblischer Personen Über Discipline in the House of God (Die Erziehung in der Schule Gottes) schreibt. Was den Rest betrifft, ist es kaum möglich, eine Aufzählung des enormen Strcmes erbaulicher und evangelistischer Lektüre zu geben, die im vorigen Jahrhundert bei den "Brüdern" erschienen ist. Ich kann höchstens auf eine Reihe Schreiber hinweisen, wie Darby, Kelly, Mackintosh, Stanley, Dennett, Wolston, Patterson, Grant, Miller, Snell, Stoney und Wigram.

(3) Es versteht sich von selbst, daß die englische Literatur der "Brüder" aus dem vorigen Jahrhundert zu einem beträchtlichen Teil apologetisch ist (d.h. der Verteidigung der Wahrheit diente). Es war die Zeit des Erwachens, sowohl der fünf weisen wie auch der fünf törichten Jungfrauen, und nicht zuletzt war England der Schauplatz zahlloser antichristlicher Strömungen. Ein Pfarrer schrieb 1875 eine interessante Broschüre mit dem Titel: Literatur und Mission der sogenannten Plynicuth-Bxikler, oder ein versuch zu eine richtigen Bewertung ihres Zeugnisses im Blick auf die geoffenbartewahrheit Gottes (London). Darin gibt er eine Aufzählung der Schriften, die in jener Zeit bereits erschienen waren, und schreibt darin folgendes über die apologetischen Schriften:

"Es steht durch göttliche Inspiration geschrieben: Wenn der Bpdränger kommen wird wie ein Strom, so wird der Geist [Hauch] Jehovas ihn in die Flucht schlagen' oder: 'ein Panier gegen ihn aufrichten' (Jes 59,19). In den letzten Jahren ist der Feind wie ein Strom gekommen; und wo gibt es in diesen Ländern etwas, das die Aufrichtung des Paniers gegen ihn genannt werden kann, wenn nicht die tiefe, geistliche Bewegung und die durch und durch biblischen Schriften der "Brüder"? Haben sie nicht, indem sie allein aus der Heiligen Schrift schöpften, ein Panier hochgehalten um der Wahrheit willen, gegen jede große Strömung des Bösen, das in den letzten vierzig Jahren aufgekommen ist? Sind nicht sie die gegenwärtigen Panierträger eines wiederhergestellten Christentums?

Wer beantwortete F.W. Newmans Phases of Faith (Phasen des Glaubens)? J.N. Darby in seinem großen Werk The Irrationalisn of Infidelity (Die Torheit des Unglaubens). (Siehe Band 6 seiner Collectod Writings). Andere haben darauf geantwortet, zweifellos, doch dieses hat das Buch widerlegt. Wer hat eine Entgegnung auf das Buch seines Bruders, Dr. Newmans Apologia pro sua Vita, gegeben? Niemand außer Darby; und er hat es getan auf dessen eigenem Gebiet, mit einer Gelehrsamkeit, die eine gründliche Sachkenntnis an den Tag legt. Wer stellte den prahlerischen Skeptizismus von Professor E. Scherer an den Pranger, als dieser auf dem Weg war von dem theologischen Lehrstuhl von Straßburg zu dem Portefeuille von der Revue des Deux Mondes? Vor allem J.N.D. in seinem Lettre sur l'Inspiration de l'Ecriture Sainte [Brief über die Inspiration der Heiligen Schrift] ... und einer darauf folgenden Broschüre De l'Oeuvre de Christ [Uber das Werk Christi). Wer hat die Sophistereien bloßgelegt und die Argumente der Schreiber der [freisinnigen) Essays and Reviews widerlegt? Nur Darby. (Siehe Band 9 seiner Collected'Writings.) Dr. Milners End of Controversy ist auch von ihm behandelt und widerlegt worden, und ebenso Bischof Colenso und Erzbischof Whateley. Er hat auch den Schreibern über Ritualismus in The Church and the World [Die Kirche und die Welt] geantwortet und sie widerlegt, wie kein anderer das getan hat. Er hat mit vorausschauendem Blick die Frage bezüglich Kirche und Staat vor 30 Jahren restlos erörtert und entschieden, wie Band 15 seiner gesammelten Schriften zeigt ...

Auch die schrecklichen Irrtümer über die Sünde und das Gericht über die Sünde, die im Ausland herrschen und sich so schnell verbreitet haben, wie die Vernichtungslehre, das nicht-ewige Bestehen der Gerichte und alle anderen Phasen des eschatologischen Skeptizismus und Unglaubens wurden von Darby wie von keinem anderen beantwortet. Und seit dem letzten ökumenischen Konzil und der Proklamation der Unfehlbarkeit des Papstes hat Darby sehr sachkundig und entscheidend gegen römische Dogmen geschrieben und das Papsttum wirksam an den Pranger gestellt anhand seiner eigenen wichtigsten Schreiber (siehe Familiar Ccnversatims on Romanism), mit einem scharfen Vorwurf gegen Erzbischof Manning. Die Gelehrsamkeit, die Anstrengung und das Studium, die nötig sind, um das zu vollbringen, was er getan hat, indem er in den letzten Tagen ein Panier gegen das Papsttum aufgerichtet hat, ist einfach erstaunlich; und obwohl er in diese große Kontroverse mit Rom verwickelt war und auch in die mit dem Unglauben, hat er nicht die kleine Kontroverse über Heiligkeit übersehen, die vor einiger Zeit unter Christen entstand, sondern hat für alle bereitwilligen Herzen auch diese Frage entschieden in seinem neuen, meisterhaften Pamphlet gegen den Perfektionismus: A Review of R. Pearsall Smith's Book 'Holiness through Faith' und in einem Brief über die praktischen Konsequenzen. Sein Dialogue on the Wesleyan Doctrine of Perfection kann ebenso angeführt werden; und seine Stellungnahme gegen E. Irving und B.W. Newton, womit er ihre falschen Auffassungen entkräftete."

Soweit dieser Pfarrer über Darby. Eine ähnliche Liste könnte man von Kelly geben; man braucht dazu lediglich den Index von Bible Treasury aufzuschlagen und seine vielen Buchbesprechungen zu lesen und auch seine Bücher mit stark apologetischen Charakter wie seine Betrachtungen über die Offenbarung, über Jesaja, über die "Geister im Gefängnis", über die Inspiration der Schrift, über die Schöpfung, über die Wiederkunft usw. Andere Schreiber, die kräftig gegen die rationalistische Bibelkritik ihrer Tage auftraten, waren F.W. Grant, C.E. Stuart und Sir R. Anderson. Vor allem die Feder des letzteren war in dieser Hinsicht sehr fruchtbar; jemand nannte ihn etwas geringschätzig "den tüchtigen Vorkämpfer des populären Protestantismus". Sein berühmtestes Buch, The Silence of God (Das Schweigen Gottes; 1898), das von der Verweltlichung des Christentum handelt, war sofort bei Erscheinen eine große Sensation und erlebte innerhalb weniger Wochen drei Auflagen!

(4) Über einen Mangel an Zeitschriften im englischen Sprachraum brauchte man im vorigen Jahrhundert nicht zu klagen. Es ist bedauerlich, daß gegenwärtig in einigen Ländern die Frage existiert, ob es wohl mehr als eine ("offizielle") Zeitschrift der "Brüder" in einem bestimmten Land oder Sprachgebiet geben sollte. Abgesehen von der eindeutig nationalistischen und zentralistischen Gefahr, die darin liegt, bedeutet eine derartige Beschränkung natürlich auch eine große Verarmung. Es ist bemerkenswert, daß beinahe jeder begabte Bruder in Großbritannien seine eigene Zeitschrift hatte, in der er, entsprechend seinen eigenen besonderen Gaben und dementsprechend für ein eigenes Leserpublikum schreiben konnte.

Die älteste Zeitschrift war, wie wir sahen, The Christian Witness (vollständig: Der christliche Zeuge, hauptsächlich über Themen in Verbindung mit dem gegenwärtigen Zustand der Kirche), die von 1834 bis 1841 in Plymuth herausgegeben wurde, vornehmlich unter Redaktion von J.L. Harris. Diese Zeitschrift wird als fortgesetzt betrachtet durch The Present Testinxxxy (vollständig: Das gegenwärtige Zeugnis und der ursprüngliche christliche Zeuge wiedererrichtet), von 1849 bis 1873 von G.V.Wigram redigiert; London). Die wichtigste Bibelstudienzeitschrift war, wie wir bereits wissen, The Bible Treasury von Kelly, das hauptsächliche Sprachrohr für viele begabte Brüder wie Darby, Bellett, Wigram, Stuart, Patterson, Stoney, Grant, Trotter, W.G. Turner und Lord A.P. Cecil.

Wir haben gesehen, daß C.H. Mackintosh in Zusammenarbeit mit A. Miller von 1858 an die Zeitschrift Thixffl New and Old herausgab (vollständig: Neues und Altes; eine Monatsschrift für die Lämmer und Schafe der Herde Christi; London); von 1880 an bis zu seinem Heimgang im Jahre 1890 war C. Stanley ihr Redakteur; danach wechselte das Blatt seinen Namen und seinen Redakteur. F.G. Patterson redigierte von 1866 an Words of Truth (Worte der Wahrheit), und J.B. Stoney von 1867 an A Voice to the Faithful (Eine Stimme für den Treuen). Diese Zeitschrift bereitete durch ihren stark beschaulichen und subjektiven Charakter mit den Weg zu der späteren Raven-Richtung. C.E. Stuart schrieb viel in der Zeitschrift Words in Season (Worte zur rechten Zeit), und Dr. W.T.P. Wolston gab eine Evangelisationszeitschrift heraus, genannt God's Glad Tidings (Gottes frohe Botschaft).

Kapitel 7 - Verbreitung und Verfall (1850 - 1879)

Die weltweite Ausbreitung des Werkes, wie sie in den fünfziger und sechziger Jahren stattfand, war hauptsächlich die Frucht der intensiven und unermüdlichen Reisetätigkeit John Darbys. In den Jahren 1847 bis 1853 hielt er sich vornehmlich in Frankreich auf (Montpellier, Pau, Nims, Marseille, Bordeaux, Montbeliard, Orthez) sowie in der Schweiz (Genf, Lausanne, Neuchätel, Vevey), um das umfangreiche Werk dort zu festigen. Fortwährend durchreiste er diese Länder in allen Richtungen und unterwies die Brüder auf zahllosen Konferenzen. Verschiedene begabte Brüder aus diesen Gebieten wurden dann ebenfalls im Werk des Herrn tätig. Um 1860 gab es in Frankreich schon etwa hundert Versammlungen und fünfundzwanzig Vollzeit-Arbeiter im Werk; in der Schweiz waren es sechzig bis siebzig Versammlungen und zehn Brüder im Werk. Andere verwandten all ihre freie Zeit im Dienst des Herrn. In Vevey sind wir bereits Charles F. Recordon (1800 bis 1870) begegnet. In Pau finden wir Pierre Schluniberger (1818 bis 1889) aus Guebwiller, dessen Wohnung als Darbys Korrespondenzanschrift während seiner Reisen diente und der einer seiner Mitarbeiter bei der neuen Ubersetzung der Bibel ins Französische war (worauf wir noch zurückkommen). Bruder Adrien Lgdrierre (1825 bis 1902) in St. Quentin ist bekanntgeworden durch sein dreiteiliges Werk über die Kirchengeschichte. Der bekannteste der alten, französischsprechenden Brüder war ohne Zweifel der Arzt Henri Rossier (1835 bis 1928) in Vevey, der durch seine zahlreichen Bibelerklärungen (teils in seiner Kutsche auf dem Weg von einem Patienten zum anderen geschrieben) eine unauslöschliche Erinnerung hinterlassen hat. Schon von frühester Jugend an kannte er Darby, wenn dieser im Haus seines Vaters zu Besuch war (der ebenfalls Schriften hinterlassen hat), und kein französischsprechender Bruder hat so dessen Werke ausgelegt und verbreitet wie er. Seine NachMmmenschaft hat nun bereits die fünfte Generation schreibender Brüder hervorgebracht.

In der deutschen Schweiz kam das Werk viel später in Gang. Wahrscheinlich hat Darby nicht vor 1850 Bern und andere Orte besucht. Ungefähr 1854 ließ sich Bruder Georges D. Ramel (1822 bis 1876) aus Neuchätel in Zürich nieder, wodurch die Bewegung dort begann. In dem Maß, wie Darby das Deutsche besser beherrschen lernte, wandte er sich vermehrt deutschsprechenden Gebieten zu. Ungefähr um dieselbe Zeit gab es in Deutschland ein geistliches Aufleben, das seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Mit diesen Ereignissen in Deutschland und gleichzeitig auch in Holland werden wir uns nun beschäftigen.

I. DEUTSCHIAND

(1) Wir haben gesehen, daß George Müller 1843 bereits eine kleine Versammlung in Stuttgart gebildet hatte. Sie blieb jedoch außerhalb der großen Bewegung stehen, die einige Jahre später begann. Zwar nahm auch diese Bewegung in derselben Gegend, nämlich in Mirttemberg, durch den Dienst von Peter Nippel in Tübingen ihren Anfang. Dieser aus Elberfeld gebürtigte Hauslehrer hatte Schriften von Darby ins Deutsche übersetzt und verbreitet, und dadurch gab es einige, die sich bereits 1847 zu dem Namen des Herrn Jesus hin versammelten. Anfang 1848 ließ sich eine Witwe, Frau von Graffenried aus der Schweiz, mit ihren Kindern in Tübingen nieder. Sie war mit den "Brüdern" in Gemeinschaft und wirkte förderlich für das kleine Zeugnis in Tübingen, mit dadurch, daß sie viele bekannte Christen in ihrem Haus empfing. Unter ihnen war Professor Tobias Beck, der Darby 1850 dort kennenlernte. Im Winter 1851/52 kehrte diese Schwester in die Schweiz zurück, wonach die Versammlung, die langsam gewachsen war, wieder abnahm.

(2) Zur gleichen Zeit war in Düsseldorf Bruder von Poseck tätig. Julius Anton Eugen von Poseck war am 2. September 1816 in Zirkwitz (Pommern) als Sohn evangelischer Eltern geboren, wurde aber in Westfalen katholisch auferzogen und sollte, ebenso wie die meisten seiner Familienmitglieder, Priester werden. 1838 gab er jedoch das theologische Studium an der Universität Münster auf und begann mit dem Rechtsstudium in Berlin, später in Bonn. Im August 1842 vollzog sich die große Umkehr seines Lebens. Während er in Köln einer Prozession zusah, wurde er zu seinem Verdruß von seinem günstigen Platz verdrängt. Das Mädchen, das dort zu stehen kam, wurde einige Augenblicke später tödlich von einem Stein getroffen, der vom Dom herabfiel. Diese wunderbare Fügung brachte von Poseck zum Nachdenken und war der Anlaß zu seiner Bekehrung.

1843 bekam er eine Arbeitsstelle in Düsseldorf, wo er 1848 William H. Darby kennenlernte, einen älteren Bruder John Darbys, mit dem er eine Zeitlang in demselben Haus wohnte und der ihn mit den Schriften der "Brüder" bekanntmachte. Mit Freuden nahm von Poseck die Wahrheit auf, gab seine Stelle auf und widmete sich fortan völlig dem Dienst des Herrn. Sofort Übersetzte er eine große Anzahl Schriften von J.N. Darby, ab 1852 auch die Synapsis. Mit Pferd und Wagen, vollbeladen mit Schriften, zogen von Poseck und William Darby durch Städte und Dörfer, und überall hielten sie Zusammenkünfte: in Benrath, Haan, Ohligs, Rheydt, Kettwig und Hilden. In Hilden entstand bereits 1849 eine der ersten Versammlungen.

(3) Die Bewegung fand unter sehr lebhaften politischen Umständen statt. In dem Revolutionsjahr 1848 brachen auch in Elberfeld Krawalle mit Barrikaden und blutigen Straßengefechten aus. Als die Schulbänke aus einer Schule geschleppt wurden, um eine Barrikade zu errichten, und der Hauptlehrer Carl Brockhaus dagegen protestierte, kostete ihn das beinahe das Leben. Übrigens litt dieser Mann sehr unter diesen Umständen, um so mehr, als im folgenden Jahr die Cholera ausbrach. Zusammen mit anderen gründete er deshalb den "Elberfelder Erziehungsverein", um sich der armen Kinder anzunehmen, und er stellte sich ebenfalls zur Verfügung, als Wichern, der Vater der Inneren Mission, Helfer suchte. Doch als Christ verstand er, daß dem Menschen nicht allein mit der Verbesserung der äußeren Umstände geholfen war; deshalb wirkte er von Herzen mit an der Gründung der "Evangelischen Brüdervereinigung*' im Juli 1850, deren Sekretär er wurde. Wir müssen den Lebenslauf dieses aktiven Mannes etwas näher betrachten.

Carl Friedrich Wilhelm Brockhaus wurde am 7. April 1822 in Himmelmert bei Plettenberg als sechstes Kind des Lehrers Friedrich Wilhelm Brockhaus geboren. Carl besuchte das Lehrerseminar in Soest, und zur UnterstÜtzung von seines Vaters kärglichem Lohn verdiente er etwas dazu, indem er Klavierunterricht gab. 1843 bekam er seine erste Stelle in einer Volksschule in Breckerfeld (bei Hagen); dort fand er auch seine zukünftige Frau, Emilie Löwen, die er 1848 heiratete, in demselben Monat, in dem er Hauptlehrer an einer Schule in Elberfeld wurde. Aus dieser Ehe gingen dreizehn Kinder hervor. In den Jahren in Breckerfeld machte Brockhaus tiefe geistliche Übungen durch. Er war wiedergeboren, wußte es jedoch selbst nicht und versuchte, Gott zu dienen, fand aber keine Kraft, so daß er einige Jahre völlig den in Römer 7 beschriebenen Zustand des Elends erlebte. Schließlich lernte er auf das vollkommen vollbrachte Werk Christi vertrauen und fand im Dezember 1845 Frieden, gleichzeitig mit seiner späteren Frau. Sofort begann er seinen Mitmenschen das Evangelium zu verkündigen und hielt in seiner Schule Bibelstunden ab.

In Elberfeld durfte er in der Schule leider keine Bibelstunden halten, doch immer fand er andere Möglichkeiten, dem Herrn zu dienen. Die Probe kam sogleich, als im Dezember 1848 die Revolution und 1849 die Cholera ausbrach. Der Wunsch, sich völlig für den Herrn freizumachen, kam ihm im Zusammenhang mit der Gründung der sogenannten "Brüdervereinigung", die unter der Leitung des Gymnasialdirektors Bouterweck und des Geschäftsmanns Grafe aus Elberfeld stand. Diese Vereinigung unterhielt elf vollzeitliche Evangelisten, unter ihnen Brockhaus. Dieser redigierte auch die Zeitschrift der Vereinigung, "Der Säemann", die in einem Jahr bereits die außergewöhnlich hohe Auflage von viertausend Exemplaren erreichte. In derselben Zeit kam er mit einigen Gläubigen in Grafes Haus in Elberfeld zusammen, um das Wort zu studieren. Unter ihnen befand sich der Schweizer Heinrich Thorens, der als Zeichner in Grafes Firma arbeitete. Dieser hatte in der französischen Schweiz die Gedanken der "Brüder" über die Stellung des Gläubigen in Christus und über die Versammlung kennengelernt und teilte sie Brockhaus mit. Begeistert begann dieser, die Schrift und die Schriften zu untersuchen, und kam dadurch bereits bald mit der "Brüdervereinigung" in Konflikt, vor allem über die Vollkommenheit des Gläubigen in Christus. Dieselbe Wahrheit, durch die er 1845 Frieden fand, führte ihn 1852 zum Austritt aus der Vereinigung, in beiden Fällen nach großen inneren Kämpfen.

Was die "Brüdervereinigung" lehrte, war, daß der Gläubige trotz seiner Bekehrung doch sein ganzes lieben lang ein armer Sünder bleibt, der niemals zur vollen Sicherheit der Vergebung seiner Sünden und zur Heiligung durch den Glauben kommen kann. Das mußten die Evangelisten auch predigen, und damit konnte Carl Brockhaus, der die volle Wahrheit nun verstehen gelernt hatte, sich nicht länger einsmachen. Er hatte gelernt, den Unterschied zwischen der Stellung in Christus und dem praktischen Zustand des Gläubigen zu sehen, und damit zog er sich allerlei Beschuldigungen der Irrlehre zu. Sein Austritt bedeutete die Feindschaft früherer Freunde und Armut für seine Familie. In Abhängigkeit vom Herrn begann er nun überall zu predigen, und trotz bitteren Widerstandes seitens der Landeskirche traten überall Gläubige aus der Kirche aus und wurden Versammlungen gebildet, wie in Elberfeld, Breckerfeld, Rüggeberg, Schwelm, Vörde und Gevelsberg. In Hessen und Nassau bestand zu der Zeit noch keine Versammlungsfreiheit, weshalb Brockhaus in Dillenburg (1853) einmal während einer Zusammenkunft festgenommen und einige Zeit gefangengehalten wurde. 1853 begann er auch eine Zeitschrift herauszugeben, die ab 1854 Botschafter des Heils in Christo hieß.

(4) Als Darby eine Nummer der Zeitschrift Der Säemann in die Hände bekam, in der der Austritt von Brockhaus und vier anderen (Alberts, Effey, Schwarz und Eberstadt, die ebenfalls Führer unter den "BrüderC wurden) beschrieben wurde, soll er gesagt haben: Miese Brüder möchte ich gern kennenlernen l " Durch Thorens hatte Brockhaus seinerseits von Darby gehört; dieser Bruder Thorens, der anfänglich sehr allein stand (obwohl er Verbindungen mit den kleinen Versammlungen in Düsseldorf und Hilden hatte), wurde der Lehrer von Brockhaus und später aller dienenden Brüder. Dieser äußerst geschätzte Bruder starb leider bereits mit 47 Jahren (1864). Wahrscheinlich auf Initiative von Thorens fand die erste Begegnung zwischen, Brockhaus und Darby statt, nachdem es 1853 zunächst einen kurzen Briefwechsel gegeben hatte. Seinen ersten Besuch machte Darby wahrscheinlich Ende 1853 oder Anfang 1854 in Elberfeld. Ende 1854 folgte ein weitaus längerer Aufenthalt. Unermüdlich besuchte Darby nah und fern die kleinen Versammlungen, wo er sich mit seinem Deutsch zu helfen wußte. Doch vor allem hatte er die Absicht, eine neue Übersetzung des Neuen Testaments anzufertigen. Dies war ein gewagtes vornehmen, weil Brockhaus kein Griechisch und Darby nur wenig Deutsch konnte! Glücklicherweise führte der Herr ihnen Bruder Julius von Poseck zu, der beide Sprachen kannte.

Eine neue Übersetzung war bitter nötig, da die sehr alte Lutherbibel zwar zu unschätzbarem Segen gewesen, aber als Übersetzung sehr schwach war. Darby schrieb: "man kann Luther nicht oft zitieren und ihm niemals vertrauen, um irgendeine Wahrheit zu beweisen." Das Werk machte schnelle Fortschritte, und bereits 1855 wurde das Neue Testament vom C. Brockhaus Verlag in Elberfeld herausgegeben. Natürlich hatte diese Pionierarbeit (das Werk wurde zur Grundlage für spätere deutsche Übersetzungen) zahlreiche Schwächen, aber trotzdem ruhte ein großer Segen darauf. 1859 folgte eine Übersetzung der Psalmen, wozu Brockhaus einige Zeit in Darbys Haus in London logierte. Erst in den Jahren 1869/70 war es Darby möglich, für die Übersetzung des Alten Testaments nach Elberfeld zu kommen. An diesem Werk hat auch Bruder H.C. Voorhoeve aus Rotterdam (Holland) teilgenommen. Bereits 1871 erfolgte die Herausgabe der gesamten Bibel, die als die "Elberfelder Bibel" bekannt ist und wegen ihrer wortgetreuen Wiedergabe des Grundtextes berühmt wurde. Spätere Ausgaben sind, was das Alte Testament betrifft, von Dr. Alfred Rochat aus Stuttgart und, was das Neue Testament betrifft, von Dr. Emil Dönges aus Darmstadt völlig überarbeitet worden. Obwohl die Übersetzung viel Widerstand erlebt hat, ist sie unter großem Segen in vielen Zehntausenden Exemplaren verbreitet worden. Der bekannte Übersetzer Dr. H. Menge schätzte sie sehr.

Die gesamte Übersetzungsarbeit Darbys ist, nebenbei bemerkt, wirklich unglaublich. Neben einer vollständigen deutschen Übersetzung brachte er auch eine vollständige französische und eine beinahe vollständige englische Übersetzung zustande. Zudem ist sein Name mit einer holländischen, italienischen und schwedischen Übersetzung des Neuen Testaments verbunden, die nach seiner Methode und seinen Erkenntnissen ausgeführt wurden. 1858/59 übersetzte er in London das Neue Testament ins Französische, und 1885 erschien in Pau die gesamte Bibel in einer französischen Übersetzung unter Mitarbeit von Bruder P. Schlumberger und J.W. Lowe (dem wir noch mehrere Male begegnen werden). Um 1870 erschien eine englische Übersetzung des Neuen Testaments, doch dieses Werk wurde, gemäß seiner Methode, erst nach seinem Heimgang (1882) fortgesetzt und 1889 vollendet.

(5) Ab 1853 (erst 31 Jahre alt) war Carl Brockhaus beinahe ununterbrochen auf Reisen.. um das Evangelium zu verkündigen, Versammlungen zu besuchen und Gläubige aufzuerbauen. Das Werk breitete sich immer mehr aus und führte ihn bis in die Schweiz, nach Holland und Schlesien (wo seit 1860 Bruder Anton Harbig, ein früherer Baptist, arbeitete). Die Briefe, die er seiner Frau, die mit elf Kindern zu Hause blieb, auf diesen Reisen geschrieben hat (und wovon 195 bis zum letzten Weltkrieg erhalten geblieben sind), zeichnen ein fesselndes Bild seiner Reisen und Erfahrungen und der Widerwärtigkeiten vieler Versammlungen (um 1880 waren es 189) in wirklich allen Teilen Deutschlands: nach dem Rheinland und Westfalen sind das vor allem Hessen-Nassau, Baden, Württemberg und Schlesien, weiterhin auch das Elsaß, Brandenburg und Ostfriesland und sogar Bayern und Sachsen. Vor allem im Sauerland, Siegerland und der Umgebung von Dillenburg entstand eine große Anzahl Versammlungen, teilweise sogar von Dorf zu Dorf . Gern hielt sich Brockhaus auch in Holland auf; seine 1857 geborene Tochter Emilie heiratete dort den homöopathischen, Arzt Dr. N.A.J. Voorhoeve in Den Haag, einen Bruder des bereits genannten H.C. Voorhoeve. Zwei andere Töchter heirateten Brüder aus der Schweiz: Marie (geboren 1859) heiratete Beny Geyelin in Zürich und Emma (geboren 1860) Jacques Favarger in Versoix bei Genf.

Von besonderer Bedeutung sind auch die Lieder von Brockhaus. Von den 147 Liedern, die die "Kleine Samlung Geistlicher Lieder" in der Ausgabe von 1908 enthielt, werden wenigstens 62 Carl Brockhaus zugeschrieben. Viele seiner Lieder wurden von seinem ältesten Bruder Wilhelm Brockhaus mit originellen Melodien versehen ( wie Lied 6; 19; 28; 49; 53; 76; 86; 89; 96; 97; 102; 108; 122; 123;). Auch Julius Anton E. von Poseck hat einen Teil der Lieder gedichtet (14; 25; 27;

36; 43; 56; 60; 70; 78; 82; 92; 101; 103; 105; 110; 115; 117), die ebenfalls teilweise von Wilhelm vertont wurden (25; 43; 78; 82; 103: 110; 117). Auch Wilhelm selbst hat einige Lieder gedichtet (z.B. 91; 99; 113; 114; 118 - das letzte hat er auch selbst vertont). Ebenfalls hat Carls Sohn Rudolf einige Lieder gedichtet (131; 135; 136; 141; 142; 144; 147) sowie der bereits genannte Dr. Emil Dönges das Lied 129 und von 146 Strophe 1 und 2.

Es war Julius von Poseck, der 1853 und 1856 eine erste deutsche Samlung von 16 Liedern herausgab. Auch sein eigenes, berühmtes Lied "Auf dem Lamm ruht meine Seele", das Frau F. Bevan ins Englische übersetzt hat, ist darin bereits enthalten. Nach seiner Mitarbeit an der Übersetzung des Neuen Testaments verzog von Poseck 1856 nach England, wo er 1857 heiratete. Verschiedene englische Schriften von ihm sind bekanntgeworden, wie Grem Pastures and Still Waters (Grüne Weiden und stille Wasser). Wir werden noch von ihm hören. Andere Arbeiter der Anfangszeit, die in Deutschland umherreisten und den Versammlungen dienten, waren Wilhelm Schumacher (Vater), Fr. Meyer (der 1867 das Lokal in Dillenburg baute), Philipp Thielmann und Jakob Heinemann.

II. HOLLAND

(1) Wir haben gesehen, daß Darby bereits 1841 bei dem Dissidenten-Pfarrer H.P. Scholte in Utrecht zu Gast war. Scholte hatte vor allem Synpathie für Darbys prophetische Auffassungen; er wanderte später nach Amerika aus, wo seine Frau sich nach seinem Tod den "Brüdern" anschloß. Inzwischen gab es um 1850 verschiedene Gläubige in Holland, die die englischen und französischen Schriften der "Brüder" kennengelernt hatten. Schon bevor dort Brot gebrochen wurde, hatte Bruder G. Willink van Bennebroek verschiedene Schriften übersetzt und herausgegeben. Auch schrieb er bedeutende Artikel in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Getuigenis van Discipelen des Woords (Zeugnis von Jüngern des Wortes) (ab 1855). 1854 machte Darby, der unterwegs war nach Elberfeld, einen Besuch in Holland. Er kannte dort, wie er schrieb, einen Bruder, der mit seiner Frau ihrer Gesundheit wegen eine Reise unternahm. Dieser Bruder hatte die Wahrheit angenommen, und Darby wollte ihn besuchen. Ein anderer Bruder wurde gesegnet durch einen französischen Bruder in Italien und andere durch einen Bruder in Genf. Leider nennt Darby nicht ihre Namen" aber wahrscheinlich gehörte Willink zu diesen Brüdern. Als Darby mit dem Schiff in Ostende ankam, war einer dieser Brüder dort zu Besuch bei einer Familie, zu deren Bekehrung er das Mittel gewesen war. Bei dieser Familie (der Mann war laut Darby ein persönlicher Freund des Königs) brach er sonntags Brot. Der Bruder aus Holland begleitete ihn über Rotterdam nach Haarlem, wo Darby sich mit denen unterhalten konnte, die Französisch sprachen. Er brach dort sonntags Brot mit einem Bruder (Willink?) und dessen Frau, die lange allein gestanden hatten. An verschiedenen Orten hielt Darby Zusammenkünfte ab, auch in Amsterdam; er sprach gewöhnlich in Französisch, was dann ins Holländische übersetzt wurde. Hier und dort hatte man bereits gelegentlich Brot gebrochen, und das begann nun regelmäßige Formen anzunehmen. 1857 besuchte Darby Rotterdam erneut und brach dort mit vier Personen Brot, von denen drei in Pau (Südfrankreich) die "Brüder" kennengelernt hatten. 1854 schrieb er, daß er die Bibel bereits zügig in Hölländisch lesen könne, und 1857 schrieb er, daß er, wenn man über geistliche Dinge sprach, beinahe alles in Holländisch verstehen könnte ...

(2) Im Osten Hollands entstanden die Versammlungen unabhängig von denen im Westen. waren sie dort durch französische Schriften angeregt worden, sahen sie im Achterhoek (Gegend in Ost-Gelderland, nahe der deutschen Grenze) das Licht durch deutsche Schriften, die durch Julius von Poseck, und William Darby so eifrig verbreitet wurden und direkt oder indirekt durch Diener wie Carl Brockhaus. Seinen Briefen zufolge muß er wenigstens 1854, 1855, 1869, 1870 und 1873 in Holland gewesen sein. Bereits 1854, also unmittelbar nach dem Verlust seines Gehaltes und seines Hauses (das der Brüdervereinigung gehörte), bekam Brockhaus eine Einladung, sich mit seiner Familie für immer in Winterswijk niederzulassen in einem Haus, das ein wohlhabender Bruder ihm kostenlos zur Verfügung stellen wollte.

Um 1860 gab es in Holland zwei oder drei Vollzeit-Arbeiter und ungefähr fünfzehn Versammlungen; die wichtigsten im Westen waren Rotterdam, Zaandam, Leiden, Den Haag und Amsterdam, im Osten Winterswijk und Dinxperlo. Wie stark das Wachstum Bekehrung und zur Gewißheit des Glaubens. Dieser energische Bruder fragte nicht nach Ehre und Ansehen, sondern trug lieber die Schmach Christi, aus Liebe zu dem Herrn und zu den Seelen.

Auf seinen Reisen kam in Aschaffenburg mit 19 Jahren auch seine spätere Frau, Sophia K.H. Linde, mit ihrer Mutter zur Bekehrung. Am 16. November 1863 heiratete er sie; am Vorabend seiner Hochzeit dichtete er das wunderschöne Lied: "Teurer Jesus, dich zu kennen, sanft zu ruhn in deinem Schoß ... das, o Heiland, ist mein' Freude" (Lied 95 im holländischen Liederbuch). Aus dieser Ehe gingen zwölf Kinder hervor. Im Jahre 1869/70 wohnte er, wie wir sahen, mit seiner Frau und drei Kindern ein Jahr in Köln, um an der deutschen Übersetzung des Alten Testaments mitzuarbeiten. Diese Arbeit regte ihn an, auch eine holländische Übersetzung vorzunehmen. Im Jahre 1877 wurde eine Übersetzung des Neuen Testaments fertig, die er (vermutlich zusammen mit anderen Brüdern wie G.P. Bronkhorst, der eine Ausbildung als Pfarrer genossen hatte) anhand eines von Darby verbesserten, kritischen griechischen Neuen Testaments angefertigt hatte. Voorhoeve ist es zu verdanken, daß viele Schriften im Holländischen erschienen. Seine ältesten Schriften, wie seine Betrachtung über den Römerbrief, mit der er kurz nach seiner Bekehrung begann, waren noch wenig mehr als Übersetzungen englischer Schriften und zeigten die Schwächen eines Jungbekehrten; doch seine späteren Schriften zeugen von einer größeren Ursprünglichkeit.

(4) Ein anderer Führer der Anfangszeit war Huibertus Johannes Lemkes. Am 16. Februar 1828 in Dordrecht geboren und religiös erzogen, arbeitete er 1848 als Hilfslehrer in Alphen aan de Rijn, ohne das Evangelium zu kennen. Dort lernte er sich selbst im Licht Gottes sehen und kam in Not über seine Sünden, um so mehr, als 1849 die Cholera ausbrach und viele in seiner Umgebung wegraffte. Niemals hatte jemand ihn mit dem Evangelium bekanntgemacht, bis er dies in einem Büchlein von Pfarrer J. de Liefde entdeckte; dadurch fand er Frieden für seine Seele. Seitdem wurde er ein eifriger Diener des Herrn; im besonderen in der christlichen Unterweisung entfaltete er große Energie. Im Jahre 1851/52 bekleidete er eine gute Position in Utrecht, kehrte jedoch nach Alphen zurück, wo er selbst eine christliche Schule errichtete, was damals eine sehr mutige Tat bedeutete. Für Alphen und Umgebung ist diese Schule zum großen Segen gewesen. Als 1873 die Impfpflicht begann, mußte er um des Gewissens willen das Schulwerk aufgeben, und es brach eine schwierige Zeit für ihn an. Zugleich wurde er jedoch völlig frei für den Dienst des Herrn, worin sich vor allem seine besonderen Gaben als Hirte zeigten. Er, der alle seine Kinder bis auf eins früh verlor, wußte, was trösten hieß.

Was die schriftliche Arbeit betrifft, so schrieb er viele Artikel für den Bode des Heils. Zudem übersetzte und bearbeitete er Millers Geschichte der christlichen Kirche. Daneben führte er eine umfangreiche Korrespondenz mit einer Reihe bekannter Persönlichkeiten auf wissenschaftlichem und politischem Gebiet. Bekannt ist sein Briefwechsel mit Dr. Abr. Kuyper, dem berühmten Staatsmann und geistlichen Führer der Dolierenden Kirche. Wie man sagt, hat Kuyper diese Korrespondenz, in der Lemkes auch über die Grundsätze des Versammelns der Gläubigen schrieb, zu einem bestimmten Augenblick abgebrochen. Als die beiden Männer einander später auf einem Bahnhof begegneten, fragte Lemkes ihn nach den Gründen hierzu. Darauf soll Kuyper geantwortet haben: "Was Sie schreiben, ist zwar schriftgemäß, aber ich kann es nicht für die Masse gebrauchen ... "

(5) Eine dritte gläubige Person, die wir beinahe ebensosehr einen "Führer" nennen könnten, war eine vom Herrn besonders begnadete Schwester, Freifräulein C.E. Holmberg de Beckfelt. Diese adelige Dame wohnte in den fünfziger Jahren als junge Frau bei ihrer Familie in der Villa "Het kleine Loo“ bei Apeldoorn. Sie war niederländisch reformiert, besaß aber keine Gewißheit des Glaubens. Auf einer Reise durch Südfrankreich kommt sie in Berührung mit den "Brüdern". Sie findet Frieden mit Gott, wird von der Wahrheit bezüglich der Versammlung überzeugt und stellt ihr weiteres Leben völlig in den Dienst des Herrn. Zurückgekehrt nach Apeldoorn, bezieht sie für sich eine Wohnung an der Loolaan und errichtet am Langeweg die "Loosche Nähschule", wo neben Strick- und Nähunterricht für die Mütter auch Sonntagsschule für die Kinder gegeben wird. unter der einfachen Bevölkerung von der Loo und Umgebung geht ein eindrucksvolles Zeugnis von ihr aus, doch von ihrem eigenen Stand erntet sie Verachtung.

Der Herr segnet das Zeugnis dieser Schwester, und verschiedene Frauen aus beiden Ständen lernen die Wahrheit kennen und nehmen ihren Platz am Tisch des Herrn ein. Da es dort keine Brüder gibt, kommen die Schwestern jeden Sonntag zusammen, um zu beten und die Schrift zu lesen. Einmal im Monat kommt ein Bruder im Werk des Herrn (H.C. Voorhoeve, G.P. Bronkhorst, H.J. Lemkes, A. oder P. de Raadt), um das kleine Zeugnis zu besuchen, und dann wird dort in einem der Räume der Nähschule mit etwa zehn oder zwölf Gläubigen Brot gebrochen. Schwester Holmberg ist für dieses Zeugnis von großer Bedeutung. Der Herr hatte ihr tiefe Einsicht in die Wahrheit gegeben, einen klaren Verstand, großen Takt und eine gute Gesundheit. Bis ins hohe Alter kann sie viele Hausbesuche machen und darf das Werkzeug zu vielen Bekehrungen sein.

Im Jahre 1879 sieht ein junger Bruder im Werk des Herrn es als Gottes Weg an, sich in Apeldoorn niederzulassen. Dieser Bruder ist Dirk Rot, der unermüdlich Kolportagearbeit in Apeldoorn und Umgebung verrichtet. Das kleine Zeugnis breitet sich schnell aus, so daß eine Zwischenwand des Gebäudes der inzwischen aufgegebenen Nähschule weggebrochen werden muß, damit ein größerer Versammlungsraum entsteht. Dort versammeln sich in den achtziger Jahren etwa 30 bis 40 Gläubige. Schwester Holmberg de Beckfelt hält in ihrem Haus Bibelstunden, die wegen ihres Alters später von Bruder Rot fortgesetzt werden. Im Jahre 1920 entschläft diese besondere Schwester im Alter von 90 Jahren; 1924 geht auch Bruder Rot heim.

III. KANADA UND AMERIKA

In der britischen Kolonie Kanada und in den Vereinigten Staaten waren bereits früh Versammlungen entstanden durch die vielen Auswanderer, die aus allen möglichen Teilen Europas über den Ozean kamen. Diese Zeugnisse waren im allgemeinen sehr schwach, weil es untereinander wenig Zusammenhang und viel weltliche Gesinnung gab. Viele zogen ja nach Nordamerika, um Geld zu verdienen, und die Sucht nach Geld bedeutete für die Gläubigen dort dann auch eine große Gefahr. Sie stürzten sich manchmal in Schulden oder zogen von einem Ort zum anderen, so daß sie sich nicht an ein geregeltes Versammlungsleben gewöhnten. Ein großes Aufleben fand statt, als Bruder R. Evans dort zu arbeiten begann. Anfänglich fand er wenig Eingang, doch allmählich wußte er die Versammlungen zu festigen und ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu wecken.

Es war dieser Bruder Evans, den Darby in Kanada aufsuchen wollte, um ihn in seiner Arbeit zu unterstützen. Im Jahre 1862 faßte er diesen Entschluß, obwohl er sich bereits alt zu fühlen begann, doch er fühlte sich vom Herrn ermutigt. Im August überquerte er zum erstenmal den Atlantischen Ozean und besuchte Toronto, London (Ontario) und vor allem Hamilton. In Kanada gab es zu der Zeit erst ungefähr 250 Gläubige in Gemeinschaft mit den "Brüdern". In dem kalten Winter besuchte er auch Guelph, das ein sehr bekannter Konferenzort wurde, und zog tief in die Wildnis, um einsame Gläubige aufzusuchen. Im Frühjahr 1863 besuchte er auch den Staat New York, Detroit, Chicago, St. Louis und kam sogar bis auf 100 km an den Mississippi heran. Vor allem französische und schweizerische Einwanderer fand er in den kleinen Zeugnissen. Nach einer Reise von 2000 Meilen kam er im Sommer nach Toronto zurück. Auch unter den Indianern (die er sehr sympathisch fand) hatte das Wort Eingang. Nach Besuchen in Montreal, Ottawa, New York (bei den Schweizer Brüdern) und Philadelphia kehrte er im Oktober 1863 nach England zurück.

Von Anfang an fühlte Darby sich bemerkenswert tief mit den Brüdern in Kanada verbunden. Ihr außergewöhnlich herzlicher Empfang hatte einen erfrischenden Eindruck auf ihn gemacht. Er schrieb, daß die Reise ihm selbst sehr gut getan habe, daß er sich stärker denn je dem Herrn verbunden fühle und daß er aufs neue tief empfinde, wie sehr der Gläubige und die Versammlung als Ganzes von der Welt geschieden sind. Diese letzten Eindrücke empfand er um so stärker angesichts der weitgehenden weltlichen Gesinnung der amerikanischen Kirchen. Der Amerikaner konnte sich Ansehen verschaffen, indem er Mitglied einer Kirche wurde, gab sich aber neben dieser Formalität gern allerlei weltlichen Vergnügungen hin und suchte Tanzlokale und Theater auf. Darby war niedergeschlagen, daß ein Volk so äußerst religiös und zugleich so weltlich sein konnte ...

(2) Natürlich verlangte er danach, so schnell wie möglich nach Kanada zurückzukehren, und bereits im Oktober oder November des folgenden Jahres (1864) bekam er die Gelegenheit. Im Dezember finden wir ihn in Montreal, danach besucht er eine Konferenz in Toronto, kommt während eines Schneesturms in Collingwood an, was ihm nicht schadet, denn er reist in einem Zugabteil mit einem Fußwärmer ... Die meiste Zeit ist er in Toronto, doch im Juni (1865) finden wir ihn in New York, West Townsend und Boston. Hier bekommt er (wie auch auf folgenden Reisen) mit allerlei Formen von Irrlehre zu tun, wie der Leugnung der Unsterblichkeit der Seele, der Vernichtungslehre, dem aufkummenden Adventismus und dem Rationalismus. Im Herbst 1865 kehrt er nach England zurück.

Im Juli 1866 reist er jedoch bereits wiederum nach Kanada. Dort macht er trotz der Hitze eine sehr gesegnete Konferenz in Guelph mit, wo Gläubige (auch Indianer) aus allen Teilen der Vereinigten Staaten und Kanadas versammelt sind, viele jung bekehrt. Diesmal soll die Reise beinahe zwei Jahre dauern. Im Sommer durchreist er Milwaukee, Illinois und Michigan mit Wagen und mit dem Zug (1800 Meilen!). Aufs neue wird er mit allerlei Irrlehre konfrontiert, selbst unter den "Offenen Brüdern". Überall verspürt er den großen Bedarf an Arbeitern. Im Herbst besucht er verschiedene Orte in Kanada (u.a. Quebec), doch im Winter und im Frühjahr 1867 finden wir ihn wieder in New York, Boston und Carrbridge (Mass.). Im Juni besucht er erneut die große jährliche Konferenz in Guelph, wo wieder viele Jungbekehrte anwesend sind und die Brüder eine gesegnete Zeit erleben. Aufs neue reist Darby umher, u.a. nach Milwaukee (August), Toronto (September), Ottawa (November), New York (Februar 1868) und Montreal (März, April) und kehrt im Frühsommer nach England zurück.

(3) 1870 schreibt Darby, daß es nun ungefähr sieben Vollzeit-Arbeiter in Amerika gibt. Selbst unterzieht er sich der Mühe, für einen Blitzbesuch von sechs bis acht Wochen erneut den Ozean zu überqueren, in besonderen, um der Konferenz in Guelph wieder beizuwohnen. Wieder ist es dort sehr heiß, wieder sind dort viele Jungbekehrte, wieder sind die Brüder aus allen Teilen zusammengekommen. Die Konferenz wird in einem großen Zelt gehalten, und einige schlafen auch in Zelten. Das Werk ist deutlich in eine neue Phase gekommen, weil die Versammlungen in Kanada sich nun in einem stabilen Zustand befinden, während in Amerika eine umfangreiche Arbeit unter den eigentlichen Amerikanern begonnen hat. Neben den Einwandererversammlungen entstehen nun auch Zeugnisse unter den gebürtigen Amerikanern.

Auf seiner fünften Reise nach Amerika (Mai 1872) kommt Darby mit diesem neuen Werk in Berührung. Neben Boston und St. Louis besucht er erneut die Sommerkonferenz in Guelph und beginnt in Springfield (Ill.) mit sechs Gläubigen Brot zu brechen (November). Auch in St. Louis und Chicago findet er neue "amerikanische" Zeugnisse. Noch immer treten allenthalben Pfarrer aus den Kirchen aus, um sich den "Brüdern" anzuschließen. Über Lexington, Montreal, Boston (wo er täglich Vorträge hält) und Concord (wo er aufs neue mit den Adventisten konfrontiert wird) reist er nach New York und von dort nach England (Sommer 1873).

Bereits ein Jahr später (August 1874) geht er an Bord zu seiner letzten Überseereise, die diesmal die Höchstdauer erreicht: drei Jahre! Neben Boston finden wir

ihn im Winter in New York, wo er viel zu tun bekommt mit dem Werk des großen Evangelisten D.L. Moody. Schon früher einmal hatte dieser ihn eingeladen, in Farwell Hall (Chicago) eine Reihe biblischer Vorträge zu halten, doch diese wa­ren plötzlich beendet worden, als sich herausstellte, daß Moody lehrte, der Mensch habe einen freien Willen. Darby legte dar, daß der Mensch, obwohl er, was seine Verantwortlichkeit betrifft, aufgefordert wird, sich zu bekehren, in Wirk­lichkeit einen verdorbenen Willen hat" der durch Gottes Gnade überwältigt und in die rechte Richtung gelenkt werden muß. Moody beharrte darauf, diese Wirksamkeit der Gnade Gottes bei der Bekehrung zu leugnen, und schließlich schlug Darby sei­ne Bibel zu und sagte, daß er so nicht fortfahren könne. Er freute sich weiter­hin über den Segen, der auf Moodys Werk ruhte, bedauerte aber zutiefst, daß die­ser auch noch lehrte, daß Christus die Sünden aller Menschen (nicht nur die der Gläubigen) getragen habe, so daß der Unbekehrte nur wegen seines Unglaubens ver­lorengehe.

Im Februar 1875 finden wir Darby wieder in Boston, wo er feststellt, daß die "Brüder" überall das Gesprächsthema bilden, sogar in weltlichen Zeitschriften, und daß viele Außenstehende anerkennen müssen, daß es keine besseren Schriftken­ner gibt als sie. Über New York, Vineland und Philadelphia (April), Chicago (Mai, Juni), St. Joseph, Alton und St. Louis kommt er in Omaha an, wo er einen Schlafwagen nimmt, um in einer ununterbrochenen Reise von 96 Stunden durch die rauhen, unbewohnten Berge nach St. Francisco zu reisen, wo er zehn Tage bleibt. Von dor‑t überquert er im August 1875 den Ozean nach Neuseeland (siehe später), von wo er etwa im April 1876 nach St. Francisco zurückkehrt. Im Juni reist er von dort nach Chicago, wohnt einer großen Konferenz in Brantford (Kanada) bei und einer zweiten Konferenz in Montreal; die erste war mehr auf die Jungbekehr­ten ausgerichtet und die zweite mehr auf Belehrung für Fortgeschrittene.

Darby verlangte sehr danach, nach England zurückzukehren, da er nun seit zwei Jahren fort war. Doch der Herr hatte noch viel Arbeit für ihn zu tun, und zudem fühlte er, daß dies sein letzter Aufenthalt sein würde. Obwohl er in seinen Briefen immer sein Verlangen nach England aussprach, blieb er mit doppelter Energie an der Arbeit, um überall von seinen geliebten Brüdern in Kanada und Amerika Abschied zu nehmen. Wir finden ihn im Juni in Hamilton, im August in To­ronto, im September in Belleville, im Oktober in Ottawa, im November in Quebec und Boston, wo er bis Januar 1877 bleibt. Die folgenden Monate ist er in New York, darauf in Halifax (N.S.), wo er in seinem hohen Alter noch beinahe bestän­dig drei Zusammenkünfte pro Tag hält! Über Ottawa kehrt er zurück nach Quebec, wo er sich im Juni 1877 endlich nach England einschifft.

(4) Aus dieser Periode möchte ich den Lesern noch einige junge Arbeiter vorstel­len. Wir haben Frederick W. Grant (1834‑1902) bereits kennengelernt; auch sein Bruder Robert T. Grant (von dem ich hier einen enormen Stapel Briefe an Darby vor mir liegen habe) war ein früherer Pfarrer aus Kanada, der sich später in Ios Angeles niederließ. Dort begann er einen blühenden Verlag, vor allem für spani­sche Traktate, der noch immer floriert. von diesem Ort sind im Lauf der Jahre viele Millionen Traktate ausgegangen in Spanisch, Italienisch, Französisch, Por­tugiesisch, Chinesisch, Japanisch, Russisch, Englisch und philippinischen Dia­lekten und weiteren Sprachen. Das Werk von R.T. Grant wurde fortgesetzt von W.H. Crabtree, dann von W.J. Missen und später von anderen.

Ein anderer Diener, Lord Adalbert P. Cecil, wurde als Sohn des Marquis von Exe­ter am 18. Juli 1841 geboren. Als junger Mann kam er zur Bekehrung und widmete sich danach völlig dem Dienst des Herrn. Ein späterer Mitarbeiter sagte von ihm, daß er der gottesfürchtigste Mann sei, den er kenne, ein Mann, der all seinen Reichtum und seine Stellung zu den Füßen des Herrn niedergelegt habe. Nach ei­nigen Jahren des Dienstes zog er nach Kanada, um dort mitzuhelfen, das Werk des Herrn zu fördern (siehe Kapitel 9). Im Jahre 1889 ertrank er, nachdem sein Boot bei dem Versuch, seinen Gefährten zu retten, umgeschlagen dar.

Paul J. Loizeaux wurde ebenfalls 1841 geboren, und zwar in Lemé (Nordfrank­reich). Die elterliche Familie wanderte 1853 nach Amerika aus, wo sie in Iowa bei dem Dorf Vinton Landwirtschaft trieben. Die Familie las treu in der Bibel, doch erst nachdem Paul Frieden gefunden hatte, wurde er das Mittel zur Bekehrung für die ganze Familie. Er machte 1862 ein glänzendes Endexamen am Charlier In­stitut in New York und begann Jura zu studieren. Um des Gewissens willen gab er dies jedoch bald auf und widmete sich fortan völlig dem Evangelium. im Jahre 1870 nahm er an der großen Konferenz in Guelph teil (siehe oben), wo er von Dar­by die Wahrheit kennenlernte und sich den "Brüdern" anschloß, was seine Frau be­reits früher getan hatte. Er verzog 1879 nach New York und später nach Plain­field, von wo aus er überall die Versammlungen besuchte. Doch das Evangelium blieb sein Hauptgebiet. Er schrieb eine Anzahl Broschüren, von denen die über Daniel Mann (einen zum Tode verurteilten Verbrecher, der durch seinen Dienst im Gefängnis zum Frieden kam) in Millionen Exemplaren verbreitet worden ist. Sein Name ist vor allem bekannt durch den großen, noch immer blühenden Verlag (nun "Loizeaux Brothers"), den er in Vinton zusammen mit seinem Bruder, Timothy 0. Loizeaux (1847 ‑ 1927), cjründete, einem ebenfalls sehr geschätzten Diener, vor allem in seelsorgerischer Arbeit. Von diesem Verlag wurde, ohne Kapital, doch mit einem großen Glauben, die Numerical Bible von F.W. Grant herausgegeben, der sich, ebenso wie die beiden Brüder, in Plainfield niederließ. Paul Loizeaux ging am 3. Oktober 1916 heim.

In demselben Dorf Vinton treffen wir einen anderen Arbeiter, nämlich Alexander H. Rule. Geboren am 6. Mai 1843 in Hawick (Schottland), emigrierte er mit seinen Eltern 1852 in die Vereinigten Staaten. Als ältestes von 11 Kindern mußte er auf dem Bauernhof mithelfen, wurde jedoch später zum presbyterianischen Pfarrer aus­gebildet und als Missionar nach Ägypten gesandt. Dort fühlte er sich gedrungen, über das Kommen Christi zu predigen sowie über die Entrückung der Versammlung und andere Wahrheiten, die von seiner Kirche abgelehnt wurden. Deshalb mußte er das Werk aufgeben und kehrte 1873 mit Frau und Kind nach Amerika zurück, wo er sich in Vinton niederließ. Dort kam er mit der örtlichen Versammlung in Kontakt und nahm dort bald seinen Platz ein. Im Jahre 1880 verzog er mit seiner Familie nach Des Moines (Iowa), wo er ein kleines Zeugnis bildete und den größten Teil seiner mündlichen und schriftlichen Arbeit verrichtete. Eine Auswahl aus seinem Dienst ist in zwei Bänden herausgegeben worden. Er entschlief am 2. Juli 1906.

Noch jünger war ein anderer Diener, den wir trotzdem am besten hier nennen kön­nen, nämlich Samuel Ridout. Im Gegensatz zu den vorigen wurde er in Amerika ge­boren, und zwar am 22. Oktober 1855 in Annapolis (Maryland). Mit vier Jahren wurde er Waise und wurde von seinem gottesfürchtigen Großvater auferzogen. Mit 18 Jahren legte er sein Endexamen am St. John's College in derselben Stadt ab. Seine Gesundheit ließ stark zu wünschen übrig, und deshalb schloß er sich der gesunden Seeluft wegen der Marine an. Diese Zeit endete nach drei Jahren. In dem Verlangen, etwas für den Herrn zu tun, erteilte er Unterricht in einem armen Bergbaugebiet und arbeitete in seiner freien Zeit als Kolporteur. Er beschloß, Pfarrer zu werden, und studierte dazu im Jahre 1880 am Princeton Seminar. Sein erstes festes Amt erhielt er in Baltimore, wo er jedoch nach ungefähr einem Jahr mit den "Brüdern" in Berührung kam. Er trat aus der presbyterianischen Kirche aus und schloß sich der örtlichen Versammlung an, predigte aber weiter das Wort, während er eine einfache Stelle als Büroangestellter annahm. Doch bald wurden seine besonderen Gaben erkannt, so daß er völlig für den Herrn arbeiten konnte. Nachdem er von 1903 bis 1912 in Boyertown gewohnt hatte, ließ auch er sich da­nach in Plainfield nieder. Er wurde der besondere Mitarbeiter des 21 Jahre älte­ren F.W. Grant, vor allem bei der Herausgabe von dessen Numerical Bible, und schrieb auch selbst verschiedene Bibelkommentare, wie über den Pentateuch, Richter und Ruth, König Saul, Hiob, die Evangelien, den Hebräerbrief, die Person und das Werk des Heiligen Geistes, die Stiftshütte und die Versammlung. Am 22. Februar 1930 starb er an einem Herzinfarkt.

IV. ANDERE LÄNDER

(1) Zwischen seiner dritten und vierten Reise nach Nordamerika machte John Darby auch eine Reise nach Westindien. Er hatte dieser Reise mit ziemlichen Befürch­tungen entgegengesehen, denn, schrieb er, "ich liebe weder Winterstürme auf See noch Skorpione noch Hitze; doch der gnädige Herr wird für mich sorgen, wenn es Sein Dienst ist und Sein Wille, daß ich gehe." Am 17. November 1868 reiste er ab nach Britisch Guayana, um dort die Versammlungen zu besuchen, die nach der Bethesda‑Trennung übriggeblieben waren. Die Schiffsreise war etwas ungewöhnlich für ihn, weil er wenig Gelegenheit zu Gesprächen hatte; zu Tisch saß er mit Spa­niern, während er selbst kein Spanisch konnte. In Georgetown, wo er vom Dezember bis zum Februar 1869 blieb, traf er ein ziemlich junges Werk an; unter den 350 Brüdern und Schwestern der Kolonie war Segen, obwohl es einige Schwierigkeiten gab. Im Februar kam auch Wigram an.

In demselben Monat reiste Darby nach Barbados, wo viel Interesse war. Viele er­klärten, daß sie niemals früher das wirkliche Evangelium gehört hatten, und sehr viele fanden Frieden. Jeden Sonntag wurden neue Personen hinzugefügt. Verschie­dene kirchliche Gläubige kamen in ernste Gewissenskonflikte über die Frage, ob sie sich der unbedeutenden Versammlung anschließen sollten. Im März kam er in Kingston auf Jamaika an, wo kaum ein Arbeiter war, obwohl sich dort einige Gläu­bige in Eintracht versammelten. Darby war begeistert von der Schönheit des Lan­des; in Kingston bewohnte er ein nettes, ruhiges Landhaus am Hafen, eine Meile außerhalb der Stadt, mit Kakaobäumen, großen Kaktushecken, Spottdrosseln und ei­ner wunderschönen Berg‑ und Waldlandschaft. Doch die Bevölkerung war ärmlich und die Gesellschaft primitiv, beinahe ohne Herbergen und Droschken; das einfachste war es, eine Kutsche mit Pferden zu kaufen und so ins Innere des Landes zu zie­hen, eventuell mit dem Pferd weiterzureisen, wo der Weg aufhörte. Darby zog etwa 100 Meilen über die Insel und fand die Brüder in Ruhe, vielleicht etwas zu ruhig (wie er schrieb). Ende Mai kehrte er nach England zurück.

Darby schrieb 1873: "Was Westindien betrifft, so geht Barbados mit beträchtli­chem Segen voran: Demrara, eine Anzahl in Gemeinschaft, ich denke, mehr als dreihundert an vier Orten, doch ziemlich tot. Ich dachte, daß iamaika ein großes Arbeitsfeld bot, als ich dort war, und es schien mir, daß die 7Uren offen waren. Es gibt ungefähr 300 in Gemeinschaft in fünf oder sechs Versammlungen." (26 J.N. Darby, Letters Bd. 2 (a.a.0.). S. 210.)

Wir haben gesehen, daß Darby während seiner sechsten Überseereise auch acht Mo­nate in Neuseeland war. Er hatte bereits 1872 dorthin reisen wollen, aber es fielen verschiedene Schiffe aus. Im Juli 1873 wünschte er erneut aufzubrechen, doch in diesem Monat reiste Wigramauch schon dorthin. Im Juni 1874 äußerte er erneut sein Verlangen, wartete jedoch, die Hand des Herrn zu sehen, um so mehr, da es ein großes Unternehmen war, in seinem hohen Alter solch eine gewaltige Reise zu machen, und auch, weil er darauf vertraute, daß Wigram mit viel Segen in den EinwandererVersammlungen arbeitete. Als er 1875 in den Vereinigten Staa­ten war, nahm sein Verlangen noch mehr zu und sah er den Weg offen. Im August machte er die 6.000 Meilen lange Seereise von San Francisco über Honolulu nach Auckland in Neuseeland. Die See war sehr ruhig; unterwegs lernte er die Eingebo­renen der S&noa‑Inseln kennen. So weit von zu Hause entfernt und so alt, schrieb er mehrere Male, daß er sich noch mühe, solange der Herr ihn senden würde, aber daß er sehr nach der ewigen Ruhe verlange ...

Er genoß zwar das schöne, wilde Land, die Berge, die dunklen, braunen Bäume und das herrliche Klima, das eine Wohltat für seine Gesundheit war. Er besuchte die Brüder in Auckland, Motueka und Umgebung, wo er zwei oder drei Erdstöße miter­lebte; danach in Nelson, einem "schönen, ruhigen, sauberen und ordentlichen Ort"(27 Ebenda, S. 355.) (Oktober). Es gab Bekehrungen, einige wurden den Versammlungen hinzugefügt, und einige neue Versammlungen wurden gebildet, verschiedene verhältnißmä­ßig zahlreich; doch er wurde auch bei einigen ernsten Zuchtfällen hinzugezogen. Auch mußte er sich einem allgemein verbreiteten Übel widersetzen, nämlich daß einige treue Brüder für die ganze Versammlung Beschlüsse faßten, statt daß die ganze Versammlung diese Beschlüsse faßte. Im Februar war er in Wellington und im März in Christchurch. Danach reiste er hinüber nach Australien, wo er zu Ostern einer großen Konferenz in Melbourne beiwohnte. Von dort ging er nach Sydney, wo er den Postdampfer nach San Francisco nahm ‑ eine Reise von 31 Tagen entlang den Fidschi‑ und Sandwich‑Inseln.

Ein Ereignis in Neuseeland ist sicher erwähnenswert. Bruder J.G. Deck, der be­kannte, gottesfürchtige Liederdichter, der in England zu großem Segen gewesen war, hatte nicht den Mut gehabt, sich bezüglich der Bethesda‑Frage zu entschei­den, und war deshalb 1853 nach Motueka in Neuseeland ausgewandert. Doch die Fra­ge verfolgte ihn auch dort, und er konnte ihr nicht ausweichen, geriet aber un­ter den Einfluß Bethesdas. Ich habe hier einige Originalbriefe von ihm und von seinem Sohn Samuel J. Deck an Darby vor mir liegen, und daraus ist ersichtlich, daß Samuel um 1872 über diese Frage eine Broschüre geschrieben hat, die den Standpunkt Bethesdas verteidigte. Gerade das öffnete seinem eigenen Vater die Augen; er sah dadurch, daß er die Einheit der Versammlung Gottes preisgegeben hatte; auch hatte er seine geistliche Gemeinschaft mit Gott sowie die kostbare Wahrheit völlig verloren. Dies lernte er aufrichtig und in tiefer Demut erkennen und schrieb das an Darby. Gott öffnete viele Herzen, und die "verständigen Brü­der" kamen beinahe alle zurück, mit Ausnahme von zwei Orten. Deck selbst war sehr ermutigt und glücklich. Darby schrieb von ihm: "Die ungewöhnliche Freund­lichkeit seines Charakters war manchmal eine Schlinge für ihn, doch er war auf­richtig, und Gott befreite ihn; und seine Frömmigkeit, Gnade und Hingabe waren größer als bei vielen ‑ ich kann wohl sagen, den meisten ‑ und Gott gebrauchte ihn dort sehr viel."( 28 Ebenda, Bd. 3, S. 52.) Er entschlief am 14. August 1884.

(3) Was andere Länder in Europa betrifft, so konnte Darby 1878 schreiben: "Es begann in Dublin, um sich auszubreiten auf den Britischen Inseln, in Frankreich, wo eine große Anzahl Personen, öffentlich Ungläubige, bekehrt wurden; in der Schweiz, wo das Werk auf dem Kontinent begonnen hatte, in Deutschland, in Holland, in Dänemark, wo es am Anfang steht, in Schweden, wo im Augenblick eine große religiöse Bewegung zugange ist."29 über diesen Anfang in Dänemark und Schweden wissen wir weiter übrigens sehr wenig. Darby schrieb 1879: "In Schwe­den, Norwegen, Deutschland ist ein ansehnliches Werk im Gang, und es gibt viel Grund zur Dankbarkeit, sogar in Spanien, und es ist deutlich das Werk des Herrn."30 Einige Male schreibt Darby anderswo ebenfalls über offene Türen in Spanien; wir wissen, daß Bruder W.i. Lowe dort ein großes Werk begann (siehe S.

Von der Schweiz aus gab es einigen Einfluß nach Italien; dort war vor allem Bru­der Biava in Wort und Schrift tätig. 1861 hatte Darby bereits nach Italien gehen wollen, doch die Zeit war damals gerade weniger geeignet, weil ziemliche Abnei­gung gegen die "Brüder" aufgelodert war. Er konnte die Sache lediglich Gott überlassen und mit Geduld auf Dessen Zeit warten, obwohl er einen klaren Anfang in Italien aufblähen sah. Im September 1869 sprach er erneut sein verlangen nach Italien aus, wo die Tür offen schien, obwohl das Zeugnis sehr schwach war. Indem er auf Gottes Zeit wartete, studierte er eifrig Italienisch. Im November 1871 treffen wir ihn endlich in Pallamaglio bei Turin an, wo er täglich Vorträge hielt und die kleine und sehr schwache Versammlung unterstützte. Darby schrieb 1873 über ein kleines Zeugnis in Como. Am 16. Februar 1874 nahm er an einer Kon­ferenz in Mailand teil, wo er viel Segen erfuhr, doch aufs neue unter den Ein­druck der Schwachheit kam, teils verursacht durch Unruhe stiftende, "bezahlte Agenten von Bethesda." In Mailand, wo er bis zum April blieb, bestand eine kleine Versammlung, wo Darby sich mit einigen Arbeitern unterhielt, die die Wahrheit über das Kam)en des Herrn kennengelernt hatten. Bruder E.L. Bevir schrieb 1876 an Darby, daß auch in Florenz einige begonnen hatten, Brot zu brechen. Darby konnte keine Ansprache in Italienisch halten, doch in den Gesprä­chen konnte er sich gut helfen. Es ist möglich, daß er den Brüdern in Italien bereits bei der Anfertigung einer Übersetzung des Neuen Testaments geholfen hat; in jedem Fall erschien 1891 eine solche Übersetzung, ausgeführt nach Darbys Me­thode und Verständnis.

V. Unruhen in England

(1) Während an anderen Or‑ten der Welt die Bewegung gerade erst begonnen hatte oder gerade in ihrer ersten Blüte stand, sehen wir in England leider bereits Zeichen des Verfalls. Ich will einige Fragen, die in den sechziger und siebziger Jahren aufkamen, kurz behandeln, nicht weil sie erbaulich, sondern weil sie so lehrreich sind. sie haben noch lange den Widersachern, ün besonderen den "offe­nen Brüdern", Anlaß zu Verleumdungen gegeben, zeigen aber andererseits auch Ten­denzen unter den "Brüdern" selbst, die äußerst gefährlich sind und viele unnöti­ge Trennungen verursacht haben, im besonderen unter den so individualistischen Engländern.

Eine solche Frage war der Fall Sheffield (1860 ‑ 1863). Wir haben gesehen, daß die verschiedenen Versammlungen in London als Ausdrücke der einen Versammlung Gottes in London betrachtet wurden, weil die Schrift wohl über die Versammlungen in einem Landstrich, aber immer nur von einer Versammlung in einer Stadt spricht. Um diesen Grundsatz praktisch zu verwirklichen, war, wie wir sahen, die "Samstagsversammlung" oder "Inndon Bridge"‑Versammlung ins Leben gerufen worden, wo Fälle von Zulassung und Ausschluß besprochen wurden, obwohl die Entscheidun­gen selbstverständlich bei den verschiedenen Versammlungen blieben. 1860 schloß die Priory‑Versammlung in Islington (wo auch Darby Brot brach, wenn er in London war) einen gewissen Alexander Stewart aus und teilte dies auf der zentralen Ver­sammlung mit. Die Walworth‑Versammlung widersetzte sich dem und ignorierte den Beschluß, was schließlich dazu führte, daß auch die ganze Versammlung ausge­schlossen wurde; dazu kamen andere Gründe. Darby schrieb mit vielen Worten, daß dies hätte verhindert werden können, wenn die Priory‑Versammlung den anderen Ge­legenheit gegeben hätte, zu wissen, zu welchem Beschluß sie gekommen waren, und eventuelle Einwendungen zu machen."32 Die Sache war jedoch leider durchgedrückt worden.

Wie die Situation jedoch nun war, konnte man nichts anderes tun, als beide Be­schlüsse anzuerkennen, denn unabhängige Versammlungen sind ein noch viel größeres Übel. Ein Bruder von der Walworth‑ (nun Peckham‑) Versammlung, Coodall mit Namen, ging aber 1863 nach Sheffield und wurde dort zum Brotbrechen zugelassen, obwohl die Brüder dort völlig über die Sache Ün Bilde waren. Zur Entschuldigung schrieben sie einen Brief an das benachbarte Rotherham, das jedoch (in der Per­son von Charles Stanley) zurückschrieb, daß Sheffield sich in dieselbe Stellung wie Goodall und damit außerhalb der Gemeinschaft mit London und also mit allen Versammlungen gestellt hätte. Die formelle Richtigkeit dieses Standpunktes be­stätigte Darby ausführlich in einem Brief vom 19. Februar 1864 an Bruder Spurr von Sheffield: "... wie kann ich es ablehnen, mit ihm [Goodall] in London zu es­sen und in Sheffield mit ihm Brot zu brechen? ein Gewissen haben für London und ein anderes für Sheffield?',33 Das Aufrechterhalten dieses Grundsatzes ist höchst wichtig: Wer in einer Versammlung oder zusanymn mit der ganzen Versanmlung aus­geschlossen ist, ist in allen Versammlungen ausgeschlossen. Doch das richtige Anwenden dieses Grundsatzes ist sicher genauso wichtig; und dann kann man sich fragen, weshalb Priory nicht mehr Geduld mit Walworth und Rotherham mit Shef­field gehabt hat, um die Gewissen zu üben, ehe man ein Urteil fällte.

(2) Einige Jahre später entstand eine viel betrüblichere Frage, die Darby einige seiner treuesten Freunde kostete, die aber andererseits sehr lehrreich ist, weil eine bedeutsame Wahrheit dadurch scharf ins Licht gerückt wurde. Darby hatte nämlich eine Artikelserie über The Sufferings of Christ (Die Leiden Christi) ge­schrieben, worin er darlegte, daß der Herr Jesus drei Arten von Leiden erduldet hat:

(a) die sühnenden Leiden im Blick auf die Sünde in den drei Stunden der Finster­nis, in der Verlassenheit von Gott; diese Leiden hat Er selbstverständlich al­lein getragen;

«b) die Leiden, die er von seiten der Menschen erfuhr um der Gerechtigkeit wil­len; diese Ar‑t Leiden können die Gläubigen mit Ihm teilen (Mt 5, 10; 1. Petr 4,14‑16.19);

(c) die Leiden, die Er auf Sich nahm (1) als der Heilige Gottes, der Seinen Weg durch eine Welt der Sünde und der Folgen der Sünde ging (Mk 7,34; 8,12; 9,19; Joh 11,33‑35); (2) durch die Aussicht, zur Sünde gemacht werden zu müssen und das Gericht tragen zu müssen (Mt 26,36‑44; Hebr 5,7.8); (3) als Derjenige, der in liebevollem Mitleiden freiwillig in die tiefen Seelenübungen eintrat, die der gläubige Überrest Israels in der großen Drangsal unter der züchtigenden Hand Gottes mitmachen wird (wie wir sie vor allem in den Psalmen finden), damit Er sie vor Gott als ein treuer Hoherpriester vertreten könnte.

Nach der ersten Auseinandersetzung mit Newton (1846) über dasselbe Thema war diese wichtige Wahrheit über die Leiden Christi intuitiv ziemlich verdrängt wor­den, mit der Folge, daß, als Darby seine Artikel schrieb, er von vielen über­haupt nicht verstanden wurde, vor allem im Blick auf die dritte Art von Leiden, die nicht sühnend waren, die der Herr aber doch allein getragen hatte. Einige Brüder warfen Darby vor, daß er hiermit Auffassungen verkündige, die im Wesen denen gleich seien, derentwegen er Newton als Ketzer bezeichnet hatte! Unter ih­nen waren im besonderen W.H. Dornan und Capt. P.F. Hall, zwei treue Freunde, die mit Darby in der Bethesda‑Frage standgehalten hatten, sich aber nun von ihm trennten und zu den "Offenen Brüdern" gingen ... Sie fingen damit an, Darby der Irrlehre zu beschuldigen, und forderten, daß er seine Lehren zurückzöge. Dieser war tief betrübt über die Haltung seiner Freunde und schlug Bruder J.B. Stoney vor, daß er selbst sich vom Tisch des Herrn zurückziehen würde, bis die Frage gelöst wäre ‑ so bescheiden war er, aber auch so entschieden in seiner Weige­rung, das Geschriebene zurückzuziehen. Darauf beschäftigten sich eine Reihe füh­render Brüder (Wigram, Cronin, Kelly, Stoney u.a.) mit der Sache, brachten Darby von seinem Vornehmen ab und erklärten zu Recht, daß von Irrlehre keine Rede sein könne. Das war im Mai 1866.

Das hatte zur Folge, daß Hall und Donnan sich zurückzogen; letzterer laut Bruder W.H. Broom, "weil er gekränkt war ‑ persönlich beleidigt"34, wobei Darbys Lehre lediglich als ein Vorwand diente. 1868 geriet Dorman in einen Federkrieg mit Mackintosh über die formelle Anstellung von Ältesten, die er verfocht. Andere, die sich ebenfalls zurückzogen, waren Darbys eigener Bruder William, den wir in Düsseldorf kennengelernt haben, und dessen Freund Julius von Poseck (nun in Eng­land), der glücklicherweise kurz danach wieder zurückkam. Ein fünfter war Joseph Stancombe, der sich seinerzeit, wohlgemerkt, als einer der ersten aus Bethesda zurückgezogen hatte und nun dort wieder landete. Ein sechster war Thomas Newber­ry (1811 ‑ 1901) aus Weston‑super‑Mare, ein begabter Bruder, der vor allem be­kanntgeworden ist durch seine berühmte Bibelausgabe mit einer Vielzahl von Fuß­noten über die hebräischen und griechischen Wortformen und weiter durch seine Betrachtungen über die Stiftshütte und die Tempel sowie über die Opfer und die Gleichnisse. Glücklicherweise blieben die Austritte auf einige beschränkt, und es fanden keine Trennungen in Versammlungen statt. Eine Schwester schrieb: "Der Herr bedrohte den Sturm, und es gab eine 'große Stille', die uns (oder jedem, der dazu bereit war) gestattete, uns mit der kostbaren Wahrheit Seiner persönli­chen Leiden zu nähren, einer Wahrheit, die Er Seinem geliebten Diener anvertraut hatte, und der Herr befähigte ihn, das als Gegengewicht gegen die Lügen des Feindes in Plymouth vorzustellen.1,35

Doch es ist gut, darauf hinzuweisen, was nun eigentlich der himmelweite Unter­schied war zwischen dem, was Newton, und dem, was Darby lehrte, und was seine Gegner nicht sahen. Darby selbst sagt darüber im Vorwort einer späteren Ausgabe seiner Artikel in einer Broschüre folgendes: "Wir dürfen der Tatsache, daß der Herr freiwillig mitlitt und Schmerzen auf Sich nahm und aus Liebe den Weg der Leiden betrat, nicht damit verwechseln, daß Er aufgrund Seiner eigenen Stellung durch Leiden habe gehen müssen. Wenn Er Selbst unter der Zucht gestanden hätte, hätte Er sie nicht in freiwilliger Liebe auf Sich nehmen können, als Mensch, der hier auf der Erde lebte, weil Er in dem Fall bereits Selbst darunter gewesen wäre ... Die Frage ist gestellt worden: Was ist der Unterschied zwischen der Lehre dieser Broschüre und der von Newton? Die Antwort ist sehr einfach. Die Lehre der Broschüre ist genau das Entgegengesetzte der Lehre Newtons. Newton lehrte, daß Christus als geborener Israelit und Mensch in demselben Abstand von Gott gewesen sei wie Israel und die Menschheit, weil Er einer von ihnen gewesen sei; daß Er den Folgen dieser Entfremdung unterworfen gewesen sei und die Erfah­rungen habe durchmachen müssen, die ein unbekehrter Auserwählter durchzumachen hatte; daß Er vielem von dem, dem Er dadurch, daß Er Sich in ihrer Stellung be­funden habe, ausgesetzt gewesen sei, durch Gebet, Gehorsam und Frömmigkeit entkommen sei, daß aber doch das heftige Mißfallen Gottes auf Ihm gelastet habe, weil Er durch Seine Geburt zu diesem Volk gehört habe. Deshalb habe Er mit freu­diger Aufmerksamkeit auf das Evangelium unter Johannes dem Täufer gehört und sei damals für Sich Selbst vom Gesetz zum Evangelium übergegangen. Das meiste Seiner schrecklichen Angst, der Er durch Seine Geburt als einer der Juden und als Kind Adams ausgesetzt gewesen sei, habe vor Seiner Taufe durch Johannes gelegen.

Ich glaube dagegen, daß ‑ obwohl Er von seiten der Menschen litt und mitfühlte mit all den Leiden des Menschen und Israels, und der Schmerz der Liebe beständig auf Seinem Herzen lag ‑ der Sonnenschein des Wohlgefallehs Gottes auf Ihm war und beständig Seine Lust und Seine Freude war, und daß also kein göttliches Miß­fallen auf diesem Heiligen ruhte, daß Sein Leib nicht durch Angst davor ausge­zehrt wurde. Ich verabscheue das als einen Greuel und betrachte es als völlig verkehrt. Ich glaube aber, daß am Ende Seiner Laufbahn, als Seinem Lebenswerk (im Blick auf Israel, entsprechend der Verheißung und der gnädigen Bedienung ge­genüber dem Menschen) ein Ende gesetzt wurde, Er als der Gegenstand des göttli­chen Wohlgefallens in Gnade die Schmerzen Seines Volkes auf Sich nahm ... Newtons Lehre war, daß Er von Geburt an unter dieser Last gestanden habe und versucht habe, dem durch Gebet und Gehorsam und Frömmigkeit zu entkommen und daß Ihm dies teilweise gelungen sei; die meine ist, daß Er überhaupt nicht darunter geboren war, sondern daß Er, statt versuchen zu müssen, dem zu entkommen, aus Liebe und Gnade für die Befreiung anderer in die Schmerzen eintrat. Das heißt: das eine ist genau und wesentlich das Gegenteil des anderen."

In einem Brief an einen Bruder schrieb Darby: ‑‑Das, wodurch einige Gemüter irre­geführt worden sind, ist, daß ich in der Broschüre über das Leiden den Zustand des Überrestes beschrieben habe und die analoge Verfassung einer aufrichtigen Seele unter dem Gesetz gezeigt habe, um zu zeigen, was bei ihnen vorlag, worin Christus ihnen helfen und sie unterstützen mußte und wie die Umstände, durch die Er hindurchging, Ihn dazu in die Lage versetzten; und dies wird angeführt, um zu sagen: Christus war Selbst an diesem Platz. Er litt in der Tat darin, 'in all ihrer Bedrängnis war er bedrängt, [Jes 63,9]; Er trat tatsächlich in ihre Schmerzen ein, doch das (was vollkommen schriftgemäß ist) bedeutet nicht, daß Er Selbst [durch Geburt] in dem Zustand verkehrte, der das Leiden hervorrief; und das war Newtons Lehre und machte einen falschen Christus.

(3) Die Lehre, um die es 1866 ging, war sehr wichtig, doch die Frage erschütter­te glücklicherweise wenige Personen. Es waren jedoch andere Tendenzen am Werk, die viele berührten. Verschiedene Brüder machten sich ernstlich Sorgen über die zunehmende Lauheit und die weltliche Gesinnung ‑ und dieser Entwicklung wurde durch eine noch gefährlichere Entwicklung entgegengewirkt: wachsende Überheb­lichkeit von Versammlungen und geistlichen Hochmut! In den letzten Jahren von Darbys Leben wuchs eine Partei in den Versammlungen, die mit Argusaugen den Bei­tritt von vielen beobachtete, die sich durch den Dienst von Evangelisten bekehrt hatten; man war bange, daß diese Neubekehrten nicht ausreichend in "der Lehre der Brüder“ unterwiesen waren. Man wünschte strengere Bedingungen zur Gemein­schaft, nämlich ausreichende Kenntnis und einen geistlichen Zustand. Diese Par­tei war bekannt als die der "New, Lumpisten" (die Verfechter eines "neuen Tei­ges"; 1. Kor 5,7).

Wigram war über diese Entwicklung sehr beschwert. Bereits 1873 hatte er, wie wir sahen, seine Zeitschrift The Present Testimony eingestellt, weil er meinte, daß der Leuchter von den "Brüdern" weggenommen sei. Kurz bevor er 1879 starb, klagte er, daß die "Brüder" beschäftigt waren, "in Versammlungsdingen Seifenblasen zu machen" und "Kirchlein zu spielen" und daß er fühlte, daß Gott nicht mehr wei­ter mit ihnen gehen könne in solch einer Torheit. Ebenso wie 1845 fühlte er auch hier sehr deutlich das Unheil, das drohte. Nachdem er am Neujahrstag heimgegan­gen war, erklärten seine Freunde mehrere Male, daß Gott ihn vor dem nahenden Bö­sen hatte bewahren wollen. Auch Darby widersetzte sich mit aller Kraft dem New ­Lumpismus; doch wir werden leider sehen, wie es den Anführern dieser Partei glückte, diesen alten Bruder die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen. Beson­ders der begabte, nüchterne Kelly stand bei der Neuenteig‑Schule in einem schlechten Ruf.

Einer ihrer bedeutendsten Anführer war J.B. Stoney. In seinem Blatt A Voice to the Faithful erschienen 1878 eine Reihe Artikel von Bruder S.0'M. Cluff, die symptomatisch für die Bewegung waren und die bei vielen Verwirrung hervorriefen. Cluff legte dar, daß der Gläubige nicht nur für die Sünde tot sei, sondern auch "tot für die Natur" ‑ ein völlig unschriftgemäßer Ausdruck. Er meinte damit, daß wir nicht nur dem gestorben sind, was wir "im Fleisch" sind, sondern auch dem, was wir unseren natürlichen Verbindungen nach waren. Und das, obwohl wir sehen, wie der Herr Jesus und die Apostel eindeutig die Schöpfungsordnung Gottes und das, was weiter zu unserem natürlichen Dasein auf der Erde gehört, aufrechter­hielten. Wir sind eine neue Schöpfung, doch unser Leib gehört noch zu der alten Schöpfung. Darby legte aus diesem Anlaß dar, daß man gerade dadurch, daß man den Leib nicht verschont, das Fleisch befriedigen kann (vgl. Kol 2,23). Was Cluff und seine Anhänger beabsichtigten, war das Annehmen eines übergeistlichen Zu­standes, der eine eingebildete Überlegenheit über ihre Mitgläubigen beinhaltete.

Ich nenne diese Auffassung, wie gesagt, als ein Synptcm. Darby schrieb, daß Cluffs Artikel eindeutig unreif und undurchdacht seien, und es ist daher auch nicht sinnvoll, daß wir uns weiter über dessen Auffassungen über I~aodicäa ver­breiten (das er als gekcmnen betrachtete in dem Sinn, daß es "also" keine Grund­lage mehr gebe, auf der Vorrechte der Versammlung genossen werden könnten oder ein gemeinsames Zeugnis abgelegt werden könne) und auch nicht über sei‑ne Gedan­kengänge über den unschriftgemäßen Ausdruck "Christus in Gott". Es ist ausrei­chend, zu bemerken, daß Cluffs Auffassungen genügend widerlegt und seine Anhän­ger teilweise wiederhergestellt wurden, aber daß nichtsdestoweniger der Cluffis­mus und der New‑Lunpismus Wegbereiter für den Ravenismus waren, der 1890 zu­schlug. Alle traurigen Ereignisse von 1878 bis 1890 waren vorbereitende Dramen, wobei die großen Lehrer Schritt für Schritt ausgeschaltet wurden, bis die Anhän­ger Stoneys und Ravens übrigblieben. Der enorme Schaden dieser Dramen ist glück­licherweise zum größten Teil wiederhergestellt, während der Ravenismus inzwi­schen verkrümelt ist. Wie betrüblich und unschön das auch ist, müssen wir nun doch die traurigste Phase aus der Geschichte der "Brüder" besprechen.

Kapitel 8 ‑ Die Ryde – Ramsgate-Frage (1879‑1881)

Mit großem Zögern beginne ich über das zu schreiben, was zweifellos die schwär­zeste Seite der Geschichte der "Brüder" ist. Ich muß über drei Jahre schreiben, in denen keine großen Irrlehren verbreitet wurden, die eine Trennung rechtfer­tigten, und in denen auch im wesentlichen nicht bestimmtes moralisch Böses die Gemüter trennte, sondern in denen eine leidenschaftliche Partei, die in den späteren "Exklusivisms" ausarten sollte, eine völlig unnötige und völlig ver­werfliche Trennung erzwang. Eine Trennung, die zahllose Freundschaften auf einen Schlag zerstörte, von denen die auffälligsten die zerbrochene Freundschaft zwi­schen den beiden Iren Darby und Kelly und zwischen den beiden Schotten Mackin­tosh und Miller sind. Eine Trennung, die von keinem dieser vier Brüder gewollt oder gesucht worden war; die Verursacher blieben hinter den Kulissen. Eine Tren­nung, deren Parteien, nachdem sie von den New‑Lunpisten befreit waren, glückli­cherweise 1926 und später wieder vereinigt wurden. Eine Trennung, die ich am liebsten so kurz wie möglich behandeln würde, wenn ich nicht über den gesamten Briefschatz verfügte, den Darby im 1‑auf der Jahre empfangen und bei seinem Heim­gang im Jahre 1882 hinterlassen hat, wie auch über eine große Anzahl Kopien, die er von seinen eigenen, wichtigen Briefen zurückbehalten hatte. Sehr viele dieser Briefe haben Bezug auf die letzten Jahre seines Lebens, sind bislang nicht an die Öffentlichkeit gelangt und werfen meiner Meinung nach ein besonderes Licht auf die ganze Frage. Das ist von großer Bedeutung, denn man kann daraus ersehen, daß nicht die New‑Lumpisten (die es verstanden, Darby unter ihre Flagge zu brin­gen), das Recht auf ihrer Seite hatten, sondern Kelly.

Diese Schlußfolgerung, zu der ich gekommen bin, wurde später noch durch eine zweite, wichtige, bisher nicht veröffentlichte Sammlung unterstützt, die mir zur Verfügung gestellt wurde, nämlich eine große Anzahl maschinengeschriebener Ko­pien von Briefen Kellys. Diese Kopien machen einen vertrauenswürdigen Eindruck und ergänzen Darbys Sammlung sehr schön. Es ist jedoch wichtig, nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß ich nicht in erster Linie aufgrund der Briefe Kellys, sondern gerade aufgrund der Darby‑Sammlung zu der Schlußfolgerung kam, daß Darby im Unrecht war und Kelly recht hatte. Wenn dies richtig ist (der Leser möge selbst urteilen), dann bedeutet das, daß bestimmte Abzweigungen der Darby‑Partei (wie bestimmte Grant‑Gruppen und Tunbridge Wells‑Versammlungen, über die wir noch sprechen werden), die sich nun im Blick auf die Wiederherstellung unnötiger Trennungen abseits halten, keinerlei Daseinsberechtigung mehr haben! Deshalb ist dieses Kapitel in gewissem Sinn doch der Schlüssel zu dem Rest dieses Buches. Ich hoffe, daß es mir gegeben ist, die Sache so objektiv und unvoreingenommen wie möglich wiederzugeben, und deshalb lasse ich soviel wie möglich die Parteien selbst zu Wort kommen. Ein Sternchen (*) deutet in diesem Kapitel auf Briefe hin, die sich in dem Nachlaß von Bruder Darby befinden und wovon keine oder na­hezu keine jemals veröffentlicht worden sind. Das Zeichen (+) soll auf Briefe von Kelly aus der Kelly‑Sammlung hinweisen.

I. RYDE UND CRONIN

(1) In Ryde, einem Ort auf der Insel Wight, befand sich eine Versammlung, die wegen ihrer Lauheit und Unreinheit bereits lange Zeit vielen Brüdern ein Dorn im Auge war. Der wichtigste Fall, der zu diesem Zustand beigetragen hatte, war fol­gender. Ein gewisser Bruder T. Cook war 1864 in Ryde zugelassen worden. Dieser hatte allmählich eine beherrschende Stellung eingenommen, besonders in den Zu­sammenkünften, wie ein Bruder S. Peters aus Basingstoke bezeugte (*). Im Jahre 1876 wurde allgemein bekannt, daß dieser Bruder 1859 seine Frau auf unrechtmäßi­ge Weise geheiratet hatte; diese Frau, seine zweite, war eine Schwester seiner ersten Frau, und da eine derartige Heirat in England damals verboten war, war Cook nach Frankreich gegangen, hatte dort geheiratet und war mit einer falschen Erklärung zurückgekehrt. Die Frage entstand nun, ob es recht war, ins Ausland zu gehen, um das englische Gesetz zu umgehen. Viele fragten sich, ob Cook nicht un­ter Zucht gestellt werden oder wenigstens in seinem Auftreten zur Mäßigung ange­halten werden müsse. S. Peters schrieb in diesem Sinn an Bruder J. Adams in Ryde, doch seine Briefe wurden nicht beachtet.

Da in der Versammlung kaum oder gar keine Bereitschaft war, die Sache zu behan­deln, zogen sich fünf Brüder im März 1877 aus der Gemeinschaft zurück. Ihre An­zahl wuchs in ein paar Jahren auf 73 von den ungefähr 100 Brüdern und Schwe­stern! Diese Ausgetretenen kamen zwar zusammen, brachen aber kein Brot. Der Rest der Versammlung kam währenddessen in einem neuen Lokal, Temperance Hall genannt, zusammen. Es gab einen zweiten Fall, der diesen Austritt förderte. Eine gewisse Schwester Lowder, geborene Peters, in Ryde wurde ‑ zu Recht oder auch nicht ‑

eines unsittlichen Verhaltens bezichtigt, im besonderen durch einen Major H.H. McCarthy aus St. Leonards‑on‑Sea, doch man vergab ihr auf ihr Bekenntnis hin. Kurz darauf kam Bruder McCarthy jedoch mit viel ernsteren Beschuldigungen und schrieb (ohne Rücksprache mit Ryde), daß sie nicht am Brotbrechen teilnehmen könne. Die Versammlung untersuchte die Sache und erachtete die Beschuldigung für unbewiesen. Laut Kelly (+) bestritt Schwester Lowder das zur Last Gelegte kräf­tig und überzeugend. Darauf kam McCarthy mit einem Bruder Kingscote aus Ryde auf die frühere Sache zurück und forderte, daß sie nun ausgeschlossen werde für das, wofür ihr Vergebung zuteil geworden und sie wieder zugelassen wart Denen, die damit nicht einig waren, wurden mit Ausschluß gedroht, und sonntags (16. Januar 1876) teilte ein Bruder mit, daß Schwester Lowder von der Brüdervers&Müung (11) ausgeschlossen worden sei. Bruder S. Peters schrieb vergeblich nach St. Leo­nards, um McCarthy wegen dieser Sache Vorhaltungen zu machen. Kelly schrieb am 2. Februar 1876: "Ich folgere aus diesem allen, daß es unser Pfad der Weis­heit ist, sorgfältig die Anerkennung dessen zu vermeiden, was keine Tat der Versammlung ist. Selbstverständlich sollte niemand daran denken, Schwester L. auf­zunehmen, solange die Dinge so liegen."

(2) Was in diesem Fall schon sofort auffällt, ist, daß soviele Brüder aus umlie­genden Orten, aber auch aus Iondon (Stoney, Kelly, Cronin) sich mit der Sache beschäftigten und daß doch keine geistliche Kraft da war, das Problem zu lösen. Daß die Versammlung in Temperance Hall in einem verunreinigten Zustand lebte, war eindeutig. Als Cronin Darby bat, die Sache zu untersuchen, antwortete dieser laut Cronin: "Niemals werde ich meinen Fuß auf diesen unreinen Ort setzen. Ich kenne sie zwanzig Jahre lang als eine verunreinigte Versammlung.111 im Mai 1877 war Cronin am Ende der Zusammenkunft in das Lokal gekommen und hatte die Ver­sammlung ernstlich gewarnt. Doch andererseits: War es richtig, daß so viele Brü­der aus der Versammlung ausgetreten waren? War alles getan, um das Böse auszu­rotten, bevor sie weggingen? Wenn etwas in dieser ganzen Geschichte auffällt, auch im weiteren Verlauf, dann ist es wohl die Aufgeregtheit und Hast, mit der Beschlüsse gefaßt wurden. Schließlich und endlich handelte Temperance Hall zwar gegen Cook: Im Mai 1877 wurde ihm Schweigen in den Zusammenkünften auferlegt, und im Juli 1878 wurde er ausgeschlossen. Andererseits wurde das verübte Böse nicht verurteilt und die verkehrte Haltung gegenüber den Ausgetretenen nicht be­kannt.

Darby schrieb (*) an Bruder Jaclmian, einen Führer unter den Ausgetretenen, daß sie seiner Meinung nach in fast keiner einzigen Versammlung, die von der Sache wußte, zugelassen werden würden. Er hatte zwar tatsächlich Kühe mit der Sache Cook,2 aber verurteilte den Austritt einer Anzahl Brüder scharf. Durch diese Haltung entstand also die schwierige Situation, daß eine Anzahl Brüder (unter ihnen Darby) daran festhielt, daß Temperance Hall weiterhin anerkannt werden müsse (obwohl Darby dem Gerücht nach den Ort seit zwanzig Jahren "faul" nann­te!), während andere Brüder (unter ihnen Kelly) dafür eintraten, daß die ausge­tretene Gruppe (die daran dachte, Brot zu brechen) anerkannt werde.

Am 12. Februar 1878 schrieb (+) Kelly an denselben Bruder Jackman, veranlaßt durch Darbys Brief: "Ich wußte, daß (Darbys) Meinung wegen der Erklärung ver­schiedener Zeugen war, daß er folglich nicht mit Cook Brot brechen könne. Auch streitet Bruder Darby dies nicht ab ... Er hat wiederholt und zu verschiedenen gesagt, daß er nicht in Temperance Hall Brot brechen könne. Er hinterließ bei nicht wenigen hier den bestimmten Eindruck, daß er sich gegen Cook entschied, genauso und auf derselben Grundlage, wie es die ausgetretenen Brüder taten, und insoweit gegen die Temperance Hall‑Br‑üder, was tatsächlich die angegebene Grund­lage von vierzig ausgetretenen Gläubigen war. Nun durchsäuert Zulassen von Sau­erteig den ganzen Teig; und es ist eine neue Lehre für die Brüder, daß Böses ... das in London, seitdem ich hier wohne (Blackheath), wiederholt verurteilt und ohne Zögern weggetan wurde, in einer Versammlung, die wir in Ryde anerkennen, gutgeheißen werden kann ... Ich greife dem Herrn nicht vor und sage nichts vor­aus, wie es mit Ihrer Zulassung gehen oder nicht gehen wird; denn ich weiß, daß, obwohl Er treu ist, der Parteigeist weit verbreitet ist und Verwüstung bewirken kann. Doch ich nehme sehr wohl an, daß Bruder Darby der letzte ist, der die Au­ßenstehenden verurteilen oder die Temperance Hall‑Brüder iin Blick auf die Frage, die sie tatsächlich trennt, rechtfertigen könnte; und allein darüber spreche ich. "

2 Kelly schrieb (+) (Februar 1878): "Es ist vielen wohlbekannt ..., daß Bruder Darby eine eindeutige Meinung über die Sache [Cook] hatte, vor allem über ihre Gesetzwidrigkeit, nicht nur ihre Unsittlichkeit, als eine falsche Erklärung, die an Meineid grenzte. So schrieb Bruder Darby seitdem monatelang."

(3) Die Sache kam am 3. September 1878 auf der üblichen zentralen Brüderversamm­lung in London, wo etwa 150 Brüder beisammen waren, öffentlich zur Diskussion. Zwei Fragen wurden dort behandelt, die Kelly angingen. Die erste stellte Oberst R.F. Kingscote aus der Park Street‑Versammlung (der früheren Priory‑Versammlung, wo auch Darby Brot brach), nämlich ob Kelly bei einer bestimmten Fragenbeantwor­tung in Bible Treasury (Sept. 1878) an die Situation in Ryde gedacht habe. Kelly hatte geschrieben, daß, wenn ein Bruder in ernstes Böses gefallen ist, es nicht ausreicht, wenn er sich selbst zurückzieht, sondern auch ein Ausschluß durch die Versammlung erfolgen muß. (Es war Kelly entgangen, daß letzteres zwei Monate zu­vor in Ryde geschehen war, und deshalb korrigierte er dies in der Oktobernum­mer.) Dieser Punkt rief eine heftige Diskussion hervor, in der ein Bruder H.C. Anstey aus Kingston‑on‑Thames mit der zweiten Frage kam. Er hatte an einem Sonn­tag einen Emfehlungsbrief aus Ryde empfangen und diesen, wie üblich, in der Zu­sammenkunft vorgelesen, doch Kelly hatte ihn hierfür ernstlich getadelt. Anstey stellte Darby die Frage, ob es falsch gewesen sei, den Empfehlungsbrief vorzule­sen, und dieser antwortete, daß das sicherlich nicht der Fall gewesen sei; daß er nicht beanspruche, ein Urteil in dieser Sache zu fällen, doch daß die Ver­sammlung niemals von den Brüdern abgelehnt worden sei. Darauf verteidigte Bruder C. McAclam aus Park Street die Sache von Temperance Hall, doch Kelly machte eine lange Ausführung, um zu zeigen, daß diese Versammlung nicht länger anerkannt werden könne. Darby antwortete: "Ihre persönliche Meinung hat in solch einem Fall absolut keine Bedeutung; Ryde ist in Gemeinschaft, und ein Empfehlungsbrief von jemandem in Gemeinschaft dort ist überall unter uns gültig, bis in einer befugten Versammlung von Brüdern es für alle bewiesen werden kann, daß die Ver­sammlung nicht anerkannt werden kann.

Das war natürlich eine sehr unbefriedigende Lage. Warum war dieselbe Versammlung der Londoner Brüder nicht "befugt", einen Versammlungsbeschluß vorzubereiten? Was sollte daraus werden, wenn begabte und zuverlässige Brüder eine völlig ent­gegengesetzte Meinung über das Anerkennen einer bestimmten Versammlung hatten? Auf unerwartete Weise kam die Sache zu einem Ausbruch, und zwar auf eine sehr unglückliche Weise, und dazu noch durch einen lieben, alten Bruder, nämlich den Arzt Dr. Edward Cronin, den wir als einen der ersten vier oder fünf Brüder der Anfangszeit in Dublin kennen.

(4) Im Herbst 1878 verließ ein junger Pfarrer namens H.B. Finch die Englische Kirche in Ryde und wollte sich den "Brüdern" anschließen. Er reiste nach London und wurde dort (mit Zustimmung Darbys) in Gemeinschaft zugelassen, obwohl er, wie man behauptet hat, bereits unmittelbar zu erkennen gegeben hatte, daß er keine Freimütigkeit habe, sich in Ryde der Temperance Hall anzuschließen. Er schrieb (*) am 23. September 1878 folgendes an Darby: "Vielen Dank für Ihren freundlichen Brief. Ich fühle mich mehr denn je davon überzeugt, daß die Auffas­sungen, die Sie vertreten, schriftgemäß sind. Ich verlange danach, mich Ihnen anzuschließen, bin aber darüber betrübt, alles hier in Unordnung zu finden. Was raten Sie? Ich könnte niemals mit denen Brot brechen, die in Temperance Hall zu­sammenkommen, und glaube, daß die, die sie verließen, richtig gehandelt haben. Können Sie nicht nach Ryde kommen und das Ungeordnete hier zu ordnen versuchen?" Ich habe die Antwort von Darby auf diesen Brief nicht, aber ich muß annehmen, daß Darby zurückgeschrieben hat, daß Temperance Hall trotz des schwachen Zustan­des das allgemein anerkannte Zeugnis in Ryde sei und daß er selbst es nicht als seine Aufgabe sähe, die Versammlung in Ryde zu besuchen. Finch schrieb darauf den umliegenden Versammlungen, daß er mit einigen anderen auf eigene Faust be­gonnen habe, Brot zu brechen. Die Brüder auf der Insel rügten ihn jedoch für das, was er getan hatte, und betonten, daß es ja bereits eine anerkannte Ver­sammlung in Ryde gebe.

Am 27. Dezember 1878 schrieb (*) Cronin am Darby (in einem interessanten Brief, in dem er auch über das Sterbebett Wigrams und über Cluff schrieb): "Finch aus Ryde schreibt mir, daß, weil es unwahrscheinlich ist, daß es Brotbrechen in Ge­meinschaft mit den beiden Parteien dort geben kann, er einen kleinen Raum genom­men hat ... Dort kommt er mit einigen seiner Neubekehrten am Sonntagmorgen zu­sammen, um Brot zu brechen. Er schreibt, daß er eine Mitteilung hierüber an alle Versammlungen auf der Insel gesandt hat. Was daraus werden wird, davon habe ich keine Vorstellung. Gott weiß es; Er kann (und tut es auch) in der Not des Menschen Mittel aller Art gebrauchen. Wenn ich an einem Sonntag in Ryde wäre, bin ich nicht sicher, daß ich nicht bei ihnen sein würde."

Nun gab es also drei Parteien in Ryde! Man konnte noch verschiedener Meinung sein, ob Temperance Hall oder die ausgetretene Gruppe als Versammlung anerkannt werden müsse, doch die Gruppe von Finch hatte auf völlig unabhängiger Grundlage

mit den Brotbrechen begonnen und sich die scharfe Mißbilligung der umliegenden Versammlungen zugezogen. Andererseits: Finch war in London zum Brotbrechen zuge­lassen worden, Temperance Hall wurde von vielen aufrichtigen Brüdern als ein fauler Fleck gemieden, und die ausgetretene Gruppe feierte kein Abendmahl. Was war das Zeugnis Gottes in Ryde?

(5) Cronin entschied die Sache für sich, und das war jedenfalls nicht weise. im Februar 1879 erstattete er der Versammlung in Kennington (London), wo er übli­cherweise Brot brach, folgenden Bericht (*): "Ein paar Zeilen, um die Brüder zu unterrichten über das, was ich in Ryde in der vergangenen Woche, 8. ‑ 17. Febru­ar 1879, getan habe. Ich reiste mit meiner Frau am Samstag, dem 8. Februar, von zu Hause nach Ryde, mit einem starken Gefühl der Niedergeschlagenheit und des Mitempfindens mit den zwanzig oder dreißig Gläubigen, die in den letzten zwei Jahren sonntags morgens zusammengekommen waren, ohne Brot zu brechen ... Weder die wenigen Übriggebliebenen der ursprünglichen Versammlung noch die, die daraus weggegangen waren, wurden als in einem Zustand anerkannt, der den Tisch des Herrn darstellen konnte [dies war natürlich falsch]. Dies macht die Gruppe, die sich aus Temperance Hall zurückzog, völlig hilflos. Als ich in Ryde ankam, hatte ich kaum etwas anderes vor Augen als ein ernstes Verlangen, die Hand Gottes in dem Bereiten des Tisches für diese Wenigen zu sehen, und, gepriesen sei Sein Name, Er ließ mich nicht lange in Unsicherheit warten, indem Er mir zeigte, daß Er Selbst in Seiner Ihm häufig eigenen Weise vor mir hergegangen war [dies ist keine korrekte Darstellung, denn Cronin wußte seit langem von Finchs Gruppe]. Ich fand eine Versammlung: H. Finch (der frühere Pfarrer von St. James) hatte in seiner Wohnung seit drei Sonntagen Brot gebrochen. [Denn folgt die Zulassung von Finch in London].

Meiner Meinung nach war Gottes Hand hierin deutlich zugegen, die H.F. für sich selbst vor Gott warten ließ auf die eine Schriftstelle: "Tut dies zu meinem Ge­dächtnis,, und ich glaube, daß dies von Gott bei dem Zustand der Unordnung in Ryde belohnt wurde, um durch die einfältige Glaubenshandlung sowohl Herz als Ge­wissen durch dieses Wort zu treffen. Bei der unangenehmen Aussicht, am folgen­den, gesegneten Tag Seine armen hungrigen und durstigen Kinder ohne Seinen Tisch anzutreffen, fühlte ich mich frei, mich ihnen anzuschließen, unordentlich, wie es geschienen haben muß, und mißbilligt, wie es vielleicht der Fall sein wird [1]. Eine praktische Schwierigkeit entstand in bezug auf das gegenseitige Zulassen zum Tisch des Herrn, da H.F. der einzige Bruder war; da machte der Herr sehr unerwartet und gnädig das Herz eines der jüngeren Brüder (Maurice Jackmann), der in Gemeinschaft in Temperance Hall gewesen war, geneigt, darum zu bitten, in Gemeinschaft zugelassen zu werden. Für mich war das ein außergewöhnlich liebliches Zeugnis, daß Gott mit uns war. Wir waren völlig einig darüber, daß die Versamm­lung eine völlig neue sein müsse, die in keiner leise eine der Fragen und Strei­tigkeiten duldete, die in den anderen beiden Gruppen bestanden hatten, und nicht zuließ aufgrund von etwas, das in der Vergangenheit geschehen war. Jede Person mußte auf der gleichen Grundlage vorgeschlagen werden und zwei oder drei Zeugen haben im Blick auf den Glauben und das Betragen, und es mußte vor der Zulassung eine Woche Zeit zur Verfügung stehen für Einwände.

Die Zusammenkunft am Sonntag hatte in der Tat den Duft des Wohlgefallens des Herrn. Ungefähr neun saßen in H. Finchs Zimmer, unter ihnen meine Frau, nicht mitgerechnet der junge Bruder und seine Mutter, die vorgeschlagen wurden. Wäh­rend der darauffolgenden wache fanden jeden Abend Zusammenkünfte zum Gäbet und zur Wortbetrachtung statt, und ein Abend wurde dem Bekenntnis und der Demütigung mit Danksagung gewidmet. Neun gaben ihre Namen an, weil sie am Brotbrechen teil­nehmen wollten (einer, der gerade aus der Staatskirche kam, saß am folgenden Sonntag an der Seite); die Freude strahlte durch ihre Tränen hindurch, als sie sich wieder neu in der Gegenwart des Tisches des Herrn befanden."

Bereits bevor er nach Ryde ging sowie während seines Aufenthalts dort und direkt nach seiner Rückkehr schrieb (*) Cronin in demselben Geist wie im obigen Bericht ausführlich an Darby. Sein zweiter Brief (*) endet folgendermaßen: "Es scheint betrüblich und sonderbar für einen alten Mann, der auf die achtzig zugeht, etwas von derselben Arbeit und Schande auf seinem Herzen und seinen Händen zu tragen wie vor etwa 50 Jahren

II. CRONIN UND KENNIGTON

(1) Darby schrieb Cronin folgendes: „Ich denke nur, daß Sie sich im Blick auf die Wirkung des Schrittes getäuscht haben. Ich wäre sehr froh, wenn ich mich irrte ... Ich kann nicht sagen, daß Ihr Brief mich betrübt hat.“ Tatsächlich hatte Darby selbst überlegt, denselben Schritt in Ryde zu tun; denn in seinem Brief an H.B. Finch (vom 12. Mai 18791) in der Erwiderung auf Finchs ausgesprochenen Wunsch, daß J.N.D. nach Ryde kommen und die Sache durch ein neues Brotbrechen zur Entscheidung bringen möge, schrieb Darby: "Ich hatte gehofft, sollte Gott mir den Weg offen machen, das zu tun, wovon Sie sprechen; ob dies jetzt noch möglich ist, weiß ich nicht.“ Hieraus geht klar hervor, daß Darby nicht nur selbst im Sinn gehabt hatte, dasselbe zu tun, was Dr. Cronin tat, sondern daß er selbst viel später, als Finch aufgehört hatte, Brot zu brechen, noch dazu bereit war, wenn es machbar gewesen wäre.

Darby fragt Cronin, ob andere Brüder ihn zu diesem Schritt veranlaßt hätten, worauf Cronin mit Entschiedenheit antwortete (21. Februar) (*): "Ich habe mit niemandem (in meinem Haus oder außerhalb meines Hauses) gesprochen oder ge­schrieben (mit Ausnahme des Obersts [Langford] nach meiner Rückkehr), so daß ich nicht sicher war (so wenig wie ich es jetzt bin), wie die Brüder sich berufen fühlen, mich zu behandeln." Sehr bald erwies sich Darbys Ahnung als richtig, da die führenden Brüder tatsächlich mit der größten Entrüstung auf Cronins unabhän­gige Handlung reagierten. Ein allgemeiner Sturm brach gegen ihn los, im besonde­ren seitens der kindertaufenden Brüder, die Dr. C. durch seine vielleicht zu schroffe Verteidigung der Großtaufelehre gegen sich erbittert hatte (siehe un­ten).

Cronin sagte jedoch zu den Brüdern in Kennington am 10. März, daß er wisse, daß er durch seinen Schritt in Ryde gegen die "Regeln" der Brüder gehandelt habe, daß er jedoch das Vorgehen der Brüder nicht anerkennen werde! An demselben Tag schrieb (*) er an Darby: "John Oliphant [ein Bruder der Park Street‑Versammlung] brachte die Sache am Samstagabend [8. März] unweise zur Sprache, bevor Kenning­ton auch nur eine Mitteilung über mich gemacht hatte, und brachte (es verdrießt mich, das zu sagen) eine peinliche und unerbauliche, Diskussion in Gang ... Ich fühle mich nicht im geringsten schuldig, daß ich dies veranlaßt habe, bin aber sicher, daß Gott eine Sichtung unter uns beabsichtigt: Erinnern Sie sich an He­bräer 12,27?" Dieser letzte Vers kommt regelmäßig in Cronins Briefen vor; er schrieb (*) darüber an einen Bruder in Dublin: "Die allgemeine Furcht und der allgemeine Gedanke hier ist, daß die Zeit von Hebräer 12,27 über uns gekommen ist und daß ein Überrest aus uns selbst und gottesfürchtige Personen von außen Gottes Material für ein neues Zeugnis sein werden, bevor der Herr kommt." Wer könnte leugnen, daß das ein höchst unweiser, sektiererischer und eigensinniger Standpunkt dieses sympathischen, alten Bruders war?

Am 13. März beschloß Kennington einstimmig, daß es keine Gemeinschaft mit Cronins Tat in der Errichtung eines Tisches in Ryde habe, und dies wurde ihm am folgenden Tag mit der dringenden Bitte mitgeteilt, nicht wieder mit Finch Brot zu brechen, aber er tat es trotzdem. In dem Maße, wie Cronins Standpunkt sich verhärtete, wurden Darbys Briefe heftiger. An demselben 13. März schrieb (*) er: "Der Anfang eines Kurses individuellen Handelns, vollkommen blind für seine Tragweite im Blick auf das Unterbrechen der Existenz der Brüder, darin lag das Böse von Anfang an ... Die ganze Sache war gegen alle schriftgemäße, versamm­lungsgemäße Ordnung: das Entscheiden für eine Versammlung, statt die Gewissen wachzurütteln! So ist Ihre Tat nun gewesen: völlige Geringschätzung aller ande­ren und Handeln nach Ihrer persönlichen Auffassung." Cronin antwortete (*) am 22. März: "Ich weiß sicher, daß der Mann des verlorenen Schafes nicht böse auf mich sein wird“, und versicherte erneut, daß Kelly nicht hinter dieser Sache stand (siehe unten).

Am 24. März schrieb (*) er an Darby: "Würde es nicht ratsam sein, in der Hoff­nung, einen sehr verwirrten und sich widersprechenden Gemütszustand unter vielen Gläubigen zu beruhigen, wenn weine Frau und ich uns aus der Gemeinschaft zurück­zögen?" Am 14. April schrieb (*) er erneut: "Geliebter J.N.D., ich kann nichts dafür, daß ich Ihnen schreibe! Ihr Schweigen ist schlimmer als Ihre Vorwürfe ..."; und dann folgt erneut eine Verteidigung seines Standpunktes, Darby antwor­tet darauf, daß er nicht mehr mit Cronin sprechen könne, als nenn nichts gesche­hen wäre; dieser habe allenthalben (vielleicht sogar auf der ganzen Welt) die Brüder in große Schwierigkeiten gebracht; er glaube nicht, daß Cronin die Haupt­ursache, sondern daß er lediglich ein Instrument sei, "in der Annahme, daß Sie um sich eine Gruppe von Verteidigern für sich sammeln und, wie sehr gut möglich ist, andere Tauf‑Parteigänger." Hier kommt ein ganz unangenehmer Zug in der Sa­che zum Vorschein, nämlich daß Darby trotz Cronins dreimaliger Leugnung doch glaubte, daß führende Brüder (namentlich Kelly; siehe unten) hinter den Kulissen Cronins Kurs gestützt hätten und daß eine der Ursachen der Parteibildung in den unterschiedlichen Ansichten über die Taufe läge! Darby und Stoney befürworteten die Haustaufe, Kelly und Cronin waren für die Gläubigentaufe ... Wir werden so­gleich noch anderen Beweisen hierfür begegnen.

(2) Im April schrieb Darby einen Brief (*) aus Pau (Frankreich) nach London, der sofort von den New‑Lumpisten vervielfältigt und umhergesandt wurde. Du Mai folgte ein zweiter Brief (*), der (auf Darbys Bitte) ebenfalls sofort umherge­sandt wurde und sogar viele außerhalb der "Brüder" erreichte. In dem ersten Rundschreiben sagte er, daß die Handlungsweise Cronins "heimlich, unwahr, unehr­lich und profan"6 gewesen sei; heimlich, weil Cronin, Ryde heimlich besucht hat­te, ohne seine Absichten erst anderen bekanntzumachen (dies ist nicht richtig, denn er hatte es Darby geschrieben); unwahr, weil Cronin, behauptete, es sei all­gemein bekannt, daß es keine Versammlung in Ryde gebe; und profan, weil Cronin behauptete, unter der Leitung des Heiligen Geistes gehandelt zu haben. Die Reak­tionen auf diese Rundbriefe waren enorm. Sofort nach dem ersten Rundbrief druck­te Bruder J.J. Penstone aus Stanford einen offenen Brief, worin er schrieb, daß die Sprache in dem Rundbrief im Widerspruch zu den Gesetzen des Landes stehe und zu dem Brauch und der Ordnung in der Versammlung: "Ich bitte Sie flehentlich, überreden Sie sofort unseren geliebten und geehrten Bruder J.N.D., dieses schreckliche und sehr erniedrigende Dokument einzuzbahen."7

In dem Brief‑Nachlaß Darbys befinden sich keine Briefe, die seinen Rundbrief gutheißen; wohl solche, die ihn verabscheuen. Dr. Thomas Neatby schrieb (*) am 29. April an Darby, daß er in tiefen Schmerz versetzt sei über die Worte des un­gerechten Briefes. Am 14. Hai schrieb (*) Bruder J. Brown, daß Darbys Äußerungen über Cronin weit verbreitet seien unter Christen, die nicht mit uns in Gemein­schaft sind, zum großen Schaden für seine Arztpraxis. Wenn Cronin auch einen Fehler gemacht hatte, mußte dieser 78‑jährige Mann deshalb völlig ruiniert wer­den? Darby bekam sogar einen Brief (*) von einem Rechtsanwalt, der mit Maßnahmen drohte, wenn er nicht aufhöre mit seinen verleumderischen Briefen über Finch und Cronin. Nun darf man dies auch wiederum nicht übertreiben, denn Darby konnte später schreiben, daß er keinen Augenblick einen unfreundlichen Gedanken über Cronin selbst gehabt habe, und am 5. Mai schrieb er einen freundlichen Brief an Finch, worin er seine Meinung über die Lage in Ryde ausdrückte und Kelly den Hauptschuldigen an dem Zwiespalt nannte. Welch eine Verantwortung hatten die Brüder, die Darby in Pau informierten; was mußten sie ihm nicht alles über Kelly geschrieben haben! (vgl. 3).

Bruder H. Forbes Witherby schrieb (*) am 27. Mai: "Darf ich mit Ehrerbietung sa­gen, daß ich glaube, daß es Männer gibt, die danach trachten, Einfluß auszuüben und Zwietracht hervorzurufen? Dies war in peinlicher Weise deutlich in der Ver­sammlung in Park St... Die wirklich zerschlagenen Geister sind betrübt ... über Cronin, in der Tat, einige haben sogar gewünscht, daß sie an seiner Stelle im Irrtum wären ... Die Partei, die so hart am Werk ist, war bereit, jeden abzu­schneiden; ausschließen war ihr Evangelium ... Sie können Ihnen sicherlich kaum die genaue Wahrheit erzählt haben, sonst hätten Sie unmöglich im Anfang so sehr liebenswürdig an Dr. Cronin schreiben können." Dieser Brief von Bruder Witherbby ist sehr interessant, weil er so deutlich ans Licht bringt, welcher Geist die New‑Lumpisten in Park Street beseelte, wie falsch sie Darby in Pau aufgeklärt haben müssen, da dieser zuerst so freundlich und später so heftig reagierte, und wie eifrig sie Darbys Äußerungen verbreiteten. Dieser Brief erwähnt auch, daß in dem zweiten Rundbrief ein Nachsatz, den Darby zugefügt hatte, absichtlich wegge­lassen worden wart Dieser Nachsatz lautete (laut Darbys eigener Kopie des Brie­fes (J): ‑Als dies geschrieben und fertig zum Abschicken war, hörte ich, daß Kennington Dr. Cronin gerügt hat und Gemeinschaft mit der Masonic Hall [das Lo­kal von Finch] in Ryde ablehnt. Ich betrachte dies als eine gnädige Wirkung Got­tes und danke Ihm mit meinem ganzen Herzen dafür, doch das Obenstehende wurde nicht im besonderen für Kennington geschrieben, sondern für die Sache selbst, da sie alle Brüder betrifft und Gottes Herrlichkeit, so daß ich ihn doch abschic­ke.''

Dieser Nachsatz wurde weggelassen, weil er so günstig über Kennington urteilte! (Aus einem zwar geschriebenen, aber nicht abgesandten Brief (*) Darbys ist sein Zögern zu ersehen, wie er selbst sich gegenüber dieser Weglassung einzustellen habe. Er stellt sich einigermaßen auf die Seite der Brüder, indem er sagt, daß er in dem Augenblick, als er den Nachsatz schrieb, nicht ausreichend im Bilde war.)

Und das, während die Verfechter in London gerade so heftig dafür kämpften, daß Kennington Cronin so bald wie möglich ausschließen solle. Witherby schreibt (*) darüber: "Das Verhalten von Kennington wird verunglimpft, ich nehme an, um den Ruf nach dem Ausschluß zu rechtfertigen. Kennington hatte und hat roch eine sehr schwierige Aufgabe auszuführen (sie sagen, daß sie alle noch Schüler sind), und um zu einem ruhigen Urteil zu kommen, war es nicht förderlich für sie, daß da Männer über ihnen standen, das Messer in der Hand, mit der Drohung, sie auszu­schließen, wenn sie nicht schnell handelten!" Er fügt noch zwei wichtige Bemer­kungen hinzu: erstens, daß nach seiner Meinung niemand in London irgendwelche Sympathie mit Cronins Tat hatte; dies ist wichtig, denn die Brüder (auch Kelly) verteidigten tatsächlich nicht Cronins Tat, sondern Cronin selbst, einen alten, sehr geachteten und überall geliebten Bruder. Hatte seine Tat, die ohne Zweifel dumm war, deren Motiv jedoch seine Sympathie für die armen Ausgetretenen in Ryde war, eine solch grobe Behandlung verdient? Zweitens schreibt Witherby angesichts der heftigen Parteisucht: "Möge die geteilte Stimmung über Kindertaufe und Er­wachsenentaufe, über hohe Wahrheit und niedrige Wahrheit und über diesen Lehrer und über jenen zum Ende kommen" ‑ ein neuer Beweis, daß die Taufe, der aufkom­mende Mystizismus des New-Lumpismus und die Eifersucht zwischen Lehrern eine Rolle spielten! Darby schrieb 1881 selbst an einen Bruder: "Was die Schwierig­keiten in England betrifft, so unterstellten Sie zu Unrecht, daß die Brüder nicht begriffen, daß die Taufe damit zu tun hatte. Sie begriffen es sehr wohl, aber es war alles auf einer Seite. Vor zwei Jahren hatte einer von ihnen gesagt, daß die Brüder über diesen Punkt auseinandergehen müßten010 Im Mai 1881 hatte Darby auch einen Briefwechsel mit A. Miller über diesen Punkt; ich habe hier die Originale dieser Briefe (*) vor mir, und daraus ist ersichtlich, daß sowohl un­ter den Kindertäufern als auch den Gläubigentäufern die Vorstellung vertreten wurde, daß die beiden Gruppen auseinandergehen müßten. Darby und Miller verwar­fen diesen sektiererischen Gedanken nachdrücklich. Miller beschuldigte vor allem Stoney, danach zu trachten, die Auffassung über die Kindertaufe zu verbreiten.

(3) Um diese Auseinandersetzungen einigermaßen zu erläutern, müssen wir jetzt endlich etwas näher auf einige geistliche Hintergründe eingehen. J. Butler Sto­ney war einer der hervorragendsten unter den Schülern Darbys. Er war wegen sei­nes gefälligen Wesens, seiner geistlichen Begabung und seiner freundlichen Gesinnung unter der Brüdern sehr beliebt. Dieser Bruder besaß jedoch neben manchen liebenswürdigen Eigenschaften eine gefährliche Schwäche, nämlich eine, wie es scheint, fast unwiderstehliche Neigung, stets etwas Neues und Interessantes zu sagen und eine gewisse Seite der Wahrheit, oft das "höhere christliche Leben" genannt, sich zu eigen zu machen und auf Kosten anderer, ebenso bedeutender christlicher Wahrheiten zu betonen und in den Vordergrund zu stellen.

Er begann im Jahre 1867 eine kleine Monatsschrift unter dem Titel: A Voice to the Faithful (d.h. "Eine Stimme an die Getreuen"). Dieses Schriftchen suchte in Ton und Inhalt den rechtmäßigen, himmelwärts gerichteten Neigungen und Bestre­bungen des neuen Menschen einen so überwiegenden Platz zu gäben, daß dadurch das Gemüt des unerfahrenen Lesers allmählich zu geistlichen Selbst-­Vollkommenheitsbestrebungen hinaufgespannt und so zu einer geistlichen Höhe hin­aufgehoben wurde, von der man dann bald auf andere minder "geistlich gesinnte" Christen herabsah, die, wie man glaubte, auf einer niederen Stufe geistlicher Gesinnung standen.

So gelangte man dann bald zu der Vorstellung verschiedener Schulen, Stufen und Klassen unter jenen Brüdern, was, wie die Erfahrung lehrt, der gerade Weg zu der gefährlichsten aller geistlichen Krankheiten, dem Hochmut und geistlichen Stolz ist. Und da eine solche neue Lehre stets viele Anhänger findet, die in dem Ver­ständnis solcher tiefen, im Ton eines Orakels gegebenen Lehren hinter anderen nicht zurückbleiben wollen, so bildete sich bald eine Stoneysche Schule, deren Ergebnis zuletzt die schon erwähnte "Neue‑Teig‑Lehre" war, die ihre Anhänger ohne Zweifel aus den obengenannten Monatsschriften B. Stoneys ("Eine Stimme an die Getreuen" und auch "Nahrung für die Herde“ gelernt und zusammengestellt hatten.

Die Anhänger Stoneys waren auch ausnahmslos Anhänger der Kindertauflehre. Sie fingen allmählich an, diese Lehre. immer mehr in den Vordergrund zu bringen und ein ungebührliches und daher gefährliches Gewicht auf diese Lehre zu legen. Lei­der begann auch Darby nun bald den von ihm früher so weislich eingeschlagenen und bisher eingehaltenen Weg geistlicher Zurückhaltung hinsichtlich der Taufe zu verlassen. Es wurde bald allgemein bekannt, daß gläubige Eltern ihm einen großen Gefallen erzeigen konnten, wenn sie ihn baten, ihre Kindlein zu taufen. Das heißt aber nun durchaus nicht, daß Darby die Richtung Stoneys unterstützte, im Gegenteil. Er fing an, sich unter den verschiedenen Strömungen und Gegenströmun­gen sehr unbehaglich zu fühlen. Er war zu hoch begabt und besaß eine zu tiefe Einsicht in das Wort Gottes, um nicht die übertriebene und ungesunde Richtung Stoneys und seiner Anhänger zu verwerfen. Aber diese Partei stützte seine Kin­dertaufe, und viele seiner eifrigsten Anhänger gehörten zu ihr. Auf der anderen Seite nahm sein Verhältnis zu W. Kelly und seinem alten Freund Dr. Cronin einen immer kälteren Charakter an. Die an jedem Freitagabend in Dr. Cronins Haus seit langen Jahren stattfindenden Bibelstunden nämlich, in denen Darby früher zugegen war, wenn er nicht von London abwesend war, wurden seit Kellys Übersiedlung nach London von letzterem während Darbys Abwesenheit auf dem Kontinent besucht. Am Ende der Versammlungen wurden gewöhnlich Taufhandlungen an erwachsenen Gläubigen von Dr. Cronin in seinem Haus vollzogen. Und da Darby oft den Kontinent zum Besuch der Gläubigen bereiste, so nahm nach und nach W. Kelly seine Stelle in den Bibelstunden in Dr. Cronins Haus ein. In Darbys Haus dagegen, wenn er in London war, fand jeden Dienstagabend eine Bibelstunde statt, zu der sich fast aus­schließlich die Anhänger der Kindertaufe und Stoneys einfanden.

So traten denn beide Lehrrichtungen immer schroffer einander entgegen. Dr. Cronin taufte in seinem Haus die Erwachsenen, und Darby die Kindlein von Haus zu Haus. Da aber Dr. Cronins Begabung und Stellung im weiteren Umfang der Versammlung Gottes, verglichen mit der von Darby, nur unbedeutend war, so befand er sich, obwohl seine wöchentlichen Taufverrichtungen auch nicht sehr weise waren, jedenfalls nicht in derselben Gefahr wie Darby, durch beständige Taufhandlungen zum Haupt einer Partei zu werden. Anders verhielt es sich mit W. Kelly, der we­gen seiner hohen Begabung als Lehrer in Wort und Schrift die nächste Stellung nach Darby unter den Brüdern in England einnahm. Kelly hatte sich fast immer in weiser Entfernung von allen Taufstreitigkeiten gehalten, was den wohltätigen Er­folg für ihn hatte, daß er für die ihm verliehene Gabe überall offene Türen. fand.

Sein steigender Einfluß als ein hochgeachteter Lehrer wurde indes von jenen zu eifrigen und dienstbeflissenen Jüngern Darbys und Stoneys in Park Street und an­derswo mit scheelen Augen gesehen. Man flößte Darby, der dem Einfluß zunehmender Altersschwäche unterworfen war, den Verdacht ein, als ob sein alter Freund Dr. Cronin mit W. Kelly eine Art geheimen Vorschwörungsbund eingegangen sei, um Dar­by seines Einflusses in der Versammlung zu berauben und ihn von seinem wohlver­dienten, ehrenvollen Platz zu verdrängen.

Dieses ihm von jenen übelberatenen Werkzeugen des "Anklägers der Brüder" eingeflößte Mißtrauen entwickelte sich in Darby bald zu einer fixen Idee, wovon sich etliche Brüder, die ihn zu jener Zeit besuchten, leider überzeugen mußten, wie

später von Poseck, Kelly selbst und andere bezeugten.

(4) Setzen wir jetzt unsere Geschichtsschreibung fort. Das arme Kennington war zwischen zwei beständig heißer werdende Feuer geraten. Einige Brüder meinten, daß ein strenger Verweis Cronins und eine Ablehnung von Masonic Hall ausreichen sei, andere drangen auf Ausschluß. Am 19. April empfing ein Bruder aus Kenning­ton folgenden Brief (*) von Kelly: "Kann es wahr sein, daß bei einigen in Ken­nington der Wunsch besteht, eine Art Mißbilligung bezüglich des Brotbrechens des geliebten Doktors mit Finch in Ryde zu verfassen? Diejenigen also, die entweder darauf aus sind oder dazu angestachelt sind, eine so unordentliche und un­schriftgemäße Handlungsweise durchzuführen, kennen die Umstände in Ryde, um sich ein ruhiges, vollständiges und heiliges Urteil zu bilden, oder denken solche wirklich, daß die Erhitzten und Verfechter, die sagen, daß dies nötig ist, durch den Geist geleitet sind? Sie müssen einsehen, daß Handeln in solch einem Fall von der Vorsammlung kommen maß und daß die älteren Männer und. weitere aufrichti­ge Gläubige darin gegen solch ein Dokument Beschwerde einlegen. Der Zweck davon, wie sie für die Handlung der Versammlung nicht hoffen können, ist, einen alten Diener Christi zu verletzen und zu tadeln durch eine rücksichtslose Stellungnah­me von Personen, die wenig oder nichts von den Tatsachen wissen und lediglich bange gemacht sind durch die erregten Anstachelungen einiger weniger Parteimän­ner." Danach folgt eine Beschreibung des verdorbenen Zustandes in Temperance Hall, und Kelly endet dann folgendermaßen: „Ich denke, daß die Kennington‑Brüder bis zum äußersten gegangen sind, indem sie sagen, daß sie keine Gemeinschaft ha­ben konnten mit der Tat, wohl aber mit ihm selbst [Cronin]. Er hat nichts getan, wofür er den Tod oder das Gefängnis verdient hat, obwohl er sich, meiner Meinung nach, geirrt, hat. Sie werden so die Sache besser verstehen wie auch die unbe­gründete Heftigkeit, die nun zugange ist.''

Man darf hieraus vor allem nicht schließen, daß Kelly die Tat Cronins beschönig­te. Er schrieb später: "Blackheath hat niemals die Ryde‑Versammlung, mit der Dr. E. Cronin sich einmachte, anerkannt ... Ich mißbillige die Heftigkeit gegen Dr. Cronin sehr stark, obwohl ich ihn von Anfang an mehr tadelte, als Bruder Darby es tat. Aber Dr. Cronin hegte niemals den Gedanken, die Gemeinschaft zu verlas­sen." Am 21. Februar 1880 schrieb (+) Kelly an einen Bruder: „Ich denke, daß, wenn ich in Ihrer Lage wäre, ich Herrn A. an den letzten Fall erinnern würde, den wir erlebt haben und der ähnlich liegt wie der von Dr. Cronin; welch ein Ge­gensatz in dem Handeln und in den Gefühlen der Brüder damals und heute. Als S. aus London Fräulein B. half und eine Zusammenkunft außerhalb der kleinen Ver­sammlung in Newton Abbott begann, unterstützte Bruder C. McAdam die unabhängige Tat eifrig, obwohl er wußte, daß sie im Gegensatz zu dem Urteil von Exeter, Tor­quay, Paignton und von Devonshire im allgemeinen stand. Die Versammlung, die er ablehnte, ist niemals abgelehnt worden und wird noch immer als die einzige bis auf den heutige Tag anerkannt. Doch ließ Bruder McAdam, obwohl er sich nicht in Gefahr brachte, indem er mit der Gegenpartei in Newton Abbott das Brot brach, zwei davon (die L's) in Clarendon Hall zu, ohne es bekanntzumachen in [der zen­tralen wöchentlichen Brüderversammlung) in London Bridge und sandte zwei Gläubi­ge zu der falschen Versammlung in Newton Abbott. Nichtsdestoweniger machten die Brüder, die ihn für sehr im Irrtum befindlich und eigenwillig hielten, in dieser zeit niemals einen solch heftigen Lärm; und niemand ist nun so heftig wie gerade dieser C. McAdam!''

Und am 20. September 1880 schrieb (+) Kelly: „Ich bin noch immer der Meinung, daß die Gnade und Weisheit, die Bruder McAdam erwiesen wurden bei seinen Versu­chen, die schismatische Zusammenkunft gegen die wahre Versammlung in Newton Ab­bott. zu errichten, auch im Blick auf Dr. Cronins Irrtum in Ryde am Platze gewesen wären; und daß, wenn die Brüder, groß und klein, die Sache im letzten Fall überdacht hätten entsprechend denselben Maßstäben wie im ersten Fall, uns der bittere und verwüstende Kreuzzug erspart geblieben wäre, den wir noch nicht überwunden haben zur Ehre des Herrn, zur Förderung der Wahrheit und zur Auf­rechterhaltung brüderlicher Liebe und gegenseitigen Respekts ... PS ... Ich habe immer das Ganze der Handlung Dr. Cronins in Ryde bis heute verurteilt. Und ich bejahe, als von Gott kommend, Bruder Darbys unterschlagene Nachschrift bei seinem zweiten (eingezogenen) Rundschreiben; und ich fühle mich ebenso dankbar für seinen kürzlichen Brief an Capt. P., wie ich erschüttert war durch die bei­den Rundbriefe."

(5) Am 28. April hatte Kennington in einer Erklärung die Tat Cronins verurteilt, aber die Erklärung wurde auf der samstags stattfindenden zentralen London Brigde-Versammlung als unzureichend befunden. Anfang Mai begann Cronin, der den Widerstand nicht mehr ertragen konnte, in seinem eigenen Haus Brot zu brechen. Am 19. Mai verfaßte Kennington eine noch schärfere Erklärung (*), der unmittel­bar ein Brief (*) von Kennington an Darby folgte, worin er gefragt wurde, ob er damit zufrieden seit Was dieser, entsprechend einem langen Antwortschreiben (*), nicht völlig war. Die Erklärung wurde auch von London Bridge abgelehnt, obwohl Cronin erklärt hatte, daß er um des Gewissens der Brüder willen seine Verbindun­gen mit Masonic Hall abbrechen werde. Darby schrieb (*), daß Kennington nicht weit genug gegangen sei, weil Cronins eigenes Gewissen offensichtlich noch nicht erreicht sei.

In Kennington hörten 19 Brüder mit Brotbrechen auf, aus Protest, daß man nicht härter gegen Cronin auftrat. Diese "Brüder" begannen Sonntag morgens ihn mit an­züglichen Bibelstellen und Bemerkungen aufzustacheln. Und nachdem man so das irische Blut des alten Bruders erhitzt und ihn vielleicht zu einigen unweisen und raschen Worten aufgeregt hatte, sagte man, dies sei ein klarer Beweis, daß er seine Sünde nie wahrhaftig bekannt und bereut habet Man drang daher auf der örtlichen Konferenz in London Brigde um so eifriger auf seine Ausstoßung. Ein sehr tätiges und in London wohlbekanntes Mitglied jener Partei sagte u.a. (ob­gleich nicht in öffentlicher Konferenz), daß "Dr. Cronin schlimmer als ein Mör­der und Ehebrecher seil"12 Auch das ist ein Beweis des traurigen Geistes, der jene Partei beseelte.

Viele Zusammenkünfte wurden in London zum Gebet und zur Demütigung gehalten; viele Versammlungen gerieten durch die Ereignisse in ernste Verwirrung. Am 21. Juli schrieb (*) Dr. Cronin folgendes: "An die Brüder in Kennington. Ich aner­kenne das Verkehrte meiner unordentlichen Handlungsweise in Ryde, und, wie ich am und seit dem 17. Mai gesagt habe, habe ich nicht die Absicht, sie zu wieder­holen." Auf den kleinen Brief, den ich hier vor mir habe, hat Darby unten ge­kritzelt: "Am selben Tag verändert durch Einfügen von "versammlungsmäßig vor dem Wort "Verkehrte"." Cronins Bekenntnis wurde für unzureichend befunden, man war mit nichts weniger als dem Äußersten zufrieden.

III. KENNINGTON UND PARK STREET

(1) In verschiedenen Versammlungen agierten New‑Lumpistische Eiferer, die immer mehr darauf drängten, die ganze Versammlung in Kennington auszuschließen, weil sie zu träge im Ausschließen Cronins sei! Drei Versammlungen, wo die "Neueteig-Schule" überaus eifrig war, waren Park Street (Islington, Wndon)" Broadstairs und Ramsgate (beide an der Nordostküste von Kent). An diesen Orten befanden sich Brüder, die die Passivität von Kennington (wie sie es jedenfalls sahen) satt waren und Mitte August 1879 dazu übergingen zu handeln.

Zuerst traten die Eiferer in Broadstairs in Aktion. Auf einer Brüderversammlung am 13. August (die in einem Brief (*) von Bruder John Stupples beschrieben wird) kam Bruder Edward Wootton mit der Frage, ob Kennington nicht ausgeschlossen werden müsse. Obwohl verschiedene die Tatsache des Falles nicht kannten, wollten Wootton und J.R. Field die Sache an Ort und Stelle entschieden sehen, sonst würden sie sich trennen. Die Gemüter wurden jedoch beruhigt, und es wurde beschlossen, am 20. August eine Versammlungs‑Zusammenkunft zu halten und sich währenddessen gründlich zu informieren.

In der Woche vom Dienstag, dem 19. August, folgten die Ereignisse sehr schnell aufeinander. Ich werde sie Tag für Tag beschreiben in der Hoffnung, daß der Leser sie auseinanderhalten kann.

(2) Dienstag, 19. August. Die Versammlung in Kennington trifft endlich eine Entscheidung und beschließt, Bruder Cronin vom Tisch des Herrn auszuschließen, und zwar mit folgender Erklärung: "Nach langem Warten und betendem Überlegen sind wir, nachdem alles frühere Handeln der Versammlung und alle Ermahnungen erfolglos blieben, schmerzlich genötigt, Dr. Edward Cronin als außerhalb der Gemeinschaft zu erklären, bis er die Verkehrtheit seiner Tat in Ryde verurteilt und anerkennt (Eph. 4,3). Aber hatte Cronin seine Tat nicht verurteilt?? Ich habe soeben seinen Brief vom 21. Juli zitiert; hat er das denn später wieder widerrufen? Davon ist nichts bekannt. In jedem Fall: Die Erklärung wurde verlesen, man wartete einige Tage, so daß auch die neunzehn, die sich enthielten, ihre Zustim­mung geben konnten, und man fügte eine Bemerkung hinzu, daß Oberst Langford und fünf andere nicht mit dem Beschluß einig waren. Von dem Ausschluß an saß der verstoßene Patriarch monatelang hinten im Lokal; die Tränen strömten über seine Wangen, während seine Brüder Brot brachen; er, der der erste von allen war, sah sich nun auf den Platz eines Bösen gestellt. im Februar 1882 starb dieser ge­liebte Bruder im 81. Lebensjahr (siehe Kap. 9, 1,1).

An demselben Abend, am 19. August, kam auch die Versammlung in Ramsgate (vier Kilometer von Broadstairs entfernt) zusammen. Ramsgate war ein Bollwerk des New-­Lumpismus, das mit Vertrauen und Unterwürfigkeit zur Park Street‑Versammlung aufsah und bereit war, jedem ihrer Beschlüsse zu folgen. Bruder H.J. Jull, einer der bedeutendsten New‑Lumpisten im ganzen Land, drängte auf einen möglichst bal­digen Ausschluß Kenningtons laut einem Brief (*) von Dr. J.H. Smith. Die Bespre­chung der Sache Kennington, die auch hier die Gemüter erhitzte, wurde auf den 22. August vertagt.

Ebenfalls noch an demselben Abend traf sich eine kleine Gruppe der Park Street ­Versammlung, zusammen mit vielen öffentlichen Anhängern aus anderen Londoner Versammlungen. Darby war hierbei nicht anwesend, weil er sich im Norden befand. Weil man nicht wußte, daß Kennington zur gleichen Zeit Cronin ausschloß, kam "die Versammlung" zu dem Beschluß, daß die Sache nun lange genug gedauert habe, und faßte folgende vier Beschlüsse: a) Cronin nicht mehr als in Gemeinschaft an­zuerkennen; b) Kennington als Versammlung nicht mehr anzuerkennen, weil sie sich weigerte, Cronin auszuschließen, c) keine Gemeinschaft mehr mit all den Versamm­lungen zu üben, die diese Beschlüsse nicht anerkennen würden, d) die zentrale Samstagsversammlung (die kurz zuvor von London Bridge nach Cheapside verlegt worden war) nicht mehr anzuerkennen, offensichtlich wegen ihres Versagens, die Sache durchzusetzen. Diese Erklärung wurde von den Brüdern T. Aldwinckle, A.B. Pollock und Dr. Cheetham unterzeichnet und spricht dreimal über "diese Versamm­lung" ‑ völlig zu Unrecht, wie auch Darby später mehrere Male zugab (*). Nun frage ich: Kann dies ein Beschluß sein, der in der Kraft und unter der Leitung des Heiligen Geistes gefaßt wurde?? Ein derartig anmaßender Beschluß, der die zentrale Versammlung beiseite setzt und eine Partei in Park Street als maßgebend hinstellt? Aber vor allem: ein Beschluß, der gefaßt wurde, weil Kennington nicht handelte, obwohl Kennington in demselben Augenblick sehr wohl handelte? Man kann sagen: Doch das wußte Park Street nicht. Aber sagt der Heilige Geist: Ich wußte nicht ...? Paulus sagt auch: Ich wußte nicht, daß es der Hohepriester war (Apg. 23,5); doch handelte er da geleitet durch den Heiligen Geist? Hat der Herr Jesus jemals gesagt: Ich wußte nicht ‑ ?

(3) Mittwoch, 20. August. Der Beschluß von Park Street wurde unmittelbar danach im ganzen Land (1) umhergesandt, also auch zu verschiedenen umliegenden Versamm­lungen, unter ihnen Ramsgate. Abends wurde in Broadstairs die angekündigte Zu­sammenkunft der Versammlung gehalten, in Unwissenheit über die Tatsache, daß Kennington bereits einen Beschluß gefaßt hatte. Bruder Field behauptete, daß Kennington auch in den nächsten zwölf Monaten noch keinen Beschluß fassen werdet Bruder H.J. Jull, der New‑Lumpist aus Ramsgate, war ebenfalls zugegen, um zu helfen, einen Beschluß durchzudrücken. Einige wußten, daß Park Street sich mit einem Beschluß befaßte, und fragten danach, doch Jull antwortete, daß es keinen Sinn habe, auf London zu warten: "London ist entzweit, London ist vorbei, London liegt in Schutt." Alle verurteilten Cronins Tat, doch viele baten zu warten, bis man Neues von Kennington wisse. Aber diejenigen, die die Sache durchsetzen woll­ten, wollten sie vor dem Sonntag entschieden haben; die Versammlung endete in großer Verwirrung.

(4) Freitag, 22. August. Abends kam, wie verabredet, die Versammlung von Ramsga­te zusammen und verfügte nun außerdem über die Park Street‑Bulle (wie die gemä­ßigte Partei sie nannte). Die große Mehrheit der 60 bis 70 Gläubigen meinte, daß die Park Street‑Beschlüsse unmittelbar angenommen werden müßten; lediglich vier Brüder und einige Schwestern erhoben Einspruch; sie waren völlig damit einig, daß Cronin außerhalb der Gemeinschaft erklärt werden müsse, wollten aber nicht unmittelbar den Ausschluß Kenningtons gelten lassen. Da diese nicht zu erweichen waren, zogen sich die übrigen einer nach dem anderen mit den Worten zurück: "Ich verlasse diese Versammlung, wie sie nun besteht“, und traten auf diese Weise aus, um. einen "neuen Teig“ zu bilden auf "reinem, göttlichen Boden", wie sie später sagten.

Auch andere Versammlungen in Kent faßten wichtige Beschlüsse. Herne Bay (wozu W. Burbidge gehörte) nahm den Beschluß Kenningtons an und wies den von Park Street zurück, aber Faversham (wozu Th. Patching gehörte) tat genau das Entgegengesetz­te und sandte am 28. August eine Erklärung (*) umher, daß sie sich von jedem, der Park Street nicht folgte, trennen werde.

(5) Samstag, 23. August. Abends wurde die wöchentliche zentrale Versammlung in London gehalten (145, Cheapside), wo die Londoner Versammlungen gewöhnlich ihre Mitteilungen machten. Darby war aus dem Norden zurückgekehrt und ebenfalls anwe­send. Kennington machte die Mitteilung, daß Dr. Cronin außerhalb der Gemein­schaft erklärt wäre. In dem überfüllten Saal sagte Darby daraufhin ruhig, daß nun, da Kennington gehandelt habe, der Beschluß von Park Street natürlich hin­fällig sei (ich habe hier seine eigenen Aufzeichnungen (*) von diesem Aus­spruch). Dadurch wurde die Einheit der Londoner Versammlungen glücklicherweise im letzten Augenblick gerettet. Doch außerhalb Londons begann nun das Elend erst richtig. Als Wootton in Broadstairs von Kenningtons Beschluß hörte, rief er aus: "Zu spät, zu spät!" ‑ und blieb bei seinem Austritt.

In Ramsgate wußte man zwar von der Park Street‑Entscheidung, aber nicht von dem Beschluß Kenningtons und somit auch nicht, daß dadurch die Park Street­Entscheidung gegenstandslos wurde. An jenem Samstag schloß Jull mit zweien sei­ner Freunde sechs der zu ihrer eigenen Partei gehörenden Brüder von der am näch­sten Morgen beginnenden neuen Versammlung aus, weil jene sechs Brüder ihnen nicht geistlich genug für den erhabenen Neuen‑Teig‑Standpunkt erschienen. Einer der beiden Gefährten Julls schloß seinen eigenen Vater und der andere seinen Schwiegervater von der neu zu errichtenden Gemeinschaft aus! Diese Handlung wur­de abends um 10 Uhr in der Straße zu Ramsgate unter einem Laternenpfahl vorge­nommen! War dies neuer Teig oder Sauerteig?

(6) Sonntag, 24. August. Park Street gab zu erkennen, daß es den Beschluß Ken­ningtons und damit Kennington selbst anerkenne, indem es die Erklärung dieser Versammlung am Schluß der Zusammenkunft vorlas. In Broadstairs ging es weniger glatt zu; trotz Kenningtons Entscheidung richteten Wootton und Field und einige andere in St. Peters einen neuen Tisch auf und teilten hochmütig mit, daß sie als ein "neuer Teig" zusammenkämen und daß alle, die nicht erscheinen würden, vom Tisch des Herrn ausgeschlossen würden! Die übrigen versammelten sich wie ge­wöhnlich und lasen die Erklärung Kenningtons vor, die von allen angenommen wur­de.

In Ramsgate konnte das übliche Versammlungslokal" genannt Guildford Hall, von der ausgetretenen Mehrheit nicht benutzt werden, weil der Schlüssel in den Hän­den der kleinen Minderheit war. Deshalb kamen sie vorübergehend in Almrah House zusammen; einige gingen zwar zum Lokal, fanden es jedoch verschlossen und gingen wieder nach Hause. Später begannen sie (nachdem sie die Entscheidung Kenningtons vernommen hatten) sich mit einigen Dutzend Personen in einem Lokal in Abbott's Hill (Ramsgate) zu versammeln und überließen Guildford Hall der großen Mehrheit, weil der Hausmeister, Bruder G.C. Millward, dazu gehörte. Unter diesen beiden Namen AH und GH" wurden die beiden Parteien schon bald allgemein bekannt.

IV. PARK STREET UND RAMSGATE

(1) Was Darby nun genau von der Park Street‑Erklärung hielt, ist nicht ganz ein­deutig. In seinen Briefen (*) schrieb er: "Daß die erste Erklärung von Park Street überall umhergesandt wurde, verursachte diese Schwierigkeiten. Niemand, denke ich, findet, daß es weise warm (Sept. 1879) "Das Umhersenden der ersten Park Street‑ Erklärung war, denke ich, denken meiner Meinung nach alle, ein Ver­sehen, obwohl die Erklärung in abstraktem Sinn logisch war. Ich kann ihr Umher­senden kaum die Tat der Versammlung nennen [ 1 ], obwohl das ihnen gegenüber ge­nannt worden zu sein scheint" (Okt. 1879) (*). "Ich mischte mich niemals in die ursprüngliche Park Street‑Erklärung ... Wogegen ich Einspruch erhob, war das Um­hersenden der Mitteilung" (Jan. 1882). Ein Bruder J.H. Boddy aus Lewisham (London) schrieb (*) jedoch am 30. August 1879 an Bruder H.J. Jull: "J.N.D. sag­te mir, daß er dächte, daß die Park Street‑Versammlung in ihrer Erklärung sich der Unabhängigkeit schuldig gemacht habe, und wenn sie nicht einer Mitteilung zustimmten [nämlich die von Kennington anzuerkennen und die von Park Street zu widerrufen], würde er die Park Street‑Versammlung verlassen. Er würde die morgen am Tisch vorlesen und heute abend in Cheapside." Darby stellte also selbst die zweite Erklärung auf; nach einem anderen Brief (*) ließ er einen der bekannte­sten Park Street‑Brüder, Th. Aldwinckle, zu sich kommen und bat ihn, diese zwei­te Erklärung durchzusehen. Dieser wollte sich damit einig erklären, nachdem Darby, ihm zufolge, bestätigt hatte, daß a) die Park Street‑Zusammenkunft vom 19. August eine korrekte Versammlungs‑Zusammenkunft gewesen war, (b) die Erklärung in dieser Zusammenkunft auf richtige und ehrliche Weise aufgestellt worden war und (c) Darby mit seiner zweiten Erklärung die Grundsätze der ersten nicht um­werfen oder leugnen wollte.

Es ist bemerkenswert zu sehen (auch in dem Verlauf der Affäre), wieviel Einfluß Darby hatte und wie sehr man wünschte, seine Meinung zu kennen und danach zu handeln. In Broadstairs hatten die Ausgetretenen die Kennington‑Entscheidung zu­erst verächtlich von der Hand gewiesen, aber später hörten sie, daß Park Street sie angenommen habe. Darüber hinaus riet Darby Wootton und Field, ihren unabhän­gigen Tisch in St. Peterls aufzugeben. Dies taten sie, und darauf suchten sie Kontakt mit den anderen Brüdern. Am 13. September widerriefen (*) sie ihren Aus­tritt, später verurteilten sie die Errichtung des Tisches und vereinigten sich wieder mit ihren Brüdern. In dem Maße jedoch, wie sich der Zustand in Ramsgate weiter polarisierte, entstand dort wieder Uneinigkeit und Trennung; Wootton und Field wählten mit den Ihren die Seite der sektiererischen New‑Lumpisten in Guildford Hall.

Auch Faversham war natürlich verwirrt durch die zweite Park Street‑ (nun eigent­lich: Londoner) Erklärung. Sie unterwarf sich ihr jedoch und zog in einer Mit­teilung (*) vom 5. September ihre herumgeschickte Trennungserklärung zurück. Dies rief bei Herne Bay eine scharfe Reaktion hervor (wie sich aus einem Brief (*) von Burbidge ergibt).

(2) Wie waren die Entwicklungen in Ramsgate? Als die Ausgetretenen, die später in Guildford Hall (GH) zusammenkamen, von der Entscheidung Kenningtons hörten, reagierten sie geradeso wie die Ausgetretenen in Broadstairs und sagten (er­sichtlich aus einem Brief (*) von Bruder A. Olby, der zuerst mit GH und später mit Abbott's Hill mitging), daß die Entscheidung zu spät komme, sündig und noch ärger sei und daß bestimmte Brüder in London dadurch nicht irregeführt werden würden. Bruder Millward sagte: "Wir haben die Absicht, ein neuer Teig zu sein" (nach einem Bericht (*) der. Brüder A. Hope und Th.E. Pettmann). Als dann auch die zweite Park Street‑Erklärung kam, machten sie natürlich ein langes Gesicht. Sie hörten sofort mit dem Brotbrechen auf und suchten die Wiedervereinigung mit den übrigen.

Die Minderheit hatte sich am 31. August in Abbott's Hill (AH) versammelt und be­schloß während der Zusammenkunft" die sechs Führer unter denen, die ausgetreten waren (einschließlich Jull), außerhalb der Gemeinschaft zu erklären. Als die Ausgetretenen wieder Anschluß suchten, erklärte AH, daß sie noch immer auf dem Boden ständen, wo sich der Tisch des Herrn befand, und daß die Ausgetretenen deshalb alle einzeln mit dem Bekenntnis ihres schismatischen Verhaltens zurück­kehren müßten. obwohl dieser Standpunkt formell richtig war, muß man den Aus­schluß seitens AH und ihre starre Haltung gegenüber den Ausgetretenen bedauern. GH weigerte sich, auf dieser Grundlage zurückzukehren, weil sie sagten, daß sie keine "Unabhängigkeit" beabsichtigt hätten; doch hätten sie ihrerseits dann nicht zumindest ihr übereiltes Verhalten oder unwissentliche Unabhängigkeit be­kennen müssen?

Es ist also schwierig, mit einer der beiden Parteien Sympathie zu haben. Darby schrieb mehrere Male an Jull und forderte ihn dringend auf, ein neues Brotbre­chen in GH zu beginnen. Er gab in einem Brief (*) zu, daß GH übereilt gehandelt habe, aber die Haltung von AH nannte er böse, vor allem wegen der Ausschlußhand­lung. Nun ist letzteres etwas befremdend, weil erstens auch Jull und seine An­hänger solch eine Handlung am 23.8.1879 ausgeführt hatten und weil zweitens, als Darby dies schrieb (irgendwann 1880), AH bereits wenigstens einmal (am 21. No­vember 1879) und möglicherweise ein zweites Mal (am 8. Juli 1880) den Ausschluß schriftlich zurückgezogen und verurteilt hatte, und am 24. August 1880 geschah dies zum drittenmal! Darüber hinaus hatte Dr. J. Harmar Smith von AH bereits am 12. September 1879 an Darby geschrieben (*), daß sie bereit wären, alles zu tun, um die Brüder, die sich getrennt hatten, zurückzugewinnen (ohne übrigens dem ei­genen Gewissen Gewalt anzutun), und daß auf beiden Seiten Fehler bekannt werden müßten.

Am 18. Dezember 1879 kam GH mit einem wichtigen Vorschlag, nämlich an einem Sonntag eine gemeinsame Zusammenkunft zur Demütigung und zum Gebet zu halten und dann an dem folgenden Sonntag wieder gemeinsam Brot zu brechen. Dies verwarf AH, weil GH's Brief von zwei gleichwertigen Gruppen ausging und nicht anerkannte, daß GH aus "der Versammlung" ausgetreten war. Deshalb könnten sie (AH) es nicht verantworten, das Brotbrechen einen Sonntag zu unterbrechen. Am 16. Februar ant­wortete GH: "Wir sind mit euch darin einig, daß es keine Schriftstelle gibt, aufgrund wovon eine Versammlung aufgehoben ist, weil sie es an einem Sonntag un­terläßt, Brot zu brechen“; aber trotzdem hielten sie seitdem hartnäckig an ih­rer Forderung fest, daß AH ein Brotbrechen überschlagen solle! Sogar als am 17. März vier umliegende Versammlungen bei AH und GH darauf drangen, daß sie zu ge­genseitigem Bekenntnis und zur Demütigung zusammenkommen möchten, schloß AH sich dem am 22. an, aber GH schrieb am 23.: "Wir bedauern, sagen zu müssen, daß wir nichts von einer derartigen Grundlage wissen." Hierauf folgte eine langdauern­de Korrespondenz, wobei GH drei – und AH viermal einen Vorschlag zur Versöhnung und Wiedervereinigung machte. Danach folgte am 24. August ein wichtiger Brief von AH mit einem demütigen Kompromißvorschlag, nämlich während der Woche eine Zusammenkunft zum Bekenntnis und zur Demütigung zu halten und dann am Sonntag darauf zusammen Brot zu brechen; auch widerriefen und verurteilten sie zum drit­tenmal den Ausschluß der sechs Führer von (M. Auch war dies seit dem 1. März und 4. Juni der dritte Vorschlag von AH, der jedoch auch jetzt von GH (am 28. September) abgelehnt wurde, weil AH das Brotbrechen nicht einen Sonntag unterbre­chen wollte!

(3) Diese eigensinnige Haltung der schismatischen GH ist sehr bedauerlich. Ihre tieferen Motive werden noch klarer, wenn man die auffällig ungeistlichen Briefe (*) des Führers von GH, H.J. Jull, an Darby liest, in denen er eine Reihe über­hebliche Beschuldigungen äußert und behauptet, allein den Tisch zu haben. Ein Bruder schrieb (*), daß dieser Jull das wichtigste Instrument gewesen sei im Spalten von drei Versammlungen (unter ihnen offensichtlich Ramsgate und Broad­stairs) 1 Obwohl Darby später von der GH‑Partei eingefangen wurde, ist es wich­tig, sorgfältig festzustellen, was er über sie schrieb. Am 1. Juli 1880 schrieb er aus Dublin: "Was Uneinigkeit betrifft, bin ich so fest entschlossen wie mög­lich ... Ich würde ebensowenig mit einer Partei gegen das Böse mitgehen wie mit dem Bösen selbst (Jes 8,12.13). Ich habe lange gefühlt, daß diese Partei, die vorgibt, die gottesfürchtige zu sein, diejenige ist, die gefürchtet werden muß ... Ich muß dem hinzufügen, daß Stoney zur Antwort schrieb, daß Uneinigkeit so weit von ihm entfernt sei, wie ich nur annehmen könne; aber ich denke nicht, daß er weiß, was er tut" [l] (fett durch mich).

Wie richtig dies war, zeigt sich in einem Brief (*), den Jull am 18. September morgens um vier Uhr in großer Gereiztheit schrieb und worin wir u.a. lesen: «Ich kann nur finden, daß die Brüder, denen Gott Sein kostbares Zeugnis anvertraut hat, nicht länger durch diese Heiligkeit und Wahrheit gekennzeichnet werden, die ihm eigen sind ... Ich bin gezwungen, ehrlich meine Meinung zu sagen, daß die Regelung [der Sache Kenningtons) nicht göttlich war ... Die Erklärung war nicht vom Geiste Gottes, sondern kam aus ihnen selbst hervor ... So ernst es ist, sa­gen zu müssen (ich setze Ihr uneingeschränktes Verlangen nach dem Wohlergehen des Zeugnisses und Volkes Gottes voraus), Sie machten einen verhängnisvollen Irrtum, indem Sie darauf drangen, daß die Erklärung in London angenommen wurde: Hunderten gottesfürchtiger Gewissen wurde dadurch Gewalt angetan, und die böse Partei, die sie rettete, nahm sie an, während sie sie im Herzen verwarf ... Pettman [der Führer von AH] sagte zu Pelter am vergangenen Montag, daß er mit dem Brotbrechen aufhören könnte in Gnade (d.h. als Entgegenkommen]; Pelter ant­wortete, daß ihre Stellung oder vielmehr ihr Tisch entweder gut oder verkehrt sei ... Ich fürchte, daß Ihre freundliche und wohlwollende Handlungsweise mit A. Hill ihnen nichts Gutes tat: sie denken, daß Sie Ihre Gedanken im Blick auf sie geändert haben."

Da der Tenor von Julls Brief war, daß er das Zeugnis der "Brüder" als Ganzes beiseite setzte, sandte Darby ihn am 22. September eine kräftige Antwort, die durch ein Versehen gedruckt oder umhergesandt wurde. Darin schrieb (*) er u.a.: "Niemand, der mit Ramsgate usw. bekannt war, war unwissend bezüglich der zwei Parteien, die dort seit langem bestanden. Ich wußte, bevor ich Frankreich ver­ließ, von einer Partei, die geneigt war, sich zu trennen auf der Grundlage, die Sie nennen ... Solange es ein Frage war, die Ramsgate usw. betraf, habe ich A. Hill niemals anerkannt. Ich hoffte, daß dadurch, daß ich es Gott überließ, die Stellung der Abgetrennten sich aufklären würde. Es war eine örtliche Frage. Ihr heutiger Brief stellt es auf eine andere Grundlage. Sie vereinigen Sich öffent­lich mit der Partei, die ich gemeint habe ... Ihr Brief geht zu weit. Weiterhin verurteilen Sie nun öffentlich die Gesamtheit der Brüder als untauglich, um ih­nen mit verbunden zu sein wegen ihres Zustandes, während Sie selbst sich das Recht vorbehalten; bestimmte Versammlungen und Personen auszuwählen, die Sie an­erkennen wollen. Sie und diese Partei werden [angeblich] gekennzeichnet durch die Heiligkeit und Wahrheit, die dem kostbaren Zeugnis eigen sind, das Gott den Brüdern anvertraut hat, wenigstens durch die Liebe dazu und die Treue ihm gegen­über; die übrigen werden in ihrer Gesamtheit als unwürdig betrachtet.

Nun habe ich nicht gesehen, daß diejenigen, die sich dies anmaßen, heiliger sind oder mehr gekennzeichnet werden durch das, was diesem Zeugnis eigen ist, weder daß sie mehr ergeben sind, noch daß sie das Wohlergehen der Versammlung Gottes auf ihrem Herzen tragen ... Ich kenne unter den Tausenden, um die Sie nicht wis­sen, Brüder, die im Verborgenen ergebener, mehr Christus hingegeben wandeln als die, die geneigt sind, sie so anmaßend zu verlassen ... (Selbst] habe ich mit tieferer Angst, als ich es hier sagen kann, vor Gott die Frage überdacht, ob ich die Brüder ertragen müßte und was ich tun sollte. Ich fühlte deutlich, daß es kein Glaube war ‑ der Mietling flieht, ‑ und ich blieb, wo ich war ... Deshalb ... verwerfe ich die Grundlage, die Sie eingenommen haben, als böse. Wenn die Bewegung derer, denen Sie sich anschließen, beabsichtigte, die Brüder auseinan­derzubringen ‑ und ich habe an das alles gedacht ‑, dann wäre Ihre Partei, wenn ich mich einer anschließen müßte (was ich nicht hoffe), die allerletzte, denke ich, bei der ich sein würde ‑ in der Tat würde ich daran sogar überhaupt nicht denken, es ist zu anmaßend für mich" (fett durch mich).

Welch eine Tragik, daß es in der Tat (in sittlicher Hinsicht) genau diese Partei war, bei der Darby innerhalb eines Jahres landete ... 1 Obgleich Darby, wie ge­sagt, den gefährlichen Charakter der Richtung und der lehren der New‑Lumpisten einsah und fürchtete und andere davor warnte, so war doch die ständige Wirkung des ihm eingeflößten Mißtrauens gegen Dr. Cronin und W. Kelly so groß geworden, daß es, gleich einem wucherden, giftigen Unkraut, allmählich seine bessere Ein­sicht verdunkelt hatte.

Und obwohl der treue, greise Diener Gottes, von Zeit zu Zeit seine Augen öff­nend, das ihn immer enger umspinnende Parteinetz mit einem plötzlichen Ruck zu zerreißen gedroht hatte, wie auf der erwähnten Konferenz in Cheapside am 30. Au­gust 1879, und in dem gerade erwähnten Brief und dem genannten Brief vom 1. Juli 1880 (aus Dublin), so hatte doch, es ist traurig zu sagen, das alte Mißtrauen bald wieder die Oberhand gewonnen. Sein sonst so heller und scharfer Blick hatte sich mehr und mehr verdunkelt; die Maschen des Parteinetzes zogen sich immer enger um ihn zusammen; "die Söhne der Zeruja waren zu hart* für den schwachen Greis, und er sank, gegen seine Willen, von seinem einst so ehrenvollen Platz zu dem Haupt der von ihm selbst so gefürchteten Partei herab, bis er zuletzt ihr fast willenloses Werkzeug wurde. Und das" nachdem die Gnade Gottes in diesem lieben und treuen Diener des Herrn ihn mitten in den zunehmenden Weihrauchwolken menschlicher Huldigungen so manche Jahre in so gesunder, geistlicher Einfalt er­halten hatte ...

(4) Nach dem Brotbrechen an dem ersten Sonntag (24. August 1879) hatte GH einige Zeit später noch einmal mit Brotbrechen begonnen, aber damit auf Anraten der Brüder wieder aufgehört, die ihnen empfahlen, Geduld zu üben. Am 20. März 1881 war diese Geduld jedoch zu Ende und wurde zum drittenmal (und nun endgültig) mit Brotbrechen begonnen, doch erneut ohne die Zustimmung der umliegenden Versammlungen in Kent. Das Drama näherte sich nun seinem Höhepunkt; dieser kam im ,April, als ein Bruder von GH sich mit einem Empfehlungsschreiben an die Park Street‑Versammlung wandte und diese sich nun verpflichtet fühlte, eine Entschei­dung in dieser Sache zu fällen. Während derselben Zeit traf die Versammlung in Hornsey Rise (London) mit großer Mehrheit die Entscheidung, GH anzuerkennen (mit Ausschluß von AH), doch niemand schenkte dem Beschluß dieser "unbedeutenden" Versammlung Beachtung. Aller Augen waren auf Park Street gerichtet.

Am 21. und 28. April und 5. Mai wurden dort drei Zusammenkünfte gehalten, um zu einer Entscheidung zu kommen; an zwei Abenden wurde die Sache von AH besehen und am dritten Abend die von GH. Bruder W. Burbidge aus Herne Bay verteidigte AH und drängte auf seine Anerkennung, doch Darby erklärte schon am Ende der ersten Zusammenkunft, daß, wenn AH anerkannt werden würde, er sich aus der Versammlung zurückzöget Am 3. Abend sprach Bruder Thomas B. Miller (Sohn von Andrew Miller und Schwager von Dr. Thomas Neatby) geraume Zeit gegen die Anerkennung von GH. Danach gab Darby eine historische Übersicht, die länger als eine Stunde dauerte, über den Fragenkomplex von Ryde bis Ramsgate, worin er auch zeigte, wie der New-­Lumpismus Cronin, aber auch Jull infiziert hatte. Bruder E.P. Corin stand auf, um darzulegen, daß Jull niemals von der Neueteig‑Schule beeinflußt war, doch Darby schien nicht überzeugt zu sein. Dann standen Jull und Millward auf, die ihre Hast und ihre Irrtümer bekannten, aber "Unabhängigkeit" wollten sie nicht zugeben. Weil sich herausstellte, daß die große Mehrheit für die Anerkennung von GH war, wurden zwei Erklärungen (die Darby bereits 14 Tage fertig hattet) mit dieser Absicht vorgelesen, und die mildere wurde von den Park Street‑Brüdern an­genommen (obwohl nicht einstimmig). Den anderen anwesenden Brüder wurde zu wie­derholten Malen bedeutet, daß sie hier keine Stimme und nichts zu entscheiden hätten. Kurz darauf wurde die angenommene Erklärung der zentralen Cheapside­ Versammlung zur Kenntnis gebracht. So wurde Guildford Hall als Versammlung in Ramsgate anerkannt und Abbott's Hill als außerhalb der Gemeinschaft erklärt.

Kelly schrieb (+) hierüber am 7. September 1881: "War es gottesfürchtig oder gar gerecht von dem einflußreichsten Mann in der Park Street‑Versammlung [nämlich Darby], wiederholte Male und auf verschiedene weisen von Anfang bis Ende die überlegenden Gläubigen unter den Eindruck zu bringen, daß, wenn sie Abbott's Hill nicht ablehnten, er die Brüder morgen verlassen werde, oder etwas in diesem Sinne? ... Ich glaube, daß Brüder, die gemäß ihrem Gewissen nicht Guildford Hall akzeptieren können mit Ausschluß von Abbott's Hill, vor Gott versagten, indem sie den Zwang von Capt. B. [Barton?] und seiner Partei nicht verwarfen. Denn ich glaube, daß sie keine Sicherheit in ihren Seelen fühlten, daß Abbott's Hill wirklich und sicher seinen Platz verwirkt hatte als der wahre Überrest der Ver­sammlung, aus dem Jull und seine Freunde schismatisch wegliefen, und daß sie kein gutgegründetes Vertrauen haben, daß die Ausgetretenen wahrhaftig und voll­ständig ihre frühere Sünde verurteilen oder nun auf einer richtigen Grundlage sind. Deshalb müssen sie sich meines Erachtens ruhig und standhaft weigern, die­ses Urteil über die Ramsgate‑Uneinigkeit zu einem Prüfstein für die Versammlun­gen und die einzelnen Personen zu machen, als ein verhängnisvolles Bloßstellen der wahren Grundlage des Versammelns und ein sicheres Mittel zu allgemeiner Trennung. Denn vielleicht wissen Sie nicht, daß, als Jull sich von Pettman trennte, am Freitag, dem 22. August 1879, Pettman ebenso stark dafür war, Dr. Cronin für außerhalb zu erklären wie Jull; und als Jull seine neue Versammlung in Almorah House am 24. begann, war er im Besitz der Kennington‑Mitteilung, den Doktor auszuschließen. Es war deshalb eine nicht zu entschuldigende Trennung; und dies hat er gegenüber zwei Zeugen geleugnet, F. und P., seit der Park Street‑Mitteilung, indem er sagte, daß es lediglich um Tatsachen und eine Auf­fassungsfrage ging und nicht um eine Sünde im Grundsatz. Ich bin deshalb davon überzeugt, daß er im Grundsatz noch derselbe Mann ist und die Versammlung nichts als eine Partei von Schismatikern ...

AH gab vor langer Zeit (einem Jahr) gegenüber Jull usw. zu, daß es von ihrer Partei verkehrt war, sie auszuschließen; und Jull usw. nahm dieses Bekenntnis an. Doch wurde dies in Park Street und überall sonstwo heftig gegen sie ange­führt. Auch anerkannten sie seit langem ihren Mangel an wirklicher Sorgfalt und an Maßnahmen gegen das unglückliche Zusammentreffen von Umständen, die ihr Brot­brechen am 24. August 1879 verhinderten. Was gibt es weiter noch gegen sie? Ich glaube, daß sie in all dem anderen völlig richtig stehen. Wie unaufrichtig, zu wiederholen, was sie längst anerkannt und bereut haben!“

Am 12. November 1881 schrieb (+) Kelly: "Die Unabhängigkeit und der Parteigeist, womit, wie wir alle wissen, Guildford Hall begann, ist ‑ trotz aller Beteuerun­gen ‑ noch niemals zugegeben und bekannt worden, und die eigentliche Sünde bleibt in all ihrem Ernst ungerichtet und unbekannt bis auf den heutigen Tag. Es ist eine absolute Lüge, daß Pettman und diejenigen, die Kennington und London nicht abschneiden wollten, wie Jull usw. es am 22. August wollten, dagegen wa­ren, daß Dr. Cronin ausgeschlossen wurde. Aber sie waren sehr zu Recht der Mei­nung, daß es ihre Pflicht in Ramsgate war, zu warten, während London wartete, damit alle zusammen in Einheit handelten. Guildford Hall verletzte die Einheit, die Abbott's Hill unter einem denkbar schweren Druck aufrechtzuerhalten trachte­te.

Doch der einzig vernünftige Kurs unter den gegebenen Umständen scheint mir, ehr­lich zu sagen, daß Guildford Hall anerkannt worden ist unter einem falschen Ein­druck einer Reue, die Jull selbst leugnet. Niemand würde daran denken, in solch einer Krise lange stillzustehen bei solchen Dingen wie Hast und Irrtum in Be­schlüssen. Doch das Weggehen aus der Gemeinschaft mit den Brüdern in weiterem Sinne war ein große Sünde; und das Errichten einer neuen Versammlung in Opposi­tion war, was die Schrift Sektierertum nennt (siehe 1. Kor. 11,19; Tit. 3,10). Jull wird andere Dinge anerkennen, hält sich aber still bezüglich der wirklichen Sünde der Unabhängigkeit und des Sektierertums. Und diejenigen, die fortfahren, Guildford Hall gelten zu lassen (das nichts zugegeben hat, außer über Jull), sind Parteien, die diese großen Sünden beschönigen.

V. UNNÖTIGE TRENNUNG

(1) Natürlich war Abbott's Hill über die Park Street‑Erklärung sehr bestürzt. Briefen (*) der Brüder Th.B. Miller und Th. E. Pettman (AH) zufolge, hielt AH am Samtag, dem 7. Mai, eine Gebetsstunde und ebenfalls sonntags morgens, da sie gebrochen waren und keine Freimütigkeit zum Brotbrechen hatten. Darauf richteten sie sich montags an Jull mit dem demütigen, Vorschlag, in der Woche zur Demüti­gung und am folgenden Sonntag zu gemeinsamem Brotbrechen zusammenzukommen, damit die schreckliche Drohung einer Trennung doch noch abgewendet würde. Doch diens­tags sandte Jull den Brief zurück mit der Mitteilung, daß CH keine Briefe von AH mehr annehmen werdet Nun kam die wahre Art der New‑Lumpisten in GH ans Licht. Den Rücken durch den Park Street‑Beschluß gestützt, ließ Jull allen Geist einer Demütigung fahren und verkündete überheblich, daß AH nicht die "anerkannten Ver­sammlung sei, folglich ihre Gemeinschaft aufheben müsse und die Gläubigen per­sönlich um Zulassung bitten müßten, mit dem Bekenntnis, daß "ihre Stellung falsch gewesen sei, ihre Handlungsweise böse und der Tisch Ungerechtigkeit."21 Dasselbe (doch freundlicher) schrieb (*) Darby an Pettman.

Miller schrieb (*) an Darby: "Jull zeigte nicht das geringste verlangen, die Gläubigen in AH wieder bei sich zu haben. Ich fürchte, daß der Parteigeist, den Sie so deutlich abgelehnt haben, nicht verschwunden ist. wenn dies die Art und Weise ist, in der Vorschläge zur Versöhnung entgegengencamen werden müssen, dann kann ich nur die Worte Ihres Briefes [des Rundbriefs gegen Jull] wiederholen, daß diese Partei zu anmaßend für mich ist. Ich bin sicher, aufgrund dessen, was Sie in Park Street sagten, daß Sie nun die Partei verwerfen, ebensosehr, wie Sie es seit dem Herbst taten. Ich fürchte, daß ihre Taten den Heiligen noch Schwie­rigkeiten bereiten werden." Leider war Darby für die Partei gewonnen und sollte sie nicht mehr verlassen. Miller schloß damit, zu sagen, daß Jull en passant auch die Versammlung in Broadstairs verurteilt hatte (wo ja auch New‑Lumpisten ausgetreten waren), obwohl sie überhaupt keine Gemeinschaft mit AH gehabt hatte.

(2) Als GH in seiner Haltung beharrte, nahm AH am 12. Juni das Brotbrechen (nach fünf Unterbrechungen) wieder auf, in der Hoffnung, daß andere Versammlungen die Park Street‑Entscheidung ablehnen würden. Dies taten tatsächlich fünf der sechs­undzwanzig Londoner Versammlungen, doch das will nicht heißen, daß sie damit au­tomatisch AH anerkannten. Dies zeigt sehr wohl, daß der Parteigeist nicht auf ihrer Seite war: Sie stellten sich nicht auf die Seite einer Partei und warteten ab, damit einer Trennung vorgebeugt werden könnte. Es war nicht einfach, Partei zu wählen" weil sowohl AH als GH Fehler gemacht hatte ‑ und das war dann auch der Grund, daß Park Street seine Entscheidung in diesem Augenblick und in dieser Weise nicht hätte fällen dürfen. Kelly (der die Versammlung in Blackheath zum allergrößten Teil hinter sich hatte) antwortete (*) noch am 14. September 1881 auf eine Frage der Versammlung in Malvern: "Ich weiß nicht, ob ich Sie mit deut­licheren Worten als diesen informieren kann: Blackheath hat sich als Versammlung nicht ausgesprochen, weder für Abbott's Hill noch für Guildford Hall, Ramsgate.11

Zwei Monate später schrieb (+) Kelly (15. Dezember): "Wir haben hier (in Black­heath) beschlossen, Guildford Hall absolut abzulehnen, werden aber Abbott's Hill nicht anerkennen, bis gottesfürchtiges Vertrauen wahrhaftig und allgemein wie­derhergestellt ist. Ich vertraue keiner Uneinigkeit." In der Zwischenzeit (ein halbes Jahr nach dem Beschluß von Park Street) hatte Blackheath also beschlos­sen, GH weiter abzulehnen, aber immer noch nicht positiv Stellung genommen in der Trennung. Kelly schrieb (+) viel später (13. August 1901) darüber: "Solch einen Abscheu habe ich vor dem Zerstreuen der Gläubigen und solch einen Ernst für das Aufrechterhalten der Einheit des Geistes, daß ich keine Schritte für ei­nen Bruch mit Park Street unternahm. Niemals anerkannte ich, was sie taten; das ist eine völlig falsche Schlußfolgerung [von Ihnen]. Ich hatte nicht den Wunsch zu streiten, war aber bereit, auf eine bessere Haltung nach Selbstbesinnung zu warten. Aber sie hatten keine derartigen Bedenken. Wir in Blackheath unternahmen nichts, bis der kleine Seitentrieb in Lee aufgewiegelt wurde, das Park Street­Dekret zu bejahen, um Jull und Co. anzuerkennen, die von Park Street selbst und von allen Brüdern weggegangen waren und niemals aufrichtig diese Sünde anerkann­ten. Das ist, was Titus 3 als Ketzerei, brandmarkt; nicht Irrlehre, sondern ,Sektierereil einer Partei außerhalb.

Als Park Street dem beistimmte, dies gutzuheißen, verließen wir sie; doch die Partei ging weiter und forderte, daß alle es anerkennen sollten als von Gott und die Abbott's Hill‑Brüder ablehnen sollten, die keine einzige Sünde getan hatten wie sie; das war unmöglich für unsere Gewissen gegenüber Gott und Seinem Wort. Sogar zu der Zeit anerkannten wir Abbott's Hill niemals als eine Versammlung, bis sie sich selbst vollständig freigemacht hatten von jeder Beschuldigung, die begründet zu sein schien. Doch Sie werden sich ohne Zweifel an all dies und mehr erinnern. Auch habe ich niemals geschwankt, noch meine Meinung geändert wie Dr. Wolston. Es war Dr. C. Wolston, der einem Park Street‑Führer, H., mitteilte, daß er log bezüglich des P.S. bei Bruder Darbys Brief. Das Gutheißen von Guildford Hall war viel ärger, und das Erzwingen ihrer Anerkennung bei allen machte sie zu einer Sekte bis auf diesen Tag."

Aus diesen Briefen ersieht man deutlich, daß die, die die Park Street ­Entscheidung ablehnten, erst viel später, als die Trennung eine Tatsache gewor­den war, dazu übergingen, AH anzuerkennen; aber sie führten nicht den Bruch her­bei, denn sie ließen die, die Park Street folgten, weiter zum Tisch des Herrn zu. Der große Streitpunkt wurde übrigens nicht die unschöne Frage, ob GH oder AH recht hatte, sondern ob die Park Street‑Entscheidung angenommen oder abgelehnt werden müsse. Die Befürworter forderten natürlich aufs schärfste, daß die Ver­sammlungen verpflichtet seien, sich "vor der Park Street‑Entscheidung zu beu­gen". Sowohl die Parteien, die dafür, als diejenigen, die dagegen waren in den Londoner Versammlungen, sandten ihre Mitteilungen zur zentralen Cheapside­Versannlung, die samstags stattfand. Doch nur die Mitteilungen, die zugunsten von GH waren, wurden angenommen, weil es unehrerbietig war, wie man darlegte, zwei entgegengesetzte Mitteilungen am Tisch des Herrn vorzulesen ... Von London breitete sich die Trennung über ganz England aus; die Hälfte der Versammlungen lehnte es ab, sich vor der Park Street‑Entscheidung zu beugen, und so war der Bruch vollständig.

Ein Beispiel des schrecklichen Parteigeistes bei dieser Trennung finden wir in Lewisham. An einem Sonntagwrgen, kurz vor dem Bruch in dieser Versammlung im Juli 1881, brach ein Bruder namens Williaris, der nicht zu Julls Partei gehörte, unter Danksagung das Brot und reichte es umher, und sodann den Kelch. Da weiger­te sich aber jene Partei, d.h. beinahe die halbe Versammlung, das Brot und den Wein aus den Händen jenes Bruders anzunehmen! Und nicht genug hiermit: nachdem das Brot und der Wein wieder auf den Tisch gestellt waren, stand der Führer je­ner Partei, J.H. Boddy, auf und sagte zum zweitenmal Dank über dem Rest des Bro­tes und Weines und reichte dieselben unter seiner Partei umher!

(3) Wenn man die Tatsachen und Motive alle in Ruhe überdenkt, kann man nicht an­ders, als den Versammlungen, die das Park Street‑Dekret ablehnten, recht geben, und zwar aufgrund der folgenden sieben Überlegungen (teils von Kelly deutlich und scharf umrissen ins Licht gestellt):

(a) Die Ursache der Uneinigkeit in Ramsgate war die Park Street‑Entscheidung vcm 19. August 1879" die gefällt wurde (1) in Unabhängigkeit, weil die zentrale Ver­sammlung verneint und die Erklärung deshalb direkt umhergesandt wurde; (2) ohne die Leitung des Heiligen Geistes, denn sonst hätte Park Street nicht einen Be­schluß gefaßt aus Anlaß eines Zustandes, der im selben Augenblick in Kennigton aufgehoben wurde.

(b) wegen drei böser Dinge hätte GH nicht anerkannt werden dürfen (es sei denn, daß sie diese zugegeben hätte): (1) Sie trat aus aufgrund eines unabhängig ge­faßten Beschlusses und also in Unabhängigkeit; (2) sie weigerte sich, sich zu­sammen mit AH zu demütigen, wenn AH nicht das Brotbrechen aufgab; (3) sie nahm nach der letzten Park Street‑Entscheidung eine böse Haltung ein gegenüber einem geistlich gebrochenen AH.

(c) Die Einwände gegen AH waren nicht ausschlaggebend: (1) Sie hatte den Aus­schluß der sechs GH‑Führer dreimal. zugegeben und verurteilt; (2) sie hatte nie­mals das Zeugnis verlassen und weigerte sich also zu Recht, das Brotbrechen zu unterbrechen.

(d) Das Böse hätte an dem Ort, wo es geschehen war (Ramsgate) untersucht und ge­richtet werden müssen, nötigenfalls in Besprechungen mit Brüdern, die Hirten wa­ren. Niemals hätte die Entscheidung in dem Streit von Ramsgate zu der Jury in Park Street verlegt werden dürfen. Dies war ein Regieren über die Gewissen ande­rer ‑ genau der große Vorwurf, den man Cronin gemacht hatte! Der Vorwand des Empfehlungsschreibens war völlig wertlos; dieser hätte niemals behandelt werden dürfen, solange nicht die Sache in Ramsgate selbst entschieden war.

(e) Die Untersuchung in Park Street war nicht aufrichtig, denn Darby. drohte mit dem Austritt, wenn AH anerkannt würde. Darüber hinaus war die Entscheidung nicht einstimmig, und das hätte man bis zum äußersten erstreben müssen; man hatte es bisher ja immer so gesehen, daß die Versammlung in Park Street lediglich der 26. Teil des Ausdrucks der gesamten Versammlung Gottes in London war. Deshalb war dieser Beschluß, ebenso wie der 1879 gefaßte, in Unabhängigkeit.

(f) Der Park Street‑Beschluß wurde mit dem festen Bewußtsein gefaßt, daß er eine weltweite Trennung verursachen werde. Dies hätte niemals geschehen dürfen, denn damit wurde ein vollständig unbiblischer Prüfstein für die Gemeinschaft einge­führt. Wie kann man Irrtümer einer Versammlung jemals auf dieselbe Ebene stellen wie beispielsweise das Antasten der Person Christi (wie es 1848 der Fall war)? Damit stellte Park Street sich mit seinen Nachfolgern auf sektiererischen Boden.

(g) Die Forderung, diesen "Versammlungsbeschluß" von Park Street bedingungslos anzuerkennen, war falsch und weltlich. (1) Warum hatte man den Beschluß von Hornsey Rise, das früher als Park Street GH anerkannte, dann ignoriert und nicht allerorts als Voraussetzung zur Gemeinschaft gehandhabt? War das vielleicht des­halb, weil Hornsey Rise nur eine unbedeutende Versammlung war, während mit Park Street der Name Darbys verbunden war? (2) Würde man auch so streng auf "Anerken­nung eines Versammlungsbeschlusses" gedrungen haben, wenn z.B. Blackheath be­schlossen hätte, AH anzuerkennen?

(4) Verschiedene Brüder stellten das geschehene Böse deutlich an den Pranger: Dr. i. Kitt aus Blackheath schrieb (*) bereits am 16. Januar 1880 an Darby: Mas Böse verbreitet und wiederholt sich. In seinem Eifer, Dr. Cronins Tat zu verur­teilen, beging Capt. Jull denselben Fehler in Ramsgate. In demselben Eifer taten Field und Wootton in Broadstairs genau dasselbe wie Dr. Cronin in Ryde. Butler Stoney in Fintona [Ulster] scheint etwas getan zu haben, das stark der Tat Dr. Cronins ähnelt." Ein Bruder W.R. aus Margate schrieb (*) am 14. Oktober 1881 an Darby: "Ich bin davon überzeugt, daß man dem Feind wirksam in die Hände arbei­tet, wenn man GH in der ganzen Welt zu einem Prüfstein für die Gemeinschaft macht. Wo Gott aufruft zur Teilung und Absonderung, wirft Er eine göttliche Fra­ge auf, die übereinstimmt mit deutlichen Grundsätzen, die allgemein nicht nur verstanden, sondern auch anerkannt werden können von den Gläubigen, wie einfach und unbedeutend sie auch sein mögen. Derart war das bei Bethesda. Aber dies hat­te seinen Anfang in dem elenden Fiasko in Broadstairs, der 'Neuenteig'‑Bewegung, und der arme, gute J. [Jull] (aufrichtig für die Ehre des Herrn unter viel Wi­derstand eifernd) schürte durch seine betrüblich verkehrte und unglückliche Handlungsweise das Feuer der Uneinigkeit, der Zwietracht und des Zwiespalts, während er offensichtlich ungelegen ermuntert wurde. So ist eine schwache und schädliche Frage aufgeworfen worden, wo das niemals hätte geschehen dürfen Im folgenden legt dieser Bruder jedoch merkwürdigerweise dar, daß die Park Street‑Entscheidung bedingungslos angenommen werden müsse.

Wir wollen auch etwas aus der hervorragenden Broschüre von Kelly lesen, beti­telt: Weshalb viele Gläubige außerhalb der Park Street von 1881 standen. Die Park Street‑Zusammenkünfte folgten. Es ist sinnlos zu sagen, daß kein ande­rer Weg offenstand. Wer kann in Abrede stellen, daß die Schrift uns lehrt, Un­heil auf einen Ort zu beschränken, indem man mit dem Bösen an dem Ort handelt, wo es ausbricht ... Die Annahme [des Park Street‑Beschlusses] wurde nicht, wie gewöhnlich, dem Herrn überlassen, um ihn zu rechtfertigen, wenn er gesund, und ihn zu annullieren, wenn er verkehrt war. Sie wurde hastig gefordert unter der Strafe, die Gemeinschaft zu verwirken, trotz bekannter weitverbreiteter und gründlicher Ablehnung. Dies bedeutete nichts weniger als eine Trennung, erzwun­gen durch eine Zuchtfrage ... So wurden durch Beeinflussung viele mit einem ver­unreinigten Gewissen irregeführt, wie auch die Furcht, abgeschnitten' zu wer­den, nicht wenige Personen veranlaßte, sich zu fügen. Denn die Verteidiger der Uneinigkeit ... wendeten auf eine Zuchtfrage den extremen Maßstab an, den wir im Gehorsam der Schrift gegenüber bisher beschränkt hatten auf Antichristen und Gotteslästerer. Wer hätte annehmen können, daß ein großer und guter Mann [Dar­by], der geschrieben hatte: Ich werde niemals in eine solche Gottlosigkeit ein­willigen', von Minderwertigen gerade in diesem Strom mitgerissen werden würde? Wir wissen, wie kräftig er dem jahrelang widerstand. Leider wurde er schließlich zu dem verleitet, was er allezeit haßte, wenn er mit dem Herrn allein war. Zeuge dafür ist ... sein Brief an Jull [oben zitiert], den man zu verbergen versucht hat; ebenso, wie man das zuvor bei einer entscheidenden Gelegenheit auf schänd­liche Weise mit dem Postscriptum von ihm tat ..."

Wie treffend und auch wie liebevoll war dieses Urteil Kellys über Darby. Ebenso­sehr ist Darby bis zuletzt seinem Freund in Liebe begegnet. Als Darby bereits auf seinem Sterbebett lag (er entschlief am 29. April 1882) und J.B. Stoney und andere Abschied von ihm nahmen, um zu einer letzten Zusammenkunft über den Bruch zu gehen, bat er, daß man Gnade walten lassen möge und nichts tun solle, wodurch Kelly außerhalb zu stehen käme. Doch als sie zurückkehrten, mußten sie ihm mit­teilen, daß Kelly es ablehnte, mit der Park Street‑Entscheidung mitzugehen und nun außerhalb stand. Darby war sehr erregt, doch zu schwach, um zu protestieren. Er murmelte: "Es muß der Wille des Herrn sein 1 " und schwieg. Stoney und die Neueteig‑Schule hatten triumphiert ‑ vielleicht am meisten darin, daß sie diesen großen Mann Gottes, diesen begnadeten Führer und Lehrer, als er alt und schwach geworden war, einzunehmen wußten für die Partei, die er so sehr verabscheut hat­te ...

Was das betrifft, ist das Zeugnis Kellys äußerst interessant. Er schrieb (+) am 23. Januar 1901: "Ich habe J.N.D. niemals anders betrachtet als einen großen guten Mann; und diese Bezeichnungen gehen selten zusammen. Das heißt nicht, daß so jemand keine schwache Seiten haben kann, die durch Größe um so wahr zum Aus­druck kommen ... Der Schreiber des Briefes [W.B. Neatby in der British Weekly, in einer Artikelserie, die später als Buch (a.a.0.) herausgegeben wurde] schreibt Bruder Darby Eifersucht mir gegenüber zu. Als ich dies hörte von Oberst Langford, Dr. Cronin und ich weiß nicht von wievielen sonst, wies ich das entrü­stet von der Hand, obwohl ich sehr gut wußte, daß Bruder McAdam in seiner Clique und Bruder J.B. Stoney in einer noch viel größeren alles taten, was sie konnten, je nachdem die zeit es erforderte und der Eifer für die Kindertaufe und deren Familienform zunahm, nicht nur mich herunterzumachen, weil sie mich ungefügig fanden, sondern zu versuchen, J.N.D. gegen mich aufzuhetzen. Handlanger wie ... waren mit ihnen eifersüchtig wegen meiner Vorträge in London, die große Mengen anzogen, und erreichten es schließlich, einige Verstimmmg im Gemüt unseres ge­ehrten Bruders zustande zu bringen. Selbst da lachte ich darüber als über ledig­lich ein wenig Schwachheit; bis, es tut mir leid, es zu sagen, Tatsachen vor weinen eigenen Augen und vielen anderen mich zwangen, zu befürchten, daß der Feind eine Antipathie erweckt hatte, die so sehr unter seiner Würde war, vor al­lem gegenüber jemand, der ihn so verehrte, wie ich es tat und tue. Doch dies sind sicher keine Dinge, die man berichten oder in Umlauf bringen sollte [damals nicht, aber nun dochl W.J.0.]. Ich habe Gründe zu glauben, daß er auf seinem Sterbebett seine Freunde warnte, mich nicht anzugreifen. Doch war der nieder­trächtigste [Angriff], den ich in diesen Tagen hatte, von einem H. aus Dublin der einige Jahre zuvor auf meine Fürsprache hin vor einem Ausschluß bewahrt blieb und niemals mehr in Gunst kcmmen konnte, bevor er mich nicht schwarz ge­macht hattel"

Bereits früher, am 19. Oktober 1881, hatte Kelly geschrieben (+): "Ich bin si­cher, daß es das beste ist, zum Herrn zu rufen. Bruder Darby ist das Opfer einer Partei, die ihn mitschleppt, gegen seine eigene Auffassung" (fett durch mich).

(5) Auch eine andere Freundschaft wurde ungewollt zerstört, nämlich die zwischen Charles H. Mackintosh und Andrew Miller (der Kellys Seite wählte). Wegen des Fa­natismus seiner Partei wagte Mackintosh seinen alten Freund nicht mehr aufzusu­chen. Doch als Miller schwerkrank war (er entschlief 1883), ließ Darby, selbst auf dem Sterbebett, sich jeden Tag über seinen Zustand unterrichteni Andere treue Gefährten, von denen Darby ungewollt getrennt wurde, waren J.A. von Po­seck" Dr. Th. Neatby, H.F. Witherby (u.a. bekannt durch eine Betrachtung über das Buch Josua), W. Burbidge (ein sehr redebegabter Bruder), Dr. H. Wreford (ein enger Mitarbeiter Kellys und ein bekannter Evangelist) und viele andere bekannte Brüder wie auch eine große Anzahl Versammlungen auf den Britischen und den West­indischen Inseln. Daß außerhalb dieser Gebiete nur wenige die Seite Kellys wähl­ten, wurde von einem Bruder wie folgt erklärt: "Das war, weil Kelly nicht über­all umherreiste und wie ein Politiker Vorträge für seine eigene Sache hielt." Tatsächlich war Kelly außerhalb der Britischen Inseln kaum persönlich bekannt, während Darby dagegen überall bekannt war und zu Recht überall sehr geachtet wurde. Darby selbst schrieb einen ausführlichen Brief (*) an Bruder H.C. Voorho­eve, um ihm seine Meinung über die Sache mitzuteilen, und so hat er es wahr­scheinlich auch anderswo getan. Es ist also kein Wunder, daß Nordamerika und der europäische Kontinent zum allergrößten Teil die Seite Darbys wählten. Zudem hat­te Kelly sich im Blick auf die heftigen falschen Angriffe auf seine Person von Anfang an wohlweislich im Hintergrund gehalten.

Ein Bruder, der die Sache derer, die die Park Street‑Entscheidung ablehnten, im Ausland verteidigte, war vor allem Dr. Thcmas Neatby, der seit Jahren vielfach in den französischsprechenden Versammlungen gedient hatte. Er fand in seiner Verteidigung einen Mitstreiter in Bruder M. Ccupain in Paris. Seinen hauptsäch­lichen Gegner fand er in William H. Lowe, einem Bruder aus England, der in Frankreich wohnte und mit Darby an der französischen Bibelübersetzung zusammen­gearbeitet hatte. Ein anderer Mitstreiter Neatbys war Bruder J.B. Rossier in Ve­vey (der Vater von Dr. H. Rossier), der dadurch leider außerhalb zu stehen kam. In Deutschland versuchte J.A. von Poseck Verständnis für seinen Standpunkt zu finden. Anfänglich bekam er Bruder A. Harbig auf seine Seite, doch dieser wurde von Bruder C. Brockhaus überredet (Brief vom 12. Februar 1883). Letzterer schrieb am 16. September 1883 nach Hause: "Was tut der Wolf unter den Schafen dort? Ich meine J.von Poseck ... Ich bitte den Herrn, daß Er sein Werk zuschan­den macht, doch Sich über ihn Selbst erbarMt."

Die Wirkung aber, die das Lesen verschiedener Briefe und Schriften aus England anfänglich auf die Brüder in Elberfeld machte, war diese, daß dieselben ihnen völlig hinreichende Gründe für die Verwerfung des damals von Park Street aner­kannten CH zu enthalten schienen. Als man in London von dieser Auffassung der Brüder in Elberfeld hörte, geriet man in Alarm. Jull, der kurz zuvor nach Frank­reich geschrieben hatte, daß er seinen Sohn dort erziehen lassen wollte, er­schien jetzt plötzlich mit seinem Sohn in Elberfeld, um ihn in Deutschland er­ziehen zu lassen. Er kam mit einem Empfehlungsbrief von J.N. Darby. Die Brüder in Elberfeld hatten nicht den Mut, Darbys Empfehlungsbrief beiseite zu setzen, und akzeptierten Jull. Nachdem dieser traurige und entscheidende Schritt der Brüder in Elberfeld einmal geschehen war, folgte das andere von selbst, so daß schließlich auf der nächsten Konferenz (April 1882) die Versammlungen in Deutschland sich der Park Street‑Entscheidung unterwarfen.

Auch die Trennung in Kanada war großenteils das Werk Julls, der selbst nach Amerika ging, wo die Fackel der Zwietracht auch in die dortigen Versammlungen zu tragen. Welch ein Segen, daß alle diese unnötigen und traurigen Trennungen 1926 unter tiefer Demütigung wieder aufgehoben wurden! Da kamen zwei "Parteien" zu­einander, die anerkannten, daß die Trennung niemals hätte stattfinden dürfen, weil der Grund dafür keine schriftgemäße Bruchstelle war, und die sich also auch nicht anmaßten, daß lediglich eine der beiden Parteien sich auf der Grundlage der Einheit der Versammlung und also am Tisch des Herr, versammelt hatte. Wo der Grund zur Trennung nicht schriftgemäß ist, kann Gott sie ja nicht anerkennen und rechnet die Sünde beiden gleichermaßen zu, und beide müssen sie gleichermaßen bekennen.

Das will übrigens nicht heißen, daß eine der beiden Parteien das Recht nicht deutlich auf ihrer Seite haben kanni Und ich wage zu sagen, daß, was das be­trifft, die Geschichte die "Kelly‑Brüder" (ein abscheulicher Ausdruckl) vollkcm­men gerechtfertigt hat. Bruder C.H. Mackintosh hatte gesagt: "Alles, was wir zu tun haben, ist, dankbar das Urteil unserer Brüder, versammelt In Park Street" anzunehmen. Wenn dieses Urteil falsch ist, wird Gott das zu Seiner Zeit und auf Seine Weise offenbar machen. In der Tat! Während die "Kelly‑Brüdern in ver­hältnismäßiger Ruhe in Frieden ihren weg gingen, stieß die Neueteig‑Schule in ihrem Fanatismus und sektiererischen Streben nach "Reinheit in der Versammlung“ innerhalb von zehn Jahren viele treue, gottesfürchtige Brüder hinaus, bis sie 1890 in den breiten Strom des Ravenismus mündete, worin der New‑Lmpismus in un­serer Generation seinen Tiefpunkt erreicht hat. Es waren diejenigen, die durch die Gnade des Herrn diesem New‑Lumpismus entkamen, die (zu einem Teil) 1926 mit den "Kelly‑Brüdern" vereinigt wurden.

ENDE 223

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