Ich will BdH 1826

07/20/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

„Ich will" Wie ist dieses Wort uns allen so gut bekannt! 

Bibelstellen: Mt 8,3; Mk 1,41; Lk 5,13; Joh 17,24; 21,22;

Wie früh schon kommt es über die Lippen des jungen Menschenkindes, Kunde gebend von seiner verderbten Natur, von seinem eigenwilligen Sinn! Vermag auch der Mund die sprachlichen Laute nur erst stammelnd hervorzubringen, für dieses Wort findet er gar bald die nötige Geschicklichkeit. Und was will der Mensch nicht alles!

So kennzeichnend aber das „Ich will" für die Gesinnung und die Wege des ersten Menschen ist, so selten begegnen wir ihm in der Geschichte des zweiten. Der Wille des zweiten Menschen war zu allen Zeiten und Gelegenheiten vollkommen gut, konnte ja nicht anders sein; trotzdem
stand Sein ganzes Leben und Wirken unter dem Wort:
„Ich suche nicht meinen Willen, sondern den Willen Dessen, der mich gesandt hat". (Joh. 5, 30.) Schon als zwölfjähriger Knabe konnte Er Seine Eltern fragen:
„Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meines Vaters ist?" und dann gleich darauf mit ihnen nach Nazareth zurückkehren, um ihnen untertan zu sein. (Luk. 2, 4d—51.) Er konnte sagen: „Der mich gesandt hat ist mit mir; Er hat mich nicht allein gelassen, weil ich allezeit das Ihm Wohlgefällige tue". (Joh. 8,2d.)
In der Ausführung dieses wohlgefälligen Willens Gottes, der unsere Errettung bezweckte, war Ihm der verderbteste, tiefst gefallene Mensch nicht zu schlecht. Willig und liebevoll nahm Er alle auf, die der Vater Ihm in den Weg sandte.

Für die große Sünderin hatte Er Worte des Trostes und selbst der Rechtfertigung dem selbstgerechten Pharisäer gegenüber. Mit dem Weibe am Jakobsbrunnen redete Er geduldig so lang, bis ihr Gewissen erreicht war und sie Ihn als den Christus erkannte; und dang wollte Er nicht essen, weil Er eine Speise genossen hatte, die Seine Jünger nicht kannten. Von einer Maria Magdalene trieb Er sieben Dämonen aus, und einem Räuber am Kreuz öffnete Er Sein liebendes, vergebendes Herz. Um alle Gerechtigkeit zu erfüllen, hatte Er sich von Johannes taufen lassen, obwohl es nach dm Worten des Täufers umgekehrt hätte sein sollen usw.

Den höchsten Beweis von der Unterwürfigkeit Seines Willens Unter den Willen des Vaters gab der vollkommene Diener aber im Garten Gethsemane, als Satan Ihm den Kelch vor Augen stellte, den Er am Kreuze trinken mußte, wenn anders der Wille Gottes in der Heiligung unreiner
Sünder zur Ausführung kommen sollte. (Vergl. Hebr. 1.0, 9. 10.) Es scheint zwar ein Widerspruch darin zu liegen, daß Er im Anfang Seines Weges sagt: „Siehe, ich
komme, um deinen Willen zu tun", und am Ende: „Abba Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir weg; doch nicht was ich will, sondern was du willst".(Mark. 14, 3b.) 

Aber in Wirklichkeit ist es nicht so. Unser hochgelobter Herr war gekommen, um den Willen des Vaters zu tun, und täglich war es Seine Lust und Speise, ihn auszuführen; aber wenn dieser Wille nur geschehen konnte, indem Er selbst, zur Sünde gemacht, in die Nacht des Verlassenseins von Gott geführt wurde, so schreckte alles, was in Ihm war, davor zurück. In Seiner heiligen Seele konnte der Gedanke an den tiefen Schlamm, in den Er versinken mußte (Ps. by, 2), an die Wogen und Wellen, die über Ihn hingehen würden (Ps. 42,7), nur Schreiben und heiliges Widerstreben Hervorrufen. 

Wie hätte Er wollen können, von Gott verlassen zu werden, dessen Gegenwart und Gemeinschaft Sein Leben, Sein Alles war? Nichts zeigt uns so die vollkommene Menschheit unseres Herrn, wie gerade die Szene in Gethsemane. Obwohl

Er wußte, daß es keine Möglichkeit gab, auf einem anderen Wege den Willen deö Vaters zu erfüllen, als durch den Kreuzestod, fleht Er doch: „Abba, Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir weg!" Er bringt als der abhängige, gehorsame Mensch die verzehrende Not Seiner Seele vor den Vater, dessen zärtliche Liebe Er kennt, und dann fügt Er in vollkommener
Ergebenheit hinzu: „Doch nicht was i ch will, sondern was d u willst". Er nimmt, wenn gar kein anderer Ausweg gefunden werden kann, den bitteren Kelch aus der Hand des Vaters. „Den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, soll ich den nicht trinken?" (Joh. 1,8, 11.)

So war unser Jesus. Umso auffallender ist es, Ihn zweimal Seinen Willen in ausgeprägter Weise zum Ausdruck bringen zu hören. Selbstverständlich stand er auch dann in vollkommener Übereinstimmung mit dem Willen des Vaters, aber doch begegnen wir einem bestimmten:
„Ich will". Den meisten Lesern werden die beiden Fälle wohl schon bekannt sein. Der eine liegt in der ersten Hälfte, der andere ganz am Ende des Dienstes des Herrn. Das eine „Ich will" richtet sich an einen Menschen, das andere an den Vater. Das eine gilt für diese Jeit, das andere für
die Ewigkeit.

„Als Er aber von dem Berge herabgestiegen war, folgte Ihm eine große Volksmenge. Und siehe, ein Aussätziger kam herzu und warf sich vor Ihm nieder und sprach: Herr, wenn du willst, kannst du mich reinigen. Und Er streckte Seine Hand aus, rührte ihn an und sprach: Ich will; sei gereinigt! Und alsbald wurde sein Aussatz gereinigt." (Matth. 8, 1-3.)

In Mark. 1, 40—45, wo uns dieselbe Geschichte erzählt wird, lesen wir: „Jesus aber, innerlich bewegt, streckte die Hand aus, rührte ihn an usw." Und der Evangelist Lukas berichtet uns, daß der Mensch „voll Aussatz" war. (Luk. 5, 12.) Der Aussatz, unheilbar und verunreinigend
wie er war, ist ein bekanntes Bild der Sünde in ihren verheerenden und verunreinigenden Wirkungen.

Zur Zeit des Herrn gab es viele Aussätzige in Israel. Dieser hier war ein treffendes Bild von dem Zustand des ganzen Volkes vor Gott: „er war voll Aussatz" — „das ganze Haupt krank, das ganze Herz siech, von der Fußsohle, bis zum Haupte nichts Gesundes an ihm". (Jes.1, 6.) 

Auf dem Berge hatte der Herr die heiligen Grundsätze des Reiches der Himmel entwickelt; herabsteigend begegnet Er dem armen, unreinen Menschen. Welche Gegensätze!

Würde der Reine, Heilige, der große König Seines Reiches, sich nicht voll Abscheu von dem Jammerbilde vor Ihm abwenden? Nein, „innerlich bewegt" schaut Er auf den vor Ihm Knieenden nieder. „Herr!" so tönt es Ihm entgegen, du vermagst alles; wenn du willst, kannst du mich reinigen! Bei einer anderen Gelegenheit sagt der Herr zu einem Manne, der Sein Können mit
den Worten in Frage stellte: „Wenn du etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns": 

Das „wenn du kannst", ist, wenn du glauben kannst". (Mark. 9, 22. 23.) Dem Bittenden fehlte es an Glauben; in dem vorliegenden Falle aber war Glaube vorhanden: daß Jesus helfen konnte, stand für den Aussätzigen völlig fest, er wußte nur nicht, ob Er sich wirklich einem so Elenden, wie er war, zuwenden wollte. Er zweifelte daran, ob die Liebe und Gnade des Herrn für ihn
ausreichen möchten.

O Israel, wenn du es auch so gemacht hättest wie dieser arme Unreine aus deiner Mitte! Wie würden dir Heilung und Frieden zugeslossen sein wie ein Strom! Aber ach! du hast an deinem Tage, den Gott dir gegeben, nicht erkannt, was zu deinem Frieden diente. Selbst wenn der Geheilte sich dem Priester, der ihn ja genau kannte, zeigte und die vorgeschriebenen Opfer darbrachte, dir zum Zeugnis, daß Jehova, dein Arzt, in deinen Grenzen weilte, hast du es nicht beachtet, sondern dein Herz verhärtet!

Einer solchen Berufung auf Seine Bereitwilligkeit, zu helfen, konnte der Herr unmöglich widerstehen. Entsprach sie doch so völlig Seinem Herzen der Liebe und den Absichten Seines Kommens! „Ich will; sei gereinigt!"
kommt es als unmittelbare Antwort über Seine Lippen, und alsbald wich der Aussatz von dem Kranken, und er war gereinigt.
Wie kostbar ist doch dieses „Ich will!" unseres gnadenreichen Herrn! Es stellt sich lieblich und ernst neben die Frage an den Kranken am Teiche Bethesda: „Willst du gesund werden?" Ja, an Seinem Willen, zu helfen, zu reinigen, zu retten, kann niemand mehr zweifeln.

Sein Herz ist innerlich bewegt. Der Ärmste, Kränkste, Elendeste und Unreinste ist Ihm willkommen, heute wie damals. „Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit." (Hebr. rz, 8.) Aber, mein Leser, willst du? Diese Frage richtet sich, wenn auch in verschiedenem
Sinne, an alle Menschen, bekehrt oder unbekehrt. Aber des Herrn Liebeöwille begegnet selbst bei den Seinigen oft einer zögernden Annahme, zuweilen selbst bestimmter Zurückweisung.

Wir kommen jetzt zu dem zweiten „Ich will" unseres Herrn. Richtet sich das erste an einen noch nicht Gereinigten, das zweite hat Gereinigte zu seinem Gegenstand.
Die Jünger waren schon rein um des Wortes willen, das Jesus zu ihnen geredet hatte. So sagt Er selbst zu ihnen, nachdem Judas Jskariot von ihnen „hinausgegangen" war. (Joh. 15, 3.)

Für sie tritt Er gleich nachher bittend ein, übergibt sie der Liebe und bewahrenden Sorge des
Vaters, gibt ihnen die Herrlichkeit, die der Vater Ihm auf Grund Seines vollbrachten Werkes gegeben hat, und sagt dann: „Vater, ich will, daß die, welche du mir gegeben hast, auch bei mir seien, wo i ch bin, auf daß sie meine Herrlichkeit schauen". (Joh. 17, 24.)

Wie würdig reiht sich dieses zweite „Ich will" dem ersten an, es herrlich vollendend! Die Gereinigten sollen nicht nur Seinen Liebeswillen kennen im Blick auf ihre Bedürftigkeit, ihre Armut und Unreinigkeit, sondern auch in bezug auf Ihn selbst und Seine Herrlichkeit. Seine
Liebe ist nicht damit befriedigt, sie aus ihrem finsteren Elend heraus in die strahlende Herrlichkeit droben einzuführen, nein, sie sollen Seine persönliche Herrlichkeit schauen,
sollen Ihn kennen als Den, den „der Vater vor Grundlegung der Welt geliebt hat". Dieser Liebe kann nichts Geringeres genügen, als daß die um den Preis Seines Lebens Erkauften Ihn auch ganz besitzen, ganz kennen, bei Ihm weilend von Ewigkeit zu Ewigkeit. Dazu hat der
Vater sie Ihm ja auch aus der Welt gegeben! 

So steht Sein Wille, wie eö nicht anders sein kann, wiederum in vollkommenem Einklang mit dem Willen des Vaters.

O Liebe ohnegleichen!
Kein Sinn kann je erreichen.
Wie du, o Herr, uns liebst.
Vergaßest deine Schmerzen,
Trugst die nur auf dem Herzen,
Die du so unaussprechlich liebst.