4.) Johannes

12/23/2022
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Johannes 4,23 Anbetung in Geist und Wahrheit BdH 1853

02/18/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Die Anbetung in Geist und Wahrheit nach dem Worte Gottes Das Zusammenkommen der Gläubigen als Versammlung oder die gemeinschaftliche Gottesverehrung nach dem Worte: Gottes

Johannes 4,23

Botschafter des Heils in Christo 1853,

(Aus dem Französischen)

Der Kultus*) ist die Verehrung und die Danksagung, welche Gott gemeinschaftlich kraft dessen, was Er ist und was Er für die ist, welche den Kultus halten, dargebracht wird.

Die Verkündigung des Evangeliums, ein unschätzbares Zeugnis, das Seiner Gnade abgelegt wird, hat nichts mit dem Kultus gemein. Sie kann ihn hervorbringen, insofern sie das Mittel ist, die Erkenntnis Gottes in Gnade mit­zuteilen, welche in dem Herzen den Geist der Anbetung er­weckt. Aber keine Predigt, wie gesegnet sie auch sein mag, ist eine Handlung des Kultus, sie ist ein Zeugnis, das von Seiten Gottes den Menschen dargelegt wird. Damit wird der Wert einer Predigt durchaus nicht vermindert, denn ohne sie könnte kein christlicher Kultus bestehen. Das Evangelium lehrt uns den Gott kennen, welchen man anbeten soll und da es nach Gnade verfährt, so führt es die Seele in den Zustand, wo sie fähig ist, Ihm eine wahrhafte Huldigung im Geist und in der Wahrheit darzubringen. 

Es bleibt aber um nichts weniger wahr, dass kein Zeugnis von Seiten Gottes vom Men­schen dargebracht, ein Kultus ist, der durch den Men­schen Gott dargebracht wird. Eine Predigt hat nichts mit dem Kultus gemein. Sie kann das Mittel sein, ihn hervorzu­bringen. Der Dienst des Wortes ist selbst ein ent­scheidender Charakter der christlichen Haushaltung. Das jüdische Volk wurde als ein Volk angesehen, das schon mit Gott in Verbindung stand; es war es auch äußerlich. Nicht handelte es sich darum, dasselbe zu Gott zu führen, es war Sein Volk und Gott wohnte in seiner Mitte, als unter einem Volke, das Er erkauft hatte. Jetzt aber wird das Himmelreich und die Gnade der Erlösung den Sündern verkündigt und es gibt einen Dienst des Evangeliums, um die Seelen einzuladen, mit Gott in Ver­bindung zu treten, ebenso wie es in Israel ein Priestertum gab, um die schon bestehenden Beziehungen zu unterhalten.

D i e Gebete, welche wir an Gott richten, um von Ihm irgend etwas für uns Notwendige zu erhalten, bilden den eigentlichen Kultus auch nicht. Sie schließen sich zwar un­mittelbar an ihn an, weil sie die Kenntnis Gottes, Vertrauen in Ihn und die Tatsache voraussetzen, dass derjenige, welcher Ihm seine Gebete darbringt, sich Ihm kraft dessen, was Er ist und was Er zu seinen Gunsten ist, genaht hat. Mögen aber auch die an Gott gerichteten Bitten auf das Vertrauen in Ihn gegründet sein und sich noch so innig an die Anbetung an­schließen, so haben sie doch nicht den eigentlichen Charakter der Anbetung selbst.

Lobeserhebungen, Danksagungen, die Anbetung, die Ver­herrlichung der Eigenschaften Gottes, Seiner Handlungen in Macht und Gnade, Alles das, Ihm unter der Form der Anbetung dargebracht, das ist's, was den eigentlichen Kultus ausmacht. In dem Kultus nähert man sich Gott und wendet sich an Ih n. Lobeserhebungen, die nicht direkt an Ihn ge­richtet werden, verbinden sich freilich damit und das Herz be­zieht sie auf Ihn; eine solche Verherrlichung aber hat nicht die eigentliche Form des Kultus, obgleich sie sich daran an­schließen kann, ebenso wie die Bitten, welche durch die An­betung selbst angeregt werden. Und denke man nicht, dass diese Unterscheidung von geringer Wichtigkeit sei.

Es ist süß, wenn wir Einer dem Andern die Herrlichkeiten dessen erzählen, den wir lieb haben; aber es findet der Erkaufte seine Freude daran, Gott selbst in seine Gedanken einzuführen, sich an Ihn zu wenden, mit Ihm zu reden, Ihn unmittelbar anzubeten, Ihm sein Herz zu öffnen, Ihm zu sagen, dass er Ihn lieb hat. Er hat es gern, dass die Sachen zwischen ihm und Gott persönlich abgemacht werden, Ihm das Gefühl darzulegen, das er von Seiner Größe und Seiner Güte hat, weil Gott selbst in einer solchen Unterhaltung ist. In diesem Falle ist es die Gemeinschaft der Seele mit Gott, und Gott ist ihr köstlicher als ihre Brüder sogar; Er ist dies auch einem Jeden von diesen; sie haben alle dasselbe Gefühl. Mit einem Wort, in dem einen Falle wendet man sich an sich selbst oder an Andere, um zu sagen, wie sehr Gott würdig ist, gepriesen zu werden; in dem andern wendet man sich an Gott selbst. Diese letztere Richtung der Gefühle ist für denjenigen, der Gott kennt, von höherer Ordnung, sie hat einen Reiz, eine Vortreff­lichkeit, welche die andere nicht hat. Die geistlichen Anregun­gen sind offenbar weit erhabener. Die Gemeinschaft ist voll­ständiger. —

Nach der Wirksamkeit des Werkes Christi selbst gänzlich gereinigt, kommen wir dahin, wo es keine Sünde gibt, um alles das zu genießen, womit uns Gott segnend überhäufen kann; wir kommen in das Licht, wo Seine Liebe freien Lauf hat, ohne irgend ein Hindernis, das sich für sein Herz oder um seiner Gerechtigkeit willen durch die Sünde erheben könnte. Noch mehr als alles das! Wir kommen, um uns Gottes selbst zu erfreuen. Wir sind in Verkehr mit Gott, ohne Sünde, in Seiner Gegenwart, um das zu genießen, was Er selbst ist, indem wir zu Seiner Erkenntnis geführt wurden und zwar durch das, was Er für uns in diesem herrlichen Werk gewesen ist, durch das Er uns mit Ihm versöhnt und uns vor Ihm in das Licht gebracht hat. Christus, der das Werk, welches Ihn in Bezug auf die Sünde selbst verherrlicht, vollbracht hat, er­scheint vor Ihm zu unserm Besten.

Noch mehr! Als notwendige Folge oder vielmehr als schla­gender Ausdruck dieser Wahrheiten, wurde der Vorhang, wel­cher das Zeichen war, dass Niemand sich Gott nahen durfte, von oben .bis unten zerrissen. Wir haben die volle Freiheit, in das Allerheiligste einzutreten. Gott selbst hat Sich vollkommen und ganz geoffenbart.

 Der Schlag, welcher den Vorhang zerriss und den Gott der Heiligkeit, der keine Sünde dulden kann, offenbarte, und der selbst den Sohn Seiner Liebe, als dieser unsere Sünde auf Sich nahm, treffen musste, derselbe Schlag hat die Sünde hinweggenommen, die uns jeden Zutritt zu Ihm versperrt und uns verhindert hätte, vor Ihm in dem Lichte zu erscheinen, das jetzt über uns, die wir von aller Sünde ge­reinigt sind, leuchtet. Was die Heiligkeit Seiner Gerechtigkeit offenbart, und sie in ihrer ganzen Kraft hervortreten lässt, hat uns befähigt, vor dieser Heiligkeit ohne Fleck und mit Freuden zu erscheinen. Alles, was Gott ist, wurde in dem, was Er für uns ist, geoffenbart und wir können uns nach Seiner unend­lichen Liebe durch Christo Seiner als unseres Teiles erfreuen.

Das macht die Grundlage des Kultus aus. Was die Engel zu ergründen gelüstet, ist die tägliche Nahrung aller unserer köstlichen Beziehungen mit Gott, und Niemand erkennt gezie­mend die Herrlichkeit des Werkes -Christi an, noch auch die Liebe Seines Gottes, dem er alles verdankt, der nicht diese Stellung einnimmt. Niemand kann auf anderem Fuß Gott in geziemender Weise „Kultus" halten. Niemand sogar hat sich als ein rechter Sünder erkannt, der meint, Gott anders als in dieser Freiheit Kultus halten zu können; denn wer würde es wagen sich vor Gott darzustellen, wenn nicht alle Sünde hinweggenommen wäre; wer würde es wagen, vor Seinem Angesicht ohne Vorhänge zu erschei­nen? und er kann nicht anders, denn der Vorhang ist zerrissen! Gott will und kann nicht mehr, seit Er Sich geoffenbart hat und das wahre Licht gekommen ist, in irgend einer Weise die Sünde vor Seinem Angesicht dulden.

Wer aber ist frei von der Sünde außer Christo? Und wer hat sie, wenn er in Ihm ist? Nein, in Ihm sind wir los von den Sünden vor Gott, weil Er uns davon durch ein Werk gereinigt hat, das sich nicht wiederholen ließe und dessen Wirk­samkeit zugleich ewig und vollkommen ist (Hebr. 10, 14).

Nur das aber gibt den geistigen Gefühlen die Freiheit. Gott ist für uns die vollkommene Liebe und führt uns in das Licht, wie Er selbst in dem Lichte ist. — Wer aber kann die Liebe voll genießen, wenn sein Gewissen noch beschwert ist? Er kann sich wohl hingezogen fühlen, ja; aber genießen kann er nicht! Seine Gefühle können freien Spielraum haben, wenn sein Gewissen ihm die Verletzungen dessen vor­wirft, den er liebt, wenn es nur, Furcht in seiner Seele erregt. Es muss das Herz frei sein, damit die Gefühle ungestört sich bewegen. Das Werk Christi aber reinigt das Gewissen (Hebr. 9, 14), macht das Herz frei in der Gegenwart Gottes, der in der vollkommenen Liebe erkannt wird, die Er für uns gehabt hat und von der Christus der Beweis und die Erfüllung ist. — So wird das Licht Seiner Heiligkeit die Freude unserer Seelen. In diesem Licht sehen wir alles, was wir lieben.

Diese Beziehung, welche all unser Denken übersteigt, wird uns in schlagender Weise in dem Ausdruck: „Der Gott unseres Herrn Jesu Christi" (Eph. 1, 3) vorgeführt. Wenn sich Gott den Gott Jemandes nennt, so redet Er von einem innigen Bande, das sich zwischen dem, dessen Name dem Seinigen beigefügt wird, gebildet hat; Er redet von einer Beziehung, die sich auf das gründet, was Er für d e n ist, dessen Gott Er ist und dessen sich derjenige, dessen Name dem Seinigen beigefügt wird, in ihm durch den Glauben erfreut oder das er sich doch wenigstens von Rechts wegen als ihm von Gott geschenkt, aneignen sollte. Wenn er sich z. B. den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs nennt, so drückt Er aus, was Er für diese Patriarchen nach der Offenbarung war, die es ihnen von sich gegeben habe, auf was ihr Glaube in ihren Be­ziehungen zu ihm rechnen konnte, was sie zu verwirklichen berufen waren, Er setzte Sich mit ihnen in Verkehr nach dem, was dieser Name ausdrückte; ihre geistigen Rechte hatten die­sen Namen zum Maß. Ebenso ist Gott für uns das, was in dem Ausdruck enthalten ist: der Gott unseres Herrn Jesu Christ i. Auf diese Weise offenbart Er Sich uns, damit wir mit Ihm nach der ganzen Tragweite dieses Titels in Verkehr ständen. 

Sobald man das erfasst hat, begreift man welch herrliche Stellung man hat, in dem man sich Gott kraft dieses Titels: der Gott unseres Herrn Jesu Christi der Vater der Herrlichkeit naht. Denn Christus steht in dieser Beziehung zu Ihm. als Mensch, als Haupt der neuen Familie, als solcher, der zu Seinem Gott und zu unser in Gott aufgefahren ist. Der Gott, dem wir uns nahen, ist für uns alles, was Er für Christum ist, der in Seine Gegenwart als der kam, welcher Ihn. auf der Erde voll­kommen verherrlicht hat, als Sein geliebter Sohn, an welchem Er Sein ganzes Wohlgefallen hatte. Diese Wahrheit tritt ganz klar aus dem 1. und 2. Kapitel des Briefes an die Epheser hervor.

 Der Apostel bittet in dem 1. Kapitel, dass die Augen unseres Verständnisses erleuchtet sein möchten, damit wir ein­sähen, welches die Hoffnung der Berufung Gottes ist, und welches ist die Herrlichkeit Seines Erbes in Seinen Heiligen. Dann verbindet er uns mit Christo, indem er uns die wahre Tragweite dieser Herrlichkeit zeigt, dass sie die über­schwängliche Größe Seiner Macht gegen uns ist, die wir glau­ben nach der Macht Seiner Kraft, welche Er gewirkt hat in Christo, da Er Ihn von den Toten auferweckt und zu Seiner Rechten im Himmel gesetzt hat, hoch über alle Obrigkeit und Gewalt usw. usw., und Er hat euch, sagt Er, die ihr tot wart in den Vergehungen und Sünden, — — belebet mit Ihm und mitauferweckt und mitgesetzt in den Himmel in Christo Jesu, um in den zukünftigen Zeiten den überschwänglichen Reichtum Seiner Gnade zu zeigen in Freundschaft gegen uns in Jesu Christo? 'Was gehört Ihm von Seiten Gottes, in Gerechtigkeit und in Liebe selbst als Mensch? Wer kann aussprechen, was die Liebe Gottes für Christum ist? Was für Rechte hat Er nicht auf das Herz Seines Vaters!

Dahin sind wir versetzt, wenn wir in die Gegenwart Gottes kommen. Sogar die Herrlichkeit, welche Ihm Gott gegeben, hat Er uns gegeben, damit die Welt erkenne, dass Gott uns ge­liebet, wie Er Ihn geliebt hat (Joh. 17, 22. 23).

Man wird sich an die Worte des Heilandes erinnern: Ich steige auf zu meinem Gott und zu euerm Gott.— Die beiden Gebete in dem 1. und 3. Kapitel des Briefes an die Epheser gründen sich auf diese beiden Titel: das des 1. Kapitels auf den Titel Seines Gotte s, das des 3. auf den Titel Seines Vaters, das erste in Hinsicht der Gemeinschaft in Lieb e. Joh. 17 zeigt, dass die Mitteilung der Herrlichkeit, wie wundervoll sie auch sein mag, doch am Ende nur ein Be­weis dafür ist, dass wir geliebt sind, so wie Jesus geliebt ist. Welche Einfachheit liegt nicht in dieser Wahrheit, aber welche Liebe, welche göttliche Tiefe, und das gerade im Ver­hältnis ihrer Einfachheit selbst! Ich w a r wie der erste Adam, ich b i n wie der zweite; ich habe das Bild des ersten getragen, ich werde das Bild des zweiten tragen (1. Kor. 15, 49). Ja, das ist einfach; aber wer hätte daran gedacht, außer Gott? Er ist es Selbst, den wir in dieser Wahrheit erkennen.

Die Namen der zwölf Stämme Israels, welche auf dem Her­zen des Hohenpriesters getragen wurden, ebenso wie ihr Urteil nach dem Licht und der Vollkommenheit Gottes waren doch nur ein Schatten, wie der Apostel sagt, solcher Gnaden (2. Mose 28, 29. 30; Hebr. 10, 1; und 8, 5). Wenn daher der Apostel Phil. 3 von der wahren Beschneidung redet, so sagt er: wir beten Gott im Geiste an, wir rühmen uns Christi Jesu, und wir haben kein Vertrauen auf das Fleisch. Alles, was uns aus dieser Stellung bringt und irgend eine Forderung stellt, um uns 'Gott nahen zu können, alles, was zu diesem Zweck irgend was Ver­mittelndes aufnötigen zu müssen meint, leugnet, dass wir in Christo sind, scheidet uns von Ihm und versetzt uns in den Judaismus, welcher als System an das Kreuz genagelt wurde, und der von diesem Kreuz an nicht viel besser als die heid­nischen Satzungen ist. (Vergl. Gal. 4, 8-10). 

Entweder ist man i n Christo oder außer Christo, eins mit Ihm oder. von Ihm getrennt. Wenn man von Ihm getrennt ist, so kommt es auf die Entfernung nicht an, man steht in keiner Verbindung mit der Lebensquelle. Der Körper, welcher von dem Haupte auch nur in dem kleinsten Abstande, den sich unsere Einbil­dungskraft vorstellen kann, getrennt ist, der Körper, welcher zwischen sich und dem Haupte einen Gegenstand hat, der dün­ner ist als ein geschlagenes Goldblatt, ist ein Körper ohne Leben. In Christo sind wir die Gegenstände der Gunst Gottes, in Ihm und wie Er. Außer Christo ist man nur unter Seinem Gericht. Was sollten wir nicht vor dem Gott unseres Herrn Jesu Christi, vor unserem Gott sein? Des­halb sind wir auch Erben Gottes und Miterben Christi. Um jedoch diese herrliche Folge unserer Stellung weiter zu ver­folgen, müssten wir unseren Gegenstand verlassen.

Es gibt noch etwas Anderes, das sich dem Werke Christi anschließt und wovon der Kultus wesentlich abhängt. Es hat Christus nicht nur unsere Sünden hinweggenommen, indem Er uns für die Gegenwart Gottes reinigte, Dessen Liebe sich in der unaussprechlichen Gabe Seines Sohnes geoffenbart hat, sondern Er hat außerdem für uns zugleich die Gabe des Heiligen Geistes erworben, damit wir uns Dessen er­freuen könnten.

Wir erhalten nicht nur eine neue Natur, die heilig und der Gefühle fähig ist, die der Stellung angemessen sind, in welche uns die Gnade vor Gott gesetzt hat, sondern außerdem den Heiligen Geist, welcher uns die Dinge mitteilt, die sich in der Gegenwart Gottes befinden und uns diejenigen Gefühle ein­flößt, welche derselben entsprechen. Wir werden durch den Geist am inwendigen Menschen gestärkt, damit Christus durch den Glauben wohne in unseren Herzen, die wir in Liebe fest- gewurzelt und gegründet sind und dass wir vermögen einzu­sehen mit allen Heiligen, welches die Breite und Länge und Tiefe und Höhe sei und zu erkennen die alle Erkenntnis über­steigende. Liebe Christi, auf dass wir zur ganzen Fülle Gottes erfüllt werden (Epheser 3, 16-19).

 „Die Liebe Gottes hat sich in unsere Herzen ergossen durch den Heiligen Geist, der uns ver­liehen ist" (Röm. 5, 5). „Er nimmt die Dinge Christi und teilt sie uns mit; Alles aber, was der Vater hat, ist Christo" (Joh. 16, 14). „Was kein Auge gesehen und kein Öhr gehöret und in keines Menschen Sinn gekommen das hat Gott geoffen­bart durch seinen Geist, denn der Geist erforschet alles, auch die Tiefen der Gottheit" (1. Kor. 2, 6).

Der Heilige Geist ist eine Salbung, welche wir von Gott empfangen, durch welche wir diejenigen Dinge kennen, welche uns umsonst von Gott gegeben worden sind, durch welche wir alle Dinge kennen (1. Joh. 2, 20. 27). Er ist das Siegel, welches Gott uns aufgedrückt hat (Eph. 4, 30). Gott hat diejenigen, welche glauben, für diesen herrlichen Tag gezeichnet. Der Heilige Geist ist das Pfand unseres Erbes bis zur Erlösung des erworbenen Besitztums (Eph. 1, 14). Er gibt uns die volle Ge­wissheit der Wirksamkeit des Werkes Christi, die Kenntnis von der Stellung, in welcher wir durch das Blut des Heilandes ge­reinigt in die Gegenwart Gottes, ohne Flecken in das Licht ver­setzt sind. Durch Ihn hat sich die Liebe, welche Alles tun wollte und getan und uns zu dem Genuss eines solchen Glückes geführt hat; die Liebe Gottes in unsere Herzen ergossen. Er ist in uns die Quelle aller Gedanken und aller Gefühle, welche denselben entsprechen, ebenso wie Er uns Alles mitteilt, was sie hervorbringt.

Aber Er tut noch mehr, Er ist mehr wie das für uns. Wer in dem Herrn vereinigt ist, ist e i n Geist. Das ist weder eine Idee noch ein Gefühl, sondern eine Tatsache. Derselbe Geist, dessen Fülle in Christo ist, wohnt in uns und wir sind mit Christo vereinigt als Glieder Seines Leibes, von Seinem Fleisch, von Seinem Bein (Eph. 5, 30; Eph. 4, 13). Durch einen Geist sind wir alle zu einem Leibe getauft (1. Kor. 12, 13). Er ist nicht nur die Kraft, nicht nur das Band dieser Einigung, son­dern Er gibt uns auch davon das Bewusstsein. „An selbigem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch" (Joh. 14, 20).

Der Heilige Geist gibt uns zunächst die Gewissheit unserer Erlösung. Da wo der Geist ist, da ist Freiheit (2. Kor. 3, 17). Er offenbart uns außerdem die Herrlichkeit Christi, wie dem Stephanus, der von dem Heiligen Geiste erfüllt die Herrlichkeit Gottes und den Menschensohn zur Rechten Gottes gesehen hat. Mehr noch, Er gibt uns das Bewusstsein unserer Vereinigung mit Christo droben. Wir wissen, dass wir mit Ihm belebet sind, mitauferweckt und mitversetzt in den Himmel in Christo. 

Er gießt endlich die Liebe Gottes in unsere Herzen, welche der Grundsatz von Allem und eine Quelle von Freuden ist, wenn wir daran denken. Alle diese Wirkungen des Heiligen Geistes sprudeln auch als ein Strom von Freude und überfließender Liebe gegen diese arme Welt und, gegen das Haus Gottes. Indes gehe ich nicht auf die Betrachtung dieser köstlichen Folge und dieses süßen Vorrechtes ein, um mich nicht von unserm Gegen­stand zu entfernen.

Eine andere Wahrheit hängt noch von der Gegenwart des Heiligen Geistes ab, dass wir nämlich von demselben Leibe sind, und somit die Einen die Glieder der Andern. Ist Christus das Haupt des Leibes, so ist jeder Christ ein Glied und folglich durch den Heiligen Geist, welcher das Band von allem aus­macht, mit jedem andern Gliede vereinigt. Derselbe Geist wohnt in jedem Christen, dessen Leib ein Tempel desselben ist, vereinigt sie und bildet gleichmäßig aus ihrem Ganzen Seinen Tempel. Gott wohnt darin, durch den Geist, in einer zwar weniger tastbaren, aber weit ausgezeichneteren Weise, als in dem Tempel von Jerusalem.

Gemäß dieser herrlichen Offenbarung Gottes in dieser Stellung, welche Seine Liebe uns bereitet hat, und durch diesen Geist, den Er uns gegeben, um uns all' dessen erfreuen zu können, wird der wahre, christliche Kultus Gott dargebracht.

So wissen wir, was Er ist und was Er für uns ist, die Ihn anbeten. Wir schauen Ihn unverhüllten Angesichts, nach der Vollkommenheit Seines Wesens, Seiner Liebe und Seiner Heilig­keit; wir sind fähig geworden, uns in dem Lichte zu halten, wie Er selbst in dem Lichte ist, kraft des Werkes gerade, das Ihn geoffenbart hat und so nach derselben Vollkommenheit; wir sind die Gegenstände dieser Liebe, die selbst ihren gelieb­ten Sohn nicht verschont hat, damit wir daran Teil nehmen können; wir haben Seinen Geist empfangen, um uns Seine Liebe begreiflich zu machen und uns in Stand zu setzen, Ihn Seiner Liebe gemäß anbeten zu können; so halten wir Kultus nach der Offenbarung die Er in Seinem Werke für uns von Sich gegeben hat, in den Dingen, welche die Engel zu ergründen begehren und durch die Er in den zukünftigen Zeiten die un­ermeßlichen Reichtümer Seiner Gnade durch Seine Güte gegen uns in Christo offenbaren wird, die wir aber schon durch den Geist kennen.

Noch ein anderes Element unseres Dienstes bleibt zu be­trachten übrig, es ist der Charakter des Vaters. Gott muss im Geist und in der Wahrheit angebetet werden, denn Er ist Geist; denn auch der Vater verlangt solche Anbeter (Joh. 4, 23). — Anbeten im Geist heißt, anbeten nach der mäch­tigen Energie der Gemeinschaft, welche der Geist Gottes gibt, im Gegensatz zu den Formen, den Satzungen und der ganzen Religion, deren das Fleisch fähig ist, in der Kenntnis der wahren Natur dessen, den wir anbeten. (Vergl. Phil. 3). An­beten in der Wahrheit heißt Ihn nach der Offenbarung, die Er uns von Sich selbst gegeben hat, anbeten. Die Samariter beteten Gott weder im Geist noch in der Wahrheit an. Die Juden beteten Gott insoweit in der Wahrheit an, als sich dies von einer unvollständigen Offenbarung sagen lässt, denn die Wahr­heit ist durch Jesum Christum gekommen. Die Finsternis ist vergangen, sagt der Apostel; und das wahre Licht scheint jetzt. aber sie beteten keineswegs im Geiste an. Um Gott anzubeten, sind zwei Bedingungen notwendig: die wahre Offenbarung Seiner selbst, damit wir Ihn in der Wahrheit anbeten können und die Seiner Natur als Geist angemessene Anbetung.

Unsere Stelle enthält aber noch mehr: der V a t er verlangt solche Anbeter. Die Gnade ist es, welche solche bereitet; die Gnade will solch e, aber sie will sie. — Es ist das kein durch die Flammen des Berges Sinai auferlegter Zwang, der, obgleich er die Anbetung im Namen der heiligen Majestät des Ewigen verlangt, durch diese Forderung selbst ein Gehege auf­richtet, das man nur unter Todesstrafe überschreiten kann; eine Majestät, die so schrecklich war, dass sie den Zugang zu Gott durch die Tatsache versperrt, dass sie verlangt, dass man sich ihr naht und doch den Anbeter fern von Gott lässt, ihn da lässt zitternd in dem Pflichtgefühl, wiewohl auch durch die Wohl­taten ermutigt, welche er von dem empfängt, dem er sich nicht zu nahen wagt. Nein, die Liebe sucht unter dem süßen Na m en des V a t er s Anbeter. Er setzt sie in eine Stellung der Freiheit vor Ihm, wie Kinder, welche Er liebt. 

Der Geist, welcher in ihnen wirkt, um die Anbetung hervorzubringen, ist ein Geist der Kindschaft, welcher ruft: Abba, Vater. Damit verliert Gott nichts von Seiner Majestät, aber derjenige, dessen Majestät besser erkannt wird, hat für uns den zarten Charakter des Vaters. Der Geist, welcher die Anbetung des Vaters her­vorbringt, bewirkt auch das Gefühl der ganzen Liebe Gottes, die uns dahin geführt hat, Ihn als Seine Kinder anzubeten. — Dies Gefühl ist, Gott sei Dank, eins der einfachsten und süße­sten. Wenn ein Christ, mag er noch so unwissend sein, einmal die Gnade verstanden hat und dass er den Geist der Kindschaft empfangen hat, so besitzt er es, ohne viel Gerede, wie ein Kind, das Seinen Vater kennt, noch ehe es sich über alles, was es genießt, gehörig Rechenschaft gibt. 

Ich schreibe euch diese Dinge sagt Johannes, indem er sich an die kleinen Kinder in Christo wendet, weil ihr den V a t er kenne t. Deswegen ist auch der schwächste Christ vollständig dazu befähigt, Ihn anzubeten. Immerhin ist es aber süß, sich davon Rechenschaft zu geben und je mehr man an das denkt, was man in Christo in dieser Beziehung besitzt, je mehr man das Wort in dieser Hinsicht prüft, um so mehr erkennt man die hohe Bedeutung und den tiefen Segen dieser Beziehung mit Gott. Die einzige Tatsache, dass Gott unser Vater ist und wir eine solche Stellung in Ihm durch den Geist genießen können, ist schon für Wesen, wie wir sind, ein unermeßliches Vorrecht. Jedes Kind Gottes genießt es mit vollem Recht.

Aber nur in Christo und mit Christo genießen wir dieses Vorrecht. Er ist der Erstgeborene unter vielen Brüdern. Er ist hingegangen zu Seinem Vater und zu unserm Vater, zu Seinem Gott und zu unserm Gott. Welch köstliche Verwandt­schaft, welche Familie wie diese, in die wir eingeführt werden.

Wie aber lernen wir diese Gefühle und diese Liebe, wir, die ehedem Fremdlinge waren? Wie lernen wir, wer der Vater ist, dessen Kenntnis sie in unserm Herzen hervorbringt? Der eingeborene Sohn, der Erstgeborene in dieser neuen Beziehung ist es, der Ihn uns offenbart, der Ihn uns kennen lehrt, wie Er Ihn selbst kannte. Des Vaters ewiger Sohn, der die unendliche Liebe Dessen genießt, in Dessen Schoß Er wohnte, hörte Jesus, Mensch geworden auf dieser Welt, nicht auf, Ge­genstand derselben Liebe zu sein, die nicht schweigen kann, wenn Seine Herrlichkeit in Frage steht. „Dies ist mein lieber Sohn, sagt des Vaters Stimme, an welchem ich mein ganzes Wohlgefallen habe."

Der Sohn entfernte Sich eben sowenig von der Liebe des Vaters. Er war auf der Erde ihr Gegenstand und Er offenbarte Denjenigen, in welchem sie sich findet. „Niemand hat Gott, je gesehen, der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat ihn geoffenbart." Jesus, der Sohn, der die ganze Fülle dieser Liebe genießt, bleibt als Mensch auf dieser Erde in dem Schoße des Vaters, um hienieden die ganze Schöne, die ganze Kraft dieser Liebe, deren Gegenstand Er ist, zu entfalten. Auch Er hat Seine Jünger geliebt, wie der Vater Ihn geliebt hat (Joh. 15, 9). Als Mensch war Er Gegenstand dieser Liebe, damit wir sie in ihrer Anwendung auf die Menschen begreifen möch­ten. So gesellt Er uns sich in der Freude dieser Liebe bei und Er offenbart sie uns, wie Er sie selbst kennt. 

Wie hätte Er uns auch diese Liebe anders offenbaren können, als Er sie gekannt hat? Doch welche Gnade und welch eine Stellung für uns! Wie sehr wird nicht die Person Jesu selbst, der uns durch Seine Leiden, durch Seine Aufopferung dahin versetzt hat, für uns ein Gegenstand der Liebe, der Anbetung, der Hingabe des Herzens! Die Herrlichkeit sogar, die wir besitzen werden, wird uns durch den Heiland a]s ein Beweis dieser Liebe dargestellt. „Die Herrlichkeit, sagt er (Joh. 17), welche du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, damit die Welt erkenne, dass du sie geliebt hast, so wie du mich geliebt." Er liebt uns genug, um zu wollen, dass wir uns dieser Liebe erfreuen; auch hat Er uns dazu fähig gemacht. „Ich habe deinen Namen den Menschen geoffenbart, sagt Er und ich werde ihn bekannt machen, auf dass die Liebe, womit du mich geliebt, in ihnen sei und ich in ihnen." „Unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sahne Jesu" (1. Joh. 1, 3). Diese Gemeinschaft drückt sich sowohl in der Anbetung Dessen aus, der geoffenbart wird, als auch Dessen, der offenbart.

Man wird wohl fühlen, wie sehr das Werk Christi von allem dem, der Grund ist, sei es nun, um uns ohne Flecken und ohne Furcht in die Gegenwart Gottes, den wir im Lichte anbeten, darzustellen, sei es, um uns als Kinder vor den Vater zu bringen. Erst nach der Auferstehung konnte Er sagen: „Ich gehe zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott." Nun erst konnte Er sagen: „Gehe hin zu meinen Brüdern." Der Geist aber, welchen Er von oben gibt, entspricht dieser Gnade. Er ist ein Geist der Kindschaft, wie Er ein Geist der Freiheit ist, weil wir angenehm gemacht sind in dem Geliebten und wir uns einer Erlösung erfreuen, die uns Gerechtigkeit Gottes in Ihm gemacht hat, indem sie uns ohne Flecken in Seine Gegenwart setzt

So hätten wir wenigstens grundsätzlich die großen Grund­lagen des christlichen Kultus betrachtet. Vollkommen in Christo, verbunden mit. Ihm, Gegenstände der gleichen Liebe, in der Gegenwart Gottes, dessen Liebe und Heiligkeit ohne Vorhang geoffenbart ist und welche die unendliche Freude unserer Her­zen ausmachen. Als liebe Kinder des Vaters mit Christo dem Erstgeborenen beten wir miteinander nach der Kraft, den Ge­fühlen und der Energie, welche uns der uns verliehene Geist einflößt, den Gott der Majestät an. Seine Gegenwart, statt ein Schrecken unserer Seelen zu sein, ist die Stütze derselben.

 Er ist der Gott der Liebe, der uns dahin hat führen wollen, um uns in Ihm vollkommen glücklich zu machen, und tun selbst an unserem vollkommenen Glück Teil zu nehmen, Er, der glück­licher als wir selbst über unserer eigenen Glückseligkeit ist, dessen Liebe wir indes nur dadurch kennen, dass wir selbst lieben. Wir beten unsern Vater an, in einem zärtlichen Ver­trauen auf Seine Güte. Ihn, der uns mit allen geistlichen Segnungen segnet, der im Gedanken an all unsere Bedürfnisse die Haare unseres Hauptes zählt. Wir beten Ihn an als das, was Er i s t. Wir beten Ihn an als das, was Er für uns ist, die wir auf immer Kinder Seines Hauses sind. Wir tun es in dem Bewusstsein, Seine teuren Kinder zu sein, die vor dem­selben Vater erscheinen, vor ihrem gemeinschaftlichen Vater, sodass auch die Bruderliebe sich hierbei entfaltet. Die Freude der Segnungen des Einzelnen ist gegenseitig die Freude Aller und vervielfachtes Lob steigt zu Gott empor; denn eine Freude, welche liebt, welche sich in der Segnung eines Andern, in einer gemeinschaftlichen Segnung wiederfindet, ist weit mächtiger als die Freude, welche aus einer vereinzelten, demjenigen nur eigenen Segnung hervorgeht, der sie empfindet. Es ist etwas mehr Göttliches in dieser gemeinschaftlichen Freude

Die Wirkung der Gegenwart des Heiligen Geistes, der Einer ist, geht aber noch weiter. Er gibt uns nicht nur das Bewusstsein in Christo vor Gott vollkommen zu sein, dar­gestellt nach der Wirksamkeit der Erlösung, die Er erfüllt hat, Kinder vor dem Vater zu sein, der sie liebt und in das Haus eingeführt hat, sondern Er gibt uns auch das Bewusstsein, ein einziger Leib zu sein, der Leib Christi und unter­einander Glieder. Die Gemeinde, welche Gott geschaffen hat, dieser neue Mensch, diese Erlösten, welche alle getauft sind, um ein einziger Leib zu sein, die nur durch den Geist Gott anbeten, sie tun dies notwendigerweise als e i n Leib und zwar mit allen Erlösten. Sie sind eine Wohnung Gottes durch den Geist, und indem sie dieser Geist Alle in der Einheit des Leibes vereinigt, steigt die Anbetung nach oben zu Gott, der sie in einem einzigen Menschen in Christo gebildet hat. — 

Wenn Israel ein Ganzes bildete, das durch die Priester vorge­stellt wurde, welche in der Stiftshütte dienten, so bilden die Gläubigen, welche Gott unmittelbar anbeten, ebenfalls ein Ganzes in der Einheit, in der sie ein einziger Leib in Christo sind. Da ist mehr als Brüderschaft, da ist Einheit, nicht nur Nation, auch nicht nur der Familie, sondern des Leibes durch einen einzigen Geist. Dies ist der Gemeinde eigen, die allein dazu getauft ist, e i n Leib in Christo zu sein, dessen Haupt hinaufgefahren ist, damit sie frei und mit Freuden vor Gott durch die Salbung, welche von Ihm herabsteigt, anbeten kann.

Stellen wir einige praktischen Folgen fest, die hieraus her­vorgehen: zuerst ist es klar, dass der Kultus einzig das Teil der Kinder Gottes ist. Da er im Geist und in der Wahrheit geschehen muss, denn er wird Dem gebracht, der die Sünde in Seiner Gegenwart nicht dulden kann, so können nur die, welche in dem Blute des Lammes gewaschen sind und den Geist empfangen haben, sich Gott nahen, um Ihn anzubeten. Dass ein Unbekehrter Gott einen Kultus halte, ist eine reine Unmöglichkeit. Es ist möglich, dass Gott ihn zeitlich segnet; es ist ferner noch möglich, dass er um diese Segnung bittet und erhört wird. Gott kann großes Mitleid mit ihm, als mit einem armen Sünder haben. Dieser Unbekehrte kennt aber Gott noch nicht, er hat noch nicht den Geist; er ist noch nicht in dem Blute Christi gewaschen. Denkt er daran, sich Gott nahen zu können, so ist das nur der Beweis, dass er nicht weiß, was er selbst ist und was Gott ist, dem er dienen will. Wer kann außer dem Geheiligten in das Heiligtum hin­eingehen. 

Wer kann sich an einen Vater als solchen wenden außer ein Kind? Die Tatsache übrigens, dass der Leib Christi Einer ist und die Anbetung durch den Geist geschieht, der die Einheit dieses Leibes gebildet hat und darin als in einem Tempel wohnt, schließt von dem Augenblick an, wo der Kultus beginnt, denjenigen aus, der nicht dieses Leibes ist. Es heißt das die Existenz dieses Leibes leugnen, vorausgesetzt, dass eine Person, die nicht des Geistes teilhaftig geworden ist, Anteil am Kultus habe; es heißt das seine Natur und seinen Zweck leugnen. Wenn der Unbekehrte hineingehen und Gott an­beten kann, dem man dort dient, so wäre die Notwendigkeit eines solchen Leibes und die Erlösung, welche dafür die Grund­lage ausmacht, nicht vorhanden. Warum dann noch überhaupt Erkaufte, wenn der Weltmensch Gott in Seiner Gegenwart dienen kann? warum noch ein Leib Christi, wenn der Welt­mensch daran Teil nehmen darf? Warum die Anbetung Gottes durch den Geist, wenn der, welcher den Geist nicht hat, Ihn gleichwohl anbeten kann? Der gemeinschaftliche Kultus setzt voraus, dass ich in Wahrheit, indem ich mich an Gott wende, sagen kann: w i r.

 Er setzt Personen voraus, die durch den Geist in einem Leibe vereinigt sind. Es ist zwar möglich, dass ein Heuchler in der Versammlung ist; er wird in dem Kultus eine Fessel sein; die Wahrheit wird aber nicht zerstört, wenn der Anbeter im Namen Aller „wir" sagen wird. Die Gläu­bigen sind es allein, die Gott anbeten. — Der wahre Kultus, der Gott dargebracht wird, setzt eine befreite Seele vor­aus, d. i. eine solche welche die Freiheit hat, sich Kraft der Wirksamkeit des Werkes Christi Gott zu nahen. Wenn ich eine Seele sehe, und wäre es auch die furchtsamste, die Gott liebt und keine andere Hoffnung hat, als das Werk Christi, so ist es offenbar meine Pflicht, sie zu ermutigen; wenn diese Seele aber nicht selbst das Bewusstsein von der Wirksamkeit des Werkes Christi hat, so wird sie beengt sein, wenn sie. sich Gott naht, denn Seine Gegenwart gibt ihr eher das Bewusstsein ihrer Sünde, als die Freude, welche sie dem einflößt, der sich in Frieden durch Christum derselben erfreut. In ähnlichen Fällen eilt oft die Liebe der Befreiung voraus und wird von einem richtigeren Gefühl begleitet als das Urteil der Seele, welche zittert; dieser Zustand soll aber nicht der eines wahren Anbeters sein. Der Gläubige ist immer rein von aller Sünde. 

Um Gott wahrhaft anzubeten muss er es wissen. Schlechter Unterricht beraubt ihn oft in den Augen seiner Erkenntnis die­ser notwendigen Freiheit, während seine Seele mit Gott allein wahrhaft ausruft: „Abba, Vater." — Wie sehr übrigens auch die Schonungen durch die Liebe geboten werden, ein wahrer Kul­tus setzt grundsätzlich voraus, dass man Gott ohne Furcht, nahen kann. Dies ist aber die notwendige und absolute Folge des Blutes und des Werkes Christi, an welchem jeder wahrhaft Gläubige Teil hat. Die Gegenwart des Heiligen Gei­stes gibt davon den Genuss.

Welch eine Freude, so Gott anbeten zu können! Welch eine Quelle von Freude ist Der, den man anbetet! Wie groß ist doch das Glück, sich ohne Wolken, ohne Furcht, als Gerechtigkeit Gottes in Christo in Seiner Gegenwart zu befinden: Seine Ge­genwart ist nur eine Freudenquelle für eine durch Ihn ge­gebene Natur, die fähig ist sich Seiner zu erfreuen. Welch eine Freude seine Dankbarkeit auszudrücken, Ihm die Lob­preisungen darzubringen, von denen man weiß, dass sie Ihm angenehm sind! Welch eine Segnung, Seinen Geist zu haben, den Geist der Freiheit und der Kindschaft, um uns zu diesen Danksagungen fähig zu machen, um die Lobeserhebungen und die Gefühle des Vertrauens und der Anbetung einzuflößen. Welch eine Freude, als Glieder derselben Familie, desselben Leibes in Einheit sich solcher Freude zu überlassen, in dem Gefühl, dass diese Freude eine gemeinschaftliche ist und dass die, welche wir lieben, dem Herrn vollkommen angenehm sind und ihre Freude darin finden, denjenigen zu loben, der dafür würdig ist und der uns geliebt hat, den Gott, der die Quelle unseres Glückes und der Gegenstand unserer Anbetung ist, den Herrn, der Sich für uns dahingegeben hat, damit wir Seiner teilhaftig würden.

Die Vollkommenheit von allem diesem wird im Himmel sein; und der christliche Kultus ist hier unten in Schwachheit, ohne Zweifel die Verwirklichung dessen, was unser ewiges Glück und unser Leben dort oben ausmachen wird. Wir haben das Vorrecht, uns einige Augenblicke außer der Welt zu fühlen, außer der Arbeit des Glaubens sogar, um den Stand der Dinge zu genießen, in welchem Christus die ganze Arbeit seiner Seele sehen und daran gesättigt werden wird. Ich wiederhole es, in Schwachheit nur findet diese Verwirklichung statt, aber in Wahrheit durch den Geist. Auch wird dieser Kultus, da er durch den Geist vollbracht wird, in der Einheit des ganzen Leibes gehalten. Wenn es auch nur zwei oder drei sind, so befindet sich doch derjenige, welcher der Eingangspunkt und das Band ist, dabei, und Sein Geist bindet dich notwendiger­weise und in Liebe an alle andern Glieder Seines Leibes, welcher Eins ist. Wir verstehen mit allen Heiligen, die Zahl der Versammelten möge nun sein, welche sie wolle, die Liebe Christi, die alle Vernunft übersteigt

Es bleibt immer wahr, dass das Leben sich beim Einzelnen für sich entwickelt; es übt sich aber vor Gott in der gemein­schaftlichen Freude der Kirche. Ich glaube, dass es im Himmel selbst eine persönliche Freude und Gemeinschaft geben wird, und die nur derjenige kennt, der sie genießt. Diese Wahrheit wird uns gelehrt, scheint es mir, in dem, was der Kirche zu Pergamus gesagt ist: „Wer überwindet, ich werde ihm zu essen geben vom verborgenen Manna, und werde ihm geben ein weißes Los, auf dem Lose einen neuen Namen geschrieben, den Niemand • kennt, als wer ihn empfängt" (Offenb. 2, 17). Ich füge hinzu, dass sogar die Fähigkeit zur gemeinschaftlichen Freude im Kultus von der Aufrechterhaltung des inneren Lebens ab­hängt Denn wie kann sie genossen werden, so Gott nicht von der Seele gekannt wird? Ich sage dieses, damit man nicht meine, ich wolle um der gemeinschaftlichen Freude willen das geheime Leben mit Gott vernachlässigen lassen. Im Gegenteil!

Wenn das geheime Leben mit Gott vernachlässigt wird, so wird entweder der Kultus kalt oder die Freude fleisch­lich sein, denn der ganze Segen im Kultus hängt von der Ge­genwart des Heiligen Geistes ab, und ist eine Folge des inneren Zustandes derjenigen, welche zugegen sind; es sei denn, dass die unumschränkte Güte Gottes sich ins Mittel schlage. Dies hat uns einen wichtigen Grundsatz berühren lassen, nämlich dass der Heilige Geist die Kraft, die einzige, lebendige Quelle alles Wahren im Gottesdienste ist. übrigens ist das ein allge­mein wahrer Grundsatz: Er ist es hinsichtlich des ganzen christlichen Lebens. Man lebt durch den Geist, man wandelt durch den Geist,. man betet an im Geist, und in der Wahrheit. Der Geist ist es, der gegen das Fleisch kämpft. 

Die Gefühle des Geistes sind der Ausdruck des ganzen inneren christlichen Lebens. Im christlichen Kultus aber wirkt der Geist im Leibe, weil die Glieder vereinigt sind. Alles, was wahr und gesegnet ist, kommt von Ihm. Unumschränkt in Seinem Wirken, aber nach der geistigen Fähigkeit eines Jeden handelnd, bedient Er sich derselben, um die Gefühle auszudrücken, welche der Versammlung vor Gott geziemen; aber er erhebt sie bis zu Ihm, denn Gott ist da, um sie durch Seine Gnade zu nähren. Was getan wird, soll nach der geistigen Fähigkeit dieser Ver­sammlung sein, soll sie aber doch erheben und Gott nähern. So wirkt der Heilige Geist, denn er wirkt im Menschen, aber nach der Kraft und der Gnade Gottes.

Sind die Christen als Leib versammelt und wirken die Glieder, jedes an seiner Stelle, durch den Geist, so wird die Gelegenheit zur Anwendung der Gaben, die sich zur Erbauung der Glieder des Leibes ausüben, dargeboten. Ich sage zur Er­bauung der Glieder des Leibes, weil es sieh nicht so verhält mit der Verkündigung des Evangeliums, welche sich notwendiger­weise an die Welt richtet. Eine Versammlung, vereinigt in, der Absicht, Kultus zu halten, ist also durch ihre Natur selbst die Gelegenheit zur Ausübung aller Gaben, welche auf die Erbau­ung des Leibes hinzielen, obgleich diese Ausübung durchaus nicht der Zweck der Versammlung ist. Dies ist klar dargetan im 14. Kapitel der 1. Epistel an die Korinther, das auf die aus­drücklichste Weise von der Ausübung der Gaben, wenn die Versammlung beieinander ist, redet und Anleitung gibt, diese Ausübung zu ordnen. Dies versteht sich sehr leicht.

 Da die Versammlung als Leib Christi vereinigt ist und der Geist durch das, was jedes Glied beiträgt, nach der Gabe, die einem Jeden zugeteilt ist, erbaut; der Geist ordnet sodann .alles, damit es zur Erbauung diene, welche sein Zweck ist. Die Hauptsache aber ist, dass man sich Gott selbst nahe. Die Ausübung der Gaben ist nur ein Mittel. Die Freude der Liebe, in der Gegen­wart Gottes bei der Anbetung ist das ewige Ziel. Die Gaben werden aufhören im Himmel, so wie die Unwissenheit, welche erfordert, dass man lehre und die Trägheit, welche nötig hat, dass man ermahne; der Kultus wird nie aufhören, Gott sei Dank.

 Unter dem Gesetz war der Dienst des Priesters vor­trefflicher, als der des Leviten, denn der Levite diente und der Priester nahte Gott, nach der Weihe, die auf ihm war. In der Ausübung der Gaben sind wir Leviten, im Kultus Priester. übrigens übt derjenige, der durch den Geist im Kultus wirkt, keine Gabe aus; diese ist überhaupt eine von Gott gegebene Fähigkeit, um in Betreff der Menschen zu wirken. Das Maß der Geistigkeit jedoch macht ihn fähig, das Organ der Ver­sammlung zu sein.

Also indem der Geist in geistigen Menschen wirkt, um die geistigen Gefühle der Versammlung auszudrücken, wird Gott wahrhaft Kultus gehalten.

Wir haben bemerkt, was übrigens jede christliche Seele als Grundwahrheit festhalten muss, dass das Opfer Christi die notwendige und wesentliche Grundlage jedes christlichen Kul­tus ist. Wir wissen, dass einzig durch dieses Opfer wir uns Gott nahen können, und auf seine Wirkung, allein uns stützend, wir erscheinen vor Ihm, der von diesem Opfer die ganze Heiligkeit, den ganzen vollkommenen Wert gefordert hat und der in seiner Natur nicht Geringeres verlangen konnte. Darin besteht aber nicht die ganze Beziehung zwischen dem Kultus und dem Opfer Christi. Da uns Christus einen neuen und lebendigen Weg durch den Vorhang, d. h. durch Sein Fleisch gebahnt hat, so haben wir die vollkommene Freiheit durch Sein Blut in das Allerheiligste einzugehen. Aber, ist dies alles? Einmal eingetreten, kraft des Wertes dieses teuren Opfers, vergessen wir es? Nein, da lernen wir es in seinem ganzen Umfange kennen und schätzen. Vor dem Eintreten maßen wir den Wert des Werkes Christi nach der Notwendig­keit, in die uns die Sünde geworfen hatte. 

Jetzt, glücklich und in Gemeinschaft mit Gott, die Seligkeit Seiner Liebe schrec­kend, von Seinen Gedanken und Trieben unterrichtet, messen wir dieses Werk, das übrigens alles Maß übersteigt, nach der Gnade Gottes, die darin entfaltet wurde; wir sehen darin, was Gott darin sieht, statt darin nur das zu sehen, was der Sünder sieht, wie köstlich auch übrigens dieses Gefühl für uns sein mag zu einer Zeit, in der uns gegeben wird, davon durchdrun­gen zu sein. Im Genusse des Friedens kraft dieses Opfers dem Geiste nach im Himmel, betrachten wir seinen Wert mit den Augen Gottes; wir nähren uns von seiner ganzen Vollkommen­heit nach den Gedanken Gottes. Denn dieser Anblick und diese Gedanken sind uns durch den Geist gegeben, um uns zu heili­gen, um unsere Herzen in Einklang zu bringen mit dem, was im Himmel ist. Wir denken auch an das, was die. Liehe Christi für uns war, da Er sich selbst für uns zum Opfer brachte.

Der Tod Christi hat einen solchen Preis in den Augen des Vaters, dass der Herr, der als eingeborener Sohn des Vaters dessen Wonne ausmacht, ehe die Welt war, sagen konnte: „Darum liebt mich mein Vater, weil ich mein Leben lasse, um es wieder zu nehmen." Seine Aufopferung für die Herr­lichkeit Seines Vaters war in Seinem Tode eine absolute ge­wesen. Alles, was die moralische Entwicklung dieser Herr­lichkeit anbetraf, wurde auf Kosten desjenigen vollbracht, der gelitten hat. All das geheime übel, durch das Satan in dieser Welt regierte, und durch welches das Elend, der Tod und die Verdammnis hereingekommen sind, diente dazu, die Herr­lichkeit Gottes zu offenbaren. 

Die Gerechtigkeit Gottes, seine Majestät, seine Wahrheit, seine Liebe, unvereinbar im Schoße der Sünde, traten gerade bei Gelegenheit der Sünde durch den­jenigen hervor, der für uns zur Sünde zu werden einwilligte. Die Aufopferung Christi für die Verherrlichung Seines Vaters, die Liebe, der Gehorsam, die Unterwerfung, die Hingabe von Allem, von Seinem Leben sogar, damit Sein Vater verherrlicht und diejenigen, die Er liebte, gerettet würden; eine vollkom­mene Geduld, ein Vertrauen auf Gott, das nie fehlte, selbst dann nicht, als Er verlassen war, fanden sich am Kreuze ver­eint, um Seine persönliche Vollkommenheit glänzen zu lassen. Wenn man daran denkt, was Er war und was Er für uns war, weich' einen Wert muss Sein Tod nicht in unsern Augen haben?

 Fügen wir zu all diesem noch hinzu, dass die Macht des Satans besiegt, der Tod zerstört, ja für uns zum Gewinn wurde; dass das Böse aus den Augen Gottes entfernt und eine unantastbare Vollkommenheit in das ganze All eingeführt wurde, das nun von Frieden und Licht voll ist und dessen Erben wir geworden sind; und über alles, der vollkommene Genuss der Liebe Gottes — und wir werden fühlen, welch' einen geistigen Wert das Kreuz Jesu in unsern Augen hat, so schwach unsere Lippen sein mögen, um es auszudrücken und unsere Herzen, um die Gefäße der Gefühle zu sein, die es einflößt.

Die Anbetung knüpft sich notwendigerweise an das Kreuz. Der Gott, den wir anbeten, wurde da verherrlicht; Er hätte es nicht gehörig sein können ohne dasselbe; dort haben wir gelernt, was, Er ist.

Aber, ist die Herrlichkeit Christi am Kreuze eine Herrlich­keit, die ferne von uns nur blendet und uns etwa durch ihre Größe selbst entfernt? Im Gegenteil! Christus war am Kreuze f ü r uns, an unserer statt, wie der niedrigste unter den Menschenkindern, mit einem. Antlitz, entstellter als das irgend eines andern Menschen. Sein Kreuz ist der Ausdruck einer zärtlichen Liebe für uns, die stärker ist als der Tod. Er hat uns geliebt bis ans Ende. Er hat die Sorge auf Sich genom­men, uns bei dem Vater glücklich zu machen, fähig Seine Ge­genwart zu genießen. Gern hatte Er sie übernommen und Nichts war Ihm zu teuer, ihr nachzukommen. Alles setzte Er daran, den Vorsatz der Liebe durchzuführen. Sein vollkommen liebendes Herz hat sich an diejenigen gefesselt, deren Sache Er übernommen.

 Er hat Sich mit ihnen verbunden. Der, wel­cher Nichts bedurfte, hat unserer bedurft. „Ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten", sagt Er, „und wenn ich hingegangen bin, und euch eine Stätte bereitet habe, will ich wieder kom­men, und euch zu mir nehmen, auf dass da wo ich bin, auch ihr seid." „Wen suchet ihr?" sagt Er im Garten Gethsemane, „wenn ihr mich suchet, so lasset diese gehen! Auf dass erfüllet würde das Wort, das er gesprochen: Von denen, die du mir ge­geben, habe ich keinen verloren." Er hat Sich selbst für uns dahingegeben. „Mich hat herzlich verlangt, dieses Passah mit euch zu essen, ehe denn ich leide. Denn ich sage euch, dass ich hinfort nicht mehr davon essen werde, bis dass es erfüllet ist im Reiche Gottes.

" Wie das Passah für Israel die Gedächt­nisfeier seiner Befreiung aus Ägypten war, so ist das Abend­mahl nicht nur die Erinnerungsfeier unserer B e f r e i u n g, son­dern mehr noch, der Liebe dessen, der uns befreit hat. Die Liebe Jesu, welche Wert darauf setzt, dass wir Seiner ge­denken und mit so viel Zärtlichkeit sich zu uns gesellt, ist eine Liebe, welche die tiefsten an das Höchste in der Gnade Gottes sich knüpfenden und in der Anbetung des Herzens sich aus­drückenden Gefühle erweckt.

Von da an versteht man, obgleich der Kultus auf ver­schiedene Weise gehalten wird, durch Gesänge, Danksagungen in Form von Gebeten, Lobpreisungen usw., dass das Abend­mahl, als Ausdruck dessen, was die Basis dafür bildet, der Mittelpunkt seiner Ausübung ist, um den sich die andern Ele­mente, die ihn ausmachen, ordnen. Der Anbeter gedenkt des Köstlichsten in den Augen Gottes: des Todes Seines vielgelieb­ten Sohnes; er bringt die Handlung in Erinnerung, in welcher der Erlöser Seine Liebe am mächtigsten erwiesen.

Andere Betrachtungen unterstützen die, welche wir hin­sichtlich des Abendmahles vorbrachten. Man sitzt zu Tische im Hause Gottes; man isst, wie die Hohenpriester, von den Dingen, mit welchen die Sühnung vollbracht wurde. Man tritt von Herzen in die Vollkommenheit dieser Versöhnung und dessen ein, was Christus war, indem Er sie vollbrachte. „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, bleibt in mir und ich in ihm." Ich wende dieses nicht ausschließlich auf das Abend­mahl an, es ist nur der lebhafteste Ausdruck davon.

Das Dankopfer mit dem Osterlamm geben das lebendigste Bild vom wirklichen Charakter des Abendmahls. Diese Opfer bestanden in einem Mahle, das auf die Schlachtung des Opfers folgte; beim Osterlamm nährte sich Israel von dem Opfer, dessen Blut es vor dem Gericht gesichert hatte. In den Dank­opfern waren Gott, der dienstverrichtende Priester, der An­beter und die, welche bei ihm waren, die Gäste. Das auf dem Altar verbrannte Fett wurde Gottes Fleisch genannt; es war der Ausdruck der tiefen Befriedigung Gottes beim lieblichen Geruch des Werkes Christi. Der Priester, welcher das Blut darbrachte hatte seinen Teil. Dies ist. Christus, welcher an der durch die Wirksamkeit Seines Todes hervorgebrachten Freude der Seinigen sich labt, der von der Arbeit seiner Seele gesättigt wird. 

Die andern Priester hatten auch ihren Anteil; das sind die Christen im Allgemeinen. Dann sehen wir in den Mitgästen des Opfernden die versammelten Anbeter. Gott selbst hat Seinen Teil an der Freude, sowie Christus, die Kirche im Allgemeinen, die Versammlung endlich, welche am Mahle Teil nimmt. Diese Freude am Dankopfer findet sich wieder auf besonders köstliche Weise beim Abendmahl. Wir nähren uns im Glauben von diesem schon vollbrachten Opfer, dessen lieblicher Geruch zu Gott emporsteigt. Christus hat Seine Freude an unserer Freude; wir nehmen mit der ganzen Kirche Teil daran. Im Geiste schon im Himmel, erinnern wir uns dessen, was uns diesen Eintritt verschafft hat und unsern Herzen das Teuerste sein wird. Wie Josua in Kanaan vor den Mauern Jerichos das Osterlamm feierte, so verkündigen wir, getrennt von der Welt und zu Einem Leibe vereinigt, den Tod Jesu, welcher das Fundament unseres Heils ist, bis Er kommt und wir immer bei Ihm sein werden, dort oben, wo die Er­innerung überflüssig sein wird, weil wir immer bei Ihm sein werden.

Unsere Lobpreisungen, die Ergebenheit unserer Anbetung, unsere Danksagungen knüpfen sich nötigerweise an die An­nahme des Opfers Christi durch unsern Gott im Himmel. Dies ist immer wahr für das Herz; und ist der Grund, warum, wenn der Kultus vollständig ist, das Abendmahl nicht dabei fehlt. Im Alten Testament war diese Wahrheit auf merkwür­dige Weise im Dankopfer bildlich ausgedrückt. Statt ein Akt der Gemeinschaft zu sein, war es eine Sünde, wenn man bei diesem Opfer das Fleisch des Geopferten zu einer Zeit aß, die zu entfernt war von dem Augenblick, in dem das Fett auf dem Altar verbrannt worden war. Beim Lobopfer konnte man das Fleisch nur an dem Tage, an dem es stattfand, essen; bei einer freiwilligen Opfergabe durfte man es noch am folgenden Tage. Die Freude der Anbeter sollte sich unmittelbar an die Gott dargebrachte Gabe knüpfen; sonst war diese Freude un­heilig. Die Energie der Frömmigkeit gab diesem Bande mehr Kraft, sodass das am folgende Tage statthabende Mahl nicht wirklich vom Opfer getrennt war

Wir haben gesehen, dass, da der Heilige Geist die Quelle, die Kraft, der Leiter jedes wahrhaften, Gott darge­brachten christlichen Kultus ist, die Einheit dieses Leibes, der durch ihn gebildet wird und in dem er wirkt, deutlich im Kultus hervortritt, den er die Glieder des vereinigten Leibes halten lässt. Die Liebe, welche die Seele im Kultus ist, fehlt in einer ihrer vollkommensten Formen, wenn das Bewusstsein dieser Einheit nicht da ist. Die Gegenwart des Heiligen Geistes bringt das Bewusstsein dieser Einheit, deren Urheber und Band Er ist, hervor. Eine der Seiten des Abendmahls nun ist der Ausdruck dieser Einheit: „Denn ein Brot ist's, ein Leib sind wir die vielen; denn wir alle genießen von demselben Brote" (1. Kor. 10, 17). Wenn einerseits das gebrochene Brot den in den Tod gegebenen Leib Christi vorstellt, so stellt andererseits die Einheit dieses Brotes die Einheit Seines geistigen Leibes vor. „Als ich hörte", sagt der Apostel, „von eurer Liebe gegen alle Heilige n", usw. — „auf dass ihr vermöget einzusehen mit allen Heiligen, welches die Breite und Länge und Tiefe und Höhe sei und zu erkennen, die, alle Erkenntnis übersteigende Liebe Christi, auf dass ihr erfüllet werdet zur ganzen Fülle Gottes." „Dem aber, der vermag überschwänglich mehr zu tun, als wir bitten oder verstehen, vermöge der in uns wirkenden Macht, ihm die Ehre in der Gemeine!" (Eph. 1, 15; 3, 18-21).

Welche Wonne, sich mit allen Heiligen, wo sie auch sein mögen, vereint zu finden, in der Einheit des Leibes Christi, als Seine Glieder gemäß allen Vorrechten, die sich daran schließen, vermöge der Liebe dessen, der diesen Leib ernährt und pflegt wie ein Mensch sein eigen Fleisch pflegt; sich durch den Geist mit Allem vereint zu fühlen, was Eins mit Christo ist; es zu fühlen in dem unendlich erfreulichen Gedanken, dass alle diejenigen, welche uns als angehörig so unaussprechlich teuer sind, Seiner unwandelbar liebenden Sorge sich erfreuen; welche Freude auf sie durch den Glauben die Anwendung all dieser Liebe zu machen, deren wir uns im Kultus bewusst sind, ein Glaube, der übrigens nie sein Ziel verfehlt.

Demnach ist die Fürbitte eng mit dem eigentlichen Kultus verbunden; sie wird eingeflößt durch die zufolge der Gegen­wart des Heiligen Geistes in Tätigkeit gesetzten Liebe. Die Bitten um Gnade, welche diejenigen, die Kultus halten, für sich selbst tun, schließen sich beinahe im gleichen Grade daran an, weil das im Kultus sich ausdrückende Gefühl dessen, was wir Gott zu verdanken haben, nötigerweise den Wunsch Ihn zu verherrlichen und das Bedürfnis nach Gnade, die einzig uns dazu befähigt, erzeugt.

Was das Abendmahl betrifft, so finden wir wirklich, dass es nicht nur die hervorragendste von den religiösen Übungen der Gläubigen war, sondern dass sie, um es zu feiern, regelmäßige und feierliche Versammlungen hatten. „Täglich ver­harrten sie einmütig im Tempel und brachen das Brot zu Hause (d. h. in Privathäusern) im Gegensatz zum Tempel" (Apg. 2, 46). „Sie blieben aber in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und dem Gebete." Es scheint demnach, dass sie das Abendmahl täglich nahmen; aber in verschiedenen Beziehungen noch Juden, wie wir wissen, gingen sie fleißig in den Tempel; hernach aber hielten sie in, ihren Häusern zur Erinnerung an Christuni diesen besonderen Dienst, von dem gesagt ist: „Tut dies zu meinem Gedächtnis."

Im 20. Kapitel der Apostelgeschichte wird uns gesagt, dass die Jünger am ersten Wochentage (jetzt Sonntag genannt) ver­sammelt waren, um das Brot zu brechen und Paulus redete usw. — Dies beweist, dass diese Handlung, wenn auch andere sie begleiteten, doch der Zweck ihrer Zusammenkunft war. Man hat angenommen, dass das Brotbrechen etwas ande­res sein könne als das Abendmahlnehmen, weil es klar ist, dass man zu gleicher Zeit ein Mahl einnahm; letzteres ist nicht zweifelhaft. Christus hat das Abendmahl bei Seinem letzten Abendessen eingesetzt, und im Anfang aß man und brach das Brot zu gleicher Zeit.

 Das Brechen des Brotes aber hatte seinen eigenen unterscheidenden Charakter, wie es ihn bei seiner Einsetzung gehabt hatte. Hierauf unachtsam sein, wenn man daran Teil nahm, heißt der Apostel den Leib des Herrn nicht unterscheiden. In seiner ersten Epistel an die Korinther verbessert er diesen Missbrauch, indem er befiehlt, dass das Abendmahl von dem Nachtessen, von welchem es vorher be­gleitet gewesen, getrennt werde. Diese Stelle zeigt, dass man sich versammelte, um zu essen. Aber, ach! das Mahl hatte die Korinther den geistigen Dienst vernachlässigen lassen. Man war dahin gekommen, sich satt zu essen und den Armen hun­gern zu lassen. Man versammelte sich nicht mehr in einem Privathause, sondern in einem gemeinsamen Lokale, wohin Jeder sein Abendessen brachte.

 Dieser Dienst hatte gänzlich den Charakter vom Abendmahl des Herrn verloren. Nichts­destoweniger bleibt durch diese Stelle festgesetzt, was der Zweck der Versammlung war. Um diese Einsetzung in ihrer ganzen Wichtigkeit zu erhalten, hat der Apostel befohlen, sie von dem Nachtessen zu trennen; Jeder sollte daheim essen und sich mit ernstem Gemüte in die Versammlung begeben, aus Furcht sich Züchtigung zuzuziehen.

Die beiden großen Elemente des christlichen gemeinschaft­lichen Kultus sind: die Gegenwart des Heiligen Geistes und die Erinnerung an das Opfer Christi in der Feier des Abend­mahls. Wir haben gesehen nach dem Zeugnis der Bibel, dass die Christen sich ursprünglich versammelten, um das Abend­mahl zu nehmen.

Überdies finden alle auf jede unserer Beziehungen mit Gott sich knüpfenden Gefühle ihre Anwendung im Kultus. Seine Majestät wird da angebetet. Die Gnadenge­schenke Seiner Vorsehung werden da anerkannt; der­jenige, welcher Geist ist, wird angebetet im Geist und in der Wahrheit. Wir drücken unserm V a t e r, dem Vater unsers Herrn Jesu Christi, die heiligen Gefühle der Liebe aus, die Er in uns erweckt hat. Er, der uns suchte, als wir ferne von Ihm waren und uns zu Sich gebracht hat als Seine lieben Kinder, in dem Geist der Kindschaft, indem Er uns, o wunderbare Gnade! mit Seinem geliebten Sohne verband. Makellos vor Ihm, beten wir den rettenden Gott an; Seine Heiligkeit und vollkommene Gerechtigkeit sind für uns der Gegenstand einer Freude, die nie vergeht, denn wir sind im Licht e, durch das vollkommene Werk Christi, wie Er selbst im Lichte ist. Der Heilige Geist selbst offenbart uns diese himmlischen Dinge, sowie die zukünftige Herrlichkeit und wirkt in uns, um die Gefühle und Triebe hervorzubringen, die für eine solche Gnade, für solche Bezie­hungen mit Gott sich geziemen. Er bindet das Herz an diese Dinge.

 Doch lässt Er uns dabei fühlen, dass wir Kinder Einer Familie, Glieder Eines Leibes sind, indem wir im Kultus durch gegenseitige Triebe und gemeinschaftliche Gefühle für denjenigen, welcher der Gegenstand unserer gemeinschaftlichen Anbetung ist, uns vereinigen. Im Kultus haben wir endlich das süßeste Andenken der Liebe Christi, sei es, dass wir auf die Wirksamkeit Seines Werkes hinsehen, sei es, dass wir uns Seiner zärtlichen Liebe für uns erinnern. Er will, dass wir uns Seiner erinnern! Süßer, köstlicher Gedanke für das Herz! O, wie teuer und zugleich heilig sollte ein solcher Kultus für unsere Seelen sein! Sollten wir nicht so leben, dass wir im Stande wären, einen solchen Kultus zu halten! Mit welchem Eifer sollten wir nicht die Gegenwart und Wirkung des Hei­ligen Geistes suchen, um ihn geziemend halten zu können!

Jedoch muss er sehr einfach sein, denn wahre Liebe ist immer einfach; ernst zugleich; denn solche Interessen machen ernst. Die Majestät und Größe der Liebe Dessen, den wir an­beten, gibt jedem Akt, durch welchen wir Gott nahen, eine Feierlichkeit. Mit welch tiefen Trieben und mit welcher Dank­barkeit denken wir auch an unsern Erlöser in einem solchen Augenblick, wo wir in der Gegenwart Gottes, fern von allem übel, im Vorgeschmack unserer ewigen Glück­seligkeit durch Ihn sein können und wo wir uns Seiner ganzen Liebe für uns erinnern.

Diese zwei großen Gegenstände, mit denen der christliche Kultus sich beschäftigt, nämlich: die Liebe Gottes, unsers Vaters, und die des Herrn in Seinem Werk und als Haupt der K i r c h e, welche Sein Leib ist, verändern ein wenig den Charakter des Kultus je nach dem Zustande derjenigen, die ihn halten. Es wird Augenblicke geben, in denen Jesus ihren Gedanken näher ist, andere, in denen der Vater ihren Geist mehr beschäftigen wird. Der Heilige Geist allein kann hierin leiten; aber da die Gefühle wahr sein müs­sen, so wird ihre Richtung von dem Zustande der Personen, welche die Versammlung ausmachen, abhängen. Nichts darf in solchen Fällen erzwungen sein. Der, welcher das Organ des Kultus ist, sagen wir es hier, hat nicht auszudrücken, was ihm eigen ist und ihn persönlich angeht; er ist berufen, das, was wirklich die Herzen durch den Heiligen Geist in der Ver­sammlung bewegt, darzubringen. Dies lässt uns unsere gänz­liche Abhängigkeit vom Tröster, um Gott miteinander in Wahr­heit dienen zu können, fühlen. Nichts indes ist einfacher und klarer als diese Wahrheit: dass im gemeinschaftlich gehaltenen Kultus die Gefühle, die von Allen empfunden werden, ausge­drückt werden sollen.

Eine andere Bemerkung können wir hier anschließen, näm­lich: dass der Kultus in hohem Grade von allem dem leiden wird, was den Heiligen Geist betrübt. Jeder Bann, wäre er auch nur bei einem einzigen Glied der Versammlung, wird fühlbar sein (wenigstens wenn Geistigkeit vorhanden ist), denn wir sind da als E i n Leib. Es ist von hoher Wichtigkeit, dass die geistige Empfindlichkeit erhalten werde, und dass man sich nicht über einen Zustand hinwegsetze, wo im Kultus die Ge­genwart Gottes wenig gefühlt, die Wirkung des Geistes wenig gekannt wird. Wenn eine wirkliche Geistigkeit da ist, wenn der Heilige Geist die Versammlung mit Seiner Gegenwart erfüllt, so wird bald jedes 'übel entdeckt werden. Denn Gott ist ein eifersüchtiger und ein treuer Gott.

 Ein einziger Achan ist im Anfang der Geschichte Israels entdeckt worden (Josua 7), eine einzige Lüge des Ananias im Anfang der Kirche (Apo­stelgesch. 5). Ach, wie viele Dinge sind später in Israel vor­gekommen, wie viele wurden in der Kirche vollbracht, ohne dass Jemand nur gefühlt hätte, es sei etwas Böses vorhanden! Möge Gott uns demütig, wachsam, wahrhaft machen, und uns daran erinnern, dass Sein Geist immer bei uns bleibt, damit wir fähig seien, durch die Wirkung dieses Geistes in uns, Ihm einen geistigen Kultus zu halten; ein schönes und mächtiges Zeugnis für das Werk Christi, das uns unsträflich und freude­voll in die Gegenwart Gottes stellt, um Ihm die Anbetung solcher Herzen darzubringen, die in Seiner Gegenwart die Quelle ihres Glückes finden, die vor den Engeln des Himmels von Seiner vollkommenen Liebe zeugen und Gott selbst den annehmbarsten Beweis von der Wirksamkeit dieses Werkes leisten, das Ihm die Möglichkeit gibt, Seine Liebe vollkommen auszuüben, worin Er Seine Wonne findet.

Das Vorrecht, Kultus halten zu können ist zwei oder drei im Namen Jesu Versammelten verliehen, d. i. solchen, die die­ser Name vereinigt hat als ein Band unter ihnen durch seine Allen gemeinschaftliche, von Allen gekannte und unter ihnen als Grundsatz ihrer Versammlung anerkannte Kraft. — Jesus ist bei ihnen, um die Freude und Kraft ihres gemeinschaftlichen Dienstes zu sein. Jehova hatte zu Israel gesagt: „An jeglichem Orte, wo ich meinen Namen preisen lasse, will ich zu dir kommen und dich segnen" (2. Mose 20, 24). Später hat Er ge­sagt, dass sie ihre Opfergaben an den Ort bringen sollten, den Er erwählt habe, um Seinen Namen darauf zu legen. Dies hatte seine bestimmte Erfüllung zu Jerusalem (1. Könige 8, 29). Jetzt hat Gott Seinen Namen auf Jesum gelegt, da wo zwei oder drei in Seinem Namen versammelt sind mit der, gleich der im 20. Kapitel des 2. Buches Mose ent­haltenen Verheißung, dass Jesus mitten unter ihnen sein werde. Köstliche Aufmunterung für die Schwäche Seines Volkes! Wären Tausende von Jüngern beieinander, ein solches Werk des Heiligen Geistes würde eine große Ermutigung sein; aber das Kostbarste von Allen, die Gegenwart Jesu, ist zweien oder dreien der kleinsten und den Seinen verliehen, wenn sie sich wirklich in Seinem Namen versammeln.

Mögen wir doch wahrhaftig und einzig in Seinem Namen versammelt sein! Der geistliche Stolz, der gern eine Gabe geltend macht, und sich eine Herde als sein aneignet, die menschliche Ordnung, die gern zu vermeiden sucht, was das Fleisch oder die Welt verletzen könnte, die Engherzigkeit, die Einige auf ihr eigenes Gefühl hin vereinigt, sind der Name Chris t i nicht. Diejenigen, die sich wirklich im Namen Jesu versammeln, schließen in ihren Gedanken und Herzen Alle, welche von Ihm sind, alle Glieder Seines Leibes ein; sie schließen dieselben ein nach dem Grundsatz, auf welchen hin sie versammelt sind, sonst wären sie nicht in Seinem Namen beieinander; denn ausschließen kann man diejenigen, die Sein sind, nicht von dem Vorrechte, das an Seinen Namen geknüpft ist. Sein Herz schließt sie ein und wir sind nicht nach Seinem Herzen versammelt, wenn unsere Versammlung sie nicht grundsätzlich einschließt. Es ist klar, dass Sein Name weder die Welt noch die Sünde, noch das, was die Wahrheit, die in diesem Namen geoffenbart ist, leugnet, verträgt. Sein Name vereinigt diejenigen, die wirklich Sein sind. W e r nicht mit Ihm sammelt, der zerstreut.

Die Christen sollen die Heiligkeit und Wahrheit aufrecht erhalten und beständig fortschreiten zum Maße der vollkom­menen Natur Christi. Wer diesen Fortschritt hemmen und suchen würde, die Seelen in der Form besonderer Lehren zu­rückzuhalten, würde die Einheit in der Ausübung zerstören. Nur die durch das Wort geordnete und die Gnade geleitete Geistigkeit, mit Einem Wort die Handlung des Geistes Gottes kann in gewissen Fällen den wahren Fortschritt von einem bloßen Verharren auf besonderen Ansichten unter­scheiden lassen. Denn der Weltgeist, der den Fortschritt und das, was Christum in unsern Herzen entwickelt, nicht liebt, nennt alles, was unsere Bande an Christum mächtiger und fühlbarer macht, eine besondere Ansicht. Auf der anderen Seite wird der engherzige Geist als einen Fortschritt alles betrachten, was seine eige­nen Ideen geltend macht.

Ich wünsche unsere Seelen auf den Grund des Gegenstandes, den ich behandle, zu führen. Das, wovon ich soeben gesprochen, hat seine Anwendung auf die Kinder Got­tes, die versammelt sind, um Ihm Kultus zu halten. Süßes, herrliches Vorrecht, im Voraus das zu genießen, was unsere ewige Beschäftigung im Himmel sein wird! Dort wird unser Kultus vollkommen sein; die ganze zur Vollkommenheit ge­langte Kirche wird versammelt sein, um Ihn inmitten der all­gemeinen Versammlung droben zu halten. Ewig wird sie dieses Glückes genießen ohne Zerstreuung und Furcht, dass es je ge­stört werde, in der vollkommenen Gunst Gottes. Welch ein Vorrecht schon hienieden hinter allen Zerstreuungen dieser Welt die Türe zu schließen und durch den Geist die Bedürf­nisse des Herzens zu befriedigen, indem man Gott die Dank­sagungen darbringt, die Er zu empfangen würdig ist und die Er uns durch Seine Güte eingeflößt hat.

Ich will noch einige Stellen angeben, die im Einzelnen den Geist des Kultus auffassen helfen.

Die erste ist in Phil. 3 enthalten: „ Wir dienen Gott im Geiste, wir rühmen uns Christi Jesu und. vertrauen nicht auf das Fleisch."

Man muss hier bemerken, dass es sich nicht um das Fleisch in seinem gewöhnlichen Sinn genommen, als Ausdruck für die Sünde, handelt, sondern um das Vertrauen auf das Fleisch. Das Vertrauen auf das Fleisch ist in Religionssachen ebenso verwerflich als die Lüste des Fleisches; es ist übrigens nur eine dieser Lüste, vom Schleier der Werke und der Heiligkeit verdeckt. Der Prüfstein ist: dass es den Herrn Jesum nicht verherrlicht, und noch besser, dass es nicht Jesu Christi allein rühmt. Die Religion des Fleisches kann sich mit viel guten Werken beschäftigen, einen untadelhaften Wandel, viel Selbst­verleugnung, viel Frömmigkeit, viel Demut haben, sich eifrig der Liebe befleißigen, indem sie vorgibt, vielleicht, dass sie auf seiner unendlichen Liebe beruhe; aber die Liebe Gottes in ihrem Herzen wird nur d i e Liebe sein, die s i e für Ihn empfindet.

Man kann die Frage stellen: Wenn dies Alles in einer Per­son sich finden und doch nur Fleisch sein kann, wie kann man die wahre Beschneidung unterscheiden? Die wahre Beschneidung rühmt sich Jesu Christi. Nichts ist leichter als all diesen Schein von Gottseligkeit zu beurteilen, wenn Christus unser Alles ist. Wir werden ohne Bedenken den wahren Charakter dessen herausfinden, was sich nicht Seiner rühmt und dem, was das Christentum von Grund aus zerstört, Waffen leiht.

Wollt ihr ein anderes Zeichen, um diese anmaßende Reli­gion des Fleisches zu erkennen? Sie hält sich nicht an das Haupt des Leibes der Kirche (Kol. 2, 19), d. i. dass der, welcher davon durchdrungen ist, nie das Bewusstsein seiner eigenen Einigung mit Christo hat, sodass er weiß, dass er mit Ihm auf­erstanden und in die himmlischen Örter versetzt ist, als Bein von Seinem Bein, als Fleisch von Seinem Fleisch, Ein Geist mit dem Herrn, ein Glied Seines Leibes.

Ein anderer Zug, der die Religion des Fleisches bezeichnet. ist der, dass sie, wie groß auch die scheinbare Erhabenheit ihrer Frömmigkeit sein mag, mit Dingen sich verträgt, die nicht vom Himmel sind. Sie sucht nicht in jeder Hinsicht das, was allein den Gefühlen desjenigen, der mit Christo gestorben und auferweckt ist, entspricht.

Der wahrhafte Kultus, die Religion des Geistes, dient Gott im Geiste; sie hat durchaus kein Vertrauen auf das Fleisch; sie kennt nicht die Religion ihrer Väter, selbst wenn diese Religion die wahre wäre; man erbt von seinen Vätern nichts als eine sündige Na tu r. Sie vertraut weder auf ihren Eifer, noch auf eine Frömmigkeit, die sie Gott dar­bringen könnte, noch auf ihre Liebe für Ihn. Vor Gott rühmt sie sich Jesu allein. Die Seele hat gelernt, dass sie tot war in ihren Sünden, dass der teure Erlöser sich so weit erniedrigte, dass Er für uns zur Sünde wurde, dass sie mit Ihm gestorben und auferweckt ist, dass sie verloren wäre, wenn sie das Leben ihrer Natur lebte; sie hat vor Gott nichts darzubringen, als Jesum Christum; in Ihm freut sie sich; Seiner rühmt sie sich; sie weiß, dass der Vater an Ihm Sein ganzes Wohlgefallen hat.

Es ist unverkennbar, dass diese praktische Beschreibung, die Phil. 3 von der wahren Beschneidung, d. h. vom wahren für Gott abgesonderten und dem Fleische nach gestorbenen Volke, macht, sich eng an die großen Grundlagen knüpft, auf welchen wir erkannt haben, dass der wahrhafte Christ in seinem Gottesdienste sich stützt. Bedenken wir auch: dass es nichts taugt, die Religion des Fleisches mit der des Geistes zu mischen. Das Fleisch des Christen findet wohl seine Nahrung in der ersteren. Im Anfang der Kirche gingen die Anstren­gungen des Feindes nicht dahin, das Fleisch an die Stelle der Beschneidung und das Gesetz an Christi Statt zu setzen, sondern sie hin z u z u f ü g e n. 

Der Apostel sah aber wohl ein, dass, wenn sie zugelassen würden, Alles verlor en w ä r e. Der Christ ist Eins mit Christo, dem Haupte des Leibes. Beim geringsten Gegenstand, der zwischen das Haupt und den Körper tritt, wird dieser zum Leichnam. Das Werk Christi wäre nicht mehr hinreichend, wenn Etwas hinzugefügt werden müsste. Doch nicht allein das. Die Stellung des Chri­sten wäre ganz vernichtet. Denn, anstatt in Christo vor Gott glücklich zu sein kraft eines durch unsern siegreichen Erlöser vollbrachten Werkes; statt „vollkommen gemacht zu sein in Ihm", „angenehm in dem Geliebten", wäre der Mensch noch im Begriff, Mittel zu suchen, um sich Gott wohlgefällig zu machen und vor ihm erscheinen zu können. Mit einer solchen Lehre ist man von der Gnade abgewichen; das Christentum ist entstellt, verdreht und stillschweigend geleugnet. Die Wahr­heit des Evangeliums ist nicht mehr da.

Möge Gott uns geben, kein Vertrauen auf das Fleisch zu haben, und uns Jesu Christi allein zu rühmen!

Man kann fragen; Aber ist es nicht möglich, dass man diese Wahrheiten in ihrer ganzen Erhabenheit bewahre und doch fleischlich sei? Ich antworte: Ohne Zweifel. Dann aber nimmt das Fleisch die Form der Ausgelassenschaft, seinen wirklichen Charakter an, und nicht die der Religion. Das Fleisch ist sehr fromm, wenn es fromm -tut, weil es sich selbst verherrlichen will.

Ich möchte nun die Aufmerksamkeit des Lesers auf das 4. und 5. Kapitel der Offenbarung lenken.

Im 4. Kapitel, V. 8 finden wir die vier Tiere, die dem Herrn, Gott, dem Allmächtigen die Ehre geben für Alles, was Er in Seiner heiligen und ewigen Majestät ist. Diese Lobpreisung führt die, welche die Heiligen in der Herrlichkeit als Könige und Priester betrachtet vorstellen, dahin, ihre Kronen abzu­nehmen und ihre Throne zu verlassen, um sich vor Dem nieder­zuwerfen, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit; moralisch erhabener durch die Schätzung und Anerkennung der Herrlich­keit dessen, dem alle Würde gehört, als durch ihre eigene Herrlichkeit; erhabener, indem sie als Gegenstand ihrer An­betung die höchste Herrlichkeit Gottes erfassen, in dem Grade, dass sie sich der ihnen verliehenen Herrlichkeit nur bedienen, um die Seine zu erhöhen, da sie die Zeichen davon lieber vor Seinen Thron hinwerfen, als sie vor den Heeren des Himmels, oder den Bewohnern der Erde zu tragen.

Ihre Herrlichkeit war eine wirkliche, weil sie ihnen von Gott verliehen war; aber es war ihnen gegeben, eine unendlich vortrefflichere Herrlichkeit zu erkennen, sie zu genießen, sie zu sehen und zu lieben, dass Der, dem sie allein gehörte, im Besitz davon sei und sie offenbare. Der Gegenstand war vor­züglicher, der Geist erhabener, denn sie dachten nicht mehr an sich selbst. Sie erhoben sich zu Gott, nur an Ihn denkend, zufrieden dass Er allein verherrlicht werde. Dies ist die Voll­kommenheit des Zustandes und der Stellung der Kreatur in Gegenwart Gottes.

Um jedoch diesen Zustand und diese Stellung zu vervoll­ständigen, bedarf es noch eines andern Elementes. Was ich gesagt habe, setzt dessen Dasein voraus, und dieses ist in der Stelle, die ich zitiert habe, deutlich enthalten. Die vierund­zwanzig Ältesten nämlich, die Repräsentanten der zu Königen und Priestern gemachten Heiligen, haben das Verständnis dessen, was Gott dieser Lobpreisungen würdig macht: „Herr, du bist würdig, denn usw." Hier ist es Sein Ruhm als Schöp­fer. Alle Dinge sind von Ihm und für Ihn. Er ist die Quelle und das Endziel von Allem, was existiert. Was Er ist, ist das, dass Er würdig ist, zu empfangen alle Ehre um der Offen­barung willen, die Er von Sich selbst gegeben. Dies ist der Gegenstand der Huldigung, welche die Heiligen Gott dem Schöpfer darbringen.

Das 5. Kapitel hat die Erlösung zum Gegenstand. Das er­würgte Lamm ist würdig, das Buch der Ratschlüsse . Gottes, in Hinsicht auf die Regierung, zu nehmen, weil es wiederer­kauft hat. Hier findet sich auch die Einsicht in Sein Werk, in die Herrlichkeit, die daraus hervorgehen sollte für diejenigen, die Gegenstände desselben waren, in ihren Beziehungen mit Gott und der ihnen anvertrauten Regierung, wieder in den Lobeserhebungen, welche dem Lamme von den himmlischen Heiligen gebracht wurden. Man kann auch wahrnehmen, dass das Lob an Den gerichtet ist, Den es preist. Die Gebete der Heiligen begleiten es. Die Lobpreisungen (der Engel in diesem Falle), nicht direkt an das Lamm gerichtet, werden durch die Anbetung der Heiligen hervorgerufen. Dann preisen alle Be­wohner der ganzen Schöpfung Gottes zusammen, im Chor die Herrlichkeit des höchsten Gottes und des Lammes mit dem Arme der vier Tiere. Die direkte Anbetung bleibt der eigene Teil der vierundzwanzig Ältesten, der Könige und Priester....

Unser Teil ist, Gott im Geist und in der Wahrheit anzubeten, im süßen Vertrauen von Kindern, die Er liebt, ohne dass Er in ihren Augen im Geringsten von Seiner Majestät verliere.

Siehe, wie fein und lieblich es' ist, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen — — denn dahin sendet der Herr Segen und Leben, immer und ewiglich! Psalm 132.

*) Das Wort „Kultus" konnte im Deutschen durch keinen Ausdruck vollständig wiedergegeben .werden. Der gewöhnliche Ausdruck „Gottesdienst" drückt den Begriff nicht vollständig aus. — Des Raumes wegen ist nur ein größerer Auszug wört­lich mitgeteilt.

Johannes 12, 28 Vater verherrliche Deinen Namen BdH 1853

02/18/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Vater verherrliche Deinen Namen: Johannes 12,28

Botschafter des Heils in Christo 1853

Also betet Jesus, als er eben bereit stand, dem schrecklich­sten Leiden entgegen zu gehen. Alle Sünde und der ganze Fluch lastete auf Ihm an unserer Statt und also ging Er der Gerech­tigkeit Gottes entgegen und ertrug Dessen Zorn. Er sagte selbst: „Jetzt ist meine Seele sehr betrübt. Und was soll ich sagen? Vater hilf mir aus dieser Stunde? Darum bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen!" (Ev. Joh. 12, 27. 28). War Seine Seele auch noch so betrübt, Er dachte nur daran, dass der Name Gottes des Vaters verherrlicht würde. Er war gekommen, das Verlorene zu suchen und . zu erretten; es kostete ein unermeßliches Opfer, Sein teures Blut, aber in allem suchte Er den Namen Seines Vaters zu verherrlichen. Er war gehorsam bis zum Tode am Kreuz, es war Seine Speise, den letzten Willen Seines Vaters zu tun. Der Vater aber hat Seinen Namen verherrlicht und wird ihn verherrlichen. Aber auch der Name Seines Sohnes ist und wird durch Ihn verherrlicht.

In dieser Wahrheit liegt für uns eine ernste Mahnung, meine Freunde. Auch uns als teuer Erkaufte und Erlöste darf es nur darum gehen, dass der Name des Vaters und des Sohnes verherrlicht werde. Und diese Verherrlichung ist unsere Er­rettung. Es ist Gottes Wille, dass wir etwas sein sollen zu Lobe Seiner reichen Gnade und Herrlichkeit. Die Fürstentümer und Gewalten in den himmlischen Örtern sollen die mannigfaltige Weisheit Gottes an der Kirche Jesu Christi, und die reiche Fülle der Gnade und der Herrlichkeit nicht zu erfassen vermögen; „es gelüstet die Engel hineinzuschauen" (Eph. 3, 10; 1. Petrus 1, 12). 

Je mehr Gott durch Jesum Christum im Heiligen Geiste der Kirche Seine Reichtümer offenbart, desto glückseliger ist sie; und Er wird sie überschwänglich offenbaren, wenn es ihr darum geht, dass Sein Name verherrlicht werde. „In Jesu wohnt die Fülle der Gottheit leibhaftig und ihr seid in Ihm erfüllet" (Kol. 2, 9. 10). Welch ein Gedanke! Haben wir einen Sinn für diese Worte; wie sehr sind sie geeignet unser Herz mit Frieden und Freude zu erfüllen und uns Mut zu machen aus dieser Gnadenfülle in Jesu zu nehmen Gnade um Gnade.

Hat Gott nur daran gedacht, uns, die wir von Natur, gottlos und Seine Feinde sind, herrlich zu machen, und das aus lauter Gnade, das teure Lösegeld ist allein auf Seiner Seite, auf unse­rer Seite allein ist die unermeßliche Schuld, — wie sehr fordert uns solche Liebe und Huld auf, nur an die Verherrlichung Seines Namens zu denken; darauf sollen wir durch Wort und Wandel an allen Orten und zu aller Zeit bedacht sein, sowohl inmitten der brüderlichen Versammlungen, als auch in der Welt, gegenüber den sichtbaren wie den unsichtbaren Feinden.

 Gehen wir also in der Gerechtigkeit und Kraft Jesu Christi vor dem Angesicht unseres lieben Vaters einher, besprengt mit dem Blut Christi, los vom bösen Gewissen und gewaschen mit reinem Wasser, Ihm dienend in kindlicher Furcht und Jesum, Seinen Sohn, vom Himmel erwartend, — so werden wir dadurch Seinen Namen verherrlichen, Seine reiche Gnade preisen, das voll­gültige Opfer Jesu Christi anerkennen, die Kraft Seiner Auf­erstehung reichlich erfahren, ja das ganze Werk der Erlösung als etwas überaus Köstliches und Herrliches schätzen.

Gott, unser Vater, will. Seinen Namen in allen Lagen des Lebens unter und in uns verherrlichen; sowohl dadurch, dass Er uns aus den Trübsalen errettet, als auch dadurch, dass er uns in derselben Geduld, Mut und Freudigkeit darreicht. Darum sollen auch wir nicht gleich bereit sein, zu bitten: „Vater, errette mich aus dieser Stunde", sondern vielmehr mit Jesum beten: „Vater, verherrliche deinen Namen!" Darauf sollen wir bedacht sein, und der Friede Gottes wird durch nichts in unserem Her­zen gestört werden können, weil wir ja nur Gott im Auge haben; der Unfriede entsteht dann, wenn wir von Gott ab, auf uns und unsere Verhältnisse sehen.

Weiter sollen wir aber auch etwas sein, zu Lobe Seiner Herrlichkeit. Wir haben eine lebendige Hoffnung, denn als Unterpfand der kommenden Herrlichkeit ist uns der Heilige Geist gegeben. Zu derselben werden alle erhoben, die hier mit Ihm leiden und dulden. Durch. Glaube und Beharrlichkeit wer­den wir unsere großen und köstlichen Verheißungen erlangen. Gott will Seinen Namen im Himmel und auf Erden verherr­lichen. Der Vater will beweisen, was Seine Kraft und Gnade an Sündern vermag, die zu allem Guten untüchtig und zu allem Bösen geneigt sind; Er will Seine Vaterliebe durch Jesum Christum also offenbaren, dass sie alle Erkenntnis übersteigen soll; und ebenso überschwänglich will Er kund tun den Reich­tum Seiner Herrlichkeit in Christo Jesu. „Denn unsere Trüb­sal, die zeitlich und leicht ist, schafft uns eine ewige und über alle Maße wichtige Herrlichkeit, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare" (2. Kor. 4, 17. 18). 

„Ihm, der uns liebt und uns gewaschen hat von unseren Sünden, mit seinem Blut; — und uns gemacht hat zu Priestern und Königen seinem Gott und Vater; — ihm sei die Ehre und die Kraft von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen" (Offenb. Joh. 1, 6). Es ist sehr köstlich zu wissen, dass wir, die wir glauben, der Gegenstand all dieser Fülle und Gnade, Liebe und Herrlichkeit sind. So lasst uns nun auch dieser hohen Berufung gemäß wandeln, lasst uns alles vergessen, was dahinter ist, nicht trachten nach dem, was auf Erden, sondern nach dem, was im Himmel ist; lasst uns von allem ab, allein aufsehen auf Jesum, auf dass wir allewege den Namen unseres Gottes und Vaters und Christi Jesu ver­herrlichen, so wird auch Er Seinen Namen durch uns, in uns und an uns verherrlichen in alle Ewigkeit. Das walte Gott.

Johannes 17 BdH 1853

02/17/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Gedanken über Johannes 17

Botschafter des Heils in Christo 1853, S. 183ff

Es gibt kein anderes Kapitel der Bibel, worin mit mehr Zu­sammenhang angegeben wird, was Christus für die Gläubigen ist, als dieses. Ich sage nicht, dass hier die Rede von diesen oder jenen Umständen ist, in welche der Gläubige kommen kann, sondern davon, was Er selbst vor ,Gott ist, und wie Er uns in dieselbe Stellung hineingeführt hat. Er sagt von Sich selbst: „Ich bin nicht von dieser Welt." Er betrachtet Seine Stellung Gott und der Welt gegenüber; und stellt die Gläubigen auch Gott und der Welt gegenüber Sich gleich und zugleich legt Er hier den Grund, worauf Alles ruht. Von allen wichtigen Wahrheiten, die in diesem Kapitel enthalten sind, wollen wir hauptsächlich diese betrachten, nämlich, wie sich Christus für uns vor Gott stellt.


Wir finden überhaupt, dass Christus der Ursprung von allem ist, was wir haben; Er hat es von dem Vater empfangen. Wir finden einerseits in Ihm, als Sohn Davids, die Erfüllung gewisser Verheißungen, die dem Abraham gegeben; andererseits ist Er aber auch die Quelle des Lebens, von dem Vater herkommend, und als solcher, Erfüller aller Verheißungen, die uns in Ihm vor Grundlegung der Welt geschenkt worden sind, und also ist Er hier anzusehen. So köstlich die Erfüllung gewisser Ver­heißungen auch an und für sich ist, so liegt dennoch nicht alles das darin, was Er für uns ist.

Er ist der Sohn des Vaters, das Wort worin das Leben ist, wie es heißt im 1. Kapitel dieses Evangeliums: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns; wir sahen Seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes, vom Vater voll Gnade und Wahrheit, und aus seiner Fülle haben wir alle be­kommen Gnade um Gnade." Nachdem Johannes von diesem Ge­sichtspunkte aus, uns Seine Geschichte entwickelt hat, zeigt er Ihn in diesem Kapitel am Ende seines Lebens, wie Er war die Gnade und die Wahrheit, gekommen aus dem Schoße des Vaters und bereit, wieder zum Vater zurückzukehren.

 Dieses Kapitel hat etwas ganz eigentümliches, in welchem wir In diese wunder­baren Anordnungen eingeführt werden. Wir vernehmen hier nicht allein, was der Herr den Menschen, sondern was Er Seinem Vater sagt. Es ist mehr als Zutrauen, es ist innige Ver­traulichkeit; wir hören, wie Er dem Vater über alles Rechen­schaft gibt. „Ich habe dich verherrlicht auf Erden und vollendet das Werk, das du mir ge­geben hast, dass ich es tun sollte." Er überantwortete alles. Er schüttete das Herz aus in das Herz des Vaters in Be­treff der Seinen, und das ist das vertraulichste Verhältnis, worin Er uns eingeführt hat. Christus, der Sohn, hat den Vater be­friedigt; Er übergibt Ihm das ganze Gnadenwerk, wovon Er der Stellvertreter war. Wir finden hier also die innigsten Verbin­dungen zwischen Ihm und Seinem Vater und durch Ihn zwischen dem Vater, dem Sohne, (Sich selbst) und uns.

Wir finden darin den Grund, worauf unsere Hoffnung gebaut ist. In den vorher­gehenden Kapiteln hatte Er mit Seinen Jüngern über verschie­dene Gegenstände gesprochen; jetzt aber war die Zeit gekom­men, wo das vollbracht werden sollte, wodurch wir in unmittel­bare Verbindung mit Gott eingeführt werden sollten.

Sein ganzes Werk für die Menschen ist vollendet; Alles, was der zweite Adam zu erfüllen hatte, wurde durch Ihn erfüllt. Das ganze Verderben, welches der erste Adam in der Schöpfung eingeführt hatte, war die Ursache geworden, was der zweite voll­brachte. Er war vom Himmel und ist gekommen, das Verhältnis zwischen Gott und uns zu gründen. Er stellte Sich vor Ihn hin als Der, der das Werk, vom Vater gefordert, ganz vollendet hatte.

Gott führt Seinen Willen aus; Er wollte einen Menschen für Sich an die Stelle des ersten Adams haben und Christus entspricht vollkommen diesem Zweck. Der zweite Adam wirkte in denselben Umständen, worin der erste uns gestürzt hatte, und es handelt sich jetzt nicht darum, was wir, sondern was Gott getan hat. Es ist wichtig zu verstehen, dass unser Verhältnis zu Gott auf das, gegründet ist, was Christus Jesus erfüllt hat. Bis dahin war auf unserer Seite nur Sünde und Torheit; was Christus getan hat, ist die Weisheit, die Reinheit und der Ge­horsam in der Vollkommenheit. Es war die Stunde gekommen, zu wissen, ob dieser neue Mensch, Jesus, vor Gott bestehen konnte, und Er kann es. Er kann die Augen gegen Himmel emporheben und dahin zurückkehren, von woher Er aus Liebe und Gnade gekommen war, sagend: „Ich habe dich ver­klärt auf Erden; Vater die Stunde ist da, ver­herrliche deinen Sohn; auf dass dich dein Sohn auch verherrliche! Gleich wie du ihm hast Macht gegeben über alles Fleisch, auf dass er das ewige Leben gebe allen, die du ihm gegeben hast " (V. 1, 2). 

Wir sehen, dass Er immer in der vollkommen­sten Demut spricht. Er nimmt Seinen Wohnsitz beim Vater, und zwar hatte Er sich diesen nicht nur verdient, sondern auch selbst bereitet. Wäre der Mensch unschuldig, so würde er seine Wohnung im Paradiese haben; aber dass ein Mensch sich selbst eine Wohnstätte im Himmel vor Gott bereitet, wie Christus es getan, und zwar für uns getan, so etwas bestand bis dahin nur in den Gedanken Gottes. Ein Mensch, der das Leben aus Gott hat, und sich durch sein vollbrachtes Werk eine Stätte im Him­mel bereitet hat, ist etwas neues. Doch ist zu bemerken, dass Jesus die Herrlichkeit als eine vom Vater geschenkte annimmt. Er ist in seiner Stellung als Mensch treu, obschon Er Sohn ist. Er stellt Sich mit den Seinigen gleich, als Der, welcher Alles empfängt. Er nimmt Seinen Platz in der Herrlichkeit bei dem Vater für immer, — als das Haupt, um allen denen das ewige Leben zu geben, die Ihm der Vater gegeben hat, wie Er selbst alles von Ihm empfängt. „Das ist das ewige Leben, dass sie dich und den du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen" (V. 3).. Hier handelt es sich nicht mehr um die Gerechtigkeit der Menschen, sondern es heißt: das ist das ewige Leben.

Als der reiche Jüngling zu Jesu kam und fragte: „was soll ich tun, um das ewige Leben zu haben?" antwortete Er: „du weißt die Gebote." Seine Stunde war noch nicht gekommen; Er war noch nicht verworfen; darum sagte Er ihm: Tue das, und du wirst leben. Der Jüngling hatte nicht gefragt, was soll ich tun, dass ich selig werde, sondern um das ewige Leben zu haben. Die Gerechtigkeit Gottes war noch nicht wegen der Sünde be­friedigt. Hätte man das Gesetz erfüllt, würde man das ewige Leben gehabt haben; aber jetzt gibt es kein ewiges Leben, wenn man nicht den Vater und den Sohn kennt. Glaubt auch jemand, dass Gott das ewige Leben gibt, und er glaubt es nach seinen eigenen Gedanken, und nicht nach dem, wie es Gott offenbart hat, so hat er doch. keinen Teil daran. 

Gott allein kann sagen: das ist das ewige Leben. Haben wir es nicht in Jesu, so gibt es für uns keins, denn um es zu besitzen, ist in uns nichts erforder­lich. Das ist ein neuer Gedanke. Das Leben wird also nicht mehr bei den Menschen, sondern in Christo gesucht, der unser Verhältnis zu Gott gemacht hat. Wer den Vater und den Sohn kennt, kann sagen: ich habe das ewige Leben. Wer dies glaubt, hat das Zeugnis in sich selbst, und es ist köstlich, zu wissen, dass der Herr diese Dinge mit solcher Gewissheit festgestellt hat. Es könnte eine Seele sagen: ich habe nicht das ewige Leben, denn ich verherrliche Gott nicht. Meine Freunde, lasst euch ein wenig bei Seite, hier spricht der Sohn zum Vater und euch ge­ziemt nicht, eure eigenen Gedanken dazwischen zu schieben. Gott findet Sich nur in Jesu verherrlicht. „Ich habe dich verherrlicht auf der Erde." Vorher war es mit Gott wie mit der Turtel­taube, die Noah sandte; sie konnte nirgends Fuß fassen; aber als der Sohn gekommen war, konnte Er sagen: Ich habe Dich verherrlicht, und auf Ihm ruht Gott mit Wohlgefallen. 

Damit Satan es höre, die Seinigen sich freuen, die Welt es erkenne und die Engel es bewundern, sagt Jesus am Ende Seiner Laufbahn: Ich habe Dich verherrlicht. Er ist der geliebte Mensch, der von Gott gegeben ist, der Mensch, der vollkommen erfüllt hat Alles, was Gott fordern konnte. Er durfte sagen: ich, habe das Werk vollendet, ich habe nichts mehr zu tun, und Du, Gott, hast nichts mehr zu fordern. „Ich habe dich verherrlicht und nun verherrliche du mich, Vater, bei dir selbst, und mit der Herrlichkeit, welche ich bei dir hatte, bevor die Welt war" (V. 5). Das ist die Grundlage unseres Heils. Es ist bemerkenswert zu sehen, wie der Sohn, der doch Gott war mit dem Vater und zu dieser Herrlichkeit gerechte Ansprüche hatte, darum bittet, weil es sich Ihm als Mensch geziemt, und diese Herrlichkeit nimmt Er als Mensch in Besitz. So verstehen wir, wie Er unsere Stelle eingenommen hat; als Mensch verantwortlich in unserem Ver­hältnis in betreff der Sünde (obwohl Er ohne Sünde war) und auch dadurch, dass Er den Vater vollkommen verherrlicht hat. Also hat Er ein Recht zu dieser Herrlichkeit, in welcher Er als Mensch bei dem Vater verherrlicht ist, und bittet endlich, dass dieselbe Herrlichkeit für uns sei, wie für Ihn. Er hat Sich ge­demütigt bis zum Tode, deshalb hat Ihn auch Gott erhöht.

Auf diesem Grunde ruht das Ganze; der Sohn verherrlicht den Vater auf der Erde, und der Vater verherrlicht Ihn im Himmel. Er hat Seinen Platz dort genommen, weil alles voll­bracht war. Was tut er jetzt in betreff unserer? „Ich habe deinen Namen geoffenbart den Menschen, die du mir von der Welt gegeben hast; sie waren dein und du hast sie mir gegeben; und sie haben dein Wort behalten." Als Er zum Vater geht, sagt Er: „mein Vater und euer Vater." Er offenbarte den Vater, wie Er Ihn selbst kannte, denn wo Er Ihn einer Seele offenbart, kann Er Ihn auch nicht anders offenbaren, als wie Er Ihn selbst kennt. Er bringt uns das Herz des Vaters, wie es ist, wenn wir es auch schwächer erkennen; wie auch ein kleineres Kind schwächer und unwissender ist, als ein größeres, aber nichts desto weniger sind wir alle Seine Kinder und alle der Gegen­stand Seiner Sorge und Seiner Zärtlichkeit. 

Wir begreifen nicht die ganze Liebe, welche uns Gott erweist; aber Christus sagt uns: „Ich bin in ihnen und du in mir, auf dass sie seien vollendet in Eins und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast, und liebest sie, gleich wie du mich liebest" (V. 23). So sind wir dargestellt, gleichviel in welchem Grade es bei uns verwirk­licht ist; aber merket auch, dass Er nicht von der Weit war. Der Mensch, der erste Adam, hatte der Sünde wegen im Paradiese kein Teil mit Gott, weil er gefehlt hatte, und sollte bald in die Hölle verstoßen werden. Christus der zweite Adam, um die Rat­schlüsse Gottes zu erfüllen, stellt Sich in die Reihe der sündigen Menschen; aber Er war nicht von dieser Welt und folglich war die Welt Sein Wohnsitz nicht. Die Menschen, die Ihm Gott ge­geben hat, sind von der Welt genommen und Er sagt von diesen, wie von Sich: „Sie sind nicht von dieser Welt." Er bringt sie in die Stellung, die Er Sich gemacht hat, und diese Stellung ist nicht in dieser Welt. Er wird zwar von der Welt Besitz nehmen, als Erbe; aber die Welt ist weder Sein Platz, noch der unsrige.

Vers 25 sagt Jesus: „Gerechter Vater, die Welt hat dich nicht erkannt." Er sagt: „Gerechter Vater" und nicht: „H eiliger Vater"; denn es war aus mit der Welt; Er beruft Sich auf die Gerechtigkeit gegen die Welt. Die Welt hatte den Vater nicht erkannt, wiewohl Er Sich voll­kommen im Fleische geoffenbart hatte. Die Stunde war gekom­men, zwischen Jesu und der Welt zu entscheiden; Gott mußte Sich für Einen aussprechen, denn zusammen konnten sie nicht mehr gehen, Gott konnte die Welt nicht mehr lieben, in der Sein Sohn so verhöhnt und verachtet gewesen, und wo Judas herausgegangen und das Maß erfüllt war. So ist die Welt ge­richtet, obschon das Gericht nicht gleich vollzogen wurde. Der Fürst dieser Welt ist hinausgestoßen, und diejenigen, die ihm entrissen werden sollten, sind Jesu gegeben. Der Herr fügt hinzu: „Ich habe ihnen dein Wort gegeben und die Welt hasst sie; denn sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin. Ich bitte nicht, dass du sie von der Welt nehmest, sondern, dass du sie bewahrst vor dem Bösen." 

Also bezeichnet Er die Gläubigen: „sie waren dein und haben dein Wort behalten." Merket euch, dass Jesus sagt: „sie haben dein Wort behalten." Wie haben sie es denn behalten? Seine Jünger, worüber Er in diesem Augenblick mit Seinem Vater sprach, hatten es nicht verstanden. Ihr Benehmen war oft sehr traurig, aber sie hatten beharret, (Judas ausgenommen). Es gab vieles, was sie nicht verstanden, aber sie hatten das Wort des Vaters in betreff Jesu behalten. Als Jesus einmal fragte: Wollt ihr auch weggehen, antwortete Petrus: „Herr, wo sollten wir hingehen, du hast Worte des ewigen Lebens und wir haben ge­glaubt und erkannt, dass du bist Christus, der Sohn des leben­digen Gottes" (Joh. 6. 68). Sie hatten das Wort des Vaters fest ge­halten und sobald wir dem Worte des Vaters Zutrauen schenken, weil Jesus es gesagt hat, so sind wir Sein.

 Es ist für die Gläubigen auch gut, dieses Urteil des Herrn Jesu über Seine Jünger zu kennen. Gleich nachdem der Herr sie über die letzten Umstände Seines Lebens unterrichtet hatte, stritten dieselben Jünger unter­einander darüber, welcher der größte sei, und trotzdem hatten sie das Wort behalten. Wenn das Vertrauen zu Ihm da ist, so sagt Jesus: „sie sind dein und ich bin in ihnen verklärt." Die Jünger hatten verstanden, dass der arme Zimmermannsohn, der Sohn Gottes und der Erbe aller Dinge war. Wenn nun Jesus diesen Platz im Herzen eingenommen hat, so sind wir selig, wenn man verstanden hat, was Jesus ist, obschon verachtet und verworfen. So das Auge durch diese Verachtung hindurch den Sohn Gottes, den Vielgeliebten erkannt hat, ist man erfreut, denn man hat verstanden, dass da das ewige Leben ist. Wir haben nun denselben Gedanken, wie Gott; Christus ist dann der Gegenstand all unserer Wünsche und in Ihm finden wir unsere Freude. Wir sagen dann; Er hat Recht, alles kommt vom Vater.

 „Sie haben geglaubt, dass du mich gesandt hast und dass ich von dir ausgegangen bin." Wir sehen in diesem allen die Größe der Vorrechte, wovon Christus spricht; wir haben gesehen, wie und warum Er auf die Herr­lichkeit Ansprüche hat. Gott der Vater war sie Ihm schuldig, und Er gibt sie uns; aber noch dazu alle Worte, die Er vom Vater gehört hat; alle Pläne und geheimen Ratschlüsse des Vaters, welche Ihm, als Prophet Gottes, mitgeteilt worden sind; alle Zeugnisse der Zuneigung und der Wege Gottes, welche Seine Seele getröstet haben, hat Er uns mitgeteilt. Die Herrlichkeit, die Er erworben, die Worte, die Er gehört hat, gibt Er uns. Er will haben, dass wir in derselben Gemeinschaft mit dem Vater sein sollen; wir sollen Teil haben an der Erkenntnis Seiner ganzen Liebe und an all Seinen Gaben. 

Seht, was für eine Stellung wir haben, und was für eine Stütze unserer Seele gegeben ist auf dem Pilgerwege; und wenn wir die Einsicht über die Liebe des Vaters haben, die in das Herz Seines Sohnes ausgegossen war, so können wir sagen, dass wir erkannt haben, dass Jesus vom Vater ausgegangen ist und dass wir glauben, Er sei von Ihm ge­sandt. Diese Liebe vom Vater ist auch in unser Herz ausgegos­sen, um uns zu stärken, und damit wir unser Einssein mit dem Sohne, in Seinem Verkehr mit dem Vater und in der Stellung, die Er uns erworben hat, hochschätzen können, das ist, zu er­kennen, was der Vater für den Sohn ist und zu erkennen, dass Er alleiniger Gott ist und den, welchen Er gesandt hat, Jesum Christum.

Gott schüttete in Jesum Sein Herz aus und Er war der Ver­wahrer der Gedanken und Zuneigungen Gottes, und das ist auch die Lage, die Er uns verschaffen will. Er will haben, dass wir die Herrlichkeit, die Er hat, erkennen, indem wir da sein sollen, wo Er ist. Wir, die wir Ihn erkannt haben in Seiner Ernied­rigung und mit Ihm erniedrigt gewesen sind. „Vater, i c h will, dass wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, dass sie meine Herr­lichkeit sehen." Die Herrlichkeit Dessen, Der, wiewohl von der Welt verachtet, dennoch vor Grundlegung der Welt geliebt war. „Ich habe ihnen gegeben dein Wort"; sagt Er. Sie haben als Zeuge dieselbe Stellung in der Welt, wie Er selbst, „und die Welt hasst sie, weil sie nicht von der Welt sind." In demselben Grade, die wir wünschen, unsere Stellung mit Jesu im Himmel einzunehmen, so müssen wir auch auf Erden die Seinige einnehmen und gehasst sein. Dies ist der praktische Zu­stand der Christen. Wir haben gesehen, wie Gott uns zu Chri­sten gemacht, indem Er uns absondert von der Welt durch den Tod Jesu. In dem Augenblick, wo Jesus spricht, hatte Gott schon alles mit dem Menschen versucht. 

Er hatte auf alle Versuche verzichtet; es handelt sich jetzt um etwas ganz anderes; Gott wollte den alten Menschen nicht mehr haben; Er gründete etwas neues in Jesu, der Mensch wurde, und unsere Beziehungen zu Gott sind nun unbeweglich in Ihm. Gott hat Seinen Sohn ver­herrlicht; Er hat Ihn als Sohn, nachdem dieser uns angezogen hatte, wieder aufgenommen, und ein jeglicher, der durch den Glauben in Ihn versetzt ist, ist mit in den Himmel eingegangen. Das ist nun der einzige Weg, auf welchem wir zu Gott kommen können. Der Heilige Geist ist es, der uns lehrt, die Liebe des Vaters zu verstehen. Sind wir mit Gott beschäftigt, so zeigt Er uns die Größe unseres Gottes in Seiner Weisheit, Gnade und Kraft, und macht uns recht frei. Diese Freiheit wirkt eine Hei­ligung, welche einen unerschütterlichen Grund hat. Gott, der Vater und Jesus Christus waren mit uns beschäftigt, da Christus an unserer Statt auf Erden war, um uns an Seine Stelle zur Rechten des Vaters zu bringen. Eine solche Überzeugung wirkt eine wahre Heiligung, weil sie uns immer wachsen lässt in der Gemeinschaft Gottes, der heilig und ein Licht ist, und die Früchte dieses Geistes werden offenbar.

Wo diese Früchte sind, da ist Gott. Nicht allein wirkt Er in uns, sondern wir sind auch durch den Heiligen Geist, der uns geschenkt ist, Seiner Natur teilhaftig geworden. Stehen wir nun auf diesem neuen Grunde, der unbeweglich ist, sind wir durch den lebendigen Glauben in Jesu, der allein vor dem Vater gilt, so haben wir eine Stellung eingenommen, die Satan nicht erreichen kann; sie ist unbeweg­lich und weit über Alles, was Satan getan hat. Er kann nicht hineindringen, wie er in die bewegliche Stellung drang, welche der erste Adam einnahm. So lass uns recht in diese unermeßliche Ausdehnung der göttlichen Gnade hineinschauen; mögen unsere Ohren recht vernehmen, was in unserem Kapitel der Sohn dem Vater sagt, als Er Sein Herz in Betreff der Seinen vor Ihm aus­schüttet.

Wir finden Seine Jünger hier noch sehr unwissend, aber nie dürfen wir unsere Unwissenheit und Gleichgültigkeit damit ent­schuldigen. Sind wir in solchem Falle, so soll uns dies vielmehr demütigen und aufmuntern, die Stellung einzunehmen, die Jesus uns anweist, damit wir unsere Vorrechte in Ihm erreichen. Wir haben auch jetzt mehr, als die Jünger zu jener Zeit. Als Jesus noch auf Erden war, kamen die Jünger zu Ihm und fragten Ihn nach dem Willen des Vaters. Jetzt aber ist uns der Heilige Geist geschenkt, der in uns die Gemeinschaft mit dem Vater verwirk­licht. Ist aber der Gläubige nicht in dieser Gemeinschaft, so kann er sehr leicht irren; die Einsicht hängt von dem Zustand seiner Seele ab. Wir sind nicht mehr Knechte, zu denen man sagt: Tue das; wir sind vielmehr Kinder, die durch die Gegen­wart des Geistes die Absicht des Vaters vernehmen.

Wir können. nicht gesegnet sein, wenn wir nicht in der Ge­meinschaft mit dem Herrn wandeln, vielmehr sind wir dann nur Knechte. Dies haben die Gläubigen vielfach vergessen, und des­halb gibt es so viel Dunkelheit unter ihnen. Christus ist nicht mehr in der Welt; wir aber sind noch darinnen und haben von den Dingen zu zeugen, die außerhalb der Welt, im Himmel, sind. Es ist aber unmöglich, die himmlischen Dinge durch das Fleisch zu verstehen, selbst für einen Christen, wenn er nicht treu ist. Er verliert das Unterscheidungsvermögen und erniedrigt sich zu gleicher Strafe, mit dem, was ihn umgibt, wenn er nicht aus­schließlich den Beifall des Vaters sucht.

Gott spricht mit uns immer, als mit Kindern, welche wissen, dass sie Kinder sind: es ist ihr Fehler, wenn sie es vergessen, oder wenn sie es nicht wissen. Jesus sagt: „Ihr wisset, wo ich hingehe, und den Weg wisset ihr auch" (Joh. 14, 4). Ebenso spricht der Heilige Geist. Es gibt viele Christen, die nicht wissen, dass sie mit Ihm e i n s sind, und solchen muß man es vorhalten, denn Jesus hat gesagt: „Ihr werdet erken­nen, dass ich in euch bin ", wenn ihr, den Heiligen Geist habt. Er spricht immer Seiner Liebe gemäß in Bezug auf die Vorrechte, die wir in Ihm haben. Er hat uns teilhaftig gemacht, nicht Seiner Gottheit, aber Alles dessen, was Ihm der Vater als Mensch gegeben hat.

Er hat ein solches Zutrauen zu Seinen Jüngern, dass Er ihnen die Worte gibt, die Ihm der Vater gegeben hat. „Ich bitte für sie, und bitte nicht für die Welt, sondern für die, die du mir gegeben hast, weil sie dein sind." Ich bitte für die, welche deine Worte aufgenommen haben." Der Herr wirkt als Gesandter für die Welt und als Priester für Seine Auserwählten, die offenbar sind. Diejenigen, welche es noch nicht sind, sind wohl von Gott gekannt, aber sie empfangen nicht die Pflege, der die Christen so sehr bedürfen, um in dieser Welt bewahrt zu sein. Diejenigen, die nicht offenbar sind, sind nicht verantwortlich; was aber die Christen betrifft, so ist Alles, wodurch sie ihre Verantwortlichkeit fühlen, kost­bar, denn sie sind die Stellvertreter Christi. Jesus sagt: 

Wie du mich gesandt hast in die Welt, so habe ich sie auch gesandt in die Welt. Und wo ist der, der da verstanden hat, dass er wie Christus gesandt ist, und nicht fühlen sollte, wie sehr er der Gnade bedarf, um Ihn würdig zu ver­ treten? Es ist also wichtig, die Stellung der Auserwählten zu begreifen, die beauftragt sind, Christum zu vertreten. Jesus betet also nur für diejenigen, welche offenbar sind; diese sind hier ein Gegenstand der Unterredung zwischen dem Vater und dem Sohne. Was dem Vater teuer ist, ist auch dem Sohne teuer, und wenn der Sohn den Vater lieb hat, so wird Er für uns beten, und wenn der Vater den Sohn liebt, so wird Er denselbigen in uns verklären.

Gott hat uns so lieb, wie ein Vater, der nicht erlaubt, dass ein Haar von. unserem Haupte falle, ohne Seinen Willen. Die Dinge, welche kleinlich scheinen, haben doch Interesse für Vater und Mutter. Gott vernimmt Alles, was irgendwie Bezug hat auf Seine Kinder; auch Alles, was uns von der Herrlichkeit abwen­den könnte; deswegen züchtigt Er uns, denn er ist der Heilige Vater. Er bewahret uns vor dem Übel durch Seine gnädigen Ermahnungen und Warnungen, durch 'Sein Wort, durch Seine Verweise, durch die Freuden und die Gemeinschaft der Familie Gottes und durch die Züchtigungen, die den äußern Menschen treffen, damit der Innere bewahrt bleibe.

Die Welt hasst, sobald sich Christus offenbart, und es kann auch nicht anders sein. Man muß auf diesen Hass gefasst sein, wenn man das Licht bringt, selbst auf den Hass der Christen, die nicht nüchtern sind. Man wird uns nicht lieblich finden und das Evangelium selbst wird auch denen nicht lieblich werden, die Jesum nicht annehmen wollen. Alles was der Natur lieblich ist, gehört nicht zum Ärgernis des Kreuzes.

Wenn ich mein Christentum schwäche oder gesetzlich werde, so finde ich Aufnahme; denn der Mensch will Gott gern etwas bringen,. um noch ein wenig Ruhm zu behalten; bringe ich aber nur das Kreuz Christi, so gibt's Hass. Erkenne ich aber die Welt noch ein klein wenig an, so werde ich nicht also gehasst. Es ist nun zwar nicht angenehm, gehasst zu sein; aber Alles, wodurch wir der Welt angenehm werden, durch die Anerkennung ihrer Gewohnheiten, nimmt nur das Ärgernis des Kreuzes weg, und bringt uns in eine Entfernung von Christo. Lasst uns nicht ver­gessen, dass die Kraft, welche wir in Jesu haben, stärker ist, als Satan; wenn wir in der Gemeinschaft Gottes. bleiben.

Der Herr gebe uns durch Seinen Geist den rechten Ernst und die rechte Treue, den Reichtum Seiner Gnade an uns zu ver­stehen und darin zu wandeln.

(Aus dem Französischen frei übersetzt.)


Johannes 4.5-26 Der Brunnen bei Sichar BdH 1864

02/06/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Der Brunnen bei Sichar.

Während wir unsern Herrn Jesus in dem Evangelium Matthäus als en Messias der Juden, als den Sohn Davids und des Landes Israel, sowie in Markus: als den Diener, der in den verschiedenen Kreisen Seines Dienstes mit unbeugsamem Eifer Seine Bahn verfolgte, und endlich in Lukas: als den Sohn des Menschen mit Seinem, ohne Unterbrechung bis zu Adam aufsteigenden Geschlechtsregister vor unsere Augen gestellt sehen, zeigt das Evangelium Johannes Ihn in der erhabensten Gestalt, und zwar als den Sohn Gottes, als Den, der vom Himmel ist, als das ewige Wort, als den Schöpfer aller Dinge und als Den, der den Vater offenbart. Schon in dem ersten Kapitel dieses erhabenen Evangeliums erblicken wir Ihn als Den, der von Anfang, vor allen Zeitaltern, war, durch den alle Dinge sind, und der als das Wort, welches von Ewigkeit her in dem Schöße des Vaters war, Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat. 

Dennoch aber gibt es kein anderes Evangelium, wo wir dieses glorreiche Wesen so oft allein , dem Sünder gegenüber erblicken; und sicher geschieht dieses nicht ohne göttliche Absicht. Wir sehen Ihn allein bei Nikodemus, allein bei der Samariterin, allein bei der im Ehebruch ergriffenen Sünderin und allein bei verschiedenen anderen; und im Blick auf diese Tatsachen dürfen wir wohl behaupten, daß dieses Alleinsein des Sohnes Gottes bei dem Sünder dem Evangelium Johannis einen ganz besonderen Charakter verleiht.— 

Indem wir nun zu unserer Unterweisung auf die Hilfe Gottes rechnen, gedenken wir etliche Augenblicke bei einer der rührendsten Szenen zu verweilen, welche uns den Herrn bei dem einsamen Brunnen bei Sichar einer armen Sünderin gegenüber zeigt. Das samaritische Weib 
bildet einen auffallenden Gegensatz zu Nikodemus im dritten Kapitel. 

Dieser hatte eine achtbare Stellung und einen ehrenvollen Ruf und Charakter, während jene nichts von diesem allen besaß. Er befand sich auf der Höhe des Rades, sie tief unten. Kaum konnte man in der Welt einem Höheren begegnen, als „einem Menschen von den Pharisäern, 
einem Obersten der Juden und einem Lehrer von Israel", und anderer; seits kaum einer mehr herabgewürdigten Person, als einer ehebrecherischen Samariterin. Nichtsdestoweniger aber befanden sich beide, wenn es sich um die ewige Grund- und Lebensfrage, um ihre Stellung vor 
Gott, um ihr Befähigt sein, in Seiner heiligen Gegenwart zu bleiben, und um das Recht, in den Himmel einzugehen, handelte, auf gleicher Stufe.

Vielleicht mag diese Behauptung etlichen unserer Leser etwas hart und fremd erscheinen. Wie? sollte der weise, religiöse und ohne Zweifel liebenswürdige Nikodemus in den Augen des Herrn keinen größeren Wert haben, als jenes elende Weib von Sichar? Keineswegs, wenn es sich darum handelt, vor Gott zu erscheinen. „Denn es ist kein Unterschied ; den n all e habe n gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes " (Rom. 3, 21); und das erste Wort, welches der Herr an Nikodemus richtet, lautet: „Wahrlich, wahrlich ich sag e dir : Es se i denn , daß jemand von neue m geboren worden sei, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. " Dieser kurze Ausspruch nahm den Boden der Sorglosigkeit unter den Füßen des Lehrers in Israel völlig hinweg. Nichts weniger als eine neue Natur ward von diesem „Menschen aus den 
Pharisäern" gefordert; und nichts mehr bedurfte das ehebrecherische Weib von Sichar. Es ist klar, daß das Verbrechen nicht in den Himmel eingehen kann; aber der Pharisäismus vermag es ebensowenig. 

Aber beide, ein Verbrecher und ein Pharisäer, vermögen — Gott sei dafür gepriesen! —in den Himmel einzugehen, weil sowohl der eine, wie der andere im Glauben an den Sohn Gottes das ewige Leben erlangen kann. Diese große Fundamental-Wahrheit des Christentums zu verstehen, 
ist für den Leser von der höchsten Wichtigkeit. Es ist unmöglich, ihm eine klarere und vortrefflichere Vorstellung von derselben zu geben, als ihm in der Geschichte des Nikodemus und in derjenigen des Weibes von Sichar dargeboten wird. Hätte unser Herr das Weib zum „Gutwerden" und den Nikodemus zum „Besserwerden" ermahnt, so würde man in 
der Tat irgend einen Beweis zu Gunsten jener Aufstellung gehabt haben, nach welcher gewisse Persönlichkeiten der gefallenen Menschheit besser und Gott näher als andere sind, sowie ferner einen Beweis für die Möglichkeit, die menschliche Natur bis zu dem Grade zu verbessern, 
daß sie endlich fähig sei, vor Gott erscheinen zu können. 

Allein wenn wir sehen, wie der Herr, indem Er die absolute Notwendigkeit einer neuen Geburt feierlich ankündigte, den gesetzmäßigen Boden, auf welchen der jüdische Oberste seinen Fuß stellte, gänzlich niederriß, dann sind wir zu der Folgerung gezwungen, daß die menschliche Natur unheilbar und unverbesserlich ist. Die arme Samariterin befand sich auf keinem gesetzmäßigen Boden, der des Niederreißens bedurft hätte. Ihr moralischer Charakter und ihr 
religiöser Zustand standen schon auf der niedrigsten Stufe der Entartung. Nicht so war es bei Nikodemus; er fühlte, daß er etwas besaß, worauf er sich stützen und dessen er sich rühmen konnte. Er war ein hochgestellter Mann und hatte daher zu lernen, daß dieses alles keinen 
Wert in den Augen — Gottes habe. Nun aber war es unmöglich, ihm diese Unterweisung in einer schärferen und bestimmteren Weise zu geben, als durch den kurzen Ausspruch des Herrn: „Du mußt von neue m geboren werden. " 

Man mache mit der menschlichen Natur was man will; man unterweise, man bilde und schmücke sie nach Belieben; man erhebe sie bis zur Zinne des Tempels der Kunst und der Philosophie; man rufe alle Mittel eines gesetzlichen Systems und der Religion zu ihrer Hilfe; man lege Gelübde ab und man fasse Sittenverbesserungs-Beschlüsse; man häufe eine Zeremonie auf die andere; man werfe sich in einen Kreis religiöser Pflichten: man wache, man faste und bete; man gebe Almosen und vollbringe die ganze Reihe der „toten Werke"; — und trotz allem ist das samaritische Weib dem Reiche Gottes ebenso nahe, wie ihr, da sowohl ihr, wie sie, „von neuem 
geboren werden müßt." Weder ihr, noch sie vermöget, in Betreff des Rechts auf das Reich, oder der Fähigkeit, sich dessen zu erfreuen, auch nur ein Jota oder einen Buchstabenstrich Gott darzubringen. Von Anfang an bis zu Ende ist und muß hier alles Gnade sein. 

Aber was versteht man unter dieser neuen Geburt? Etwa die verbesserte menschliche Natur? Keineswegs. Und was denn? Sie ist das ewige Leben, genossen durch den einfachen Glauben an den Sohn Gottes. „Gleichwie Moses die Schlange in der Wüste erhöhete , also muß der Sohn des Menschen erhöht werden, a u f da ß jeder , der a n Ihn glaubt, nicht verloren sei, sondern ewige s Lebe n habe . Den n als o ha t Gott die Welt geliebt, daß E r Seine n Eingeborne n Soh n gegeben , au f da ß jeder , de r a n Ih n glaubt , nicht verlore n sei , sonder n ewige s Lebe n ha b e." — Das ist die neue Geburt, und das ist das Mittel, dieselbe zu erlangen. Gott hat geliebt Gott hat gegebe n — wir glaube n und wir haben . 

Nichts ist einfacher. Das ist nicht die verbesserte Natur, nicht eine Wiederaufrichtung der gefallenen Menschheit, nein, es ist ein ganz neues Leben, und zwar das, durch den Glauben von Christum empfangene, ewige Leben, welches das arme Weib von Sichar eben so völlig und durch dasselbe Mittel empfing, wie auch der Oberste der Juden. Es ist kein Unterschied; denn „alle haben gesündigt." Man mag vom menschlichen oder vom göttlichen Gesichtspunkte aus diese Frage betrachten, es gibt hier keinen Unterschied; denn alle haben gesündigt, und Gott ist reich gegen alle. 

Der Lehrer in Israel und das samaritische Weib sind auf eine und dieselbe Stufe gestellt; und die reiche Gnade Gottes breitet sich kraft des Blutes Christi über den einen, wie über die anderen aus, um einem jeglichen von ihnen das ewige Leben als ein Gnadengeschenk Gottes zu gewähren. Nun ist aber dieses ewige Leben etwas durchaus ganz Neues. Adam, in dem Zustande der Unschuld, besaß nicht das ewige Leben. 

Er hatte eine unsterbliche Seele; allein die Unsterblichkeit der Seele und das ewige Leben sind zwei ganz verschiedene Dinge. Das schwächste Lamm der erkauften Herde Christi befindet sich in einer weit besseren Stellung, als Adam in den Tagen seiner Unschuld. Jenes hat ein unverderbliches und ewiges Leben in Christo empfangen, während Adam inmitten der köstlichen Früchte und der schönen Blumen Edens, nicht dergleichen kannte. Erst dann als rings um ihn her alles verloren und er selbst inmitten der Ruinen eine Ruine geworden war, fiel ein matter Lichtschein in seine Seele durch die erste — jedoch nicht ihm, sondern dem zweiten Adam, dem „Herrn vom Himmel", — gegebene Verheißung: „Der Same des Weibes wird der Schlange den Kopf zertreten." 

Durch den Glauben an diese Verheißung entging Adam nicht allein seinem traurigen Zustande, sondern auch dem ihn umringenden Verfalle, indem er seine Zuflucht suchte in Christo, dem Haupte eines neuen Geschlechts, einer neuen Schöpfung; und er nannte sein Weib 
Eva, d. h. die „Mutter aller Lebendigen." Und wahrlich, außer dem Samen des Weibes gibt es kein wahres Leben. 
Bemerken wir ferner, daß, als die Kinder Israel unter das Gesetz gestellt wurden, sie keineswegs, selbst bei der treuesten Beobachtung desselben, das ewig e Leben empfangen konnten. Die Sprache des Gesetzes lautete: „Der Mensch, welcher diese Dinge tut, wird dadurch leben." Aber nie spricht es vom ewigen Leben. Die Lebensdauer eines Israeliten knüpft sich an das Halten der Gebote. Das war ein zeitliches und bedingtes Leben; und mithin würde das Weib von Sichar, hätte sie ihre Schritte nach Sinai gerichtet, durchaus nichts erlangt haben. 
Die Übertretung eines einzigen Gebotes hätte sie rücksichtlich des ganzen Gesetzes schuldig gemacht und folglich unter den Fluch gebracht. 
Und so hätte sie weder auf das zeitliche, noch auf das ewige Leben Anspruch machen können. Nikodemus konnte sich einbilden, irgendwie ein Recht darauf zu haben; allein die Lage dieses Weibes war so verzweifelt, wie möglich, und keineswegs vermochte Moses ihr eine hilf;
reiche Hand zu bieten. 
Welche Bedeutung aber hatte die eherne Schlange? Für wen war sie bestimmt? — Für arme, gebissene Kreaturen, und gerade darum, weil sie gebissen waren. Ihre Wunden verliehen ihnen ihr Recht. Welches Recht? — Das Recht des Anblickens der Schlange. Und was folgt 
daraus? — Der, welcher die Schlange erblickte, genas und lebte. Ja, „er blickte an und lebte." Welch kostbare Wahrheit für Nikodemus und für die Samariterin, ja, für alle, von der alten Schlange gebissene Söhne und Töchter Adams! Keine Grenze, keine Bedingung, keine Schranke; 
nichts hindert die unaussprechliche Gnade Gottes. Der Sohn des Menschen ist erhöht worden, damit jeder, der Ihn in einfältigem Glauben anshaut, in den Besitz dessen gelangt, welches Adam in der Unschuld nimmer besaß und das Gesetz Moses nimmer verschaffen konnte, — 
in den Besitz des „ewigen Lebens." 

Beachten wir wohl, daß hier nicht von einer unsterblichen Seele die Rede ist; denn eine solche besaß Adam, sowohl vor, als nach seinem Falle, und ist auch jetzt das Gemeingut aller Menschen, sowohl der Gläubigen, als der Ungläubigen. Aber, „wer an de n Soh n Gotte s glaubt, ha t da s ewig e Leb e n." Und mit einem zweifachen „Amen" bekräftigt der Herr Jesus 
Seine Worte, wenn Er sagt: „Wahrlich , wahrlich ich sage euch , wer mein Wort höret und glaubet Dem, de r mich gesandt hat, ha t da s ewig e Lebe n un d komm t nich t 
i n s Gericht, sondern ist aus dem Tod e zum Leben übergegangen " (Joh. 5, 24). 
Hier gibt es keinen Mittelweg. Hier gilt, was man auch von der Macht der Fähigkeit und der Würde der menschlichen Natur, von der Erziehung des Menschengeschlechts, von den Fortschritten und der Entwicklung des Menschen und ähnlichen Dingen sagen mag, entweder der „Tod" oder das „Leben". 

Die eben angeführte Stelle entscheidet die Frage in der bestimmtesten Weise. Wir erblicken hier entweder das Leben in Christo, oder den Tod außer Christo. Alle Fortschritte des Menschen, solange er nicht Christum ergriffen hat, sind und werden nur Fortschritte im Tode sein. Gleichviel wer oder was dieser Mensch ist, ob Pharisäer, Schriftgelehrter oder Zöllner, ob gelehrt oder unwissend, ob fromm oder gottlos, ob ehrbar oder unmoralisch, ob roh oder gesittet; — ist er nicht in Christo, so ist er im Tode. Wenn er hingegen 
in Christo ist, so bestehen seine Fortschritte darin: zu wachsen in der Gnade und in der Erkenntnis, und in moralischer und praktischer Beziehung immer - gleichförmiger zu werden dem Bilde Christi — dem zweiten Menschen, dem auferstandenen Heilande, dem Haupte der neuen Schöpfung. 

Der Leser wird freundlich gebeten, hier ein wenig zu verweilen und über diesen feierlichen Gegenstand nachzudenken. Er enthält viel mehr, als manche sich vorstellen. Dieses neue Leben durchschneidet die Wurzel aller Anmaßungen des Menschen. Es vertreibt, als eben so 
viele unnütze Lumpen, alle Religion des Menschen, alle seine gesetzliche Frömmigkeit und Gerechtigkeit, weit hinweg. Es läßt ihn erkennen, daß, so lange er Christum nicht besitzt, er durchaus nichts besitzt, daß aber, wenn er Christum hat, er alle s hat. Ja, so ist es: Nichts 
im Menschen, alles in Christo. 

Er mag ein sogenanntes gutes Herz haben, wie der Oberste der Juden, oder einen sehr schlechten Charakter, wie das Weib von Sichar; — es kommt auf eins heraus. Beide sind tot 
— geistlich tot. Es war nicht mehr geistliches Leben in Nikodemus, als er in der Nacht zu Jesu kam, als in der Samariterin, als Jesus am Tage zu ihr kam. Daß es ohne Zweifel in moralischer und gesellschaftlicher Beziehung zwischen beiden einen großen Unterschied gab, versteht sich 
von selbst. Auch wird man Niemandem, der nur einiges Gefühl besitzt, zu sagen nötig haben, daß es besser sei, mäßig und ein ehrbarer Mensch, als lasterhaft, dem Trunke ergeben und ein Dieb zu sein. 

Dieses ist völlig klar. Allein ebenso klar ist es, daß die Ehrbarkeit, die Mäßigkeit und die Sittlichkeit nicht das „ewige Leben", ja sogar nicht einmal der Weg sind, der dahin führt. Wohl werden diese Erscheinungen in ihrer wahren und aufrichtigen Äußerung stets die Früchte — die notwendigen Früchte des neuen Lebens sein; allein sie sind weder das neue Leben selbst, noch das Mittel zu dessen Erwerbung. „Wer den Sohn hat, ha t das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, ha t das Leben nic h t." Das ist bestimmt genug. Es existiert kein Mittelweg zwischen den Wörtchen: „hat" und „hat nicht", kein Raum zum Fortschreiten zwischen diesen einander entgegengesetzten Begriffen. Der Schreiber wie der Leser dieser Zeilen befinden sich in diesem Augenblicke entweder in der einen oder in der anderen dieser beiden Abteilungen. 

Welch ernster Gedanke! Wir fühlen tief die ganze Wichtigkeit in diesen, durch die stolzen Anmaßungen des Menschen gekennzeichneten Tagen, wo man sich sogar des Christentums als eines Mechanismus, um das Glück einer gefallenen und verderbten Menschheit herbeizuführen, oder als eines Zweiges eines zur Veredelung des Geschlechtes hinstrebenden Erziehungssystems bedient, und wo man, nach Anweisung etlicher neuer Gelehrten, dahin gelangt, das Heidentum, das Judentum und das Christentum als gleichbedeutende Dinge zu betrachten, 
die geeignet sind, auf den Menschen zu wirken und ihn auf der moralischen Leiter zur Höhe zu drängen. 

Welch trauriger Betrug und welch verderblicher Irrtum für die Seelen. O möchte doch der Heilige Geist vielen die Augen öffnen, um diesen Feind zu erkennen, und sie fähig zu machen, um demselben zu entfliehen! Möchte doch das Evangelium des Christus sich mit einer neuen Macht ausbreiten, und Einhalt gebieten der krankhaften Erscheinung des Rationalismus und des Unglaubens in diesen finstern und bösen Tagen! 
Kehren wir indes zu dem Brunnen bei Sichar zurück. Der Gedankenlauf, dem wir gefolgt sind, wird uns in den Stand setzen, die bisher geschöpften heiligen und tiefen Lehren vollkommener würdigen zu können. 

Der Christ findet einen ganz besonderen Reiz an den Erzählungen der Evangelien, weil es der Herr Jesus Selbst ist, der dem Geiste und dem Herzen so nahe tritt. Sie bringen uns keine schwer verständlichen Wahrheiten oder trockenen Lehrsätze," sie zeigen uns vor allem in Ihm 
eine Person, die nichts weniger ist als „Gott geoffenbart im Fleisch." Wir finden Ihn im Gespräche mit Sündern von jeglichem Stande und Charakter — mit Reichen und Armen, mit Religiösen und Irreligiösen, mit Pharisäern, Schriftgelehrten und Zöllnern. Wir erblicken Ihn in der Nähe der verächtlichsten Sünder, wie hier am Brunnen bei Sichar, und sehen, wie Er dieselben mit einer vollkommenen Gnade behandelt. 

Wir entdecken in Ihm eine Heiligkeit, die von keiner Sünde berührt werden kann, und zugleich eine Gnade, welche sich bis zu den tiefsten Tiefen der Bedürfnisse des Sünders herabzulassen im Stande ist. Mit einem Wort, Gott ist auf die Erde herabgestiegen; und wir können Ihn betrachten in dem Angesichte Jesu Christi. Welch wunderbares Ereignis! Er kann erkannt werden, ja, erkannt in der vollen Gewißheit, welche die Offenbarung Seiner Selbst hervorzubringen fähig ist. „Die Finsternis vergeht und das wahrhaftige Licht leuchtet schon." Die Wehklagen Hiobs: „A ch , wen n ich. wüßte , wo ich Ih n fin de n könnte! " ist fortan verklungen (Hiob 23, 3). 

Das Evangelium führt uns an den Brunnen bei Sichar und zeigt uns den Schöpfer des Weltalls in der Person eines mit Staub bedeckten, müden und durstigen Fremdlings, der für ein wenig Wasser der Schuldner einer ehebrecherischen Samariterin zu sein begehrt. Welch ein unausforschliches Geheimnis! Er, der da Gott ist über alles, gesegnet in Ewigkeit — Er redet mit Menschenlippen und bittet eine Ehebrecherin um einen Trunk Wasser. Wo, möchte man mit Recht fragen, wo in dem ganzen Bereiche der Schöpfung könnte man etwas finden, was diesem gleich wäre? Wohl mögen wir bei der Betrachtung der Schöpfung die bewunderungswürdige Offenbarung der Weisheit, der Macht und der Güte zu unterscheiden; allein nimmer werden wir Gott in der Gleichheit des Fleisches der Sünde und in der Gestalt eines ermüdeten, von Hitze und Durst gequälten Menschen darin erblicken können, der da auf dem steinernen Geländer eines Brunnens sitzt und eine arme Sünderin um einen Tropfen Wasser bittet. 

Wenn wir von dieser Szene zu derjenigen übergehen, welche uns auf den ersten Seiten der Bücher Moses vor Augen gestellt wird, und wenn wir dort auf Gott, als den Schöpfer, unsere Blicke richten und sehen, wie Er die Stätte Seiner ewigen Wohnung verläßt und durch das Wort Seines Mundes 
Millionen Welten ins Dasein ruft, dann entdecken wir nirgends eine Spur von Müdigkeit oder von Durst. Doch mögen wir auch die Fußstapfen des Schöpfers verfolgen und mit Bewunderung schauen, wie Er auf dieser majestätischen Bahn von einer Sphäre Seines glorreichen Werkes zur anderen dahin schreitet, so ist dennoch jene Herrlichkeit, welche an dem einsamen Jakobsbrunnen unseren Blicken begegnet, weit strahlender, als alles, was in dem ersten Kapitel des ersten Buches Moses sich vor uns entfaltet. Jenes: „Es werd e Licht! " war in der Tat ein glorreiches Wort; aber dieses: „Gibmirz u trinken! " übertrifft jenes an Glorie. Im Ersteren unterscheiden wir eine Majestät, die uns in Erstaunen setzt, und einen Glanz, der uns blendet; in Letzterem aber erblicken wir eine Gnade, die unser Vertrauen gewinnt, und eine Zärtlichkeit, die unser Herz erweicht. 

Wo entdecken wir während der ganzen mosaischen Haushaltung etwas gleich jenem, welches sich an. dem Brunnen bei Sichar ereignet? Hätte der Gesetzgeber eine Ehebrecherin um ein Glas Wasser bitten können? Unmöglich. Wäre die Samariterin vor den mit Feuer brennenden Berg gestellt worden, so würde ohne Barmherzigkeit eine Verfluchung und Steinigung ihr Los gewesen sein. Sicherlich hatte eine solche Person von dem „Dienste des Todes und der Verdammnis" nichts anderes zu erwarten. Und dennoch begegnet man seltsamerweise noch 
Leuten, welche uns sagen: „W en n ihr das Gesetz von dem Evangelium trennt , .so bleib t nicht s übrig , wa s de s Namen s d e s Evangelium s würdi g ist. " 

Was denkst du, mein Leser, von einer solchen Meinung? Wie erscheint sie dir, wenn du sie in dem am Brunnen Sichars .strahlenden Lichte betrachtest? Wer hätte je geglaubt, daß in unseren Tagen, wo die Bibel frei und in weiten Kreisen verbreitet wird, von den Lippen oder der Feder sogenannter Prediger des Evangeliums eine solche Behauptung ausgehen würde? Wie? Läßt eine Trennung des Dienstes des Todes und der Verdammnis von dem Dienste des Lebens und der Ge;
rechtigkeit — eine Trennung dessen, was den Sünder verflucht und verfluchen muß, von dem, was ihm Vergebung, Heil und Segen verschafft — eine Trennung dessen, was „Zorn wirkt" (Rom. 4, 15), von der Fülle jener göttlichen Liebe, die uns in der Person und in dem Werke unseres Herrn Jesu Christi geoffenbart ist, — läßt eine solche Trennung nichts übrig, was des Namens des Evangeliums würdig ist? 
—: Doch verweilen wir nicht länger bei der groben Unwissenheit und Abgeschmacktheit einer solchen Behauptung. Kehren wir lieber zu 
dem Brunnen bei Sichar zurück, um jener bemerkenswerten Unterhaltung unser Ohr zu leihen, die zwischen Gott, „geoffenbart im Fleische" und einem auf der niedrigsten Stufe des Verfalls stehenden, samaritischen Weibe stattfindet. 
„Als nu n de r Her r erkannte , da ß di e Pharisäer gehört hatten , da ß Jesu s meh r Jünge r mache und taufe, als Johannes , (wiewohl Jesus Selbst nicht taufte, sonder n Sein e Jünger ) verlie ß E r Judä a un d gin g vo n da wiederu m nac h Galiläa . Er mußt e abe r durc h Samari a gehen . Er komm t nu n in ein e Stad t Samariens , genann t Sichar , nah e be i dem Felde , welche s Jakob seine m Sohn e Josep h gab. Es wa r abe r daselbst ei n 
Brunne n Jakobs. Jesus.nun , ermüde t vo n de r Reise, setzt e Sic h als o an dem Brunne n nieder. Es wa r um d i e sechst e Stunde . Es komm t ei n Wei b au s Samari a 
um Wasse r zu schöpfen . Jesu s sprich t zu ihr : „Gib m ir zu trinken! " — 

Hier tritt eine wunderbare Szene vor unsere Blicke — eine Szene, die uns weder durch die Schöpfung, noch durch das Gesetz, noch durch die Vorsehung dargestellt werden konnte. Der Herr der Herrlichkeit ist herabgekommen in diese Welt, um als Mensch der Müdigkeit, dem Hunger und dem Durst ausgesetzt zu sein, und um, gleichwie wir versucht, das Bedürfnis nach einem Becher Wasser zu erkennen. „Jesus nun, ermüdet von der Reise, setzte sich an dem Brunnen nieder." 

Diese Welt war für Christus ein ausgedörrtes und durstiges Land. Die einzige Erquickung, die Er hier fand, bestand für Ihn in dem. Dienste Seiner Gnade gegen arme, elende Sünder, gleich jenem Weibe, welches am Brunnen vor Ihm stand. Und welchen Kontrast bilden Seine, an 
die Samariterin gerichteten Worte mit denen, welche das Ohr des Lehrers von Israel trafen! Zu ihr sagt Er nicht: „Du mußt von neuem geboren werden!" — obwohl dieses ohne allen Zweifel für sie ebenso erforderlich war, wie für Nikodemus. Warum dieses? Wir haben die Ursache bereits von ferne gesehen. Der jüdische Lehrer stand, so zu sagen, 
auf der höchsten Leitersprosse der gesetzlichen Gerechtigkeit, der Sittlichkeit und der überlieferten Religion, während die arme Samariterin sich auf der niedrigsten Stufe der Straffälligkeit und des moralischen Schmutzes befand. Und weil der Herr herniedergekommen war, um dem Menschen in der elendsten Lage desselben zu begegnen, und weil 
Er gekommen war, um den Tote n das Leben zu gebe n und auf den Menschen zu wirken, so wie Er denselben fand, so war Er genötigt, den Nikodemus zu der demütigenden Anerkennung der Notwendigkeit einer neuen Geburt zu führen, sowie das ganze Gerüst, worauf er sich befand, unter seinen Füßen zu zertrümmern und ihm zu zeigen, daß er alles, was er in Betreff seiner Religion und seiner Stellung besaß, verlassen und als ein neugeborenes Kind in das Reich eingehen müsse, und mithin nichts, durchaus nichts besitze, was in der neuen, von dem Herrn angekündigten Stellung Anerkennung finde.

 Ist die neue Geburt durchaus notwendig, dann ist der Oberste der Juden in nichts besser, als die samaritische Sünderin. In Betreff der Letzteren war es augenscheinlich, daß ihr etwas mangelte; sie vermochte nicht mit ihren Sünden in das Reich einzugehen; und aus diesem Grunde beginnt der Herr ihr gegenüber, alsbald Seine Gnade zu entfalten. Nikodemus hingegen konnte sich einbilden daß er etwas habe und etwas sei vor Gott, während es auf der Hand lag, daß die Samariterin solchem Gedanken keinen Raum geben durfte. Darum sagt der Herr zu 
dem Ersten: „Du mußt von neuem geboren werden!" und zu der Letztern: „Gib mir zu trinken!" In dem einen dieser Worte unterscheiden wir die „Wahrheit", in dem andern die „Gnade". Beide, „die Gnade und Wahrheit sind durch Jesum Christum geworden." Die „Wahrheit", 
um alle Anmaßungen eines Pharisäers niederzureißen; und die „Gnade", 
um den tiefsten Bedürfnissen einer ehebrecherischen Sünderin zu begegnen. 

Allein obwohl Nikodemus und die Samariterin in gewissen Punkten einen Gegensatz zueinander bilden, so ist es doch auch von Interesse, in anderen Beziehungen eine Ähnlichkeit zwischen beiden wahrzunehmen. Beide antworten dem Herrn durch ein „Wie?" Sobald die Wahrheit das Ohr des Lehrers in Israel berührt, fragt er: „Wie kann dieses geschehen?" — und als dem Weibe von Sichar die Gnad e gezeigt wird, fragt sie: „Wie bittest du, der du ein Jude bist, von mir 
zu trinken, die ich ein samaritisches Weib bin?" Ach! wir alle tragen dieses „Wie" in unseren Herzen. Die Wahrheit Gottes ist in ihrer ganzen majestätischen Autorität vor unsere Seele gestellt; und wir nehmen sie auf mit einem „Wie". 

Die Gnad e Gottes ist in ihrer ganzen Lieblichkeit vor unseren Blicken entfaltet; und von unseren Lippen dringt als Antwort ein „Wie". Gleichviel, ob es ein theologisches oder ein ratio;
nalistisches Wie ist —• es ist immer das arme Herz, welches, anstatt die Wahrheit zu glauben, und die Gnade Gottes anzunehmen, seine Einwendungen machen will. Der eigene Will e ist tätig, und obwohl demzufolge sich das Gewissen unbehaglich fühlt und das Herz mit sich selbst 
und mit seiner Umgebung unzufrieden ist, so tritt nichtsdestoweniger das „Wie" des Unglaubens in der einen oder der anderen Form zum Vorschein. Nikodemus fragt: „Wie kann der Mensch geboren werden, wenn er alt ist?" — und die Samariterin sagt: „Wie, bittest du von mir 
zu trinken?" — 
So ist es immer. Wenn das Wort Gottes uns die totale Unwürdigkeit unserer Natur aufdeckt, so erhebt das Herz, anstatt sich mit Demut der heiligen Schrift zu unterwerfen, seine unheiligen Einwürfe. Und wenn dasselbe Wort die unbegrenzte Gnade Gottes und das unverdiente Heil in Christo Jesu vor unsere Augen stellt, so beginnt wieder das Herz, anstatt die Gnade anzunehmen und des Heiles sich zu erfreuen, mit seinen Klügeleien, indem es fragt: „Wie kann dieses geschehen?" Das menschliche Herz ist geschlossen für Gott, geschlossen 
für die Wahrheit Seines Wortes und für die uns darin gezeigte Liebe. 

Wenn der Teufel spricht, so schenkt das Herz ihm leicht Glauben; wenn der Mensch spricht, so nimmt das Herz gern seine Worte auf. Lügen des Teufels und Torheiten des Menschen finden leicht einen Eingang in dem armen menschlichen Herzen; aber sobald Gott es ist, welcher, 
sei es in der vollen Machtsprache der Wahrheit, oder in dem süßen Locktone der Gnade , zum Menschen spricht, ach! dann findet Er in dem menschlichen Herzen ein ungläubiges, zweifelndes, rationalistisches, treuloses Wie. Alles paßt für das natürliche Herz, nur nicht die Wahrheit und die Gnade Gottes. 

Indes läßt Sich unser Herr hier durch das W i e des Weibes von Sichar nicht abweisen. Er hatte auf das W i e des „Menschen von den Pharisäern" geantwortet, und will auch antworten auf das Wie der Samariterin. Er hatte dem Nikodemus eine Antwort gegeben, indem Er ihn hinwies auf die eherne Schlange und mit ihm redete über die, durch die Sendung Seines Sohnes kund gegebene Liebe Gottes; und Er gibt auch der Samariterin ein Antwort, indem Er mit ihr ebenfalls redet über die „Gnade Gottes". — „Jesu s antwortete und sprach zu ihr : Wenn du die Gab e Gotte s kanntest und wer D e r ist, de r zu dir sagt: Gib mir zu trinken , du würdest Ihn gebeten haben, und Er hätt e dir lebendige s Wasser gegeben.


Welch ein weites Gebiet köstlicher Wahrheiten öffnet hier vor der Seele dieses Wörtchen „Gabe"! Der Herr sagte nicht: „Wenn du kanntest das Gesetz, so würdest du gebeten haben." In der Tat,' wenn sie es gekannt hätte, so würde sie sich verloren und verdammt unter dem;
selben gesehen haben, weit entfernt, zu einer Bitte ermutigt zu sein. 
Niemand hat je „lebendiges Wasser" erhalten durch das Gesetz. „Tue das, so wirst du leben!" — das ist die Sprache des Gesetzes. Das Gesetz gab niemanden etwas, außer dem Menschen, welcher es stets beobachtet hatte, und welcher es hätte bis ans Ende und vollkommen 
halten können. Und wo war dieser Mensch? Gewiß, das Weib von Sichar 
hatte das Gesetz nicht gehalten. Dieses war zu augenscheinlich. Sie hatte wenigstens in eine m Punkte gefehlt, und war deshalb schuldig in allem (Jak. 2). 

Aber warum, möchte jemand fragen, stellt man beständig das Gesetz und die Gnade als Gegensätze einander gegenüber? Bildet nicht Jedes für sich einen Teil jenes großen Systems, mittelst dessen Gott den Menschen unterweisen und ihn für den Besitz des Himmels befä;
higen will? Wir antworten, daß, wenn wir sie als Gegensätze betrachten, dieses deshalb geschieht, weil der Heilige Geist zu wiederholten Malen dasselbe tut. Man lese z. B. Apostelgeschichte. 15, Gal. 3 und 4, und 2. Kor. 3; und dann teile man uns den Inhalt dieser Kapitel mit. 

Zeigt sich hier nicht der Gegensatz in der bestimmtesten Weise? Wer kann diese bewunderungswürdigen Stellen der Heiligen Schrift lesen und zugleich behaupten, daß das Gesetz ein notwendiger, ergänzender Teil des Evangeliums sei, der, wenn beseitigt, nichts übrig lasse, was den Namen des Evangeliums verdiene? Daß das Gesetz, von dem Augenblicke seiner Erscheinung bis zur Ankunft Christi ein Zuchtmeister der Juden war, sagt uns der Apostel in seinem Briefe an die Galater. Daß bei gesetzmäßigem Gebrauche das Gesetz gut ist, versichert uns derselbe Apostel in seiner ersten Epistel an Timotheus (Kap. 1, 7—9); in;
dem er hinzufügt, daß das Gesetz nicht für den Gerechten sei. 

Daß das Gesetz ihn getötet habe, meldet uns Paulus in dem 7. Kapitel der Epistel an die Römer; und daß endlich das Gesetz, weit entfernt, ein ergänzender Teil des Evangeliums zu sein, in 
dem Zeiträume zwischen der dem Abraham gegebenen Verheißung und 
ihrer in der Person eines getöteten und auferstandenen Christus geschehenen Erfüllung entstanden sei, verkündet uns dieser Apostel in dem 3. Kapitel der Epistel an die Galater. Aber die Behauptung, daß 
das Gesetz einen notwendigen Teil des Evangeliums bilde, ist ebenso ungereimt, als wenn man behaupten wolle, daß der Fluch, der Zorn, der Tod und die Verdammnis notwendige Teile der Segnung, der Gnade, des Lebens und der Gerechtigkeit seien. Möge der Herr die Seelen von 
dem traurigen Einflüsse der Unterweisungen derer befreien, „welche Gesetzlehrer sein wollen und nicht verstehen, weder was sie sagen, noch worüber sie etwas behaupten" (1. Tim. 1, 8). 
Welch ein Glück für die sittlich versunkene Samariterin, daß der Herr für sie etwas anderes hatte, als die Donnerschläge des Gesetzes? 

Er konnte mit ihr von einer „Gabe" reden; und gewiß, was streng gefordert wird, kann nicht ein notwendiger und ein ergänzender Teil einer Gabe sein. „Die Gabe Gottes ist das ewige Leben." und zwar nicht erlangt durch das Gesetz, sondern durch „unsern Herrn Jesum Christum." Zudem hat das Gesetz nie das ewige Leben in den Himmeln in Aussicht gestellt, sondern nur von einem „fortbestehenden Leben auf der Erde" gesprochen; aber das Evangelium bietet uns schon 
hienieden ein ewiges Leben und hernach eine ewige Herrlichkeit im Himmel an. Dieses sind also zwei ganz verschiedene Systeme und nicht etwa zwei Teile eines und desselben Systems. „Wenn du kanntest die Gab e Gottes (d. h. Christum Jesum Selbst), du würdest Ihn gebeten 
haben, und Er hätte dir lebendiges Wasser (d. h. den Heiligen Geist) g e g e b e n." So gab es also unter dem Gesetz nur Forderungen, Verbote und Flüche, während unter dem Evangelium alles Gabe, Gnade und Segen ist. 

Und woher kam dieser Unterschied? Der Gesetzgeber war herabgestiegen von dem Gipfel des mit Feuer brennenden Berges. Er hatte Seine Donnerschläge verstummen lassen und Sich in unsere Menschheit gehüllt. Und in dieser Weise herabgestiegen und in dieses Kleid ge;
hüllt, sitzt Er müde und durstig an dem Brunnen bei Sichar und bittet, 
wiewohl Er Seine Hand nach allen Schätzen des Weltalls auszustrekken vermochte, eine elende Sünderin um einen Trunk Wasser. Wie, mein Leser, wirst du angesichts dieser rührenden Szene sagen können: „Wenn Ihr das Gesetz von dem Evangelium trennt, so bleibt nichts 
übrig, was des Namens des Evangeliums würdig wäre?" Was würdest du denken von einem Menschen, der sich zu behaupten erkühnte, daß, wenn man das sechste Gebot von dem 4. Kapitel des Evangeliums Johannes trenne, nichts übrig bliebe, was den Namen eines Evangeliums verdiene? Bilden denn die Donner des Berges Sinai einen ergänzen;
den Teil jener Herrlichkeit, die am Brunnen bei Sichar in unsere Augen 
strahlt? Wahrlich, beklagenswert ist der, welcher solche Gedanken besitzen und nähren kann! 
Ohne Zweifel wird den Leser bei fernerer Betrachtung der bemerkenswerten Szene am Brunnen bei Sichar das unablässige Fragen des Weibes in Erstaunen setzen. 

Kaum hat sie eine Antwort erhalten, so schwebt schon wieder eine neue Frage auf ihren Lippen. Auf ihr erstes „Wie?" hat der Herr geantwortet, indem Er mit ihr über die 
„Gabe Gottes" sprach; aber eben diese Antwort wird für sie ein Beweggrund zu einer anderen Frage. „Herr !" sagt sie, „Du hast kei n Schöpfgefä ß un d de r Brunne n ist tief, wohe r hast 
Du den n da s lebendig e Wasser? " 
Armes Weib! Wie wenig kennst du noch Den, der mit dir redet! — 
In der Tat, der Brunnen mochte tief sein; allein tiefer noch waren die Bedürfnisse ihrer Seele; und selbst tiefer noch, als diese Bedürfnisse, war die Gnade, welche Christus aus den Himmeln hatte herabsteigen lassen, um denselben zu begegnen. Allein sie kannte Ihn so wenig, daß 
sie sagen konnte: „Bist Du größer , als unse r Vate r Jakob , d e r un s denBrunnengab ? Un d erselbs t tran k au s demselben , un d sein e Söhn e un d sei n Vie h." — Sie wußte nicht, 
daß sie sich wandte an den Gott Jakobs, an Den, der Jakob geschaffen 
und ihm alles, was er sein Eigentum nennen konnte, gegeben hatte. 

Von diesem allen verstand sie nichts. Ihre Augen waren noch geschlossen; und das ist der Schlüssel ihrer wunderlichen Fragen. Und so ist es noch immer. Überall, wo man Menschen findet, welche Fragen aufwerfen, kann man mit Sicherheit schließen, daß ihre Augen 
noch nicht geöffnet sind. Der Rationalist, der Zweifler, der Ungläubige — alle sind Blinde; und eben dieses ist es, was sie nötigt, Fragen zu stellen, Einwendungen zu machen und Zweifel zu hegen. Sie mögen sehr kenntnisreich sein; aber nichtsdestoweniger ist man erstaunt, bis;
weilen zu hören, welch törichte Fragen sie hervorzubringen im Stande sind. Ein Kind an geistlichem Verständnis hätte oft Ursache, über die Einwendungen zu lächeln, welche von ergrauten ungläubigen Gelehrten erhoben werden. 

Indes waren bei der Samariterin diese Fragen nicht so sehr die Wirkung eines vermessenen Unglaubens, als vielmehr eine Folge der natürlichen Blindheit und Unwissenheit. Auch der Herr hört sie mit Geduld an. Bei gewissen Gelegenheiten wußte Er wohl einen schwatzhaften oder neugierigen Frager zum Schweigen zu bringen und abzuweisen; aber in anderen Fällen konnte Er, voll von erbarmender Herablassung und mit einer vollkommenen Geduld, den armen und un;
wissenden Frager anhören und zwar in der Absicht, um seine Fragen zu beantworten, seine Zweifel zu lösen und seine Furcht zu zerstreuen. 

So geschah es am Brunnen bei Sichar. Der Heiland hatte beschlossen, diesem unglücklichen, strafbaren Weibe Sich zu erkennen zu geben; und deshalb erträgt Er sie und folgt ihr in allen ihren Fragen. Er vernichtet nach und nach alle ihre Einwendungen und verläßt sie nicht, 
bevor Er sie vollkommen überführt und ihre Seele durch die Offenbarung Seiner Selbst befriedigt hat. Sie dachte an die Tiefe des Brunnens und fragte mit Erstaunen, ob Der, welcher mit ihr redete, größer sei, als ihr Vater Jakob. Sie vermochte nicht zu begreifen, wie Er Sich 
dieses Wasser, wovon Er sprach, verschaffen könnte. „Jesu s antwortet e un d sprac h zu ihr : Jeder , de r vo n diese m Wasse r trinkt , wir d wiederu m dürsten. " — Wie tief der 
Brunnen auch sein mochte, so enthielt er doch im Vergleich mit dem Durste, den er stillen sollte, nur wenig Wasser. Die tiefsten und wasserreichsten Brunnen der Erde mögen erforscht und ausgeschöpft werden; und dennoch bleibt der Durst der Seele ungestillt.

Die Worte, die durch die Hand Jesu gleichsam als eine Inschrift in das steinerne Gerüst der Quelle bei Sichar gegraben wurden, können über alle Quellen dieser armen und vergänglichen Welt geschrieben werden; denn von allem wird es heißen: „Jeder, de r vo n diese m Wasse r trinkt, wir d wiederu m dürsten. " Der reiche, in Purpur gekleidete Mann im Evangelium Lucas hatte zum Überfluß getrunken aus den Quellen dieser Welt; und dennoch dürstete er wiederum. Ja, als er in dem Hades seine Augen aufschlug und sich in den Qualen befand, da flehte er vergebens um einen einzigen Tropfen Wassers, um seine ausgedörrte Zunge zu kühlen.

 Ach! nicht einen einzigen Wassertropfen gibt es in den Qualen der Hölle! Welch ein ernster Gedanke! Ernst für Alle; aber entsetzlich ernst für Jene, welche der Üppigkeit und den Vergnügungen folgen und ihre Zeit damit verschwenden, daß sie von einer Quelle in dieser Welt zur anderen rennen, ohne an die Ewigkeit des brennenden Durstes in dem Feuersee zu denken. Möge Gott durch Seinen Geist diesen Unglücklichen in den Weg treten und sie zu Christo führen, welcher jenes lebendige Wasser gibt, nach dessen Genüsse nie;
mand wieder dursten wird. 
Welch einen Trost erhalten die Worte: „Jeder , de r vo n de m Wasse r trinkt , welche s ic h ih m gebe n werde , de n wir d nich t dürste n i n Ewigkeit , sonder n da s Wasser , 
welche s ic h ih m gebe n werde , wir d i n ih m ei n Quel l Wasser s werden , welche s i n da s ewig e Lebe n quillt. " 
Das ist es, was die Bedürfnisse einer Seele stillt und befriedigt und sie besitzt in sich eine Quelle lebendigen Wassers, welches, stets frisch und fortwährend fließend, beständig nach oben zu ihrer Urquelle zurücksprudelt; denn die Fluten suchen immer den Höhepunkt ihrer 
Quelle. Unser Herr will hier vom Heiligen Geiste reden, welcher in jedem Gläubigen wohnt, und v/elcher das mächtige Mittel der Gemeinschaft mit dem Vater und Seinem Sohne Jesus Christus ist. In Joh. 3, 5 wird der Heilige Geist als Der betrachtet, welcher da s Lebe n 
wirkt , während Er in Kapitel 4, 14 als die Kraft der Gemeinschaft , und in Kap. 7, als die Kraft des Dienste s dargestellt wird. Durch den Heiligen Geist ist die Seele wiedergeboren; durch Ihn 
sind wir fähig gemacht, mit Gott Gemeinschaft zu haben und darin zu bleiben; und durch Ihn werden wir zu Segens-Kanälen für Andere. 

Die Quelle von diesem allen ist der Heilige Geist, der uns durch ein ewiges Band mit Christo, dem Haupte der neuen Schöpfung vereinigt, in welchem und durch welchen wir alle die Segnungen und alle die Vorrechte genießen, womit Er, um uns zu bereichern, von dem Vater überschüttet ist. 
Dieses alles finden wir in unserer Erzählung. „Da s Wei b sprich t z u Ihm : Herr ! gi b mi r diese s Wasser , dami t i c h nich t dürst e un d nich t hierhe r komme , u m z u schöpf e n." Sie ist noch immer in Finsternis. Ihr Herz scheint noch nicht getroffen zu sein. Ihre Augen sind geschlossen; ihr Verstand ist verfinstert. Der Heiland der Sünder stand vor ihr; aber sie erkannte Ihn nicht. Er ließ sie Worte der Gnade hören; aber sie begriff sie nicht. 
Er hatte sie um einen Trunk Wasser gebeten: aber sie antwortete Ihm durch ein „Wie? " Er hatte mit ihr von der Gnade Gottes geredet; sie aber ließ ein „Woher? " vernehmen. Er hatte sie von ferne in eine Quelle blicken lassen, allein sie sah darin nur den Vorteil, der Mühe des Wasserschöpfens überhoben zu sein. Was bleibt in Betreff ihrer noch zu tun. übrig? Einzig und allein dieses: „Geh e hin , ruf e dein e n Mann , un d kom m hierher! " 

In der Tat, diese Aufforderung gab den Gedanken dieses unglücklichen Weibes eine ganz andere Richtung. Unser Herr ist, so zu sagen, gezwungen, einen Pfeil aus seinem Köcher zu nehmen und denselben direkt in das Gewissen der Samariterin zu schleudern. Nachdem sie gesagt hatte: „Gib mir dieses Wasser!" — antwortete ihr der Herr mit den Worten: „Gehe hin, rufe deinen Mann!" — was so viel heißen sollte, als: „Wenn du dieses Wasser begehrst, wovon ich zu dir geredet habe, so kannst du es nur empfangen als eine arme Sünderin mit einem durch 
das Gefühl deiner Unwürdigkeit gebrochenen Herzen." Wie wunderbar! Wer vermöchte die ganze Tiefe dieser beiden Worte: „Geh" und „komm!" in dem Munde des Herrn zu ergründen? Sie sollte nicht nur gehen und ihren Mann rufen, sondern auch, gerade so wie sie war, zu 
Christo zurückkommen. Das war für sie das Mittel, um das lebendige 
Wasser zu erhalten. Das Wort: „Geh, rufe deinen Mann!" warf einen Strahl der Wahrheit auf das Gewissen des Weibes, und zwar zu dem Zwecke, um ihren wirklichen moralischen Zustand zu offenbaren, während jenes: „Komm hierher!" die gesegnete Gnad e ausdrückte, die ein solch elendes Geschöpf, gerade so wie es war, zu sich einzuladen vermochte, um das lebendige Wasser als eine freiwillige Gabe Seiner Hand zu empfangen. 

Jeder Leser wird selbst bei der geringsten Aufmerksamkeit die mächtige Wirkung wahrnehmen, die der scharfe Stachel der Überführung in dem Gewissen des Weibes hervorbrachte. Jetzt zum ersten Male sagte sie: „Herr! ich sehe. " Das war schon viel für sie; ihre Augen begannen sich zu öffnen; sie sah etwas. Sie begriff, daß sie sich in der Gegenwart eines geheimnisvollen Menschen befand, den sie für einen Propheten hielt. Wie mit Gewalt dringen mitten durch ihr Ge;
wissen die ersten Strahlen des göttlichen Lichts in ihr ganzes moralisches Wesen. 

Sie entdeckt, daß Der, welcher sie um einen Trunk Wasser gebeten hatte, in Betreff ihrer alles wußte und dennoch aber Seine Bitte an sie gerichtet, Sich mit ihr unterhalten und keineswegs verachtet hatte. Gerade hier war der enscheidende Moment in ihrem geistlichen Leben. 
Hast du, mein Leser, je einen ähnlichen Augenblick durch Erfahrung kennen gelernt? Hat sich dein Gewissen wirklich einmal in der Gegenwart dieses, alles offenbar machenden Lichtes befunden? Hast du dich je als ein armer Sünder betrachtet, der, schuldig, verloren und 
ohne Christum, die Hölle verdiente? Ist jener Pfeil auch in dein Gewissen gedrungen? Wahrlich, der Herr hat Pfeile von verschiedener Art in Seinem Köcher. 

Er besaß einen Pfeil für den Menschen von den Pharisäern, und einen Pfeil für das Weib von Sichar. Es waren verschiedene Pfeile, aber jeder derselben erfüllte seine Aufgabe. „W er di e Wahrheit tut, komm t zu dem Licht, " — das war der Pfeil für den Menschen von den Pharisäern. „G eh e hin , ruf e deine n 
Mann! " — das war der Pfeil für das Weib von Sichar. Sie sind in der Tat ganz verschieden, aber jeder derselben hat sein Werk zu verrichten. Das Gewissen muß getroffen werden. Die Frage der Sünde und der Gerechtigkeit muß in der Gegenwart Gottes gelöst sein. Wohlan, 
mein Leser, ist dein Gewissen getroffen worden? Ist diese große und äußerst wichtige Frage zwischen deiner Seele und Gott in Ordnung gebracht? Wenn es so ist, dann wirst du im Stande sein, den noch übrigen Teil dieser anziehenden Erzählung zu verstehen. 
Angelangt an diesem Punkte unseres Gegenstandes, vermögen wir in der Geschichte der Samariterin drei Dinge wahrzunehmen. Wir erblicken 

1. einen geoffenbarten Sünder, 
2. einen geoffenbarten Erretter und 
3. einen zum Dienst geweihten Heiligen.

 Die Worte: „Gehe hin, rufe deine n Mann! " offenbaren die Sünderin. Aber haben wir nicht öfters bemerkt, daß, wenn das Gewissen eines Sünders wegen seiner Sünden und der Rechtsansprüche Gottes erwacht ist, er eine starke Neigung zeigt, sich mit Fragen bezüglich der Weise und des Ortes des Gottesdienstes zu beschäftigen? Ist dieses nicht bei vielen 

unter uns der Fall gewesen? Es gibt in der Tat Wenige, welche, wie man es zu nennen pflegt, die ersten Grade religiösen Lebens durchlaufen haben, ohne daß ihr Herz mehr oder weniger durch die wetteifernden Ansprüche verschiedener Kirchengemeinschaften oder Benennungen beunruhigt worden ist. Wo soll ich Gott anbeten? Welcher Benennung soll ich mich anschließen? In welcher Kirchengemeinschaft soll ich mich aufnehmen lassen? Welche von ihnen ist am meisten der Schrift gemäß? Genug, da gibt es der Fragen in Menge, die viele unter uns ernstlich prüfen zu müssen glaubten, und zwar so lange vor der Zeit, ehe unsere Seelen in dem Glauben, an einen geoffenbarten Heiland Ruhe gefunden hatten. Ebenso war es bei dem Weibe von Sichar. Kaum hatte sie dem Worte: „Ich sehe! " freien Lauf gelassen, als sie auch 
schon über den Ort der Anbetung eine Unterhaltung anknüpfte, indem 
sie sagte: „Unser e Väte r habe n auf diese m Berg e angebetet, un d ih r sagt, zu Jerusale m se i de r Ort, wo ma n anbete n soll" . — Die einen beten hier, die anderen dort an; wo 
sollen denn wir anbeten? 
Ohne im geringsten der Welt das Interesse solcher Fragen streitig machen zu wollen, behaupten wir hier nichtsdestoweniger sehr bestimmt, daß es Fragen sind, mit denen sich ein Sünder, der sich als solcher erkannt hat oder überführt ist, nicht beschäftigen soll. Für einen solchen Menschen ist das eine, was alles andere verschwinden läßt, notwendig, daß er gefunden sei in der Gegenwart eines geoffenbarten Erretters. Ja, wir wiederholen in der feierlichsten Weise, daß aufgewachte Sünder nicht eines Anbetungsortes, nicht einer Sekte, einer 
Kirche oder einer Benennung bedarf, sondern eines geoffenbarten Erretters. Möge in der Seele der Gedanke ernstlich erwogen, wohl verstanden und sorgfältig bewahrt werden, da ß ei n überführte r Sünde r nimme r ei n zum Dienst geweihte r Heilige r 
werde n kann , bevo r e r glücklic h seine n Plat z zu de n 
Füße n eine s ge o f f e nb a r t e n Heilande s gefunde n hat ! 
Dieser Punkt ist von der äußersten Wichtigkeit. Man hat oft sehr übel an den Seelen gehandelt; man hat die wahren Interessen des praktischen Christentums bloßgestellt, indem man diese Seelen mit den Kirchen und deren Benennungen beschäftigte, anstatt mit "ihnen von 
Gott dem Heilande zu reden. Wer sich, bevor er Christum gefunden, irgend einem Bekenntnis anschließt, setzt sich der großen Gefahr aus, dasselbe als Leiter zu gebrauchen, um darauf zu Christo hinzugelangen, während solche Leitern nur zu oft dazu dienen, um von Christo abzu;
führen. Wir bedürfen keiner Leiter, um zu Christo zu gelangen; denn Er hat Sich uns so sehr genähert, daß dadurch jedes derartige Mittel nutzlos geworden ist. Die ehebrecherische Samariterin bedurfte nichts dergleichen. Der Herr, wiewohl sie Ihn nicht erkannte, stand vor ^hr und war bemüht, sie aus allen Schlupfwinkeln, in denen sie Schutz suchte, zu vertreiben, damit sie sich als eine große Sünderin, und Ihn als einen großen Erretter erkannte, der aus vollkommener Gnade vom Himmel gekommen, um sie nicht allein von der Schuld und den Fol;
gen der Sünde zu retten. Was konnte ihr jener „Berg", was konnte ihr „Jerusalem" nützen? War es nicht augenscheinlich, daß eine Vor- und Hauptfrage ihre Aufmerksamkeit ernstlich fesselte, die dahin lautete: „Wie werde ich errettet von meinen Sünden?" Konnte sie ihren Mann 
rufen und sich dann auf den Berg Samariens oder in den Tempel Jerusalems begeben? Welche Erleichterung vermochten diese Orte ihrem geängstigten Herzen oder ihrem beladenen Gewissen zu bringen? Konnte sie dort das Heil finden? Konnte sie dort den Vater im Geist und in 
der Wahrheit anbeten? War es nicht klar, daß sie, bevo-r sie an irgend 
einem Orte anbeten konnte, des Heils bedurfte? 
Eine vollständige und treue Antwort auf alle Fragen ist uns in den Worten des Herrn gegeben: „Weib , glaub e mir , e s komm t di e Stunde , d a ih r wede r au f diese m Berge , noc h z u Jerusale m de n Vate r anbete n werdet . Ih r bete t an , wa s  h r nich t wisset ; wi r bete n an , wa s wi r wissen ; den n d a s Hei l is t au s de n Juden . E s komm t abe r die Stund e 
u n d is t jetzt , w o di e wahrhaftige n Anbete r de n Vat e r i n Geis t un d Wahrhei t anbete n werden ; den n de r Vater such t auc h Solche , di e Ih n anbeten . Got t ist 
e i n Geist , un d di e Ih n anbeten , müsse n Ih n i n Geist u n d Wahrhei t anbeten. " 
In dieser Weise zeigte also der Herr dem Weibe klar, daß sie nicht nur eine Sünderin, sondern auch, daß es nutzlos sei, ihren Geist mit Fragen bezüglich der Orte der Anbetung zu beschäftigen. Sie bedurfte des Heils; und dieses Heil konnte sie nur in der Erkenntnis Gottes 
finden, der als Vater geoffenbart war in dem Angesicht Jesu Christi. 
Dieses ist das Fundament aller wahren und geistlichen Anbetung. Um den Vater anzubeten, muß man Ihn erkennen, und Ihn erkennen, ist das ewige, Leben. 

Hier, mein christlicher Leser, können wir von dem Brunnen bei Sichar eine heilige und nützliche Lehre, in Betreff der richtigen Behandlungsweise mit beunruhigten Seelen, mit uns auf den Weg nehmen. Begegnen wir einer solchen Seele, so laßt uns sie nicht beschäftigen mit Fragen über Sekten und Parteien, über Kirchen und Benennungen, über Glaubensbekenntnisse und Konfessionen. Es ist in der Tat grausam, also zu handeln. Diese Seelen bedürfen des Heils, sie be
dürfen der Erkenntnis Gottes, sie bedürfen Christi. Richten wir ihre Aufmerksamkeit nur auf diese eine Sache, und nötigen wir sie, sich nicht zu zerstreuen, bis sie den Herrn gefunden haben. Die Kirchenfragen haben ihren Platz, ihre Wichtigkeit und ihr Interesse; aber es 
ist augenscheinlich, daß sie den Seelen nichts nützen, die wegen ihrer Sünden in Unruhe sind.

 Ich fürchte, daß Tausende verhindert worden sind, tief zu graben und alle ihre Hoffnungen auf den Felse n zu gründen, weil man sie unkluger Weise mit kirchlichen Fragen in dem 
Augenblicke beschäftigt hat, wo ihre Augen, um zu sehen, kaum geöffnet waren, und sie noch nicht ausrufen konnten: „Jesus hat mich geliebt." Ach, so viele sind so geneigt, die Reihen ihrer Partei zu vergrößern, daß dieses sie oft der Gefahr aussetzt, mehr daran zu denken, 
die Menschen zum Anschlüsse an sie zu bewegen, als sie einfach und direkt zu Christo zu führen. Dieses Übel muß gerichtet werden. Denken wir über das Beispiel nach, welches uns der Herr in Seiner Handlungsweise gegenüber dem Weibe von Sichar vor Augen stellt; und laßt uns 

nie die Torheit begehen, teuer erkaufte Seelen durch unzeitige Untersuchungen über die verschiedenen Orte der Anbetung von dem Grunde, dem Gegenstand und dem Geiste dieser Anbetung abzulenken. Richten wir jetzt unsere Blicke auf den glücklichen Erfolg dieser 
weisen und vorsichtigen Handlungsweise des Herrn. Das Weib findet sich jetzt wie eingeschlossen in eine einzige Sache. Jetzt ist sie bereit, einen geoffenbarten Erretter zu empfangen. „Ic h w e i ß," sagt sie, „da ß Messia s kommt , de r Christu s genann t ist. Wen n 
E r gekomme n ist , wir d E r un s alle s kun d tun. " Mit ihren Einwendungen und Fragen hat es, wie es scheint, ein Ende genommen. 
Ihre Fragen: „Wie? Woher? Wo?" hatte Er ihr beantwortet. Was bleibt ihr jetzt noch zu wünschen übrig? Sie bedurfte eines Christus und sie hatte Ihn. „Ic h bin's , de r ic h z u di r rede. " — sagt der Herr; und das ist genug. Alles ist jetzt beendet, seit sie ihr alles in Christo 
gefunden hat. Es ist weder ein „Berg" noch ein „Tempel", weder „Samaria noch Jerusalem", dessen sie bedarf. Sie hat Jesum, den Messias, 
den Heiland Gott gefunden. Eine überführte Sünderin und ein geoffenbarter Heiland stehen sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber; und alles ist ein für alle Mal in Ordnung gebracht. Sie hatte die wunderbare Tatsache entdeckt, daß Der, welcher sie um einen Trunk Wasser 
gebeten hatte, alle ihre Umstände kannte, daß Er ihr alles zu sagen vermochte, was sie getan hatte, und demungeachtet mit ihr von dem Heil redete. Was bedurfte sie weiter? Nichts. „Da s Wei b abe r lie ß ihre n Wasserkrug stehe n un d gin g we g nac h de r Stad t 
u n d sagt e z u de n Leuten : Kommt , sehe t eine n Menschen , de r mi r alle s gesag t hat , wa s ic h geta n habe ist Dieser nicht der Christus? " 
Hier finden wir eine zum Dienst geweihte Heilige. Das Werk war vollkommen. Wie konnte es auch anders sein? War es doch die Hand des Herrn, die es ausgeführt hatte. Er hatte das Gewissen der Samariterin bis in seine geheimsten Tiefen auf die Probe gestellt und den 
Zustand ihrer Seele vor ihren eigenen Augen aufgedeckt; Er hatte sie bis in alle geheimsten Winkel und falschen Zufluchtsorte verfolgt und sie herausgetrieben; Er hatte ihr den nutzlosen Betrug, sich mit den Orten der Anbetung zu beschäftigen, vor Augen gestellt und sie füh;
len lassen, daß außer Christo nichts ihre Bedürfnisse zu befriedigen vermöchte; und endlich hatte Er Sich ihr geoffenbart, hatte vollen Besitz von ihrer Seele genommen und sie durch eine gesegnete Erfahrung die ganze Umwandlungskraft genießen lassen, deren eine neue Zuneigung mächtig ist. 

Als ein elendes Weib, als eine herabgewürdigte Ehebrecherin hatte sie am Morgen Sichar verlassen; und als eine losgekaufte, glückliche Heilige, als eine dem Herrn geweihte Magd trat sie wieder hinein. Sie ließ den Krug stehen und kehrte zurück zu dem Schauplatze ihrer Verbrechen und ihrer Schmach, um denselben in den Schauplatz ihres glänzenden und entschiedenen Zeugnisses für Christum umzuwandeln. „K o m m t", ruft sie, „sehe t eine n Menschen, d e r mi r alle s gesag t hat , wa s ic h geta n habe. " Welch ein herrliches Zeugnis! Welch eine herrliche Einladung! O mein christlicher Leser! Möchte es doch stets auch unser Haupt;
ziel sein, die Sünder zu Jesu einzuladen! Mit welchem Eifer unternimmt es dieses Weib! Kaum hat sie für sich selbst den Kenn gefunden, so schreitet sie auch schon zu dem geeigneten Werke Andere zu den Füßen des Heilandes zu führen. Laßt uns hingehen und dasselbe 
tun! Trachten wir, wie der Apostel uns ermahn durch Wort und Wandel Seelen in großer Zahl um den Sohn Gottes 
Zweifel werden sich viele unter uns wegen ihrer Lauheit in diesem vortrefflichen Werke zu richten haben. Wir sehen große Haufen dahineilen auf dem breiten, geräumigen Wege, der ins ewige Verderben hinabführt; und dennoch, wie wenig bewegts dieser Antrieb '* ! Wie 
träge und langsam sind wir, das so wahre und für ihren Zustand so geeignete Wort „Kommt"! an ihre Ohren gelangen zu ton! O hatten wir doch mehr Eifer, mehr Kraft, mehr Inbrunst! Möge der Herr uns hinsichtlich des Wertes unsterblicher Seelen, so wie *unendlichen Preises Christi und der ernsten und furchtbaren Wirklichkeit der Ewigkeit ein so tiefes Gefühl schenken, daß es_ uns antreibe mit mehr Ausdauer und mit größerer Treue auf die Seelen unseres Gleichen zu wirken!

Johanes 13. 1-11 ​Die Fußwaschung. BdH 1864

02/05/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Die Fußwaschung. (Joh. 13, 1—11) 
Wie in allen Handlungen des Herrn, so strahlt uns auch in der Fußwaschung Seine Liebe in ihrem reinsten Glänze entgegen. Weder die klare Vorstellung von all den Leiden und Mühsalen, die Seiner harrten, noch das Gefühl der Bitterkeit des Todes haben Ihn zu verhindern vermocht, „Sein Angesicht festzustellen, um nach Jerusalem zu gehen". Wohl vernahm Sein Ohr das wilde Rauschen der tiefen Was ser, und aus Seiner Seele drang der Angstschrei: „Rette mich, o Gott! 
denn gekommen sind die Wasser bis an meine Seele. 

Ich versinke in tiefem Schlamm, und kein Grund ist da; in die Wasser-Tiefen bin ich gekommen, und die Flut überströmt mich. Ich bin müde vom Rufen" (Ps. 69, 1—3). Aber nichts vermochte dem mächtigen Strome Seiner Liebe Schranken zu setzen; sie überflutete die Wogen der Wasser-Tiefe; denn freiwillig nahm Er aus der Hand des Vaters den Kelch des Zorns und stürzte Sich in die Fluten des Todes, um die Seinigen ins Leben zu rufen und sie den Strahlen einer göttlichen Liebe auszusetzen. 

In dem vorliegenden Kapitel finden wir aber diese Liebe in einer ganz besonderen Weise vor unsere Augen gestellt. Während die Sünde in dem Verrat des Judas Iskariot die scheußlichste Form anzunehmen beginnt, und während der Herr die Stunde nahen sieht, in welcher Er, 
als die Folge dieses Verrates, zum Väter hingehen sollte, entwickelt sich hier eine Szene, die uns deutlich erkennen läßt, daß Seine Liebe, die ohne Zweifel am Kreuz ihre ganze Schönheit entfaltete, selbst nicht durch den Tod in ihrem Laufe unterbrochen werden konnte. 

Sie 
hat sich nicht erschöpft. Über Grab und Tod hinaus ergießt sich ihr mächtiger Strom; denn „da Er die Seinigen in der Welt geliebt hatte, liebte Er sie bis an das Ende" (V. 1). 

Es nahte die schreckliche Stunde der Finsternis — jene Stunde, in welcher des Menschen Bosheit den höchsten Gipfel erstieg; und noch einmal versammelte der scheidende Herr die Seinigen, um mit ihnen vor Seinen Leiden das Passah zu essen. Die Schrecken des Todes in Seinem Herzen müssen, dem Gefühle der zärtlichsten Sorgfalt Platz machen.

 Gezählt sind die Augenblicke Seines Hierseins; aber noch ist der Hirte der Schafe nicht geschlagen, noch der Bräutigam nicht hinweggenommen. Mit der fürsorgenden Liebe eines Hausvaters sitzt Er im Kreise Seiner Familie am Abendtisch; und weder der Gedanke an den Ihn verleugnenden Petrus, noch der Gedanke an die fliehenden Jünger, noch endlich der Gedanke an den Verräter und an die schrecklichen Folgen dieses Verrates — nichts stört in diesem feierlichen Augenblicke die Freude dieser süßen Gemeinschaft des Herrn mit Seinen Jüngern, bis die Stunde der Finsternis anbricht und der Kelch des Zorns geleert wird, bis der Mensch die frevelnde Hand an die heilige Person des Herrn gelegt und seine Verwerflichkeit unzweideutig ans Licht gestellt hat, und bis endlich das vergossene Blut des wahren Opferlammes nach den Ratschlüssen Gottes zu einer unversiegbaren Reinigungsquelle geworden ist, die da reinigt von aller Sünde. 

Jetzt aber bricht ein neuer Moment an. Das Werk der Erlösung ist vollbracht; und von dem Augenblicke an, wo Jesus „aus dieser Welt zu dem Vater hinging", ist Seine Liebe in eine neue Bahn gelenkt worden. Wie Er es bei Seiner Himmelfahrt in Wirklichkeit getan hat, so verläßt Er vorbildlich (V. 4) Seinen Platz inmitten Seiner Jünger. In dem Bewußtsein, daß der Vater Ihm alles in die Hände gegeben, und daß Er von Gott ausgezogen und zu Gott hingehe, „steht Er vom Abendessen auf und legt die Oberkleider ab, und nahm ein Leintuch und umgürtete Sich. Darauf gießt Er Wasser in das Waschbecken, und fing an die Füße der Jünger zu waschen und mit dem Leintuch, womit Er umgürtet war, abzutrocknen" (V. 4. 5).

 Von dem Augenblicke an, wo der Herr Sich von Seinem Platze erhob, war vorbildlich das Werk der Erlösung eine vollendete Tatsache; es begann eine neue Stellung, und Seine Liebe drängte Ihn in eine neue Art des Dienstes. Und dieser Dienst ist die Fußwaschung — eine Handlung, die sich stets wiederholt und darum der Gegenwart und der Zukunft angehört. Er geht nicht noch einmal für uns in den Tod; aber ununterbrochen wäscht Er unsere Füße, nachdem Er gestorben, auferstanden und zur Rechten des Vaters erhöht ist. 

Ja, Er wäscht unsere Füße. Anbetungswürdige Liebe! Wir sehen Ihn, den Sohn Gottes, Ihn, durch Den und für Den alle Dinge sind, Ihn, den Abglanz der Herrlichkeit und den Abdruck des Wesens Gottes, Ihn, der, nachdem Er durch Sich Selbst die Reinigung unserer Sünden gemacht, Sich zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt hat, Ihn sehen wir in der Stellung und in dem Gewände eines Dieners. Seine Lenden sind umgürtet; und in Seiner Hand trägt Er das Wasch¬ 
becken, um die beschmutzten Füße der Seinigen von jedem Flecken zu reinigen. Wahrlich, die Würde und Herrlichkeit Dessen, den wir in solch herablassender Liebe tätig sehen, erhöht den Wert und die Schönheit dieser Handlung. 

Was könnte erhabener und höher sein, als der 
•Platz, den Jesus verließ, um unseren Bedürfnissen zu begegnen; und was könnte niedriger sein, als der mit Schmutz besudelte Fuß eines Wanderers? Aber das eben ist der Ruhm unseres geliebten Herrn, daß Er den ganzen Zwischenraum, die große Kluft zwischen Oben und Un¬ 
ten, mit Seiner Liebe ausgefüllt, denn indem die eine Seiner Hände auf dem Throne Gottes ruht und die andere sich mit den Füßen Seiner Heiligen beschäftigen kann, bildet Seine Person das geheimnisvolle Band zwischen diesem erhabenen Throne und den in Niedrigkeit wandelnden Füßen. 

Wir bedürfen einer vollkommenen Reinigung — einer Reinigung, die der Gegenwart Gottes völlig angemessen ist; und der Herr sei gepriesen, daß in Seinen Gefühlen gegen uns keine Veränderung, kein Wechsel ist, und daß Er, dem der Vater alles in die Hände gegeben, 
die Arbeit einer liebevollen Fürsorge in Ewigkeit nicht unterbricht. Sei es in Seiner Niedrigkeit, sei es in Seiner Herrlichkeit — immer war und bleibt Er in der Mitte der Seinigen „als der Dienende". In jedem Teile unseres inneren Lebensganges hat Er unseren Bedürfnissen völlig 
entsprochen. 

Er begegnete uns zuerst in erbarmender Liebe, als wir, niedergebeugt unter dem zermalmenden Gewichte unserer Sündenschuld, in Seinem kostbaren Blute Vergebung, Gerechtigkeit, Leben und Frieden fanden; und für immer sind unsere Sünden mit all ihren erschrekkenden Folgen verschlungen durch die hochgehenden Wogen göttlicher Gnade. Die Auferstehung des Herrn und Sein Hingang zum Vater ist ein kräftiger Beweis, daß Sein Blut ins Heiligtum getragen ist, und 
daß unsere Sünden für immer vor dem Angesicht Gottes hinweggetan sind. Hier bedarf es keiner zweiten Waschung; das vergossene Blut hat eine vollkommene Reinigung zu Wege gebracht; „denn durch e i n Opfer hat Er auf immerdar die, welche geheiligt werden, vollkommen gemacht" (Hebr. 10, 14). 

Petrus weicht zurück bei dem Gedanken an eine solche Erniedrigung Seines Herrn; und wiewohl Dieser dem feurigen Jünger versichert, daß er erst hernach Seine Handlung begreifen werde, so weigert er sich dennoch, seine Füße hinzuhalten, indem er sagt: „Du sollst in 
Ewigkeit nicht meine Füße waschen." Ach, wie viele Gläubige gleichen ihm, weil sie weder die Notwendigkeit dieser Fußwaschung begreifen, noch überhaupt das demütigende Gefühl besitzen, daß von ihren Sünden nichts anderes sie zu reinigen vermag, als die Erniedrigung Christi! Petrus weigert sich; denn er versteht weder die Bedeutung noch den Zweck dieser gnadenreichen Handlung, und erkennt nicht, daß gerade diese Herablassung Seines Herrn bis zur Stellung des niedrigsten Dieners die Herrlichkeit desselben auf das Klarste ausstrahlen läßt.

 Drängt ihn aber die Erkenntnis der Folgen seiner Weigerung zu; dem Rufe: „Herr, nicht meine Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt," (V. 9) so sehen wir, wie die Unwissenheit und Kurzsichtigkeit des armen Jüngers ihn aus einem Irrtum in den anderen leitet. Hat er soeben noch die zum Waschen benetzte Hand abgewiesen und sich gesträubt, eine Handlung der zärtlichsten Fürsorge an sich vollziehen zu lassen— eine Handlung, die, wollte er anders die praktische Gemeinschaft mit Gott genießen und seine Füße in das Heiligtum stellen, eine 
unbedingte Notwendigkeit war, so zeigt die bereitwillige Preisgebung seines ganzen Leibes nur zu deutlich, daß er die Vollgültigkeit des Opfers Christi, die vollkommene Abwaschung des Sünders durch das. 
Blut keineswegs begreift. Wer gebadet ist, hat nicht nötig, als sich die Füße zu waschen, son¬ 
dern ist ganz rein" (V.10). Wie erhaben klingt diese Wahrheit aus dem Munde Dessen, der allein würdig erfunden ward, die Reinigung unserer Sünden zu vollenden! So wie der, welcher aus einem Bade steigt, ganz rein ist, aber auf dem Wege bis zum Ankleidezimmer durch die Be22 
rührung des Bodens seine Füße beschmutzen kann, ebenso sind wir in der Reinigungsquelle des Blutes Christi von unseren Sünden gänzlich gewaschen, können aber, wandelnd bis zu dem Orte, wo wir die Kleider der Unsterblichkeit und der Herrlichkeit anziehen, durch die Berührung mit einer Welt voll Sünde unsere Füße verunreinigen. 

Wer an Jesum glaubt, der ist so rein, wie Sein Blut zu reinigen vermag; er bedarf keines neuen Bades, und nirgends ist ein solches zu finden. Nicht ein einziger Flecken bleibt vor Gott auf dem Gewissen des Gläubigen zurück; denn er ist durch den Willen Gottes geheiligt „durch das ein für allemal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi." Durch die Annahme, daß wir einer nochmaligen Waschung bedürfen, unterschätzen wir den Wert und die Fülle des Blutes Christi und würdigen es herab zu der Gleichheit des Blutes der „Stiere und Böcke". Bin ich in dem Blute Christi gewaschen, so bin ich vollkommen und rein gemacht — rein, um vor Gott stehen zu können.

 Wessen bedarf ich ferner? Nichts als des Waschens meiner Füße. Nur einmal bei der Weihe des im Tempel dienenden Priesters fand eine Waschung seines ganzen Leibes statt, und nimmer wiederholte sich diese Handlung. Aber jedes mal beim Beginn des Dienstes war er, um Gott nahen zu können, genötigt, sich die Hände zu waschen. In demselben Falle befindet sich der Gläubige. Gereinigt durch das Blut, ist er ein für allemal für den priesterlichen Dienst fähig gemacht; aber nun bedarf er der Anwendung des Wortes durch den Heiligen Geist, um seine Gemeinschaft mit Gott zu unterhalten und wieder herzustellen, indem dieses Wort uns von dem reinigt, welches — wenn wir im Wandel unsere Füße beschmutzt haben — uns verhindert, diese Gemeinschaft praktisch verwirklichen zu können. Würde die Fußwaschung unterbleiben, dann könnte bei dem, in sich selbst armen, schwachen, durch eine schmutzige und beschmutzende Welt pilgernden Gläubigen keine ununterbrochene Gemeinschaft stattfinden. 

Welch ein Segen, daß unser Herr, an den Lenden umgürtet und mit dem Waschbecken in der Hand, uns stets begegnet und die Reinigung unserer Füße bewirkt, die, solange wir hienieden wallen, den Boden einer sündlichen Welt berühren müssen! Hierzu aber bedarf es nicht des Blutes, sondern des Wassers — jenes Bildes des durch den Heiligen Geist angewandten Wortes. Er reinig t unser e Gewisse n durc h Sein Blut u n d reinigt unser e Wege durch Sei  Wort. Er wäscht jeden Flecken ab, der sich uns auf unserem täglichen Wege ansetzt, sodaß wir stets in der gesegneten Stellung bleiben können, in welche uns Sein kostbares Blut gebracht hat. Die Gewissen sin d und die Füße werden gereinigt, und zwar nach den Anforderungen des Heiligtums. 

Alles, was Gott auf meinem Gewissen sah, ist abgewaschen durch das Blut Seines Sohnes; und alles, was Er in meinem praktischen Wandel als unrein erblickt, wäscht Er hinweg durch Sein Wort, sodaß Er zu mir und zu allen Gläubigen sagen kann: „Ihr seid rein" (V. 10). Nur die Erkenntnis dieser gesegneten Wahrheit erhält das Herz in ungetrübtem Frieden. Ich schaue eine Liebe, die tätig war im Tod e zu meiner Rettung, und ich sehe eine Liebe, die ununterbrochen tätig ist im L e b e n zu meiner Bewahrung. Nicht durch meine mangelhafte Erkenntnis, insoweit ich den Schmutz sehe, ist die Wirkung einer solchen Liebestätigkeit begrenzt, nein, die Wirkung des Blutes und des Wassers befriedigt das bis in alle Tiefen schauende Auge Gottes. 

Hierin liegt für uns die völligste Sicherheit. Würde nicht das Wort Gottes uns bezeugen, daß aller Schmutz, der sich unsern Füßen während des Wandeins durch die Wüste anklebt, bis zu den feinsten Stäubchen fortwährend durch die göttliche Handlung entfernt würde, dann 
könnte weder von einer Ruhe im Herzen, noch von einem Gott wohlgefälligen Dienst die Rede sein; und dieses umso weniger, als wir die Herrlichkeit unserer Stellung und unseres Weges verstehen. Nein, die Wirkung dieser Liebe ist vollkommen. Sowohl die Handlung, die wir 
hier unsern gepriesenen Herrn vollziehen sehen, als auch Seine Eigenen Worte in Joh. 17, wenn Er sagt: „Ich bitte nicht, daß Du sie aus der Welt wegnehmest, sondern daß Du sie vor dem Bösen bewahrest," — zeigen uns die Kraft dieser Liebe und offenbaren uns ein Herz, für welches wir die Gegenstände der zärtlichsten Fürsorge sind.

 Im Lichte göttlicher Offenbarung erblickt das Auge des Glaubens in der Hand des umgürteten Herrn stets das geheimnisvolle Waschbecken; und tiefer Friede erfüllt unser Herz, wenn wir erkennen, daß Der, welcher uns durch das Kreuz in unsere gesegnete Stellung führte, unermüdlich beschäftigt ist, uns in derselben zu bewahren und unsere Beziehungen 
zu Gott aufrecht zu erhalten. „Da Er die Seinigen in der Welt geliebt hatte, liebte Er sie bis ans Ende." Ja, bis an das äußerste Ende der Zeiten, durch all die Wechsel dieses sich stets ändernden Schauplatzes hindurch, übt die Liebe Tag für Tag und in allen Umständen ihr geseg¬ 
netes Werk. Nachdem Er das Werk, welches Ihm der Vater zu tun gegeben, vollbracht und diese Erde verlassen und Sich zur Rechten Gottes gesetzt hat, hat Er begonnen, die Füße Seiner Jünger zu waschen, und Er wird dieses tun, so lange sie hienieden des Pilgerstabes und der 
Streitwaffe bedürfen. Und selbst in der Herrlichkeit des Reiches „wird Er Sich gürten und Sich bereiten, die Seinigen zu bedienen." 

„Werde ich dich nicht waschen, so hast Du kein Teil mit mir," — sagt der Herr zu dem sich weigernden Petrus; und diese Worte geben den Schlüssel zum Verständnis dieser stets in Tätigkeit gesetzten Liebe, deren Frucht es ist, daß wir nicht nur Teil a n Jesu haben, sondern Teil m i t Ihm an den Segnungen Seines Todes und Seines Lebens, Teil mit Ihm an der Liebe des Vaters und an der zukünftigen Herrlichkeit als die Erben Gottes, und Teil mit Ihm an der Herrschaft über alle Dinge. Im Hinblick auf Seine Herrlichkeit, der Er entgegen ging, wusch Er den Jüngern die Füße, um ihnen dadurch zu erklären, daß Seine Liebe bis ans Ende dauern und daß sie, eins mit Ihm, an allem teilhaben würden. 

Es kann nicht genug wiederholt werden, daß, wenn wir der Erlösung durch Sein Blut uns erfreuen, unsere Gewissen vollkommen gereinigt sind, weil Christus immer für uns vor Gott steht und Sein Blut sich an der Stelle befindet, wo früher unsere Sünden gesehen wur¬ 
den. Aber es ist wichtig, daran zu denken, daß jede Verunreinigung unserer Füße, unseren Sinn und unser Bewußtsein befleckt, sowie die Herrlichkeit, zu der wir berufen sind, verdunkelt und unsere praktische Gemeinschaft mit Gott unterbricht. Wir bedürfen der Fußwaschung; und da wir Teil mit Christo haben sollen, so fährt Er fort in Seiner Liebestätigkeit, um alles das aus unserem Bewußtsein zu entfernen, was unsere Gemeinschaft mit Gott und den Genuß unserer Segnungen in Frage stellen will. 

Bleibt die geringste Schuld in unserm Bewußtsein zurück, so ist unsere Ruhe gestört und der auf die Herrlichkeit gerichtete Blick umdüstert. Der Zweck der Fußwaschung aber ist, uns von unsern Befleckungen zu reinigen, das Bewußtsein der vollständigsten Vergebung wieder herzustellen und uns in die ungehinderte Gemeinschaft mit Gott und zu dem Genuß der daraus entspringenden Segnungen zurückzuführen. O preiswürdige Liebe! Sie siegt über jedes 
Hindernis, über all die Verirrungen und Mängel derer, die Teil mit Jesu haben. 
Es ist sehr wohltuend für unser Herz, daß der Herr in der Herrlichkeit mit denselben Gefühlen erfüllt ist, die Ihn vor Seinem Hingang zum Vater leiteten, die Füße der Jünger zu waschen. 

Mit dem innigsten Mitgefühl schaut Er herab auf unsere Mühen, unsere Hindernisse 
und Trübsale; und Seine mächtige Hand ist tätig, alles hinwegzuräumen, was unsern Frieden stören will. Er will stets als der Dienende bleiben. Er ist in Wahrheit jener im 21. Kapitel des 2. Buches Mose beschriebene Knecht, dem sein Herr während seines Dienstes ein Weib und Kinder gegeben hatte, und der, obgleich er nach Ablauf seiner Dienstzeit für sich selbst frei ausgehen konnte, zum Zeichen seines ewige n Dienstes sein Ohr an den Türpfosten durchbohren ließ und 
laut bekannte: „Ich liebe meinen Herrn, mein Weib und meine Söhne; ich will nicht frei ausgehen." —

 Auch Ihm, unserm geliebten Herrn, gab der Vater ein Weib, die Kirche, die im Epheserbriefe als Fleisch von Seinem Fleisch und als Bein von Seinem Bein betrachtet wird, und 
Er gab Ihm Kinder, mit denen Er vor Gott hintritt und sagt: „Siehe ich und die Kinder, welche mir Gott gegeben hat" (Hbr. 2, 13). Er hat freiwillig aus Liebe zu Seinem Herrn, und aus Liebe zu Seinem Weibe und den Kindern, einen ewigen Dienst Seiner Freiheit vorgezogen, und dieses allein ist der Grund, daß selbst der schrecklichste Tod der Tätigkeit Seiner Liebe keine Schranken zu setzen vermochte. 
Er will stets als der Dienende sein. Selbst in der zukünftigen Haushaltung will Er diesen Dienst nicht aufgeben. Nicht nur jetzt, wo die Jünger, bekleidet mit einer irdischen Hülle, durch die Berührung mit einer befleckenden Welt in ihrer praktischen Gemeinschaft mit Ihm und Seinem Vater gestört werden, will Er ihre Füße waschen, sondern auch dann, wenn sie mit Ihm in Seiner Herrlichkeit sind, wird Er Seine Gemeinschaft mit dem Vater und Seine Macht über alle Werke, welche der Vater in Seine Hände gelegt, dazu anwenden, um ihnen den Vollgenuß der Herrlichkeit und der vollkommensten Segnungen zu sichern. 

„Er wird sich umgürten und sie sich zu Tische legen lassen , und wir d hinzutrete n un d si e bedienen " (Luk. 12, 37), indem Er ihnen all das mitteilt und offenbart, was sie zu ihrer 
vollkommenen Glückseligkeit bedürfen. Jetzt befinden wir uns freilich noch in einer Welt, wo Satan auf unsere irdische Natur zu wirken sucht. In gewissem Sinne können wir nicht ohne Befleckung die Welt berühren. Allein das vollkommene Opfer Christi hat dafür gesorgt, daß dieses uns weder aus unserer Stellung in Christo herausbringt, noch unsern Rechtsanspruch als Priester vor unserem Gott und Vater verändert; und da der Herr durch die Fußwaschung jede Befleckung hinwegnimmt und uns von dem Einfluß und der Macht der Dinge befreit, welche dieselbe verursachen, so sind wir jetzt schon in den Stand gesetzt, die völlige Gemeinschaft mit Ihm an jenem heiligen Platze zu genießen, in welchen uns Gott hat mit auferweckt und mit sitzen lassen in Christo Jesu. 
Richten wir jetzt zum Schluß unseren Blick auf den weiteren Verlauf dieser lieblichen Szene. Die Handlung des Herrn ist beendet; die Füße der Jünger sind gewaschen. Er legt die Oberkleider an, läßt Sich wieder in dem Kreise der Seinigen nieder und sagt: „Wisset ihr, was 
ich euch getan habe? Ihr heißt mich Lehre r und Herr , und ihr saget recht;' denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und Lehrer, eure Füße gewaschen habe, so seid auch ihr schuldig, einander die Füße zu waschen. Denn ein Beispiel habe ich euch gegeben, auf daß, gleich wie 
ich euch getan habe, auch ihr tut" (V. 13—15). Also auch wir sollen unseren Brüdern die Füße waschen. In welcher Weise kann dies geschehen? Dadurch, daß wir Seinem Beispiel nachahmen.

 Wie geduldig ertrug Er die Schwachheiten, die Verirrungen und Fehler Seiner Jünger; 
wie brünstig war Seine Fürbitte, wie tätig Seine Hand, um aus ihrem Sinn und Herzen alles zu entfernen, was sie beschmutzte! Und diese Gefühle, die Ihn hienieden leiteten zu der Stellung eines Dieners, sind auch in der Herrlichkeit dieselben geblieben. Seine Liebe bleibt ungehemmt in Tätigkeit. Welche Ehre, welches Vorrecht, Seine Gehilfen sein zu dürfen! Auch wir sollen gleich Ihm die Unwissenheit, die Verirrungen, Schwachheiten und Fehler unserer Brüder ertragen und auf Grund der Fürbitte Jesu bemüht sein, durch Anwendung des Wortes Gottes Alles hinwegzuräumen, was ihren Sinn und ihr Gewissen befleckt und die Segnungen ihrer Gemeinschaft mit Christo und dem Vater hindert. 

Ach, wie unfähig fühlen wir uns oft in diesem Dienst, wie gering ist unsere Liebe, wie wenig demütig unser Herz, wie mangelhaft unsere Fürbitte! Woran liegts? Daran, daß wir zu wenig Seine Gegenwart genießen, und zu wenig unsere eigenen Füße hinhalten, damit Er sie reinige von jeder Befleckung.' Unser Dienst in Betreff der 
Brüder wird stets durch unsere praktische Gemeinschaft mit Ihm bedingt sein. Nur im Genüsse Seiner Liebe werden wir Sein Herz verstehen und von Seiner Gesinnung, Seinem Mitgefühl durchdrungen sein; nur in Seiner gesegneten Nähe lernen wir nicht auf das unsrige, sondern 
auf das, was des Andern ist, zu sehen und die wahre Stellung eines Dieners einzunehmen. 

Und, geliebte Brüder, beachten wir es, daß unser Herr in dem Bewußtsein Seines nahen Hingangs in Seine Herrlichkeit, zu der auch wir mit Ihm Teil zu haben berufen sind, gewiß auch unsere Herzen würden fähiger sein, dem Beispiel unseres Herrn nachzuahmen und uns unter¬ 
einander die Füße zu waschen. Wir würden es als ein Vorrecht betrachten, den niedrigsten Dienst an den Seinigen vollziehen zu können, weil ein solcher Dienst Sein Herz mit Freude und Wonne erfüllt. Laßt uns daher nicht müde werden, unsere schwachen und irrenden Brüder durch brüderliche Ermahnungen und liebevolle Zurechtweisungen in den Genuß einer süßen Gemeinschaft zurückzuführen. 
 
Möge der Herr uns eingehen lassen in die Wahrheit und den Wert dieses Dienstes und uns fähig machen, in Seiner Gesinnung Seiner Aufforderung Gehör zu geben, wenn Er in dem Gefühle der zärtlichsten Fürsorge sagt: „Wenn nun ich, euer Herr und Lehrer, eure Füße gewaschen habe, so seid ihr schuldig, einander die Füße zu waschen." 

Johannes 9 Der Blindgeborene Bettler 1866 BdH

07/26/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Botschafter des Heils in Christo 1866

„Ein blindgeborener Bettler!“ Welch ein Ausdruck von Hilflosigkeit und Not! Welch ein treffendes Gemälde von dem wirklichen Zustand der jüdischen Nation und von jeder unbekehrten Seele! Es ist ein höchst anziehendes Stück lebendiger Geschichte – eine Szene aus dem wirklichen Leben. Richten wir etliche Augenblicke unsere Aufmerksamkeit darauf.

Bei Betrachtung des 9. Kapitel Johannes werden zwei sehr wichtige Fragen in uns angeregt, nämlich erstens: „Was tat Jesus für mich?“ – und zweitens: „Was ist Jesus für mich?“ Diese Fragen sind sehr verschieden und dennoch enge mit einander verbunden. Wir werden sie beide in der vor uns liegenden Erzählung erläutert finden.

Am Schluss des 8. Kapitels sehen wir, wie sich der Herr Jesus der rohen Gewalttätigkeit der Juden entzieht, deren Wut durch sein bestimmtes und kräftiges Zeugnis den höchsten Gipfel erreicht hatte. „Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: ehe Abraham ward, bin ich. Da hoben sie Steine auf, dass sie auf Ihn würfen. Jesus aber verbarg sich und ging aus dem Tempel, durch ihre Mitte hindurchgehend, und ging also vorbei.“ – das war die Vergeltung, die dem hoch gepriesenen Herrn für all seine Gnade und Wahrheit zu Teil wurde. Aber der höchste Grad von Rohheit und Gewalttätigkeit vermochte den Lauf seines unermüdlichen Dienstes nicht zu unterbrechen. Der Strom der Güte wälzte sich vorwärts und ließ sich durch all die Gottlosigkeit des Menschen nicht eindämmen. Und konnte dieser Strom an dem einen Orte keinen Kanal finden, so fand er ihn an dem anderen. Fehlte ihm hier der Ausgang, so suchte er dort einen solchen. Unbedingt musste die kostbare Gnade in dem Herzen Jesu irgendwo einen Gegenstand finden. Ewiglich sei sein Name gesegnet!

„Und vorbeigehend sähe Er einen Menschen, blind von Geburt. Und seine Jünger fragten Ihn und sagten: Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist? Jesus antwortete: Weder dieser hat gesündigt, noch seine Eltern, sondern dass die Werke Gottes an ihm offenbar würden. Ich muss die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.“ So stand es bei diesem gesegneten Arbeiter. Ungehindert verfolgte Er durch alle Feindseligkeit und Widersetzlichkeit des menschlichen Herzens seinen Dienstpfad. „Solange ich in der Welt bin, bin ich ein Licht der Welt.“ Ja, und dieses Licht sollte leuchten trotz aller Anstrengungen der Menschen, um es auszulöschen. Die Steine der Juden konnten den göttlichen Arbeiter nicht an dem Wirken der Werks Gottes hindern; und diese Werke sollten an irgendeinem blindgeborenen Bettler, der seinen Pfad in dieser dunklen und sündigen Welt durchkreuzte, offenbar werden. Wie gesegnet zu wissen, dass dieses so herrliche Werk Gottes in der Rettung verlorener, schuldiger und verdammungswürdiger Sünder sich gänzlich entfaltet hat!

„Als Er dieses gesagt hatte, spuckte er auf die Erde und machte Kot aus dem Speichel, und strich den Kot wie Salbe auf die Augen des Minden, und sprach zu ihm: Gehe hin und wasche dich in dem Teich Siloah, (was verdolmetscht wird: gesandt). Er ging nun hin und wusch sich und kam sehend.“

Richte auf diesen Vorgang deine ganze Aufmerksamkeit, mein teurer Leser. Diese geheimnisvolle Handlung Christi birgt mehr in sich, als wir auf den ersten Blick uns vorstellen mögen. Kot ans die Augen eines Sehenden zu streichen, würde die geeignetste Weise sein, um ihn zu blenden; aber hier öffnet der Herr Jesus durch dasselbe Mittel die erblindeten Augen eines Bettlers. Was sehen wir darin? Gerade das tiefe und kostbare Geheimnis der Person und des Werkes Christi selbst, wie Er am Schluss dieses inhaltsschweren Kapitels sagt: „Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen, auf dass die Nichtsehenden sehen, und die Sehenden blind werden“ (V 39).

Welch ein ernstes Wort! „Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen.“ Wie ist das zu verstehen? Kam Er nicht zu suchen und zu erretten, was verloren war? Gewiss, Er selbst versichert uns dieses zum wiederholten Mal. Warum aber sagt Er hier: „zum Gericht?“ Der Sinn ist einfach folgender. Der Zweck seiner Sendung war die Erlösung; die moralische Wirkung seines Lebens war das Gericht. Er richtet Keinen, und dennoch richtet Er einen jeglichen. Das Leben Christi hienieden war die kräftigste Probe, die je auf den Menschen angewandt worden war, oder je angewandt werden konnte. Deshalb konnte Er sagen: „Wenn ich nicht gekommen wäre und nicht zu ihnen geredet hätte, so hätten sie keine Sünde; jetzt aber haben sie keinen Vorwand für ihre Sünde. Wenn ich nicht die Werke getan hätte unter ihnen, die kein anderer getan hat, so hätten sie nicht Sünde. Jetzt aber haben sie gesehen und gehasst beide, mich und meinen Vater“ (Joh 15,22–24).

Es ist sehr nützlich, die Wirkung des Charakters und Lebens Christi hienieden zu beobachten. Er war das Licht der Welt; und dieses Licht wirkte in einer zweifachen Weise. Es überführte und bekehrte, es richtete und errettete. Außerdem verblendete es durch seinen himmlischen Glanz alle diejenigen, welche sehend zu sein glaubten, während es zu gleicher Zeit alle die erleuchtete, welche wirklich ihre moralische und geistliche Blindheit fühlten. Er kam nicht um zu richten, sondern um zu erretten; und dennoch richtete Er, als Er kam, einen jeglichen, und stellte jeden Menschen auf die Probe. Er war verschieden von allem, was Ihn umgab, wie das Licht inmitten der Finsternis; und dennoch rettete Er alle, welche das Gericht annahmen und ihren wahren Platz einnahmen.

Dasselbe gewähren wir beim Anschauen des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus. „Das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die wir selig werden, ist es Gotteskraft ... Wir aber predigen Christus, den Gekreuzigten, den Juden ein Anstoß, und den Nationen eine Torheit; den Berufenen selbst aber, sowohl Juden als Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ (1. Kor 1,18 23–24). Von menschlichem Gesichtspunkt aus betrachtet, stellte das Kreuz ein Schauspiel von Schwachheit und Torheit dar; aber von göttlichem Gesichtspunkt aus angeschaut, war es die Darstellung der Macht und der Weisheit.

 Die Juden, welche dasselbe durch den Nebel menschlicher Satzungen beschauten, ärgerten sich daran; und die Griechen, welche es von der eingebildeten Höhe der Philosophie anblickten, stießen es als ein verächtliches Ding von sich. Aber der Glaube eines armen Sünders, welcher das Kreuz aus der Tiefe der bewussten Schuld und des Verderbens betrachtete, fand darin eine göttliche Antwort auf jede Frage, eine göttliche Hilfe für jede Not. Der Tod Christi, wie sein Leben richtete jeden Menschen; und dennoch fanden ihre Rettung darin alle, welche das Gericht annahmen und ihren wahren Platz einnahmen.

Es ist von keinem geringen Interesse, den Keim von diesem allen in dem Verhalten des Herrn gegen den Blindgeborenen zu finden. Er strich Kot auf seine Augen und sandte ihn nach dem Teich Siloah. Das war „Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit.“ Es war die Anwendung der Lehre von Christus in der Kraft des Heiligen Geistes durch das Wort. Also muss es stets sein. Wenn jemand, welcher sehend zu sein glaubt, diese Lehre betrachtet, so wird sie seine Augen verblenden; und wenn jemand, welcher blind ist, in der Kraft des Heiligen Geistes durch das Wort diese Lehre seinem Herzen zueignet, so wird sie seine Augen öffnen und ihn mit göttlichem Licht erfüllen.

Verfolgen wir indessen die Geschichte des Blindgeborenen. Kaum waren seine Augen geöffnet, so wurde er ein Gegenstand des Interesses für die Umgebung. „Die Nachbarn nun, und die ihn früher gesehen hatten, dass er Bettler war, sagten: Ist dieser nicht, der da saß und bettelte? Einige sagten: Er ist es. Andere aber: Er ist ihm ähnlich. Er sagte: Ich bin es.“ – Die Veränderung war allen offenbar. Er hätte unbeachtet und unbemerkt in Dürftigkeit und Blindheit gelebt haben und gestorben sein können; aber er war in eine persönliche Berührung mit dem Sohn Gottes gekommen; und diese Berührung hatte eine Veränderung zuwege gebracht, die nicht ermangeln konnte, die Aufmerksamkeit der Umgebung auf sich zu lenken. Also muss es stets sein. 

Es ist unmöglich, dass jemand mit Christus in Berührung gekommen sein kann, ohne etwas zu erfahren, was er nicht verbergen kann vor denen, welche ihn beobachten. Ein persönliches Zusammentreffen mit Christus ist eine göttliche Wirklichkeit. In dem wirklichen Berühren Jesu liegt Leben und Macht. Ein einziger Glaubensblick auf den Heiland der Sünder – den Lebensspender der Toten erzeugt die staunenswertesten Resultate.

Hast du, mein teurer Leser, die heilige und geheimnisvolle Macht dieses Zusammentreffens mit Jesu erfahren? Hast du die wunderbare Kraft seines Anrührens oder seines Anblicks gekostet? Sei versichert, dass nichts Geringeres dir etwas nützen kann. Du kannst liebenswürdig, moralisch und sogar religiös, und dennoch durchaus ohne eine göttliche, lebendige, persönliche Verbindung mit Christus sein. Das ist sehr ernst. Wie gern möchten wir dich leiten, diesen Ernst zu fühlen! Und wenn du wirklich davon überzeugt bist, dass du, was dich betrifft, keine Lebensgemeinschaft mit Christus hast, dann lass dich inständig von uns bitten, auf seine Stimme zu lauschen und dich in kindlichem Vertrauen zu ihm zu wenden. Wirf dich nur im Glauben auf Ihn, und deine geistlichen Augen werden sogleich die Kraft jenes geheimnisvollen Kotes verspüren, womit Jesus die Augen des Blinden salbte; und alle in deiner Umgebung werden es erfahren, dass du bei Jesus gewesen bist. Sei nicht gleichgültig in dieser Sache. 

Sage nicht: „Ich habe noch Zeit genug.“ Jetzt ist die Zeit Gottes. Für dich gibt es kein Morgen. Jesus geht jetzt an dir vorüber. Er wartet, um dich mit offenen Armen zu empfangen, um dich dem Zustand der Blindheit und der Dürftigkeit zu entreißen, und um dich mit den Reichtümern Christi auszusteuern. Dann wirst du inmitten deiner Nachbarn und Freunde ein Zeuge Jesu sein. Sie werden erkennen, dass es mit dir nicht mehr ist, wie es zu sein pflegte – dass eine wirkliche Veränderung stattgefunden hat – dass die Leidenschaften und Begierden, die Gewohnheiten und Einflüsse, welche weiland dich mit despotischer Gewalt beherrschten. Dich nicht mehr unter ihrer Herrschaft haben – dass das Böse, wenn es auch gelegentlich zum Vorschein kommt, seine frühere Macht an dir verloren hat. Gewiss es kann und wird ihnen nicht verborgen bleiben.

Wir fühlen es mit jedem Tag tiefer, dass es der große Zweck alles Predigens und alles Schreibens sein sollte, die Seele mit Christus zusammen zu bringen. Bevor dieses geschehen ist, kann bestimmt nichts geschehen. Man mag lange Predigten halten und dicke Bände schreiben, so ist dennoch, wenn die Seele des Sünders nicht in eine wirkliche, lebendige, Leben spendende Berührung mit dem Sohn Gottes gekommen ist, kein wirkliches, spürbares, bleibendes Resultat erreicht. Der Blindgeborene hätte, obgleich von allen Anwendungen des jüdischen Systems umringt, während all seiner Tage in seinem hilflosen und notleidenden Zustand bleiben müssen. Nichts, außer dein Namen Jesu, hatte irgendwelchen Wert für ihn. So ist es in allen Fällen. Niemand als Jesus kann dem Hilflosen Sünder Hilfe bringen. Aber selbstredend muss ich dann auch in eine lebendige Verbindung mit diesem göttlichen und allmächtigen Namen gebracht worden sein, um dieser Hilfe teilhaftig zu werden. 

Ich kann vorangehen und stets sagen: „Keiner, außer Jesu, kann mir helfen“, – ohne dadurch meine Lage zu verbessern. Auch die Teufe! wissen, dass keiner außer Jesu, den Hilflosen Sündern Gutes tun kann; aber es nützt ihnen nichts. Und die Menschen können die nämliche Sache wissen oder zu wissen vorgeben, und sie können das Bekenntnis als die Wirklichkeit betrachten und also sich selbst täuschen und ewiglich zu Grund gehen. Es muss ein lebendiges, die Seele mit Christus verknüpfendes Band vorhanden sein, um den Menschen dem Zustand geistlicher Blindheit und Dürftigkeit zu entreißen; und nicht nur dieses, sondern es muss auch die Macht dieser lebendigen Vereinigung gepflegt und verwirklicht werden, um in der Seele die Frische und die Fülle des göttlichen Lebens aufrecht zu erhalten. „Wie ihr nun den Christus Jesus, den Herrn, empfangen habt, so wandelt in ihm, eingewurzelt und auferbaut in ihm, und befestigt in dem Glauben, wie ihr gelehrt worden, reich seiend in demselben mit Danksagung“ (Kol 2,6 7).

Hier haben wir die beiden großen, wesentlichen Punkte, nämlich das Annehmen Christi und dann das Wandeln in Ihm. Das Erstere begegnet jedem Bedürfnis des Sünders; das Zweite entspricht vollkommen allen Forderungen des Heiligen. Es gibt viele, welche Jesus empfangen zu haben scheinen, aber nicht in Ihm wandeln. Das ist das Geheimnis der vielfachen Armseligkeit und Dürftigkeit, denen man unter den bekennenden Christen begegnet. Da zeigt sich nicht das eingewurzelte Wandeln in Christus. 

Auch andere Dinge drängen sich dazwischen. Wir beschäftigen uns oft mit der bloßen Maschinerie der Religiosität, mit Versammlungen, mit dem Dienst, mit Menschen und Dingen; und nicht selten sogar mag es geschehen, dass unsere Arbeit, unser Dienst, sich zwischen unsere Seelen und Christus stellt. Alle diese Dinge, welche sicher an ihrem Platz gut und notwendig sind, können durch den Betrug Satans und durch unseren Mangel an Wachsamkeit wirklich Christus aus unseren Seelen verbannen und sie mit Dürre und lebloser Förmlichkeit erfüllen.

O mein geliebter christlicher Leser! Lass uns zu wandeln trachten in einer dauernden Gemeinschaft mit Jesu. Mögen wir Ihn in all seiner Fülle und Kostbarkeit stets unseren Seelen vorhalten! Dann wird unser Zeugnis bestimmt, klar und verständlich, und unser Pfad in diesen Tagen oberflächlicher Bekenntnisse ein scheinendes Licht sein.

Doch kehren wir zur Geschichte unseres blinden Bettlers zurück. In den verschiedenen Klassen von Personen, welche hier unseren Blicken begegnen, gewähren wir eine höchst auffallende Charakterenthüllung. Der arme Blindgeborene selbst zeigt einen außergewöhnlichen Ernst, eine bewundernswürdige Einfalt und Aufrichtigkeit. Er erläutert durch sein Betragen sehr eindringlich den Mut und die Wichtigkeit eines treuen Nachfolgers, wenn das Licht auf unserem Pfad leuchtet. „Jedem, der hat, wird gegeben werden“, das ist das Motto, welches unsere Erzählung deutlich sichtbar an ihrer Stirn trägt, und welches antreibt, die betretene Bahn mit Eifer und Ergebenheit zu verfolgen. Es würde offenbar für das weltliche Interesse des armen Mannes förderlich gewesen sein, wenn er die Wahrheit dessen, was an ihm geschehen, verschwiegen hätte. 

Er konnte sich der Wohltat des Werkes Christi erfreuen und dennoch angesichts der Feindseligkeit der Welt, den rauen Pfad des Zeugnisses für seinen Namen vermeiden. Er konnte sich im Besitz seines Augenlichts glücklich fühlen und sich zu gleicher Zeit innerhalb der Schranken eines respektablen! Religionsbekenntnisses bewegen. Er konnte die Frucht des Werkes Christi ernten, und dennoch der Schmach des Bekenntnisses seines Namens entfliehen.

Und wie oft begegnen wir solchen Erscheinungen! Ach, wie oft! Taufende sind darüber sehr erfreut, wenn sie hören, was Jesus getan hat: aber sie wünschen nicht. Seinem verachteten und verworfenen Namen gleichförmig zu sein. Sie wünschen – um uns in einer gebräuchlichen Redensart auszudrücken – das Beste von dieser und der zukünftigen Welt sich zuzueignen, – ein Gefühl, vor welchem jeder aufrichtige Jünger Christi mit Abscheu zurückschaudern sollte, und eine Vorstellung, die der wahre Glaube durchaus nicht kennt. Es ist klar, dass der Held unserer Erzählung von dergleichen Grundsätzen nichts wusste. Seine Augen waren geöffnet worden, und Er konnte es nicht unterlassen, davon zu reden und mitzuteilen, wer es getan und wie Er es getan hatte. 

Nichts vermochte ihn davon zurück zu halten. Welch ein Glück! Es ist ein schreckliches Ding, gemischte Gefühle im Herzen zu nähren und den Herrn nicht allem den Raum in unserer Seele ausfüllen zu lassen. Solche Dinge versetzen dem wahren, praktischen Christentum und der treuen Jüngerschaft den Todesstoß. Wenn wir einem verworfenen Christus nachzufolgen begehren, so muss das Herz durchaus frei sein. Der wahre Jünger muss dasselbe von jedem persönlichen Interesse losgerissen haben. Denn alle Ziele, die man neben Jesu zu verfolgen trachtet, sind in der Hand Satans nur Mittel, um das Licht der Wahrheit in den Seelen der Menschen auszulöschen. Es mag jemand in vielen Dingen unwissend sein, aber wenn er nur aufrichtig dem Licht folgt, welches Gott so gnadenreich auf seinen Pfad strömen lässt, so wird er sicher mehr empfangen, während andererseits, wenn, um irgendeines Zweckes willen, das Licht gedämpft, die Wahrheit verdeckt und das Zeugnis unterdrückt wird, eine zunehmende Verdunkelung in der Seele Platz greifen muss.

Teurer Leser! Richte deine ernsteste Aufmerksamkeit auf diesen Punkt. Siehe zu, dass du dem empfangenen Licht gemäß handelst. Es ist ein herrliches Ding, wenn jeder frische Lichtstrahl einen Schritt in der rechten Richtung bewirkt. Und es wird stets also sein, wenn sich das Gewissen in einem guten Zustand befindet. „Der Gerechten Pfad ist wie des Lichtes Glanz, das da fortgeht und leuchtet bis auf den vollen Tag“ (Spr 4,18). „Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein; wenn aber dein Auge böse ist, so wird dein ganzer Leib finster sein.“ Wie ernst ist diese Warnung für jeden Nachfolger! „Siehe nun zu, dass das Licht, das in dir ist, nicht Finsternis sei“ (Lk 11,34). Wie kann dieses geschehen? Wie kann das Licht sich in Finsternis verwandeln? Antwort: Wo nicht dem Licht gemäß gehandelt wird, da entsteht Finsternis. Schrecklicher Gedanke! „Gib Gott die Ehre, bevor Er die Finsternis hervorruft und dein Fuß strauchelt an dunklen Bergen.“ 

Wir kennen keine schrecklichere Gefahr, als, ohne ein tätiges Gewissen, vertraut mit der Wahrheit zu sein. Ein solcher Zustand schleudert die Seele in die Hände Satans, während ein waches Gewissen – ein aufrichtiges Gemüt – ein einfältiges Auge – uns beständig auf dem heiligen, friedlichen und lichten Weg Gottes wandeln lässt. Darum sagt der Herr: „Wenn nun dein ganzer Leib licht ist und keinen finsteren Teil hat, so wird er ganz licht sein, wie wenn die Lampe mit dem Schein dich erleuchtete“ (Lk 11,36). Es wird also, mit anderen Worten, jemand, dessen Auge einfältig ist, nicht nur Licht für sich selbst besitzen, sondern er wird auch ein Fackelträger für andere sein, während hingegen jemand, dessen Auge nicht einfältig, und dessen Herz mit gemischten Gefühlen erfüllt ist, nicht nur für sich selbst in moralische Finsternis gehüllt ist, sondern sich auch als eine Unehre für den Namen Christi, als ein Werkzeug in der Hand Satans und als ein Stein des Anstoßes für seine Mitmenschen kundgibt.

Diese Wahrheit ist in den Tagen oberflächlicher Glaubensbekenntnisse und einer weltlichen Religiosität van der äußersten Wichtigkeit. Die evangelische Lehre hat eine weite Ausbreitung gefunden; und während wir alle Ursache haben, für die Lehre und ihre Ausbreitung wahrhaft dankbar zu sein, so sind wir andererseits benötigt, gegen den Gebrauch, den der Teufel davon zu machen sich bemüht, wachsam zu sein. Wir sind von der Überzeugung tief durchdrungen, dass das selbst genügsame, oberflächliche Glaubensbekenntnis der gegenwärtigen Stunde nichts weiter ist, als ein Anbahnen des Weges für den finsteren und erschreckenden Unglauben der Zukunft. Wir bedürfen einer größeren Tätigkeit des Gewissens. Wir sind von dem Geist des Evangeliums nicht genügend durchdrungen. Der Feind ist zwar nicht fähig gewesen, das reine Licht des Evangeliums auszulöschen. 

Die finstere Wolke der Unwissenheit und des Aberglaubens, welche jahrhundertlang das Christentum in seine Schatten hüllte, ist hinweg gewälzt worden, und der glänzende Strahl der Lampe himmlischer Offenbarung hat sich über das menschliche Gemüt ergossen und hat das Dunkel zerstreut. Gott sei dafür gepriesen! Aber wir sind nicht unempfindlich gegen den Betrug und die List Satans, noch können wir unser Auge vor der beunruhigenden Tatsache verschließen, dass in der Gegenwart das evangelische Glaubensbekenntnis ohne ein waches Gewissen eines der mächtigsten Wirkungen des Feindes ist. Die Lehre von der Gnade wird weithin verkündigt und bekannt; aber anstatt zur Unterjochung der Natur verwandt zu werden; dient sie vielmehr dazu, der Selbstbefriedigung einen Rechtsgrund zu verschaffen. Die evangelische Religion unserer Tage ist ein sehr leichtes und schwaches Gewebe, welches für Sturm und Unwetter nicht paffend ist. Wir fürchten, dass, würde die Kirche nochmals von dem heftigen Windstoß einer Verfolgung heimgesucht, sich ihre Reihen zum Entsetzen lichten würden; aber wir sind auch der Meinung, dass dann auch noch eine Wolke von Zeugen ans Licht treten würde; denn wir sind davon überzeugt, dass sich unter dem Oberflächlichen noch vieles birgt, welches wirklich acht und wahr ist. –

Mit einem Wort, wir möchten dem christlichen Leser gern die Wichtigkeit ans Herz legen, dem ihm mitgeteilten Licht mit aufrichtigem Ernst zu folgen; und zu diesem Zweck wenden wir uns wieder zu dem Blindgeborenen. Nichts vermochte ihn zu entmutigen; nichts vermochte ihm den Mund zu verschließen; nichts war im Stande, sein Licht auszulöschen. Als „die Nachbarn“ fragten.– „Ist dieser nicht, der da saß und bettelte?“ so gab er bereitwillig die Antwort: „Ich bin es.“ Als sie ihn weiter fragten: „Wie sind deine Augen geöffnet worden?“ antwortete er ohne Zögern: „Ein Mensch, genannt Jesus, machte Kot und strich ihn wie Salbe auf meine Augen und sprach zu mir: Gehe hin nach dem Teich Siloah und wasche dich. Ich aber ging hin und wusch mich, und ich ward sehend.“ Als sie ihre Forschungen durch die Frage: „Wo ist Er?“ fortsetzten, sagte er frei heraus: „Ich weiß es nicht.“ 

Weder zögerte er mit seiner Antwort, noch zeigte er eine vorlaute Schwatzhaftigkeit; sondern er handelte aufrichtig seinem Licht gemäß. Und gerade das ist nötig. Er war in persönliche Berührung gebracht worden; und dieses persönliche zusammentreffen bildete die solide Grundlage seines Zeugnisses. Wir sollten nicht um ein Haarbreit über das Maß der wirklich persönlichen Erkenntnis Christi hinausgehen; aber wir sollten auch nach diesem Maß treu handeln. Es ist für jeden Einzelnen unter uns das glückselige Vorrecht, mit Christus zusammentreffen zu dürfen; und unser Bekenntnis sollte stets das Resultat dieses persönlichen Umgangs sein. Wir sind in Gefahr, uns in den äußeren Umständen eine Stütze zu suchen, anstatt uns durch innere Triebe leiten zu lassen. Alle äußeren Einflüsse aber, von denen der arme Blindgeborene umgeben war, waren feindlicher Natur und boten ihm keine Stütze; aber kühn bekannte er die Wahrheit, und zwar gerade nach dem Verhältnis seiner eigenen persönlichen Erfahrung, und nicht darüber hinaus. Er handelte dem empfangenen Licht gemäß; und in der Folge, wie wir sehen werden, schritt er weiter.

Betrachten wir ihn in der Umgebung der Pharisäer. Diese durch blinde Vorurteile beherrschten Männer hatten mit Bedacht ihre Augen gegen das Licht der Wahrheit geschlossen. Anstatt sich ruhig nieder zu setzen und die reinen und himmlischen Lehren des gesegneten Herrn, dessen Stimme in ihrer Mitte erklungen war, zu untersuchen, „waren sie schon übereingekommen, dass, wenn jemand Ihn als Christus erkennen würde, er aus der Synagoge gestoßen werden sollte.“ Es war daher offenbar unmöglich, dass sie zur Wahrheit gelangen konnten, solange ihr Auge durch die Binde der Vorurteile verhüllt war. Sie bekannten, sehend zu sein; und deshalb blieben ihre Sünden. Welch ein ernster Gedanke! „Jesus sprach zu ihnen: Wenn ihr blind wärt, so würdet ihr nicht Sünde haben; nun aber sagt ihr: Wir sehen, so bleibt denn eure Sünde.“ 

Die Fortdauer der Sünde ist gerichtlich geknüpft an das Bekenntnis, sehen zu können. Wenn jemand weiß, dass er blind ist, so kann er geöffnete Augen bekommen; aber was kann für einen Menschen getan werden, der sehend zu sein glaubt, während zu derselben Zeit seine Augen durch die Binde blinder Vorurteile verhüllt sind? Ach, leider nichts! Das Licht in ihm ist Finsternis; und wie groß ist diese Finsternis! Diese Pharisäer konnten sich rühmen, den Sabbat zu halten und Gott die Ehre zu geben; und dennoch konnten sie von Christus sagen: „Wir wissen, dass dieser Mensch ein Sünder ist.“ Soweit trieb sie ihre Religiosität. Ein Sabbat ohne Christus aber ist eine Täuschung. Gott ehren zu wollen, außer durch Christus ist ein schrecklicher Betrug. 

Und dennoch zeigte sich dieses alles bei den armseligen Pharisäern. Sie wurden beunruhigt durch das Zeugnis des armen Mannes. Wie gern würden sie es unterdrückt haben! Mit welcher Hast waren sie bemüht, durch ihre amtliche Autorität das blendende, beunruhigende, verabscheuende Licht auszulöschen! Doch sie konnten es nicht. Sie griffen zu einem hartherzigen Mittel, indem sie die „Eltern“ des Blindgeborenen in ihren Dienst zu ziehen trachteten; allein es war vergeblich. Die Eltern fürchteten die Juden. Sie wünschten nicht, das Ansehen zu verlieren. Sie wussten nichts von Christus, nichts von seinem Werk, noch von seiner Person; sie warm nicht bereit, sich seinetwegen einen Tadel zuzuziehen. Sie wussten nichts von der wunderbaren Heilung, welche bewirkt worden war. „Er ist mündig“, sagen sie, „fragt ihn, er wird selbst von sich sprechen. Dies sagten seine Eltern, weil sie die Juden fürchteten“ (V 21–22).

Welch einen schrecklichen Fallstrick bildet die religiöse Stellung! Sie zeigt sich stets als ein Hindernis auf dem Weg einer freimütigen Entscheidung für Christus. Wenn ich meinen Schritt hemmen muss, um zu überlegen, inwiefern meine religiöse Stellung, mein Einfluss, meine Ehre durch einen solchen Schritt berührt wird, dann ist mein Auge nicht einfältig und mein ganzer Leib ist Finsternis; dann ist das nämliche Licht, welches ich zu besitzen bekenne, Finsternis geworden; und ich werde in der Hand Satans ein Werkzeug, und in den Wegen der Menschen ein Stein des Anstoßes sein.

Wie wohltuend ist es, sich von dem dunklen Hintergrund der Vorurteile und der Herzlosigkeit abwenden und die furchtlose Aufrichtigkeit des blindgeborenen Bettlers betrachten zu können! Wir müssen bekennen, dass wir dieses offene, kühne Geständnis bewundern und es nachzuahmen wünschen. Er erkannte freilich nicht viel; aber das, was er erkannte, verwertete er aufs Beste. Er sagte es frei und offen heraus, was Jesus für ihn getan hatte. „Eins weiß ich“, ließ sich dieser treue Zeuge vernehmen, „dass ich blind war, und jetzt sehe.“ Diese Tatsache stand trotz allem Widerspruch fest. Alle Einwendungen der Pharisäer vermochten sein Vertrauen zu dem glücklichen Ereignis, dass seine Augen geöffnet worden waren, nicht wankend zu machen. Das war es, welches die Kraft seines Zeugnisses ausmachte. Das Zeugnis war an eine einfache und offenbare Tatsache geknüpft. 

Jener Mensch, welcher weiland saß und bettelte, stand jetzt da mit geöffneten Augen; und „ein Mensch, genannt Jesus“ hatte dem Blinden das Licht der Augen gegeben. Welch ein Ereignis! Und dennoch war der Geheilte so unwissend; aber er war aufrichtig. Er verkündete die ganze Wahrheit und lieferte in seiner Person den Beweis davon. Wie gering war seine Erkenntnis in Betreff Jesu! Er wusste nicht, wer Er war, und auch nicht, wo Er war; aber er wusste und sagte völlig genug, um die Pharisäer zum Erstaunen in die größte Unruhe zu bringen. Und sein Zeugnis steigerte sich von Minute zu Minute. Die große Unvernunft seiner Feinde drängte ihn zu einem immer helleren Licht, bis er endlich in die denkwürdigen und unwiderstehlichen Worte ausbrach: „Wenn dieser nicht von Gott wäre, so könnte Er nichts tun.“

Es ist in der Tat ein großer Genuss, diese Erzählung zu lesen. Es tut dem Herzen wohl, einen aufrichtigen Menschen gegenüber dem religiösen Vorurteil und der Unduldsamkeit in mutigem Kampf zu sehen. Gott möge es geben, dass sich heutzutage noch mancher nach dem Muster dieses blindgeborenen Bettlers bilde! Wir kennen keinen mächtigeren Damm, um die wachsenden Fluten des Unglaubens aufzuhalten, als das kühne und kräftige Zeugnis derer, welche irgendetwas erfahren haben an der Hand Christi. 

Welche Kraft würde es sein, wenn sie nur einfach mitteilten, was der Herr an ihnen getan, und ihr Zeugnis gründeten auf das, was ebenso klar und deutlich, als unwiderlegbar ist! Welche Spitze! Welche Schärfe! In dem uns vorliegenden Fall sehen wir, dass ein armer, unwissender Mensch, der einst als blinder Bettler am Weg gesessen hatte, durch sein Zeugnis die Pharisäer in Bewegung brachte und all ihren Vernunftschlüssen einen Stoß versetzte. Er erwies sich ihnen als erdrückender Stein, als eine Bürde, die sie nicht zu ertragen vermochten. „Du bist ganz in Sünden geboren“, schrien sie, „und du lehrst uns? Und sie werfen ihn hinaus.“ –

Glücklicher Mann! Er war einfach und aufrichtig dem empfangenen Licht gefolgt. Er hatte ein offenes Zeugnis für die Wahrheit abgelegt. Sein Auge war geöffnet worden, um zu sehen, und sein Mund, um zu zeugen. Es handelte sich hier einfach um die Wahrheit; und um der Wahrheit willen ward er hinausgeworfen. Er hatte die Pharisäer nie beunruhigt während der Tage seiner Blindheit und Dürftigkeit. Vielleicht mochten etliche von ihnen ihm im Vorübergehen stolz und prahlerisch ein unbedeutendes Almosen zugeworfen haben, um sich bei den Mitmenschen den Ruf als Wohltäter zu sicheren; aber jetzt war jener blinde Bettler ein mächtiger Zeuge geworden. Worte der Wahrheit strömten über seine Lippen; – Worte, die für sie zu scharf und eindringend waren, als dass sie Stand zu halten vermocht hätten; – und darum stießen sie ihn hinaus.

Glücklicher, höchst glücklicher Mann! Dieses war der glänzendste Moment in seiner Laufbahn. Diese Menschen hatten, ohne sich dessen bewusst zu sein, ihm einen wirklichen Dienst erwiesen. Sie hatten ihn in die ehrenvollste Stellung hineingedrängt, die je ein sterblicher Mensch einzunehmen im Stande ist – eine Stellung der Gleichförmigkeit mit Christa. Und seht einmal, wie das zärtliche Herz des guten Hirten beim Anblick seines ausgestoßenen Schafes bewegt wird!

„Jesus hörte, dass sie ihn hinausgeworfen hatten; und da er ihn fand, sprach er zu ihm: Glaubst du an den Sohn Gottes?“ Wie ungemein rührend ist diese Ansprache! Kaum war das arme Schaf hart und lieblos ans der Hürde hinausgestoßen worden, so eilte auch schon der gute Hirte an seine Seite, um ihn auf jenem Pfad, den er bisher mit einem so kühnen und entschiedenen Schritt betreten hatte, weiter und weiter zu führen. „Glaubst du an den Sohn Gottes? Er antwortete und sprach: Und wer ist es Herr, auf dass ich an Ihn glaube? Jesus aber sprach zu ihm: Du hast Ihn gesehen, und der mit dir redet, der ist es. Er aber sprach: Ich glaube, Herr. Und er huldigte Ihm.“

Das ist genug. Dieses treue Zeugnis hier verdient eine reiche Belohnung. Er hatte mit klarer Entscheidung und zwar dem empfangenen Licht gemäß, den Pfad des einfachen, ernsten Zeugnisses verfolgt; und als die Folge davon war er durch die Religion dieser Welt ausgestoßen. Er war gezwungen worden, seinen Platz außerhalb des Lagers einnehmen zu müssen; aber dort fand Jesus ihn und offenbarte sich seiner Seele, und über diesem höchst begünstigten Mann, der als Anbeter zu den Füßen der Fleisch gewordenen Gottheit lag, war der Vorhang für immer zerrissen. 

Welch ein Platz! Welch ein Gegensatz zu dem Platz, auf den wir ihn im Eingang unserer Erzählung fanden! Welch eine Laufbahn! Zuerst ein blinder Bettler – dann ein ernster Zeuge – und endlich ein erleuchteter Anbeter zu den Füßen des Sohnes Gottes. Wie glücklich und geehrt ist dieser Mann! Möge der Herr in diesen Tagen kalter Gleichgültigkeit und oberflächlicher Glaubensbekenntnisse noch viele auf einen solch erhabenen Platz führen! O wie gesegnet ist ein aufrichtiges, ein treu für Christus lebendes Herz – ein Herz, welches nimmer die Resultate berechnet, sondern sich unbeachtet der Folgen enge an Jesus klammert!

Johannes 11 Bethanien Martha und Maria 1877 BdH

07/25/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Die beiden Schwestern von Bethanien Martha und Maria

Wie lieblich ist der Eindruck, den die Familie in Bethanien auf uns macht! Mit welcher Liebe wird der Herr dort empfangen, und wie gern verweilt Er dort! Nähere Bekanntschaft mit den Gliedern dieser Familie zu machen, wird sicher für uns nützlich sein. Denn wiewohl alle den Herrn Jesum herzlich liebten, und alle vollkommen von Ihm geliebt wurden, finden wir hier :doch in bezug auf den Charakter und das geistliche Leben einen großen Unterschied. 

Der Heilige Geist zeigt uns diesen Unterschied in einzelnen treffenden Zügen. In einer Weise, wie nur Gott dies vermag, wird uns der Charakter und der geistliche Zustand einer jeden Seele vor Augen gestellt. Hier gibt es viel für uns zu lernen. Manches beschämende Wort wird hier unser Ohr berühren; manche herrliche Tröstung wird uns hier zuteil werden.

Martha scheint die Hauptperson in diesem Hause gewesen zu sein. Auf ihr ruhte die Sorge und die Verwaltung der Hauswirtschaft. Das Haus wird das Haus von ihr genannt. Wir lesen in Luk 10, 38: „Und ein gewisses Weib, mit Namen Martha, nahm ihn in ihr Haus au?. Dies kennzeichnet Martha sogleich. Sie fühlte sich zu Jesu hingezogen; sie liebte Ihn; sie setzte einen hohen Wert auf Seine Gesellschaft. Sie öffnete Ihm ihr Haus, und zwar zu verschiedenen Malen. Sie empfing Ihn nicht kalt und förmlich, sondern mit der größten Herzlichkeit und Zuneigung. 

Sie hatte für Ihn alles übrig. Was ihr Haus zu liefern vermochte, wurde für den Herrn zubereitet. Wir lesen: „Martha aber war sehr beschäftigt mit vielem Dienen". Sie wollte es ihrem Gast so angenehm wie möglich machen. Als tätige Hausfrau bot sie ,alles auf, Seine Bedürfnisse zu stillen; und ganz erfüllt mit ihrem Dienen, konnte sie es sich nicht erklären, wie ihre Schwester Maria, ohne ihr hilfreich Hand zu leisten, so ruhig zu den Füßen Jesu ,sitzen konnte. Man urteile nicht zu hart über sie. Freilich war es offenbar, daß sie nicht das in Jesu gefunden hatte, was Maria in Ihm fand.

Wohl war ihr ganzes Sinnen mehr darauf gerichtet, den Herrn zu bedienen, als auf Seine Unterweisungen zu lauschen. Aber dennoch war ihr Dienen ein herrlicher Beweis ihrer Liebe zu Jesu. Der Herr Selbst erkannte dies an. Hätte nicht sie das Benehmen Marias getadelt, so hätte Er sie sicher ruhig arbeiten und dienen lassen. Oder gab es etwa nichts zu ordnen , da Jesus in ihrem Hause eingekehrt war? Mußten keine Erfrischungen angeboten, mußte keine Mahlzeit zubereitet werden? Ganz sicher. Und daß sie dies mit solchem Eifer tat, gab den Beweis, wie sehr sie für ihren Gast eingenommen war. Und daß der Herr Sich in ihrem Haus wohlfiühlte und gern da verweilte, wird durch die mehrmalige Wiederholung Seines Besuches bewiesen.

Dies alles ist schön und lieblich. Der Herr Jesus ist es wert, daß wir alles für Ihn übrig haben. Für Ihn muß keine Mühe zu groß, keine Arbeit zu schwer sein. Wir können viel von Martha lernen. Ach! wir sind oft so kalt, so abgeschlossen, so karg. Etwas für Ihn zu tun, fällt uns oft so schwer. Für unseren eigenen Genuß tun wir manchmal viel, aber für Ihn? - Ach! vor Scham müssen wir unser Antlitz verhüllen. Es fehlt uns nicht an Zeit, wenn es sich um uns oder um unsere Angelegenheiten handelt; wir scheuen keine Mühe und Arbeit, um für unsere Bequemlichkeit und unsere Vergnügungen Sorge zu tragen. Aber wie oft ziehen wir uns zurück, wenn etwas für den Herrn geschehen soll! Es ist wahr, Martha legte ein großes Gewicht auf ihr Dienen; sie fand ihr Tun viel wichtiger, als das, was Maria tat; und das war sicher nicht gut: hierin täuschte sie sich. 

Aber wie oft geschieht es, daß man diese Verirrung Marthas benutzt, um sich dem Dienste Jesu zu entziehen! Mancher legt ruhig die Hände in den Schoß und entschuldigt sich gar, wenn seine Hilfe angesprochen wird, mit dem Gedanken, daß indem Dienen und Wirken nicht viel stecke, und daß man dadurch leicht in Gefahr komme, sich selbst zu suchen und hochmütig zu werden. Aber man vergißt, daß die Liebe zum Herrn uns nie zum Nichtstun, wohl aber zur Tätigkeit anspornt. 

Besorgt zu sein, daß man in der Arbeit sich selbst sucht, ist gut; aber aus wahrhaftiger Liebe zum Herrn zu wirken, ohne sich selbst zu suchen, ist besser. Und Martha in ,ihrem Eifer, in ihrem Beschäftigtsein mit vielem Dienen, steht in der Tat weit erhaben über jemandem, der aus kalter Berechnung die Hände in den Schoß legt. Bei Martha war, mochte auch fremdes .Feuer auf dem Altar sein, die Liebe zurn Herrn, die Zuneigung zu Seiner Person die Triebfeder, wähnend bei dem anderen zu fürchten wäre, daß weit eher die Eigenliebe als die Liebe zum Herrn das Herz beherrscht.

Martha war eine gläubige Frau. Dies wird zuweilen bezweifelt. Man hat die Worte, des Herrn: „Martha, Martha! du bist besorgt und beunruhigt über viele Dinge; eines aber ist not. Maria aber hat das gute Teil erwählt, das nicht von ihr genommen werden wird" - oft so gedeutet, als ob der Herr hätte sagen wollen: „Maria hat mich lieb und glaubt an mich, während du, Martha, dich nur mit äußeren Dingen beschäftigst". Doch hierin hat man sich gründlich geirrt. Der Unterschied zwischen Maria und Martha bestand nicht darin, daß die eine glaubte und die andere ungläubig war, daß die eine den Herrn liebte und die andere nicht. 0 nein, in diesen Punkten standen sie sich gleich. Beide glaubten an Jesum, beide liebten Ihn von Herzen, beide hatten alles für Ihn Übrig. Der Heilige Geist hat Sorge getragen, daß hier kein Zweifel obwalten kann. Man lese nur in Joh 11 die Geschichte der Auferweckung des Lazarus, und man wird völlig davon überzeugt werden.  

Oder waren es nicht die beiden Schwestern, die jene rührende, vom festen Vertrauen auf Jesu Liebe zeugende Botschaft zu dem Herrn sandten: „Herr, siehe, den du lieb hast ist krank". Eilte Ihm Martha nicht sofort entgegen, als sie hörte, daß Jesus Sich dem Dorfe näherte? Hören wir nicht aus ihrem eigenen Munde das schöne Bekenntnis ihres Glaubens an Ihn: „Ja, Herr, ich glaube, daß du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll"? Und es ist, als ob der Heilige Geist unserer falschen Vorstellung von Martha zuvorkommen wollte, denn Er sagt: „Jesus aber liebte die Martha und ihre Schwester und den Lazarus" (V. 5) und räumt ihr dabei in einer Weise, die in die Augen fällt, den ersten Platz ein. Der Unterschied zwischen Maria und Martha besteht also nicht darin, daß die eine glaubte und die andere nicht, daß die eine den Herrn liebte und die andere nicht, sondern darin, daß Maria die Unterweisung Jesu über alles stellte, während Martha auf ihren Dienst den höchsten Wert legte. Das gute Teil, das Maria sich erwählt hatte, war, zu den Füßen Jesu zu sitzen und auf Seine Worte zu lauschen.

Marta scheint die Hauptperson in diesem Haus gewesen zu sein. Auf ihr ruhte die Sorge und die Verwaltung der Hauswirtschaft. Das Haus wird das ihrige genannt. Wir lesen in Lukas 10,38: „Und ein gewisses Weib, Namens Marta, nahm Ihn in ihr Haus auf.“ Dieses kennzeichnet Marta sofort. Sie fühlte sich zu Jesu hingezogen; sie liebte Ihn; sie setzte einen hohen Wert auf seine Gesellschaft. Sie öffnete Ihm ihr Haus, und zwar zu verschiedenen Malen. Sie empfing Ihn nicht kalt und förmlich, sondern mit der größten Herzlichkeit und Zuneigung. Sie hatte für Ihn alles übrig. Was ihr Haus zu liefern vermochte, wurde für den Herrn zubereitet. Wir lesen: „Marta aber war sehr beschäftigt mit vielem Dienen.“ Sie wollte es ihrem Gast so angenehm wie möglich machen. Als tätige Hausfrau bot sie alles auf, um seine Bedürfnisse zu stillen: und ganz erfüllt mit ihrem Dienen, konnte sie es sich nicht erklären, wie ihre Schwester Maria, ohne ihr hilfreiche Hand zu leisten, so ruhig zu den Füßen Jesu sitzen konnte. Man urteile nicht zu hart über sie. Freilich war es offenbar, dass sie nicht das in Jesu gefunden hatte, was Maria in Ihm fand. Wohl war ihr ganzes Sinnen mehr darauf gerichtet, den Herrn zu bedienen, als auf seine Unterweisungen zu lauschen. 

Aber nichtsdestoweniger war ihr Dienen ein herrlicher Beweis ihrer Liebe zu Jesu. Der Herr selbst erkannte dieses an. Hätte nicht sie das Benehmen Marias getadelt, so würde Er sie sicher ruhig haben arbeiten und dienen lassen. Oder gab es etwa nichts zu ordnen, da Jesus in ihrem Haus eingekehrt war? Mussten keine Erfrischungen angeboten, musste keine Mahlzeit zubereitet werden? Ganz sicher. Und dass sie dieses mit solchem Eifer tat, lieferte einen Beweis, wie sehr sie für ihren Gast eingenommen war. Und dass der Herr sich in ihrem Haus wohlfühlte und gern daselbst verweilte, wird durch die mehrmalige Wiederholung seines Besuches bewiesen.

Dieses alles ist schön und lieblich. Der Herr Jesus ist es wert, dass wir alles für Ihn übrighaben. Für Ihn muss keine Mühe zu groß, keine Arbeit zu schwer sein. Wir können viel von Marta lernen. Ach, wir sind oft so kalt, so abgeschlossen, so karg. Etwas für Ihn zu tun, fällt uns oft so schwer. Für unseren eigenen Genuss tun wir manchmal so viel: aber für Ihn? – Ach, vor Scham müssen wir unser Antlitz verhüllen. Es fehlt uns nicht an Zeit, wenn es sich um uns oder um unsere Angelegenheiten handelt, wir scheuen keine Mühe und Arbeit, um für unsere Bequemlichkeit und unsere Vergnügungen Sorge zu tragen. Aber wie oft ziehen wir uns zurück, wenn etwas für den Herrn geschehen soll! Es ist wahr, Marta legte ein großes Gewicht auf ihr Dienen; sie fand ihr Tun viel wichtiger, als das, was Maria tat: und dieses war sicher nicht gut: hierin täuschte sie sich. 

Aber wie oft geschieht es, dass man diese Verirrung Martas benutzt, um sich dem Dienst Jesu zu entziehen! Mancher legt ruhig die Hände in den Schoß und entschuldigt sich gar, wenn seine Hilfe angesprochen wird, mit dem Gedanken, dass in dem Dienen und Wirken nicht viel stecke, und dass man dadurch leicht in Gefahr komme, sich selbst zu suchen und hochmütig zu werden. Wein man vergisst, dass die Liebe zum Herrn uns nimmer zum Nichtstun, wohl aber zur Tätigkeit anspornt. Besorgt zu sein, dass man in der Arbeit sich selbst suche, ist gut: aber aus wahrhaftiger Liebe zum Herrn zu wirken, ohne sich selbst zu suchen, ist besser. Und Marta in ihrem Eifer, in ihrem Beschäftigtsein mit vielem Dienen, steht in der Tat weit erhaben über jemandem, der aus kalter Berechnung die Hände in den Schoß legt. Bei ihr war, mochte auch fremdes Feuer auf dem Altar sein, die Liebe zum Herrn, die Zuneigung zu seiner Person die Triebfeder, während bei Letzterem zu fürchten ist, dass weit eher die Eigenliebe, als die Liebe zum Herrn das Herz beherrscht.

Marta war ein gläubiges Weib. Dieses wird zuweilen bezweifelt. Man hat die Worte des Herrn: „Marta, Marta, du bist besorgt und beunruhigt über viele Dinge; eins aber ist Not; Maria aber hat das gute Teil erwählt, das nicht von ihr genommen werden wird“ – oft so gedeutet, als ob der Herr hatte sagen wollen: „Maria hat mich lieb und glaubt an mich, während du, Marta, dich nur mit äußeren Dingen beschäftigst.“ Doch hierin hat man sich gründlich getäuscht. 

Der Unterschied zwischen Maria und Marta bestand nicht darin, dass die Eine glaubte und die Andere ungläubig war, dass die Eine den Herrn liebte und die Andere nicht. O nein, in diesen Punkten standen sie sich gleich. Beide glaubten an Jesus, beide liebten Ihn von Herzen, beide hatten alles für Ihn übrig. Der Heilige Geist hat Sorge getragen, dass hier kein Zweifel obwalten kann. Man lese nur in Johannes 11 die Geschichte der Auferweckung des Lazarus, und man wird völlig davon überzeugt werden. Oder waren es nicht die beiden Schwestern, die jene rührende, vom festen Vertrauen auf Jesu Liebe zeugende Botschaft zu dem Herrn sandten: „Herr, siehe, den du liebhast, ist krank.“ Eilte Ihm Marta nicht sofort entgegen, als sie hörte, dass Jesus sich dem Dorf nahe? Hören wir nicht aus ihrem eigenen Mund das schöne Bekenntnis ihres Glaubens an Ihn: „Ja, Herr, ich glaube, dass du bist der Christus, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen sollte?“ 

Und es ist, als ob der Heilige Geist unserer falschen Vorstellung von Marta zuvorkommen wollte; denn Er sagt: „Jesus aber liebte die Marta und ihre Schwester und den Lazarus“ (V 5) und räumt ihr dabei in einer in die Augen fallenden Weise den ersten Platz ein. Der Unterschied zwischen Maria und Marta besteht also nicht darin, dass die Eine glaubte und die Andere nicht, dass die Eine den Herrn liebte und die Andere nicht, sondern darin, dass Maria die Unterweisung Jesu über alles stellte, während Marta auf ihren Dienst den höchsten Wert setzte. Das gute Teil, welches sich Maria erwählt hatte, war das Sitzen zu den Füßen Jesu und das Lauschen auf seine Worte.

Marta war eine Gläubige und liebte den Herrn von Herzen; aber sie war eine Seele, die mehr mit sich, als mit Jesu beschäftigt war. Sie dachte mehr an ihren Dienst, als an den Herrn; sie war von sich eingenommen. Darum konnte sie das Tun ihrer Schwester nicht ertragen, sondern ärgerte sich daran. Sie machte von ihrer eigenen Tätigkeit viel Aufhebens und glaubte sich dadurch in Gunst zu setzen; und Maria stellte sich ihr nicht helfend zur Seite und bezeugte dadurch stillschweigend, dass sie die Unterweisungen Jesu viel hoher achtete, als alle Dienstleistungen der Marta. Es ist daher begreiflich, dass Marta ihren Unmut nicht länger zurückhalten konnte. Sie hatte doch die Meinung von sich, dass sie es so gut meine. Dass sie voll Eigenliebe sei und sich selbst suche, daran dachte sie nicht im Entferntesten. Alles, was sie verrichtete, tat sie ja für den Herrn. Allein sie kannte sich selbst nicht und wusste nicht, was in ihrem Herzen war. Die Umstände stellten dieses ins Licht. 

Hätte sie wirklich nur um Jesu willen gedient, so würde keine Bemerkung über ihre Lippen gekommen sein. Sie wäre in der Erfüllung ihres Beruft glücklich gewesen und hätte sich um Maria nicht bekümmert. Aber da es nicht also war, konnte sie es auch nicht ertragen, dass all ihre Sorge und Mühe so zu sagen unbemerkt blieben. Viele Gläubige gleichen der Marta. Sie sind sehr beschäftigt mit vielem Dienen. Sie predigen, sie machen Besuche, sie schreiben, sie teilen Traktate aus, sie halten Sonntagsschule. Voll Eifer verrichten sie ihre Arbeit. Sie gönnen sich keine Ruhe und machen sich viele Sorge und Unruhe.

 Sie meinen es wirklich gut; und was sie tun, geschieht nach ihrer Meinung aus reiner Liebe zum Herrn. Allein sie kennen sich selber nicht. Sie wissen nicht, dass ihr Auge mehr auf ihre Arbeit, als auf Jesus gerichtet ist, dass sie mehr denken an das, was sie tun, als an das, was Er getan hat. Gar oft tritt dieses ans Licht. Spricht man mit ihnen über christliche Tätigkeit, so sind sie sofort voll Feuer; man kann ganze Abende in dieser Weise mit ihnen zubringen: sie sind unerschöpflich in ihren Mitteilungen. Aber man nehme die Bibel zur Hand und spreche über einen Abschnitt, man suche die darin verzeichneten herrlichen Wahrheiten darzustellen, oder man rede über die Herrlichkeit Jesu und über die Glückseligkeit seiner Gemeinschaft, und sofort ist ihr Mund geschlossen; sie werden nicht selten ungeduldig; sie suchen dem Gespräch eine andere Wendung zu geben und dasselbe wieder auf den ihnen liebgewordenen Gegenstand zurückzuführen. 

Es ist selbstredend, dass solche Gläubige, gleich der Marta, über andere, die nicht einen solchen Diensteifer zeigen, sondern sich vor allem zuerst zu den Füßen Jesu niedersetzen, um auf seine Worte zu lauschen, ein tadelndes Urteil aussprechen. Ja, diese Christen sind jenen oft ein Ärgernis. Auch dieses wird nicht selten durch die Umstände offenbar. Ich habe Gläubige gekannt, die mit allem Eifer und Feuer in ihrer Arbeit lebten, die sich sehr glücklich darin fühlten und stets heiter und aufgeräumt waren, die aber durch den Herrn eine Zeitlang aufs Krankenbett niedergelegt wurden und mithin ihre Arbeit einstellen mussten, und die dann all ihr Glück und ihr Aufgeräumtsein verloren hatten und eine unerklärbare Leere bei sich wahrnahmen. Und was war die Ursache? Keine andere, als dass sie sich mehr ihres Werkes als des Herrn Jesus erfreut, dass sie mehr an sich, als an den Herrn gedacht und sich mehr mit ihrem Dienen als mit seiner Herrlichkeit und Wahrheit beschäftigt hatten.

 Sie hatten gewirkt, um zu leben, und nicht gelebt, um zu wirken. Ware letzteres der Fall gewesen, so wären sie jetzt, wo sie ihre Arbeit einstellen mussten, ebenso glücklich geblieben, als wo sie noch inmitten ihrer Arbeit waren. Es ist offenbar, dass, wenn man die Arbeit zur Hauptsache macht, eine schreckliche Leere in Herz und Leben eintreten muss, wenn die Arbeit uns entzogen wird. Ist Jesus der Mittelpunkt unserer Gedanken und unserer Arbeit, dann schwindet auch die Freude dann nicht, wenn die Arbeit eingestellt werden muss: denn Jesus verändert sich nicht. Hat man in Ihm gelebt und sich bewegt, während man wirkte, so wird man dieses auch tun, wenn Er uns auf das Siechbett legt. Dieses ist ein untrüglicher Prüfstein. Fragen wir uns selbst, ob wir, wenn wir uns in der Einsamkeit mit dem Herrn befinden, ebenso glücklich sind, als wenn wir das Evangelium verkündigen, Sonntagsschule halten, oder sonst irgendeinen christlichen Dienst üben.

Marta war nichts weniger als ruhig. Sie war sehr beschäftigt mit vielem Dienen. Das war an und für sich sehr vortrefflich. Aber weil sie sich selbst und Jesus zu wenig kannte, konnte sie nicht ruhig an ihrer Arbeit bleiben und alles in die Hände des Herrn legen. – Als Maria sie allein wirken lieh, konnte sie es nicht unterlassen, sie und den Herrn zu tadeln. Als sie nach dem Tod ihres Bruders vernahm, dass Jesus endlich kam, eilte sie Ihm entgegen und begann eine ausführliche Unterhaltung mit Ihm: aber ebenso schnell eilte sie wieder hinweg, um, sobald sie begriff, dass sie den Herrn nicht verstand, ihre Schwester Maria zu rufen. Mit dieser kehrt sie wieder zurück; aber am Grab ihres Bruders Lazarus wird ihre Unruhe und Hetze aufs Neue offenbar. Dieses alles konnte nicht anders sein. Es war die natürliche, notwendige Folge ihres geistlichen Zustandes. Nur in der Gegenwart und Gemeinschaft Jesu wird man still und ruhig. 

Die Natur ist stets voreilig, vorlaut und unstet, oder im Gegenteil kalt, gleichgültig und gefühllos. Der Herr sagte zu Marta: „Marta, Marta, du bist besorgt und beunruhigt über viele Dinge.“ In diesen Worten liegt alles aufgeschlossen. Sie kennzeichnen den Zustand ihrer Seele. Viel zu wirken, ist durchaus kein Fehler, sondern sogar, wenn der Herr die Arbeit aufgetragen hat, eine lobenswerte Tugend. Aber über viele Dinge besorgt und unruhig zu sein, beweist nur, dass man selbst am Werk ist, und dass man meint, alles selbst ordnen und regeln zu müssen. Wie viele Unruhe gibt es in dieser Hinsicht oft unter den Christen! 

Wie wenig wird gefragt: „Herr, was willst du, dass ich tun soll?“ Wie selten denkt man daran! Was man für gut und nützlich hält, was man zur Förderung des Evangeliums als notwendig erkennt, das tut man, ohne zu fragen, ob der Herr es gutheißt. Kein Wunder, dass man unbeständig ist und hin und her getrieben wird. Alle nur möglichen Dinge werden aufgestellt und mit Eifer verteidigt, um bald wieder zu erkalten und zu erschlaffen. Die eine Sache verdrängt die Andere. Man kann es vielen abfühlen, dass sie der Ruhe des Glaubens ermangeln.

Doch Marta war nicht nur unruhig: sie war auch unwissend, lind wie hätte dieses anders sein können? Sind wir von unserer eigenen Arbeit eingenommen, dann sind natürlich unsere Gedanken davon erfüllt; und dann haben wir keine Zeit, und eigentlich auch keine Lust, um die Unterweisung des Herrn zu genießen. Man liest zwar in der Bibel zu seiner Zeit und findet auch wohl Erbauung darin; aber man erforscht die Schrift nicht. Man bleibt bei den Anfangsgründen stehen. Von einem Wachsen in der Erkenntnis Gottes und des Herrn Jesus Christus ist kaum die Rede. 

Man vermutet sogar nicht, dass solch herrliche Wahrheiten in der Schrift enthalten sind, und man kann es sich nicht erklären, wie andere darin einen solchen Genuss finden. Und so geht es Jahr aus Jahr ein, ohne dass man viel mehr weiß, als dass man durch Glauben an Jesus gerettet ist, wenn nicht selbst dieses Bewusstsein aus dem Herzen verschwunden ist. Es ist selbstverständlich, dass man bei einem solchen Verhalten sehr wenig von der Wahrheit versteht. Über manche Dinge ist man dann gänzlich unwissend; und da, wo darüber gesprochen wird, fühlt man sich ebenso wenig behaglich wie Marta, als der Herr mit ihr redete.

Die Geschichte in Johannes 11 liefert uns hiervon einen schlagenden Beweis. Sie ist zu wichtig, um nicht, ein wenig bei ihr zu verweilen und ihre Einzelheiten zu betrachten. Sobald Marta die Ankunft Jesu vernahm, ging sie Ihm entgegen und sagte: „Herr, wenn du hier gewesen wärst, mein Bruder wäre nicht gestorben.“ Welch ein Beweis von ihrem Glauben an Jesus! Wäre Jesus dort gewesen, so würde Er den kranken Lazarus geheilt haben. „Aber“ – fügt Marta hinzu – „auch jetzt weiß ich, dass, was irgend du von Gott bittest, Gott dir geben wird.“ Marta zeigt große Ähnlichkeit mit Petrus. Dasselbe vorlaute Wesen, dieselbe Unruhe. Wohl liebte er Jesus; aber die Selbsterkenntnis fehlte ihm. So war es bei Marta. Sie glaubt viel weiter zu sein, als sie ist. Petrus sagt: „Wenn sich alle an dir ärgern, ich werde mich niemals ärgern: selbst wenn ich mit dir sterben müsste, werde ich dich nicht verleugnen.“

 Er meinte dieses wirklich also. Aber als sein Glaube auf die Probe gestellt wurde, erschrak er vor einer Magd. Auch Marta meinte es wirklich also, als sie sagte: „Alles, was du von Gott bittest, wird Gott dir geben.“ Allein sobald Jesus sagte: „Nehmt den Stein weg!“ rief Marta in der Angst ihres Herzens: „Herr, er stinkt schon; denn er ist schon vier Tage hier.“ Die Wirklichkeit ist oft anders, als wir denken. Unser Kopf ist unserem Herzen oft weit voraus. Wir rühmen uns oft unseres Glaubens; aber wenn derselbe auf die Probe gestellt wird, wie kleingläubig sind wir dann!

Jesus sagt: „Dein Bruder wird auferstehen“ und Marta antwortet: „Ich weiß, dass er auferstehen wird in der Auferstehung am letzten Tage.“ Sie begreift den Herrn nicht. Sie war zu wenig an seine Unterweisung gewöhnt, um seine Worte fassen zu können. Der Herr geht näher auf den angeregten Gegenstand ein. Er lenkt ihre Aufmerksamkeit von der „Auferstehung am letzten Tage“ ab, um sie erkennen zu lassen, dass ihr Bruder jetzt auferstehen soll, indem Er sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist; und jeglicher, der da lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit. Glaubst du dieses?“ Und wie lautet die Antwort Martas: „Ja, Herr, ich glaube, dass du bist der Christus, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen sollte.“ –

 Doch das war keine Antwort auf die Frage Jesu. Sie begreift den Herrn nicht: und das fühlte sie selbst. Sie fühlte, dass sie nicht auf ihrem Platz war, und dass sicher ihre Schwester Maria den Herrn besser verstehen würde. Hatte es etwas zu tun gegeben, dann würde sich Marta auf ihrem Platz gesuhlt haben; aber jetzt, wo die Wahrheit erklärt wurde, mühte Maria kommen. „Und als sie dieses gesagt hatte, ging sie hin und rief ihre Schwester Maria heimlich und sagte: Der Lehrer ist gekommen und ruft dich.“ – Ach, wie betrübend für den Herrn, wenn wir seine Worte nicht begreifen, wenn wir wegen unseres Beschäftigtseins mit vielen Dingen unfähig sind, in seine Gedanken einzugehen! Und wie oft ist dieses bei den Gläubigen der Fall! Es ist oft, als ob der Herr vor tauben Ohren spräche. O möchten wir doch auf die Stimme des Herrn lauschen und auf seine Worte achten! Dann würden wir sicher immer mehr die Tiefe und den Reichtum derselben kennen lernen.

Die Worte, die der Herr zu Marta spricht, liefern hierfür den deutlichsten Beweis. Sie haben eine tiefere Bedeutung, als man auf den ersten Blick denken mag. „Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist; und jeglicher, der da lebt und an mich glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit.“ Bringen wir diese Worte mit 1. Korinther 15,51–54 und mit 1. Thessalonicher 4,13–18 in Verbindung, so liefern sie uns eine kurze, aber deutliche und herrliche Erklärung bezüglich der Auferstehung. In diesen beiden Stellen belehrt uns Paulus, dass, wenn der Herr kommt in die Luft, die, welche in Jesu entschlafen sind, auferweckt, und die, welche leben und übrigbleiben bis zur Ankunft des Herrn, nicht sterben werden. Denselben Gedanken findet man in den an Marta gerichteten Worten des Herrn. „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ 

Er ist dieses in seiner Person; darum hat ein jeglicher, der an Ihn glaubt, das Leben – das ewige Leben. Dieses haben wir bereits. Unsere Seele lebt. Unser Leben ist Christus: und unser Leben ist mit Christus verborgen in Gott. Doch dieses Leben soll auch unserem Leib mitgeteilt werden. Unser Leib ist noch sterblich und verweslich; aber dieses wird sich ändern. Wenn Jesus kommt, empfangen wir einen unsterblichen, unverweslichen Leib. „Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist.“ Der entschlafene Gläubige wird wieder auferweckt. „Und jeglicher, der da lebt und an mich glaubt, wird leben in Ewigkeit.“ 

Der bis zur Ankunft Jesu lebende Gläubige wird nicht sterben, sondern in einem Nu verwandelt werden. „Wir werden zwar nicht alle entschlafen: wir werden aber alle verwandelt werden.“ Herrliche Wahrheit! Der Tod hat über den Gläubigen keine Macht mehr. Jesus hat den Tod überwunden. Sicher werden nicht alle Gläubige sterben. Jesus ist die Auferstehung und das Leben. In Ihm und durch Ihn triumphieren wir. Alle Gewalten, die gegen uns waren, sind vernichtet. „Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unseren Herrn Jesus Christus!“

Und lesen wir weiter nichts mehr von Marta? O ja: wir finden noch eine Mitteilung in Betreff ihrer in dem folgenden Kapitel des Evangeliums Johannes; und es scheint, als wollte der Heilige Geist uns zeigen, dass die über viele Dinge besorgte und beunruhigte Marta in eine ruhige Jüngerin Jesu umgewandelt worden sei. Sechs Tage vor dem Passah war Jesus in Bethanien. Man bereitete Ihm dort ein Mahl, bei welcher Gelegenheit Maria Ihm die Füße salbte. Die Jünger, darüber unzufrieden, hielten dies für eine große Verschwendung, indem sie meinten, die Salbe halte verkauft und den Armen gegeben werden können. Welch eine schöne Gelegenheit für Marta, um wieder in den Vordergrund zu treten? 

Hier gab es sicher weit mehr Ursache, als das erste Mal, für sie, um über das Betragen Marias ihre Bemerkungen zu machen. Aber wir lesen hier nichts weiter, als: „Sie machten Ihm daselbst ein Abendessen, und Marta diente.“ Wie schön! Marta diente. Sie hatte ihr Wert nicht aufgegeben oder einem anderen anvertraut. Sie war nicht mutlos und unzufrieden geworden: o nein, sie diente wie früher; sie verrichtete dieselbe Arbeit, doch jetzt in der Stille, wie es einem jeden geziemt, der einen Beruf von Gott empfangen hat. Keine Bemerkung kommt über ihre Lippen. Sie lasst Maria ihren Weg ruhig gehen. 

Jede der beiden Schwestern befindet sich auf ihrem Platz. Beide dienen dem Herrn. Beide sind glücklich und zufrieden in dem Dienst, den sie für Jesus verrichten. Wie herrlich endet die Geschichte Martas! Die Gnade kann uns unser Ich entdecken lassen und uns den Herrn über alles teuer machen. Dann ist man still und ruhig; dann tadelt man nicht über andere, ja dann erst ist man geschickt zum Wirken und Dienen. Man denke an den vorlauten, sich selbst vertrauenden Petrus. Wie verändert war er in späteren Tagen! Voll Eifer verkündigte er das Evangelium; voll Freimütigkeit bekannte er den Herrn; aber er war still und ruhig. Sein Selbstvertrauen war verschwunden; er ließ sich leiten durch den Geist Gottes. Welch eine herrliche Frucht der Gnade Gottes! Je mehr wir uns selbst kennen, desto kostbarer ist uns Jesus. Je mehr wir Ihn kennen, desto mehr fühlen wir uns zu Ihm hingezogen, und desto williger werden wir uns von Ihm leiten lassen. 

Maria

Maria von Bethanien – welch eine Reihe von lieblichen Erinnerungen knüpft sich an diesen Namen! Wer fühlte sich nicht angezogen durch die stille Frömmigkeit dieser Jüngerin Jesu? Wie sanft und ruhig war sie! Nirgends zeigt sich bei ihr die Hast der Übereilung. Sie zeigte Begierde zu lernen; sie war eine eifrige Schülerin. Besser als alle anderen wusste sie in die Gedanken Jesu einzudringen. Sie wartete ihre Zeit ab und diente dem Herrn im rechten Augenblicke. Welche Schönheit und Herrlichkeit fand sie in Ihm! Wie glücklich fühlte sich ihre Seele in seiner Nähe! Dann vergaß sie alles andere und genoss nur Ihn. Und was den Herrn betrifft, so machte Maria das Haus ihrer Schwester Marta für Ihn nicht nur zu einer Stätte körperlicher Erholung, sondern auch zu einer Stätte geistlicher Erquickung; denn hier fand Er eine Seele, die in Ihm ihr alles gefunden hatte, und der Er sich gänzlich offenbaren konnte. War die Unterhaltung mit der Samariterin eine köstliche Speise für seine Seele, wie vielmehr wird die Wertschätzung seiner Person von Seiten Marias eine Erquickung für sein Herz gewesen sein!

Welch ein Unterschied zwischen der beschäftigten Marta und der stillen Maria! Nach menschlichem Urteil stand Marta weit über Maria. Marta war die Hauptperson im Haus, während Maria den zweiten Platz einnahm. Marta trat stets in den Vordergrund; Maria zog sich bescheiden zurück. Marta diente eifrig, während sich Maria ruhig niedersetzte und horchte. Doch der Schein trügt. Wie sehr auch Marta unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkt, so ist doch Maria doppelt beachtenswert. Ist sie auch im Haus nicht die Hauptperson, so steht sie doch in geistlicher Beziehung oben an. Wird das Haus zu Bethanien auch als das Haus Martas bezeichnet (Lk 10), so wird Bethanien selbst doch das „Dorf der Maria und Marta“ genannt (Joh 11,1). In der Tat, wie viel Vortreffliches wir auch in Marta gefunden haben, so wird sie doch durch Maria in den Schatten gestellt. In geistlichem Leben unterscheiden sie sich himmelweit.

Das ist beachtenswert. Ein jeder, der die Gemeinschaft der Heiligen in etwa kennt und genießt, wird sicher bezüglich des geistlichen Lebens einen großen Unterschied unter den Gläubigen entdeckt haben. Der Eine hat mehr Erkenntnis, mehr Glauben, mehr Liebe, ist gewissenhafter, geistlicher, demütiger und mehr getrennt von der Welt als der Andere. Dieses ist keineswegs immer die Folge von verschiedener Unterweisung, Leitung und Umgebung, sondern man findet diesen Unterschied oft bei Gläubigen, die alles gemeinsam genossen haben. Unsere beiden Schwestern liefern dazu den Beleg. Sie hatten dieselbe Umgebung, befanden sich in denselben Umständen, nahmen beide den Herrn Jesus in ihrem Haus auf. 

Und dennoch welch eine Verschiedenheit! Marta war über viele Dinge besorgt und beunruhigt, und Maria hatte das gute Teil erwählt. Der Herr selbst sagte dieses; und Er durchschaut das Innerste des Herzens. Der Unterschied in Betreff des geistlichen Lebens dieser beiden Schwestern bestand darin, dass Marta zwar den Herrn liebte, aber mehr an sich und ihren Dienst, als an Ihn dachte, während Maria in Jesu jemanden gefunden halte, der ihre ganze Seele erfüllte und mit dem sie sich völlig verbunden fühlte. Jesus war für sie so herrlich, so anziehend, dass sie alles andere vergaß, um sich in Ihm zu erfreuen. Sie setzte sich zu seinen Füßen, um sich an seinen göttlichen Worten zu laben. 

Es wäre ihr unmöglich gewesen, hin und her zu laufen, um allerlei Dinge zu verrichten, während der Herr Jesus in ihrem Haus war. Sie benutzte jeden Augenblick, um auf seine Worte zu lauschen. Die Person Jesu war es, wodurch sie sich angezogen fühlte; das, was Er war, nicht, was Er ihr gab. Wir erfreuen uns der Gaben dessen, der uns liebt; aber der Geber selbst nimmt doch den ersten Platz ein. Wir erfreuen uns der Gaben, weil sie von einer Person kommen, die uns teuer ist.

Marta hatte nicht in Jesu eine solche Vortrefflichkeit gefunden, um deshalb ihre Arbeit einzustellen und sich zu seinen Füßen zu setzen. Ihre an Jesu gerichteten Worte zeigen ihr Ärgernis an solchem Tun. In Betreff der Maria war es sicher keine Trägheit, dass sie Marta dienen ließ und sich zu den Füßen Jesu setzte, und gewiss auch kein Mangel an Liebe, denn im Gegenteil war ihre Liebe inniger, denn die der Marta; und es wird sie sicher geschmerzt haben, sich also verkannt zu sehen. Doch der Herr nimmt sie nicht nur in Schutz, sondern stellt sie hoch über Marta. Er erlaubt nicht, dass Maria aufsteht, um ihrer Schwester zu helfen; sie muss zu seinen Füßen auf seine Offenbarungen lauschen. Das ist seine Freude.

„Eins aber ist noch.“ Und was denn? An Jesus zu glauben? Gewiss; aber das ist hier nicht gemeint; denn auch Marta glaubte. Doch für jeden Gläubigen ist eins Not, nämlich die Person Jesu über alles zu schätzen. Sicher haben wir große Ursache, uns unserer Errettung zu freuen; es ist eine unbeschreibliche Gnade. Wir haben die Vergebung unserer Sünden und das ewige Leben; wir sind Kinder Gottes und Miterben Christi. Uns in Ihm zu erfreuen, ist das gute Teil, welches Maria sich erwählt hatte. Ihn in seiner Liebe und Gnade, in seiner Schönheit und Herrlichkeit kennen zu lernen, das ist das Eine, was für den Christen nötig ist.

 Wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, seines Herrn, achtete Paulus alles für Verlust und Dreck. Wenn Jesus in unserer Seele lebt, dann ist alles anders der Tod. Ist unser Blick auf Ihn gerichtet, so wenden wir denselben ab von den eitlen und vergänglichen Gütern dieser Erde und rufen mit Paulus: „Eins aber tue ich: Vergessend, was dahinten, und mich ausstreckend nach dem, was da vorne ist, jage ich, das vorgestreckte Ziel anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus.“

Hast du dieses gute Teil erwählt, mein Leser? Schätzest du den Herrn über alles? Verbindet dich die Liebe deiner Seele mit Ihm? Weilst du gern in seiner Nähe? O nicht allein seine Gaben sind kostbar, sondern Er selbst ist herrlich und liebreich. Ein jeder, der Ihn kennt, klammert sich an Ihn. Kennst du Jesus? Ich frage dich nicht, ob du bekehrt und ein Kind Gottes bist, ob du weißt, dass Er dein Erlöser ist. Dieses alles kann wahr sein, ohne dass du Ihn wirklich kennst, wie Er ist, und ohne dass dir seine herrliche Person über alles teuer ist. Ach, daran denken die Gläubigen oft so wenig. Sie gleichen mehr der Marta, als der Maria. 

Das Leben wird viel mehr in dem Neben christlicher Werke gesucht, als in dem Kennen der Person Jesu, in dem Lauschen auf seine Stimme. Ja, viele betrachten es als den Höhepunkt des christlichen Lebens, wenn sie der Vergebung ihrer Sünden gewiss sind. Wie wenig aber wird in dieser Weise der Herr verherrlicht! Das, was Gott verherrlicht, kann nur die Frucht der Erkenntnis Christi sein. Wer Ihn kennt, der liebt Ihn, und wer Ihn liebt, tut gern seinen Willen, fühlt sich ganz von Ihm angezogen, wendet sich von allem ab, was außer Ihm ist, lauscht gern auf seine Worte und lernt dadurch seine Gedanken mehr und mehr verstehen.

Hast du dieses gute Teil erwählt? Paulus konnte nicht nur sagen: „Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Verlust geachtet“, sondern auch: „Ich achte auch alles für Verlust wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn.“ Christus wurde ihm mit jedem Tag herrlicher. So war es auch mit Maria. Christus wurde ihr stets kostbarer. Ihr Platz war zu den Füßen Jesu – ein Platz, den sie sich selbst erwählt hatte. Dort saß sie, um zu lernen (Lk 10) – dort lag sie, um getröstet zu werden (Joh 11) – dort kniete sie nieder, um seine Füße zu salben (Joh 12). Ihre Liebe verminderte sich nicht, sondern nahm vielmehr zu. Sie lernte Ihn immer mehr kennen und lieben, so dass sie Ihm endlich das Kostbarste darbrachte, was sie besaß. Ist auch dir, mein Leser, der Herr jetzt wertvoller, als damals, wo du Ihn zuerst kennen lerntest? Wenn nicht, so bist du nicht gewachsen in seiner Erkenntnis. 

Oder vielleicht hast du gar die erste Liebe verlassen, gleich der Versammlung zu Ephesus (Siehe Off 3). Wie innig war diese Versammlung ehemals mit Jesu verbunden gewesen, und wie sehr war nachher ihre Liebe gegen Ihn erkaltet! Der Herr fühlte dieses; denn obwohl äußerlich noch alles in der besten Ordnung war und wie früher seinen geregelten Verlauf nahm, so dass kein menschliches Auge eine Veränderung gewahrt hatte, so fühlte doch der Herr, dass die Liebe erkaltet war. Ach, wenn es mit dir ebenso ist, dann kehre zurück. Lass dich nicht durch den Schein täuschen, sondern wenn du das Erkalten deines Herzens verspürst, dann wirf dich vor Ihm nieder in aufrichtigem Selbstgericht, und kehre in seine Arme zurück. Des Herrn Liebe ist unverändert geblieben, denn diese Liebe ist von nichts abhängig; sie hat ihre Quelle in Ihm selbst.

Maria hatte also das gute Teil erwählt, welches nicht von ihr genommen werden sollte. Vielmehr hatte sie zugenommen an Erkenntnis und Glauben, an Liebe und Zuneigung zum Herrn. Ihre Geschichte liefert dafür den schlagendsten Beweis. Sollte es, als Lazarus erkrankte, nicht auf ihr Anraten geschehen sein, dass man dem Herrn die Botschaft schickte: „Herr, siehe, den du liebhast, ist krank?“ Man sollte es fast glauben. Und welch ein Vertrauen zu der Liebe Jesu liegt in diesen Worten! Sie waren ganz in Übereinstimmung mit der Gemütsrichtung Marias. Stellen wir die ergreifenden Umstände dieser Tage vor unsere Seele. 

Die Schwestern sandten zu Jesu in der festen Zuversicht, dass Er sofort kommen und den kranken Bruder heilen werde. Aber Jesus kommt nicht; Lazarus stirbt, wird begraben und liegt schon vier Tage im Grab, ehe der Herr kommt. Was wird in diesen Tagen nicht alles in der Seele Marias vorgegangen sein! Sie war tief betrübt über den Tod ihres geliebten Bruders. Das Zögern Jesu wird ihr unerklärlich gewesen sein. 

Wie sehr wird sie verlangt haben, ihren Schmerz vor Ihm ausschütten zu können! Aber bei all ihrer Trauer verlor sie ihre Ruhe nicht. Kaum hat Marta das Nahen Jesu vernommen, so fliegt sie Ihm in ihrer gewöhnlichen Hast entgegen, während wir von Maria lesen: „Maria aber saß im Haus.“ Sie harrt ruhig der Ankunft des Herrn entgegen. Erst als die Worte Martas: „Der Lehrer ist gekommen und ruft dich“ – ihr Ohr berühren, da kann sie nicht länger bleiben, sondern „steht schnell auf und geht zu Ihm.“

Wie herrlich! Die Ruhe und den Gehorsam lernte Maria im Umgang mit Jesu. Wer mit Ihm verkehrt, wird Ihm gleich. Seine Liebe, seine Ruhe, seine Demut, sein Gehorsam – alles wird gleichsam in uns ausgegossen. Diese Geschichte liefert uns den Beweis. Obwohl Jesus die Botschaft der Erkrankung des Lazarus empfangen hatte, so war Er doch noch zwei Tage an dem Ort geblieben, wo Er war. Wohl wusste Er, dass Lazarus in dieser Zeit sterben werde. 

Warum blieb Er? Weil es seine Speise war, den Willen des Vaters zu tun. Die Herrlichkeit Gottes musste offenbart werden, und dazu war der Tod des Lazarus nötig. Und wie sehr daher sich auch das Herz Jesu nach Bethanien hingezogen fühlte, so blieb Er dennoch, weil Ihn der Vater nicht gehen hieß. Maria handelte in derselben Weise. Wie sehr sie auch nach der Ankunft Jesu verlangte, so blieb sie dennoch ruhig zu Haus, bis sie gerufen wurde.

Doch wir lernen hier noch mehr. Wer zu den Füßen Jesu gesessen hat, kann in der Trübsal seine Teilnahme, sein Mitgefühl genießen. Maria hatte durch seinen Mund die Wahrheit vernommen; jetzt bedurfte sie des Trostes; und diesen fand sie in reichem Maß. Wo Marta mit dem Herrn eine Unterredung über die Wahrheit anknüpft, da sinkt Maria zu seinen Füßen, um ihren Schmerz auszuweinen. Wo Jesus die Marta unterweisen muss, da kann Er mit Maria weinen. „Jesus vergoss Tränen.“ Rührende Worte! „Jesus nun, als Er sie weinen sah, und die Juden weinen, die mit ihr gekommen waren, seufzte tief im Geist und erschütterte sich.“ Das durch die Sünde in die Welt gekommene Elend stand in seiner ganzen Schrecklichkeit vor Ihm. Durch die Sünde ist der Tod; und der Tod hatte seinen Freund Lazarus hinweggenommen, hatte die zartesten Bande zerrissen, und das zärtliche Herz der Maria zerrissen. 

Er erschütterte sich; Er vergoss Tränen. Wohl wusste Er, dass die Herrlichkeit Gottes sich offenbaren werde, dass etliche Augenblicke später das Grab seine Beute herausgeben müsse und die Traurigkeit in Freude verwandelt sein würde: aber nichtsdestoweniger weinte Er jetzt, als Er inmitten des Elends und der Traurigkeit stand, mit der Weinenden und fühlte ihren Kummer tiefer, als sie selbst. Welch ein Trost für Maria! Das war Balsam in ihre Wunde. Das wird ihre Seele erquickt haben. Das war ja eine neue Erfahrung der unaussprechlichen Liebe Jesu – ein neuer Zug seiner unvergleichlichen Schönheit. Um dieses zu erfahren, war es wohl der Mühe wert, einen solchen Weg der Schmerzen und der Leiden zu wandeln. Hast du wohl einen Freund gehabt, der mit dir weinte? Und hat das deinen Schmerz nicht gemildert? 

O, und nun einen Freund zu haben wie Jesus ist, der, ausgenommen die Sünde, in allem versucht worden ist! Einen Freund wie Jesus, der stets sagen kann: „Ich fühle deinen Schmerz vollkommen.“ Welch ein süßes Bewusstsein! Doch man vergesse nicht, dass nur Maria, nicht aber Marta diese Erfahrung machen konnte. Um das Mitgefühl Jesu zu genießen, muss man Ihn kennen, wie Maria Ihn kannte, man muss Freimütigkeit zu Ihm haben, um Schmerz und Kummer an seiner Brust ausweinen zu können.

Sicher hat Maria in diesen Tagen viel gelernt. Ihr Glaube wurde schwer geprüft. Der Baum wurde stark geschüttelt: aber es diente nur dazu, um die Wurzeln tiefer in die Erde dringen zu lassen. Am Siechbett ihres Bruders harrte sie einen Tag nach dem anderen auf die Ankunft Jesu. Aber Lazarus starb, ohne dass der Herr kam. Ihre Hoffnung war verschwunden, ihre Erwartung war vergeblich gewesen. Wenn jetzt auch Jesus kam, so war es doch zu spät. Lazarus war nicht mehr. „Herr, wenn du hier gewesen wärst, mein Bruder wäre nicht gestorben“, ruft sie Ihm weinend zu. Jetzt war alles aus; der unerbittliche Tod hatte ihren Bruder weggenommen.

 Jetzt blieb nichts übrig, als die mitfühlende Liebe Jesu zu genießen. Und diese genoss sie in reichem Mähe. Der Herr tröstete seine Jüngerin und rief sogar ihren Bruder ins Leben zurück. Die Herrlichkeit Gottes musste offenbart werden. Aus diesem Grund musste Lazarus sterben. Durch den Tod ging es zum Leben. So geschah es mit Lazarus: aber so geschah es auch mit der Seele Marias. Die Bande, womit Lazarus gebunden war, wurden Zerbrochen; und der Herr gab ihr den Bruder zurück.

So sind die Wege der Trübsal gar oft Wege des Segens und des Genusses. Durch Leiden geht es zur Herrlichkeit. Im buchstäblichen Sinne geschieht dieses, wenn Jesus kommt; im figürlichen Sinne geschieht es jetzt gar oft. Gottes Wege sind oft unerklärlich; unsere Gebete finden oft lange keine Erhörung; statt der Hilfe, scheint die Not oft zu wachsen. Wie geneigt sind wir dann, mutlos und unzufrieden zu werden! Doch wir bedenken nicht, dass die Herrlichkeit Gottes offenbart werden soll. Das Ende wird gut und herrlich sein, und wir werden dann Gott für die Leiden preisen. Die Züchtigung bewirkt eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die durch sie geübt sind. Maria begriff die Ursache des Zögerns Jesu nicht; aber nachher hat sie dieselbe nicht nur begriffen, sondern Ihm auch dafür gedankt. Wäre Lazarus nicht gestorben, so hätte sie das Mitgefühl Jesu nicht kennen gelernt und die Herrlichkeit Gottes nicht gesehen.

Diese herrliche Erfahrung verband das Herz Marias noch inniger mit Jesu; seine Person war ihr nun noch teurer geworden. Bald sollte sie Gelegenheit finden, dieses in einer glänzenden Weise zu zeigen. Sechs Tage vor dem Passah, sechs Tage vor seinem Kreuzestod erscheint Er noch einmal in Bethanien. Im Haus Simons des Aussätzigen wird Ihm ein Mahl zugerichtet. „Marta diente; Lazarus aber war einer von denen, die mit Ihm zu Tische lagen. 

Da nahm Maria ein Pfund Salbe von unverfälschter, sehr kostbarer Narde und salbte die Füße Jesu und trocknete seine Füße mit ihren Haaren“ (Joh 12). Judas betrachtet dieses als eine törichte Verschwendung. „Warum“ – ruft er aus – „ist diese Salbe nicht für dreihundert Denare verkauft und den Armen gegeben worden?“ – Warum nicht, Judas? Weil Jesus mehr wert ist, als die Armen. Du begreifst es nicht; o nein; du wirst für dreißig Silberlinge deinen Herrn überliefern. Auch die anderen Jünger begriffen es nicht. Aber Maria begriff es und auch Jesus. 

Sie gab das Kostbarste für Ihn hin. Sie bereitete Ihm nicht, um seine Bedürfnisse zu stillen, ein Mahl; denn in diesem Fall hätte sie die Salbe verkaufen und den Erlös dem Herrn schenken müssen, damit Er sich das Notwendige dafür einkaufe. Aber nein, sie salbte seine Füße. Sie wollte Ihn nicht beschenken; sie wollte Ihn verherrlichen; sie wollte Ihm huldigen. Seine Person war für sie so unaussprechlich herrlich, seine Schönheit für sie so unvergleichlich, dass sie Ihm nur ihre Huldigung darzubringen vermochte. Jesus mühte verherrlicht, sein Name musste großgemacht, sein Lob verkündigt werden. „Das Haus aber ward von dem Geruch der Salbe erfüllt. Jesus sagte: Sie hat ein gutes Werk an mir getan.“ Das von ihr dargebrachte Opfer stieg als ein lieblicher Wohlgeruch nach oben und war angenehm in den Augen Gottes.

Hier sehen wir was Anbetung, was Gottesdienst ist. Ein aus Ägypten erlöster, in der Wüste bewahrter und in das verheißene Land gekommener Israelit des Alten Testaments brachte die Erstlingsfrucht des Landes als ein dankbares Opfer zu Gott. Maria, voll von der Herrlichkeit und Schönheit Jesu, erfüllt das ganze Haus mit dem Geruch ihrer Salbe, womit sie zur Verherrlichung Jesu seine Füße benetzt hatte. 

Die 24 Ältesten fallen, sobald das Lob des Lammes verkündigt wird, vor Ihm nieder und beten Ihn an, der sie mit seinem Blut erkauft hat (Off 4–5). So bringen auch wir an dem Tisch des Herrn unser Lob Ihm dar, der für uns in den Tod ging. Um aber hierzu fähig zu sein, muss unsere Seele mit der Herrlichkeit Jesu erfüllt sein. Wenn wir Ihn nicht über alles schätzen, wenn seine Schönheit uns nicht anzieht, dann ist alles nur Schein und eine leere Form. O möchten wir es doch besser verstehen, Ihm die geistlichen Opfer darzubringen, die Ihm angenehm sind und die sein Herz erfreuen!

Wie herrlich war für Maria das Wort Jesu: „Lasst sie; was macht ihr ihr Mühe? Sie hat ein gutes Werk an mir getan.“ Wie früher der Marta gegenüber, so verteidigt der Herr hier seine Freundin den Jüngern gegenüber. Von Marta war sie der Gleichgültigkeit, von den Jüngern der Verschwendung beschuldigt worden. Niemand begriff sie. Ein jeder beurteilte sie falsch, und das wird ihr sicher Kummer bereitet haben. Wie tröstlich war es daher für sie, dass Jesus, dem all ihre Liebe galt, sie begriff. Er schätzte ihr Werk: Er verstand ihre Liebe, ihre Hingebung. Darum nimmt Er sie auch in Schutz. Er kann es nicht dulden, dass ihre brennende Liebe zu Ihm verkannt werde und man ihr Mühe mache. 

Das war ihr genug. Wenn Jesus ihre Handlung ein gutes Werk nannte und ihr Opfer annahm, was kümmerten sie dann die Gedanken anderer? Nicht um von Menschen gepriesen zu werden, sondern um den Herrn zu verherrlichen, hatte sie ihre kostbare Salbe dargebracht. Und Er hatte ihre Gabe wertvoll geachtet und angenommen. Welch eine Freude für ihre Seele. Freudentränen werden ihre Wangen benetzt haben. Wie früher, so dringt auch jetzt kein Wort über ihre Lippen. Sie legt alles in seine Hand; denn Er kennt ihre Absicht: Er kennt ihr Herz; und ihr Vertrauen zu Ihm ist nie getäuscht worden.

Wo hatte Maria dieses alles gelernt? Zu den Füßen Jesu. Hier hatte sie Ihn kennen gelernt und in sein Herz geblickt. Sie wusste nun, was Ihn erfreute. Sie kannte das Opfer, welches ein lieblicher Wohlgeruch für Ihn war. Sie erkannte auch den passenden Augenblick. Gerade da, als alle sich gegen Ihn erklärten, erklärte sie sich für Ihn: als alle Ihn verspotteten, verherrlichte sie Ihn. Ja, geliebter Leser, nur zu seinen Füßen lernst du, was ein gutes Werk in seinen Augen ist. Man kann viele, an und für sich gute Werke verrichten, die aber, weil sie nicht in einer solchen Weise und in der geeigneten Zeit hervorkommen, dem Herrn nicht angenehm sind. Man denke an Marta. Was sie tat, war vortrefflich: und dennoch nennt der Herr dieses nicht ein an Ihm getanes gutes Werk. Nur in seiner Gemeinschaft lernt man geistlich unterscheiden, was zu jeder Zeit vor Ihm angenehm ist. Ja, der Herr urteilt ganz anders wie die Menschen.

 Er lohnt einen Trunk kalten Wassers: Er rühmt die arme Witwe, die nur zwei Scherflein in den Schatzkasten warf, und Er sagt: „Wer einen Propheten aufnimmt in eines Propheten Namen, wird eines Propheten Lohn empfangen.“ Das ist herrlich! Nun kann ein jeder ein gutes Werk verrichten, sowohl der Arme, wie der Reiche, sowohl der Minderbegabte, als auch der Reichbegabte. Es handelt sich nur darum, ob das von uns verrichtete Werk für Jesus getan ist.

 Er sagt: „Sie hat ein gutes Werk an mir getan.“ Geben wir Almosen, um von Menschen gepriesen zu werden, predigen oder schreiben wir, um mit unseren Gaben zu glänzen, dann ist unser Lohn dahin. Nur eine Arbeit, die wir für Jesus und aus Liebe zu Ihm verrichten, findet ihre Belohnung und ihren Segen. In diesem Fall wird man, wie Maria, sowohl von der Welt, als auch von vielen Gläubigen verkannt werden. Was Jesus ein gutes Werk nennt, ist in den Augen vieler nichts als Gleichgültigkeit oder Verschwendung. Doch die Anerkennung des Herrn ist besser als alles Lob der Menschen.

Wie sehr liefert Maria durch die Salbung des Herrn den Beweis, dass sie in die Gesinnung des Herrn eingedrungen war und mit Ihm in den schwierigen Umständen, in denen Er sich befand, sympathisierte! Jesus sagt: „Sie hat zum Voraus meinen Leib gesalbt zum Begräbnis.“

Wiewohl sie sicher nicht die Einzelheiten des Leidens und Sterbens Jesu wusste, so ahnte sie doch, dass der Zeitpunkt nahe herangerückt sei. Die Feindschaft der Juden erkannte sie nur zu gut; und die Worte Jesu hatten sie erkennen lassen, dass Er selbst einem schrecklichen Ende entgegensah. Die Salbung war daher eine Frucht dieser Erkenntnis. Der Herr selbst nennt ihre Tat eine Vorbereitung für sein Begräbnis. Es ist merkwürdig, dass wir Maria später nicht unter den Weibern finden, welche, um den Leichnam Jesu zu salben, an seinem Grab standen. Doch wozu diese zu spät kamen, das hatte sie schon zum Voraus getan. 

Ach, man kann sagen: Niemand hatte Mitgefühl für die Leiden und Schmerzen des Herrn, außer dieser Maria von Bethanien. Welch eine glückselige Stellung nimmt sie ein! Sie erquickt das Herz Jesu. Bei ihr allein findet Er in seinen Leiden ein mitfühlendes Herz. „Wahrlich, ich sage euch“, – so lauten daher auch die Worte des Herrn – „wo immer dieses Evangelium gepredigt werden wird in der ganzen Welt, da wird auch gesagt werden, was diese getan hat, zu ihrem Gedächtnis“ (Mk 14,9).

Johannes 13 Die Fußwaschung 1876 BdH

07/24/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Der Dienst des Herrn Jesu

Die uns in Johannes 13 mitgeteilte Handlung des Herrn, als er während des Abendessens aufstand und seinen Jüngern die Füße wusch, ist sehr köstlich und bezeichnend. Sie zeigt dem geöffneten Glaubensauge, was der Herr in seiner Liebe gegenwärtig für die Seinen tut. Was Petrus in jenem Augenblick nicht verstand, aber „nachher“ verstehen sollte, das verstehen wir jetzt durch die Macht und Belehrung des Heiligen Geistes; und je nachdem wir mit ganzem Herzen die in diesem Kapitel dargestellte Gnade Christi ergreifen, erfreuen wir uns unserer gegenwärtigen Stellung als solche, welche sein sind in dieser Welt.

Lasst uns daher mit Hilfe des Heiligen Geistes diese Handlung des Herrn verfolgen, wie sie Johannes in einfacher und rührender Weise vor unseren Augen entfaltet. Für Jesus war die Stunde gekommen, dass Er „aus dieser Welt zum Vater gehen sollte.“ Er sieht im Geist das Werk, welches Er nach dem Willen des Vaters auf der Erde tun sollte, schon vollbracht. Das Kreuz war hinter Ihm. Die Jünger hatten an der rührenden Gedächtnisfeier seiner Liebe Teil genommen – einer Liebe, die stärker ist als der Tod und welche viele Wasser nicht zu löschen vermögen. Der Verräter stand im Begriff, sein finsteres und schreckliches Werk zu vollenden, wodurch Zugleich jede Verbindung des Herrn mit dieser Welt abgebrochen wurde, während Er die Seinen als die Gegenstände seiner Liebe darin zurückließ. Diese, obgleich sie noch in der Welt waren, sollten die Gegenstände derselben Liebe bleiben, womit Jesus sie geliebt hatte, als Er selbst noch in der Welt war. „Er liebte sie bis ans Ende“, durch alle Zeiten hindurch und in allen Umständen. Obwohl Er sich persönlich notwendigerweise eine Zeitlang von ihnen trennen mühte, so sollte ihnen doch seine Liebe bleiben.

Das waren die Gefühle des Herzens Jesu bezüglich seiner Jünger, welche mit Ihm zu Tische lagen. Allein nicht nur liebte Er sie, sondern Er fühlte auch, dass alle ihre Segnungen von Ihm abhingen. Er wusste, dass der Vater Ihm alles in die Hände gegeben hatte. Das Werk ihrer Erlösung, welches der Vater Ihm zu tun gegeben, hatte Er in einer unendlich vollkommenen Weise vollbracht, so dass seine Liebe in dieser Hinsicht nichts mehr für sie zu tun hatte. Das Abendessen war davon der Ausdruck. 

Allein dieses war nicht alles, was in seine Hände gegeben war; ein anderer Teil blieb noch übrig. Wie Er „von Gott ausgegangen war und zu Gott hinging“, also wollte Er auch die Seinen zu Gott hinführen, damit sie mit Ihm in derselben Gemeinschaft und Herrlichkeit sein sollten, in welche Er einzutreten im Begriff stand. Das waren die tiefen und mächtigen Gedanken der Liebe und göttlichen Absichten, welche das Herz Jesu bezüglich der Seinen erfüllten. Aber wie sollte Er ihnen begreiflich machen, was seine Liebe noch ferner für sie tun wollte, wenn sie Ihn nicht mehr sehen und hören konnten?

 Wie konnte Er sie fühlen lassen, dass Er ihnen blieb, und dass auch fernerhin ihre Segnungen nur von Ihm abhingen in der Tätigkeit einer unveränderlichen Liebe? Er hatte ihnen eine bleibende Erinnerung an seine für sie sterbende Liebe hinterlassen; und beim Anblick des gebrochenen Brotes und ausgeflossenen Weines sollten seine Worte: „Das ist mein Leib, für euch gegeben“, und: „Das ist mein Blut, für euch vergossen“, sie stets an seine Liebe erinnern. Aber in welcher Weise sollte Er ihnen eine bleibende Darstellung von der Liebe geben, welche für sie lebte, um ihre Verbindung mit Ihm an jenem Platz zu verwirklichen, welchen Er jetzt für sie einnehmen wollte? „Er stand vom Abendessen auf und legte die Oberkleider ab und nahm ein leinenes Tuch und umgürtete sich. Darauf gießt Er Wasser in das Waschbecken und sing an, die Füße der Jünger zu waschen und abzutrocknen mit dem leinenen Tuch, womit Er umgürtet war“ (V 4–5).

Welch ein Anblick musste dieses für die staunenden Jünger sein, als der Herr, dessen Macht sie so oft bezeugt, dessen Herrlichkeit sie auf dem Berg der Verklärung gesehen, und den sie als den Christus, den Sohn des lebendigen Gottes, erkannt hatten, sich zu dem niedrigsten Dienst, zum Waschen ihrer Füße, herabließ! Wohl mochte Petrus, als der Heiland niederkniete, um seine Füße zu waschen, mit ablehnendem Eifer ausrufen: „Herr, du wäschst meine Füße?“ Obgleich er den Herrn liebte, so begriff er doch wenig das Geheimnis dieser Liebe, die von der Höhe der göttlichen und himmlischen Herrlichkeit herabgekommen war, um ihm zu dienen. Er verstand noch wenig, wie nötig dieses alles für ihn war, was jene Liebe für ihn getan hatte und noch tun wollte, und wie tief sich der Herr herablassen und wie fortdauernd diese Liebe sein musste. 

Der Herr sagte zu ihm: „Was ich tue, weißt du jetzt nicht; du wirst es aber hernach verstehen.“ Doch dieses alles genügte dem feurigen Jünger nicht: und in seiner Unwissenheit nur eine Herabwürdigung seines Herrn in dessen Handlung sehend, welche er für seine Person nicht dulden konnte, ruft er aus: „Du sollst nimmermehr meine Füße waschen.“ Weder fühlte, noch kannte er die Notwendigkeit dieser Erniedrigung und suchte den Herrn daran zu verhindern, wie einst in Bezug auf das Kreuz, wo er sich den Tadel des Herrn zuzog: „Gehe hinter mich, Satan!

 Du bist mir ein Ärgernis; denn du sinnst nicht auf das, was Gottes, sondern auf das, was der Menschen ist.“ Dort war Petrus das Werkzeug Satans, indem er sich zwischen den Herrn und jenes Werk stellen wollte, wodurch Gott verherrlicht und der Sünder gerettet wurde. Das war mehr als Unwissenheit, und daher die Schärfe jenes Tadels. Hier wollte er sich in einem unverständigen Eifer für die Ehre des Herrn zwischen diesen und seine eigene Segnung stellen, weshalb der Herr bloß zu ihm sagt: „Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil mit mir“, – d. h. er konnte nicht in Gemeinschaft mit Christus die himmlischen Segnungen genießen, in welche dieser jetzt einzutreten im Begriff war.

Nur durch die Ausübung der Liebe Jesu in einem Dienst, der uns in der Fußwaschung dargestellt wird, können die seinigen während ihres Wandels in der Welt den Genuss der Gemeinschaft mit Ihm im Himmel haben. Deshalb zeigte sich Jesus seinen Jüngern in jener köstlichen, mit dem Abendessen verbundenen Szene als der umgürtete Diener, der jetzt in der Herrlichkeit stets bereit ist, ihnen zu dienen und ihre Füße zu waschen. Das Brechen des Brotes sollte sie an den erinnern, der auf dem Kreuz ihre Sünden trug. 

Indem sie von diesem Brot essen und von diesem Kelch trinken, nähren sie sich von dem gestorbenen Christus und erfreuen sich jener Liebe, welche alles für sie getan, welche sie gerettet und zu Gott geführt hat, ohne dass auch nur eine einzige Sünde ihren Eintritt in seine heilige Gegenwart verhindern konnte, während das leinene Tuch und das mit Wasser gefüllte Waschbecken ihr Glaubensauge auf Ihn richten sollte, der gegenwärtig in Liebe mit ihnen beschäftigt ist, und zwar mit einer Liebe, die, obgleich ausgeübt in Herrlichkeit und außer dem Bereich ihres natürlichen Auges, sie auf ihrem ganzen Wege durch diese Wüste begleitet. Ja, durch die Ausübung des unaufhörlichen Dienstes Jesu für die Seinen, indem Er ihnen die Füße wäscht, sind diese zum Genuss seiner Gegenwart und seiner eigenen Freude fähig gemacht. 

Das ist für ein Herz, welches Ihn kennt und liebt, das köstlichste Teil. Deshalb sagte auch Petrus, der die Kraft der Worte des Herrn: „Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil mit mir“, zu fassen begann, mit einem brennenden Verlangen nach dem vollen Besitz der in jenen Worten angedeuteten Segnungen: „Herr, nicht meine Füße allein, sondern beides, die Hände und das Haupt.“ Er wünschte nicht nur die Reinheit seiner Füße, sondern auch, dass seine ganze Person für die Gemeinschaft mit seinem Heiland passend sei. Er hatte das Bewusstsein, dass nicht allein seine Füße, sondern auch seine Natur und sein ganzes Wesen der Reinigung bedurften. 

Jedoch war er mit seinen eigenen Gefühlen beschäftigt und in Unwissenheit über das Werk der Gnade, welches der Herr bereits in ihm gewirkt hatte. Sein Zustand war ein solcher, in welchem sich jetzt Taufende von Christen befinden, welche nämlich praktische Heiligung mit vollendeter Heiligung, die Reinigung der Person mit der Reinigung der Wege, die Stellung mit dem Zustand verwechseln. Der Herr zeigt bei jener Gelegenheit diesen Unterschied sehr klar. „Wer gebadet ist, hat nicht nötig, denn sich die Füße zu waschen, sondern ist ganz rein; und ihr seid rein.“ – Wenn jemand im Morgenland, wo nur Sandalen getragen wurden, des Morgens seinen – Leib ganz gewaschen oder „gebadet“ (1) hatte, so bedurfte er, bevor er in einem Haus an den ihm vorgesetzten Erfrischungen teilnahm, nur der Reinigung seiner während des Tages durch den Wandel beschmutzten Füße. Der Hauswirt besorgte für seine Gäste das Wasser zum Waschen ihrer Füße, aber nicht zum Baden des ganzen Leibes, denn dieses würde die Unreinheit der Person vorausgesetzt haben. Und wir sehen, wie der Herr in dem an den Pharisäer Simon gerichteten Tadel für die Ihm in dieser Beziehung widerfahrene Vernachlässigung auf diesen Gebrauch anspielt, indem Er sagt: „Du hast mir nicht Wasser auf meine Füße gegeben.“

Die geistliche Bedeutung dieser durch das Verlangen des Petrus veranlassten Erklärung des Herrn ist also sehr klar. Die Jünger waren bezüglich ihrer Person rein – sie waren wiedergeboren. Sie waren durch das Waschen der Wiedergeburt „ganz rein“ und schon im Besitz eines neuen Lebens und einer neuen Stellung vor Gott, welche durch nichts vollkommener gemacht werden konnte. Wiedergeboren „aus Wasser und Geist“, besaßen sie eine „göttliche Natur“, kraft welcher sie bezüglich ihrer Person ein für alle Mal passend gemacht waren für die Gegenwart Gottes und folglich zu jeder Zeit ein Anrecht auf die Gemeinschaft mit Gott im Heiligtum hatten. 

Aber bezüglich des Genusses dieser Gemeinschaft und ihres Wandels mit Jesu im Heiligtum mussten ihre Füße von der Verunreinigung, welche sie sich in ihrem Wandel durch eine böse Welt zuzogen, gewaschen werden. Und dieses geschah mittels der Anwendung des Wortes durch den Geist nicht auf ihre Person, sondern auf ihr Herz und Gewissen, so dass sie sich in Folge dessen selbst richteten und von allem trennten, was in ihren Gedanken und in ihrem Wandel mit der Natur und dem Charakter Gottes unvereinbar war. Dieses allein befähigte sie, mit Jesu Teil an den himmlischen Segnungen zu haben, welche Er als Mensch für sie in Besitz genommen hatte.

Wir müssen hier bemerken, dass weder die Person noch die Füße mit Blut gewaschen sind. In beiden Fällen ist es die „Waschung mit Wasser durch das Wort“. In Betreff der Stellung ist es eine ein für alle Mal vollendete Handlung, die sich nicht wiederholt; aber hinsichtlich des Zustandes bedarf es einer jedesmaligen Wiederholung, so oft man sich irgendwie eine Verunreinigung im Wandel zugezogen hat, weil es sich um die praktische Gemeinschaft oder den Genuss handelt. Dieses wird uns in 2. Mose 29 klargemacht durch die vorbildliche Weihung der Priester in Verbindung mit dem Waschbecken, wovon wir hier das gepriesene Gegenbild sehen.

 Wir lesen dort in Vers 4: „Und Aaron und seine Söhne sollst du herzu nahen lassen an den Eingang des Zeltes der Zusammenkunft und sie mit Wasser waschen.“ Dann wurden ihnen die priesterlichen Kleider angezogen und nachher Blut auf ihr rechtes Ohrläppchen, auf ihren rechten Daumen und ihre rechte Zehe getan; und nachdem sie mit dem heiligen Salböl besprengt waren und man die erforderlichen Opfer dargebracht hatte, waren sie ein für alle Mal für den „priesterlichen Dienst“ geheiligt. Ihre priesterliche Stellung war vollendet und somit ihr Anrecht zum Eintritt in das Heiligtum auf immer gültig. Aber ihre praktische Fähigkeit zu diesem Eintritt und zum Dienst am Altar vor dem Herrn erforderte noch etwas anderes, nämlich den täglichen Gebrauch des Waschbeckens. 

Dieses lesen wir in 3. Mose 30,17–21: „Und Aaron und seine Söhne sollen daraus waschen ihre Hände und ihre Füße. Wenn sie eingehen in das Zelt der Zusammenkunft, sollen sie sich mit Wasser waschen, dass sie nicht sterben, oder wenn sie dem Altar nahen zum Dienst, ein Feueropfer zu räuchern dem Jehova. Und sie sollen ihre Hände und ihre Füße waschen, dass sie nicht sterben.“ Die Annahme ihres priesterlichen Dienstes war verbunden mit der Waschung ihrer Personen in dem Wasser des Waschbeckens zurzeit ihrer Weihung, während die Fähigkeit zur praktischen Ausübung dieses Dienstes, und zwar so oft sie dienten, mit der Waschung ihrer Hände und Füße aus demselben Waschbecken verknüpft war.

Letzteres nun stellt uns der Herr in der Handlung der Fußwaschung vor Augen. Sein gegenwärtiger Dienst in der Herrlichkeit trennt in der Welt die Seinen, durch die Wirksamkeit des Wortes auf ihr Gewissen, von jeder Verunreinigung, welche sie sich, wiewohl sie schon Geheiligte sind, durch ihren Wandel zugezogen haben, so dass sie als Priester mit Ihm an dem Dienst und der Anbetung Gottes innerhalb des Vorhangs Teil haben können.

Alle Gläubige sind vollendete Priester vor Gott, wie wenig sie auch davon verstehen und genießen mögen. Ihre Leiber sind gewaschen mit reinem Wasser, besprengt mit dem Blut Christi und gesalbt mit dem Heiligen Geist. Ihre Weihung ist eine vollendete Tatsache, und sie sind unwiderruflich ein „heiliges Priestertum“ – die wahren Söhne Aarons. Um jedoch mit dem wahren Aaron, mit Christus, in dem himmlischen Heiligtum Teil zu haben, müssen ihre Füße beständig mit dem Wasser des Waschbeckens gewaschen werden. 

Die Gläubigen waschen sich nicht selbst, sondern Christus wäscht ihre Füße, und zwar nach seiner Kenntnis dessen, was der Gegenwart Gottes angemessen ist. Die Triebfedern dieser Handlung in Liebe und Einsicht befinden sich ganz und gar in Ihm selbst. Unsere Errettung, sowie unsere Weihung zum Priestertum ist einfach ein souveräner Akt der Liebe Christi. Seine Hände haben alles bewirkt; sein Name sei dafür gepriesen! Ebenso hängt auch unsere Gemeinschaft von Christus und nicht von uns selbst ab und ist ebenfalls ein souveräner Akt seiner Liebe, welche unsere Füße wäscht und unsere Gemeinschaft wiederherstellt. „Was ich tue, weißt du jetzt nicht, du wirst es aber hernach verstehen.

“ Wenn unsere Gemeinschaft und unsere Kraft zum Dienst, die wir durch unsere Nachlässigkeit verloren hatten, wiederhergestellt worden sind, so wissen wir, wer es getan hat; und alles, was wir tun können, ist, dass wir Ihn dafür preisen. Obwohl wir stets „ganz rein“ vor Gott sind, so fühlen wir uns doch außer seiner Gemeinschaft unglücklich und haben dann das Bedürfnis nach Wiederherstellung – nach Reinigung unserer Füße. Und wenn wir auf Jesus blicken, sehen wir in Ihm gerade den, der, diesem Bedürfnis entsprechend, umgürtet ist, um unsere Füße zu waschen, und unsere Herzen sind in der Verwirklichung der in dieser Handlung sich offenbarenden Liebe wieder glücklich und zu dem Bewusstsein der Gemeinschaft mit Ihm wiederhergestellt; – wir haben „Teil“ mit Ihm.

Möge unser treuer und hochgelobter Heiland, dessen Dienst bezüglich unserer Herzen und Wege ohne Aufhören nötig ist, unsere Herzen in dem demütigen Verständnis seiner Gnade und Liebe bewahren! Denn je mehr wir diese Gnade verstehen, desto mehr werden wir zu jener Gnade geleitet, durch welche wir in Liebe anderen dienen. Dieses führt uns zu einem sich unmittelbar anschließenden zweiten Gegenstand unserer Betrachtung, ausgedrückt in den Worten des Herrn: „Wenn nun ich, der Herr und der Lehrer, eure Füße gewaschen habe, so seid auch ihr schuldig, einander die Füße zu waschen.

“ Es ist unmöglich, im Genuss der göttlichen Segnungen selbstsüchtig zu bleiben: die Glückseligkeit ist wesentlich mitteilend. Der Sohn der Liebe des Vaters konnte nicht allein in den Segnungen jener Liebe bleiben. Es war für sein Herz, so zu sagen, ein Bedürfnis, den Vater zu offenbaren, wie Er Ihn kannte. Er sagte zu dem Vater im Blick auf die, welche dieser Ihm aus der Welt gegeben hatte: „Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde kundtun, auf dass die Liebe, womit du mich geliebt hast, sei in ihnen.“ Und dieses ist noch die Sprache seines Herzens – die geheime Quelle all jenes gesegneten Dienstes der Liebe, den Er von den Höhen des Himmels gegen die Seinen in dieser Welt ausübt. 

Es ist dieselbe Sprache und derselbe Dienst, wenn jener Jünger, „welchen Jesus liebte, sagt: Was wir gesehen und gehört haben, verkündigen wir euch, auf dass auch ihr mit uns Gemeinschaft habt; und zwar ist unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus. Und dieses schreiben wir euch, auf dass eure Freude völlig sei.“ – Beider Herzen, sowohl das des Lehrers, wie des Jüngers, werden durch denselben Beweggrund geleitet, nämlich, dass andere „Teil mit mir“ haben. 

Die Liebe findet in dem verborgenen Genuss der eigenen Segnungen ihre Wonne im Dienen. Die Vollkommenheit eines solchen Dienstes sehen wir in Ihm, der mit Recht „Herr und Lehrer“ genannt wird. Und Er sagt: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, auf dass, gleich wie ich euch getan habe, auch ihr tut“, indem Er hinzufügt: „Wenn ihr dieses wisst, glückselig seid ihr, wenn ihr es tut.“ Welche Glückseligkeit könnte mit dieser verglichen werden, die aus der Gemeinschaft mit Jesu in diesem heiligen Dienst entspringt, zu welchem Er auch uns beruft?

Es gibt in diesem uns zur Nachahmung dargestellten Dienste zwei Elemente zu beachten. Die Liebe, welche frei von Selbstsucht, alles, was wir an Segnungen Gottes besitzen, mit anderen zu teilen sucht: und die Demut des Herzens, welche sich den Gegenständen unserer Liebe unterordnen kann, um das Mittel ihrer Segnung zu werden. Nur insofern, als wir die Gnade Jesu, welcher uns die Füße wäscht, verwirklichen, sind wir zu diesem Dienst fähig. Die Liebe und Niedriggesinntheit, ohne welche ein solcher Dienst unmöglich ist, kann uns nur aus seinem Herzen durch unsere Gemeinschaft mit Ihm zufließen... 

Je mehr wir uns dessen erfreuen, was Gott ist in Licht und Liebe, (was wir nur vermögen, wenn unsere Füße durch Christus in obenerwähnter Weise gewaschen sind) desto mehr sind wir moralisch befähigt, in anderen das zu entdecken, was mit diesem Gott unvereinbar ist und ihre Gemeinschaft mit Ihm stört. Wir sehen dann in göttlicher Weise, was die Kraft der Anbetung und des Dienstes in ihnen schwächt, und sowohl die Liebe zu ihnen, als auch die Betrachtung der Herrlichkeit in ihnen, treibt uns an, ihnen die Füße zu waschen. Aber auch Zugleich werden wir dadurch in dem Bewusstsein unseres Nichts zu Christus getrieben, um von Ihm die zu diesem Dienst nötige Kraft und Weisheit zu erlangen.

Nur der eine Gedanke an die Wiederherstellung ihrer Gemeinschaft mit Gott darf uns leiten, wenn wir ihnen mit Zittern und Sanftmut des Herzens nachgehen in der Liebe und Kraft Christi. Die Schönheit der Gesinnung, in welcher die Fußwaschung ausgeübt werden sollte, zeigt uns der Apostel sehr treffend in den Worten: „Brüder, wenn auch ein Mensch von einem Fehltritt übereilt würde, so bringt ihr, die Geistlichen, einen solchen wieder zurecht im Geist der Sanftmut, und siehe auf dich selbst, dass du nicht auch versucht wirst.“ – 

Dieses ist weit entfernt von dem Geist, der nur Fehler in anderen sucht, um sie zu richten, wozu wir so geneigt sind, wenn wir nicht wachsam über uns selbst in der Gegenwart anderer sind, bei denen wir unausbleiblich Mängel und Gebrechen finden werden. Wir haben nicht die Fehler in anderen zu beschauen, sondern sie wegzunehmen durch die Anwendung des Wortes Gottes in einer Weise, welche ihnen den Eindruck gibt, dass nichts als Liebe und Demut in unseren Herzen ist, während wir uns mit ihnen beschäftigen. 

Es ist nicht genug, dass ich das Böse in einem anderen kenne und das leinene Tuch und Wasser in Bereitschaft habe, um seine Füße zu waschen, sondern ich muss vor allem sein Vertrauen zu gewinnen und sein Herz in meiner Gegenwart in Ruhe zu bringen suchen durch das Gefühl, dass die Liebe und nur die Liebe mich zu Ihm geführt hat. Er muss es mir abfühlen, dass ich bereit bin, mich zu seinen Füßen zu beugen und sie zu waschen, insofern er sich mir nur überlassen will.

Wir müssen es als ein gesegnetes Vorrecht betrachten, dass der Herr uns berufen hat, einander die Füße zu waschen. Es ist ein Dienst, den wir allen Heiligen schulden; und wir sollten darüber wachen, ihn an allen auszuüben, welche Christus angehören. Wir bedürfen dazu nicht der besonderen Gabe eines Lehrers oder Hirten, sondern es ist einfach ein Dienst der Liebe, den ein Gläubiger dem anderen nach der Ermahnung des Herrn schuldet im tagtäglichen Leben, welches wir als Christen zurücklegen.

 Und insofern wir glücklich sind im Herrn und mit Ihm wandeln, wird es bei uns an der Ausübung dieses Dienstes gegen andere nicht fehlen. Wir glauben, dass es ein großes Bedürfnis unter den Heiligen gibt, welches durch die glänzendsten Gaben nicht ersetzt werden kann: und dieses ist der Dienst, der im Haus, in der Einsamkeit des täglichen Lebens ausgeübt wird. Hier ist der Platz der wahren Fußwaschung; und je mehr wir Christus als den kennen, der in unserem vertraulichen Verkehr mit Ihm die Füße wäscht, desto mehr werden wir in einem vertraulichen Umgang mit anderen Gläubigen ihnen die Füße zu waschen suchen.

Möge der Herr uns helfen, uns einander in Liebe zu dienen! Wir werden dann erfahren, dass es nicht ein einseitiger, sondern ein gegenseitiger Dienst ist.

(1)Dieses Wort unterscheidet sich im Urtext von demjenigen, welches auf die Fußwaschung angewandt ist

Johannes 15,1-11 Der wahre Weinstock P. Sluiter

01/16/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

aus dem Holländischen v. P. Sluiter                                                                                              Der wahre Weinstock  (Joh. 15,1-11)

Unser geliebter Herr und Heiland hat sich in Seiner großen Gnade in unterschiedlicher Beziehung zu uns geoffenbart und wir stehen deshalb in verschiedenen Verhältnissen zu Ihm. Es ist selbstredend, dass in verschiedenen Bildern, jede Beziehung entsprechende Vorrechte und auch Verantwortung enthält. Diese verschiedenen Beziehungen sollte man nicht miteinander verwechseln und so Vorrechte und Verantwortung eines Bildes auf ein anderes übertragen.

 Dadurch würde man den Trost, die Kraft und die Herrlichkeit solcher Beziehungen verlieren. Dies würde leicht zu falschen Auffassungen führen. Wir müssen keinesfalls nach Gleichheit streben, wo Gott Seine Lust und Freude an Unterschiede hat. Der Herr Jesus ist unser Retter, Bewahrer, Erlöser, Heiland. All diese Worte werden im griechischen durch ein Wort wieder gegeben und haben deshalb die gleiche Bedeutung. 

* Wir sind erlöste. 
* Der Herr Jesus ist auch unser Herr, 
* unser Hohepriester, 
* unser guter Hirte 
* wir Seine Knechte, 
* Sein Volk 
* Seine Schafe. 
* Er ist das Haupt des Leibes der Versammlung, 
* wir sind Seine Glieder. 
* Er ist der Bräutigam 
* wir Seine Braut. 
* Er ist der erstgeborene unter viele Brüder(Röm. 8,29).
* Er schämt sich nicht, uns Brüder zu nennen(Hebr. 2,11). 
* Er ist der wahre Weinstock 
* wir sind die Reben. 
Wir brauchen diese verschiedenen Namen und Beziehungen nur nebeneinander zu stellen– wir können noch viele andere hinzu fügen – um jeden sofort fühlen zu lassen, wie verschieden sie sind. Es ist derselbe Herr, der in all diesen Beziehungen zu uns steht und in welchem all diese vereinigt sind. Jede dieser Beziehung hat eine besondere Auswirkung für uns und stellt uns jeweils unter eine andere Verantwortung. Diese Gedanken sind sehr wichtig für den Gegenstand, den wir jetzt betrachten möchten. Viel Irrtum ist entstanden, durch nicht, oder ungenaue Beachtung der Vorbilder die der Herr Jesus benutzt und in welchem Zusammenhang Er sie anwendet. Damit berauben wir den Worten des Herrn die Kraft und ihre Bedeutung. Last uns das oben gesagte vor Augen haben, um bewahrt zu bleiben, vor falsche Anwendungen.

Der Vergleich zwischen dem Herrn Jesus als Haupt der Versammlung und Ihn als wahrer Weinstock wird uns dies deutlich machen. Die Versammlung ist der Leib des Christus und von diesem Leib ist Er das Haupt. Das muss man selbstverständlich bildlich verstehen. Es wird nicht von einem natürlichen Leib gesprochen sondern von einem geistlichen Leib. Unser Leib wird jedoch als Vorbild genommen. Paulus sagt: „Denn so wie der Leib einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich viele, ein Leib sind: so auch der Christus …. Ihr aber seid Christi Leib, und Glieder im Einzelnen. (1.Kor. 12,12+27).

Um die Beziehung, in welcher Christus zu uns und wir zu Ihm stehen, gut zu verstehen, müssen wir an unseren Leib denken. Dieser Leib hat viele Glieder, doch nur ein Haupt. Alle Glieder des Leibes sind mit dem einen Haupt und miteinander verbunden. Kein einzelnes Glied kann sich bewegen ohne das Haupt.  Jede Tätigkeit oder Bewegung der Glieder des Leibes werden von dem Haupt gesteuert. So ist es auch mit Christus und uns. Er ist das Haupt und wir sind die Glieder. Alle Glieder sind mit Ihm dem Haupt verbunden und haben von Ihm ihr Leben, ihre Kraft, ihre Gaben. Würde eines der Glieder unseres Leibes weggenommen, ist der Leib verstümmelt. Man könnte dann nicht mehr von einem vollkommenen Leib sprechen.

Es ist klar, dass kein Glied der Versammlung abgeschnitten werden kann, denn dadurch würde der Leib des Christus unvollkommen sein und das ist natürlich nicht möglich. Wer wirklich mit dem Herrn Jesus vereinigt ist, kann nie von Ihm getrennt werden. Von einem Abfall der Heiligen kann also keine Rede sein. „Wer wird uns scheiden von der Liebe des Christus?“ fragt der Apostel und seine Antwort ist: „dass weder Tot noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch Gewalten, weder Höhe noch Tiefe, noch irgend ein anderes Geschöpf uns zu scheiden vermögen wird von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn. (Röm. 8,35+38-39).“

Der Weinstock ist ein ganz anderes Bild als der Leib, worüber wir eben gesprochen haben. Ein  Weinstock hat fruchttragende und nicht fruchttragende Reben. Das ist die Art eines Weinstocks. Die Reben die keine Frucht tragen, müssen abgeschnitten werden, sonst würden sie denen die fruchttragen im Weg stehen, ebenso wie wucherndes Unkraut, Getreide im wachsen behindert und erstickt. Der Weingärtner tut dies im Herbst, wenn die Trauben geerntet und die Blätter abgefallen sind. Er kennt den Weinstock und die Reben. Er sieht, welche Reben im folgenden Jahr Frucht tragen und welche nicht. Wir können das nicht sehen, aber Er sieht das mit nur einem Blick und schneidet die Reben die keine Frucht tragen, ab. Dadurch wird der Weinstock besser. 

Wir haben hier ein völlig anderes Bild als zum Beispiel einen Leib. Der menschliche Leib würde verstümmelt werden, wenn man Glieder abschneidet. Würde man damit fortfahren, hört er auf, ein menschlicher Leib zu sein. Das Gegenteil passiert mit einem Weinstock, der wird nicht verstümmelt durch wegschneiden nicht fruchttragender Reben, sondern man erreicht dadurch ein besseres Ergebnis.

Wer dies gut begreift, wird das Gleichnis vom Weinstock, welches der Herr hier gebraucht, besser verstehen. Im Alten Testament wird immer wieder dieses Bild gebraucht. Das Volk Israel wird der Weinstock, der Weingarten oder der Weinberg genannt. In dem bekannten Gleichnis vom Weinberg, welches der Herrn in Matthäus 21 gebraucht, wird das Volk durch die Propheten und zum Schluss durch Gottes Sohn aufgerufen, Frucht zu bringen. Als das Volk sich weigerte, Gottes Autorität anzuerkennen, und die Propheten umgebracht und den Sohn getötet haben, sprach der Herr das Gericht aus. Der Weingarten sollte anderen gegeben werden, die Frucht bringen zu seiner Zeit. 

Darum sagt der Herr Jesus hier: „Ich bin der wahre Weinstock“. Israel war der Weinstock, aber nicht „der wahre“.  Er, Der alles in Sich vereinigt, in Welchem alle Schätze der Weisheit und Kenntnis Gottes verborgen sind, Er ist der wahre Weinstock. 

Am Weinstock sind alle, welche auf die eine oder andere Weise mit dem Herrn Jesus in Verbindung stehen, entweder selbst, oder nur durch ein äußerliches Bekenntnis. So wie der Apostel von Israel sagen konnte, „Nicht alle sind Israel (oder Israeliten), die aus Israel sind“ (Röm. 9,6), so sind auch am Weinstock fruchttragende und nicht fruchttragende Reben. Es sind Reben vorhanden, die ab gehauen, verdorren und verbrannt werden.

Der Herr Jesus sagt:    

(1) „Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Weingärtner.

(2) Jede Rebe an mir, die nicht Frucht bringt, die nimmt Er weg; und jede die Frucht bringt, die reinigt er, damit sie mehr Frucht bringe.  

(3) Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe.

(4) Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe nicht von sich selbst aus Frucht bringen kann, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt.                                                

(5) Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, dieser bringt viel Frucht, denn außer mir könnt ihr nichts tun.

(6) Wenn jemand nicht in mir bleibt, wird er hinaus geworfen wie die Rebe und verdorrt; und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen.                                                                        

(7) Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, so werdet ihr bitten, um was ihr wollt, und es wird euch geschehen.                      

(8) Hierin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt, und ihr werdet meine Jünger werden (Joh.15,1-8).

Die nicht fruchttragenden Reben werden abgeschnitten und verdorren, um danach zum verbrennen ins Feuer geworfen zu werden. Wer dieses Bild gut versteht, wird davor bewahrt bleiben, dem Wort die Kraft zu nehmen und die einzig mögliche Auslegung annehmen, dass die nicht fruchttragenden Reben verloren gehen. Ebenso möge er bewahrt werden, aus diesen Worten des Herrn Jesus abzuleiten, dass es ein Abfall von Heiligen gibt. Nicht  über den Herrn Jesus als das Haupt des Leibes, sondern über Ihn als Weinstock wird hier gesprochen. 

Mit dem Herrn als das Haupt des Leibes kann niemand vereinigt sein, der nicht aus Gott geboren, lebendig gemacht und für ewig gerettet ist. 

Mit dem Herrn Jesus als der Wahre Weinstock ist jeder verbunden der Ihn, wenn auch nur äußerlich, als Sein Herrn und Meister angenommen hat. Judas und Simon der Täufer zu Beispiel waren Reben des Weinstocks, aber keine Glieder des Leibes!

Wenn dies gut verstanden wird, hört der Streit auf, welcher scheinbar besteht, wegen der Worte  in Hebr. 6,4-6, dass es unmöglich ist, dass sich Menschen die abgefallen sind, nachdem sie geschmeckt haben, was das Christentum bietet, wieder neu bekehren können. Dies gilt auch für die Worte in Joh. 10, dass die Schafe des Herrn Jesus das ewige Leben haben und in Ewigkeit nicht verloren gehen können, und aus Seiner Hand, noch aus der Hand des Vaters geraubt werden können.

Wer muss dies jetzt beurteilen? Wer muss feststellen, was wohl und was nicht fruchttragende Reben sind? Wer muss die nicht fruchttragenden Reben abschneiden? Wir? Nein, sicher nicht. Wir haben damit nichts zu tun. „Ich bin der wahre Weinstock und Mein Vater ist der Weingärtner. Jede Rebe an mir die nicht Frucht bringt, nimmt Er weg“ (Vers 1-2), sagt der Herr Jesus. Sicher, die Versammlung auf der Erde muss das Böse, der offenbaren Sünde in ihrer Mitte wiederstehen, und sich enthalten von allen, die unordentlich wandeln. Von allen welche die Gottesfurcht augenscheinlich besitzen, aber deren Kraft verleugnen. Aber mit dem Abschneiden von der Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus, sodass derjenige ewig verloren geht, hat sie nichts zu tun.

Dies kann allein nur der Vater tun. Er kann in den Himmel aufnehmen, die zu Recht durch die Versammlung auf Erden ausgeschlossen wurden. Er kann die Pforte des Himmels schließen für jemand, der in Gemeinschaft mit den Gläubigen auf Erden geblieben ist, weil es kein Anlass und kein Recht bestand ihm zu widerstehen. Wenn der Herr in Matthäus. sagt: „Alles was ihr auf Erden binden werdet, wird im Himmel gebunden sein“ (Matth. 18,18), will nicht sagen, dass wer durch die Gläubigen auf der Erde ausgeschlossen wurde, nicht in den Himmel kommen kann. Es will sagen, dass was die Versammlung auf Erden in dem Namen des Herrn Jesus tut, durch Gott im Himmel anerkannt wird.

Wir würden uns gewaltig irren. Elia dachte, allein übrig geblieben zu sein, aber Der Herr sagt zu ihm, „dass noch siebentausend in Israel übrig geblieben waren, die ihre Knie nicht vor Baal gebeugt haben“. (1.Kön.19,18). Und der Apostel Paulus sagt „Der Herr kennt die Sein sind“ (2.Tim. 2,19). Welch ein Frieden ist dies für unsere Herzen!

Die nicht fruchttragenden Reben werden durch den Vater weggenommen, sie werden hinaus geworfen. Er sammelt sie und wirft sie in das Feuer und sie verbrennen. Dadurch bekommt, wie schon gesagt, der Weinstock ein besseres Ergebnis und dann können die fruchttragenden Reben besser zu ihrem Recht kommen. 

Der Herr Jesus spricht jedoch nicht nur über die nicht fruchttragenden Reben, Er spricht auch über die fruchttragenden. Diese bleiben an dem Weinstock. Der Weingärtner kennt sie und lässt sie sitzen, damit sie ausschlagen und Frucht tragen. Doch ist Seine Arbeit damit zu Ende? Nein, die beginnt jetzt erst. Die Frucht tragenden Reben müssen, wenn sie ausschlagen und wachsen, versorgt und gereinigt werden. Jede Rebe, die Frucht trägt, reinigt er (d. i. der Vater), dass sie mehr Frucht trägt, sagt der Herr (Vers 2). 

Wir denken jetzt an den Weinstock im Frühling, wenn die Reben schießen, Blätter kriegen und sich Blüten färben. Im Herbst oder im Winter werden die nicht fruchttragenden Reben weggeschnitten. Im Frühling werden die fruchttragenden Reben gereinigt von allem, was dem wachsen im Weg steht, damit die Säfte in die Frucht gehen und nicht vergeudet werden für Blätter und Äste die unnötig sind. Selbst ein Teil der Trauben werden raus geschnitten, damit die übrigbleibenden größer werden können.

Dies tut der Vater mit den wahren Gläubigen. Sie tragen Frucht, das ist sicher. Manchmal wenige Frucht, aber doch Frucht. Wenn dies nicht so wäre, würden sie abgeschnitten werden. Doch sie müssen gereinigt werden, damit sie mehr Frucht bringen. Sie werden durch diese Reinigung keine fruchttragenden Reben. Sie sin fruchttragende Reben und deshalb werden sie gereinigt. Damit die Jünger dies gut verstehen, fügt der Herr noch hinzu: „Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das Ich zu euch geredet habe.“ (V.3) 

Last uns daran denken, dass Judas weggegangen war. Die elf, die übrig blieben, waren echte Heilige und fruchttragende Reben am Weinstock. Durch das Wort, welches der Same der Widergeburt ist, waren sie aus Gott geboren. So wie der Herr Jesus bei der Fußwaschung zu Petrus sagt: „Wer gebadet ist, hat nicht nötig, sich zu waschen, ausgenommen die Füße, sonder ist rein“ (Joh.13,10). Die Waschung der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes (Tit.3,5) findet einmal statt und wird nie mehr wiederholt, ebenso wie der Priester in Israel bei der Weihung ganz im kupfernen Waschbecken gewaschen wird und danach nur die Hände und Füße.

Wichtig ist auch zu bemerken, dass der Vater die fruchttragenden Reben  reinigt, damit sie mehr Frucht tragen sollen. Dies ist sein Werk und nicht unser. So wie nur der Vater die Reben, welche keine Frucht tragen abschneidet, so ist es auch nur der Vater, der die fruchttragenden Reben  reinigt. Dies ist tröstlich, aber auch ernst.

Es ist in erster Linie tröstlich, denn wer hat uns mehr lieb als unser Vater der Seinen eigenen Sohn nicht geschont hat und mit dem Sohn uns alles schenkt (Röm. 8,32)? Und wer kennt uns besser als Er? Wer kennt all unsere Umstände, unser Nöte und Bedürfnisse, unsere Gebrechen und Gefahren wie Er? Er sieht das Ende unseres Weges schon von Anfang an. Die Menschen, auch gläubige Geschwister, sind oft so gefühllos und gerecht in ihren eigenen Augen. 

David wusste, dass es besser war in die Hände des Herrn zu fallen, als in die Hände der Menschen, weil Gott barmherzig ist und groß an Güte (2.Sam. 24,14). Darum ist es auch so tröstlich zu wissen, dass der Vater der Weingärtner ist, und Er die Reben reinigt. Er kann sich nicht  irren. Er nimmt nichts weg, was bleiben muss, und lässt nichts bleiben was weggenommen werden muss. 

Aber es ist gleichzeitig ernst, dass der Vater allein reinigt. O wie wird in dieser Hinsicht häufig gesündigt. Wie haben Hiobs Freunde ihm Schmerzen zugefügt. Weil sie nichts begriffen von den Absichten Gottes. Schrieben sie doch das Elend, worin sich Hiob befand, einer ganz anderen Ursache zu, als wozu Gott es geschickt hatte.

Wir sollten nicht in Gottes Territorium treten. Ist jemand arm, dann muss er unterstützt werden, ist jemand krank, muss er versorgt werden, ist jemand in Not, dann muss ihm geholfen werden. Niemand sollte sagen oder denken, er wird erprobt und deshalb dürfen wir Gott nicht in den Weg treten. Wenn wir so denken und handeln, befinden wir uns auf Gottes  Territorium und verlassen den Weg, der uns angewiesen ist und den Geboten, die uns gegeben sind. Gottes souveräne Taten sind nie Richtschnur für unser handeln. Unsere einzige Richtschnur ist das Word Gottes, worin Er uns Seinen Willen und Seine Gebote kund getan hat. 

Gold kann nicht, so wie es aus dem Bergwerk kommt genutzt werden. Es muss erst von Steinen, Sand und Erde gereinigt werden. Dies kann nur durch Feuer geschehen. Es muss geläutert werden um am Ende sauber aus dem Schmelzofen hervor zu kommen. Dieses Bild benutzt der Apostel Petrus in seinem ersten Brief für die Erprobung des Glaubens. 

(1.Petr. 1.4-7)                                                                                                                                                 

4)„zu einem unverwesliches und unbeflecktes  und unverwelkliches Erbteil, das in den Himmeln aufbewahrt ist für euch,                     

5) die ihr durch Gottes Macht durch Glauben bewahrt werdet zur Errettung, die bereit ist, in der letzten Zeit offenbart zu werden; 

6) worin ihr frohlockt, die ihr jetzt eine kurze Zeit, wenn es nötig ist, betrübt seid durch mancherlei Versuchungen;                                   

7) damit die Bewährung eures Glaubens, viel Kostbarer als die des Goldes, das vergeht, aber durch Feuer erprobt wird, befunden werde zu Lob und Herrlichkeit und Ehre in der Offenbarung Jesu Christi;“

Die Erprobungen, Leiden, Wiederwertigkeiten und Gegenschläge des Lebens, gereichen zur Läuterung des Glaubens. Der Glaube ist das göttliche Lebensprinzip in unsere Seele, es ist Gottes Gabe und besteht parallel in uns, mit allerlei Prinzipien und Gewohnheiten die aus dem Fleisch und der Welt stammen. Diese müssen durch Glauben begegnet werden, damit  ein uneingeschränktes Glaubensvertrauen auf Gott übrig bleibt.

Was einst durch die Widergeburt und Erneuerung durch den Heiligen Geist und für immer bei uns Eingang gefunden hat, nämlich, dass unsere Seelen lebendig gemacht und abgesondert von der Sünde und der Welt gestellt wurden, muss auch danach in allen Situationen Platz finden, sodass wir mehr und mehr geheiligt werden.

Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige euch völlig; und euer ganzer Geist und Seele und Leib werde untadelig bewahrt bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. (1. Tess. 5,23)

…. eure Leiber darzustellen als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Schlachtopfer, was eurer vernünftiger Dienst ist. (Röm. 12,1)

Unser Gott und Vater benutzt dafür Krankheiten, Widerstände, und Entbehrungen. Selbst Widerstände und Feindschaften von Menschen, mit welchen es schwierig ist, mit ihre Art und ihrem Verhalten zu recht zu kommen.

Wie schön wird uns dies in Hebräer 12 mitgeteilt, wo wir Gottes Beweggründe und Zweck der Züchtigung kennen lernen. Der Grund zum Schreiben dieser Worte an die Hebräer war die Mutlosigkeit der Gläubigen, die seit vielen Jahren heftig verfolgt wurden und von ihren Gütern beraubt waren. Im Anfang haben sie sich wegen der Leiden um Christi Willen und über den Verlust ihrer Güter gefreut. Doch durch die lange Dauer der Verfolgungen waren sie mutlos geworden und standen in Gefahr, zum Judentum zurück zu kehren.  

Der Apostel richtet erst in Hebräer 11 ihre Blicke auf die Glaubenshelden des  Alten Testaments die mit Ausharren ihren Lauf vollendet hatten, und unabhängig von all den Widerständen und Verfolgungen bei ihrem Glauben geblieben waren. Doch in Hebräer 12 stellt er ihnen vor allem den Herrn Jesus vor, den größten Leidensmann, „den Anfänger und Vollender des Glaubens, der wegen der vor Ihm liegenden Freude das Kreuz erduldetet und der Schande nicht achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes“ (vers. 2). Er ruft Ihnen zu:

„Ihr habt noch nicht, gegen die Sünde ankämpfend, bis aufs Blut widerstanden und habt die Ermahnung vergessen, die zu euch als Söhnen spricht: „Mein Sohn, achte nicht gering des Herrn Züchtigung, noch ermatte, wenn du durch ihn gestraft wirst.“ (Hebr. 12,4+5)

Die Zucht des Herrn ist ein Beweis, dass wir Söhne sind. 

..denn wer ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt?(v. 7)

Um andere Kinder bemüh ich mich nicht, aber meine eigenen Kinder bestrafe ich. Auch unser himmlischer Vater bemüht sich im Besonderen um seine eigenen Kinder und pflegt sie, bestraft und züchtigt sie. Die Züchtigung geschieht aus Liebe. 

Den der Herr liebt, den züchtigt er; er geißelt aber jeden Sohn den er annimmt. (v. 6)

Wir verstehen diese Leiden als Züchtigung und nicht als Gericht, denn in der Züchtigung handelt Gott mit uns als Söhne. Welcher Sohn ist da, den der Vater nicht züchtigt? Darum sollen wir die Zucht des Herrn nicht gering achten, denn dies währe eine Missachtung seiner Liebe, die ihn bewegt, uns durch Zucht zu reinigen. Ebenso wenig sollten wir Mutlos werden, wenn wir durch ihn bestraft werden, denn die Züchtigung ist ein Beweis, dass wir Söhne sind und als solche von Gott geliebt sind.

Wenn wir ohne Züchtigung währen, welche das Teil der Kinder Gottes ist, müssen wir daraus schließen, dass wir Bastarde und nicht Söhne sind.

Aus dieser Sicht ist die Zucht auch etwas, dass uns trösten kann. Dies um so mehr, wenn wir den Grund begreifen den der Herr mit unserer Züchtigung hat.  Sie ist nötig,  …damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden (Vers10). Hier wird hinzu gefügt: 

„Alle Züchtigung aber scheint für die Gegenwart nicht ein Gegenstand der Freude, sondern der Traurigkeit zu sein; danach aber gibt sie die friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die durch sie geübt sind“ (V. 11).

Der Vater ist der Weingärtner; alle Reben die Frucht tragen, die reinigt er, damit sie mehr Frucht tragen. Die Zucht wird ausgeführt durch den Vater, gegenüber seinen Kindern. Die Welt wird nicht gezüchtigt, wohl gestraft und gerichtet, aber nicht in diesem Sinn gezüchtigt. Nicht fortdauernd, sondern  „wenn es nötig ist“ (1. Petr. 1,6). Doch kein Kind Gottes entkommt ihm. 

Würde der Vater seine Hand zurück halten, währe dies ein Beweis, dass er ihn als einen Bastard ansieht. Es ist Gott, unser Vater, der uns züchtigt aus Liebe, damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden. Er weiß was jeder bedarf und er handelt mit jedem nach seinem Charakter, seiner Art, Schwachheit und Gebrechen. Der eine muss durch Wiederstand und Verlust zur Kenntnis seiner eigenen Unwürdigkeit und Nichtigkeit gebracht werden, wie die Geschichte von Hiob zeigt. Der andere wird durch Leiden und Schmerz vor dem Abweichen vom Herrn bewahrt, wie der Dorn im Fleisch bei Paulus uns lehrt (2.Kor. 12,7). 

Ein dritter wird gestraft für das Bösen, welches er begangen hat, so wie der Herr zu David sagte nach seinem tiefen Fall: „…so soll von deinem Haus das Schwert nicht weichen in Ewigkeit“ (2. Sam. 12,10). Ein anderer wird in allerlei Umstände gebracht, damit sein Glaube gestärkt wird, wie Abrahams Geschichte uns treffend lehrt. Auch Krankheit und Tot lassen uns die Herrlichkeit Gottes sehen, so wie es zum Beispiel bei dem König Hiskia und bei Lazarus aus Bethanien war.  „Diese Krankheit ist nicht zum Tod, sondern um der Herrlichkeit Gottes willen, damit der Sohn Gottes durch sie verherrlicht werde (Joh. 11,4). 

Viele andere Vorbilder in der Schrift zeigen uns, wie der Vater seine Kinder mit Weisheit und Liebe behandelt, und sie führt und leitet. Er hat allezeit seine Verherrlichung, aber auch ihr Heil vor Augen und erreicht stets sein Ziel, obwohl es oft lange Zeit so scheint als ob es vergebens ist. Wir können uns voll Vertrauen dem Herrn übergeben und sicher sein, dass alle Dinge zum guten mitwirken für die welche Gott lieben, auch wenn wir nicht wissen was wir beten sollen, so wie es sich gebührt. Gott braucht keine Rechenschaft ab zu geben, über seine Taten und die Rätsel des Lebens werden nicht hier, sondern direkt im Vaterhaus aufgelöst werden. 

Der Vater will, dass wir mehr und mehr teilhaben an seine Heiligkeit im Tun und in der Gesinnung. Der Herr Jesus sagt zu seinen Jüngern, als er über die wahre göttliche Gesinnung in der bösen Welt sprach:  „Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist (Matth. 5,48). Und der Apostel Paulus sagt: „Seid nun Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder, und wandelt in Liebe, wie auch der Christus uns geliebt… (Eph. 5,1-2).

Jeder gläubige erfreut sich daran. Es ist für ihn ein großes und herrliches Vorrecht, das er dazu ermahnt wird und ihm zugetraut wird dazu im Stande zu sein. Sein Heimweh nach dem Himmel entsteht auch dadurch, dass er ohne Sünde und Unvollkommenheit, heilig und untadelig vor dem Angesicht des Herrn stehen wird. Wenn nun die Züchtigung das herrlich Ziel anstrebt, dass wir mehr und mehr der Heiligkeit Gottes teilhaftig werden, dadurch, dass unser Fleisch in uns gerichtet wird und wirkungslos macht, dann freuen wir uns über die Zucht.

Der Apostel Paulus sagt hierzu: „wir rühmen uns in der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale, da wir wissen, dass die Trübsal Ausharren bewirkt, dass Ausharren aber Bewehrung“ (Röm. 5,2-4). Der Apostel Jakobus sagt: „Haltet se für lauter Freude, meine Brüder, wenn ihr in Prüfungen fallt, da ihr wisst, dass die Bewehrung euers Glaubens Ausharren bewirkt „ (Jak. 1,2-3). Was normaler weise Ursache von Betrübnis, Schmerz und Pein ist, - und das muss es sein, sonst würde es keine Wirkung haben -, hat als Resultat, einen Grund zur Freude. 

Herrlich ist es, wenn wir aus dem Mund des Herrn Jesus hören: „Hierin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt, und ihr werdet meine Jünger werden“ (Joh. 15,8).

Nicht nur Frucht, sondern viel Frucht will der Vater sehen. Dadurch wird er verherrlicht, denn er ist es, der die Reben reinigt, damit sie mehr Frucht tragen. Der, welcher Frucht trägt, ist ein wahrer Nachfolger des Herrn, dessen Speise es war, den Willen des Vaters, der im Himmel ist, zu tun.  Genauso wie von einen Sohn der auf seinen Vater hört gesagt wird: dass ist der Sohn von seinem Vater, kann in gleicher Weise von einen Gläubigen der Frucht bringt, gesagt werden: das ist ein Jünger des Herrn Jesus. Möcht es so sein, dass wir es sind, oder werden.

Der Herr Jesus ist der Weinstock, welcher den Reben den Saft gibt, um blühen und wachsen und Frucht tragen zu können. Der Vater ist der Weingärtner, der die nicht Frucht tragender Reben ab schneidet und die Frucht tragenden reinigt um dadurch zu mehr Frucht im Stande sind. Wir sind die Reben, sagt er in Vers 5. Vorher hatte er zu den Jünger, die um ihn standen gesagt, „Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe“ (v, 3).

Was haben die Frucht tragenden Reben jetzt zu tun? Sie brauchen nicht dafür zu sorgen, dass sie Frucht tragen, das tut der Weinstock. Sie haben auch nichts mit ihrer Reinigung zu tun, dafür sorgt der Weingärtner. Was müssen sie dann tun? Sie brauchen nur am Weinstock zu bleiben. Sie müssen fortwährend in lebendiger Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus sein. „Wer in mir bleibt und ich in ihm, dieser bringt viel Frucht, denn außer mir könnt ihr nichts tun“ (v.5). Dies ist das einzige, woran die Reben sich halten sollen. Sie müssen an dem Weinstock bleiben. Eine Rebe, die nicht am Weinstock bleibt, verdorrt. Jeder der sich von dem Herrn Jesus abwendet oder entfernt, muss umkommen.

Nur durch ihn bekommen wir Lebens- und Wachstumskraft. Ohne ihn, können wir nichts tun. Alle Energie muss von ihm kommen. Wir sind außerstande, aus uns selbst etwas Gutes zu tun. Das ist auch nicht erforderlich und wird auch nicht erwartet; alle Lebenskraft strömt allein durch Jesus Christus in uns. Wir sind schwach, aber das ist nicht hinderlich, denn Gottes Kraft wird in Schwachheit vollbracht. Eher ist das Gefühl unseres eigenen Unvermögens und unserer Schwachheit ein Anlass, um die Kraft in ihm zu suchen, welcher das Leben hat in sich selbst und welcher uns den unerschöpflichen Brunnen des Lebens und der Lebenskraft schenkt.

Wer in dem Herrn Jesus bleibt, empfängt aus ihm und durch ihn alles, was er nötig hat für sein Wachstum in der Gnade und zum Frucht tragen, zur Verherrlichung des Vaters. Daraus folgt, dass wir uns nicht mit dem Fruchttragen beschäftigen müssen. Dafür sorgt der Weinstock, in dem er fortwehrend Saft gibt; da sorgt der Weingärtner für, dadurch, dass er alles weg nimmt, was dem Frucht tragen im Weg steht. In dieser Hinsicht sind wir total abhängig. Wir können kein Leben hervor bringen, wir können falsche und schädliche nicht weg nehmen. 

Dies sehen wir manchmal nicht so. Aber der Vater sieht es und handelt danach, und der Sohn hat das Leben in sich selbst und teilt das Leben mit. Wir können oft nicht beurteilen, was eine gute Frucht ist. Wir würden bei uns selbst und bei anderen weg schneiden was bleiben muss und bleiben lassen was weg muss. Deshalb müssen wir uns damit nicht beschäftigen, sondern sich dem übergeben, der diese gesegnete Arbeit auf sich genommen hat und dies zur Ehre seines großen Namens ausführt.

Wir haben nur in dem Herrn Jesus zu bleiben. Fortwährend müssen wir uns ihm anvertrauen und im Gefühl unseres Unvermögens und unserer Kraftlosigkeit in allem, zu ihm unsere Zuflucht nehmen und auf ihn unser Auge richten. “Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht“ (V. 5). Dies kann nicht anders sein, denn so wie der Saft von dem Weinstock, die Reben wachsen und Frucht tragen lässt, so wird die Kraft des Herrn Jesus in uns hervor gebracht. Aus seiner Fülle empfangen wir alle Gnade um Gnade. Bleiben wir in Lebensgemeinschaft mit ihm, dann strömt uns aus ihm alles zu, was wir zum leben, zu unserm Wachstum in der Gnade und zum Fruchttragen nötig haben.

Johannes 13 Fußwaschung 1877 BdH

01/16/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Betrachtungen über Johannes 13 BdH 1877

 Kap.13 Passahfest, Fußwaschung

Wir finden in dem vorliegenden Schriftabschnitt zwei Gegenstände, die wir sowohl nach ihrer moralischen Gedankenreihe als auch nach ihrer historischen Ordnung zu betrachten wünschen, nämlich die praktische und wirkliche Reinigung, deren wir bedürfen, um mit Christo teilzuhaben, und die Ruhe, die daraus entspringt.

Wer den gegenwärtigen Zustand des Volkes Gottes genau betrachtet, wird sicher bald die Entdeckung machen, daß sich unter den Gläubigen die wirkliche Ruhe der Seele höchst mangelhaft vorfindet, Wir wollen dadurch keineswegs in Abrede stellen, daß Ernst, Wirksamkeit, Eifer, Erkenntnis und Ver ständnis heutzutage vorhanden sind; und doch kann man all diese Dinge oder wenigstens etliche davon offenbaren und dennoch des wirklichen Friedens und der wahren Ruhe ermangeln. 

Es ist in unseren Tagen wirklich selten, daß man jemanden findet, der sich eines bleibenden, unerschütterlichen Friedens erfreut. Warum? Habt ihr euch, meine geliebten Leser, diese Frage wohl schon je mit Ernst vorgelegt? Woher kommt es denn, daß sich so viele der Vergebung der Sünden erfreuen, und dennoch dieses Friedens ermangeln? Auf diese Frage möchte ich die richtige Antwort geben.

Zwei Grundsätze sind in unseren Tagen unter einer zahl. reichen Menge von Gläubigen wirksam - Grundsätze, durch die sie ihrer Seele Ruhe und Frieden zu verschaffen trachten. Der jine Grundsatz ist der Eifer, in irgendeinem Dienst unablässig 'wirksam und tätig zu sein. Das Herz ist mit Dingen beschäftigt, die an und für sich betrachtet völlig gut und schätzenswert sind, aber die als solche der Seele die wahre Ruhe weder geben, noch geben können, sondern die im Gegenteil nur oft den Mangel an wahrer Ruhe ins Licht stellen. Ach, wie oft begegnet man jemanden, dessen Herz der wahren Ruhe entbehrt, und der seine Wirksamkeit als ein Mittel betrachtet, um diese Ruhe zu erlangen! 

Der zweite Grundsatz, dem man ebensooft begegnet, ist das unablässige Trachten nach Besserung des Fleisches, um auf diesem Wege zur Ruhe zu kommen. Wie viele sonst ernste, aufrichtige Christen haben schon die Behauptung aufgestellt, daß durch eine feste Willenskraft die Unterwerfung des eigenen Willens bewirkt werden könne, und daß durch die Übergabe des eigenen Willens der Wille sich gleichsam selbst töte, und daß man durch diese Handlung der Energie die wahre Ruhe erlange! Ach! wer sein eigenes Fleisch wahrhaft erkannt und gerichtet hat, wird das Anmaßende einer solchen Behauptung gar bald entdecken.

Nun ist es unsere Absicht, nach der Schrift das Hindernis einer wahren Seelenruhe, die in Joh 13 ihren Ausdruck findet, und von welcher uns der irrt Schoße Jesu ruhende Johannes ein Beispiel gibt, zu bezeichnen und zugleich festzustellen, worin diese Ruhe besteht und welches ihre Resultate sind.

Nach unserer Meinung liegt ohne Zweifel die Ursache jenes Mangels an Ruhe und Frieden bei den Gläubigen in dem Um stande, daß ihre Füße nicht gewaschen sind. Daraus entspringt die Unfähigkeit, in prakischer Weise mit Christo, wo Er ist, Gemeinschaft zu haben. Dies aber ist, man beachte es wohl, die Hauptwahrheit, die uns in Joh 13 vor Augen gestellt wird. 

Es ist und bleibt vollkommen wahr, daß der Herr Jesus uns von den tagtäglichen Befleckungen während unseres Wandels rei nigt; aber wir zweifeln nicht daran, daß uns hier noch eine tiefere Wahrheit ans Herz gelegt wird, nämlich die Fähigkeit, bei Christo, wo Er ist, zu bleiben. Es handelt sich hier um eine Reinigung, die uns in den Stand setzt, mit Christo, mit Ihm in Herrlichkeit - an gemeinschaftlichen Interessen teilzuhaben, Das sind unseres Erachtens die Hauptgedanken in Joh 13.

Zunächst sehen wir hier den Herrn „während des Abend essens" als den Mitgenossen der Seinigen in dieser Welt; dann aber „vom Abendessen aufstehend", bricht Er diese Genossenschaft ab und zeigt Seinen Jüngern, wie Er die Macht besitzt und bereit' ist, sie zum Eintritt in ieLn besseres Verhältnis zu befähigen. Diese Handlung ist von höchster Bedeutung, und jedenfalls will der Herr damit sagen:

 „Bis jetzt war ich in Eurer Stellung Euer Mitgertosse; nun aber will ich Euch befähigen, in meiner neuen Stellung meine Mitgenossen zu sein; ich will Euch zu solchen machen, die mit mir in der neuen Sphäre und in der neuen Stätte, in die ich jetzt eintrete, Gemeinschaft haben können". Darauf nimmt Er das Waschbecken, das Wasser und das leinene Tuch; und in dem vollen Bewußtsein, „daß Seine Stunde gekommen", und „daß Er von Gott ausgegangen war und zu Gott hingehe", steht

 Er von dem Abendessen auf, um das Werk Seines neuen Dienstes an den Seinigen zu erfüllen. Daß die Liebe die Quelle unddi'e Triebfeder aller Seiner Wirksamkeit für sie 'ist, sagen uns die Worte; „Da er die Seinigen, die in der Welt waren, geliebt hatte, liebte er sie bis ans Ende". Wie köstlich ist diese Liebe des Herrn! Wie wunderbar Seine Gnade! Und vergessen wir es nicht, daß diese Zuneigung und diese Liebe trotz allem Wechsel der Zeiten und der Umstände in Seinem Herzen ewig fortdauern.

Es ist daher durchaus. nötig, auf die 'Qüelie und Triebfeder der Handlungen des Herrn unverwandt unsere Blicke' zu richten. Dies ist unser gesegnetes Vorrecht; und dennoch, ach! wie wenig verstehen unsere Herzen, daß alle Beweggründe Seines Tuns ii Ihm Selbst zu suchen und zu finden sind! Doch es ist eine unumstößliche Tatsache, daß die Beweggründe, die das Getriebe Seiner Gnade in Tätigkeit setzen, in Seinem eigenen Herzen ihren Platz haben. 

Nur weil es das Wohlgefallen Seines Willens ist, befähigt Er die Seinigen, in Seiner Gegenwart zu erscheinen und mit Ihm in der neuen Stellung, in die Er ge treten ist, Gemeinschaft zu haben. Nur Er vermag das zu vollbringen, was Seinem eigenen Herzen entspricht. Habt ihr, ge liebte Leser, das Gefühl, daß dem Herzen dieses teuren Herrn nichts köstlicher, nichts angemessener ist, als euch für Seine Gegenwart fähig zu machen? Seid ihr wirklich in euren Seelen überzeugt, daß es das Verlangen Seines Herzens war, solche

Elende, wie wir von Natur sind, zu befähigen, mit Ihm in der neuen Stellung, in die Er eingetreten ist, Gemeinschaft machen zu können? Ja wahrlich, nicht nur unser Elend und unsere Bedürfnisse, sondern die Zuneigungen Seines Herzens sind die Triebfedern Seiner Wirksamkeit gewesen, uni uns für Ihn, wo Er ist, passend zu machen. Zu diesem Zweck „goß er Wasser in das Waschbecken und fing an, die Füße der Jünger zu waschen und mit dem leinenen Tuch abzutrocknen, womit Er umgürtet war".

Der freundliche Leser möge mir erlauben, folgende Fragen an ihn zu richten: Kennst du die Bedeutung dieser Handlung, die der Herr Jesus an dir vollzieht? Erkennst du es als eine Tatsache der Gegenwart, daß Er. deine Füge in Seiner Hand hält? Weißt du es zu schätzen, der Gegenstand einer solchen, von Ihm geübten Handlung zu sein, einer Handlung, die nichts Geringeres bezweckt, als jede Spur von Befleckung zu entfernen, die dein Verbleiben in Seiner Gemeinschaft verhindern könnte, an der Sein Herz eine weit größere Freude genießt, als du selbst in deiner Gemeinschaft mit Ihm? Hast du das Bewußtsein, daß deine Füße gewaschen sind, und unterwirfst du dich, daß sie gewaschen werden? 

Hältst du dem Herrn bereitwillig die Füße hin, damit Er sie wasche? Findest du es für 'notwendig, daß Er Sich um deinetwillen umgürtet, iumdadurch, daß 'Er deine 'Füße wäscht, alles zu entfernen, was dich für Ihn selbst und für Seine Gemeinschaft unpassend macht? Diese Fragen umfassen einfache, dir vielleicht längst bekannte Dinge; aber solche alten Dinge müssen öfters in die Erinnerung zurückgerufen werden; denn wie schnell, gerade weil sie längst bekannt sind, entschwinden sie unserem Bewußtsein, zumal das, was in und um uns vorgeht ganz dazu angetan ist, unsere Blicke von ihnen abzulenken!

Ich habe diese Fragen gestellt, um dadurch die Bedeutung und Notwendigkeit der Fußwaschung von seiten unseres Herrn hervorzuheben. Ach, wie wenig fühlen die meisten Christen in der gegenwärtigen Zeit die hohe' Bedeutung dieser gesegneten Handlung! Ja, wir dürfen es uns nicht verhehlen, daß es im allgemeinen mehr oder weniger bei uns allen an einer völligen Unterwerfung unter die Kraft des durchbohrenden, zerteilenden, die Seele. durchdringenden Wortes mangelt, um alles, selbst das Geringste, was für die Gemeinschaft mit Christo ungeziemend und unpassend ist, zu richten und hinwegzutun.

Ich will bei dieser Gelegenheit an eine Schriftstelle erinnern, die uns die hohe Bedeutung der Fußwaschung aufschließt, und die in unse= rem Herzen stets einen Platz finden sollte. „Denn das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zwei= schneidige Schwert, und durchdringend bis zur Scheidung von Seele und Geist, sowohl der Gelenke als auch des Markes, und ein Beurteiler der Gedanken und Gesinnungen des Herzens; und kein Geschöpf ist vor ihm unsichtbar, sondern alles bloß und aufgedeckt vor den Augen. dessen, mit dem wir es zu tun haben" (Hebr 4, 12. 13).

Hier haben wir also die göttliche Erklärung von der Art und Weise, in welcher der Herr, und zwar durch das Wort Gottes, alles, was unsere Gemeinschaft mit Ihm stört und hindert, auf.- deckt und hiriwegräumt. Daß unter dem Wasser das Wort Gottes zu verstehen ist, zeigt uns die Heilige Schrift an verschie denen Stellen. 

Das Wasser ist die reinigende Kraft, die alles beseitigt, was mit der Gegenwart des Herrn nicht verträglich ist. Wenn das lebendige Wort das Gewissen und die Seele durchdringt, bringt es uns in die Gegenwart Gottes; und das göttliche Urteil wirkt durch das Wort auf alles, was sich in uns befindet Auch ist es beachtenswert, daß in dieser angeführten Stelle sowohl das geschriebene, als auch das fleischgewordene Wort einen Platz findet; denn zuerst lesen wir:

 „Das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert usw." und dann: „kein Geschöpf ist vor ihm unsichtbar, sondern alles bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir es zu tun haben". Von wessen Augen ist hier die Rede? Ohne Zweifel von den Augen Gottes. Nun, was von Gott wahr ist, ist auch von Seinem Worte wahr, und die Vollkommenheiten des hochgelobten Gottes, die durch dringende, wirkende Kraft dessen, der die Überlegungen und. Gesinnungen des Herzens kennt, sind auch Seinem Worte zu geschrieben. 

Ich hebe dies mit ganz besonderem Nachdruck hervor, weil ich fürchte, daß unseren Seelen oft das Gefühl von der Erhabenheit und Bedeutung des Wortes mangelt; denn wie ganz anders würde es oft auf unser Gewissen wirken, wenn wir es wirken ließen unter dem Eindruck, daß wir es mit Gott selbst zu tun haben! Wir sollten stets die Frage an uns richten: „Nimmt das Wort Gottes wirklich in unserem Herzen den Platz ein, den die Heiligen der vergangenen Zeiten ihm einräumten?" 

Es ist zwar durchaus nicht zu leugnen, daß die Christen unserer Tage im allgemeinen eine weit klarere Erkenntnis besitzen und auch vielleicht einen größeren Eifer an den Tag legen, als die Gläubigen vor etwa fünfzig Jahren; aber ich frage, ob die Macht, die das Wort Gottes damals auf die Seelen ausübte, auch heutzutage in demselben Grade ihren Einfluß auf die Gewissen derer besitzt, die ernten, was andere gesät haben? Ach! ich fürchte, daß es nicht viele Christen gibt, die es als ein köstliches Vorrecht betrachten, jeden Gedanken, jeden Beweggrund, jede Handlung des Lebens der durchdringenden, scheidenden Kraft des lebendigen Wortes zu unterwerfen.

Kann es unter solchen Umständen unsere Verwunderung erregen, wenn man in unseren Tagen so vielen Seelen begegnet, die keine wirkliche Ruhe, keinen wahren Frieden genießen? Wenn es an der Anwendung des Wassers, d. h. an der Anwendung des Wortes Gottes auf unser Gewissen mangelt, so daß wir nicht von allem, was mit der Gegenwart Gottes unverträglich ist, gereinigt werden, so ist es selbstverständlich, daß keine wahre Ruhe vorhanden sein kann; ja, es ist sogar die Güte Gottes, die uns den Genuß dieser Ruhe nicht gestattet, so lange wir uns in einem Zustande befinden, der für Seine heilige Gegenwart unpassend ist.

Indes möchte ich im Blick auf die Fußwaschung noch die Bemerkung hinzufügen, daß wir die hohe Bedeutung dieser Handlung sehr unterschätzen, wenn wir darin nur die Reinigung von dem erblicken, was mit Seiner heiligen Gegenwart durchaus unverträglich ist. Vielmehr sollten wir auch daran denken, daß unser teurer Heiland unzählige Dinge voraus sieht und unzähligen Dingen zuvorkommt, welche die Gemein schaft sofort stören würden, wenn sie in uns Eingang und Duldung fänden. Dies ist mir so riecht zum klaren Bewußtsein gekommen, als ich kürzlich von demselben Gesichtspunkt aus einen anderen Abschnitt des Wortes betrachtete. Wer wollte die Fußwaschung, die Tatsache der Wiederherstellung von seiten des Herrn in Gnade, in ihrer vollen Tragweite leugnen?

Aber wie viele Fälle in der Geschichte der Heiligen würden wir in einem ganz anderen Lichte betrachten, wenn unsere Herzen begreifen lernten, wie oft der Herr der Wirksamkeit solcher Grundsätze zuvorkommt, die unbedingt eine moralische Form zwischen Ihm und uns hervorbringen würden. Ja, wahrlich, Er zeigt in Seiner gnadenreichen Fürsorge ebensowohl Seine vorbeugende, als auch Seine reinigende Kraft.

Dies ist eine Er fahrung, die der Apostel Paulus gemacht hat; denn wir lesen in 2. Kor 12, 7 die Worte: „Und auf daß ich mich nicht durch die Überschwenglichkeit der Offenbarungen überhebe, wurde mir ein Dorn für das Fleisch gegeben, ein Engel Satans, auf daß er mich mit Fäusten schlage, auf daß ich mich nicht überhebe" Hier war für den Augenblick, wie wir sehen, keine Ursache zu einer moralischen Trennung zwischen dem Apostel und Christo vorhanden. Das Fleisch war in Paulus nicht wirksam gewesen; aber das Fleisch war vorhanden und konnte wirksam werden; es war der Grund da, aus dem eine sokhe Trennung hätte entstehen können. Alles, was das Fleisch zur Wirksamkeit treiben kann, ist im Menschen vorhanden, selbst wenn er bis in den dritten Himmel entrückt worden ist. Darum sagt der Apostel: „Auf daß ich mich nicht überhebe, wurde mir ein Dorn für das Fleisch gegeben".

Dieser Gedanke findet leider oft nicht die ihm gebührende Beachtung und übt daher auch nicht seinen vollen Einfluß über unsere Herzen aus.. Wir begnügen uns, zu wissen, daß der durch die Wirksamkeit des Fleisches hervorgebrachte übelstand der gestörten Gemeinschaft infolge der fortdauernden Tätigkeit des Herrn wieder behoben wird, und wir geben zu wenig dem Wunsche Raum, daß Er Sich vorbeugend der Mittel bedienen möge, um zu verhindern, daß eine solche Gemeinschaftsstörung eintritt. 

Sicher, wenn wir über diese Dinge ruhig nachdenken, würde das ein helles Licht auf den Weg werfen, den wir geführt werden; und wir würden die Leiden und Trübsale, tsowie andere unserer Natur widrigen Umstände mit ganz anderen Augen betrachten, und mit einem göttlichen Bewußtsein im Herzen, es klar erkennen, daß Er, der hinaufgestiegen ist, uns mit ewiger Liebe liebt und immerfort an uns denkt und mit uns beschäftigt ist. Er weiß, daß sich in uns eine Natur befindet, auf welche die verschiedenartigsten Einflüsse wirken, die uns aus

Seiner Nähe entfernen; aber Er kennt auch genau den Augen blick, wo es nötig ist, durch Seine gnadenreiche Dazwischen-- kunft dem vorzubeugen. Ein solcher Gedanke stellt selbst in den dunkelsten Tagen die Dinge in das hellste Licht. Wie köstlich und anbetungswürdig ist diese Liebe, die sich nicht nur her abläßt, um die Befleckungen der Seele abzuwaschen, sondern die auch der Wirksamkeit der bösen Natur in mir zuvorkommt, einer Wirksamkeit, die mich moralisch von Ihm trennen und zwischen Ihm und meinem Herzen eine Schranke aufrichten würde!

Außerdem gibt mir diese gnadenreiche Dazwischenkunft des Herrn das Vorrecht, in Gemeinschaft mit Gott zu lernen, was das Fleisch ist, so daß ich nicht nötig habe, es erst dann kennen zulernen, nachdem Satan an mir seine Macht ausgeübt und mich durch Betrug der Sünde überlistet hat, denn auf die eine oder die andere Weise müssen wir das Fleisch kennenlernen.

Wer es nicht mit Gott wie Paulus in 2. Kor 12 kennenlernt, der muß es mit dem Teufel wie Petrus kennenlernen. Wie ernst ist dieser Gedanke! Für Pa.ulus aber War es die erbarmende, zuvorkom mende Liebe des Herrn, die ihn sagen ließ: „Es wurde mir ein Dorn für das Fleisch gegeben!" Oh, welch ein Vorrecht, einen solchen Heiland, einen so treuen Hirten, einen solchen Freund zu besitzen, für dessen Herz so elende Geschöpfe, wie wir sind, einen Wert haben, weil wir die Gabe Seines Vaters und die Frucht Seiner unvergleichlichen Liebe sind!

Geliebter Leser! Weißt du jetzt, was es heißt, für die Gemeinschaft mit dem Herrn passend zu sein? Hat dein Herz in bezug auf diese Gemeinschaft etwas empfangen? Ach! ich fürchte, daß nur wenige diese praktische Gemeinschaft wirklich genießen, und daß mancher sogar nicht einmal diesen Mangel fühlt und sich nicht nach einem solchen Genuß sehnt. Sind deine Gefühle, deine Gedanken in Übereinstimmung mit denen des Christus in der Herrlichkeit? Oder mußt du bekennen, daß dein Herz wenig davon versteht? Vielleicht sagst du: „Ich bin glücklich!" Dies mag völlig wahr sein, ich zweifle nicht daran; aber durch die Fußwaschung für die Gegenwart Gottes befähigt zu sein, so daß alles hinweggetan ist was nicht mit Gottes 'Gegenwart harmoniert, ist eine ganz andere Sache.

Denn erst in diesem Falle gibt es für uns kein Hindernis mehr, in völliger Gemeinschaft mit Ihm, wo Er ist, zu sein und die aus dieser Gemeinschaft entspringende Ruhe zu genießen.

Die Ursache des Mangels an Ruheunter den Gläubigen liegt also darin, daß sie kein Teil mit Christo haben, weil ihre Füße nicht gereinigt sind. Ja, ihre Füße sind nicht gewaschen, und dadurch ist zwischen ihrem Herzen und Christo eine Kluft entstanden. Sollte das etwa in diesem Augenblick auch bei dir der Fall sein, mein Leser?

 Besteht etwa auch in deinem Herzen eine Schranke zwischen dir und Christo? Ist die Gemeinschaft in irgendeiner Weise gestört? Ach! du solltest stets das Gefühl haben, daß wenig dazu gehört, um diese Störung zu bewirken. Aber wie bedenklich ist es, wenn wir unsere Füße Seinen Händen entziehen und Ihn eine Zeitlang verhindern, sie uns zu waschen, oder das Wort unsere Gewissen durchdringen zu lassen. Ich rede hier nicht von dem Selbstgericht, das bei uns vorhanden sein sollte, und das eine natürliche Folge Seiner Tätigkeit sein wird, sondern nur von dem, was Er in der Fußwaschung zu unseren Gunsten tun will. 

Die Fußwaschung ist Seine Sache, nicht die unsrige. Aber wir können unsere Füße Seinen teuren Händen entziehen und Ihn an der Tätigkeit Seiner Liebe hindern, so daß 'die moralische Ferne zwischen Ihm und uns bestehen bleibt und Seiner Liebe nichts anderes übrigbleibt, als uns auf dem Wege schwerer Züchtigungen zu belehren und wiederherzustellen. Doch bedenken wir, welch ein wunderbares Werk ist die Fußwaschung für uns arme Geschöpfe! Welch eine Gnade, Die Sich erniedrigt, um uns die Füße zu waschen und uns von allem zu reinigen, was nicht mit Ihm im Einklang steht! Es kann nicht das Geringste da sein, oder Er ist bemüht, es sorgfältig zu beseitigen; denn gerade darin zeigt sich die Vollkommenheit Seiner Liebe, daß Er nichts durchgehen läßt. Unsere Selbstsucht, unsere Eigenliebe würde manches hindurchschliipfen lassen; aber Seine Liebe stellt alles ins Licht.

 Die Selbstsucht bewegt sich in ihrem eigenen Kreis; die Liebe aber beschäftigt sich mit einem Gegenstand und opfert sich für den auf; sie denkt nur an das Wohl dieses Gegenstandes und duldet an ihm nicht das Geringste, was nicht mit ihr im Einklange steht. Und warum? Um die Freude zu genießen, ihren Gegenstand so zu sehen, wie gie selbst ist. Wer vermöchte die Freude des Herrn Jesu zu ergründen? Wer wäre imstande, diese Seine Freude uns bei Sich in Seiner Gemeinschaft zu haben, auch nur in geringem Maße mit Ihm zu fühlen? 

Oh, sicher wird Seine Freude, mit uns Gemeinschaft zu haben, ungleich größer und tiefer sein, als unsere Freude, wie vollkommen wir sie auch droben in Seiner Herrlichkeit genießen werden. Und diese Freude ist der Beweggrund und die Triebfeder jener herrlichen Handlung, die uns in Joh 13 vor Augen gestellt wird.

In der gegenwärtigen Zeit, wo so viel Eifer und äußere Tätig keit in die Erscheinung tritt, und wo man so leicht die gesegnete Person Dessen, Dem unsere ganze Arbeit gewidmet sein sollte, aus dem Auge verlieren kann, ist es vor allem nötig., gerade das mit allem Nachdruck hervorzuheben, was das Teil des Herrn Jesu ist. Ich bin völlig überzeugt, daß das Herz Jesu in unseren Tagen kein anderes Zeugnis von den Seinigen begehrt, als sie zu finden nicht als solche, die sich durch große Dinge auszeich nen und Großtaten vollbringen, sondern als solche, die Sein Gott und Vater selbst mit dem Zeugnis bezeichnen kann, daß sich ihre Herzen ganz der Macht und dem Einfluß Seines vielgeliebten Sohnes unterwerfen und es laut bezeugen, wie in Ihm alle Fülle ist. 

Wahrlich, Er sucht Zeugen der Gnade und der Macht Jesu, auf daß Er andere, schwache, niedergebeugte Herzen zu ihnen führen und sagen könne: „Mein geliebter Sohn kann für Euch tun, was Er für sie getan hat". Hast auch du, mein geliebter Leser, in dir das göttliche Bewußtsein, daß Gott dich in dieser Welt zurückgelassen hat als ein Beispiel von dein, was Christus für solche armseligen Geschöpfe, wie wir sind, zu tun vermag? 

Er kann unsere Herzen so erfüllen, daß sie überströ men und fähig sind., Ihn an jener herrlichen Stätte zu genießen, wo Er Sich in ewiger Ruhe und Freude befindet. Der Herr möge uns daher Gnade geben, daß wir uns Seinen Händen nicht entziehen, sondern uns beständig vor Ihm im Lichte Seines Wortes befinden mögen, um durch das Wort alle Beweggründe unseres Herzens zu beurteilen und auf diesem Wege Seine völlige Freude und Ruhe zu genießen. 

Er wird es in Seiner Liebe nicht vermeiden, unsere--Gewissen die Schärfe Seines Wortes fühlen zu lassen. Aber fürchten wir uns nicht, jeden Gedanken unseres Herzens, jeden Trieb unserer Seele der durchdringenden Kraft

Seines Wortes zu unterwerfen; fürchten wir uns nicht, uns durch dieses Wort durchbohren zu lassen! Wir sollten nichts anderes fürchten, als dieses teure Wort von uns zu entfernen und uns der herzerforsch.enden Wirkung des Wortes zu entziehen. Vor dem Worte Gottes aber sollten wir uns nie fürchten. Sollten wir die Liebe fürchten, die stets bemüht ist, das Beste für uns zu tun? Es ist die Liebe Jesu. Die Gedanken und Gefühle Seines Herzens sind, uns zu segnen. 

Wir sind die Gefäße, die Er so gern dazu bereiten möchte, damit Seine Freude in uns bleibe und unsere Freude völlig sei. Nur auf diesem Wege werden wir die Erfahrungen der wirklichen Ruhe, des wahren Friedens machen; denn dann wird jedes Hemmnis, jedes Hindernis beseitigt sein. Wie rührt es unsere Herzen, wenn wir die Worte lesen: „Einer aber von seinen Jüngern, den Jesus liebte, lag zu Tische in dem Schoße Jesu". Hast auch du, mein teurer Leser, das Bewußtsein, daß Er deine Füße gewaschen hat, so daß du auch in Seinem Schoße ruhen kannst? Das eine muß notwendig dem anderen vorausgehen. Welch ein gesegneter Platz für ein ermüdetes Herz! Ja noch mehr. Das Mitgefühl Jesu reicht völlig hin um jeden Heiligen in Seinem Schoß Platz finden zu lassen.

Ruhst du wirklich in Seinem Schoß, an Seiner Brust, mein teurer Leser? Dies ist das Bild einer herrlichen Sache. Bist du Ihm so nahe, bist du so vertraut mit Ihm, daß Er die vollkommene Ruhe deiner Seele ist? Es handelt sich hier nicht um das, was Wir von Ihm empfangen, sondern Er Selbst will unsere Ruhe sein. 

Tritt etwas zwischen uns und Christo, so können wir, so lange dieses Etwas vorhanden ist, keine wahre Ruhe genießen; denn in einem solchen Zustand scheut unser Herz Seine Gegenwart, weil in ihr das, was zwischen uns und Ihm besteht, eine Beleuchtung und Beurteilung veranlassen würde. Das aber ist die Ursache, daß so wenige Seelen das Alleinsein mit Jesu und mit Gott zu ertragen vermögen. Um dieses zu können, muß zwischen Ihm und uns alles in Ordnung sein. 

Als Jakob allein gelassen war, kam ein Mann, der mit Ihm rang, bis die Mor' genröte aufging. Joseph, allein mit seinen Brüdern, gab sich ihnen zu erkennen. Kein anderer war zugegen. Ach, wie viele Christen suchen Zerstreuung in den Dingen, womit. sie sich umgeben, und selbst in den christlichen Dienstleistungen, die sie vom Morgen bis zum Abend ausüben, um nur nicht mit Christo und mit Gott allein zu sein! Traurige Wahrheit! Wenn zwischen Ihm und uns nichts hinderndes ist, dann können wir und werden wir gern mit Ihm allein sein und werden unsere Ruhe in Seiner Gegenwart finden: ja, Seine Gegenwart ist dann die Ruhe unseres Herzens. Darum noch einmal, mein Leser:. Ruhst du im Schoß Jesu?

Mit einem Wort: Ich muß in der Nähe Jesu sein, da wo Er ist. Es ist nicht genug, Ihn als meinen Heiland, meinen Sündentilger zu haben; es ist auch nicht genug, bei Ihm in den Tagen der Trübsal Zuflucht und Hilfe zu suchen, sondern ich muß einen Christus haben, der meine Füße wäscht, der mich von allem reinigt, was nicht in die Gegenwart Gottes. paßt, damit für mich kein Hindernis da sei, um in die Umstände Christi einzugehen. 

Wer sich im Genuß des Segens der Gemeinschaft mit Christo befindet, der kann mit dem Apostel sagen: „Ich ver gesse, was dahinten, und strecke mich aus nach dem, was vorn ist". Wenn ich genieße was droben ist, lenkt das mein Herz ab von dem, was eine trügerische Nachbildung jener wahren Güter ist. Die Kinder dieser Welt trachten nach dem Irdischen, weil sie das wahre Gut nicht besitzen. Wenn sie es besäßen, so wäre ein richtiger Maßstab in ihrer Hand, um die irdischen Dinge beurteilen zu können, nach denen sie sicher nicht begehren

würden. Niemand kann erkennen, was nach dem Urteil Gottes

falsch ist, es sei denn, daß er das Wahre kenne. Wer die Wahr heit nicht erkennt, wird nicht die Wahrheit und den Irrtum zu unterscheiden vermögen. Wenn man aber das Bessere besitzt, kann man das Geringere erkennen und man begehrt es nicht.

Wenn ich mit Christo ein gemeinschaftliches Interesse habe, so weile ich gern in Seiner unmittelbaren Nähe. Seine Gegenwart ist die Ruhe meiner Seele. Wo diese Ruhe zu finden ist, zeigt uns der 23. Psalm. Der leitet uns nicht zu irgendeiner irdischen Stätte; denn die Erde besitzt keine „grünen Auen", und ebensowenig fließen hienieden die „stillen Wasser".

Wie könnten im Sande der Wüste „grüne Auen", in den Stürmen dieser Welt „stille Wasser" zu finden sein? Nein, hier gibt es

weder „grüne Auen", noch „stille Wasser"; hienieden gibt es nur Eitelkeit und Unruhe. Aber von dem Augenblick an, wo

mein Herz die Nähe Jesu kostet und an diesem Genuß mich nichts hindert, kehre ich den irdischen Dingen, ja, den besten Gütern dieser armen Erde den Rücken. Dann werden auch die Nachbildungen Satans und alle seine verf-ührerischen Kunstgriffe auf einmal bloßgestellt und richtig von mir beurteilt. Ich finde durch den Glauben im Himmel die „grünen Auen" und die „stillen Wasser"; und die Freude meines Herzens macht mich fest gegen alles, was nicht mit der Gegenwart Christi harmoniert; denn nur Er allein ist es, der meine Seele völlig befriedigt.

Ich möchte noch folgendes hervorheben. Wenn wir im Schoße Jesu liegend, in Seiner Nähe zur Ruhe gebracht sind, befinden wir uns an der rechten Stelle, um Seine Mitteilungen zu empfangen. Oh, wie gesegnet ist es, in Seiner Gegenwart zu sein und auf die Mitteilungen Seines Mundes lauschen zu können! Dort vergißt man sich selbst und alles, was um uns ist, dort versteht man es, die Welt und ihre Unruhe beiseitezusetzen und in Seine göttlichen Gedanken einzugehen. Betrachten wir diesen Gegenstand im Licht des vorliegenden Kapitels, wo wir die Worte lesen: 

„Als Jesus dies gesagt hatte, ward er im Geiste erschüttert und bezeugte und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer von euch wird mich überliefern. Da blickten die Jünger einander an, zweifelnd, von wem er rede, Einer aber von seinen Jüngern, den Jesus liebte, lag zu Tische im Schoße Jesu. Diesem nun winkt Simon Petrus, damit er forschen möchte, wer es wohl wäre, von welchem er rede. Jener aber, sich an die Brust Jesu lehnend, 'spricht zu ihm: Herr, wer ist 'es" (Verse 21-25)? 

Welch eine Ruhe zeigt sich in dein Benehmen des im Schoß Jesu liegenden Jüngers! Wie zutraulich und vertrauens voll wendet er sich an seinen geliebten Herrn und Lehrer! Was könnte gesegneter sein! Dem, der sich in der unmittelbaren Nähe des Herrn befindet, räumen die anderen das Vorrecht ein, sich wie ein Freund in dieser zutraulichen Weise an Ihn zu wenden. Der etwas entfernt stehende Petrus gebraucht die Nähe zu Jesu, worin sich Johannes befindet, um nicht nur die Zweifel seines eigenen Herzens zu beschwichtigen, sondern auch um die Geheimnisse des Herzens Christi zu erfahren. Petrus fühlte, daß der im Schoß Jesu ruhende Gefährte fähig sei, diese Geheimnisse zu erforschen und ihre Offenbarung erfahren werde.

Oh, mein geliebter Leser, wie wichtig ist dies! Der Herr Jesus kann die Geheimnisse Seines Herzens nicht dem femstehenden Jünger mitteilen. Befindest du dich nicht in der Nähe, so kannst du weder Seine Geheimnisse, noch Seinen Willen, nach Sein Verlangen und die Wünsche Seines Herzens erfahren, Ich sage nicht, daß Er dich nicht liebt, aber wenn du einen entfernten Platz eingenommen hast, so kann keine Vertraulichkeit zwischen dir und Ihm sein, und es bleibt der Tätigkeit Seiner Liebe nichts anderes übrig, als dich praktisch in Seine Nähe zu bringen, damit Er die Freude habe, mit dir verkehren zu können, denn es ist das Verlangen Seines Herzens, dies zu tun. 

Die anderen Jünger waren nicht nahe genug, um die Geheimnisse des Herzens Christi erfahren zu können. Nur Johannes war dazu fähig; er konnte mit aller Zuversicht die Frage an. den Herrn richten: „Herr, wer ist es?" Er befand sich in. völliger Ruhe, um die Antwort seines geliebten Herrn und Lehrers empfangen zu können. Ich frage noch einmal: „Befin dest du dich in dieser gesegneten Ruhe? Ist auch dein Herz von diesem Vertrauen und durch diese Ruhe erquickt?" 

Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß wir Ihm öfters Mitteilungen machen, aber daß wir uns selten in völligem Frieden und in Seiner unmittelbaren Nähe befinden, die für Ihn geeignet erscheint, um uns Mitteilungen machen zu können. Und eben weil diese süße, verborgene Gemeinschaft mit Ihm so mangelhaft ist, so tragen wir auch so wenig das Bewußtsein in uns, daß es das Verlangen Seines Herzens 'ist, uns in Seiner Nähe zu haben, ja, daß es Seine höchste. Freude ist, uns alles, was Er an Liebe in Sich schließt, ohne Rückhalt offenbaren zu können. Oh, möchte der Herr uns doch diese Ruhe der Seele, dieses geöffnete Ohr verleihen, um mit Begierde auf das horchen zu können was Er uns nach dem Wohlgefallen Seines Herzens so gerne sagen möchte!

Laßt uns mit denselben Gefühlen, die uns bei Betrachtung des uns vorliegenden Kapitels geleitet haben, auch einen Blick werfen auf die Szene, die uns in Kapitel 21 desselben Evangeliums vorgeführt wird. Hier lesen wir die Worte: „Da sagt der Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: Es ist .der Herr!" Auch das ist eine Wirkung der Nähe des Herrn.

Man ist fähig, die Handlung des Herrn zu verstehen, wenn man die handelnde Person kennt; denn die Handlung steht mit der Person in Verbindung Jedoch ist es nötig, hinzuzufügen, daß wir nicht Seine Nähe suchen und Seine Gegenwart genießen sollen, um Seine Mitteilungen. und Offenbarungen zu erfahren, und um sagen zu können: „Es ist der Herr!" sondern daß wir diesen gesegneten Platz um Seiner Selbst willen einnehmen müssen. Nur aus diesem Grunde können wir uns in den Schoß Dessen legen, der Seine Wonne daran hat, uns dort zu sehen, und zwar deshalb, weil die Liebe zu Seiner Person uns dahin geführt hat.

Hiermit schließe ich. Meine Worte sind schwach7 vielleicht noch schwächer, als ich es selbst fühle. Der Herr aber möge jedes Hindernis aus unseren Herzen entfernen und uns bereitmachen, unsere beschmutzten Füße Seinen Händen anzuver trauen, damit Er sie waschen und uns durch Sein Wort von allem reinigen könne, was uns moralisch unfähig macht, in Seiner Gegenwart, in der Gemeinscha.ft mit Ihm, dort an jener herrlichen Stätte, wo Er ist, zu bleiben.

 Auf diesem Wege wird sich nichts zwischen Ihn und uns drängen können und wir werden, was das Verlangen und der Wunsch Seines Herzens ist, wie Johannes in zutraulicher Weise unser Haupt an die Brust Jesu legen können. Wir können versichert sein, daß es kein vorgezogenes Kind in. der Familie Gottes gibt, und daß niemand bevorzugt ist, einen Platz über den anderen einzunehmen; nein, dieser Platz am Herzen Jesu ist allen geöffnet, und dort ist für alle Raum. Der Schoß Jesu, Sein Herz und Seine Zuneigungen sind für alle die Seinigen; alle sind eingeladen, ihr Haupt an Seine Brust zu lehnen, dorthin wo Johannes sein Haupt lehnte.

Möge der Herr es uns schenken, in einer Zeit der Unruhe, der Verwirrung und der Wirksamkeit auf religiösem Gebiete, in einer Zeit, wo der menschliche Geist mehr nach der Quantität (Menge), als nach der Qualität (Güte) seines Tuns trachtet, an das zu denken, was dem Herzen und den Zuneigungen Christi entsprechend ist! 

Möge Er uns fähig machen, uns zu der Höhe unserer Berufung zu erheben, das Glück zu genießen, in unserem geringen Maße arbeiten zu können, und auf dem einsamen, vielleicht beschatteten Pfade mit dem Bewußtsein zu wandeln; „Es ist meine Freude, den Zuneigungen, den Erbare inungen des Herzens Dessen zu dienen, der Sich Selbst für mich hingegeben hat".

Joh. 3,16 Also hat Gott die Welt geliebt BdH 1853

01/01/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Nur Heil in Christo!

„Also hat Gott die Welt geliebt, daß er sei­nen eingeborenen Sohn gab, auf daß jeder, der an ihn  glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe" (Joh. 3, 16). Diese tiefe Liebe und Gnade Gottes kann nie ganz ergründet noch erkannt werden; all unsere Erkenntnis bleibt hier Stückwerk.

Der erhöhte Jesus ward abgebildet in der ehernen Schlange, welche Moses in der Wüste aufrichtete. Das israelitische Volk murrte wider Gott und Mose sprach: „W arum habt ihr uns aus Ägypten herausgeführt, daß wir in der Wüste sterben? denn es ist kein Brot noch Wasser hier, und unserer Seele ekelt über dieser losen Speise.  

Da sandte der Herr feurige   Schlangen  unter  das  Volk;  die bissen es, daß viel Volk in Israel starb. Da kam das Volk zu Mose und sprach: Wir haben gesündigt, daß wir wider den Herrn und wider dich geredet haben; bitte den Herrn, daß er die Schlangen von uns weg­nehme. Und Mose bat für das Volk. Da sprach der Herr zu Mose: „Mache dir eine Feuer­schlange und hänge sie auf eine Stange; wer gebissen ist und sieht sie an, der wird leben". 

Da machte Mose eine Schlange von Erz und hängte sie auf eine Stange; und es geschah, wenn eine Schlange Jemanden biß und er schaute die eherne Schlange an, so blieb er am Leben" (4. Mose 21, 5—9). 

Das Volk erkannte seine Sünde und erkannte auch den tödlichen Biß der Schlangen. Das war, was sie antrieb, ihren Vermittler Mose um Fürbitte anzuflehen und dann auf die nach Gottes Befehl erhöhte Schlange gläubig aufzuschauen. Nur wer seine Sünde in Wahr­heit erkennt, und wer da erkennt, daß sie ins ewige Verderben führt, bittet um Vergebung und wünscht erlöst zu werden. Gottes Wort weist uns dann auch hin auf den erhöhten Jesus, der zur Rechten Gottes sitzet und spricht: „Siehe, das Lamm Gottes, welches die Sünden der Welt weg­nimmt" (Ev. Joh. 1. 29). 

„Welcher unserer Übertretungen willen dahin gegeben, und unserer Rechtfertigung willen auferweckt worden ist" (Röm. 4, 25). „Wer an ihn glaubt, der ist gerecht, der hat das ewige Leben" (Röm. 10, 4; Joh. 3, 36). Was sagt aber die menschliche Vernunft dazu? Törichte Predigt! Wer kann das glauben? wer kann durch seinen Glauben allein gerecht und selig werden? „Dieweil die Welt durch ihre Weis­heit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch törichte Predigt selig zu machen, die daran glauben" (1. Kor. 1. 21). 

Die eherne Schlange in der Wüste war auch etwas Törichtes für die menschliche Vernunft; aber wer sie nur anschaute, wenn er gebissen war, wurde gesund und blieb leben. Wer nicht gehor­sam war und nicht glaubte, wurde nicht heil und mußte sterben. So auch, wer an den Sohn glaubt, der ist gerecht und erlöst und versiegelt's, daß Gott wahrhaftig sei. Darum laßt uns gläubig annehmen was Gott von Seinem Sohne zeugt: „Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit sich sel­ber, und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu, und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung" (2. Kor. 5, 19).

Dem aber, der nicht mit Werken umgeht, glaubt aber an den, der den Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit" (Röm. 4, 5). „Christus hat uns losgekauft von dem Fluch des Gesetzes, da er ward ein Fluch für uns, denn es steht geschrieben: Verflucht ist Jedermann, der am Kreuze hängt" (Gal. 3, 13). 

„Er hat uns geschenkt alle Sünden, und ausgetilgt die Handschrift, so wider uns war durch Sat­zungen, und uns entgegenstand, und hat sie aus dem Mittel getan und an's Kreuz geheftet" Kol. 2,14.15). „Nun aber ist er einmal am Ende der Zeiten erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünden aufzuheben" (Hebr. 9, 26). (Ebenso: Rom-10, 9; 3, 24; Titus 2, 14; Hebr. 10, 12—14; 1. Petri 1. 18; — 2, 24; Röm. 8, 31—34).

Nimmst du dieses Zeugnis in Wahrheit an, so hast du Frie­den mit Gott. Du bist mit Ihm versöhnt; die Sünde ist getilgt; der Fluch aufgehoben und das Gesetz hat an dir nichts mehr zu fordern. So lange du aber über deine Sünde-noch besorgt bist, d. h. so lange du fragst, wer wird mich befreien? so lange der Friede Gottes noch nicht bleibend in dir wohnt, so lange glaubst du auch nicht in Wahrheit, was Gott von Seinem Sohne zeugt. Wer aber Gottes Zeugnis nicht annimmt, der beweist, daß er an Dessen Wahrhaftigkeit zweifelt und Seine überschwengliche Gnade in Christo Jesu an uns nicht erkannt hat.

Glaube doch diesem Gott, der du unter dem Fluch der Sünde seutzst, der du nirgends Ruhe und Frieden, nirgends Errettung und Seligkeit finden kannst. Bist du auch noch so arg von der Schlange, der Sünde, zerbissen, hast du erkannt, daß du von ihr durch und durch vergiftet bist; komm nur, wie du bist! Gott verlangt nichts anderes, als daß du Sein Zeugnis von Seinem Sohn annimmst, der für dich zur Sünde gemacht ist, auf daß du in Ihm würdest die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt (2. Kor. 5, 20). 

Glaube, wie ein Kind glaubt, in aller Einfalt, ohne Be­denken und Vernunftschlüsse, so wirst du die Kraft dieses Glau­bens erfahren. Du wirst selbst jubeln: Nun bin ich erlöst; nun bin ich aus dem Tode in das Leben übergegangen; nun bin ich Gottes Kind und Erbe. „Es ist in keinem Ändern das Heil, ist auch kein anderer Name unter dem Himmel, den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden" (Apstgsch. 4, 12). —

In Christo Jesu sind wir aber auch von dem Joch und Dienst der Sünde befreit. Der Unglaube macht dies zwar streitig, weil er kraftlos ist. Es kommt aber darauf an, daß wir recht den reichen Segen erkennen, den wir in Jesu haben. Wir sind er­mahnt: „Darum Brüder, befleißigt euch umsomehr, eure Berufung und Erwählung festzu­machen.

 Denn wo ihr solches tut, werdet ihr  nimmermehr straucheln" (2. Petr. 1. 10). „In Christo Jesu wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig"; „in Ihm liegen alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis" (Kol. 2, 3. 9). „Sein Name ist ein festes Schloß, wer darin im Glauben ruht, der ist sicher vor allen seinen Feinden." Er ist der Siegesfürst über Satan, Welt, Sünde und Tod, darum sind wir in Ihm immer des Sieges gewiß, wie geschrieben steht: „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat" (\. Joh. 5, 4). 

Durch den Glauben sind wir in Ihn versetzt; sind Ihm einverleibt. Gott sieht uns nun an, wie Er Ihn ansieht; dieselbe Liebe und Herzlichkeit ruht nun auf uns, wie sie auf Seinem Sohne, unserm Heiland, ruht.Es hängt aber alles davon ab, daß wir festiglich dafür halten, daß wir durch den Glauben in Ihn versetzt sind; von Gott nun angesehen werden als geliebte Kinder, und alles dessen teil­haftig geworden sind, was uns durch Jesum Christum geschenkt ist. 

Da heißt es denn: „Das dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt ward, das tat Gott und sandte seinen Sohn in Gleichgestalt des sündlichen Fleisches, und für die Sünde, und verdammte die Sünde im Fleisch; auf daß die vom Gesetz geforderte Gerechtigkeit in uns erfüllt werde, die wir nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geiste" (Röm. 8, 3. 4).

Inmitten einer Welt von unzähligen und gewaltigen Wider­sachern, sichtbar und unsichtbar, sind wir nun in Jesu geborgen, um nicht ihr Raub zu werden, und sind nur in Ihm bewahrt vor aller Befleckung des Fleisches und des Geistes. Der Kampf, der zwar große Selbstverleugnung fordert, besteht allein darin, Glauben zu behalten, d. h. in Ihm zu bleiben, und nur ein solcher Kampf ist recht und wird mit Sieg gekrönt. Das Gebet, die brüderliche Gemeinschaft, das Forschen in der Schrift, die Er­kenntnis unseres hohen Berufs, kurz alles, soll vornehmlich dazu dienen, um uns in diesem Kampfe recht wacker zu erhalten.

Nur wer in Jesu ruht, ist Gott angenehm und bringt viele Frucht. „Bleibet in mir und ich in euch. Gleich­wie die Rebe keine Frucht bringen kann von ihr selber, sie bleibe denn am Weinstock; also auch ihr nicht, ihr bleibet denn in mir. Ich bin der Weinstock, ihr die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Darin wird mein Vater geehrt, daß ihr viel Frucht bringt" (Joh. 15, 4. 5. 8). 

Also lernen wir auch Gott, den Vater und unsern Herrn Jesum Christum immer mehr erkennen. „Denn wo solches reichlich bei euch ist, wird es  euch nicht träge noch unfruchtbar sein lassen In der Erkenntnis unseres Herrn Jesu Chri­sti" (2. Petri 1,8). „Das ist aber das ewige Leben, daß sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen" (Joh. 17, 3). Der Apostel Paulus bittet für die gläubigen Kolosser, daß sie wachsen möchten in der Erkenntnis Gottes;

(Kol. 1. 11) und Petrus schreibt allen Gläubigen (2. Petri 1. 2. 3):

„Gnade und Friede sei euch vermehrt durch die Erkenntnis Gottes und Jesu unseres Herrn!" Wenn wir nun durch den Glauben in Ihn versetzt sind und in Ihm bleiben, so werden wir wachsen in dieser Erkenntnis, und in der Erkenntnis Gottes und Jesu Christi besteht unsere Seligkeit. Als wir in uns, d. h. in unserm Fleische waren und lebten, mußten wir zunächst uns selbst kennen lernen in unserm Verderben und in unserer Ohnmacht, auf daß uns unser tiefes Elend recht offenbar würde und wir uns nach Erlösung sehnten. 

Nachdem wir nun gläubig geworden sind, haben wir uns als Gottlose erkannt; haben alle Hoffnung zu unserer Selbstver­besserung aufgegeben; sehen ganz von uns ab und sind nun durch den Glauben Jesu einverleibt. Durch diese Einverleibung bekennen wir, daß wir in Ihm gekreuzigt, gestorben, begraben und Auferstanden sind. „Wir wissen, daß unser alter Mensch mit Ihm gekreuzigt ist, auf daß der sündliche Leib aufhöre, damit wir hinfort der Sünde nicht dienen" (Röm. 6, 6). (Weiter V. 11. Kap. 7, 4; 2. Kor. 5, 14. 15; Kol. 2, 12; 1. Petri 4, 1. usw.). 

Wir dürfen letzt von uns, nach unserm Fleische, wie von unserer früheren Ge­meinschaft gar keine Notiz mehr nehmen, oder mit ändern Wor­ten, wir müssen uns selbst verleugnen, und unser Leben verlieren um Jesu willen. Das Wort Gottes ruft den Gläubigen auch nicht zu, daß sie in der Selbsterkenntnis wachsen sollten; es setzt vielmehr voraus, daß sie sich als Gottlose erkannt und aufgegeben haben. Da sie aber nun in den Himmel versetzt sind, wo ihr Leben mit Christo in Gott verborgen ist, sollen sie wachsen in der Erkenntnis Gottes. 

Liebe Brüder, laßt uns nicht klüger sein wollen, als Gottes Wort; es ist eine große List des Feindes, der uns immer wieder in uns selbst zurück­führen will, damit wir dann leicht seine Beute werden. In uns sehen wir ja nichts als Verderben und Ohnmacht; was Wunder, wenn wir bei solcher Selbstbetrachtung immer wieder in eine knechtische Furcht geraten und unser ganzer Wandel unseres hohen Berufs unwürdig, fleischlich und unrein ist. 

In Gott aber sehen wir nichts als Gerechtigkeit und Stärke, die uns durch den Glauben geschenkt ist, und unser Herz erfüllt Frieden und unser Gang ist sicher und gewiß. Der Betrug Satans ist sehr groß; er hat von jeher alles versucht, um die Gläubigen aus ihrer sicheren Burg zu bringen; er weiß sich selbst in einen Engel des Lichts zu verstellen. 

Er möchte sie sogar gern zu der Meinung verführen, daß das stete Aufsehen auf Jesum, ohne das Sehen auf sein tiefes Verderben und seine Ohnmacht stolz und hochmütig mache. Laßt euch nicht irre machen, liebe Brüder, die ihr in Christo Jesu seid; der Hochmütige ruht nicht in Gott, sondern in sich selbst. 

Der ist recht einfältig und demütig, der von sich nichts­ mehr, aber von Gott alles erwartet, und der nicht sich beschaut, um an sich selber Wohlgefallen zu haben, sondern unverrückt auf den Herrn sieht, und an Ihm allein seine Freude und Wonne hat. „Und nun. Kindlein, bleibt in ihm, auf daß, wenn er geoffenbart wird. wir Freudigkeit haben und nicht zu Schanden werden vor ihm bei seiner Ankunft" (1. Joh. 2, 28). 

Laßt es uns doch recht ernst nehmen mit Gottes Wort und mit unserm Heil; denn wir sind teuer erkauft. Das Gebet Pauli für die Epheser, Kapitel 1. 17—20, wolle der Herr auch in uns Allen reichlich erfüllen:

„Daß der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch gebe den Geist der Weisheit und Offenbarung zu seiner Erkenntnis; erleuchtete Augen eures Her­zens, daß ihr erkennen möget, welches da sei die Hoffnung seiner Berufung, und welches der herrliche Reichtum seines Erbes an den Heiligen ;

 und welches da sei die überschweng­liche Größe seiner Kraft an uns, die wir glau­ben, nach der Wirksamkeit seiner mächtigen Stärke, welche er gewirkt hat in Christo, da er ihn von den Toten auferweckt und gesetzt hat zu seiner Rechten im Himmel".

Johannes 3,36 Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben, Georg von Viebahn

11/07/2022
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Johannes 3,36 Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben, Georg von Viebahn

Die Entscheidungsfrage auf dem Kutschbock
Ein junger Mann, der die Welt genießen wollte, hatte eine betende, gläubige Mutter, die oft mitBN8596.jpg?1667815126880 ihm über den Ernst der Ewigkeit sprach. Aber ihr ernstes Zureden wurde dem Sohn, welcher sein ausschweifendes Leben nicht lassen wollte, zu viel. Er wollte von der frommen Mutter nicht länger gequält sein. Erwar Kutscher, suchte und fand eine Stelle am andern Ende des Vaterlandes bei einer reichen Gutsherrschaft.
Er dachte: „Nun habe ich Ruhe vor der alten Mutter" — aber ihre Gebete begleiteten ihn. Er wußte nicht, daß er in den Dienst eines ernsten Christen geraten war. Am Tag nach seinem Eintritt hatte er angespannt, um seinen Herrn auszufahren. Dieser setzte sich aber nicht in den Wagen, sondern neben Johann auf den Bock.
„Aha", überlegte der Junge, „dein Herr will sehen, ob du gut kutschierst." Kaum waren sie hinausgefahren, da wandte sich sein Herr zu ihm, schaute ihn an und fragte:
„Johann, bist du bekehrt?"
Johann war so viele Meilen in die Ferne gezogen, um dies eine Wort „bekehrt" nicht mehr zu hören. Nun vernahm er es am ersten Tag.
Er schnellte von seinem Sitz empor, wie mit einer Nadel gestochen. Ja, ein Pfeil Gottes hatte sein Herz durchbohrt. Es verging ganz kurze Zeit, da empfing die Mutter diesen Brief:
„Mutter, ich bin bekehrt; dein Kind, das verlorene, ist gefunden worden; dein Sohn, der tot war, ist lebendig geworden, Jesus hat mich gerettet!"
Jesaja 55,8: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr."

130 Heut lebst du, heut bekehre dich!
Die meisten jungen Leute leben so, daß sie ihre Tagespflicht erfüllen, der eine eifrig mit voller Treue, der andere, soviel er eben muß, mancher auch lässig - dann folgen Spiel und Sport, das Wirtshaus, die Tagesgespräche, die Zeitungen.
Dies war auch das Leben eines Gerichtsreferendars zu Berlin, der nie daran gedacht hatte, daß auch ihm gesetzt war, einmal zu sterben und danach das Gericht. Eines Tages wurde er schwer krank, mußte seine Akten und Prozesse beiseite lassen, und statt in Kaffeehäusem und lustiger Gesellschaft zu sitzen, lag er in hitzigem Fieber in seinem Zimmer.
Einer seiner Freunde, ein Arzt, kam fleißig, schüttelte aber nach einigen Tagen bedenklich den Kopf. Vom Sterben sagte er nichts, noch weniger, daß es für den Kranken Zeit sei, Haus und Herz zu bestellen. Sie gehörten ja beide zu den Weisen dieser Welt, welche meinen, längst über die Bibel hinaus zu sein. Gott und Ewigkeit? Welcher gebildete Mensch sollte sich mit derartigen Dingen noch aufhalten? Solche Leute sind, wie die Schrift sagt, „entfremdet von dem Leben aus Gott, keine Hoffnung habend und ohne Gott in der Welt."
Da an dem Fenster, wo der Kranke lag, Zugluft herrschte, ließ der Arzt das Bett in die Ecke rücken, dicht an eine Tür, hinter welcher ein Schneidermeister mit seiner Familie wohnte. Dieser treue Vater examinierte eines Tages seinen Sohn, ob er sein Lied zur Religionsstunde gelernt habe. Da der Junge es nicht ordentlich konnte, wurde er mit seinem Gesangbuch in die Stubenecke gestellt, dicht neben die Tür, hinter der das Krankenbett stand. So hörte nun der Kranke, wie der Junge immer und immer wieder die Zeilen wiederholte:

„Heut lebst du, heut bekehre dich,
eh' morgen kommt, kann's ändern sich;
wer heute frisch, gesund und rot,
ist morgen krank, vielleicht schon tot;
so du nun stirbest ohne Buß',
dein Leib und Seel' dort brennen muß."

Der Kranke hörte dies, und es ging ihm tief zu Herzen. Als der Arzt wiederkam und fragte: „Wie geht's, was machst du?", blickte der Kranke ihn mit weiten, starren Augen an und sprach:
„Heut lebst du, heut bekehre dich!"
Der Doktor meinte, der Kranke phantasiere, da er sich nicht von den Worten abbringen ließ; es wurde ihm unheimlich, es schien ihm der Ruf aus einer andern Welt zu sein. Als er fortging, begleiteten ihn diese Worte: „Heut lebst du, heut bekehre dich!" in die Weinstube, an den Spieltisch; er wurde sie nicht los. Er fing an, seine Sünde und die Ewigkeit zu sehen.
In seiner Seelenangst suchte er den Prediger B. auf, einen gläubigen Mann. Durch diesen lernte er glauben, daß Jesus das Lamm Gottes sei, welches auch seine Sünden getragen habe. Er fand den Heiland, und auch der Kranke wurde gesund; nicht nur sein Leib kam zur Genesung, sondern auch seine Seele durch den Glauben an den, der unsere Strafe trug, auf daß wir Frieden hätten.
Johannes 1, 29: „Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt." - Johannes 3,36: „Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer dem Sohn nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm."
131 Worte wie ein Donnerschlag
Schon mehrere Abende war ein gutgekleideter Mann mit intelligenten Gesichtszügen unter die Verkündigung des Evangeliums gekommen. Er fand sich auch in der Nachversarnmlung unter denen ein, die da bekannten, Frieden mit Gott zu suchen. Doch er vermied jede persönliche Aussprache. Der Mann fiel auf; man vermutete in ihm einen Zeitungskorrespondenten, der nur als neugieriger Berichterstatter gekommen sei. Am dritten Abend endlich ging der Evangelist mit der Frage auf ihn zu:
„Suchen Sie denn wirklich Frieden?"

Diese Worte wirkten wie ein Donnerschlag. 
Die vorher harten Züge und beobachtenden Blicke verwandelten sich unter Tränen in den Ausdruck tiefster Verzweiflung. Der Mann brach buchstäblich zusammen,
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