Johanes 13. 1-11 ​Die Fußwaschung. BdH 1864

02/05/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Die Fußwaschung. (Joh. 13, 1—11) 
Wie in allen Handlungen des Herrn, so strahlt uns auch in der Fußwaschung Seine Liebe in ihrem reinsten Glänze entgegen. Weder die klare Vorstellung von all den Leiden und Mühsalen, die Seiner harrten, noch das Gefühl der Bitterkeit des Todes haben Ihn zu verhindern vermocht, „Sein Angesicht festzustellen, um nach Jerusalem zu gehen". Wohl vernahm Sein Ohr das wilde Rauschen der tiefen Was ser, und aus Seiner Seele drang der Angstschrei: „Rette mich, o Gott! 
denn gekommen sind die Wasser bis an meine Seele. 

Ich versinke in tiefem Schlamm, und kein Grund ist da; in die Wasser-Tiefen bin ich gekommen, und die Flut überströmt mich. Ich bin müde vom Rufen" (Ps. 69, 1—3). Aber nichts vermochte dem mächtigen Strome Seiner Liebe Schranken zu setzen; sie überflutete die Wogen der Wasser-Tiefe; denn freiwillig nahm Er aus der Hand des Vaters den Kelch des Zorns und stürzte Sich in die Fluten des Todes, um die Seinigen ins Leben zu rufen und sie den Strahlen einer göttlichen Liebe auszusetzen. 

In dem vorliegenden Kapitel finden wir aber diese Liebe in einer ganz besonderen Weise vor unsere Augen gestellt. Während die Sünde in dem Verrat des Judas Iskariot die scheußlichste Form anzunehmen beginnt, und während der Herr die Stunde nahen sieht, in welcher Er, 
als die Folge dieses Verrates, zum Väter hingehen sollte, entwickelt sich hier eine Szene, die uns deutlich erkennen läßt, daß Seine Liebe, die ohne Zweifel am Kreuz ihre ganze Schönheit entfaltete, selbst nicht durch den Tod in ihrem Laufe unterbrochen werden konnte. 

Sie 
hat sich nicht erschöpft. Über Grab und Tod hinaus ergießt sich ihr mächtiger Strom; denn „da Er die Seinigen in der Welt geliebt hatte, liebte Er sie bis an das Ende" (V. 1). 

Es nahte die schreckliche Stunde der Finsternis — jene Stunde, in welcher des Menschen Bosheit den höchsten Gipfel erstieg; und noch einmal versammelte der scheidende Herr die Seinigen, um mit ihnen vor Seinen Leiden das Passah zu essen. Die Schrecken des Todes in Seinem Herzen müssen, dem Gefühle der zärtlichsten Sorgfalt Platz machen.

 Gezählt sind die Augenblicke Seines Hierseins; aber noch ist der Hirte der Schafe nicht geschlagen, noch der Bräutigam nicht hinweggenommen. Mit der fürsorgenden Liebe eines Hausvaters sitzt Er im Kreise Seiner Familie am Abendtisch; und weder der Gedanke an den Ihn verleugnenden Petrus, noch der Gedanke an die fliehenden Jünger, noch endlich der Gedanke an den Verräter und an die schrecklichen Folgen dieses Verrates — nichts stört in diesem feierlichen Augenblicke die Freude dieser süßen Gemeinschaft des Herrn mit Seinen Jüngern, bis die Stunde der Finsternis anbricht und der Kelch des Zorns geleert wird, bis der Mensch die frevelnde Hand an die heilige Person des Herrn gelegt und seine Verwerflichkeit unzweideutig ans Licht gestellt hat, und bis endlich das vergossene Blut des wahren Opferlammes nach den Ratschlüssen Gottes zu einer unversiegbaren Reinigungsquelle geworden ist, die da reinigt von aller Sünde. 

Jetzt aber bricht ein neuer Moment an. Das Werk der Erlösung ist vollbracht; und von dem Augenblicke an, wo Jesus „aus dieser Welt zu dem Vater hinging", ist Seine Liebe in eine neue Bahn gelenkt worden. Wie Er es bei Seiner Himmelfahrt in Wirklichkeit getan hat, so verläßt Er vorbildlich (V. 4) Seinen Platz inmitten Seiner Jünger. In dem Bewußtsein, daß der Vater Ihm alles in die Hände gegeben, und daß Er von Gott ausgezogen und zu Gott hingehe, „steht Er vom Abendessen auf und legt die Oberkleider ab, und nahm ein Leintuch und umgürtete Sich. Darauf gießt Er Wasser in das Waschbecken, und fing an die Füße der Jünger zu waschen und mit dem Leintuch, womit Er umgürtet war, abzutrocknen" (V. 4. 5).

 Von dem Augenblicke an, wo der Herr Sich von Seinem Platze erhob, war vorbildlich das Werk der Erlösung eine vollendete Tatsache; es begann eine neue Stellung, und Seine Liebe drängte Ihn in eine neue Art des Dienstes. Und dieser Dienst ist die Fußwaschung — eine Handlung, die sich stets wiederholt und darum der Gegenwart und der Zukunft angehört. Er geht nicht noch einmal für uns in den Tod; aber ununterbrochen wäscht Er unsere Füße, nachdem Er gestorben, auferstanden und zur Rechten des Vaters erhöht ist. 

Ja, Er wäscht unsere Füße. Anbetungswürdige Liebe! Wir sehen Ihn, den Sohn Gottes, Ihn, durch Den und für Den alle Dinge sind, Ihn, den Abglanz der Herrlichkeit und den Abdruck des Wesens Gottes, Ihn, der, nachdem Er durch Sich Selbst die Reinigung unserer Sünden gemacht, Sich zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt hat, Ihn sehen wir in der Stellung und in dem Gewände eines Dieners. Seine Lenden sind umgürtet; und in Seiner Hand trägt Er das Wasch¬ 
becken, um die beschmutzten Füße der Seinigen von jedem Flecken zu reinigen. Wahrlich, die Würde und Herrlichkeit Dessen, den wir in solch herablassender Liebe tätig sehen, erhöht den Wert und die Schönheit dieser Handlung. 

Was könnte erhabener und höher sein, als der 
•Platz, den Jesus verließ, um unseren Bedürfnissen zu begegnen; und was könnte niedriger sein, als der mit Schmutz besudelte Fuß eines Wanderers? Aber das eben ist der Ruhm unseres geliebten Herrn, daß Er den ganzen Zwischenraum, die große Kluft zwischen Oben und Un¬ 
ten, mit Seiner Liebe ausgefüllt, denn indem die eine Seiner Hände auf dem Throne Gottes ruht und die andere sich mit den Füßen Seiner Heiligen beschäftigen kann, bildet Seine Person das geheimnisvolle Band zwischen diesem erhabenen Throne und den in Niedrigkeit wandelnden Füßen. 

Wir bedürfen einer vollkommenen Reinigung — einer Reinigung, die der Gegenwart Gottes völlig angemessen ist; und der Herr sei gepriesen, daß in Seinen Gefühlen gegen uns keine Veränderung, kein Wechsel ist, und daß Er, dem der Vater alles in die Hände gegeben, 
die Arbeit einer liebevollen Fürsorge in Ewigkeit nicht unterbricht. Sei es in Seiner Niedrigkeit, sei es in Seiner Herrlichkeit — immer war und bleibt Er in der Mitte der Seinigen „als der Dienende". In jedem Teile unseres inneren Lebensganges hat Er unseren Bedürfnissen völlig 
entsprochen. 

Er begegnete uns zuerst in erbarmender Liebe, als wir, niedergebeugt unter dem zermalmenden Gewichte unserer Sündenschuld, in Seinem kostbaren Blute Vergebung, Gerechtigkeit, Leben und Frieden fanden; und für immer sind unsere Sünden mit all ihren erschrekkenden Folgen verschlungen durch die hochgehenden Wogen göttlicher Gnade. Die Auferstehung des Herrn und Sein Hingang zum Vater ist ein kräftiger Beweis, daß Sein Blut ins Heiligtum getragen ist, und 
daß unsere Sünden für immer vor dem Angesicht Gottes hinweggetan sind. Hier bedarf es keiner zweiten Waschung; das vergossene Blut hat eine vollkommene Reinigung zu Wege gebracht; „denn durch e i n Opfer hat Er auf immerdar die, welche geheiligt werden, vollkommen gemacht" (Hebr. 10, 14). 

Petrus weicht zurück bei dem Gedanken an eine solche Erniedrigung Seines Herrn; und wiewohl Dieser dem feurigen Jünger versichert, daß er erst hernach Seine Handlung begreifen werde, so weigert er sich dennoch, seine Füße hinzuhalten, indem er sagt: „Du sollst in 
Ewigkeit nicht meine Füße waschen." Ach, wie viele Gläubige gleichen ihm, weil sie weder die Notwendigkeit dieser Fußwaschung begreifen, noch überhaupt das demütigende Gefühl besitzen, daß von ihren Sünden nichts anderes sie zu reinigen vermag, als die Erniedrigung Christi! Petrus weigert sich; denn er versteht weder die Bedeutung noch den Zweck dieser gnadenreichen Handlung, und erkennt nicht, daß gerade diese Herablassung Seines Herrn bis zur Stellung des niedrigsten Dieners die Herrlichkeit desselben auf das Klarste ausstrahlen läßt.

 Drängt ihn aber die Erkenntnis der Folgen seiner Weigerung zu; dem Rufe: „Herr, nicht meine Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt," (V. 9) so sehen wir, wie die Unwissenheit und Kurzsichtigkeit des armen Jüngers ihn aus einem Irrtum in den anderen leitet. Hat er soeben noch die zum Waschen benetzte Hand abgewiesen und sich gesträubt, eine Handlung der zärtlichsten Fürsorge an sich vollziehen zu lassen— eine Handlung, die, wollte er anders die praktische Gemeinschaft mit Gott genießen und seine Füße in das Heiligtum stellen, eine 
unbedingte Notwendigkeit war, so zeigt die bereitwillige Preisgebung seines ganzen Leibes nur zu deutlich, daß er die Vollgültigkeit des Opfers Christi, die vollkommene Abwaschung des Sünders durch das. 
Blut keineswegs begreift. Wer gebadet ist, hat nicht nötig, als sich die Füße zu waschen, son¬ 
dern ist ganz rein" (V.10). Wie erhaben klingt diese Wahrheit aus dem Munde Dessen, der allein würdig erfunden ward, die Reinigung unserer Sünden zu vollenden! So wie der, welcher aus einem Bade steigt, ganz rein ist, aber auf dem Wege bis zum Ankleidezimmer durch die Be22 
rührung des Bodens seine Füße beschmutzen kann, ebenso sind wir in der Reinigungsquelle des Blutes Christi von unseren Sünden gänzlich gewaschen, können aber, wandelnd bis zu dem Orte, wo wir die Kleider der Unsterblichkeit und der Herrlichkeit anziehen, durch die Berührung mit einer Welt voll Sünde unsere Füße verunreinigen. 

Wer an Jesum glaubt, der ist so rein, wie Sein Blut zu reinigen vermag; er bedarf keines neuen Bades, und nirgends ist ein solches zu finden. Nicht ein einziger Flecken bleibt vor Gott auf dem Gewissen des Gläubigen zurück; denn er ist durch den Willen Gottes geheiligt „durch das ein für allemal geschehene Opfer des Leibes Jesu Christi." Durch die Annahme, daß wir einer nochmaligen Waschung bedürfen, unterschätzen wir den Wert und die Fülle des Blutes Christi und würdigen es herab zu der Gleichheit des Blutes der „Stiere und Böcke". Bin ich in dem Blute Christi gewaschen, so bin ich vollkommen und rein gemacht — rein, um vor Gott stehen zu können.

 Wessen bedarf ich ferner? Nichts als des Waschens meiner Füße. Nur einmal bei der Weihe des im Tempel dienenden Priesters fand eine Waschung seines ganzen Leibes statt, und nimmer wiederholte sich diese Handlung. Aber jedes mal beim Beginn des Dienstes war er, um Gott nahen zu können, genötigt, sich die Hände zu waschen. In demselben Falle befindet sich der Gläubige. Gereinigt durch das Blut, ist er ein für allemal für den priesterlichen Dienst fähig gemacht; aber nun bedarf er der Anwendung des Wortes durch den Heiligen Geist, um seine Gemeinschaft mit Gott zu unterhalten und wieder herzustellen, indem dieses Wort uns von dem reinigt, welches — wenn wir im Wandel unsere Füße beschmutzt haben — uns verhindert, diese Gemeinschaft praktisch verwirklichen zu können. Würde die Fußwaschung unterbleiben, dann könnte bei dem, in sich selbst armen, schwachen, durch eine schmutzige und beschmutzende Welt pilgernden Gläubigen keine ununterbrochene Gemeinschaft stattfinden. 

Welch ein Segen, daß unser Herr, an den Lenden umgürtet und mit dem Waschbecken in der Hand, uns stets begegnet und die Reinigung unserer Füße bewirkt, die, solange wir hienieden wallen, den Boden einer sündlichen Welt berühren müssen! Hierzu aber bedarf es nicht des Blutes, sondern des Wassers — jenes Bildes des durch den Heiligen Geist angewandten Wortes. Er reinig t unser e Gewisse n durc h Sein Blut u n d reinigt unser e Wege durch Sei  Wort. Er wäscht jeden Flecken ab, der sich uns auf unserem täglichen Wege ansetzt, sodaß wir stets in der gesegneten Stellung bleiben können, in welche uns Sein kostbares Blut gebracht hat. Die Gewissen sin d und die Füße werden gereinigt, und zwar nach den Anforderungen des Heiligtums. 

Alles, was Gott auf meinem Gewissen sah, ist abgewaschen durch das Blut Seines Sohnes; und alles, was Er in meinem praktischen Wandel als unrein erblickt, wäscht Er hinweg durch Sein Wort, sodaß Er zu mir und zu allen Gläubigen sagen kann: „Ihr seid rein" (V. 10). Nur die Erkenntnis dieser gesegneten Wahrheit erhält das Herz in ungetrübtem Frieden. Ich schaue eine Liebe, die tätig war im Tod e zu meiner Rettung, und ich sehe eine Liebe, die ununterbrochen tätig ist im L e b e n zu meiner Bewahrung. Nicht durch meine mangelhafte Erkenntnis, insoweit ich den Schmutz sehe, ist die Wirkung einer solchen Liebestätigkeit begrenzt, nein, die Wirkung des Blutes und des Wassers befriedigt das bis in alle Tiefen schauende Auge Gottes. 

Hierin liegt für uns die völligste Sicherheit. Würde nicht das Wort Gottes uns bezeugen, daß aller Schmutz, der sich unsern Füßen während des Wandeins durch die Wüste anklebt, bis zu den feinsten Stäubchen fortwährend durch die göttliche Handlung entfernt würde, dann 
könnte weder von einer Ruhe im Herzen, noch von einem Gott wohlgefälligen Dienst die Rede sein; und dieses umso weniger, als wir die Herrlichkeit unserer Stellung und unseres Weges verstehen. Nein, die Wirkung dieser Liebe ist vollkommen. Sowohl die Handlung, die wir 
hier unsern gepriesenen Herrn vollziehen sehen, als auch Seine Eigenen Worte in Joh. 17, wenn Er sagt: „Ich bitte nicht, daß Du sie aus der Welt wegnehmest, sondern daß Du sie vor dem Bösen bewahrest," — zeigen uns die Kraft dieser Liebe und offenbaren uns ein Herz, für welches wir die Gegenstände der zärtlichsten Fürsorge sind.

 Im Lichte göttlicher Offenbarung erblickt das Auge des Glaubens in der Hand des umgürteten Herrn stets das geheimnisvolle Waschbecken; und tiefer Friede erfüllt unser Herz, wenn wir erkennen, daß Der, welcher uns durch das Kreuz in unsere gesegnete Stellung führte, unermüdlich beschäftigt ist, uns in derselben zu bewahren und unsere Beziehungen 
zu Gott aufrecht zu erhalten. „Da Er die Seinigen in der Welt geliebt hatte, liebte Er sie bis ans Ende." Ja, bis an das äußerste Ende der Zeiten, durch all die Wechsel dieses sich stets ändernden Schauplatzes hindurch, übt die Liebe Tag für Tag und in allen Umständen ihr geseg¬ 
netes Werk. Nachdem Er das Werk, welches Ihm der Vater zu tun gegeben, vollbracht und diese Erde verlassen und Sich zur Rechten Gottes gesetzt hat, hat Er begonnen, die Füße Seiner Jünger zu waschen, und Er wird dieses tun, so lange sie hienieden des Pilgerstabes und der 
Streitwaffe bedürfen. Und selbst in der Herrlichkeit des Reiches „wird Er Sich gürten und Sich bereiten, die Seinigen zu bedienen." 

„Werde ich dich nicht waschen, so hast Du kein Teil mit mir," — sagt der Herr zu dem sich weigernden Petrus; und diese Worte geben den Schlüssel zum Verständnis dieser stets in Tätigkeit gesetzten Liebe, deren Frucht es ist, daß wir nicht nur Teil a n Jesu haben, sondern Teil m i t Ihm an den Segnungen Seines Todes und Seines Lebens, Teil mit Ihm an der Liebe des Vaters und an der zukünftigen Herrlichkeit als die Erben Gottes, und Teil mit Ihm an der Herrschaft über alle Dinge. Im Hinblick auf Seine Herrlichkeit, der Er entgegen ging, wusch Er den Jüngern die Füße, um ihnen dadurch zu erklären, daß Seine Liebe bis ans Ende dauern und daß sie, eins mit Ihm, an allem teilhaben würden. 

Es kann nicht genug wiederholt werden, daß, wenn wir der Erlösung durch Sein Blut uns erfreuen, unsere Gewissen vollkommen gereinigt sind, weil Christus immer für uns vor Gott steht und Sein Blut sich an der Stelle befindet, wo früher unsere Sünden gesehen wur¬ 
den. Aber es ist wichtig, daran zu denken, daß jede Verunreinigung unserer Füße, unseren Sinn und unser Bewußtsein befleckt, sowie die Herrlichkeit, zu der wir berufen sind, verdunkelt und unsere praktische Gemeinschaft mit Gott unterbricht. Wir bedürfen der Fußwaschung; und da wir Teil mit Christo haben sollen, so fährt Er fort in Seiner Liebestätigkeit, um alles das aus unserem Bewußtsein zu entfernen, was unsere Gemeinschaft mit Gott und den Genuß unserer Segnungen in Frage stellen will. 

Bleibt die geringste Schuld in unserm Bewußtsein zurück, so ist unsere Ruhe gestört und der auf die Herrlichkeit gerichtete Blick umdüstert. Der Zweck der Fußwaschung aber ist, uns von unsern Befleckungen zu reinigen, das Bewußtsein der vollständigsten Vergebung wieder herzustellen und uns in die ungehinderte Gemeinschaft mit Gott und zu dem Genuß der daraus entspringenden Segnungen zurückzuführen. O preiswürdige Liebe! Sie siegt über jedes 
Hindernis, über all die Verirrungen und Mängel derer, die Teil mit Jesu haben. 
Es ist sehr wohltuend für unser Herz, daß der Herr in der Herrlichkeit mit denselben Gefühlen erfüllt ist, die Ihn vor Seinem Hingang zum Vater leiteten, die Füße der Jünger zu waschen. 

Mit dem innigsten Mitgefühl schaut Er herab auf unsere Mühen, unsere Hindernisse 
und Trübsale; und Seine mächtige Hand ist tätig, alles hinwegzuräumen, was unsern Frieden stören will. Er will stets als der Dienende bleiben. Er ist in Wahrheit jener im 21. Kapitel des 2. Buches Mose beschriebene Knecht, dem sein Herr während seines Dienstes ein Weib und Kinder gegeben hatte, und der, obgleich er nach Ablauf seiner Dienstzeit für sich selbst frei ausgehen konnte, zum Zeichen seines ewige n Dienstes sein Ohr an den Türpfosten durchbohren ließ und 
laut bekannte: „Ich liebe meinen Herrn, mein Weib und meine Söhne; ich will nicht frei ausgehen." —

 Auch Ihm, unserm geliebten Herrn, gab der Vater ein Weib, die Kirche, die im Epheserbriefe als Fleisch von Seinem Fleisch und als Bein von Seinem Bein betrachtet wird, und 
Er gab Ihm Kinder, mit denen Er vor Gott hintritt und sagt: „Siehe ich und die Kinder, welche mir Gott gegeben hat" (Hbr. 2, 13). Er hat freiwillig aus Liebe zu Seinem Herrn, und aus Liebe zu Seinem Weibe und den Kindern, einen ewigen Dienst Seiner Freiheit vorgezogen, und dieses allein ist der Grund, daß selbst der schrecklichste Tod der Tätigkeit Seiner Liebe keine Schranken zu setzen vermochte. 
Er will stets als der Dienende sein. Selbst in der zukünftigen Haushaltung will Er diesen Dienst nicht aufgeben. Nicht nur jetzt, wo die Jünger, bekleidet mit einer irdischen Hülle, durch die Berührung mit einer befleckenden Welt in ihrer praktischen Gemeinschaft mit Ihm und Seinem Vater gestört werden, will Er ihre Füße waschen, sondern auch dann, wenn sie mit Ihm in Seiner Herrlichkeit sind, wird Er Seine Gemeinschaft mit dem Vater und Seine Macht über alle Werke, welche der Vater in Seine Hände gelegt, dazu anwenden, um ihnen den Vollgenuß der Herrlichkeit und der vollkommensten Segnungen zu sichern. 

„Er wird sich umgürten und sie sich zu Tische legen lassen , und wir d hinzutrete n un d si e bedienen " (Luk. 12, 37), indem Er ihnen all das mitteilt und offenbart, was sie zu ihrer 
vollkommenen Glückseligkeit bedürfen. Jetzt befinden wir uns freilich noch in einer Welt, wo Satan auf unsere irdische Natur zu wirken sucht. In gewissem Sinne können wir nicht ohne Befleckung die Welt berühren. Allein das vollkommene Opfer Christi hat dafür gesorgt, daß dieses uns weder aus unserer Stellung in Christo herausbringt, noch unsern Rechtsanspruch als Priester vor unserem Gott und Vater verändert; und da der Herr durch die Fußwaschung jede Befleckung hinwegnimmt und uns von dem Einfluß und der Macht der Dinge befreit, welche dieselbe verursachen, so sind wir jetzt schon in den Stand gesetzt, die völlige Gemeinschaft mit Ihm an jenem heiligen Platze zu genießen, in welchen uns Gott hat mit auferweckt und mit sitzen lassen in Christo Jesu. 
Richten wir jetzt zum Schluß unseren Blick auf den weiteren Verlauf dieser lieblichen Szene. Die Handlung des Herrn ist beendet; die Füße der Jünger sind gewaschen. Er legt die Oberkleider an, läßt Sich wieder in dem Kreise der Seinigen nieder und sagt: „Wisset ihr, was 
ich euch getan habe? Ihr heißt mich Lehre r und Herr , und ihr saget recht;' denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und Lehrer, eure Füße gewaschen habe, so seid auch ihr schuldig, einander die Füße zu waschen. Denn ein Beispiel habe ich euch gegeben, auf daß, gleich wie 
ich euch getan habe, auch ihr tut" (V. 13—15). Also auch wir sollen unseren Brüdern die Füße waschen. In welcher Weise kann dies geschehen? Dadurch, daß wir Seinem Beispiel nachahmen.

 Wie geduldig ertrug Er die Schwachheiten, die Verirrungen und Fehler Seiner Jünger; 
wie brünstig war Seine Fürbitte, wie tätig Seine Hand, um aus ihrem Sinn und Herzen alles zu entfernen, was sie beschmutzte! Und diese Gefühle, die Ihn hienieden leiteten zu der Stellung eines Dieners, sind auch in der Herrlichkeit dieselben geblieben. Seine Liebe bleibt ungehemmt in Tätigkeit. Welche Ehre, welches Vorrecht, Seine Gehilfen sein zu dürfen! Auch wir sollen gleich Ihm die Unwissenheit, die Verirrungen, Schwachheiten und Fehler unserer Brüder ertragen und auf Grund der Fürbitte Jesu bemüht sein, durch Anwendung des Wortes Gottes Alles hinwegzuräumen, was ihren Sinn und ihr Gewissen befleckt und die Segnungen ihrer Gemeinschaft mit Christo und dem Vater hindert. 

Ach, wie unfähig fühlen wir uns oft in diesem Dienst, wie gering ist unsere Liebe, wie wenig demütig unser Herz, wie mangelhaft unsere Fürbitte! Woran liegts? Daran, daß wir zu wenig Seine Gegenwart genießen, und zu wenig unsere eigenen Füße hinhalten, damit Er sie reinige von jeder Befleckung.' Unser Dienst in Betreff der 
Brüder wird stets durch unsere praktische Gemeinschaft mit Ihm bedingt sein. Nur im Genüsse Seiner Liebe werden wir Sein Herz verstehen und von Seiner Gesinnung, Seinem Mitgefühl durchdrungen sein; nur in Seiner gesegneten Nähe lernen wir nicht auf das unsrige, sondern 
auf das, was des Andern ist, zu sehen und die wahre Stellung eines Dieners einzunehmen. 

Und, geliebte Brüder, beachten wir es, daß unser Herr in dem Bewußtsein Seines nahen Hingangs in Seine Herrlichkeit, zu der auch wir mit Ihm Teil zu haben berufen sind, gewiß auch unsere Herzen würden fähiger sein, dem Beispiel unseres Herrn nachzuahmen und uns unter¬ 
einander die Füße zu waschen. Wir würden es als ein Vorrecht betrachten, den niedrigsten Dienst an den Seinigen vollziehen zu können, weil ein solcher Dienst Sein Herz mit Freude und Wonne erfüllt. Laßt uns daher nicht müde werden, unsere schwachen und irrenden Brüder durch brüderliche Ermahnungen und liebevolle Zurechtweisungen in den Genuß einer süßen Gemeinschaft zurückzuführen. 
 
Möge der Herr uns eingehen lassen in die Wahrheit und den Wert dieses Dienstes und uns fähig machen, in Seiner Gesinnung Seiner Aufforderung Gehör zu geben, wenn Er in dem Gefühle der zärtlichsten Fürsorge sagt: „Wenn nun ich, euer Herr und Lehrer, eure Füße gewaschen habe, so seid ihr schuldig, einander die Füße zu waschen." 

Kommentare

Keine Beiträge gefunden.

Rezension verfassen