Selbst für den nachlässigsten Leser ist es kaum möglich, zu übersehen, daß die im Kolosserbrief dargestellte Wahrheit viel Ähnliches mit der im Brief an die Epheser vorgetragenen hat. Die Wahrheit von der Vereinigung mit Christus, dem Haupte Seines Leibes, der Ekklesia, hat in diesen beiden Briefen mehr als in allen anderen Schriften ihre Auslegung gefunden. Wenn auch der erste Korintherbrief die gleiche Lehre bringt (vergl. Kap. 12), so ist der Gegenstand in diesem Brief doch augenscheinlich weit mehr die Versammlung Gottes auf der Erde, in welcher der Heilige Geist durch die Glieder wirkt und jedem austeilt, wie Er will, als die droben geschauten Heiligen, wie es im Epheserbrief der Fall ist, oder als der hienieden in ihnen geschaute Christus, wie im Kolosserbrief. Indessen kennzeichnen sich die beiden Briefe durch bedeutungsvolle und höchst interessante Unterschiede. Der hauptsächlichste ist wohl der: Während wir im Epheserbriefe die Vorrechte des Leibes Christi haben, der Fülle Dessen, der alles in allem erfüllt, finden wir im Kolosserbrief die Herrlichkeiten des Hauptes, in welchem die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt.
Dieser Unterschied ist, wie auch andere, auf den religiös-sittlichen Zustand derer zurückzuführen, an welche die Briefe nach der Weisheit des Geistes gerichtet worden sind. Im ersten Fall kann der Apostel seinen Geistesflug in die Ratschlüsse Gottes nehmen, der die Heiligen mit allen geistlichen Segnungen in den himmlischen Örtern gesegnet hat. Im zweiten Fall war ein teilweises Abweichen zur Philosophie und zu jüdischen Überlieferungen vorhanden, natürlich nicht ein Sichabwenden von Christus, aber doch eine derartige Beimischung dieser fremden Bestandteile, daß sich Ergebnisse einstellen mußten, die in den Augen des Apostels verderblich waren. Diesen ernsten Folgen konnte nur dadurch begegnet werden, daß die Kolosser zu Christus, und zu Christus allein, zurückgebracht wurden in all den Rechtsansprüchen Seiner Person und Seines Werkes. Zufolge des Zustandes der Kolosser läßt der Brief das weitgesteckte Ziel und die Entfaltung göttlicher Ratschlüsse und göttlicher Herrlichkeit für die in Christus geschauten und mit Ihm vereinigten Heiligen nicht zu, wohingegen bei den Ephesern zur Zeit, als der Apostel ihnen schrieb, nichts war, was den Erguß seines Herzens hätte zurückhalten oder einengen können.
Der Geist konnte ihn leiten, diesen Gläubigen zu schreiben, daß sie mit allen Heiligen die Breite und Länge und Tiefe und Höhe erfassen und erkennen möchten die die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus. Im Brief an die Kolosser war dagegen in weitem Maße Ermahnung und ernste Warnung am Platz. Ihre Seelen bedurften der Genesung. Das menschliche Element steht daher mehr im Vordergrund. Beim Schreiben an die Epheser nennt der Apostel in der Anrede keinen seiner Mitarbeiter neben sich, und doch war Ephesus die Hauptstadt des prokonsularischen Asiens, war seinen Mitarbeitern wohlbekannt und durch tausend zarte Bande mit ihm selbst und anderen verbunden, während die Versammlung in Kolossä zu denen gehörte, die sein Angesicht im Fleische nie gesehen hatten.
Dies macht es umso beachtenswerter, daß er sich in ihrem Fall mit Timotheus verbindet. "Paulus, Apostel Christi Jesu durch Gottes Willen, und Timotheus, der Bruder, den heiligen und treuen Brüdern in Christo, die in Kolossä sind: Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, [und dem Herrn Jesus Christus]!" (V. 1. 2) Was Paulus angeht so war er weder ohne Autorität, noch war sein Titel menschlich. Er war ein Apostel, nicht der Versammlung (Gemeinde), sondern Christi Jesu, und zwar durch göttlichen Willen, und Timotheus steht neben ihm einfach als "der Bruder". Auch die zur Versammlung in Kolossä Gehörigen sind gekennzeichnet, und zwar nicht nur als "Heilige und Treue", wie die Epheser es waren, sondern als "heilige und treue Brüder".
Es ist augenscheinlich, daß, während alles von dem Gott ist, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Jesus Christus, der Ausdruck "Brüder" ihre gegenseitigen Beziehungen hervorhebt, wie die beiden anderen Ausdrücke einerseits Gottes Gnade und anderseits ihren Glauben oder ihre Treue voraussetzen. ( "Gläubig" und "treu" ist ein und dasselbe Wort im Griechischen. ) Sein eigener apostolischer Rang wird mit gelassener Würde und in der augenscheinlichen Anpassung an alles Folgende genannt. (Die Auslassung von "und dem Herrn Jesus Christus" (die Worte stehen als unsicher in eckigen Klammern) in den besten Texten ist beachtenswert, denn der Zug des Briefes geht dahin, die Herrlichkeit Christi vor allem ins Licht zu stelien.
Einige ausgezeichnete Handschriften, welche die Worte enthalten mögen auf ganz natürlichem Wege diesem Mißverständnis, wenn es eins ist, anheimgefallen sein, indem die Abschreiber nicht ohne Zwang von der in diesen Briefen üblichen Form abgehen wollten. Anderseits ist es, falls die Worte echt sind, schwierig, einen Grund für den Ausfall eines so vertrauten Schlußwortes bei erstklassigen Zeugen verschiedener Zeiten und Gegenden zu finden sowie für die ausdrückliche Feststellung früher Erklärer, daß die genannten Worte sich in diesem Briefe nicht finden.)
Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, daß der Apostel in diesem Briefe ganz und gar alles ausläßt, was der großartigen Einleitung entspricht, mit der er den Brief an die Epheser beginnt. (Vergl. Kap. 1, 3-14.) Es lag ein Druck auf seinem Geiste; er fühlte die Gefahr, die die Kolosser bedrohte. Wie hätte er da ganz unvermittelt in eine solch ungehemmte Danksagung ausbrechen können? Der Heilige Geist ist der Geist der Wahrheit und befaßt sich mit den Herzen und mit den Gewissen. Immerhin wenn auch jener hohe Ton von Anbetung hier keine passende Stätte finden konnte, so ist doch augenblickliche Danksagung da.
"Wir danken dem Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus allezeit, indem wir für euch beten, nachdem wir gehört haben von eurem Glauben in Christo Jesu und der Liebe, die ihr zu allen Heiligen habt, wegen der Hoffnung, die für euch aufgehoben ist in den Himmeln, von welcher ihr zuvor gehört habt in dem Worte der Wahrheit des Evangeliums, das zu euch gekommen, so wie es auch in der ganzen Welt ist, und ist fruchtbringend und wachsend, wie auch unter euch, von dem Tage an, da ihr es gehört und die Gnade Gottes in Wahrheit erkannt habt; so wie ihr gelernt habt von Epaphras, unserem geliebten Mitknecht, der ein treuer Diener des Christus für euch ist, der uns auch eure Liebe im Geiste kundgetan hat." Was die Epheser angeht, so hatte der Apostel von dem Glauben an den Herrn Jesus gehört, der in ihnen war, sowie von ihrer Liebe zu allen Heiligen, und das gab seinem Herzen Veranlassung, sich in Danksagung und Bitte zu ergehen. Er kannte diese Leute persönlich und gut, hatte er doch mit reichem Segen in ihrer Mitte gearbeitet; aber es war seinem Herzen köstlich, von dem Wirken des Geistes in ihrer Mitte zu hören.
So hatte er auch von den Kolossern, obgleich sie ihm nicht also bekannt waren, ähnliche Nachrichten, für die er Gott allezeit in seinen Gebeten für sie danken konnte. Ist aber der Unterschied nicht auffallend, wie er in den beiden Fällen von der Hoffnung redet? Im Epheserbrief ist es die Hoffnung der Berufung Gottes; da sind es die Reichtümer der Herrlichkeit Seines Erbes in den Heiligen. Was könnte tiefer oder grenzenloser sein? Hier im Kolosserbrief konnte er kaum weniger sagen. Die Hoffnung der Kolosser war "für sie aufgehoben", sie war gesichert, sie war "in den Himmeln", nicht auf der Erde, trotz Philosophie oder fleischtötender Vorschriften. Aber die Kolosser mußten sich hüten vor allen Dingen dieser Art, was immer deren Aussehen und die Erwartungen, die daran geknüpft werden konnten, sein mochten.
An ihre eigene Hoffnung möchte er sie daher erinnern, indem er sie gleichsam in den Himmel führt, wo der Christus ist, Er, der die wahre und einzige Befreiung ist von allem Tätigsein des Menschengeistes in göttlichen Dingen und von erdgebundener Religiosität. Diese himmlische Hoffnung, köstlich wie sie ist, war ihnen nichts Neues: Sie hatten zuvor davon gehört "in dem Worte der Wahrheit des Evangeliums". Was der Apostel jetzt lehrte, würde nicht schwächen oder unterhöhlen, sondern nur das befestigen, was sie einst in der guten Botschaft gehört hatten, durch die sie bekehrt worden waren. Er nennt diese Botschaft "das Wort der Wahrheit des Evangeliums", um ihr das höchstmögliche Gewicht zu geben in Anbetracht der Tatsache, daß sie darauf aus waren, etwas Neues zu hören.
Es handelte sich nicht um ein durch verstandesmäßiges Herumtasten Gefundenes, sondern um "das Wort", das in bestimmter Form zu ihnen gesandt war, um Offenbarung Gottes. Es war auch kein Herumtappen in gesetzlichen Formen, sondern "die Wahrheit", die Wahrheit des Evangeliums. Das Gesetz wurde durch Moses gegeben, aber die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden. Das Evangelium kam zu ihnen, ja, es war gegenwärtig bei ihnen, nicht veränderlicher als Er, der des Evangeliums Summe und Wesen ist. Wirkliche Wahrheit, selbst wenn sie neu ist, setzt nie die alte beiseite, sondern ergänzt im Gegenteil fehlende Verbindungsstücke, vertieft die Grundlagen und erweitert den Gesichtskreis. Aber wie war es ihnen ergangen? Hatte etwa ihre Philosophie, hatten ihre neuerungssüchtigen Vorbehalte (Kap. 2) ihr Verständnis über den Wert des Evangeliums vermehrt?
War durch diese Dinge Christus erhoben worden? Im Gegensatz hierzu steht unzweifelhaft fest, was die Wirkung der Lehre des Paulus sein würde, sowohl allgemein als insbesondere in diesem Briefe. Entsprechend der Tatsache nun, daß das Evangelium die Entfaltung der Güte Gottes in Christus ist, nicht etwa das menschlicher Pflichterfüllung zugemessene Teil oder ein System religiöser "Schatten" (vergl. Hebr. 10, 1) , ist der Ort, an dem es zur Verkündigung gelangt, nach Gottes Absichten nicht ein einzelnes Land oder eine einzelne Familie, sondern "die ganze Welt" und seine Wirkung ist keine verdammende und tötende, sondern eine fruchtbringende und wachsende, wie es unter den Gläubigen in Kolossä der Fall war.
Konnte aber noch von diesem Fruchttragen und Wachstum die Rede sein seit Einführung ihrer Neuerungs-Begriffe und gesetzlichen Wege? Das Evangelium ist beides, fruchttragend und zugleich mit Energie geladen, um sich auszubreiten. Dieser Zusatz von der Wachstum bewirkenden Kraft des Evangeliums fehlt dem gewöhnlichen (Luther) Text, indem er in weniger guten Handschriften ausgelassen worden ist. Seine Echtheit kann aber wohl nicht in Frage gestellt werden. Daß das Evangelium diese zwiefache Wirkung hatte, war den Kolossern bekannt von dem Tage an, da sie von der Gnade Gottes gehört und sie in Wahrheit erkannt hatten. Dieser Umstand gibt dem gesegneten Apostel Gelegenheit, seiner Gewohnheit nach einem Mann die Hände zu stärken, der Christi Diener und in bezug auf sie treu war, dem Epaphras nämlich, "unserem geliebten Mitknecht", wie er ihn hier liebevoll nennt. Die in der Mitte der Kolosser genährten spekulativen Ansichten und judaistischen Formen hatten ohne Zweifel ihre Verteidiger, die sich auf Kosten eines treuen Arbeiters beliebt zu machen suchten. Wir verstehen gut, daß das den Epaphras auf solche Weise empfehlende Wort des Schreibers nötig war in Kolossä.
In der vorigen Betrachtung hörten wir, wie der Apostel reden konnte von den Wirkungen des Evangeliums von dem Tage an, da sie (die Kolosser) es gehört und die Gnade Gottes in Wahrheit erkannt hatten. Mit der Gnade ist es anders als mit dem Gesetz. Die zehn Gebote tragen hauptsächlich verneinenden Charakter. Das Gesetz behandelt zum größten Teil das, was böse ist, und verurteilt es. Das Evangelium dagegen offenbart Christus als eine Kraft, die lebendig macht, und die sowohl stärkend als fruchtbringend wirkt. Da es ein Lebenselement ist, breitet es sich aus und wächst, ebenso wie es Frucht hervorbringt.
"Es ist fruchtbringend und wachsend. . . von dem Tage an, da ihr es gehört habt. . ." Aber nun fährt der Apostel fort : "Deshalb hören auch wir nicht auf, von dem Tage an, da wir es gehört haben (gehört von diesem lebendigen, der Kraft des Evangeliums gegebenen Zeugnis ) , für euch zu beten" - welch schöner Ausdruck der Liebe des Apostels, die ihn trotz der Befürchtungen, die er mit Recht betreffs der in Kolossä vorhandenen Neigungen hegte, nur umso mehr ins Gebet für sie trieb! - "und zu bitten, auf daß ihr erfüllt sein möget mit der Erkenntnis seines Willens". Erkenntnis Seines Willens? Sie hatten eher das Gegenteil davon gezeigt. Sie hatten bewiesen, daß in ihrem Herzen eine Leere war, die sie vergeblich mit gesetzlichen Vorschriften und mit Philosophie auszufüllen gesucht hatten. Es ist so: Nichts als eine einsichtsvolle und wachsende Bekanntschaft mit Christus kann das erneuerte Herz befriedigen.
Die Gnade selbst, die die Seele erlöst, wird zu einer Gefahr, sofern nicht Christus selbst der festgehaltene, gewohnte Gegenstand ist. Die durch das Evangelium gebrachte Freiheit kann gar dazu mißbraucht werden, die Dinge leicht zu nehmen und an der Welt mehr oder weniger festzuhalten oder ihr Zugang zu gewähren. Wo das aber der Fall ist, da wird die Seele selten ein größeres Maß geistlichen Genusses haben, und nie wird ein steter, wahrhafter Friede ihr Teil sein. Im Gegenteil, die Seele wird auf diese Weise unstet und unsicher. Ein derartiger, Schwankungen unterworfener Zustand mag eine Zeitlang andauern, bis Gott in Seiner Gnade das Werk im Herzen vertieft. Die Kolosser befanden sich in gewisser Hinsicht in einem solchen Zustand. Sie waren nicht gleichmäßig zu einer völligeren Erkenntnis des Willens Gottes fortgeschritten. Infolgedessen fand Satan Mittel und Wege, sie zu beunruhigen. Sie hatten die erste kostbare Entfaltung der Gnade erfahren.
Es war Wirklichkeit für sie gewesen, aber nicht tief gegangen. Überdies ist, "die Gnade Gottes in Wahrheit erkannt haben", nicht dasselbe, wie "erfüllt sein mit der Erkenntnis seines Willens". Das Gesetz vermag derartiges niemals auch nur im geringsten zu geben. Bei ihm handelt es sich eigentlich nur um ein gerechtes, dem Willen des Menschen auferlegtes Verbot. Nur ein einziges unter den Geboten - ich meine die Verordnung über den Sabbath - trägt nicht ausgesprochenermaßen diesen Charakter, der nie die Wege eines Christen zu bilden vermag. Was wir nötig haben, ist, daß der Mensch mit allem, was gut ist, sittlich verbunden werde. Wie aber kann das geschehen? Alles nur in Christus und durch Ihn. Wie Christus Leben mitteilt, so kommt auch von Ihm das Erfülltwerden mit dem Willen Gottes "in aller Weisheit und geistlichem Verständnis" . Der Gläubige wird von Gott nicht wie ein Roß oder wie ein Maultier behandelt das keinen Verstand hat, sondern wie ein vernünftiges und geliebtes Wesen, das in die Gemeinschaft mit Gott gebracht ist. Er wäre kein erlöster Mensch, wenn sein eigener Wille ihn beherrschte. Vom eigenen Willen beherrscht sein ist aber gerade das Gegenteil vom Erfülltsein mit der Erkenntnis des Willens Gottes.
Daher betet der Apostel für sie, daß sie dies sein möchten. Im Brief an die Epheser war es für den Apostel nicht wie hier erforderlich, die Erkenntnis des Willens Gottes für die Gläubigen zu erbitten, obwohl wir in wundervollen Ausdrücken von diesem Willen lesen. ( Kap. 1. ) Es gab bei ihnen ein Erfassen mit dem Herzen, welches es unnötig machte, daß der Apostel in diesem Sinn für sie betete. Den Ephesern wünschte er einerseits ein reiches inneres Genießen Christi, damit sie erfüllt sein möchten zu der ganzen Fülle Gottes - "mit Kraft gestärkt durch seinen Geist". Aber das Erfülltwerden mit der Erkenntnis Seines Willens, wie wir es hier haben, hat es augenscheinlich mit dem praktischen Wandel zu tun, denn der Apostel setzt hinzu: "um würdig des Herrn zu wandeln." Mit anderen Worten: Im Kolosserbrief haben wir einen wichtigen praktischen Hinweis auf den Wandel. Es handelt sich da mehr um das Heranbilden des Kindleins, um die Kräftigung und Leitung von jemand, der noch schwach auf den Füßen ist, um ihm weiterzuhelfen, während wir im Epheserbrief die Mitteilungen haben, die der Gott und Vater Jesu Christi Seinen Kindern macht, die nun nicht länger Kindlein, sondern Erwachsene sind.
Daher ist dort von Familienbeziehungen die Rede von Gefühlen, Zuständen, Interessen, Verantwortlichkeiten, und was dergleichen mehr ist. Die Kolosser waren irregeleitet worden durch die Gedankenwelt von Lehrern, die selber weit abgeirrt waren. Obgleich die dortigen Gläubigen ernstgesinnt waren, so war doch etwas da, das ihr Auge trübte. "Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein." Hieran fehlte es. Sie mußten von ihren eigenen Gedanken geleitet worden sein, anders hätten sie sicherlich diese falschen Begriffe verworfen. Es ist eine einfache, aber sehr beachtenswerte Wahrheit, daß das was den Gläubigen als Gottes Wille vorgestellt wird, notwendigerweise ihren Sinn bilden und folglich auch ihren Wandel als Christen gestalten wird. Wenn ich in bezug auf die Gedanken Gottes oder auf Gegenstände, die Er im Auge hat, irregeleitet werde, so wird die Auswirkung praktisch überaus verderblich sein. Und die Sache ist umso ernster, je weiter das Irreleiten geht.
Aber der Apostel hatte für die Kolosser gebetet und tat das auch weiterhin, damit sie erfüllt sein möchten mit der völligen Erkenntnis Seiner selbst. Ich hege nicht den geringsten Zweifel, daß in dieser Stelle an den Gegensatz gedacht ist zu dem Wandel eines Menschen, der sich, wie hingebend er auch sein mag, doch noch unter Gesetz befindet. Je mehr der Christ den Willen Gottes erkennt, der ebenso gut wie heilig ist, desto mehr wächst seine Glückseligkeit und auch seine Kraft, während demgegenüber das Gesetz sich so auswirkt, daß ein elender Zustand die Folge ist und ein Überführtwerden von der großen vorhandenen Schwachheit. Wäre ein tiefes Bewußtsein von der Gegenwart Gottes bei uns vorhanden, so würde es zweifellos nicht viel ausmachen, mit wem wir zusammen sind, ob mit Weltmenschen oder mit Kindern Gottes, abgesehen davon, daß natürlich ein Unterschied in unserer Einstellung ihnen gegenüber besteht, entsprechend ihren Beziehungen zu Gott oder ihrer Unwissenheit über Ihn. Tatsache aber ist, daß wir immer tief beeindruckt werden durch den Umgang, den wir haben.
Wir beeindrucken unsere Umgebung und werden durch sie beeindruckt. Solange nun Christus als der Geoffenbarte vor der Seele steht, wird der Wandel des Gläubigen dementsprechend sein, und zwar genau nach dem Maße, wie er seine Beziehungen zu Ihm vervirklicht. Wenn ich meine Stellung als mit Ihm verbunden kenne und Er dann der Gegenstand meines Herzens ist, und wenn ich Ihn zugleich als mein Haupt und meinen Bräutigam kenne, so muß ein ganz und gar anders gearteter Wandel das Ergebnis sein. Maß und Charakter des Wandels bei Kindern Gottes werden gebildet durch das Maß unseres Bekanntseins mit Christus, wobei freilich das Fleisch genügend gerichtet werden muß, um die Bekanntschaft zu genießen. Sehr bemerkenswert scheint mir, daß der Apostel trotz allem, was bei den Kolossern vorlag, vorderhand nicht an die Dinge rührt, betreffs derer ein Mangel bei ihnen zutage getreten war. Erst in der Mitte des zweiten Kapitels teilt er ihnen offen mit, worin sie zu tadeln waren.
Laßt uns diesen wichtigen Umstand beachten, denn wenn unser Ziel wirklich das Wohl und die Befreiung der Seelen ist, und wir ihnen zu helfen wünschen, so gilt es zu erkennen, was der Weg Gottes ist, um den Seelen zu begegnen und ihnen behilflich zu sein, den Fallstricken zu entrinnen. Der beste Weg, dies zu lernen, ist, der Leitung des Heiligen Geistes nachzuspüren, wie sie in Schriften, wie der vorliegende Brief, in Erscheinung tritt, und sich nach ihr zu richten. Nur mit Beschämung im Blick auf unser eigenes so häufiges Benehmen gegen andere können wir die wunderbare Gnade und die Langmut des Apostels betrachten, die er anwendet, um schließlich auf seinen eigentlichen Gegenstand zu kommen. Die von ihm angewandte Langmut ist so groß, daß man von Anfang des Briefes an fast denken möchte, die Kolosser hätten sich in einem ganz ausgezeichneten Zustand befunden. Überaus behutsam geht der Schreiber vor, um ganz allmählich an das heranzukommen, was ihn beschwerte und sie beschweren mußte. Er legt sozusagen Stollen und Minen an, um die Festung einzunehmen. Es ist langsame, aber sichere Arbeit. Des Beachtens wert ist auch der Ausdruck: "Um würdig des Herrn zu wandeln zu allem Wohlgefallen." Es heißt nicht: "würdig des Evangeliums", oder: "würdig unserer Berufung". So steht es nicht an dieser Stelle.
Die Epheser waren sich klar über die bösen Einflüsse, die es in dieser Hinsicht gab. Sie konnten daher nach Belieben unterwiesen werden über die Berufung Gottes, mit der sie berufen worden waren. Daher die Ermahnung, "daß sie würdig der Berufung wandeln möchten" usw. Aber an die Kolosser schreibt er: "würdig des Herrn". Es würde ihnen nicht so leicht fallen, sich von den Wirkungen freizumachen, die die Folge ihrer Beschäftigung mit Philosophie und gesetzlichen Verordnungen varen. Die Epheser waren von diesem Irrtum verschont geblieben.
Deshalb werden sie ermahnt, dessen würdig zu wandeln, was sie als ihre StelIung erkannt hatten. Dem Hinweis des Apostels auf den Herrn dessen sie würdig wandeln sollten, entspricht auch das Maß: "Zu allem Wohlgefallen", denn dieser Ausdruck bedeutet nicht: uns oder anderen zu Gefallen, sondern: Ihm zu Gefallen. Da haben wir wieder den ganzen Unterschied zwischen dem, was hier in Frage kommt, und dem Gesetz. Denn das Gesetz verlangt genau so und so viel und nicht mehr. Die Wege der Gnade dagegen sollten unbegrenzt sein. Da heißt es: "würdig des Herrn zu aIIem Wohlgefallen". Darum fügt der Apostel unmittelbar hinzu: in jedem guten Werke fruchtbringend". Alles hier ist positiv nicht nur negativ, wie die Forderungen des Gesetzes. "Wachsend durch die Erkenntnis Gottes", scheint hier der Hauptgedanke zu sein. Er bezieht sich auf das Mittel, durch welches das christliche Wachstum bewirkt wird. In Verbindung hiermit scheint mir der Ausdruck "Weisheit und geistliches Verständnis" ein Wahrnehmungsvermögen zu bedeuten für das was gut und weise in den Augen Gottes ist abgesehen davon, daß es sich dabei um Sein ausdrückliches Gebot handelt.
So kann ich einfach deswegen etwas tun weil ein anderer es wünscht, und das ist natürlich richtig in Fällen, in denen rechtmäßige Autorität vorhanden ist. Zum Beispiel: Mein Vater mag mich dies oder jenes tun heißen und ich folge der Aufforderung ohne das Warum zu kennen Aber hier zeigt mir mein Vater gleichzeitig die Wichtigkeit der Sache. So erkennt "die Weisheit" die Schönheit und das Angemessene der Sache, und "das geistliche Verständnis macht die rechte Anwendung davon. Die eine ( die Weisheit) erfaßt die Ursache, während das andere (das geistliche Verständnis ) mit der Wirkung beschäftigt ist.
Hier haben wir wiederum den großen Unterschied zwischen Evangelium und Gesetz. Ob jemand in den Sinn des Gesetzes eingeht oder nicht - er gehorcht einfach, weil Gott befiehlt. Ein solcher Gehorsam erhebt sich aber nicht zu der Natur des Gehorsams eines Christen, der die Entfaltung der Gedanken Gottes in Christus genießt: er sieht nicht nur Gottes Autorität, sondern nimmt auch ihren bewunderungswürdigen, vollkommenen Charakter sowie ihre gnadenvollen Wirkungen wahr. Es ist ganz richtig, daß ein Untertan, ein Knecht, ein Minderjähriger gehorchen lernt, wäre es auch nur um des Gehorchens selbst willen. Aber das ist nicht der christliche Grundsatz. Der Gehorsam eines Christen ist nicht das Leiten Blinder durch Blinde, noch das Leiten Blinder durch Sehende. Er umfaßt weit mehr. Es ist das Leiten Sehender durch Sehende. Nicht nur werden Menschen lebendig gemacht und tragen Frucht. Sie wachsen außerdem noch durch eine tiefere Erkenntnis Gottes selbst oder wachsen in eine solche hinein. Diese sich vertiefende Bekanntschaft mit Gott, die neben der Erkenntnis Seines Willens herläuft, ist etwas sehr Wichtiges auf dem Pfade des Gehorsams.
Man kennt Gott besser; man geht besser in Seinen Charakter ein; man lernt vertrauter mit Ihm werden. Eine andere Sache von großer Bedeutung ist, daß nicht nur wachsende Erkenntnis vorhanden ist, sondern ein Gekräftigtwerden mit aller Kraft nach der Macht Seiner Herr1ichkeit ; nicht, wie Luther übersetzt, nach "Seiner herrlichen Macht", sondern nach der Macht Seiner Herrlichkeit. Das ist der Gedanke hier. Er setzt voraus daß die Herrlichkeit Christi eine höchst entschiedene Wirkung hat. Sie ist das Mittel, durch das Kraft bewirkt oder mitgeteilt wird. Wenn ich auf Christus blicke, wie Er hier auf der Erde war, so sehe ich Ihn in Schwachheit und Schande und Verwerfung, dabei aber voll der tiefsten Gnade, und dies nirgends mehr als am Kreuze; und obgleich wir nicht auskommen, ohne Ihn so zu betrachten - denn in Wahrheit ist Christus überall unaussprechlich kostbar und unbedingt nötig für uns -, so besteht doch für den Christen das Mittel, um Kraft zu finden, in dem Schauen auf den auferstandenen und verherrlichten Christus.
Ohne Zweifel weckt der Gedanke an den Christus, der einst hienieden in dieser Welt war, die Zuneigung des Herzens, geradeso wie das Kreuz der Gewissensnot begegnet. Aber keins von beiden kann aus sich selbst Kraft geben; keins ist von Gott dazu bestimmt, uns alles das darzureichen, was wir in dieser Hinsicht brauchen. Das ist der Grund, daß die, welche Christus überhaupt kennen, wohl Leben und Segnung in Ihm finden werden, aber niemals Kraft, sofern der irdische Pfad Christi alles ist, was ihre Herzen beschäftigt. Was ist es denn, das in dieser Hinsicht unserem Bedürfnis entspricht? Wir finden es in 2. Korinther 3: "Wir alle mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit (V. 18). Hier haben wir das, was Kraft gibt fürs Leben. Die Frage nach Kraft ist nur in Verbindung mit Seiner Herrlichkeit zu lösen. Handelt es sich dagegen um Mitleid (vergl. Hebr. 4, 15), so steht dies immer in Verbindung mit Seinem Leben hienieden.
So ist im Hebräerbrief z. B. wohl von Christus als zur Rechten Gottes befindlich usw. die Rede, aber hauptsächlich doch in Verbindung mit dem Gedanken, daß Er der ist, welcher von Mitgefühl bewegt wird im Blick auf unsere Schwachheiten, indem Er einst in allem versucht worden ist wie wir, ausgenommen die Sünde. Das ist überaus tröstlich in bezug auf die Kraft des Mitleids. Ewiges Leben und Kraft sind zwei sehr verschiedene Dinge. Manche kennen nur den einen Gedanken, Christus als ihrem Vorbild nachzufolgen. Das ist natürlich bewundernswert; aber wo soll die Kraft dazu herkommen? Zuerst muß ich in Verbindung mit Gott sein um ewiges Leben zu besitzen; und dann ist Kraft vonnöten. Sie zu empfangen bin ich aber nicht eher in der richtigen Verfassung, als bis ich die Erlösung durch das Blut Christi kenne. Und Kraft ist allein zu finden in dem auferstandenen und verherrlichten Christus.
Die Kraftquelle liegt nicht darin, daß man auf das schaut, was Er hienieden war, sondern darin, daß man von der Herrlichkeit weiß, die in Ihm ist. Die Macht dieser Herrlichkeit muß mein eigenes Herz erfüllen und mir die Gewißheit geben, daß ich bei Ihm sein werde. Ist dies der Fall, so werde ich nicht vor der Verwerfung zurückschrecken, die Christi Teil hienieden war, "gekräftigt", wie ich bin, "zu allem Ausharren und aller Langmut mit Freuden". Es ist eine böse Welt die wir zu durchschreiten haben, aber wir besitzen ein wundervolles Geheimnis : wir haben das Bewußtsein einer besseren Segnung, die wir in Christus besitzen. Möge man mir deshalb die Bemerkung gestatten: Unser Durchschreiten der Welt sollte in geradem Gegensatz zu dem eines Menschen stehen, der mit gesenktem Kopf durch die Prüfung geht. Es sollte vielmehr, entsprechend der Macht Seiner Herrlichkeit, ein Durchschreiten mit Freuden sein, "danksagend dem Vater der uns fähig gemacht hat zu dem Anteil am Erbe der Heiligen in dem Lichte". Dazu sind wir schon gegenwärtig fähig gemacht. Anteil an dem Erbe der Heiligen in dem Lichte haben, ist ein überaus wundervolles Vorrecht. Aber der Apostel zögert nicht, es von diesen Kolossern zu behaupten, Leuten, die er im nächsten Kapitel mit allem feierlichen Ernst zu tadeln im Begriff stand. Ihnen schreibt er, der Vater habe uns fähig gemacht zum Anteil am Erbe der Heiligen in dem Lichte.
"ln dem Licht" wird ausdrücklich hinzugefügt, um zu zeigen, wie das Ergebnis des Werkes Gottes in Christus ein unbedingtes ist. Es ist nicht einfach "das Erbteil ", denn in diesem Ausdruck ist nicht ohne weiteres der Gedanke der alles bloßstellenden Heiligkeit enthalten, wie es bei "Licht" der Fall ist. Ferner: der "Anteil der Heiligen in dem Lichte" ist nicht eine Sache, die der Erde angehört, ist auch nicht nur eben eine Himmelssache. Nein, es geht weiter. Der Anteil ist "in dem Lichte , da, wo Gott als solcher wohnt. Ist das nicht ein geradezu wundersamer Ort für uns? Und für diesen Anteil hat unser Vater uns fähig gemacht. Das Gesetz hat stets die Wirkung, Gott in die Ferne zu rücken. Deshalb wird hier der Vater vorangestellt. Es gibt viele, die in Gott nur den Schöpfer und den Richter sehen. Obwohl sie zugeben, daß in Christus das Leben ist, fühlen sie sich doch nicht heimisch bei dem Vater.
Sie machen aus dem Christus, was die Papisten aus der Jungfrau Maria machen. Das eine ist so falsch wie das andere. Und eben dies machte es nötig, den Vater besonders voranzustellen. Im Brief an die Epheser war das unnötig. Die Epheser hatten Verständnis über die Wahrheit. Obwohl nun der große Zweck des vorliegendenBriefes der ist, aus Christus, aus Seiner uneingeschränkten Herrlichkeit das zu machen, was Verordnungen usw. ausschließt, bringt der Apostel doch gerade hier den Vater hinein, indem er zeigt, daß der Vater in Seiner Liebe gewirkt hat. Die Verbindung von vollkommener Liebe und unserem Passendgemachtsein für das Licht, und zwar schon jetzt, ist eine wundervolle Wahrheit. Was das Licht anlangt, so befindet sich der Christ immer in demselben, wenn es auch der Fall sein kann, daß er nicht immer dem Licht gemäß wandelt. Wenn daher ein Christ sündigt , so sündigt er in dem Licht, und das ist, was seinem Sündigen einen, ich möchte sagen, dreisten Charakter verleiht. Mag er sich selbst praktisch in einem nicht guten Zustand befinden, dennoch ist er immer in dem Lichte. Und das gerade ist es, was die Sünde eines Christen so überaus ernst macht. Er begeht sie angesichts einer vollkommenen Liebe und angesichts eines vollkommenen Lichts. Deshalb gibt es keine Entschuldigung für sie.
Das gesegnete Vorrecht, von dem wir sprachen, hängt von zwei Dingen ab: zunächst von der Wirkung des Blutes Christi, das eine vollständige Sühnung unserer Sünden zustande gebracht hat, und sodann von der Tatsache, daß uns das Leben Christi mitgeteilt worden ist, ein Leben, das uns befähigt, mit Gott Gemeinschaft zu haben in dem Lichte. Diese beiden Gnadengaben sind unbedingt wahr von jedem Christen. Der Gläubige hat das Blut, das ihn reinigt, soweit er das je braucht; und er hat in Christus das Leben, das seiner Seele in ausgedehntestem Maße mitgeteilt worden ist. Was da noch an Erfahrungen hinterher folgen mag, ist einfach eine vertiefte Wertschätzung dessen, was das Blut Christi bewirkt hat, sowie davon, was Er selbst ist, der uns eine solch unendliche Gunst erwiesen und soviel für uns getan hat. Unser Vater hat aber noch mehr getan, denn wie der Apostel ferner zeigt, hat Er "uns errettet aus der Gewalt der Finsternis. Es handelt sich hier nicht bloß um böse Werke, sondern um die Gewalt der Finsternis, um die Errettung aus der Gewalt Satans. Aber der Apostel sagt nicht nur, daß die Gläubigen aus dieser Gewalt errettet, sondern auch, daß sie "versetzt worden seien in das Reich des Sohnes seiner Liebe". Alles Geschehene ist vollkommen. Die Errettung von dem Feinde Gottes ist vollständig, und so ist es mit dem Versetztwordensein in das Reich des Sohnes Seiner Liebe. "in welchem wir die Erlösung haben, die Vergebung der Sünden." In Luthers Übersetzung finden wir der Vergebung der Sünden noch "durch sein Blut" hinzugefügt. In Wirklichkeit gehören diese Worte aber zum Epheserbrief. (Kap. 1, 7.) Ich bin überzeugt, daß die Abschreiber sie hier eingefügt haben, weil sie dort stehen. Im Epheserbrief haben wir eine größere Fülle als im Kolosserbrief.
Daher zeigt jener Brief, wie die Segnung möglich ist trotz unserer Sünden, die in dem herrlichen Bericht dort (Kap. 1) in Erscheinung treten. Hier im Kolosserbrief dagegen haben wir nur eben die Aufzählung der Segnung: "ln welchem wir die Erlösung haben, die Vergebung der Sünden, welcher das Bild des unsichtbaren Gottes ist." Der Zweck ist augenscheinlich nicht so sehr, bei dem Werke Christi zu verweilen, als vielmehr Seine persönliche Herrlichkeit herauszustellen. So wird Er "das Bild des unsichtbaren Gottes" genannt. Von Christus wird nie gesagt, daß Er das "Gleichnis" des unsichtbaren Gottes sei (vergl. 1. Mose 1, 26), weil das den Gedanken hervorrufen könnte, Er sei nicht wirklich Gott. Das wäre ein verhängnisvoller Irrtum.
Er ist Gott (ohne dies wären Gottes Herrlichkeit und Erlösung eitel ) ; aber doch ist Er das Bi1d des unsichtbaren Gottes, indem Er die einzige Person der Gottheit ist, die Ihn kundgemacht hat. (Vergl. Joh. 1, 18. ) Der Heilige Geist offenbart Gott nicht. Er offenbart Seine Macht, aber nicht Ihn selbst. Aber Christus ist "das Bild des unsichtbaren Gottes". Er hat Gott in Vollkommenheit dargestellt; Er ist die Wahrheit. Wer Ihn gesehen hat, hat den Vater gesehen. Er war stets Der, welcher Gott offenbarte. Das Wort "Bild", so hat jemand bemerkt, wird in der Schrift immer wieder in dem Sinne von Darstellung gebraucht. Das ist auch hier der Hauptgedanke. Christus hat den unsichtbaren Gott dargestellt. Als Seine nächste Herrlichkeit wird gesagt, daß Er der Erstgeborene aller Schöpfung" ist. Diese Mitteilung ist offenbar das Gegenstück zu der ersten, daß Er das Bild des unsichtbaren Gottes ist. Christus wurde so wahrhaftig Mensch, wie Er Gott war und ist. Erward Fleisch. Nie wird von Ihm gesagt, noch konnte von Ihm gesagt werden, Er sei Gott geworden. Er nahm teil an Fleisch und Blut in der Zeit, aber von Ewigkeit her ist Er Gott.
Nachdem der Apostel gezeigt hat, daß Er das Bild des unsichtbaren Gottes war, spricht er von Ihm als dem "Erstgeborenen aller Schöpfung".Aber wie ist das möglich? Das Urbild davon haben wir in Adam. Wir würden sagen, daß obiger Titel ihm zukomme als dem ersten Menschen. Aber hier, wie an anderen Stellen, drückt der Titel "Erstgeborener" eine besondere Würde aus, anstatt einen rein zeitIichen Vorrang zu bedeuten. Adam war der erste Mensch; er war aber nicht der Erstgeborene und konnte es auch nicht sein. Aber wie kann von Christus, der doch so spät hienieden geboren wurde, als von dem Erstgeborenen gesprochen werden? Die Wahrheit ist, daß, wenn Christus Mensch wurde und in den Bereich der Schöpfung eintrat, Er einfach nichts anderes sein konnte. Denn Er ist der Sohn und Erbe. In gleichem Sinn heißt es durch die Gnade jetzt von uns, daß wir "die Versammlung der Erstgeborenen" seien, obwohl es v o r der Versammlung (Gemeinde) Heilige, d. h. Gläubige gegeben hat. Es ist eine R a n g-, nicht eine Z e i tfrage. Christus ist in Wahrheit der Erstgeborene aller Schöpfung. Er hat nie den Platz des Geschöpfes eingenommen, bis Er Mensch wurde und dann notwendigerweise der Erstgeborene sein mußte. Selbst wenn Er buchstäblich der letzte gewesen wäre, mußte Er dennoch der Erstgeborene sein, denn dies hat, wie gesagt, nichts mit dem Zeitpunkt Seines Kommens zu tun, sondern mit der Ihm innewohnenden Würde. Alle anderen waren lediglich Kinder des gefallenen Menschen Adam, und von ihnen konnte in keinern Sinne einer der Erstgeborene sein. Er war so wahrhaftig Mensch wie sie, aber mit einer ganz besonderen Herrlichkeit. Warum Er hier als Erstgeborener aller Schöpfung vorgestellt wird, geht aus den Worten hervor: "Denn durch ihn sind alle Dinge geschaffen vorden."
Das macht den Grund völlig klar. Er war Erstgeborener aller Schöpfung, weil Er, der in den Kreis des geschaffenen Menschentums eintrat, der Schöpfer war; darum mußte Er notwendigerweise der Erstgeborene sein. Das ist die klare und sichere Bedeutung dieser Stelle, die auf das stärkste die Gottheit Christi bestätigt, anstatt sie zu schwächen, wie einige die Stelle aus einem seltsamen Mißverständnis heraus aufgefaßt zu haben scheinen. Daher übersetzen viele: "der Erstgeborene vor allen Kreaturen". ( Luther. ) Menge: Erstgeborener vor aIler Schöpfung"; Schlatter: Erstgeborener vor allen Geschaffenen' . Wiese: "Erstgeborener vor jeglicher Kreatur' . Diese Auffassung ist unmöglich, und es liegt in der Tat keinerlei Bedürfnis für eine Änderung des Textes vor. Gottes Wort ist weiser als die Menschen.
Es gibt keine Schriftstelle, die Christi Würde mehr hervortreten ließe als diese. Zuerst also wird von Ihm gesagt, daß Er das Bild des unsichtbaren Gottes sei. Sodann haben wir Seinen menschlichen Platz, an dem Er der Erstgeborene ist, weil, da Er Gott ist, es nicht anders sein konnte. Im Hebräerbrief heißt es von Ihm, daß Er zum Erben aller Dinge gesetzt worden sei, weil Er der Sohn Gottes war. Hier aber lesen wir: "Alle Dinge sind durch ihn", oder wörtlicher: "in ihm ( d. i. vermöge Seiner, in der Kraft Seiner Person ) geschaffen worden." Die Bedeutung ist nicht einfach: "durch" Ihn, sondern: vermöge Seiner eigenen göttlichen Kraft. "Denn durch ihn ( in ihm ) sind alle Dinge geschaffen worden, die in den Himmeln und die auf der Erde, die sichtbaren und die unsichtbaren, es seien Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Gewalten: alle Dinge sind durch ihn und für ihn geschaffen." Alles das erstreckt sich auf Dinge, von denen wir wenig wissen, Dinge, die außerhalb unseres Gesichtskreises liegen.
Wie im Anfang des Verses von dem die Rede war, was vermöge Seiner Kraft ( in Ihm ) geworden ist, so heißt es am Schluß "durch" (im Griechischen zwei verschiedene Ausdrücke: en (in) und dia (durch)) Ihn, weil Christus beides war: ein in Seinem eigenen göttlichen Recht Handelnder, und ebenso einer, der zu Gottes, des Vaters, Herrlichkeit als Dessen Werkzeug handelte. "Alle Dinge sind durch ihn geschaffen." "Geschaffen worden" und "sind geschaffen" sind unterschiedlich zu bewerten. In dem einen Fall ist es eine abgeschlossene Handlung, in dem anderen dagegen das als Ergebnis der vergangenen Handlung gegenwärtig Geschaute. Das erste ist die Kraft, die ins Dasein rief, das zweite das gegenwärtige Ergebnis. "Und er ist vor allen, und alle Dinge bestehen zusammen durch ihn." Nicht nur war Er vor allen Dingen, sondern vor aIlen ( Gott natürlich ausgenommen). Auch nicht, daß alle Dinge nur waren, sondern sie sind "für ihn" geschaffen, zu Seinem Gefallen. "Und alle Dinge bestehen zusammen durch ihn" (hier wieder in ( en ) Ihm, kraft Seiner Person ). Kraft Seiner, in der Kraft Seiner Person macht den Gedanken klarer und verinnerlicht ihn mehr.
Es kommt dem Schreiber darauf an, alle Unklarheiten betreffs der Erhabenheit Christi zu entfernen. Aber weiter: "Und er ist das Haupt des Leibes, der Versammlung, welcher der Anfang ist, der Erstgeborene aus den Toten, auf daß er in allem den Vorrang habe. Den Grund hierfür werden wir in dem finden, was folgt. Zunächst sei auf die interessante Tatsache hingewiesen, daß es zwei sehr verschiedene Erstgeborene gibt: Den Erstgeborenen aller Schöpfung, weil Er der Schöpfer ist, und dann den Erstgeborenen aus den Toten. Dies letztere wird hier als eine klare und wichtige Tatsache bezeugt. Christus ist also nicht nur das Haupt der Schöpfung als Mensch, sondern Er ist Erstgeborener aus den Toten als Auferstandener. In Verbindung hiermit ist Er das Haupt der Versammlung, der Ekklesia. Auf Erden stand Er nicht in diesem Verhältnis. Er war es nicht nur einfach dadurch, daß Er Mensch wurde.
Daß das Wort Fleisch wurde, ist eine Wahrheit, die ganz und gar verschieden ist von der, daß Christus das Haupt der Versammlung ist. Letzteres schließt eine weitere Wahrheit in sich, die der Vereinigung oder Verbindung mit anderen. Von Ihm als dem Haupt des Leibes, der Versammlung, kann erst die Rede sein, seitdem Er aus den Toten auferstanden ist und Seinen Platz im Himmel eingenommen hat. Aber der Kolosserbrief beginnt nicht sogleich mit dem himmlischen Platz Christi. Es ist der Epheserbrief, der Christus klar darstellt als Den, der auferstanden ist und sich als Haupt gesetzt hat. Die Sprache im Kolosserbrief trägt einen mehr allgemeinen Charakter. Es wird nichts davon gesagt, daß Christus im Himmel sei. Er ist "der Anfang, der Erstgeborene aus den Toten, auf daß er in allem den Vorrang habe. Manche verwechseln Vereinigung mit Fleischwerdung.
Aber durch Sein Annehmen von Fleisch und Blut hienieden ist noch keine Vereinigung geworden. Sie finden wir erst in der Tatsache, daß wir zu Gliedern Seines Leibes gemacht worden sind, und zwar jetzt, nachdem Er auferstanden und verherrlicht ist. Solange Tod und Auferstehung nicht stattgefunden hatten, konnte es keine Vereinigung mit Ihm geben. Erst nachdem Er auferstanden war, wurde der Heilige Geist gesandt, um uns mit Ihm in dieser Stellung der Auferstehung zu vereinigen. Von da an, und nicht vorher, haben wir den Leib, die Versammlung. Er hatte einen menschlichen Leib, selbstverständlich; aber der geheimnisvolle Leib wird durch den Heiligen Geist gebildet, der herniedergesandt wurde, nachdem Er aus den Toten auferstanden war. Das eine war verbunden mit der Erde, das andere steht in Verbindung mit dem Himmel.
Mit dem "Vorrang" Christi "in allem" sind zwei wichtige Erwägungen verbunden. Zunächst: Es war das Wohlgefallen der ganzen Fülle, in Ihm zu wohnen. Es war nicht eine Teiloffenbarung Gottes, auch nicht eine Offenbarung irgendwelcher Art; das hätte in irgend einem Menschen sein können. Sondern hier war es das Wohlgefallen der ganzen Fülle, in Ihm zu wohnen. Das ist die Wahrheit über die Person Christi, über die Herrlichkeit des im Fleisch gekommenen Herrn. In bezug hierauf sagt Er selbst: "Wenn ich durch den Geist Gottes die Dämonen austreibe, so ist also das Reich Gottes zu euch hingekommen." Wir wissen ja, daß alles, was Er tat und redete, immer durch die Kraft des Heiligen Geistes geschah. So wahrhaftig gefiel es der ganzen Fülle, in Ihm zu wohnen.
Wir haben schon früher bemerkt, daß Er der Erstgeborene aller Schöpfung genannt werden konnte, weil Er eine göttliche Person ist. Dieser Titel beruht auf der Tatsache, daß Er Gott war, der alles erschaffen hat und erhält. Aber hier finden wir mehr. In Ihm zu wohnen, war das WohlgefaIlen der ganzen Fülle. Hier handelt es sich nicht nur um Tun oder Handeln, sondern um Wohnen, Er mochte handeln oder nicht. Die hier gemachte Feststellung ist also in der Tat höchst umfassend und reich. Dann aber gibt es in dieser Stelle ( Vers 20 ) noch eine andere Entfaltung der Wahrheit, die Seine Herrlichkeit weiter ausführt, noch einen anderen Grund für die Unbestreitbarkeit Seines Vorrangs: Durch Ihn, den Christus, ist die Versöhnung geschehen. Der ganzen Fülle der Gottheit gefiel es, in Ihm zu wohnen und durch Ihn alle Dinge mit sich zu versöhnen. Die ganze Ausdrucksweise ist eine eigentümliche, so gewählt, weil, wenn ich mich nicht sehr täusche, die Absicht darin liegt, uns zu zeigen, daß die ganze FüIle der Gottheit in Christus wohnte, und nicht etwa eine Person dieser göttlichen Fülle unter Ausschluß der anderen gehandelt hätte. Sie alle hatten einen Ratschluß, nicht bloß ähnliche Ratschlüsse, wie es bei so manchen Geschöpfen der Fall ist, sondern einen und denselben. Die Absicht ist also, keine Person zu einer anderen in Gegensatz zu bringen, sondern festzustellen, daß es der ganzen Fülle wohlgefiel, in Ihm zu wohnen.
Diese allgemeine Form wird absichtlich gewählt. Dann geht der Geist Gottes von der Tatsache, daß Er Gott und Mensch in einer Person ist, über zu dem Werke, das Gott durch Ihn getan hat. Gewaltig war das Werk, das geschehen mußte, denn der Mensch war gänzlich von Gott abgewichen, war feindselig und tot. Keine Herrlichkeit, selbst die der Gottheit in Christus nicht, konnte ihn zurückgewinnen. Dazu war ein Werk anderer, ich möchte sagen, tieferer Art nötig.
Auf dieses Werk weisen die Worte hin: "Durch ihn alle Dinge mit sich zu versöhnen, indem er Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes." Die ganze Schöpfung war durch den Fall des Menschen mit ins Verderben gezogen, und hier nun haben wir den unermeßlichen Plan Gottes in seinem Entwurf vor uns: die Versöhnung aller Dinge, nicht der Menschen, sondern der Dinge. Es war das Wohlgefallen der Gottheit, alle Dinge mit Gott zu versöhnen. Aber weder das Fleisch gewordene Wort selbst, noch die in Ihm wohnende Fülle reichte für diesen verzweifelten Fall aus. Empörung, Krieg war da. Friede mußte gemacht werden, und der konnte nur durch das Kreuz Christi zustande kommen. Mit einem Wort: Versöhnung ist nicht die Frucht der Menschwerdung so dankenswert diese ist. Soweit Versöhnung in Betracht kommt, war die Menschwerdung machtlos. Sie bringt Gnade und Wahrheit in Christus vor uns - Gott selbst in der kostbarsten Entfaltung heiliger Liebe. Nichts ist für einen Menschen, der Christus gefunden hat, an und für sich wichtiger, als bei Ihm und Seinen Wegen hienieden zu verweilen und sich darin zu erfreuen.
Alles in Ihm war vollkommene Harmonie. Unvergleichliche Gnade erstrahlte, wo immer Er sich bewegte. Alles war vollkommen, und doch wäre alles umsonst, alles fruchtlos geblieben; denn der Mensch war wie unfruchtbarer Sand. Daher das andere von dem vorigen ganz und gar verschiedene Mittel, das wir in den Worten finden: "durch ihn alle Dinge mit sich zu versöhnen". Die ganze in Ihm wohnende Fülle war unzureichend. Sie brachte Gott zum Menschen, aber nicht den Menschen zu Gott. Der ganzen Gottheit gefiel es, in Ihm zu wohnen, und das nicht etwa nur vorübergehend die Sache ist ganz unabhängig van der Salbung mit dem Heiligen Geiste, die zu ihrer Zeit erfolgte. Es war die beständige Wonne der ganzen Gottheit, in Ihm als in einem Menschen zu wohnen.
Aber der Mensch hatte sich so weit entfernt, daß ihn dies nicht erlösen konnte. So kann über die Sünde nicht hinweggegangen werden. Weder Gott selbst, in der Person Christi auf die Erde herniedergekommen, noch Seine selbstlose Güte und unermüdliche geduldige Liebe, noch irgend etwas von dem, was sich in Christus fand, auch nicht alles zusammen, vermochte die Sünde zu beseitigen oder den Sünder auf rechtmäßige Weise zurückzubringen. Hier mußte die Versöhnung hinzukommen "durch das Blut seines Kreuzes". Alle Dinge müssen also versöhnt werden, wie wir sehen. Friede ist gemacht worden "durch das Blut seines Kreuzes ". Es ist ein lieblicher und beruhigender Gedanke, daß alles getan worden ist, um die Zusammenfassung aller Dinge um Christus her zu sichern, und es ist jetzt nur noch eine Frage der von Gott in Seiner Weisheit für passend gehaltenen Zeit, daß Christus an der Spitze von allem geoffenbart werde. Soweit das Werk, von dem alle Wirkung ausgeht, in Betracht kommt, bleibt nichts mehr zu tun übrig. Mittlerweile beruft Gott die Heiligen, die mit Christus alles teilen sollen.
In Römer 8 lesen wir, daß die ganze Schöpfung seufzt und auf die Offenbarung der Söhne Gottes wartet. Diese sind die Erstlingsfrucht. Alles war durch die Sünde der Eitelkeit unterworfen. Aber nun hat Er, der herniederkam, - Gott, geoffenbart im Fleische - die Last der Sünde auf sich genommen und hat Frieden gemacht durch das Blut Seines Kreuzes. So hat Er alles getan, was für Gott und für den Menschen nötig war. Alles ist geschehen. Der Preis ist bezahlt. Das Werk ist angenommen, so daß wir auch hier sagen können: "Alles ist bereit." Es würde durchaus mit der Gerechtigkeit Gottes in Übereinstimmung sein, wenn Gott schon jetzt die Schöpfung von jeder Spur von Elend und Verfall reinigte. Wenn Er zuwartet, so geschieht es, um noch mehr Seelen zu retten. Seine Langmut ist Errettung. Finsternis und Schwachheit werden verschwinden, wenn unser Herr mit Seinen Heiligen kornmt. Für die Welt freilich ist Sein Erscheinen mit ihnen in Herrlichkeit ein kritischer Zeitpunkt. Die Offenbarung Christi und der Versammlung ( Ekklesia ) vom Himmel her ist nicht die Entrückung. Sie geschieht vorher.
Die Offenbarung ist das Erscheinen des Bräutigams und der dann verherrlichten Braut vor der Welt. Nachdem der Apostel so die allgemeine Versöhnung der geschaffenen Dinge erwähnt hat, wendet er sich zu dem, womit jene so innig verknüpft ist: "Und euch, die ihr einst entfremdet und Feinde waret nach der Gesinnung in den bösen Werken, hat er aber nun versöhnt." Ich zweifle nicht daran, daß hier ein beabsichtigter Gegensatz vorliegt. Die Versöhnung aller Dinge ist noch nicht vollendet. Wohl ist die Grundlage gelegt. Sie ist aber noch nicht in Anwendung gebracht worden. Aber auf uns, die wir glauben, ist die Versöhnung bereits angewandt. Uns, die wir uns in diesem fürchterlichen Zustand befanden, h a t er versöhnt in dem Leibe seines Fleisches durch den Tod". Ich weise erneut darauf hin, daß der Leib Seines Fleisches, die Menschwerdung, für diesen Zweck an und für sich nichts genützt hat, nichts nützen konnte, ja, daß auch die ganze leibhaftig in Ihm wohnende Fülle der Gottheit es nicht konnte.
Für den schuldigen Menschen konnte nur "durch den Tod etwas bewirkt verden, nicht durch Christi Geburt, noch durch Seine im Leben entfaltete Kraft, sondern "durch den Tod ; nicht durch Sein Tun, so göttlich gesegnet alles auch war, sondern durch Sein Leiden. Ich verweise ferner auf die beiden Ausdrücke "Blut seines Kreuzes" und "Tod". In dem ersten, "das Blut seines Kreuzes", ist weit mehr der Gedanke an einen für den Frieden bezahlten Preis enthalten, während der Ausdruck Sein "Tod" als die Grundlage unserer Versöhnung passender erscheint. Auf jeden Fall widerspricht "in dem Leibe seines Fleisches durch den Tod" der Auffassung, als ob die Menschwerdung das Versöhnungsmittel gewesen sei. Diese Tatsache führt zu Erwägungen tiefster Art. Sie zeigt, wie Gott auf das allerfeierlichste gerechtfertigt worden ist.
Sie zeigt auch die der Gerechtigkeit entsprechende Grundlage unserer Vergebung und unseres Friedens sowie der Befreiung von allem, was uns an Sünde und deren Folgen zur Last gelegt werden könnte. "Um euch heilig und tadellos und unsträflich vor sich hinzustellen." Von welch gesegneter Bedeutung der Tod Christi nun auch ist - Gott selbst kann keinen Fehler an uns finden oder uns etwas zur Last legen ( denn das ist hier gemeint), so vollkommen wirksam zu unseren Gunsten ist der Tod Christi -, so wird doch stets unser Festbleiben vorausgesetzt, denn der Apostel fährt fort: "wenn ihr anders in dem Glauben gegründet und fest bleibet und nicht abbewegt werdet von der Hoffnung des Evangeliums." Ich fasse dieses "Wenn" entschieden als Bedingung auf und als nichts anderes. In Kapitel 3, 1: ,,Wenn ihr nun mit dem Christus auferweckt worden seid. . . " ", ist die Bedeutung eine andere. Wohl ist es dasselbe Wort. Es sollte aber zum richtigen Verständnis immer Rücksicht auf die Text-Verbindung genommen werden. Hier in Kapitel 1 haben wir es, wie ich bestimmt glaube, mit einer Bedingung zu tun, während das dritte Kapitel einfach von einer vorausgesetzten Tatsache aus urteilt und ermahnt.
Das würde aber in Kapitel 1 keinen Sinn haben. Wenn nicht besondere Umstände vorliegen, die es anders bedingen, so ist fast jeder Mensch vor der Bekehrung geneigt, auf seine eigene Gerechtigkeit zu bauen. Ist er aber an sich selbst zuschanden geworden und hat er die Rechtfertigung aus Glauben durch Gottes reine Gnade in Christus Jesus erfahren, so ist oft die Neigung vorhanden, ungestüm ins Gegenteil umzuschwenken. Wird er dann in der Wahrheit gereifter, so sind nicht länger eigene oder andere Ansichten maßgebend für ihn, sondern er gelangt zu etwas, was unendlich größer ist: Zu den Gedanken Gottes, wie sie in Seinem Worte geoffenbart sind. Die Teile dieses Wortes, die ohne Bedingung sind, müssen auch ganz uneingeschränkt angenommen werden, während wir die mit einer Bedingung verknüpften in ihrer vollen Kraft auf uns einwirken lassen sollten. Das "Wenn" in unserem Verse bringt der Apostel indes nicht etwa deswegen hinein, um unsere Rechtfertigung als eine bedingte hinzustellen. Die Gnade rechtfertigt den Gottlosen, und zwar voll und ganz. Von einer Bedingung kann da keine Rede sein. Es wäre eine Leugnung der Gnade. Bei alledem sind aber fraglos Bedingungen vorhanden.
Aber inwiefern? Nun, Gott läßt uns nicht mit voller Gewißheit erkennen, wer die wirklich Glaubenden unter denen sind, die den Namen Jesu bekennen. Selbst in jenen frühen Tagen gab es solche, die der Wahrheit eine Zeitlang folgten und sie dann aufgaben. Andere achteten das reine Evangelium gering im Vergleich mit Philosophie und Satzungen, oder waren zum mindesten geneigt, diese jenem hinzuzufügen. Daher das Wort des Apostels: "Wenn ihr anders in dem Glauben gegründet und fest bleibet." Hier haben wir es zweifellos mit einer Warnung zu tun, damit die aus Gott Geborenen in dem Glauben beharren möchten. Aber außerdem ist noch etwas anderes zu beachten. Können nicht wirklich aus Gott Geborene schwanken und gar für eine Zeit einem Irrtum verfallen? Solange dies der Fall ist, kann ich von ihnen, die den Glauben verlassen haben, nicht sagen, daß sie heilig und tadellos vor Gott seien. Von früheren Geschehnissen her mag man vielleicht Hoffnung haben; aber solange eine Seele dergestalt durch den Feind der grundlegenden Wahrheit entfremdet worden ist, kann und darf ich nicht zu vertrauensvoll von ihr als aus Gott geboren reden.
Es hieße, den Unglauben als etwas Geringfügiges behandeln und für die betreffende Seele die Gefahr, in der sie sich befindet, vermehren, indem man leicht darüber hinweggeht. Daher sagt der Apostel: "Wenn ihr fest bleibet." Dem Grundsatz nach ist das gleiche auf den anzuwenden, der im Dunkel ungerichteter Sünde dahinlebt. So sehen wir in 1. Korinther 5, daß ein Mensch, der sich grober Sünde schuldig gemacht hatte und darum hinausgetan worden war, als ein "Böser" behandelt werden sollte, obgleich der Heilige Geist in demselben Kapitel von dem mit der Zucht verbundenen Zweck spricht, nämlich, daß sein Geist errettet werden möchte usw. Und der zweite Brief beweist, daß er trotz allem ein wahrhaft Gläubiger war der auf seine Buße hin als ein Wiederhergestellter wieder in die Gemeinschaft aufzunehmen war.
Der Heilige Geist weiß natürlich alles vollkommen. Wir aber können nur nach dem urteilen, was vor Augen ist, wenn Gott zuläßt, daß es vor uns gebracht wird. Dies ist eine Übung von praktischem Wert für unsere Seelen, denn es ist oft schwierig, sich richtig gegen jemand zu benehmen, der außer Gemeinschaft ist. Wir sind imstande, uns zu wenig aus solchen Fällen zu machen, und was ist die Folge einer derartigen Handlungsweise? Die Betreffenden gehen einen anderen Weg. Die zur Wiederherstellung vorhandene innerliche Kraft ist nur schwach. Die Sünde wird oberflächlich gerichtet. Wenn wir sie dagegen tief fühlen, so haben wir den ernstlichen Wunsch, der Betreffende möge zurückkehren. Es sollte uns ein Schmerz, eine tiefe Trauer sein, wenn Seelen vom Tische des Herrn entfernt werden müssen. Wäre dem so, dann würde unser beständiger Wunsch sein, ihren Zustand zu erkennen und sie wiederhergestellt zu sehen. Es heißt nicht: wenn ihr in Glauben gegründet bleibt, sondern "in dem Glauben". Wenn Paulus von dem gemeinsamen Glauben spricht, so meint er die Sache, die geglaubt wird. Redet er z. B. von dem "einen Glauben", so denkt er nicht an die Wirklichkeit unseres Glaubens, sondern an die vorliegende angenommene Wahrheit.
Handelt es sich dagegen darum, ob wirklich gläubig oder nicht, so erhebt sich die Frage: Wie kann jemand als ein Gläubiger anerkannt werden, wenn er den Glauben aufgegeben hat? Die moderne Zeit pflegt die Menschen stark auf das Innerliche oder Individuelle zu verweisen. "Der Glaube " hingegen ist eine Offenbarung, die nicht von innen kommt, sondern von außerhalb dem Glaubenden angeboten wird. Es ist eine große Gnade, daß der Wahrheit, der Wahrheit in der Person Christi, in diesen letzten Tagen wieder eine hervorragende Stellung gegeben worden ist. Über den im Herzen bei jemand vorhandenen Glauben kann man kein absolut gültiges Urteil fällen; aber über den Glauben, den der Betreffende bekennt, kann man urteilen und sagen, ob das, was er bekennt, die Wahrheit ist oder nicht. Wenn jemand den Glauben bekennt, und es ist in Worten und Handlungen nichts vorhanden, was klar das Gegenteil beweist, so möchte die Liebe gern annehmen, daß wirklicher Glaube da ist. Jemand mag aufrichtig sein in dem, was falsch ist, oder unaufrichtig in dem, was richtig ist. Wer will da die rechte Entscheidung treffen.
Aber die Wahrheit ist ein unbiegsamer Maßstab. Wollte man auf Grund dessen urteilen, was eines Menschen Herzenszustand ist, so könnte man überhaupt kein Urteil fällen, denn wer außer Gott kann da urteilen? Handelt man dagegen auf Grund des Glaubens, so sind wir, sobald jemand gegen die Wahrheit verstößt, indem er aufgibt, was er bekannte, gehalten, hier zu richten. Die Frage danach, was der Betreffende in seinem Herzen glauben mag, haben wir in Gottes Hand zu legen. Nachdrücklich setzt der Apostel noch hinzu: "und nicht abbewegt werdet von der Hoffnung des Evangeliums. Die kolossäischen Gläubigen waren in Gefahr, vom rechten Wege abzugleiten, denn sie strebten danach, sich durch asketische Übungen oder Anstrengungen anderer Art heiliger zu machen, statt daß sie Christus als Maßstab anlegten zu ihrer Selbstprüfung. Aber nein, sagt der Apostel, das ist nicht der richtige Weg. In dem Leibe Seines Fleisches durch den Tod werdet ihr heilig und tadellos hingestellt, "wenn ihr anders in dem Glauben gegründet und fest bleibet und nicht abbewegt werdet von der Hoffnung des Evangeliums, welches ihr gehört habt". Was ist nun "die Hoffnung des Evangeliums"? Sie befindet sich in einem himmlischen Christus, der für uns starb und uns die Versicherung gibt, daß wir dort bei Ihm sein werden. Die Hoffnung Israels (des Gesetzes kann man schwerlich sagen) war die Erde. Diese "Hoffnung des Evangeliums" dagegen ist droben. Die Kolosser verloren, sicher höchst unwissentlich, aber doch praktisch ihre himmlische Hoffnung aus den Augen, weil der Gedanke, Christus die Philosophie oder Satzungen hinzuzufügen, darauf abzielt, dem Gläubigen Christus zu rauben.
Das ist's, was Paulus das Evangelium nennt, das sie gehört hatten. Er würde kein anderes zulassen. Dieses Evangelium war "gepredigt worden in der ganzen Schöpfung, die unter dem Himmel ist, dessen Diener ich, Paulus, geworden bin". Wie stellt der Apostel doch das hin, was etliche damals - und auch heute geschieht es nicht anders - so wegwerfend behandeln wollten, nämlich ein Diener des Evangeliums zu sein! Nicht darauf sah er, was ihn in den Augen derer, die auch Bekenner sein mochten, erhob, sondern darauf, was Gott und Seiner Gnade in Christus die Ehre gibt. Daher liegt hier ein entsprechender Nachdruck auf dem "Ich".
Ich möchte annehmen, daß von solchen, die in Kolossä einen schlechten Einfluß ausübten, geringschätzig von dem Evangelium geredet wurde. Sie mochten es an seinem Platze für geeignet halten, die Unbekehrten aufzuwecken; aber was hatte es den Christen zu sagen? Ganz anders der Apostel. Er besteht nicht nur auf der Würde, sondern auch auf den Tiefen des Evangeliums. Ein Christ bedarf seiner freilich nicht in derselben Weise wie ein Unbekehrter; denn er hat Ruhe gefunden, hat die Vergebung seiner Sünden, ist gerechtfertigt, besitzt die Sohnschaft usw, während der andere keine wirkliche Verbindung mit Gott hat. Ein Christ lauscht daher dem Evangelium nicht so, als ob ihm das, was er hört, etwas Unbekanntes wäre, oder als ob er es nicht als etwas Gewisses aufgenommen hätte, sondern er hat weiterhin seine Freude daran und bewundert mit wachsender Inbrunst die unvergleichliche Entfaltung der Gnade Gottes in ihm. Der Apostel beeifert sich daher zu betonen, daß er, Paulus, ein Diener des Evangeliums geworden sei. Er betrachtete es nicht als etwas, das aus seinem Apostelamt hervorgegangen wäre, sondern er erklärt sich nachdrücklich als D i e n e r nicht nur der Versammlnug, sondern der Frohbotschaft an die ganze Schöpfung, die unter dem Himmel ist.
Wenn einige in Kolossä diese Botschaft geringschätzig betrachteten, gleichsam als eine Anfangssache, zu einfach, als daß die Gläubigen sich damit zu befassen hätten, so war augenscheinlich der Apostel mit einer solchen Einschätzung nicht einverstanden. Er diente in dem Evangelium und rühmte sich seiner. Es ist natürlich verkehrt, wenn ich mich mit dem Unbekehrten auf den gleichen Boden stelle, so als ob ich das Evangelium in der Weise nötig hätte wie er. Aber ich beraube mich vieles Guten, wenn ich mir den Genuß daran entgehen lasse sozusagen um des Evangeliums selbst willen, indem es G o t t rechtfertigt. Ich rechne ihm diesen seinen Charakter nicht hoch an, wenn ich gleichgültig auf das Evangelium herabschaue. Kein anderer Teil der Wahrheit bringt derart die Gnade sowie die göttliche Gerechtigkeit zur Entfaltung wie das Evangelium. Soweit es sich um das an die Seelen sich wendende Zeugnis handelt, mag ja mehr der Teil in Frage kommen, der auf die Bedürfnisse des verlorenen Sünders Bezug nimmt.
Aber für den gläubigen Christen ist es von nicht geringer Wichtigkeit, daß sein Herz sich mit der stets wirksamen Gnade des Evangeliums beschäftigt, daß sein Sinn mit dessen weitgestecktem Ziel erfüllt ist und sein Gewissen durch Kräftigung freier wird. Bevor eine Seele Frieden mit Gott hat, kann sie überhaupt nicht sehen, wie das Evangelium Gott rechtfertigt. Das ist in praktischer Anwendung sehr wichtig. Jemand, der gerade nur Gottes vergebende Gnade in Christus kennt, hat Erleichterung gefunden und besitzt das Heilmittel für die Sünde; aber dieses Heilmittel führt nicht immer zu der Betrachtungsweise, die Gott rechtfertigt. Es ist in solchem Fall mehr der Gedanke an den lebendigen Bock vorhanden (3. Mose 16, 21) als an den Bock, der geschlachtet wurde. In dem Evangelium aber haben wir nicht nur die Hilfsquellen für unsere Sünden, sondern wir sehen da auch Gottes Wahrheit, Majestät und Liebe, mit einem Wort, Seinen ganzen Charakter verherrlicht.
Es geht nicht nur um die Frage, daß das Übel gerichtet und die Sünden vergeben werden, sondern um ein Zeugnis für Gottes reiche, in Christus geoffenbarte Gnade. Der Apostel fügt hier hinzu: "Jetzt freue ich mich in den Leiden für euch und ergänze in meinem Fleische, was noch rückständig ist von den Drangsalen des Christus für seinen Leib, das ist die Versammlung, deren Diener ich geworden bin. ( V. 24 ). Es scheint, als ob in diesen Worten ein Hinweis liege auf die beiden Dienstaufträge des Apostels, seinen Dienst für das Evangelium sowohl als auch den an der Versammlung. Sie gehören zusammen, und der Apostel macht Anspruch auf sein Verhältnis zu beiden. In bezug auf das Evangelium lauteten seine Worte: dessen Diener ich geworden bin", und den gleichen Wortlaut finden wir auch hier. Aber insofern dies letztere etwas Vertraulicheres ist, wird hinzugefügt: "nach der Verwaltung Gottes". Das Evangelium, dessen Diener er geworden war, veranlaßt ihn, auf einmal von seinen Leiden für sie zu sprechen; nicht gerade von den Leiden des Evangeliums, sondern von seinen Leiden für sie. Daran anschließend redet er davon, daß er "ergänze, was rückständig ist von den Drangsalen des Christus für seinen Leib, das ist die Versammlung".
Ohne Zweifel gab es Drangsale, die ausschließlich den Heiland angehen in Seinem stellvertretenden Opfer für uns. Aber Christus hat, wie vollkommen Er auch gelitten hat, nicht in jeder Hinsicht so gelitten, daß andere, und zwar die Seinigen, von einem gemeinsamen Leiden mit Ihm ausgeschlossen wären. Seine Leiden, als des Zeugen für die Gerechtigkeit, als eines Menschen auf Erden, sowie als des Zeugen für die Gnade von seiten Gottes, waren durchaus vollkommen. Aber am Kreuz, als Er für uns zur Sünde gemacht wurde und sich alles das über Ihn ergoß, was sich nur in Gott fand als Dem, der die Sünde richtet, da gab es weit mehr als nur Zeugnis. Gerechtigkeit und Gnade, die Er bezeugt hatte, waren die Veranlassung zu Seinen Leiden im Leben hienieden gewesen. Was aber Seine Leiden am Kreuze kennzeichnet, das war das heilige Gericht über die Sünde, das stattfinden mußte, damit Gott imstande wäre, uns, die wir an Seine Gnade glauben, gerechterweise so hinzustellen, daß keine das Gericht betreffende Frage mehr zu lösen ist.
Ich wiederhole: Der Apostel freut sich in seinen Leiden, anstatt zu denken, sie seien hart, oder davor zurückzuschrecken. Welch ein Gegensatz zu Petrus, wie wir ihn am Schluß von Matthäus 16 sehen! Nein, Christus hat Seine Leiden, wenn ich mich so ausdrücken darf, nicht als ein Monopol betrachtet. Er hat gleichsam anderen etwas davon übriggelassen. Die Leiden, von denen hier die Rede ist, sind hauptsächlich Leiden der Liebe für die Versammlung, für die Heiligen Gottes. Sie schließen aber auch das ein, was der Apostel als ein Zeuge für Christus in dieser Welt litt. Es waren wirkliche äußere Leiden von feindlicher Seite her, denn er sagt: "in meinem Fleische". Paulus meint nicht nur Leiden für seinen Geist, obgleich die äußeren Leiden keinen Wert gehabt hätten, wenn nicht beides Hand in Hand gegangen wäre. Er nahm die Sache keineswegs leicht, selbst nicht in bezug auf seinen Leib.
Wie wir aus dem Schluß von Kolosser 2 wissen, waren solche in Kolossä, die es sich angelegen sein ließen, einer enthaltsamen Lebensweise, der Abtötung des Leibes usw. das Wort zu reden, was sich, wie ihnen der Apostel zu verstehen gibt, sehr wohl mit viel fleischlicher Aufgeblasenheit verträgt. Ihm aber ging es darum, die Drangsale des Christus für Seinen Leib zu ergänzen. Paulus war vorzugsweise ein Diener der Versammlung in einem Sinne, in welchem andere es nicht waren. Ohne Zweifel war das Geheimnis durch den Heiligen Geist den heiligen Aposteln und Propheten geoffenbart worden. Gott aber hatte Paulus damit beauftragt, "das Wort Gottes zu vollenden". Dieses Geheimnis besteht aus zwei großen Teilen. Der erste ist: Christus sollte in den Himmel erhöht werden über alle Fürstentürner und Gewalten. Als Haupt über das Erbe auf Grund des Erlösungswerkes sollte Ihm das ganze All gegeben werden.
Außerdem ist Er als Der welcher als Haupt über alles im Himmel und auf Erden erhöht und mit dem die Versammlung als Sein Leib vereinigt ist, auf diese Weise als Haupt über alles der Versamm1ung gegeben. Die andere Seite des Geheimnisses ist: Christus in den Heiligen hienieden, und zwar so, daß die Nationen mit äußerster Freizügigkeit hier mit einbezogen werden: "Denen Gott kundtun wollte, welches der Reichtum der Herrlichkeit dieses Geheimnisses sei unter den Nationen, welches ist Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit." Die Hoffnung der Herrlichkeit ist die Hoffnung auf all die Herrlichkeit, die Seiner himmlischen Stellung, als jetzt zur Rechten Gottes thronend, entspringt. Im Epheserbrief hebt der Apostel mehr den ersten dieser beiden großen Gesichtspunkte hervor, im Kolosserbrief den zweiten. Daher ist der Hauptpunkt hier nicht unser Sein in Christus als Haupt über alles, sondern Christus in uns, die Hoffnung auf alles. In beiden Fällen aber haben wir einen Gegensatz zu jüdischen Dingen. Die Herrschaft des Messias über Israel auf der Erde samt den die Freude teilenden Nationen ist eine untrügliche Erwartung, die den alttestamentlichen Propheten eigen ist. Im Kolosserbrief haben wir Christus schon jetzt in uns, aber die Herrlichkeit ist noch nicht gekommen. Christus in uns ist die Hoffnung auf die zu ihrer Zeit kommende Herrlichkeit, wenn wir verherrlicht sein und mit Christus erscheinen werden. Dieser Sachverhalt war den jüdischen Erwartungen gänzlich fremd.
Es ist Christus im Himmel, und die Heiligen noch nicht bei Ihm dort, sondern darauf wartend, daß sie bei Ihm sein werden. Inzwischen ist Christus in ihnen, die Hoffnung der Herrlichkeit, aber einer noch nicht gekommenen Herrlichkeit. Nichts dergleichen war in den älteren göttlichen Aussprüchen zu finden. Da gab es keine Erwartung von einem Christus im Himmel und einem Volk, das mit Ihm dort eins wäre; noch weniger etwas davon, daß Christus hier in ihnen wäre, ganz gleich ob Nationen oder nicht. Und hier möchte ich bitten, den Ausdruck, "um das Wort Gottes zu vollenden" wohl zu erwägen. Es handelt sich dabei nicht um den bloßen Gedanken, ein Buch fertigzustellen. Jakobus, Petrus und Johannes hatten dies getan, und doch konnte von ihnen nichts Ähnliches, nichts von einem "das Wort Gottes vollenden" gesagt werden. Es ist hier nicht von einem Mitteilen schon geoffenbarter Wahrheiten die Rede, sondern es wird ein gewisser Teil hinzugefügt, der noch nicht geoffenbart war.
Selbst die Offenbarung hat das in diesem Sinne nicht getan. Dort haben wir nur eine vollere Entfaltung von dem, worauf schon früher hingewiesen worden war, indem weitere prophetische Offenbarungen gegeben werden. Aber alles das hieß nicht, das Wort Gottes vollenden. Es soll auch nicht bedeuten, daß Paulus der letzte inspirierte Schreiber gewesen wäre. Hätte er auch vor allen anderen geschrieben, so wäre er es doch gewesen, der das Wort Gottes vollendete. Der Sinn, in welchem in diesem Brief von Christus gesagt wird, Er sei in uns, bedeutet nicht bloß ein Wohnen in uns. Das Wichtige ist, daß Er in uns ist als die Hoffnung der Herrlichkeit. Die Hoffnung der Herrlichkeit wird der Erwartung gegenübergestellt, daß sie Christus einmal in. Palästina als Herrscher über sich haben würden, als Bringer geoffenbarter Herrlichkeiten. Der Apostel spricht von ihnen als solchen, die sich jetzt auf Erden befanden, aber in denen Christus war als die Hoffnung der Herrlichkeit, die sie zur gegebenen Zeit bei und mit Ihm haben sollten. Es ist Christi Leben in uns, wie es sich seit Seiner Auferstehung in seinem vollen Charakter entfaltet. Der Kolosserbrief geht nie über diesen Punkt hinaus. Es wurde bereits gesagt, daß der Heilige Geist in diesem Brief kaum erwähnt wird. Die Ursache ist wohl folgende: Für die Kolosser wäre das Hineinbringen des Heiligen Geistes nicht gut gewesen.
Sie würden Ihm eine Sonderstellung neben Christus eingeräumt haben, die sich dahin ausgewirkt hätte, daß ihre Augen von Christus abgelenkt wurden. Eine Religion, die ganz aus Formen besteht, macht viel aus dem Heiligen Geist; sie tut das aber so, daß sie Ihn Alleingut ihrer beamteten Geistlichkeit sein läßt als der Leute, die die Spender des Segens sind, und so wird Christus verunehrt. (Ich nehme an, daß der Schreiber hier an die englische High-Church (Hochkirche) denkt. (Anm. des Übersetzers.)) Andererseits gibt es Gläubige, die gar keine Formen haben und aus diesem Grunde ganz folgerichtig viel aus dem Heiligen Geist machen, aber ebenfalls, indem sie Ihm eine gewisse Sonderstellung neben Christus geben. (Z. B. die Quäker. (Anm. des Übersetzers.)) In Kolossä hatte sich viel von altem gesetzlichem Fühlen und Empfinden eingeschlichen. Das ist der Grund, daß Paulus in seinem Brief an diese Brüder so besonderen Nachdruck auf die Wahrheit von dem Reichtum der Herrlichkeit dieses Geheimnisses unter den Nationen legt.
Gott brachte dieses Geheimnis nicht an den Tag, als die Versammlung nur erst in Jerusalem war. Es wurde tatsächlich erst unter den Nationen ganz herausgestellt. Das will sagen: der volle himmlische Charakter dieses Geheimnisses kommt eigentlich erst dann zur vollen Gestaltung, wenn die Nationen im Vordergrund stehen. Daher ist Paulus der Apostel der Nationen, der geeignete Mann dazu. Das Evangelium in seiner Fülle ist nun nicht bloße Vergebung; es ist auch Befreiung, Freiheit und Vereinigung im Geiste mit Christus droben Den wir verkündigen indem wir jeden Menschen ermahnen und jeden Menschen lehren in aller Weisheit, auf daß wir jeden Menschen vollkommen in Christus darstellen." "Vollkommen in Christus" bedeutet: erwachsen. Ein Mensch mag sehr glücklich sein, er mag sich der Vergebung seiner Sünden erfreuen usw.; entfaltet sich ihm aber nicht dieses himmlische Geheimnis (d. i. Christus in den Heiligen und die himmlische Herrlichkeit damit verbunden), so wird von ihm kaum als von einem Erwachsenen in Christus gesprochen werden können.
Es fällt auf, wie der Schreiber "jeden Menschen" hier betont. Die wiederholte Hervorhebung der Einzelpersönlichkeit ist sehr schön in Verbindung mit dem Leibe. Die beiden Wahrheiten von dem Leibe und von der Einzelpersönlichkeit sind sonderlich kennzeichnend für das Christentum, das Dinge, die so einander entgegengesetzt sind, wie es nur möglich ist, auf eine Weise vereinigt, wie nichts sonst es tut, dabei aber auch die Personen einzeln herausstellt. Im Tausendjährigen Reiche werden die einzelnen Personen keine so wichtige Stellung einnehmen wie jetzt; auch wird dann der Leib nicht auf Erden sein. Heute aber hat das: "Wer ein Ohr hat, genau so seinen Platz wie das Wort: "Was der Geist den Versammlungen sagt". Die reichste Segensstellung ist sowohl der Einzelperson wie der Versamlung, dem Leibe christi, zuteil geworden, und beide werden dargestellt in der Fülle ihrer Segnungen. Im Gegensatz hierzu ist es Menschenart, daß der einzelne zu kurz kommt, wenn auf das, was öffentlich und körperschaftlich ist, viel Gewicht gelegt wird, und umgekehrt. Das Christentum macht jeden einzelnen Menschen ewig wertvoll für Gott.
Paulus betont, während er zugleich die Versammlung in einer Weise erwähnt, die ihre hervorragende Stellung kennzeichnet, nachdrücklich "jeden Menschen" : "Indem wir jeden Menschen ermahnen und jeden Menschen lehren in aller Weisheit, auf daß wir jeden Menschen vollkommen in Christus darstellen." Das folgende Wort "wozu" ist ein Hinweis auf die Notwendigkeit dessen, wovon hier die Rede ist: "Wozu ich mich auch bemühe, indem ich kämpfend ringe gemäß seiner Wirksamkeit, die in mir wirkt in Kraft." Starke Worte werden hier gebraucht, um zu zeigen, was ihn dies kostete. Es setzt große Mühe voraus und das Erfordernis einer Kraft, die völlig außerhalb seiner selbst liegt.
Es zeigt die Notwendigkeit, daß Christus in dem allen wirken muß. Und es war nicht nur für diejenigen, die das Angesicht des Apostels gesehen hatten, sondern, wie wir aus Kapitel 21 ersehen ebenso für alle anderen. Beachten wir hier: Während der Apostel die liebte, die er gesehen hatte, fand sich bei ihm doch nicht etwa Vergeßlichkeit oder Mangel an tiefen Gefühlen für solche, die er nicht gesehen hatte. Was er zu bringen hatte, gehörte der Versammlung oder den Gläubigen als solchen, ob gekannt oder nicht gekannt. Noch mehr: Er kämpfte einen großen Kampf für sie ihrer Schwierigkeiten halber. Mit dem ersten Vers von Kapitel 2 fängt er an, ihnen ihre Gefahren zu zeigen. Zuvor aber wünscht er, daß sie wissen möchten, was für einen Kampf er für sie hatte, für sie und auch für die in Laodicäa, und so viele sein Angesicht im Fleische nicht gesehen hatten. "Auf das ihre Herzen getröstet sein mögen." Sie waren jetzt nicht glücklich. Sie standen unter einem Druck.
Ihre Gedanken waren umnebelt, so daß sie nahe daran waren, ihr klares Unterscheidungsvermögen zu verlieren. Wenn er fortfährt: "Vereinigt in Liebe und zu allem Reichtum der vollen Gewißheit des Verständnisses, zur Erkenntnis des Geheimnisses Gottes, in welchem (denn das ist der springende Punkt!) verborgen sind alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis", so war es so, daß ihrem Erfassen dieses Geheimnisses Hindernisse im Wege standen. Nichtsdestoweniger war es sein sehnlicher Wunsch daß sie das Geheimnis verstehen möchten. Es mag jemand ein Christ sein und die Gnade Gottes in Christus sehen, dabei kann er aber doch in seinen Gedanken verhältnismäßig arm und im Erfassen der Ratschlüsse und Wege Gottes sehr schwach sein.
Er kann dabei nie in die Fülle des Verständnisses über dieses Geheimnis eingedrungen sein. Ohne dieses aber ist es unmöglich, alle diese Schätze zu haben. In welchem (Geheimnis ) verborgen sind alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis." Das bringt uns gleichsam in eine andere Atmosphäre. Ein Mangel im Erfassen erweist sich als ein sittliches Hindernis. " Wenn dein Auge einfältig ist so wird dein ganzer Leib licht sein.
Für einige Gemüter mag eine Schwierigkeit liegen in der kräftigen Sprache, in welcher der Apostel von dem Glauben und der Ordnung der Kolosser spricht, und demgegenüber in den feierlichen Warnungen, die sich in Überfülle in diesem Briefe finden. Es möchte auf den ersten Blick schwer fallen, die Festigkeit des Glaubens der Kolosser an Christus mit der ihnen gegebenen Warnung in Übereinstimmung zu bringen: "Wenn ihr anders in dem Glauben gegründet und fest bleibet." Aber die Worte des Apostels beweisen in Wirklichkeit nur, daß keine noch so beglückende Ordnung oder Festigkeit für eine Seele bürgt, die verkehrten Gedanken Raum gibt und verderbten Grundsätzen huldigt, welche die Herrlichkeit Christi verhüllen, sie herabmindern oder geringschätzen. Der scheinbare innere Widerspruch dient also dazu, die Gefahr augenscheinlicher und größer hervortreten zu lassen. Die Tatsache, daß Ordnung und Festigkeit im Glauben an Christus die Kolosser gekennzeichnet hatten, war an und für sich noch kein wirksames Bollwerk gegen das Übel, das sie bedrohte. Der Apostel fühlte und ließ sie es wissen daß trotz dieses erfreulichen Zustandes ihre Seelen Schaden leiden und dem Verderben zugeführt werden würden, wenn sie den verlockenden Worten anderer nachgaben.
Keine Seele darf sich auf Grund empfangener Segnungen, welcher Art diese auch sein mögen, erlauben, mit dem zu liebäugeln, was die Person oder die Herrlichkeit Christi antastet. Die Kolosser waren außerordentlich begünstigte Leute, und der Apostel hatte mit Freuden ihre Ordnung und die Festigkeit ihres Glaubens an Christus wahrgenommen. Dennoch mahnt er sie in dem Verse, der der Anerkennung ihrer Festigkeit usw. unmittelbar voransteht, zur Vorsicht: "Daß niemand euch verführe durch überredende Worte" (V. 4). Und nachdrücklich schärft er ihnen ein, so, wie sie den Christus Jesus, den Herrn, empfangen hatten, in Ihm zu wandeln ( V. 6 ) , d. h. so fortzufahren wie sie angefangen hatten. Sie sollten sich in acht nehmen vor grüblerischer Wissenschaft, mochte diese auch mit noch so glaubwürdigen Worten angeboten werden. Aus diesem Grunde war er, wenn auch dem Leibe nach abwesend, im Geiste bei ihnen, sah ihre Ordnung und freute sich über sie usw. Und aus demselben Grunde mußte er sie vor dem warnen, was die Herrlichkeit des Heilandes in ihrem Zeugnis mit einem Makel behaften würde. Die zarteste Frucht ist am empfindlichsten.
Sie würden Christus praktisch verlieren. Was sie hatten, stellt er nicht im geringsten in Frage. Im Gegenteil, er erinnert sie an die empfangene Segnung und ermahnt sie, daß sie in Christus wandeln möchten, "gewurzelt und auferbaut in ihm und befestigt in dem Glauben, so wie ihr gelehrt worden seid", nicht niedergedrückt aus Furcht vor Gefahren, sondern "überströmend in demselben mit Danksagung". Die Belehrung ist scharf umrissen, in der Absicht, die verführerische Sprache falscher Menschen bloßzustellen, die die Kolosser von Christus wegstehlen würde, wenn sie ihren Zweck erreichte. Wenn wir in Christus zur Ruhe gekommen sind vor Gott, so können wir in Seine Gegenwart treten und auf die erquickendste Weise die Offenbarung Seiner selbst in Christus anschauen. Es ist sehr wichtig, Christus nicht nur in Seinem Versöhnungswerk zu betrachten, sondern auch als Den, der den Vater offenbart. "Niemand hat Gott jemals gesehen; der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat ihn kundgemacht" ( Joh. 1, 18 ) . Zweifellos ist es das Bestreben des Heiligen Geistes, Christus zu verherrlichen, aber nie auf Kosten des Vaters, so wenig wie der Vater da Ehre entgegennehmen kann, wo der Sohn entehrt wird.
Für Christen ist es wichtig, treu zu sein in dem, was sie glauben und bekennen, oder besser, in dem, was Gott ihnen zum Glauben und Bekennen geoffenbart hat. Was immer uns von der Gnade und Wahrheit, die durch Christus geworden ist, abzieht, verkehrt die Gnade und die Wahrheit und macht aus Christus etwas anderes, als was Er ist. Die Kolosser waren bis dahin glücklich und wirklich standhaft in ihrem Glauben an Christus gewesen. Nun aber hatten sie Lehren in ihrer Mitte zugelassen, die sie, wenn sie nicht ausgerottet wurden, unfehlbar von Christus wegführen mußten. Darin lag die Gefahr für sie.
Es ist erstaunlich, wie Christen darauf aus sind und wie es ihnen leicht fällt, etwas Neues anzunehmen. Der Apostel hat hier philosophische Gedankengänge im Auge, die, wie es scheint, in Kolossä aufgetaucht waren, ebenso wie jüdische "Elemente", wenn beides nicht gar miteinander verbunden war. So war es nicht genug für sie, daß sie Christus hatten; sie mußten auch wandeln in Ihm, gewurzelt und auferbaut in Ihm, mußten neuen Träumereien, ob sie nun verstandesgemäßer oder religiöser Art waren, gefangennehmen lassen. Schon frühzeitig ist also der Irrtum aufgetreten, die Philosophie mit dem Christentum zu dem Zweck zu vereinigen, das, was göttliche Offenbarung ist, ernsten, nachdenklichen Gemütern schmackhafter zu machen. Es war ja schön und gut gewesen, urteilten diese Leute, Christus zunächst in aller Einfachheit zu predigen. Aber jetzt, da es sich nicht länger nur um ein paar armselige Galiläer handelte, warum sollte man sich da nicht an die Großen und Weisen der Erde wenden, da doch manche des Heidentums überdrüssig waren oder sich durch das kalte Judentum abgestoßen fühlten? Und wenn dem so war, warum ihnen dann nicht soweit wie möglich auf ihrem eigenen Boden entgegenkommen? Warum nicht das eine und andere von dem gesunden Menschenverstand des Aristoteles , oder noch besser von den hohen Idealen Platos oder noch lieber von den so erhabenen und edlen Gefühlen dem Christentum aufpfropfen, wie Philo sie in seinen biblischen Abhandlungen darbietet?
Die Philosophie (Hier wie im folgenden die Philosophie, die auf Fragen übergeht in ihrem Glauben sicher sein und sich nicht von diesen für die allein Gottes Wort zuständig ist. (Anm. des Übersetzers.) ) ist ein einziges großes Unglück für die Christenheit, jetzt sowohl, wie in jenen frühen Tagen. Der gesamte Plan von Gottes Wahrheit und Wegen wird durch die Lehre der Philosophie ausgelöscht, beziehungsweise findet keinen Raum in ihr.
Die Philosophen übersehen die Schöpfung und den Sündenfall. Sie machen aus dem Gewissen, das der Mensch durch den Fall erworben hat, etwas Göttliches. Sie wissen nichts von Sünde und von Gottes Gericht über sie. Gleicherweise kennen sie die Gnade Gottes nicht und deren Frucht, die Sühnung. Die Rationalisten möchten die göttliche Wahrheit am liebsten zu einer reinen Schlußfolgerung seitens der Menschen herabwürdigen. Aber die Wahrheit ist niemals eine Schlußfolgerung. Ziehe ich eine Folgerung, so betrete ich den Boden der Wissenschaft. So ist die Logik eine natürliche Wissenschaft, die Wurzel sozusagen aller anderen Wissenschaften, die ihr (der Logik) die Tatsachen gleichsam zur Prüfung unterbreiten. Aber was hat das mit der Unterwerfung unter die Wahrheit Gottes zu tun? Göttliche Offenbarung verkündet Dinge, wie sie im Menschen sind, auch stellt sie uns die Dinge vor, wie Gott sie sieht. Sie zeigt uns nicht bloß, daß ein Ding so oder so sein muß. Das gehört zum Gebiet menschlicher Erörterung. Die Wahrheit offenbart uns, daß ein Ding ist. Eine einfältige Seele mag in Verlegenheit kommen, zu verstehen, was sein muß, aber keiner, der das Zeugnis Gottes hört, kann an diesem Zeugnis vorübergehen.
Er muß annehmen oder ablehnen, wenn Gott erklärt, daß eine gegebene Sache oder Person ist. Daher die ungeheure Wichtigkeit des Glaubens. Die Kolosser waren im Begriff, zwei Dingen, die ihnen zum Fallstrick werden mußten, Einlaß zu gewähren: einem vernünftelnden Sinn und gewissen Kasteiungen, die die Abtötung des Leibes herbeiführen sollten. Das eine stand mit der Philosophie, das andere mit dem Judentum in Verbindung. Das waren die zwei großen Irrtümer, die sich damals einschlichen, und von deren wirklichem Charakter und Ursprung sie sich keine Rechenschaft gaben. Der Apostel warnt sie (V. 8), obwohl er ihnen noch eben gesagt hatte, daß er sich über ihren Glauben und ihre Ordnung freue. Wie betrüblich, daß sie gerade in diesen Dingen abglitten. Aber das ist nicht alles. Was er ihnen sagt, ist soviel wie: Nehmt euch in acht in bezug auf das, was ihr tut, indem ihr für schöne Versprechungen, die euch etliche machen, das fahren laßt, was solche Früchte, wie die bei euch vorhandenen, hervorgebracht hat.
Sie reden euch vor, diese neuen Gedanken und Wege könnten neben Christus ihren Platz haben. Aber laßt mich euch sagen, daß ihr euch mit etwas befreundet, daß ihr etwas aufnehmt, was früher oder später die Wahrheit, die ihr jetzt bekennt, zunichte machen wird. Die Wirkung wird unfehlbar sein, daß die einen, welche nicht wirklich aus Gott geboren sind, diese innerlichen Träumereien und äußerlichen Formen anstelle des Christentums annehmen, während die wahren Gläubigen ernstlichen Schaden leiden, ihren Genuß an Christus verlieren und ihr Zeugnis für Ihn aufgeben. Der eine Irrtum paßt grüblerisch veranlagten Menschen, und der andere ist etwas für die, deren Sinn mehr aufs Praktische gerichtet ist. Kein Wunder darum, daß der Apostel die Kolosser ermahnt, "gewurzelt und auferbaut zu sein in Christus und befestigt in dem Glauben, so wie ihr gelehrt worden seid, überströmend in demselben mit Danksagung". Das letzte Wort verdient besonders erwogen zu werden. Ich vermute, daß ihre Danksagungen anfingen nachzulassen, denn das ist die unmittelbare Wirkung, wenn andere Dinge sich an die Stelle Christi drängen.
"Sehet zu, daß nicht jemand sei, der euch als Beute wegführe durch die Philosophie und durch eitlen Betrug, nach der Überlieferung der Menschen, nach den Elementen der Welt, und nicht nach Christus." Die Erde kann wohl Bewölkung, aber kein Licht hervorbringen. Ähnlich ist es mit dem Menschen: Er macht Versprechungen und unternimmt viel, aber in Wirklichkeit kann er nichts geben als die bleibenden Verführungskünste des Herrn und Meisters, dem er dient. Vor solchen Dingen zu warnen, ist wahrlich nötig.Grübeleien über den Ursprung der Dinge, in denen die Orientalen die Gnostiker (Anhänger eines religiösen Lehrsystems, das eine vollständige die Erfahrung überschreitende Erkenntnis (1. Tim. 6, 20) der Natur sowie die Eigenschaften der Gottheit zu haben behauptete. (Anm. des Übersetzers.)) usw. schwelgten, wie z. B. über den immerwährenden Bestand des Stoffes, mochten manchen nicht unmittelbar gefährlich erscheinen. Die Menschen sind ja schnell bei der Hand, zu sagen: Meine Philosophie ist eine Sache, meine Religion eine andere, und beides kann sehr wohl nebeneinander bestehen. Und wenn die Philosophie dann die Folgerung zieht, wie es bisher geschehen ist, nämlich daß die Welt aus etwas gemacht sein müsse, das immer bestanden hat, so könnte das dem Verstand recht annehmbar erscheinen. Für den Gläubigen klafft da aber eine große Lücke: Gott wird ausgeschaltet und Sein Wort zur Lüge gemacht. Der Stoff, die Materie, wird für den Verstand zur Hauptsache, während Gott dem Menschen gleichgemacht wird, zu einem lediglich werktätigen Geist, zum Fabrikanten usw.
Wie großartig weist das Buch des galiläischen Fischers jene Träumer von Kolossä in die Schranken! "Alles ward durch dasselbe ( oder Ihn ) , und ohne dasselbe ( Ihn ) ward auch nicht eines, das geworden ist." Wie geschickt tritt auch der Apostel diesem Irrtum schon im 1. Kapitel seines Briefes entgegen! "Denn durch ihn sind alle Dinge geschaffen worden, die in den Himmeln und die auf der Erde, die sichtbaren und die unsichtbaren, es seien Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Gewalten: alle Dinge sind durch ihn und für ihn geschaffen." Die Vorstellung von dem ewig vorhandenen Stoff bringt von vornherein etwas herein, das außerhalb Gottes liegt, etwas Unabhängiges, Feindseliges, und tatsächlich ist man, indem man einen Schritt weiterging, zu dieser weiteren Folgerung gekommen. Nach jener Philosophie gibt es zwei erste Grundursachen: die eine gut, die andere böse. Dieser Irrtum wurde weiter ausgesponnen und in die heidnische Philosophie verwoben, besonders im Osten. Tatsächlich ist dies bis auf den heutigen Tag der Fall.
Es kann nicht anders sein, daß, wenn der Grundsatz von dem ewigen Bestand des Stoffs, der Materie, einmal angenommen ist, dies zu einem Abgrund von Irrtum und sittlichem Übel führen muß. Und je weitergehende Schlüsse jemand von diesem irrigen Standpunkt aus zieht, desto rascher wird er diesen inneren oder äußeren Ausschweifungen ( Irrtum und Unsittlichkeit ) verfallen. Der Glaube verwirft daher solche Philosophie. Er bleibt einzig bei dem Worte Gottes stehen. Dieses Wort nimmt er als unumschränkt und bindend an. Darum hatte der Apostel allen Grund, die Kolosser zu warnen vor der Philosophie und vor eitlem Betrug "nach den Elementen der Menschen und nicht nach Christus". Diese Dinge schmecken nach dem Menschen, wie er ist, so wie sie auch von ihm herkommen, und nicht nach Christus. Sie passen zur Welt, nicht zum Himmel, ebensowenig wie sie zu denen passen, die, während sie noch auf Erden sind, dem Himmel angehören. "Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig." Könnte es einen wundervolleren Blick auf Christus geben als diese Wahrheit, die der einfachste Gläubige kennt oder kennen sollte, so wenig fähig er auch sein mag, sie zu erklären? Es gibt nichts, das dem gleichkäme. Hier allein haben wir die Wahrheit. Wir kennen jetzt Gott, und wie kennen wir Ihn! Nicht indem wir Vernunftschlüsse ziehen, als ob wir Ihn auf diese Weise suchen und finden könnten.
Wir kennen Ihn in Christus in jener lebendigen Person, die einst leibhaftig in dieser Welt lebte, in Ihm, der jetzt noch Seinen Leib hat, droben, über der Welt. Wir wissen von Gott, aus Seinem Wort, daß in der Person Christi "die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt", nicht nur in Seinem Geist, sondern wirklich leibhaftig in Ihm, obwohl Er jetzt verherrlicht ist. Er hatte einen wirklichen, wahrhaftigen Leib von dem Tage der Menschwerdung an, aber also hatte Er die ganze Fülle der Gottheit in Sich wohnend. Und das ist noch nicht alles. Der Apostel fügt hinzu: "lhr seid vollendet in ihm", so daß ihr der Philosophie nicht bedürfet, selbst wenn sie etwas Gutes enthielte wieviel weniger, da sie bestimmt schlecht ist. Was uns not tut, ist, Christus besser zu genießen, Ihm im Wandel mehr zu entsprechen - nicht auf die Suche nach anderen Dingen zu gehen, die von Menschen sind, als ob jene dem Reichtum Christi etwas hinzufügen könnten! Sie verderben nur die Wahrheit. Der gefallene Mensch ist fern von Gott und steht unter der Macht des Teufels.
Das macht diese menschlichen Begriffe so irrig und verderblich. Philosophische Grundsätze entspringen dem Tod und können nur Tod hervorbringen. Im gesamten Heidentum ist nichts tödlicher als dessen Philosophie. Der Unterschied ist nur, daß sie weniger täuscht als die Religion der Welt. Sie hört sich vernünftig an und bezaubert durch die Schönheit oder die Kühnheit der Gedanken und Vorstellungen der Sprache usw. Der Glaube zerstört durch die Wahrheit Gottes beides, Aberglauben und Unglauben, und zwar durch die Offenbarung Christi.Die Fülle derGottheit wohnte nicht leibhaftig in dem Vater oder dem Heiligen Geist, sondern nur in Christus. Er war der einzige, von dem diese wunderbare Wirklichkeit behauptet werden konnte. Die ganze Fülle wohnte und wohnt noch in Ihm. "Der Vater, der in mir bleibt" , sagte Er selbst, "er tut die Werke". Oder an anderer Stelle: "Wenn ich durch den Geist Gottes die Dämonen austreibe" usw. Hier haben wir nicht nur den Sohn, sondern in Ihm und durch Ihn die drei Personen der Gottheit in Gnaden tätig in dieser bösen Welt. Und der Glaube erfaßt, was die Schrift vom Unsichtbaren und Ewigen sagt: er handelt in bezug auf die Gegenwart nach den geoffenbarten Gedanken Gottes.
Der ungläubige Mensch weist zurück, was über ihn hinausgeht, und zieht Folgerungen aus dem, was er kennt oder auch nicht kennt. Aber Gott wird sowohl ihn als seine Folgerungen zerstören. Ganz anders mit dem Gläubigen. Nicht nur wohnt die ganze Fülle der Gottheit in Christus, sondern wir sind ( zwar nicht diese Fülle, aber) zur Fülle gebracht in Ihm. Auch ist von uns die Rede als von der Fülle Christi ( Eph. 1 ) ; selbstverständlich aber heißen wir nie die Fülle der Gottheit. Wir sind zwar "vollendet in ihm, welcher das Haupt jedes Fürstentums und jeder Gewalt ist; in welchem ihr auch beschnitten worden seid mit einer nicht mit Händen geschehenen Beschneidung, in dem Ausziehen des Leibes [der Sünden] des Fleisches, in der Beschneidung des Christus".
(Luther: "Durch Ablegung des sündlichen Leibes im Fleisch." Er und die Übersetzer in anderen Ländern hatten nur die Handschriften zur Verfügung die diese in eckigen Klammern stehenden, im Kolosserbrief nicht hergehörigen Worte im Tert haben. In Römer 8, 6 dagegen steht zu Recht; Auf daß der Leib der Sünde abgetan sei.' Luther: "Auf daß der sündliche Leib aufhöre. " (Anm. des Übersetzers.)) Hier haben wir ausdrücklich den Gegensatz zur Satzung der äußerlichen Beschneidung. Der richtige Tert lautet: "in dem Ausziehen des Leibes des Fleisches" oder des "Fleischesleibes", nicht des Leibes "der Sünden" des Fleisches. Die richtige Lesart ergibt den wahren Sinn: es handelt sich hier nicht um die Sünden, sondern vielmehr um die Sünde in unserer Natur. "Sünden" würde schwerlich mit dem Zweck der Stelle oder des Satzes in Einklang stehen. Und wenn von der "Beschneidung des Christus" die Rede ist, so bezieht sich das nicht auf die buchstäbliche Tatsache der Beschneidung, sondern auf den Tod Christi. Wenn wir an Christus glauben, so kommt uns der ganze Wert Seines Todes zugute. Das wird hier eine "nicht mit Händen geschehene Beschneidung" genannt im Gegensatz zu der alten Verordnung. Die Bedeutung und der geistliche Sinn der Beschneidung ist die Tötung der menschlichen Natur, indem der Mensch, wie er ist, als etwas Totes behandelt wird. Der Tod Christi verschafft uns dieses Vorrecht. Wir sind in die Verbundenheit mit Seinem Tode gebracht und besitzen dessen ganzen Wert für uns, indem wir, wenn wir Christus im Glauben ergreifen, mit unserem ganzen ruinierten Zustand, mit dem Leibe des Fleisches, an Seinem Tode teilhaben. Seine Beschneidung setzt jede andere beiseite, da es keine andere gibt, die auf irgend eine Weise unseren üblen Zustand als Menschen im Fleische weggetan hätte.
"Mit ihm begraben in der Taufe, in welcher ihr auch mitauferweckt worden seid durch den Glauben an die wirksame Kraft Gottes, der ihn aus den Toten auferweckt hat." Hier haben wir nicht so sehr Christi persönliche Herrlichkeit als vielmehr Sein Werk. Das 1. Kapitel brachte uns hauptsächlich Seine persönliche Herrlichkeit; und selbst wenn es von Seinem Werke redete, handelte es sich um die Versöhnung aller Dinge und der Heiligen daneben (in der Zwischenzeit, ehe die Herrlichkeit geoffenbart wird ).
Kapitel 2 dagegen richtet nachdrücklich das Augenmerk der Gläubigen auf Sein Werk. Ich zweifle nicht daran, daß sich die Weisheit des Heiligen Geistes darin kundtut, daß Er uns zuerst Ihn und Sein Werk im allgemeinen und sodann den speziellen Wert und die Wirkung Seines Werkes für und an uns vorstellt. Im 1. Kapitel wird Seine Stellung als Haupt in doppelter Hinsicht entfaltet ( Erstgeborener aller Schöpfung und Erstgeborener aus den Toten ) . Hier im 2. Kapitel wird auf die Tatsache, daß Er das Haupt j e d e s Fürstentums und j e d e r Gewalt ist, nur eben hingewiesen, während der Nachdruck darauf liegt, daß wir in Ihm vollendet sind. Die Beschneidung wird deutlich mit dem Tode Christi in Verbindung gebracht; es handelt sich nicht, wie bemerkt, um die gesetzliche Handlung der Beschneidung, die an Ihm vollzogen wurde (Luk. 2, 21), noch um eine Frage, die Seine Person beträfe, sondern um die Anwendung Seines Werkes auf uns. Dies wird völlig durch die Feststellung bestätigt, daß wir mit Ihm begraben sind in der Taufe, "in welcher", wie es heißt, "ihr auch mit ihm auferweckt worden seid" usw. Der Hauptpunkt ist, uns mit Christus zu verbinden. Durch Ihn allein wurde das Werk getan. Aber wenn wir an Ihn glauben, so werden wir auch unter die Wirkung Seines Werkes gebracht und erlangen durch die Gnade eine gemeinsame Stellung mit Ihm. Dieses große Werk wurde nicht allein kraft Seiner Person ausgeführt, sondern in Ihm, wobei wir einen Platz in und mit Ihm haben.
Die Einrichtung, die mit der Einsetzung des Christentums in Verbindung steht, stellt von vornherein diese unermeßliche, besondere Segnung des Christen in den Vordergrund; in der Taufe haben wir bekannt, daß wir in dem Tode Christi der Stellung, in der wir von Natur lebten, gestorben sind; und jetzt sind wir auferweckt mit Ihm durch den Glauben an die Kraft Gottes, der Ihn aus den Toten auferweckt hat. Wir sind auf diese Weise in einen neuen Zustand versetzt ( natürlich nicht unsere Leiber, wohl aber unsere Seelen ) . Wie der Apostel beides, Tod und Auferweckung mit Christus, auf das praktische Leben anzuwenden weiß, werden wir bald sehen.
Wie sehr auch der Geist Gottes in diesem Brief die lebendigmachende Kraft Christi hervorheben mag, so geht es Ihm doch hier nie um die letzten oder höchsten Folgen des Werkes Christi. Lebendig gemacht oder auferweckt mit Ihm, oder vielmehr: zusammen mit Ihm auferweckt, ist das äußerste, was wir finden. Da macht Er halt. So auch in Kapitel 3 . Heißt es dort : "S u c h e t, was d r o b e n ist , so doch nicht: W i r sind dort. Im Gegenteil, die Gläubigen werden als solche gesehen, die auf d e r E r d e sind, während sie s u c h e n, was droben ist. So geht dieser Brief an keiner Stelle so weit wie der Epheserbrief. Er sagt nie, daß wir in Christus Jesus in die himmlischen Örter mitversetzt worden seien. Wie wir gesehen haben, wurde der Strom der Mitteilungen der Gnade gehemmt, weil ein Hindernis vorlag. Der Heilige Geist kann den Gläubigen da nicht frei die Dinge Christi zeigen, wo Er ihnen ihre eigenen Dinge zeigen muß. Er wendet sich gleichsam von diesem erhabenen Gegenstand ab, um sich der praktischen Seite der Wlahrheit zuzuwenden und diese auf die Seelen anzuwenden, was gewiß kein Zeichen dafür ist, daß die Betreffenden dem vollen Licht erschlossen sind; denn ein Grund, durch den der Fluß der Gnade und Wahrheit aufgehalten wird, sollte eben nicht vorhanden sein. Im Epheserbrief hingegen wird das Werk Christi in der ganzen Fülle seiner Ergebnisse behandelt. Da kommt der gesunde Zustand der Gläubigen zur Entfaltung, und entsprechend hoch sind dann die Ermahnungen, die folgen.
Von der Art und Weise, in der der Apostel, nachdem er einen allgemeinen Grundsatz aufgestellt hat, sich an die Kolosser wendet, kündet der Satz: "Und euch, als ihr tot waret in den Vergehungen und in der Vorhaut eures Fleisches, hat er mitlebendig gemacht mit ihm, indem er uns alle Vergehungen vergeben hat." Dann sehen wir ihn in Vers 14 einen Nebengedanken äußern, der zeigt, wie bestimmt und vollständig das Werk Gottes sie von den Dingen des Fleisches und des Gesetzes zu entfernen begehrte: "Als er ausgetilgt die uns entgegenstehende Handschrift in Satzungen, die wider uns war usw. Und dann muß er sie darauf hinweisen, daß sie trotzdem wieder ein Bedürfnis nach Satzungen hatten! Wie könnt ihr wieder nach Satzungen rufen! ? sagt er gleichsam. Die einzige Wirkung dieser Handschrift ist doch die, daß sie w i d e r e u c h sein muß. Der Apostel bedient sich sehr starker Worte, und er tut's in doppelter Form: "entgegenstehend" und "wider uns. Gewiß, diese kolossäischen Gläubigen waren im gesetzlichen Wesen nicht so weit gegangen, daß sie die Christen unter die zehn Gebote als unter eine Lebensregel gestellt hätten.
Brachten sie selbst Satzungen herein, so war dies doch nicht so verderblich, weil diese wenigstens ihren Wert von der Wahrheit herleiteten, die Christus betrifft, und die in ihnen gleichsam eingebettet lag und vorgeschattet war. Dagegen dient nichts so sehr dazu, den Geist der Selbstgerechtigkeit in Menschen zu wecken, die zu Selbstvertrauen neigen, oder Mißtrauen und Verzweiflung in mehr furchtsamen Seelen, als das Bestreben, aus dem Gesetz eine Lebensregel zu machen, denn dadurch wird für beide Klassen der Weg der Gnade ins Gegenteil verkehrt. Immerhin handelt es sich um sehr ernste Dinge, und der Apostel besteht darauf, daß das Hereinlassen des Grundsatzes der Satzungen gegenwärtig nichts anderes bedeute, als auf die grundlegende Wahrheit des Todes und der Auferstehung, mit anderen Worten, des Christentums zu verzichten, denn die Satzungen haben zur Voraussetzung, daß die Menschen in der Welt am Leben sind, nicht aber, daß sie in Christus gestorben und auferweckt sind. Die Irregeleiteten mögen wohl meinen, daß sie nichts dergleichen tun; aber der Feind, der sie irreleitet, tut es. Es ist ein Zurückkehren zu Anordnungen vorbereitender Art, zum Fleisch und zur Welt, und es ist in Wirklichkeit ein Fahrenlassen der herrlichen Vorrechte, die in Christus der Gläubigen Teil sind.
Der Apostel sagt hier nicht wie im Galaterbrief, daß man das ganze Gesetz zu halten schuldig sei, wenn man sich nur irgendwie ihm unterstelle; sondern er zeigt, daß es eine VerleugnungChristi, so wie wir Ihn kennen, ist, wenn wir uns erlauben, zum Gesetz in irgend einer Form zurückzukehren, zu Satzungen, oder was es sein mag. Es ist gerade so töricht, als wenn man etwa Erwachsenen vorschlagen wollte, zur Erziehung durch die Rute oder zum Wert der Fibel oder der Belohnung durch Spielzeug zurückzukehren. Zweifellos könnte von Menschen mit philosophischer Einstellung aus dem Ritus der Beschneidung eine viel geistlichere Sache gemacht werden, als ein anderer Mensch aus dem Gesetz zu machen weiß, wenn er es zur Lebensregel nimmt. Denn jene könnten sagen (wie es tatsächlich geschehen ist,) daß sie auf die Beschneidung nur dringen, weil sie das Sinnbild von dem sei, was wir in Christus haben: ein altes und göttliches, wenn auch natürlich äußeres Zeichen geistlicher Gnade. Aber der Schritt war verhängnisvoll; denn wenn die Kolosser dieses Zeichen zuließen, so war es ein Zurückkehren zu Schatten, nachdem der Körper, die Wirklichkeit, gekommen war, dazu ein Eintauschen der Gnade für den Grundsatz des Gesetzes. Gewiß hatten die Väter die Beschneidung lange vor Moses gehabt - damals eine Einrichtung, die besonders mit der Verheißung in Verbindung stand.
Doch obgleich vorhanden, ehe das Valk Israel dem Gesetz am Sinai verantwortlich geworden war, war sie hernach doch so mit dem Gesetz verwoben, daß die beiden nicht voneinander zu trennen sind. Nimmt man jetzt die Beschneidung an, so wird, wenn man sich auch nicht selbst unter das ganze System des Gesetzes stellt, das Gesetz es tun und einen, dem Grundsatz nach, von Christus trennen als dem erhöhten himmlischen Haupte, das die Erlösung vollbracht hat. Wenn es eine Satzung gab, die mehr als eine andere Sinnbild für Verheißung und Gnade sein könnte, so war es sicherlich die Beschneidung. Aber trotzdem nahm der Apostel die Sache so ernst, daß er den Galatern schreibt, sie wären, wenn sie diese eine Sache zuließen, schuldig, das ganze Gesetz zu halten. Bei den Kolossern geht er noch weiter, indem er ihnen zeigt, wie die Beschneidung dem Werke Christi entgegensteht und dieses, sowie die Stellung der Gemeinschaft mit Ihm beiseitesetzt, in die wir durch Sein Werk vor Gott gebracht sind. Deshalb gibt er hier zu verstehen, welche Art Beschneidung wir als Christen schon haben. Sie ist göttlich, nicht menschlich ausgeführt: "ln welchem ihr auch beschnitten worden seid mit einer nicht mit Händen geschehenen Beschneidung, in dem Ausziehen des Leibes des Fleisches usw. "Mit ihm begraben in der Taufe, in welcher ihr auch mitauferweckt worden seid" usw .
Im Galaterbrief steht das Gesetz in Verbindung mit der Rechtfertigung, im Kolosserbrief mit Christus, auferstanden aus den Toten und im Himmel. Christus ist auf jeden Fall dort, und obwohl wir hier nicht als solche gesehen werden, die dort in Ihm sind, so entscheidet doch Seine Erhöhung zur Rechten Gottes über unsere Stellung als mit Ihm gestorben und auferstanden; nicht nur als gerechtfertigt durch Sein Blut, sondern als mit Ihm gestorben und auferweckt. Wer sich nun Satzungen unterwirft, der leugnet die überaus reichen Segnungen insgesamt, denn was hat Christus heute mit dem Gesetz zu tun? Und wir sind mit Christus verbunden, wie Er ist, nicht wie Er war unter dem Gesetz. Im Hebräerbrief haben wir etwas anderes. Dort handelt es sich nicht um unseren Tod und unsere Auferstehung mit Christus, sondern dort sehen wir Christus als jetzt in der Gegenwart Gottes für uns in Herrlichkeit erscheinend, was auf die Vollkommenheit Seines Werkes für uns gegründet ist, auf das eine Opfer, das für immer die Sünde hinweggetan hat. Er ist dort zur Rechten Gottes, weil Er durch Sich selbst die Reinigung unserer Sünden bewirkt hat. Das Gesetz als ein Paragraphenbuch oder System für uns ist unverträglich mit dem Platz, den Christus in der Herrlichkeit einnimmt, denn dieser Platz ist die strahlende Darstellung unseres Triumphes durch die Gnade Gottes; und das ist die Weise, wie Christen auf Christus blicken.
Freilich finden wir im Hebräerbrief nicht unsere Verbindung mit dem gestorbenen oder auferweckten Christus. Noch weniger ist der Brief die Entfaltung unserer Vereinigung mit Ihm droben, ebensowenig wie der Rechtfertigung, wie im Römerund Galaterbrief. Aber der Wert Seines Werkes, gemessen an dem Platz, den Er im Himmel einnimmt, erstrahlt dort in ganz besonderem Glanze. Jede Anerkennung von Satzungen erweist sich jetzt als ein Widerspruch gegen Sein Werk und gegen die Herrlichkeit, die Er im Himmel hat, abgesehen von der mit ihr verbundenen Gefahr, die zum Abfall führt. Vom 13. Verse an gibt sich dann der Apostel viele Mühe, den Gläubigen in Kolossä ihre Stellung ohne und mit Christus vor Augen zu führen: "Und euch, als ihr tot waret in den Vergehungen . . ., hat er mitlebendig gemacht mit ihm, indem er uns alle Vergehungen vergeben hat." Eben das Leben, das wir empfangen haben, ist das Zeichen, daß unsere Vergehungen weggetan sind. Wenn Gott uns mit dem Leben Christi lebendig gemacht hat, so hat Er uns auch alle Vergehungen vergeben.
Unmöglich könnte das Leben, das in Christus, dem Gestorbenen und Auferstandenen, ist, etwas gegen dieses Vergeben haben. Einst war alles gegen den, der jetzt gläubig ist, aber der Besitz des Lebens in einem auferstandenen Heiland beweist, daß dem, der glaubt, alles gerechterweise vergeben ist. Es ist eine bemerkenswerte Art, den Fall zu erledigen, und es dürfte kaum gelingen, einen genau gleichgelagerten in einem anderen Teil der Schrift zu finden, der diesem an die Seite gestellt werden könnte. Warum überhaupt Verordnungen und Satzungen? Wie wir nur zu gut wissen, nimmt man im allgemeinen gern seine Zuflucht zu solchen Mitteln, um bei unzulänglichem Verlauf der Zusammenkünfte den geistlichen Hunger zu reizen usw. Sie sind im Christentum nicht mit einer offenen, verächtlichen Leugnung Christi verbunden - sonst könnte ja überhaupt keine Rede mehr sein von Christentum -, wohl aber bilden sie eine neben Christus dem Glauben (!) oder dem Gefühl dargebotene Ergänzung, sind gewisse Hilfsmittel. Und gerade von diesen spricht der Apostel so bestimmt als von ungläubigen, üblen Dingen. In dem Satz: "Als er ausgetilgt die uns entgegenstehende Handschrift in Satzungen", ist bemerkenswert, daß es nicht heißt: euch entgegenstehend, sondern: uns entgegenstehend.
Wenn der Apostel auf die Wirkung des Gesetzes zu sprechen kommt sagt er nicht "euch", sondern "uns" ; so auch, wenn er fortfährt: "die wider uns war, und hat sie auch aus der Mitte weggenommen, indem er sie an das Kreuz nagelte." Tatsächlich waren ja die kolossäischen Gläubigen als Heiden überhaupt nie unter dem Gesetz gewesen. Deshalb kann er hier nicht "euch" sagen. Spricht er aber unmittelbar vorher von Sünden, so sagt er "ihr". "Ihr" waret tot in den Vergehungen. Der Unterschied ist auffallend. Wenn der Apostel in Vers 13 "euch" sagt, so deswegen, weil das dort Gesagte jetzt von jedem Sünder wahr ist, ob Jude oder Heide; dagegen heißt es in Vers 14 "uns", weil, genau genommen, außer Juden keine Menschen unter dem Gesetz waren. Die Anspielung auf die Handschrift oder den Schuldbrief an dieser Stelle ist auch sehr merkwürdig, denn die Nationen hatten niemals etwas unterschrieben, während die Juden bekräftigt hatten: "Alles, was Jehova gesagt hat, wollen wir tun" worauf die Besprengung mit dem Blut vorgenommen wurde als Siegel auf den gesetzlichen Bund, den sie auf Todesstrafe hin unterschrieben hatten.
Alles dies also war, wie der Apostel sich ausdrückt, ihnen entgegen und wider sie. Es brachte, wie wir wissen, nichts wie Verurteilung, Finsternis und Tod. Was hat nun Christus im Blick darauf getan? Er hat es ausgelöscht, hat es aus der Mitte weggenommen. Und jetzt sollte jemand, den Kolossern gleich, wünschen, daß das Ausgelöschte wiederkehre? Gewiß nicht. Hat doch Christus die Handschrift an Sein Kreuz genagelt - ein Ausdruck völligen Triumphes. "Als er die Fürstentümer und die Gewalten ausgezogen hatte, stellte er sie öffentlich zur Schau, indem er durch dasselbe über sie einen "Triumph hielt." Es ist sehr interessant, zu beobachten, wie die Macht des Bösen sichtbar wird, je nach der Stellung, die jemand innehat. Wenn die Ekklesia (Versammlung) in Erscheinung tritt, so wird nicht so sehr die Macht Satans auf der Erde gesehen - das war die Weise, wie hauptsächlich die Juden sie fühlten - sondern es folgt eine besondere Enthüllung darüber, daß Satan der Fürst der Gewalt der Luft ist, und daß die geistlichen Mächte der Bosheit sich in den himmlischen Örtern befinden. ( Eph. 2 und 6. )
Dies letztere steht übrigens durchaus nicht im Gegensatz zu dem, was wir im Alten Testament haben. Nur tritt es jetzt deutlicher hervor, indem diese Mächte heute dem Christen gegenüber als Gegner auftreten. In Offenbarung 12 sehen wir sie dann, d. h. den Drachen und seine Engel, aus dem Himmel hinausgeworfen. In ihrem Verlangen, der Versammlung ( Ekklesia ) Hindernisse zu bereiten und Gott in den Seinigen zu verunehren, damit sie gleichsam ein Recht auf sie hätten, war es ihnen ein Bedürfnis, die himmlischen Örter in Besitz zu halten. Es war ihnen unerträglich, daß solche, die sich auf Erden schlecht genug aufgeführt hatten, schließlich bei dem Sohne Gottes in himmlischen Örtern wohnen sollten. Ach! wie viele Glieder von eben der Familie, die Gott in Seiner Gnade so sehr auszeichnet, verraten durch Liebe zur Unaufrichtigkeit sowie durch Haß gegen Gottes Gnade und Wahrheit, daß sie aus ihrem Vater, dem Teufel, sind. Hier nun in Vers 15 haben wir die Wirkung des Werkes Christi über diese Mächte - am Kreuze führte Er sie im Triumphzuge einher.
Der Triumph an dieser Stelle ist nicht von so erhabener Art wie in Epheser 4, wo wir lesen, daß Christus die Gefangenschaft gefangen geführt habe, das will sagen: die Mächte, welche Gläubige in Gefangenschaft führten, sind selber besiegt worden. Der Grund ist offenkundig: Dieses in Gefangenschaft Führen geschah, als Er hinaufstieg in die Höhe. Hier im Kolosserbrief hören wir von dem, was am Kreuze geschah, von der Kraft des Kreuzes. Dort (im Epheserbrief ) ist es die öffentliche Kundmachung des Sieges, indem Er in die Höhe stieg. Die große Schlacht war gewonnen. Christus hatte für die Miterben die Mächte der Bosheit für immer besiegt, und dieses Hinaufsteigen in die Höhe und Gefangenführen der Gefangenschaft ist das Zeugnis, daß diese Mächte gegen den Christen machtlos sind. Die Sprache ist immer dem Standpunkt angepaßt, den der Heilige Geist einnimmt - ob Er die Erde oder den Himmel, Israel oder die Versammlung (Ekklesia) im Auge hat. Mehr als das: sie hängt davon ab, wie und wo Er jetzt die Heiligen erblickt. Wenn sie als in der Wüste befindlich betrachtet werden, so sind Stil und Bild verschieden. Von Satan ist in diesem Fall als von einem brüllenden Löwen die Rede, was auf die Wüste paßt. Daher wird in dieser Weise nicht im Epheserbrief, sondern im 1. Petrusbrief ge-sprochen. Der Apostel geht dann zur praktischen Anwendung des Gesagten über. "So richte euch nun niemand über Speise oder Trank, oder in Ansehung eines Festes oder Neumondes oder von Sabbathen, die ein Schatten der zukünftigen Dinge sind, der Körper aber ist Christi" (V. 16. 17). Ein Christ, der von dem Siege Christi für uns weiß, sollte sicherlich nicht dem Gedanken Raum geben, zu solchen Anfangsformen zurückkehren, als ob auf diese Weise etwas Gutes zu leisten wäre. Ihm ist zu sagen: Halte deine Stellung fest, die du gegenwärtig in Christus hast! Handle in Übereinstimmung mit ihr!
Was Speise und Trank anbelangt, oder Satzungen bezüglich des Jahres, des Monats oder der Woche (der Apostel legt besonderen Wert darauf, nicht nur von Festen oder Neumonden, sondern auch von Sabbathen zu reden) , so bedenke, daß diese Dinge lediglich Schatten sind von dem Körper oder von dem leibhaftigen Wesen dessen, was sich tatsächlich und allein in Christus findet! So deuten diese Zeiten und Zeiteinteilungen tatsächlich in der Hauptsache auf das hin, was Gott Seinem Volk zu seiner Zeit geben wird. Zum Beispiel war der Neumond ein bedeutsames Bild von Israel, das erneuert wird, nachdem es dahingeschwunden ist, und der Sabbath war das Vorbild der Ruhe Gottes, deren es sich noch einmal erfreuen, und an der es noch einmal teilhaben wird.
Aber ob nun Friedensoder Trankopfer oder Feste im allgemeinen - alle miteinander sind sie nichts weiter als die Schatten kommender Dinge. Der Körper aber ist Christi, und Ihn haben wir. Der Jude hatte den Schatten, und die zukünftigen Dinge wird er durch die Gnade Gottes zu seiner Zeit unter dem Neuen Bunde besitzen. Uns aber ist jetzt das Wesen (im Gegensatz zum Schatten) Christi gegeben. Der Apostel redet hier von jüdischen Tagen, mit denen der Christ nichts zu tun hat, ebensowenig wie zum Beispiel des Herrn Tag irgendetwas mit dem Judentum zu tun hat. Der Körper aber ist Christi, nicht "Christus . "Körper" steht im Gegensatz zu "Schatten". Im Schatten gibt es kein Wesen, keine Substanz. Aber wir haben den Körper, der Christi ist. In diesem Ausdruck liegt der Doppelgedanke, daß, während das Wesen das Wesen Seiner selbst ist, Er zugleich der Geist von allem ist. "Der Herr aber ist der Geist." Während der 16. Vers es hauptsächlich mit einem judaistischen Charakter des bei den Kolossern schlummernden Übels zu tun hat, geht der 18. Vers weiter. Da finden wir nämlich eine Art neugierigen Eindringens in die unsichtbare Welt.
Religiöser Gebrauch oder Mißbrauch des Sichtbaren war der Fallstrick für die Juden; hier nun finden wir ein Sicheinlassen mit der Philosophie, besonders mit der Philosophie der Orientalen. Was da geschah, schien sehr demütig, wie das gewöhnlich bei falschen Systemen der Fall ist. Engel-Anbetung schien recht und ganz in Ordnung, besonders weil dabei keine Ausdrücke gebraucht wurden, die der göttlichen Anbetung eigentümlich sind. Mochte aber alles geschehen, wie es wollte, der Apostel wendet sich mit starken Worten dagegen: "Laßt niemand euch um den Kampfpreis bringen, der seinen eigenen Willen tut in Demut und Anbetung der Engel, indem er auf Dinge eingeht, die er nicht gesehen hat, eitler Weise aufgeblasen von dem Sinne seines Fleisches." Die Orientalen pflegten sich in überschwenglichen, phantastischen Mutmaßungen über die Engel zu ergehen. Daß es solche Wesen gibt, ist natürlich wahr, und gegen ihre Anerkennung ist nichts einzuwenden. Aber sehr von Übel ist, in die Geheimnisse, die mit diesen Wesen in Verbindung stehen, eindringen zu wollen. Die Engel haben mit uns zu tun, nicht wir mit ihnen.
Für uns besteht der Umgang mit Gott. Es scheint freilich vernünftig, zu folgern: Wenn Engel mit uns zu tun haben, so auch wir mit ihnen. Warum sollten wir, wenn ihre Tätigkeit sie unmittelbar mit Gott zusammenbringt, sie nicht für uns in Anspruch nehmen bei Gott? Ich wiederhole: Das war an und für sich gar kein unnatürlicher Gedanke. Was machte ihn denn nun zu einem so schlimmen Irrtum? Der Umstand, daß Christus dadurch an die Seite gedrückt wird, Er welcher das Haupt von allem ist und so über den Engeln steht. Christus allein ist es, der unser Verhältnis zu Gott bestimmt, und für alles, was wir von Gott benötigen, haben wir Christus, den großen Hohenpriester. Engel an diesen Platz setzen, ist also eine zwiefache Verunehrung Christi. Einen Menschen, der sich in dieser Weise in Spekulationen verlor, nennt der Apostel "eitler Weise aufgeblasen von dem Sinne seines Fleisches". Die Sache selbst mochte einleuchtend scheinen, aber Gedanken dieser Art zu frönen, schädigte nicht nur den Genuß der Seele an Christus, sondern tat auch Seiner Natur und Seiner Herrlichkeit Abbruch. "Und nicht festhaltend das Haupt, aus welchem der ganze Leib, durch die Gelenke und Bande Darreichung empfangend und zusammengefügt, das Wachstum Gottes wächst." (V. 19).
Es waren falsche Lehrer, die also die Gläubigen ihrer Segnung beraubten. Es ist die Gewohnheit und der instinktartige Trieb solcher Menschen sich bei den Kindern Gottes einzuschmeicheln, deren arglose Einfalt sie der Gefahr aussetzt, von ihnen mitgezogen zu werden. Bei den Kolossern war die Engel-Anbetung die Methode, in der das Übel zutage trat und seinen falschen Charakter bewies. Der Heilige Geist ist herniedergekommen, um Christus zu verherrlichen, nicht Engel. Wer über die Schrift hinaus Engeln nachging, hielt ganz gewiß das Haupt nicht fest. Die Bezugnahme auf den Dienst hier im Kolosserbrief ist sehr verschieden von dem, was der Apostel den Ephesern schreibt. Im Epheserbrief verbreitet er sich weitläufig über den Dienst, indem er die geistlichen Gaben in ihren hauptsächlichsten Formen, von der höchsten bis zur niedrigsten, aufzählt, vermittelst deren der Leib seine Selbstauferbauung in Liebe bewirkt. (Mochten Seelen auch ganz einfältig zusammenkommen, so konnte es doch zur Auferbauung dienen.) Hier im Kolosserbrief dagegen wird alles zusammengefaßt. Wir finden keinerlei Ausführlichkeit wie im Brief an die Epheser. Wenn Gott Seelen an einen Platz geführt hat, wo man daran festhält und danach handelt, daß Christus das Haupt ist ( und wo, möchte ich hinzufügen, die Gegenwart des Heiligen Geistes anerkannt wird ) , so können solche Seelen keinen Segen von Leuten erwarten, die jene Wahrheit nicht kennen oder wenigstens nicht danach handeln.
Diese Wahrheiten sind grundlegend für die Versammlung (Ekklesia) , für den Dienst usw. Wir müssen uns an den Willen Gottes halten. Und Gott hat Seinen eigenen Willen in bezug auf alles dies, sowie Seine eigene Weisheit und Seinen eigenen We. Das ist es was in unseren Augen wertvoll sein sollte. Gelenke und Bande werden hier genannt; es sind die mannigfaltigen Mittel, die Christus für die geistliche Segnung und den geistlichen Gewinn Seines Volkes benutzt. Ihre Darreichung verleiht dem Leib die Fähigkeit, besser zu arbeiten. Sie sammelt die Gläubigen um Christus als Mittelpunkt und zu Seiner Verherrlichung. Es ist gut, den Segen auch anderen zu vermitteln, damit sie daran teilhaben. Aber für die Gläubigen ist das Zuverlässigste die Kraft, die um Christus selbst sammelt; nicht nur das Aussenden von Dienern, sondern das Sammeln um Christus, als den Herrn, denn es bedarf geistlicher Kraft zum Zusammenhalt. Das bedeutet "das Wachstum Gottes" wachsen. Auf diese Weise gibt es dann Vermehrung, Stärkung und Tröstung. Die zur Wirkung kommende Kraft dient dann nicht nur zu Bekehrungen, sondern sie wirkt nach innen zu wirklichem Segen, und, beachten wir es wohl! zum Selbstgericht.
In den vorstehenden Versen finden wir die beiden großen Wahrheiten von dem Tode und der Auferstehung Christi geistlich angewandt. Schon in Vers 12 wurden sie nebeneinander genannt, zuerst mit den Worten: "Mit ihm begraben in der Taufe, in welcher ihr auch mitauferweckt worden seid", und dann hieß es weiter: "Und euch, als ihr tot waret in den Vergehungen und in der Vorhaut eures Fleisches, hat er mitlebendig gemacht mit ihm" (V. 13 ) . Vom 20. bis zum 23. Vers haben wir nun die Folgen von unserem also mit Christus Gestorbensein, wie wir in Kapitel 3 vom ersten Verse an und weiterhin die Bedeutung der Auferstehung Christi haben: das, was durch sie gewährleistet wird, und wozu uns der Heilige Geist beruft als solche, die mit Christus auferweckt sind. Die Folgerung, die aus unserem mit Christus Gestorbensein gezogen wird, ist nicht unsere Erlösung. Handelt es sich darum, so wird stets das Blut Christi vorangestellt. Nicht als ob die Vergebung aller Vergehungen ausgelassen würde; aber der Tod Christi und unser Verbundensein mit Ihm hat viel weitergehende Folgen. Diese Tatsachen führen uns überhaupt auf ein ganz anderes Wahrheitsgebiet. So könnte es sein, daß wir von der Hingabe Seines Leibes und dem Vergießen Seines Blutes für uns wissen, ohne uns irgend eine Vorstellung davon zu machen, was es heißt, mit Ihm gestorben zu sein. Da finden wir nun hier auf unser mit Christus Gestorbensein die Tatsache gegründet, daß wir in den Dingen Gottes mit der Natur oder mit der Welt nichts zu tun haben. Die Religion der Welt leugnet mit aller Kraft das mit Christus Gestorbensein. Sie sieht nicht das gänzliche Verderben des Menschen, wie er ist, und sie will es nicht anerkennen.
Die Welt stellt sich unter Religion etwas vor, was den Menschen in jeder ihrer mannigfaltigen Lebensstellungen paßt. Menschliche Weisheit trifft Vorsorge für alles und jedes, für eine der ganzen Bevölkerung eines Landes angemessene Religionsübung. So werden alle anständigen Menschen, alle, die kein anstoßerregendes Leben führen usw., zu Leuten gemacht, die Gottesdienst ausüben; alle haben sie eine Religion, die ihren Gedanken über sich selbst und über Gott angepaßt ist, indem sie in der Hauptsache mit dem beschäftigt sind, was der Mensch für Gott zu tun sucht. Eine solche Religion ist eine Mischung von Heidentum mit jüdischen Formen, die ihr Element in gewissen Arten von Enthaltsamkeit findet, und das eben sind dann ihre "heiligen Gebräuche". Weil kein bestimmter Genuß an Christus vorhanden sein kann, muß das Verneinende ihr wesentliches Kennzeichen bilden. Diese selben Elemente hat Gott ins Judentum hineingelegt, wo wir eine Religion des Fleisches und ein weltliches Heiligtum finden. Er selbst hat sozusagen die Probe mit einem groß angelegten System von Vorbehalten gemacht, was für den Menschen so, wie er ist, den einzig denkbaren Weg bildet, um dem Herrn heilig zu sein. Betrachten wir das levitische Gesetz! Neben dem, was in sittlicher Hinsicht dem Willen des Menschen in den zehn Geboten an Einschränkung auferlegt war, waren besondere Speisen und Getränke verboten. Nicht einmal anrühren durften die Juden gewisse nach dem Zeremonialgesetz unreine Gegenstände.
Alles dies hatte mit dem Menschen im Fleische zu tun, obgleich ich nicht daran zweifle, daß alle Satzungen in dem jüdischen System eine wichtige Bedeutung haben, indem sie Schatten von besseren Dingen sind, die ihre Verwirklichung in Christus finden. Stets waren unter diesen Formen und Zeremonien kostbare Wahrheiten verborgen. Der Buchstabe tötet (d. i. die rein äußere Schale des Systems ) ; der Geist aber macht lebendig, wo immer Glaube zum Erfassen der geistlichen Bedeutung vorhanden ist. Nun, wenn wir mit Christus gestorben sind, wie kann dann noch von einer Anwendung von "Berühre nicht, koste nicht, betaste nicht! "auf uns die Rede sein. Solche Vorschriften sind einfach nicht da für mich, der ich wirklich mit Christus gestorben bin. Ich stehe dann außerhalb derartiger Gedankengänge und solcher Sprechweise. Ebensogut könnte man einem Toten Ermahnungen erteilen in bezug auf seine früheren Bedürfnisse oder Pflichten. Mit dem alten religiösen System für den Menschen im Fleische ist es für den Christen ein für allemal aus. Es stände in völligem Widerspruch mit der Grundlage, auf der er steht, ja, mit seinem mit Ihm Getauftsein.
In Christus ist er der Welt gestorben. Daher verliert der Christ unfehlbar sowohl den Sinn dafür, daß er mit Christus gestorben ist, als auch das richtige Urteil über die Welt und den Menschen, wenn er sich mit der Religion der Welt einläßt. Die Welt konnte stets nur dadurch religiös wirken, daß sie ihre Zuflucht zu dem Gesetz nahm. Das aber jetzt tun, heißt Christus als gestorben und auferweckt aufgeben, sowenig man daran auch denken mag. Der Apostel scheint hier mehr auf das allgemeine System menschlicher Verbote in religiösen Dingen anzuspielen als auf einen besonderen Teil des Alten Testaments. Wenn ein Mensch stirbt, so läßt er Reichtum, Rang, Behaglichkeit, Ruf, Energie, mit einem Wort, alles zurück, was dieses Leben für ihn genußreich machte. So macht's auch der Christ vom Ausgangspunkt seiner Christenlaufbahn an, kraft des Todes und der Auferstehung Jesu Christi. Das ist leicht gesagt, aber die Wahrheit, gemäß der er, solange er auf Erden weilt, zu wandeln berufen ist, ist in Wirklichkeit groß. In Christus ist der Gläubige jetzt tot für die Welt. Es gibt manche Christen, die diese Wahrheit gänzlich übersehen. Sie bedenken nicht, daß es ein Vorrecht ist, das genossen werden kann, und eine Wirklichkeit, die praktisch ausgelebt werden soll. Der Gedanke, mit Christus gestorben und auferweckt zu sein, ist ihnen ein reiner Mystizismus (= Geheimnisvolles und Übernatürliches in der Religion; innige Andacht und religiöses Sinnen und sich Versenken in die göttliche Liebe, mit unmittelbaren Erleuchtungen und Erscheinungen gemischt.) .
Sie halten es nicht für ehrerbietig, solches für sich in Anspruch zu nehmen und darüber zu sinnen. Ich füge hinzu, daß rnit Christus gestorben und auferweckt sein nicht dasselbe ist, wie in Christus das Leben haben; denn das war natürlich immer wahr von dem Gläubigen, ehe es den Standpunkt gab oder geben konnte, daß wir mit Christus gestorben und auferstanden sind. Nach dem Tode und der Auferstehung Christi kam dann der große und bedeutungsvolle Wechsel in dieser Hinsicht. Es ist also kein Zweifel über die Tatsache, daß das Gestorbensein mit Christus einen Menschen (in geistlicher Hinsicht) nicht nur aus der Welt, sondern aus ihrem ganzen Religions-System herausnimmt. Deshalb auch die Frage: Wenn ihr mit Christo den Elementen der Welt gestorben seid, was unterwerfet ihr euch Satzungen, als lebtet ihr noch in der Welt? "ln solch einer Stellung hatte sich der Mensch bestenfalls vor Christus befunden.
Er war sozusagen beim ABC stehengeblieben; die Grundbegriffe oder Elemente hatten damals ihren Platz und ihre Verwendung. Aber jetzt, nachdem der Sohn gekommen ist und uns ein Verständnis gegeben hat, "auf daß wir den Wahrhaftigen kennen ( 1. Joh. 5, 20 ), kennen wir in der Kenntnis Christi das Wesen und die Fülle der Wahrheit. Das Werk Christi, auf dem der Glaube ruht, macht den Gläubigen jetzt passend für den Platz, wo das Alte vergangen und alles neu geworden ist. ( 2. Kor. 5, 17. ) "Was ( oder warum ) unterwerfet ihr euch. . ., a1s 1ebtet ihr noch in der Welt?" ist ein überaus bemerkenswerter Ausdruck. Er zeigt, daß wir weder unserer Stellung noch Christus gegen über treu sind, wenn wir wie Menschen in der Welt leben. Wir haben ein neues Leben, das das Leben des Gestorbenen und Auferstandenen ist, und diese Tatsache hat uns jetzt in eine Stellung gebracht, in der wir allem, was von der Welt ist, gestorben sind. Daher ist der Christ grundsätzlich mit der Religion der Welt so wirklich fertig, wie Christus selbst nach Seinem Tode mit ihr fertig war. Was hatte unser Herr nach dem Kreuze mit den Fasten und Festen der Juden zu tun? Durchaus nichts. Und wir sollten auch nichts damit zu tun haben, und mit dem "wir" meine ich jeden wahren Christen. Die Zeit der Langmut den Judenchristen gegenüber ist längst vorüber.
Wer heute noch eine solche Stellung einnimmt, findet keine, aber auch gar keine Entschuldigung mehr dafür. Gewiß, die große Masse der Christen will von solch einem Bruch mit der Welt nichts wissen, und so komrnt es zu der ernsten Erprobung für die, die diesen Bruch mit der Welt als eine Grundwahrheit anerkennen, die Christus selbst angeht. Aber wenn nun solche es um Seinethalben auf sich genommen haben, als fanatisch, töricht, stolz und engherzig zu gelten, indem sie diese und alle anderen Verleumdungen Ihm, der sie liebt, und der das Ende von Anfang an kennt, anheimstellen? Dann bedeutet doch, die Elemente der Welt aufnehmen, nicht weniger als einen glatten, in ihrem praktischen Leben zum Ausdruck kommenden Widerspruch mit ihrem Bekenntnis, daß sie mit Christus gestorben sind. Die Kolosser waren in Gefahr, in diesen Fallstrick zu geraten. Sie sahen nicht ein, warum sie deshalb, weil sie Christen waren, von dem lassen sollten, was unter den Juden oder Heiden so wohlgetan schien. Sie hatten das Bedürfnis, an der Wahrheit über Christus festzuhalten; daneben aber wollten sie religiöse, in alten Zeiten beobachtete Formen aufrechthalten oder hinzunehmen. Nein, sagt der Apostel, Christus und nichts als Christus ist unser ein ziges Gut.
Wir brauchen nichts anderes. Christus ist alles. Es gibt nichts, was so völlig alles andere ausschließt wie Christus und das Kreuz; und doch - was wäre so allumfassend? "ln ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig." Aber Er wurde verworfen. Seither haben jüdische Formen und Grundsätze ihren ganzen alten Wert verloren. Im Galaterbrief spricht der Apostel sogar noch schärfer als hier über diese Dinge. Er legt denen, die Tage und Monate und Jahre beobachten würden, ein Zurückkehren zum Heidentum zur Last. "Damals freilich, als ihr Gott nicht kanntet, dientet ihr denen, die von Natur nicht Götter sind" ( das war ihre alte, heidnische Stellung); "jetzt aber, da ihr Gott erkannt habt . . . wie wendet ihr wieder um zu den schwachen und armseligen Elementen, denen ihr wieder von neuem dienen wollt?" (Gal. 4, 8. 9). Sie meinten, es wäre ein Gewinn für die alte Einfachheit des Evangeliums, wenn sie etwas vom Gesetz dazu borgten, und sie waren sicherlich wenig auf den Tadel des Apostels gefaßt, daß jüdische Elemente aufnehmen für Christen nicht weniger schlimm ist, als zum Götzendienst zurückkehren. Inzwischen hat es sich in Wahrheit herausgestellt, daß dieser Grundsatz auch heute noch gilt. Nämlich daß jüdische Elemente aufnehmen für Christen nicht weniger schlimm ist, als zum Götzendienst zurückkehren.
Das Licht, in welches das Kreuz Christi diese weltlichen Elemente rückt, ist immer noch das gleiche und starke. Dergleichen jüdische Elemente willkommen heißen, heißt praktisch seine Stellung verleugnen und insonderheit leugnen, daß man mit Christus gestorben ist. Will man sich über irgend etwas ein Urteil bilden, so muß man, um sicher zu gehen, es in Beziehung bringen zu Christus. Im vorliegenden Fall handelt es sich um die Frage: Wie steht Christus zur Religion der Welt Als Er auf Erden war, ging Er tatsächlich in den Tempel, indem Er das Gesetz anerkannte und danach handelte ( so tatsächlich Er anderseits der Eingeborene vom Vater war ) , denn Gott erkannte es an. Noch waren Israel, der Mensch, die Erde, kurz, alles hienieden nicht aufgegeben. Aber wo ist Christus jetzt? Welchen Platz nimmt Er heute ein? Er ist im Himmel, der Verbindung mit Tempel und Gesetz entnommen. Da haben wir die Antwort auf die Frage: Wie steht Christus zur Religion der Welt? Und das entscheidet auch des Christen Stellung zu all diesen Dingen. Noch eins.
Man kann die Wahrheit weder haben noch festhalten, außer daß man in dieser Hinsicht die äußersten Folgerungen zieht. Es heißt da, ganze Sache machen. Und es ist nicht Gottes Meinung, daß wir die Wahrheit auf andere Weise besitzen sollen. Er gibt ein Zeugnis: Das Licht scheint. Aber die Wahrheit füllt eine Seele nur, wenn diese der Wahrheit entsprechend handelt. Andernfalls wird das Licht, das in ihr ist, Finsternis, und wie groß ist dann diese Finsternis! Ist es zuviel gesagt, wenn ich behaupte: Ein Mensch, der zu verstehen bekennt, was es heißt, mit Christus gestorben zu sein, und der doch die Religion der Welt hat, erweist sich damit als ein durch und durch unehrlicher Mensch? Das ist wahrlich. mehr als Verständnislosigkeit. Gibt es Ernsteres, als gleichsam die Person Christi opfern? Solche, die die Wahrheit zu haben scheinen, sich aber weigern, dementsprechend zu handeln, werden binnen kurzem Feinde derselben Wahrheit werden, der sie heute nicht folgen. Die Religion der Welt hat es mit dieser Schöpfung zu tun. Sie steht mit Dingen in Verbindung, von denen die Leute sagen können: "Berühre nicht, koste nicht, betaste nicht!" Mögen es geweihte Gebäude, heilige Plätze an heiligen Orten, heilige Kleider oder irgendwelche andere Dinge dieser Art sein, also Dinge, die alle durch den Gebrauch der Zerstörung anheimfallen: alles ist verbunden mit der Welt, und das Fleisch ist fähig, Genuß daran zu finden.
Zu sagen, es sei einerlei, wo oder wie wir Gott anbetend nahen, ist so schlimm wie irgend ein anderes Übel. Nichts ist schlimmer als Gleichgültigkeit in göttlichen Dingen. Dabei ist es auffallend, daß Menschen, die in dieser Hinsicht nachlässig sind in dem, was Gott betrifft, es nicht an Wachsamkeit fehlen lassen in dem, was sie persönlich angeht. Ich spreche hier natürlich von allgemeinen Tatsachen, nicht von der oder jener Person. Wenn wir uns nicht mit dem gestorbenen und auferstandenen Christus verbunden wissen, so müßte unser Gottesdienst eigentlich eine Art den Umständen angepaßtes Judentum sein, denn das war die Religion eines in der Welt lebenden Volkes. Da dies alles nun aber als Feindschaft gegen Gott am Kreuz gänzlich gerichtet worden ist, sind wir Christen berufen, nichts damit zutun zu haben. Es liegt eine wundersame Glückseligkeit darin, die Stellung praktisch auszuleben, in die uns der Tod Christi gebracht hat. Wer das tut hat völlig abgeschlossen mit allem, was in der Welt lebt, samt allem, was ein Mensch in der Welt schätzen mag. In dem Zustand, den der Apostel mit "in der Welt leben" bezeichnet, kann man zwei große Formen unterscheiden. Die eine trägt abergläubischen, die andere weltlichen ( genießerischen ) Charakter.
Die Wurzel ist bei beiden notwendigerweise das Ich. Das Gestorbensein mit Christus befreit uns von beiden. Wenn ich von der weltlichen Form der Religion rede, möchte ich die amerikanischen Kirchen als Beispiel anführen. Da ist der herrschende Gedanke, es sich bequem zu machen, selbst in der Andacht. Von der Anbetung Gottes weiß man nichts. Man hat keinen Begriff davon, was es heißt, mit Christus gestorben zu sein. Die größere Gefahr liegt indessen in der anderen, der abergläubischen Form, weil diese ein anziehenderes Bild aufweist, ein Zurschautragen von Demut, Frömmigkeit und Ehrerbietung.
Aber diejenigen, die in Wahrheit - und so wunderbarlich - durch den Tod und die Auferstehung Christi erlöst worden sind, sollten keinerlei Anlaß geben, daß jemand ihnen einen Vorwurf wegen Leichtfertigkeit ader Nachlässigkeit machen könnte. Ungeziemendes Verhalten wird nirgends so schmerzlich empfunden als da, wo der christlich Standpunkt gekannt und der Boden der Versammlung ( Gemeinde ) Gottes eingenommen wird. Der Apostel gibt dann eine Auslese davon, was Satzungen sind. Es ist nicht die Kraft des Geistes Gottes in Entfaltung dessen, was Christi ist, sondern etwas, das sich auf das Ich bezieht und hauptsächlich verneinenden Charakter trägt. So handelte vor alters das Gesetz mit dem Fleisch inmitten einer bösen Welt. Heute aber ist der Glaube berechtigt, auf Christus im Himmel zu blicken. "Welche Dinge einen Schein von Weisheit haben in eigenwilligem Gottesdienst und in Demut und im Nichtverschonen des Leibes, und nicht in einer gewissen Ehre, zur Befriedigung des Fleisches". (V.23). Diese Dinge entsprechen nicht dem Willen Gottes, sondern es ist der Mensch, der mit Hilfe seines eigenen Verstandes Mittel erfindet, mit denen er Gott gefallen will. Sie tragen alle große Demut zur Schau; auch zeigt sich Vorliebe für Kasteiung. Es ist genau das, was die Philosophie getan hat: unserern Leibe wird der Platz verweigert, der ihm zukommt. Wie auffallend stellt, im Gegensatz hierzu, das Neue Testament die Wichtigkeit des Leibes heraus! Es verkündigt z. B daß unser Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist. Das ist überaus wichtig; es ist, als Wirkung der Erlösung, der wahre Grund des christlichen Sittlichkeitsbegriffs.
So heißt es im Römerbrief: "Stellet eure Glieder Gott dar zu Werkzeugen der Gerechtigkeit." "Stellet eure Leiber dar als ein lebendiges . . . Schlachtopfer" ( Kap. 6, 13 ; 12, 1 ) . Der philosophische Geist von Korinth vertrat den Grundsatz, daß es auf den Leib nicht ankomme, wenn nur mit dem Geiste alles recht stehe. Der Apostel dagegen besteht darauf, daß der Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist. (l. Kor. 6, 19. 20. ) Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die Wahrheit von der Auferstehung des Leibes, nicht nur die Unsterblichkeit der Seele. Der Nachdruck liegt auf dem Leibe. Obgleich der Leib der Sünde verfallen ist, ist doch die Kraft des Heiligen Geistes da von Dem gesagt wird, daß Er in jedem Gläubigen wohne. Du kannst das Fleisch nicht anders machen, kannst den Willen nicht veredeln. Der alte Mensch muß gerichtet, verleugnet, als durchaus schlecht angesehen und entsprechend behandelt werden. Trotzdem wird der Leib schon heute ein Ternpel des Heiligen Geistes. Adam hatte, ehe er fiel, Leib, Seele und Geist. Aber in dem Augenblick, als er zu Fall kam, trat der Eigenwille dazu das Verlangen, seinen eigenen Weg zu gehen.
Der Eigenwille ist etwas, das wir stets als ein Übel behandeln und worüber wir uns selhst richten sollten, sobald wir ihm auf irgendeine Weise zu wirken erlaubt haben. Was aber kann einem Menschen hierzu so die Kraft geben wie Christus, wenn Er gekannt ist in Seiner vollen erlösenden Gnade? Gleich dem erbeuteten Schwert Goliaths "gibt es Seines gleichen nicht" . ( Vergl. 1. Sam. 21, 9. ) Wenn ich mit Christus gestorben und auferstanden bin, wo ist dann der alte Mensch? In Gottes Augen besteht er nicht mehr. Darum dürfen auch wir ihm keine Daseinsberechtigung zubilligen in den Augen der Menschen. Der Hauptgedanke einer weltlichen Religion ist, das Fleisch zu verbessern und die Welt zu veredeln. Sich auf dem Gebiet der Kasteiung bemühen, achtet der Geist des Menschen als größere Ehre, während die Vernachlässigung des Leibes zu gleicher Zeit zu Aufgeblasenheit des Fleisches führen kann. Es war ein heidnischer Gedanke, den die Philosophie mit Vorliebe hegte.
Die Philosophen neigten zu dem Glauben, daß die Seele heilig sei, wenn der Leib es auch nicht war. Etliche setzten sich dafür ein, daß die Seele von Gott komme und der Leib vom Teufel. Diese Ansicht führte zu erschreckend Bösem, zur Zerstörung aller Sittlichkeit. Gibt es nun nicht in Christus eine Antwort auf all diese Irrungen des menschlichen Geistes. Ganz gewiß. Wenn du die Wahrheit in Ihm annimmst, so erlangst du das was die Absicht Satans zunichte macht. Aber der Heilige Geist allein macht, wenn ich so sprechen darf, dies zur Wahrheit in uns. Möge sie aus Liebe zu ihr selbst angenommen werden!
Wir sahen bisher das Gestorbensein mit Christus und seine Folgen auf die Gefahr angewandt, die die Kolosser bedrohte. Auf diese Weise wurde dem Bösen das Urteil gesprochen, in das Satan jene Gläubigen wieder zu bringen suchte. Die Dinge, auf die das mit Christus Gestorbensein seine Wirkung ausüben sollte, trugen in dem bisher Besprochenen hauptsächlich negativen Charakter. Weshalb waren Leute wie sie Satzungen unterworfen? Das hätte nicht sein sollen, denn in Christus waren sie den "Elementen der Welt" abgestorben und hatten infolgedessen nichts mit Satzungen zu tun. Für Menschen, die "in der Welt leben" mochten solche gut genug sein, aber auch für "gestorbene Menschen"? Unmöglich. Das wäre ja ein völliger geistlicher Widerspruch in sich selbst. Kraft des Kreuzes Christi ist der Christ gestorben.Überflüssig, zu sagen, daß dies ganz und gar eine Sache des Glaubens ist, denn er besitzt selbstverständlich noch sein natürliches Leben. Aus diesem Grunde besteht auch für ihn Gefahr, alte Gedanken und Gewohnheiten wieder aufleben zu lassen usw., sobald er aufhört, sich mit Christus zu beschäftigen, der sein Leben ist.
Ich habe daher als Gläubiger alle Ursache, jedem Urteil und jedem Gefühl meines natürlichen Menschen zu mißtrauen, eingedenk der Tatsadze, daß der natürliche Mensch nicht annimmt, was des Geistes Gottes ist. Immerhin, Tatsache ist: der Christ wird als ein gestorbener Mensch betrachtet, als ein Mensch, der der Welt in ihrer besten Form, ja, sogar der religiösen Welt gestorben ist. Das Beste, auf was die Natur Anspruch erheben kann, ist Nichtberühren, Nichtkosten, Nichtbetasten. Nur auf solche Weise gibt es für sie einen Sieg. Aber dieser Sieg ist in Wirklichkeit gar kein Sieg, sondern nur ein Abstehen von gewissen Dingen. In Beschränkung fleischlicher Art wird alles Heil gesucht. Das ist ganz etwas anderes als ein christlicher Grundsatz.
Der Christ schaut aus nach einem Sieg, der durch die Gnade erlangt wird. Ihn hat der Tod Christi gänzlich befreit von dem Boden der Natur, vom Nichtberühren, Nichtkosten oder Nichtbetasten. Dies war etwas grundsätzlich Jüdisches, und noch mehr: es war die für den Menschen natürliche Religion. So suchen die Menschen das Böse, das in der Welt ist, zu meiden. Aber der Christ meidet nicht nur das Böse, mag er ihm in sich selbst oder draußen begegnen, sondern er bringt in das gesamte Böse den Tod hinein. Christus ist alledem gestorben, und der Christ sollte wissen, daß er allem, was von der Welt ist, gestorben ist, und zwar genau so entschieden dem sittlichen und religiösen Teil, wie den groben Dingen, ihrer Vernunft oder ihrem Unglauben. In Kapitel 3 kommen wir einen Schritt weiter. Aber auch hier geht der Apostel von der Tatsache aus, daß wir mit Christus gestorben sind. Wohl verstanden, nicht davon, daß wir sterben und auferstehen werden, sondern daß wir gestorben und auferstanden sind. Es gibt genug Christen, die diese Worte beständig im Munde führen, aber ohne daß sie wirklich in ihren Sinn eingehen.
Wie ist das möglich? Der einleuchtende und alles erklärende Grund ist der, daß sie nicht praktisch in der Wahrheit dessen leben, was sie bekennen. Sie sind eben zu gewohnheitsmäßig mit der Welt verbunden, als daß sie die Notwendigkeit einer derart bestimmten Absonderung von ihr verstehen könnten. Bevor Christus kam, hatte Gott ein regelrechtes System von Satzungen verordnet. Der Judaismus war die Religion der Welt in ihrer höchsten Form. Menschen, die in dieser Schule ausgebildet waren, verstanden die so ganz anders gearteten Züge des Christentums nicht eher, als bis durch die Gnade eine gänzliche Umwandlung mit ihnen vorgegangen war. Sein Charakter war ihnen ein Buch mit sieben Siegeln. Die Juden hatten keinen Begriff davon, daß das Fleisch durchaus verderbt ist, kein Gefühl für die Sünde, kein Verständnis für die Gnade Gottes.
Als Volk waren sie dem Gesetz unterstellt, levitischem Priestertum, äußeren Opfern und Verordnungen fleischlicher Art. Alles dies war ein Teil von dem, dem sie sich zu unterziehen hatten. Daß große Wahrheiten unter diesen Bildern verborgen waren, ist eine Sache für sich. Die Christenheit nun hat die Dinge aufgegriffen, die für einen Juden ganz recht waren, die aber jetzt "die Elemente der Welt" genannt werden, was sie auch in Wahrheit sind. Nur wurden sie nicht so angesehen zu der Zeit, als Gott mit Israel in Verbindung stand. Es ist ja in der Tat das Äußerste, wozu die Welt fähig ist. Heute werden diese Dinge als "Elemente der Welt" gewertet. Aber bevor Christus starb, war es nicht so. Es gibt auch heute noch genug Leute, die sich z. B. einen würdigen Gottesdienst ohne ein erhabenes Gebäude und ohne entsprechende Zeremonien nicht vorstellen können; und je schöner das Gebäude, je glänzender das Ritual, desto annehmlicher, meinen sie, sei er Gott. Und doch gehört dies alles zu den Elementen der Welt. Andere wiederum meinen, man könne nicht des Herrn Mahl begehen ohne einen zum Austeilen bestellten kirchlichen Würdenträger. Die Versammlung ( Ekklesia ) Gottes kennt einen solchen Brauch nicht.
Der Apostel weist das ganze alte System ab. Es ist eine Erfindung des Feindes. Das Neue Testament, das das Geheimnis von der Gemeinde kundtut, weiß von alledem keine Spur. Es ist nicht nur nichts Gutes, sondern alle derartigen Gedanken und Einrichtungen sind heute geradezu verkehrt, da sie dem Kreuz und der himmlischen Herrlichkeit Christi Abbruch tun. Die Schrift bleibt unveränderlich, mögen der Veränderungen in der Christenheit auch noch so viele sein. Was uns nottut, ist, daß wir zu der Leuchte der Schrift unsere Zuflucht nehmen. Hier haben wir einen einfachen, aber unbegrenzt sicheren Schutzund Bewahrungsort. Kehren wir daher zurück zu dem Worte Gottes und halten wir uns an es allein! Der Teufel hatte bei der judaistischen Zersetzungsarbeit unter den Kolossern, von welcher wir sprachen, seine Hand im Spiele. Sein großes Ziel war, diese Gläubigen irrezuführen, indem er sie zu Satzungen, zu jüdischem Formwesen brachte, zu Dingen also, die einst ihren gesetzmäßigen Platz gehabt hatten, jetzt aber nicht mehr in Kraft waren.
Im Christentum sind sie wertlos; ja, nicht nur das: sie gelten als kindisch und tragen für den Christen gar götzendienerischen Charakter. Daß ein Jude hierin eine sehr, sehr große Schwierigkeit fand, verstehen wir gut. Wie? Alles, was ein Moses, ein David, ein Hiskia als religiöse Gebräuche hoch verehrt hatten, sollte er jetzt darangeben? Ja, er mußte es tun, denn Christus war gekommen. Galt es jetzt nicht, Ihn zu hören? Das, was ihre Vorbilder versinnbildlicht hatten, war Ereignis geworden. Die Erlösung war vollbracht. Wer sollte an dieser gewaltigen Tatsache vorbeigehen? Das ist ja immer der große Irrtum der Christenheit gewesen, daß sie gemeint hat, zu Satzungen zurückkehren zu sollen. Denken wir, um nur eins zu nennen, an die Mönchsorden! Ist es nicht grundsätzlich genau das gleiche, ein System von Satzungen? Für manche mag eine gewisse Schwierigkeit darin liegen, daß Christus bis zum Kreuze mit dem jüdischen System verbunden war. Aber das war doch eine ganz natürliche Sache, und ebenso natürlich ist, daß sie mit Seinem Kreuz, Seiner Auferstehung und Seiner Himmelfahrt ihren Abschluß gefunden hat.
Die Verbindung des Christen mit Christus ist seitdem auf das Kreuz gegründet. Das Kreuz hat den Vorhang zerrissen und also das jüdische System aufgelöst. Darum heißt es: "Suchet, was droben ist, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes" ( V. 1 ) . Der Hinweis auf den Platz Christi droben, außerhalb der Welt, ist von großer Schönheit. Es ist Sein Ihm bestimmter Platz in der Herrlichkeit, der Schlüssel zu unserer Stellung. Doch beachten wir, daß hier nicht davon die Rede ist, daß wir in Ihm dorthin versetzt worden sind. Diese Seite der Wahrheit findet im Epheserbrief ihren wichtigen Platz, und sie wird nachdrücklich hervorgehoben. Der Brief an die Kolosser erhebt den Gläubigen an keiner Stelle zu solcher Höhe. Er zeigt Christus dort, versetzt uns aber sozusagen nicht dorthin. Als Grund, weshalb wir suchen sollen, was droben ist, wird die Auferweckung Christi genannt, oder vielmehr unser Auferwecktsein mit Ihm. "Sinnet auf das, was droben ist, nicht auf das, was auf der Erde ist" (V. 2 ) .
Kann ein ehrlicher Mensch geteilte Zuneigungen haben ? Unser Herr hat selbst gesagt : "lhr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon." Nach Seinen eigenen Worten ist das also eine sittliche Unmöglichkeit. An unserer Stelle haben wir es mit einer Mahnung ähnlicher Art zu tun, gegründet auf die unbegreiflich große Gnade, die uns mit dem auferstandenen Christus auferweckt hat. Vergebliches Bemühen, gleichzeitig mit himmlischen und irdischen Dingen beschäftigt zu sein. Wir sind dazu berufen, unseren Sinn auf das, was droben ist, gerichtet zu halten, und das nicht nur dann und wann, sondern allezeit. Aber wie ist das möglich? Da hat jemand ein Geschäft. Muß er ihm nicht seine ganze Aufmerksamkeit widmen. Freilich! Aber deswegen braucht nicht sein Sinn darauf gerichtet zu sein. Seine Geschäftsführung ist für ihn einfach eine Pflicht, die er für seinen Herrn zu erfüllen hat. Sollte er, wenn er sein Geschäft in solcher Gesinnung führt, es nicht besser führen als einer, der Christus nicht hat? Ich bin gewiß, daß es so sein wird, wenn er auf den Herrn blickt. Zugleich werden Einfalt und Glaube einen solchen Menschen vor den Fallstricken der Begehrlichkeit wie auch der eitlen Ruhmsucht bewahren.
Der also unterwiesene und also handelnde Christ hat einen Gegenstand für seine Seele, der in Wahrheit dazu angetan ist, einen Menschen über sich selbst und über die Welt hinauszuheben. Arbeitet er so Tag für Tag für den Herrn, so wird ihn das Bewußtsein von der Gnade, in der er steht, zugleich auch von aller Nachlässigkeit oder von allem Sichgehenlassen oder auch von allen Spekulationsgelüsten befreien, - alles Dinge, die die Menschen der Gefahr aussetzen, in Schulden zu geraten oder gar unehrenhafte Handlungen zu begehen. Solches tun heißt nämlich nichts anderes, als unter die Linie anständiger Weltlichkeit herabsinken. Tatsache ist, daß ein Christ, wenn er nicht mit einem wachen Gewissen für den Herrn wandelt, in Gefahr steht, es schlimmer zu treiben und sich weiter zu verirren als sonst ein Mensch. Das ist gewiß demütigend und betrüblich, und doch ist es nicht überraschend. Ist es doch das Hauptziel Satans, Christus in denen zu verunehren, die Seinen Namen tragen. Die Kraft des Geistes ist aber nur rnit denen, die ihr Herz Christus zugewandt haben.
Es ist daher verständlich, daß es nicht heißt: Sinnet zum Teil auf das, was droben, und zum Teil auf das, was auf der Erde ist. Du sollst überhaupt nicht auf das sinnen, was auf der Erde ist. Was immer der Herr dir zu tun gibt, nimm als einen Dienst für den Herrn an. Aber selbst da ist es nötig, sorgfältig zu wachen, und das nicht am wenigsten in der geistlichen Arbeit am Evangelium oder in der Versammlung. Nur in Ihm, der zur Rechten Gottes sitzt, ist Sicherheit, sogar in bezug auf das Studium der Schriften. Da kann man sich nämlich in die Feinheiten der Sprache, in die Prophezeiungen, in die Poesie, in die Geschichte, in die Lehre usw. vertiefen, und eins dieser Dinge oder alle miteinander können zu einem Fallstrick werden. Es ist so: Es gibt keine Bewahrung für uns als in Christus selbst - in Christus, wie Er droben ist. Ein weiterer Grund, weshalb wir auf das sinnen sollen, was droben ist, wird in Vers 3 hinzugefügt. Er ist bemerkenswert genug: "denn ihr seid gestorben". Hier werden keine Erwägungen darüber angestellt ( wie die Menschen selbst Heiden, es machen ) , wie wir es anzufangen haben, um in unserem Leben zu sterben. Die grundlegende christliche Wahrheit lautet einfach: Wir sind gestorben. Alle Mystiker alter und neuerer Zeit haben als gemeinsames Ziel: Es gilt zu sterben.
Daher legen sie Nachdruck auf innerliche Erfahrungen und menschliches Kämpfen und Mühen. Sie lassen es sich angelegen sein, sich selbst zu kreuzigen. Bei ihnen heißt es nicht: "lch bin mit Christo gekreuzigt, und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir; was ich aber jetzt lebe im Fleische, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn Gottes"; und: "Die aber des Christus sind, haben das Fleisch gekreuzigt samt den Leidenschaften und Lüsten" (Gal. 2, 20 und 5, 24). Was für den Juden passend war, und was so himmelweit davon entfernt ist, auch für den Christen das richtige zu sein, liegt auf dieser Seite des Kreuzes. Des Christen Grundlage dagegen ist der gestorbene und auferweckte Christus. Daß irgend etwas in der Bibel steht, ermächtigt nicht zu der Schlußfolgerung, das Geschriebene sei der Ausdruck des Willens Gottes für den Christen. Wir müssen das Wort der Wahrheit recht zu teilen suchen. Was früher für die Juden recht war, ist für uns nichts anderes als "Elemente der Welt". Diese Formen waren Schatten einer Wirklichkeit, die jetzt gekommen ist.
"Der Körper ist Christi." Des Christen Stellung ist : Selbst dem Besten in der Welt ist er gestorben, während er den höchsten Dingen in der Gegenwart Gottes lebt; denn Christus ist sein Leben. Wir werden daher aufgefordert, auf das zu sinnen, was in Übereinstimmung mit Christus in der Herrlichkeit ist. Es ist fürwahr der Mühe wert. Zuallererst ist da Christus selbst; sodann das große Erlösungswerk Christi, gesehen in seinen himmlischen Auswirkungen. Wie erhaben sind doch die Gegenstände, die wir allezeit vor Augen haben sollen! Dazu kommen die Erwartungen, die mit dem also gekannten Christus verbunden sind. Auch gibt es geistliche Weisheit, die dort oben ihre Nahrung empfängt, sowie die mit dem Christenleben in Verbindung stehenden innerlichen Gefühle und Zuneigungen, die geweckt und in Tätigkeit gehalten werden müssen. Mit einem Wort: Das, was droben ist, schließt alle die Früchte des Werkes Christi ein, die irgend zum Himmel in Beziehung stehen. "Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott" V. 3. Es gibt Leute, die meinen, der Christ sei gerade deswegen, weil er ein Christ ist, um so mehr befähigt, einen Platz in der Welt auszufüllen.
Aber das ist ein Irrtum. Es ist in Wahrheit eine Verleugnung der hervorragenden und zugleich so kostbaren Wahrheit Gottes, daß ich gestorben bin, eine Wahrheit, die in meiner Taufe sinnbildlich so schön zum Ausdruck kommt. Es ist auch bemerkenswert, daß schon die Welt von jemand, der Christus annimmt, den Eindruck hat: Der Mann ist für uns tot. Die Menschen fühlen ganz gut, daß ein solcher für seine alten Lebensziele verloren ist. Wenn der Betreffende nun seinen Platz als Christ wirklich ausfüllt, so rechtfertigt er dadurch nur das instinktmäßige Urteil der Menschen, hört er doch auf, sich wie jemand zu benehmen, der in der Welt lebt. Die Christenheit freilich tut alles, um ihn schnell dahin zu bringen und daran zu gewöhnen, Christus treulos zu werden und zu bleiben. Trotzdem bleibt die Wahrheit bestehen: "Ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott." Bis heute ist unser Leben noch verborgen. Christus hat die Welt Seine Herrlichkeit noch nicht sehen lassen. Darum sollte ein Christ sich damit zufrieden geben, für kurze Zeit ein Gegenstand der Verwerfung und des Spottes zu sein. Glaube und Ausharren werden auf diese Weise auf die Probe gestellt. Gott läßt es so zu, und ein Christ sollte sich nicht darüber wundern, denn Christi Teil war dasselbe. Ein einfältiges Auge wird nicht betrogen.
Die Selbstsucht dagegen ist blind für Gottes Herrlichkeit. Möchten wir wahr sein und wahr bleiben für die von dem Kreuz ausgehende sittliche Kraft, besonders wo die Nacht weit vorgerückt ist. Der Grund, weswegen wir verachtet werden, wird so zu einer Quelle der Freude in den Tagen unserer Trübsal. Zudem: die Zeit ist kurz. Bald wird alles anders sein. Als weitere Wahrheit wurde den Kolossern mitgeteilt: "Wenn der Christus, unser Leben, geoffenbart werden wird, dann werdet auch ihr mit ihm geoffenbart werden in Herrlichkeit" (V. 4). Christus wird nicht immer verborgen bleiben, wie es heute noch der Fall ist. Sein Offenbarwerden steht bevor. Wird es Ereignis, so werden auch wir mit Ihm geoffenbart werden in Herrlichkeit. Gott wird uns dann "mit ihm bringen".
Dazu müssen wir aber zunächst zu Ihm entrückt werden, damit, wenn Er später von jedem Auge gesehen werden wird, wir dasselbe Teil mit Ihm haben können. Der Ausdruck : "verborgen mit dem Christus in Gott", ist viel bedeutsamer, als wenn es einfach hieße: Er ( der Christus ) ist abwesend im Himmel. In Johannes 13 sagt der Herr von Sich: "Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht, und Gott ist verherrlicht in ihm. Wenn Gott verherrlicht ist in ihm, so wird auch Gott ihn verherrlichen in sich selbst, und alsbald wird er ihn verherrlichen." Diese Worte bedeuten nicht einfach Seine Verherrlichung im Himmel, sondern reden von dem Teil, das Christus heute in Ihm ( Gott ) hat. Es ist das, was Er hat, während Er in Gott verborgen ist (V. 3), im Gegensatz zu der Entfaltung Seiner Herrlichkeit bei Seinem späteren Erscheinen. (V. 4.) Die Kolosser hatten diese Wahrheit in weitem Maße aus dem Auge verloren. Sie waren daher in Gefahr, auf eine Bahn zu geraten, die sie jeden Genusses an Frieden und Gottvertrauen beraubt hätte. Das, was unter ihnen als Lehre immer mehr um sich griff, war, Christus noch alles Mögliche hinzuzufügen, zu dem Zweck, einerseits die Segnung und Sicherheit der Gläubigen zu vermehren, und anderseits, gleichsam eine gegenwärtige Schaustellung von Christi Herrlichkcit in Szene zu setzen.
Demgegenüber zeigt ihnen der Apostel, daß ihr Leben mit Christus in Gott verborgen war. Das hieß: Obwohl sie eine durch nichts zu übertreffende Sicherheit besaßen, so war dies doch nur der Fall in Übereinstimmung mit dem Platze Christi, - verborgen und noch nicht geoffenbart. "Wenn der Christus, unser Leben, geoffenbart werden wird, dann werdet auch ihr mit ihm geoffenbart werden in Herrlichkeit. Tötet nun eure Glieder, die auf der Erde sind: Hurerei, Unreinigkeit" usw. ( V. 4. 5 ) . Mit anderen Worten: Weil ihr gestorben seid, weil ihr dieses neue Leben, eben Christus, habt und also mit Ihm gestorben und auferweckt seid, so tötet eure Glieder, die auf der Erde sind. Was waren denn diese Glieder? "Hurerei, Unreinigkeit, Leidenschaft, böse Lust und Habsucht, welche Götzendienst ist." So waren sie, ja, so sind wir in Wirklichkeit. Fürwahr eine erschreckend eindrucksvolle und bezeichnende Art, die Wahrheit vorzustellen. Gott läßt sich nicht spotten. Die Gnade hält Sein Gericht nicht auf: heute, wo Er durch Sein Wort straft, ebensowenig wie dann, wenn das Gericht in Wirklichkeit zur Ausführung gelangt.
"Um welcher Dinge willen der Zorn Gottes kommt über die Söhne des Ungehorsams; unter welchen auch ihr einst gewandelt habt, als ihr in diesen Dingen lebtet" (V. 6. 7). "Jetzt aber leget auch ihr das alles ab: Zorn, Wut, Bosheit, Lästerung, schändliches Reden" usw. Wir sehen, daß die Wahrheit: "ihr seid gestorben", dazu dienen muß, uns von der Natur in all ihren Formen zu befreien, mag es sich um die Verderbtheit des Fleisches selbst oder um seine gewalttätigen Ausflüsse ( V. 8 ) handeln. Mit einem Wort : Dem gesamten ersten Adam wird das Urteil gesprochen. Nichts wird verschont. Das "ihr" in Vers 7 wird nachdrücklich hervorgehoben. "Belüget einander nicht, da ihr den alten Menschen mit seinen Handlungen ausgezogen und den neuen angezogen habt, der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Bilde dessen, der ihn erschaffen hat." Gott möchte Seine Kinder im Genuß des vollsten geistlichen Wohlergehens sehen, und tatsächlich ist es für einen Menschen unmöglich, in praktischer Heiligkeit zu leben, solange er nicht glücklich geworden ist. Gottgemäße Wünsche mögen vorhanden, und auch der Geist mag am Werke sein, aber Kraft ist nicht eher da, als bis die Seele ihren Frieden und ihre Befreiung in einem Anderen findet, den Gott aus reiner Gnade gibt. Dann erst, wenn der Mensch durch Christus und Sein Erlösungswerk glücklich geworden ist, naht er Gott als seinem Vater. Dann erst besitzt er den Heiligen Geist als Kraft, sowie all die anderen praktischen Ergebnisse, die diesem neuen Verhältnis entspringen.
"Wo nicht ist Grieche und Jude, Beschneidung und Vorhaut, Barbar, Scythe, Sklave, Freier, sondern Christus alles und in allen" ( V. 11 ) . Wie wundersam erscheint der christliche Beweggrund für das Halten all dieser Dinge, daß wir nicht lügen sollen usw.! Nicht nur deshalb soll all das Genannte unterbleiben, weil es Gott verunehrt, sondern weil wir den alten Menschen ausgezogen und den neuen angezogen haben. Alles erscheint in einem auffallend charakteristischen Licht. Selbst beim Erteilen Seiner Verordnungen verfehlt Gott nicht, uns an unsere gesegnete Stellung zu erinnern. Werden wir berufen, Zorn, Wut usw. abzulegen, so deshalb, weil wir gestorben sind. Wird uns gesagt, wir sollten nicht länger in Unreinigkeit wandeln, so aus dem Grunde, weil wir, obgleich wir einst in alledem lebten, jetzt dem allen gestorben, dagegen in Christus lebendig gemacht worden sind. Werden wir ermahnt, die Wahrheit zu reden, so darum, weil wir den alten Menschen ausgezogen und den neuen angezogen haben, der erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Bilde Dessen, der ihn erschaffen hat. In Ihm ist überhaupt keine Finsternis. Er ist das wahrhaftige Licht, das jetzt leuchtet.
Gebieterisch legt es sich uns als Christen aufs Herz, mit nichts anderem als mit Christus zu rechnen. Ich denke hier einfach an unsere Stellung als Christen. Das scheint nichts Besonderes, und doch, was schließt diese Stellung nicht alles in sich So wie Christus "alles und in allen ist", so sollten wir suchen, immer demgemäß zu handeln, indem wir an einander nur das wertschätzen, was von Ihm ist. Wenn ich Christus liebe und wertschätze, so werden meine Gefühle gegen Christen dementsprechend sein. Ich werde dann auch von Herzen wünschen, daß ich und alle Christen fühlen möchten, daß Christus der einzige Gegenstand ist, der unserer Gedanken und Zuneigungen, sowie unserer Arbeit und unseres Lebens wert ist. Wir sind ja ständig in Gefahr, von unserem Christen-Standpunkt herabzusinken und uns einnehmen zu lassen von natürlichen Eigenschaften, Dingen, die den Menschen anziehend machen usw. Glaubensstandpunkt ist, sich über alles dies zu erheben.
"Lasset euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie . . ." (Matth. 5, 16), läßt der Herr auch uns heute sagen. Wo man nicht standhaft an Christus festhält als seinem Gegenstand und Beweggrund, da wird die Natur sich so zügellos erweisen wie nur je. Aber Gott und dem Glauben gegenüber bin ich berechtigt, die Natur als tot zu behandeln; und Dem, der für mich starb und wieder auferstand, bin ich schuldig, der großen Wahrheit gemäß zu leben, daß Gott das Todesurteil über den alten Menschen ausgesprochen hat. Zu diesem Ende muß ich mich, das Auge zu Christus erhoben, selbst richten. Andernfalls gibt es kein Versagen, durch das ich Ihn nicht verunehren könnte. Solange aber mein Auge auf Christus gerichtet bleibt, werde ich niemals in einer Weise wandeln können, die mit meinem Bekenntnis nicht übereinstimmt. Und zwar ist es nicht nur das Gefühl meiner eigenen Schwachheit, das mich auf Christus blicken läßt, sondern das Bewußtsein, daß der alte Mensch gerichtet und vor Gott hinweggetan ist. Wie ist doch der Standpunkt des Christen so erhaben! Die alttestamentlichen Gläubigen wurden durch das Erwarten und Herbeisehnen des Christus davon abgehalten, zu sündigen. Wir aber schauen auf den Christus zurück, der alles für uns gutgemacht hat, und mit dem wir heute schon estorben und auferweckt sind.
Ist das nicht ein unberechenbar großer Fortschritt? Und so groß der Fortschritt, so groß anderseits der Unterschied zwischen einst und jetzt. Aber dabei verweile ich hier nicht. KapiteI 3,12-17 Im Epheserbrief werden wir ermahnt, "Wahrheit zu reden, ein jeder mit seinem Nächsten". Aber dort ist der Grund, weshalb wir nicht lügen sollen, der, daß wir Glieder voneinander sind. Im Kolosserbrief wird die Lüge als unvereinbar dargestellt mit der Tatsache, daß wir den alten Menschen ausgezogen und den neuen angezogen haben. Zu lügen steht also im augenscheinlichen Widerspruch sowohl mit der neuen Natur als auch mit der Verurteilung und Beiseitesetzung des alten Menschen. Das Gericht über den alten Menschen wurde freilich an Christus vollzogen; aber dann nimmt der Glaube an Ihn an, daß dieses Gericht auf uns Anwendung gefunden hat, und daß wir, durch Ihn, auf unser Ich Verzicht geleistet, ja, daß wir den alten Menschen mit seinen Handlungen ausgezogen und den neuen angezogen haben. Von dem alten Menschen wird vorausgesetzt, daß er lügt, wenn das seinen Interessen dient. Der alte Mensch ist unwahr und betrügerisch. In unserer Natur, so wie wir sie als Menschen mit uns herumtragen, gibt es keine völlige Wahrhaftigkeit, kann es keine geben. Das war so von Anfang an. Adam war unwahr; er sündigte sofort. Kain war auch unwahr. Betreffs anderer böser Dinge, wie Gewaltsamkeit usw., gibt es Unterschiede bei den Menschen. Da mag sich bei dem einen zeigen, was bei dem anderen nicht in Erscheinung tritt. Unwahr aber sind sie alle. Bei allen finden sich lügnerische Züge.
Betrachten wir nur die gewöhnlichen Formen des gesellschaftlichen Verkehrs! Sind sie in dem gegenwärtigen Zustand der Welt nicht mehr oder weniger auf Betrug gegründet? Ohne zu überlegen, ob es wahr ist oder nicht, sagt man dem anderen, was er gern hört. Die Menschen bekennen sich, besonders in der Religion, zu Normen, an die sie selber nicht glauben; es wird auch gar nicht von ihnen erwartet, und - traurig zu sagen - am aller wenigsten von den besten unter ihnen. Dies alles zeigt, wie ganz allgemein die Unaufrichtigkeit den alten Menschen auf Schritt und Tritt begleitet.
Hier im Kolosserbrief handelt es sich um die Frage, was es heißt, Christ zu sein, und darum ist von dem neuen Menschen die Rede. Im Epheserbrief hören wir von Gliedern des Leibes, im Kolosserbrief von der Natur. Im Epheserbrief hörten wir auch davon, daß die Gläubigen den alten Menschen ausgezogen und den neuen angezogen haben. Hier aber wird hinzugefügt : "Der erneuert wird zur Erkenntnis nach dern Bilde dessen, der ihn erschaffen hat" (V. 10). Im Epheserbrief haben wir gleichsam etwas neu Geschaffenes, etwas, was jene Gläubigen zuvor überhaupt nicht hatten, (vergl. Kap. 4, 24 ) , ohne daß auf ein Erneuertwerden Bezug genommen würde. Es ist etwas unbedingt Neugeschaffenes, während hier im Kolosserbrief außer von dem Empfang der neuen Segnung, von dem neuen Menschen, auch von Erneuerung desselben die Rede ist. Beide Gedanken sind also in den zwei Briefen vertreten, und zwar so zusammengestellt, daß sie sich gegenseitig ergänzen. Im Epheserbrief heißt es, der neue Mensch sei "nach Gott geschaffen in wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit". Ein Wort über den Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen sei hier eingeschoben.
Gerechtigkeit ist nicht zu trennen von Autorität in irgend einer Form: Einer gerechten Forderung geschieht Genüge. Ob hierbei der Mensch in Frage kommt oder Gott, ist eine Sache für sich. Jedenfalls liegt ein Recht vor, zu fordern, aber es kann nur die gerechte Forderung einer Natur sein, die über dem Bösen steht, und die das Böse nicht erträgt. HeiIigkeit hat an sich nichts mit einer Forderung zu tun, wie es bei Gercchtigkeit der Fall ist. Dem Gläubigen ist Christus gemacht zur Gerechtigkeit, und diese Gerechtigkeit gründet sich auf das Gericht Gottes, mag es auch ganz zu unseren Gunsten entschieden sein, wie es ja tatsächlich der Fall ist. Heiligkeit dagegen, zu der Christus uns ebenfalls geworden ist, wäre auch wahr gewesen, ohne daß Gottes Autorität dabei irgendwie in Frage kam, denn sie ist wesenhafter Natur und wesenhaften Charakters. So heißt es z. B. von den Engeln, daß sie heilig, nie aber, daß sie rechtschaffen oder gerecht seien. Der neue Mensch erfreut sich beider Eigenschaften.
Der Autorität Gottes wird völlig zugestimmt, und für das Herz ist der Gedanke eine Wonne, daß Christus, indem Er durch das göttliche Gericht ging, den heiligen Ansprüchen Gottes in einer Weise begegnete, daß Gott mehr als je verherrlicht worden ist. Daneben ist der neue Mensch göttlicher Natur, so daß er mit Gott zu empfinden vermag. Gerechtigkeit ist mehr ein sich Gott Beugen, während Heiligkeit das Teilhaben an Seinen eigenen Empfindungen über Gut und Böse ist. In uns vermischen sich oft diese beiden Empfindungen. Gerechtigkeit ist ein der Wahrheit entsprechender Ausgleich, das Aufrechterhalten dessen, was in jeder Art von Beziehungen gerecht ist. So ist es z. B. recht von einem Kinde, seinen Eltern zu gehorchen. Fs ist nicht allein heilig, sondern "recht", so zu handeln. Das erstere ist Sache der Natur, wenn von einer Beziehung oder Pflicht gar keine Rede ist. Es handelt sich dabei nicht um das Verhalten gegenüber einer Verpflichtung irgendwelcher Art. Ist von Verpflichtung die Rede, so taucht damit sofort der Gedanke an Gerechtigkeit auf.
Daher geben Rationalisten wohl den Wert der Heiligkeit zu, reden aber selten von Gerechtigkeit, denn Gerechtigkeit setzt Gericht voraus. Gerechtigkeit ist ein schreckliches Wort für einen Menschen, solange er nicht Christus ergriffen hat. Gerechtigkeit, ich wiederhole es, bekundet Gottes Autorität. Gott war heilig, ehe die Sünde in die Welt kam. Aber wer konnte von Seiner Gerechtigkeit reden, ehe es ein Gericht über das Böse gab, das trotz vorhandenen Gewissens und gegen Seine ausdrückliche Autorität ausgeübt wurde? Daher wird unter dem Gesetz, das die förmliche Bejahung dieser Autorität im Umgang mit den Menschen im Fleische war, Jehova beständig als ein gerechter Gott vorgestellt. "Gerecht ist Jehova, Gerechtigkeit liebt er (Ps. 11, 7)". In Adam war, ehe er fiel, weder Gerechtigkeit noch Heiligkeit. Wir haben beides und werden beides in Christus. Adam wurde "aufrichtig geschaffen" (Pred. 7,29 ). Das ist aber nicht das gleiche, wie gerecht oder heilig sein. Böses war damals eben noch nicht da. Adam war unschuldig, noch nicht gefallen. Gott redet von den Christen als von Gerechten und Heiligen.
Adam wußte bis zu seinem Fall nichts von Bösem; bis dahin war auch noch keine Rede von einer gerechten Forderung, die Gott an ihn gestellt hätte, außer insofern, als der verbotene Baum seinen Gehorsam auf die Probe stellte. Ihm waren keine Beschränkungen auferlegt, wie es bei dem Menschen unter dem Gesetz der Fall war. Für diesen galt: Tu dies und lebe. Für ihn höchstens: Tu dies nicht, damit du nicht stirbst. Adam nahm eine bevorzugte Stellung ein, und es handelte sich für ihn einfach darum, diese Stellung im Gehorsam gegen Gott zu genießen, wobei auf den Ungehorsam die Todesstrafe gesetzt war. Wir befinden uns in einer ganz anderen Stellung: Inmitten von Bösem erfahren wir die Einwirkung des Guten, das außerhalb von uns und über uns ist. Daher heißt es von uns, daß wir "durch Herrlichkeit und Tugend" berufen sind ( 2 . Petr. 1, 3 ): "Durch Herrlichkeit" als den Gegenstand, den Zustand, in welchem Christus ist, und "durch Tugend" als Mittel, um uns in Schranken zu halten und uns zur praktischen Gleichförmigkeit mit Christus zu bringen.
Mit Recht ist bemerkt worden, daß im Epheserbrief nie von Christus als dem Bilde Gottes die Rede sei. Im Kolosserbrief geschieht das dagegen ganz ausdrücklich. Wenn wir den Unterschied hervorheben wollen: Im Epheserbrief haben wir mehr Christus, der mir zeigt, was Gott ist. Daher heißt es: "Seid Nachahmer Gottes, als geliebte Kinder und wandelt in Liebe, gleichwie auch der Christus uns geliebt hat" (Eph. 5, 1. 2). Es handelt sich da mehr um den Begriff des Gleichseins als um den der Darstellung. Obgleich man nun von Christus sagen kann, daß Er das Bild Gottes ist, wird doch nie von Ihm gesagt, daß Er im Gleichnis Gottes sei, eben weil Er Gott ist. Im Kolosserbrief hören wir wiederholt von dem Bilde Gottes.
Im vorliegenden Kapitel z. B. wird von dem neuen Menschen gesagt, daß er "nach dem Bilde dessen sei, der ihn erschaffen hat", so wie es im ersten Kapitel von Christus heißt, daß Er das Bild des unsichtbaren Gottes ist. Die zwei Gedanken, Gleichnis und Bild, mögen wir häufig verwechseln. In der Schrift geschieht das nie. G1eichnis bedeutet in der Schrift einfach, daß eine Person einer anderen gleicht, während Bild die Darstellung einer Person bedeutet, mag ihr das Bild gleichen oder nicht. "Ziehet nun an, als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte: herzliches Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Langmut" (V. 12). Hier haben wir die Eigenschaften, die Christus selbst auszeichneten, die Weise, den Geist und die innerlichen Gefühle unseres Herrn. Aber wir sind nicht eigentlich als Kinder, sondern "als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte" berufen, diese gleichen Eigenschaften zu offenbaren. Wir sollen fühlen und wandeln, wie der Herr hier gewandelt hat.
An der Schrift ist charakteristisch, daß sie, weil göttlich nie mit dem Verstand allein gemeistert werden kann, wie die Bibelkritiker es tun, sondern daß sie stets Forderungen stellt, sowohl an die Zuneigungen und an das Gewissen als auch an die Gesinnung. Die Kraft des Heiligen Geistes ist nötig, um alles dies mit Christus in Verbindung zu bringen, eben zu dem Zweck, um richtig zu fühlen, zu urteilen und zu handeln. "Einander ertragend und euch gegenseitig vergebend, wenn einer Klage hat wider den andern; wie auch der Christus euch vergeben hat, also auch ihr." (V. 13). Christus wird in diesem Briefe als Haupt von allem gesehen. Er wird als das Ideal von alledem betrachtet, was gut und lieblich ist, von all den Eigenschaften, die Gott für uns wünscht und bei uns sucht. "Zu diesem allen aber ziehet die Liebe an, welche das Band der Vollkommenheit ist" ( V. 14 ). In der Liebe liegt mehr als einfache Freundlichkeit und Bereitschaft zum Vergeben. Sie geht darüber hinaus. Die Liebe bringt immer Gott hinein, weil sie der Ausfluß Seiner Natur ist. Seine Natur ist Licht; aber diese Lichtnatur wirkt in Liebe, die in Güte hinausströmt zu ihren Gegenständen. Die Liebe hat also das Bestreben, zu verbinden, während das Ich oder das Fleisch das gerade Gegenteil davon ist. So entschieden die eine darauf bedacht ist, Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen, so entschieden ist das andere darauf aus, sie zu schaffen.
Die Liebe trägt und erträgt nicht nur, sondern sie überwindet das Böse mit dem Guten. "Und der Friede des Christus regiere in euren Herzen." Der Friede Gottes ist jene vollkommene Ruhe, die Er nie aufgibt, mögen auch die Umstände in dieser Welt sein, wie sie wollen. In diese Ruhe bringt Er auch den Gläubigen, der zu Ihm aufblickt, indem er alle Umstände in Gottes Hand legt, ohne dem eigenen Willen oder der Sorge irgendwelche Zugeständnisse zu machen. Statt, wie es der Menschengeist so gern tut, einen eigenen Weg zu ersinnen, um den Umständen zu entrinnen, weil er immer der Meinung ist, er müsse alles in die eigene Hand nehmen, macht der Glaube einen Menschen fähig, zu Gott aufzublicken. Der Glaube läßt Gottes Wort über alles entscheiden, was um uns her vorgeht. Unser Brief spricht aber von einem noch innigeren, vertrauteren Frieden. Er meint den Frieden, den Christus jetzt hat, und den Er auch da allezeit hatte, als Er hienieden war. In diesem Frieden begegnete Christus selbst allen Schwierigkeiten. Er, der alles vollkommen sah und durchschaute, blieb in bezug auf alles in vollkommenem Frieden. So sollte es auch bei uns bestellt sein.
Kein Wissen um Böses draußen, kein Wissen um Schwachheit unter den Seinen stört Seinen vollkommenen Frieden, mag es sich handeln, um was es will. "Und der Friede des Christus regiere in euren Herzen, zu welchem ihr auch berufen worden seid in einem Leibe; und seid dankbar" (V. 15). Dieser Friede soll also in unseren Herzen regieren, aber nicht etwa so, als ob er eine Sache für mich allein wäre, nicht so, als ob man in bezug hierauf nichts miteinander zu tun habe, sondern im Gegenteil, als mit allen verbunden mag vorkommen, was da will. Angenommen z. B., etwas Schmerzliches beunruhige mich betreffs jemand, der mit uns das Brot bricht: Sollte ich mich dadurch dermaßen aus der Fassung bringen lassen, daß ich es vorziehe, lieber nicht zum Tische des Herrn zu gehen?
Gewiß nicht. Das hieße nur dem einen Unrecht ein zweites hinzufügen. Denn wenn es für mich recht wäre, abseits zu stehen, so müßte das auch für andere der Fall sein. Nie sollte ich der Beunruhigung über solche Dinge erliegen, sondern auch in bezug darauf den Frieden Christi in meinem Herzen regieren lassen. Für Christus gibt es in allen Sachen allezeit einen Ausweg. Dies im Gedächtnis zu behalten, ist für unsere Seelen sehr wichtig. "Und seid dankbar." Nicht ängstlich besorgt noch verdrießlich, sondern dankbar. Was unrecht ist, muß verurteilt, muß gerichtet werden. Aber die beste Vorbereitung, um recht zu richten, ist, selbst zu tun, was gottgemäß ist. Es ist unser Vorrecht, in allem, was wir beginnen, an Christus zu denken.
"Laßt das Wort des Christus reichlich in euch wohnen, indem ihr in aller Weisheit euch gegenseitig lehret und ermahnet mit Psalmen, Lobliedern und geistlichen Liedern, Gott singend in euren Herzen in Gnade" ( V. 16 ) . Hier haben wir einen bemerkenswerten Gegensatz zwischen Evangelium und Gesetz. Das Gesetz traf Entscheidungen über dies und das. Und nicht das allein. Dem Gesetz gegenüber gibt's nur einen ganz bestimmten Gehorsam. Es läßt einem wachsenden Maß von Geistlichkeit keinen Raum. Im Christentum dagegen gibt's Elastizität. Es läßt Raum für Unterschiede in geistlicher Hinsicht. Zwar paßt dies den Gedanken der menschlichen Natur nicht, die feste Regeln wünscht. Aber so entspricht es der Vollkommenheit in dem Geiste und in den Wegen Gottes, der auf solche Weise Zuneigungen und Urteilsvermögen bildet. Und gerade hier ist Raum für das Wort des Christus. Hier gibt es Wachstum in jeder Art Weisheit und auch Raum für Übungen im geistlichen Urteil. Im ersten Kapitel fanden wir einen ähnlichen Grundsatz, aber mit dem Unterschied, daß es dort hieß: "Auf daß ihr erfüllt sein möget mit der Erkenntnis Seines Willens. . ., um würdig des Herrn zu wandeln zu allem Wohlgefallen." Dagegen lasen wir im vorliegenden Kapitel, daß "das Wort des Christus reichlich in euch wohne in aller Weisheit". Hier handelt es sich nicht um den Wandel, sondern um Genuß und Anbetung.
Daher heißt es weiter : "Indem ihr euch gegenseitig lehret und ermahnet. . ." Wenn ich Genuß und Anbetung sage, meine ich nicht deren öffentliche Ausübung, sondern ihren Geist, der im Verkehr miteinander zur Auswirkung kommen soll. Was den Unterschied zwischen Psalmen, Lobliedern und geistlichen Liedern anlangt, so nehme ich an, daß ein Psalm eine Komposition erhabeneren Stils war als ein geistliches Lied, das mehr der christlichen Erfahrung, unseren Gefühlen usw. Ausdruck gibt. Beides war in seiner Art und zu seiner Zeit sicherlich sehr gut. Aber es war oder ist nicht das Beste und Höchste. Während ein Psalm also wohl feierlicher sein mag, wendet sich das Loblied unmittelbar an Gott und besteht aus Lobeserhebungen. Bei Psalmen denke ich, nebenbei bemerkt, natürlich nicht an die Psalmen Davids, sondern verstehe unter ihnen christliche Kompositionen.
Die Mahnung, in Gnade oder im Geiste der Gnade zu singen in ihren Herzen, war wohl deshalb gegeben, weil die kolossäischen Gläubigen sich nicht in einem so guten Zustand befanden, wie es - so dürfen wir wohl annehmen z. B. die Epheser waren. "Und alles, was immer ihr tut, im Wort oder im Werk, alles tut im Namen des Herrn Jesus, danksagend Gott, dem Vater, durch ihn" (V. 17 ) . Dieses Wort entspricht dem was schon erwähnt worden ist, nämlich, daß wir in alles den Herrn Jesus hineinbringen sollen. Tun wir es, so ist Segnung unser Teil, statt daß wir überall Betrübendes finden.
Alles in dem Namen des Herrn Jesus tun, umfaßt nicht bloß den Gedanken, daß man Ihm angehört, sondern daß in Ihm vollkommene Gnade gefunden wird. Doch ist der Ausdruck "Herr Jesus" bemerkenswert. Es heißt nicht einfach Christus, sondern "Herr Jesus". Dieser Zusatz schließt unser Verhältnis zu Seiner Autorität ein. Soviel Gnade uns auch erwiesen werden mag, die Autorität wird nicht dadurch geschwächt, und das Ergebnis ist, daß wir Gott, dem Vater, danksagen durch Ihn. Ein Christ, ob Mann, Weib oder Kind, entehrt den Herrn, wenn er dem undankbaren Geist der Welt folgt. "Was immer ihr tut, im Wort oder im Werk, alles tut im Namen des Herrn Jesus." Unsere Art, zu reden sowohl, als auch unsere Weise, zu handeln, sollte ein Beweis sein von unserer Unterwürfigkeit unter Den, vor Dem alle Himmel sich neigen.
Während bisher die Mahnungen des Apostels allgemeiner Natur waren, kommt er jetzt auf besondere Beziehungen zu sprechen. In der Regel beginnt der Geist, wenn Er Ermahnungen dieser Art gibt, bei denen, die sich in einer untergeordneten Stellung befinden, die unter Autorität stehen. Erst dann wendet Er sich an die, die Autorität irgendwelcher Art ausüben. Die Weisheit, die hierin liegt, ist offensichtlich. Wenn diejenigen, die unterwürfig sein sollten, wirklich demütig und bescheiden sind, so gibt es nichts Gewinnenderes für die, die eine autoritative Stellung einnehmen. Der Apostel fängt mit der wichtigsten aller irdischen Beziehungen an, mit der von Weib und Mann. In Übereinstimmung mit dem eben genannten Grundsatz wird das Weib vor dem Manne ermahnt, und zwar wird ihr nachdrücklich geboten, unterwürfig zu sein. "lhr Weiber, seid euren Männern unterwürfig, wie es sich geziemt in dem Herrn" ( V. 18 ) . Nicht unterwürfig zu sein, ist schon der Natur nach ungeziemend, wievielmehr "in dem Herrn".
Die Unterwürfigkeit des Weibes ist das "in dem Herrn" Angemessene. Freilich, das hinzugefügte "in dem Herrn" soll gewiß auch dazu dienen, vorbeugend zu wirken: Wenn ein Ehemann etwas Unrechtes verlangt, so kann Unterwürfigkeit nicht recht sein. Immerhin scheint mir hier aber doch der christliche Grundsatz selbst das Wichtige zu sein. Auf die Frage des "wie" und "wann" wird nicht eingegangen. Man hat schon gemeint, das Weib sei jetzt, weil wir doch alle "einer sind in Christus Jesus", nicht mehr gehalten, unterwürfig zu sein, da doch diese Unterwürfigkeit ein Teil des Fluches und des besonderen Loses des Weibes in Verbindung mit dem Sündenfall sei. Damit, daß das Weib eine Christin werde, nehme dieser Zustand sein Ende, und sie stehe somit, was ihre Stellung angeht, mit ihrem Manne durchaus gleich. Nun ist es ja richtig, daß uns die Schrift eine Stellung sowie Beziehungen zeigt, in denen die Frage von Mann und Weib ausscheidet. Mann und Weib und Kind sind gleicherweise mit dem Christus auferweckt worden. Hier spielen Alter und Geschlecht keine Rolle, und es gibt hier keinen Unterschied. Das wird aber anders, wenn wir zu Beziehungen irdischer Art kommen. Da gibt's Unterschiede. Das muß unbedingt festgehalten werden, denn verkehrte Gedanken hierüber können dahin führen, bedeutsame Grundsätze umzustoßen.
Angenommen z. B., der Mann gäbe seinen ihm angewiesenen Platz als Haupt auf, würde damit das Weib nicht zwangsläufig ihren Platz der Unterwürfigkeit verlieren, an dem sie allein glücklich ist? Und wie wäre es mit dem christlichen Kind, wenn man in dieser Vorstellung weiter ginge? Als Kinder Gottes stehen wir ohne Zweifel alle auf dem gleichen Boden. Vater, Mutter und Kind genießen, wenn sie gläubig sind die gleichen geistlichen Vorrechte. In Christus verschwinden alle Unterschiede, mag es sich um die Menschen selbst oder um ihre Stellung in der Welt handeln. Denken wir aber an irdische Beziehungen ( und die haben wir hier ) , so sind Unterschiede da. Und sie sind nicht gering und auch nicht unwichtig im Blick auf unser gegenwärtiges Leben sowie die Gestaltung unseres Wandels als Christen. Der Unterschied zwischen Mann, Weib und Kind wurde durch den Sündenfall nicht aufgehoben; allerdings wurde er noch weniger durch ihn geschaffen.
Er bestand, ehe die Sünde da war. Der Sündenfall hat ihn in keiner Hinsicht angetastet. Auch das Christentum ist weit davon entfernt, diese Unterschiede zu verwischen; es bestätigt und befestigt sie im Gegenteil. Wenn der Apostel einem Weibe verbietet, zu lehren usw., so tut er es deshalb, weil ein Weib mehr als ein Mann dahin neigt, sich betrügen zu lassen. Adam wurde nicht betrogen. Er war darum um nichts besser als Eva; denn wenn er auch nicht betrogen wurde, so sündigte er doch dreist, und zwar mit offenen Augen, während das Weib durch Schwäche verführt wurde. Hiervon leitet der Apostel sein Gebot ab, daß das Weib nicht lehren und auch nicht herrschen solle, weil eben ihr Gefühlsleben stärker ist als ihr Urteilsvermögen.
Ein Mann mag schlechter sein, aber er neigt weniger dazu, sich betrügen zu lassen. Das Weib wird von ihren Neigungen beherrscht, statt daß sie sich von ihrem Urteil leiten läßt. Deshalb wird, was Neigungen und Gefühle angeht, das Weib nicht so bald einen Fehler machen. Ein weises Weib wird ihre Weisheit darin zeigen, daß sie sich nicht an die Stelle ihres Mannes setzt, noch viel weniger sich über ihn stellt. Wohl kann es sein, daß sie irregeleitet würde, wenn sie Vergleiche zwischen sich und ihrem Mann anstellte. Denkt sie aber an den Herrn, so wird sie gern ihrem Mann die ihm zukommende Vorrangstellung einräumen. Der Grundsatz der Unterwürfigkeit dem Mann gegenüber findet sich an dieser Stelle ohne jede Einschränkung. Wie es sich geziemt in dem Herrn", will nicht so sehr sagen, daß es in dem und dem Maße geschehen soll, sondern daß es für die Weiber eine schickliche Sache in dem Herrn ist, unterwürfig zu sein. Das nächste Wort richtet sich an die Männer.
"lhr Männer, liebet eure Weiber und seid nicht bitter gegen sie" (V. 19). Das Weib braucht nicht ermahnt zu werden, ihren Mann zu lieben. Es wird angenommen, daß ihre Neigungen sie in diesem Stück richtig leiten. Aber es kann leicht sein, daß der Mann sich von den Schwierigkeiten und dem äußeren Druck des Lebens derart gefangennehmen läßt, daß er sich nicht genügend um sein Weib sorgt, oder an ihren Schwierigkeiten nicht genügend teilnimmt. Daher die Ermahnung. Das Weib ist zwangsläufig auf ihren Mann angewiesen. Sie verläßt Vater und Mutter, ja alles und ist abhängig von ihrem Gatten. Hat er nun nicht acht auf sich, so kann es sein, daß er es an der verständnisvollen Liebe, an der täglichen Aufmerksamkeit fehlen läßt, indem er nicht seine Stimmung entsprechend zügelt, was mir mit dem "bitter sein" gemeint zu sein scheint. Da sollte die Liebe, von der der Apostel redet, zu dem Weibe vorhanden sein, sowie Wachsamkeit in bezug auf Beeinflussung durch die Umstände. Da die Außenwelt oft zu Ärger Anlaß gibt, ist der Mann versucht, seinen Unmut daheim auszulassen, vor allem an seinem Weibe.
Das ist menschlich, und es geschieht, wie wir wissen, nur zu oft. Es ist aber nicht christlich. Und weil hiergegen gewacht werden muß, heißt es: "lhr Männer, liebet eure Weiber und seid nicht bitter gegen sie." Dann kommt die Reihe an Eltern und Kinder, und zwar erhalten die Väter eine besondere Ermahnung. "lhr Kinder, gehorchet euren Eltern in allem, denn dies ist wohlgefällig im Herrn" ( V. 20 ) . Auch hier ein Gebot ohne Einschränkung. Wir wissen, daß anderswo Grenzen gezogen sind zu unserer Bewahrung, denn ganz zweifellos hat weder ein Vater noch ein Ehemann irgend ein Recht, auf etwas zu bestehen, was dem Herrn mißfällig ist. Doch davon wird in der vorliegenden Stelle nicht gesprochen. Es wird vorausgesetzt, daß die Meinungen in dieser Hinsicht übereinstimmen. Es kommt dem Apostel darauf an, nachdrücklich zu betonen, daß die Kinder ihren Eltern gehorchen sollen in allem. Und wie ist Gehorsam so gut! Wie angedeutet macht die Schrift anderswo Einschränkungen, aber hier nicht. So ist: "lhr Kinder, gehorchet euren Eltern im Herrn" (Eph. 6, 1) eine solche Einschränkung, und zwar eine sehr wichtige.
Sie bestimmt die Grenzen des Gehorchens, bestimmt, wie und wie weit gegangen werden soll. In der Regel möchte selbst ein schlechter Vater gute Kinder haben. Manche, die trinken oder fluchen, wären bedrückt, wenn ihre Kinder dasselbe täten. "lhr Kinder, gehorchet euren Eltern in allem, denn dies ist wohlgefällig dem (richtiger: im) Herrn." (Luther und andere ältere Übersetzungen auch fremdsprachige haben nach dem ihnen vorliegenden Textus réceptus: "denn das ist d e m Herrn gefällig" . (Anm. des Übersetzers.)) "Dem Herrn" weist einfach auf den Herrn hin als den Einen, dem dieser Gehorsam angenehm ist. Aber wohlgefällig "in dem" Herrn geht ein gut Teil weiter.
Das bedeutet nicht einfach, auf den Herrn als den endgültigen Richter zu blicken, der dann, am Tage der Gerichtssitzung, zufrieden sein wird. Nein, der Christ empfindet jetzt die Liebe seines Herrn. Jetzt erfreut er sich Seines Interesses an all seinen tagtäglichen Wegen und Anfechtungen. Ohne Zweifel wird dieser Herr zu seiner Zeit Sein Urteil über alles fällen, was im Leibe getan worden ist. Aber dieser Umstand sollte jetzt den Christen nur umsomehr darin bestärken, nur das zu tun, was "in dem" Herrn wohlgefällig ist. Die besten Autoritäten sind sich darin einig, daß der Text "in dem Herrn", und nicht "dem Herrn" lauten muß. Es ist wohlgefällig, daß Kinder ihren Eltern gehorchen, nicht nur, weil das der Natur entspricht, sondern - das gilt selbstverständlich nur für den Christen - in dem Herrn. "lhr Väter, ärgert eure Kinder nicht, auf daß sie nicht mutlos werden" ( V. 21 ). Die Mütter werden nicht in dieser Weise ermahnt, da sie in der Regel mehr zu dem entgegengesetzten Fehler neigen, nämlich zu verziehen.
Es gibt für ein Kind nichts Entmutigenderes als der Eltern ständiges unnötiges Nörgeln. Und nichts ist mehr geeignet, Mißtrauen ins Kindesherz zu säen und die Liebe zu den Eltern und die Achtung vor ihnen von vornherein zu schwächen, als unverdiente Bestrafung. Darauf wendet sich der Apostel an die Glieder des Haushalts, die eine niederere Stufe einnehmen: "lhr Knechte, gehorchet in allem euren Herren nach dem Fleische, nicht in Augendienerei, als Menschengefällige, sondern in Einfalt des Herzens, den Herrn fürchtend" ( V. 22 ) . Wir sehen, daß die im Kolosserbrief angeführten Fälle sämtlich ohne Einschränkung sind. Im Epheserbrief ist es anders, denn dort wird auf Dinge hingewiesen, vor denen man auf der Hut sein muß. Ich möchte der Meinung Ausdruck geben, daß dies der glücklicheren und besseren Einstellung der Epheser zuzuschreiben ist. Sie bedurften nicht so sehr eines nachdrücklichen Hinweises auf ihre Pflicht, als vielmehr gewisser Warnungen.
Die Kolosser hatten dagegen nötig, zum Gehorchen ermahnt zu werden. Hat z.B. jemand mit einer wohlgeordneten Familie zu tun, so bedarf es in einem solchen Fall nicht des gleichen Dringens auf Gehorsam, wie es geschehen müßte, wenn das gegenseitige Verhältnis der Familienglieder zueinander ungeordnet ist. Es ist auffallend, daß Eigenwille immer die Begleiterscheinung einer gesetzlichen Gesinnung ist. Es gibt keinen wahren Gehorsam ohne die Macht der Gnade. Wer war das steifnackigste Volk in aller Welt? Die Juden, dieselben Leute, die sich des Gesetzes rühmten. Das gleiche findet sich bei Christen, die aus dem Gesetz eine Lebensregel für sich machen. Sie auch sind weniger gehorsam und machen sich nichts daraus, gegen die Schrift zu verstoßen. Bekanntlich waren die Kolosser in Gefahr, einem Geist der Satzungen und der Gesetzlichkeit nachzugeben. Durch gute Vorschriften zum Gehorsam aber wird der Mensch noch nicht gehorsam. Was bringt denn zum Gehorsam? Der Herzenszustand. Im Herzen müssen die rechten Beweggründe sein.
Und wodurch kommt so etwas zustande? Durch die Liebe. Die Liebe zu jemand ruft ein Pflichtund Hingabegefühl ihm gegenüber hervor und wirkt auf das Herz ein. Das macht das Gehorchen leicht. Vorschriften haben nie die Kraft, Gehorsam zu erzeugen. Sie sind in gewissen Fällen der Prüfstein, um festzustellen, ob Gehorsam vorhanden ist. Dies ist sogar wahr von den Geboten Christi selbst. Der nur hält sie, der Ihn liebt, und nur er. Die Liebe zu Ihm weckt Gehorsam. Lieben wir Ihn, so liegt alles, was Er sagt, uns am Herzen. Wir bewahren es in unserem Sinn und Gedächtnis - nicht nur Seine Gebote, sondern alle Seine Worte. Wie gar schnell aber wird beides vergessen, wenn wir nicht lieben! In Johannes 14 finden wir Gebot und Wort ausdrücklich auseinandergehalten. Zuerst spricht der Herr von Seinen "Geboten", dann von Seinen "Worten". In Wahrheit ist es so: Da, wo ein Herz liebt, wirkt jede Willensäußerung, von dem es Kenntnis erhält, auf die Zuneigungen ein, selbst ohne ein ausdrückliches Gebot.
"lhr Knechte, gehorchet in allem euren Herren nach dem Fleische." Das ist ein sehr wichtiges Wort. Das Christentum hat zweifellos Gefühle, Gewohnheiten usw. besonderer Art mit sich gebracht, auch Schwierigkeiten. (Nicht daß letztere hätten kommen müssen ; sie kamen als Ergebnisse einer fleischlichen Gesinnung. ) Ein Leibeigener sah sich plötzlich seinem Gebieter als Bruder gegenüber. War er da nicht wachsam, so konnte es geschehen, daß er bald anfing, den Richter über seinen Herrn zu spielen, ob dieser wohl dies sagen oder jenes tun dürfe. Tadelte sein Herr ihn einer Sache wegen, so konnte es sein, daß er eine solche Handlungsweise als fleischlich betrachtete usw.. Man kann ja so schnell in eine verkehrte Geistesverfassung hineingeraten. Diese Gefahr ist besonders groß für einen Knecht, der täglich die Schwachheiten seines Herrn zu beobachten Gelegenheit hat und so in Versuchung kommt, diesen nach den bösen Gedanken seines eigenen Herzens zu richten. Ein Mensch aber, der Christus kennen gelernt hat, sollte alles besser machen, als er es vorher tat. Die Auffassung des Knechtes, sein Herr dürfte, weil er es mit einem Christen zu tun hat, kein Aufhebens von allen schlecht ausgeführten Pflichten machen, ist eitel Selbstsucht. Der Umstand, daß es heutzutage keine Leibeigenen mehr gibt, ändert hieran gar nichts. Der Unterschied ist nur, daß die Lage für die Gläubigen jener Tage weit schwieriger war, weil Knechte oft heidnischen Herren zu dienen hatten.
Die Hauptsache ist in jedem Fall, daß wir an dem Platz, auf den wir gestellt sind, allezeit den Herrn Jesus und Seinen Willen im Gedächtnis halten. Wir gehören Ihm so uneingeschränkt an, daß wir in allen Dingen Seinem Geheiß nachzukommen haben. Deshalb ist es gut sich um Stellungen zu mühen die in Übereinstimmung mit Seinem Willen sind, damit wir ohne Gewissensbisse unsere Arbeit tun und in Frieden mit Gott wandeln können. Ein überängstliches Gewissen freilich ist auch in bezug auf diese Dinge eine gefährliche Sache, obwohl es bei weitem einem beschwerten oder schlechten vorzuziehen ist.
Aber Gefahren sind damit verbunden denn wie ein zu straff gespannter Bogen zu zerbrechen droht, so kann ein überängstliches Gewissen sich in ein schlechtes verwandeln. Vergessen wir nicht: Es gibt keinen Platz in dieser Welt, an dem man Gott nicht verherrlichen könnte, einen Ort der Sünde natürlich ausgenommen. "Was irgend ihr tut, arbeitet von Herzen, als dem Herrn und nicht den Menschen, da ihr wisset, daß ihr vom Herrn die Vergeltung des Erbes empfangen werdet; ihr dienet dem Herrn Christus" ( V. 23. 24 ) . Das heißt mit anderen Worten: Befaßt euch nicht so sehr mit der Tatsache, daß ihr einem irdischen Herrn dient. Denkt lieber daran: "lhr dienet dem Herrn Christus." Auf diese Weise werdet ihr um so treuer euren irdischen Herren dienen, indem ihr von Herzen tut, was immer ihr tut, nicht nur, weil es so recht ist, sondern weil das Herz dabei ist. Seiner Ermahnung Iäßt der Apostel noch das bemerkenswerte Wort folgen: "Denn wer unrecht tut, wird das Unrecht empfangen, das er getan hat; und da ist kein Ansehen der Person" ( V. 25 ) . Dies schließt beides, Gegenwart und Zukunft ein, denn meines Erachtens ist es ein Grundsatz von allgemeiner Bedeutung. Die Epheser waren in einer Verfassung, daß ihnen die Liebe Christi zu Seiner Versammlung entfaltet und eindringlich ans Herz gelegt werden konnte.
Die Ermahnungen an die Kolosser, deren Zustand wohl nicht so gesund war, erreichen nicht diese Höhe. Bei ihnen war Gewissensübung vonnöten. Da der erste Vers des vierten Kapitels zu den besonderen Ermahnungen gehört, mit denen szch der Schluß des vorhergehenden befaßt, sollte das vierte Kapitel eigentlich mit dem zweiten Verse beginnen, wenigstens dann, wenn die Einteilung dem behandelten Stoff entsprechen soll. Die Ermahnungen an die Weiber und Männer stehen zueinander in Wechselbeziehung, ebenso die an die Kinder und Väter, sowie die an die Knechte und Hcrren gerichteten.
So haben wir drei Paare dieser eindringlichen Aufforderungen. Folgender Unterschied ist beachtenswert: Mann und Weib waren von Anfang an da. Dagegen sind die Beziehungen von Herr und Knecht jüngeren Datums. Was die Kinder angeht, so wird freilich auch mit ihnen von Anfang an gerechnet. Immerhin waren sie im Paradiese noch nicht da. Gott trug Sorge, daß es vor dem Sündenfall keine Nachkomrnen gab, kein Verhältnis Eltern und Kinder. Wenn wir zum Vergleich das Verhältnis Christus und die Versammlung heranziehen, so haben wir hier einen überaus schönen und interessanten Gegensatz. Erst nachdem Christus Gott vollkommen verherrlicht hatte, wurde Er das Haupt einer Familie. Bei Adam war es, wie gesagt, so, daß Kinder erst nach dem Sündenfall geboren wurden. Gott hat die Dinge so geordnet, denn welch eine Verwirrung hätte es gegeben, wenn einige Kinder im Zustand der Unschuld, andere dagegen in dem der Sünde zur Welt gekommen wären! Bis zum Sündenfall gab es noch keine Familie in dem Sinn, daß Kinder da gewesen wären. Doch auch nach dem Sündenfall war der deutlich ausgesprochene Wille Gottes, daß die Menschen sich mehrten und die Erde füllten. (Vergl. 1. Mose 9, 1. 7.) Das Verhältnis Herren und Knechte (das in unserem Brief als bestehend vorausgesetzt wird) war dagegen einzig das Ergebnis des Eintritts der Sünde in die Welt. Übrigens hören wir nichts von Leibeigenen vor der Flut, obgleich Noah dieses Verhältnis im Blick auf Kanaan bald nachher voraussagte.
Ich möchte annehmen, daß Nimrod, der gewaltige Jäger, der erste war, der seine Verschlagenheit und Gewalttätigkeit auch in dieser Richtung erwiesen hat. Trifft diese Annahme zu, so haben wir in diesen Zusammenhängen eine bemerkenswerte Stufenfolge: Mann und Weib im Paradiese; Kinder, geboren nach dem Sündenfall, aber vor der Flut; von Knechten keine Rede als bis nach der Flut. Damit will ich natürlich nicht sagen, daß die Schrift dieses letzte Verhältnis nicht anerkenne. Ich denke nicht daran. Aber ist es nicht doch bemerkenswert daß wir dieses Verhältnis nicht nur erst nach dem Sündenfall, sondern sogar erst nach dem großen Gericht finden das Gott über die Erde gebracht hat? Daß Menschen ihre Mitmenschen als Eigentum oder Sklaven besitzen, ist also ein Zustand, der sehr weit davon entfernt ist, gottgemäß zu sein. Und doch läßt Gott ihn bestehen.
Nur heißt es: "lhr Herren, gewähret euren Knechten, was recht und billig ist." In unseren Gegenden ist das Verhältnis ein beiderseits freiwillig eingegangenes mit entsprechenden Vorrechten und Pflichten. In der vorliegenden Stelle handelt es sich dagegen um Sklaven, um Menschen, die anderen als Eigentum gehörten. Trotzdem werden die Herren aufgefordert, diese Sklaven von einem durchaus unparteischen Standpunkt aus zu behandeln. Und dieses "gewähret euren Knechten, was recht und billig ist", ist nicht nur anzuwenden auf das Verhältnis zwischen Herr und Sklave, sondern auch allgemein auf das Verhältnis zwischen den Sklaven untereinander. Wieviel Verwirrung und Unbill konnte nicht in einem Haushalt dadurch entstehen, daß das Gleichgewicht zwischen den Sklaven gestört wurde! Da trifft die Weisheit Gottes Vorkehrungen für alles, selbst für das, was die verachteten Leibeigenen betrifft. Beachten wir auch, daß es heißt, was "recht" ist.
Von Gnade ist keine Rede. Gnade kann man niemals fordern. Das zeigt sehr klar der Brief des Apostels an Philemon. Freilich war es der Wunsch des Apostels, daß Gnade erwiesen wurde. Er fordert sie aber nicht, sondern schlägt, um zum Ziel zu kommen, einen anderen Weg ein: Er bringt Dinge vor, die geeignet waren, das Herz gnädig zu stimmen. Er schreibt dem Philemon nicht vor, was er tun solle, sondern erinnert ihn an sein himmlisches Verhältnis und überläßt dann den Fall der Gnade des Philemon. Obgleich der entlaufene Sklave gerechterweise das Leben verwirkt hatte, da römische und tatsächlich auch alle sonstigen Sklavenhalter das Recht hatten, derartige Fälle also zu ahnden, so war es doch sein Wunsch Philemon möchte den Onesimus jetzt wieder aufnehmen, und zwar fortan nicht mehr als einen Sklaven, sondern als einen Bruder. Hier im Kolosserbrief hingegen handelt es sich um däs, was "recht und billig" ist. Denn der Ausdruck "recht" bedeutet das, was dem Recht entspricht. Gnade wäre in diesem Fall nicht das Passende, weil sie mehr oder weniger die Tür offen läßt, um sich dem, was recht ist, zu entziehen. Gerechtigkeit hält Verpflichtungen aufrecht. Im Epheserbrief heißt es: "und lasset dasDrohen".
Es war Unrecht, einen Sklaven mit gewalttätigen Maßnahmen auch nur zu bedrohen. Den Kolossern, die nicht so standen wie die Epheser, wird dagegen klar und offen gesagt, was sie zu tun hatten. Ihnen wird nahegelegt, nach Recht und Billigkeit zu handeln. Sie sollten gewisse Punkte anerkennen, die die Herren ihren Sklaven gegenüber zu erfüllen hatten. Es ist, als ob der Apostel ihnen zuriefe: Bildet euch nur nicht ein, ihr Herren, daß alle Pflichten auf einer Seite liegen! Ihr habt auch Pflichten euren Sklaven gegenüber. Diese oft vergessene Verantwortung scheint mir mit dem Worte "recht" verbunden zu sein, während "billig" oder "gleich" (Wörtlich: die Gleichheit, Gleichmäßigkeit bzw. Billigkeit.) ein Sichgehenlassen unterbindet bezüglich einer launenhaften Bevorzugung des einen Sklaven vor dem anderen. Die rationalistische Philosophie gründet sich hauptsächlich auf das Bestreben, das Wort "Pflicht" auszumerzen. Ich habe Leute, selbst kirchliche Leute, gekannt, die dahin neigten, alle Verpflichtungen zu verneinen, die einem Christen als solchem obliegen. Das ist aber ein verhängnisvoller Irrtum. Ohne Zweifel verleiht die Gnade allein Kraft aber sittliche Verpflichtungen bleiben stets bindend.
"Beharret im Gebet und wachet in demselben mit Danksagung" (V.2). Die Gewohnheit, die beharrende Gewohnheit des Betens ist von äußerster Wichtigkeit. Man möchte an Lukas 18 denken, so dringend betont dieses Kapitel das Anhalten im Gebet, mag auch der Apostel hier nicht einen so völlig aufgeschlossenen und hingegebenen Geist des Flehens erwarten wie in Epheser 6. Tiefen sehnlichen Verlangens oder eine Weitherzigkeit der Zuneigungen gegen alle Gläubigen, wie wir sie im Epheserbrief finden, Zuneigungen, die dem Herzen Christi entsprechen, ließ der Zustand der Kolosser nicht zu. Gesetzlichkeit, Satzungen, Philosophie - solches finden wir bei den Kolossern - atmen den Geist des Geschöpfes, aber nicht denjenigen Gottes, wenn Er recht erkannt wird. Sie sind nicht Christus und weit davon entfernt, alle zu umfassen, die Sein sind.
Nichtsdestoweniger rechnet der Apostel hier wie dort auf einen Sinn, der stets darauf bedacht ist, Schwierigkeiten oder Glücksumstände Freuden oder Kümrnernisse, ja, alles und jedes zu einem Anliegen zu machen, das vor Gott gebracht wird, und das nicht in einem mürrischen Sorgengeist, sondern in einem Geiste dankbarer Anerkennung Seiner Güte und vollen Vertrauens zu Ihm. Wie schön, daß selbst das Seufzen des Geistes in dem Gläubigen Befreiung voraussetzt, und nicht nur ein selbstisches Empfinden des vorhandenen Übels! Ich spreche von Befreiung natürlich nicht in dem Sinne einer ein für allemal vollendeten Tatsache, so als ob das Übel fortan durch überirdische Macht niedergerungen würde und tatsächlich vom Schauplatz verschwunden wäre. Wir kennen den Sieg als in dem Tode und der Auferstehung Christi davongetragen; und da wir das Unterpfand des Geistes haben, fühlen wir den Gegensatz zwischen den gegenwärtigen Dingen und jener Herrlichkeit, von der Er uns einen Begriff dadurch gibt, daß Christus dorthin erhoben ist, Er, die Hoffnung aller Gläubigen bei Seinem Kommen.
Das Bewußtsein der uns heute schon erzeigten und in Christus sichergestellten Gunst macht uns dankbar, und das schon während wir von Gott das Gute erbitten, das dieser Gunst heute entspricht. Ist die Befreiung einmal völlig da und damit das Übel durch Seine Macht endgültig verschwunden, wird das Ergebnis dieser Gunst würdig sein. Diese Dinge sind gewiß. Doch es ist bemerkenswert zu sehen, wie der Apostel die Gebete der Gläubigen schätzt und darum bittet: "Und betet zu-gleich auch für uns, auf daß Gott uns eine Tür des Wortes auftue, um das Geheimnis des Christus zu reden, um deswillen ich auch gebunden bin" (V. 3). Der Wert gemeinsamen Gebets ist groß. Aber es ist Gott doch sehr wichtig, daß wir Ihn persönlich bittend angehen, und dies ganz besonders dann, wenn es im Interesse Seiner Versammlung und des Evangeliums geschieht - kurz, im Interesse Christi. Wie wenig war der Apostel selbst in diesen für ihn weit vorgerückten Tagen entmutigt!
Er schreibt den Kolossern aus der Haft, die ihm sein Zeugnis für jenes Geheimnis eingetragen hatte. Um dieses Geheimnisses willen wünschte er auch jetzt noch, der Gegenstand ihres Flehens zu Gott zu sein. (V. 4.) Als nächsten Punkt kommt Paulus wieder darauf zu sprechen, was für die Kolosser selbst erforderlich war. Sie sollten weise wandeln, indem sie ihr Augenmerk auf die richteten, welche draußen sind, und jede passende Gelegenheit wahrnahmen. (Daß der Gebetsdienst, wie wir ihn uns vorgestellt haben, ebenso zu ihrer eigenen Segnung wie zum Wohle anderer gereichen würde, bezweifle ich nicht. ) "Wandelt in Weisheit gegen die, welche draußen sind, die gelegene Zeit auskaufend. Euer Wort sei allezeit in Gnade, mit Salz gewürzt, um zu wissen, wie ihr jedem einzelnen antworten sollt ( V. 5 . 6 ) . Die Gnade verleiht uns die schöne Glut göttlicher Milde für die, die sie nicht verdienen; sie läßt uns alles das zur Entfaltung bringen, was Gott in Christus für alle diejenigen sein will, die dieser Welt angehören.
Salz stellt die bewahrende Heiligkeit dar, die erhaltende Energie der Rechtsansprüche Gottes inmitten des Verderbens. Es heißt nicht "allezeit in Salz", mit Gnade gewürzt, sondern umgekehrt "allezeit in Gnade", mit Salz gewürzt. Die Gnade sollte stets wirksam, sollte die Triebfeder all unseres Redens sein. Aber, wie sehr unsere Meinungen auch in dem und jenem auseinandergehen mögen, die Gerechtigkeit muß unverletzt aufrecht erhalten werden. Diese Verbindung von göttlicher Liebe mit einem bedingungslosen Aufrechterhalten dessen, was Gottes heiligem und gerechtem Willen geziemt, ist das, was den Christen darüber lehrt, nicht nur: was er antworten, sondern: wie er jedem einzelnen antworten soll. Es folgen dann persönliche Mitteilungen. ( V. 7-18. )
Man beachte, mit welch bemerkenswerter Sorgfalt der Apostel darauf bedacht ist, daß vertrauenswürdige Arbeiter hochgehalten und empfohlen werden! Er weiß gut darum Bescheid, wie es den Menschen eigen ist, verleumderisch von solchen zu reden, deren Fehler sie sehen, hinter deren Dienst sie aber selbst weit zurückstehen. "Alles, was mich angeht, wird euch Tychikus kundtun, der geliebte Bruder und treue Diener und Mitknecht in dem Herrn, den ich eben dieserhalb zu euch gesandt habe, auf daß er eure Umstände erfahre und eure Herzen tröste, mit Onesimus, dem treuen und geliebten Bruder, der von euch ist; sie werden euch alles kundtun, was hier vorgeht" ( V. 7-9 ) . Diese Überfülle liebenden Empfehlens verdient, ausgiebig erwogen zu werden. Fehlt es hierin, so führt das dazu, daß die Bande der Liebe unter Gläubigen sich lockern und verschieben. Man bemerke ferner, daß die Liebe damit rechnet, daß andere sich für unsere Umstände im gleichen Maße interessieren, wie sie uns an deren Umständen von Herzen teilnehmen läßt.
"Es grüßt euch Aristarchus, mein Mitgefangener, und Markus, der Neffe des Barnabas, betreffs dessen ihr Befehle erhalten habt, (wenn er zu euch kommt, so nehmet ihn auf) und Jesus, genannt Justus, die aus der Beschneidung sind. Diese allein sind Mitarbeiter am Reiche Gottes, die mir ein Trost gewesen sind" (V. 10. 11). Wenn man diese Bemerkungen hier mit denen an Philemon vergleicht, so fällt ein eigenartiger Wechsel auf. Im Kolosserbrief wird Aristarchus als Teilnehmer an der Gefangenschaft des Apostels genannt, im Brief an Philemon dagegen Epaphras. Bei Philemon heißt Aristarchus mit anderen einfach Mitarbeiter des Apostels ähnlich wie hier im Kolosserbrief von Epaphras geredet wird.
Der Apostel nennt ihn einen "Knecht Christi". Die beiden Männer mögen, wie man vermutet hat, nacheinander die Haft des Apostels geteilt haben. Fest steht jedenfalls, daß Aristarchus nicht nur in Asien, sondern auch während der Reise nach Rom des Paulus Reisegefährte war. So kann man, wie ich denke, annehmen, daß der Kolosserbrief zum mindesten etwas vor dem Philemonbrief geschrieben worden ist, obschon wahrscheinlich beide, allgemein besehen, zu demselben Zeitpunkt verfaßt und durch dieselben Hände befördert worden sind. Beides waren Briefe des Apostels, des Gefangenen in Rom. Schön ist auch die Gnade, die ausdrücklich die Aufnahme des Markus einschärft. Die Erinnerung an Vergangenes würde ihm kaum einen herzlichen Willkomm gesichert haben; sie hätte im Gegenteil für seinen Dienst unter den Gläubigen ein Hindernis sein müssen. Wie wir hier einerseits das Geheimnis der Parteinahme des Barnabas für Markus erfahren gelegentlich des Bruchs mit dem Apostel in früheren Tagen ( er war sein Neffe ) , so sehen wir anderseits, daß wirkliche Liebe ebenso edelmütig wie treu ist. Sie ist für den Herrn tätig, koste es, was es wolle; und es ist ihre Freude, erforderlichenfalls - mag es der Natur selbst peinlich sein - vernehmlich und herzlich da zu loben wo durch das Wirken der Gnade Gottes ein Hindernis aus dem Wege geräumt werden konnte.
Von Jesus, genannt Justus, wissen wir nicht mehr, als daß er, wie Markus, aus der Beschneidung und, wie dieser, dem Apostel als Mitarbeiter ein Trost war - eine seltene Erscheinung unter denen, denen das Gesetz und seine Vorurteile zur Richtschnur geworden waren. Der in Apostelgeschichte 18, 7 erwähnte Justus war ein heidnischer Proselyt. Barsabas, einer der beiden im Anfang für das Apostelamt aufgestellten Kandidaten, der selbstverständlich ein Jude war, hatte freilich auch den Zunamen Justus ( Apstgsch. 1, 23 ) , hieß aber nicht Jesus wie der in Frage stehende. "Es grüßt euch Epaphras, der von euch ist, ein Knecht Christi Jesu, der allezeit für euch ringt in den Gebeten, auf daß ihr stehet vollkommen und völlig überzeugt in allem Willen Gottes. Denn ich gebe ihm Zeugnis, daß er viel Mühe hat um euch und die in Laodicäa und die in Hierapolis" (V. 12. 13 ) .
Es mußte für die Kolosser eine Freude sein, zu erfahren, daß Epaphras, der selbst ein Kolosser war wie Onesimus, in der Liebe und Wertschätzung des Apostels (Kap. 1, 7) nicht höher stand als in dem eifrigen Gedenken an sie vor Gott, indem er allezeit um ihre Segnungen rang. Das eine entsprach dem anderen. Man bemerke auch, daß die Lehre des Briefes ( daß wir vollendet oder zur Fülle gebracht sind gemäß der ganzen Fülle, die in Christus ist) die Grundlage ist, auf der Wünsche und Fürbitten für die Gläubigen dargebracht werden, damit sie praktisch vollkommen und völlig gewiß seien betreffs allem, worüber Gott einen Willen kundgegeben hat. Es war auch nicht so, daß Epaphras sich nur für eine einzige Versammlung eingesetzt hätte. Eine solche Engherzigkeit gab es bei ihm nicht, mochte er auch besonders liebevoll der Nöte an den Orten gedenken, wo Menschen und Umstände ihm genauer bekannt waren. Es grüßt euch Lukas, der geliebte Arzt, und Demas" (V. 14). Der beruflichen Tätigkeit des Lukas wurde dadurch kein Ende gemacht, daß er ein Gläubiger und Diener Christi und sogar ein inspirierter Schreiber war.
Demas, möchte ich annehmen, besaß schon jetzt nicht mehr das Vertrauen des Apostels, der seinen Namen mit einem bedeutsamen Schweigen und ohne ein liebeatmendes Wort anführt eine bei dem Apostel ganz ungewohnte Sache. Auch in dem etwa um dieselbe Zeit geschriebenen Brief an Philemon erscheint er einfach als sein Mitarbeiter. Und im 2. Brief an Timotheus hören wir, daß er den Apostel verlassen habe, da er den jetzigen Zeitlauf liebgewonnen hatte. Es ging rasch abwärts mit ihm, und wir haben kein Zeugnis von seiner Wiederherstellung. Aber ein noch weitergehendes Abfallen stand nahe bevor (2. Tim. 1, 15); denn wenn das Eis einmal durchbrochen ist, so gleiten manche rasch durch die Spalten. Was den Apostel betrifft - er hatte den guten Kampf gekämpft, er hatte den Lauf vollendet, er hatte den Glauben bewahrt. Die Leute aber, die wenig wegen geleisteter Aufbauarbeit bekannt waren, waren umso tätiger, irrezuführen, dem Wort eines Weltweisen entsprechend: Die Hand, die keine Hütte bauen kann, vermag einen Palast zu zerstören.
Doch der feste Grund Gottes steht. "Grüßet die Brüder in Laodicäa, und Nymphas und die Versammlung, die in seinem Hause ist. Und wenn der Brief bei euch gelesen ist, so machet, daß er auch in der Versammlung der Laodicäer gelesen werde, und daß auch ihr den aus Laodicäa leset" (V. 15. 16). Ob der hier genannte Brief der ist, der allgemein als der Brief an die Epheser bekannt ist ( der den Charakter eines Rundschreibens hat), oder ob es der an Philemon ist (der wahrscheinlich in oder nahe bei Laodicäa gewohnt hat); oder ob es sich auf einen nicht mehr vorhandenen Brief bezieht (möglicherweise buchstäblich von Laodicäa an Paulus geschrieben), ist eine unter Gelehrten viel umstrittene Frage. Zwei Bemerkungen seien hierzu gestattet, die sicher scheinen. 1. Es wäre in der Tat eine sonderbare Art, mit dem Brief "aus Laodicäa" einen an die dortige Gemeinde geschriebenen Brief zu bezeichnen.
Da wäre die Annahme schon natürlicher, daß ein Brief damit gemeint ist, der damals dort im Umlauf und zugleich auch für die kolossäischen Gläubigen bestimmt war, mochte er gerichtet sein, an wen er wollte. 2. Es findet sich in der Schrift kein Grund, der gegen die Annahme spricht, daß mehr Briefe geschrieben worden sind, als wir besitzen. Gott hat aber nur diejenigen aufbewahrt, die dazu bestimmt waren, den Seinigen dauernd Führer zu sein. Aber daß der Brief aus Laodicäa, auf den hier angespielt wird, ein verlorengegangener, an Laodicäa gerichteter Brief gewesen sei, wird durch nichts bewiesen. Zweifellos war der an die Kolosser geschriebene Brief zur Weiterleitung nach Laodicäa bestimmt.
Der Brief, den die Laodicäer nach Kolossäa schicken sollten, mag an sie adressiert gewesen sein, aber die Art des Schreibens nötigt nicht zu einer solchen Annahme. Jedenfalls geht aus allem hervor, daß die Versammlungen durch Bande der Liebe sowie der Bereitschaft, sich gegenseitig zu nützen, verbunden waren. "Und saget Archippus: Sieh auf den Dienst, den du im Herrn empfangen hast, daß du ihn erfüllest" (V. 17). Die Brüder dürfen sich ihrer Verantwortlichkeit und ihrer Verpflichtung zur Ausübung gottgemäßer Zucht nicht entziehen. Aber der Dienst wird von und in dem Herrn empfangen. Die Versammlung stellt nie zum Dienst am Wort an, sondern nur Christus, das Haupt, obgleich Apostel oder deren Beorderte (nie die Versammlung) für Ihn handelten, wenn es um die Frage eines örtlichen Amts ging. Schließlich kommt "das Zeichen in jedem Briefe" - zum mindesten in seinem gewöhnlichen Wirkungskreise als Apostel der Nicht-Beschneidung. "Der Gruß mit meiner, des Paulus, Hand. Gedenket meiner Bande. Die Gnade sei mit euch!" (V. 18).