2.) Markus

12/23/2022
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

BUCHERÖFFNUNG 1,1 

1 Anfang des Evangeliums Jesu Christi 1Kor 15,3-5 

Vorbemerkung 1."Anfang". Viele Ausleger beziehen "Anfang des Evangeliums" auf die Wirksamkeit des Täufers, also auf die folgenden acht oder höchstens dreizehn Verse. Aber für den unbefangenen Blick eröffnet dieser erste Satz nach Stellung und Form das ganze Buch. Jüdische Schriftsteller haben ihre Werke oft mit solch einem kurzen prädikatslosen Sätzchen eröffnet. Man vergleiche auch im NT die Anfänge vom Matthäusevangelium und der Offenbarung und im AT die der Bücher Sprüche, Prediger und Hohelied. In keinem dieser Fälle beschlagnahmen wir diese Eröffnungen für die nächsten wenigen Verse.  

Andere Ausleger verstehen "Anfang" im Sinne von "Anfangsgründe" oder "Grundlegung". Dann hätte Markus hier das Schema von Grundlegung und Entfaltung vorgeschwebt. Seine Leser in Rom standen ja im Erleben der Entfaltung des Evangeliums, nämlich der Mission in der ganzen Welt, wie sie später Lukas in seiner Apostelgeschichte zum Thema gemacht hat. 

Demgegenüber hätte Markus sich das Ziel gesetzt, die Grundlagen dieser Botschaft zu dokumentieren, also die Zeugnisse vom Erdenwirken Jesu in Palästina. Das wird der Sache nach zutreffen. Sicher beseelte ihn, ähnlich wie später Lukas für sein erstes Buch, die Absicht, zu schreiben, "damit du die Zuverlässigkeit der Lehrworte, über die du unterrichtet worden bist, feststellen kannst" (Lk 1,4). 

Aber hat Markus das hier ausgedrückt? Steckt das alles in dieser so kurzen, formelhaften Bucheröffnung?    Unsere Auslegung wird mit G. Arnold ein viel schlichteres Verständnis anbieten, das Pesch (I, S. 76) leider ohne Begründung ablehnt, offensichtlich, weil es so arg schlicht ist.    2. Satzabtrennung. Manchmal wirft der Umstand, daß die alten griechischen Handschriften keine Zeichensetzung kannten, Schwierigkeiten auf. Ohne jeden Hinweis folgte ein Wort dem anderen, so daß die Leser z.B. bei Satzabtrennungen sich selbst überlassen waren. 

Ein Teil der Ausleger setzt nun hinter unserem Vers nur ein Komma und begründet das damit, daß die Zitierformel im nächsten Vers "wie geschrieben steht" in den etwa 25 Fällen des NT und auch in der LXX nie einen Satz anführt, sondern immer einen Vordersatz begründet. Das beeindruckt schon. Danach würde also V.2 unsern Vers erläutern: 

Der Anfang des Evangeliums geschah so, wie es Jesaja sagte, also durch das Auftreten des Johannes. Aber wieder wenden wir ein, daß auf diese Weise der Charakter des ersten Verses als einer Bucherföffnung aufgelöst würde. Es trifft zwar zu, daß jene Zitierformel in den Parallelen nie an der Spitze eines Satzes steht, immerhin aber sehr häufig die Konjunktion "wie" für sich genommen (vgl. Bl-Debr 453,2). Darum können wir hier eine Ausnahme von der Regel nicht ausschließen (s. Auslegung). Matthäus und Lukas haben diese Regelwidrigkeit auch empfunden und durch Umstellung vermieden.    

3. Der Zusatz "des Sohnes Gottes". Die überwiegende Zahl der Handschriften von der Frühzeit bis ins Mittelalter beendet unsern Vers mit den Worten "des Sohnes Gottes". Trotzdem stellen diese Worte kaum ursprünglichen Markustext dar. So entscheiden sich z.B. die Lutherübersetzung von 1956 und die Revidierte Elberfelder Bibel, die Handschriftenforscher Tischendorf, Nestle und Aland, die Ausleger Rienecker, Wohlenberg, Vielhauer, Schmithals, Haenchen, Schniewind, Schweizer, Pesch und J. Slomp. Wie kommt dies Urteil zustande?    

Ausgangspunkt ist die Tatsache, daß der Sohn-Gottes-Titel im sehr bedeutenden Kodex Sinaiticus an dieser Stelle ursprünglich fehlte und erst von zweiter Hand eingetragen ist. Ebenfalls fehlt er in einigen mittelalterlichen Handschriften, aber auch in alten Übersetzungen (syrische, armenische und georgische). Vor allem läßt die Art, wie eine Reihe von Kirchenvätern unsern Vers in ihren Abhandlungen zitieren, erkennen, daß auch ihnen eine Textform ohne "Sohn Gottes" vorlag (z.B. Origines, Irenäus, Epiphanes und Hieronymus). 

Dabei sind diese Väter über allen Verdacht erhaben, den Titel aus dogmatischen Gründen überschlagen zu haben.    Wie erklären sich die beiden Lesarten? Liegt ein Versehen vor, indem ein Abschreiber das Versende übersprang und so einen unvollständigen Text hinterließ, der in der Folgezeit immer wieder abgeschrieben wurde? Aber das ist bei der ersten Zeile eines Buches und bei der Kürze des Satzes kaum vorstellbar. Am besten erklärt sich der Befund so: Markus schrieb den Kurztext. Aber die auch sonst bekannte Abschreibersitte, im frommen Eifer Überschriften oder überschriftartige Sätze biblischer Bücher zu erweitern (s. Einleitungsfragen 1), führte auch hier zur Anreicherung. Dazu diente dem Abschreiber die aus dem christlichen Gottesdienst wohlvertraute Bekenntnisformel: "Christus der Sohn Gottes". Die umgekehrte Vorstellung, daß er das ehrwürdige Bekenntnis, das sowohl ein Hauptthema des Markus als auch ein Kernanliegen der Alten Kirche war, an dieser so sichtbaren Stelle strich, ist bisher nicht wahrscheinlich gemacht worden.    

Wenn ein Redner seine verschiedenen Vorbemerkungen gemacht hat, hebt er wohl die Stimme und sagt: Nun zur Sache, beginnen wir mit dem Thema! Diese Rednersitte ist auch in die Schriftstellerei eingedrungen. G. Arnold hat in seinem Aufsatz von 1977 zahlreiche Belege aus dem Altertum vorgeführt, wie Schriftsteller ihre Vorbemerkungen ausdrücklich von ihrem Haupttext abhoben, indem sie an gewisser Stelle vom "Anfang" ihres Themas sprachen. 

Dieser Anfang rückt nach vorn, je kürzer die allgemeinen Bemerkungen ausfielen, und konnte wie im Fall des Markus auch schon in der ersten Zeile stehen. Bei Hosea z.B. erscheint er erst im zweiten Vers. Der Wortlaut nach der LXX: "Anfang des Wortes des Herrn an Hosea". So lesen wir in zahlreichen Schriften des Altertums vom Anfang eines "Wortes", einer "Erzählung", eines "Buches" oder einer "Geschichte".    

Auch Markus markiert in Schriftstellerweise seinen Anfang, nämlich des "Evangeliums", und überführt damit die bisher überwiegend mündliche Jesusüberlieferung bewußt in die Literatur. Er verleiht ihr Buchform. Ein vergleichbarer Vorgang war rund zwanzig Jahre vorher die Geburt der Gemeindeseelsorge in Briefform, damals als Ersatz für den persönlichen Apostelbesuch (1Thes 2,27-3,6; 5,27).    Evangelium war im 1. Jh. gemeinchristlicher Kurzausdruck für die missionarische Botschaft. Wir begegnen ihm innerhalb des NT besonders bei Paulus (60mal, neben nur 16 Belegen sonst). Aber Paulus konnte, wie der Römerbrief zeigt, diesen Begriff auch in der fernen Hauptstadt als geläufig voraussetzen, also in einer Gemeinde, die er nicht selbst gegründet und geprägt hat. Der Ausdruck war somit überall gängig. Der Inhalt des Evangeliums ist Jesus Christus. In 1Kor 15,3-5 definiert Paulus noch genauer: Der Inhalt des Evangeliums ist die Verkündigung des gekreuzigten, begrabenen, auferstandenen und den Zwölfen erschienenen Messias. Dafür kann Paulus sich auf einen Konsensus zwischen allen Missionaren berufen (V.11).    

Viel zu wenig bedacht wird allerdings, daß die Rede von einem gekreuzigten Messias von Anfang an nicht allein stehen konnte, war doch weder das Judentum noch das Heidentum auf einen solchen vorbereitet. Schon nach einer Viertelstunde mußte der Prediger Fragen über Fragen erwarten: Wer war dieser Gehenkte? Woher stammte er? Warum starb er so? Was hat er getan? Was lehrte er? Darauf antworteten die Erzähler (s. Einleitungsfragen 2f), die die christlichen Missionare begleiteten, mit der Jesusüberlieferung. Durch autorisierten Gedächtnisstoff gaben sie Auskunft. Das Neue ab 70, also nach einer Generation, bestand somit nicht darin, daß erst jetzt die Jesusüberlieferung zur Christusverkündigung hinzutrat, sondern daß sie Buchform annahm.    

Überflüssig zu sagen, daß die Jesusüberlieferung kein anderes Evangelium brachte als das der Missionare. Immerhin war es nicht selbstverständlich, jetzt auch den Gesamtstoff "Evangelium" zu nennen. Jedenfalls ließen Lukas und Johannes dieses Substantiv völlig außer acht. Aber der Sprachgebrauch des Markus hat sich durchgesetzt (vgl. Einleitungsfragen 1, Ende).    

Herkunft und Geschichte der Vokabel "Evangelium" werden zu 1,14f berichtet. Hier schon machen wir auf die lautmalerische Qualität dieses christlichen Fremdwortes in unserm Sprachschatz aufmerksam. Wohlklang und Leuchtkraft dieser fünf Silben im Griechischen sind unnachahmlich: eu - ang - ge - li - on! Eine wunderbare Mischung mal voller und dunkler, mal jubelnder und heller Töne, ein stürmisches Glockenläuten! Heute sind Übersetzungen oder Umschreibungen üblich: Gute Nachricht, Jubelruf, Siegesmeldung, Heilsbotschaft, Freudenbotschaft. Immer geht es um die Vorsilbe eu-, die nicht genug bedacht werden kann. Es gibt auch Drohbotschaften (dysangelion). Hier geht es jedenfalls um die Meldung einer Freudenexplosion und dahinter eines ansteckend fröhlichen Gottes. Bei ihm ist Freude die Fülle, so daß sie überfließt, daß er sie ausschüttet im Weltmaßstab und über seine ganze Schöpfung.    

So hat Markus gleich im ersten Vers eine Art Leuchtkugel hochgeschossen, die nun über seinem ganzen Werk schwebt, auch über den Passionskapiteln und dem Osterschreck von 16,8, und alles in ihr schönes Licht taucht: Evangelium!

Markus Wuppertaler Studienbibel

Pohl Adolf Wuppertaler Studienbibel Markus

05/13/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Das Evangelium des Markus (A.Pohl)

A. Einleitungsfragen
1. Die Buchüberschrift
Die älteste Handschrift, die uns Teile des Markusevangeliums erhalten hat, der Chester Beatty Papyrus I aus dem 3. Jh., wirft für die Frage nach der Überschrift nichts ab, weil er leider erst bei 4,36 beginnt. Die nächstältesten Handschriften sind schon die berühmten Hauptzeugen der Bibel überhaupt, der Kodex Vaticanus und der Kodex Sinaiticus aus dem 4. Jh. Dort aber trägt das Buch die karge Überschrift: "Nach Markus". Wohlgemerkt schweigt sie sich über den Buchinhalt aus und beantwortet lediglich die Frage: Wer ist der Zeuge? Das haben die Abschreiber bald empfunden und vom nächsten Jh. an ergänzt: "Evangelium nach Markus". Die Kirchenväter haben sich in ihren Schriften vorher schon so geholfen.


   Geht nun die alte Kurzbezeichnung "Nach Markus" auf Markus selbst zurück? Stand sie schon in seinem Original?
   Entsprechende Verfasserangaben sind auch sonst im Altertum belegt (WB 807), aber immer verknüpft mit "Buch, Erinnerungen, Biographie, Brief" o.ä. Eine alleinstehende Verfasserangabe als Buchüberschrift wirkte damals genauso merkwürdig wie heute. Nun ist einzubeziehen, daß aber alle Evangelien derartig überschrieben sind. Wenn wirklich Markus sein Werk so auffallend bezeichnet haben sollte, würden das aber gleich vier Schriftsteller in der gleichen Weise tun? Die Wahrscheinlichkeit spricht nicht dafür.
   Es kommt hinzu, daß im frühen Altertum Buchtitel nicht vom Verfasser selbst geprägt wurden (L. Koep 674.685; Fouquet-Plümacher 275.282). Sie ergaben sich erst aus der Verwendung eines Werkes. Ein Vortragskünstler mußte ein Stück irgendwie ankündigen, vor allem benötigte der Bibliothekar Titelangaben zwecks Katalogisierung. Man bildete sie gern mit Hilfe wichtiger Begriffe aus der Bucheröffnung. Auch mit biblischen Schriften wurde so verfahren. Die "Offenbarung des Johannes" verdankt z.B. ihren Titel Offb 1,1, die Paulus-Briefe den Empfängerangaben zu Beginn, z.B. "An die Römer" aus Röm 1,7.
   Schließlich spricht noch ein Umstand für unsere These, daß die Verfasserangaben nicht von den Evangelisten selbst stammen. Während es nämlich zu einem Brief gehörte, daß der Verfasser sich sogleich beim Namen nannte, ist bei den Evangelien offensichtlich das Gegenteil der Fall. Bei Matthäus und Markus findet sich nicht der geringste Hinweis, bei Lukas nur das anonyme Verfasser-Ich in 1,3 und bei Johannes erst zum Schluß das Verfasser-Er ohne Namensnennung in 19,35; vgl. 20,30f; 21,25. Offenbar herrscht hier Konsequenz. Erst die apokryphen Evangelien des 2. Jhs. hatten es nötig, sich den Nimbus zu verschaffen, von Autoritäten der Urchristenheit verfaßt zu sein. So spricht z.B. das Petrus-Evangelium aus dem 2. Jh. vollmundig: "Ich aber, Simon Petrus". Dagegen besaßen unsere kanonischen Evangelien ihr Ansehen von Anfang an. Ihre Gewährsleute mußten sich nicht erst herausstreichen, weil sie in der noch jungen und überschaubaren Christusbewegung bekannt waren, und sie durften es nicht, weil der eigentlich Redende in diesen Büchern im besonderen Sinn der Herr war (vgl. Hebr 2,3).
   Aber als die Zeit der Anfänge versank und vor allem, als im 2. Jh. vier derartige Bücher nebeneinander existierten, setzte sich die praktische Notwendigkeit durch, zwischen diesen vier Zeugen zu unterscheiden. Jetzt erschienen also die Verfasserangaben: "Nach Matthäus", "Nach Markus" usw. Diese Notiz brachte man auf einem Zettel am Stab der Schriftrolle an, praktisch für jeden, der in einer Bücherkiste oder in einem Tonkrug nach einer bestimmten Rolle suchte. Später, als die Bibel in Kodexform überliefert wurde, konnte solch ein Kurztitel auch auf dem oberen Rand eines jeden Blattes gesetzt werden, so daß man blätternd schnell das Gesuchte fand. Auf der Titelseite wurden Buchtitel dagegen gern angereichert. Aus Mk 1,1 gewann man den Begriff "Evangelium". Vom Matthäusevangelium z.B. existiert die klangvolle Bezeichnung "Das heilige Evangelium des Apostel Matthäus".
   Der Kurztitel enthob in seiner Art zugleich der Aufgabe, dieser Literaturgattung als solcher einen Namen geben zu müssen, was offensichtlich Mühe bereitete, war sie doch ohne Vorbild. Erst ab Mitte des 2. Jhs. sagte man in unserer Weise: Das sind die vier Evangelien! "Evangelium" war nun neben der Bezeichnung für das eine Evangelium, von der keine Mehrzahl gebildet werden durfte (Gal 1,6f), Name für vier Bücher geworden.
   So verdanken wir die Kurzbezeichnung "Nach Markus" und deren Erweiterung "Evangelium nach Markus" christlicher Fürsorge aus der späteren Gemeinde.

Markus 14, 43 - 44 Der Judaskuß, Walter Oelschner

11/06/2022
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Der Judaskuß Markus 14, 43-45

Liebe Gemeinde!
Wir haben gerade ein Kind auf den Namen Jörg getauft. Das ist eine Abkürzung des Namens Georg.BV15199Walter-Oelschner%2BAls-der-Hahn-zweimal-kr%C3%A4hte.jpg?1667754950480 Er erinnert uns an jenen legendären Ritter, der seine Mitmenschen von der Bedrohung durch einen bösen Drachen befreite, aber auch an „Junker Jörg", den Decknamen Luthers auf der Wartburg, als er in der Schutzhaft seines Fürsten die Bibel übersetzte.
Tausendfach hat man Kindern aber auch biblische Namen gegeben: Hans - Johannes, Peter, Jakob, Andreas, immer wieder tauchen einige der Jünger Jesu in den Vornamen unserer Jungens wieder auf. Es ist aber eigentümlich: Judas heißt keiner!
Der Name des Judas strahlt eine dunkle Kraft aus. Uns schaudert vor ihm. Keiner würde auf den Gedanken kommen, einen neugeborenen Buben auf den Namen Judas taufen zu lassen.
Unser Text gibt Judas den Zusatz: einer aus den Zwölfen. So wird er schon in Vers 10 unseres Kapitels genannt, und in Vers 20 sagt der Herr: „Eineraus den Zwölfen, der mit mir in die Schüssel taucht." Mit diesem Zusatz will Markus verhindern, daß man Judas als unglücklichen Außenseiter abtut. Er ist einer aus den Zwölfen. Er ist wie Petrus und Johannes in die Nachfolge gerufen worden. 

Er hat wie sie bekannt: Herr, wohin sollen wir gehen?, als sich viele von Jesus abwandten (Joh. 6, 66). Er war Zeuge der Speisung der Fünftausend, mit eigenen Augen sah er die Auferstehung des Lazarus, mit seinen Ohren hörte er die Bergpredigt, er war drei Jahre bei Jesus wie die anderen Jünger.
Dieser Judas, einer aus den Zwölfen also, erscheint jetzt als Anführer einer schnell zusammengerufenen Polizeitruppe, die die Verhaftung Jesu durchführen soll. Einige sind mit Schwertern, andere nur mit Knüppeln ausgerüstet. Ob Vertreter der Hohenpriester das Kommando begleiten, bleibt bei Markus offen. Der Kuß war eine damals übliche Begrüßungsform zwischen Lehrern und Schülern. 

Die griechisch-orthodoxe Kirche hat diese Sitte übrigens beibehalten. Über sie ist sie in den Kommunismus geraten. Wir sind durch das Fernsehen immer wieder Zeugen solcher Kußszenen, wenn kommunistische Funktionäre zusammentreffen.
Judas hatte diesen Judaskuß als Erkennungszeichen für den zu Verhaftenden gewählt. Man hatte an die Nacht gedacht, in der bekanntlich alle Katzen grau sind, oder an den Versuch, daß der Gesuchte sich im Haufen der Elf tarnt. Eigentlich war das alles nicht nötig, aber der Aktionsplan rollte doch wie vorgesehen ab. 

Bei Matthäus redetJesus den Judas an: „Mein Freund, Warum bist du gekommen?" Hier bei uns schweigt er. Das Schweigen Jesu werden wir in den kommenden Predigten immer wiedervermerken. - Judas gibt also das verabredete Zeichen, die Häscher greifen zu; es ist eine Festnahme ohne Komplikation.
Was bedeutet das alles? Einer aus den Zwölfen verrät ihn. Er tut es mit dem Judaskuß. Ein Jünger arbeitet den VerfolgernJesu in die Hände. Erdient damit dem Teufel und empfängt dafür seinen Höllenlohn. Die eigentliche Gefährdung der Gemeinde kommt aus ihren eigenen Reihen. Die Pforten der Hölle können sie wohl nicht überwältigen, aber wenn einer aus den Zwölfen sich gegen Jesus wendet, dann scheinen die Grundfesten der Kirche zu beben. 

Alle Jüngerschaftträgt das Malzeichen des Judas. Wir können nicht sagen: Ei, das war aber ein Blindgänger! Ein richtiges Kuckucksei im Nest der Gemeinde. Nein, in uns allen wohnt ein kleiner Judas. Wir schielen auch manchmal nach den dreißig Silberlingen! Damals im Dritten Reich trafen wir sie als Gestapo-Agenten wieder, ehemalige CVJMIer und Leute aus dem EC, „Das Elend des Christentums" heißt ein Bestseller heute. DerAutorwohnt nichtweit von uns. Er beißt und ätzt und wütet gegen das Evangelium. Er hat Theologie studiert. Er war einer aus den Zwölfen.
Zurück zum Text! In V. 47 wird nun die Szene geschildert, fh der einer der Jünger gewalttätig wird und einem der Hilfspolizisten das Ohr abschlägt. Hier kann der interessierte Bibelleser verfolgen, welche Geschichte eine solche Textstelle hat. Markus nennt den Namen nicht, im Joh. Ev. ist es Petrus, auch der Name des Knechtes ist bekannt: Mälchus. Bei Lukas fragen die Jünger, ob sie zuschlagen sollen. Bei Matthäus erfolgt die Weisung: Stecke dein Schwert in die Scheide.
Unser Evangelist läßt alles Entbehrliche fort und hält seine Aussagen bewußt in der Schwebe. Auch die Heilung des Ohres erwähnt er nicht. Jesus, der bisher geschwiegen hat, fragt jetzt: Ihr seid ausgegangen wie zu einem Mörder. Ich bin täglich bei euch gewesen im Tempel, und ihr habt mich nicht gegriffen. Aber auf daß die Schrift erfüllt werde!
In der Schrift des Alten Testamentes sind die Frommen die „Elenden". Sie sind ganz und gar auf Gott angewiesen. Besonders die Psalmen machen es deutlich, daß das Handeln Gottes den Verlassenen, den Verfolgten, den Armen, den Verratenen gilt. Der Herrrichtet auf die Elenden (147,6). Erwird das elende Volk bei Recht erhalten und den Armen helfen (72,4). So könnte ich noch viele Stellen anführen.

Diese Schriften müssen erfüllt werden. Den Elenden soll geholfen werden ein für alle Mal! Deswegen muß die Nacht ganz dunkel werden. Man konnte den Sohn Gottes nicht fangen, als er frei im Tempel lehrte. Es mußte in der Nacht geschehen. Es mußte mit List geschehen, mit giftigem Verrat und dem Zusammenwirken der Kräfte aus allen Lagern, auch aus dem eigenen.
Hier wird kein Raum gelassen für Erklärungen, Entschuldigungen und mildernde Umstände. Dieser Mensch Jesus wird allen Verratenen, allen Verstoßenen und Verlassenen vollkommen solidarisch. Er spielt nicht mit ihnen ein frommes Passionsspiel, bei dem er nachher als der Unangefochtene hervorgeht.
Deswegen ist auch jede Gewaltanwendung in seiner Sache unangebracht. Er honoriert den mutigen Versuch des einen Jüngers keineswegs. Er verurteilt den, der das Schwert zieht.
Meine Frunde! In der Sache der Gewalt ist die Verwirrung der Geister groß. Da gibt es unter uns Leute, die im Namen Jesu meinen, selbst der Polizei das Hecht zur Gewaltanwendung absprechen zu müssen. Sie übertragen kurzschlüssig die Ordnung des Reiches Gottes auf unsere Welt und übersehen völlig, daß das Reich wohl kommt, aber noch nicht da ist. Sie wollen es nicht wahr haben, daß ein Staat nur Bestand hat, wenn er Macht hat, auch die Macht zu seiner Verteidigung.
Seit kurzem fangen nun dieselben Leute an, von einer „Theologie der Revolution" zu sprechen. Jener Priester im Dschungel von Mittelamerika, der mit Brevier und Maschinenpistole den Ideen Fidel Castros diente und dabei umkam, ist ihr neuer Heiliger. Die Bergpredigt gilt nicht mehr, wenn damit die Unterdrückung getarnt wird, sagen sie. So werden selbst Theologiestudenten gewalttätig, in evangelischen Gruppen werden Aktionen ausgebrütet, die der Sache Jesu mit massivem Gegendruck dienen sollen.
Jesus sagt: Stecke dein Schwert in die Scheide! Wer das Schwert nimmt, wird durchs Schwert umkommen. Das ist doch eindeutig. Das heißt doch: Im Sinne der Gewalttätigkeit gibt es keine „Theologie der Revolution", die sich auf das Evangelium beziehen könnte. Ja, die Revolution, die mit Jesus beginnt, die jetzt auf Golgathaausgelöst werden soll, wird behindert durch den Jünger, der das Schwert nimmt.
Unsere modernen Schwärmer sehen gar nicht, daß sie mit ihrem nebulösen Reden von der „Theologie der Revolution" ganz nahe bei den Kreuzrittern sind, die ja auch die damaligen Machtverhältnisse verändern wollten und Blut in Strömen fließen ließen. Sie sind von einer Art Gedächtnisstarre befallen, wenn man sie z. B. darauf aufmerksam macht, daß in Laos, einem kleinen

Staat, dessen Neutralität feierlich von den Großmächten garantiert ist, Stück um Stück erobert wird von Nord-Vietnam aus, mit russischen Waffen. Dieselben Leute werden wieder lebendig, wenn es gilt, den Amerikaner als Aggressor und Erzbösewicht in Süd-Vietnam abzustempeln.
In dieser verworrenen Lage wollen wir ganz nüchtern sein. Luther sprach von den zwei Bereichen, mit denen wir es vorläufig auf dieser Erde zu tun haben. Im staatlich-politischen Raum werden wir es leider immer noch mit Gewalt zu tun haben, der man unter Umständen mit Gewalt begegnen muß, wenn man nicht das Chaos will. Im geistlichen Raum der Kirche hat die Gewalt keinen Platz. Das lehrt unser Text klar. Wer unter dem Evangelium steht, sieht keine Möglichkeit zu einer „Theologie der Revolution". Das bedeutet nicht, daß wir resignieren oder die bestehenden Verhältnisse einfach akzeptieren oder gar tolerieren. Wir wollen Veränderung, aber Veränderung durch die Kraft des Evangeliums, durch den, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden.
Als in den sechziger Jahren der große Putsch in Indonesien war und viele Menschen umkamen, da haben die Christen ihren besonderen Auftrag erkannt. Sie haben Verfolgten geholfen, Verwundete gepflegt und die Toten beerdigt. Sie standen zwischen den Fronten und mußtenaich von beiden Seiten beschimpfen lassen.
Es wäre leichter gewesen, sich da anzuschließen, wo die Macht war oder die Macht errungen werden sollte. Aber sie wußten sich der dritten Macht verpflichtet, die vom Evangelium kommt und Jesus Christus heißt.
Ich bin gern bereit, mit meinen Hörern über diese Dinge weiterzu diskutieren, möchte aber jetzt noch die Aufmerksamkeit auf die Verse 50-52 lenken. Die Jünger verließen ihn alle und flohen. Auch darin wird nun die Schrift erfüllt. Gottes Sohn ist allein. Niemand wird mit ihm wachen und beten. Seine Mutter wird nur von ferne stehen und darüber jammern, daß sie nicht helfen kann. Einer, der sich in seine Nähe wagt, wird ih verleugnen. 

Erst der tote Jesus wird wieder den Jüngern gegeben. So soll es sein nach dem Willen des, der ihn gesandt hat.
Von einem jungen Mann wird dann noch erzählt, der nicht zu den Jüngern gehört und Zeuge dieser Nacht ist. Er hatte sich schnell ein Obergewand umgeworfen und sich vielleicht mit dem Zug der Polizisten dem Garten genähert. Vielleicht hafte er sich zu nahe an Jesus herangedrängt, vielleicht erschien er den Männern alsviel zu jung, kurzum, ein Polizistwollte ihn greifen. Er aber zerrte sich los und rannte davon, das Obergewand am Ort zurücklassend.
Was soll das? Wer war das? Man hat hin und her gerätselt. Schon die alten Väter wußten eine Antwort. Es war Markus selbst, der später das Evangelium schrieb und an dieser Stelle ganz bescheiden feststellt, daß erauch ein Zeuge ist, wenigstens ein Zeuge dieser allerdunkelsten Nacht der Menschheit.
Amen!

Lied 14. Jahrh. / Böhmische Brüder 1519
Christus, der uns selig macht,/ kein Bös's hat 
begangen, ward für uns zur Mitternacht,'
als ein Dieb gefangen,  geführt vor gottloe Läut /
und fälschlich verklaget, verlacht, verhöhnt
und verspeit, wie denn die Schrift saget