Markus 14, 43 - 44 Der Judaskuß, Walter Oelschner

11/06/2022
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Der Judaskuß Markus 14, 43-45

Liebe Gemeinde!
Wir haben gerade ein Kind auf den Namen Jörg getauft. Das ist eine Abkürzung des Namens Georg.BV15199Walter-Oelschner%2BAls-der-Hahn-zweimal-kr%C3%A4hte.jpg?1667754950480 Er erinnert uns an jenen legendären Ritter, der seine Mitmenschen von der Bedrohung durch einen bösen Drachen befreite, aber auch an „Junker Jörg", den Decknamen Luthers auf der Wartburg, als er in der Schutzhaft seines Fürsten die Bibel übersetzte.
Tausendfach hat man Kindern aber auch biblische Namen gegeben: Hans - Johannes, Peter, Jakob, Andreas, immer wieder tauchen einige der Jünger Jesu in den Vornamen unserer Jungens wieder auf. Es ist aber eigentümlich: Judas heißt keiner!
Der Name des Judas strahlt eine dunkle Kraft aus. Uns schaudert vor ihm. Keiner würde auf den Gedanken kommen, einen neugeborenen Buben auf den Namen Judas taufen zu lassen.
Unser Text gibt Judas den Zusatz: einer aus den Zwölfen. So wird er schon in Vers 10 unseres Kapitels genannt, und in Vers 20 sagt der Herr: „Eineraus den Zwölfen, der mit mir in die Schüssel taucht." Mit diesem Zusatz will Markus verhindern, daß man Judas als unglücklichen Außenseiter abtut. Er ist einer aus den Zwölfen. Er ist wie Petrus und Johannes in die Nachfolge gerufen worden. 

Er hat wie sie bekannt: Herr, wohin sollen wir gehen?, als sich viele von Jesus abwandten (Joh. 6, 66). Er war Zeuge der Speisung der Fünftausend, mit eigenen Augen sah er die Auferstehung des Lazarus, mit seinen Ohren hörte er die Bergpredigt, er war drei Jahre bei Jesus wie die anderen Jünger.
Dieser Judas, einer aus den Zwölfen also, erscheint jetzt als Anführer einer schnell zusammengerufenen Polizeitruppe, die die Verhaftung Jesu durchführen soll. Einige sind mit Schwertern, andere nur mit Knüppeln ausgerüstet. Ob Vertreter der Hohenpriester das Kommando begleiten, bleibt bei Markus offen. Der Kuß war eine damals übliche Begrüßungsform zwischen Lehrern und Schülern. 

Die griechisch-orthodoxe Kirche hat diese Sitte übrigens beibehalten. Über sie ist sie in den Kommunismus geraten. Wir sind durch das Fernsehen immer wieder Zeugen solcher Kußszenen, wenn kommunistische Funktionäre zusammentreffen.
Judas hatte diesen Judaskuß als Erkennungszeichen für den zu Verhaftenden gewählt. Man hatte an die Nacht gedacht, in der bekanntlich alle Katzen grau sind, oder an den Versuch, daß der Gesuchte sich im Haufen der Elf tarnt. Eigentlich war das alles nicht nötig, aber der Aktionsplan rollte doch wie vorgesehen ab. 

Bei Matthäus redetJesus den Judas an: „Mein Freund, Warum bist du gekommen?" Hier bei uns schweigt er. Das Schweigen Jesu werden wir in den kommenden Predigten immer wiedervermerken. - Judas gibt also das verabredete Zeichen, die Häscher greifen zu; es ist eine Festnahme ohne Komplikation.
Was bedeutet das alles? Einer aus den Zwölfen verrät ihn. Er tut es mit dem Judaskuß. Ein Jünger arbeitet den VerfolgernJesu in die Hände. Erdient damit dem Teufel und empfängt dafür seinen Höllenlohn. Die eigentliche Gefährdung der Gemeinde kommt aus ihren eigenen Reihen. Die Pforten der Hölle können sie wohl nicht überwältigen, aber wenn einer aus den Zwölfen sich gegen Jesus wendet, dann scheinen die Grundfesten der Kirche zu beben. 

Alle Jüngerschaftträgt das Malzeichen des Judas. Wir können nicht sagen: Ei, das war aber ein Blindgänger! Ein richtiges Kuckucksei im Nest der Gemeinde. Nein, in uns allen wohnt ein kleiner Judas. Wir schielen auch manchmal nach den dreißig Silberlingen! Damals im Dritten Reich trafen wir sie als Gestapo-Agenten wieder, ehemalige CVJMIer und Leute aus dem EC, „Das Elend des Christentums" heißt ein Bestseller heute. DerAutorwohnt nichtweit von uns. Er beißt und ätzt und wütet gegen das Evangelium. Er hat Theologie studiert. Er war einer aus den Zwölfen.
Zurück zum Text! In V. 47 wird nun die Szene geschildert, fh der einer der Jünger gewalttätig wird und einem der Hilfspolizisten das Ohr abschlägt. Hier kann der interessierte Bibelleser verfolgen, welche Geschichte eine solche Textstelle hat. Markus nennt den Namen nicht, im Joh. Ev. ist es Petrus, auch der Name des Knechtes ist bekannt: Mälchus. Bei Lukas fragen die Jünger, ob sie zuschlagen sollen. Bei Matthäus erfolgt die Weisung: Stecke dein Schwert in die Scheide.
Unser Evangelist läßt alles Entbehrliche fort und hält seine Aussagen bewußt in der Schwebe. Auch die Heilung des Ohres erwähnt er nicht. Jesus, der bisher geschwiegen hat, fragt jetzt: Ihr seid ausgegangen wie zu einem Mörder. Ich bin täglich bei euch gewesen im Tempel, und ihr habt mich nicht gegriffen. Aber auf daß die Schrift erfüllt werde!
In der Schrift des Alten Testamentes sind die Frommen die „Elenden". Sie sind ganz und gar auf Gott angewiesen. Besonders die Psalmen machen es deutlich, daß das Handeln Gottes den Verlassenen, den Verfolgten, den Armen, den Verratenen gilt. Der Herrrichtet auf die Elenden (147,6). Erwird das elende Volk bei Recht erhalten und den Armen helfen (72,4). So könnte ich noch viele Stellen anführen.

Diese Schriften müssen erfüllt werden. Den Elenden soll geholfen werden ein für alle Mal! Deswegen muß die Nacht ganz dunkel werden. Man konnte den Sohn Gottes nicht fangen, als er frei im Tempel lehrte. Es mußte in der Nacht geschehen. Es mußte mit List geschehen, mit giftigem Verrat und dem Zusammenwirken der Kräfte aus allen Lagern, auch aus dem eigenen.
Hier wird kein Raum gelassen für Erklärungen, Entschuldigungen und mildernde Umstände. Dieser Mensch Jesus wird allen Verratenen, allen Verstoßenen und Verlassenen vollkommen solidarisch. Er spielt nicht mit ihnen ein frommes Passionsspiel, bei dem er nachher als der Unangefochtene hervorgeht.
Deswegen ist auch jede Gewaltanwendung in seiner Sache unangebracht. Er honoriert den mutigen Versuch des einen Jüngers keineswegs. Er verurteilt den, der das Schwert zieht.
Meine Frunde! In der Sache der Gewalt ist die Verwirrung der Geister groß. Da gibt es unter uns Leute, die im Namen Jesu meinen, selbst der Polizei das Hecht zur Gewaltanwendung absprechen zu müssen. Sie übertragen kurzschlüssig die Ordnung des Reiches Gottes auf unsere Welt und übersehen völlig, daß das Reich wohl kommt, aber noch nicht da ist. Sie wollen es nicht wahr haben, daß ein Staat nur Bestand hat, wenn er Macht hat, auch die Macht zu seiner Verteidigung.
Seit kurzem fangen nun dieselben Leute an, von einer „Theologie der Revolution" zu sprechen. Jener Priester im Dschungel von Mittelamerika, der mit Brevier und Maschinenpistole den Ideen Fidel Castros diente und dabei umkam, ist ihr neuer Heiliger. Die Bergpredigt gilt nicht mehr, wenn damit die Unterdrückung getarnt wird, sagen sie. So werden selbst Theologiestudenten gewalttätig, in evangelischen Gruppen werden Aktionen ausgebrütet, die der Sache Jesu mit massivem Gegendruck dienen sollen.
Jesus sagt: Stecke dein Schwert in die Scheide! Wer das Schwert nimmt, wird durchs Schwert umkommen. Das ist doch eindeutig. Das heißt doch: Im Sinne der Gewalttätigkeit gibt es keine „Theologie der Revolution", die sich auf das Evangelium beziehen könnte. Ja, die Revolution, die mit Jesus beginnt, die jetzt auf Golgathaausgelöst werden soll, wird behindert durch den Jünger, der das Schwert nimmt.
Unsere modernen Schwärmer sehen gar nicht, daß sie mit ihrem nebulösen Reden von der „Theologie der Revolution" ganz nahe bei den Kreuzrittern sind, die ja auch die damaligen Machtverhältnisse verändern wollten und Blut in Strömen fließen ließen. Sie sind von einer Art Gedächtnisstarre befallen, wenn man sie z. B. darauf aufmerksam macht, daß in Laos, einem kleinen

Staat, dessen Neutralität feierlich von den Großmächten garantiert ist, Stück um Stück erobert wird von Nord-Vietnam aus, mit russischen Waffen. Dieselben Leute werden wieder lebendig, wenn es gilt, den Amerikaner als Aggressor und Erzbösewicht in Süd-Vietnam abzustempeln.
In dieser verworrenen Lage wollen wir ganz nüchtern sein. Luther sprach von den zwei Bereichen, mit denen wir es vorläufig auf dieser Erde zu tun haben. Im staatlich-politischen Raum werden wir es leider immer noch mit Gewalt zu tun haben, der man unter Umständen mit Gewalt begegnen muß, wenn man nicht das Chaos will. Im geistlichen Raum der Kirche hat die Gewalt keinen Platz. Das lehrt unser Text klar. Wer unter dem Evangelium steht, sieht keine Möglichkeit zu einer „Theologie der Revolution". Das bedeutet nicht, daß wir resignieren oder die bestehenden Verhältnisse einfach akzeptieren oder gar tolerieren. Wir wollen Veränderung, aber Veränderung durch die Kraft des Evangeliums, durch den, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden.
Als in den sechziger Jahren der große Putsch in Indonesien war und viele Menschen umkamen, da haben die Christen ihren besonderen Auftrag erkannt. Sie haben Verfolgten geholfen, Verwundete gepflegt und die Toten beerdigt. Sie standen zwischen den Fronten und mußtenaich von beiden Seiten beschimpfen lassen.
Es wäre leichter gewesen, sich da anzuschließen, wo die Macht war oder die Macht errungen werden sollte. Aber sie wußten sich der dritten Macht verpflichtet, die vom Evangelium kommt und Jesus Christus heißt.
Ich bin gern bereit, mit meinen Hörern über diese Dinge weiterzu diskutieren, möchte aber jetzt noch die Aufmerksamkeit auf die Verse 50-52 lenken. Die Jünger verließen ihn alle und flohen. Auch darin wird nun die Schrift erfüllt. Gottes Sohn ist allein. Niemand wird mit ihm wachen und beten. Seine Mutter wird nur von ferne stehen und darüber jammern, daß sie nicht helfen kann. Einer, der sich in seine Nähe wagt, wird ih verleugnen. 

Erst der tote Jesus wird wieder den Jüngern gegeben. So soll es sein nach dem Willen des, der ihn gesandt hat.
Von einem jungen Mann wird dann noch erzählt, der nicht zu den Jüngern gehört und Zeuge dieser Nacht ist. Er hatte sich schnell ein Obergewand umgeworfen und sich vielleicht mit dem Zug der Polizisten dem Garten genähert. Vielleicht hafte er sich zu nahe an Jesus herangedrängt, vielleicht erschien er den Männern alsviel zu jung, kurzum, ein Polizistwollte ihn greifen. Er aber zerrte sich los und rannte davon, das Obergewand am Ort zurücklassend.
Was soll das? Wer war das? Man hat hin und her gerätselt. Schon die alten Väter wußten eine Antwort. Es war Markus selbst, der später das Evangelium schrieb und an dieser Stelle ganz bescheiden feststellt, daß erauch ein Zeuge ist, wenigstens ein Zeuge dieser allerdunkelsten Nacht der Menschheit.
Amen!

Lied 14. Jahrh. / Böhmische Brüder 1519
Christus, der uns selig macht,/ kein Bös's hat 
begangen, ward für uns zur Mitternacht,'
als ein Dieb gefangen,  geführt vor gottloe Läut /
und fälschlich verklaget, verlacht, verhöhnt
und verspeit, wie denn die Schrift saget