Rienecker Fritz, Wuppertaler Studienbibel Matthäus,

05/13/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Über die historische Glaubwürdigkeit der vier Evangelien
Schon am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. finden wir Mitteilungen, die bestätigen, daß die vier Evangelien bereits in den Gottesdiensten der damaligen Gemeinden hin und her zum Vorlesen Verwendung gefunden hatten. Es muß demnach die schriftliche Festlegung des Evangelienstoffes schon sehr frühzeitig begonnen haben, lange vor Ausgang des 1. Jahrhunderts. Daß diese vier Evangelien wahrheitsgetreue Berichte über das irdische Leben des Herrn sind, das ist für jeden, der überhaupt literarhistorisch denken und urteilen kann, eine feststehende Tatsache.


Die Glaubwürdigkeit weltlicher Geschichtsschreiber hängt in erster Linie von dem Nachweis ab, ob die Geschichtsschreiber als solche verstandesmäßig und moralisch in der Lage waren, einen wahrhaften Bericht von den zu schildernden Ereignissen zu geben. Man kann als das Mindeste verlangen, daß die Geschichtsschreiber die Wahrheit schreiben können und wollen.
Wenn das eben Gesagte als Voraussetzung für glaubwürdige weltliche Geschichtsschreibung gilt, wieviel mehr gilt das von der Berichterstattung der Verfasser der vier Evangelien. Auch sie wollten und konnten nichts anderes, als die Wahrheit schreiben. Diese Tatsache wird noch durch folgende Umstände in ganz einzigartiger Weise erhärtet: Die Schreiber der vier Evangelien waren nicht nur geistig und moralisch in der Lage, wahrheitsgetreu zu berichten, sondern sie waren als Augen- und Ohrenzeugen Jesu drei Jahre in der harten Schule dessen gewesen, der vorlebte, was Er von sich sagte: "Ich bin die Wahrheit." In dieser einzigartigen Schule hatten sie gelernt, wie niemand vorher noch nachher, was die Wahrheit ist und zwar die Wahrheit in ihrem absolutesten Sinne!
In Lukas 1,1-4 macht der Evangelist mit aller Deutlichkeit auf die Genauigkeit seiner Voruntersuchungen aufmerksam. Er verlangte von seinen Gewährsmännern die unbedingte Augenzeugenschaft, denn es war ja heiligste Geschichte, die er schrieb, Geschichte, in der es sich um das geistliche und ewige Wohl und Wehe der ganzen Menschheit handelte. Hier hatte der Wahrheitsbeweis soteriologische (heilsmäßige) Bedeutsamkeit. Die Wahrheit ging dem Lukas über alles! Von den Augenzeugen Christi, die Diener des Wortes waren, konnte und wollte Lukas nichts anderes, als die Wahrheit erfahren.
Das 1. und 4. Evangelium stammen direkt von je einem Augenzeugen und Ohrenzeugen! Das 2. und 3. Evangelium stammen von Apostelbegleitern. - Alle vier Evangelien stützen sich somit auf die sicherste Quelle aller Geschichtsschreibung, nämlich auf die unmittelbare und wahre Augen- und Ohrenzeugenschaft!


Nach der kirchlichen Überlieferung waren kaum 30 Jahre bis zur ersten schriftlichen Festlegung der Evangelien vergangen. (Diese Zeitspanne von 30 Jahren zwischen Geschehnis und schriftlicher Berichterstattung wird auch von der kritischen Forschung anerkannt.) Zu dieser Zeit der schriftlichen Festlegung lebten die Apostel und Brüder Jesu noch. Diese werden aus großem Verantwortungsbewußtsein und aus vorbildlicher Liebe zur Wahrheit mit Strenge über die Reinerhaltung des Überlieferungsgutes gewacht haben. Von Mythen, Legenden und Sagen kann hier keine Rede sein. Sagen und Legenden bilden sich erst dann, wenn die Verbindung mit den Geschehnissen abgerissen ist. Noch weniger als von Sagen kann von Mythen gesprochen werden. Was sind Mythen? Mythen sind Umdichtungen von Ideen in Geschichte. - Die Apostelschaft, die Verwandtschaft Jesu und die Augenzeugenschaft wird jedes Aufkommen von Sagen und Mythen in den vier Evangelien im Keime unterbunden haben! Aus den gleichen Gründen ist auch die moderne kritische Ansicht zurückzuweisen, die meint, in die Berichterstattung der Jünger habe sich die jüdische Missionstheologie oder die orientalische Mythologie oder der legendenbildende Gemeindeglaube eingedrängt.
Abschließend sei für die Glaubwürdigkeit der vier Evangelien noch das Zeugnis der Kirchenväter und Kirchenschriftsteller um die Wende des 1. Jahrhunderts hinzugefügt, die die vier Evangelien lasen und heilig verehrten.
Wir besitzen nämlich aus dem 1. und 2. Jahrhundert die Schriften der sogenannten apostolischen Väter. Dazu gehören die "Lehre der zwölf Apostel", der Brief des Clemens an die Korinther, die sieben Briefe des Ignatius von Antiochien, der Brief des Polykarp von Smyrna, des Schülers des Apostels Johannes, und anderes mehr. In allen diesen Schriften finden sich die vier Evangelien bereits zitiert.
Also waren die Evangelien schon um diese Zeit, d. h. am Ende des 1. Jahrhunderts und zu Beginn des 2. Jahrhunderts, nicht nur geschrieben, sondern auch bereits in der damaligen Christenheit von Kleinasien bis hin nach Rom weit verbreitet und bekannt!
Ebenso stand auch fest, wer die Verfasser der Evangelien gewesen waren.
Die ältesten Handschriften hatten merkwürdiger Weise als Überschrift die Bezeichnung: Nach Matthäus, nach Markus, nach Lukas, nach Johannes. - Was soll nun dieses immer wieder vorkommende Wörtchen "nach" bedeuten? Soll es etwa heißen, wie mehrfach Theologen annehmen, daß Matthäus, Markus usw. nicht die Verfasser sind? - Nein! - Wohl ist es begreiflich, daß die Verfasser selbst diesen Titel: Nach Matthäus, nach Markus usw. ihren Schriften nicht gegeben haben können! So drückt man sich als Verfasser nicht aus!

Die Verfasser der vier Evangelien haben, so dürfen wir wohl annehmen, vielmehr ihre Schriften ohne Verfassernamen herausgegeben. Vielleicht ist es Bescheidenheit gewesen, daß sie das taten. Vielleicht standen sie so sehr unter dem Bann der Jesuserscheinung, daß ihre eigene Person ihnen so völlig belanglos erschien, daß sie es nicht für nötig hielten, ihren Namen zu nennen! Zudem wußten sicher die einzelnen Gemeinden, wer hinter diesem und jenem Evangelium als Verfasser gestanden hat. Da es noch keinen Buchdruck gab, der die tausendfache Vervielfältigung eines Buches erst ermöglicht hat, so wußte jede Gemeinde, die vielleicht sich eine Abschrift der Evangelien angefertigt hatte, wer die Verfasser der einzelnen Evangelien waren. Man pflegte dann, um zu unterscheiden, vielleicht zu sagen: Das ist das Evangelium nach Matthäus, das ist das nach Markus usw. usw. Über die Autorenschaft war man nicht im Zweifel! Selbst der große Irrlehrer Marcion, der in Rom zu Anfang des 2. Jahrhunderts eine Gegenkirche gründete und das AT verwarf, hat die Verfasserschaft der vier Evangelien durch Matthäus, Markus etc. in keiner Weise angetastet!
Die Bezeichnung des Verfassers durch die Formel: "Nach" . . ., "nach" . . ., also nach Matth., nach Mark. usw. hat ihre Parallelen auch in der jüdischen Literatur. (Vgl. 2 Makk 2,13.)[ A ]
A) Vergl. Ki-Th-W II S. 733 f.
Der bekannte Gelehrte Norden weist auch in der hellenistischen und patristischen Literatur solche Parallelen nach.
In der Viergestaltigkeit des Evangeliums sieht der Kirchenvater Irenäus (lebte um 180) eine gottgewollte Notwendigkeit! Wenn nach dem Propheten Hesekiel vier Cherubin den Thronwagen des Allmächtigen stützen und nach der Offenbarung des Johannes vier geheimnisvolle Lebewesen den Thron Gottes umstehen, dann ist es wohl begreiflich, so meint der Kirchenvater Irenäus, daß ein Viergespann von Evangelien den Herrn Christus durch die Erdenräume tragen sollte! Der Kirchenvater Hieronymus hat dann für jeden Evangelisten ein Symbol geschaffen. Matthäus erhält das Symbol des Menschen. Markus wird dargestellt unter dem Bilde eines Löwen. Lukas wird als Stier gesehen, Johannes erhält das Zeichen eines Adlers! Diese Symbolik drückt tiefsinnig die vierfache Gestalt des Herrn-Bildes aus! Die vier Symbole zeigen nacheinander die menschliche, prophetische, priesterliche, göttliche Seite des Erlösers!
Einen gewaltigen Hinweis auf die Echtheit der vier Evangelien bildeten die zahlreichen Apokryphen-Evangelien, die durch ihre willkürliche Tendenz, durch ihre krankhafte Wundersucht die schlichte und schmucklose Schreibweise der Evangelien um so deutlicher aufleuchten lassen.
Ein letzter Zeugenbeweis für die Echtheit der Evangelien sind endlich auch die außerchristlichen Zeugnisse, so das Zeugnis des Josephus, des Sueton, des Tacitus, des Plinius, ferner das des Talmud und der heidnischen Polemiker Celsus und Porphyrius!
Die synoptische Frage
Unter den vier Evangelien bilden die drei ersten Evangelien eine besondere Gruppe! Sie zeigen eine weitreichende textliche Übereinstimmung, die sich sogar weithin bis auf den Wortlaut erstreckt, anderseits aber finden wir wiederum sehr starke Verschiedenheiten zwischen Matthäus, Markus und Lukas!
Mit diesem Nebeneinander von Übereinstimmung und Verschiedenheiten zwischen Matthäus, Markus und Lukas beschäftigt sich die synoptische Frage, die seit Ende des 18. Jahrhunderts eines der am meisten behandelten Probleme der neutestamentlichen Wissenschaft bildet.
Synoptisch wird die Frage deshalb genannt, weil durch eine Zusammenstellung der Paralleltexte aus Matthäus, Markus, Lukas eine Zusammenschau (Synopse) des Lebens unseres Heilandes möglich gemacht werden kann!
Wir fragen uns nun: 1. Welches sind kurz die Übereinstimmungen? 2. Welches sind kurz die Verschiedenheiten? (Vgl. Appel: Einleitung in das NT.)
1. Welches sind die Übereinstimmungen?
A. Bei allen dreien ist die Geschichte unseres Heilandes in der gleichen Anordnung wiedergegeben!
Johannes der Täufer tauft den Herrn. Jesus wird versucht! Jesus wirkt öffentlich in Galiläa! Jesus unternimmt im Gegensatz zum Evangelium des Johannes nur einen Hinaufzug nach Jerusalem, leidet und stirbt hier, um dann von den Toten wieder aufzuerstehen!
B. Bei allen dreien ist die Geschichte unseres Heilands in lauter einzelne, in sich geschlossene Kurzgeschichten (Perikopen) aufgeteilt! Diese Erzählungen stehen dann mehrfach auch in derselben Reihenfolge, obwohl ein Zusammenhang nicht immer deutlich erkennbar ist!
C. Bei allen dreien finden wir sogar bis in die Buchstaben des Wortlautes hinein völlige Übereinstimmungen, und zwar in den Herrenworten viel genauer als in den Erzählstücken.
Beispiele wörtlicher Übereinstimmungen finden wir:
Mt 3,3 + Mk 1,3 + Lk 3,4
Mt 11,10 + Mk 1,2 + Lk 7,27
Mt 9,6 + Mk 2,10 + Lk 5,24
Mt 16,28 + Mk 9,1 + Lk 9,27
2. Welches sind kurz die Verschiedenheiten?
A. Sondergut der einzelnen Synoptiker. Unter Sondergut versteht man, was der einzelne Evangelist ganz allein hat. Dasselbe beträgt ungefähr 1/3 des Gesamtstoffes.
Sondergut des Markus: Das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Kap. 4), Heilung des Taubstummen (Kap. 7), Heilung des Blinden von Bethsaida (Kap. 8), Gefangennahme und Flucht eines Jünglings (Kap. 14) usw.
Sondergut des Matthäus: Einladung an die Mühseligen und Beladenen (Kap. 11), Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen, vom Schatz der Perle, vom Fischnetz (Kap. 13), die Tempelsteuer (Kap. 17), Gleichnis vom Schalksknecht (Kap. 18), von den Arbeitern im Weinberg (Kap. 20), von den ungleichen Söhnen (Kap. 21), den 10 Jungfrauen und vom Weltgericht (Kap. 25), die Grabeswächter (Kap. 27) usw.
Sondergut des Lukas: Der Jüngling von Nain und die große Sünderin (Kap. 7). dann aus dem sogenannten Reisebericht (Kap. 9,51-18,14), wo sich das meiste Sondergut findet: Der barmherzige Samariter, Maria und Martha (Kap. 10), Gleichnis vom reichen Kornbauer (Kap. 12), Heilung des Wassersüchtigen (Kap. 14), Gleichnis vom verlorenen Groschen, vom verlorenen Sohn (Kap. 15), vom ungerechten Haushalter, vom reichen Mann und armen Lazarus (Kap. 16), vom dankbaren Samariter (Kap. 17), vom gottlosen Richter, vom Pharisäer und Zöllner (Kap. 18). Aus den letzten Abschnitten: Zachäus (Kap. 19), Jesus vor Herodes (Kap. 23), die Emmausjünger, die Himmelfahrt (Kap. 24) usw.
B. Derselbe Stoff in verschiedenem Zusammenhang.
Gegenüber der einfachsten und natürlichsten Anordnung bei Markus haben Matthäus und Lukas eine Reihe von Umstellungen, Weglassungen und Einschiebungen.
Umstellungen: Bei Matthäus z. B. Zusammenstellung der meisten Wundergeschichten in Kap. 8. und 9. Bei Lukas ist am bekanntesten die Versetzung der Nazarethszene an den Anfang der galiläischen Wirksamkeit. (Lk 4).
Weglassungen: Bei Matthäus z. B.: Jesus in der Synagoge von Kapernaum. Bei Lukas kommt besonders die "große Lücke" in Betracht, d. h. Auslassung aller Markus-Perikopen vom Wandeln auf dem See bis zum Blinden von Bethsaida, Mk 6,45-8.26.
Einschiebungen: Das Sondergut bei Matthäus und Lukas.
C. Derselbe Stoff mit verschiedenem Inhalt.
Verschiedenheiten in einzelnen Angaben.
Markus und Lukas berichten von einem Gadarener, einem Blinden in Jericho, einem Reittier beim Einzug in Jerusalem, Matthäus in diesen Geschichten von 2 Gadarenern, 2 Blinden, 2 Reittieren. Markus erwähnt drei Frauen am Grabe, Matthäus spricht von zwei Frauen, Lukas gibt keine genaue Zahl an. Lukas vertauscht die 2. und 3. Versuchung des Matthäus und läßt in dem so sehr wichtigen Vaterunser, bei welchem man doch auf eine ganz sorgfältige Überlieferung rechnen sollte, die 3. und 7. Bitte aus.
Wir sind am Schluß unserer kurz angedeuteten Ausführungen zur synoptischen Frage.
Die theologische Forschung ist sich der Schwierigkeit dieses Nebeneinanders von Übereinstimmung und Verschiedenheit zwischen Matthäus und Markus und Lukas bewußt. Sie hat sich bemüht, Lösungen dieses synoptischen Problems zu geben, aber all diese Lösungen sind doch nur Lösungsversuche geblieben und werden es auch fort und fort bleiben.
Abzulehnen sind solche Lösungsversuche, die seitens moderner kritischer Theologen die Substanz unseres Glaubens an den gekreuzigten und auferstandenen Herrn und Heiland in Frage stellen.
Der Apostel Matthäus!
Von dem Apostel Matthäus lesen wir in den neutestamentlichen Schriften sehr wenig. Er wird im ganzen NT nur fünfmal genannt. Im ersten Evangelium lesen wir von ihm in Kap. 9,9 bei der Geschichte von seiner Berufung und dann noch in dem Apostelverzeichnis (Kap. 10,3).
In den folgenden 3 NT Schriften erscheint sein Name je einmal:
In Mk 3,18 . . . und Bartholomäus und Matthäus und Thomas und Jakobus . . .
In Lk 6,15 . . . und Bartholomäus und Matthäus und Thomas und Jakobus . . .
In Apg. 1,13 . . . und Bartholomäus und Matthäus und Jakobus . . .
Alle drei Stellen geben Apostelverzeichnisse an.
Der Name "Matthäus" stammt aus dem Hebräischen. Im AT finden wir die entsprechenden Namen: Maththan = Gabe und Maththanja = Gabe Gottes. Matthäus heißt also "Gabe Gottes"!
Eine wichtige Frage ist folgende: Die Berufungsgeschichte des Matthäus wird nicht nur Mt 9,9 erzählt, sondern auch in Lk 5,27. und Mk 2,14. Fast wörtlich stimmen alle drei Berichte überein.
Mt 9,9: Und als Jesus von dannen weiterging, sah er einen Menschen am Zollhause sitzen, Matthäus genannt, und er spricht zu ihm: Folge mir nach. Und er stand auf und folgte ihm nach.
Mk 2,14: Und als er vorüberging, sah er Levi, den Sohn des Alphäus, am Zollhause sitzen, und er spricht zu ihm: Folge mir nach; und er stand auf und folgte ihm nach.
Lk 5,27: Und nach diesem ging er hinaus und sah einen Zöllner, mit Namen Levi, am Zollhause sitzen und sprach zu ihm: Folge mir nach. Und er verließ alles, stand auf und folgte ihm nach.
Im griechischen Urtext wird die Übereinstimmung der Texte noch deutlicher.
Die Frage ist die: Warum nennen Markus und Lukas den von Jesus in Kapernaum berufenen Zöllner nicht Matthäus, sondern Levi?
Die Antwort: Manche Forscher haben gemeint, Matthäus und Levi seien zwei verschiedene Personen gewesen. Es seien 2 verschiedene Berufungsgeschichten erzählt. - Wir halten das für unmöglich. - Und zwar aus folgendem dreifachen Grunde:
1. Alle drei Berichte sind mit Ausnahme des Zöllner-Namens fast buchstäblich übereinstimmend.
2. Allen Berichten geht die gleiche Geschichte voraus, nämlich das Wunder von der Heilung des Gichtbrüchigen.
3. Allen drei Berichten folgt anschließend dieselbe Geschichte, nämlich die Erzählung von dem Gastmahl des neugerufenen Zöllners mit den gleichen Reden nach dem Gastmahl!
Es wird also in allen drei Berichten der gleiche Vorgang geschildert. Es muß darum auch in allen drei Berichten dem gleichen Vorgang entsprechend auch die gleiche Person gewesen sein!
Der Name Matthäus muß ein Zuname gewesen sein, den der Herr sicher dem Zöllner bei seiner Berufung gegeben hat. Durch den Beinamen Matthäus = "Gabe Gottes" wollte Jesus die Bedeutung des sofortigen Aufbruches mit unmittelbar sich anschließender Nachfolge zum Ausdruck bringen!
Markus und Lukas haben wahrscheinlich deshalb den Namen Matthäus nicht gebracht, weil die verächtliche Vergangenheit des Matthäus (der Zöllner gehörte damals zum Abschaum der Menschheit) nicht ausdrücklich erwähnt werden sollte. Sie haben darum den ursprünglichen Namen, der sicher in Vergessenheit gekommen war, gebracht. Ein Zöllner mit Namen Levi fiel nicht weiter auf. Matthäus dagegen scheute sich nicht, in seiner Evangelien-Niederschrift seinen ehemaligen Zöllnerberuf mit seinem Namen zu verknüpfen. Die herrliche Umwandlungskraft seines Herrn wollte er rühmend verkündigen. In seinem Evangelium sagt darum Matthäus:
In Kap. 9,9: Ein Mensch mit Namen Matthäus.
In Kap. 10,3: Matthäus, der Zöllner!
In allen drei anderen Apostelverzeichnissen in Markus und Lukas und Apostelgeschichte erscheint der Name Matthäus ohne den Titel: der Zöllner! Keiner wollte dem Matthäus wehe tun! Darum haben sie das Wort "Zöllner" unterlassen. Nur Matthäus selbst hat die Berufsbezeichnung "Zöllner" beibehalten!
Erst viele Jahre später hat ein Kirchenschriftsteller (es war der Verfasser des Barnabasbriefes) auf Matthäus den Zöllner ausdrücklich hingewiesen, indem er in der Berufung des Matthäus den Beweis findet, daß Jesus gekommen ist, Sünder zu rufen, und zwar ganz besonders solche, die noch sündiger waren als die gewöhnlichen Sünder.
Gleich nach seinem Ja zu dem Rufe des Herrn beginnt Matthäus sein erstes Missionswerk. Er bereitet dem Herrn in seinem Hause ein Festmahl und ladet seine bisherigen Berufskollegen dazu ein, nämlich die Zöllner von Kapernaum. Sein Ziel war, seine Berufskollegen mit dem Herrn in Verbindung zu bringen.
Und dieses sein Streben, sein Volk, das Volk Israel zu dem im AT fort und fort angekündigten Messias zu ziehen, geht durch sein ganzes Evangelium wie ein weithin sichtbarer roter Faden hindurch!
Über das Evangelium des Matthäus
Die älteste Notiz über das Matthäus-Evangelium stammt von dem Bischof Papias von Hierapolis. Weil dieser Bischof etwa um 100 bis 150 nach Christus gelebt hat, und weil er ein Zeitgenosse des Polykarp von Smyrna und Schüler des Apostels Johannes gewesen ist, darum hat das, was er über das Matthäus-Evangelium zu sagen wußte, "nach den Gesetzen historischer Forschung Anspruch auf höchste Beachtung" (Feine S. 22).
Die Gemeinde Hierapolis wird schon Kol 4,13 genannt: "Ich (Paulus) gebe dem Epaphras (einem Mitarbeiter des Paulus), Zeugnis, daß er viel Mühe um euch (in Kolossä) und die in Laodicäa und in Hierapolis hat."
Der Bischof Papias von Hierapolis hat nun in seinem fünfbändigen Werk, das den Titel "Auslegungen der Herrenworte" trug, sehr Bedeutungsvolles über das Matthäus-Evangelium berichtet. Weil diese Aussagen des Papias, wie wir schon sagten, die ältesten Angaben sind und dazu noch auf persönlichen Mitteilungen des Apostels Johannes beruhen, darum gilt es, diesen Papias-Worten größtes Interesse entgegenzubringen
Leider ist aber nun das große fünfbändige Werk des Papias verloren gegangen. Dieser Verlust wird in der Wissenschaft sehr bedauert!
Da kommt uns aber der Bischof Eusebius von Cäsarea zu Hilfe. Dieser Bischof Eusebius, der um 339 gestorben ist, hat das fünfbändige Werk des Papias gekannt und gelesen. Und weil Eusebius das Werk des Papias so hoch geschätzt hat, darum hat er auch von Papias Zitate in seine zehnbändige Kirchengeschichte hineingenommen. (Die Kirchengeschichte des Eusebius ist die älteste christliche Kirchengeschichte, die wir haben! Sie beginnt mit Jesus Christus und geht über die Zeit der Apostel hinaus bis zum Jahre 324). Diese allerälteste Kirchengeschichte (in Paris) ist auch darum so einzig wertvoll, weil darin auch zahlreiche Zitate aus verlorengegangenen altchristlichen Schriften aufgezeichnet sind. Unter vielem anderen ist auch ein Zitat über das Matthäus-Evangelium aus dem verlorengegangenen Papias-Werk "Auslegungen der Herrenworte" von Eusebius in seiner "Kirchengeschichte" angeführt.
Dieses Papias-Zitat, das Eusebius anführt, lautet: "Matthäus hat in hebräischer (aramäischer) Sprache die Reden des Herrn zusammengestellt, übersetzt aber hatte sie jeder, so gut er konnte." Eusebius bemerkt noch dazu, daß sich Papias für diese Angaben über das Matthäus-Evangelium auf persönliche Mitteilungen des "Alten Johannes", d. h. des Apostels Johannes beruft.
Was besagt diese Notiz? Sie besagt:
1. Matthäus ist der Verfasser des 1. Evangeliums.
2. Matthäus hat die Reden des Herrn in aramäischer Sprache aufgeschrieben.
Wir fragen: Was meint Papias, wenn er von den "Reden des Herrn" spricht, die Matthäus zusammengestellt hat?
Schauen wir in das Matthäus-Evangelium hinein, so ist es ganz merkwürdig, daß wir inmitten der Erzählungen fünf in sich geschlossene Reden des Herrn vorfinden! Diese fünf großen Reden des Herrn unterscheiden sich deutlich von den sie umgebenden Erzählungen. Die Unterscheidung wird auch rein äußerlich durch eine besondere Formel markiert. Am Schluß einer jeden großen Rede steht nämlich immer wieder fast wörtlich dieselbe Redewendung:
Mt 7,28: Und es geschah, als Jesus diese Worte vollendet hatte . . .
Mt 11,1: Und es geschah, als Jesus für seine Jünger die Anordnungen vollendet hatte . . .
Mt 13,53: Und es geschah, als Jesus diese Gleichnisse vollendet hatte . . .
Mt 19,1: Und es geschah, als Jesus diese Worte vollendet hatte . . .
Mt 26,1: Und es geschah, als Jesus alle diese Worte vollendet hatte . . .
Wenn man nun die fünf großen Reden miteinander verbinden würde, könnte man dann nicht zu der Annahme kommen, diese fünf großen Reden des Herrn bildeten ein in sich geschlossenes Ganzes? Könnte man vielleicht nicht weiter annehmen, daß die fünf großen Reden als ein in sich geschlossenes Ganzes schon vor dem Matthäus-Evangelium, so wie wir es heute haben, entstanden und bestanden haben? Ein solch in sich geschlossenes Werk der größeren Reden des Herrn könnte dazu bestimmt gewesen sein, die junge palästinische Christengemeinde in den Worten und Lehren des Herrn zu unterrichten. Der jungen Gemeinde sollte gezeigt werden, was der Wille Jesu ist, nämlich ihre Heiligung, d. h. ihre wahre und rechte Christus-Nachfolge.
Angeregt durch die wissenschaftliche Matthäus-Auslegung Schlatters, der geradezu den Ausdruck: "Die Kirche des Matthäus" geprägt hat, wird es in der vorliegenden Matthäus-Erläuterung auch unser Bemühen sein, immer und immer wieder, und zwar ganz besonders auf Grund der fünf Reden des Herrn, das große Anliegen des Matthäus herauszustellen, nämlich den Willen Gottes für das neue Leben der Nachfolge Christi zu verkünden! Und zwar fort und fort für die Gemeinde Jesu in unserer Zeit!
Wir kehren zu den fünf Reden des Herrn zurück! Würden wir den einzelnen Reden Überschriften geben, dann würden diese etwa so lauten:
1. Rede, Kap. 5-7: Jesus, der neue Gesetzgeber seiner Gemeinde.
2. Rede, Kap. 10: Jesus, der Baumeister seiner Gemeinde durch seine Boten.
3. Rede, Kap. 13: Jesus, der Förderer seiner Gemeinde (Gleichnisse).
4. Rede, Kap. 18: Jesus, der Organisator seiner Gemeinde.
5. Rede, Kap. 24-25: Jesus, der Vollender seiner Gemeinde bei seiner Wiederkunft.
Schlatter meint: "Die fünf Reden des Herrn schließen sich zu einem wohlgeordneten Ganzen zusammen. Keine Rede wiederholt die andere; jede ist für sich ein neues Ganzes. Sie bringen in das Wort Jesu Bewegung hinein und lassen es nach einem wohlerwogenen Plan zu seinem letzten Ziel emporsteigen."
Nachdem der Herr fort und fort seiner Gemeinde die große Forderung der Heiligung, der rechten Nachfolge, des rechten Lebens Ihm nach herausgehoben hat, steht seine Lehrunterweisung an ihrem Ziel.
Und dieses Ziel ist in aller Bedrängnis und Bedrückung der Zeit immer und immer wieder, daß die Gemeinde des Herrn ihr Angesicht stracks richte gen Jerusalem, das obere Jerusalem, von wo aus ihr Christus wiederkommen wird in großer Kraft und Herrlichkeit, um seiner Gemeinde die Vollendung zu bringen.
Das ist ein "Lehr-System", in das jedes Glied so hineingefügt ist, daß das Viele zur Einheit zusammenwächst. Hier kann kein Stück herausgenommen werden.
Hier zeigt sich, wie meisterhaft der Herr auch als Lehrer es verstand, Schritt für Schritt seinen Jüngern und damit seiner Gemeinde die Geheimnisse und Herrlichkeiten der Heilspläne Gottes zu offenbaren!

Gewicht:545 g
@Verlag: R.Brockhaus
Erschienen:1961