A Schriftsteller

Geliebte Fälscherin Tamera Alexander

08/03/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Gott hat etwas aus uns gemacht: Wir sind sein Werk, durch Jesus Christus neu geschaffen, um Gutes zu tun. Damit erfüllen wir nur, was Gott schon im Voraus für uns vorbereitet hat.
Epheser 2,10

Vorwort
Der größte Teil dieses Romans ist rein fiktiv, obwohl durchgehend historische Ereignisse und Personen in den Roman eingeflochten sind. Zum Beispiel gibt es in Nashville tatsächlich ein Belmont Mansion. Dieses eindrucksvolle Haus wurde 1853 erbaut und steht heute noch. Mrs Adelicia Acklen, eine Person in meinem Roman, ist die dynamische Frau, die dort lebte und ihrer Zeit weit voraus war.

Neben Adelicia Acklen wurde ich bei vielen anderen Personen, die in diesem Roman vorkommen, von Menschen inspiriert, die in jener Zeit gelebt haben. Menschen, die auf Belmont arbeiteten und die dort Gäste waren. Aber der Charakter und die Handlungen dieser Personen, wie sie in meinem Roman beschrieben werden, wurden von mir frei erfunden und sollten auch in diesem Sinne verstanden werden.

Als ich Belmont Mansion zum ersten Mal betrat und von Adelicia und ihrer außergewöhnlichen Persönlichkeit und ihrem beeindruckenden Leben erfuhr, wusste ich, dass ich eine Geschichte schreiben wollte, in der sie, ihr faszinierendes Zuhause und diese prägende Zeit der amerikanischen Geschichte vorkommen. Nachdem ich zwei Jahre lang recherchiert und geschrieben habe, stellt dieser Roman jetzt die Verwirklichung dieses Traums dar. Ich lade Sie ein, mich zu begleiten und mit mir wieder einmal die Tür zur Geschichte zu öffnen und in eine
andere Zeit und an einen anderen Ort einzutauchen. Danke, dass Sie mir Ihre Zeit anvertrauen. Das ist ein kostbares Geschenk, das ich sehr schätze und nie als selbstverständlich betrachte.
Danke, dass Sie sich mit mir wieder auf eine Reise begeben.
Tamera

Französisches Stadtviertel, New Orleans, Louisiana 7. September 1866 Claire
Laurent betrachtete die Leinwand auf der Staffelei vor sich und obwohl Meisterwerk zu hoch gegriffen wäre, um das Bild zu beschreiben, wusste sie doch, dass es ihr bislang bestes Gemälde war. Warum war sie dann so enttäuscht? Weil es ein gemeiner Betrug war und unter ihren Reifröcken und Spitzen winzige Schweißperlen über ihre Haut liefen. Während sie mit einer Hand durch ihre Locken fuhr und mit der anderen den mit Farbe getränkten Pinsel in einen Becher Terpentin tauchte, wusste sie ganz genau, was der Grund für ihre Enttäuschung war. Dieses Wissen verstärkte ihre Schuldgefühle noch mehr.

Ihr Blick wanderte zur rechten unteren Ecke der Leinwand, zu der Stelle, die für die Signatur des331490-5.jpg?1722703375798 Künstlers reserviert war. Sie hatte sich noch nicht überwinden können, dieses Bild zu signieren. Nicht mit diesem Namen. Denn von allen Landschaftsbildern, Stillleben und Porträts,
die sie gemalt hatte, hatte sie bei keinem das Gefühl gehabt, es wäre ihres.
Bis zu diesem Bild.
Ein Windhauch, feucht und schwer mit der untrüglichen Ankündigung von Regen, wehte durch das offene Fenster in ihr Zimmer im ersten Stock. Sie warf einen Blick aus dem Fenster über die Stadt und atmete die salzige Luft ein, die vom Golf herübergeweht wurde. Sie betrachtete das Vieux Carré unter sich, den Alten Platz, den sie schon so oft gemalt hatte, dass sie die Augen schließen und trotzdem jedes Detail sehen konnte: die pastellfarbenen Gebäude, die sich dicht nebeneinanderdrängten und die engen Straßen säumten, während ihre Balkone aus kunstvollem, schwarzem Schmiedeeisen mit leuchtenden Blüten in den Farben des Spätsommers wie hängende Körbe an den Häusern prangten. Diese Kombination verlieh diesem Stadtteil einen
Charme und eine Schönheit, die einzigartig waren.

Kein Wunder, dass sie sich so schnell in New Orleans verliebt hatte, auch wenn die letzten Monate sehr schwer gewesen waren. Das gleichmäßige Ticken der Uhr auf dem Kaminsims machte ihr bewusst, dass die Sekunden verstrichen. Sie atmete langsam aus. Dann erhob sie sich von ihrem Hocker und streckte sich. Sie merkte, dass sie an den letzten Tagen zu spät schlafen gegangen und zu früh aufgestanden war, aber das hatte sich nicht vermeiden lassen. Um dieses Gemälde fertigzustellen, hatte sie länger gebraucht, als sie angenommen hatte.

Viel länger, wie ihr Vater sie immer wieder erinnerte. Es war schon fast halb drei und sie musste „die Galerie spätestens um drei Uhr verlassen“, hatte ihr Vater verlangt. Sie wusste, dass sie sich von seiner Forderung nicht beirren lassen sollte. Es war nicht das erste Mal, dass er von ihr verlangte fortzugehen, während er mit Kunden der Galerie „sprach“. Es war auch nicht so, dass sie nicht gewusst hätte, was er in dieser Zeit machte. Woraus ihr Familienunternehmen bestand.
Seine zunehmende Gereiztheit in den letzten Wochen hatte ihre Einstellung ihm gegenüber auch nicht verbessert. Obwohl er bestimmt kein sanfter Mann war, hatte er trotzdem normalerweise keine so scharfe Zunge. Aber in den letzten Tagen war schon mancher Blick von ihm messerscharf gewesen.
„Claire Elise? Où es-tu?“
Sie erstarrte, als sie seine Stimme hörte. „Oui, Papa. Ich bin hier oben.“ Sie warf einen Blick auf die Leinwand hinter sich und rang mit dem lächerlichen Wunsch, sie zu verstecken. Irgendwie wollte sie nicht, dass er das Bild sah. Noch nicht. Wenn es nach ihr gegangen wäre, würde
er es überhaupt nicht sehen. Vielleicht könnte sie ihm erzählen, dass es noch nicht fertig sei. Aber ihr Vater brauchte nur einen einzigen Blick auf sie zu werfen und wusste die Wahrheit. Sich zu verstellen und zu lügen war eine Kunst, die sie noch nie beherrscht hatte. Im Gegensatz
zu ihm.
Die eiligen Schritte auf der Treppe verrieten ihr, dass sie nicht genug Zeit hatte, um das Gemälde hinter dem Kleiderschrank zu verstecken. Ein Tuch darüberzuwerfen kam nicht infrage, da die letzten Pinselstriche erst wenige Minuten alt waren. Vielleicht würde er ihr erlauben, das Bild zu behalten, wenn sie ihm erklärte, wie viel dieses spezielle Gemälde ihr bedeutete.

Aber sie hatte das Gefühl, dass ein solches Gespräch ähnlich verlaufen würde wie das Gespräch vor einem halben Jahr nach dem Tod ihrer Mutter, als sie ihm so deutlich, wie sie es gewagt hatte, erklärt hatte, dass sie nicht mehr „so“ malen wollte. Ihr Vater hatte sie nie geschlagen, aber in diesem Moment hatte sie gespürt, dass er das am liebsten getan hätte. Sie hatte es nicht gewagt, das Thema noch einmal anzusprechen.
Bis jetzt.

„Ah …“ Er blieb an der Tür hinter ihr stehen. „Endlich. Bist du endlich fertig?“ Sein Tonfall war weniger scharf als am Morgen und verleitete sie zu der Hoffnung, dass sich seine Stimmung gebessert haben könnte. „Ja … ich bin fertig.“ Sie wappnete sich gegen seine Reaktion und seine harsche Kritik und trat zur Seite. Ihre Nerven und ihr ganzer Körper waren angespannt.
Er starrte das Bild an. Dann blinzelte er. Einmal, zweimal. „Jardins de Versailles. Schon wieder.“ Ein Muskel an seinem Kinn zuckte. „Das ist nicht das Bild, das wir besprochen haben.“ Er schaute sie an, dann wanderte sein Blick wieder zur Leinwand. Seine konzentrierte Miene
verriet, dass er das Bild streng begutachtete. „Aber … es zeigt eine gewisse Verbesserung.“
Claire spürte, wie ihre Nerven sich bei dem leisen Hauch eines Lobs
entspannten. Bis sie es sah ...
Dieses bekannte Funkeln in seinen Augen. Ihr Vater schätzte Kunst.
Auf seine Weise. Aber in seinem Herzen war er Geschäftsmann. Sein Stolz auf ihr künstlerisches Talent blieb im Wettstreit mit dem Profit, den er durch den Verkauf ihrer Bilder zu machen hoffte, hoffnungslos auf der Strecke.
Ihre Bilder …
Die Ironie dieses Gedankens drückte wie ein schwerer Stein auf ihre Brust, ließ aber einen unerwarteten – und gefährlichen – Anflug von Mut in ihr aufkeimen. „Papa, ich …“ Die Worte blieben ihr im Halse stecken, da ihre Kehle wie zugeschnürt war. Dabei schaute er sie noch
nicht einmal an. „Ich muss mit dir über etwas sprechen. Über etwas,
das für mich sehr wichtig ist. Ich weiß, dass du nicht …“
Seine Hand fuhr in die Höhe, woraufhin sie erschrocken zusammenzuckte.
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Aber er schien ihre Reaktion gar nicht zu bemerken. „Das ist nicht das Landschaftsbild, das du dieses Mal malen solltest. Es ist auch nicht so, wie ich es dem Kunden beschrieben habe, aber …“ Er betrachtete ihre Wiedergabe des Palastes von Louis XIV und der umliegenden
Gärten und stieß dann einen theatralischen Seufzer aus. „Da uns keine
Zeit bleibt und da dieser Kunde unbedingt einen François-Narcisse
Brissaud besitzen will, muss das genügen.“ Er nickte kurz, als ringe er
selbst in diesem Moment mit seiner Entscheidung.
„Ja. Ich bin sicher, dass ich ihn vom Wert dieses Bildes überzeugen kann.“ Er grinste höhnisch. „Schließlich schicken die größeren Pariser Galerien öfter das falsche Bild. Aber das nächste Mal, Claire …“, er schaute mit strengem Blick auf sie hinab, „… musst du bis ins kleinste
Detail das Bild malen, auf das wir uns geeinigt haben.“
Claire schaute ihn fragend an. Seine Worte schmerzten sie in vielerlei
Hinsicht. Aber am meisten störte sie eines. „Du hast schon einen Käufer für dieses Bild? Obwohl er es noch gar nicht gesehen hat?“ Ein befriedigtes Lächeln zuckte um seinen Mund, als sein Blick zu
ihrem Bild zurückwanderte. „Ich habe dir doch gesagt, dass es dazu kommen würde. Es spricht sich herum. Nach zwei Jahren unermüdlicher Arbeit bekommt unsere bescheidene kleine Galerie endlich die Anerkennung in dieser Stadt, die sie verdient. Und auch das Vertrauen
unserer Kunden, wie ich es vorhergesehen hatte. Das alles brauchte
nur seine Zeit. Und mein Verhandlungsgeschick. Obwohl ich zugeben muss, wenn ich deine Mischung aus helleren und dunkleren Schattierungen sehe und wie du die Farben im Garten dieses Mal ineinander übergehen lässt, dass du dir meinen Rat zu Herzen genommen hast.“
Claire erwiderte nichts, da sie gelernt hatte, dass sie am besten schwieg, wenn er davon sprach, dass sie seinen Rat befolgen sollte. Seine Miene wurde versöhnlicher. „Wenn ich näher herangehe …“,
er tat, was er sagte, „… bin ich fast sicher, dass ich einen Hauch von
Fliederduft in der warmen Mittagssonne rieche.“

Er erstarrte. Ihre Augen folgten seinem Blick zur linken unteren Ecke des Bildes. Das Detail war unauffällig und so subtil, dass man es leicht übersah, wenn man nicht genau hinschaute. Deshalb überraschte es sie nicht, dass er so lang gebraucht hatte, um es zu bemerken.
„Abella.“ Seine Stimme war kaum hörbar, und der Name ihrer Mutter auf seinen Lippen klang mehr nach einem Gebet als alles andere, was Claire je aus seinem Mund gehört hatte. Nicht dass sie schon viele Gebete gehört hätte und ganz bestimmt nicht von ihm. „Du hast sie
gemalt“, flüsterte er.

Tränen brannten in Claires Augen. Sie war erschüttert, weil seine Stimme plötzlich leiser geworden war und gestockt hatte und weil sie die Frau in dem Bild so sehr vermisste. Sie hatte ihre Maman barfüßig auf dem gepflasterten Weg gemalt, halb hinter einem Fliederbusch
versteckt und mit einem Blumenkorb am Arm. Ihr Kinn war leicht gehoben, als suche sie jemanden. Ihre langen, kastanienbraunen Locken, die sich in Claires eigenen Haaren widerspiegelten, bewegten sich im leichten Wind.

Claire starrte das Bild ihrer Mutter an, bis die zarten Pinselstriche in einem Farbenmeer verschwammen. Zehn Jahre waren seit jenem Nachmittag in Versailles vergangen, seit ihrem letzten Besuch im Palastgarten, bevor sie Paris und Frankreich für immer verlassen hatten.
Sie war damals neun gewesen, aber die Erinnerungen an Nachmittage, die sie dort mit ihren Eltern verbracht hatte – als sie mit ihnen durch die Gärten geschlendert war und kindlichen Träumen nachgehangen hatte, wie es wohl wäre, in einem solchen Palast zu leben –, hatten sich
tief in ihr eingegraben und waren in ihren Sinnen immer noch sehr lebendig. Die Luft hatte nach Blumen geduftet, die Sinfonie der Natur im Rascheln der Bäume, das atemberaubende Farbenmeer – jedes Detail hatte sie für immer in ihrem Gedächtnis bewahrt.
Die Erinnerungen an diese Tage gehörten zu den glücklichsten ihres
Lebens. Und die Erinnerungen an das letzte halbe Jahr waren mit Abstand
die traurigsten ihres Lebens.

Sie hatte gedacht, sie wäre auf den Tod ihrer Mutter vorbereitet. Über ein Jahr lang hatte sie zusehen müssen, wie die Krankheit sie innerlich auffraß. Und obwohl es eine Erleichterung für sie war, dass ihre Mutter jetzt nicht mehr leiden musste, gab es Tage, an denen eine düstere,
dunkle, gähnende Leere so tief und bodenlos in ihr herrschte, dass sie fürchtete, sie würde sie völlig verschlingen.
„Sie war so schön.“ Die Stimme ihres Vaters zitterte und klang viel erschöpfter, als es seine zweiundvierzig Jahre vermuten ließen. Er hob die Hand, als wollte er das Bild berühren, doch dann hielt er inne. Seine Hand zitterte.
Claire schaute ihn genauer an. Die Schatten unter seinen Augen …

Wie lang waren sie schon da? Und die Falten auf seiner Stirn. Hatte vielleicht die Reue sie in seine Stirn gegraben? Bestimmt große Sorgen. Aber worum sorgte er sich? Dass er die Miete wieder nicht pünktlich zahlen konnte? Dass er die teuren Kunstwerke, die er auf Kredit gekauft
hatte, was sie für falsch hielt, noch nicht verkauft hatte?
Sie schaute das Bild wieder an. „Ich hatte nicht vor, sie in dem Bild zu malen, Papa. Sie ist einfach aus meiner Pinselspitze aufgetaucht.“ Er schwieg einen langen Moment. Dann atmete er lange und langsam aus. „Die Aussage eines Gemäldes muss zuerst im Herzen des Künstlers geboren werden, bevor sie auf der Leinwand zum Leben erwachen kann.“
Claire spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Diese Worte waren die erste Lektion ihrer Mutter gewesen. In einer längst vergangenen Zeit. Sie konnte kaum glauben, dass er sich noch daran erinnerte. Sie hingegen erinnerte sich an alles, was ihre Mutter sie gelehrt hatte. Wenn sie
nur Abella Laurents Begabung geerbt hätte! Ihre Mutter hatte behauptet, dass sie sie geerbt hätte. Und sogar noch viel mehr Talent besäße als sie selbst. Aber ihr Vater stellte immer wieder klar, dass dem nicht so war.

Er sagte es natürlich nie direkt: dass nichts, was sie machte, je gut genug wäre. Aber sie wusste trotzdem, dass er das dachte. Sie hörte es aus dem heraus, was er nicht sagte.
Die Hand ihres Vaters bewegte sich langsam und in einem kurzen  Tagtraum stellte sich Claire vor, er würde ihre Wange streicheln, wie sie sich das immer von ihm gewünscht hatte. Ihre Mutter hatte gesagt, dass er das früher getan habe, aber so weit zurück reichte Claires Erinnerung nicht. Sie hielt den Atem an und fühlte sich gar nicht mehr erwachsen, sondern viel mehr wie ein einsames Kind. Er wandte sich ab. „Ich vermisse sie auch“, flüsterte er. „Glaube nie, ich würde sie nicht vermissen.“

Claire kam sich töricht vor und sagte sich, dass sie es hätte besser wissen müssen. Sie senkte den Kopf, um ihren Schmerz zu verbergen. „Das glaube ich auch nicht, Papa.“
In früheren Jahren hatte es Zeiten gegeben, in denen sie die Liebe zwischen ihren Eltern infrage gestellt hatte. Hauptsächlich die Liebe ihres Vaters zu ihrer Mutter. Besonders in ihren letzten Tagen, als immer offensichtlicher geworden war, dass die Medikamente nicht halfen und
dass die Ärzte die Hoffnung aufgegeben hatten. Damals hatte Claire ihn angefleht, ihre Mutter in ein Sanatorium zu schicken. „Leute wie Maman gehen dorthin und einige von ihnen werden wieder gesund“, hatte sie zu ihm gesagt. Aber er hatte mit einem Wutanfall reagiert.

„Diese Sanatorien kosten Geld, Claire Elise! Geld, das wir nicht haben. Es sei denn, du kannst an ihrer Stelle malen. Schneller und besser, als du bis jetzt malst.“ Und so hatte sie monatelang Tag und Nacht gearbeitet und sich um ihre Mutter gekümmert, während ihre Mutter sie weiterhin unterwies – wie immer, seit Claire ein kleines Mädchen gewesen war. Manchmal vom Bett aus, wenn sie zu schwach war, um zu sitzen oder zu stehen. Aber am Ende hatte Papa sich trotzdem nicht umstimmen lassen, sosehr Claire ihn auch angefleht und soviel sie auch gemalt hatte.
Schließlich war ihre Mutter hier in diesem Zimmer gestorben.
Ihr Vater räusperte sich. „Zu deinem Glück hat Brissaud bei den siebzehn Bildern, auf denen er die Jardins de Versailles gemalt hat, jedes Mal ein anderes Detail eingebaut.“
Claire nickte, da ihr das sehr wohl bewusst war. Ihr war auch bewusst, dass jedes der siebzehn Originalbilder der Jardins de Versailles – plus die vier, die sie vor diesem Bild gemalt hatte – im Umlauf waren. Falls je jemand eine Gelegenheit fand, diesen vier, bald fünf, stolzen Besitzern
eines „Originals“ von François-Narcisse Brissaud, die sie in der Galerie für europäische Meisterwerke in New Orleans gekauft hatten, Details über die anderen siebzehn Gemälde zu verraten ...

Ihr Vater deutete zur Uhr auf dem Kaminsims und warf ihr einen vielsagenden Blick zu, bevor er wieder die Treppe hinabging. Claire holte ihre Handtasche und wollte ihm folgen, doch dann warf sie noch einmal einen Blick auf das Bild hinter sich. Ohne über die Konsequenzen nachzudenken, nahm sie einen Pinsel, tauchte ihn in die Farbe und signierte das Porträt mit ihrem Namen, auch wenn ihre Hand dabei zitterte. Sie würde das später ändern müssen, das wusste sie.
Aber im Moment gab es ihr ein gutes Gefühl, ihren Namen auf etwas zu sehen, auf das sie so stolz war. Ein wenig Genugtuung verschaffte ihr auch das Wissen, dass es Papa nicht gefallen würde. Es fühlte sich sogar ein wenig rebellisch an.

Während sie durch die Küche ging, sah sie, dass die Tür offen stand, die in die Kunstgalerie führte. Das erlaubte Papa nie. Wenn man durch diese Tür trat, war es, als würde man eine andere Welt betreten. Weiche Teppiche und Messingkronleuchter, Ölgemälde und Skulpturen,
burgunderrote Seidentapeten an den Wänden, die zu den Samtstoffen passten, die auf den Tischen lagen. Alles war auf Kredit gekauft worden, als sie vor zwei Jahren in dieses Gebäude gezogen waren, mit der Absicht, eine Atmosphäre aus Wohlstand und Luxus zu schaffen, auch
wenn diese Fassade wackelig und sehr dünn war.
Claire wurde wieder mit dem krassen Unterschied zwischen der Galerie und der Wohnung konfrontiert und blieb an der Hintertür stehen. Mit der Hand auf dem Türgriff nahm sie ihren ganzen Mut zusammen. „Papa … wegen des Bildes, das ich heute fertig gemalt habe.
Ich würde gern mit dir darüber reden, ob wir es nicht behalten …“
„Nein. Kommt nicht infrage!“
Eine unerwartete Hitze schoss in ihre Brust. „Aber dieses Bild ist etwas Besonderes. Wenigstens für mich. Ich male ein anderes, schneller und genau so, wie du es mir vorgibst. Was du …“
„Die Antwort ist Nein!“ Zorn lag in seiner Stimme. „Das Bild ist
bereits verkauft.“
„Aber darin ist Maman.“
„Wir brauchen das Geld, Claire Elise! Unsere Gläubiger warten auf ihr Geld und dein Trödeln kommt mich teuer zu stehen. Wieder einmal.“ Obwohl sie wusste, dass sie sich auf gefährlichem Terrain bewegte, wagte sie einen weiteren Vorstoß. „Ich habe noch ein Bild, Papa. Eines von mir, das ich dir noch nicht gezeigt habe. Vielleicht möchte der Kunde …“

„Er will einen Brissaud! Habe ich dir das nicht klargemacht?“ Sein Hals bekam vor Wut rote Flecken. „Unsere Kunden interessieren sich nicht für die harmlosen, nichtssagenden Bildchen einer…“ Als höre er selbst, wie harsch und beißend sein Tonfall war, atmete er aus und schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, Claire. Aber das Bild ist verkauft. Es gibt nichts mehr zu diskutieren. Irgendwann können wir vielleicht deine eigenen Bilder verkaufen. Aber bis jetzt fehlt deinem Talent einfach jede … Einzigartigkeit. Ein Talent zu entwickeln kostet Zeit. Für
dich ist es vorerst am besten, wenn du weiterhin andere Bilder kopierst.

Das machst du ganz gut.“

Bitterkeit brannte in ihrem Mund und Claire fühlte einen unerwarteten Schmerz tief in ihrem Inneren. Sie wollte etwas erwidern, aber sie wollte nicht noch mehr weinen. Und wenn sie jetzt ihren Mund aufmachte …

„Du musst das verstehen.“ Er schloss die Augen. „Darauf arbeiten wir seit Jahren hin. Darauf, eine eigene Galerie zu besitzen, uns einen Namen zu machen.“
„Ja, Papa. Einen Namen. Aber unseren Namen. Unsere Bilder. Nicht die von jemand anderem, die wir …“ „Denk an deine Mutter und wie schwer sie gearbeitet hat. Für uns als
Familie. Für dich.“
Seine Miene spiegelte eine Zärtlichkeit wider, die Claire kaum wiedererkannte und der sie nicht ganz traute. „Deine Maman hat so viel geopfert, um dir dieses Talent zu geben, Claire. Und um dir ein besseres Leben in Amerika zu ermöglichen. Warum, glaubst du, sind wir hierhergekommen? Warum, glaubst du, haben wir die ganzen Jahre so viel gearbeitet? Es war alles für dich …“ 
Das hatte sie alles schon gehört und obwohl sie für alles dankbar war, was ihre Mutter – und ihr Vater – ihr ermöglicht hatten, wusste sie auch, dass ihre Bemühungen nicht nur Claires Wohl im Blick gehabt hatten. Sondern seines. Das hatte ihre Mutter ihr verraten. Ihre Mutter hatte in ihren letzten Tagen sehr viel gesagt. Ob dabei die starken Schmerzmittel aus ihr gesprochen hatten oder ob endlich die Wahrheit ans Licht gekommen war, wusste Claire nicht genau.
Aber sie wollte glauben, dass ihr Vater ihr Bestes wollte. Immerhin war er ihr Papa.

Während sie zu ihm hinaufschaute und seine angespannten Schultern, seine eiserne Entschlossenheit sah, spürte sie, wie alle Widerstandskraft aus ihr wich. Sie öffnete die Tür, bevor ihr noch etwas einfiel und sie ihm die Hand hinhielt. Sie fühlte sich wie eine Bettlerin
und verabscheute ihn deshalb nur noch mehr.
Ihr Vater drückte ihr drei Münzen in die Hand. Eine mehr als üblich. Sie drehte sich ohne ein Danke oder ein Adieu um. „Genieß deine Zeit im Café, aber bleib nicht zu lange fort. Auf uns
wartet heute Abend noch Arbeit.“ Sein Tonfall war fröhlicher geworden. Das war immer so, wenn sie nachgab. „Und vergiss nicht, Onkel Antoine und mir etwas Süßes mitzubringen.“

Claire stockte in ihren Schritten. „Onkel Antoine ist wieder da?“
Er nickte, als wäre diese Information unbedeutend, obwohl er ganz genau wusste, dass dem nicht so war. „Er wird bald kommen, um mir zu helfen. Ich werde ihn bitten zu bleiben, damit du ihm Hallo sagen kannst, falls er Zeit hat. Aber jetzt beeil dich.“ Er winkte schnell.
„Überlass das Geschäftliche uns. Das können wir besser.“

Claire bahnte sich einen Weg über die gepflasterte Straße und vergrub den Schmerz wie immer tief in sich. Sie wich Wagen und Kutschen aus, die quietschend an ihr vorbeifuhren, und hoffte, sie würde ihr Ziel erreichen, bevor der Himmel seine stahlgraue Drohung wahr machte
und seine Schleusen öffnete.
Sie wohnten seit zwei Jahren in New Orleans. So lange hatten sie vorher noch nie am gleichen Ort gewohnt, seit sie in Amerika waren, und sie hatte endlich das Gefühl, hier zu Hause zu sein. Das bedeutete, dass sie wahrscheinlich bald wieder weiterziehen würden. Allein der
Gedanke, schon wieder umzuziehen, weckte ein starkes Grauen in ihr.
Onkel Antoine hatte ihr versprochen, dass er das nicht wieder zuließe, dass er es ihrem Vater ausreden würde, wenn er wieder auf diese Idee käme. Aber sie wusste nur zu gut, wie starrköpfig Papa sein konnte.
Onkel Antoine.
Sie spürte, wie ein Teil ihrer Angst verschwand, während sie wartete, bis eine Kutsche vorbeigefahren war, bevor sie die Straße überquerte. Onkel Antoine verstand es, die Spannung zwischen ihr und Papa zu vertreiben.
Antoine DePaul war fast so alt wie ihr Vater und mit ihr genauso
wenig verwandt wie sie mit Louis XIV, aber sie liebte ihn, als gehöre er
zur Familie. Er war häufig auf Reisen. Seine Geschäfte hatten ihn vor
über einem Monat zurück in den Norden gerufen. Eine lange Zeit. Sie
konnte es kaum erwarten zu sehen, welche Modestiefel er sich wieder
gekauft hatte. Krokodillederstiefel waren sein Markenzeichen, aber bei
seiner letzten Fahrt nach New York hatte er Strauß und Anaconda gekauft.
Nur Onkel Antoine …
Als sie um die nächste Ecke bog, atmete sie tief ein und wurde nicht
enttäuscht. Der tröstende Duft von Hefebeignets und Zichorienkaffee

weckte angenehme Erinnerungen an das Zuhause ihrer Kindheit, und das, obwohl das Café du Monde noch ein ganzes Stück entfernt war.
Ihre Stimmung besserte sich wie immer, wenn sie sich aus dem Haus wagte und spazieren ging und damit von der Galerie fort war.
Sie erinnerte sich an ihre erste Begegnung mit Antoine DePaul: in New York City bei ihrer Ankunft in Amerika vor zehn Jahren. Sie hatte ihn für groß und eindrucksvoll gehalten. Er brachte sie zum Lachen,
ohne dass er viel tun musste. Es war wirklich ein großes Glück gewesen, dass sie ihn so bald nach ihrer Ankunft in diesem neuen Land getroffen hatten. Er war selbst erst kurz vorher aus Frankreich nach Amerika gekommen. „Eine kleine Welt, selbst in dieser großen neuen
Welt“, hatte Papa gesagt. Onkel Antoine war selbst ebenfalls ein
erfahrener Kunsthändler und besaß einen Charme, der Kunden und
weibliche Bewunderer in Scharen anzuziehen schien. Er war bald Geschäftspartner
ihres Vaters geworden.
Und schließlich fast ein Familienmitglied.
Mit einem lauten Donnerkrachen öffnete der graue Himmel seine
Schleusentore. Claire rettete sich, so schnell sie konnte, unter die gestreifte
Markise des Cafés. Sie fühlte sich ein wenig wie eine durchnässte
Ratte und wusste, dass sie wahrscheinlich auch so aussah. Sie
schüttelte die Nässe von ihrem Rock und schob ihre feuchten Locken
zurecht.
„Bonjour, Madame!“ Sie lächelte die Frau hinter der Theke an und gab ihre Bestellung auf. Sie war froh, dass das Café nicht übermäßig voll war.
Mit zwei Beignets auf einem Teller und zwei, die sie zum Mitnehmen
hatte einpacken lassen, sowie einer Tasse Kaffee suchte sie sich
einen leeren Tisch. Ein Kunde, der vor ihr hier gesessen hatte, hatte die
Tageszeitung liegen lassen. Sie überflog die neuesten Nachrichten und
genoss dabei ihr Gebäck und ihren Kaffee. Als niemand sie beobachtete,
schleckte sie sich den Puderzucker von den Fingern.
Nach einer Weile faltete sie die Zeitung zusammen und genoss den
Rest ihres Kaffees. Sie wischte sich den Puderzucker von ihrem Schoß,
aber der schwarze Stoff ihres einzigen Trauerkleides gab den weißen
Staub nur widerwillig wieder her. War es wirklich schon ein halbes
Jahr her, seit ihre Mutter gestorben war? Es kam ihr viel länger vor und
gleichzeitig, als wäre es erst gestern gewesen.
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Als sie sah, dass sich der Regen gelegt hatte, trat sie in einem gemütlichen
Tempo den Heimweg an. Sie war überrascht, wie schnell die
Abenddämmerung sich über die Stadt legte und wie warm und schwer
die Luft immer noch war. Sie konzentrierte ihre Gedanken darauf, welches
Kunstwerk ihr Vater in ihrer Abwesenheit vielleicht verkauft hatte,
falls er überhaupt eines verkauft hatte.
Sie dachte an ihre Jardins de Versailles, wusste aber, dass das Bild noch
mindestens einen oder zwei Tage in Sicherheit war. Denn ein Gemälde
von François-Narcisse Brissaud, eines hoch geschätzten „Pariser Meisterkünstlers“,
dessen Bilder sehr begehrt waren, konnte schlecht in einer
Galerie in New Orleans verkauft werden, solange die Ölfarbe noch
bei jeder Berührung klebte.
Die meisten ihrer Kunden kamen in die Galerie und verlangten Kopien
von berühmten Gemälden. Wenn Papa Geld von ihnen bekam,
kam sie ihren Wünschen gern nach und signierte das Bild mit ihren
eigenen Initialen. Mehr erlaubte er ihr nicht. Die Amerikaner schienen
alles zu lieben, was aus Europa kam, und eine gut gemachte Kopie
eines Werks von einem anerkannten europäischen Künstler war sehr
in Mode.
Diese Bilder zu malen störte sie nicht. Es machte ihr sogar Spaß.
Denn diese Menschen wussten, dass sie eine Kopie kauften. Kein Original.
Aber wenn jemand kam und ein Werk des großen Künstlers François-
Narcisse Brissaud kaufte, dessen Stil ihre Mutter unermüdlich studiert
und nachzuahmen gelernt hatte, genauso wie Claire, glaubte der
Kunde, er erhalte etwas von wirklichem Wert.
Aber in Wahrheit war der Name des Künstlers auf der Leinwand
genauso falsch wie die Dokumente, die ihr Vater und Onkel Antoine
fälschten und die die angebliche Echtheit des Gemäldes bezeugten.
Was sie machten, war unrecht. Das wusste sie genau. Es war Diebstahl.
Sie verstand nie, warum ihre Mutter sich bereit erklärt hatte, das zu
machen. Maman hatte das nie verraten und Claire hatte sie auch nie
gedrängt, auch nicht am Ende. Das schien irgendwie eine triviale Frage
zu sein, als das Leben ihrer Mutter schmerzlich und mit Gewissheit
dem Ende entgegengegangen war.
Sie erinnerte sich immer noch daran, wie sie vor einigen Jahren zum
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ersten Mal ein Landschaftsbild gesehen hatte, das ihre Mutter gemalt
hatte, das aber einen fremden Namen getragen hatte. Sie war damals elf
gewesen und hatte gedacht, jemand hätte einen Fehler gemacht. Oder
dass dieser Mann – wer auch immer er war – das Bild ihrer Mutter
nachgemalt hätte.
Kurze Zeit später war sie in mehrere Internate geschickt worden.
Aber mit siebzehn hatte sie die Wahrheit gewusst. Und als ihre Maman
zu krank geworden war, um einen Pinsel halten zu können, hatte Claire
ihr erstes Bild und den Namen François-Narcisse Brissaud unten in der
Ecke gefälscht, während ihr Vater hinter ihr gestanden hatte.
Die schwere Last, die ihre Mutter so viele Jahre lang getragen hatte,
war auf sie übergegangen. Und die Verantwortung, wie ihr Vater es bezeichnete,
lag schwer und erdrückend auf ihren Schultern.
Mit jedem Schritt, der sie ihrem Zuhause näher brachte, spürte sie,
wie sie sich innerlich anspannte.
Wenn sie von der Galerie und von ihrem Vater fort war, fühlte sie
sich fast wie ein anderer Mensch, der ein unbeschwertes Leben führte.
Sie wünschte sich so sehr, sie könnte wirklich ein anderes Leben
führen. Sie musste eine Möglichkeit finden, ihn dazu zu bringen, ihr
zuzuhören und sie zu verstehen.
Zu ihrer Überraschung musste sie nicht lange nachdenken, was sie
sagen wollte. „Papa, ich habe beschlossen, dieses Bild von Versailles zu
behalten. Ich bezahle es dir, wenn du darauf bestehst.“ Sie wusste allerdings
nicht, wie sie das anstellen sollte. Ihr Vater regelte die Finanzen,
und die Einnahmen durch die Galerie waren in den letzten Monaten
spärlich gewesen, wie er ihr wiederholt erklärt hatte, obwohl er immer
wieder Bilder verkaufte. „Aber ich will es behalten. Und vor allem muss
ich dir sagen, dass ich nicht länger mehr mitmache. Ich male, was du
willst, solange mein Name unten auf der Leinwand steht.“ So. Sie atmete
aus. Die Worte kamen ihr so leicht in den Sinn, wenn sie nicht vor ihm
stand, wenn er sie nicht finster anschaute.
Sie trat durch die Küche ein. Das Gebäude war still, und eine
schmerzliche Enttäuschung regte sich in ihr. War Onkel Antoine schon
wieder gegangen? Hatte sie ihn verpasst?
Sie legte ihre Handtasche zusammen mit der Tüte mit den Beignets
auf den Küchentisch. Sie musste anfangen, das Abendessen zu kochen,
aber sie hatte keinen Hunger. Doch sie wusste, dass Papa Hunger hatte.
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Sie öffnete die Tür zur Galerie und schaute hinein. Ein einziger Kerzenleuchter
brannte auf einem Sekretär und warf ein flackerndes Licht
an die Wand, während der Rest des Raums im Schatten und Zwielicht
lag. „Papa?“
Sie stellte fest, dass die Duchesse d’Orléans – eine Reproduktion von
Alexandre-François Caminades Original, das sie vor zwei Monaten gemalt
und mit ihren Initialen signiert hatte, nicht mehr auf der Staffelei
stand. Das Podest daneben, auf dem Nydia, das blinde Blumenmädchen
aus Pompeii gestanden hatte, eine kleine Originalstatue von Randolph
Rogers, einem anerkannten Bildhauer und ihrem persönlichen Lieblingsbildhauer,
war ebenfalls leer.
Offensichtlich war es ein sehr einträglicher Nachmittag gewesen.
Sie hatte Papa kritisiert, als er die Rogers-Statue gekauft hatte. Es war
ein viel zu teures Stück, um es zu kaufen, ohne schon einen Kunden
dafür zu haben, aber er hatte die Statue trotzdem gekauft und gesagt, es
wäre weise, hin und wieder ein echtes Original in der Galerie zu haben.
Und jetzt sah es so aus, als hätte er diesmal eine kluge Entscheidung
getroffen und die Statue innerhalb von nur einer Woche verkauft.
Sie schüttelte den Kopf und drehte sich um, um ihn zu suchen. Wie
selbstzufrieden er jetzt sicherlich war und sie wieder daran erinnern
würde, dass er …
Etwas knirschte unter ihrem Stiefel. Sie schaute auf den Boden. Glasscherben.
Dann hörte sie ein tiefes Stöhnen, das von irgendwo hinter der Tür
kam.
Langsam versetzte sie der Tür einen Stoß. Das Quietschen der Türangeln
war in der Stille viel zu laut. Ihre Augen brauchten einen Moment,
um sich an das dämmrige Licht zu gewöhnen. Dann sah sie ihn
auf der anderen Seite des Raums mit dem Gesicht nach unten auf dem
Boden liegen.
„Papa!“ Sie lief zu ihm. Bei jedem ihrer Schritte knirschten die Glasscherben
unter ihren Stiefeln. „Papa, geht es dir gut?“ Sie beugte sich
über ihn und rüttelte an seiner Schulter. Keine Antwort. „Ich bin es,
Papa. Claire. Kannst du mich hören?“
Sein Atem klang mühsam, als habe er starke Schmerzen.
Mit Mühe drehte sie ihn, so vorsichtig sie konnte, auf den Rücken.
Er stöhnte, und sie zuckte zusammen, da sie fürchtete, dass sie seine
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Schmerzen nur noch vergrößerte. Sie schob sich die Haare zurück, damit
sie ihr nicht ins Gesicht fielen, und fühlte etwas Feuchtes an ihren
Händen, etwas Klebriges.
Sie schaute nach unten und hatte das Gefühl, der Raum drehe sich
um sie.
Ein dunkler Fleck hatte die Vorderseite des Hemdes ihres Vaters getränkt,
die gleiche Farbe, die jetzt von ihren Handflächen tropfte. Ihr
wurde schwindelig. Obwohl ihr vor dem graute, was sie finden würde,
zog sie den Saum seines Hemdes aus seiner Hose und entdeckte eine
klaffende Wunde in seinem Unterleib. Aus dem Blutverlust zu schließen,
war es eine tiefe Wunde. Oh, Papa.
„Mach die Augen auf“, flüsterte sie, während ihr das Herz bis zum
Hals schlug. „Bitte, mach die Augen auf.“
Er tat es nicht.
Sie rannte zur Kommode und schnappte sich einen Stoß frischer Poliertücher
aus einer unteren Schublade, dazu den Kerzenleuchter. Sie
musste Druck auf die Wunde ausüben, so viel wusste sie. Der Schein
des Kerzenlichts folgte ihren Bewegungen und flackerte über die weinrot
tapezierten Wände. Überall, wohin das Licht fiel, nahm der Raum
einen rötlichen Schein an.
Ihr Blick fiel auf etwas. Claire erstarrte.
Sie kniff die Augen zusammen, hob den Kerzenleuchter höher und
wollte sich vergewissern, dass das, was sie sah, beziehungsweise das, was
sie nicht sah, die Wirklichkeit war. Und es stimmte tatsächlich.
Jedes einzelne Kunstwerk in der Galerie war verschwunden.

ISBN: 9783868274905
Auflage: 17.02.2015
Seitenzahl: 544 S.
Maße: 12,5 x 18,7 x 3,7 cm
Gewicht: 522g
Sachgebiet: Erzählungen/Romane


André Georges, Haschen nach Wind - Der Prediger und die Antworten des Neuen Testaments,

06/08/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

II. DIE ARBEIT (Lies Prediger 1,3; 2,18-23; 4,4-8; 6,7)

«Welchen Gewinn hat der Mensch bei all seiner Mühe, womit er sich abmüht unter der Sonne?» (Prediger 1,3; 3,9).
Die erste Frage, die sich der Prediger stellt, lautet: Hat der Mensch irgendwelchen Gewinn von all seiner Arbeit und der Mühe, die sie mit sich bringt? Ist die Arbeit ein Segen oder ein Fluch?
Etliche beziehen sich auf 1. Mose 3 und erklären, sie sei ein Fluch. Aber was lesen wir dort? «... So sei der Erdboden verflucht um deinetwillen: mit Mühsal sollst du davon essen alle Tage deines Lebens; und Dornen und Disteln wird er dir sprossen lassen, und du wirst das Kraut des Feldes essen. Im Schweisse deines Angesichts wirst du dein Brot essen.« (1. Mose 3,17-19). Der Fluch ruht auf dem Erdboden, nicht auf dem Menschen; die Arbeit ist nicht die Folge der Sünde, sondern die Mühsal in der Arbeit: «Mit Mühsal sollst du ... essen.« Die Domen und Disteln, nicht die Tätigkeit des Menschen, entsprangen dem Sündenfall: Gott hatte Adam in Eden gesetzt, um den Garten zu «bebauen» und zu bewahren. Von der Frucht des Gartens durfte er «nach Belieben» essen; nachher aber ass er sein Brot «im Schweisse seines Angesichts».

Die Arbeit an sich ist also nicht ein aus dem Sün-lenfall hervorgegangener Fluch, im Gegenteil. Es genügt, daran zu denken, wie sehr der Arbeitslose oder der zu Einzelhaft verurteilte Mensch sittlich entkräf-et wird, um sich bewusst zu werden, welchen Segens der Mensch durch seine Untätigkeit verlustig geht. Die Arbeit, die Adam schon in seinem Zustande der Unschuld verordnet war, bringt Befriedigung, nicht nur durch die Tätigkeit, die sie verschafft, sondern weil sie die Möglichkeit gibt, zu produzieren, zu schaffen, nützlich zu sein.
Doch kommt der Prediger dazu, uns zu sagen: «Ich hasste alle meine Mühe, womit ich mich abmühte unter der Sonne ... Denn was wird dem Menschen bei all seiner Mühe und beim Trachten seines Herzens, womit er sich abmüht unter der Sonne? Denn alle seine Tage sind Kummer, und seine Geschäftigkeit ist Verdruss; selbst des Nachts ruht sein Herz nicht. Auch das ist Eitelkeit') (2,18.22-23). Weiter betont der Prediger: «Und ich sah all die Mühe und all die Geschicklichkeit in der Arbeit, dass es Eifersucht des einen gegen den anderen ist« (4. 4).. Es gibt in der Arbeit gewiss eine gesunde und nützliche Konkurrenz; aber wie leicht mischt sich jene Leidenschaftlichkeit hinein, die nicht nur etwas hervorbringen, sondern auch niederreissen will, was die anderen tun, oder sie in ihrer Tätigkeit zu hemmen sucht. Und angesichts des Todes ruft Salomo aus: «Was für einen Gewinn hat er (der Mensch) davon, dass er in den Wind sich müht?» (5,16).
Er stellt fest: «Alle Mühe des Menschen ist für seinen Mund, und dennoch wird seine Begierde nicht gestillt» (6, 7).
Weshalb kommt der Prediger zu derart verzweifelten Schlussfolgerungen? Weil er die Arbeit vom rein egoistischen Standpunkt aus betrachtet, wobei man im persönlichen Vorteil das einzige Ziel sieht und sich nicht um die anderen kümmert, noch ihnen zu helfen sucht. Wem das Jenseits verschlossen ist, dem' muss der Tod als das Ende von allem erscheinen.
15 Was bleibt dann noch von einem Leben der Arbeit
und Mühe, es sei denn Eitelkeit und ein Haschen nach Wind?
Immerhin empfiehlt der Prediger nicht die Faulheit. ((Der Tor faltet seine Hände und verzehrt sein eigenes Fleisch» (4, 5). «Durch Faulenzen senkt sich das Gebälk, und durch Lässigkeit der Hände tropft das Haus)) (10, 18).
In den Sprüchen brandmarkt Salomo den Faulen mehr als einmal. Dieser geht auf die Jagd, wird aber sein Wild nicht erjagen oder braten (12,27); er nimmt den Winter zum Vorwand, um nicht pflügen zu müssen, und geht bei der Ente leer aus (20, 4); er steckt seine Hand in die Schüssel, ist aber zu müde, um sie zum Munde zurückzubringen (19, 24)! Wozu aus dem Hause gehen, sagt er sich; «ein Löwe ist draussen; ich möchte ermordet werden mitten auf den Strassen» (22, 13). Jede Entschuldigung ist ihm willkommen, um ein wenig einschlummern, die Hände falten und schlafen zu können; und währenddessen werden Acker und Weinberg mit Disteln und Brennesseln überwachsen (24,30-34).
Für den Prediger hat die Arbeit Immerhin etliche Vorteile. Der Mensch hat Freude von all seiner Mühe (2, 10; 5,19); sein Werk zu vollbringen, Gesundheit und Kraft dazu zu haben, gibt ihm eine wirkliche Befriedigung. Der Prediger sagt uns auch: ((Der Schlaf des Arbeiters ist süss» (5,12), im Gegensatz zum Reichen, den der Ueberfluss nicht schlafen lässt. Durch Betätigung und besonders durch körperliche Arbeit wird man müde, und das verschafft guten Schlaf.
Psalm 107,12 enthält einen beachtenswerten Grundsatz: «So beugte er ihr Herz durch Mühsal». Wer nicht arbeitet, weil er es nicht nötig hat, ist oft stolz und hochmütig, mit sich selbst zufrieden. Allein die ratsache, arbeiten zu müssen, genügt schon, um zu merken, dass nichts von selbst geht, genügt, um etwas von seiner Einbildung zu verlieren und in einem gewissen Masse Demut zu lernen!
Aber die Schlussfolgerung des Predigers bleibt doch äusserst pessimistisch. Er kommt zu der Einsicht, dass wer keinen Sohn oder Bruder hat, dem die Früchte seiner Arbeit zugute kommen) sich fragen muss: «Für wen mühe ich mich doch, und lasse meine Seele Mangel leiden am Guten? Auch das ist Eitelkeit und ein übles Geschäft» (4, 8). Er gelangt deshalb zu einer solchen Feststellung, weil er in dem sich selbst gegebenen Rahmen «unter der Sonne" nur 'an sich selbst denkt, an seinen eigenen Nutzen und nicht an andere. Der Geist des Samariters, der sich über den Verwundeten beugt, um ihm zu helfen, ist ihm völlig fremd; er hat das Wort des Herrn Jesus: «Geben ist seliger als Nehmen» noch nicht gehört.

Was sagt uns das Neue Testament über die Arbeit?
Lesen wir zuerst die grundlegenden Stellen, die darauf Bezug haben: 1. Thessalonicher 4, 11-12 und 2. Thessalonicher 3, 6-13.

Der Apostel stellt Arbeit und Unordnung einander gegenüber: «Wir hören, dass etliche unter euch unordentlich wandeln, indem sie nichts arbeiten, sondern fremde Dinge treiben» (2. Thess. 3, 11). «Wenn jemand nicht arbeiten will, so soll er auch nicht essen», ein Grundsatz, den auch der Kommunismus für seine eigenen Zwecke übernommen hat (was kann man der Bibel • nicht alles entnahmen»; unter der Feder des Apostels hat dieses Wort. den Sinn: Wer zu einer Arbeit fähig ist, hat kein Recht zu essen, wenn er die entsprechende Tätigkeit vernachlässigt.
Was ist denn, nach unseren Schriftstellen, der Zweck der Arbeit?
Zunächst arbeiten wir, «um niemandem ... beschwerlich zu fallen)); der Apostel ist uns hierin ein Vorbild; es gilt, «sein eigenes Brot zu essen)), für seine eigenen Bedürfnisse zu sorgen, sofern man dies kann und gesund ist. Der Ehemann hat auch seine Gattin zu «nähren« (Eph. 5,29); wer eine Familie hat, ist gehalten, für alles zu sorgen, wessen sie bedarf: «Wenn aber jemand für die Seinigen und besonders für die Hausgenossen nicht sorgt, so hat er den Glauben verleugnet und ist schlechter als ein Ungläubiger» (1.. Tim. 5, 8) - eine ausserordentlich ernste Ermahnung. Gibt es Witwen in der Familie, so haben die Kinder die Verpflichtung, besonders wenn die verwitwete Mutter nicht mehr für ihre eigenen Bedürfnisse aufkommen kann, ((den Eltern Gleiches zu vergelten« (1. Tim. 5, 4). Der Apostel fügt hinzu: «Wenn ein Gläubiger oder eine Gläubige Witwen hat, so leiste er ihnen Hilfe, und die Versammlung werde nicht beschwert» (Vers 16).
Für einen jungen Mann ist es der normale Weg, dass er sich durch eine Lehre oder durch Studium für einen Beruf vorbereitet, damit er selbst für seine Bedürfnisse sorgen kann. Begehrt er ein eigenes Heim zu gründen, so sagt ihm Sprüche 24, 27: «Besorge draussen deine Arbeit und bestelle sie dir auf dem Felde; her-nach magst du dann dein Haus bauen.» Das tönt nicht sehr «modern», aber es ist die grundlegende Belehrung der Schrift, wenn die Umstände auch unendlich verschieden sein mögen, und der Herr den einen oder anderen der Seinigen in besondere Lagen bringen kann.
Nach 1. Thessalonicher 4,12 hat die Arbeit einen doppelten Zweck: Sie setzt uns in die Lage, «niemandes zu bedürfen», was sich mit dem soeben 18
Gesagten deckt. Ferner hilft sie uns, «ehrbarlich zu wandeln gegen die, welche draussen sind», ein Zeugnis, das der Christ in dieser Welt ablegen soll.
Müssiggang führt zu Unordnung. In 1. Timotheus 5, 13 wird die jüngere Witwe vor dieser Gefahr gewarnt: Sie soll nicht in den Häusern umherlaufen, nicht müssig und geschwätzig sein, sich nicht um Dinge kümmern, die sie nichts angehen und Dinge sagen, die sich nicht gehören. Die Arbeit auferlegt uns eine persönliche Disziplin; sie lehrt uns Pünktlichkeit, methodisches Ausnützen der Zeit und Ausharren. Ein Christ, der lässig arbeitet, ohne triftigen Grund am- Arbeitsort fehlt oder über alles und alle seufzt, ist -kein gutes Zeugnis.
Die Arbeit, welcher sich ein jeder widmen wird, ist sehr verschiedenartig. Wie wichtig ist es da, vor dem Eintritt in einen Beruf mit dem Herrn zu tun zu haben, um den Weg zu erkennen, auf welchem Er uns wandeln sehen will. Hat man einmal einen Beruf ergriffen, ist es sehr schwer, ihn zu wechseln.
Für die jungen Christinnen stellt sich ein Problem. Nach dem soeben Gesagten ist es auch für eine unverheiratete Tochter normal, dass sie sich für eine bestimmte Beschäftigung ausbildet - vor allem für eine solche, wo sie christliche Liebe und christlichen Einfluss entfalten kann - und so für ihre eigenen Bedürfnisse aufkommen kann, es sei denn, dass sie berufen ist, im Rahmen der Familie zu bleiben, um ihrer Mutter zu hellen oder ihre Geschwister zu umsorgen.
Darf eine verheiratete Frau ohne Kinder nach der Bibel auswärts für Lohn arbeiten? Die Schrift macht uns in dieser Beziehung wohl keine wörtlichen: Angaben. Zweifellos hat die Gattin ihren ersten Platz in ihrem Heim, um ihrem Gatten die «Hilfe seinesgleichen» zu sein; aber die Zeiten und Umstände ändern sich, und es gibt so manche Gelegenheit, auswärts ein nützliches Amt auszufüllen.
Was aber die Hausmutter anbelangt, ist die Schrift sehr eindeutig. Sie hebt zum Beispiel das gute Zeugnis hervor, das eine Witwe hinterlassen kann: ((Kinder auferzogen, ... Fremde beherbergt, der Heiligen Füsse gewaschen. ... Bedrängten Hilfe geleistet, ... je-dein guten Werke nachgegangen ...» (1. Tim. 5, 10), Lasst uns auf die Reihenfolge dieser fünf Beschäftigungen achten. Zu allererst soll sie die Kinder auferziehen, sie nicht nach ihrer eigenen Weise wachsen und sich entfalten lassen, sondern sie aufziehen «in der Zucht und Ermahnung des Herrn». Sie hat auch das Vorrecht, Gastfreundschaft zu üben und wird dies umso aufmerksamer tun, wenn es sich um die «Heiligen» handelt, denen sie, bildlich gesprochen, «die Füsse wäscht», eine Besorgung, die der Pharisäer (Lukas 7) dem Herrn Jesus gegenüber unterlassen hafte und die, gemäss Johannes 13, auch eine sittliche Bedeutung hat. Die Tätigkeit der Hausfrau überschreitet den Kreis ihres Heimes, indem sie auch Bedrängten Hilfe leistet und jedem guten Werke nachgeht. Lasst uns jedoch beachten, dass diese beiden letzten Tätigkeiten erst nach den ersten Beschäftigungen aufgezählt werden: eine christliche Frau darf ihre Kinder nicht vernachlässigen, um sich «Werken» ausserhalb des Hauses zu widmen. Ein solches Programm lässt für eine zusätzliche, auf Verdienst zielende Tätigkeit nicht mehr viel Zeit übrig; aber auch da sind die Verhältnisse äusserst verschieden. Eine Mutter wird vielleicht genötigt sein, zu den Haushaltkosten beizusteuern oder mit ihren Gatten zusammenzuarbeiten; sie wird dabei aber auch «die Vorgänge in ihrem Hause überwachen», danhit weder die Kinder noch das Zeugnis darunter zu leiden haben. Wenn wir das sagen, so denken wir auch an unsere Schwestern auf dem Lande und an die mühevolle Arbeit, die ihnen oft obliegt, und auch an die Schwestern, deren Gatte nicht gesund genug ist, um allen Bedürfnissen des Haushaltes selber zu entsprechen.

Alle diese Arbeit, die der Apostel empfiehlt, soll sich «in der Stille» vollziehen (1. Thess. 4, 11; 2. Thess. 3, 12). Das ist in unserer Zeit höchster Anspannung und beschleunigter Entwicklung sehr schwierig zu verwirklichen. Zwei Verse aus den Sprüchen verhelfen uns vielleicht zu einem besseren Verständnis der Bedeutung dieser «Stille». Damit ist nicht ein Nachlassen in der Anstrengung gemeint; in Sprüche 22,29 wird der ((gewandte» Mann gelobt. Gewandtheit heisst aber nicht gewinnsüchtig: «Bemühe dich nicht, reich zu werden» (Spr. 23, 4). Nicht das Streben, unter allen Umständen vorwärts zu kommen und etwas zu erreichen, soll uns kennzeichnen, sondern Sorgfalt und Aufmerksamkeit in der täglichen Arbeit. An den Landwirt gerichtet, aber auf alle anwendbar, sagt uns Sprüche 27,23-24: Bekümmere dich wohl um das Aussehen deines Kleinviehes, richte deine Aufmerksamkeit auf die Herden. Denn Wohlstand ist nicht ewig; und währt eine Krone von Geschlecht zu Geschlecht?» Mehr als einer hat geglaubt, auf dem von seinem Vater oder Grossvater geerbten Wohlstand in einem Landgut oder einem Fariilien-unternehmen ausruhen zu können und hat aus diesem Grunde der Sache nicht die nötige Sorgfalt angedeihen lassen. Ein solcher vergass, dass eine Krone nicht von Geschlecht zu Geschlecht währt!
Kann man die Ermahnung «in der Stille arbeitend» (2. Thess. 3,12) gar .als Vorwand benutzen, um die Leistung von Ueberstunden zu verweigern? Sagt uns der Apostel nicht, er habe Nacht und Tag gearbeitet, um den Unterhalt für sich und seine Begleiter zu bestreiten? (2. Thess. 3, 8). Wir werden dabei jedoth nicht vergessen, dass der wöchentliche Ruhetag lange vor dem Gesetz von Gott eingesetzt worden ist. Sind auch wir Christen vom Sabbat zum ersten Tag der Woche, dem Auferstehungstag des Herrn Jesus, übergegangen, so bleibt doch der göttliche Gedanke nicht weniger bestehen; es ist daher sehr in Frage zu stellen, ob ein Gläubiger weise handelt, wenn er den Sonntag mit einer irdischen Arbeit ausfüllt, die nicht unumgänglich nötig ist und wozu er nicht durch berufliche Pflicht gezwungen ist.

Wie gut ist es auch, wenn wir uns jedes Jahr einige Wochen für genügende Ferien aufsparen, die Gelegenheit geben, mehr als gewöhnlich zu den Füssen Jesu zu sitzen, um Ihn zu uns reden zu lassen!. Die Arbeit des Christen ist durch die Ermahnung von IColosser 3, 23-24 wunderbar geadelt. Sklavenarbeit war besonders entwürdigend. Der Sklave selbst zog aus ihr keinen Nutzen, keinen Gewinn und doch sagte ihm der Apostel: «Was irgend ihr tut, arbeitet von Herzen, als dem Herrn und nicht den Menschen. Ihr dienet dem Herrn Christus.» Bei jedem Tagewerk, im Haushalt oder auf dem Lande, während der langen Stunden in der Werkstatt oder im Büro
immer soll uns der Satz eingeprägt sein: «Was irgend ihr tut, arbeitet von Herzen als dem Herrn.» Dann wird es weder wildes Drauflosarbeiten noch Gewinnsucht geben; wir werden der uns anvertrauten Aufgabe alle Geschicklichkeit und Sorgfalt widmen. Der Christ arbeitet nicht nur während den erforderlichen Stunden, um seinen Zahltag zu verdienen, sondern hat als Devise: «Ihr dienet dem Herrn Christus.»
Die Schrift hebt noch ein anderes Ziel der Arbeit hervor: «Wer gestohlen hat, stehle nicht mehr, sondem arbeite vielmehr und wirke mit seinen Händen das Gute, auf dass er den Dürftigen mitzuteilen habe» (Eph. 4,28). Arbeiten, um aus dem Verdienst mitteilen zu können - an wen war diese Aufforderung gerichtet? An den, der früher gestohlen hatte! Welch eine wunderbare Veränderung bringen doch die Gnade und die Wiedergeburt hervor! Wer früher in Arglist andere ihrer Habe beraubte, wird jetzt mit Freuden von der Frucht der Arbeit seiner
eigenen Hände den Dürftigen mitteilen. Er gleicht
nun dem Vorbild des Apostels, der sagen konnte:
((Ich habe euch alles gezeigt, dass man, also arbei-
tend, sich der Schwachen annehmen... müsse» (Apg.20, 35).
Arbeiter des Herrn
In der Apostelgeschichte und in den Briefen gibt es zahlreiche Beispiele von Personen, die der Herr berufen hat, ihre ganze Zeit Seinem Dienste zu widmen, um den Bedürfnissen der Versammlungen zu entsprechen oder das Evangelium zu verbreiten, und die darin durch ihre Brüder der Gnade des Herrn anbefohlen wurden. Eine solche Berufung setzt voraus, dass, wie Paulus zu Timotheus sagt, wer Kriegsdienste tut, sich nicht in die Beschäftigungen des Lebens verwickelt (2. Tim. 2,4). Wie wird denn für seinen Lebensunterhalt gesorgt? 1. Korinther 9 und Galater 6,6 geben da vollkommen klare Antwort. Wer im Worte unterwiesen wird, soll den Lehrenden an allen zeitlichen Gütern teilhaben lassen. Das ist sogar, nach 1. Korinther 9,12 ein diesem zustehendes «Recht», auf das sich der Arbeiter des Herrn .zwar nicht berufen soll, aber woran der, der seinen Dienst  empfängt, sich als einer ihm obliegenden Pflicht er-

@1989 Beröa

Adams Jay E. Festgefahren?

05/25/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

„Aber andere Eltern machen ihren Kindern doch auch nicht solche Vorschriften wie meine!"

„Wenn Sie mit einer Frau wie meiner zusammenleben mußten, dann ‚"
„Horen Sie, niemand hat jemals auch nur annähernd das durchzumachen gehabt, was ich durchmache"
„Sie hatten bestimmt auch nicht anders reagiert, wenn Ihnen so etwas gesagt worden wäre!"
Solche und hunderterlei ähnliche Einwände bekommen Seelsorger täglich zu hören. Am Ende lauft es immer auf folgendes hinaus „Bitte verlangen Sie jetzt bloß nicht von mir, mich als Christ zu verhalten Das ist in meinem Fall - wie die Dinge nun einmal liegen - ganz unmöglich!"
Ist es das 'wirklich?



Paulus antwortet darauf klar und. unmißverständlich:„ Nein,
nrniß-verstandlich „Nein, man kann sich seinerVer-antwortung, als Christ zu leben und zu handeln, nicht einfach entziehen, indem man behauptet, man befände sich in einer einmalig schwierigen Situation." Paulus weist darauf hin, daß kein Fall einmalig ist: „Es hat euch noch • keine Versuchung getroffen über menschliches Ausmaß hinaus" (i. Kot 10,13). Und er sagt auch, warum es keine Ausnahmen gibt: Weil zu allen Zeiten alle Menschen denselben Grundproblemen gegenüberstanden. Darum kann sich Paulus auch in diesem Brief, in dem er sich an eine Gemeinde wendet, die in der Mehrzahl aus Heidenchristen bestand, auf Gottes Handeln mit dem Volk Israel aus denTagen eines Mose berufen.
Paulus sah hinter den Spiegel von Zeit, Raum, Sprache und Kultur, als er sagte „Solches aber widerfuhr jenen als ein Vorbild. Es ist aber geschrieben uns zur Warnung
(1.Kor. 1o,1i). Dasselbe gilt auch für uns.
Sicherlich sind die Erscheinungsformen der Probleme unterschiedlich Nicht zwei Lebenssituationen gleichen sich aufs Haar. Aber was Paulus herausstellen will, ist folgendes In all diesen verschieden gelagerten Fallen ist erkennbar, daß die Probleme der Israeliten in
der Wüste und die Versuchungen ..der . Korinther im Römischen Reich von denen der heutigen Menschen gar nicht so weit entfernt sind.
Gott hat sich nicht verändert. SemeWeisun-gen und Gebote sind nicht veraltet, und auch der sündhafte Mensch ist immer noch derselbe. Darum ist die Botschaft der Bibel heute genauso aktuell wie damals, denn auch heute noch erkennt der schuldiggewordene Mensch, daß die Antwort auf die Probleme des Lebens in der Botschaft von der Vergebung Gottes besteht
Diese Botschaft berichtet uns von Jesus Christus, der Mensch wurde, um in Gottes erwähltem Volk zu leben und zu sterben Er hatte Hunger wie wir, wurde nicht verstanden, erlebte Haß, Enttäuschungen und qualvolle Stunden wie wir. Er wußte, wie schwierig es ist, vor Gott Entscheidungen zu treffen, wahrend sich andere leichtfertig ihren schwankenden Stimmungen hingeben Er erlebte am eigenen Leib, wie bitter der Treuebruch eines Freundes oder das Nicht-mehr-kennen-Wollen deijenigen war, denen seine ganze Liebe gegolten hatte Er war „versucht m allen Stucken wie wir, doch ohne Sunde"

 Wenn jemals ein Mensch hatte geltend machen können, seine Situation sei ein Ausnahmefall, dann er! Und doch entzog er sich niemals der Verantwortung gegenüber Gott und den Mitmenschen. Er lebte uns ein heiliges - Leben vor, wie Gott es von jedem erwartet. Ja, er konnte Gott so sehr zufriedenstellen, daß seine Gerechtigkeit uns zugerechnet wird, wenn wir ihn als unseren Erretter, als den, der für uns bezahlte, annehmen.
Da er all das, was wir jetzt erleiden, schon vor uns durchlitten hat, können auch wir mit seiner Hilfe unsere Schwierigkeiten meistern. Darum sagt Paulus: „Es hat euch noch keine Versuchung getroffen über menschliches Ausmaß hinaus!" Mit Christus können wir allen Schwierigkeiten des Lebens so begegnen, wie Gott es haben will. In einer Zeit, in der es als gebildet gilt, die Ursache für das eigene schuldhafte Verhalten auf andere abzuschieben, ruft Christus uns zu einem Leben in der Verantwortung vor Gott.
Wenn von uns erwartet wird, „die andere Wange auch noch hinzuhalten" oder „denen Gutes zu tun, die uns verachten", ist damit nicht die Resignation gemeint Christus betete und starb für uns, als wir noch seine Feinde waren Er ging den verantwortungsvollen Weg nach Golgatha Geben wir es also auf, unser falsches Verhalten ständig zu entschuldigen! Schieben wir nicht unsere Verantwortung auf andere ab! Statt dessen wollen wir aus der Kraft des Heiign Geistes leben, „würdig der hohen Berufung, zu der wir berufen sind".

Wir sitzen alle im selben Boot
Wenn der Arzt uns erklärt: „Keine Angst, es ist nur eine leichte Operation", dann glauben wir ihm nicht ohne weiteres.
Niedergeschlagen gehen wir nach Hause. Man spricht mit seiner Frau und hofft, von ihr ermutigt zu werden. „Liebling", sagt sie, „es kann nicht schlimm sein. Onkel Fred hatte vor achtzehn Jahren dieselbe Operation, und du weißt doch, daß er heute noch eine eiserne Gesundheit hat."
Am nächst&n Tag erwähnt man seinem Chef gegenüber den Kummer. Der versichert: „Ich habe dieselbe Operation hinter mir und war nach zweiTagen wieder auf den Beinen!"
Ein Kollege stimmt ihm spontan bei: ‚ja, ich habe einen Nachbarn, der war in knapp zwei Wochen wieder arbeitsfähig."
Immer wieder bekommt man ähnliche Ant-

Wohin mit der Angst? 42
Wenn die Angst uns im Griff hat 42
Befreiung umjeden Preis?    43
GottesWille an die erste Stelle 45
Die Liebe ist stärker als die Angst 47
Ich kann nicht, wie ich will! 49
Angst durch Liebe ersetzen 51
Trainingsprogramm für ein neues Leben 58
Ab morgen wird alles anders! 58
Übung macht den Meister 59
Man muß ein Ziel haben 61
Fit durch tägliches Training 62
Gute Gewohnheiten 64
Jeder kann aus seiner Haut heraus ... 68 
Kein Gründ zum Aufgeben........71
Nicht aus eigener Kraft 74
Die entscheidende Frage 77
Probleme —Auf die Perspektive kommt es an
Entschuldigen Sie bitte

@1992 Brunnen Verlag


Wo dein Schatz ist - Die Freude am Geben entdecken, Randy Alcorn (1)

04/01/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Vorwort

Jeder ist sein ganzes Leben lang auf Schatzsuche. Nach dem vollkommenen Menschen und dem perfekten Ort. Jesus ist diese Person, der Himmel ist dieser Ort. Wenn Sie also bereits Christ sind, haben Sie die Person schon kennengelernt, und Sie befinden sich auf der Reise zu diesem einmaligen Ort.
Oder vielleicht gibt es da noch ein Problem. Sie leben noch nicht mit dieser Person und an diesem Ort! Vielleicht gehen Sie regelmäßig in die Gemeinde, beten und lesen in der Bibel. Trotzdem kann das Leben eine echte Schinderei sein, finden Sie nicht? Sie gehen pflichtbewusst Ihren Weg, bearbeiten ein sonnenverbranntes und dürres Feld und suchen nach einer Freude, die Sie nicht finden – nach einem Schatz, der sich Ihnen immer entzieht.

So eine Geschichte erzählte Jesus einmal. Die Geschichte vom unentdeckten Schatz. In dem Moment, wo der Betreffende ihn findet, ändert sich alles. Eine nicht gekannte Freude kommt in sein Leben. Aber bevor wir uns zusammen auf den Weg machen, möchte ich eines ganz klarstellen. Es gibt christliche Bücher, die machen ihren Lesern ein schlechtes Gewissen, um
sie zum Geben zu motivieren. Das werde ich nicht tun.

Versprochen.
In diesem Buch geht es um etwas ganz anderes, nämlich um die Freude am Geben. Die Schlüssel zur erfolgreichen Schatzsuche waren lange vergraben. Es wird Zeit, sie auszugraben. Es geht um eine einfache, aber sehr tief greifende Erkenntnis mit weitreichenden Auswirkungen. Wenn Sie das Ganze einmal verstanden und umgesetzt haben, wird in Ihrem Leben kein Stein mehr auf dem anderen bleiben. Und wenn ich das noch hinzufügen darf: Sie wollen dann auch nicht mehr anders leben.
Wenn Sie also die noch vergrabene Freude des Schätze-Sammelns gefunden haben, werden Sie sich mit nichts weniger zufriedengeben. Das verspreche ich Ihnen.

Kapitel 1 - Der verborgene Schatz "
Der ist kein Narr, der hingibt, was er nicht behalten kann, um zu gewinnen, was er nicht verlieren kann. Jim Elliot Im ersten nachchristlichen Jahrhundert zieht ein Jude allein an einem heißen Nachmittag seine Straße entlang. Den Wanderstab hält er fest in der Hand. Seine Schultern sind gebeugt und die Sandalen mit Staub bedeckt. Sein Gewand ist mit Schweißflecken übersät. Zeit für eine Rast hat er nicht. Es treibt ihn, er muss in die Stadt. Dann biegt er von der Straße auf ein Feld ab, es muss doch eine Abkürzung geben. Den Besitzer des
Feldes stört das nicht – Wanderer dürfen das. Das Feld erweist sich als sehr unwegsam; zum Glück kann er seinen Wanderstab in den Boden rammen, um Halt zu finden.

Bumm. Der Stab hat etwas Hartes getroffen. Erstaunt hält er inne, wischt sich den Schweiß von
den Augenbrauen und stößt noch einmal nach. Bumm. Da ist etwas, aber das ist kein Stein. Der
würde anders klingen. Der müde Wandersmann ist entschlossen, hier keine Zeit zu verschwenden. Aber seine Neugier lässt ihm keine Ruhe. Also rammt er den Stock immer wieder in den Boden. Jetzt wird das Sonnenlicht vom Boden reflektiert. Er fällt auf die Knie und fängt an zu graben.