Elliot Elisabeth, Im Schatten des Allmächtigen

05/21/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

VORWORT ZUR DEUTSCHEN AUSGABE EINLEITUNG

Von der vorliegenden Biographie kann gesagt werden, daß sie den höchsten Anforderungen gerecht wird, die an eine Lebensbeschreibung gestellt werden können: Sie ist wahr in dem eigentlichen und umfassenden Sinn, in welchem unter Menschen überhaupt von gelebter und bezeugter Wahrheit gesprochen werden kann. Als Student schrieb Jim im Jahre 1949 diese Worte:
Wer hier lesend in den Werdegang Ihn Elliots, eines jungen Amerikaners unserer Generation, einbezogen wird - diese Aufzeichnungen reizen uns zur Begegnung und zum eigenen Mitgehen—, der wird das Buch aus der Hand legen mit jenem untrüglichen inneren Wissen: Ich bin wirklicher geworden. »Der ist kein Tor, der hingibt, was er nicht behalten kann, auf daß er gewinne, was er nicht verlieren kann.«


Der größte Teil des Buches besteht aus persönlichen Tagebuchaufzeichnungen und Briefen, die nicht durch den heimlichen Blick auf Veröffentlichung bereits im Ansatz verfälscht und verbogen worden sind. Mit liebevoller Hand sind diese Notizen geordnet und ergänzt worden: liebevoll und doch unbestechlich, mit warmer Anteilnahme und doch nüchtern, ohne Pathos und »Heldenverehrung«, und doch mitreißend wie alles wirklich gelebte Leben. 

Sieben Jahre später, an einem heißen Sonntagnachmittag und fern von dem Collegezimmer, in dem jene Zeilen geschrieben worden waren, beendeten er und vier andere junge Männer ein Mahl aus gebackenen Bohnen und Mohrrüben. Sie saßen zusammen auf einem Streifen weißen Sandes am Cu-raray-Fluß, tief im feuchten Tropenurwald Ekuadors, und warteten auf das Kommen einer Gruppe von Männern, die sie liebten, mit denen sie aber noch nie zusammengetroffen waren - von wilden, steinzeitlichen Kopfjägern, jetzt in der ganzen Welt bekannt als Aucas.

Weil diese an sich schon seltene Kunst der Auslese von seiner eigenen Frau vollbracht wurde, empfangen wir in diesem Buch eine Doppelschau, eine verdichtete Biographie, gesehen und gelebt durch Herz und Auge der beiden Menschen, die sich am tiefsten einer im andern sahen und erkannten. Zwei Tage vorher hatte eine jahrelang gehegte Hoffnung sich zum Teil erfüllt. Drei dieser Indianer waren auf dem Sandufer, auf dem die fünf Männer jetzt saßen, mit ihnen zusammengetroffen. Die erste freundliche Berührung, seit langem erwartet und sorgfältig vorbereitet, war durchaus ein Erfolg gewesen. 

Der junge Mann und seine beideii Begleiterinnen traten aus dem Sumpfdickicht jenseits des Flusses und nahmen nach kurzem Zögern die dargebotene Hand Jim El-liots an, der sie dann durch den Fluß führte zu den anderen weißen Männern. Im Anfang waren die Angehörigen dieses nachgehenden Stammes mißtrauisch gewesen, und mit Recht. Sie hatten von weißen Männern gewußt, die auch in solch großen Vögeln durch die Luft geflogen waren gleich dem, der jetzt hier auf dem Sandufer stand, und es hatte sich erwiesen, daß ihnen nicht zu trauen war. Aber irgendwie hatten die Indianer jetzt während der fünf langen Wochen, da diese Weißen hier versucht hatten, ihnen ihre freundliche Gesinnung zu zeigen, gespürt, daß hier keine »Fallgrube« war.

Hier begegnen wir gelebtem Glauben in unserer Zeit, echtem Christenleben bis in die Konsequenz des Todes, ohne Betonung und Pathos, sondern so nüchtern, selbstverständlich und folgerichtig auf das Letzte und Eigentliche konzentriert, wie ein glaubwürdiger Glaube in unserer Zeit in Erscheinung treten muß. Die weißen Männer hatten bei den Aucas zuerst Geschenke abgeworfen, wie der Stamm sie auch in früheren Jahren schon
Diese Lebensmitteilung ist ein Vermächtnis und im besonderen ein Aufruf an die studierende Jugend Europas und der Welt. Dieses Buch ist notwendig. Das ist das Höchste, was erhalten hatte - machetas (eine Art von schweren Buschmes-

ich über seine Sendung zu sagen vermag. Hans Bürki sern), Kochtöpfe, Bänder, Wollstoff. Dies waren hochwillkommene Dinge, und die Indianer hatten angefangen, auf das
Geräusch des gelben ayamu, der in regelmäßigen Abständen auftauchte, begierig zu warten- (ob allerdings ein Volksstamm, der nicht weiter als bis drei zählen kann, einen Sieben-Tage-Rhythmus erkennen kann, ist fraglich). Wenn sie das Geräusch des Motors hörten, waren sie von überall herzugelaufen, aus den Maniokpflanzungen, aus den großen, ovalen, mit Blätterdach versehenen Häusern, vom Fluß her weiter unten, wo sie mit den Kanus zu fischen pflegten. Da waren sie schon wieder - diese merkwürdigen, bleichgesichtigen Männer, die ihnen zuwinkten und riefen und dann an einer Leine einen Eimer herabließen, aus dem man sich die wundervollsten Sachen holen konnte. Und was war das jetzt? Plötzlich erschallte eine Stimme in der Luft - in ihrer eigenen Sprache! Der Mann sprach zu ihnen.

»Kommt her! Wir sind eure Freunde. Wir haben euch gern. Wir sind eure Freunde «
War es möglich, daß diese Männer nicht die Absicht hatten, einem das Land wegzunehmen, die Ernten zu vernichten, die Angehörigen zu töten, wie andere es getan hatten? Einige begannen, der Stimme zu glauben. Es kam ihnen ein Gedanke. Warum sollte man die Männer nicht ermutigen? Würde es sich nicht lohnen, herauszufinden, was sie in Wahrheit wollten? Konnte man nicht vielleicht noch mehr erlangen, wenn man auf das Spiel der Fremden einging?
In der folgenden Woche erwiderten die Indianer das herabgelassene Geschenk durch eine Gegengabe. In den Korb, der vor ihren Füßen kreiste, legten sie einen schönen Federkopfschmuck, kunstvoll geflochten und mit Palmenfasern ringsherum verkleidet. Kurz darauf verfertigte ein besonders unternehmungslustiger Auca ein kleines Flugzeugmodell, das er dem »Piper«-Flugzeug, so getreu er konnte, nachbildete und auf dem Dache seines Hauses aufstellte. Hatte er sich unbemerkt als Späher in das Haus in Arajuno herangeschlichen, dem Ausgangspunkt der ganzen Unternehmungen, wo man ein Modell des Flugzeuges zu eben solcher Besichtigung auf einem Pfahl befestigt hatte? Oder war er ganz von selbst auf die Idee gekommen, ein Modell zu bauen?
Als das Flugzeug eines Tages wieder über ihnen kreiste, vernahmen die Aucas, wie einer von den Männern rief: »Wir sind am Curaray. Kommt, kommt und besucht uns.« Da konnten einige nicht länger widerstehen. Noch immer von Zweifeln und alteingefleischter Angst vor diesen weißen Männern hin- und hergerissen, blieben sie zwei Tage unschlüssig - von dem Dschungeldickicht aus, in dem sie sich genauso unsichtbar zu machen wissen wie die gefleckte Pardelkatze ihrer Urwälder, erkundeten sie vielleicht die Lage. Am dritten Tage jedoch siegte ihre Neugier - oder irgendwelche sonstigen Motive - über ihre Angst: Der Aufforderung der fünf Männer folgend, die am Ufer hin und her gingen, traten aus dem Dik-kicht drei Indianer, ein junger Mann und zwei Frauen.

Wer waren diese weißen Männer? Brüder der Affen, die sich mit ihren behaarten. Armen und Gesichtern in den Schlinggewächsen wiegten? Brüder des Gürteltiers, das eine sicherlich sehr unbequeme Kleidung trug und niemals nackt ging? Söhne vielleicht des Schöpfers der Sonne, da sie ja vom Himmel kamen? Aber dabei lachten sie, sprachen Worte, die man nicht verstehen konnte, schenkten einem Sachen zum Essen. Zum Essen? Offensichtlich ja - sie schmeckten gut, wenn auch völlig anders als alles, was sie. bisher kannten (Würstchen, Brot, Limonade, Senf; mit ihrer eigenen Kost, der trockenen, schweren. Maniokwurzel, dem Tapirfleisch, den Erdnüssen, konnte man dies kaum vergleichen).
Und dieses wundervolle Wasser! Einer der Männer goß dem Indianer ein wenig davon in die Hand (unter sich nannten sie ihn »George«), und als er sich damit den Körper einrieb, hörten wie durch Zauberei die Fliegen auf zu stechen.

Die fremden Männer machten ständig merkwürdige Zeichen auf ein glattes, weißes Blatt, mit einem dünnen, an einem Ende schwarzen Stäbchen. Dann sahen sie angestrengt auf diese Zeichen und sprachen die Worte, die die Indianer gesagt hatten. Untereinander aber gaben sie nur sonderbare Laute von sich - es waren doch nicht Worte? Doch, wahrscheinlich wohl - gegenseitig schienen sie sich zu verstehen, zu unterhalten. Doch es war nicht »hörbar«. Und warum antworteten sie nicht, wenn man mit ihnen sprach?
Das junge Mädchen entdeckte, daß die Oberfläche des ayu-mis glatt war; sie war wie - nein, sie war anders als alles,
was das Mädchen kannte. Wie sollte man es den anderen beschreiben, wenn man heimkam? Wie ein Platanenblatt? Ja, aber ein Platanenblatt war nicht so groß und fest. Verzückt rieb sie ihren Körper an dem glatten Rumpf.
Und wie vor allem konnte dieses Wesen fliegen? »George« mußte es herausbekommen. Er guckte in - seinen Kopf, dann in seinen Bauch. Mit den Flügeln schlagen konnte es nicht.

Wie konnte es sich bewegen? Mit Gebärden und Geplapper überzeugte er den Piloten, daß er sich nicht fürchte, daß er fliegen wolle. Höher, immer höher stiegen sie hinauf mit beängstigendem Krachen, bis weit über die Bäume. Wie fremd schien die Welt seinen kurzsichtigen Augen - denn der Urwaldindianer weiß nichts von weiten Räumen, fernen Horizonten. Er kennt nur den braunen Schlamm zu seinen Füßen, die Höhe eines Baumes, die kurze Strecke eines Flusses bis zur nächsten Biegung. Vielleicht hat er zuweilen einen Baum erklettert und über das grüne Blättermeer gespäht, um nach dem Rauch zu suchen, der ihm die Lage eines Hauses anzeigt, aber niemals hat er etwas Ähnliches gesehen wie diese weite Fläche, die sich unter »George« jetzt unermeßlich ausdehnte.

Plötzlich hefteten sich seine Augen auf eine Stelle, wo der Schauplatz sich veränderte - Leute, winzig kleine Leute liefen dort umher. Sie sahen so klein aus wie die weißen Männer früher, wenn sie über ihn hinweggeflogen waren. Ja, das mußten seine Leute sein. Das Flugzeug kreiste niedriger. Ja, natürlich - dort war sein Bruder, sein Vater, seine alte Großmutter. Aufgeregt schrie er ihnen etwas zu, und sie beobachteten ihn staunend. Jetzt schraubte sich das Flugzeug wieder höher. Er war so außer sich vor Freude, daß er immer weiter schrie, auch auf dem ganzen Rückflug bis zum Fluß, wo sich plötzlich unter ihm der glatte, weiße Sandplatz dehnte und ihm jetzt entgegenstieg. Mit einem Knirschen, das durch Mark und Bein ging, traf das Flugzeug auf den Boden, hüpfte eine Strecke weiter, dann blieben die Bäume schließlich stehen. Da waren auch wieder die zwei Frauen. Wie sollte er den beiden schildern, was er zu sehen bekommen hatte?

Am späten Nachmittag kam das junge Mädchen zu der Überzeugung, daß es Zeit sei, diese fremden Leute, die anscheinend kein Verlangen nach ihr hatten, zu verlassen. Sie ging den Sandstrand entlang und entfernte sich. »George« rief ihr nach, aber nein, sie blieb fest. Schließlich, als sie im Wald verschwand, folgte er ihr. Später ging auch die ältere
Frau, und über die steilen Hügel und durch die sumpfigen Niederungen eilten sie zu ihrem Dorf, um atemlos von ihren Erlebnissen zu berichten. Doch hinten im Halbdunkel sah man alte Häupter mit verfilztem schwarzem Haar, die sich schweigend, aber ablehnend hin und her bewegten, als sie die Erzählung hörten. Zwischen den Holzpflöcken, die sie in den Ohrläppchen trugen, bildeten sich finstere Pläne.

Am Ufer des Curaray warteten am nächsten Tage die fünf Männer voller Spannung, daß ihre Freunde wiederkämen. Wie am Tage vorher gingen sie am Strand auf und ab und riefen die wenigen Sätze, die sie von der Aucasprache gelernt hatten; sie hatten sie herausbekommen von einer Aucafrau, die von ihrem Stamm geflohen war und jetzt auf einer Farm in der Nähe der Missionsstation lebte. Doch auf die Rufe antwortete nur das Schweigen des Urwaldes, der den gewundenen Fluß auf beiden Seiten säumte. Einmal fiel ein Baum, und das Krachen steigerte die Spannung. Aber nichts geschah. Schließlich sah um Elliot auf seine Uhr.
»Also, Brüder, ich gebe ihnen noch fünf Minuten. Wenn sie dann nicht auftauchen, werde ich hinübergehen!«

Die Klugheit hielt ihn davon ab, seine Drohung auszuführen, doch auch der ganze lange Nachmittag brachte ihrem Harren keinen Lohn.
Die »Nachbarn« hielten offenbar noch Konferenzen ab - sollten sie wieder zu den weißen Männern gehen und sie einladen in ihr Dorf? Wer sollte hingehen? Sie konnten nicht wissen, mit welch gespannter Sehnsucht sie erwartet wurden.
Der Sonntagmorgen dämmerte herauf mit wolkenlosem Himmel. Wieder hatte Gott den Gebeten Erhörung geschenkt. Der Fluß war nicht gestiegen, der schmale Landestreifen nicht zerstört, und das Wetter war zum Fliegen günstig. Nate, der Pilot, stieg auf. Nachdem er eine Zeitlang über dem Indianerdorf gekreist hatte, entdeckte er etwa zehn Aucas, die sich am Fluß in Richtung der vier Fremdlinge bewegten.
»Es ist soweit, Freunde!« rief er erregt, als das Flugzeug wieder auf dem Sandstrand landete. »Sie sind unterwegs!«
Durch Funk wurde Nates Frau von der Begegnung unterrichtet; um 4.30 Uhr sollte sie wieder am Apparat sein.
Nach dem Mittagessen machten sich die Männer daran, auf dem Sand einen Miniatur-»Dschungel« und das Modell eins Hauses aufzubauen; daran sollte den Wilden demonstriert werden, wie sie einen Landestreifen anlegen konnten, falls sie daran interessiert wären, daß die weißen Männer zu ihnen kämen und bei ihnen lebten. Dann sangen die fünf Missionare gemeinsam, wie sie das so oft getan hatten, freudig und spontan:

Wir traun auf Dich, Du Schirmer und Beschützer, wir gehen nicht allein ins Feindesland.
Du machst uns stark, wir sind in Dir geborgen und traun auf Dich! Du .hast uns ausgesandt
indem sie sich und alle ihre sorgsam ausgedachten Pläne in die Hände dessen gaben, der sie so unverkennbar bis hierher geleitet hatte, warteten sie auf die Aucas.
Am gleichen Nachmittag, noch vor 4.30 Uhr, fluteten die stillen Wasser des Curaray über die Leichen der fünf Kameraden, erschlagen von den Menschen, deretwegen sie gekommen waren, um sie für Christus zu gewinnen.
Die Welt sprach von einer grauenvollen, herzbeklemmenden Tragödie. Die Welt erkannte nicht die Wahrheit in Jim Elliots Glaubenssatz: »Der ist kein Tor, der hingibt, was er nicht behalten kann, auf daß er gewinne, was er nicht verlieren kann.«

Wheaton, Illinois 1945-1949
AKADEMISCHER TITEL
Das Wissen bläst auf, aber die Liebe bessert. So aber sieh jemand dünken läßt, er wisse etwas, der weiß noch nicht, wie er wissen soll. So aber jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt.
Als Jim Elliot im Herbst 1945 in das Wheaton College in Illinois einzog, lag sein Ziel klar vor ihm.
Er war überzeugt, daß Gott ihn nach Wheaton geführt hatte. Er war nicht einfach seines Vaters wegen hingegangen. Es gab niemand, der ihn »finanzierte«; um wußte nicht einmal, wo das Geld für sein Studium herkommen würde. Aber Gott belohnte dies Vertrauen, und die nötigen Mittel kamen zusammen, teils durch einen Freund, teils durch ein Stipendium und eine Halbtagsstelle, so daß er im November schreiben konnte: »Diese Erfahrung mit dem Geld fürs Studium gehört zu denen, wo ich ihn unaufhörlich preisen kann für seine stete fürsorgliche Güte. Ihm sei alle Ehre und Dank.«

Seine Nahrung wählte er sorgfältig aus: frisches Obst und Gemüse, am liebsten roh; wenig stärkehaltige Sachen, wenig süße Nachspeisen. Er aß zwar zu schnell, aber keine großen
Mengen; hierin folgte er den Regeln für das Ringertraining und auch seinen eigenen Ideen über Abhärtung des Körpers für künftige Missionsarbeit.
Die einzigen Berichte, die wir über seine beiden Studienjahre haben, stehen in seinen Briefen an die Familie. Folgendes schrieb er im Frühherbst dieses Jahres an seine Schwester Jane:
»Beginne jeden Tag mit stiller Bibellese und Gebet. Bunyan hat mit Recht gesagt: 'Entweder wird die Sünde dich von diesem Buch abhalten, oder dieses Buch wird dich von der Sünde abhalten.< Wenn du auf die Oberschule kommst, verteile unter denen, mit denen du zusammentriffst, sofort biblische Traktate. 

Tu es ungeniert und von Anfang an, es ist leichter so, als wenn du versuchst, damit anzufangen, wenn du mit der Schule schon halb fertig bist. Lern in der Trambahn Bibelstellen auswendig, kauf die Zeit aus! Sie ist kostbar, weil sie so schnell dahinflieht. Das sind simple Wahrheiten, ziemlich abgedroschen, aber ich wünschte, jemand hätte sie auch mir gesagt, als ich damals mit der Oberschule anfing. >Befleißige dich, Gott dich zu erzeigen als einen rechtschaffenen und unsträflichen Arbeiter, der da recht teile das Wort der Wahrheit.<«
Jim stellte seinen Wecker jeden Abend so, daß er am nächsten Morgen Zeit zum Beten und zum Bibelstudium hatte. »In der Bibel«, schrieb er, »wird nie etwas zu 'altem, abgedroschenem Zeug<, denn sie ist ja Christus in gedruckter Form, das >lebendige Wort<. Wir stehen morgens nie auf, ohne uns das Gesicht zu waschen, aber wir vernachlässigen oft die innere Reinigung durch das Wort des Herrn. Es weckt uns auf zum Innewerden unserer Verantwortung.«
Eine der Früchte dieses ersten Jahres im College war eine neue Wertschätzung seines Elternhauses. Im Mai schrieb er: ‚>Dies ist das Frühjahr meines neunzehnten Lebensjahres. Langsam ist mir die Erkenntnis gekommen, daß ich an diesem Punkt nicht angelangt bin dank meiner eigenen Anstrengungen, noch durch den stetigen Lauf dieses leichtfüßigen Läufers der >Zeit<, sondern durch das stille, unmerkliche Geführt-werden von einer treuen Mutter und einem Vater-Prediger, der nicht so viel Zeit auf das Erziehen der Kinder anderer verwandt hat, daß er keine Zeit mehr gehabt hätte für seine eigenen.«

»Es ist ein nützliches Jahr gewesen«, schrieb er am Ende seines ersten Studienjahres, »ich bin meinem Erlöser nähergerückt und habe Schätze entdeckt in seinem Wort. Wie wunderbar zu wissen, daß Christentum mehr ist als ein Stammplatz in der Kirche mit Kissen oder eine dämmerige Kathedrale, daß es eine wirkliche, lebendige, täglich sich erneuernde Erfahrung ist, die sich fortsetzt von Gnade zu Gnade. Und das Ziel - manchmal fern erscheinend -‚ aber licht und unvergänglich, erstrahlt es im Glanz der >Sonne der Gerechtigkeit<.«
Den Sommer verbrachte Jim zu Hause und kehrte im September nach Wheaton zurück. In einem der ersten Briefe an die Familie schrieb er:
»Das Erlangen wissenschaftlicher Erkenntnis (die >Hoffart des Lebens<) ist ein mühevolles Unternehmen, und ich frage mich allmählich, ob es überhaupt der Mühe wert ist. Der Glanz, den die Wißbegier den Dingen gab, ist verblaßt. Was kann der Mensch Besseres kennenlernen als die Liebe Christi die höher ist als alle Erkenntnis? Ach, lieber schwelgen in der Erkenntnis Christi als sich suhlen im grundlosen Sumpf der Philosophie. Mein Philosophieprofessor sagt, ich dürfe nicht erwarten, daß ich in seiner Vorlesung viel lernen würde - das einzige, was er wolle, sei, den Geist des Forschens bei uns zu entwickeln, um uns dazu zu bringen, 'philosophische Fragen allgemeinster Art mit klarem, kritischem Verstand zu untersuchen<. Hm «

26. Oktober. »Ich bin gefragt worden, ob ich im nächsten Jahr den Posten des Geschäftsführers in der Redaktion des Tower, unserer Studentenzeitung, übernehmen würde. Das würde bedeuten, daß ich sechs Ehrenpunkte und ein Jahr Hör-geldfreiheit bekäme und über ein Betriebskapital von 12 000 Dollar verfügen könnte - das hieße aber ebenfalls: zusätzliche Arbeit spät abends, Verringerung meiner Vorlesungen und Beteiligung bei einer Menge äußerlicher Nichtigkeiten, die ich mit meiner Haltung schwer in Einklang bringen könnte.«
Seine Ablehnung des Angebots brachte ihm Proteste seitens der Familie ein, auf die er am 2. November erwiderte: »Euer Brief kam zu spät, um mich von meinem Entschluß hinsichtlich des Postens in der Redaktion des Tower abzubringen. Letztes Wochenende war ich wegen dieser ganzen Sache recht verwirrt, aber nachdem ich lange Zeit gebetet hatte, wurde ich ruhig und fand Frieden, indem ich zu der Überzeugung kam, daß es nicht sein Wille ist, daß ich den Posten annehme. Zwar kann ich für meinen Entschluß auch jetzt noch keinen Grund angeben, nur den einen, daß der Herr auch dem Psalmisten den Weg des Lebens kundgetan hat, und zwar einfach dadurch, daß der ihn allezeit vor Augen hatte. Psalm 16, ff.

 Ich wartete vor ihm, und irgendwie kam mir dann Antwort - ich hoffe fest, sie kam aus seinem Geist. >Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg<, sagt Salomo, >doch der Herr lenkt seine Schritte.< Mein Herz denkt, ihm zu dienen; ihm muß ich den nächsten Schritt anheimstellen.«
Beim Zubereiten einer jungen Seele, die sich so zum Dienst für ihn verpflichtet hat, findet Gott es wohl zuweilen nötig, den Horizont des Betreffenden zu beschränken, bis sein Blick klar ausgerichtet ist. Zwar lernte um, noch bevor er das Studium beendete, die Erweiterung des Horizonts zu schätzen, aber während dieser beiden ersten Jahre konnte er den Arbeitsplan im College nicht ohne weiteres als etwas durchaus Positives ansehen. Sein Vater, dessen Schulbildung notgedrungen hatte abgebrochen werden müssen, wollte gern, daß Jim begriff, welchen Vorzug er besaß, daß er studieren konnte, und pries in einem Brief an ihn den Wert der Bildung. Jim erwiderte:
»Du sprichst davon, daß sie >unserem Menschsein Fülle gibt<. Sie gibt ihm Fülle, richtig, aber manchmal, fürchte ich, doch mehr in der Art von i. Kor. 8,1: >Das Wissen bläht auf.< >Geisteskultur<, Philosophie, Diskussionen, das Theater in seinen schwächeren Formen, Konzerte und Oper, Politik - alles, was den Verstand in Anspruch nehmen kann, lenkt die Herzen vieler hier im College, scheint mir, davon ab, ein schlichtes Leben in der Nachfolge des Herrn zu führen, obwohl wir gerade davon immer so gefühlvoll singen. Nein, Bildung ist gefährlich, und mir persönlich wird ihr Wert für das Leben eines Christen ziemlich fraglich. Gegen Weisheit sage ich nichts - aber die kommt von Gott, nicht durch Doktorgrade.«
Auszüge aus weiteren Briefen an seine Eltern.
6. Dezember. »Zur Zeit finde ich das Arbeitspensum, das ich zu bewältigen habe, ziemlich groß; es ist fast unmöglich, vor 11 Uhr ins Bett zu kommen. Wenn ihr für mich betet, würde ich das sehr schätzen hier, denn es ist schwierig, in der griechischen Vorlesung um 7.30 Uhr morgens nicht ins Dösen zu geraten, und noch schwieriger, vor dieser Zeit sich zu sam-

@1958 Elisabeth Elliot

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