Und dennoch wird es Weihnachten, Lotte Bormuth

05/03/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Heiligabend für Einsame

Der Heiligabend hat etwas Besonderes. Er schlägt die Menschen in seinen Bann..Sie vergessen ihre Not und ihr Elend und wollen feiern. Dies ist eine Tatsache. Aus diesem Grunde veranstalten wir in unserem Gottesdienstsaal Weihnachten für jedermann. Schon seit über 38 Jahren erklären sich etwa 17 Mitarbeiter aus verschiedenen Gemeinden bereit, ihre Zeit und ihre Gaben einzubringen, damit Einsame, Flüchtlinge, Asylanten, ausländische Studenten, Tippelbrüder, Alte und -Junge ein wunderschönes Fest feiern dürfen. Meist haben wir 100-120 Gäste. 

Einmal waren es sogar 150.
Unsere Kinder waren noch sehr klein, als wir mit dieser Arbeit in unserer Landeskirchlichen Gemeinschaft begannen. Johannes hatte gerade seinen ersten Geburtstag erlebt und seinen dritten Zahn bekommen. In der Familie haben wir es immer so gehalten, dass wir den Christbaum schon zwei Tage eher schmückten. Unsere Fünf waren glücklich, dass. sie die Geschenke ihren Freunden schon vor dem eigentlichen Fest zeigen konnten. Sie haben es nie als Mangel empfunden, wenn mein Mann und ich dann an Heiligabend kaum Zeit für sie hatten. So saßen sie mit unter den Gästen und haben, als sie größer wurden, auch- bei der Gestaltung mitgeholfen. Die Kleinen hockten oft auf dem Schoß der Tippelbrüder und mussten sich schütteln, wenn ihre Gesichter den bärtigen Männern zu nahe kamen. Unser Jüngster ein fröhlicher Blondschopf, war der Liebling des Abends, er hat wohl die meisten Küsse eingeheimst.

Mein Mann und ich, hatten an diesem Tag alle Hände voll zu tun Morgens um 4 Uhr 30 rappelte der Wecken Vier Eimer Kartoffelsalat galt es zu richten. Das Rezept dazu hat mir eine Lemförder Diakonisse gegeben Es ist wirklich ein Festessen, denn ich spare nie an köstlichen Zutaten.. Nichts bleibt davon übrig. Einige unserer Gäste bringen sich sogar ein Marmeladenglas mit, damit sie noch am nächsten Tag ein bekömmliches Mittagsmahl haben. Dazu bestellte ich .170 Würstchen aus einer Schlachterei auf dem Lande; denn unsere Tippeibrüder sind ausgehungert. Außerdem reichten wir Plätzchen und einen alkoholfreien Punsch. Am späten Abend stellten wir dann noch herrliches Obst auf den Tisch: Birnen, Apfelsinen, Apfel, Mandarinen und Bananen. 

Beim Großmarkt darf ich diese leckeren Sachen umsonst abholen. Die Geschäftsführerin sagte mir einmal: „Ich freue mich, dass Sie sich der einsamen Menschen unserer Stadt annehmen. Wir sind an diesem Tag so stark gestresst und beansprucht; dass wir nachrn. Geschäftsschluss todmüde in den 'Sessel fallen. Aber einen kleinen Beitrag für Ihre Heiigabendfeier möchten wir gerne leisten." Oft erhalten wir auch noch Brot und Gebäck, so dass wir mit allem gut versorgt sind. Auch aus den ‚Gemeinden ringsum kommen Gaben und Geldspenden.
Schon Tage zuvor richte ich über 100 Lebensmittelpakete, denn wir haben allen Grund, uns zu
freuen; denn Christus wurde geboren... 

Das ist ein Freudentag, und unsere Gäste sollen es spüren. Für die Kinder der Besucher gibt es ein wunderschönes Buch, eine Tüte mit Plätzchen und Schokolade. Wir sind immer wieder überrascht, dass wir 30 und mehr Kinder, meist aus kurdischen Familien, in unserer Mitte begrüßen können. Wie freuen sie sich, wenn
sie gute biblische Erzählbücher geschenkt bekom-men, durch die ihnen Jesus, der Kinderfreund, vertrauter wird. Ein spannendes Programm mit Liedern, Spielen und einem Film soll die Herzen unserer Jüngsten erfreuen. Natürlich 'erzählen wir ihnen auch vom Ereignis in Bethlehem, wo der Heiland in einer Krippe geboren wurde und die Hirten von den Feldern herbeieilten, um. das Jesuskind unter dem Jubel der Engel anzubeten.
Wichtig sind uns bei den Erwachsenen die Gespräche an den Tischen mit einem Mitarbeiter und die Verkündigung gegen Schluss der Veranstaltung. In den letzten Jahren hat es sich so ergeben, dass ich auch immer aus meinem Leben mit Christus berichtet habe. Das sind lebendig vorgetragene Zeugnisse, in denen sich. die Menschen wiederfincten und sie für ihre Situation Mut gewinnen. Etwa ein Drittel der Gäste kommt jedes Jahr. Wir singen, gerne, mit unseren Besuchern die alten Weihnachtslieder, die viele noch aus ihrer Kindheit kennen. Gegen 22 Uhr 30 folgt dann die Bescherung, und anschließend fahren die Mitarbeiter unsere Gäste nach Hause. Wir Frauen begeben uns dann ans Aufräumen und richten den Saal für den nächsten Tag zum Gottesdienst her. Meist wird es sehr spät, bis alle Arbeiten erledigt sind.
Im letzten Jahr gab es noch etwas Aufregendes. Eine altere Dame wusste nicht mehr recht, wo sie wohnte In dem Hausergewirr fand sie sich nicht
mehr. zurecht. Einer 'unserer Mitarbeiter: fuhr mehrere Straßen auf und ab, ging in verschiedene Häuser, doch nirgends wollte ihr Hausschlüssel ins Schloss passen. Der Begleiter war bekümmert und' rief bei mir an, was er denn nun tun sollte. Ich beruhigte ihn und sagte; „Bringen Sie die alte Dame zu uns.

Ich werde ihr im Wohnzimmer ein Bett richten. Aber geben Sie mir ihren Namen und ihr Geburtsdatum durch, vielleicht gelingt es mir, ihren Wohnort herauszufinden."
Ich telefonierte mit der Polizei, erklärte ihr unsere Situation und gab die Daten durch. Diese Suche gestaltete sich schwierig, weil es zwei Frauen mit demselben Namen in unserer Stadt gab. Das Geburtsdatum, das mir von unserem Gast durchge-
geben worden war, stimmte auch nicht. Aber da das Alter der einen Dame mit 100 angegeben war, wusste ich, dass unsere Besucherin die andere Dame. war. Wie glücklich war sie, als sie wieder ihre Wohnung betreten konnte. So kann es gehen, wenn im Alter das Orientierungsvermögen •nachlässt.
Wie gut ist es, musste ich denken, dass wir zu unserer himmlischen Wohnung immer den Weg finden können, wo Jesus uns eine Stätte bereitet hat. Wer an ihn glaubt, wird ewig sein Zuhause. haben. Keiner wird draußen vor der Tür stehen bleiben müssen.



An Heiligabend
Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht!
Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem
Volk widerfahren wird;
denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist
Christus, der Herr, in der Stadt Davids.

Das Wörtlein „euch" sollte euch fröhlich machen; denn mit wem redet der Engel? Mit Holz oder Steinen? Nein, sondern mit Menschen, und nicht mit einem oder zweien allein, sondern mit allem Volk.
Was wollen wir nun daraus machen? Wollen wir auch weiter zweifeln an Gottes Gnade und sprechen: Des Heilands mag sich wohl St. Peter und St. Paul freuen, ich darf's nicht tun, ich bin ein armer Sünder, dieser edle, teure Schatz geht mich nichts an?
Lieber, wenn du so willst sagen: Er gehört mir nicht an, dann will ich sagen: Wem gehört er denn an? Ist er denn um der Gänse, Enten oder Kühe willen gekommen? .Du musst hier sehen, wer er ist. Hätte er einer anderen Kreatur helfen wollen, so hätte er die Gestalt dieser Kreatur angenommen. Aber er ist allein eines Menschen Sohn geworden.
wer bist du? Wer bin ich? Sind wir nicht alles Menschen? Ja. Wer soll sich denn dieses Kindleins annehmen? Ja, wer soll sich denn dieses Kindleins annehmen, wenn nicht eben die Menschen? Die Engel bedürfen sein nicht. Wir aber bedürfen sein, und .um unseretwillen ist er Mensch geworden. Deshalb gebührt es uns Menschen, dass wir mit Freuden uns seiner annehmen sollen.
Martin Luther