Mt 3, 2 Das Reich der Himmel, Briem Christian

12/22/2022
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Was bedeutet nun Reich der Himmel, was haben wir dar­unter zu verstehen? Reich der Himmel ist ein Ausdruck, den nur Matthäus verwendet. Matthäus schrieb unter der Inspiration des Heiligen Geistes als Jude an Juden, und jeder im Alten Testament unterwiesene Jude wußte, daß der Prophet Daniel davon gesprochen hatte, daß der Gott des Himmels ein Reich auf der Erde errichten würde, das nie zerstört werden würde ‑ das Reich der Himmel (Dan 2 und 7). Dieses Reich erwarteten die luden, und der Vorläufer des Herrn als Messias, Johannes der Täufer, verkündigte denn auch, daß das Reich der Himmel nahe gekommen sei (Mt 3, 2).

Aber das jüdische Volk zur Zeit des Herrn hatte wenig Kenntnis und wenig Besorgtheit darüber, was für ein innerer Zustand des Herzens für den Eintritt in dieses Reich erforderlich war. Selbst Nikodemus sah in dem Reich nicht viel mehr als eine Art irdisches Paradies, das dem Menschen neu geschenkt würde. Daß jedoch die neue Geburt die wesentliche Qualifikation zum Eintritt in das Reich auch für einen Juden war, hatte nicht nur er völlig aus dem Auge verloren, obwohl der Prophet Hese­kiel davon gesprochen hatte (Kap. 36, 26). Und so mußte ihm der Herr sagen‑ "Du bist der Lehrer Israels und weißt dieses nicht?" (Joh 3, 10). Deswegen war der Auf­ruf Johannes' des Täufers zur Buße so wichtig. Es war eine totale Änderung des Herzens und der Gesinnung notwendig, wenn Menschen in dieses Reich eingehen wollten.

Schon Mose hatte davon geredet, daß, wenn die Kinder Israel dem Gesetz Gottes von Herzen gehorchen würden, ihre Tage "wie die Tage des Himmels über der Erde" sein würden (5. Mose 11, 21). Gott würde "den Samen Davids" einsetzen für immer und seinen Thron machen "wie die Tage der Himmel“ (Ps 89, 29). Daniel, der Pro­phet, hatte noch weiterreichende Mitteilungen über das Reich bekommen, hatte in einer himmlischen Szene gese­hen, wie Einer "wie eines Menschen Sohn" zu dem "Alten an Tagen" gebracht und Ihm das Reich und die Herrschaft gegeben wurde. Es würde ein ewiges Reich sein (vgl. Dan 7). Nun, dieses Reich verkündigte Johan­nes als "nahe gekommen". Der König war da in der Person Christi, aber würde Er von dem jüdischen Volk angenommen werden? Wir wissen, wie es gekommen ist: Der König wurde verworfen.

War damit nun alles verloren, unwiederbringlich ver­loren? Gott sei Lob und Dank! ‑ Nein. Wohl wurde die Errichtung des Reiches in Macht und Herrlichkeit für eine Zeit aufgeschoben (Apg 3, 21), aber inzwischen ging der Herr Jesus in den Himmel und übt nun Seinen Ein­fluß auf die Erde von dort aus ‑ nicht in offenbarer, sondern in verborgener, sittlicher Weise. Das ist das Reich der Himmel, wie es heute besteht. Es ist das Reich der Himmel in einem Geheimnis, im Gegensatz zum Reich in seiner äußeren, sichtbaren Gestalt und Herrlich­keit, wie es einmal kommen wird. So hat das Reich der Himmel zwei Erscheinungsformen: Das Reich der Him­mel in seiner heutigen, geheimnisvollen Gestalt (wie es im Alten Testament nicht offenbart war) und das Reich der Himmel in seiner zukünftigen, machtvollen und sichtbaren Form (dann gleichbedeutend mit dem Tau­sendjährigen Reich).

Wann nahm nun dieses Reich in seiner verborgenen Ge­stalt seinen Anfang? Als Christus als der hier Verworfene in den Himmel ging und dort als der Verherrlichte Sei­nen Platz zur Rechten Gottes einnahm, da begann das Reich der Himmel. Überall dort auf der Erde, wohin sich der Einfluß des im Himmel weilenden Herrn er­streckt, ist das Reich der Himmel. Als das Reich der Himmel seinen Anfang nahm, begann es gut, begann es mit echten Jüngern. Die Gleichnisse in Matthäus 13 bele­gen das ebenso wie die Berichte der Apostelgeschichte. Aber es blieb nicht dabei, der Feind säte Unkraut mitten unter den Weizen. So ist das Reich der Himmel (unter der Zulassung Gottes und was seine äußere Entwicklung anbetrifft) eine gemischte Sache geworden, in der Echte und Unechte, wahre Gläubige und rein äußerliche, leblo­se Bekenner nebeneinander sind, für unser Auge nicht immer zu unterscheiden.

Wenn ich sagte, daß das Reich der Himmel überall dort sei, wohin sich der Einfluß des im Himmel weilenden Herrn erstreckt, dann schließt dieser Bereich eben auch solche Christen ein, die sich nur ihrem äußeren Bekennt­nis nach zu Christus bekennen, aber keine neue Geburt erlebt haben. Daß ein Einfluß stattgefunden hat, kann nicht geleugnet werden, denn sie bekennen sich zum Christentum; aber er ging nicht weit genug, er konnte nicht Herz und Gewissen erreichen. Das ist das Tragi­sche. Solche Menschen wiegen sich in Sicherheit und nennen sich nach dem Namen Christi. Sie sind äußerlich im Reich der Himmel, sind Teil der Christenheit und damit in direkter Reichweite zu all den herrlichen Seg­nungen wahren Christentums ‑ und gehen doch, wenn sie nicht noch umkehren und Buße tun, ewig verloren. Der Herr wolle Sich noch über viele von ihnen erbarmen und sie zur Erkenntnis der Wahrheit führen!

Ich gehe hier nicht weiter auf die Unterschiede zwischen Reich der Himmel und Reich Gottes ein. Zum Teil bedeuten sie dasselbe, aber nur zum Teil. Gewisse Gleichnisse wer­den sowohl auf das Reich der Himmel als auch auf das Reich Gottes bezogen. Im allgemeinen jedoch kann man sagen, daß Reich Gottes der übergeordnete, umfassendere Begriff ist. Er schließt den Gedanken des Reiches der Himmel mit ein, hat aber oft einen sittlichen Inhalt (l. Kor 4, 20; Röm 14, 17). Mit Reich der Himmel dagegen wird zumeist eine Haushaltung, eine bestimmte Epoche in den Wegen Gottes mit der Erde bezeichnet. Diese Epoche wird übrigens auch nach der Entrückung der Versammlung noch weiter bestehen, auch in der Zeit der Drangsale. So wenig ist das Reich der Himmel eben gleich der Versammlung Gottes!

Wir haben uns bisher mit dem Reich der Himmel haupt­sächlich in der Sicht beschäftigt, wie sie sich den Men­schen "von außen" darbietet. Unter diesem Blickwinkel gesehen, ist das Reich der Himmel heute die Christen­heit. Aber nicht in allen Stellen meint Reich der Himmel diesen äußeren Bereich des christlichen Bekenntnisses.

Wenn zum Beispiel der Herr Jesus sagt:

"Wenn ihr nicht umkehret und werdet wie die Kindlein, so werdet ihr nicht in das Reich der Himmel eingehen" (Mt 18, 3); oder:

"Lasset die Kindlein und wehret ihnen nicht, zu mir zu kommen, denn solcher ist das Reich der Himmel" (Mt 19, 14); oder:

"Wahrlich, ich sage euch, unter den von Weibern Gebore­nen ist kein Größerer aufgestanden als Johannes der Täu­fer; der Kleinste aber im Reiche der Himmel ist größer als er" (Mt 11, 11),

dann meint Er offensichtlich mit Reich der Himmel nicht die äußere Entwicklung, die das Reich nehmen würde, sondern einen inneren, göttlichen Bereich, der an anderer Stelle mit Reich Gottes umschrieben wird. Daß das Reich der Himmel auch diese innere Seite hat, die der Herr nur denen "im Haus", das heißt den Seinen, offenbart, zeigen die beiden Gleichnisse vom Schatz im Acker und von dem Kaufmann, der schöne Perlen sucht (Mt 13, 44-­46). Hier erfahren wir, warum der Herr heute in Seinem äußeren Reich solche "Fehlentwicklungen", solch ein Nebeneinander von Gut und Böse duldet: Sein Herz ist auf die Seinen gerichtet, in ihnen sieht Er Seinen "Schatz", sie bilden zusammen die "eine sehr kostbare Perle", Seine Versammlung. Ihretwegen gab Er alles auf, selbst Sein Leben. Das kann uns nur zur Anbetung füh­ren.