Die Herrlichkeit Jesu Christi, unseres Herrn, in seiner Menschheit, Bellet J.G.

05/31/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Die Herrlichkeit Jesu Christi, unseres Herrn, in seiner Menschheit

 „Wenn jemand die Opfergabe eines Speisopfers dem Jehova darbringen will, so soll seine Opfergabe Fein Mehl sein; und er soll öl darauf gießen und Weihrauch darauf legen. Und er soll es zu den Söhnen Aarons, den Priestern, bringen; und er nehme davon seine Hand voll, von seinem Fein Mehl und von seinem öl samt all seinem Weihrauch, und der Priester räuchere das Gedächtnisteil desselben auf dem Altar: es ist ein Feueropfer lieblichen Geruchs dem Jehova" (3. Mo 2, 1. 2). 

Die moralische Herrlichkeit oder mit anderen Worten der Charakter des Herrn Jesu als Mensch ist der Gegenstand der vorliegenden Betrachtung. Alles in Ihm stieg als ein Opfer von 
lieblichem Wohlgeruch zu Gott empor. Jeder Ausdruck von dem, was Er war, wie unscheinbar er auch sein und an welchen Umstand er sich auch knüpfen mochte, erwies sich als ein duftender Weihrauch. In Ihm, aber auch nur in Ihm, wurde der Mensch mit Gott versöhnt. In Ihm fand Gott wieder Sein Wohlgefallen an dem Menschen, und zwar mit einem unaussprechlichen Gewinn; denn in Jesu ist der Mensch mehr für Gott, als er es in einer Ewigkeit adamitischer Unschuld gewesen sein würde. 

Obwohl ich völlig überzeugt bin, daß ich nur einen geringen Teil dieses bewunderungswürdigen Gegenstandes ans Licht zu stellen imstande sein werde, hoffe ich dennoch, durch diese Zeilen in anderen Seelen nützliche Gedanken wachzurufen, und das wird immerhin von Segen sein. 

Mit der Person des Herrn, als Gott und Mensch in einem Christus, wünsche ich mich zu beschäftigen, wie auch mit Seinem Werke, mit jenem leidensvollen Dienst, mit der am Kreuze geschehenen Blutvergießung, wodurch das Sühnungswerk vollendet wurde, das heute verkündigt wird zur Freude des Glaubens. 
Die Herrlichkeit des Herrn Jesu kann von drei Gesichtspunkten aus betrachtet werden: entweder betrifft sie Seine Person, oder Seine amtliche Würde, oder Seinen Charakter. Die Herrlichkeit Seiner Person verhüllte Jesus, außer wenn der Glaube sie zu entdecken wußte oder das Bedürfnis des Augenblicks ihre Offenbarung nötig machte. Die Herrlichkeit Seiner amtlichen 
Würde verhüllte Er ebenfalls; Er durchschritt das Land weder als der aus dem Schöße des Vaters gekommene Sohn Gottes, noch als der mit Autorität bekleidete Sohn Davids. Diese 
beiden Seiten Seiner Herrlichkeit blieben meistens verdeckt, während Er Sich inmitten der mannigfaltigen Umstände des täglichen Lebens hienieden bewegte. Seine moralische Herrlichkeit aber konnte nicht verborgen bleiben: Er konnte in keiner Sache weniger als vollkommen sein, das war der Ihm eigentümliche Charakter, es war miteinem Wort Er Selbst.

Diese Herrlichkeit war infolge ihrer Vortrefflichkeit sogar zu blendend für das menschliche Auge, und der Mensch fühlte sich beständig durch sie bloßgestellt und verurteilt. Aber sie warf, 
mochte der Mensch sie ertragen können oder nicht, ihre Strahlen nach allen Richtungen hin; und jetzt erleuchtet sie die Blätter der vier Evangelien, wie sie ehemals die Pfade erhellte, auf 
welchen der Herr hienieden wandelte. 
Es hat jemand von dem Herrn Jesu gesagt, daß Seine Menschheit in ihrer Entwicklung ganz natürlich gewesen sei. Diese Bemerkung ist sehr schön und wahr. Der letzte Vers des zweiten Kapitels in Lukas setzt dies außer allen Zweifel. Es gab in Jesu nichts von unnatürlichem Wachstum: Er nahm in allem zu in regelrechter Weise. Seine Weisheit hielt gleichen Schritt 
mit Seiner Statur und Seinem Alter; zuerst war Er ein Kind, dann ein Mann. Als Mann (als der Mann Gottes in dieser Welt) zeugte Er von der Welt, daß ihre Werke böse seien, 
und Er wurde von ihr gehaßt; aber als Kind (ich möchte sagen, als ein Kind nach dem Herzen Gottes) ist Er Seinen Eltern Untertan und befindet sich unter dem Gesetz, und zwar als 
jemand, der vollkommen ist; und unter solchen Umständen nahm Er zu an Gunst bei Gott und den Menschen. 

Aber obschon somit in Ihm ein Fortschreiten stattfand, zeigte sich doch niemals eine verdunkelnde Wolke, niemals etwas Verkehrtes, niemals ein Fehler; und das ist es, was Ihn von 
jedem anderen Menschen unterscheidet. Von Maria, Seiner Mutter, wird gesagt, daß sie alles, was über Jesum verkündigt worden war, „bewahrt und in ihrem Herzen erwägt" habe; 
und doch lagerten sich Wolken, Unruhe und selbst Finsternis um ihre Seele, so daß der Herr zu ihr sagen mußte: „Was ist es, daß ihr mich gesucht habt" (Luk 2, 49)? Bei Jesu hingegen 
zeigte sich das Fortschreiten stets in einer und derselben Form von moralischer Schönheit. Sein Wachstum war immer regelrecht und der Zeit gemäß, und ich darf hinzufügen, daß, so 
wie Seine Menschheit in ihrer Entwicklung ganz und gar natürlich war, auch Sein Charakter in allen seinen Kundgebungen sich als durchaus menschlich erwies. Alles, was diesen Charakter offenbarte, war, wenn ich mich so ausdrücken darf, dem Menschen eigentümlich. 

Er war der „Baum, gepflanzt an Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit" (Ps i, 3). Alle Dinge sind nur schön zu ihrer Zeit. Die moralische Herrlichkeit des „Kindes Jesu" prangte zu ihrer Zeit und an ihrem Platze; und als das Kind zum Manne geworden war, zeigte sich dieselbe Herrlichkeit unter anderen der Zeit gemäßen Formen. Wenn Seine Mutter ihre Ansprüche geltend machte, so wußte Er, wann Er ihnen genügen mußte; Er wußte auch, wann Er ihnen entgegenzutreten, und wann Er sie, selbst ungesucht, anzuerkennen hatte (Luk 2, 51; 8, 21; Joh 19, 27). Und überall, wo wir Seinen Schritten folgen, werden wir dasselbe finden. 

Er kannte Gethsemane zu seiner Zeit und nach seinem wahren Charakter, und Er kannte auch den heiligen Berg zu seiner Zeit: es waren die Zeiten des Winters und des Sommers für Seine Seele. Er 
kannte den Brunnen zu Sichar, wie auch den Weg, der Ihn zum letzten Mal nach Jerusalem führte. Er verfolgte jeden Pfad und füllte jeden Platz aus in einer Gesinnung, die stets in Übereinstimmung stand mit dem Charakter, den die Dinge in den Augen Gottes hatten. Und dies war auch bei solchen 
Gelegenheiten der Fall, in denen mehr Kraft und Energie erforderlich waren. Wenn es sich um die Entweihung des Hauses Seines Vaters handelte, so verwirklichte sich in Ihm das Wort des Psalmisten: „Der Eifer um dein Haus verzehrt mich"; und wenn Ihm von Seiten der samaritischen Dorfbewohner ein persönliches Unrecht angetan wurde, ertrug Er alles und setzte ruhig Seinen Weg fort. 

Alles war vollkommen, sowohl im Blick auf seine Zusammenstellung und Verbindung, als auch auf die passende Zeit. Er weinte am Grabe des Lazarus, obgleich Er wußte, daß Er das Leben für den Gestorbenen in sich trug. Und obwohl Er soeben erst gesagt hatte: „Ich bin die Auferstehung und das Leben", vergoß Er doch Tränen. Die göttliche Macht in Ihm hinderte die menschlichen Sympathien nicht, frei und ungehindert auszuströmen. Und gerade diese Verschmelzung oder Vereinigung von Tugenden macht Seine moralische Herrlichkeit aus. Jesus wußte, um den Ausdruck des Apostels zu gebrauchen, „erniedrigt zu sein und Überfluß zu haben"; Er wußte ebensowohl die Augenblicke des Wohlstandes, wenn man sie so nennen darf, wie die Zeiten des Druckes zu verwerten; denn während Er dieses Leben durchschritt, wurde Er mit beiden Zuständen bekanntgemacht. 

So wurde Er auf dem Berge der Verklärung für einen Augenblick in Seine Herrlichkeit eingeführt; und das war in der Tat eine glanzreiche Stunde. Er erschien dort in der Majestät und in den Würden, die Ihm gebührten. Wie die Sonne, die Quelle alles Lichts, so strahlte Sein Angesicht in überwältigendem Glanz; und ausgezeichnete Personen, wie Mose und Elias, standen Ihm zur Seite, indem sie Seine Herrlichkeit teilten und mit Ihm darin glänzten. Als Er aber von dem Berge herabstieg, befahl Er denen, die „Augenzeugen Seiner Majestät" gewesen waren, „niemandem zu erzählen, was sie gesehen hatten". Und als Er am Fuße des Berges angekommen war und die erstaunte Volksmenge zu Seiner Begrüßung zusammenrief (Mk o, 15), und Sein Antlitz ohne Zweifel noch einen, wenn auch schwachen Nachglanz der Herrlichkeit, in der Er soeben gestrahlt hatte, zur Schau trug, verweilte Er doch keinen Augenblick, um die Huldigungen der Menge entgegenzunehmen, sondern wandte sich alsbald wieder Seinem gewöhnlichen Dienst zu; denn Er wußte „Überfluß zu haben".

 Der Wohlstand machte Ihn nicht hochmütig. Er suchte nicht einen Platz unter den Menschen, sondern Er entäußerte Sich, machte Sich Selbst zu nichts und verhüllte eilig Seine Herrlichkeit, um der Diener zu sein, welcher gegürtet, aber nicht mit Herrlichkeit bekleidet ist. Ebenso war es mit Ihm, wie uns das 20. Kapitel des Evangeliums Johannes belehrt, bei einer anderen Gelegenheit, als Er aus den Toten auferstanden war. Wir sehen Ihn dort inmitten Seiner Jünger, bekleidet mit einer Herrlichkeit, wie sie dergleichen ein Mensch nie besessen noch angeschaut hatte. Er steht dort als der Überwinder des Todes, als der Zerstörer des Grabes; und dennoch, obwohl Er im Besitz solcher Herrlichkeiten war, ist Er nicht gekommen, um die Glückwünsche Seines Volkes, wie wir zu sagen pflegen, entgegenzunehmen, wie es naturgemäß jeder andere tun würde, der nach ausgestandenen Mühsalen und Gefahren und nach endlichem Sieg in den Schoß seiner Freunde und seiner Familie zurückkehrte. Nicht etwa als ob der Herr Jesus gegen Mitgefühl gleichgültig gewesen wäre; nein, Er verlangte vielmehr danach zu seiner Zeit, und Er entbehrte es tief, wenn Er es nicht fand. Aber jetzt, auferstanden aus den Toten, erscheint Er in der Mitte Seiner Jünger viel mehr wie einer, Der sie für einen Tag besucht, als wie ein triumphierender Überwinder; und Er unterhält Sich mit ihnen weit mehr über das, was sie, als was Ihn interessierte in den großen Dingen, die sich soeben erfüllt hatten. Das hieß in der Tat von dem Siege einen Gebrauch machen, wie Abraham es tat, nachdem er die verbündeten Könige geschlagen hatte; und dergleichen tun zu können, ist, wie jemand mit Recht bemerkt hat, weit schwieriger, als den Sieg selbst zu erringen. Dies war es also wieder, zu wissen, „Überfluß zu haben" und „erfüllt zu sein". 


Aber Jesus wußte auch, „erniedrigt zu sein". Betrachten wir Ihn z. B. bei den Bewohnern Samarias in Lk g, 51 usw. Von vornherein versetzt Er Sich im Bewußtsein Seiner persönlichen Herrlichkeit in die Tage Seiner „Aufnahme"; und wie jemand, der als eine Person von Ansehen sein Herannahen ankündigt, sendet Er Boten vor Seinem Angesicht her. Jedoch der Unglaube der Samariter verändert den Zustand der Dinge; sie weigern sich, Ihn aufzunehmen. Sie wollen den Füßen des Herrn der Herrlichkeit keine gerade Bahn bereiten, und zwingen Ihn, als der Verworfene den bestmöglichen Pfad für sich ausfindig zu machen. Und diese Stellung, den Platz eines Verworfenen, nimmt Er sofort ein, ohne daß Sein Herz irgendwie darüber gemurrt hätte. Indem Er Sich als der Bethlehemit verworfen sieht, wird Er wieder der Nazarener (siehe Mt 2); und Er trägt diesen neuen Charakter jenseits des samaritischen Dorfes ebenso vollkommen, wie Er Sich diesseits in jenem anderen Charakter gezeigt hatte. 

So also wußte Jesus, „erniedrigt zu sein'. Das gleiche finden wir in Mt 2.1. Er betritt Jerusalem als „der Sohn Davids"; alles was Ihn in dieser glorreichen Würde zu kennzeichnen vermochte, umringt und begleitet Ihn. Wie Er auf dem heiligen Berge in Seiner himmlischen Herrlichkeit erschienen war, so erscheint Er hier in Seiner irdischen Herrlichkeit, die Ihm von Rechts wegen gehörte; und wenn der Augenblick es erforderte, wußte Er sie in würdiger Weise zu tragen. Aber der Unglaube von Jerusalem, wie früher derjenige von Samaria, verändert die Szene; und Er, Der als König Seinen Einzug in die Stadt gehalten hat, ist gezwungen, sie wiederum zu verlassen, um sich gleichsam ein Nachtlager zu suchen, wo Er es am besten finden kann. Und so befindet Er Sich, indem Er wußte, „erniedrigt zu sein", wie einst außerhalb Samarias, so jetzt außerhalb Jerusalems. 

Welch eine Vollkommenheit! Wenn die Finsternis das Licht der persönlichen und amtlichen Herrlichkeit Christi nicht erfaßt, so gibt das nur Seiner moralischen Herrlichkeit Gelegenheit, in um so hellerem Glänze hervorzustrahlen. Denn in sittlicher Hinsicht oder in einem menschlichen Charakter gibt es nichts Vortrefflicheres, als diese Verbindung einer freiwilligen Erniedrigung unter die Menschen mit dem Bewußtsein einer durchdringenden Herrlichkeit vor Gott. Wir finden schöne Beispiele von dieser Verbindung in dem Leben etlicher Heiliger. 
Abraham war während seines ganzen Lebens freiwillig ein Fremdling unter den Kanaanitern, indem er weder einen Fußbreit Land besaß, noch nach einem solchen Besitz trachtete; 
aber wenn die Gelegenheit sich dazu darbot, verstand er es, sich über Könige zu setzen, in dem Bewußtsein seiner Würde vor Gott und nach dem Ratschluß Gottes. Jakob spricht von seiner Fremdlingschaft, von seinen Tagen, die „kurz und böse" gewesen seien, indem er sich so in den Augen der Welt zu nichts macht; aber zu gleicher Zeit segnet er den Mann, der damals der Höchste auf Erden war, wohl wissend, daß er selbst in den Augen Gottes der „Vorzüglichere" war. 

David bittet um einen Laib Brot, und er tut es, ohne sich zu schämen; zu gleicher Zeit aber nimmt er die einem König gebührende Huldigung entgegen und empfängt gleichsam aus den Händen Abigails den Tribut seiner Untertanen. Paulus ist mit Ketten gebunden, ein Gefangener im Hause des Landpflegers, und er spricht von seinen Banden; aber zugleich läßt er den Hof 
und die ihn umringenden Großen der römischen Welt wissen, daß er sich unter ihnen allen als den gesegneten, den allein glücklichen Menschen erkennt. 
Diese Verbindung einer freiwilligen Erniedrigung vor den Menschen mit dem Bewußtsein der Herrlichkeit und Würde vor Gott findet ihre erhabenste, glänzendste, ja (wenn wir daran denken, wer Er war), ihre unendliche Offenbarung in unserem Herrn. Und es gibt in dieser Fähigkeit, zu wissen, „Überfluß zu haben" und „erniedrigt zu sein", „satt zu sein" und „Mangel zu leiden", noch eine andere Schönheit; denn sie sagt uns, daß das Herz dessen, der in diesen Dingen unterwiesen ist, sich viel mehr mit dem Endziel der Reise, als mit der Reise selbst beschäftigt. Wenn unser Herz an die Reise selbst denkt, werden wir ihre Mühseligkeiten und rauhen Wege sicher nicht gern haben; aber in dem Maß, wie wir das Ziel anschauen, werden wir über jene Dinge hinwegzusehen vermögen. Liegt hierin nicht für uns alle eine lehrreiche 
Unterweisung? 

Indes gibt es in dem Charakter des Herrn noch andere Verbindungen, die unsere Aufmerksamkeit auf sich lenken. Sicher war keiner unter den Menschensöhnen, wie jemand von Ihm gesagt hat, so gnädig, so herablassend, so zugänglich wie Er. Man bemerkt in Seinem ganzen Wesen eine Zartheit und eine Freundlichkeit, die man vergeblich bei anderen Menschen suchen würde; und dennoch fühlt man immer, daß Er „ein Fremdling" hienieden war. Ja, ein Fremdling hienieden, ein Fremdling, insoweit der Gott widerstrebende Mensch den Schauplatz dieser Welt ausfüllte; aber sobald irgendein Elend oder ein Bedürfnis nach Ihm verlangte, zeigte Er Sich in vertraulicher Nähe. Die Entfernung, in der Er Sich hielt, und die Vertraulichkeit, mit der Er nahte, beides war vollkommen. 

Er betrachtete nicht nur das Ihn umringende Elend, sondern Er nahm Anteil daran, und das mit einem Mitgefühl, das nur in Ihm Selbst seine Quelle hatte; und Er verwarf nicht nur die Ihn umringende Unreinigkeit, sondern Er erhielt auch den Abstand 
der Heiligkeit von jeder Berührung mit dem Bösen und jeglicher Befleckung aufrecht. 
Betrachten wir Ihn in dieser Entfernung und in dieser Nähe, so wie uns das 6. Kapitel in Markus Ihn darstellt. Es ist eine rührende Szene. Die Jünger kehren nach ermüdendem Tagewerk zu Jesu zurück. Er ist besorgt für sie, nimmt Anteil an ihrer Müdigkeit, und im Blick auf sie sagt Er zu ihnen: „Kommet ihr selbst her an einen wüsten Ort besonders und ruhet ein wenig aus".

 Doch da die Volksmenge Ihm bereits vorausgeeilt ist, wendet Er Sich mit derselben Liebe auch dieser zu, nimmt Kenntnis von ihrer Lage, und setzt Sich dann nieder, um sie zu unterweisen, da sie in Seinen Augen wie Schafe waren., welche keinen Hirten hatten. In diesem allen sehen 
wir, wie der Herr Jesus den mannigfaltigen Bedürfnissen gegenüber, die sich vor Ihm erhoben, nahe war; mochte es sich um die Müdigkeit der Jünger oder um die Unwissenheit und den Hunger der Menge handeln. Er trug Sorge für das eine wie für das andere. Doch die Jünger, unzufrieden über die Sorgfalt, die Er der Menge widmet, fordern Ihn auf, sie zu entlassen. Das aber entspricht nicht den Gedanken des Herrn; und sofort bildet sich zwischen Ihm und Seinen Jüngern eine Entfremdung, die sich kurz nachher darin kundgibt, daß Er sie in ein Schiff zu steigen nötigt, damit sie vor Ihm an das jenseitige Ufer fahren sollten, während Er die Volksmenge entlassen will. Diese Trennung hat für die Jünger eine neue Not im Gefolge. Der Wind und die Wellen sind ihnen entgegen auf dem See; aber als die Gefahr aufs höchste gestiegen ist, erscheint Jesus wieder in ihrer Nähe, um ihnen zu helfen und ihnen Mut einzuflößen. 
Welch eine Harmonie ist in dieser Verschmelzung von Heiligkeit und Gnade! Jesus ist uns nahe, wenn wir müde sind, wenn wir Hunger leiden oder uns in Gefahr befinden; aber Er ist 
fern von den Regungen unseres natürlichen Charakters, fern von unserer Selbstsucht. Seine Heiligkeit machte Ihn zu einem völligen Fremdling in einer unreinen Welt; Seine Gnade erhielt 
Ihn stets tätig in einer Welt voll Leiden und Bedürfnisse. Und gerade hierin zeigt sich die moralische Herrlichkeit des Lebens unseres Heilands in ganz besonderem Licht: obwohl Er durch den Charakter von dem, was Ihn umgab, notwendigerweise zu einem einsamen Mann wurde, veranlaßten Ihn dennoch das Elend und die Leiden um Ihn her, ununterbrochen tätig zu sein. 
Und da diese Tätigkeit sich allen Arten von Menschen gegenüber offenbarte, mußte sie sich auch in die verschiedensten Formen kleiden. Christus hatte mit Widersachern, mit einer Volksmenge, mit Seinen zwölf Jüngern und mit einzelnen Personen zu tun; und diese hielten Ihn nicht nur ununterbrochen, sondern auch auf mannigfaltige Art in Tätigkeit; und Er mußte wissen (und wußte es sicher in vollkommener Weise), welche Antwort Er einem jeden zu geben hatte. 

Bei gewissen Gelegenheiten sehen wir den Herrn auch an dem Tisch anderer sitzen; aber es dient wiederum nur dazu, neue Züge Seiner Vollkommenheit vor unseren Blicken zu enthüllen. 
Am Tisch der Pharisäer, wo wir Ihm zuweilen begegnen, betritt Er nicht den traulichen Boden der Familie, sondern eingeladen in dem Charakter, den Er Sich bereits in der Öffentlichkeit erworben und dort dargestellt hat, handelt Er diesem Charakter gemäß. Er ist nicht einfach ein Gast, dem die Zuvorkommenheit und Gastfreundschaft des Hausherrn zuteil wird, sondern Er ist in Seinem eigenen Charakter gekommen, und deshalb kann Er lehren und zurechtweisen. Er ist immer das Licht und handelt als das Licht; und so macht Er, wie Er es draußen getan hat, auch im Innern des Hauses die Finsternis offenbar (siehe Lk 7, 40 usw.; ri , 37 usw.). 
Während Er aber so wieder und wieder das Haus des Pharisäers als Lehrer betrat und, als solcher handelnd, den moralischen Zustand, wie er sich dort vorfand, verurteilte, erblicken 
wir Ihn in der Wohnung des Zöllners als Heiland. Levi bereitete Ihm ein Mahl in seinem Hause und führte Zöllner und Sünder in Seine Gesellschaft ein. Und als dies, wie es ganz natürlich war, den Ärger der Schriftgelehrten, der religiösen Leiter des Volkes, erregte, offenbarte Sich der Herr als Heiland, indem Er zu ihnen sagte: „Die Starken bedürfen nicht eines Arztes, sondern die Kranken. Gehet aber hin und lernet, was es ist: „Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer"; denn ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder" (Mt 9, 12. 13). Wie einfach sind diese Worte, aber zugleich wie treffend und bedeutungsvoll! Simon, der Pharisäer, war unwillig darüber, daß eine Sünderin in sein Haus trat und sich Jesu nahte, während Levi, der Zöllner, gerade Sünder einlud, um die Mitgäste des Herrn Jesu zu sein; und infolgedessen handelt der Herr im Hause des einen wie ein Tadler, während Er Sich im Hause des anderen in den Gnadenreichtümern eines Erlösers zeigt. 

Doch wir finden den Herrn Jesus noch bei anderen Personen zu Tische. Folgen wir Ihm nach Jericho und nach Emmaus (Lk 19 und 24). Es war ein Herzensbedürfnis, das Ihn bei jeder dieser Gelegenheiten aufnahm, wenn es auch unter verschiedenen Einflüssen erwacht war. Zachäus war bis zu jener Stunde nur ein Sünder, ein Mensch in seinem natürlichen Zustande gewesen, der, wie wir wissen, in seinen Quellen und in seinen Kundgebungen verderbt ist. Aber er stand in jenem Augenblick unter dem Zuge des Vaters zum Sohne, und Jesus wurde der Gegenstand seiner Seele. Er begehrte Ihn zu sehen, und von diesem brennenden Verlangen getrieben, hatte er sich einen Weg durch die Menge gebahnt und war auf einen MaulbeerFeigenbaum gestiegen, um so, wenn möglich, den vorübergehenden Herrn zu sehen. Der Herr blickte zu ihm auf und 
lud Sich augenblicklich bei Ihm ein. Das ist sehr beachtenswert; Jesus ist in dem Hause des Zöllners zu Jericho ein ungenötigter Gast, der Sich Selbst eingeladen hat. 

Die ersten Regungen des geistlichen Lebens in dem Herzen eines armen Sünders, die durch den Zug des Vaters geweckten Bedürfnisse, waren in diesem Hause zur Bewillkommnung Jesu vorhanden; aber der Herr kommt in einer höchst lieblichen und bedeutungsvollen Weise dieser Bewillkommnung zuvor und tritt in das Haus ein in einem Charakter, der den Bedürfnissen des Augenblicks entsprach und sie beantwortete, um so das neugeweckte Leben anzufachen und zu befestigen, bis es sich in einer seiner kostbaren Tugenden offenbart und etliche seiner guten Früchte entfaltet. „Siehe, Herr, die Hälfte meiner Güter gebe ich den Armen, und wenn ich von jemandem etwas durch falsche Anklage genommen habe, so erstatte ich es vierfältig" (Lk 19, 8). In Emmaus begegnen wir einer anderen Szene. Hier finden wir nicht das Verlangen einer neuergriffenen Seele, sondern das Begehren wiederhergestellter Heiliger. Die beiden Jünger 
hatten dem Unglauben Raum gegeben. Sie kehrten heimwärts unter dem traurigen Eindruck, daß Jesus sie in ihren Erwartungen getäuscht habe. Der Herr Jesus tadelt sie, gleich nachdem Er Sich auf dem Wege zu ihnen gesellt hat; jedoch ist die Art Seiner Unterhaltung so anziehend, daß ihre Herzen zu brennen beginnen (Lk 24, 3z), und sie Ihn, als sie die Tür ihrer Wohnung erreicht haben und Er Miene zum Weitergehen macht, dringend nötigen, bei ihnen einzukehren. Hier ladet Er Sich nicht Selbst ein, wie Er es in Jericho getan hatte. 

Die beiden Jünger waren nicht in dem gleichen Zustande, in dem sich Zachäus befand. Aber sobald sie Ihn einladen, kehrt der Herr ein, und zwar um das Verlangen, welches jene zu Seiner 
Einladung getrieben hatte, weiter zu fördern, ja, völlig zu befriedigen. Und so geschah es denn auch: die Freude ihrer Herzen war so groß, daß sie, wie weit auch die Nacht schon 
vorgerückt sein mochte, noch zu derselben Stunde nach Jerusalem zurückkehrten, um ihren Brüdern von diesen Dingen Kunde zu geben. 
Wie voll der mannigfaltigsten Schönheiten sind alle diese Ereignisse! Der Gast des Pharisäers, der Gast des Zöllners, der Gast der Jünger, der geladene und ungeladene Gast, sitzt in 
der Person Jesu stets auf Seinem Platz in aller Vollkommenheit und Schönheit. — Es gibt noch andere Fälle, in denen der Herr Jesus als Tischgenosse vor unsere Augen tritt; aber ich 
beschränke mich darauf, nur noch einen einzigen anzuführen. 
In Bethanien sehen wir Ihn auf dem, wie wir es weiter oben nannten, traulichen Boden der Familie. Würde Er die Idee einer christlichen Familie mißbilligt haben, so hätte Er nicht in 
Bethanien sein können. Aber wir sehen Ihn dort, und zwar wieder, um einen neuen Zug Seiner moralischen Herrlichkeit in Ihm zu entdecken. Er ist in Bethanien als ein Freund der Familie, indem Er in ihrem Kreis das findet, was wir noch heute so hoch schätzen: eine Heimat. Die Worte: „Jesus aber liebte die Martha und ihre Schwester und den Lazarus", bestätigen dieses zur Genüge. Die Liebe des Herrn zu dieser Familie war nicht die Liebe eines Erlösers oder eines Hirten, wiewohl wir wissen, daß Er beides für sie war; es war die Liebe eines Familienfreundes. Aber obwohl Er ein Freund, und zwar ein vertrauter Freund war, Der, so oft es Ihm beliebte, 
unter diesem gastfreundlichen Dach herzliche Aufnahme finden konnte, mischte Er Sich doch niemals in die Einrichtungen und Anordnungen des Hauses. Martha war die Haushälterin, 
die am meisten beschäftigte Person der Familie, nützlich und wichtig an ihrem Platze; und Jesus läßt sie da, wo Er sie findet. 

Es war nicht Seine Sache, solche Dinge zu verändern oder zu ordnen. Lazarus konnte Platz nehmen zur Seite seiner Gäste an der Familientafel; Maria konnte sich zurückziehen und 
gleichsam in ihr eigenes Reich, oder in das Reich Gottes in ihr, sich vertiefen; und Martha konnte beschäftigt sein und ihren häuslichen Pflichten obliegen, Jesus läßt alles gerade so, wie 
Er es findet. Er, der nicht ungeladen in das Haus eines anderen eintreten mochte, will, wenn Er bei diesen beiden Schwestern und ihrem Bruder eingekehrt ist, sich nicht in die häusliche 
Ordnung und deren Einrichtungen mischen. Welch eine vollkommene Wohlanständigkeit! Aber wenn eines der Glieder der Familie, anstatt den ihm angewiesenen Platz in dem 
Familienkreise zu bewahren, sich in der Gegenwart Jesu belehrende Anmerkungen erlaubt, dann muß und wird Er Seinen höheren Charakter annehmen, um in göttlicher Weise die 
Dinge zu ordnen, welche Er, häuslich betrachtet, nicht berühren und in die Er Sich nicht einmischen mochte (Lk 10). 

Wer könnte alle die schönen Züge in Jesu aufspüren und verfolgen? Und wenn kein menschliches Auge imstande ist, die ganze Fülle dieses Gegenstandes zu erkennen, wo ist dann der menschliche Charakter zu finden, der nicht durch seine eigenen Schatten und Unvollkommenheiten den Glanz dieses Gegenstandes um so klarer hervorstrahlen ließe? Keiner von uns stellt sich den Johannes oder den Petrus oder einen der anderen Apostel als hartherzig und lieblos vor; im Gegenteil fühlen wir, daß wir sie hätten zu Vertrauten unserer Sorgen und Kümmernisse machen können. Dennoch aber zeigt uns jene bereits erwähnte kurze Erzählung in Markus 6, daß sie sich alle auf einem Fehler ertappen ließen, daß sie sich alle in einer gewissen Entfernung hielten, als die hungrige Menge sich an sie wandte und ihre Ruhe zu stören drohte, während für Jesus gerade dies der Augenblick und die Gelegenheit war, Sich zu 
nähern. Alles das, geliebter Leser, zeigt uns, was Jesus ist. „Ich kenne niemanden", hat einmal jemand gesagt, „der so gut und so herablassend wäre wie Er, niemanden, der wie Er zu armen 
Sündern herabgestiegen ist. Ich setze größeres Vertrauen in Seine Liebe, als in die Liebe einer Maria oder irgendeines anderen Heiligen; nicht nur Seine Macht als Gott, sondern die Zärtlichkeit Seines Herzens als Mensch zieht mich an. Niemand zeigte oder besaß je eine solche Zärtlichkeit; niemand hat mir je ein solches Vertrauen eingeflößt. Mögen sich andere an die Heiligen oder an die Engel wenden, wenn sie wollen; ich habe ein größeres Vertrauen zu der Güte Jesu". — Wahrlich, so ist es; und ich wiederhole, jene Erzählung in Markus 6 bestätigt 
dies, indem sie uns einerseits die Engherzigkeit der Besten unter uns, eines Petrus und Johannes, offenbart, und andererseits die volle, unermüdliche und dienende Gnade Jesu ans 
Licht stellt. 

Aber es gibt in dem Herrn nicht nur Verbindungen von Tugenden und Gnaden, sondern auch von Charakteren. Das zeigen uns Seine Beziehungen zur Welt, als Er hienieden wandelte. Er war zugleich ein Sieger, ein Mann der Schmerzen und ein Wohltäter. Welch eine moralische Herrlichkeit strahlt 
uns aus dieser Zusammenfügung entgegen! Er überwand die Welt, indem Er alle ihre Reize und Anerbietungen ausschlug; Er litt von Seiten der Welt, weil Er für Gott gegen den Lauf und den Geist der Welt Zeugnis ablegte; und Er schüttete Seine Segnungen über die Welt aus, indem Er beständig Seine Liebe und Seine Macht walten ließ und Böses mit Gutem vergalt. Die Versuchungen der Welt dienten nur dazu, um aus Ihm einen Sieger zu machen, das Verderben und der Haß der Welt, um aus Ihm einen Mann der Schmerzen, und das Elend der Welt, um aus Ihm einen Wohltäter zu machen. Welch eine Reihe von moralischen Herrlichkeiten findet sich hier miteinander vereinigt! 

Der Herr Jesus gab in Seiner Person eine treffende Erläuterung der unter uns oft gehörten Worte: „in der Welt, aber nicht von der Welt", ein Ausdruck, der ohne Zweifel den Worten des Herrn entlehnt ist: „Ich bitte nicht, daß du sie aus der Welt wegnehmest, sondern daß du sie bewahrest vor dem 
Bösen. Sie sind nicht von der Welt, gleichwie ich nicht von der Welt bin" (Joh 17, 15. 16). Er war die lebendige Offenbarung dieses Zustandes während Seines ganzen Lebens auf Erden; denn Er war stets in der Welt und wirkte inmitten ihrer Unwissenheit und ihres Glaubens. Niemals aber war Er von der 
Welt; nie nahm Er teil an ihren Erwartungen und Plänen, noch wandelte Er in ihrem Geiste. Jedoch zeigt Er Sich in Joh 7, wie ich glaube, in ganz besonderer Weise in diesem Charakter. 

Es war die Zeit des Laubhüttenfestes, die Krone der Freudentage in Israel, der Vorgeschmack des kommenden Reiches, die Zeit der Einsammlung der Ernte, wobei sich das Volk nur daran zu erinnern hatte, daß es ehemals in der Wüste umherirrte und in Zelten wohnte. Die Brüder des Herrn drängten Ihn, eine Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen zu lassen, wo „alle Welt", wie wir sagen würden, in Jerusalem versammelt war. Sie wünschten, daß Er Sich hervortun und Sich, wie 
wir uns ausdrücken, als „ein Mann der Welt" zeigen möchte. „Wenn du", sagen sie, „diese Dinge tust, so zeige dich der Welt". Doch Jesus weigert sich, ihrem Wunsche zu folgen. Für Ihn war die Zeit, das Laubhüttenfest zu feiern, noch nicht gekommen. Er wird einmal, wenn Sein Tag angebrochen sein 
wird, Sein Reich übernehmen; dann wird Er groß sein, und Seine Herrschaft wird sich ausbreiten bis zu den Enden der Erde; aber jetzt führte Sein Weg zum Altar und nicht zum Thron. Er will nicht auf das Fest gehen, um von dem Feste zu sein, obwohl Er Sich an der Stätte des Festes einfindet. Und 
darum sehen wir Ihn auch, sobald Er in Jerusalem angekommen ist, als Diener, nicht aber in Seiner Würde auftreten; auch verrichtet Er kein Wunder, wie es Seine Brüder gewünscht hatten, damit Er dadurch die Aufmerksamkeit der Menschen auf Sich lenke, sondern Er belehrt andere und verbirgt Sich Selbst hinter den Worten: „Meine Lehre ist nicht mein, sondern dessen, der mich gesandt hat". 

Wie bemerkenswert und charakteristisch ist das alles! Es war etwas on der Herrlichkeit Jesu, des vollkommenen Menschen, in Seinem Verhältnis zur Welt. Er war ein Sieger, ein Mann der Schmerzen und ein Wohltäter in der Welt; aber Er war nicht von der Welt. Indes sehen wir Ihn zu Zeiten mit derselben Vollkommenheit Dinge unterscheiden, wie jene schöne Verbindung offenbaren. Wenn Er Sich z. B. mit Leiden befaßt, welche, wenn ich so sagen darf, draußen liegen, so erblicken 
wir eine bewunderungswürdige Zärtlichkeit, verbunden mit der Macht zu heilen; handelt es sich aber um die Trübsale der Jünger, so finden wir ebenso wohl Treue wie Zärtlichkeit. Der Aussätzige in Mt 8 war ein Fremdling. Er kommt mit seinen Leiden zu Jesu und findet sofort Heilung. Im gleichen Kapitel wenden sich auch die Jünger in ihrer Bedrängnis während des Sturms an Ihn; aber sie empfangen mit der Hilfe auch einen Verweis. „Was seid ihr furchtsam, Kleingläubige"? sagt Er zu 
ihnen; und doch hatte der Aussätzige einen ebenso kleinen Glauben wie die Jünger. Denn wenn diese schreien: „Herr, rette uns, wir kommen um"! sagt jener: „Herr, wenn du willst, kannst du mich reinigen"! Aber die Jünger wurden getadelt, der Aussätzige nicht; und zwar mit Recht, denn die beiden Fälle waren durchaus voneinander verschieden. In dem einen handelte es sich nur um das Leiden, in dem anderen neben dem Leiden auch um die Seele. Infolgedessen antwortete der 
Herr dem Aussätzigen durch eine unvermischte Liebe, während Er im Blick auf die Jünger mit der Zärtlichkeit die Treue verband. Die Verschiedenheit der Beziehungen zu Ihm (als Jünger oder als Fremdlinge) erklärt die Verschiedenheit in der Handlungsweise des Herrn und zeigt uns, mit welcher Vollkommenheit Er Dinge unterschied, die zwar eine große Ähnlichkeit miteinander hatten, aber doch nicht gleich waren. 
Doch betrachten wir diese Vollkommenheit des Herrn noch etwas näher. Obwohl Er Selbst Verweise gibt, so erlaubt Er doch nicht, daß andere dies in leichtfertiger Weise tun. Ähnliches finden wir auch in früheren Tagen. Während Gott Selbst Seinen Knecht Mose demütigte, gestattete Er nicht, daß Mirjam und Aaron ihm Vorwürfe machten (4. Mo 11 und 12). Und während Israel oftmals in der Wüste durch die Hand Gottes gezüchtigt wurde, trat Gott in Gegenwart Bileams und anderer Widersacher stets wie einer auf, der keine Ungerechtigkeit in Israel sah und nicht erlaubte, daß irgendwelche Zauberei wider das Volk den Sieg davontrug. Ebenso treffend und schön ist die Dazwischenkunft Jesu gelegentlich der Unzufriedenheit und des Murrens der zehn Jünger über ihre zwei Gefährten 
(Mt 20), sowie Sein Verhalten Johannes dem Täufer gegenüber; obwohl Er, gleichsam im Verborgenen, ein Wort der Warnung und Zurechtweisung an diesen richtete (ein Wort, das wohl nur von dem Gewissen des Johannes verstanden werden konnte), wandte Er Sich an die Menge ausschließlich mit Ausdrücken der höchsten Billigung und der Zufriedenheit über Johannes. 

Es gibt noch viele andere Beispiele von dieser Gnade, welche Dinge, die verschieden waren, auch unterschied. Selbst in Seiner Handlungsweise Seinen Jüngern gegenüber kam ein Augenblick, wo die Treue nicht länger am Platze war, sondern wo nur die Liebe ausströmen durfte; ich meine die Scheidestunde (Joh 14—16). Da war es zu spät, „treu zu sein"; der Augenblick erlaubte es nicht. Es war eine Stunde, auf die das Herz, als ihm allein gehörig, Anspruch machte; die Erziehung 
der Seele mußte dieses Mal ganz außer acht bleiben. Freilich offenbart der Herr Seinen Jüngern neue Geheimnisse hinsichtlich der innigsten und vertrautesten Beziehungen zwischen ihnen und dem Vater; aber in allen Seinen Worten findet sich nichts, was einem Verweis ähnlich wäre. Jetzt sagt Er nicht: 
„Kleingläubige"! oder: „Seid ihr noch unverständig"? Das einzige Wort, das vielleicht wie ein Verweis klingen könnte, dient nur dazu, die Jünger eine Wunde erkennen zu lassen, die Sein Herz erlitten hatte, damit sie so Seine Liebe zu ihnen völliger verstehen möchten. Das war also in den vollkommenen Gedanken und Zuneigungen des Herzens Jesu die Heiligkeit des Schmerzes der Scheidestunde; und auch wir fühlen nach unserem geringen Maß wenigstens so viel davon, 
daß wir fähig sind, dessen vollen Ausdruck in Jesu würdigen und bewundern zu können. „Umarmen hat seine Zeit", sagt der Prediger, „und sich vom Umarmen fernhalten hat seine Zeit". Das ist eine Verordnung im Gesetzbuch der Liebe, und Jesus beobachtete sie. 
Jesus ließ Sich indes niemals zur Milde verleiten, wenn die Gelegenheit Treue erforderte, obwohl Er an so vielen Umständen vorüber schritt, welche die menschliche Empfindlichkeit geahndet haben würde, und die nach dem sittlichen Gefühl des Menschen geahndet zu werden verdienten. Er wollte Seine Jünger nicht gewinnen durch das armselige Mittel einer liebenswürdigen Natur. Von den Feueropfern Jehovas war sowohl „Honig" als auch „Sauerteig" ausgeschlossen. Die Speisopfer 
durften nichts davon haben (3. Mo 2, 11); und so zeigte sich auch in Jesu, dem wahren Speisopfer, nichts von beidem. Es war nicht eine rein menschliche, natürliche Liebenswürdigkeit, die den Jüngern in ihrem Lehrer entgegentrat. 

Bei Ihm war jene Höflichkeit nicht, die stets den Geschmack anderer zu erraten und zu befriedigen trachtet. Er suchte nicht Sich angenehm zu machen, und doch zog Er die Herzen in der innigsten 
Weise an Sich; und das ist Macht. Es ist immer ein Beweis von sittlicher Kraft, wenn man das Vertrauen eines anderen erlangt, ohne es zu suchen; denn in diesem Fall hat das Herz 
die Wirklichkeit der Liebe erkannt. „Wir alle wissen", sagt ein anderer Schreiber, „wahre Zuneigung von bloßer Aufmerksamkeit und Freundlichkeit wohl zu unterscheiden; das eine kann in großem Maße vorhanden sein, ohne daß sich von dem anderen auch nur eine Spur vorfindet. Manche mögen meinen, sich durch Aufmerksamkeiten das Vertrauen anderer erwerben zu können; aber wir wissen nur zu wohl, daß nichts anderes als Liebe dazu imstande ist". — Wie wahr ist das! Eine bloß 
äußerliche Freundlichkeit ist Honig; und wie viel von diesem armseligen Material mag sich wohl unter uns finden! Wir streben vielleicht nach nichts Höherem, als den Sauerteig auszufegen und die Leere mit Honig anzufüllen, und denken so gern, daß dann alles in Ordnung sei. Wenn wir nur liebenswürdig sind im Umgang und, indem wir anderen zu gefallen trachten und alles Mögliche tun, um mit jedem auf gutem Fuß zu leben, unseren Platz auf dem wohlgeordneten und glatten 
Boden der menschlichen Gesellschaft geziemend ausfüllen, so sind wir mit uns selbst zufrieden, und andere haben auch nichts an uns auszusetzen. Aber heißt das Gott dienen? Ist das ein Speisopfer? Glauben wir wirklich, daß das einen Teil der moralischen Herrlichkeit des vollkommenen Menschen ausmache? Wahrlich nicht! Wir mögen vielleicht meinen, daß nichts besser und kräftiger zu wirken vermöge, um jenes hohe Ziel zu erreichen; aber dennoch bleibt es eins der Geheimnisse des Heiligtums, daß kein Honig angewendet werden durfte, um dem Opfer einen lieblichen Geruch zu verleihen. 

Wir haben also gesehen, wie vollkommen an sittlicher Herrlichkeit und Schönheit alle die Wege des Sohnes des Menschen waren, sei es im Blick auf Entwicklung und der zeitgemäßen Offenbarung, oder auf Verbindungen und Unterscheidungen. Das Leben Jesu war wie das glänzende Licht einer Lampe. 
Ja, eine Lampe stand im Hause Gottes, die weder der „Lichtschneuzen" noch der „Löschnäpfe von reinem Golde" bedurfte (vgl. 2. Mo 25, 38), und die stets vor dem Angesicht des Herrn zugerichtet und mit dem „reinen, zerstoßenen Olivenöl" gefüllt war (2. Mo 27, 20). Sie erleuchtete alles, was sie umgab, verurteilte und strafte alles, was verurteilt und gestraft werden mußte, und verrichtete ihren Dienst, ohne selbst jemals Anlaß zu einem Tadel zu geben. 
Wie oft auch der Herr, was wieder und wieder geschah, durch Seine Jünger oder durch Seine Widersacher beschuldigt werden mochte, so suchte Er Sich doch nie zu entschuldigen. Bei einer 
Gelegenheit beklagen sich Seine Jünger über Ihn, indem sie sagen: „Lehrer, liegt dir nichts daran, daß wir umkommen"? (Mk 4, 38). Aber Er denkt nicht daran, den Schlaf zu rechtfertigen, den sie in dieser Weise stören. Zu einer anderen Zeit machen sie die Bemerkung: „Meister, die Volksmenge drängt und drückt dich, und du sagst: Wer ist es, der mich angerührt hat" (Lk 8, 45)? Aber es bedurfte einer solchen Bemerkung nicht; das zeigte die sofortige Heilung des Weibes. — Wieder 
zu einer anderen Zeit sagt Martha zu Ihm: „Herr, wenn du hier gewesen wärest, so wäre mein Bruder nicht gestorben" (Joh ai , 21). Aber Er entschuldigt Sich nicht wegen Seines langen Ausbleibens, sondern belehrt Martha über den wunderbaren Charakter, den Sein Zögern dieser Stunde verliehen 
hatte. Und wie herrlich wurde Sein Zögern dadurch gerechtfertigt ! 
So war es bei jeder ähnlichen Gelegenheit. Mochte Er beschuldigt oder getadelt werden, Er widerrief nie ein Wort, trat niemals einen Schritt zurück. Er bestrafte jede Stimme, die sich richtend wider Ihn erhob. Seine Mutter gibt Ihm in Lk 2, 48 einen Verweis; aber statt ihre Beschuldigung aufrecht erhalten zu können, muß sie sich von der Finsternis und dem Irrtum ihrer Gedanken durch Ihn überzeugen lassen. Petrus nimmt sich heraus, Ihn mit den Worten zu ermahnen: „Gott behüte 
dich, Herr! dies wird dir nicht widerfahren" (Mt 16, 22). Aber er muß lernen, daß Satan selbst es war, der ihm diesen Rat eingeflüstert hatte. Der Diener in dem Palast des Hohenpriesters geht noch weiter, indem er den Herrn scharf zurückweist und Ihm einen Backenstreich gibt (Joh 18); aber er wird überführt, angesichts und an der Stätte des Gerichtshofes die Gesetze geschändet zu haben. 

Alles das zeugt von dem Wege des vollkommenen Lehrers. Der Schein mochte zuweilen gegen Ihn sein. Warum schlief Er in dem Schiff, während Wind und Wellen tobten? Warum ließ Er Sich auf dem Wege aufhalten, während die Tochter des Jairus im Sterben lag? Warum blieb Er an dem Ort, wo Er 
war, als Sein Freund Lazarus in dem abgelegenen Bethanien krank lag? . . . Wahrlich, der Schein war gegen Ihn; aber auch nur der Schein, und auch das nur für einen kurzen Augenblick. 
Wir haben von diesen Wegen Jesu, von Seinem Schlafen, gehört, von Seinem Zögern auf dem Wege und Seinem Bleiben an einem Ort; aber wir haben auch das Ende dieser Wege gesehen, daß in allem nur Seine Vollkommenheit hervortrat. Auch in den Tagen der Patriarchen war der Schein gegen den 
Gott Hiobs. Eine Trauerbotschaft folgte auf die andere, schien das nicht hart und grausam zu sein? Aber der Gott Hiobs hatte Sich ebenso wenig zu entschuldigen wie der Jesus der Evangelien. 

Wenn wir daher den Herrn Jesum als die Lampe des Heiligtums, das Licht des Hauses Gottes, betrachten, so finden wir, daß die „Lichtschneuzen und Löschnäpfe" im Blick auf Ihn ganz und gar nutzlos waren und sein Gegenbild in Ihm fanden. Aus diesem Grunde mußten auch alle, die sich anmaßten, während Er hienieden wandelte, Ihn zu tadeln und zu beschuldigen, selbst bestraft und beschämt davongehen. Sie gebrauchten die Löschnäpfe und Lichtschneuzen für eine Lampe, die 
ihrer nicht bedurfte, und verrieten dadurch nur ihre eigene Torheit; und das Licht dieser Lampe strahlte um so heller, nicht weil die Lichtschneuzen gebraucht worden waren, sondern weil 
es durch ihren Gebrauch in den Stand gesetzt wurde, ein neues Zeugnis — und dies geschah bei jeder Gelegenheit — von der Tatsache abzulegen, daß es jener Geräte nicht bedurfte. Alle diese Beispiele geben uns die nützliche Unterweisung, daß es für uns weitaus das Beste ist, uns als ruhige Zuschauer zu verhalten und den Herrn in Seinem Tun nicht zu stören. Wir dürfen anschauen und anbeten, aber nicht uns einmischen und Ihn unterbrechen, wie die Feinde, die Verwandten und selbst die Jünger der damaligen Zeit es taten. Sie konnten dieses hell leuchtende Licht nicht glänzender machen; sie hatten deswegen sich nur des Lichts zu erfreuen und in Seinen Strahlen zu wandeln, ohne es putzen und zurichten zu wollen. Möchte unser Auge einfältig sein; dann wird sicher die Lampe des 
Herrn, auf den Leuchter gestellt, unseren ganzen Leib mit Licht erfüllen! 

Doch gehen wir weiter. So wie Jesus während Seines Dienstes Sich vor dem Urteil der Menschen nie zu rechtfertigen suchte, so machte Er auch keinen Anspruch auf menschliches Mitleid in der Stunde Seiner Schwachheit, als alle Mächte der Finsternis wider Ihn losgelassen waren. Als Er der Gefangene der Juden und Heiden geworden war, flehte und bat Er in keiner Weise; Er rief weder das Mitgefühl Seiner Umgebung an, noch trat Er für Sein Leben ein. Im Garten Gethsemane war Sein Gebet 
zum Vater emporgestiegen; aber durch kein Wort suchte Er das Herz des jüdischen Hohenpriesters oder des römischen Landpflegers zu rühren. Alles was Er in jener Stunde zu dem Menschen sagte, diente nur dazu, die Sünde ans Licht zu stellen, die der Mensch, sowohl Jude als Heide, im Begriff 
stand, zu begehen. 
Welch ein Gemälde! Wer vermöchte einen solchen Gegenstand bis in seine Tiefen zu erfassen, einen Gegenstand, der, wie andere bemerkt haben, zur Schau gestellt werden mußte, ehe er beschrieben werden konnte! Es war der vollkommene Mensch, der einmal hier auf Erden in der Fülle jener moralischen Herrlichkeit Wandelte, deren Strahlen der Heilige Geist in den Blättern der Evangelien aufgezeichnet hat. Wahrlich, nächst der einfältigen, glückseligen und festen Gewißheit 
Seiner persönlichen Liebe zu uns (die der Herr in unseren Herzen vermehren möge), gibt es nichts, was unser Verlangen, bei Ihm zu sein, brennender machen könnte, als die Entdekkung dessen, was Er Selbst ist. Ich habe jemanden, der in den vier Evangelien die herrlichen, lichtvollen Wege des Herrn 
verfolgt hatte, mit einem Herzen voll Liebe und unter strömenden Tränen ausrufen hören: „O, daß ich bei Ihm wäre"! 
Wenn es mir erlaubt ist, für andere das Wort zu nehmen, dann, geliebte Freunde, muß ich sagen, daß dieses es ist, was uns mangelt und was wir begehren. Wir kennen diesen Mangel, aber wir dürfen auch hinzufügen: der Herr kennt unser Begehren. „Aufbewahren hat seine Zeit, und Fortwerfen hat seine Zeit", sagt der Prediger Salomo (Kap. 3, 6). Der Herr Jesus wußte zur passenden Zeit aufzubewahren und zur passenden Zeit fortzuwerfen. 
Wie freigebig das Herz und die Hand im Dienst Gottes auch sein mögen, es wird in diesem Dienste doch nie eine Vergeudung oder Verschwendung geben. „Von dir kommt alles", sagt David zum Herrn, „und aus deiner Hand haben wir dir gegeben" (1. Chron 2Q, 14). 
Das Vieh auf tausend Bergen ist Sein, der Erdkreis und seine Fülle ist Sein (Ps 50). Der Pharao aber bezeichnete das Verlangen der Kinder Israel, ihrem Gott zu opfern, als Trägheit; und die Jünger betrachteten die dreihundert Denare, die zur Salbung des Leibes Jesu verwendet wurden, als Verschwendung (Mt 26, 6—13; Joh i2, i—8). Aber dem Herrn das Seinige zu geben: die Ehre oder das Opfer, die Liebe des Herzens, die Arbeit der Hände, oder die Güter des Hauses, das ist weder 
Trägkeit noch Verschwendung. Die Rückerstattung dieser Dinge an Gott ist unsere erste Pflicht. Hierbei möchte ich indes noch einen Augenblick verweilen. 
Aus Ägypten auszugehen, ist nicht Trägheit, und ein Fläschchen kostbarer Salbe auf das Haupt Jesu ausschütten ist nicht Verschwendung. Und dennoch sehen wir, daß eine gewisse Art, zu rechnen, die sich unter den Kindern dieser Welt, und leider nur zu oft auch unter den Heiligen Gottes findet, Dinge dieser Art so nennt. Wenn jemand irdische Vorteile ausschlägt und günstige Gelegenheiten für sein Fortkommen in dieser Welt versäumt, weil das Herz verstanden hat, in Gemeinschaft mit einem verworfenen Heiland seinen Weg zu gehen, dann ist die Zahl derer nicht gering, die das als „Trägheit" und „Verschwendung" betrachten. Man hätte, meinen sie, die Vorteile, die man besaß, festhalten, und die günstigen Gelegenheiten ergreifen und ausnutzen sollen, um sie dann für den Herrn zu verwerten. 

Doch alle, die eine solche Sprache führen, befinden sich in einem groben Irrtum. Nach ihrer Meinung sollte die äußere Stellung, sowie der damit verbundene irdische und menschliche Einfluß als ein Vorrecht betrachtet, ja, sogar als eine „Gabe zum Nutzen, zur Erbauung und zum Segen" für andere angewendet werden (vgl. i. Kor 12, 7 ff.; 14, 1—3. 12 ff.). Aber ein von den Menschen verworfener Christus wird, wenn die Seele Ihn in geistlicher Weise erkannt hat, uns eine ganz andere Belehrung geben. Die Stellung in dieser Welt, die weltlichen Vorrechte und die so sehr empfohlenen 
günstigen Gelegenheiten bilden jenes Ägypten, das Moses verließ. „Er weigerte sich, ein Sohn der Tochter Pharaos zu heißen". Die Schätze Ägyptens waren nach seinem Urteil kein Reichtum; er konnte im Dienst des Herrn keinen Gebrauch von ihnen machen. Und so verließ er sie, und der Herr begegnete ihm und bediente Sich seiner hernach, und zwar nicht um Ägypten mit seinen Schätzen in Kredit zu bringen, sondern um Sein Volk aus dem Diensthause Ägyptens zu befreien. Diese Verzichtleistung auf alles, von welcher Moses uns ein so schönes Beispiel liefert, muß indes in der Erkenntnis eines verworfenen Heilandes und im Glauben an Ihn stattfinden; denn sonst würde sie ihres eigentümlichen Charakters, ihrer wahren Schönheit und Wirklichkeit entbehren. Wenn man auf einen bloßen religiösen Grundsatz hin handelt, um sich eine Gerechtigkeit zu erwirken oder ein Verdienst zu schaffen, so kann man mit Recht behaupten, daß dies schlechter ist als Trägheit und Verschwendung. In diesem Fall hat Satan viel eher einen Vorteil über uns erlangt, als daß wir einen Sieg über die Welt davongetragen hätten. Aber wenn jene Verzichtleistung im Glauben und aus Liebe zu dem verworfenen Herrn geschieht, in dem Bewußtsein und der Erkenntnis des Verhältnisses dieses Herrn zu dem gegenwärtigen bösen Zeitlauf, dann ist es ein angenehmes Opfer für Gott, ein wahrer Gottesdienst. 

Den Menschen auf Kosten der Wahrheit und der Grundsätze zu dienen, ist kein Christentum, wenn auch diejenigen, die so handeln, „Wohltäter" genannt werden mögen. Wahres Christentum hat ebensowohl die Ehre Gottes wie das Glück der Menschen im Auge; und in dem Maße wie wir dies aus 
dem Gesicht verlieren, werden wir bemüht sein, viele Dinge, die wirklich der Ausdruck eines heiligen, geweihten und verständigen Dienstes für Christum sind, als Trägheit und Verschwendung zu betrachten. Daß es so ist, zeigt uns die Rechtfertigung, die der Herr dem Weibe, die ihre kostbare Salbe auf Sein Haupt ausschüttete, zuteil werden ließ (Mt 26). Wir haben in all unserem Tun auf die Ehre Gottes Rücksicht zu nehmen, mögen auch die Menschen ihre Anerkennung allem versagen, was nicht gerade der guten Ordnung in der Welt dienlich und dem Wohl des Nächsten förderlich ist. Jesus entsprach in jeder Beziehung den Rechten Gottes in dieser selbstsüchtigen Welt, wiewohl Er, wie wir wohl wissen, die Ansprüche des Nächsten an Seine Person völlig anerkannte. Er wußte zur passenden Zeit „fortzuwerfen" und zur passenden Zeit „aufzubewahren". „Was machet ihr dem Weibe Mühe? 
denn sie hat ein gutes Werk an mir getan", sagte Er, als das Weib von den Jüngern getadelt wurde, weil sie das Fläschchen kostbarer Salbe über Ihn ausgeschüttet hatte; aber nach der Speisung von Tausenden rief Er denselben Jüngern zu: „Sammelt die übriggebliebenen Brocken, auf daß nichts umkomme" (Joh 6, 12). 
Das war in der Tat eine Beobachtung der göttlichen Regel: „Aufbewahren hat seine Zeit, und Fortwerfen hat seine Zeit". Wenn einerseits der freigebige Dienst des Herzens oder der 
Hand, der zur Ehre Gottes geschieht, keine Verschwendung ist, so sind andererseits die Krümchen der Speise des Menschen geheiligt und dürfen nicht weggeworfen werden. Derselbe Herr, der bei der einen Gelegenheit den Aufwand von dreihundert Denaren rechtfertigte, erlaubte in dem anderen Falle nicht, daß die Brocken von fünf Gerstenbroten am Boden liegen bleiben. In Seinen Augen waren diese Stücke heilig. Sie waren die Lebensspeise, das Kraut des Feldes, welches Gott dem Menschen zu seinem Unterhalt gegeben hatte; und das Leben ist eine geheiligte Sache. Gott ist der Gott der Lebendigen. Er hatte einst zu dem Menschen gesagt: „Ich habe euch gegeben alles samenbringende Kraut . . . und jeden Baum, an welchem samenbringende Baumfrucht ist: es soll euch zur Speise sein" (1. Mo i, 29); und darum wollte Jesus es geheiligt wissen. Ferner wurde denen, die unter Gesetz waren, das Gebot gegeben: „Wenn du eine Stadt viele Tage belagern wirst, indem du Krieg wider sie führst, um sie einzunehmen, so sollst du ihre Bäume nicht verderben, indem du die Axt gegen sie schwingst (denn du kannst davon essen), und sollst sie nicht abhauen; denn ist der Baum des Feldes ein Mensch, daß er vor dir in Belagerung kommen sollte? Nur die Bäume, von denen du weißt, daß sie keine Bäume sind, von denen man ißt, die darfst du verderben und abhauen" (5. Mo 20, 19. 20). Es würde Verschwendung und Entweihung gewesen sein, wenn mit dem, was Gott zur Unterhaltung des Lebens gegeben hatte, Mißbrauch getrieben worden wäre; darum wollte Jesus 
in Reinheit, ja, in der vollkommenen Ausführung der Anordnung Gottes, nicht ein einziges Krümchen am Boden liegen lassen. „Sammelt die übriggebliebenen Brocken, auf daß nichts 
umkomme". 
Dies sind nur geringfügige Dinge, könnte man einwenden; aber wir sehen daraus, daß alle Umstände des menschlichen Lebens, in denen Jesus Sich befunden hat, wie flüchtig und 
unscheinbar sie auch scheinen mögen, durch einen Strahl jener moralischen Herrlichkeit geschmückt wurden, die stets den Pfad erleuchtete, den Seine heiligen Füße betraten. Das menschliche Auge war unfähig, Seine Spuren zu verfolgen; aber alles stieg zu Gott empor als ein duftender Wohlgeruch, als ein angenehmes Schlachtopfer, ein Opfer der Ruhe, das Speisopfer 
des Heiligtums. 
Es muß noch bemerkt werden, daß der Herr andere Personen nicht, wie dies leider bei uns oft der Fall ist, mit Rücksicht auf Sich Selbst beurteilte. Wir sind von Natur geneigt, andere nach der Art und Weise zu beurteilen, wie sie uns begegnen, indem wir unser Interesse für sie zu dem Maßstabe ihres Charakters und ihres Werkes machen. Doch der Herr handelte nicht in 
dieser Weise. Gott ist ein Gott der Erkenntnis; Er wägt alle Handlungen richtig ab, denn Er beurteilt sie alle vollkommen und versteht sie in ihrer sittlichen Bedeutung. Und Jesus Christus, das Ebenbild des Gottes aller Erkenntnis, handelte ebenso während der Tage Seines Dienstes hienieden. Das 11. Kapitel des Lukas liefert uns ein Beispiel dafür. Bei dem Pharisäer, 
der den Herrn zu Tische lud, zeigte sich ein Schein von Freundlichkeit und gutem Willen; aber Jesus war der „Gott aller Erkenntnis", und als solcher schätzte Er diese Handlung ab nach 
ihrem wahren Charakter und ihrer sittlichen Bedeutung. Der Honig der Höflichkeit, der beste Bestandteil in dem gesellschaftlichen Leben dieser Welt, konnte den Geschmack und das Urteil Christi nicht verderben. Er erkannte alles an, was vortrefflich war. Die Höflichkeit, die Ihn einlud, beeinflußte das Urteil Dessen nicht, Der die Waagschalen und Gewichte des Heiligtums Gottes in Seiner Hand hielt. Es war der Gott aller Erkenntnis, dem die Höflichkeit der Welt bei jener Gelegenheit begegnen mußte; und sie konnte nicht vor Ihm bestehen. Wahrlich, eine beherzigenswerte Lehre für uns! Die Einladung barg einen wohlüberlegten Plan in sich. Kaum 
ist der Herr in das Haus eingetreten, so spielt der Hausherr den Pharisäer und nicht den Wirt. Er drückt sein Befremden darüber aus, daß der Herr nicht vor dem Mahl Seine Hände gewaschen habe; und der Charakter, den er so zu Anfang annimmt, zeigt sich am Ende in seiner vollen Stärke. Der Herr begegnet diesem Benehmen in durchaus angemessener Weise; denn Er wägt, wie gesagt, alles ab als der Gott der Erkenntnis, Man möchte vielleicht denken, die Ihm erwiesene Höflichkeit hätte Ihm Schweigen auferlegen müssen; aber Jesus konnte den Pharisäer nicht nur mit Rücksicht auf Sich Selbst betrachten. Schmeichelei konnte Sein Urteil nicht beeinflussen.

 Er deckt auf und bestraft, und das Ende der ganzen Szene rechtfertigt Ihn. „Als Er aber dies zu ihnen sagte, fingen die Schriftgelehrten und die Pharisäer an, hart auf Ihn einzudringen und Ihn über vieles auszufragen; und sie lauerten auf Ihn, etwas aus Seinem Munde zu erjagen" (Lk 11, 53. 54). Sehr verschieden hiervon ist das Verhalten des Herrn im Hause eines anderen Pharisäers, der Ihn ebenfalls zu Tische geladen hatte (siehe Lk 7); denn Simon verbarg keine Nebenabsichten bei seiner Einladung. Freilich schien auch er als Pharisäer zu handeln, indem er die arme Sünderin aus der Stadt bei sich selbst verurteilte und seinen Gast tadelte, weil 
dieser deren Annäherung duldete; aber der bloße Schein kann einem gerechten Urteil niemals zur Grundlage dienen. Oft haben die gleichen Worte, je nach den Lippen, die sie aussprechen, einen ganz verschiedenen Sinn. Obwohl deshalb der Herr, der alles vollkommen Gott gemäß abwägt, Simon tadelt und vor Sich Selbst bloßstellt, so nennt Er ihn doch bei Namen und verläßt sein Haus, wie ein Gast es verlassen sollte. Er macht einen Unterschied zwischen dem Pharisäer in Ll< 7 und dem in Lk 1%, wiewohl Er bei beiden zu Tische saß. 
Ebenso zeigt Sich der Herr Seinem Jünger Petrus gegenüber. In Mt 16 gibt Petrus seiner zärtlichen Liebe zu dem Herrn Ausdruck, indem er sagt: „[Gott] behüte dich, Herr! dies wird 
dir nicht widerfahren"! Aber Jesus beurteilt die Worte des Petrus nur nach ihrem moralischen Wert. Uns erscheint es schwer, so zu handeln, wenn man sich bemüht, angenehm gegen uns zu sein. Eine bloß liebenswürdige Natur würde nicht das ernste: „Gehe hinter mich, Satan"! als Antwort auf jene Worte gegeben haben. Aber ich wiederhole, der Herr betrachtete die Worte Seines Jüngers nicht einfach als den Ausdruck eines guten Willens und einer persönlichen Zuneigung zu Seiner Person, sondern Er richtete sie, wog sie ab in der Gegenwart Gottes und fand alsbald, daß sie vom Feinde herrührten; denn er, der sich in einen „Engel des Lichts" verwandeln kann, verbirgt sich oft hinter höflichen und freundlichen Worten. 
In derselben Weise handelte der Herr mit Thomas in Joh 20. Thomas hatte Ihm mit „mein Herr und mein Gott" gehuldigt. Doch Jesus war Selbst durch eine solche Huldigung nicht von 
der sittlichen Höhe herabzubringen, auf der Er stand, und von wo aus Er alles anhörte und beschaute. 

Ohne Zweifel waren die Worte des Jüngers aufrichtig gemeint und entquollen 
einem Herzen, das von Gott erleuchtet war und Reue gegenüber dem auferstandenen Heiland fühlte, und anstatt noch länger zu zweifeln, seine Zweifel fahren ließ und anbetete. 
Aber Thomas hatte sich so lange wie möglich ferngehalten; er hatte das Maß überschritten. Zwar waren alle Jünger bezüglich der Auferstehung ungläubig gewesen; aber Thomas 
hatte erklärt, so lange im Unglauben verharren zu wollen, bis er durch sein Gefühl und seine Augen vom Gegenteil überzeugt werden würde. Das war sein moralischer Zustand gewesen; Jesus richtet den und stellt Thomas, wie einst den Petrus, an seinen wahren Platz, indem Er zu ihm sagt: „Weil du mich gesehen hast, hast du geglaubt. Glückselig sind, die nicht gesehen und geglaubt haben"! — Würden in einem ähnlichen Falle unsere Herzen nicht von Erstaunen fortgerissen worden sein? Wahrlich, sie würden den Angriffen, die der gute Wille des Petrus und die Huldigung des Thomas auf sie gemacht hätten, nicht widerstanden haben. Aber unser vollkommener Lehrer stand nicht für Sich Selbst da, sondern für Gott und für Seine Wahrheit. So mochten auch vor alters die Israeliten der Bundeslade alle Ehre erweisen und sie auf das 
Schlachtfeld hinausbringen (i. Sam 4), indem sie dadurch gleichsam ausdrückten, daß in ihrer Gegenwart nun alles gut gehen müsse; aber das genügte nicht für den Gott Israels. Er hatte ganz andere Gedanken. Denn obwohl die Lade in der Mitte Israels war, wurde dennoch das Volk von den Philistern geschlagen. Ebenso wurden Petrus und Thomas getadelt, obgleich Jesus, der immer noch der Gott Israels war, durch sie geehrt wurde. 

Die Engel freuen sich über die Buße der Sünder. „Es ist Freude vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut". Welch ein Glück für uns, daß uns dieses Geheimnis des Himmels geoffenbart ist, und daß wir davon in der Schrift eine bildliche Erläuterung nach der anderen finden, wie dies z. B. in Lk 15 der Fall ist! Aber es gibt noch mehr als das. Die Freude, obwohl sie im Himmel ist, ist öffentlich; sie äußert sich und findet ihren Widerhall. Es geziemt sich, daß es so ist; es geziemt sich, daß das ganze Haus an der Freude Anteil hat und sie als eine allgemeine Freude empfindet. Das ist noch nicht alles, es gibt noch mehr. Es gibt ebensowohl eine Freude des göttlichen Herzens wie eine Freude des Himmels. Die Freude des Himmels finden wir in Lk 15, die des göttlichen Herzens in Joh 4, 31—34. Und es wird kaum nötig sein, zu bemerken, daß die Freude des göttlichen Herzens die tiefste ist. 
Sie ist vollkommen, geräuschlos und persönlich, sie macht keinen Anspruch darauf, durch andere hervorgerufen oder unterhalten zu werden. „Ich habe eine Speise zu essen, die 
ihr nicht kennet"; das ist die Sprache des Herzens Christi im Genuß dieser Freude. Die Herrlichkeit erfüllt das Haus des Herrn, so daß die Diener des Heiligtums eine Zeitlang beiseitetreten mußten. 

Der gute Hirte hatte eben erst das von der Herde abgeirrte Schaf, indem Er es mit Freuden auf Seine Schultern legte, nach Hause gebracht, und noch war die Freude 
ganz und gar nicht auf Ihn allein beschränkt. Das Haus war noch nicht zusammengerufen worden, als das samaritische Weib, gerettet und glücklich, Ihn verließ. Die Jünger fühlten 
den eigentümlichen Charakter des Augenblicks. Das für den Altar Gottes bestimmte Fett, der reichste, vornehmste Teil des Festes, „die Speise Gottes", war zubereitet; und die Jünger 
traten schweigend zur Seite. Es war in der Tat ein wunderbarer Augenblick, man findet nicht viele seinesgleichen. Die tiefe, unaussprechliche Freude des göttlichen Herzens offenbart 
sich hier, wie in Lk 15 die öffentliche Freude des Himmels.

 Aber Er, Der auf solche Weise festlich gespeist werden konnte, war bisweilen müde, hungrig und durstig. Wir sehen das in demselben Kapitel (Joh 4), wie auch in Mk 4; jedoch mit dem Unterschied, daß Jesus in Mk 4 durch den Schlaf gestärkt und erquickt wird, während dies in Johannes 4 ohne irgendein äußeres Mittel geschieht. Und warum dieser Unterschied? In Markus hatte der Herr einen mühevollen Tag zurückgelegt, und am Abend fühlte Er Sich müde und erschöpft, wie dies bei 
der menschlichen Natur nach einem schweren Tagewerk der Fall ist. „Der Mensch geht aus an sein Werk und an seine Arbeit, bis zum Abend" (Ps 104, 23). Dann ist der Schlaf für 
ihn vorgesehen, damit er für den Dienst des wiederkehrenden Tages gestärkt und erquickt werde. Jesus erprobte alle diese Dinge. Er war im Schiff auf einem Kopfkissen eingeschlafen. 
In Joh 4 ist Er ebenfalls ermüdet und hat zugleich Hunger und Durst. Er setzt Sich wie ein müder Reisender an dem Brunnen nieder und harrt der Rückkunft der Jünger mit Speise aus der 
benachbarten Stadt entgegen. Doch als diese zurückkehrten, finden sie den Herrn erquickt und ausgeruht, und zwar ohne daß Er gegessen oder getrunken oder geschlafen hätte. Seine 
Müdigkeit hatte eine Erfrischung gefunden, die Ihm der Schlaf nicht hätte verschaffen können. Er war dadurch glücklich gemacht worden, daß Er eine Frucht Seiner Arbeit sah in der 
Seele einer armen Sünderin; das Weib war fortgegangen in der Freiheit des Heils Gottes. In Markus aber findet sich kein samaritisches Weib, und der Herr macht deshalb in Seiner 
Müdigkeit von einem Kopfkissen Gebrauch. 

Wie wahr und wie übereinstimmend ist dies alles mit den Erfahrungen unserer menschlichen Natur! Wir fassen es sehr leicht. In Joh 4 war, wenn ich mich so ausdrücken darf, das 
Herz des Herrn fröhlich, während in Mk 4 nichts vorhanden war, was Ihn hätte fröhlich stimmen können; und die Heilige Schrift sagt (und unsere Erfahrungen bestätigen die Wahrheit 
dieses Wortes): „Ein fröhliches Herz bringt gute Besserung, aber ein zerschlagener Geist vertrocknet das Gebein" (Spr 17, 22). Der Herr konnte daher in dem einen Falle sagen: „Ich 
habe eine Speise zu essen, die ihr nicht kennet", während Er in dem anderen von einem Kopfkissen Gebrauch machte, das liebende Sorge für Seine Ermüdung herbeigeschafft hatte. 
Wie vollkommen in allen ihren Empfindungen war die durch den Sohn Gottes angenommene Menschheit! Gewiß, es war ganz und gar die menschliche Natur, nur ohne Sünde. 
Doch gehen wir weiter. In einer Zeit, wo alles in Verwirrung ist, neigt man leicht dahin, alles als hoffnungslos aufzugeben und zu sagen: Es ist nutzlos und eine Arbeit ohne Ende, noch 
ferner einen Unterschied machen zu wollen. Alles ist in Unordnung und Abfall; warum also den Versuch machen, zu unterscheiden? 
Das war nicht die Sprache des Herrn. Er befand sich inmitten der Verwirrung, aber Er hatte kein Teil daran, gerade so wie Er in der Welt, aber nicht von der Welt war. Er traf mit allerlei Arten von Leuten in den verschiedensten Zuständen zusammen; ein Haufe folgte dem anderen, während doch alle hätten zusammen vereinigt sein sollen; aber ohne die geringste Abweichung verfolgte Er stets Seinen geraden, schmalen und heiligen Pfad. Die Anmaßungen der Pharisäer, der Weltsinn der Herodianer, die Philosophie der Sadducäer, die Neugierde der Menge, die Anfälle der Widersacher, die Unwissenheit und Schwachheit der Jünger, alle diese Dinge bildeten die sittlichen Elemente, denen Er begegnete und mit denen Er Tag für Tag zu schaffen hatte. 

Und wie die verschiedenen Charaktere der Personen, so übten auch die Ihn umgebenden Zustände das Herz des Herrn: die Münze des Kaisers war gangbar im Lande Immanuels, die 
Trennungsmauern lagen in Trümmern; der Jude war mit dem Heiden, der Reine mit dem Unreinen vermengt, wenn nicht etwa religiöser Stolz die den verschiedenen Nationen eigentümlichen Weisen aufrecht erhielt. Aber die goldene Regel Jesu: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist", stellte die Vollkommenheit ans Licht, mit der Er Sich durch alles dieses hindurch bewegte. In den Tagen der Gefangenschaft, einer ähnlichen Zeit der Verwirrung, betrug sich der Überrest Israels sehr schön, indem er einen Unterschied machte zwischen dem, was verschieden war, und nicht alles als hoffnungslos aufgab. Daniel war der Ratgeber des Königs, aber er weigerte sich, sein Fleisch zu essen. Nehemia diente in dem Palast, aber er duldete nicht die Moabiter und Ammoniter im Hause des Herrn. Mordokai wachte über das Leben des Königs, aber er wollte sich nicht vor dem Amalekiter beugen. Esra und Serubbabel nahmen die Begünstigungen des persischen Königs an, aber sie wiesen die Hilfe von sich und gestatteten keine Ehen mit den Heiden. Die Gefangenen beteten für den Frieden Babylons, aber sie weigerten sich, die Lieder Zions dort zu singen. 

Alles das ist von großer Schönheit, und der Herr offenbarte in Seinen Tagen vollkommen diesen Charakter des Überrestes. Liegt darin nicht für uns ein bedeutsamer Wink? Auch wir 
leben in einer Zeit, die bezüglich ihres Charakters der Verwirrung den Tagen der jüdischen Gefangenschaft oder den Tagen Jesu nicht unähnlich ist. Und wie damals, so sind auch 
wir heute berufen zu handeln, nicht als solche, die ihr Auge auf die Hoffnungslosigkeit der Dinge um sie her richten, sondern als solche, die immer noch wissen, „dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist". Alle moralische Schönheit des Herrn wird zu einem Vorbilde für uns. 
Indes sehen wir Jesum auch als Gott dem Bösen gegenüberstehen; das ist eine Stellung, die wir selbstverständlich nie einnehmen können. Er rührte den Aussätzigen an und auch die 
Tragbahre, und dennoch blieb Er rein. Er stand als Gott der Sünde gegenüber. Er kannte das Gute und das Böse; aber Er stand in göttlicher Unumschränktheit über dem einen wie 
über dem anderen, indem Er beides kannte, so wie Gott es kennt. Wäre Jesus nicht gewesen, wie Er war, so würde es Ihn verunreinigt haben, den Aussätzigen und die Tragbahre anzurühren. Er hätte in diesem Fall außerhalb des Lagers gebracht werden und Sich der Reinigung unterziehen müssen, die durch das Gesetz vorgeschrieben war. Aber wir entdecken 
nichts derartiges in Ihm. Er war nicht ein unreiner Jude. Nicht nur wurde Er nicht befleckt, sondern Er war auch unbeflecklich. Und dennoch war, so groß ist das Geheimnis Seiner Person 
und die Vollkommenheit der mit der Gottheit in Ihm vereinigten Menschheit, die Versuchung für Ihn ebenso wirklich, wie die Verunreinigung unmöglich. 
Verweilen wir hier einen Augenblick. Unser Platz gegenüber einem großen Teil dieser so notwendigen, obgleich geheimnisvollen und unendlich kostbaren Wahrheit ist es viel mehr, 
sie anzunehmen und anzubeten, als darüber zu disputieren und sie zergliedern zu wollen. Indes ist es wohltuend für unser Herz, wenn wir es dem sehnlichen Verlangen etlicher einfältiger Seelen abfühlen, daß es ihnen um Christum Selbst zu tun ist. Oft gehen wir mit Wahrheiten in einer Weise um, daß uns schließlich nichts als die beschämende Überzeugung übrigbleibt, daß, wie sehr wir auch beschäftigt waren, wir dennoch Christum Selbst nicht erreicht haben. Wir entdecken dann, daß wir auf der Straße die Zeit unnütz vertändelt haben. 
Der Herr war „arm, aber viele reich machend" — „nichts habend, und alles besitzend". Diese erhabenen und wunderbaren Zustände wurden in Ihm, und zwar in einer Ihm durchaus eigentümlichen Weise, geoffenbart. 

Er nahm die Beisteuer einiger frommer Weiber an, die Ihn mit ihrer Habe unterstützten, und dennoch verfügte Er über die ganze Erde und ihre Fülle, um die Bedürfnisse derer zu stillen, die um Ihn waren. Er vermochte Tausende in öden Gegenden zu speisen, während Er Selbst Hunger litt, harrend auf die Rückkehr Seiner Jünger, die ausgegangen waren, um Speise zu kaufen. Das 
hieß wahrlich: „nichts haben und alles besitzen". Aber obwohl der Herr arm und bedürftig war, mancherlei Gefahren ausgesetzt, so findet man doch nicht das mindeste in Ihm, was einer unedlen Gesinnung ähnlich wäre. Nie bat Er um eine Gabe, wiewohl Er keinen Pfennig besaß; denn wenn Er (jedoch nicht zu Seinem eigenen Gebrauch) einen Denar brauchte (Lk 20, 20—26), so war Er genötigt, Sich einen zeigen zu lassen. Nie floh Er, wenn Er auch in augenscheinlicher Lebensgefahr war; Er zog Sich zurück oder ging, gleichsam vor den Augen Seiner Feinde verborgen, vorüber. Ich wiederhole daher, obgleich Armut und Gefahren Sein tägliches 
Los waren, so haftete Ihm doch nichts an, was unedel gewesen wäre oder mit der vollkommenen Würde Seiner Person im Widerspruch gestanden hätte. 
Welch eine bewunderungswürdige Vollkommenheit! Wer könnte je eine Person vor unsere Augen stellen, die so vollkommen, so untadelig und von solch ausnehmender, zarter Reinheit in den gewöhnlichsten und geringfügigsten Einzelheiten des menschlichen Lebens wäre! Paulus konnte es nicht; Jesus allein, der Mensch Gottes, vermochte es. Daß Seine außergewöhnlichen Tugenden inmitten der gewöhnlichen Umstände Seines Lebens so hervorstrahlten, redet laut zu uns von Seiner Person. Es muß eine besondere Person, ein göttlicher Mensch sein, wenn ich so reden darf, der uns solche außergewöhnlichen Erscheinungen in so gewöhnlichen Umständen 
darstellen kann. Wir finden, ich wiederhole es, dergleichen nicht bei Paulus. Er besaß ohne Zweifel viel Würde und sittliche Größe, und wir müssen bekennen, daß, wenn es je einen 
Menschen gab, in dem jene Dinge sich vorfanden, Paulus dieser Mensch war. Aber Sein Verhalten war nicht das Verhalten Jesu. 

Er befindet sich in Lebensgefahr, und er bedient sich der Beschirmung durch seinen Neffen. Zu einer anderen Zeit lassen ihn seine Freunde an der Stadtmauer herab. Ich sage nicht, daß er jemanden um Geld ansprach; aber er bekennt, Geld empfangen zu haben. Ich verweile nicht dabei, wie er vor einer aus Pharisäern und Sadducäern zusammengesetzten Versammlung sich als einen Pharisäer ausgab, um sich so zu schützen; noch dabei, wie er übel von dem Hohenpriester redete, der über ihn zu Gericht saß. In diesen beiden Fällen war sein 
Betragen verwerflich. Ich rede nur von Fällen, die, ohne gerade moralisch verkehrt zu sein, dennoch unter der vollkommenen persönlichen Würde stehen, die den Pfad Christi kennzeichnete. Die sogenannte Flucht nach Ägypten macht keine Ausnahme bezüglich des Charakters des Herrn; denn diese Reise wurde zur Erfüllung der Prophezeiung und auf die Autorität eines göttlichen Ausspruchs hin unternommen. Dies alles ist in der Tat nicht nur moralische Herrlichkeit, nein, es ist ein moralisches Wunder; und es ist erstaunlich, wie eine 
von Menschenhand geführte Feder solche Schönheiten aufzuzeichnen vermocht hat. Wir können dieses Wunder nur durch die Tatsache erklären, daß es eine Wahrheit, eine lebendige Wirklichkeit ist. Zu diesem gesegneten Schluß sind wir gezwungen. Es gibt keine andere Erklärung. 

In der Behandlung dieses herrlichen Gegenstandes fortschreitend, erinnern wir uns der Schriftworte: „Euer Wort sei allezeit in Gnade, mit Salz gewürzt, um zu wissen, wie ihr jedem 
einzelnen antworten sollt" (Kol 4, 6). Unsere Worte sollten in der Tat „allezeit in Gnade" sein, so daß sie anderen zum Nutzen sind und „den Hörenden Gnade darreichen" (Eph 4, 
29). Oft werden indes unsere Worte den Charakter der Ermahnung oder der Zurechtweisung annehmen, zuweilen auch in entschiedenem und strengem Ton, oder gar in Eifer und heiligem Zorn gesprochen werden; und so werden sie, wie die Schrift sagt, mit „Salz gewürzt" sein. Und wenn sie diese schönen Eigenschaften besitzen, d. h. „in Gnade" und doch „mit Salz gewürzt" sind, so werden sie davon zeugen, daß wir wissen, wie wir jedem einzelnen antworten sollen. 
Unter allen Zügen der moralischen Vollkommenheit des Herrn Jesu tritt besonders dieser scharf hervor, daß Er einem jeden durch Worte zu begegnen wußte, die stets, mochte der Mensch 
sie nun hören oder das Ohr vor ihnen verschließen, nutzbringend für die Seele waren; durch Worte allerdings, die zu Zeiten mit Salz, ja, bisweilen sogar stark mit Salz gewürzt waren. So war es z. B., wenn Er an Ihn gerichtete Fragen beantwortete, weniger Sein Zweck, eine genügende Erwiderung zu geben, als vielmehr das Gewissen des Fragenden zu erreichen und auf seinen Zustand einzuwirken. 
In Seinem Schweigen und in Seiner Weigerung, irgendeine Antwort zu geben, als Er am Ende Seiner Laufbahn vor den Juden oder Heiden, vor den Hohenpriestern oder vor Herodes 
und Pilatus stand, zeigt sich Sein Verhalten ebenso geziemend, als wenn Er redete oder die an Ihn gerichteten Fragen beantwortete. Er legte in dieser Weise vor Gott Zeugnis ab, daß 
unter den Menschensöhnen wenigstens einer war, der verstand, daß es eine Zeit gibt zu schweigen, und eine Zeit zu reden. 
Auch bemerkt man eine große Verschiedenheit des Tones und der Redeweise bei dem Herrn in den mannigfaltigen Umständen Seines Lebens; und diese Verschiedenheit, ob sie unscheinbar oder hervorragend war, bildet einen Teil des duftenden Wohlgeruchs, der allezeit zu Gott emporstieg. Oft war das Wort Jesu sanft und lieblich, oft bestimmt und streng; bisweilen redete Er in belehrender Weise, manchmal tadelte Er mit aller Schärfe; und hie und da machte die ruhige Belehrung plötzlich dem niederschmetternden Ton der Verurteilung Platz. 
Denn Er betrachtete und wog alle Dinge stets ab nach ihrer moralischen Bedeutung. 
Das 15. Kapitel des Evangeliums Matthäus hat mich in ganz besonderer Weise getroffen, indem es diese Vollkommenheit unter verschiedenen schönen und vortrefflichen Formen hervortreten läßt. Der Herr sieht Sich dort veranlaßt, der Reihe nach den Pharisäern, der Volksmenge, dem armen, betrübten kananäischen Weibe und Seinen eigenen Jüngern, sei es nach ihrer Unwissenheit oder ihrer Selbstsucht, zu antworten; und wir können bei dieser Gelegenheit die verschiedenen Weisen sehen, in welchen Er tadelt oder überführt, ruhig und geduldig lehrt oder eine schwache Seele mit Weisheit und Gnade zu erziehen trachtet. Und diese Verschiedenheit ist stets passend für den Ort und für die Gelegenheit, die Ihn zur Tätigkeit beruft. 

Die gleiche Schönheit und das gleiche geziemende Verhalten finden wir in Lk 2, wo Er weder unterweist noch unterwiesen wird, sondern wo Er nur zuhört und fragt. Es wäre für Ihn 
nicht passend gewesen zu unterweisen; denn Er war ein Kind inmitten älterer Leute. Sich unterweisen zu lassen, hätte nicht in völliger Übereinstimmung gestanden mit dem reinen und 
herrlichen Licht, das Er, wie Er wußte, in Sich trug; denn man kann von Ihm in Wahrheit sagen, daß „Er verständiger war als alle Seine Lehrer, und daß Er mehr Einsicht hatte als die 
Alten" (Ps 119, gg. 100). Ich rede hier nicht von dem, was Er als Gott, sondern was Er als Mensch war, „erfüllt mit Weisheit", wie es in jenem Kapitel von Ihm heißt. Er wußte von dieser Fülle der Weisheit nach der Vollkommenheit der Gnade Gebrauch zu machen; darum stellt der Evangelist Ihn inmitten der Lehrer im Tempel weder lehrend noch lernend vor unsere Augen, sondern sagt einfach, daß Er ihnen zuhörte und sie fragte.

 „Das Kindlein aber wuchs und erstarkte, erfüllt mit Weisheit, und Gottes Gnade war auf Ihm". So redet die Schrift von Seiner Jugend; und wenn Er als Mann mit den Menschen in der Welt verkehrt, so ist Sein Wort „allezeit in Gnade, mit 
Salz gewürzt", wie das Wort eines Mannes, der weiß, wie er einem jeden zu antworten hat. Welch eine Herrlichkeit und Vollkommenheit, und zwar in völliger Übereinstimmung mit 
den verschiedenen Zeitabschnitten der Jugend und des Mannesalters ! 
Jedoch wird uns Jesus noch unter verschiedenen anderen Gesichtspunkten vor Augen gestellt. Zuweilen steht Er vor uns als der Verachtete und Geschmähte, belauert und gehaßt von 
Seinen Feinden; wir sehen Ihn Sich zurückziehen, um gleichsam Sein Leben vor ihren Anfällen und Verfolgungen in Sicherheit zu bringen. In anderen Fällen erblicken wir Ihn in Schwachheit, nur gefolgt von den Ärmsten des Volkes; auch ist Er ermüdet, 
hungrig und durstig, sowie abhängig von der Bedienung einiger frommer Weiber, die fühlen, daß sie Ihm alles verdanken. 
Ein anderes Mal begegnen wir Seiner zärtlichen Güte, Seinem Wohlwollen und Mitgefühl gegenüber der Volksmenge; oder Er vereinigt Sich mit Seinen Jüngern bei ihren Mahlzeiten oder auf ihren Reisen, indem Er Sich mit ihnen unterhält, wie es ein Mensch mit seinen Freunden tun würde. Wieder ein anderes Mal zeigt Er sich uns in Macht und Ehre, verrichtet Wunder und läßt einige Strahlen der Herrlichkeit hervorleuchten. Obwohl Er in Seiner Person und in Seiner Stellung nichts in der Welt war als der ungelehrte und unbedeutende Sohn eines 
Zimmermannes, so rief Er dennoch unter den Menschen und zu Zeiten selbst in den Gedanken der Regenten dieser Erde eine größere Bewegung hervor, als je ein Mensch dies zu tun 
vermocht hatte. 
So stellt uns Kindheit wie Mannesalter, mit einem Wort das ganze menschliche Leben in all seiner Mannigfaltigkeit Christum vor Augen: O wenn unser Herz Ihn nur festzuhalten 
vermöchte! In manchen der unscheinbarsten Einzelheiten zeigt sich eine Vollkommenheit, die es laut bezeugt, daß eine göttliche Hand sie ausgezeichnet hat. Welcher Schreiber, wenn er 
nicht durch den Heiligen Geist geleitet und überwacht wäre, hätte dieses vollkommene Gemälde entwerfen und seine feinen, zarten Züge wiedergeben können! Im Garten Gethsemane bat Er die Jünger, mit Ihm zu wachen; aber Er forderte sie nicht auf, für Ihn zu beten. Er verlangte 
nach ihrem Mitgefühl; Er schätzte es hoch in der Stunde der Schwachheit und der Angst und wünschte, daß die Herzen Seiner Genossen in jenem Augenblick mit Ihm verbunden sein 
möchten. Ein solcher Wunsch bildete einen Teil der moralischen Herrlichkeit, die Seine Vollkommenheit als Mensch ausmachte; aber obwohl Er diesen Wunsch fühlte und ihn den Jüngern zu erkennen gab, konnte Er sie dennoch nicht auffordern, zu Seinen Gunsten vor Gott hinzutreten.

 Er wollte, daß sie sich Ihm geben möchten; aber Er konnte unmöglich von ihnen fordern, sich Gott zu geben für Ihn. Darum, wie gesagt, bittet Er sie, mit Ihm zu wachen, aber Er bittet sie nicht, für Ihn zu beten. Wenn Er kurz nachher das Wachen und das Beten vereinigt, so spricht Er von ihnen und zu ihrem Wohl, es handelt sich durchaus nicht mehr um Ihn. Er sagt: „Wachet und betet, auf daß ihr nicht in Versuchung kommet". — Paulus konnte an seine Mitgläubigen schreiben: „Indem auch ihr durch das Flehen für uns mitwirket" (2. Kor 1, 11); oder: „Betet für uns; denn wir halten dafür, daß wir ein gutes Gewissen haben" 

(Hebr 13, 18). Aber das war nicht die Sprache Jesu, und ich brauche wohl nicht zu sagen, daß sie es auch nicht sein konnte. Aber ich wiederhole: die Feder, die ein solches Leben für uns 
aufzeichnen und uns einen solchen Charakter vor Augen malen 
konnte, war geführt von dem Geiste Gottes Selbst. Er allein 
konnte so schreiben. 
Jesus tat Gutes und lieh aus, ohne etwas zurückzuerwarten. Er gab, und Seine linke Hand wußte nicht, was die Rechte tat. Niemals, bei keiner Gelegenheit, so viel ich weiß, machte Er 
Anspruch auf die Person oder den Dienst derer, die Er befreit oder geheilt hatte. Niemals leitete Er aus der durch Ihn bewirkten Befreiung von irgendeinem Übel die Verpflichtung her, Ihm zu dienen. Er liebte und heilte und rettete, ohne jemals eine Vergeltung zu erwarten. Er wollte nicht, daß der Gadarener, der sich „Legion" nannte, Ihm folgte. Das Kind, das er am Fuße des Berges heilte, gab Er Seinem Vater zurück. Die Tochter des Jairus ließ Er im Kreise ihrer Familie. Den Sohn der Witwe zu Nain gab Er der weinenden Mutter wieder. 
Nicht einen von diesen allen forderte Er für Sich. Und sollte Christus wohl etwas geben, um es wieder zurückzuerlangen? 
Ist Er, der vollkommene Meister, nicht der beste Vollstrecker Seiner Worte: „Tut Gutes und leihet, ohne etwas wieder zu hoffen"(Lk 6, 35)? Die Natur der Gnade ist, anderen darzureichen, nicht aber sich selbst zu bereichern; und Jesus kam, damit in Ihm und in allen Seinen Wegen die Gnade in ihrem unausforschlichen Reichtum und in der ihr eigentümlichen 
Herrlichkeit hervorstrahlte. Er fand Knechte in dieser Welt; aber Er begann nicht damit, sie zu heilen, um dann Seine Ansprüche an sie geltend zu machen. Er berief sie und teilte ihnen Gaben mit. Sie waren die Frucht der Energie Seines Geistes und von Neigungen, die in ihren durch Seine Liebe ergriffenen Herzen geweckt worden waren. Und als Er sie aussandte, rief Er ihnen zu: „Umsonst habt ihr empfangen, umsonst gebet" (Mt 10, 8). 
Sicher, es gibt in den Zügen eines solchen Charakters etwas, das außer dem Bereiche menschlicher Begriffe liegt. Dieser Gedanke drängt sich uns immer wieder von selbst auf; und 
es ist lieblich, hinzufügen zu können, daß die moralische Herrlichkeit des Herrn oft in den einfachsten Formen ans Licht tritt, in Formen, die für die Begriffe und Sympathien des Herzens sofort verständlich sind. 
So wies Jesus niemals den schwächsten Glauben von sich ab, wiewohl Er andererseits mit Freuden dem kühnsten Glauben entgegenkam und Seine Forderungen beantwortete. Der starke 
Glaube, der ohne Umschweife und ohne sich zu entschuldigen in voller Zuversicht Ihm nahte, fand stets eine willkommene Aufnahme bei Ihm, während die schüchterne Seele, die Ihm 
nur ängstlich und verschämt zu nahen wagte, ermuntert und gesegnet wurde. Das Wort, das von den Lippen des Herrn floß, befreite den armen Aussätzigen augenblicklich von der einzigen Sache, die wie eine dunkle Wolke über seinem Herzen hing. „Herr"! sagt er, „wenn du willst, kannst du mich reinigen". „Ich will, sei gereinigt"! antwortet Jesus. Doch kurz nachher drücken dieselben Lippen das aus, wovon das Herz Jesu gegenüber dem zuversichtlichen, nicht zweifelnden Glauben des heidnischen Hauptmanns erfüllt war. Ähnliches finden wir, wenn der kühne, ernste Glaube einer Familie in Israel das Dach des Hauses abdeckt, in dem der Herr Sich befindet, um ihren Kranken vor Seine Füße herabzulassen. 

Wenn ein schwacher Glaube sich an den Herrn wandte, so gewährte Er die Segnung, die der schwache Glaube suchte; aber Er tadelte den Menschen, der in dieser Weise zu Ihm kam. Indes ist selbst ein solcher Verweis stets voll von Ermutigung für uns; denn er scheint uns zu fragen: „Warum machst du keinen ausgedehnteren, freieren und glücklicheren Gebrauch von mir"? Schätzten wir nur den Geber so hoch wie die Gabe, das Herz Christi so hoch wie Seine Hand, so würde uns die Bestrafung des schwachen Glaubens ebenso köstlich sein, wie die Antwort, die er hervorlockt. Und wenn der schwache Glaube in dieser Weise durah Ihn getadelt wird, wie willkommen muß dem Herrn dann ein starker Glaube sein! Wir können daher einigermaßen begreifen, welch ein lieblicher Anblick es für das Auge des Herrn sein mußte, als in dem oben 
erwähnten Fall die vier Träger des Gichtbrüchigen das Dach abdeckten, um in Seine Nähe zu kommen. Ja, es muß ein herrliches Schauspiel für unseren hochgelobten und göttlichen Heiland gewesen sein. Diese Handlung erzwang sich den Eingang in Sein Herz ebenso sicher wie in das Haus zu Kapernaum. 
Wahrlich, wir erblicken in der Person unseres Herrn Höhen der Herrlichkeit und Tiefen der Erniedrigung; und wir haben beides nötig. Der, Welcher einst am Brunnen zu Sichar saß, ist 
Derselbe, Der jetzt in den höchsten Himmeln Platz genommen hat. „Der hinabgestiegen ist, ist derselbe, der auch hinaufgestiegen ist über alle Himmel". Hoheit und Niedrigkeit sind 
Sein. Er hat einen Platz zur Rechten Gottes, und dennoch läßt Er Sich herab, die Füße Seiner Heiligen auf Erden zu waschen. Welch eine Verbindung! Er büßt nichts von Seiner Würde und 
Größe ein, wenn Er Sich auch in Seiner unendlichen Gnade unserer Armut anpaßt; nichts mangelt Ihm, was uns dienlich sein könnte, und doch ist Er herrlich, fleckenlos und vollkommen Sich Selbst. Die Selbstsucht wird durch fortgesetztes, unverschämtes Drängen müde gemacht; wie wir lesen: „Ich sage euch, wenn er auch nicht aufstehen und ihm geben wird, weil er sein Freund ist, so wird er wenigstens um seiner Unverschämtheit willen aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf" (Lk 11, 8). Also steht es mit dem Menschen, oder mit der Selbstsucht; aber 
anders steht es mit Gott, oder mit der Liebe; denn der Gott in Jes 7, 10—16 bildet das Gegenteil von dem Menschen in Lk 11 , 5—13. 
Der Unglaube, der sich nicht an Gott wenden will und sich weigert, eine Segnung von Ihm zu erbitten, ist es, der Gott ermüdet; nicht aber unverschämtes Anhalten und Drängen, 
sondern, wenn ich so sagen darf, gerade wenn es daran fehlt. 
Und diese göttliche Herrlichkeit und Vortrefflichkeit, die wir in Jes 7 bei dem Jehova des Hauses David finden, strahlt bei dem Herrn Jesu von neuem hervor, und das in den verschiedenen Weisen, wie Er den schwachen und den starken Glauben behandelt. Alles zeugt von Seiner Vollkommenheit. Aber welch einen kleinen Teil dieser ganzen Herrlichkeit vermögen 
wir zu ergründen! 
Wir wissen, in wie mannigfaltiger Weise unsere Mitpilger uns auf die Probe stellen und in Versuchung bringen, und ohne Zweifel tun wir ihnen gegenüber das auch. Wir sehen, oder wir glauben an ihnen irgendeine Verkehrtheit zu sehen, und es erscheint uns schwer, noch länger den Verkehr mit ihnen zu unterhalten. Und doch kann in allem oft die Schuld allein auf unserer Seite liegen, indem wir das, was nicht mit unserem Geschmack und unserem Urteil in Obereinstimmung ist, als etwas Tadelnswertes an ihnen betrachten. 
Aber der Herr konnte Sich nie so täuschen; und doch ließ Er Sich nie „durch das Böse überwinden", sondern „überwand das Böse mit dem Guten", d. h. das Böse in dem Menschen 
mit dem Guten, das in Ihm war. Eitelkeit, böse Laune, Gleichgültigkeit gegen andere, Eigenliebe, Unwissenheit trotz aller Mühe, die Er Sich gab, um sie zu belehren, — das alles hatte 
Jesus beständig von Seiten Seiner Umgebung zu erdulden. Sein Leben war in einem gewissen Sinn ein Tag der „Erbitterung", wie es die vierzig Jahre in der Wüste gewesen waren. Israel 
versuchte sozusagen von neuem den Herrn und erfuhr von neuem, wer Er war. Es ist in der Tat ein lieblicher Gedanke: sie reizten den Herrn, aber sie stellten dadurch nur ans Licht, 
wer Er war. Er litt, aber Er ertrug es mit Geduld, und nie gab Er sie auf. Er warnte und belehrte, Er tadelte und verurteilte sie, aber nie wandte Er Sich von ihnen ab. Im Gegenteil, am 
Ende ihrer gemeinschaftlichen Wanderung ist Er ihnen näher als je. 
Wie vollkommen und trefflich ist das alles, und wie ermunternd für uns! Die Bemühungen des Herrn, unser Gewissen zu erreichen, lassen nie Sein Herz erkalten. Wir büßen nichts 
ein, wenn Er uns tadelt. Und Er, der Sein Herz nicht von uns abwendet, wenn Er Sich mit unserem Gewissen beschäftigt, ist bereit, unsere Seelen wiederherzustellen, damit das Gewissen, wenn ich mich so ausdrücken darf, bald imstande sei, Seine Schule zu verlassen und das Herz die glückselige Freiheit in Seiner Gegenwart wiederfinde. 
Weiter möchte ich bemerken, daß wir in den Charakteren, die der Herr, wenn auch nur gelegentlich und vorübergehend, während Seines Dienstes berufen war zu offenbaren, stets 
dieselbe Vollkommenheit und dieselbe moralische Herrlichkeit erblicken, wie auf dem Pfade, den Er täglich ging; so z. B. wenn Er in Mt 23 als Richter, oder in Mt 22 als Sachwalter 
erscheint. Doch ich darf diesen reichhaltigen Gegenstand nur 
andeuten. In jedem Schritt Jesu, in jedem Wort, in jeder Handlung zeigte sich ein Strahl Seiner Herrlichkeit; und das Auge Gottes fand in dem Leben Jesu eine größere Befriedigung, als 
es in einer Ewigkeit von adamitischer Unschuld hätte finden können. Jesus wandelte inmitten des sittlichen Verfalls der Menschheit; und aus diesem Bereich des Elendes ließ Er zum 
Throne Gottes ein reicheres Opfer duftenden Wohlgeruchs emporsteigen, als jemals Eden und der Adam Edens, auch wenn sie rein geblieben wären, darzubringen vermocht hätten. 
Die Zeit brachte keinen Wechsel in dem Herrn hervor. Dieselben Offenbarungen Seiner Gnade und Seines Charakters vor und nach Seiner Auferstehung bestätigen diese für uns 
so wichtige Wahrheit. Das, was Er einst war, sagt uns, was Er in diesem Augenblick ist und was Er ewig sein wird, sowohl in Seinem Charakter als auch in Seiner Natur, sowohl im Blick auf uns als auch im Blick auf Ihn Selbst. „Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit" (Hebr 13, 8). Die bloße Erwähnung dieser Wahrheit ist schon köstlich für uns. 
Bisweilen können Veränderungen uns betrüben; zu anderen Zeiten wünschen wir sie herbei. Auf verschiedenen Wegen lernen wir alle die unbeständige, unsichere Natur dessen erkennen, was das menschliche Leben ausmacht. Nicht nur die Umstände, sondern auch die gesellschaftlichen Beziehungen und Verbindungen, die Freundschaften, die Zuneigungen und Charaktere sind beständigen Veränderungen unterworfen, die uns überraschen oder betrüben. Wir eilen von einer Station des Lebens zur anderen; aber nie erkaltete Zuneigungen und makellose Grundsätze begleiten uns selten auf dem Wege, mag es sich nun um uns oder um unsere Reisegefährten handeln. Unser Herr und Heiland aber war nach Seiner Auferstehung derselbe, der Er vorher war, obwohl die dazwischenliegenden Ereignisse eine weitere Entfernung zwischen Ihm und Seinen Jüngern hervorgerufen hatten, als dies unter „Reisegefährten" je der Fall sein kann. Die Jünger hatten ihre untreuen Herzen verraten, indem sie ihren Herrn verließen und in der Stunde Seiner Schwachheit und Angst die Flucht ergriffen; Er aber war für sie durch den Tod gegangen, und zwar durch einen Tod, dem sich kein anderes Geschöpf hätte 
unterwerfen können, ohne vernichtet zu werden. Sie waren immer noch nichts anderes als arme, schwache Galiläer; Er aber war verherrlicht und mit der ganzen Macht im Himmel und 
auf Erden bekleidet. 

Dennoch führte alles das keinen Wechsel in dem Herrn herbei. „Weder Höhe noch Tiefe, noch irgend ein anderes Geschöpf", um mit dem Apostel zu reden, konnte Ihn verändern. Die 
Liebe widerstand allem, und der Herr kehrt zu den Seinigen als Derselbe Jesus zurück, Den sie von jeher gekannt hatten. Er nimmt teil an ihrer Arbeit nach Seiner Auferstehung, ja, 
selbst nach Seiner Himmelfahrt, wie Er es während der Tage Seines Dienstes und Seines Pilgerns mit ihnen getan hatte. Wir sehen dies aus dem letzten Vers des Evangeliums Markus. In der Zeit von Mt 14 glaubten die Jünger auf dem See ein Gespenst zu sehen und schrien vor Furcht; aber der Herr ließ sie erkennen, daß Er Selbst es war, gegenwärtig in Gnade, und doch zugleich in Macht und Oberhoheit über die Natur. Ebenso nimmt Er in Lk 24, nach Seiner Auferstehung, ein Stück gebratenen Fisch und von einer Honigscheibe und ißt vor ihren Augen, damit sie mit derselben Gewißheit und Herzensruhe wie früher erkennen möchten, daß Er es war. Auch fordert Er sie auf, Ihn zu betasten und anzusehen, indem Er ihnen sagt, daß ein Geist nicht Fleisch und Bein habe, wie dies, wovon sie sich überzeugen konnten, bei Ihm der Fall war. 
In Joh 3 führt Er einen „von Herzen trägen" Rabbi ins Licht und auf den Weg der Wahrheit, indem Er ihn erträgt mit der ganzen Geduld der Gnade. In gleicher Weise handelt Er nach 
Seiner Auferstehung mit den beiden „unverständigen und von Herzen trägen" Jüngern auf dem Wege nach Emmaus (Lk 24). In Mk 4 bringt Er die Furcht der Seinigen zum Schweigen, ehe 
Er sie wegen ihres Unglaubens tadelt; Er bedroht den Wind und spricht zu dem See: „Schweig, verstumme"! bevor Er zu den Jüngern sagt: „Was seid ihr so furchtsam? Wie, habt ihr 
keinen Glauben"? Gerade so macht Er es in Joh 21 nach Seiner Auferstehung; Er setzt Sich mit Petrus, als sei nichts vorgefallen, in voller, ungehinderter Gemeinschaft zum Mahle nieder, und dann erst zieht Er den Jünger zur Rechenschaft und wirkt auf sein Gewissen ein durch die Worte: „Simon, Sohn Jonas', hast du mich lieb"? 

Bei der Begegnung des auferstandenen Jesus mit Maria Magdalena trägt der Evangelist Sorge, uns mitzuteilen, daß Er Derselbe Jesus war, der sieben Teufel von ihr ausgetrieben hatte; 
und Maria erkennt die Stimme Dessen, Der sie bei ihrem Namen rief, als eine seit langem ihrem Ohr bekannte Stimme. Welch eine Ähnlichkeit zwischen dem Christus in Niedrigkeit 
und dem Christus in Herrlichkeit, zwischen dem Heiland der Sünder und dem Herrn der zukünftigen Welt! Wie laut verkündet uns dies alles, daß Er, Der einst herniederstieg, sowohl 
hinsichtlich des Charakters als auch der persönlichen, göttlichen Herrlichkeit „derselbe ist, der auch hinaufgestiegen ist". Auch wird Johannes, nachdem sein Herr auferstanden ist, uns als 
der Jünger vorgestellt, der während des Abendmahls an der Brust seines Meisters gelegen hatte. „Ich bin Jesus"! lautete ferner die Antwort des Herrn von dem erhabensen Platz des 
Himmels, von der Rechten des Thrones der Majestät her, als Saulus von Tarsus die Frage erhob: „Wer bist du, Herr" (Apg 9)? 

Alles das findet auf uns persönlich seine Anwendung; wir sind unmittelbar dabei interessiert. Petrus erkannte, daß sein Meister vor und nach Seiner Auferstehung für ihn derselbe war. 
In Mt 16 tadelt ihn der Herr; aber wenige Tage nachher führt Er ihn, und zwar in völliger Freiheit des Herzens, als ob nichts vorgefallen wäre, mit Sich auf den heiligen Berg. In Joh 21 
wird Petrus von neuem getadelt. Nach seiner Gewohnheit hatte er sich mit Dingen eingelassen, die seine Begriffe überstiegen und, auf Johannes zeigend, die Frage erhoben: „Herr, was soll 
dieser"? Und sein Meister war gezwungen, ihn mit den Worten: „Was geht es dich an"? in seine Schranken zurückzuweisen. Und dennoch, gleichsam angesichts dieser scharfen 
Zurechtweisung, läßt der Herr ihn mit Johannes Sich nachfolgen, hat ihn in Seiner Gemeinschaft auf Seinem Wege zum Himmel. Ein bestrafter Petrus war einst mit dem Herrn auf den heiligen Berg gestiegen; und derselbe bestrafte Petrus begleitet jetzt den zum Himmel auffahrenden Herrn, indem er auf diese Weise gleichsam zum zweiten Mal den Berg der Herrlichkeit, den Berg der Verklärung, besteigt. 

Welch ein mächtiger Trost liegt in diesem allen für uns! So ist Jesu, unser Herr, „derselbe gestern und heute und in Ewigkeit", Derselbe während der Tage Seines Dienstes auf Erden und nach Seiner Auferstehung, Derselbe jetzt im Himmel, in den Er hinaufgestiegen ist, und Derselbe in alle Ewigkeit. Und so wie Er nach wie vor Seiner Auferstehung stets denselben Charakter zeigte und Sich in derselben Gnade offenbarte, so erfüllt Er auch alle Verheißungen, die Er Seinen Jüngern hinterlassen hat. 

„Fürchtet euch nicht"! Dieses Trostwort, ob von den Lippen Jesu Selbst oder von den Lippen Seiner Engel ausgesprochen, gilt jetzt wie damals, sowohl seitdem Er auferstanden ist, als 
auch bevor Er litt (siehe Mt 14, 27; Mk 5, 36; Lk 5, 10 ff.). Vor Seinem Tode hatte Er Seinen Jüngern gesagt, daß Er ihnen Seinen Frieden geben wolle, und nach Seinem Tode sehen wir 
in der Tat, daß Er ihnen Seinen Frieden in der feierlichsten Weise gibt. Er ruft ihnen zu: „Friede euch" (Joh 20, 20—26)! und mit diesen Worten zeigt Er ihnen Seine Hände und Seine 
Seite, wo sie in symbolischen Zügen lesen konnten, welches ihre Rechte auf einen Frieden waren, den Er durch Sich Selbst für sie erfüllt und erworben hatte. Zu einer anderen Zeit hatte der Herr zu ihnen gesagt: „Weil 
ich lebe, werdet auch ihr leben" (Joh 14, 19); und jetzt, in den Tagen Seiner Auferstehung, im Besitz eines siegreichen Lebens, teilt Er ihnen dieses Leben in vollkommener Weise mit, indem 
Er sie anhaucht und die Worte sagt: „Empfanget den Heiligen Geist" (Joh 20, 22). Die Welt sollte Ihn nicht mehr sehen, wie Er zu Seinen Jüngern gesagt hatte. Doch sie sollten Ihn sehen; 
und dies geschah denn auch. Er wurde vierzig Tage hindurch von ihnen gesehen, und Er redete mit ihnen „über die Dinge, welche das Reich Gottes betreffen" (Apg 1). Aber alles das 
geschah im Geheimen. Die Welt hat Ihn seit der Stunde von Golgatha nicht mehr gesehen, und wird Ihn auch nicht sehen, bis Er zu ihrem Gericht erscheint. 
Als ein einfacheres und, wenn ich es so nennen darf, demütigeres Zeugnis von Seiner völligen Treue allen Seinen Verheißungen gegenüber begegnet der Herr den Seinigen in Galiläa, 
wie Er es ihnen gesagt hatte. Als einen völligeren, weitergehenden Ausdruck derselben Sache führt Er die Jünger zu dem Vater im Himmel, indem Er ihnen die Botschaft sendet: 
„Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, und zu meinem Gott und eurem Gott" (Joh 20, 17). Mochte Er ihnen daher in unserem Galiläa auf Erden oder in Seiner Wohnung im Himmel Seine Gegenwart verheißen haben, Er hat beide Verheißungen erfüllt; und es ist sicher zum Nutzen für unsere Herzen, wenn wir die Demut, die Treue, die Fülle, die Einfachheit, die Größe und die Erhabenheit alles dessen betrachten, was den Pfad des Herrn vor uns entfaltet und unterscheidet. 
Der Herr hatte viele Mühe mit Petrus, mehr als mit den anderen Jüngern, so lange Er in ihrer Mitte umherwandelte; und so war es auch, nachdem Er aus den Toten auferstanden war. Petrus füllt sozusagen das ganze letzte Kapitel des Evangeliums Johannes aus. Der Herr setzt im Blick auf ihn das Werk der Gnade fort, das Er, bevor Er ihn verließ, begonnen hatte; und Er nimmt es genau an dem Punkt wieder auf, wo Er es aufgegeben hatte. Petrus hatte ein großes Selbstvertrauen verraten. „Wenn sich alle an dir ärgern werden", hatte er gesagt, „ich werde mich niemals an dir ärgern. . . . Selbst wenn ich mit dir sterben müßte, werde ich dich nicht verleugnen" (Mt 26, 33. 35). Doch der Herr hatte ihm die Eitelkeit jenes Rühmens unter die Augen gestellt, zugleich aber die Verheißung hinzugefügt, daß Er für ihn beten werde, damit sein Glaube nicht aufhöre. Und als später dieses Rühmen sich wirklich als eitel erwies und Petrus seinen Herrn tatsächlich, selbst mit einem Eide, verleugnete, da blickte der Herr ihn an; und dieser Blick trug seine gesegnete Frucht. 

Das Gebet und der Blick übten eine vortreffliche Wirkung aus. Das Gebet erhielt den Glauben des Petrus aufrecht, und der Blick brach sein Herz. Petrus ging nicht weg, sondern er weinte, und er „weinte bitterlich" (Lk 22, 62). 
Im Anfang von Joh 21 finden wir Petrus in dem Zustande wieder, in den das Gebet und der Blick Jesu ihn versetzt hatten. Daß sein Glaube nicht aufgehört hatte, wird dadurch in lieblicher Weise bezeugt, daß er, sobald er vernimmt, daß der am Ufer stehende Fremdling der Herr sei, sich ins Wasser stürzt, um Ihm entgegenzueilen; und er tut dies nicht als ein Büßender, nicht wie einer, der nicht bereits Tränen vergossen hat, sondern als einer, der vor Jesu erscheinen durfte in voller Zuversicht des Herzens. Und in diesem Charakter empfängt ihn sein wohlwollender Herr, und sie essen zusammen am Ufer des Sees. Das Gebet und der Blick hatten in dem Herzen des Jüngers bereits ihr Werk getan, und sie sollten sich nicht wiederholen. Der Herr setzt einfach das begonnene Werk fort, um es zur Vollendung zu führen; und somit folgt jetzt dem Gebet und dem Blick das Wort. 

Der Überführung von der Sünde und den Tränen folgt die Wiederherstellung. Petrus wird in den Stand gesetzt, seine Brüder zu stärken, wie es sein Herr ihm einst angekündigt hatte, und er wird zugleich befähigt, Gott durch seinen Tod zu verherrlichen, ein Vorrecht, das er durch seinen Unglauben und durch seine Verleugnung verloren hatte. Das war das wiederherstellende Wort, welches dem Gebet folgte, das seinen Glauben aufrecht erhielt, und das dem Blick 
folgte, der sein Herz brach. Wie wir in Joh 13 lesen, hatte der Herr Seinen vielgeliebten Jünger darüber belehrt, daß, wer einmal gebadet ist, ganz rein ist und nicht nötig hat, sich zu 
waschen, ausgenommen die Füße. Und in dieser Weise handelt der Herr hier mit Petrus. Er läßt ihn nicht zum zweiten Male die Erfahrung von Lk 5 machen, wo der wunderbare Fischzug 
ihn mit Erstaunen erfüllt und er sich als Sünder erkannt hatte; sondern der Herr wäscht die beschmutzten Füße des Petrus. Er stellt ihn wieder her und führt ihn auf den ihm gebührenden Platz zurück (siehe Joh 21, 15—17). 
Welch ein vollkommener Lehrer und Herr ist unser Jesus! Und „Er ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit", Derselbe in Seiner gnadenreichen, überströmenden Liebe, die das begonnene Werk fortsetzt, indem Er als der auferstandene Herr den infolge der Trennung von Seinen Jüngern unvollendet gebliebenen Dienst genau wieder an dem Punkte aufnimmt, 
wo Er ihn abgebrochen hat, und also in vollkommener Gnade und Weisheit den vergangenen Dienst mit dem gegenwärtigen verknüpft. 

Ein wenig weiter noch sehen wir, wie der Herr Seine Verheißungen erfüllt. Ich denke an jene besondere, nach Seiner Auferstehung gegebene Verheißung, die Er „die Verheißung des Vaters" und „die Kraft aus der Höhe" nannte (Lk 24), und die erst, nachdem Er gen Himmel gefahren und dort verherrlicht war, ihre Erfüllung fand (Apg 2). Dies ist sicherlich nur die Fortsetzung der Geschichte und des Zeugnisses von der Treue Jesu. Sein Leben vor dem Kreuze, Seine Beziehungen zu Seinen Jüngern nach Seiner Auferstehung und jetzt dasjenige, was Er seit Seiner Himmelfahrt getan hat — alle diese Dinge sind deutliche Beweise von der Tatsache, daß es bei Ihm keine Veränderung noch einen Schatten von Wechsel gibt. 
Ungern möchte ich einen anderen Beweis von dieser Tatsache, den wir in demselben Kapitel des Evangeliums des Lukas finden, mit Stillschweigen übergehen. Der auferstandene Herr führt dort Selbst Seine Jünger zu dem Punkt zurück, wo Er Seine letzten Unterweisungen abgebrochen hatte. „Dies sind die Worte, die ich zu euch redete, als ich noch bei euch war, daß alles erfüllt werden muß, was über mich geschrieben steht in dem Gesetz Moses' und den Propheten und Psalmen". Er erinnert sie so an das, was Er ihnen schon früher gesagt 
hatte, daß nämlich die Schrift das große Zeugnis der Gedanken Gottes sei, und daß alles, was in ihr geschrieben stehe, erfüllt werden müsse. Und was tut der Herr dann? Er setzt in einfacher, natürlicher Weise die Belehrung fort, die Er vor Seinem Leiden begonnen hatte. „Dann öffnete Er ihnen das Verständnis, um die Schriften zu verstehen". Seine Macht vereinigt sich 
jetzt mit Seinen vorhergegangenen Belehrungen; und Er vollendet in den Seinigen das, was Er ihnen bereits mitgeteilt hatte.

In gewissem Sinne blieben selbst die Natur und der Geist des Verkehrs Jesu mit Seinen Jüngern während der vierzig Tage unverändert. Er kennt sie bei Namen wie früher; Er offenbart 
Sich ihnen auf dieselbe Weise; nach wie vor Seiner Auferstehung nimmt Er bei Tisch, obwohl Er als Gast geladen ist, *) Zu unserem Trost möchte ich noch hinzufügen, daß der Herr Seine Jünger niemals daran erinnerte, daß sie alle Ihn in der Stunde der Versuchung verlassen hatten. 

den Platz des Hausherrn ein (vgl. Joh 2; Lk 24); und durchdrungen von dem Gefühl der Bedeutung des Augenblicks, betrachten Seine jünger Seine Anwesenheit, wie sie es früher zu tun pflegten. Am Brunnen zu Sichar (Joh 4) fürchteten sie sich, Ihn zu stören, und stellten sich schweigend seitwärts. Ebenso verhalten sie sich, als sie nach dem Fischfang zu Ihm kommen (Joh 2x), wiederum schweigend, da sie nach dem Charakter des Augenblicks urteilen, daß, wie sehr auch ihre Herzen mit Bewunderung und Freude erfüllt sein mochten, es nicht an der Zeit war, viele Worte zu machen. Welch zarte und doch wie mächtige Bande bestehen daher 
zwischen Ihm, den wir bereits in den gewöhnlichen Umständen des menschlichen Lebens kennen gelernt haben, und Ihm, den wir alle Ewigkeit hindurch erkennen sollen! Jesus stieg zuerst in unsere Umstände hinab, um uns dann in Seine Umstände einzuführen. Aber in unseren Umständen ist es, daß wir Ihn kennen gelernt, ja, für immer kennen gelernt haben. Dies ist eine Wahrheit, deren Kostbarkeit uns durch die Erfahrungen des Petrus bezeugt wird. Ich habe die betreffende Szene bereits unter einem anderen Gesichtspunkt betrachtet, aber ich möchte 
zum zweiten Mal einen Augenblick dabei verweilen. 
Bei jenem wunderbaren Fischzug, der vor der Auferstehung stattfand (Lk 5), wurde Petrus von der Sünde überführt. Petrus, der Fischer, wurde in seinen eigenen Augen Petrus, der Sünder. „Gehe von mir hinaus", sagt er zum Herrn, „denn ich bin ein sündiger Mensch" (Lk 5, 8). Der außerordentliche Fang, welcher den Beweis lieferte, daß der in sein Schiff getretene Fremdling der Herr des Meeres und seiner Fülle war, führte den Jünger im Geist in die Gegenwart Gottes, und hier lernte er sich selbst kennen. Wir können in der Tat nur hier diese Lektion lernen. Aber der Herr rief ihm in jenem Augenblick, wie aus der Herrlichkeit her, das Trostwort zu: „Fürchte 
dich nicht"! und — Petrus war zur Ruhe gebracht. Die Herrlichkeit oder die Gegenwart Gottes, die ihn von seiner Sündhaftigkeit überführt hatte, wurde jetzt ein Ruheplatz für ihn; und 
Petrus wandelte in völliger Ruhe des Herzens vor dem Herrn. 
Dementsprechend genießt er auch bei dem zweiten Fischzug (Joh 21), nach der Auferstehung des Herrn, die gleiche Zuversieht; er hat nur die früher empfangene Unterweisung praktisch auszuüben. Und dies tut er. Er macht die Erfahrung, daß die Gegenwart des Herrn der Herrlichkeit eine Ruhestätte für ihn ist. Er erfahrt und bezeugt es uns, daß er das, was er in 
bezug auf Jesum gelernt hatte, für immer gelernt hatte. Er erkannte den am Ufer stehenden Fremdling zuerst nicht; sobald aber Johannes ihm sagte, daß es der Herr sei, da war 
jener Fremdling kein Unbekannter mehr für Petrus; nein, er beeilte sich, so schnell und so nahe wie möglich zu Ihm zu kommen. Glückselig das Herz, das diese Dinge versteht! Wenn 
es eine Freude ist, zu wissen, daß Jesus stets Derselbe ist, sowohl in unserer Welt, als auch in der Seinigen, sowohl inmitten der Umstände auf Erden, als auch in Seiner Herrlichkeit, welch 
eine weitere Freude ist es dann, jemanden von uns, wie einst Petrus, in seiner Seele die Seligkeit genießen zu sehen, die aus einer solchen Tatsache hervorströmt! 
Ja, Jesus ist tatsächlich immer Derselbe, Treu und Wahrhaftig! Alles, was Er Seinen Jüngern vor dem Kreuze verheißen hatte, hat Er nach Seiner Auferstehung erfüllt. Alles, was Er vorher 
in ihrer Mitte war, das ist Er auch nachher geblieben. 
Der Herr gab unaufhörlich, aber Er fand selten Beifall. Er teilte in Überfluß mit, aber Er fand nur wenig Gemeinschaft. Dies erhöht und verherrlicht nur Seine Güte. Es gab hier gleichsam 
nichts, was Ihn hätte veranlassen können, Seine Güte zu zeigen; und dennoch teilte Er immer aus. Er war wie der Vater, der in den Himmeln ist, von Dem Er Selbst gesagt hatte: 
„Er läßt Seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte" (Mt 5, 45). Dies sagt uns, zu Seinem Preise, was Er ist, und zu unserer Beschämung, was wir sind. 
Jesus war indes nicht nur dem Vater in den Himmeln gleich, das Bild Gottes in dessen Handlungen, sondern Er war in dieser Welt zugleich wie der „unbekannte Gott", von Dem 
Paulus redet (Apg 17, 23). Die Finsternis begriff Ihn nicht; die Welt erkannte Ihn weder durch ihre Religion noch durch ihre Weisheit. Die überschwenglichen Reichtümer Seiner Gnade, die Reinheit Seines Königreichs, das Fundament und die Rechte, auf die allein die Herrlichkeit, die Er in einer Welt wie diese suchte, gegründet werden konnte, alles das blieb den Menschenkindern ein unauflösliches Rätsel. Dies zeigen zur Genüge die groben Irrtümer und Fehler, in die sie unaufhörlich verfielen. Als z. B. die Menge mit Begeisterung Jesum als den König und in Seiner Person das Königreich begrüßte (Lk ig), sagten die Pharisäer: „Lehrer, verweise es deinen Jüngern"! Sie konnten den Gedanken nicht ertragen, daß der Thron einem solchen Menschen, wie Er war, gehören sollte. 
Es war nach ihrer Meinung eine Anmaßung von Ihm, dem Jesus von Nazareth, zu gestatten, daß königlicher Jubel Ihn umgebe. Sie erkannten nicht das Geheimnis wahrer Größe in dieser falschen, abgefallenen Welt; sie hatten das Geheimnis des „Wurzelsprosses aus dürrem Erdreich" nicht erfaßt, noch vermochte ihr Geist den „Arm des Herrn" zu unterscheiden (Jes 53). Nur da, wo der Geist des Herrn die Herzen leitet, werden Entdeckungen betreffs Jesu gemacht — Entdeckungen, die ebenso kostbar wie verschieden in ihrem Maße sind. 

In Mk 1 wird von vielen Seiten auf den Dienst der Gnade und Macht des Herrn Anspruch gemacht. Kranke aller Art kommen zu Ihm. Die Menge hört Ihm zu und erkennt die Autorität an, mit der Er redet. Ein Aussätziger bringt seinen Aussatz vor Ihn und erkennt somit in Ihm den Gott Israels an. Es war in jenem Augenblick eine gewisse, verschieden große Erkenntnis von Jesu vorhanden, sei es bezüglich Dessen, was Er war, oder Dessen, was Er besaß. Aber im zweiten 
Kapitel desselben Evangeliums begegnen wir einer Erkenntnis von Ihm, die sich in einer weit lebendigeren und vortrefflicheren Weise kundgab, sowie Beispielen eines Glaubens, der 
Jesum verstand. 
Die Männer von Kapernaum, die ihren gichtbrüchigen Freund zu Ihm bringen, verstehen den Herrn und bedienen sich Seiner. Sie verstehen, meine ich, was Er in Sich Selbst, in Seinem 
Charakter, in Seinen Gewohnheiten und in den Gefühlen Seiner Seele ist. Schon die Art und Weise, wie sie sich Ihm zu nähern suchen, zeigt uns das. Sie kommen nicht zweifelnd 
oder schüchtern und ängstlich, sie machen es vielmehr wie Jakob, als Er sagte: „Ich lasse dich nicht los, du habest mich denn gesegnet" (1. Mo 32)! Ihm so zu nahen ist dem Herrn 

angenehm und der Weise entsprechend, in der uns diese Liebe gern handeln sieht. Sie fragen nicht um Erlaubnis, sie machen keine Umstände, sondern decken ohne weiteres das Dach des 
Hauses ab, um zu Ihm zu kommen. Alles das zeigt uns, daß sie den Herrn kannten und sich Seiner bedienten. Sie wußten, daß es Seine Freude war, wenn Notleidende Seiner Gnade vertrauten und sich ohne Rückhalt Seiner Macht bedienten. Levi handelt wenige Augenblicke später in gleicher Weise. Er richtet ein Gastmahl an und läßt Zöllner und Sünder in der Nähe 
Jesu Platz nehmen. Auch hieraus geht hervor, daß Levi seinen Gast kannte. Er wußte, wen er geladen hatte, so wie Paulus wußte, an „wen er geglaubt hatte" (2. Tim 1, 12). 
Diese Erkenntnis des Herrn ist wahrhaftig gesegnet; sie ist göttlich. Fleisch und Blut vermögen sie nicht zu geben. Die Brüder Jesu besaßen sie nicht; denn als der Herr Sich in Seinem 
Dienste erschöpfte, sagten sie: „Er ist außer sich" (Mk 3, 21). Aber der Glaube macht im Blick auf Jesum große, köstliche Entdeckungen und handelt demgemäß. Es mag zuweilen scheinen, als ob er die richtigen Grenzen überschritte und uns über das geziemende Maß hinausführte; aber nach dem Urteil Gottes ist dies nie der Fall. Die Menge gebot dem blinden Bartimäus zu schweigen; aber er weigerte sich, weil er Jesum kannte, wie Levi ihn kannte (Mk 10). 
Die Fülle von dem, was der Herr tut, übersteigt unsere Begriffe; und doch besteht gerade in dieser Fülle die Herrlichkeit Seines Tuns. Der Heiland kommt uns in jeder Not entgegen; 
aber zu gleicher Zeit bringt Er Gott hinein. Jesus heilte die Kranken, aber Er predigte auch das Reich. Doch das paßte dem Menschen nicht, wie seltsam dies auch scheinen mag, da er 
seinen eigenen Vorteil sonst gut zu schätzen weiß. Der Mensch kennt wohl die Freude der wiederhergestellten Natur; aber 
die Feindschaft des fleischlichen Herzens gegen Gott geht so 
weit, daß, sobald die Segnung mit der Gegenwart Gottes in 
Verbindung steht, sie nicht mehr willkommen geheißen wird. 
Da aber der Zweck Christi ebensowohl die Verherrlichung Gottes als auch die Rettung des Sünders ist, so kann von Seiner Seite die Segnung nur in dieser Verbindung erscheinen. Gott ist 
in dieser Welt verunehrt worden, und der Mensch hat sich in ihr verderbt. Der Herr nun, der den Bruch heilt, tut ein vollkommenes Werk, indem Er einerseits den Namen und die Wahrheit Gottes unverletzt aufrechterhält, Sein Reich und Dessen Rechte ankündigt und Seine Herrlichkeit offenbart, und indem Er andererseits den verlorenen, toten Sünder rettet und 
lebendig macht. 
Aber dies steht, wie schon gesagt, dem Menschen nicht an. Wohl will er, daß man sich seiner annehme; aber von der Herrlichkeit Gottes will er nichts wissen. So ist der Mensch. Aber welch ein schönes Schauspiel, wenn das Herz eines armen Sünders durch den Glauben anderes Sinnes geworden ist und er sich in Wahrheit der Herrlichkeit erfreuen kann! Das kananäische Weib liefert uns ein Beispiel davon. Die Herrlichkeit des Dienstes Christi hatte lebendig und kräftig ihre Seele getroffen. Dennoch hält der Herr, trotz der Betrübnis des armen Weibes, die Grundsätze Gottes aufrecht und weist sie mit den Worten ab: „Ich bin nicht gesandt, als nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel", und: „Es ist nicht schön, das Brot der Kinder zu nehmen und den Hündlein hinzuwerfen" (Mt 15, 24. 26). Doch das Weib unterwirft sich 
diesem Ausspruch; sie erkennt den Herrn als den Verwalter der Wahrheit Gottes und setzt keinen Augenblick voraus, daß Er zur Abhilfe ihrer Not das Ihm anvertraute Pfand, die Wahrheit und die Grundsätze Gottes, verleugnen würde. Sie will, daß Gott nach Seinen eigenen Ratschlüssen verherrlicht werde, und daß Jesus fortfahre, der treue Zeuge dieser Ratschlüsse 
und der Diener des Wohlgefallens Gottes zu sein, wie auch immer ihre eigene Sache ablaufen möge. „Ja, Herr"! sagt sie und bestätigt also alles, was der Herr gesagt hat, fügt aber in 
völliger Übereinstimmung mit den Worten Jesu hinzu: „Denn es essen ja auch die Hündlein von den Brosamen, die von dem Tische ihrer Herren fallen". — Wie lieblich ist dies alles! Es 
war die Frucht des Lichtes Gottes in der Seele. Die Mutter Jesu in Lk 2 steht unter dieser Heidin. Maria wußte nicht, daß Er „in dem sein mußte, was seines Vaters war", während das 
kananäische Weib erkannte, daß nichts anderes als das Seine Beschäftigung bilden konnte. Sie wünschte die Verherrlichung der Wege Gottes durch die treue Hand Christi, wenn sie auch, selbst in ihrer Not, dadurch beiseitegesetzt wurde. Das hieß Christum erkennen und Ihn in der Fülle Seines Werkes annehmen als Den, Der in einer abgefallenen Welt sowohl für Gott, als auch für den durch sich selbst verderbten, unwürdigen Sünder Seinen Platz eingenommen hatte. 

Es ist nicht gut, immer verstanden zu werden. Unsere Gewohnheiten und Handlungen sollten die eines Fremdlings, eines Bürgers aus einem anderen Lande sein, dessen Sprache, dessen 
Gesetze und Gebräuche nur unvollkommen begriffen werden. Fleisch und Blut vermögen sie nicht zu schätzen; und darum befinden sich die Heiligen Gottes in keinem guten Zustande, 
wenn die Welt sie versteht. Selbst die nächsten Verwandten Jesu erkannten Ihn nicht. Oder kannte Ihn Seine Mutter, als sie auf der Hochzeit zu Kana in Ihn drang, Seine Macht zu 
entfalten und Wein für das Fest herbeizuschaffen (Joh 2)? Oder kannten Ihn Seine Brüder, als sie zu Ihm sagten: „Wenn du diese Dinge tust, so zeige dich der Welt" (Joh 7, 4)? Welch 
ein Gedanke! Sie suchten, den Herrn zu veranlassen, Sich zu dem. zu machen, was wir einen „Mann der Welt" nennen. Darf man irgendeine wahre Erkenntnis Jesu voraussetzen, 
wenn solche Gedanken im Herzen Raum finden? Wahrlich nicht; darum fügt auch der Evangelist sogleich hinzu: „denn auch seine Brüder glaubten nicht an ihn". Sie kannten die 
Macht des Herrn, aber nicht Seine Grundsätze; und nach Menschenweise verbanden sie den Besitz von Macht und Talenten mit der Verfolgung der Interessen des Menschen in der Welt. 
Es wird nicht nötig sein zu bemerken, daß der Herr Jesus das unmittelbare Gegenteil von diesem allen war; und Seine vom Geiste dieser Welt geleiteten Verwandten nach dem Fleische 
konnten Ihn daher nicht erkennen. 

Die Grundsätze, die Seine Handlungen bestimmten, waren der Welt gänzlich fremd; man verachtete sie, wie einst die Tochter Sauls den König David verachtete, als er vor der Bundeslade des Herrn tanzte (2. Sam 6, 16). Aber welch eine Anziehungskraft übte die Gegenwart Jesu auf jedes Herz und Auge aus, das durch den Heiligen Geist geöffnet war! Die Apostel bezeugen es uns. Sie kannten der Lehre nach nur wenig von ihrem Meister, und ihr Bleiben bei Ihm war kein Gewinn, d. h. kein weltlicher Gewinn für sie. Ihre äußere Lage wurde durch ihren Wandel mit Jesu durchaus nicht verbessert. Auch kann man nicht sagen, daß sie sich Seine Wundermacht zu nutze machten; im Gegenteil zweifelten sie weit eher an Seiner Macht, als daß sie sich ihrer bedient hätten, und dennoch hingen sie an Ihm. Sie gesellten sich nicht zu 
Jesu, weil sie in Ihm die unversiegbare und stets fließende Quelle erkannten, die alle ihre Bedürfnisse zu stillen vermochte; ich glaube vielmehr, daß wir sagen können, daß sie nie zu ihren Gunsten von Seiner Macht Gebrauch machten. 
Dennoch blieben sie stets bei Ihm, waren in Verlegenheit, wenn Er von Seinem Weggehen sprach, und ihre Augen waren mit Tränen gefüllt, als sie Ihn wirklich verloren zu haben 
meinten. Ich wiederhole daher: Welch eine Anziehungskraft mußte die Gegenwart Jesu auf alle diejenigen ausüben, deren Herzen und Augen durch den Geist erleuchtet, oder die „durch 
den Vater gezogen" worden waren (Joh 6, 44)! 
Aber auch mit welcher Gewalt drang bisweilen ein einziger Blick, ein einziges Wort Jesu in das Herz! Wir sehen dies bei Matthäus. Das eine Wort von den Lippen des Herrn: 
„Folge mir"! war völlig hinreichend für ihn, um alles zu verlassen. Und diese Autorität, diese Anziehungskraft wurde von Menschen mit ganz entgegengesetztem Charakter und völlig 
verschiedener Gemütsart gefühlt. Der vernünftelnde, glaubensträge Thomas und der feurige, unbedachtsame Petrus, beide wurden durch diesen wunderbaren Mittelpunkt angezogen und festgehalten. Ja, Thomas, für einen Augenblick beseelt von dem Geiste des eifrigen Petrus, konnte unter dem Eindruck dieser Anziehungskraft die Worte hören lassen: „Laßt auch uns gehen, auf daß wir mit ihm sterben" (Joh 11, 16)! 
Was wird es sein, wenn auch wir dies alles dereinst in gänzlicher Vollkommenheit sehen und empfinden werden! Was wird es sein, wenn jene unzählige Schar aus der ganzen 
menschlichen Familie, aus aller Herren Länder, von allen Farben und Charakteren, versammelt sein wird, und alle Geschlechter und Sprachen und Völker und Nationen bei dem 
Herrn sein und Ihn in einer Welt, die Seiner würdig ist, umringen werden! Es ist wahrlich der Mühe wert, auf jene Beispiele unsere Gedanken zu richten, da sie uns zeigen, welch 
eine Kostbarkeit der Herr Jesus für Herzen haben kann, die den unsrigen gleich waren, und da wir sie zugleich als Unterpfänder dessen betrachten dürfen, was in Hoffnung sowohl 
uns jetzt gehört als jenen damals. 
Das Licht Gottes strahlt oft vor uns, auf daß wir nach der uns verliehenen Kraft es unterscheiden und benutzen, uns seiner erfreuen und ihm folgen können. Nicht daß es uns anklagt oder Forderungen an uns stellt, sondern es strahlt vor uns, auf daß wir es, soweit wir Gnade empfangen haben, zurückstrahlen lassen. In dieser Weise sehen wir es in der ersten 
Gemeinde zu Jerusalem wirken. Das dort scheinende Licht Gottes forderte nichts. Es strahlte in Klarheit und Macht; aber das war alles. Petrus redete die Sprache dieses Lichtes, als er 
zu Ananias sagte: „Blieb es nicht dein, wenn es so blieb, und war es nicht, nachdem es verkauft war, in deiner Gewalt" 
(Apg 5, 4)? Das Licht hatte keine Forderungen an Ananias gestellt; es leuchtete einfach vor und neben ihm in seiner Schönheit, damit er nach seinem Maße darin wandeln möchte. 
In dieser Weise glänzt größtenteils die moralische Herrlichkeit Jesu; und diesem Lichte gegenüber ist es unsere erste Pflicht, zu lernen, was Christus ist. Wir haben nicht damit zu beginnen, daß wir uns mit Angst und Furcht nach seinem Scheine messen, sondern wir sind berufen, mit Ruhe, Freude und Danksagung Christum in der sittlichen Vollkommenheit Seiner 
Menschheit kennenzulernen. Freilich hat uns diese Herrlichkeit verlassen; ihr lebendiges Bild existiert auf der Erde nicht mehr. 

Die Evangelien liefern uns eine Beschreibung von ihr; aber nirgends erblicken wir jetzt hienieden ihren mächtigen Schein Er, dessen Herrlichkeit in dieser Welt geoffenbart worden ist, 
ist zum Vater zurückgekehrt; aber obwohl Sein Fuß nicht mehr die Erde berührt, ist Er dennoch geblieben, was Er war, und wir kennen Ihn, so wie Er uns auf den Blättern des göttlich 
inspirierten Wortes vor Augen gemalt ist. 
Die Jünger kannten den Herrn in hervorragendem Sinne persönlich. Es war Seine Person, Seine Gegenwart, Sein Ich, das sie anzog; und dies ist es gerade, was auch wir in einem höheren Maße bedürfen. Wir mögen bemüht sein, Wahrheiten bezüglich der Person Jesu kennenzulernen, und mögen auf diesem Wege bedeutende Fortschritte machen; dennoch können die Jünger, bei all unserer Erkenntnis und trotz all ihrer Unwissenheit, uns weit hinter sich zurücklassen, wenn es sich um die Kraft einer alles beherrschenden Liebe zu Ihm handelt. 
Gewiß, geliebte Brüder, es ist gut, wenn die Zuneigungen unserer Herzen zu Jesu das Maß der Erkenntnis überschreiten, die wir uns bezüglich Seiner haben erwerben können; denn 
nur dann beweisen wir, daß wir Ihn wirklich verstanden haben. Glücklicherweise gibt es noch einfältige Seelen, bei denen sich diese das Maß ihrer Erkenntnis übersteigende Anhänglichkeit an die Person Christi offenbart, aber leider ist es im allgemeinen nicht so. In unseren Tagen ist meist das Gegenteil der Fall, das Licht und die Erkenntnis überschreiten gewöhnlich das Maß dessen, was unsere Herzen für den Herrn fühlen; und diese Entdeckung ist für einen jeden, der noch irgendwie ein wahres Gefühl besitzt, höchst schmerzlich. 
„Das Vorrecht unseres christlichen Glaubens", sagt ein anderer Schreiber, „und das Geheimnis seiner Kraft besteht darin, daß alles, was er besitzt, und alles, was er darbietet, in einer Person 
enthalten ist. Während so vieles andere sich als schwach erwiesen hat, zeigt der Glaube darin seine Kraft, daß er einen Christus zum Mittelpunkt besitzt, und daß er keinen Kreis ohne einen Mittelpunkt, keine Erlösung ohne einen Erlöser, keine Seligkeit ohne einen Seligmacher hat. Das ist es, was den christlichen Glauben für pilgernde und reisende Menschen passend macht, was ihn zu einem Licht macht, das heller glänzt als die Sonne. Alles andere erscheint im Vergleich damit nur wie das Licht des Mondes, das zwar glänzt, aber kalt und unwirksam ist, während hier Licht und Leben eins sind". — 
„Wie groß ist der Unterschied", fährt jener Schriftsteller dann fort, „ob man sich einer Sammlung von Vorschriften unterwirft oder sich an ein liebendes Herz flüchtet, ob man ein 
System annimmt oder sich fest an eine Person klammert! Mögen wir es nie aus den Augen verlieren, daß unsere Schätze in einer Person aufgespeichert sind, die nicht für ein einzelnes 
Geschlecht ein lebender und gegenwärtiger Lehrer und Herr war und hernach aufhörte, das zu sein, sondern die für alle Geschlechter zu allen Zeiten lebendig und gegenwärtig bleiben 
wird". Das sind meines Erachtens gute und beachtenswerte Worte. 

Der Herr offenbart uns in Seinem Dienst auf der Erde eine ebenso wunderbare Vereinigung moralischer Herrlichkeiten, wie in Seinem Charakter. Hinsichtlich dieses Dienstes können wir 
den Herrn betrachten in Beziehung zu Goff, zu Satan und zu dem Menschen. In Seinem Verhältnis zu Gott stellte der Herr Jesus in Seiner Person und in Seinen Handlungen stets den 
Menschen so vor Gott hin, wie der Mensch nach dem Willen Gottes sein sollte. Er stellte die menschliche Natur wieder her als ein Opfer der Ruhe oder des lieblichen Geruchs, als einen 
reinen duftenden Weihrauch, als eine reine Garbe der auf menschlichem Boden gewachsenen Erstlingsfrüchte. Er führte den Menschen in die Gunst Gottes zurück, die durch Adam 
oder durch die Sünde für ihn verloren gegangen war. Gott reute es, daß Er den Menschen gemacht hatte (r. Mo 6, 6), 
aber diese Reue verwandelte sich in Wonne und Wohlgefallen an dem Menschen. Und dieses Opfer wurde Gott dargebracht inmitten aller Widersprüche, aller entgegenwirkenden Umstände, aller Mühsale, Leiden und herzbrechenden Enttäuschungen. 
Wunderbarer Altar! Wunderbares Opfer! Es war, wie schon früher bemerkt, ein unendlich reicheres Opfer, als es eine Ewigkeit adamitischer Unschuld hätte sein können. Und ebenso wie Jesus den Menschen vor Gott darstellte, so stellte Er auch Gott vor dem Menschen dar. 
Infolge des Falles Adams hatte Gott Sein Ebenbild nicht mehr auf Erden; aber jetzt fand Er es in Christo weit vollkommener und herrlicher, als es Adam je hätte darstellen können. Nicht 
einer sehr guten, makellosen Schöpfung, sondern einer verlorenen und verderbten Welt offenbarte Christus Gott, indem 
Er Ihn in Gnade vorstellte und sagte: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen" (Joh 14, 9). Alles, was Gott ist, und was man von „dem Lichte", dem niemand nahen kann, zu 
erkennen vermag, ist uns in Jesu vor Augen gestellt worden. 

Bei der weiteren Beschäftigung mit dem Dienst Christi, betrachtet in seiner Beziehung zu Gott, sehen wir, daß Christus Sich immer der Rechte Gottes erinnerte, und daß Er stets der Wahrheit und den Grundsätzen Gottes treu blieb, während Er täglich unermüdlich beschäftigt war, die Not der Menschen zu lindern. Mit welch einem Anliegen das menschliche Leid 
sich auch an Ihn wenden mochte, niemals opferte Er etwas auf, 
das Gott gehörte. Bei Seiner Geburt sprachen die Engel sowohl: 
„Herrlichkeit Gott in der Höhe"! als auch: „an den Menschen 
ein Wohlgefallen" (Lk 2, 14)! und dementsprechend zog Er 
während Seines ganzen Dienstes die Ehre Gottes mit demselben Eifer zu Rate, wie Er Sich dem Dienst der Bedürfnisse 
und des Heils des Sünders widmete. Das Echo der Worte: 
„Herrlichkeit Gott in der Höhe"! und: „Friede auf Erden"! 
ließ sich sozusagen bei jeder Gelegenheit vernehmen. Die bereits erwähnte Geschichte des kananäischen Weibes liefert uns 
davon ein lebendiges Beispiel. Solange sie nicht hinsichtlich 
der Absichten und Ratschlüsse Gottes ihren wahren Platz einnahm, konnte Er nichts für sie tun; hernach aber vermochte Er alles. 
Das sind einige der Herrlichkeiten des Dienstes Jesu, wenn 
wir Ihn in Seinen Beziehungen zu Gott betrachten. 
Wir kommen jetzt zu dem Dienst des Herrn in Seiner Beziehung zu Satan. Da sehen wir denn, daß Jesus ihm zunächst, und zwar zur passenden Zeit, im Augenblick Seines Dienstantritts, als dem Versucher begegnet. Satan trachtete in der Wüste danach, den Herrn in dasselbe sittliche Verderben hineinzustürzen, in das er in seiner List Adam und die menschliche Natur gestürzt hatte. Der Sieg über den Versucher bildete die notwendige, gerechte Einleitung zu allen Werken und Handlungen des Herrn. Darum war es auch der Geist, der Ihn dem Versucher entgegenführte, wie wir lesen: „Dann wurde Jesus von dem Geiste in die Wüste hinaufgeführt, um von dem Teufel versucht zu werden" (Mt 4). Ehe der Sohn des enschen in das Haus des Starken hineingehen und seinen Hausrat rauben konnte, mußte Er den Starken binden (Mt 12, 
29). Ehe Jesus die „unfruchtbaren Werke der Finsternis" bestrafen konnte (Eph 5, 11), mußte Er zeigen, daß Er keine Gemeinschaft mit ihnen hatte. Ehe Er in das Reich des Feindes 
eindringen konnte, um seine Werke zu zerstören, mußte Er ihm die Stirn bieten und ihn von Sich fernhalten. 
Jesus nun hat Satan zum Schweigen gebracht, Er hat ihn gebunden. Satan mußte sich als ein völlig überwundener Versucher zurückziehen. Er konnte nichts von dem Seinigen in 
Jesum hineinbringen, sondern er mußte im Gegenteil erkennen, daß alles, was in Christo gefunden wurde, von Gott war. Christus hielt alles von Sich fern, was Adam, gegenüber einer 
ähnlichen Versuchung, in sich hatte eindringen lassen; und nachdem Er Sich also rein erwiesen und die Probe bestanden hat, besitzt Er jetzt ein vollkommenes sittliches Recht, alles 
Unreine zu strafen. 
„Haut um Haut"! (Hi 2) mag der Ankläger im Blick auf einen anderen Menschen zu sagen haben und durch solche und ähnliche Worte die verderbte Natur des gefallenen Menschen beschuldigen können. Aber als Verkläger Jesu hatte er vor 
dem Thron Gottes nichts zu tun; er wurde zum Schweigen 
gebracht. In dieser Weise beginnt das Verhältnis Jesu zu Satan. 
Hierauf tritt Er in das Haus des Starken ein und beraubt ihn 
seines Hausrats. Die Welt ist dieses Haus, und hier sieht man 
den Herrn in Seinem Dienste die mannigfaltigen und tiefeingedrungenen Spuren der Macht des Feindes austilgen. Alle 
Tauben und Blinden, die geheilt, alle Aussätzigen, die gereinigt 
wurden, alle wiederherstellenden und heilenden Werke der 
Hand Jesu, welcher Art sie auch sein mochten, sind Zeugnisse 
von dieser Beraubung des Starken in seinem eigenen Hause. 
Nachdem Er Satan gebunden hat, beraubt Jesus ihn seiner 
Güter. Am Ende überliefert Er Sich ihm als Den, Der „die Macht des Todes" hatte (Hebr 2). Golgatha war die Stunde der „Macht der Finsternis" (Lk 22, 53). Dort erschöpfte Satan alle seine Hilfsmittel und setzte seine ganze List in Tätigkeit; aber er wurde besiegt: sein scheinbar Gefangener wurde der Überwinder. Durch den Tod machte Jesus den zunichte, der die Macht des Todes hatte. Durch das Opfer Seiner Selbst hat Er die Sünde hinweggetan; der Kopf der Schlange wurde zertreten, und so ist, wie jemand gesagt hat, „nicht der Mensch, sondern 
der Tod kraftlos geworden". 

So hat also Jesus, der Sohn Gottes, den Teufel zu Boden geworfen, nachdem Er ihn vorher gebunden und ihn dann seines Hausrats beraubt hatte. Doch noch eine andere moralische Herrlichkeit sieht man in dem Dienst Christi hinsichtlich Seiner Beziehung zu Satan hervorstrahlen. Christus erlaubt dem Satan niemals, Zeugnis von Ihm abzulegen. Das Zeugnis mag wahr und, wie wir sagen, selbst in den schmeichelhaftesten Ausdrücken abgefaßt 
sein, wie z. B.: „Ich kenne dich, wer du bist: der Heilige 
Gottes" (Mki). Aber Jesus gebietet ihm dennoch, zu schweigen. 
Der Dienst des Herrn war ebenso rein, wie voll von Gnade, 
Er nahm in keiner Weise in Seinem Dienste die Hilfe dessen 
an, den er zerstören sollte, wozu Er gekommen war. Ebenso 
wenig wie in Seiner Natur konnte Er in Seinem Dienst mit 
der Finsternis Gemeinschaft haben. Bei Ihm konnte der Zweck 
die Mittel nicht heiligen; und so wurde der Teufel, als Antwort 
auf Sein Zeugnis, bestraft und zum Schweigen gebracht. ') 
Endlich strahlen uns auch die moralischen Herrlichkeiten des 
Dienstes Christi in Seiner Beziehung zu dem Menschen im 
hellsten Lichte entgegen. Ohne Unterbrechung erquickt und 
bedient Er den Menschen in den verschiedensten Arten seiner 
Leiden; aber zu gleicher Zeit offenbart Er ihm immer wieder 
in der deutlichsten Weise, daß er eine verderbte, aufrührerische, 
von Gott entfremdete Natur besitzt. Außerdem stellt Er den 
Menschen auf die Probe; und diese Wahrheit verdient um so 
mehr unsere Aufmerksamkeit, als sie im allgemeinen wenig 
beachtet wird. In Seinen Unterweisungen prüft der Herr die 
Menschen, mochte es nun die Volksmenge, oder Seine Jünger, 
oder eine hilfesuchende Schar, oder mochten es Seine Feinde 
sein, in welcher Stellung sie sich Ihm gegenüber befanden. 
Während Er mit Seinen Jüngern umherzog und sie unterwies, 
') Insoweit die Evangelien von dem Dienst des Heim hinsichtlich Seiner 
Beziehung zu Satan reden, stellen sie Ihn als Den vor, der Satan zu Boden 
wirft, ihn bindet und ihn seines Hausrats beraubt. Die Offenbarung zeigt uns 
das fernere Verhalten Jesu gegen denselben Widersacher. Dort sehen wir, wie 
„Satan auf die Erde geworfen wird" (Offb 12), und wie Jesus ihn, wenn die 
Zeit gekommen ist, „gebunden in den Abgrund" und schließlich in den „Feuer= 
und Schwefelsee" wirft (Offb 20). Wir können somit den Sieg des Herrn Jesu 
über Satan von der Wüste, der Stätte der Versuchung an bis zum Feuersee 
hin verfolgen. 
232 
führte Er sie beständig durch Übungen des Herzens und des 
Gewissens; und dies fand so statt, daß es überflüssig ist, Beispiele dafür anzuführen. 
Auch die Volksmenge, die Ihm folgte, behandelte Er in gleicher 
Weise. „Höret und verstehet" (Mt 15, 10)! rief Er ihnen zu, 
um so ihren Geist zu üben, während Er sie belehrte. Zu 
etlichen, die mit ihren Krankheiten zu Ihm kamen, sagte Er: 
„Glaubet ihr, daß ich dieses tun kann" (Mt 9, 28)? Das kananäische Weib ist ein bemerkenswertes Beispiel von der Art 
und Weise, wie Er diese Klasse von Personen auf die Probe 
stellte. Im Hause Simons wandte Er Sich, nachdem Er die Geschichte von dem Menschen mit den zwei Schuldnern erzählt 
hatte, mit der Frage an Simon: „Wer nun von ihnen, sage, 
wird ihn am meisten lieben" (Lk 7)? 
Ebenso stellte Er die Pharisäer, Seine unermüdlichen Widersacher, beständig auf die Probe; und diese Tatsache zeugt mit 
Macht von dem, was Christus ist. Wir lernen daraus, daß Er 
die Pharisäer nicht unter ein allgemeines, summarisches Urteil 
stellte, sondern daß Er sie gern zur Buße leiten wollte. In 
gleicher Weise verfährt Er mit Seinen Jüngern, wenn Er ein 
Selbstgericht in ihnen wachruft. Er belehrt uns dadurch, daß 
wir Seine Unterweisungen tatsächlich nur insoweit lernen, als 
unser Verständnis, unser Herz und Gewissen in Tätigkeit gesetzt werden. Und diese Art und Weise, diejenigen, die Er 
leitete und belehrte, zu üben, ist sicher auch eine der moralischen Herrlichkeiten, die den Dienst Christi auszeichnen. 
Doch noch mehr. In Seinem Dienst dem Menschen gegenüber 
nimmt Jesus oft die Stellung eines Tadlers oder Verurteilers 
ein; und dies kann kaum anders sein inmitten einer Umgebung, 
wie die menschliche Familie in ihrem gegenwärtigen Zustande 
ist; aber bewunderungswürdig ist die Art und Weise Seines 
Tadeins. Steht Er den Pharisäern gegenüber, deren irdische 
Gesinnung sich stets wider Ihn erhob, so nehmen Seine Worte 
einen ernsten Ton an, wie z. B.: „Wer nicht mit mir ist, ist 
wider mich" (Mt 12, 30). Wendet Er Sich hingegen zu denen, 
die Ihn angenommen hatten und Ihn liebten, die aber, um 
Seine volle Gemeinschaft zu genießen, einer größeren Kraft 
des Glaubens und eines größeren Maßes von Licht bedurften, 
233 
so bedient Er Sich einer ganz anderen Sprache; Er sagt: „Wer 
nicht wider euch ist, ist für euch" (Lk a, 50). — In Mt 20, 20-28, 
wo es sich um die zehn Jünger und die zwei Söhne des Zebedäus handelt, tritt Er in demselben Charakter vor uns. Wie 
mildert Er Seinen Verweis im Hinblick auf das Gute und 
Schöne, das sich bei denen fand, die Er zurechtweisen mußte! 
Welch einen ganz anderen Platz nimmt Er ein als Seine unwilligen Jünger, die ihre Brüder in keiner Weise geschont zu 
sehen wünschten! Er prüft mit Geduld die ganze Frage und 
„scheidet das Köstliche vom Gemeinen aus". 
Ebenso wendet der Herr Sich tadelnd an Johannes, als die 
Jünger jemanden, der nicht mit ihnen wandeln wollte, verboten 
hatten, im Namen Jesu Teufel auszutreiben. Doch in jenem 
Augenblick war das Herz des Johannes unter die Zucht des 
Herrn gekommen. Im Licht der vorhergehenden Worte Jesu 
hatte er den begangenen Fehler entdeckt und machte nun eine 
Anspielung darauf, obwohl der Herr Selbst die Sache mit 
keinem Worte erwähnt hatte. Und eben weil Johannes sich 
seines Fehlers bewußt war und ihn nun offen und ungeschminkt bekannte, antwortete ihm der Herr mit der größten 
Zartheit (siehe Lk o, 46—50). 
Bei Johannes dem Täufer finden wir Ähnliches. Jesus tadelt 
ihn, aber unter welch einer gnädigen Berücksichtigung der 
Umstände! Johannes befand sich damals im Gefängnis. Von 
welcher Bedeutung mußte dieser Umstand für Jesum in jenem 
Augenblick sein! Dennoch verdiente Johannes einen Tadel, 
weil er eine Botschaft an seinen Herrn geschickt hatte, die für 
diesen einen Vorwurf enthielt. Doch wie zart ist die Zurechtweisung Jesu! Er sendet Johannes eine Antwort zurück, die 
nur von diesem völlig verstanden und gewürdigt werden 
konnte. Er läßt ihm sagen: „Glückselig ist, wer irgend sich 
nicht an mir ärgern wird" (Mt n , 6). Selbst die Jünger des 
Johannes, welche die Botschaft ihres Meisters überbracht hatten, vermochten die Tragweite dieser Worte nicht zu verstehen. 
Jesus wollte Johannes vor sich selbst bloßstellen, nicht aber 
vor seinen Jüngern, noch vor der Welt. 
Die zurechtweisenden Worte ferner, welche Jesus an die 
Emmaus-Jünger, sowie die, welche Er nach Seiner Auferstehung 
234 
an Thomas richtete, haben ihre besondere Vortrefflichkeit. 
Auch Petrus wird in Mt 16 und in Mt 17 getadelt; aber wie 
verschieden ist bei diesen beiden Gelegenheiten die Art der 
Zurechtweisung! Und alle diese Verschiedenheiten enthalten 
eine Fülle von Schönheit. Mag Jesus ernst oder milde, scharf 
oder schonend reden, mag der Ton Seiner tadelnden Worte 
so zart sein, daß sie kaum mehr wie ein Verweis klingen, oder 
mag der Tadel sich zu einer Höhe steigern, daß er fast einer 
Verwerfung gleich kommt, stets können wir mit Bestimmtheit 
sagen, daß wir (nach Erwägung der Umstände, welche die 
Worte Jesu hervorriefen) in allen diesen Schattierungen ebenso 
viele Vollkommenheiten entdecken. Alle diese Verweise des 
Herrn waren wie „ein goldener Ohrring und ein Halsgeschmeide von feinem Golde", mochte nun das „Ohr" ein „hörendes" 
sein oder nicht (Spr 25, 12). „Der Gerechte schlage mich: es 
ist Güte, und er strafe mich: es ist ö l des Hauptes" (Ps 141, 5). 
Wahrlich, der Herr ließ Seine Jünger diese Erfahrung machen! 
* * 
So habe ich denn einige Züge der moralischen Herrlichkeit 
Jesu Christi in Seiner Menschheit aufgezeichnet. Er stellte vor 
Gott den Menschen dar, wie er sein sollte; und Gott ruhte in 
Ihm. Diese Vollkommenheit des Menschen Christus Jesus und 
Seine Aufnahme vor Gott werden uns vorbildlich in dem 
Speisopfer gezeigt, in dem Opfer von Feinmehl und ö l und 
Weihrauch, gebacken in der Pfanne oder im Ofen (3. Mo 2). 
Während der Herr Jesus auf Erden war und Sich so vor Gott 
als Mensch offenbarte, drückte Gott beständig Sein Wohlgefallen an Ihm aus. Jesus wuchs auf vor dem Auge Gottes in 
Seiner menschlichen Natur und in der Entwicklung aller menschlichen Tugenden; und Er bedurfte, in welchem Augenblick es auch sein mochte, nichts anderes zu Seiner Empfehlung als Sich Selbst, gerade so wie Er war. In Seinen Wegen und in 
Seiner Person wurde der Mensch moralisch verherrlicht, so daß Er, als Sein Lauf vollendet war, geradewegs zu Gott gehen konnte, so wie einst die „Garbe der Erstlinge der Ernte" unmittelbar, so wie sie war, vom Felde genommen und, ohne irgendwelcher Vorbereitung unterworfen werden zu müssen, zu Gott gebracht und von Ihm angenommen wurde. 

Der Rechtstitel Jesu auf die Herrlichkeit war ein moralischer Titel. Er besaß das Recht, verherrlicht zu werden; dieses Recht lag in Ihm Selbst. In Joh 13, 31. 32 wird diese Wahrheit an 
dem ihr gebührenden Platz klar vorgestellt. „Jetzt ist der Sohn 
des Menschen verherrlicht", sagt der Herr in dem Augenblick, 
als Judas den Tisch verlassen hatte; denn diese Handlung des 
Judas war der sichere Vorläufer Seiner Gefangennahme durch 
die Juden, so wie die Gefangennahme der sichere Vorläufer 
Seiner Verurteilung zum Tode durch die Heiden war. Das 
Kreuz war die Fülle und Vollendung aller moralischen Herrlichkeit in Ihm; deshalb sagt Er gerade in diesem Augenblick: 
„Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht", und fügt dann 
hinzu: „und Gott ist verherrlicht in ihm". 
Gott war damals ebenso vollkommen verherrlicht wie Jesus 
Selbst, obwohl die Herrlichkeit eine ganz verschiedene war. 
Der Sohn des Menschen war verherrlicht, indem Er die sittliche 
Schönheit, die während Seines ganzen Lebens aus Ihm hervorgestrahlt war, in ihrer ganzen Vollendung darstellte. Kein 
Strahl dieser Herrlichkeit durfte in jener Stunde fehlen, ebensowenig wie von Anfang an irgend etwas, das ihrer unwürdig 
gewesen wäre, mit ihr vermengt worden wäre. Die Stunde 
war angebrochen, in welcher der letzte Strahl dieser Herrlichkeit hervorleuchten sollte, um ihren Glanz zu vollenden. Aber 
auch Gott wurde verherrlicht, weil alles, was von Ihm war, 
aufrechterhalten oder entfaltet wurde. Seine Rechte wurden 
aufrechterhalten, Seine Güte entfaltet. Gnade und Wahrheit, 
Gerechtigkeit und Friede wurden aufrechterhalten und befriedigt. Gottes Wahrheit, Heiligkeit, Liebe, Majestät und Herrlichkeit, mit einem Wort, alles was Er ist, wurde in einer 
Weise und in einem Licht geoffenbart und verherrlicht, wie 
es durch nichts anderes hätte geschehen können. Das Kreuz 
ist, wie jemand gesagt hat, das moralische Wunder des Weltalls. 
Doch der Herr fügt hinzu: „Wenn Gott verherrlicht ist in ihm, 
so wird auch Gott ihn verherrlichen in sich selbst, und alsbald 
wird er ihn verherrlichen" (Joh 13, 32). Jesus bestätigt hier 
Sein Recht auf die persönliche Herrlichkeit. Er hatte bereits 
das ganze Bild der moralischen Herrlichkeit während Seines 
Lebens und in Seinem Tode vollendet. Auch hatte Er, wie wir 
236 
gesehen haben, die Herrlichkeit Gottes behauptet und aufrechterhalten; daß Er jetzt in Seine eigene persönliche Herrlichkeit einging, war daher nur eine gerechte Sache. Und dieses 
Rechtes hat Sich Jesus bedient, als Er Seinen Platz im Himmel, 
zur Rechten der Majestät, bei Gott Selbst einnahm, und zwar 
„alsbald" einnahm. 
Das Werk Gottes, des Schöpfers, war sehr bald unter der Hand 
des Menschen verunreinigt worden. Der Mensch hatte sich 
selbst verderbt, so daß geschrieben steht: „Es reute Jehova, 
daß er den Menschen gemacht hatte auf der Erde" (i. Mo 6, 6). 
Welch ein schrecklicher Wechsel in den Gedanken Gottes seit 
jenem Tage, da „Gott alles sah, was er gemacht hatte, und 
siehe, es war sehr gut"! Aber in dem Herrn Jesu fand Gott 
wieder Sein Wohlgefallen an dem Menschen. Welch eine 
Segnung! um so größer und herrlicher, dürfen wir sagen, 
wegen der Reue, welcher Gott einst Ausdruck gegeben hatte. 
Es war mehr als ein erster Genuß; es war eine Wiederherstellung nach Verlust und Enttäuschung, und zwar eine Wiederherstellung, die das Verlorene bei weitem übertraf. Und 
wie der erste Mensch, wenn ich mich so ausdrücken darf, zufolge seiner Sünde außerhalb der Schöpfung seinen Platz fand, 
so w\irde der zweite Mensch (der zugleich der „Herr vom 
Himmel" war), nachdem Er Gott verherrlicht hatte, als das 
Haupt der Sdiöpfung zur Rechten der Majestät in der Höhe 
gesetzt. Jesus ist ein verherrlichter Mensch im Himmel, weil 
Gott auf der Erde in Ihm, dem gehorsamen Menschen, im 
Leben und im Tode verherrlicht worden ist. Wohl ist Er, wie 
wir wissen, noch in anderen Charakteren im Himmel: Er ist 
dort als ein Überwinder, als ein Wartender, als der große 
Hohepriester in der Hütte, welche Gott aufgerichtet hat, als 
unser Vorläufer und als Der, welcher die Reinigung unserer 
Sünden vollbracht hat usw. Aber Er ist dort in den himmlischen örtern auch verherrlicht, weil Er Gott hier auf Erden 
verherrlicht hat. 
Leben und Herrlichkeit gehören also dem Herrn Jesu kraft 
eines persönlichen und moralischen Anrechts. Es ist erquickend, 
bei dieser Wahrheit zu verweilen und sie immer von neuem 
zu wiederholen. Jesus hat niemals den Garten Eden verloren. 
Zwar wandelte Er alle Seine Tage außerhalb Edens, inmitten 
237 
der Dornen und Disteln, der Mühsale und Entbehrungen einer 
verderbten Welt; aber Er tat es in Gnade. Er versetzte Sich 
freiwillig in diese Lage, aber Er war ihr nicht unterworfen. 
Er war nicht, wie Adam und wie wir alle es sind, durch die 
Cherubim und durch das flammende Schwert von dem Baume 
des Lebens und dem Paradiese getrennt. In Seiner Geschichte 
sehen wir, daß die Engel, statt Ihn außerhalb des Gartens 
von dem Eingange fernzuhalten, zu Ihm kommen und Ihm 
dienen, nachdem Er die Versuchung bestanden hat; denn Er 
hielt da stand, wo Adam wankend wurde und fiel. Obwohl 
daher Jesus wirklich und wesentlich Mensch war, so war Er 
doch dieser besondere „vollkommene Mensch". Gott wurde in 
Ihm verherrlicht, wie Er durch alles außer Ihm getäuscht und 
verunehrt worden war. 
In einem Sinne ist diese Vollkommenheit des Sohnes des 
Menschen, diese moralische Vollkommenheit, ganz für uns. 
Sie verleiht dem Blute, das unsere Sünden sühnt, seine Kostbarkeit. Sie ist wie jene Wolke von Weihrauch, die am Versöhnungstage zugleich mit dem Blute in die Gegenwart Gottes 
kam (3. Mo 16, 13). 
In einem anderen Sinn aber ist diese Vollkommenheit zu groß 
für uns. Sie ist so erhaben, daß wir sie nie erreichen können. 
Sie überwältigt uns, insoweit wir sie betrachten in der Erinnerung daran, was wir in uns sind; und sie erfüllt uns mit 
Bewunderung, insoweit wir sie als den Ausdruck dessen betrachten, was Er ist. Die persönliche richterliche Herrlichkeit Gottes, wie sie in früheren Zeiten erschien, war überwältigend. 
Selbst die am meisten Begünstigten unter den Menschenkindern, 
wie Jesaias, Hesekiel oder Daniel, konnten ihren Glanz 
nicht ertragen; auch Petrus und Johannes machten die gleiche 
Erfahrung. Und so ist auch diese moralische Herrlichkeit, wenn 
sie in derselben Weise uns bloßstellt, überwältigend. Nur der 
Glaube fühlt sich in ihrer Gegenwart zu Hause. Der Gott 
dieser Welt verblendet die Sinne, damit man jene Herrlichkeit 
nicht begreife noch sich ihrer erfreue, während der Glaube sie 
mit Freuden begrüßt. Das ist die Geschichte der Herrlichkeit 
hienieden unter den Menschen. In ihrer Gegenwart fordern 
die Pharisäer und Sadducäer gemeinschaftlich ein Zeichen vom 
Himmel. Die Mutter und die Brüder Jesu mißkennen sie, Seine 

Mutter aus Eigenliebe, Seine Brüder aus Weltlichkeit: und 
selbst die Jünger werden beständig durch sie bestraft. 
Das „zerstoßene Olivenöl", das dieses Licht nährte, war für 
alle zu rein; aber es brannte beständig im Heiligtum „vor dem 
Angesicht des Herrn". In der Synagoge zu Nazareth (Lk 4) 
sehen wir, wie wenig der Mensch bereit ist, dieses Licht aufzunehmen. Alle erkannten die gnadenreichen Worte, die den 
Lippen des Herrn entströmten, und fühlten deren Kraft; aber 
bald drängte sich ein mächtiger Strom des natürlichen Verderbens dazwischen, widerstand dieser Bewegung in den Herzen und trug den Sieg davon. Der demütige, selbstlose Zeuge 
Gottes trat inmitten einer hochmütigen, rebellischen Welt ans 
Licht; aber das gefiel ihr nicht. Mag der „Sohn Israels" auch 
gütige und trostreiche Worte reden, man verweigert Ihm dennoch die Aufnahme, Er ist der Sohn eines Zimmermanns (Lk 4). 
Welch ein erstaunliches Zeugnis von der tiefen Verderbtheit 
unserer Herzen! Der Mensch hat seine liebenswürdigen Eigenschaften, seine Tugenden, seinen guten Geschmack, seine zarten Gefühle, wie wir dies bei jener Szene zu Nazareth gewahren. Die gnadenreichen Worte Jesu rufen für einen Augenblick mancherlei gute Gefühle wach; aber was galten sie und wo blieben sie, als Gott sie auf die Probe stellte? Ach, geliebter Leser, trotz unserer Liebenswürdigkeit, trotz des Ansehens, das wir genießen mögen, trotz unserer guten Neigunger. und zarten Gefühle sind und bleiben wir zu dem 
Bekenntnis gezwungen: „In mir, das ist in meinem Fleische, 
.vohnt nichts Gutes" (Röm 7, 18;. 
Doch, ich wiederhole, der Glaube fühlt sich bei Jesus zu Hause. 
Könnten wir, möchte ich sagen, gegen einen solchen Herrn 
argwöhnisch sein oder Ihn fürchten? Könnten wir irgendeinem 
Zweifel im Blick auf Ihn Raum geben? Könnten wir uns fernhalten von Ihm, der am Jakobsbrunnen Sich mit dem Weibe 
von Sichar unterhielt? Hielt sie sich etwa fern von Ihm? Wahrlich, wir sollten einen innigen, vertrauten Verkehr mit Jesu 
unterhalten. Die Jünger, die allezeit um Ihn waren, mußten 
ihre Lektionen stets aufs neue lernen; und auch wir wissen 
etwas davon zu sagen. Sie hatten immer von neuem die Entdeckung zu machen, was Christus war, statt sich dessen zu erfreuen, was sie bereits von Ihm kennengelernt hatten. 

In Mt 14 mußten sie ausrufen: „Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn"! das hieß aufs neue entdecken was Jesus war. Wäre ihr Glaube einfältig gewesen, so würden sie sich im Schiff ruhig neben Ihm zum Schlummer niedergelegt haben (Mk 4). Welch eine Szene war es, zu ihrer Beschämung und zu Seiner Ehre! Sie hatten den Herrn in verletzendem, vorwurfsvollem Ton angesprochen, als wäre Er gleichgültig gegenüber der Gefahr, in der sie schwebten. „Lehrer, liegt dir nichts daran, daß wir umkommen"? rufen sie Ihm zu. Er erwacht und beseitigt alsbald die Ursache ihrer Angst. Dann aber tadelt Er sie, jedoch nicht wegen des Unrechts, das sie Ihm durch ihre harten 
Worte angetan hatten, sondern wegen ihres Kleinglaubens. 
Wie vollkommen ist das alles! Wahrlich, alles in Jesu ist vollkommen; alles ist an seinem Platz: die menschlichen Tugenden, die Früchte der Salbung, die Ihm zuteil geworden war, und Seine göttliche Herrlichkeit. In Seiner Person sind die beiden Naturen nicht miteinander vermengt, sondern der Glanz der göttlichen Natur ist gemildert, und das Gewöhnliche in der menschlichen Natur ist erhöht. Nichts Ähnliches wird und kann in der ganzen Schöpfung gefunden werden. Und dennoch war das Menschliche in Jesu wirklich menschlich, und das Göttliche wirklich göttlich. Er schlief im Schiff: Er war Mensch; Er brachte Wind und Wellen zu Schweigen: Er war Gott. Diese moralische Herrlichkeit muß hervorstrahlen; und bis dies erfüllt ist, müssen andere Herrlichkeiten in den Hintergrund treten. Die Griechen, die nach Jerusalem gekommen 
waren, um auf dem Feste anzubeten, fragen nach Jesu und wünschen Ihn zu sehen (Joh 12). Dies erinnerte an das Reich, oder an die Entfaltung der königlichen Herrlichkeit des Messias; es war eine vorbildliche Darstellung des Tages, an dem die Nationen in die Stadt der Juden kommen werden, um Festfeier zu halten, und wenn Christus, als König in Zion, Herr 
über alles und Gott der ganzen Erde sein wird. 
Aber es gab ein tieferes Geheimnis als das; und es bedarf einer richtigeren Erkenntnis der Wege Gottes, als einfach das Reich zu erwarten. Diese Erkenntnis mangelte den Pharisäern 
(Lk 17), als sie die Frage an den Herrn richteten, wann das Reich Gottes kommen würde. Jesus hatte daher mit ihnen von einem anderen Reich zu reden, das sie nicht erwarteten und 
nicht schätzten, von einem Königreich in ihrer Mitte, einem gegenwärtigen Reich, in das man eingehen mußte, bevor das in Herrlichkeit geoffenbarte Reich erscheinen konnte. Auch 
den Jüngern fehlte diese Erkenntnis, als sie den Herrn in Apostelgeschichte i fragten: „Herr, stellst du in dieser Zeit dem Israel das Reich wieder her"? und auch sie mußten an 
etwas erinnert werden, was stattfinden mußte, bevor diese Wiederherstellung sich erfüllen konnte, nämlich an die Tatsache, daß sie den Heiligen Geist empfangen würden, um die 
Zeugen Christi zu sein bis an das Ende der Erde. Gerade so ist es in Joh 12. Der Herr belehrt uns hier, daß die moralische Herrlichkeit dem Reiche vorangehen müsse. Sicher wird der Augenblick kommen, wo Jesus in der Herrlichkeit des Thrones glänzen wird, wo die Heiden nach Zion kommen und den König in Seiner Schönheit sehen werden; aber ehe dies in die Erscheinung treten kann, muß die moralische Herrlichkeit Sich in ihrer ganzen Fülle und Reinheit entfalten.

 Dieser Gedanke beschäftigte Jesus, als die Griechen Ihn zu sehen begehrten. „Die Stunde ist gekommen", sagt Er, „daß der Sohn des Menschen verherrlicht werde". Daß es sich hier um Seine moralische Herrlichkeit handelt, bemerkten wir bereits bei der Betrachtung von Joh 13, 51. 32. Diese Herrlichkeit hatte von der Geburt des Herrn an bis zu diesem Augenblick alle Seine Pfade erleuchtet; und Sein Tod sollte ihre Vollendung sein. Darum war die Stunde nahe, wo sie ihre letzten Strahlen aussenden sollte, um eben diese Vollendung herbeizuführen. Der 
Herr teilt also bei dieser Gelegenheit, wie Er dies in ähnlicher Weise in Lk 17 und in Apg 1 tut, die Wahrheit mit, die notwendig ist, um eine richtigere und tiefere Erkenntnis von den 
Wegen Gottes zu empfangen. Die moralische Herrlichkeit muß vollständig geoffenbart sein, ehe der Messias Sich in Seiner königlichen Herrlichkeit bis an die Enden der Erde zeigen ann. 
Indes gehört diese Herrlichkeit Ihm, nur Ihm allein. Unsere Herzen fühlen dies tief. Als in Apg 10 der Himmel aufgetan wurde, kam das leinene Tuch hernieder, bevor Petrus den Befehl empfing, Gemeinschaft mit ihm zu machen, oder bevor es wieder in den Himmel aufgenommen wurde und sich in der Höhe von neuem den Blicken entzog. Der Inhalt des leinerten Tuches mußte gereinigt oder geheiligt werden. Aber als in Mt 3 die Himmel sich öffneten, war es durchaus unnötig, daß Jesus von der Erde in den Himmel aufgenommen wurde, 
um so das Siegel des Wohlgefallens Seines Vaters zu empfangen; vielmehr drückten Stimmen und Erscheinungen aus der Höhe ihr Siegel auf Ihn und zeugten von Ihm, so wie Er war: 
„Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe"! 
Und als die Himmel in Mt 27, 51 sich noch einmal auftaten, d. h. als der Vorhang des Tempels in zwei Stücke zerrissen wurde, da war alles vollbracht; nichts mehr war zu tun übriggeblieben. Das Werk Christi wurde besiegelt und anerkannt, so wie es damals war. So zeugt ein im Anfang geöffneter Himmel von der völligen Annehmlichkeit der Person Christi, während ein am Ende geöffneter Himmel Zeugnis ablegt von der völligen Annehmlichkeit Seines Werkes. 

Indem ich hiermit diese Betrachtung schließe, möchte ich noch bemerken, daß es kostbar und lieblich für uns ist und zu gleicher Zeit einen Teil unseres Gottesdienstes ausmacht, die 
charakteristischen Züge der Wege und des Dienstes Jesu hienieden zu bezeichnen, so wie ich es in meinem Maße in dieser 
Schrift zu tun versucht habe. Denn alles was Jesus getan hat, alles was Er geredet hat, Sein ganzer Dienst, sowohl in seinem Wesen als in seiner äußeren Form, alles legt Zeugnis ab von 
dem, was Er war; und Er ist für uns der Zeuge von dem, was Gott ist. In dieser Weise schwingen wir uns, indem wir den in den Evangelien aufgezeichneten Pfaden des Herrn Jesu folgen, zu Gott Selbst empor. Jeder Schritt auf diesen Pfaden wird bedeutungsvoll für uns. Alles, was Jesus getan und geredet hat, war der wahre und treue Ausdruck Seiner Selbst, so wie Er der wahre und treue Ausdruck Gottes war. Und wenn wir fähig sind, den Charakter Seines Dienstes zu verstehen, wenn wir die moralische Herrlichkeit, die mit jedem Moment und mit jeder Einzelheit des Lebens und Dienstes des Herrn hienieden verknüpft ist, zu unterscheiden vermögen, indem wir so lernen, was Er ist, und mithin auch was Gott ist, so erreichen wir Gott in einer gewissen und unbewölkten Erkenntnis Seiner Selbst mittels der gewöhnlichen Pfade und Tätigkeiten des göttlichen Menschensohnes.

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