Sendschreiben an die sieben Versammlungen, Darby

04/19/2025
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Darby Vorträge über die Sendschreiben an die sieben Versammlungen 66003 *)

Einleitung

Ehe ich auf die Einzelheiten der Sendschreiben an die sieben Versammlungen eingehe, sei es mir vergönnt, einige Worte über den allgemeinen Charakter des Buches der Offenbarung zu sagen. Es ist sehr wichtig, daß wir ein richtiges und klares Verständnis über gewisse Hauptgrundsätze erlangen, die sich durch das ganze Buch hinziehen; sonst werden wir die Hand­lungsweise Gottes, wie sie uns in dem Buche mitgeteilt wird, nicht verstehen. Und vergessen wir nicht, daß wir allein aus der Schrift erfahren können, welches der Ratschluß Gottes ist, und was Er bezweckt mit dem, was Er tut, und mit der Art und Weise, wie Er es tut.

*) Gehalten in London im Jahre 1852 von J N D

Das erste Kapitel bildet die Einleitung zu dem ganzen Buch. Das Buch ist eine Offenbarung, welche Jesu Christo gegeben wurde, um Seinen Knechten zu zeigen, was geschehen muß, um die Erscheinung Christi vorzubereiten. Es ist ein wunder­barer Gedanke, daß Gott solche Mitteilungen macht, und be­wundernswürdig ist auch die Art und Weise, wie Er sie macht. Gott schreibt nicht wie ein Mensch, bloß um die menschlichen Wünsche zu befriedigen oder zu reizen. Nein, wenn Gott schreibt, so geschieht es, um etwas hervorzubringen, wodurch unsere Seelen geprüft und in Seine Gemeinschaft gebracht werden. Nehmen wir als Beispiel die Evangelien; sie sind nicht nur geschrieben, um eine historische Darstellung des Lebens Christi auf Erden zu geben, sondern um vor unseren Seelen die Ratschlüsse und Gnadenwege Gottes in dem Werke und der Person Seines Sohnes zu entfalten. Und nur, wenn wir auf diese Weise die Gedanken und Wege Gottes kennenlernen, sind wir fähig, zu verstehen, was Gott in jedem Teil Seiner Wege tut.

Das Buch der Offenbarung redet von Anfang bis zu Ende von Gericht. Gott wird darin geoffenbart als einer, der im Begriff steht, das Gericht zu vollziehen. Dies findet seine Anwendung sogar auf die Kirche, wie wir aus Kapitel 2 und 5 sehen können. Sie wird betrachtet als auf der Erde, dem Ge­richt unterworfen. Allerdings redet die Prophezeiung von den Gegenständen, die unter dem Gericht sind, und von den Mit­teln, um es abzuwenden; allein das ganze Buch trägt durch­weg einen richterlichen Charakter, mit Ausnahme der Beschrei­bung von dem herrlichen Zustand der Kirche, als des himm­lischen Jerusalem. Dies ist sogar der Fall, wenn die Kirche in Tätigkeit tritt, wie im 19. Kapitel; sie folgt dort auf weißen Pferden dem Herrn, der zum Gericht auszieht. Wenn diese Wahrheit nicht völlig erfaßt und festgehalten wird, ist es un­möglich, den Zweck des Buches zu verstehen.

In Übereinstimmung mit dem oben Gesagten finden wir in der Offenbarung niemals den Namen des Vaters in Verbin­dung mit den Heiligen, wohl in Verbindung mit Christo (vgl. 1. 6; 2, 27; 3, 5. 21). In Kap. 14, 1 wird der Name des Vaters des Lammes an die Stirnen der 144 000 geschrieben; aber auch hier ist es immer Sein Vater, wenn auch Sein Name an ihren Stirnen steht. Ferner ist von dem Verhältnis der Braut, des Weibes des Lammes, durchaus keine Rede, bis die Feier der Hochzeit des Lammes erzählt wird. Die Grundsätze und Verhältnisse tra­gen in der Offenbarung einen völlig veränderten Charakter. Gott. ist mit dem beschäftigt, was auf der Erde ist, und zwar ent­sprechend dessen Verantwortlichkeit. Dieser einfache Gedanke ist geeignet, vielen Irrtümern vorzubeugen. 

Das ganze Buch trägt, wie bereits bemerkt wurde, den Charakter des Gerichts, und zwar steht das Gericht in Verbindung mit der Erde, d. h. die Menschen sind auf Erden für das verantwortlich, was ihnen anvertraut worden ist. Wenn also von der Kirche, als auf der Erde befindlich, gesprochen wird, so ist der Gegen­stand, um den es sich handelt, ihre Verantwortlichkeit, und daher kommt sie unter das Gericht. Die zweite Sache, die unsere besondere Beachtung verdient, ist, daß der ganze Cha­rakter des Buches ein prophetischer ist. „Glückselig, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung und bewah­ren, was in ihr geschrieben ist". Sogar in den Anreden an die sieben Versammlungen ist die Sprache prophetisch. Anders ver­hält es sich mit den verschiedenen Briefen in dem vorherge­henden Teil des Neuen Testaments. Dort sind es Mitteilungen an die Versammlungen oder Heiligen, um sie zu belehren, wie sie sich in dem Verhältnis, in das Gott sie in Gnade mit Sich Selbst und mit dem Herrn Jesu gebracht hat, zu verhalten haben. 

Die Sendschreiben aber sind, wie gesagt, prophetisch, d. h. sie kündigen die Resultate und Folgen an, die im Wege des Gerichts über diejenigen kommen sollen, an die sie sich wenden, und die einen öffentlichen Körper bilden. Es handelt sich nicht um den Dienst der Gnade und Unterweisung in einem gesicherten und bleibenden Verhältnis, das keinem Wechsel unterworfen sein kann. Auch handelt es sich nicht um die gegenwärtige Segnung dessen, der redete, noch derer, die das Wort zur Zeit aufnahmen, weil sie Ohren hatten, zu hören. Wir sehen den nämlichen Unterschied in den alttestamentlichen Propheten und in den prophetischen Stellen, die sich in den Briefen zerstreut finden, 1. Petr 1. 11. 12 gibt eine Erklärung von dem, was ich meine. Es heißt dort: „. . . wel­chen es geoffenbart wurde, daß sie nicht für sich selbst, son­dern für euch die Dinge bedienten". Das ist der eigentliche Charakter der Prophezeiung. Sie wendet sich an eine Person und ist bestimmt für andere. Sie ist eine Offenbarung zukünftiger Dinge.

 Ein Prophet weissagte nicht über sich selbst; was ihm der Geist Christi offenbarte, waren Dinge, die nicht ihn, sondern andere betrafen. Der Unterschied bestand also darin, daß dieselben Dinge (welche jene bedient hatten) den Heiligen durch diejenigen mitgeteilt wurden, die ihnen das Evangelium durch den vom Himmel gesandten Heiligen Geist predigten. Wenn der Heilige Geist in den Heiligen redet, so tut Er kund, daß die Dinge, von denen Er spricht, ihnen selbst angehören. Er bedient sich deshalb auch beständig des Wörtchens „uns". Wir finden dieses Wort im Alten Testament nirgends in dieser Verbindung. „Der uns liebt und uns von unseren Sünden ge­waschen hat" — „Gott zur Herrlichkeit durch uns" — „der uns gesegnet hat . . . wie Er uns auserwählt . . . und uns zuvor­bestimmt hat" — „der uns errettet hat" — „und hat uns mit-auferweckt und mitsitzenlassen in den himmlischen Örtern in Christo Jesu". Das heißt nicht einfach zukünftige Dinge an­zeigen. Wenn der Heilige Geist etwas von den Dingen Christi offenbart, so umfaßt Er alle Heiligen — „auf daß ihr völlig zu erfassen vermöget mit allen Heiligen". Mit einem Wort, der Heilige Geist schließt, wenn Er also redet, alle Heiligen ein, als solche, die jetzt teil an der Segnung haben, und Er wendet alles, was uns Gott „in Christo Jesu" gegeben hat, auf sie an. Allerdings genießen wir jetzt noch nicht alles und werden des­halb ermahnt, völlig auf die Gnade zu hoffen, die uns ge­bracht wird bei der Offenbarung Jesu Christi.

Es gibt hier gleichsam drei Abstufungen. Erstens: der Geist der Prophezeiung, der in vergangenen Zeiten in den Prophe­ten, aber nicht für sie selbst, redete; zweitens: der Heilige Geist, herniedergesandt, um die Erlösung zu verkündigen, und drittens der Heilige Geist als das Siegel, das Pfand und die Salbung, mittels deren wir unser Teil kennen und genießen, als der Geist der Erwartung, da wir, solange wir in diesem Leibe sind, noch nicht das besitzen, was einst unser sein wird. Wohl besitzen wir das Pfand, aber wir erwarten die „Sohn­schaft, die Erlösung unseres Leibes". Dessen ungeachtet ver­leiht der Geist Gottes, der in der Kirche oder Versammlung wohnt, und zwar in eben diesem besonderen Charakter, durch die zwei ausdrucksvollen Worte: „uns" und „wir" das Be­wußtsein des gegenwärtigen Genusses dessen, was Er offen­bart.

Bei einer Betrachtung von Hebräer 9 sahen wir kürzlich, daß Christus in der Vollendung der Zeitalter in den Himmel auf­genommen wurde, und daß, während Er droben ist und bevor Er wieder auf diese Erde zurückkehrt, durch den Heiligen Geist em Werk getan wird, — ein Leib wird gesammelt und mit Ihm, dem Haupte im Himmel zur Rechten Gottes, verbunden. Kraft des auf diese Weise zur Rechten Gottes erhöhten Haup­tes sendet Gott den Heiligen Geist hernieder, um einen Leib zu sammeln, der mit Ihm eins sei in Herrlichkeit, der dieselbe Herrlichkeit besitze wie Er, und der aus Gliedern von Seinem Fleische und von Seinen Gebeinen bestehe. Dies ist der eigent­liche Charakter des Geistes in Verbindung mit der Kirche; es handelt sich hier nicht um Prophezeiung, nicht um die Mit­teilung dessen, was auf Erden anderen begegnen soll, sondern es ist der Geist als das Siegel, das Pfand und die Zusicherung der Segnungen, die uns angehören, der Geist, der bezeugt, wie sehr Gott uns gesegnet hat, — uns, und nicht andere Personen, und der bei uns bleibt bis zur Ankunft Christi. Dann wird, Gott sei dafür gepriesen! nicht ein Teilchen des kostbaren Staubes Seiner Erkauften zurückbleiben, denn,, wer dem Herrn anhängt, ist ein Geist mit ihm". Christus wird den ganzen Menschen, Leib, Seele und Geist, mit Sich zum vollen Genuß der himmlischen Segnungen einführen, und zwar für immer und ewig.

Sobald der Geist Gottes Seinen prophetischen Charakter annimmt, verändert sich alles. Sein Zeugnis muß sich dann auf etwas Irdisches beziehen. Er prophezeit niemals über den Himmel. Wenn Er uns sagt: Die ganze Herrlichkeit des Him­mels ist euer, so ist das nicht eine Vorhersage irgendeines später einzutreffenden Ereignisses, sondern eine Offenbarung. In gewissem Sinn sind wir schon dort, weil wir in Christo sind. Wir verwirklichen unsere Gemeinschaft in den himm­lischen Örtern, während wir hienieden der Erfüllung von allem, was sich noch ereignen soll, entgegensehen und auf die Erlösung unseres Leibes warten. Beschäftige ich mich jedoch mit der Erde und ist die Kirche oder Versammlung der Gegen­stand meiner Gedanken, so muß sie — so gewiß und unver­änderlich ihre ewigen Vorrechte sind, sobald wir sie in ihrem wahren Charakter betrachten — vor meinen Augen stehen als ein verantwortlicher Körper auf der Erde, als „das was ist", verantwortlich nach dem Maße der Vorrechte, in denen sie hier auf Erden zurückgelassen ist.

Es ist von höchster Bedeutung, diese Wahrheit festzuhalten, da wir sonst die Handlungsweise Gottes nicht verstehen kön­nen. Der Heilige Geist, der in der Kirche oder Versammlung wohnt, vereinigt mich mit Christo. Handelt es sich um Gerech­tigkeit? Ich bin die Gerechtigkeit Gottes in Ihm; um Leben? Er ist mein Leben; um Herrlichkeit? Er sagt: „die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben". Alles, was Er hat, ist unser, ausgenommen Seine Gottheit, an der wir selbstverständlich nicht teilhaben können*). Alles, was Chri­stus besitzt, gehört mir; denn „wer dem Herrn anhängt, ist ein Geist mit ihm". Hiermit konnte sich die Prophezeiung nicht beschäftigen, denn es war ein Geheimnis, das von den Zeitaltern und Geschlechtern her in Gott verborgen war. Jetzt aber hat der Heilige Geist uns mitgeteilt, daß die Versamm­lung in der gegenwärtigen Zeit mit dem zur Rechten Gottes in den Himmeln erhöhten Christus in lebendige Verbindung gebracht ist — Christus, das Haupt, im Himmel, die Versamm­lung, die Glieder, auf der Erde. Die Heiligen des Alten Bundes konnten nicht von einem Menschen im Himmel reden, dessen Glieder sich auf der Erde befanden. Dies hätte gar keinen Sinn für sie gehabt. Christus mußte zuerst von der Erde verworfen sein, ehe man sagen konnte, daß Er Sich als das Haupt im Himmel befinde und Glieder auf der Erde habe. Kehren wir nun zu der Prophezeiung zurück, so sehen wir die Versamm­lung in die Kenntnis darüber eingeführt, was Gott auf Erden zu tun beabsichtigt.

Wenn sich der Geist im zweiten und dritten Kapitel der Offenbarung an die Versammlungen wendet, so redet Er nie von der Gnade, die von dem Haupte zu den Gliedern des Leibes herniederströmt, und selbst wenn uns die Heiligen droben gezeigt werden, sehen wir sie nicht als einen Leib, sondern als einzelne Anbeter, als Könige und Priester Gottes, die einen Gegenstand der Anbetung im Himmel haben. Der Heilige Geist spricht in diesen Sendschreiben in der Tat nicht von der Versammlung als dem Leibe Christi, sondern Er redet

*) Moralisch sind wir allerdings Teilhaber der gottlichen Natur geworden, um fähig zu sein, uns völlig in Gott zu freuen.


von gewissen Gemeinschaften, die sich in gewissen Umstän­den hienieden befinden. Er betrachtet sie nicht als die Glieder eines Leibes, noch spricht Er von der lebendigen Macht der Gnade, die hienieden wirkt, um Segen hervorzubringen, son­dern von dem Verhalten derer, welche, nachdem sie in diese Stellung der Segnung versetzt worden waren, die Vorzüge jener Gnade genossen hatten. Es handelt sich nicht darum, was die Kirche oder Versammlung ist, sondern um das, was sie getan hat; nicht um ihre Stellung in der Gnade, in die sie die Macht des Heiligen Geistes versetzt hat, (denn der Heilige Geist erscheint nicht als in ihnen wohnend oder wirkend) son­dern um ihre Verantwortlichkeit. Es findet sich daher, wie ich bereits bemerkte, in diesem Buch nirgends die Liebe des Vaters zu den Kindern, auch nicht der Heilige Geist als die Seele (wenn ich so sagen darf) des Leibes, die den Leib mit dem Haupte verbindet, noch die Macht der Gnade, deren Endresul­tat die Hochzeit des Lammes ist. Wir sehen vielmehr die Ver­sammlung in einem gegebenen Zustande auf der Erde, dem Gericht unterworfen. Von einer Einheit mit Christo ist hier gar nicht die Rede. Was wir finden, ist die Mitteilung davon, was Christus einem jeden der besprochenen Zustände gegen­über ist — Sein Urteil über das, was Er sieht und offenbar macht. Halten wir dies fest, so ist der Inhalt der Sendschreiben einfach und leicht zu verstehen und er ist als Warnung voll Nutzen für unsere Seelen. Die Worte, mit denen das ganze Buch eingeleitet wird, sind überaus köstlich und lehrreich für uns: „Offenbarung Jesu Christi, welche Gott ihm gab, um seinen Knechten zu zeigen, was bald geschehen muß" (V. i). Hier ist es augenscheinlich nicht Christus im Himmel, als das Haupt, noch der Heilige Geist, der in den Gliedern zur Auf­erbauung des Leibes wirkt. Dieses Verhältnis und diese Stel­lung werden in den Episteln klar dargelegt. Hier ist es die Offenbarung, die Gott Christo gab, um Seinen Knechten (nicht den Söhnen) zu zeigen, was bald geschehen muß. Desgleichen bringt hier der Heilige Geist nicht, wie in dem Brief an die Epheser, den Kindern und der Braut Belehrung von oben, oder Er macht sie mit ihrer Verbindung mit dem Vater und dem Bräutigam bekannt, sondern es ist eine Offenbarung an Knechte und über Dinge, die bald auf Erden geschehen sollen; „und durch seinen Engel sendend, hat er es seinem Knechte

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Johannes gezeigt, . . ." Der Dienst der Engel tritt auf diese Weise hinzu und zeigt uns den prophetischen Charakter der Stelle. Beachten wir ferner, daß wir hier nicht die Entfaltung der Reichtümer Christi durch den Heiligen Geist haben, son­dern eine Botschaft durch einen Engel.

„der bezeugt hat" — nicht die Gemeinschaft mit Christo, noch die Fülle Christi — sondern „das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu Christi" (V. 2). Das Zeugnis Jesu Christi ist nicht Seine Fülle, sondern Sein Urteil über andere Gegen­stände. Somit werden uns Ereignisse auf der Erde vor Augen geführt, und diese sind nie die Fülle Christi im Himmel, was wir stets festhalten müssen. Der dritte Vers enthält die Ver­heißung des Segens für alle, welche die Worte der Weis­sagung lesen und hören.

„Gnade euch und Friede von dem, der da ist, und der da war, und der da kommt, und von den sieben Geistern, die vor seinem Throne sind" (V. 4). Die Gnade und der Friede kom­men hier nicht von dem Vater und Seinem Sohne, sondern von Jehova. Der Gruß ist, besonders was den Heiligen Geist betrifft, nicht derselbe wie in 2. Kor 15, 15, wiewohl die sieben Geister ohne Zweifel auf den Heiligen Geist anspielen, indem die Zahl sieben das Symbol der Vollkommenheit in ihrer vielseitigen Macht ist. Der hier dem Geiste gegebene Titel steht in Verbindung mit der Macht und Einsicht, die sich bei der Regierung der Erde kundgeben (vgl. Kap. 5, 6).

„und von Jesu Christo, welcher der treue Zeuge ist, der Erstgeborene der Toten und der Fürst der Könige der Erde" (Vers 5). Christus wird zuletzt erwähnt, um zu zeigen, wie Er hier ganz und gar in Verbindung mit der Regierung der Erde erscheint. Er ist „der treue Zeuge", welcher, als Er auf Erden war, ohne je zu fehlen, geoffenbart hat, was Gott und was die ganze Wahrheit ist. „Der Erstgeborene der Toten" — das ist die Macht der Auferstehung „aus den Toten" hienieden. „Der Fürst der Könige der Erde" — Sein Platz in Macht über jegliche Herrschaft hienieden, ein Platz, den Er noch nicht tatsächlich in Besitz genommen hat. Er wild hier nicht „der Sohn des Vaters" genannt, noch als das Haupt des Leibes, der Versammlung, oder als das Lamm inmitten des Thrones eingerührt; Sein Titel ist: Fürst der Könige der Erde,

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woraus wiederum hervorgeht, daß es sich nur um Seine Ver­bindung mit der Erde handelt.

Aber es ist bemerkenswert, daß, sobald Christus genannt wird, die Versammlung ihrer Freude über ihre persönliche Verbindung mit Ihm einen lauten Ausdruck gibt. „Dem, der uns liebt und uns von unseren Sünden gewaschen hat in seinem Blute und uns gemacht hat zu einem Königtum, zu Priestern seinem Gott und Vater". Dies kann nicht anders sein; mag der Gegenstand, um den es sich handelt, sein, wel­cher er will, Christus ist und bleibt stets unser Christus, mit Dem wir in lebendiger Weise verbunden sind, und unmöglich kann Sein Name ausgesprochen werden, ohne die Antwort der Seele wachzurufen, indem sie anerkennt, was Er für sie ist. Selbst wenn ich an das Gericht und an Ihn als den Richter denke, sage ich: „Ich bin mit Ihm verbunden"; in allem ist Er mein Christus. Etwas ähnliches können wir in dem natürlichen Leben beobachten. Wenn die Frau eines hochgestellten Mannes ihren Gatten kommen sieht, wird sie unwillkürlich ausrufen:

„Da kommt mein Mann", da ihr Verhältnis zu ihm ihre Ge­danken zunächst beschäftigt. Ebenso ist es mit der Versamm­lung Christo gegenüber, unter welchem Charakter Er auch ge­offenbart werden mag. Sobald Er am Schluß des prophetischen Teiles des Buches sagt: „Ich bin . . . der glänzende Morgen­stern", antwortet die Versammlung alsbald in Übereinstim­mung mit ihrer Hoffnung auf Ihn: „Komm1." „Der Geist und die Braut sagen: Komm!" So sollte Christus stets der Gegen­stand aller Gedanken und Zuneigungen unserer Herzen sein. Gerade das ist es, was jedem Zeugnis bezüglich Seiner Person, jedem Teil Seiner Herrlichkeit seinen Wert für uns verleiht. Alles, was Ihn angeht, geht auch mich an, was auch direkt der Gegenstand sein mag, um den es sich handelt. Ist mein Herz mit Christo, dem Besitzer der zukünftigen Herrlichkeit, be­schäftigt, so wäre selbst die Herrlichkeit in meinen Augen nichts, wenn ich Ihn nicht dort fände. Ich bedarf stets etwas, was Christum angeht; und weil es Ihn angeht, so muß es not­wendigerweise auch mich angehen. Allerdings ist es völlig wahr, daß unter den Gegenständen, die mit dem Herrn in Ver­bindung stehen, die einen anziehender für uns sind als die anderen, und zwar in dem Maße, als sie uns in eine innigere Verbindung mit Ihm bringen.

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Die Krone Jesu wird an jenem Tage aus vielen Diademen bestehen, und jedes Diadem wird, wenn auch nicht getragen im Blick auf die Versammlung, sondern auf andere, die den gesegneten Folgen Seines Werkes teilhaftig geworden sind, einen Teil unserer Freude bilden, weil es zu Seiner Herrlichkeit gehört: Denn der Gedanke, Er könnte einen Teil Seiner Krone und Seiner Herrlichkeit verlieren, würde uns unglücklich machen. Unsere Freude besteht nicht nur in dem Bewußtsein unserer persönlichen Errettung, ebensowenig wie diese das Ende unserer Freude bildet. Sie ist, Gott sei Dank! ihr Anfang;

aber dennoch gibt es nichts, was in den Augen eines Gläu­bigen je seinen Wert verlieren könnte, wenn er es, so wenig es auch auf seine Errettung Bezug haben mag, in Verbindung mit der Herrlichkeit Christi betrachtet. Dies zeigt sich am deut­lichsten an dem Sterbebett eines Christen. Wenn Christus Selbst die Freude des Sterbenden gewesen ist, so wird alles, was Christo angehört, kostbar für ihn sein. War aber die Seele bloß mit dem Werke Christi, durch das ihr das Heil gebracht Wurde, beschäftigt, so wird sie wohl Frieden haben, weil sie die Errettung kennt, allein sie wird jene innere, stets spru­delnde Quelle der Freude nicht besitzen, die sich da vorfindet, wo die Person Christi der Gegenstand der Liebe geworden ist, und wo die Seele mit Ihm beschäftigt ist. Denn wenn Chri­stus der persönliche Gegenstand der Seele ist, so genießt sie eine Freude, die das bloße Bewußtsein der Errettung, so ge­segnet dies auch ist, nicht ohne Unterbrechung zu geben ver­mag. Erfüllt Er mein Herz, so werde ich nicht nur wegen meiner Errettung glücklich sein, sondern der Gedanke an Ihn, zu dem ich gehe, wird in mir eine stete, unaussprechliche Freude hervorrufen. Wohl ist es wahr, daß ich in den Himmel gehe, aber nur der Gedanke, daß Christus Sich dort befindet, macht den Himmel zu einem Himmel für meine Seele. Ich gehe zu Ihm, Den ich hienieden geliebt habe, um allezeit bei Ihm im Himmel zu sein; so wird es stets in der Schrift ausgedrückt. Der Apostel wünscht, „abzuscheiden und bei Christo zu sein".

Die Versammlung nimmt in der Offenbarung von Anfang an einen besonderen Platz ein; ihr priesterlicher Platz ist in den Himmeln (außerhalb des Wirkungskreises dieses Buches, oder vielmehr innerhalb des Vorhangs) droben, an dem Orte,

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woher das Buch gekommen ist. Dementsprechend sind die Ge­danken der Versammlung, wie sie sie in Vers 5, als auf dieser Erde befindlich, ausspricht: „Dem, der uns liebt". Es handelt sich durchaus nicht mehr um Gericht: „Er liebt uns". Ebenso­wenig herrscht irgendwelche Ungewißheit hinsichtlich ihres Zustandes: „Er hat uns von unseren Sünden gewaschen in seinem Blute". Sobald der prophetische Teil des Buches be­ginnt, ist nicht mehr von dem Platz des Gläubigen die Rede. Christus ist gestorben und wieder auferstanden „und hat uns zu einem Königtum, zu Priestern seinem Gott und Vater ge­macht"; und diese Titel besitzen wir, ohne daß unsere Ver­antwortlichkeit sie in Frage stellen könnte. Wohl stehen wir unter Verantwortlichkeit, allein Jesus hat uns gewaschen, und wir sind uns des Platzes, in den Er uns gebracht hat, wohl bewußt, da wir die Antwort des Herzens, in dem der Heilige Geist wohnt, besitzen.

Der Platz der Versammlung wird unzweifelhaft festgestellt, ehe irgend etwas anderes geoffenbart wird. Derselbe Grund­satz tritt in Eph i noch klarer ans Licht. Zu allererst wird dort die Versammlung in die gleiche Stellung der Annehmlichkeit vor Gott gebracht, in der sich der Herr Jesus Christus Selbst befindet, und dann erst wird ihr das „Geheimnis seines Wil­lens" geoffenbart. Das ist nicht Weissagung, sondern wir sehen die Versammlung versetzt in dieselbe Stellung wie Christus, damit sie der Abglanz Seiner Herrlichkeit sei. Nachdem Gott sie zuerst „begnadigt hat in dem Geliebten", führt Er sie nach dem überströmenden Reichtum Seiner Gnade in alle Weisheit und Einsicht ein, damit sie das Geheimnis Seiner Gedanken und Ratschlüsse hinsichtlich der Herrlichkeit Christi erkenne, „alles unter ein Haupt zusammenzubringen in dem Christus, das, was in den Himmeln und das, was auf der Erde ist.

Nachdem der Heilige Geist das Ganze mit einem Amen ge­schlossen hat, beginnt Er mit der Erde und redet von der Wir­kung der Erscheinung Christi auf ihre Bewohner. „Siehe, er kommt mit den Wolken, und jedes Auge wird ihn sehen, . . . und wehklagen werden seinetwegen alle Stämme des Landes". Nicht so die Versammlung. Sie wird nicht wehklagen, wenn sie Christum sieht. Wie wird im Gegenteil das Angesicht eines

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jeden Gläubigen strahlen, wenn wir Ihn zum ersten Mal er­blicken werden! Allerdings kann, wenn unser Herz nicht in warmer Liebe zu Jesu schlägt, der Gedanke, Ihm entgegen­gerückt zu werden, keine Ursache zu einer gegenwärtigen Freude bilden; und hier möchte ich fragen: Ist irgend etwas bei dir vorhanden, das den Wunsch rege macht, der Herr möchte noch verziehen? Sind irgendwelche natürlichen Ge­fühle und Zuneigungen da, die zwischen dich und Christum getreten sind und dein Auge und Herz von Ihm abwenden? Ist das Herz in Wahrheit auf Christum gerichtet, und fühlen wir, was es ist, sich in einer solchen Welt — der Mühsal nicht nur, sondern der Sünde — zu befinden, welch ein Gedanke muß es dann sein, fern von ihr bei Christo zu weilen! Sicher­lich gibt es in dem Herzen des Gläubigen keine einzige Saite, die nicht in völlig entgegengesetzter Weise erklingt, gegen­über den Gefühlen solcher, die wehklagen werden, wenn sie Ihn sehen. Aber dennoch ist die bestimmte Hoffnung und die Freude, Ihn zu sehen und bei Ihm zu sein, eine weit reichere und bleibendere Quelle der Glückseligkeit, als die Errettung selbst. Wenn ich sage: „jedes Auge wird ihn sehen", so kann es für die arme Welt nur Wehklagen geben; sage ich aber-„mein Auge wird ihn sehen", so hüpft mein Herz vor Freude, anstatt zu wehklagen. Erwarte ich etwa, bloß vor den Gerich­ten bewahrt zu werden? Hat Christus nicht gesagt: „Ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten", — und „ich komme wieder und werde euch zu mir nehmen?" oder mit anderen Worten:

„Diese Welt ist nicht gut genug für euch. Ich kann nicht hier bei euch bleiben, wo alles den Stempel der Sünde und des Elends trägt; wenn aber die Stätte bereitet ist, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, auf daß, wo ich bin, auch ihr seid". Welch ein unermeßlicher Unterschied besteht zwischen diesen beiden Seiten der Ankunft des Herrn!

In Vers 8 geht der Geist auf die Herrlichkeit der Person des Herrn Selbst über: „Ich bin das Alpha und das Omega, spricht der Herr, Gott, der da ist, und der da war, und der da kommt, der Allmächtige". Es ist hier nicht der Vater. Wie ganz anders ist es, das zu erwarten, was der Allmächtige auf der Erde tun wird, oder in das Vaterhaus entrückt zu werden und von dem zu reden, was der Vater dort für uns ist.

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Gott hat Sich dem Menschen unter drei großen Namen geoffenbart; zunächst dem Abraham in 1. Mo 17 mit den Worten: „Ich bin Gott, der Allmächtige, (El Shaddai) wandle vor meinem Angesicht und sei vollkommen". Gott sagte Sei­nem treuen Knecht gleichsam: Ich bin der Allmächtige, darum vertraue du auf mich. Der Ausdruck „Vollkommenheit" ent­spricht dem Charakter, in dem Gott Sich uns geoffenbart hat. Sobald Gott mit Israel in Verbindung tritt, nimmt Er einen anderen Namen an. Im zweiten Buch Mose offenbart Er Sich ihnen als Jehova, der ewig Seiende, der im Begriff steht, alle Seine Verheißungen zu erfüllen. Den Heiligen der Jetztzeit offenbart Er Sich als Vater. Sie werden mit dem allmächtigen und ewigen Jehova in Verbindung gebracht und in das Ver­hältnis von Kindern zu dem Vater versetzt, und zwar im Ge­nuß des ewigen Lebens, das ihnen mitgeteilt ist. „Ich werde euch zum Vater sein . . . spricht der Herr, der Allmächtige". Dieser Offenbarung können wir nur durch den Geist der Kindschaft begegnen, indem wir wirklich Kinder sind und die Natur und den Geist Dessen besitzen. Der unser Vater ist. Darum wird nicht gesagt: „Du sollst vollkommen sein gegen Jehova, deinen Gott" (5. Mo 18, 13), wie einst in Verbindung mit den Titeln Allmächtiger und Jehova; sondern, nachdem Christus den Namen des Vaters geoffenbart hat, heißt es: „Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater voll­kommen ist" (Mt 5, 48). Wir vertrauen Ihm nicht als Fremde, sondern wir wandeln mit Ihm und gleich Ihm als Kinder. Wir kennen Den als Vater, Der der Allmächtige ist, und Christus sagt: „Dies aber ist das ewige Leben, daß sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesum Christum, er­kennen". Und wiederum: „Wer mich gesehen, hat den Vater gesehen"; und wiederum: „jeder, der euch tötet, wird meinen, Gott einen Dienst darzubringen. Und dies werden sie tun, weil sie weder den Vater noch mich erkannt haben". Sie glauben, Gott zu dienen, indem sie Seine Kinder töten; aber sie kennen weder den Vater, noch den Sohn. Wir haben bereits bemerkt, daß Gott unter dem Titel „Vater" in der Offenbarung nicht erscheint, sondern als der Allmächtige und als Jehova.

In den Versen 9-15 tritt uns aufs neue der Charakter ent­gegen, mit dem Christus Sich sowohl in Verbindung mit den sieben Versammlungen, als auch mit der Welt bekleidet. Er

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erscheint nicht als das Haupt des Leibes, oder als die Quelle der Gnade für Seine Glieder hienieden, sondern als einer, der inmitten einer Körperschaft wandelt, die sich außer Ihm befin­det, über deren äußeren Zustand Er Sein Urteil ausspricht. In Vers 14 sehen wir, daß Christus, wiewohl Er hier als Sohn des Menschen geoffenbart wird, zugleich auch Jehova ist und alle Charakterzüge des Alten an Tagen in Daniel 7 trägt. „Sein Haupt aber und seine Haare weiß, wie weiße Wolle". In Daniel 7 wird der Sohn des Menschen vor den Alten der Tage gebracht. Hier erscheint Er Selbst als der Alte an Tagen*):

„Seine Augen wie eine Feuerflamme", um in das Herz einzu­dringen und alles darin richten zu können. „Gott ist ein ver­zehrendes Feuer". Und aus Seinem Munde ging hervor ein scharfes, zweischneidiges Schwert" — das Schwert des Gerichts, das andeutet, daß Er alle Autorität besitzt.

„Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot. Und er legte seine Rechte auf mich und sprach: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige, und ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit" (V. 17. 18). Es ist außerordentlich ermutigend für die Seele, zu wissen, daß Er, das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, außer Dem es keinen Gott gibt. Derselbe ist. Der Sich um meiner Sünden willen unter die Macht des Todes begab und, indem Er ohne sie wieder auferstand, nicht nur für immer jede Sünde hinwegtat, sondern mich auch von dem befreite, welcher (und zwar mit Recht) die Macht des Todes besaß, d. h. vom Teufel, und mich in die Gegenwart Gottes Selbst einführte. Er „hat einmal für Sünden gelitten, der Ge­rechte für die Ungerechten, auf daß er uns zu Gott führe". Das ist es auch, was der Seele einen so festen Frieden gibt; denn wenn ich zu Gott gekommen bin, habe ich nichts mehr zu suchen: „Wer mich gesehen, hat den Vater gesehen". Wenn meine Seele den am Kreuz für meine Sünden sterbenden Chri­stus gesehen hat, dann bin ich Gott dort hinsichtlich der feier­lichen Frage des Gerichts begegnet; ich bin zu Gott gekommen durch einen gestorbenen und auferstandenen Christus, und eben dadurch, daß ich zu Gott Selbst gekommen bin, habe ich

*) Auch in Dan 7 scheint Vers 22 anzudeuten, daß der Sohn des Menschen Selbst der Alte an Tagen ist

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alles empfangen, was Erde oder Himmel mir geben können. Denn dieser Sanftmütige und von Herzen Demütige, Der Sich wie ein Lamm zur Schlachtbank führen ließ, ist gerade der Gott, zu Dem ich gebracht worden bin, und zwar ohne den geringsten Flecken von Sünde, der mich in Seiner Gegenwart beschämen könnte. Ich stehe daher vor Ihm in vollkommener Liebe, da jede Ursache zur Furcht beseitigt ist; und Er lebt, um Sich uns in der Kraft eines unauflöslichen Lebens zu offenbaren.

Kehren wir jetzt zum prophetischen Teil unseres Buches zu­rück, so finden wir in Vers 19 in bestimmten Ausdrücken die höchst wichtige Einteilung der Offenbarung in drei große Abschnitte. „Schreibe nun, 1. was du gesehen hast" — d. h. Christus, inmitten der Leuchter wandelnd; 2. „was ist" — der zeitliche oder äußere Zustand der Versammlungen oder der be­kennenden Kirche auf der Erde, nicht aber der ewige Zustand und die unveränderlichen Vorrechte der Versammlung als Leib Christi; 3. „was geschehen wird nach diesem" — die prophe­tischen Dinge, die Schlußereignisse im Blick auf diese Welt.

Das vierte Kapitel zeigt uns die Versammlung im Himmel. Den Ausdruck „was ist" beziehe ich durchaus nicht (aus dem einfachen Grunde, weil die Schrift es nicht tut) auf den ewigen Zustand der Versammlung in ihrer Einheit mit Christo, als ihrem Haupt in Gnade — sondern auf den zeitlichen, äußeren Zustand der Versammlung, als betrachtet in ihrer Verantwort­lichkeit hienieden während einer bestimmten Periode, und zwar wird dieser zeitliche, äußere Zustand in den sieben Ver­sammlungen gerichtet. Ich wiederhole nochmals, es handelt sich hier nicht um unsere geistlichen Segnungen in den himm­lischen Örtern in Christo, sondern um etwas, das außerhalb Christi auf der Erde ist, und in dessen Mitte Er wandelt. Auf der Erde bedarf Er eines Leuchters, eines Lichtes; nicht aber im Himmel, dort ist kein Leuchter, kein Lichtträger nötig, „denn die Herrlichkeit Gottes hat sie erleuchtet und ihre Lampe ist das Lamm" (Kap. 21, 25). Auf Erden sind jedoch Lichtträger nötig, und deshalb werden die sieben Versammlungen mit Leuchtern verglichen; sie sollen „das Licht der Welt" sein. Sie werden vom Himmel her erleuchtet, um auf der Erde, in den dunklen Örtern hienieden. Licht auszustrahlen, um ein Zeug

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nis für Christum zu sein, während Er abwesend im Himmel, in Gott verborgen ist. Und um diese Lichtträger zu prüfen, wandelt Christus als der Sohn des Menschen inmitten der Leuchter. Wohl ist es wahr, daß unser Leben mit Christo in Gott verborgen ist; aber während wir auf der Erde wandeln, sollen wir als Lichter in der Welt scheinen und das offenbaren, was der Himmel hervorzubringen vermag, nämlich im Himmel zu leben, während man noch auf der Erde wandelt, so wie Jesus von Sich Selbst sagte, als Er hienieden war: „Der Sohn des Menschen, der im Himmel ist".

„Das Geheimnis der sieben Sterne" (V. 20) erweckt den Gedanken an Macht, d. h. an eine untergeordnete Macht, wäh­rend „die Engel"*) die symbolischen Stellvertreter der Versammlungen vorstellen. In der ganzen Heiligen Schrift wird eine höhere Macht durch die Sonne, eine untergeordnete Macht durch die Sterne symbolisch dargestellt. Der Engel von irgend etwas bezeichnet den Stellvertreter dessen, was nicht selbst gegenwärtig ist. Dies ist auch der Fall mit dem Engel Jehovas. Als Petrus nach seiner wunderbaren Befreiung am Tore des Hauses der Maria klopfte, sprachen die, welche dort versammelt waren: „Es ist sein Engel" (Apg 12), und von den Kindern sagt der Herr Selbst: „Ich sage euch, daß ihre Engel in den Himmeln allezeit das Angesicht meines Vaters schauen" (Mt 18, 10). Ferner nannte Jakob den Ort, an dem er mit dem Engel gerungen hatte, Pniel (Antlitz Gottes), „denn ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen" (1. Mo 32); und in 2. Mose 3, 2 lesen wir, daß „der Engel Jehovas" dem Mose in einer Feuerflamme mitten aus einem Dornbusch erschien, während es nachher, als er hinzutrat, um das große Gesicht zu sehen, heißt: „Und als Jehova sah, daß er herzutrat, da rief ihm Gott mitten aus dem Dombusch usw." In ähnlicher Weise bilden hier die Engel die Repräsentanten der sieben Versammlungen. Anstatt von Christo als dem Haupt des Leibes zu reden, stellt der Heilige Geist in der Offenbarung

*) Man hat gedacht, dieses Wort sei mit Bezugnahme auf den Engel der Synagoge gebraucht und bezeichne dahei den Bischor oder Haupt»Altesten Allein der Engel der Synagoge war keineswegs ihr Leiter, sondern ein Vorleser Es ist möglich, daß zur Zeit, als die Offenbarung geschrieben wurde, der Alteste oder der hervorragendste unter den Altesten eine Art von Vorsitz führte. Aber wenn dies auch wirklich der Fall war und ]ener Alteste dadurch verantwortlich wurde, so beweist doch schon der Gebrauch des Namens „Engel", daß wir es hier mit etwas anderein zu tun haben. Nimmer wurde der Herr in der Schritt einen ''olchen kirchlichen Titel anerkennen

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die Verantwortlichkeit in den Vordergrund, welcher der Leib in seinem zeitlichen Zustand unterworfen ist, sowie ein ge­wisses Verhalten, das der Herr als Folge der empfangenen Vorrechte erwartet. Auch handelt es sich nicht um die Mit­teilung dieser Vorrechte, sondern um den Gebrauch, den die Kirche von ihnen gemacht hat. Keine der sieben Versammlungen ist demzufolge an und für sich ein Werk Gottes. Was hier stattfindet, ist eine richterliche Untersuchung, und ich brauche kaum zu sagen, daß Gott nicht Sein eigenes Werk einer Be­urteilung unterzieht, sondern Er richtet den Menschen auf dem Boden der Verantwortlichkeit nach dem, was er durch jenes Werk empfangen hat.

Wenn die Schrift von der Versammlung Gottes redet, so geschieht es in ganz bestimmter und unterschiedlicher Weise. Die Leiden Christi und die Herrlichkeiten danach bildeten das Zeugnis der Propheten, ehe der Heilige Geist herniedergesandt wurde. Als Christus auf der Erde war, sagte Er: „Auf diesen Felsen werde ich meine Versammlung bauen"; sie war noch nicht gebildet. Christus konnte nicht eher das Haupt im Him­mel sein, bis die Erlösung vollbracht war; ich spreche hier selbstverständlich nicht von der Errettung einzelner, sondern von dem Leibe Christi. Die Geschichte des Stephanus führt uns einen Schritt weiter- ein Mensch auf der Erde, erfüllt mit dem Heiligen Geiste, sieht den Himmel geöffnet und den Sohn des Menschen zur Rechten Gottes stehen. Das Gesicht, das Paulus auf dem Wege nach Damaskus sieht, zeigt uns noch mehr, es offenbart innere Einheit mit Christo. Alle wahren Christen sind Seine Glieder, und dies nicht nur, weil sie Teil­haber Seiner, der göttlichen Natur sind, sondern weil dieselbe Macht, die Ihn auferweckte, auch sie auferweckt, und weil der Heilige Geist sie mit Ihm, dem Haupte, vereinigt hat. Der Herr fragt den erschreckten Saulus: „Was verfolgst du mich?" Wenn meine Hand verwundet ist, dann sage ich: Ich bin ver­wundet; denn meine Hand bildet einen Teil von mir. Außer­dem aber gibt es noch einen anderen Charakter, den dieser Leib naturgemäß hat; er wird „mitaufgebaut zu einer Behau­sung Gottes im Geiste". Da nun die Versammlung der Platz ist, wo Gott wohnt, und sie auf der Erde zur Offenbarung Seiner Herrlichkeit dienen soll, so kommt Gott, um zu unter­suchen, welche Frucht diese Vorrechte in den Händen des Men-

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sehen hervorgebracht haben. Es handelt sich hier also nicht um die Tatsache, daß der Heilige Geist in der Kirche wohnt, son­dern um den Gebrauch, den die Menschen davon gemacht haben.

Es gibt zwei Grundsätze, nach denen Gott stets Sein Volk richtet. Erstens: Der ursprüngliche Zustand des Volkes, die Segnung, mit der Er begonnen, die Stellung, von welcher Sein Volk abgewichen ist. Zweitens: das Ziel, nach dem Seine Wege führten — die Hoffnung, die Er Seinem Volk vor Augen ge­stellt hat — und die Fähigkeit des Volkes zum Genuß der Segnung, mit der Er ihm am Ende, bei der Offenbarung Seiner Gegenwart, begegnen will. Zur Erläuterung dieses Grund­satzes führe ich als Beispiel das Volk Israel an. In Jesaja 5 sagt Gott: „Was war noch an meinem Weinberge zu tun, das ich nicht an ihm getan hätte?" In Kapitel 6 aber beweist die Offenbarung der Herrlichkeit Jehovas, daß der Zustand des Volkes nicht nur der ihm im Anfang verliehenen Segnungen nicht entsprach (denn Jesaja sagt- „Inmitten eines Volkes von unreinen Lippen wohne ich"), sondern daß er auch nicht für die Herrlichkeit paßte, auf die Jehova ihre Blicke und ihre Erwartung gerichtet hatte. Während der Oberrest nach der Wahl der Gnade zu jeder Zeit bewahrt wird, fällt der übrige Teil des Volkes dem Gerichte anheim. Wenden wir uns jetzt zu der Versammlung zurück, so sehen wir, daß der Herr zu­nächst die Vorrechte, die Er gegeben hat, berührt und dann fragt, ob der Wandel den Vorrechten entsprochen habe. Er richtet gleichsam die Frage an die Versammlung zu Ephesus:

Hast du deine erste Liebe verlassen? Und da die Antwort leider bejahend lautet, so fährt Er fort: „Gedenke nun, wovon du gefallen bist". „Ich habe euch geliebt und mich selbst für euch dahingegeben", das war das wahre Maß der Liebe zu Ihm, in welchem sie hätte wandeln sollen, als die Versamm­lung Gottes, die Er Sich erworben hat „durch das Blut seines Eigenen", und die zu allem heiligen Wandel unter den Schutz des Blutes gestellt ist, wie wir dies vorbildlich in den Priestern des alten Bundes sehen. Das Blut wurde auf die Hand, den Fuß und das Ohr des Aussätzigen sowohl wie des Priesters getan (zur Reinigung des einen und zur Einweihung des ande­ren; vgl, 2. Mo 29; 5. Mo 14) so daß nichts gestattet werden durfte, was dieses Blut verunehren konnte. So sind auch wir

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unter den Schutz des Blutes gekommen, und jetzt entsteht die Frage: Haben wir diesem Blute, das auf uns gebracht worden ist, entsprechend gehandelt? Ist in Gesinnung, Tat oder Wan­del nichts vorgekommen, was nicht Gott gemäß war? Der Herr übt stets Gericht in einer Versammlung aus, obwohl Er sie lange Zeit in Geduld trägt. Er erwies dem Volke Israel Seine Langmut länger als siebenhundert Jahre, nachdem das Gericht durch den Mund Jesajas angekündigt worden war; aber ob­wohl Gott den Fehltritten Seines Volkes gegenüber sehr ge­duldig ist, so kann Er doch den Maßstab der Ansprüche Seiner ersten Segnung nie verringern.

Zu Sardes sagt der Herr: „Ich habe deine Werke nicht völlig erfunden vor meinem Gott"; doch wie tief war es gefallen! Wir können uns vor dem Herrn wegen unserer Fehltritte de­mütigen und werden dann stets jene Gnade finden, die uns wieder aufrichtet; aber Gott erniedrigt niemals den Maßstab dessen, was in uns hervorgebracht werden sollte, und wir selbst werden dies nicht wünschen. Es kann nicht der Wunsch eines wahren Gläubigen sein, daß Gott den Maßstab Seiner Heiligkeit verringere, um dadurch imstande zu sein, uns in den Himmel einzuführen.

Durch die Gnade kann ich in bezug auf die Versammlung Gottes nichts annehmen, was hinter dem Gemälde, das Gott zuerst von ihr gegeben hat, zurückstände. Nehmen wir z. B. den Menschen als solchen; er hat die Unschuld verloren; des­sen ungeachtet kann ich im Blick auf ihn keinen niedrigeren Standpunkt oder Maßstab annehmen, als wo Sünde ganz ab­wesend ist. Und dies ist noch nicht alles. Gott stellt jetzt einen noch köstlicheren Gegenstand der Wünsche vor mein Herz, in dem Er das, was verlorengegangen ist, ersetzt, und zwar durch die vollkommene Offenbarung Seiner Selbst, Seiner eigenen Herrlichkeit in Seinem Volke. Der Gläubige soll daher seinen Zustand nicht mit dem Zustand des ersten gefallenen Adam, noch mit dem ersten Zustand der Versammlung messen, son­dern mit Christo Selbst, Dem er begegnen wird.

Wir haben also gesehen, daß Gott einerseits den Abstand, die Entfernung von der ersten Stellung des Segens richtet und andererseits erforscht, inwieweit die Versammlung der Fülle des Segens, zu der Gott sie beruft, entsprochen hat. Gott

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richtet und beurteilt uns gemäß unserer vergangenen und unserer zukünftigen Segnung. Daher finden wir in all den Sendschreiben an die Versammlungen zunächst ihren Abstand, ihr Fernsein von den ursprünglichen Segnungen, und dann wird untersucht, inwieweit ihr gegenwärtiger Zustand der Segnung entspricht, zu der sie berufen sind und die von Gott verheißen wird. Paulus konnte sagen: „Vergessend was da­hinten, und mich ausstreckend nach dem, was vorn ist, jage ich, das Ziel anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christo Jesu". Wenn jemand dieses sagen kann, dann hat er ein gutes und glückliches Gewissen vor Gott, im Blick auf die vor ihm liegende Herrlichkeit. Möchte es jeder Gläubige mit Ernst bedenken, daß sein Standpunkt ein falscher und seine Neigungen nicht die richtigen sind, sobald er etwas anderes tut, als dem Christus der Herrlichkeit nach­zufolgen, Der vor das Auge seines Herzens gestellt ist. Wir wissen, daß die Versammlung ihre erste Liebe verlassen hat. Möchten wir daher stets eingedenk sein, daß Gott, so geduldig und langmütig Er ist, niemals Seinen Maßstab niedriger stellen kann, und daß es deshalb unser Teil ist, „Buße zu tun". Gnade genug ist vorhanden, um aufzurichten und wiederher­zustellen; allein mein Gewissen würde nicht glücklich sein, wenn Gott die Züge des Bildes, das Er mir von der Versamm­lung gegeben hat, irgendwie schwächte.

Der Mensch hat seine Unschuld verloren; das Kreuz hat jedoch Erlösung und Segnung gebracht, und obwohl ich das herrliche Resultat dieser Erlösung noch nicht erreicht habe, wie es sich in der Herrlichkeit Dessen, Der sie vollbracht hat, offenbaren wird, so „jage ich doch hin nach dem Kampfpreis", so nur kann mein Gewissen glücklich sein. Wäre der Gedanke an das Kommen des Herrn, um uns in die Herrlichkeit ein­zuführen, recht lebendig in uns, wie vieles würde dann ver­schwinden! Stände die Hoffnung Seiner Ankunft stets vor unseren Augen, wie viele Gegenstände, auf die wir jetzt Wert legen, wie viele Sorgen und Kümmernisse, die uns jetzt drük­ken, würden dann wie nichts erscheinen! „Jeder, der diese Hoffnung zu ihm hat, reinigt sich selbst, gleichwie er rein ist". Aber ach! die Versammlung hat ihre erste Liebe verlassen und damit auch ihre Erwartung verloren. Die Hoffnung auf die baldige Ankunft des Herrn bringt Ihn unseren Seelen sehr

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nahe, und die Folge ist, daß wir den Zustand, in dem wir uns befinden, richten. Wir sind berufen, Jesu zu begegnen. Be­finden wir uns in einem Zustand, der uns Seiner Ankunft freudig entgegensehen läßt?

Es gibt außerdem noch eine andere Wahrheit, die ein Be­weggrund zur Heiligkeit in der Versammlung ist: nämlich die Gegenwart des Heiligen Geistes. Es steht geschrieben: „Be­trübet nicht den Heiligen Geist Gottes" — tut nichts, was mit Seiner Gegenwart ebensowenig vereinbar wäre, wie mit der Herrlichkeit, der ihr entgegengeht und von der Er Zeugnis ab­legt. In den drei ersten Sendschreiben wird das Kommen des Herrn gar nicht erwähnt; sobald aber hernach das Böse festen Fuß gefaßt hatte, bildet die Ankunft des Herrn den vorherr­schenden Gedanken. Sie ist unsere Freude und Hoffnung, die uns aufrechthält, wenn alles andere zusammenbricht.

Bevor ich schließe, möchte ich das Gesagte noch einmal kurz zusammenfassen. Das Buch der Offenbarung trägt einen pro­phetischen Charakter. Die Versammlung wird in ihm nicht dargestellt als die Behausung des Heiligen Geistes, der von Christo, als dem Haupt des Leibes, Zeugnis gibt, noch wird der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn Ausdruck gegeben. Alles ist hier richterlich. Christus erscheint zunächst als Richter der Versammlung, betrachtet in ihrer irdischen und nicht in ihrer himmlischen Stellung, und dann als Richter der Welt. Das ganze Buch teilt sich in drei Hauptabschnitte — „was du gesehen hast, was ist, und was geschehen wird nach diesem". Gott richtet auf zweierlei Weise. Er untersucht, ob wir die bereits empfangenen Segnungen benutzen, und dann, ob wir in einer Weise wandeln, die mit der verheißenen Herr­lichkeit im Einklang steht.

Zufolge der Vorrechte, die Er uns mitgeteilt hat, erwartet der Herr durch die Gnade eine Antwort des Herzens auf die Herrlichkeit, zu der Er uns beruft. Da Er uns gesegnet hat, so erwartet Er die Antwort: „Komm, Herr Jesu!" Er sucht die Frucht der Gnade, die Er gegen uns hat überströmen lassen, und unser Teil ist es, zu untersuchen, wozu wir durch diese Gnade berufen sind. Nicht als ob wir es schon ergriffen hätten, sondern in der Kraft eines neuen Lebens eilen wir vorwärts, „vergessend was dahinten ist". Das Herz Gottes ist damit

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beschäftigt, uns zu segnen, und Er erwartet aus unseren Her­zen eine Antwort auf diese Kenntnis von unserer himmlischen Berufung.

Möchten wir daher das genießen, wozu Gott uns in Gemein­schaft mit Seinem Sohn berufen hat! Möchte es auf die Ge­fühle und Zuneigungen unserer Herzen einen so mächtigen Einfluß ausüben, daß wir in Aufrichtigkeit sagen können:

Eines aber tue ich!" Der Herr öffne unsere Augen und erfülle sie mit Seiner Herrlichkeit, damit wir wandeln in der Kraft der Hoffnung, Ihn zu sehen, wie Er ist, und für immer bei Ihm und Ihm gleich zu sein!

Wie wir gesehen haben, ist es der Gedanke und Ratschluß Gottes hinsichtlich der Versammlung, daß sie der Leib Christi sein soll, wenn Er die Herrschaft über alles einnimmt. Gott hat Christum hoch erhoben, „über jedes Fürstentum und jede Gewalt und Kraft und Herrschaft . . . und hat alles Seinen Füßen unterworfen und ihn als Haupt über alles der Ver­sammlung gegeben, welche sein Leib ist", und deshalb „die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt", genannt wird (Eph 1. 21—25). Alle Fülle der Gottheit wohnte in Christo, aber dies ist etwas ganz anderes. Wir sind Seine Fülle, d. h. wir ver­vollständigen oder vollenden den geheimnisvollen Menschen, dessen Haupt Christus ist. In dem zukünftigen Zeitalter wird die Versammlung die Herrlichkeit Christi vervollständigen und entfalten, und dann wird nicht nur Christus im Himmel sein, gekannt von den Gläubigen, sondern Er wird Seinen Platz nehmen als Herrscher über die Erde und über alle Dinge. Es ist ein köstlicher Gedanke, daß nicht bloß Gott als Gott, son­dern daß Christus es ist, der in Erlösung und in Seiner Fülle als Mittler in Gnade und Gerechtigkeit alles erfüllt. „Der hin­abgestiegen ist, ist derselbe, der auch hinaufgestiegen ist über alle Himmel, auf daß er alles erfüllte" (Eph 4, 10). Alles, vom Staube der Erde bis zum Thron Gottes, ist der Schauplatz der Erfüllung der Herrlichkeit Christi gewesen und hat zugleich Zeugnis von dieser Herrlichkeit abgelegt. Wenn Er aber wirk­lich einmal „alles erfüllt" und dies nicht länger nur Gegen­stand des Glaubens ist, so wird Er nicht allein sein, sondern als Haupt des Leibes, der jetzt gebildet wird, die Versammlung an Seiner Herrschaft teilnehmen lassen. An jenem Tage wird

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Ihm alles unterworfen und die Versammlung Ihm zugesellt sein. So war es in Eden: Adam, das Bild des Zukünftigen, war Herr über die ganze Schöpfung; Eva bildete weder einen Teil der Schöpfung, über welche Adam herrschte, noch hatte sie ein eigenes Anrecht auf die Schöpfung, sondern sie war ihrem Mann in der Herrschaft zugesellt. In Epheser 5 wird diese Stellung Evas erwähnt und auf die Versammlung angewendet:

„Dieses Geheimnis ist groß; ich aber sage es in bezug auf Christum und auf die Versammlung".

Christus besitzt jedes Anrecht auf die Herrschaft über alle Dinge (s. Kol i). Da Er Gott ist, sind alle Dinge 'durch Ihn und für Ihn geschaffen. Und beachten wir, daß Er in jenem Kapitel einen doppelten Vorrang hat: Er ist Haupt der Schöpfung, wenn Er als Sohn Seinen Platz in ihr einnimmt — denn Er ist der Schöpfer — und Er ist Haupt der Versammlung, denn „Er ist das Haupt des Leibes, der Versammlung, welcher der Anfang ist, der Erstgeborene aus den Toten, auf daß er in allem den Vorrang habe". Ein zweites Anrecht auf den Vorrang besteht darin, daß Er „der Sohn" ist, und zwar nicht nur als Schöpfer, sondern auch als Erbe. Wir finden diesen Ratschluß und diese Absicht Gottes in betreff Seines Sohnes in Hebr 1. wo wir lesen: „den er gesetzt hat zum Erben aller Dinge". In diesem Kapitel ist der Messias Gegenstand der Betrachtung.

Ein drittes Anrecht auf den Vorrang gibt Christo Seine Stellung als „Mensch". Der Psalm 8, der die Herrlichkeit des tausendjährigen Reiches ankündigt, wird in Hebr 2 durch den Heiligen Geist auf Christum angewandt. „Wir sehen aber Jesum, der ein wenig unter die Engel... erniedrigt war, mit Herr­lichkeit und Ehre gekrönt". „Du hast alles seinen Füßen unter­worfen" (vgl. Eph 1. 22; 1. Kor 15, 27). Die gänzliche Er­füllung dieser Unterwerfung steht freilich noch bevor. Christus hat also, wie wir gesehen haben, Anrecht auf die Herrschaft:

erstens als Schöpfer, denn „durch ihn sind alle Dinge erschaf­fen"; zweitens als Sohn, „den er gesetzt hat zum Erben aller Dinge"; drittens als Mensch, Dessen Füßen nach den Rat­schlüssen Gottes alles unterworfen ist. Er kann aber das Erbe in seinem verunreinigten Zustand nicht antreten, und so hat Er mittels der Erlösung ein viertes Anrecht: Sein Anrecht auf ein erlöstes und gereinigtes Erbteil. In bezug auf uns, die wir

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unter der Sünde waren, entfremdet und Feinde nach der Ge­sinnung in den bösen Werken, handelt es sich nicht nur um Reinigung; auch unsere Schuld ist hinweggetan, und nachdem dies geschehen ist, hat Er uns zu Seinem Leibe gemacht, wie geschrieben steht: „Wir sind Glieder seines Leibes, von sei­nem Fleische und von seinen Gebeinen". Der Heilige Geist kommt hernieder und heiligt uns, damit wir der Leib Christi seien in lebendiger Kraft und in Einheit, denn wir sind mit dem Heiligen Geiste zu einem Leibe getauft (1. Kor 12, 15). Nicht nur wird jede einzelne Seele lebendig gemacht und durch 'den Heiligen Geist versiegelt, sondern die Gläubigen sind in einem Geiste alle zu einem Leibe getauft. Dies nahm am Pfingsttag seinen Anfang, und seitdem war diese Taufe das Teil jedes Gläubigen. Es ist eine wichtige und gesegnete Wahrheit, daß der Heilige Geist, wie sehr wir Ihn auch betrübt haben mögen, doch persönlich in jedem Gläubigen wohnt und ihn zurecht­weist. Auch ist es in bezug auf die Versammlung überaus köstlich, zu wissen, daß der Heilige Geist nicht, wie der Herr Jesus, nur kurze Zeit bei Seinem Volk weilt und dann wieder weggeht. „Er wird euch einen anderen Sachwalter geben, daß er bei euch sei in Ewigkeit". Die bleibende Gegenwart des Heiligen Geistes in der Versammlung ist auf die durch Chri­stum vollbrachte Erlösung gegründet und nicht abhängig von dem Gebrauch, den wir von den erlangten Vorrechten machen;

wohl aber hängt Seine Wirksamkeit von dem guten oder schlechten Gebrauch dieser Vorrechte ab.

Die Versammlung Gottes, die mit Christo vereinigt ist, hat ihren Platz: erstens kraft der Person Christi, zweitens auf Grund der Erlösung durch Christum und drittens durch die Gegenwart des Heiligen Geistes. Hierbei handelt es sich nicht um Prophezeiung, sondern um die Macht der göttlich leben­digen Gnade, welche die Versammlung oder Kirche in die gött­liche Herrlichkeit stellt. Sobald der Heilige Geist die Ver­sammlung also gebildet hat, wird sie hienieden als der Leib Christi behandelt: „aus welchem der ganze Leib, wohl zu­sammengefügt und verbunden durch jedes Gelenk der Dar­reichung, . . . das Wachstum des Leibes bewirkt . . ."Es verhält sich damit, wie mit dem Wachstum eines Kindes; der Leib ist vorhanden und jedes Glied ist an seinem Platz, und das Kind wächst auf zu seinem vollen Wüchse.

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In. den beiden ersten Kapiteln des Briefes an die Epheser wird uns die Versammlung einerseits als der Leib Christi im Himmel, und andererseits als die Wohnung Gottes durch den Geist auf der Erde dargestellt. Dieser zweite Charakter der Versammlung ist bedeutsam. Die Bildung der Versammlung Gottes auf der Erde durch den Heiligen Geist schließt not­wendigerweise ihre Verantwortlichkeit in sich, hienieden die Herrlichkeit Dessen zu offenbaren. Der sie an diesen Platz gestellt hat. Die Verantwortlichkeit verändert nie die Gnade Gottes; aber so lange die Versammlung auf der Erde weilt, ist sie hier für die Verherrlichung ihres abwesenden Hauptes ver­antwortlich — nicht als sei sie unter dem Gesetz — aber sie ist verantwortlich, die Herrlichkeit Dessen darzustellen. Der sie erkauft und in diese Stellung versetzt hat. Sie soll ein Licht sein inmitten der Finsternis — „inmitten eines verdrehten und verkehrten Geschlechts, unter welchem ihr scheinet wie Lichter in der Welt" (Phil 2, 15), „damit ihr die Tugenden dessen ver­kündigt, der euch berufen hat aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht" (1. Petr 2, 9), und wie Paulus in 2. Kor 3 sagt: „die ihr offenbar geworden, daß ihr ein Brief Christi seid . . . gekannt und gelesen von allen Menschen". Es heißt:

„Brief" und nicht „Briefe" Christi. Es ist ein Leib — eine Ab­schrift von Christo. Die Versammlung wurde hingestellt als ein Empfehlungsbrief Christi an alle Menschen, damit sie darin lesen möchten und die Macht der Erlösung und den Charakter Dessen sehen könnten. Der nicht gesehen wird, Der aber durch den Heiligen Geist in der Versammlung wohnt und sie zu einem sichtbaren Zeugen ihres unsichtbaren Haup­tes bildet. Jesus bittet in Joh 17: „auf daß sie alle eins seien". Zu welchem Zweck? „auf daß die Welt glaube, (noch nicht „erkenne", welches die Frucht der Herrlichkeit ist) daß du mich gesandt hast". Das hätte die Wirkung dieser Einheit während der jetzigen Periode sein sollen. Wenn die Versammlung in der Offenbarung der Herrlichkeit bei Christo und Ihm gleich ist, so muß die Welt notwendigerweise erkennen, daß der Vater den Sohn gesandt hat, und nicht allein das, sondern sie wird auch erkennen, daß der Vater uns geliebt hat, wie Er Jesum geliebt hat, indem sie uns mit Jesu in derselben Herr­lichkeit erblickt. Wenn daher die Welt, um zu glauben, die Versammlung als „eins", als den Brief Christi an ihrem Platz

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der Verantwortlichkeit hier sehen soll, so muß dies vor jener herrlichen Zeit geschehen. Die Verantwortlichkeit der Ver­sammlung besteht darin, das Leben des Hauptes im Himmel auf der Erde in Macht zu offenbaren. So sehen wir also, welch ein verantwortlicher Platz es ist, unter der Gnade zu sein;

denn gerade unsere Stellung unter einer so freien Gnade hat unsere besondere Verantwortlichkeit hervorgebracht. Wenn dieser Leib in seiner Verantwortlichkeit auf der Erde in Be­tracht kommt, so sehen wir, daß der Herr notwendigerweise von seinem Verhalten unter Verantwortung Kenntnis nimmt. Deshalb finden wir den Herrn in Offb 2 und 5 nicht als das Haupt des Leibes, noch als Den, von Welchem die Gnade auf die Glieder des Leibes herabfließt, sondern als wandelnd i" mitten der Leuchter, in dem Charakter eines Richters, um zu sehen, ob ihre Tätigkeit der empfangenen Gnade entspricht. Durch alle Sendschreiben zieht sich gleichsam folgender Grund­satz des Gerichts hindurch: „Ich will einem jeden von euch geben, je nach dem Gebrauch, den er von den Vorrechten und der Gnade gemacht hat, in welche die Versammlung im Anfang gesetzt worden ist". Das ist ein ernstes Wort für uns, um so ernster, je mehr wir die Gnade zu schätzen wissen. Es handelt sich hier nicht um Verdammnis, wie bei dem Gesetz; aber je völliger ich die Liebe verstehe, in deren Zeugnis ich gefehlt habe, um so mehr wird mein Herz betrübt sein, wenn ich dieser Gnade nicht in einer ihr würdigen Weise entspreche. Indem ich hierin fehle, verbinde ich gleichsam die Sünde mit dem Namen Gottes, den ich trage. Die Bosheit Israels bewies nicht nur, daß der Mensch ein Sünder ist, sondern bewirkte auch, weil Gott „seinen Namen dahingesetzt hatte" (2. Kön 21, 4), eine Verbindung der Sünde mit dem Namen Gottes. Dies ist es, was Jehova Israel vorwirft, wenn Er sagt: „Der Name Gottes wird eurethalben gelästert unter den Nationen". Das Zeugnis von Seinem Namen war ihnen anvertraut wor­den, und sie hätten es bewahren sollen. Gott wird am Ende die Rechte Seines heiligen Namens völlig auf der Erde zu be­haupten wissen; und dies ist noch weit mehr der Fall hinsicht­lich der Versammlung des lebendigen Gottes. Die Welt sollte in der Versammlung die praktische Darstellung vollkommener Heiligkeit und Liebe sehen; denn wir sind zu Teilhabern der Heiligkeit Gottes gemacht und sind Gegenstände Seiner un-

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endlichen und vollkommenen Liebe. Die Versammlung sollte hienieden ununterbrochen nur eine Stellung, nur einen Dienst haben, nämlich der Welt zu offenbaren, was sie von ihrem lebendigen Haupt im Himmel genießt. Nie hat die Versamm­lung Christum nach dem Fleische gekannt; sie kennt Ihn nur als Den, Der von der Welt verworfen und jetzt im Himmel ist, und deshalb sollte sie in einer so völligen Trennung von der Welt erfunden werden, daß es offenbar würde, was ihr Haupt ist. In dieser Weise sollte sie der Empfehlungsbrief Christi sein. Beachten wir hier die Tragweite des Wortes Brief. So wie einst das Gesetz auf den steinernen Tafeln zu lesen war (2. Kor 5), so sollte die Welt sehen, was Christus in uns ist; wir sollten ein lebendiger Brief sein, „gekannt und gelesen von allen Menschen". Der Charakter unseres Wandels wird in dem Maße an wahrer Tiefe gewinnen, wie wir verwirklichen, was Seine Gnade für uns getan und wozu sie uns berufen hat. Wir sehen also, wie der Herr dieses dem Grundsatz nach nie aufgibt. Er weicht nie von dem ab, wozu die Versammlung als Zeugin berufen ist, wenn Er sie auch in Geduld tragen mag

Wenden wir uns jetzt zu einem anderen Punkt, zu der Frage, welcher Gebrauch von den sieben Sendschreiben zu machen ist, so fällt uns auf den ersten Blick zweierlei ins Auge. Zunächst ist es eine geschichtliche Tatsache, daß es Ver­sammlungen auf der Erde gab, die sich in dem hier beschrie­benen Zustand befanden; zweitens enthalten die Briefe eine moralische Belehrung, die auf jeden einzelnen Heiligen ihre Anwendung findet, auf jede Person, die ein Ohr hat zu hören und ein verständiges Herz, um den Sinn des Herrn zu erken­nen. Gehen wir weiter, so werden wir finden, daß auch die Zahl der Versammlungen, an welche die Sendschreiben gerich­tet sind, von Bedeutung ist. Die Zahl sieben, das Symbol der Vollkommenheit, wiederholt sich häufig im Buch der Offen­barung, sieben Siegel, sieben Trompeten, sieben Schalen usw. Die Wahl dieser Zahl bezeichnet daher in diesem Fall den voll­ständigen Kreis der Gedanken Gottes bezüglich der Kirche, als verantwortlich auf der Erde gemäß der ihr zuteil gewordenen Gnade. Nicht, als ob zu jener Zeit nur sieben Versammlungen auf Erden bestanden hätten; wir kennen noch viele andere, wie zum Beispiel die von Kolossä und Thessalonich, Korinth

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u. a., aber diese bleiben alle unerwähnt, weil sie nicht die mo­ralischen Elemente darboten, die der Heilige Geist zu jenem vollständigen Gemälde bedurfte.

Beschäftigen wir uns mit der Einheit des Leibes mit dem Haupte, so haben wir es nicht mit der Verantwortlichkeit, sondern mit den Vorrechten zu tun, deren Maß und Ziel das Leben und die Herrlichkeit Christi sind. Kapitel 2 und 5 der Offenbarung stellen uns jedoch den gegenwärtigen und ver­änderlichen Zustand der Versammlung vor Augen. Es handelt sich daher nicht um Vorrechte, sondern in ganz bestimmter Weise um Verantwortlichkeit. Ferner können sich die Schrei­ben nicht alle auf den ganzen verantwortlichen Körper zu ein und derselben Zeit beziehen. Es sind sehr verschiedene Zu­stände in den Versammlungen vorhanden, und deshalb kön­nen wir das, was der einen gesagt wird, nicht auf jede andere anwenden; die jedesmaligen Beschuldigungen und Verheißun­gen tragen einen unterschiedlichen Charakter. Wir werden jedoch finden, wenn wir in die Einzelheiten näher eingehen, daß von verschiedenen Teilen der bekennenden Kirche mit unterschiedlichen Charakteren gesprochen wird, als wenn sie teilweise zu gleicher Zeit beständen. Wir können deshalb sagen: Der Inhalt eines jeden Sendschreibens findet in ge­wissem Sinne seine Anwendung auf die Kirche im allgemeinen, doch beziehen sich nicht alle auf die ganze Kirche zu ein und derselben Zeit. Was wir in den Sendschreiben finden, ist daher entweder ein fortlaufendes und prophetisches Gemälde von dem Zustand der Kirche auf der Erde, als verantwortlich vor Gott, vom Anfang bis zum Ende der gegenwärtigen Periode, oder der besondere Zustand eines Teiles der Kirche, der zur Vervollständigung des ganzen Gemäldes notwendig ist, — die verschiedenen Zustände, worin sie sich der Welt dargestellt hat, bis der Herr sie ausspeit aus Seinem Munde.

Es möchte nun gefragt werden; „Wie kann die Kirche aus dem Munde Christi ausgespien werden, wenn sie den Leib Christi bildet und bei Ihm in der Herrlichkeit sein soll?" Dies ist allerdings unmöglich, so lange man von dem Leibe Christi spricht; aber die Kirche, als äußerlicher Körper auf der Erde, verliert nie ihre Verantwortlichkeit, worin auch ihre charak­teristischen Merkmale bestehen mögen. Wenn der untreue

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Knecht seines Herrn Willen nicht tut, dann wird er nicht be­handelt, als wenn er gar kein Knecht wäre, sondern als ein Heuchler, gemäß der Stellung, in der er gefunden wird. Ob­wohl er in Wahrheit kein Knecht ist, wird ihm doch nicht gesagt: „Du bist kein Knecht", sondern: „Den unnützen Knecht werfet hinaus in die äußere Finsternis . . . und setzt ihm sein Teil mit den Untreuen". Er wird auf Grund seines Bekenntnisses behandelt und verurteilt.

Ähnlich erging es dem Volke Israel. Von Gott dazu aus­ersehen, Seinen Namen vor der Welt zu tragen, fehlte es; es wurde als verantwortlich behandelt und, was seine Stellung unter dem alten Bunde betrifft, beiseitegesetzt. Das Wort des Herrn an den unfruchtbaren Feigenbaum lautete: „Nimmer­mehr komme Frucht von dir in Ewigkeit". Der Feigenbaum mochte Blätter tragen; aber der Herr kam, um Frucht zu suchen, und als Er keine fand, sprach Er: „Nimmermehr komme Frucht von dir ... und alsbald verdorrte der Feigen­baum". Auf diese Weise wurde Israel, als ein Gefäß, das vor der Welt den Namen Gottes tragen sollte, beiseitegesetzt, aber dies berührt keineswegs die Frage der Treue Gottes. Gott wird Israel in den letzten Tagen wiederherstellen; bis dahin fließt der Strom der Gnade ununterbrochen fort, indem Gott den Oberrest aus ihnen, den wahren Samen Abrahams, sammelt, und zwar zum Genuß besserer Vorrechte als die früheren;

denn sobald Israel als ein Ganzes beiseitegesetzt war, begann der Herr aus Juden und Heiden Seine Versammlung zu bilden, und Er „tat täglich zu der Versammlung hinzu, die gerettet werden sollten". Es handelt sich hier nicht um die Gewißheit persönlicher Errettung, sondern um das Gefäß, dessen Gott Sich bedient, um Seinen Namen vor der Welt zu tragen. Ein­zelne, die glauben, werden in den Himmel eingehen, 'aber das Gefäß des Zeugnisses muß, wenn es gefehlt hat, zerbrochen werden. Gott hat lange Zeit Geduld mit ihm; wenn es aber, nach allem, was mit ihm geschehen ist, nur wilde Trauben hervorbringt, so muß es abgehauen werden. Ohne Zweifel wird ein treuer Überrest in den Himmel aufgenommen, aber das Gefäß als sichtbares, öffentliches Zeugnis, wird wegge­worfen.

In Röm 11 sehen wir, wie Gott das, was Er jetzt auf der Erde gebildet hat, um Seinen Namen zu tragen, in die Stel-

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lung eines öffentlichen, sichtbaren Systems hienieden bringt, so wie Er es einst mit Israel tat. „Sieh nun die Güte und Strenge Gottes: gegen die, welche gefallen sind, Strenge;

gegen dich aber Güte Gottes, wenn du an der Güte bleibst, sonst wirst auch du ausgeschnitten werden". Gott kann die bekennende Kirche, in vollkommener Übereinstimmung mit dem, was Er von Sich Selbst geoffenbart hat, ausspeien, weil es sich dabei nicht um Seine Gnade und Güte oder um persön­liche Errettung, sondern einzig und allein um die Verantwort­lichkeit handelt. Und gerade dies macht Seine Handlungsweise mit den Versammlungen zu einer so tiefen und ernsten War­nung für uns; es wird derselbe Grundsatz auf das Zeugnis der Nationen angewendet, wie einst auf das Zeugnis der Juden. Wohl wird Gott jede Verheißung, die Er Israel ge­geben hat, buchstäblich erfüllen. Aber dessen ungeachtet wis­sen wir, daß Er das Volk, als den sichtbaren Zeugen Seines Namens vor der Welt, verworfen hat. Und ebenso wird Er die Kirche verwerfen, wenn sie ihrer Verantwortlichkeit auf der Erde nicht entspricht. Wir sehen also, daß Gott Seine Regie­rung in bezug auf das Zeugnis, das Sein Volk unter jeder Verwaltung ablegen sollte, aufrecht hält, und daß sowohl die Kirche als auch Israel — obgleich in beiden Systemen das Heil des einzelnen für immer gesichert ist — hinsichtlich ihres öf­fentlichen, sichtbaren Zeugnisses beiseitegesetzt werden. Was wir hier finden, ist also einerseits die Verantwortlichkeit und andererseits die Folgen des Fehlens im Zeugnis.

Ephesus

Wenden wir uns jetzt zu dem Sendschreiben an die Ver­sammlung in Ephesus. Gott gibt uns darin ein bestimmtes Beispiel und eine ernste Warnung. Durch die Schriften in den Wegen und Handlungen Gottes unterwiesen zu werden, ist unzweifelhaft ein wirksames Mittel zur Stärkung und Be­festigung der Seele; aber die Wahrheit direkt auf meine eigene Seele angewendet zu sehen, ist eine Quelle der Freude für mich. Obwohl die Kenntnis der allgemeinen Grundsätze der Schrift sehr gesegnet ist, so ist doch die persönliche Anwen­dung der Wahrheit auf Herz und Gewissen noch weit be­glückender.

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In allen sieben Sendschreiben wird zunächst der Charakter Christi vorgestellt, und zwar entsprechend dem Zustand der betreffenden Versammlung. In dem ersten finden wir, als eine Sache von allgemeiner Anwendung, die Worte: „der die sieben Sterne in seiner Rechten hält, der da wandelt inmitten der sieben goldenen Leuchter", d. h. Christum, geoffenbart in dem besonderen Charakter, in dem Er das Gericht vollzieht. Zwei­tens begegnen wir in jeder Versammlung dem besonderen Charakter der Prüfungen der Getreuen, und drittens wird eine besondere Verheißung gegeben, um den Glauben derer, die sich inmitten der Prüfungen befinden, aufrechtzuhalten. Vier­tens, im Blick auf die Zeit völliger Segnung, wird uns das Teil gezeigt, das Christus dem Überwinder gibt, wenn Er die Hei­ligen zu Sich genommen hat.

Die Sendschreiben lassen sich in zwei große Teile zerlegen, von welchen der eine die drei ersten, der andere die vier übrigen Schreiben umfaßt. Dies ist ein bedeutsamer Punkt. In den drei ersten Sendschreiben wird, wie es scheint, die Kirche gemeinschaftlich angeredet, d. h. die Heiligen, wiewohl sie noch zu überwinden haben, werden als in dem großen Körper befindlich betrachtet, während in den vier letzten der kleine Überrest deutlicher abgetrennt ist. Durch diese Einteilung er­halten wir daher bestimmte charakteristische Abschnitte der bekennenden Kirche. In den drei ersten Sendschreiben geht die Ermahnung: „Wer ein Ohr hat, höre", den an die treuen Überwinder gerichteten Verheißungen voran; in den vier letzten folgt sie nach den Verheißungen. In den drei ersten wird von dem hörenden Ohr in Verbindung mit dem allge­meinen, an die Versammlung gerichteten Zeugnis gesprochen, bevor der treue Überrest, welcher überwindet, abgesondert wird; in den letzten folgt die Ermahnung zum Hören auf die Worte: „wer überwindet". In den drei ersten wird das Kom­men des Herrn nicht erwähnt, während mit dem vierten die Aufmerksamkeit auf die Wiederkunft Christi gerichtet wird. Diese und nicht die Rückkehr zu der ursprünglichen Ordnung wird jetzt die Hoffnung des Überrestes, indem der öffentliche, bekennende Körper ganz und gar verderbt ist. In den drei ersten Sendschreiben wird der Versammlung gleichsam ihr ur­sprünglicher Zustand ins Gedächtnis zurückgerufen — ein Zu­stand, zu dem sie möglicherweise zurückgebracht werden

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konnte, wenn sie Buße tat. Wir haben früher gesehen, daß Gott einem verantwortlichen Volk gegenüber Sein Gericht nach zwei Grundsätzen oder Maßstäben mißt: entweder nach der Gnade, die das Volk an diesen Platz der Verantwortlich­keit gestellt hat, oder nach der Herrlichkeit, zu der es berufen ist. Der erste Grundsatz findet seine Anwendung auf die drei ersten Versammlungen. Bei Thyatira jedoch tritt ein Wechsel ein. Die Versammlung oder Kirche als ein Ganzes hat be­wiesen, daß sie in einem hoffnungslosen Zustand ist (ich spreche natürlich von der Versammlung in ihrem Zeugnis hie­nieden, als einem sichtbaren Körper in der Welt) und somit wird von jetzt ab die persönliche Hoffnung vorgestellt, und der Geist wendet Sich in Sonderheit an die, welche überwinden, und stellt ihnen die bei der Ankunft Christi erscheinende Herr­lichkeit zur Ermunterung vor Augen. In Thyatira wird der Überrest zum ersten Mal auf diese besondere Hoffnung hin­gewiesen: „was ihr habt, haltet fest, bis ich komme".

Zu diesen allgemeinen Wahrheiten möchte ich noch hinzu­fügen, daß wir in dem ersten Sendschreiben (an Ephesus) den allgemeinen Charakter erwähnt finden, den Christus bei der Ausübung des Gerichts annimmt, „der die sieben Sterne in seiner Rechten hält", d. h. Der alle Autorität und Macht besitzt;

„der da wandelt inmitten der sieben goldenen Leuchter", d. h. der Versammlungen. Er wandelt umher, um zu sehen, ob die Lichter hell brennen und ob sie das wahre Licht ausstrahlen, das Er angezündet hatte.

Jede dieser Versammlungen trägt demzufolge einen beson­deren Stempel der Verantwortlichkeit. Doch beachten wir, wie der Herr in. dem Sendschreiben an Ephesus jeden Punkt, der irgendwie gutzuheißen ist, hervorhebt, bevor Er die Schatten­seite des Gemäldes berührt. „Ich kenne deine Werke und deine Arbeit und dein Ausharren". Welch ein Glück, daß Er alles kennt, was uns betrifft, sogar die Gedanken und Gesinnungen des Herzens. „Aber ich habe wider dich, daß du deine erste Liebe verlassen hast". Hier begegnen wir einem neuen wich­tigen Grundsatz. Christus ist eifersüchtig auf Seine Liebe zur Versammlung, die stärker war als der Tod. Und könnte es anders sein? Unmöglich kann Er Seine Liebe zur Versamm­lung vergessen, und ebenso unmöglich ist es, daß Er ohne die

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Kundgebung ihrer Liebe zu Ihm befriedigt sein könnte; denn Liebe kann nur durch Liebe befriedigt werden. Gerade der Vorwurf, den Er der Versammlung macht, offenbart die Stärke Seiner Liebe zu ihr, einer Liebe, die nicht ruhen kann, bis sie von seiten der Versammlung eine angemessene Erwiderung findet. Sein Herz erkaltet nicht, so daß Er mit einer schwachen Antwort auf Seine Liebe zufrieden sein könnte, so sehr auch die Gedanken der Versammlung betreffs Seiner Liebe ihre ursprüngliche Wärme verloren haben mögen. Mag auch noch so viel äußere Frucht in „Werken und Arbeit und Ausharren" vorhanden sein, allein die Quelle von diesem allem ist ver­schwunden. „Du hast deine erste Liebe verlassen", darin be­steht das große Übel. Es kommt nicht darauf an, wieviel man arbeitet und sich bemüht; wenn die Liebe Christi nicht der Beweggrund unseres ganzen Dienstes ist, so wird der Dienst nach den Worten des Apostels gleich „einem tönenden Erz und einer schallenden Zimbel" sein, d. h. er wird vergehen mit seinem eigenen Schall.

Wir finden also hier, in dem Sendschreiben an Ephesus, den ersten großen Grundsatz des Abfalls und demzufolge das große allgemeine Gericht, das über die ganze Kirche kam. „Gedenke nun, wovon du gefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke"; beachten wir, wie der Herr hier die Sei­nigen zu dem Punkt zurückführt, von dem sie abgewichen sind; „wenn aber nicht, so komme ich dir und werde deinen Leuchter aus seiner Stelle wegrücken, wenn du nicht Buße tust". Der Herr hat die Versammlung berufen. Seine große Liebe, womit Er sie geliebt hat, kundzutun. Versagt ein Zeug­nis hierin, kann Er es nicht länger als Zeugnis in der Welt bestehen lassen; wenn Er es täte, würde Er nicht „der treue und wahrhaftige Zeuge" sein. Der zarte Vorwurf, den Er hier der Versammlung macht, ist der gesegnete Beweis davon, daß Seine Liebe nie erkaltet, so mangelhaft unsere Liebe auch sein mag. In dieser Beziehung ist die Handlungsweise des Herrn mit einzelnen Seelen die gleiche, wie mit der Versammlung. Er nimmt Kenntnis von jeder Entfremdung von Seiner Person;

doch bleibt die Tür zur „Buße" stets offen, und sobald die Sünde gerichtet und in dem Licht, worin Gott sie sieht, ge­sehen wird, steht der augenblicklichen Wiederherstellung nichts im Wege. In dem Augenblick, wo sich das Gewissen wegen

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der Sünde demütigt und sie bekennt, wird es aufrichtig. Die Aufrichtigkeit einer Seele erweist sich, wenn etwas Böses vor­handen gewesen ist, in dem Bewußtsein dieses Bösen und in der Kraft, es zu bekennen; deshalb muß sowohl die Versamm­lung Gottes, als auch die einzelne Seele zu dieser Aufrichtig­keit vor Gott gelangen, damit Er sie für Sich wiederherstellen kann (Hiob 33, 25—26). Sobald die Sünde im Gewissen ge­richtet ist, offenbart sich die nie fehlende Liebe Gottes, um dem Bedürfnis zu begegnen. Ähnlich verhält es sich mit den täglichen Einzelheiten des christlichen Lebens. Obwohl Ge­richte das Volk Gottes treffen mögen, ist doch in allem Seine züchtigende Liebe zu erblicken.

Dies läßt uns verstehen, warum der Herr der Versammlung vorwirft, sie habe ihre erste Liebe verlassen. Durch die Ver­urteilung ihres Zustandes schimmert Seine vollkommene und unveränderliche Liebe hindurch. In den verwandtschaftlichen Verhältnissen des Lebens finden wir etwas ähnliches. Nehmen wir als Beispiel das eheliche Verhältnis. Eine Frau mag ihr Hauswesen aufs Beste besorgen und ihre Pflichten so erfüllen, daß sie ihrem Mann nicht den geringsten Anlaß zum Tadel gibt; wird aber dies alles ihn befriedigen, wenn ihre Liebe zu ihm abgenommen hat, während seine Liebe unverändert ge­blieben ist? Gewiß nicht. Ebensowenig kann es Christum be­friedigen. Er will, daß die Strahlen Seiner Liebe von Seiner Brauf auf Ihn zurückgeworfen werden. Er sagt gleichsam: „Ich bin nicht blind für deine guten Eigenschaften; aber ich muß dich selbst haben". Ist die Liebe, die ehedem die Quelle war, aus der jede Handlung floß, verschwunden, so ist der Dienst ohne Wert. Wenn die Liebe fehlt, ist alles übrige wie nichts. Sicherlich kann unsere Liebe nicht Seiner Liebe in einer ihr würdigen Weise entsprechen, aber sie vermag es doch in einer wahren und aufrichtigen Weise. Der Herr erwartet wenigstens, wenn auch unsere Zuneigung Seiner Zuneigung nie gleichkom­men kann, daß unser Herz ungeteilt ist in bezug auf Ihn. Da wo die Liebe unbeständig ist, muß das Herz geteilt sein. Dies war die verborgene Ursache des Rückgangs in Ephe­sus. Die Ungeteiltheit des Herzens in bezug auf den Gegen­stand der Zuneigung war verlorengegangen; die Einfalt des Auges war verschwunden, und der vollkommene Abglanz jener Liebe, welche die Versammlung für Sich Selbst erworben

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hatte, war nicht mehr vorhanden. Aber obwohl Christus sagt:

„Ich habe wider dich . . .", so erwähnt Er dennoch alles Gute. „du hast Ausharren und hast getragen um meines Namens willen, und bist nicht müde geworden". Man möchte da fragen:

Was will der Herr noch mehr? Seine Antwort lautet: „Ich will dich selbst". Vergessen wir dies nie im Blick auf die Versamm­lung. Hernach sagt Er: „Gedenke nun, wovon du gefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke". Dies Wort ist für uns, dünkt mich, überaus ernst und rührend; denn wir haben uns noch weit mehr von der ersten Liebe entfernt als jene. In­dessen findet das Herz des Getreuen eine sichere Zufluchts­stätte in Christo, da es gerade in jenem Vorwurf einen untrüg­lichen Beweis Seiner unveränderten Liebe erblickt.

Doch was ist es, das der Herr in Ephesus als vorzüglich an­erkennt? „Werke, Arbeit und Ausharren". Es wird nichts Be­stimmtes genannt, was den Rückgang bewiese; aber die Wer­ke, welche die Epheser ausgeübt hatten, waren nicht mehr mit der ersten Liebe verbunden. Und beachten wir hier, daß die Versammlung einen ganz bestimmten Dienst, völlig verschie­den von dem, was den Juden jemals oblag, zu erfüllen hat. Gott erwartete nicht von den Juden, daß sie in Liebe von sich ausgehen sollten; die Versammlung aber, welche Gnade empfangen hat, ist berufen, in Gnade auszugehen und den verlorenen Sünder einzuladen. Die Juden besaßen das Ge­setz wie eine Mauer, um die Gerechtigkeit darin zu bewahren;

aber keine Tür war geöffnet, um der Liebe zu gestatten, aus­zuströmen.

Wenden wir uns für einen Augenblick zu den Thessalonichern. Sie befanden sich, in direktem Gegensatz zu den Hei­ligen in Ephesus, in der Frische der „ersten Liebe". Was wird nun von ihnen gesagt? „Unablässig eingedenk eures Werkes des Glaubens und der Bemühung der Liebe und des Aushar­rens der Hoffnung auf unseren Herrn Jesus Christus"; es sind genau die gleichen Dinge/ die auch bei Ephesus gelobt werden. Worin bestand denn der Unterschied? Es wird nicht zu Ephe­sus gesagt, daß es keine Werke habe, wohl aber, daß die wahre Quelle der Werke verschwunden sei; und diese spru­delte bei den Thessalonichern voll und ungetrübt fort. Die drei großen Grundsätze des Christentums: Glaube, Liebe und

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Hoffnung, diese wahre Verbindung des Herzens mit der Quelle der Kraft, waren in Thessalonich völlig vorhanden. Der Glaube, der ihr „Werk" charakterisierte, erhielt ihren Wandel in der Gemeinschaft mit Gott; die Liebe, welche ihre „Bemühung" kennzeichnete, verband sie mit der Quelle der Kraft; die Hoff­nung sodann, die ihr „Ausharren" charakterisierte, stellte das Kommen des Herrn als Gegenstand vor ihre Seele, so daß sie mit Geduld ihres Dienstes warteten. Bei den Thessalonichern war daher nicht nur geistliche Kraft vorhanden, sondern Chri­stus Selbst war der Gegenstand ihrer Herzen, und die Liebe charakterisierte alles. Wie groß ist der Unterschied, wenn ich das mir anvertraute Werk im Geiste der Liebe vollbringe, so daß meinem ganzen Dienst der Charakter dieser Liebe auf­gedrückt ist! Besteht mein Dienst auch nur in der Verkündi­gung des Evangeliums, in welcher Fülle werde ich einer ver­lorenen Welt die Liebe Gottes vorstellen, wenn die Liebe Christi in meiner eigenen Seele frisch sprudelt! Aber ach! wie oft haben wir uns anzuklagen, daß wir zwar die uns oblie­genden christlichen Pflichten in gewissem Sinn treu erfüllen, daß aber unsere Bemühung nicht aus der lebendigen Ver­wirklichung der Liebe Christi zu uns entspringt.

Indessen haben Gerechtigkeit und Heiligkeit, dazu das Ver­halten der Versammlung in Verbindung mit diesen Charak­teren Gottes, ebensowohl ihren Platz wie die Liebe, die die Natur Gottes ist. „Du kannst das Böse nicht ertragen". Der natürliche, normale Zustand der Versammlung kennzeichnet sich durch die volle Kraft des Guten inmitten des Bösen, indem sie durch die göttliche Kraft ein klares Zeugnis ablegt. Die Ver­sammlung sollte nicht der Ort sein, wo Gutes und Böses ein­ander bekämpfen, sondern sie sollte sich in einem Zustande befinden, der sie zu der Offenbarung des Guten inmitten des Bösen macht. Sobald ein Rückschritt eintritt, erhebt sich die Frage des Bösen in ihrer Mitte, „aus dessen Leibe werden Ströme lebendigen Wassers fließen", das bezeichnet den allein richtigen Zustand der Versammlung; es ist ihr ursprünglicher Zustand, der einzige, der unbedingt anerkannt ist. Danach kommt die Macht, das Böse hinwegzutun und es zu einer Ge­legenheit der Segnung zu machen, wenn es sich zeigt (vergl. die Apostelgeschichte). Hört es aber auf, also zu sein, dann erhebt sich, wie hier, die Frage des Bösen innerhalb der Versamm-

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lung. „Du kannst das Böse nicht ertragen". Diese Worte be­weisen, daß das Böse sich eingeschlichen hatte. Der Strom des Guten hatte nachgelassen, in seiner mächtigen Fülle zu fließen, und so war es eine mühevolle Arbeit geworden, ihn in Sicher­heit und Segen zu befahren. Die Dämme waren durchbrochen, und das Böse war eingedrungen; sonst könnte hier nicht in dieser Weise von dem Bösen die Rede sein. Nehmen wir als Beispiel die Geschichte von Ananias und Sapphira. Sie wünsch­ten den Charakter der Hingebung zu haben, so wie die Versammlung ihn damals trug, aber ohne die Kosten auf sich nehmen zu wollen. Auf diese Weise verschaffte sich die Heu­chelei Eingang in die Versammlung, doch die Macht des Guten war vorhanden, um das Böse, das sich des Ansehens halber den Charakter des Guten beizulegen suchte, aufzudecken. In Wirklichkeit war es Geldliebe, die Ananias und Sapphira be­herrschte, abgewandelt durch das Verlangen, seitens der Ver­sammlung geehrt zu werden. Es wurde notwendig, daß sich die Gegenwart des Heiligen Geistes im Gericht offenbarte. Das war in der Tat ein trauriger Anfang; das Gute mußte sich durch den Kampf mit dem Bösen charakterisieren, statt sich dadurch zu offenbaren, daß es das Böse fernhielt. In betreff der Lehre ist es ebenso: „Aber dieses hast du, daß du die Werke der Nikolaiten hassest, die auch ich hasse". Die Geduld mußte zur Ausübung gebracht werden. Wir sehen auf den ersten Blick, daß dies nicht der erste Zustand (die Freude am Guten) war, sondern ein Werk der Geduld wurde notwendig;

und in unserem Wandel als Christen haben wir auf diesen Charakterzug ganz besonders unser Augenmerk zu richten. Die Geduld charakterisiert die persönliche Kraft, wenn die Zeit des Kampfes mit dem Bösen beginnt.

Wir begegnen hier indessen noch einem anderen Grundsatz. Es gibt Fälle, in welchen Christus den Haß gutheißt. „Du hassest ... die auch ich hasse". Die Lehre der Nikolaiten be­fürwortete unter dem Charakter der Gnade, das Böse zu ge­statten; sie verband auf diese Weise Christum und das Böse. Es ist aber sicher eine schreckliche Sache, etwas einzuführen, was Gott mit dem Bösen in Verbindung bringt. Satan sucht die Gnade nachzuahmen oder zu verfälschen und auf diese Weise Gott mit dem Bösen zu vereinigen — mit dem, wovon Er sagt: „meine Seele haßt es".

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Wir haben bereits gesehen, daß der Charakter, unter dem Christus im Sendschreiben an Ephesus dargestellt ist, mit dem Gericht in Verbindung steht: Er wandelt inmitten der Leuch­ter. Und wie diese Versammlung einen einleitenden und all­gemeinen Charakter trägt, so ist auch das Gericht ein allge­meines und endliches. Die Drohung besteht darin, daß die Ver­sammlung weggenommen werden solle. Wir haben hier also dreierlei: Die Verantwortlichkeit, den Rücktritt und das darauf folgende Gericht. Dann lesen wir bezüglich der Verheißung:

„Dem, der überwindet, dem werde ich zu essen geben von dem Baume des Lebens, welcher in dem Paradiese Gottes ist" — in dem Paradiese, das Er für Sich Selbst bereitet hat. Es ist nicht das Paradies, in dem Gott den Menschen besuchte, um zu sehen, was er tat, um ihm zu gestatten darin zu bleiben, wenn er das Gute tat, entgegengesetztenfalls aber ihn hinauszu­treiben; sondern Gott nimmt hier den Menschen in Sein eige­nes Paradies auf. Welch ein Unterschied zwischen dem Para­dies des Menschen, in das Gott kam und aus dem Er, da Er die Sünde vorfand, den Menschen vertreiben mußte, und dem Paradies Gottes, in das der Mensch infolge der Erlösung ein­geführt wird, um es nie wieder zu verlassen! Hier gibt es keine zwei Bäume, der Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen ist nicht da; wir haben genug davon gehabt in unserer eigenen Verantwortlichkeit. Dort werden wir diese Erkenntnis der Heiligkeit Gottes gemäß besitzen; tatsächlich ist es be­züglich unserer Natur heute schon so, indem wir den neuen Menschen angezogen haben, welcher erneuert wird zur Erkennt­nis nach dem Bilde Dessen, Der ihn erschaffen hat in wahr­haftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit. Im Paradiese Gottes gibt es nur einen Baum, den Baum des Lebens, die einzige untrüg­liche und vollkommene Quelle des Lebens in Gott; und die Teilnahme daran ist nicht das Resultat der Verantwortlichkeit, sondern der Erlösung und der lebengebenden Kraft — einer Erlösung, die Gottes eigenen Gedanken und Ratschlüssen ge­mäß ist. Die Verantwortlichkeit ist nicht erlassen, sondern der Liebe Christi gemäß erfüllt. „Dem, der überwindet, dem werde ich zu essen geben von dem Baume des Lebens". Die Gnade hat den, der überwunden hat, aufrecht gehalten. Während die Versammlung in Verfall kam, haben diese Getreuen, statt mit dem allgemeinen Strom zu schwimmen, genug geistliche Ener-

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gie besessen, um das Böse in der Versammlung zu beurteilen und vor Gott zu richten, und, statt entmutigt zu sein und zu erliegen, während andere ihre erste Liebe verließen, haben sie überwunden. Doch dürfen wir nicht übersehen, daß die Gnade es ist, die alles getan hat. „Meine Gnade genügt dir". Das Endziel des Weges jener Getreuen ist ein Platz im Paradiese Gottes, um sich dort von all den reifen Fruchten, die der Baum des Lebens hervorbringt, zu nähren.

Indem wir dies alles als einen allgemeinen Grundsatz an­wenden, entdecken wir, daß das verborgene Zeugnis der Gnade an die Herzen der Getreuen die Quelle der Kraft ist. Ist „das Leben für mich Christus", so ist es das Zeugnis der unfehlbaren Gnade, das mich durch alle Prüfungen und Schwie­rigkeiten hindurchführt; ja, je größer die Trübsal und der Ver­fall ist, um so mehr tritt es ans Licht, was Gott für meine Seele ist, so daß ich Gott auf eine Weise kennenlerne, wie ich Ihn nie zuvor gekannt habe. So war es mit Abraham, der, „als er versucht wurde, den Isaak geopfert hat"; damals lernte er Gott als „den Gott der Auferstehung" kennen, den er nie zuvor als solchen gekannt hatte. Welch ein Trost für uns, daß wir Christum um so mehr genießen, je mehr wir von Schwie­rigkeiten umgeben sind, und daß wir angesichts des Verfalls auf Ihn schauen können. Der niemals fehlt. „Das Geheimnis Jehovas ist für die, welche ihn fürchten, und sein Bund, um ihnen denselben kundzutun" (Psalm 25, 14).

In Ephesus begegnen wir also dem Beginn des Verfalls der Kirche. So lautet das Zeugnis des Richters; die Folge des Ver­falls soll die Wegnahme ihres Leuchters sein, wenn sie nicht Buße tut. Im Blick hierauf wird sie ermahnt, zu den ersten Werken zurückzukehren, sonst wird sie aufhören, auf der Erde ein Zeugnis zu sein. Es fehlte in Ephesus nicht an einer öffent­lichen Tätigkeit, noch an Gerechtigkeit und dem Widerstand gegen die falschen Lehrer, sondern an der Innigkeit der Ge­meinschaft mit Christo in ihrer Liebe. Ihre Werke hatten weder an Zahl noch an Eifer abgenommen, aber der Charakter der Werke war ein anderer geworden, und Christo entging es nicht, daß ihr Dienst nicht mehr durch dieselbe Liebe charakte­risiert war, wie früher.

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Smyrna

Wir haben bereits gesehen, daß es wichtig ist, wenn es sich um das Gericht handelt, den Unterschied festzuhalten zwi­schen der Versammlung, wie säe in Christo im Himmel ge­sehen wird, und der Versammlung, betrachtet als die Dar­stellung Christi auf der Erde. Wir haben teil an Seinem Leben und sind eins mit Ihm im Himmel; aber es ist ebenso wahr, daß Er die Versammlung hingestellt hat als ein Gefäß, um Seinen Namen vor der Welt zu tragen, als „ein Brief Christi, gekannt und gelesen von allen Menschen". Auch haben wir gesehen, daß die Verantwortlichkeit der Versammlung hie­nieden die Frage der Errettung in keiner Weise berührt, und ferner, daß die Treue Gottes gegen einzelne Personen mit dem Gericht über den Körper, der Seinen Namen hienieden trägt, durchaus nichts zu tun hat. In Seiner Treue hatte Gott ver­heißen, die Kirche bis zur Fülle Seiner Herrlichkeit zu leiten;

aber zu gleicher Zeit muß Er sie richten, wenn sie in der Ver­antwortlichkeit, in die Er sie hienieden versetzt hat, fehlt. Wir dürfen Sein Gericht über das Gefäß, das Er auf Erden zum Zeugnis hingestellt hat, nicht verwechseln mit Seiner Treue gegen die Versammlung — die Braut, die durch den Heiligen Geist mit Christo im Himmel verbunden ist. Überdies aber richtet Gott jeden einzelnen Seiner Heiligen zu ihrem Besten, indem Er ihre Herzen und Gewissen durch Warnungen und Züchtigungen übt. Beugen sie sich unter diese Gerichte, so werden sie gesegnet, während „die Einfältigen weitergehen und Strafe leiden" (Spr 22, 5). Am Ende wird der äußerliche Körper aus Seinem Munde ausgespien, während alle Versu­chungen, Zurechtweisungen und Züchtigungen für die Ver­sammlung, im Blick auf ihre himmlische Berufung zum besten ausschlagen. In jedem Sendschreiben finden wir eine beson­dere Offenbarung von Christo und in Übereinstimmung damit ein besonderes Gericht; ebenso spezielle Verheißungen, die den speziellen Bedürfnissen angepaßt sind, indem sie den Übungen des Herzens entgegenkommen, um es aufrechtzu­halten; zugleich werden den Getreuen Unterpfänder gegeben

Das erste, was die Kirche, betrachtet in ihrer Verantwort­lichkeit, charakterisierte, bestand, wie wir gesehen haben, dar­in, daß sie sich von der Kraft ihrer ursprünglichen Stellung getrennt, d. h. ihre „erste Liebe verlassen" hatte. Überhaupt ist, wie wiederholt bemerkt wurde, in den Sendschreiben nicht die Rede von der Darreichung der Gnade von seiten des Hauptes, noch von dem, was „jedes Gelenk darreicht", sondern es werden Zurechtweisungen, Warnungen und Verheißungen gegeben, um auf die Herzen und Gewissen der einzelnen Hei­ligen in ihrer Verantwortlichkeit hier auf Erden zu wirken Ebenso ist wohl zu beachten, daß niemals die Kraft des Hei­ligen Geistes, die tätig ist, zu bilden und zu sammeln, Gegen­stand der Sendschreiben sein kann. Denn es ist vom Gericht die Rede, und unmöglich kann von Christo gesagt werden, daß Er das Werk des Heiligen Geistes richte. Wenn der Heilige Geist wirkt, so ist es Macht, wirksam in Gnade. Christus aber gibt, indem Er Gericht ausübt. Sein Urteil kund über den prak­tischen Gebrauch, den man von dem empfangenen Werk des Geistes gemacht hat. Die erste große Wahrheit ist, daß der Herr die Versammlung als verantwortlich betrachtet gegenüber all der Liebe, deren Gegenstand sie ist, und daß Er Gegenliebe von ihr erwartet. Findet Er sie nicht, sondern muß er fest­stellen, daß sie ihre erste Liebe verlassen hat — was nur der traurige Anfang zu größerem Verfall ist — so sagt Er-„Tue Buße; wenn aber nicht, so werde ich deinen Leuchter aus seiner Stelle wegrücken". Nicht einzelne sind es, die hier ge­richtet werden, sondern die Versammlungen, wenn auch ein­zelne die Ermahnungen hören und Nutzen aus ihnen ziehen mögen; der Geist wendet sich an die Versammlungen. Da aber die Kirche oder Versammlung nicht antwortet, nicht Buße tut, noch die ersten Werke vollbringt, noch zur ersten Liebe zu­rückkehrt, so muß ihr Leuchter weggenommen werden. Und dann wendet sich das Wort persönlich an den, „der ein Ohr hat" damit er höre, und macht ihn auf das aufmerksam, „was der Geist den Versammlungen sagt".

Doch obwohl die Versammlung als solche gefehlt hat und ihr Leuchter weggenommen werden muß, gibt es doch noch etwas wie persönliche Energie in ihr, um zu überwinden. Und beachten wir, daß es sich darum handelte, in der Lage zu über­winden, in welcher die Versammlung sich befand. Die Ver­antwortlichkeit der einzelnen bestand darin, da zu überwin­den, wo sie waren. Wie verschieden von dem Zustand der Dinge zu der Zeit, als der Heilige Geist den Segen in Fülle

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ausgoß! Nicht nur das, was in der Welt war, sondern auch das, was sich innerhalb der Versammlung befand, mußte jetzt über­wunden werden. „Dies ist der Sieg, der die Welt überwunden hat, unser Glaube". Er belebt das Herz des Getreuen durch Verheißungen, um es gegen die Fallstricke Satans in der Welt sicherzustellen. Wenn aber der Verfall eingetreten ist, muß notwendigerweise das Gewissen des Gläubigen tätig werden, damit er die Stellung, in der er sich befindet, aufrechterhalten kann. Fallstricke, Schwierigkeiten und Gefahren waren in die Kirche selbst eingedrungen, denn wir dürfen nicht vergessen, daß sie, als das Sendschreiben an Smyrna gerichtet wurde, ihre erste Liebe bereits verlassen hatte. Und sobald der Geist Sich an die Versammlung als an eine gefallene Versammlung wen­det, ist sie nicht mehr der Ort der Sicherheit für den Heiligen. Er kann dann nicht mehr als sicher annehmen, daß ein Weg, wenn er mit der Versammlung wandelt, nach der Kraft und dem Willen Gottes ist. Eine gefallene Versammlung kann mich nicht vor dem Irrtum schützen; da sie selbst unter dem Ge­richt steht, so kann sie für nichts Sicherheit bieten. In Wahr­heit konnte sie es nie; vielmehr waren es apostolische Macht und Energie, die, solange die Apostel lebten, die Versamm­lung unterstützten und über sie wachten (siehe Apg 20, 28. 29; 2. Petr 1. 15).

Der Geist wendet sich daher jetzt an einzelne; die Versamm­lung bot dem Gläubigen keine Sicherheit, keine Gewähr mehr für irgend etwas. Sie mochte wohl in diesem oder jenem Recht haben, aber der Gläubige mußte seine Sicherheit durch das Wort Gottes, im Gegensatz zu der Versammlung oder zum wenigsten unabhängig von ihr, bewahren; durch das Wort, angewandt durch den Heiligen Geist, mußte er unterscheiden, worin er ihr folgen konnte und worin nicht. Dieser Zustand der Dinge setzt aber keineswegs voraus, daß jeder Segen aus­geschlossen gewesen und nichts Vortreffliches mehr in der Versammlung zurückgeblieben wäre. Im Gegenteil sehen wir, daß der Herr vieles anerkennt und lobt. Aber dessen ungeachtet bleibt es ein Grundsatz von Bedeutung, daß eine Versamm­lung, die sich im Verfall befindet, keine Sicherheit mehr bietet, und daß ich infolgedessen in persönlicher Verantwortlichkeit zu beurteilen habe, was ich annehmen und was ich verwerfen

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muß. Als von Gott aufgerichtet, war die Versammlung, im Blick auf die einzelnen Gläubigen, ein Ort der Segnung und für Christum eine Bewahrerin des Zustandes gewesen, in dem jene versetzt waren, indem sie das Gefäß und den Ausdruck der Macht des Heiligen Geistes, das Resultat Seiner Wirksam­keit bildete. Sobald sie aber ihren ersten Zustand verließ, horte sie auf, dies zu ein. Auch waren es, wie schon bemerkt, nur die Apostel, die diese Macht des Heiligen Geistes praktisch in der Versammlung aufrechthielten, wie wir dies bei Ananias und Sapphira, in der Versammlung von Korinth u. a. sehen. Unsere Verantwortlichkeit verändert sich indessen nie, noch kann Christus je fehlen, die nötige Gnade für den Zustand, in dem die Versammlung sich befindet, darzureichen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit ein kurzes Wort über den Aus­druck „Entwicklung" sagen, der so oft und gern in bezug auf die Kirche gebraucht wird. Satan selbst hat ihn eingerührt. Der Gedanke an eine Entwicklung in der Versammlung des lebendigen Gottes schließt nichts anderes als Unglauben in sich. In Gott gibt es nichts, was sich entwickeln könnte; Er ist die vollkommene, unveränderliche Quelle von allem. Nun aber ist das, wozu Gott uns berufen hat, eine vollkommene Offen­barung Seiner Selbst in Christo, wie wir dies in 1. Joh 1. 1. 2 sehen. Da war die Offenbarung jenes ewigen Lebens, welches bei dem Vater war, und es ist klar, daß es in dem, was geoffen­bart worden ist, keine Entwicklung geben kann, wir müßten denn etwas erhalten können, was über die Vollkommenheit Christi, in welchem die ganze Fülle wohnt, noch hinausginge. Gott ist Licht; Christus war das wahrhaftige Licht, und dieses strahlte in der Offenbarung der Herrlichkeit Seiner Person durch die Macht des Heiligen Geistes völlig hervor. Könnten wir etwas besseres oder vollständigeres bekommen, als dieses „Licht"? Könnten wir zu dieser Offenbarung der „Wahrheit" noch etwas hinzufügen? Es gibt in bezug auf Ihn sicherlich vieles für uns zu lernen; allein es ist eine Person, die hier vor uns gestellt wird und nicht eine Lehre. Wäre es nur eine Lehre, so könnte vielleicht noch etwas anderes — eine andere Lehre — hinzugefügt werden; es handelt sich indes nicht bloß um eine Lehre, sondern um eine lebendige Person, die geoffenbart worden ist. Und wenn nun diese Person Christus Selbst ist, was kann dann weiter geoffenbart werden? Dem, was Gott

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gewirkt hat, können wir nichts hinzufügen. Ach! leider kann der Mensch davon abweichen, wie dies in Ephesus der Fall war. Die dortigen Gläubigen hatten ihre erste Liebe verlassen, aber darin liegt doch sicherlich keine Entwicklung. Ohne Zwei­fel können wir von dem, was im Anfang geoffenbart worden ist, immer mehr lernen, und sollten dies stets tun; aber Gott bringt von Anfang an alles vollkommen hervor. Er kann nichts aufrichten, was nicht vollkommen wäre, nichts, was die Höhe Seiner Gedanken nicht erreichte oder ihnen gar zuwider wäre.

So wurde einst der Mensch vollkommen in Unschuld ge­schaffen, aber Adam fiel. Das Priestertum Aarons war in seiner Art vollkommen, aber Nadab und Abihu versündigten sich. Alles, was Gott je gepflanzt hat, hat Er als ganz guten Samen, Seinen Gedanken entsprechend, gepflanzt. Was irgend von Gott kommt, muß vollkommen sein und kann durch kein weiteres Zutun vollkommener gemacht werden. Dies ist eine sehr einfache Wahrheit; jedoch, sie wirft ein ganzes System von Gedanken und Gefühlen über den Haufen, das die Ver­bindung zwischen unseren Seelen und Christo stören möchte Damit soll jedoch nicht gesagt sein, daß Gott in dem Geschöpf nichts mehr offenbaren oder nichts besseres hervorbringen könnte, als was Er einmal geoffenbart oder hervorgebracht hat. Gott tut dieses: der letzte Adam war ohne Zweifel un­endlich vorzüglicher, als der erste. Aber alles, was Er aufrich­tet, ist ganz vollkommen, als der Ausdruck Seiner Gedanken in der betreffenden Sache, die Er hervorbringt. Der Mensch kann es weder verbessern, noch ihm etwas hinzufügen. Das, was Gott für uns aufgerichtet hat, ist Seine vollkommene Offenbarung in Christo; der Gedanke an eine Entwicklung ist deshalb gleichbedeutend mit der Verwerfung des wahren Ge­genstandes oder mit einer Lästerung. Johannes spricht, wenn er die Heiligen in Sicherheit bewahren will, von dem, „was von Anfang war". Aber selbst die Herrlichkeit vergeht, wenn sie der Verantwortlichkeit des Menschen überlassen wird. „Und ich hatte dich gepflanzt als Edelrebe, lauter echtes Ge­wächs; und wie hast du dich mir verwandelt in entartete Ran­ken eines fremden Weinstocks" (Jer 2, 21)! Und warum das? Weil, sobald etwas den Händen des Menschen anvertraut wird, Verfall eintritt.

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Sobald dieser Verfall begonnen hat, begegnen wir einem neuen Grundsatz. Gott benutzt jetzt die Macht Satans, welche durch die Feindschaft der Welt wirkt, zu zweierlei Zwecken;

zunächst, um das göttliche Leben in den Heiligen zu üben, und dann, um eine weitere Entfernung von dem Herrn zu ver­hüten. Sobald wir deshalb zu Smyrna kommen, hören wir von Verfolgung und Drangsal. Die Geschichte des Lebens Christi auf Erden war bis hin zum Kreuz eine unausgesetzte Übung durch Prüfungen und Leiden. Nicht als ob diese Übung nötig gewesen wäre, um Ihn von irgendeinem vorhandenen Übel zu befreien; sie dient im Gegenteil nur dazu. Seine Vollkom­menheit um so völliger ans Licht zu stellen, auf daß Er in Herrlichkeit als Mensch vollkommen gemacht würde, in dem gerechten Resultat dessen, was Er in moralischer Hinsicht war. „Obwohl er Sohn war, lernte er an dem, was er litt, den Ge­horsam". Alles, was in Ihm war, wurde durch den Widerstand und die Schmach, die Er fand, ans Licht gebracht. Je mehr Er Sich dem Kreuze näherte, je finsterer wurde Sein Pfad. Er mußte den Satan überwinden, und Er ruft anderen zu: „Wer überwindet, dem werde ich geben, mit mir auf meinem Throne zu sitzen, wie auch ich überwunden und mich mit meinem Vater gesetzt habe auf seinen Thron".

Der zweite Zweck, zu dem Gott die Macht Satans in Verfol­gungen und Prüfungen der Heiligen gebraucht, besteht darin, wie oben bemerkt, zu verhüten, daß sie sich weiter von Ihm ent­fernen. Das Herz des Gläubigen ist beständig geneigt, in der Gunst der äußeren Umstände seine Ruhe zu suchen, weil sich das Fleisch naturgemäß dem zuwendet, was in der Welt für ein angenehmes Ruhekissen gilt; die Folge davon ist Abnahme der inneren Lebenskraft. Damit kann Gott Sich aber nicht zu­friedengeben. Er sagt: „Machet euch auf und ziehet hin! denn dieses Land ist der Ruheort nicht; um der Verunreinigung willen, die Verderben bringt". Verfolgung ist das natürliche Teil der Versammlung Gottes, so lange sie hienieden ist, in einer Welt der Sünde. Und da die Versammlung sich im An­beginn der Ruhe hingeben wollte, wurde Gott sehr bald ge­zwungen, die Verfolgung gegen sie ausbrechen zu lassen.

In der Bergpredigt entfaltet der Herr in wunderschöner Weise den Geist und den Charakter des Reiches. „Glückselig

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die Armen im Geist!" „Glückselig die Sanftmütigen!" „Glück­selig, die reinen Herzens sind!" usw. Segnung war der Cha­rakter, in welchem der Herr das Zeugnis, dessen Träger Er war, einführte. Gott zeigte, was in Seinen Augen glückselig war. Die Gnade Christi begann sich damals zu offenbaren, indem sie die naturgemäßen Folgen der Grundsätze und des moralischen Charakters Seines Reiches zeigte. Nachdem durch die Wunder, die der Herr bereits vollbracht hatte, die Auf­merksamkeit der Menge aus der ganzen Umgebung auf Ihn gelenkt war, fing Er an. Seine Zuhörer mit dem wahren Geist und Charakter des Reiches bekanntzumachen, worüber sie ganz andere Gedanken gehabt hatten, und ihnen zu sagen, wer die Glückseligen seien. Doch am Ende des Evangeliums Matthäus (Kap. 25) muß Er, statt zu segnen, ausrufen: „Wehe euch! Wehe euch! Siehe, euer Haus wird euch öde gelassen;

denn ich sage euch: ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprechet: Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!" Was war die Ursache dieser gänzlichen Veränderung? Der Widerstand des Menschen war durch die vollkommene Offenbarung dessen, was Christus war, unverhüllt hervor­getreten. Im Anfang des Evangeliums 'Matthäus finden wir den gesegneten Ausfluß von dem, was in dem Herzen des Herrn war; der weitere Verlauf Seines Lebens hienieden aber zeigte die Gesinnung ihrer Herzen; daher die Worte: „Wehe euch. Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler!"

Kehren wir jedoch zu unserem Gegenstand zurück. Gott sendet also die Drangsal, den Widerstand von außen, um Gnade hervorzubringen, und unserer beständigen Neigung, uns von Ihm zu entfernen, entgegenzuwirken. Bei Christo hatte sie stets den ausschließlichen Zweck, die Gnade aus­strahlen zu lassen. So bedient Sich Gott des Satans, als eines Werkzeuges, um selbst für die Versammlung Segen hervor­zubringen. In ähnlicher, bewunderungswürdiger Weise ge­brauchte Gott den Satan einst zum Segen für Seinen Knecht Hiob'. Gott war es, der die Unterredung mit Satan begann, und Er wußte sehr wohl, was Er tat, als Er die Aufmerksamkeit Satans mit den Worten auf Hiob lenkte: „Hast du acht ge­habt auf meinen Knecht Hiob"? Die Bosheit Satans war völlig bereit, Hiob zu plagen und zu verfolgen; sie wurde aber von Gott benutzt, um ihn zu dem zu bringen, was zu seiner Seg-

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nung nötig war, nämlich zu der Erkenntnis des Bösen, das sich in seinem. Herzen vorfand. Auf keinem anderen Wege hätte er dies lernen können. Ein weiteres Beispiel liefert uns die Geschichte des Apostels Paulus. Er wurde in den dritten Him­mel entrückt, um dort ein solches Bewußtsein von der Macht Gottes zu erlangen, daß es ihn für seinen besonderen Dienst der Versammlung und der Welt gegenüber fähig machen konnte, und um zugleich eine Offenbarung von der Herrlich­keit Jesu zu empfangen, wie sie nötig war, um ihn m all den unvermeidlichen Prüfungen, die über ihn kommen mußten, aufrechtzuhalten. Doch welchen Gebrauch würde das Fleisch hiervon gemacht haben, wenn Gott in Seiner Gnade ihm nicht zuvorgekommen wäre? Es hätte sich stolz erhoben und gesagt:

„Siehe, Paulus, du bist im dritten Himmel gewesen, wohin niemand außer dir je gekommen ist". So wurde ihm denn ein Dorn für das Fleisch gegeben, ein Engel Satans, auf daß er ihn mit Fäusten schlage. „Für dieses flehte ich dreimal zum Herrn, auf daß er von mir abstehen möge". Aber nein, der Dorn konnte nicht entfernt werden, weil sich Paulus sonst ins Maßlose erhoben haben würde. Doch er erhält die Zusiche­rung: „Meine Gnade genügt dir". Das, was dem Apostel Kraft verlieh, war, insofern er selbst dabei beteiligt war, gerade das, wodurch er seine eigene Schwachheit kennenlernte, der Dorn für das Fleisch, der Engel Satans, der ihn mit Fäusten schlug. Denn jetzt handelte es sich nicht mehr um seine Kraft, sondern um die Gnade und die Kraft Christi. Jetzt konnte er sagen:

„Daher will ich am allerliebsten mich vielmehr meiner Schwach­heiten rühmen, auf daß die Kraft des Christus über mir wohne".

Es erscheint vielleicht befremdend, daß Gott den Satan als Werkzeug zur Prüfung der Heiligen gebraucht, statt daß Gott zu ihrer Befreiung ins Mittel tritt. Allein, Er handelt so, wie wir auch hier sehen. Er sagt nicht: „Ich werde euch ins Ge­fängnis werfen", sondern: „der Teufel wird etliche von euch ins Gefängnis werfen". Hätte der Herr dies nicht verhindern können? Ganz gewiß; aber weil die Prüfung nötig war, so hätte Er, wenn Er dem Teufel gewehrt hätte, die Seinen der Segnungen beraubt, die für sie aus einer solchen Prüfung hervorgehen sollten. Wenden wir uns einen Augenblick zu der Geschichte des Petrus. Der Herr sagt zu ihm; „Siehe, der

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Satan hat euer begehrt, euch zu sichten wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebetet". Weshalb hatte Er dies getan? Damit Petrus nicht gesichtet werde? Keineswegs; denn Petrus hatte die Sichtung nötig, weil er auf das Fleisch vertraute. Der Grund, weshalb der Herr für ihn gebetet hatte, war, daß sein „Glaube nicht aufhöre", d. h., daß er in der Prüfung gestärkt und aufrechtgehalten werde, daß sein Herz seinen Halt in Christo nicht verliere, sondern Seiner Liebe versichert 'bleibe und so die beabsichtigte Segnung erlange. Auf solche Prüfun­gen des Glaubens spielt Petrus auch an, wenn er in seinem ersten Briefe sagt: „auf daß die Bewährung eures Glaubens, viel köstlicher als die des Goldes, das vergeht, aber durch Feuer erprobt wird, erfunden werde zu Lob und Herrlichkeit und Ehre in der Offenbarung Jesu Christi". War durch Satan die Spreu von dem Weizen abgesondert, so konnte der Herr Petrus gebrauchen, wie Er denn zu ihm sagt: „und du, bist du einst zurückgekehrt, so stärke deine Brüder".

Sobald die Versammlung gefallen war und sie ihre erste Liebe verlassen hatte, mußte sie in den Feuerofen geworfen werden, damit die Welt mit ihrem Anziehenden und ihrem Bösen nicht auf die schlechten Neigungen der Gläubigen ein­zuwirken vermöchte, so lange sie sich im Leibe der Sünde und des Todes befanden. Während die Kirche in der Frische ihrer ersten Liebe wandelte, hatte die Welt keine Macht über sie. Christus stand zu lebendig vor ihren Augen, als daß sie sich anderen Neigungen hätte hingeben können, Neigungen, die das Herz den Vernunftschlüssen des Unglaubens erschließen. Sobald aber die „erste Liebe" verlassen war, wurde die Ver­sammlung die Beute ihres eigenen bösen Fleisches, auf welches das Böse, das sie umgab, einwirkte. Sie mußte deshalb m den Feuerofen geworfen werden, dahin, wo Satan verfolgte, da­mit sie vor dem viel gefährlicheren Ort, wo Satan wohnt, der Welt, bewahrt bliebe.

„Ich kenne deine Drangsal und deine Armut (du bist aber reich)". Als die Versammlung zuerst gebildet wurde, waren die Christen in ihrer äußeren Erscheinung arm und verächtlich. Indem sie ihre erste Liebe verließen, kamen sie in Gefahr, den Vernunftschlüssen der Welt anheimzufallen; 'der Herr läßt deshalb den Fürsten der Welt gegen sie los, um ihnen da, wo

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sie in Gefahr waren, eine falsche Ruhe und Freude zu finden, Trübsal begegnen zu lassen. Statt der falschen Lockungen der Welt, welche sie in die Welt hineinzuziehen und von des Vaters Liebe zu entfernen drohten, sollten sie den wahren Charakter ihrer Feindschaft kennenlernen. So sanken sie in jene Stellung der Unbedeutsamkeit und Armut hinab, in die der Widerstand der Welt die Heiligen versetzt. Doch der Herr sagt: „Du bist aber reich". Jene kleine Zahl armer und ver­achteter Personen besaß göttliche und unerschöpfliche Reich­tümer. Als sie sich jedoch in der Welt vermehrten und aus­breiteten, zeigte sich die Neigung, sich mehr auf die errun­genen Erfolge als auf den Herrn Selbst zu stützen, und der Herr, Der sie zu sehr liebte, um dieses dulden zu können, mußte sie in den Feuerofen werfen, um sie dadurch zu ver­anlassen, ihre Stütze allein wieder in Ihm zu suchen. Er wünschte, daß die Versammlung das ganze ihr gehörende Teil genieße, und Er benutzte die Feindschaft der Welt, um sie zu ihren Hoffnungen und Vorrechten zurückzubringen. Es mag befremdend erscheinen, daß der Herr zu diesem Zweck eine Drangsal von „zehn Tagen" über sie kommen läßt. Doch Er will sie belehren, daß der Himmel und nicht die Erde ihr Teil ist, daß sie nicht hienieden bleiben, sondern als Pilgrime und Fremdlinge durch diese Welt ziehen sollen, um Ihn zu verherr­lichen, Ihn, Der auf Erden ein Fremdling war und auch jetzt in der Herrlichkeit für die Welt als solche ein Fremdling ist. Zugleich aber zeigt jener Ausdruck, daß die Prüfung bestimmt abgemessen ist. Wohl benutzt Gott den Satan als eine Zucht­rute für uns; jedoch er darf keinen Schritt weiter gehen, als Gott es ihm erlaubt, selbst nicht ein Haar unseres Hauptes darf er krümmen.

Doch die Versammlung muß zu dem tiefen Bewußtsein des Zustandes gebracht werden, von dem sie so weit abgewichen ist. Deshalb erlaubt Christus nicht nur dem Teufel, etliche von ihnen ins Gefängnis zu werfen, sondern Er sagt auch: „Sei getreu bis zum Tode, und ich werde dir die Krone des Lebens geben". Satan durfte bis zum Äußersten gehen. Doch wenn die Getreuen ihren Glauben mit dem Tode besiegelten und als Märtyrer starben, was war dann ihr Teil? Jesus gibt ihnen die Krone des Lebens. Die Versammlung hatte sich mit der Welt eingelassen; wo aber der lebendige Glaube tätig war, da hatte

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die Verfolgung die Wirkung, daß Christus Seinen wahren Platz erhielt und alle gestärkt wurden. So oft es sich darum handelte, Christum aufzugeben, gab es Märtyrer, vielleicht sogar unter denen, die am meisten verweltlicht waren. Dies hat sich häufig bewahrheitet. Und so wie es damals war, so ist es heute. Die Christen suchen in hohem Maße dasselbe, was die Welt sucht: Wohlstand, Macht .und Einfluß, gerade die Dinge, die der Herr nicht besaß. Und könnte ich wohl da ein Fremdling genannt werden, wo ich Macht und Einfluß besitze? Sicherlich nicht. Die Versammlung muß einen himm­lischen und einen gekreuzigten Christus aufgeben, wenn sie in irgendeiner Weise die Welt als ihr Teil haben will. Die Ver­sammlung Gottes kann nicht die Welt und Christus miteinan­der verbinden, ohne ihren wahren Charakter zu verlieren.

Der Zweck des Judentums 'war, die Religion mit dieser Welt, mit der Erde zu verbinden. Gott versuchte auf diese Weise, ob der Mensch durch irdische Dinge, die mit Ihm in Verbin­dung standen, zu Ihm hingezogen werden könnte. Zu diesem Zwecke gab Er ihnen einen herrlichen Tempel, prächtige Klei­der, glänzende Zeremonien, Musik und Gesang, um so den Geschmack und die Gefühle der Natur mit sich zu verbinden. Doch alles dieses machte, was wohl zu beachten ist, ein Prie­stertum zwischen Gott und Menschen nötig. Der Mensch war nicht in die Gegenwart Gottes im Himmel gebracht, des Gottes, der „Licht" ist, noch genoß er die friedevolle Gemeinschaft mit Ihm. Jene irdischen Dinge hielten die Seele in einer gewissen Entfernung von Gott. Es kann nicht anders sein. Denn wenn die Welt mit der Religion in Verbindung steht, muß ein Prie­stertum eintreten, weil der Mensch, so wie er ist, nicht vor Gott stehen kann. Er kann nicht im Lichte stehen und braucht deshalb einen Priester.

Wir aber sind jetzt nahe gebracht; wir können in dem Licht stehen, wie Gott im Licht ist; wir sind Priester, und was unsere Stellung in der Gegenwart Gottes betrifft, so ist kein Priester­tum zwischen Gott und uns nötig. Christus litt außerhalb des Tores; und sobald das Blut Christi, durch das wir geheiligt sind, ins Heiligtum, in die Gegenwart Gottes, gebracht ist, sind wir in Verbindung mit den himmlischen Örtern und nicht mehr mit einer irdischen Stadt; es gibt jetzt keine heilige

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Stadt mehr. Ferner sind wir ganz und gar aus der Welt her­ausgenommen (und zwar ist die Welt, in fleischlicher Weise religiös gemacht, für uns „das Lager", aus welchem wir zu Ihm hinausgehen sollen; vergl. Hebr 15, 13) und wir haben unseren Platz mit Ihm innerhalb des Vorhangs gefunden. Gerade das war es, was der Apostel die Hebräer lehrte. Sie konnten nicht mit einer Religion, die einen weltlichen Charak­ter trug, mit dem Judaismus, der irdischen Religion Gottes, vorangehen. Aus diesem Grunde sagt der Apostel auch zu den Korinthern, daß, wenn er auch Christum nach dem Fleisch gekannt habe, er Ihn doch jetzt nicht mehr also kenne. Für ihn gab es nur einen himmlischen Christus.

Im Judentum verbanden fleischliche Satzungen den Men­schen mit Gott. Nachdem aber Christus verworfen ist, teilen Seine Nachfolger Seinen Patz der Annahme im Himmel und den Platz der Verwerfung auf der Erde. Jetzt gibt es kein Mittelding; Christus ist ganz und gar himmlisch, und wir sind auferweckt, um in Ihm in den himmlischen Örtern zu sitzen. Sobald die Versammlung das Bewußtsein ihres himmlischen Platzes in Christo verliert, läßt der Herr in Seiner treuen Liebe die Macht Satans gegen uns los, auf daß wir lernen, daß gerade die Welt, die wir religiös zu machen suchen, der Ort ist, wo Satan thront. Ohne Frage wird in einem solchen Fall die Welt mit ihrer Religion in völligem Widerspruch zu uns stehen, aber wir haben dann Christum und Seine Gedanken für uns. Ihn, der sagt: „Fürchte nichts von dem, was du leiden wirst". „Dieses sagt der Erste und der Letzte, der starb und wieder lebendig wurde".

Christus wendet sich an die Versammlung von Smyrna als Der „welcher starb und wieder lebendig wurde". Er ist nicht nur Gott, sondern auch Derjenige, Welcher tot war und lebt in die Zeitalter der Zeitalter. Als Mensch betrachtet, ist Chri­stus aus der Welt hinausgeworfen worden, so daß wir, wie Maria Magdalena, entweder ein leeres Grab — denn das ist die ganze Welt, wenn wir Christum suchen — oder einen auf­erstandenen Jesus finden. Ist unser Herz auf Christum ge­richtet, so werden wir in dieser Welt nichts anderes finden, als das leere Grab Jesu. Wir haben deshalb nichts mit der Welt

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zu tun, denn wenn wir im Geiste mit unserem Haupt im Him­mel sind, befinden sich alle unsere Segnungen dort. Indessen bleibt es eine beständige Schwierigkeit, Herz und Seele in dieser Gesinnung zu erhalten; aber es muß geschehen. Sonst wird die Welt, wenn wir nicht an ihr hangen, sich an uns hän­gen; kommt dann der Verfall und ist die erste Liebe verlassen, so muß die Verfolgung eintreten, damit wir nicht der Welt gleichförmig werden. Dies war mit der Versammlung in Smyrna der Fall. Die erste Liebe war verlassen, und so mußte sie durch die Trübsal gehen, damit sie nicht vergäße, daß sie nicht von der Welt war. Das Judentum hatte sich Eingang ver­schafft, jene sogenannte „Entwicklung" hatte begonnen usw. „auf Dinge eingehend, die er nicht gesehen hat, eitler Weise aufgeblasen von dem Sinne seines Fleisches". Statt nur wenige, ein kleines, verachtetes Häuflein zu sein, wuchs die Zahl der Gläubigen erstaunlich an, so daß sie in ihrer äußeren Erschei­nung stattlich wurde. Es dauerte nicht gar lange, bis das Ganze der jüdischen Hierarchie glich. Aber dann trat die Verfolgung ein und wehte über alles hin, sie ging selbst bis zum Tode. So konnten doch alle, bei denen ein lebendiger Glaube an einen lebendigen Herrn vorhanden war, von dem zweiten Tode nicht beschädigt werden, obwohl sie hier sterben mochten. Die Ge­schichte jener Zeiten beweist, daß die lebendige Macht und Wahrheit in der Versammlung sich nicht in ihren Lehren, son­dern in ihren Märtyrern vorfand.

Pergamus

„Ich weiß, wo du wohnst, wo der Thron des Satans ist". Hier zeigt sich das Böse unter einem anderen und feineren Charakter. Der Herr erkennt alles an, was Er anerkennen kann. Die Versammlung war durch die Verfolgung hindurch­gegangen und war treu geblieben: „du hältst fest an meinem Namen, und hast meinen Glauben nicht verleugnet, auch in den Tagen, in welchen Antipas mein treuer Zeuge war, der . . . ermordet worden ist". Jetzt aber handelt es sich nicht bloß um Verfolgung von außen, von seiten der Welt — diese prüfte die Kirche, reinigte sie aber auch — sondern um die verderbte Lehre im Innern. Die Versammlung Gottes hat ihren Platz der Verantwortlichkeit in der Welt, wo Satans Thron ist. Wird sie

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nicht mehr von der Welt verfolgt, weil sie aufgehört hat, eine himmlische Zeugin zu sein, so wohnt sie doch in der Welt. Das ist von jenem Tage an bis heute ihr Platz gewesen, was ihre äußeren Formen betrifft. Es ist hier nicht die Rede von dem Betragen der Einzelnen, sondern von der Stellung der Ver­sammlung als Körper.

Man denkt und spricht oft so, als ob Satan seit der Kreuzi­gung Christi aufgehört habe, der Fürst dieser Welt zu sein. Ich möchte im Gegenteil sagen, daß gerade damals Satan im vollen Sinn des Wortes Fürst dieser Welt geworden ist. In bezug auf das menschliche Herz war er es immer; allein bis zur Verwerfung Christi durfte man hoffen, daß noch in irgend­einer Weise etwas Gutes im Menschen gefunden oder hervor­gebracht werden könne; aber das Kreuz hat die völlige Sklave­rei des menschlichen Herzens unter Satan bewiesen und fest­gestellt, daß nichts imstande war, es zu befreien. Wirklich war das Kreuz die Zerstörung der Macht Satans; denn dort hat Christus „den zunichte gemacht, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel". Handelt es sich um die Erfüllung des Werkes, wodurch jenes geschehen sollte, um die Gerechtigkeit vor Gott, so ist seine Macht zu Ende; der Kopf der Schlange ist zertreten worden, obwohl die Frucht jenes vollbrachten Werkes noch nicht in Macht geoffenbart worden ist. Der Mensch ist auf jede Weise auf die Probe gestellt worden; zu­letzt kam er in dem jüdischen System unter die Verantwort­lichkeit des Gesetzes und wurde auf dem Boden des Gehorsams geprüft. In dieser Stellung hat er gefehlt; aber er ist geneigt zu denken/ daß er, wenn er ganz nach eigenem Willen handeln könnte, alles wieder zurechtbringen würde. Auch hierin ist er auf die Probe gestellt worden, als seinen Händen, in der Per­son Nebukadnezars, die Macht übergeben wurde; aber auch diese Probe bestand er nicht. Danach kam Christus. Satan bot alles auf, um Ihn aus dem Wege zu räumen; aber alle seine Anstrengungen endeten mit seiner eigenen Niederlage. Gleich­wohl ist es ihm erlaubt, noch für eine Zeit die Welt zu regie­ren, die Welt, aus der Christus hinausgeworfen wurde, und die in ihren allgemeinen und verschiedenartigen Formen das Werkzeug Satans ist, wie wir dies bei der Kreuzigung des Herrn sehen. Satan, der Fürst dieser Welt, kam und fand

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nichts in Christo; aber die Hohenpriester, die Pharisäer, Pon­tius Pilatus, die Juden und die Macht der Nationen, alles stand unter seiner Leitung. Selbst die Jünger verließen Christum aus Furcht vor der Macht Satans, die sich in der Welt kundgab. Mit einem Wort, die ganze Welt wurde durch Satan angetrie­ben, Christum zu verwerfen. Von jenem Augenblick an ist Satan der offenbare Fürst dieser Welt. Ehe Christus verworren war, konnte Satan dieser Titel nicht beigelegt werden. Der Herr aber erkennt ihn als solchen an; Er nennt ihn „Fürst dieser Welt", indem Er sagt: „Jetzt ist das Gericht dieser Welt;

jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen werden". „Der Fürst der Welt kommt und hat nichts in mir".

Die Versammlung Gottes ist gänzlich aus der Welt heraus­genommen, um mit dem Fürsten Gottes im Himmel verbunden zu werden; und deshalb sollen die Christen nicht das als ihren Wohnplatz und ihre Heimat betrachten, wo Satan thront; sie sollen nicht in der Welt und wie die Welt leben. Aber ach! die Versammlung hat praktischerweise vernachlässigt, „das Haupt" festzuhalten, und hat einen irdischen Charakter an­genommen. Wenn „das Leben für mich Christus ist", so be­finde ich mich in keiner weltlichen Religion, denn der Mensch im Fleische muß etwas zwischen sich und dem Haupte haben. Der Unterschied zwischen wahrem Christentum und der Reli­gion der Welt ist unermeßlich groß. „Wenn ihr mit Christo den Elementen der Welt gestorben seid, was unterwerfet ihr euch Satzungen, als lebtet ihr noch in der Welt?" Ein Mensch in der Welt muß Satzungen haben; wie könnte er ohne sie religiös leben? Aber Satzungen sind nicht Christus; sie sind an Sein Kreuz genagelt worden. Es ist unmöglich, von der Religion der Welt, von den Satzungen und dergleichen los­zukommen, es sei denn, daß man die Kraft eines gestorbenen und auferstandenen Christus kennt und in dieser Kraft wan­delt. Der Mensch im Fleische muß eine Religion von Satzungen zwischen sich und Gott haben. Ist aber jemand mit dem Haupte im Himmel verbunden, so kann ihn nichts näher bringen, denn er ist eins mit Christo; wer nicht mit dem Haupte eins ist, der ist von Christo getrennt. Bringt man irgend etwas zwischen Christum und die Seele, so ist alles verloren; die ganze Stellung ist dann verändert.

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Diese verderbliche Neigung, sich mit der Welt zu verbinden, führte von Gottes Seite die Züchtigung herbei, aber mit ihr auch die angemessene Verheißung: „Sei getreu bis zum Tode, und ich werde dir die Krone des Lebens geben". Es ist voll­kommen wahr, daß der Herr Trübsale kommen läßt; aber nie finden wir bei Ihm irgendwelche moralische Duldung des Bösen. Der Herr kann nicht durch falsche Lehren versuchen. Er zeigte der Versammlung das Böse ihrer verderblichen Ver­bindung mit der Welt, indem Er die Welt in eine verfolgende Welt verwandelte; aber nie hätte Er ihnen Balaams falsche Lehre senden können. Unmöglich kann Christus moralische Versuchungen kommen lassen als eine Rute zur Züchtigung der Heiligen, obwohl Er sie in Seiner heiligen Weisheit er­lauben mag. Die Anstrengung des Feindes in Pergamus war etwas ganz anderes als die Verfolgung, von der in Smyrna die Rede ist. Balaam suchte die Gläubigen in eine religiöse Ver­bindung mit der Welt zu bringen, und das ist ein weit grö­ßeres Übel, als wenn Satan Seine Macht zu öffentlicher Ver­folgung benutzt.

In Ephesus sahen wir den Anfang des Abfalls; „die erste Liebe" war verlassen. In Smyrna wurde die Versammlung in den Feuerofen geworfen; doch Satan hatte durch die Verfol­gung seine Zwecke nicht erreicht. Eine Treue bis zum Tode hatte den Leidenden die Märtyrerkrone eingebracht. In Per­gamus erhebt sich jedoch eine neue Gefahr. Die Versammlung wohnte jetzt da, wo Satans Thron ist, d. h. in der Welt; ver­derbliche Lehren wurden verbreitet, die dem Fleische gefielen und die Versammlung mit der Welt verbanden. Der Feind war im Inneren wirksam, „du hast solche dort, welche die Lehre Balaams festhalten".

Es besteht also ein sehr großer und lehrreicher Unterschied zwischen der Verfolgung in Smyrna und der Verführung in Pergamus. In Smyrna sagt der Herr: „Der Teufel wird etliche von euch ins Gefängnis werfen, auf daß ihr geprüft werdet Sei getreu bis zum Tode, und ich werde dir die Krone des Lebens geben". Ich bin gestorben für euch; deshalb seid auch ihr getreu bis zum Tode für mich. In Smyrna wollte der Herr nicht einschreiten, um die Folgen der Stellung, in der die Ver­sammlung sich befand, d. h. die Verfolgung, zu verhindern,

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sondern Er benutzte die Verfolgung, um die abweichende Versammlung in ihrem wahren Charakter zu erhalten, indem Er zugleich die Versicherung einer ewigen und himmlischen Ver­heißung, einer Krone für den Getreuen, gab. In Pergamus aber sehen wir die Versammlung in Verbindung mit der Welt, sie wohnt da, wo der Thron Satans ist; und der Herr konnte nicht den Fallstrick dadurch entfernen, daß Er auf die Welt ein­wirkte, Er hätte denn die Wet richten müssen. Satanische List war im Einverständnis mit der Welt und durch ihren Geist in der Versammlung wirksam. Ein falscher Prophet brachte sie mit dem Platz im Verbindung, wo der Thron Satans war, mit der Welt, die aufgehört hatte, eine Verfolgerin zu sein. Es ist hier Balaam und noch nicht Jesabel. Der Charakter Balaams ist überaus schlecht und verderbt. Infolge der Vergehungen Israels war einst die Frage erhoben worden, ob Gott das Volk ins Land bringen, oder ob es Satan durch seine Werkzeuge, Balak und Balaam, gelingen würde, ihren Einzug in Kanaan zu verhindern. Sie gaben sich alle Mühe, Jehova zu bewegen, den Fluch über Israel auszusprechen, aber vergebens. Ange­sichts des Anklägers „sieht er kein Unrecht in Israel". Ebenso war es ganz unmöglich, Satans Macht wider das Volk Gottes zu benutzen, weshalb Balaam sagt: „Da ist keine Zauberei wider Jakob, und keine Wahrsagerei wider Israel". Gott wehrte Balaams Lippen und zwang ihn, gegen seinen Willen Segnungen statt Flüche auszusprechen. „Widerstehet dem Teufel, und er wird von euch flehen". Wenn der Teufel als Widersacher kommt, hat er keine Macht; das Geheimnis seiner Kraft besteht darin, daß er als Versucher und Verführer an uns herantritt. Als er Jehova nicht bewegen konnte, Israel zu verfluchen, verführte er das Volk zur Gottlosigkeit, „Götzen­opfer zu essen und Hurerei zu treiben". Wie konnte jetzt der heilige Gott sie ins Land einführen (siehe 4. Mo 25)?

In Pergamus tritt Satan als ein Verführer m die Versamm­lung, während er in Smyrna als der Verfolger außerhalb von ihr blieb. Deshalb wird an Smyrna die Ermahnung gerichtet-„Fürchte nichts von dem, was du leiden wirst". In der „Furcht" ist Schwachheit; sie bringt Gefahr. Befindet der Heilige sich außerhalb der Verfolgung, so zittert er oft und ist voll Furcht, wenn er auf die Verfolgung hinblickt; ist er aber völlig in ihr

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und hat er Glauben, so blickt er zu Gott empor und findet, daß er nie vorher so glücklich war. So ist er von der Welt getrennt, und fähig gemacht, sein eigenes, wahres Teil zu ge­nießen. Wenn aber die Versammlung Gottes auf dem Gebiet Satans wohnt, so wird er ihr, falls er nicht als Verfolger auf­tritt, so viel von der Welt geben, als er nur kann; denn er selbst sagt: „mir ist sie übergeben, und wem irgend ich will, gebe ich sie" (Lk 4, 6). Und kann von der Welt gesagt werden, daß sie die Versammlung reich gemacht hat, so wird sie und nicht das auferstandene Haupt ihr Herz besitzen; „denn wo euer Schatz ist, da wird auch euer Herz sein". Balaam war ein Prophet, obwohl er ein falscher Prophet war; er konnte von dem Namen Jehovas Gebrauch machen und erklären, daß er Sein Wort allein reden müsse. In Pergamus sehen wir seinen Geist in die Versammlung eindringen, um es ihr in dieser Welt behaglich zu machen. Der böse Knecht, der in seinem Herzen sagt: „Mein Herr verzieht zu kommen, und anfängt ... zu essen und zu trinken und sich zu berauschen", wird als Knecht behandelt, jedoch als ein böser. Sobald es Satan gelingt, einem Christen es angenehm und behaglich zu machen in der Welt, hat er seinen Zweck erreicht.

Die Lehre der Nikolaiten führte die Wirksamkeit des Flei­sches in die Versammlung Gottes ein, die Lehre des Balaam den Geist der Welt. Die Einführung dieses Geistes geschah durch den falschen Propheten, und zwar zu dem Zweck, die Versammlung mit der Welt zu verbinden und ihr in einer Welt, die Christum getötet hat, ein ruhiges und behagliches Leben zu verschaffen. Wir begegnen hier einem Lehrer, einer Art von religiösem Unterweiser; denn es heißt: „welche die Lehre Balaams festhalten, der den Balak lehrte, ein Ärgernis vor die Söhne Israels zu legen". „Also hast auch du solche, welche in gleicher Weise die Lehre der Nikolaiten festhalten". Bei Ephesus werden die „Werke der Nikolaiten" erwähnt; hier aber handelt es sich um eine Lehre, die schlechte Handlungen gutheißt, was nicht nur gegen das Gesetz, sondern auch gegen Christum war. Es war ein Verderben im Innern der Kirche, dem durch die Verbindung mit der Welt von außen Vorschub geleistet wurde. Es ist sehr schmerzlich, zu sehen (und wir sollten an dem, was in der Versammlung vorgeht, stets den

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innigsten Anteil nehmen), wie bald die Versammlung neue Rückschritte machte. Ihre Drangsal in Smyrna, die auf den ersten Fall in Ephesus folgte, hatte ihr Licht auf eine kurze Zeit für Gott heller brennend gemacht. Die Wurzel des Bösen aber war vorhanden, und als äußere Ruhe und Behaglichkeit zurückkehrten/war die Versammlung zufrieden, da zu wohnen, wo Satans Thron ist. Auf diese Weise wurde die Tür geöffnet für schlechte Lehre, falsche Unterweisung, für die Vermengung des Fleischlichen mit dem Geistlichen. Satan wünschte nicht, da zu verfolgen, wo er verderben konnte; denn seine Verfol­gungen bewirken Läuterung der Seele für Gott, während das verführerische Verderben Satans unvermerkt die Seele von Gott entfernt. Wir haben hier noch nicht die volle Reife der Bosheit, wie zur Zeit Jesabels, sondern nur die Unterweisung in der Lehre, die diese bösen Werke gestattete. In der nächsten Versammlung sehen wir jedoch, daß Kinder aus diesem Bösen geboren wurden; das Böse war ihr moralischer Geburtsort.

Das Auge und das Herz des Herrn folgten der Versammlung dahin, wo sie wohnte, selbst bis zu dem Thron Satans; Er sagt:

„Ich weiß, wo du wohnst". Und von dort (d. h. von dem Geist der Verbindung mit der Welt) wünschte Er sie mit dem Mahn­ruf zurückzubringen: „Tue nun Buße; wenn aber nicht, so komme ich dir bald und werde Krieg mit ihnen führen mit dem Schwerte meines Mundes". Hier wird das Wort in richterlicher Weise angewendet, wie ein Schwert, das aus dem Munde Christi hervorgeht. Bei einem solchen Zustand der Dinge ist das Wort Gottes die Quelle, zu welcher der Heilige hingezogen wird. Die Verheißungen werden jetzt viel persönlicher: „Dem, der überwindet, dem werde ich von dem verborgenen Manna geben". Die verborgene Treue sollte durch die Verheißung des verborgenen Mannas unterstützt werden. Diese Treue wurde insofern gesehen, als ihre Früchte allen offenbar wurden. Die Versammlung als Körper wohnte in der Welt, und als eine notwendige Folge zeigte sich das verborgene Leben des Herzens der treuen Seele mit Gott in der Kraft des Wortes: es ist das innere Band mit dem, was seinen Charakter nie verändert und was die verborgene Treue vor Gott unterstützt. Wie ver­schieden ist dies von dem richterlichen Gebrauch des Wortes, wenn es sich als ein Schwert aus Christi Mund im Kampfe

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erweist. Die lebendigen Glieder sind vereinigt mit Christo, der auf Erden litt, jetzt aber im Himmel ist.

Das Manna bezeichnet den Sohn Gottes, der Fleisch gewor­den ist, um unseren Seelen das Leben zu geben. Sein Eintreten in Niedrigkeit in alle unsere Umstände. Es ist unsere tägliche Nahrung während unseres Wandels durch die Wüste; denn es wird von dem Manna gesprochen in Verbindung mit Jesu als dem lebendigen, vom Himmel gesandten Brot. „das lebendige Brot, das aus dem Himmel herniedergekommen ist" (Joh 6, 51). Was aber ist das verborgene Manna? Das Manna für Israel wurde um das Lager her gestreut, und täglich sollten sie es zu ihrer Speise sammeln. Ebenso soll Christus, solange wir in der Wüste weilen, die tägliche Speise unserer Seele sein;

aber das ist nicht das verborgene Manna. Es mußte ein gol­dener Krug, der mit Manna gefüllt war, vor Gott aufbewahrt bleiben, damit die Israeliten, wenn sie ins Land Kanaan ge­kommen waren, sich dessen erinnerten, was sie in der Wüste genossen hatten. Dies verborgene Manna ist die Erinnerung an einen leidenden Christus auf Erden, die Erinnerung an das, was Christus in der Wüste, als Mensch, als ein erniedrigter und leidender Mensch war. Er, Der der Gegenstand der ewigen Wonne Gottes im Himmel ist. In unserem ewigen Zustand werden alle, die überwunden und mit Christo sich treu von der Welt getrennt haben, den ewigen Genuß der Gemeinschaft mit Gott in Seiner Wonne an dem einst erniedrigten Christus teilen; es wird dieselbe Wonne, wenn auch in verschiedenem Maße, sein. Wenn wir mit einem verworfenen Christus treu wandeln, statt Balaam in unsere Herzen einzulassen, dann werden wir Christum im Geist hienieden genießen; aber dies können wir nicht, wenn unsere Seelen mit irgendwelcher Gott­losigkeit in der Welt verbunden sind. Sollte aber jemand be­haupten, daß er Ihn dennoch genieße, so ist das Nikolaitis-mus. Nach dem Maße aber, wie unsere Seelen das Geheimnis dessen, was Christus in der Welt war, aufnehmen und ver­stehen, werden wir uns auch von Ihm nähren; dies ist jedoch unmöglich, wenn wir im Geiste der Welt wandeln. Selbst die Darstellung Christi in den Evangelien können wir nicht ge­nießen, es sei denn, daß es eine Speise für die Seele ist. Jemand mag sagen: diese oder jene Wahrheit ist sehr schön; wenn er aber nur sein Wissen dadurch bereichert, so nützt es ihm

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nichts. Gott hat Seinen Sohn nicht hingegeben, hienieden zu leiden, damit man hernach eine angenehme Unterhaltung habe, sondern daß man sich von Ihm nähre.

Der „weiße Stein" erinnert im allgemeinen an die Abgabe seiner Stimme zu jemandes Gunsten; es ist das verborgene Zeichen des Beifalls, das der eine dem anderen gibt. Im Him­mel gibt es öffentliche Freuden, die allen gemein sind, tausende von Stimmen, die in Gemeinschaft und in Danksagung den Lobgesang widerhallen lassen. Ebenso gibt es hienieden Freu­den, die wir in Christo miteinander teilen. Aber Er muß eben­sowohl unsere persönlichen als unsere gemeinsamen Zunei­gungen haben. Meine eigene persönliche Freude in Christo kann ein anderer nicht kennen, noch kann ich seine Freude genießen, dies ist wahr von den höchsten Zuneigungen, „einen neuen Namen geschrieben, den niemand kennt, als wer ihn empfängt". Dieser Name kann nur für den Bedeutung haben, der ihn empfängt. Christus offenbart Sich der Seele in einer Weise, daß sich kein Fremder in ihre Freude einmischen kann. Die persönliche Freude und Gemeinschaft ist von der gemein­schaftlichen Freude verschieden, wiewohl sie diese erhöht; und diese persönliche Freude, die wir hienieden kennen, wird nie unterbrochen werden.

Diese wie jede andere an die Versammlungen gerichtete Verheißung bezieht sich auf die zukünftige Zeit der himm­lischen Segnung; aber sie ist auch die Quelle der Freude und Kraft in der Gegenwart. Der Geist Gottes läßt uns den Tag im voraus genießen; ich kann schon jetzt im Geiste diesen weißen Stein in Christo haben, diesen innigen und verbor­genen Ausdruck Seiner Gnade und Liebe, den andere nicht für sich haben können, noch ich für sie. Wie macht dieser Ge­danke den „weißen Stein" über alles andere wertvoll! Welche verborgene Quelle der Kraft ist es, ob auch die ganze Welt mir Unrecht geben sollte, wenn ich diesen „weißen Stein" des Bei­falls Christi besitze, der in der Bewahrung des Wortes erlangt und im Herzen gekannt wird! Doch ich wiederhole es, ich muß alles durch das Wort Gottes beurteilen, mit diesem Schwert Seines Mundes, das alle Wirkungen Balaams kraftlos macht und von ihnen befreit. Ich bin alsdann ohne Sorge, mag die Welt über Dinge denken, wie sie will, Christus hat zu mir

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geredet, und an dem zukünftigen Tage der Herrlichkeit wird Er alles anerkennen, was Er zu mir gesagt hat.

Es ist wirklich schmerzlich genug, wenn Balaam in der Versammlung lehrt, aber sicher gibt es unter den Heiligen keine Prüfung, die nicht die Treue Dessen offenbart. Der bereit ist, den Überwinder zu segnen; und so wird die Seele in eine Gemeinschaft mit Christo gebracht, wie nicht? anderes es vermocht hätte. Da ist nichts, was der Seele Christo gegenüber so sehr das gesegnete Bewußtsein Seines Beifalls gibt, als die Treue, wenn das Böse zu verderben beginnt. Han­delt es sich um falsche Lehre im Innern, so heißt es hier, wie bei der Verfolgung und bei allem anderen: „Überwindet!" Wer ein Ohr hat zu hören, was der Geist den Versammlungen sagt, der soll das Böse, das sie bedroht, überwinden, welcher Art es auch sein mag.

Thyatira

Die Zeit erlaubt mir nicht, mehr als einen flüchtigen Blick auf Thyatira zu werfen. Wenn Jesabel auf den Schauplatz tritt, sehen wir eine Veränderung. Wohl ist sie eine Prophetin, aber sie selbst wird Mutter von Kindern: eine ganze Klasse von Personen empfängt ihr Dasein aus diesem Verderben. Von Personen, die mit diesem Verderben und diesem Bösen ihr Spiel treiben, sowie auch von einfachen, irregeführten Seelen, sagt Christus: „Diese will ich in große Drangsal bringen, wenn sie nicht Buße tun". Doch jene, die ihre moralische Exi­stenz aus diesem Verderben herleiten, will Er töten; „ihre Kinder werde ich mit Tod töten". Sobald aber dieser Zustand der Versammlung, als Erzeuger des Verderbens, ans Licht tritt, kommt auch das Gericht der Nationen zur Sprache: „wie Töpfergefäße zerschmettert werden", und das Herz des Gläu­bigen wird auf das Kommen des Herrn gerichtet: „Ich will ihm den Morgenstern geben".

Gern schließe ich die heutige Betrachtung mit dieser Ver­heißung; sie ist voll von Segnung. Bis zu ihrer Erfüllung ist der Herr Selbst für uns das verborgene Manna. Er möge uns und allen Seinen Heiligen Gnade geben, alles zu vermeiden, was dem Geist und der Lehre Balaams gleicht. Wir sind eins mit Jesu, sind Glieder Seines Leibes, von Seinem Fleisch und

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von Seinen Gebeinen. Die Kenntnis unserer Einheit mit Ihm und ihre Verwirklichung in unseren Seelen ist auch der einzige Schutz vor dem verführerischen Geist unserer Tage. Der Herr gebe, daß wir treu sind im Blick auf die gesegnete Wahrheit, daß wir eins sind mit Ihm, Der zur Rechten Gottes ist; alsdann werden andere vergeblich versuchen, durch ihre Satzungen oder ihr Priestertum zwischen uns und Gott zu treten; dann kann ich sagen: „Ich bin zu nahe zu Gott gekommen, als daß ihr zwischen Ihn und mich treten könntet, und auch zu nahe, als daß ihr mich näher zu Ihm zu bringen vermöchtet. An diesen gesegneten Platz hat mich die Gnade gestellt, und alles andere ist nur armselige Torheit". Wir sind berufen, das Böse in der Versammlung zu richten; denn Gott kann Balaam und Jesabel nicht anerkennen, wenn wir es auch können. Mögen wir deshalb durch des Herrn Gnade daran denken, daß der Verfall in der Versammlung gerichtet werden muß. Wir haben in der jetzigen Zeit besonders darauf zu achten, daß die Kirche, weil sie selbst unter dem Gericht steht, weder für den Glauben, noch für irgend etwas anderes Sicherheit bieten kann.

In diesem Teil des Kapitels betreten wir, sozusagen, einen neuen Boden. Dies offenbart sich in zweifacher Weise. Der Geist Gottes, der über all unserem Abfall weit erhaben ist, richtet das Auge des treuen Überrestes auf das Kommen des Herrn Jesu, und die Ermahnung: „Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Versammlungen sagt", steht von jetzt ab nicht mehr in Verbindung mit der Anrede an die Versammlungen im allgemeinen, sondern folgt erst auf die Verheißungen, die den Überwindern gegeben werden. Die Stellung des Über­restes wird dadurch in besonderer Weise gekennzeichnet, als nicht mehr in Verbindung stehend mit dem allgemeinen Körper der Versammlung, sondern mit dem Platz derer, denen die Verheißung gegeben ist: „dem, der überwindet".

Das unterscheidende Element, das wir in der Versammlung zu Pergamus eingeführt fanden, bestand darin/ daß die Welt der Thron Satans ist; demzufolge muß die Versammlung in einer der beiden folgenden Stellungen sein: entweder ist sie wegen ihrer Treue eine verfolgte und leidende Versammlung in der Welt, oder sie verliert diesen Charakter, bequemt sich der Welt an und geht mit ihr. In Pergamus fanden verderb-

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liehe Lehren ihren Weg in die Versammlung als Körperschaft, und nicht nur zu Einzelnen; sie wirkten und verdarben das, was innerhalb der Versammlung war, so daß jetzt das Böse dort seinen Ausgangspunkt fand. Balaam, der falsche Prophet, verführte die Versammlung und verband sie mit der Welt:

„du hast solche dort, welche die Lehre Balaams festhalten". Hier aber in Thyatira geht es weiter: „du duldest das Weib Jesabel", — das Böse wird gestattet. Wir haben gesehen, daß Balaam, als es ihm mißlang, Gott zum Verfluchen Israels zu bewegen, den Versuch machte, die Israeliten dadurch in Trüb­sal zu bringen, daß er sie mit dem Volk des Widersachers im Bösen vereinigte.

Ebenso ist das Böse in die bekennende Kirche eingedrungen. In Thyatira haben wir deshalb einen noch schrecklicheren Zu­stand als in Pergamus. Es findet sich nicht nur falsche Lehre vor — „diejenigen, welche die Lehre Balaams festhalten", — sondern eine Person hat sich darin niedergelassen, und sie hat Kinder, die aus dieser Verführung geboren werden. Nicht nur werden die Heiligen zum Bösen verführt, sondern Jesabel ist, sozusagen, in Thyatira so sehr zu Hause, daß Kinder geboren werden, die ihre Heimat und ihren Geburtsort im Bösen haben, ja, die dem Verderben selbst entsprossen sind. Doch beachten wir, daß wir angesichts dieses wachsenden Bösen und all dieser Gottlosigkeit eine zunehmende Energie seitens der Getreuen finden; denn Gott hatte inmitten dieses Bösen einen Überrest, dessen Treue wegen der großen Finsternis ringsum nur um so deutlicher hervortrat. Ähnliche Beispiele finden wir in der Ge­schichte Israels. Inmitten der götzendienerischen Anbetung des goldenen Kalbes oder während der Regierung der blutdürstigen Isebel, wurden tatkräftige Männer, wie Elias und Elisa, er­weckt, die mit einer besonderen Kraft des Zeugnisses für Gott ausgerüstet waren; auf diese Weise zeigt Gott, daß Er für die Bedürfnisse Seines Volkes stets genügend ist.

Wenn das Böse eine solche Höhe erreicht hat, daß es den Ge­treuen unmöglich wird, mit dem Bösen länger voranzugehen, dann gelangen sie in der Absonderung von diesem Bösen zu einer weit höheren Erkenntnis und Kraft, (obwohl es unter großer Trübsal sein mag) als zu der Zeit, da sich die Versamm­lung in einem glücklicheren Zustand befand. Zur Zeit des Elias

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bewahrte Gott Seinen Namen in ganz besonderer Weise. Das ganze Volk Israel hatte sich so schrecklich verderbt, daß Gott genötigt gewesen wäre, es gänzlich zu vertilgen; die Zeit war aber noch nicht gekommen. Alles war in Unordnung; weder Tempel noch Opfer, noch Priestertum war auf dem Berge Karmel; dessenungeachtet gab Sich Gott den wenigen Getreuen in einer Weise kund, von der das Volk in Jerusalem weder Kenntnis noch Genuß hatte; die mächtige Kraft Gottes war da, um dem Worte Seines Propheten Zeugnis zu geben. Ebenso war es bei Mose- er wandelte treu mit Jehova, während sich das ganze Volk um ihn her im Abfall befand. Nicht als Israel gut wandelte, war Mose Gott am nächsten, sondern als sie alle fehl gingen. Als Israel das goldene Kalb gemacht hatte, „nahm Mose das Zelt und schlug es sich auf außerhalb des Lagers, fern vom Lager", und dann ging er in die Gegenwart Gottes, und daselbst „redete Jehova mit Mose von Angesicht zu An­gesicht, wie ein Mann mit seinem Freunde redet" (2. Mo 32, 33). Und an diese herrliche Auszeichnung erinnert Jehova in 4. Mo 12, als Mirjam wider Mose geredet hatte. Er sagt dort:

„Warum habt ihr euch nicht gefürchtet wider meinen Knecht, wider Mose zu reden?" „Er ist treu in meinem ganzen Hause;

mit ihm rede ich von Mund zu Mund". Das Zusammentreffen mit Gott im Zelte außerhalb des Lagers zeichnete Mose mehr aus, als selbst seine Berufung auf den Gipfel des Sinai. Es ist ein feststehender Grundsatz in der Schrift, daß Gott da, wo der Abfall ganz allgemein und offenbar ist, durch Seine Ge­treuen ein viel lauteres Zeugnis und größere Macht an den Tag treten läßt, als vorher in dem Körper, in seiner Gesamt­heit betrachtet, bekannt war. Auf diese Weise bestätigen sich die Worte Jethros: „In der Sache, worin sie in Übermut han­delten, (durch ihre Sünde und Auflehnung gegen Gott) war er über ihnen" in Gnade und Macht (2. Mo 18,11). Die gleiche Erscheinung wiederholte sich in den Tagen des Herrn Jesu. Er war ein höchst gesegnetes und herrliches Beispiel zu diesem Grundsatz, denn Er Selbst legte das vollständige und geseg­nete Zeugnis von der Gnade und Gerechtigkeit ab, um auf die Wege der Welt und Seines eigenen Volkes einzuwirken, gerade zu der Zeit, als Israel und die Welt im Begriff standen, die schrecklichste Sünde in der Kreuzigung des Sohnes Gottes zu begehen. Als das Herz Israels dick geworden war, als es sich

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in einem Zustand befand, der geeignet war, sieben andere Geister aufzunehmen, böser als der Geist, von dem es früher besessen war, als es, mit einem Wort, im Begriff stand, in den letzten, traurigsten Zustand zu versinken, da redete Gott, Der schon auf mancherlei Weise durch die Opfer, die Vorbilder und Propheten zu ihnen geredet hatte, zuletzt zu ihnen in Seinem Sohne, in der Person des sanftmütigen und demütigen Jesus.

Den vorhin erwähnten Grundsatz finden wir auch hier in Thyatira, sobald Jesabel Eingang gefunden hat. „Ich kenne deine Werke . . . und weiß, daß deiner letzten Werke mehr sind, als der ersten". Der Zustand der bekennenden Kirche hatte zur Folge, daß die Heiligen eine Energie entfalteten, die ihnen vorher unbekannt war. Dies zeigte sich stets in der Ge­schichte der Kirche während der sogenannten „finsteren Jahr­hunderte" des Mittelalters. Das treueste Zeugnis offenbarte sich und ein Maß von Hingebung, wie es zu anderen Zeiten unbekannt war, und wie man es heutzutage so gern in irgend­einer Weise sehen möchte. Man wagte das eigene Leben, um für Gott Zeugnis abzulegen. Ach! wie wenig sieht man davon in unserem Jahrhundert der Bequemlichkeit und der Schlaff­heit!

„Ich kenne deine Werke und deine Liebe und deinen Glau­ben und deinen Dienst und dein Ausharren, und weiß, daß deiner letzten Werke mehr sind, als der ersten". Hier sind die Liebe und der Glaube wirksam, an denen es in Ephesus man­gelte. Der Herr ermuntert daher die Gläubigen durch „Hoff­nung" (V. 25), so daß wir hier Glaube, Hoffnung und Liebe finden, diese drei großen Grundsätze des Christentums. Wenn sie sich auch nicht, wie bei den Thessalonichern, in ihrer ge­segneten Ordnung vorfanden, so waren sie doch alle in irgend­einer Weise vorhanden. Zugleich bemerken wir auch hier wie­der, wie Gott stets bereit ist, das Gute anzuerkennen, ehe Er von dem Bösen redet.

„Dieses sagt der Sohn Gottes, der seine Augen hat wie eine Feuerflamme und seine Füße gleich glänzendem Kupfer". Das Feuer ist das Sinnbild des unfehlbaren Gerichts; es durchdringt alles, wie das Auge Gottes. Was aber sieht Christus zuerst? Ohne Zweifel durchschaut Er sofort das schreckliche Böse; aber

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zuerst erwähnt Er das, woran Sein Herz Wohlgefallen findet. Er sieht in diesem verachteten Häuflein, um das sich niemand im geringsten kümmert, das, was Ihn erfreut; und obwohl Seine Füße gleich glänzendem Kupfer den unveränderlichen Charakter der Gerechtigkeit bezeichnen, die Gott (in Seinen Anforderungen an ihn) hienieden offenbart, und die in dem Menschen, in Christo, göttlich erfüllt war und Seine Person charakterisierte, so ruht dennoch das Auge Gottes stets auf dem kleinsten Funken von Treue inmitten des Bösen. Kein Pulsschlag eines Herzens, das Ihm inmitten der überströmenden Ungerechtigkeit treu ergeben ist, bleibt von Ihm unbeachtet;

und das ist es, was das Herz inmitten der widerwärtigen Um­stände stets aufrecht hält. Wie köstlich ist es für uns, in der Einfalt des Glaubens die volle Tragweite dieser zwei Wört­chen: „Ich kenne", zu verstehen und sie mit Kraft in unseren Seelen zu verwirklichen, und also in dem glückseligen Bewußt­sein voranzugehen, daß das Auge Gottes stets auf unserem Wandel und auf unseren Wegen ruht!

„Aber ich habe wider dich, daß du das Weib Jesabel dul­dest usw." (V. 20). Hier wird die Versammlung, als ein Gan­zes, dadurch gekennzeichnet, daß sie das Böse duldet. Es heißt nicht mehr, wie früher: „Du kannst Böse nicht ertragen";

nein, der Geist des Bösen in der Versammlung wurde jetzt völlig und öffentlich gestattet. Das war ein weit höherer Grad von Verfall, als bloß die falsche Lehre unter sich zu haben. „Du duldest das Weib Jesabel, welche sich eine Prophetin nennt, und sie lehrt und verführt meine Knechte". Man dul­dete ein Weib, das einen erklärten Charakter in der Versamm­lung besaß: sie nannte sich eine Prophetin. Sie war ohne Zwei­fel eine falsche Prophetin, aber sie gab vor, in der Versamm­lung das Wort Gottes zu halten und zu lehren. „Ich gab ihr Zeit, auf daß sie Buße täte, und sie will nicht Buße tun". Gott geht nicht sogleich mit ihr ins Gericht, sondern Er läßt ihr Zeit zur Buße. Er handelt in Geduld mit ihr, aber sie tut keine Buße. Gott hat es hier nicht mit den Heiden zu tun — ihnen läßt Er das Evangelium predigen, um ihre Seelen für Christum zu gewinnen — sondern es ist eine Person, die sich Prophetin in der Versammlung nennt und die Knechte Gottes lehrt, „Hurerei zu treiben und Götzenopfer zu essen"; demgemäß handelt Gott mit ihr auf diesem Boden ihres Bekenntnisses.

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Er „gibt ihr Zeit, Buße zu tun, aber sie will nicht Buße tun von ihrer Hurerei"; deshalb muß Er das Gericht vollziehen. Es heißt hier nicht/ was wohl zu beachten ist: „Ich werde deinen Leuchter aus seiner Stelle wegrücken, wenn du nicht Buße tust" (Kap. 2,5). Jesabel wird durchaus nicht als Leuchter anerkannt.

Es ist hier von zweierlei Gericht die Rede, weil nicht alle Kinder Jesabels waren. Der Ausdruck „Hurerei treiben" wird in der Schrift häufig gebraucht, um eine Gemeinschaft mit dem Bösen, besonders mit dem Götzendienst zu bezeichnen: das Volk Gottes gibt sich einem anderen hin als Ihm, Dem es an­gehört. Zuerst heißt es: „Siehe, ich werfe sie in ein Bett und die, welche mit ihr Ehebruch treiben, in große Drangsal, wenn sie nicht Buße tun von ihren Werken"; dann: „Und ihre Kin­der werde ich mit Tod töten". Es gibt solche, die nicht ihre Kinder sind, aber mit ihr im Verkehr stehen und sich willig mit dem Bösen verbinden und Gemeinschaft mit ihm haben. Diese will ich strafen, sagt der Herr; sie werden die Frucht ihrer Wege ernten, „und alle Versammlungen werden erken­nen, daß ich es bin, der Nieren und Herzen erforscht". Ich werde untersuchen, wer zufrieden ist, mit dem Strom des Bösen abwärts zu schwimmen, und wer in Treue gegen mich ausharrt. Die, welche mit Jesabel Ehebruch getrieben haben, die sich mit diesem Geiste der falschen Prophezeiung abgege­ben haben, „werde ich in große Drangsal werfen, wenn sie nicht Buße tun". Ihre Kinder aber, die durch diese falsche Lehre ihren christlichen Platz und Namen bekommen haben, wird ein völliges Gericht treffen: „ihre Kinder werde ich mit Tod töten". Für diese handelt es sich nicht bloß um Drangsal, son­dern sie sind die Gegenstände eines vollkommenen Gerichts. Nachdem ihnen vergeblich Zeit zur Buße gelassen worden ist, wird ein unmittelbares Gericht sie erreichen.

Wie betrübend, ja, wie überaus betrübend ist es, zu sehen, daß Christen sich so oft an solchem Bösen beteiligen! Nehmen wir z. B. die Galater. Unter ihnen gab es Heilige, die sich mit dem Judentum abgaben und das Gesetz einzuführen trachteten. Nicht, als ob sie keine Christen gewesen wären; aber sie ver­banden sich mit einer Sache, die Gott ganz und gar verhaßt war. Deshalb sagt Paulus zu ihnen: „Ich bin eurethalben in

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Verlegenheit", obschon sein Glaube sie hernach mit ihrem auf­erstandenen Haupt verbindet, und er, kraft der unfehlbaren Gnade Christi und ihrer Vollendung in Ihm, ausrufen kann:

„Ich habe Vertrauen zu euch im Herrn". Es ist große Wach­samkeit nötig, da die Seele immer in Gefahr steht, sich mit Grundsätzen einzulassen/ die Gott völlig haßt. Die Kolosser hielten die Verbindung mit Christo, ihrem Haupt, nicht fest;

sie stellten etwas zwischen das Haupt und die Glieder. Der Apostel Paulus war stets in großer Besorgnis, wenn er irgend etwas eindringen sah, was die unmittelbare, eigene und per­sönliche Verbindung der Heiligen mit Christo stören konnte. Wenn ein wahrer Christ auf diese Weise Gemeinschaft mit dem Bösen macht, muß er in Drangsal kommen, um für Gott geläutert zu werden; tut es ein Unbekehrter, gibt es für ihn nichts als das Gericht. So wird es auch der christlichen Welt unserer Tage ergehen, die sich an dem Verderben des Christen­tums beteiligt, das in Thyatira durch Jesabel dargestellt ist;

alle, die nicht Buße tun von ihren Werken, werden einem ver­zweiflungsvollen Elend übergeben werden. Es ist ein sehr ernster, aber wahrer Gedanke, daß jeder, der etwas zwischen die Gläubigen und ihr verherrlichtes Haupt stellt, nachdem Gott sie gelehrt hat, daß sie eins sind mit Christo, das Chri­stentum tatsächlich verleugnet. Das war die große Wahrheit, deren Entfaltung dem Apostel Paulus anvertraut war; es war das, was er speziell von dem Herrn empfangen hatte: „Ich bin Jesus, den du verfolgst". Deshalb war es für ihn so tief be­trübend, wenn sich irgend etwas, mochten es Gesetzeswerke, das Priestertum, oder irgend etwas anderes sein, zwischen die Seele und Christum stellte und somit die große Wahrheit, die er gelernt hatte, verleugnete — die Wahrheit, zu der er bekehrt worden war, daß nämlich die Versammlung eins ist mit Christo, Glieder Seines Leibes, von Seinem Fleisch und von Seinen Gebeinen. Wenn diese gesegnete Wahrheit in der Einfalt des Glaubens festgehalten wird, verleiht sie der Seele Kraft und räumt in dem ganzen täglichen Leben des Christen alles hin­weg, was sich zwischen seiner Seele und Christo befindet. Wäre ich ein Jude, so bedürfte ich etwas auf der Erde und hätte eine Mittelsperson nötig zwischen mir und dem Gott, von dem ich nur eine dunkle Kenntnis besäße. Ich bin aber ein Christ, und deshalb ist alles, was ich nötig habe, im

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Himmel. Ich wiederhole es noch einmal mit allem Nachdruck:

Bin ich ein Christ, so bin ich mit Christo verbunden, ich bin eins mit Ihm; aus diesem Verbunden- und Einssein mit Ihm aber folgt, daß nichts, gar nichts zwischen Ihn und mich kommen kann, so daß jeder Versuch, etwas zwischen uns zu bringen, tatsächlich nichts anderes ist, als eine gänzliche Beseitigung des Christentums. Viele Christen würden er­schrecken, wenn sie wüßten, wie vieles sie zwischen sich und Christum stellen und dadurch tatsächlich ihre Einheit mit Christo im Himmel verleugnen. Sobald ich einen Priester auf Erden, irgendeinen anderen als Christum im Himmel, zwischen mich und Gott stelle, zerstöre ich dadurch mein Vorrecht;

denn wenn Christus ein Priester ist und ich eins bin mit Ihm, so muß auch ich ein Priester sein. Wird aber dieses Priester­tum auf der Erde verwirklicht? Nein, sein Platz ist im Himmel. Ein irdisches Priestertum verleugnet das Christentum auf doppelte Weise. Es macht das System und die Stellung irdisch und leugnet unsere Verbindung mit Christo. Wäre ich ein Jude, dann würde ich ganz richtig handeln, wenn ich in einen irdi­schen Tempel ginge; da ich aber ein Christ bin, so muß ich, wenn ich mich Gott nahe, im Himmel sein. Vereinigt mit Christo, kann ich, obwohl mein Leib auf der Erde ist, hienie­den keinen Platz der Anbetung haben. Christus ist von der Erde verworfen, und ich bin in Ihm im Himmel. Will ich mich nun eines Priesters auf der Erde bedienen, so muß ich den Himmel verlassen und herniederkommen. Das Priestertum wird an dem Orte ausgeübt, dem es angehört. Ein irdisches Priestertum war ganz an seinem Platze, als Gott auf der Erde, hinter dem Vorhang und zwischen den Cherubim, thronte. Ein himmlisches Priestertum aber findet seine Ausübung in dem Himmel. Ja, meine lieben Freunde, wenn unsere Seelen in dem Blute Christi gewaschen sind, so findet sich alles, was wir nur irgend brauchen, im Himmel. „Euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott"; deshalb geziemte uns notwendiger­weise „ein solcher Hoherpriester, der heilig, unschuldig, unbe­fleckt, abgesondert von Sündern und höher als die Himmel geworden". Möchte der gütige Herr Seiner gesegneten Wahr­heit mehr Kraft in unseren Seelen verleihen! Dann werden alle Fragen hinsichtlich eines irdischen Priestertums, irdischer Satzungen und dergleichen bald verschwinden. Ich muß einen

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wahren Priester im Himmel haben, sonst habe ich keinen wahren Christus für meine Seele.

Werfen wir jetzt einen Blick auf den Charakter, mit dem Gott Sich hier bekleidet: „Ich bin es, der Herzen und Nieren erforscht". Er sagt gleichsam: Ihr werdet mir nicht entfliehen;

so annehmlich das Böse auch scheinen mag, und so sehr ihr es mit dem Namen des Herrn zu verbinden trachtet, (wie Israel einst den Namen Jehovas mit dem goldenen Kalb verband, indem es sagte: „Das ist dein Gott, Israel . . . Ein Fest dem Jehova ist morgen", 2. Mo 52, 4, 5)! so wird euch dennoch ein völliges Gericht erreichen, denn ihr habt meine Heiligen in eine niedrigere Stellung gesetzt, als wohin ich sie in Christo gesetzt habe, und ihr habt die Wahrheit Gottes durch Götzendienst verdorben.

In Vers 24 und weiterhin wendet der Herr Sich an den treuen Überrest, und deshalb sehen wir Ihn in anderer Weise ver­fahren: „Euch aber sage ich, den übrigen, die in Thyatira sind, so viele diese Lehre nicht haben", (Hurerei zu treiben und Götzenopfer zu essen) „welche die Tiefen des Satans, wie sie sagen, nicht erkannt haben: Ich werfe keine andere Last auf euch". Dieses Sichfernhalten vom Bösen, wenn es auch sehr ge­segnet ist, ist dennoch nicht das Wachstum der Seele von Kraft zu Kraft bis zu dem vollen Wüchse des Christus, sondern:

„Was ihr habt, haltet fest". Ich werde „ihre Kinder mit Tod töten . . . doch ihr, was ihr habt, haltet fest, bis ich komme". Es ist Sein Kommen, worauf Er jetzt den Glauben der wenigen Getreuen, das Auge ihrer Seelen richtet. Er erwartet nicht, daß sie zu dem Standpunkt zurückkehren, von dem die Versamm­lung abgewichen ist, sondern Er richtet ihren Blick vorwärts auf Sein Kommen. Er ist bereit, das Gericht zu vollziehen. „Ihre Kinder werde ich mit Tod töten". Ihr dürft deshalb nicht erwarten, daß Jesabel zurechtgebracht oder in die Stellung eines Leuchters gelangen wird; nein, euer Auge muß auf etwas anderem ruhen. Dann wird die Hoffnung eingeführt, jedoch nicht in Form jener herrlichen und gesegneten Hoffnung, wie sie die Gläubigen im Anfang, z. B. die Thessalonicher, empfin­gen, von denen gesagt wird, daß sie sich „von den Götzen­bildern zu Gott" bekehrt hatten, „dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und seinen Sohn aus den Himmeln zu erwar-

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ten". Die Hoffnung trägt hier einen veränderten Charakter, indem sie als die Zuflucht des Getreuen dargestellt wird, weil da, wo Gerechtigkeit hätte sein sollen, jetzt der Gesetzlose war (Pred 3, 16). „Bis ich komme", das ist der Trost, der in­mitten des allgemeinen Verfalls dargeboten wird. Der Herr er­kennt wohl die vorhandenen Werke, die Liebe, den Glauben, den Dienst und das Ausharren an. Ihr habt nur dieses Wenige erlangt; „doch was ihr habt, haltet fest/ bis ich komme". Es ist etwas ganz anderes, wenn das Kommen des Herrn einigen wenigen Getreuen, die sich inmitten des verderbten Jesabel-Zustandes der Kirche befinden, als ein Trost und eine Befrei­ung vorgestellt wird, oder wenn dieses Kommen die herrliche und gesegnete Hoffnung der Versammlung bildet, die sie auf­recht hält und über das Verderben der Welt erhebt. Es ist aber nicht bloß die Tatsache Seines Kommens, es ist die Herrlichkeit Dessen, Der kommt, was allein das Verlangen des Herzens befriedigen kann.

In den Versen 26—28 zeigt der Herr die Folgen Seiner An­kunft für die Nationen und für die Versammlung: „Dem will ich Gewalt geben über die Nationen". Dies ist ein bemerkens­werter Ausdruck; wir finden nichts derartiges, solange die Versammlung noch in ihrer vollen Blüte stand. Da jetzt aber die bekennende Kirche in eine Stellung gekommen ist, die für den Heiligen eine Gelegenheit zur ernstesten Prüfung wird, und ihre Verbindung mit der Welt sie—die bekennende Kirche, das, was den Namen Versammlung trägt — zur Mutter von Kindern des Verderbens gemacht hat, so empfangen die Ge­treuen, inmitten von diesem allem, besondere Verheißungen, als Stütze für ihre Seelen. Wir wissen aus der Geschichte, wie in den finstersten Zeiten Männer des Glaubens sich Bahn brechen mußten durch das Böse in der Kirche, wie sie in Ge­fahr standen, von denen verraten zu werden, die sich selbst die Kirche nannten, und wie sehr sie von den regierenden Mächten der Erde verfolgt wurden. Die Namenkirche war tat­sächlich die verderbenbringende Macht Satans, ausgeübt durch die Nationen. So gehen auch hier in Thyatira die Heiligen, welche Glauben und Ausharren besitzen, standhaft durch jede Schwierigkeit hindurch, mag sie in Jesabel und ihren Kindern, die sich die Kirche nennen, bestehen, oder in der Verfolgung der Nationen. Der Gegenstand der Verheißung ist die Ver-

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einigung mit Jesu Selbst, dem glänzenden Morgenstern; und wo Glaube an diese Verheißung vorhanden gewesen ist, da wird Gewalt verliehen werden über die Nationen. Die Welt, die unter der Macht Satans die Prüfung der Heiligen verur­sachte, wird ihnen unterworfen sein. „Wer überwindet und meine Werke bewahrt bis ans Ende (inmitten des Verderbens, das noch den Namen und die Verantwortlichkeit einer Kirche trägt), dem werde ich Gewalt geben über die Nationen". (In Mt 24 finden wir dem Grundsatz nach die gleiche Sache, wie­wohl mit Bezug auf eine andere Zeit: „Wer aber ausharrt bis ans Ende, dieser wird errettet werden"). „Ich werde ihm den Morgenstern geben". So gibt der Herr dem getreuen Überrest, während er sich in dieser Lage befindet, das besondere Bewußt­sein seiner Verbindung mit Ihm. Die Schwierigkeit seiner Stel­lung besteht darin, daß alles um ihn her sich zu Jesabel und ihrem Verderben wendet, um Götzenopfer zu essen und Hure­rei zu treiben. Doch auf seine Frage: „Was sollen wir tun?" erwidert der Herr: „Folget mir nach — bewahret meine Werke bis ans Ende", und dann werdet ihr am Ende mein Teil haben:

„wie auch ich von meinem Vater empfangen habe".

In dieser, den Getreuen gemachten Verheißung wird das Kommen des Herrn in einem zweifachen Charakter dargestellt. Der erste betrifft ihre Stellung der Welt gegenüber: es wird ihnen Gewalt gegeben über die Nationen; der zweite ihre eigentliche Segnung: der Morgenstern wird ihr Teil. Schon in ps 2, 9 findet sich eine Anspielung auf jenen ersten Charakter. Die Versammlung des lebendigen Gottes hätte durch ihren Wandel auf dieser Erde die Welt richten sollen; da sie aber mit ihr Hurerei getrieben hat, so hat sie keine Macht, sie zu richten; deshalb sagt der Herr: „Ich muß richten"; weil es der Kirche darin gefehlt hat, die Welt durch einen Wandel der Heiligkeit und Abgeschiedenheit zu verurteilen, so muß der Herr im Gericht zeigen, was die Welt ist. Wenn auch die Ver­folgten sich der Autorität der Welt, als von Gott verordnet, unterwarfen, so waren sie doch moralisch von ihr getrennt. So groß der Einfluß Jesabels auch sein mochte — sie hielten sich mit Abscheu von diesem Verderben fern, und deshalb wurde ihnen die Ehre des Märtyrertums zuteil. In den letzten Tagen werden sich die Mächte der Welt wider den Gesalbten Gottes verbünden, aber dennoch wird Er Seine Herrschaft über

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die Nationen antreten. Und was wird dann der Platz und das Teil der Versammlung sein? Christus sitzt jetzt zur Rechten Gottes, und der Heilige Geist ist herniedergekommen, um die Kirche zu sammeln; und wenn der Herr die Heiligen zu Sich genommen hat, wird Er erscheinen und die Welt richten.

„Habe doch ich meinen König gesalbt auf Zion, meinem heiligen Berge! Vom Beschluß will ich erzählen: Jehova hat zu mir gesprochen: Du bist mein Sohn, heute habe ich dich ge­zeugt".

Der Name Sohn trägt hier nicht den Charakter des ewigen Sohnes des Vaters, sondern der Herr wird betrachtet als in der Welt geboren, als der Mensch, der in Herrlichkeit einge­setzt ist, um über die Erde zu herrschen. „Fordere von mir, und ich will dir zum Erbteil geben die Nationen". Dies tut Christus jetzt nicht; Er bittet jetzt nicht für die Welt. Sobald Er Gott in bezug auf die Welt bittet, wird das Gericht der Welt die unmittelbare Folge sein. „Mit eisernem Zepter wirst du sie zerschmettern". In Johannes 17 sagt Christus: „Nicht für die Welt bitte ich, sondern für die, welche du mir gegeben hast". Er schließt die Welt nicht in Seine Bitten ein. Während der gegenwärtigen Zeit zerschmettert Er die Nationen nicht, son­dern läßt ihnen Sein gesegnetes Evangelium verkündigen, um Seelen aus der Welt zu sammeln; und der Heilige Geist ist beschäftigt, die Seelen mit Christo zu verbinden und so die Versammlung zu bilden. Wenn Er aber einmal um die Nati­onen bitten wird, dann geschieht es, um sie wie Töpfergefäße zu zerschmettern. Das wird das Gericht der Lebendigen sein. Deshalb finden wir am Ende des zweiten Psalms ein Wort der Warnung: „Und nun, ihr Könige, seid verständig . . . Küsset den Sohn, daß er nicht zürne". Denn wenn ihr jetzt dieser Aufforderung nicht Folge leistet, die euch in Langmut Gele­genheit zur Buße gibt, so müßt ihr euch einst vor dem Zorn des Lammes beugen. „Mir soll sich jedes Knie beugen".

Wir sehen hier also, was das Teil der Versammlung, als eins mit Christo, ist. „Wer überwindet . . . dem werde ich Gewalt über die Nationen geben . . . wie auch ich von meinem Vater empfangen habe". Und von Christo wird gesagt: „Er wird sie weiden mit eiserner Rute". Die Welt muß wieder zurechtge­bracht werden; Christus wird kommen und das Gericht über

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sie vollziehen, und die Versammlung wird Ihm darin beigesellt sein. Jetzt aber wohnt sie da, wo der Thron Satans ist; das Böse umringt sie von allen Seiten, und es ist nicht ihre Sache, sich mit der Zurechtbringung des Bösen zu beschäftigen. Des­halb ruft Christus Seinem treuen Überrest gleichsam zu:

„Fürchtet euch nicht; seid nicht in Unruhe wegen der Verfol­gungen, auch nicht wegen des Verderbens Jesabels; dies eine aber tut: „Bewahret meine Werke bis ans Ende". Es ist jetzt die Zeit der Geduld und der demütigen Treue. Wandelt durch die Welt, wie ich inmitten Israels gewandelt habe, und dann werde ich euch „Gewalt geben über die Nationen . . . wie auch ich von meinem Vater empfangen habe". Die Gewalt wird euer Teil sein, sobald ich meine Gewalt übernehmen und regieren werde". Das ist der besondere Charakter der Verbindung mit Christo in Macht.

Was sollen wir aber inzwischen tun, um die Welt zurecht­zubringen? Nichts; und das kann das Fleisch nicht begreifen. Wir sollen uns weder mit dem Toben der Nationen einlassen, noch uns um ihre Bündnisse bekümmern, (obwohl wir zu gleicher Zeit nicht vergessen dürfen, daß wir den bestehenden Gewalten, als von Gott verordnet, Unterwerfung und Gehor­sam schuldig sind), noch uns durch das Böse Jesabels verun­reinigen, sondern auf Gott harren. „Bewahret meine Werke bis ans Ende" und wartet mit Ausharren. Denn wenn Christus die Oberhand hat, dann haben auch wir sie. Unsere Interessen sind die Seinigen, und Seine Interessen sind unsere; sie sind so innig miteinander verbunden, daß sie unmöglich getrennt wer­den können. Wir lesen in Kol 2, 20: „Wenn ihr mit Christo den Elementen der Welt gestorben seid, was unterwerfet ihr euch Satzungen, als lebtet ihr noch in der Welt?" Das will sagen: Er ist in Gott verborgen, deshalb sind auch wir es. Sein Leben ist unser Leben. „Ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott". Er macht Seinen Zustand so sehr zu unserem, daß, wenn Er in Gott verborgen ist, auch wir es sind. Und wenn von Seiner Erscheinung die Rede ist, so heißt es: „Wenn der Christus, unser Leben, ge­offenbart werden wird, dann werdet auch ihr mit Ihm geoffen­bart werden in Herrlichkeit". Da wir ganz eins sind mit Christo, während Er auf dem Thron des Vaters wartet, so sind wir berufen, mit Ihm im Geiste hienieden zu warten.

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Im Vorübergehen möchte ich bemerken, daß wir in Psalm 110 in etwa eine Erklärung der Worte finden: „von jenem Tage aber und jener Stunde weiß niemand", weder die Engel noch der Sohn. Der Sohn sitzt zur Rechten Gottes und wird in prophetischem Sinn als dort wartend betrachtet, nach den Worten Jehovas: „Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde lege zum Schemel deiner Füße". In diesem Sinne nun, als prophetischer Diener der geoffenbarten Wahrheit, (und als solcher redete Er in Israel, vergl. Hebr l), kann gesagt werden, daß Er weder den Tag, noch die Stunde kannte. Paulus spricht in Hebr 10 von Ihm, als „fortan wartend, bis seine Feinde gelegt sind zum Schemel seiner Füße", bis zu dem Augenblick, wo sie auch zu unseren Füßen liegen werden. In Übereinstim­mung damit werden wir in dem Sendschreiben an Philadelphia ermahnt, das Wort Seines Ausharrens zu bewahren. Und wenn Er wartet, so ist es nicht zu verwundern, daß auch wir zu warten haben; und das beste von allem, was wir erwarten, ist Er Selbst. Die Vereinigung mit Ihm ist das eigentümliche und besondere Teil der Versammlung; die Gewalt über die Nati­onen ist bloß die Frucht und Folge davon. Er muß richten; für uns aber ist Er der „Morgenstern". Das Richten ist gleichsam Sein „fremdes Werk". Er ist langsam zum Zorn, aber Er muß Gericht ausüben, da Er die Ungerechtigkeit nicht für immer ungestört fortschreiten lassen kann. Er steht im Begriff, Seinen eigenen Thron in Besitz zu nehmen, und Er kann dies nicht tun in Verbindung mit dem Thron Satans und seinem Bösen. Deshalb muß Er das Böse beseitigen. Er kann es nicht zulas­sen. Die antichristliche Macht in der Welt muß niedergeworfen werden; denn Er kann Seinen Thron nicht aufrichten und zugleich jene Macht bestehen lassen, wie in ps 94 geschrieben steht: „Sollte mit dir vereinigt sein der Thron des Verderbens?" Es ist völlig unmöglich. Darum muß Er Sein „fremdes Werk" tun; Sein eigentliches Werk aber besteht, sozusagen, darin, daß Er in Seinem himmlischen Glanz leuchtet, und unser Teil ist es, dort mit Ihm vereinigt zu sein.

„Ich will ihm den Morgenstern geben". Fragen wir, wer den Morgenstern sieht, so ist die Antwort: einer, der wacht, wäh­rend es Nacht ist. Die Sonne in ihrem Glanz wird von allen gesehen werden; aber nur die, welche nicht von der Nacht sind, jedoch wissen, daß die moralische Nacht herrscht, diese und

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nur diese sehen den Morgenstern und empfangen ihn als ihr Teil. Sie sind nicht Söhne der Nacht, sondern des Tages, und deshalb warten sie auf den Anbruch des Tages. Als der Stern aufging, welcher Jesum, den geborenen König der Juden, be­grüßen sollte, gab es Anna's und Simeon's, die auf den Trost Israels warteten. Und die Freunde Anna's in diesen Tagen der Finsternis waren solche, die auf die Erlösung in Israel warte­ten; zu ihnen redete sie von Ihm. So erfüllte sich an ihnen das Wort des Propheten Maleachi: „Da unterredeten sich unter­einander, die Jehova fürchteten" (Kap. 3, 16). Wir sehen, daß sie einander kannten und miteinander im Geiste den Trost von dem genossen, was wir in Mal 4, 2 lesen: „Euch, die ihr meinen Namen fürchtet, wird die Sonne der Gerechtigkeit auf­gehen mit Heilung in ihren Flügeln". Sie bildeten ein armes, verachtetes Häuflein, nur wenig gekannt und noch weniger beachtet; aber sie „warteten" auf die Erlösung in Israel, Sie fühlten den Verfall und das Böse um sich her, weil sie ein lebendiges Bewußtsein von der Herrlichkeit Gottes und von dem Vorrecht hatten. Sein Volk zu sein. Wir finden in ihnen, so schwach sie sein mochten, eine herrlichere Kundgebung des Glaubens, als selbst in Elias, als er das Feuer vom Himmel fallen ließ. Sie stellten nicht den Tempel wieder her, sondern unterhielten sich über die Gedanken Gottes. Elias beschäftigte sich mit der Wiederherstellung äußerer Dinge, aber für die inneren hatte er keinen Glauben*). Er hatte kein rechtes Ver­trauen auf die unfehlbare Gnade Gottes dem Überrest gegen­über. Das Gesetz war der Maßstab, nach dem er alles beur­teilte; Anna und Simeon dagegen besaßen das Geheimnis Gottes in ihren Seelen; denn „das Geheimnis Jehovas ist für die, wel­che ihn fürchten, und sein Bund, um ihnen denselben kundzu­tun" (ps 25, 14). Sie wandelten auf dem schmalen und stillen Pfad des Glaubens. Sie versuchten nicht, den Tempel wieder-

*) Beachten wir hier den Charakter Christi. Selbst vollkommen unter dem Gesetz stehend, ließ Er durch die unermüdliche Geduld Seiner Gnade, und indem Er alles ertrug, die Stimme des guten Hirten an jedes Schaf der Herde gelangen, während der arme Elias, so ergeben er auch war, Feuer vom Himmel herniederkommen ließ auf die Widerspenstigen, aber er gelangte nicht zu den siebentausend, die Gott kannte. Christus schlug es aus, Feuer vom Himmel fallen zu lassen. Er unterzog Sich dem Gericht, während Er das Gesetz hielt, und scheute keine Mühe, um die Stimme Jehovas dem ärmsten, schuldigsten und verborgensten Glied der Herde nahezubringen. Die Folge — und in der Tat auch die Ursache — hiervon ist, daß die Schafe der Herde Ihm angehören, und daß Ihm die richterliche Gewalt über alles gegeben ist.

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herzustellen, aber sie redeten zu allen, die auf Erlösung war­teten in Israel. Waren sie denn mit dem Zustand der Dinge zufrieden? Nein, aber getrennt vom Bösen warteten sie auf den Trost Israels, der allein das Böse an seinen Platz setzen konnte. So ist es auch in unseren Tagen. Der Christ kann Jesabel nicht verändern, noch kann er sich mit den bloßen Tempel-Anbetern, den sogenannten religiösen Systemen unse­rer Zeit, vermengen. Indem er ihr Gericht dem Herrn anheim­stellt, enthält er sich jedes gewalttätigen Angriffs auf sie und wandelt in stiller Trennung von allem Bösen. Er wacht wäh­rend der langen, finsteren Nacht der Leiden und wartet mit Ausharren auf den Morgenstern des Tages der Herrlichkeit. „Dem, der überwindet . . . werde ich den Morgenstern geben";

und dieser Morgenstern ist Christus Selbst. In dieser Weise wird Er von denen gekannt, die, obwohl sie in der Nacht, doch nicht von der Nacht sind; sie sind Kinder des Tages. Der Mor­genstern wird verschwinden, bevor die Welt die Sonne sieht, bevor die Sonne aufgeht und der Tag anbricht. Doch ehe sie aufgeht, ist der Morgenstern da für die, welche während der Nacht wachen. Die Welt wird die Sonne sehen, aber der Mor­genstern ist, soweit die Welt in Betracht kommt, verschwunden, ehe die Sonne erscheint. Ebenso werden auch wir verschwunden sein und bei dem Morgenstern weilen, ehe der Tag Christi für die Welt anbricht; und wenn Christus offenbar werden wird, dann werden auch wir mit Ihm offenbar werden in Herrlichkeit.

Es gibt drei Stellen, die sich auf diesen Morgenstern beziehen, und es ist wichtig, sie etwas näher zu betrachten. In 2. Petri l lesen wir: „Und so besitzen wir das prophetische Wort be­festigt, auf welches zu achten ihr wohl tut, als auf eine Lampe, welche an einem dunklen Orte leuchtet, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen". Die Propheten in Israel hatten den Tag völligen Segens für die Erde zuvor angekündigt: „Stehe auf, leuchte; denn dein Licht ist gekommen" (Jes 60, l), „siehe, ein König wird regieren in Gerechtigkeit" (Jes 32, l), und ihr Zeugnis wurde den Jüngern durch die Er­scheinung auf dem heiligen Berge bestätigt. Sie prophezeiten auch von Ereignissen, die über diese Welt kommen sollten, als ein Gericht über alle die Formen ihres widersetzlichen Willens und ihrer rebellischen Macht, von Ninive und Babylon, von

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den Tieren, die sich auf der Erde erheben sollten, von Jerusa­lem und seinem Los, als abgewichen von Gott. Indem auf diese Weise das Gericht bestimmt angekündigt war, gab es eine warnende Lampe, die inmitten der Finsternis dieser Welt ein Licht verbreitete, das diejenigen, die darauf achthatten, ermahnte, den Frevel des menschlichen Willens, der das gött­liche Gericht herbeiführte, zu meiden. Und sie taten wohl, auf dieses prophetische Wort zu achten, bis der Morgenstern in ihren Herzen aufging; es war eine Lampe an einem dunklen Ort. Der Morgenstern selbst aber war noch etwas weit köst­licheres.

Die Prophezeiungen sind einfach, und ihre Ermahnungen klar. Sie warnen uns vor dem Geist der Welt, deren Gericht angekündigt wird. In der Offenbarung (Kap. 16) lesen wir von unreinen Geistern, gleich Fröschen, welche zu den Königen des ganzen Erdkreises ausgehen, um sie zu versammeln zu dem Kriege jenes großen Tages Gottes, des Allmächtigen. Wenn wir selbst nicht genau verstehen, wer diese Frösche sind und was sie bedeuten, so ist doch der Hauptgedanke der Prophe­zeiung unzweifelhaft. Es handelt sich nicht um die Macht des Guten, denn sie verführen die Könige der Erde zum Kriege jenes großen Tages Gottes. Das prophetische Wort ist also eine Lampe an einem dunklen Ort, in der Nacht der Geschichte dieser Welt, während der Abwesenheit Christi. Der Morgen­stern hingegen ist Christus Selbst, wie wir dies aus Offen­barung 22 sehen. Er ist der glänzende Morgenstern. Wenn Christus erscheint, wird Er die Sonne der Gerechtigkeit für die Welt sein, und dann wird das Gericht beginnen. Die Gesetz­losen werden zertreten werden wie Asche unter den Fußsohlen. wie Staub, „an dem Tage, den ich machen werde, spricht Je­hova der Heerscharen", und der Tag Jehovas wird sein wie Feuer. Der Stern aber erscheint denen, die wachen, ehe die Sonne den Blicken der Welt erscheint; denn ebenso wie ich durch die prophetische Warnung verstehen kann, daß dieser dunkle Ort bald dem Gericht anheimfallen wird, „daß die Nacht weit vorgerückt und der Tag nahe ist", so weiß ich auch, daß es jetzt Nacht ist, was immer auch die Menschen darüber den­ken mögen. Was ich brauche, ist der Morgenstern in meinem Herzen — die Hoffnung der Ankunft Christi, um die Ver­sammlung zu Sich zu nehmen vor dem Anbruch des Tages;

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denn der Morgenstern wird denen gegeben, die überwinden. Ich muß Ihn haben, damit meine Seele erquickt werde während der langen und schrecklichen Nacht, die jetzt weit vorgerückt und noch dunkler ist als damals, gleichwie die Finsternis der Nacht stets zunimmt, bis die Dämmerung eines neuen Tages am anderen Ende des Himmels anbricht und der Morgenstern dem Auge der wachenden und wartenden Seele aufgeht und das Herz durch eine gewisse und sichere Hoffnung erfreut. Und was brauchen wir von den Dingen dieses dunklen Ortes, dieser Welt, die unter dem Gericht steht, weil sie den Sohn Gottes ans Kreuz genagelt hat? Laßt uns doch nicht die Reich­tümer, die Ehre und die Macht dieser Welt suchen, über die Christus bei Seiner Ankunft das Gericht ausüben wird. Ein einziger Strahl der Herrlichkeit Christi wird alle Herrlichkeit dieser verunreinigten Welt hinwelken lassen, gleich einem herbstlichen Blatt. Möge daher der Herr uns bewahren, daß wir uns nicht mit der Welt vermengen, noch Reichtümer auf­häufen. Was wollen wir damit, wenn Christus kommt? Er­innern wir uns, daß der Herr nahe ist! Indessen möchte jemand fragen: soll ich mich denn nur deshalb von dieser Welt ge­trennt halten, weil sie dem Gericht verfallen ist? Gewiß nicht. Mein ganzes Teil für Zeit und Ewigkeit ist in Christo, und der Morgenstern ist aufgegangen in meinem Herzen. Nicht die Furcht, sondern die Liebe soll mich von der Welt trennen.

Die Ankunft Christi als Morgenstern unterscheidet sich, wie wir gesehen haben, von dem Auf gang der Sonne; sobald diese über der Welt aufgeht, ist das Gericht da (Jes 2; Mal 4, 1—3). Doch außer und vor diesem allem haben wir unser Teil in Christo. Wir sind nicht von dieser Welt, sondern wir sind aus ihr erlöst und gehören Christo an. Wir werden droben mit Ihm vereinigt sein, bevor Er zum Gericht dieser Welt erscheinen wird. Die Donner des Gerichts werden uns nicht erreichen können, weil wir mit Ihm im Himmel sitzen, von woher die Gerichte kommen. In Offb 4 haben wir ein überaus gesegnetes und tröstliches Bild von der Stellung der Versammlung. Dort sitzen die 24 Ältesten auf ihren Thronen, rings um den Thron, aus dem Blitze und Stimmen und Donner hervorgehen, und sie bleiben vollkommen ruhig. Ist dies Unempfindlichkeit? Keineswegs; denn sobald Gott nach Seinem heiligen Charakter

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erwähnt wird, fallen sie augenblicklich nieder und werfen ihre Kronen vor Ihm hin (V. 8—11). Sie zeigen nicht die geringste Furcht, wenn die lebendigen Wesen die dreifache Heiligkeit dessen verkündigen, der auf dem Throne sitzt; dies ruft viel­mehr ihre Anbetung hervor, sie fallen nieder und werfen ihre Kronen vor Ihm hin in dem überströmenden Gefühl der Würde Dessen, Der auf dem Throne sitzt.

Christus ist also dieser Morgenstern, und wenn der Tag angebrochen und der Morgenstern in unseren Herzen aufge­gangen ist, dann erkennen wir unsere Verbindung mit Christo Selbst, innerhalb jenes Ortes, von wo die Gerichte ausgehen. Am Ende der Offenbarung finden wir den Stern wieder (Offb 22, 16). Der Herr führt uns von dem prophetischen Zeugnis zu Sich Selbst zurück. „Ich, Jesus, habe meinen Engel gesandt". „Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, (dieser Titel steht in Verbindung mit Ihm, als der Quelle und dem Erbe der Verheißung, als König in Zion: „Herrsche inmitten deiner Feinde"), der glänzende Morgenstern". Und sobald Er Sich als den glänzenden Morgenstern ankündigt, rufen der Geist und die Braut: „Komm!" Der Heilige Geist in der Versammlung sagt: „Komm!" Diese Antwort steht in Verbindung mit Ihm;

Seine persönliche Anmeldung verursacht und erweckt die Ant­wort des Geistes. Gott hat in der Liebe Seines eigenen Herzens die Versammlung mit Christo vereinigt, und sobald nun Sein Name erwähnt wird, ertönt der Ruf: „Komm!" denn die bloße Erwähnung dieses köstlichen Namens berührt eine Saite in dem Herzen des Gläubigen, die augenblicklich Antwort gibt. Der Herr sagt hier nicht: „Ich komme bald" Es handelt sich an dieser Stelle nicht darum, wann Er kommen wird, sondern, daß Er Selbst es ist. Der kommt. Er spricht nicht von Seinem Kommen, wie köstlich dieser Gedanke auch sein mag, sondern Er offenbart Sich Selbst; und dies erweckt die Antwort des Herzens durch die Kraft des Heiligen Geistes. Wir sind für Ihn und werden bei Ihm sein; nichts geringeres als das ist möglich, denn Er nennt uns „Seinen Leib". Welch ein bewun­derungswürdiger, ja mehr als das, welch ein herrlicher Platz! Wir sind völlig einsgemacht mit dem Christus Gottes. Keine Erklärung des prophetischen Teils der Schrift (wie schön und wahr sie auch sein und welchen Nutzen sie haben mag als eine feierliche Warnung in bezug auf diese Welt) kann je in einer

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von Gott unterwiesenen Seele den Platz der Kenntnis ihrer lebendigen Vereinigung mit einem kommenden Jesus und der gegenwärtigen Erwartung Seiner Selbst einnehmen. Die Hoff­nung des Heiligen ist keine bloße Auslegung Seiner Ankunft, als Lehre. Sie ist keine Prophezeiung, sondern die wahrhaftige, gesegnete und heiligende Erwartung einer Seele, die Jesum kennt und sich danach sehnt. Ihn zu sehen und bei Ihm zu sein. Die Braut allein hört die Stimme des Bräutigams, und der Klang Seiner Stimme ruft alsbald den Ausdruck ihres Ver­langens nach Seiner Ankunft wach. Er antwortet auf ihren Ruf und versichert ihr, daß Er kommen werde. Das ist der Schluß der Offenbarung. Er läßt ihr diese Erwartung zurück, welcher Art auch die Mitteilungen gewesen sein mögen, die Er ihr zuvor in bezug auf das Gericht dieser Welt, zu der sie nicht gehört, gemacht hat. Der Herr Jesus wird dargestellt als weg­gehend und wiederkommend, um Seine Braut zu Sich zu neh­men. Und dann, wenn die Welt sagen wird: „Friede und Sicher­heit, dann kommt ein plötzliches Verderben über sie ... und sie werden nicht entfliehen".

Paulus schließt das vierte Kapitel seines eisten Briefes an die Thessalonicher mit den Worten: „Also werden wir allezeit bei dem Herrn sein". Ist das alles? Ja, das ist alles; denn einem Herzen, das Ihn lieben gelernt hat, kann nichts Höheres gesagt werden. Dann fügt er hinzu: „Was aber die Zeiten und Zeit­punkte betrifft, Brüder, so habt ihr nicht nötig, daß euch ge­schrieben werde"*). Ihr seid Kinder des Tages; ihr wartet auf diesen Tag. Eine Auslegung hierüber, in Form einer Lehre, könnte nie das Herz erreichen. Es ist unmöglich, jemandem ein Verhältnis zu erklären; um es zu verstehen, muß er sich selbst darin befinden. Eine nicht erneuerte Seele mag in ge­wisser Beziehung den Sinn der Weissagung verstehen; aber nur das Bewußtsein und der Genuß unserer Vereinigung mit Christo erweckt das Verlangen nach Seiner persönlichen An­kunft. Und warum das? Weil hierzu die Kenntnis des Verhält­nisses notwendig ist. In Offb 22,16 ist das Verhältnis gekannt, die Zuneigung ist wachgerufen, und der Geist und die Braut antworten alsbald.

*) Ich zweifle nicht daran, daß Kap. 5 in unmittelbarem Zusammenhang steht mit Kapitel 4, 14; die Verse 15-18 des 4. Kapitels bilden eine Einschaltung

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Ich führe zur Erläuterung des Gesagten ein Beispiel an. Eine Frau erwartet ihren Mann. Er klopft an die Tür. Noch kein Wort hat er gesprochen, und doch weiß sie schon, wer draußen steht. Er ist es, den sie liebt. Die einer Frau natürlichen Gefühle und Zuneigungen werden wach, sobald die Saite berührt wird durch das, was auf jene einwirkt. Aber das Band muß im Herzen, die Liebe muß vorhanden sein, um die Antwort her­vorzurufen; die Saite, welche durch die gesegnete Wahrheit von der Ankunft Jesu in Bewegung gesetzt wird, muß da sein, um durch sie zum Klingen gebracht werden zu können. Durch die Kraft des Geistes Gottes ist das Bewußtsein der Einheit mit Jesu so stark, daß, sobald in diesem Charakter von Ihm die Rede ist, die Saite berührt wird, und ganz naturgemäß der Ruf erschallt: „Komm!" Ein bloßes Verständnis, so entwickelt es auch sein mag, kann nie diesen Ruf hervorbringen. Welch ein Unterschied besteht zwischen der Erwartung des Herrn, weil Er mich und Seine Heiligen zu einem Teil von Sich Selbst und zu Seiner Braut gemacht hat, und dem Ausschauen nach Ihm, als demjenigen, der verlorene Sünder richten wird! Die praktische Wirkung dieser Erwartung Jesu ist groß. Sie nimmt uns aus der Welt heraus und versetzt uns in den Himmel. Wenn meine Liebe zu Ihm wirklich und wahr ist, dann ist mein Blick so unverrückt nach oben gerichtet, daß ich nicht achthabe auf das, was mich umgibt. Es gibt in dieser Welt allerlei Dinge um mich her, Überfluß an Unruhe und Geräusch;

aber das stört nicht die süße Ruhe meiner Seele, denn nichts kann meine unauflösliche Verbindung mit einem kommenden Jesus lockern, wie mich auch nichts von der Hoffnung Seiner Erwartung trennen sollte.

Versteht man diese Ankunft des Herrn Jesu für die Ver­sammlung, so bekommen zahlreiche Schriftstellen einen ganz anderen Charakter. So z. B. die Psalmen, die von dem Gericht über die Gottlosen reden. „Er (der Gerechte) wird seine Füße waschen im Blute des Gesetzlosen". Wir sind es nicht, die dies sagen. Es ist die Sprache der Juden, ja die Sprache frommer Juden, die durch den Stab Seiner Macht, der ihre Feinde schlägt, befreit werden, wenn alle Stämme des Landes über Ihn weh­klagen. Müssen aber meine Feinde vernichtet werden, damit ich zu Christo komme? Gewiß nicht; ich werde sie zurück­lassen, um bei Ihm zu sein. Es ist wirklich ein schmerzlicher

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Gedanke, obwohl wir darin das gerechte Urteil Gottes aner­kennen müssen, daß ein solches Gericht über alle hereinbrechen wird, die Ihn und Seine Gnade verachten. Was aber mich be­trifft, so gehe ich geradewegs zu Christo in den Himmel. Mein Platz ist in Ihm, während Er in Gott verborgen ist; ich stehe in der nächsten und innigsten Verbindung mit Ihm. Ich gehöre zur Braut; ich bin ein Glied Seines Leibes; ich bin von Seinem Fleisch und von Seinen Gebeinen. Wenn wir diesen gesegneten Mittelpunkt, Christum, und mit Ihm Gott Selbst erfaßt haben, so bekommt jede Schriftstelle den ihr zugehö­renden Platz; und durch den Heiligen Geist erlangen wir ein geistliches Verständnis über die Dinge in den Himmeln und die Dinge auf der Erde, sowie über unsere Verbindung mit den himmlischen Dingen und unsere Abgeschiedenheit von den Dingen auf der Erde. Vor allem aber nehmen unsere Herzen den ihnen gehörenden Platz ein; denn wenn unsere Blicke auf Jesum gerichtet sind, dann warten wir auch auf Ihn. Wenn Er geoffenbart werden wird, dann werden auch wir mit Ihm ge­offenbart werden in Herrlichkeit; aber wir werden allezeit bei dem Herrn sein.

Der Herr gebe uns ein solches Verständnis von der Erlösung und unserer Stellung in Ihm, daß wir unsere Herzen fest auf Ihn richten, damit wir hienieden täglich als solche wandeln, die ihren Herrn erwarten, der verheißen hat, zu kommen und uns zu Sich zu nehmen, uns, die wir wachen inmitten einer Nacht der Finsternis, in dem Bewußtsein, daß es Nacht ist, obschon wir nicht von der Nacht sind, sondern wachen und den Tag erwarten, indem der Morgenstern bereits aufgegangen ist in unseren Herzen. Der Herr wolle uns bewahren vor den Götzen und vor allem, was irgendwie Jesabel gleicht, damit wir vorsichtig seien, aus Furcht, Ihn zu betrüben durch irgend­eines jener Dinge, die eingedrungen sind, um das zu verderben und zu verwüsten, was Er einst so herrlich gepflanzt und be­stimmt hatte, zur Offenbarung Seiner Herrlichkeit in dieser finsteren und argen Welt zu dienen.

Sardes

Der Anfang dieses Kapitels ist ganz besonders tröstlich, aber zugleich ist er mit dem außerordentlichen Ernst verbun­den, der sich in dem Sendschreiben an die Versammlung in

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Sardes kundgibt. Ich kenne nichts Ernsteres, als den Gesichts­punkt, von dem aus der Geist Gottes in diesem Sendschreiben die bekennende Kirche hinsichtlich ihres Namens, ihres Cha­rakters und ihrer Verantwortlichkeit in der Welt betrachtet. Denn während sich das Schreiben an die Versammlung richtet, ist der Punkt, von dem aus sie betrachtet wird, der Sohn Gottes Selbst in Seiner eigenen Fülle der Segnung, und zwar deshalb, weil die Versammlung in der Macht der göttlichen Gnade der Ausdruck der Natur und der Kraft Dessen sein sollte. Dem sie ihr Leben verdankt. Notwendigerweise wendet sich daher das Schreiben an die bekennende Kirche, und zwar der Stellung gemäß, die sie durch ihr Bekenntnis eingenommen hat. Ich finde es immer etwas schwierig, über diesen Gegenstand zu reden, weil ich fühle, welche Verantwortlichkeit damit verbun­den ist, und ich bitte den Herrn, daß Er allen den Seinigen dasselbe Gefühl, ja in einem noch höheren Maße als mir, ver­leihen möge. Die Versammlung zu Sardes befand sich wirk­lich in einem sehr ernsten Zustand. Jedoch liegt ein Trost in der Fülle und der Vollkommenheit Christi, wie sie hier den Bedürfnissen der Versammlung dargereicht werden. Wenn auch alles andere fehlen mag, so offenbart Christus nur um so mehr jene unveränderliche Fülle, auf die wir bei Ihm stets rechnen dürfen.

Der Charakter, in dem der Herr Sich in den einzelnen Send­schreiben einführt, ist, wie ich schon früher bemerkte, durch­gängig dem Zustand der betreffenden Versammlung angepaßt:

„Dieses sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne". Hier wird nicht, wie in dem Sendschreiben an Ephe­sus, gesagt: „Der die sieben Sterne in seiner Rechten hält", sondern „der die sieben Sterne hat". Und beachten wir wohl, daß in der Schrift nie ein Wort weggelassen oder verändert wird, ohne daß dies seine volle Bedeutung hätte. Die sieben Sterne (die Engel) sind die sinnbildlichen Stellvertreter der Versammlungen, hier betrachtet als solche, die unter Ihm, dem Haupt der Regierung, einen Charakter der Autorität tragen. In dem Sendschreiben an Ephesus hält Christus die ganze Autorität in Seiner Hand (indem die Sterne, wie ich soeben bemerkte, die sinnbildlichen Stellvertreter dieses ganzen Sy­stems der Autorität sind — dieser tätigen Energie, welche die

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Versammlungen in den Augen Christi kennzeichnet, in Seinem Namen in ihrer Mitte wirkt und sie vor Ihm darstellt); deshalb finden wir Christum in Ephesus dargestellt als Den, Der in­mitten der sieben goldenen Leuchter wandelt, den Zustand der Versammlung beurteilend und ihre Stellvertreter in Seiner Rechten haltend. Hier in Sardes aber ist Verfall, ja sogar der geistliche Tod eingetreten: „Ich kenne deine Werke/ daß du den Namen hast, daß du lebest, und bist tot". Wir wissen, daß der Abfall und der Verfall schon früher in die Versamm­lung eingedrungen waren. Sardes aber befand sich in einer Beziehung in einem noch schlimmeren Zustande als jede andere Versammlung vor ihr; denn sie hatte den Namen, daß sie lebte, und sie war tot. Es gebrach ihr an der nötigen Lebens­kraft; wir haben hier nicht die Macht der Wirksamkeit des Bösen, sondern eine moralisch verdorbene Sache. Infolgedessen stellt Sich der Herr Sardes gegenüber als Derjenige dar. Der für den Glauben über die ganze Fülle des Heiligen Geistes ver­fügen kann, „der die sieben Geister Gottes hat". Zugleich stehen Ihm auch die sieben Sterne, d. h. die ganze Macht in der Versammlung, zur Verfügung, indem die Zahl sieben das Symbol der Vollkommenheit ist.

Worin auch die Versammlung gefehlt hat und wie sehr sie sich mit der Welt verbunden haben mag, dennoch bleibt es immer wahr, daß die volle göttliche Allgenugsamkeit des Heiligen Geistes in all Seinen Eigenschaften ihr Teil ist, und zwar unter Ihm, Der das Haupt der Versammlung ist. Der für sie sorgt, sie liebt und über sie wacht, so daß einerseits die Versammlung ohne Entschuldigung dasteht und andererseits der Heilige, der Glauben hat, eine Zufluchtsstätte hat. Sobald aber, wie in Sardes, ein gänzlicher Verfall eingetreten ist, so­bald die Heiligen Gottes nicht nur durch die falsche Lehre des Balaam verführt werden, sondern auch Jesabel in der Ver­sammlung eine Heimat gefunden und Kinder geboren hat, sobald sich, mit einem Wort, das Böse völlig entwickelt hat, eröffnet sich ein neuer Schauplatz, ein Zustand des Todes, obwohl die ganze geistliche Energie und die gebietende Kraft hier in Christo Selbst, mit Dem sie es zu tun hat, vorhanden sind. Und so sehr auch die Tatsache, daß diese Dinge stets in Christo sind, die bekennende Kirche verurteilen mag, so wird

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doch die köstliche Wahrheit, daß damals sowohl wie immer alle Macht in Verbindung mit dem Heiligen Geist in Christo ist, zum Trost und zum Segen des treuen „Überwinders" vor­gestellt. Dies ist seine Stütze inmitten des überströmenden Bösen.

Der Herr „kennt alles", in welcher Weise das Böse auch eingedrungen sein mag, sei es in der Jesabel- oder in der Bileam-Form. Selbst wenn der Tod seinen Stempel auf die be­kennende Kirche gedrückt hat, so sagt Christus dennoch: Ich habe „die sieben Geister Gottes", und niemand kann dies an­tasten. Mag deshalb auch alles verkehrt gehen, so finden wir dennoch, daß Er noch alles besitzt, was zur vollen Segnung der Versammlung nötig ist. Er hat die „sieben Geister Gottes". Hieran haben weder die Fehltritte des Menschen, noch die Bosheit Satans das Geringste zu ändern vermocht.

Auch in Offb 4, 5 und 5, 6 werden die sieben Geister Gottes erwähnt. Da ist die Rede von „sieben Feuerfackeln, brennend vor dem Throne", von „sieben Hörnern und sieben Augen, welche die sieben Geister Gottes sind". Sie sind der Ausdruck der mannigfaltigen Macht und Weisheit Gottes. Wenn der Herr Sich deshalb der Versammlung vorstellt als Der, Welcher die sieben Geister Gottes und die sieben Sterne hat, so ist es, als ob Er sagte: „Alles ist vorhanden, was das Gute hervor­bringen und sichern kann, und ich habe es in meiner Hut". In Thyatira war Er genötigt, die Getreuen zu lehren, auf Sein Kommen hinzublicken, als auf den einzigen Zufluchtsort für sie inmitten des Bösen; und diese Hoffnung wird als der glänzende Morgenstern eingeführt, um die Seele inmitten der sie umgebenden Finsternis zu erleuchten. In der Versammlung zu Sardes, die den Namen hatte, daß sie lebe, aber tot war, tröstet Er die Getreuen mit der Versicherung, daß die wahre Quelle aller Kraft in keiner Weise abgenommen habe. Wenn jede äußere Stütze verschwunden ist, so bleibt Er doch Der­selbe, und das will Er jetzt der Versammlung kundtun, um die wenigen Getreuen dadurch aufrechtzuhalten und zu unter­stützen; aber Er wirkt kein Wunder zu ihrer Errettung. So geschah auch, als Israel das goldene Kalb machte, kein Wunder, um ihrem Fall entgegenzutreten; aber es war geistliche Kraft in Mose vorhanden, als er das Zelt außerhalb des Lagers auf-

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schlug. Ebenso weissagten die Propheten in Juda, aber sie wirkten keine Wunder, ausgenommen als der Sonnenzeiger Ahas', als ein besonderes Zeichen für Hiskia, um zehn Grade rückwärts ging. Sie legten Zeugnis ab, um den Menschen zu der allgemein anerkannten Wahrheit in einem göttlich errich­teten System zurückzuführen und die Herzen der Getreuen zu trösten. Als sich aber das ganze Volk Israel unter Jerobeam öffentlich von Gott getrennt hatte und schließlich der Baals­dienst eingeführt wurde, da tat Gott Wunder durch die Hand Seiner Knechte Elia und Elisa. So sandte Gott in Seiner Gnade und Barmherzigkeit Juda zunächst ein Zeugnis nach dem ande­ren, aber keine Wunder; sobald aber der offenbare Abfall ein­getreten war, mußte Er Seine Macht zeigen, um zu beweisen. daß Er Jehova war, im Gegensatz zu Baal; und Juda leugnete dies nicht. Taten der Macht inmitten solcher, welche die Wahr­heit in Ungerechtigkeit besitzen, würden sie nur noch mehr verderben; aber die Macht als Zeugnis für diejenigen ange­wendet, die völlig abgewichen sind, ist ein Zeichen der gedul­digen Güte Gottes. Dies ist ein wichtiger Grundsatz in den Wegen Gottes; und auf diesen Grundsatz möchte ich aufmerk­sam machen, nicht so sehr auf die Wunder, die geschahen*).

Dieser wichtige praktische Grundsatz ist festgestellt worden, damit wir allezeit auf Gott rechnen dürfen, so groß auch der Verfall sein mag. Freilich werden wir stets ein Gefühl über den Verfall haben, ja, wir sollten ihn tief fühlen; dennoch dürfen wir diesem Gefühl über die Sünde des Menschen nie gestatten, das Auge des Glaubens in bezug auf das Bewußt­sein von der Macht Christi zu verdunkeln. Unser Auge sollte sich vielmehr um so entschiedener und bestimmter auf das richten, was nie fehlen kann. Auf diese Weise können wir mit Ruhe auf den Verfall der Kirche blicken, weil wir ihn von dem Ruheplatz aus betrachten, den wir in der Liebe gefunden haben, die nie fehlen kann, obwohl wir den Verfall immer tief fühlen und darüber betrübt sein sollten, weil er den Herrn verunehrt.

*) Moses hat Wunder getan zum Beweise seiner Sendung, als in Israel noch keine göttliche Einrichtung vorhanden war. Doch dies ist hier nicht unser Ge­genstand; der Grundsatz aber ist derselbe. Die lüdischen Propheten beriefen sich auf die bestehende Einrichtung.

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Nehmen wir als Beispiel den Apostel Paulus. Wie hoch er­hebt er sich über die traurige Stellung der Korinther und Galater, sobald er zu der Quelle des Vertrauens in dem Herrn seine Zuflucht nimmt! Wie anstößig wandelten die Korinther, als Paulus an sie schrieb! Es war „eine solche Hurerei unter ihnen, die selbst unter den Nationen nicht stattfand". Er mußte sie dieserhalb ernstlich zurechtweisen; aber er blickte über ihren gegenwärtigen Zustand hinaus zu der Quelle ihres Lebens und ihrer Hoffnung hin; und deshalb konnte er, ehe er das Böse in ihrer Mitte berührte, zu ihnen sagen: „Ich danke meinem Gott allezeit eurethalben . . . welcher euch auch be­festigen wird bis ans Ende, daß ihr untadelig seid an dem Tage unseres Herrn Jesus Christus"; denn „Gott ist treu, durch welchen ihr berufen seid in die Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn". Ähnlich schreibt Paulus an die Galater. Wohl muß er ihnen sagen: „ich bin eurethalben in Verlegenheit". Sie hatten sich unter das Gesetz gestellt, und deshalb fragt Paulus, ob er seine Stimme umwandeln müsse, und wünscht zu wissen, wie er mit ihnen reden solle. Sie hatten den christlichen Boden der Gnade verlassen, und darum mußte auch er seine Sprache verändern und mit ihnen dem Gesetz gemäß reden. Sobald er sich aber zu Christo erhebt, gelangt sein Herz zu der Quelle des Vertrauens, nicht des Vertrauens auf sie, sondern auf den Herrn in bezug auf sie, und sogleich kann er sagen: „Ich habe Vertrauen zu euch im Herrn, daß ihr nicht anders gesinnt sein werdet". Der richtige Zustand unse­rer Seelen besteht darin, daß wir alles, was in Christo ist, und folglich alles, was die Versammlung für Christum sein sollte, nach seinem wahren Werte kennen und schätzen. Auf diese Weise werden wir, nach dem Maße dessen, was wir in Christo sehen, ein tieferes Gefühl von dem Verfall der Kirche haben, welche die getreue und fruchttragende Zeugin Christi sein sollte, und zugleich wird das Bewußtsein des Verfalls unser Vertrauen auf den Herrn Jesum nicht verringern, sondern ver­mehren. Dies ist es, was den Heiligen durch alles hindurch standhaft und ruhig erhalten wird, weil sein Vertrauen nicht darauf beruht, was die Versammlung für Christum sein sollte, sondern auf dem, was Christus für sie ist.

In der Art und Weise, wie der Herr das Sendschreiben an Sardes beginnt, strahlt daher Seine Güte herrlich hervor. Ehe

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Er ihren schrecklichen Zustand berührt, stellt Er Sich zunächst als Derjenige vor. Der auch jetzt noch die volle Macht des Geistes für den Glauben besitzt, so daß, trotz des Verfalls und des eingedrungenen Bösen, die überschwengliche Kraft des Geistes noch immer dieselbe ist; denn sie ist nicht abhängig von dem Wandel des Heiligen hienieden, sondern von dem Wert des Werkes Christi droben. Gleichwie Gott vormals durch den Mund des Propheten Haggai zu Israel sprach, als es ge­fallen war: „Das Wort, welches ich mit euch eingegangen bin, als ihr aus Ägypten zöget, und mein Geist bestehen in eurer Mitte: fürchtet euch nicht", so auch hier: „Dies sagt, der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne". Erst nach­dem Er dies gesagt hat, nimmt Er Kenntnis von dem Zustand der Versammlung: „Ich kenne deine Werke, daß du den Namen hast, daß du lebest, und bist tot". Welch ein schrecklicher Zu­stand! In diesen Worten erblicken wir ein getreues Bild von dem, was wir rings um uns her sehen, ich meine jedoch nicht nur des Zustandes der Kirche von heute, sondern auch wäh­rend des letzten Jahrhunderts und noch weiter zurück.

In Sardes wird die Versammlung nicht betrachtet als eine, die ihre erste Liebe verlassen hat wie in Ephesus, obwohl dies der Anfang von allem war, was seitdem erfolgt ist; auch nicht, wie in Smyrna, als leidend unter der Verfolgung Satans, der die Gewalt der Welt hat; noch wie in Pergamus, wo sie da wohnt, wo der Thron des Satans ist, und solche unter sich hat, welche die Lehre das Balaam und der Nikolaiten festhalten;

auch nicht wie in Thyatira, wo der Prophetin Jesabel erlaubt wird, zu lehren und „meine Knechte zu verführen, Hurerei zu treiben und Götzenopfer zu essen". Auch ist sie noch nicht zu dem Zustand der Versammlung in Laodicäa gelangt, die auf dem Punkt steht, ausgespien zu werden, noch ist sie, wie Israel, die offenbare und unzweideutige Anbeterin Baals ge­worden. Nein, die Gnade hat noch ein Werk zu tun, und des­halb sehen wir sie hier und da wirksam. Die Versammlung in Sardes hatte sich von schlechter Lehre und der tätigen Unter­weisung im Verderben freigemacht; ihr Übel war mehr nega­tiver Art, eine tote Form ohne lebendige Kraft. Freilich hatte sie einen großen Namen, nämlich, daß sie lebe. Sie besaß äußerliche Wahrheit, aber sie war tot, ohne lebendige Kraft.

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Sie trug ein gewisses äußerliches Bekenntnis und den Schein des Christentums zur Schau; aber ach! obwohl sie den Namen hatte, daß sie lebe, war sie doch ohne Kraft des Lebens. Man bekannte sich zu dem Namen und zu der Lehre des Christen­tums, aber Christus Selbst war nicht da. Betrachten wir die sogenannte Orthodoxie; wie sie jetzt ist und seit langer Zeit bestanden hat, gleicht sie nicht ganz und gar diesem Zustand? Befreit von Jesabel, ist sie zu einem toten Körper geworden. Wir müssen uns jedoch wieder daran erinnern, daß in diesen Sendschreiben nichts von dem, was dem Gericht anheimfällt, in irgendwelcher Verbindung steht mit der wirksamen Energie des Heiligen Geistes. Die Sache, die gerichtet wird, ist der Ge­brauch, der von den Gnadenerweisungen und Gaben des Geistes gemacht worden ist.

In dem großen Werk der Reformation sehen wir eine tref­fende Darstellung dieser Wahrheit. Es gab in diesem Werke, was die Energie betrifft, die es hervorbrachte, unzweifelhaft ein Werk des Geistes Gottes, und mit Freuden entdecken wir das, was Gott getan hat und nicht, was Er richten wird. Die Schwierigkeit, in die man leicht gerät, rührt daher, daß man diesen Unterschied nicht macht. Man könnte nun die Frage stellen: Wo ist die Frucht, die infolge der Vorrechte, die durch die Reformation gebracht und so lange genossen worden sind, hätte zum Vorschein kommen sollen? Gott zündet nicht ein Licht an, um es unter den Scheffel zu stellen; sein Platz ist auf dem Lampengestell, und dann leuchtet es allen, die im Hause sind. Hernach sieht Gott, ob das Licht, das Er gegeben hat, auch leuchtet. In den Schreiben an die Versammlung ist von einem guten oder von einem schlechten Zustand die Rede;

nie aber wird der gute Zustand erwähnt in Verbindung mit dem Heiligen Geiste, als Dem, Der ihn hervorbringt.

„Ich habe deine Werke nicht völlig erfunden vor meinem Gott". Die Versammlung war in der ganzen Vollkommenheit dessen, was in Christo für sie war, errichtet worden, und des­halb forscht der Herr nach dem, was dieser Vollkommenheit, in welche sie ursprünglich eingesetzt war, entspricht. Auf diese Weise stellt Er Sich als Derjenige dar. Der diese ganze Voll­kommenheit in geistlicher Macht und Energie besitzt, und sucht das, was ihr entspricht. Man möchte fragen: Ist es nicht

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befremdend, daß ihre Werke als „nicht völlig" bezeichnet wer­den, während zugleich von ihnen selbst gesagt wird, daß sie „tot" sind? Keineswegs; denn der Herr kann nie Seinen Maß­stab erniedrigen, wenn es sich um das Böse handelt, mag es sich in der Versammlung oder in einem einzelnen vorfinden. Er muß die Versammlung nach den Hilfsquellen richten, die sie zu ihrer Verfügung hat. Gott kann nie einen geringeren Maßstab anlegen, wenn es sich um die Frucht dessen handelt, was Er getan hat. Deshalb haben wir uns zu fragen, ob wir, als einzelne Personen, vor der Welt die Heiligkeit darstellen, deren wir teilhaftig geworden sind, sowie die Liebe, deren Gegenstände wir sind? Es gibt sehr viele, die Christum be­kennen, verhältnismäßig aber nur wenige, die für Ihn leben. Der Herr legt der Versammlung zu Sardes weder Balaam, noch seine verderbte Lehre — „Götzenopfer zu essen und Hurerei zu treiben" — zur Last, noch beschuldigt Er sie, Jesabel in ihrer Mitte zu haben. Er forscht vielmehr danach, ob Leben da ist. Er sucht vollkommene Werke, die dem Maße der Gnade ent­sprechen, mit der Er die Versammlung in Verbindung gebracht hat.

Wenn wir nun auf uns blicken, geliebte Freunde, was kön­nen wir dann sagen? Es handelt sich nicht darum, ob wir über­haupt Frucht bringen, sondern ob die Früchte, die hervorge­bracht werden, für Den passend sind. Der den Boden bearbeitet hat. Wenn ein Acker, den ich bestellt und mit Weizen besät habe, keine Früchte hervorbringt, die der darauf verwendeten Arbeit entsprechen, dann gebe ich ihn auf und besäe ihn nicht mehr. Ich spreche hier nicht von der Errettung einer Seele, son­dern von dem Urteil des Herrn über das, was in den Heiligen, in solchen, die schon errettet sind, zum Vorschein kommt. Es ist wahr, daß Gott die Früchte eines jeden Grundsatzes Seiner Gnade vollkommen hervorbringen wird, sobald Christus Seine Macht annimmt; aber vorher vertraut Er dies dem Menschen an. Er gab den Kindern Israel das Gesetz, in dessen Beobach­tung sie gänzlich fehlten; Christus aber sagt: „In meinem Herzen habe ich dein Wort verwahrt". So wird auch Gott in den letzten Tagen das Gesetz in das Herz Israels schreiben. Jetzt ist Israel „zum Sprichwort und zur Spottrede unter allen Völkern", weil es untreu gewesen ist; aber am Tage der Macht Christi, wenn Gott die Frucht in Vollkommenheit und in Fülle

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hervorbringen wird, dann wird Israel „blühen und knospen;

und sie werden mit Früchten füllen die Fläche des Erdkreises". Ebenso ist es mit der Regierung. Sie wurde in die Hand des Menschen gelegt. Die Macht wurde Nebukadnezar anvertraut, und wir wissen, was daraus geworden ist. Indessen wird die Regierung in Vollkommenheit aufgerichtet werden, wenn „das Reich der Welt unseres Herrn und seines Christus gekommen ist". In ähnlicher Weise wurde auch die Versammlung Gottes auf der Erde errichtet, als vollendet in Christo, um die Herr­lichkeit ihres abwesenden Hauptes im Himmel zu offenbaren, und es wurde ihr die Macht des Heiligen Geistes verliehen. Sie war die Behausung Gottes im Geiste. Aber ach! wie schrecklich hat sie gefehlt! Was Gott jetzt sucht, sind die Früchte der Gnade, als ein Zeugnis und ein Beweis von der Gnade, die sie von Ihm empfangen hat. Doch wenn Christus „kommen wird, verherrlicht zu werden in seinen Heiligen und bewundert in allen denen, die geglaubt haben", dann wird auch die Ver­sammlung in Herrlichkeit geoffenbart werden, und die Welt wird erkennen, daß sie geliebt worden ist mit derselben Liebe, mit der Christus geliebt war. Jetzt aber handelt es sich um Verantwortlichkeit, und zwar, wenn die Versammlung ihren Platz verläßt, um persönliche Verantwortlichkeit. Es wird dahin kommen, daß die bekennende Kirche aus dem Munde Christi ausgespien wird. Aber ich wiederhole noch einmal, daß es sich hierbei nicht um die Errettung, sondern um das Bekenntnis vor der Welt handelt.

Am Tage der Pfingsten wurde der Heilige Geist gegeben, um gewisse Wirkungen hervorzubringen, und die angemesse­nen Früchte kamen hervor. In der gegenwärtigen Zeit ist nun die Frage: Bringt die Kirche oder Versammlung Gottes Früchte für Gott, die der Kraft des ihr anvertrauten Zeugnisses ent­sprechen? Nein, als Körper betrachtet, ist dies nicht der Fall. Dann wird es eine Frage persönlicher Verantwortlichkeit: „Wer ein Ohr hat, höre"; und dies legt einem jeden von uns die Frage nahe: Inwieweit geben wir persönlich der Gnade Gottes Zeugnis? Ich meine nicht ein Zeugnis, das in Übereinstimmung ist mit der ersten Fülle der öffentlichen Macht, wie sie sich im Anfang in der Versammlung kundgab, sondern ein Zeugnis, das das Maß dessen erreicht, was wir persönlich empfangen haben. Denn nach diesem Maße handelt Gott jetzt in prak-

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tischer Beziehung mit der Versammlung, und hierfür ist die Gnade Christi immer hinreichend. Wenn diese Frage zwischen der Seele und Gott verhandelt wird, so werden wir sicher be­kennen müssen, daß das persönlich empfangene Maß der Gnade nicht von uns erreicht wird. Wohl mögen wir mit Eifer für einen Namen streiten; aber vor Gott ist die Frage, ob sich bei uns Kraft und die vollkommenen Früchte der Gnade nach dem Maße dessen vorfinden, was wir empfangen haben. Es ist eine schreckliche Sache, sich auf einen religiösen Ruf zu stützen, während die Werke vor Gott nicht völlig erfunden werden.

Möge der Herr uns alle davor bewahren! Unter allen den schrecklichen Dingen, die einem Heiligen Gottes begegnen können, ist es eins der schlimmsten, wenn er auf einen religi­ösen Ruf vertraut; und dies ist ganz besonders bei jemandem der Fall, der sich mit dem Dienst beschäftigt. Wie oft haben wir gesehen, daß ein solcher mit Hingebung und großem Fleiß arbeitete und in seinen Arbeiten gesegnet war, indem er andere wirklich zu Christo führte, daß er aber auf diese Weise einen Kreis um sich sammelte! Das Ich war auf dem Schauplatz, und so erhielt er den „Namen, daß er lebe", indem er sich mit dem Kreis zufriedengab, den er gebildet hatte, und so in den her­vorgebrachten Früchten ruhte, anstatt in Ihm, Der allein die Macht des Lebens ist. Auf diese Weise hörte seine Brauchbar­keit auf, und er selbst verfehlte das Ziel. Wie ganz anders war der Pfad des Herrn hienieden! Mit jedem Schritt, den Er tat, verlor Er den Beifall derer, die Ihn umringten; denn Er wan­delte mit Seinem Vater, und der Lichtglanz Seines Wandels strahlte je länger je heller, bis zuletzt die Menschen den Glanz des wahrhaftigen Lichtes nicht mehr zu ertragen vermochten und ihn, so weit es sie betraf, am Kreuze vernichteten. Alle, die den Herrn umgaben, kannten nicht das Maß Seiner Ge­meinschaft mit dem Vater und konnten sich ganz und gar nicht dazu erheben. Selbst Seine Jünger blieben weit hinter dem zurück, was ihr Charakter als Jünger erforderte; auch sie verließen Ihn, wie Er gesagt hatte: „Siehe, es kommt die Stunde . . . daß ihr zerstreut sein werdet, ein jeder in das Seinige, und mich allein lassen werdet; und ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir". So sehen wir unseren hochgelob­ten Herrn in der Achtung der Menschen immer tiefer und

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tiefer herabsteigen, bis sie Ihn endlich zum Tode verurteilten, ja „zum Tode am Kreuze".

Wenden wir uns jetzt einen Augenblick zu Paulus. Welch eine geistliche Energie des Glaubens war in ihm vorhanden! Er wandelte mit Gott in Kraft; die aber, die um ihn her waren, konnten sich nicht bis zu der Höhe erheben, die er erreicht hatte, und darum mußte er, indem er vorwärts eilte, notwen­digerweise die anderen hinter sich zurücklassen. Sein Pfad wurde immer einsamer, und am Ende seiner Laufbahn mußte er sagen: „Alle, die in Asien sind, haben sich von mir abge­wandt"; und: „Alle verließen mich ... der Herr aber stand mir bei". Unter allen, die Paulus gesammelt hatte, hören wir nur von einem einzigen, der ihn im Gefängnis besuchte. Der Apostel bewahrte völlige Energie, in deren Kraft er mit Gott vorwärts wandelte, während andere Rückschritte machten, von denen er sagt, „daß sie die Feinde des Kreuzes Christi sind . . . die auf das Irdische sinnen". Und wenn auch andere nicht so weit abwichen, so hielten sie doch den Standpunkt des Glau­bens nicht aufrecht; sie verloren ihr himmlisches Bürgerrecht aus den Augen, sie suchten mehr das Ihrige als das, was Christi Jesu ist.

Der Grad unserer Absonderung von dem, was in dieser Welt ist, steht im Verhältnis zu dem Maß der verborgenen Gemein­schaft in unserem Wandel mit Gott, in dem, was stündlich zwischen unserer Seele und Gott vorgeht. Ganz besonders haben wir unser Augenmerk darauf zu richten, daß alle unsere Werke vollkommen sind vor Gott, daß alles, was wir tun, gemessen wird nach dessen unmittelbarer Beziehung zu Gott. Dies muß notwendig einen gewissen Grad von Absonderung hervorbringen. Mit Christo war es so; Er war immer niedrig und immer vereinsamt, und doch voll Liebe gegen alle, voll­kommen in Seiner Güte gegen jede bedürftige Seele, wie auch gegen Seine Jünger. Es tut nichts zur Sache, ob wir in der Achtung anderer sinken, dies wird eine notwendige Folge der Treue sein. Das Gegenteil davon ist, obwohl ein großer Schein vor der Welt da sein mag, gerade dies: „Du hast den Namen, daß du lebest, und bist tot" . . . „denn ich habe deine Werke nicht völlig erfunden vor meinem Gott". Die Werke sind mit Rücksicht auf den Menschen und nicht im Blick auf Gott getan.

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Zu gleicher Zeit ist es ganz nötig, mit den Heiligen zu wan­deln und die Gefühle der Liebe zu nähren und zu pflegen, obgleich, je treuer der persönliche Wandel eines Gläubigen ist, um so völliger auch die Absonderung sein muß, weil die, welche ihn verstehen, gering an Zahl sein werden. Dennoch wird, je näher wir Christo sind, eine um so größere Gnade gegen andere in uns sein; so wie Er gesagt hat: „Dies ist mein Gebot, daß ihr einander liebet, gleichwie ich euch geliebt habe". Wenn wir nahe mit Gott wandeln, werden wir ein bleibendes Gefühl von Seiner Gunst haben; aber dann muß diese persönliche Abhän­gigkeit von Gott zur Absonderung führen. Unser Pfad wird ein einsamer sein, wie der Pfad Christi es allezeit war. Bei all Seiner Gnade und Demut, womit Er allen das Ohr lieh, allen diente, ja sogar die Füße der Jünger wusch, wurde Er allein gelassen; doch Er war nicht verlassen von Gott, wie Er auch sagt: „Der mich gesandt hat, ist mit mir; er hat mich nicht allein gelassen, weil ich allezeit das ihm Wohlgefällige tue".

Richten wir jetzt unseren Blick auf die Folgen der Werke, die nicht völlig erfunden werden vor Gott. Das ist gerade der Punkt, der in der hier gegebenen Warnung von so großem Ernst ist: „Gedenke nun, wie du empfangen und gehört hast, und bewahre es und tue Buße". Beachten wir die beiden Worte:

empfangen und gehört". Zunächst hat die Versammlung die Gnade empfangen und ist in sie eingesetzt worden; und dann besitzt sie das geoffenbarte Wort Gottes als ihre Richtschnur und ihren Führer. Die Gnade ist empfangen und das Wort mitgeteilt worden. Wir werden nicht ermahnt, das zu beden­ken, was wir nicht empfangen haben, sondern das, was wir empfangen haben. Der Herr stellt in diesen beiden Punkten das Maß der Verantwortlichkeit vor, das, was die Versamm­lung oder Kirche empfangen hat, in das sie gesetzt worden ist, und das, was sie gehört hat. Gott gibt uns Sein Wort, um uns zu leiten, und Gnade, um dem Wort gemäß zu wandeln.

„Wenn du nun nicht wachen wirst, so werde ich über dich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, um welche Stunde ich über dich kommen werde". Nun aber ist es eine sehr lästige und ermüdende Sache, zu wachen, denn wir haben auch über uns selbst zu wachen, da wir anders bald in den Schlaf fallen werden. Das Herz wird müde, wenn es beständig

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auf alles, was vorgeht, ein wachsames Auge haben soll. Es ist unmöglich für uns, zu wachen, wenn wir uns nicht nahe bei Christo halten, wenn wir nicht das Bewußtsein haben, daß Er über uns wacht und Sich um uns kümmert. In unserem Dienst haben wir besonders nötig, wachsam zu sein. Unser ganzer Dienst sollte tatsächlich, als eine Sache des persönlichen Glau­bens, mit Gott in Verbindung stehen. Er mag Prüfungen und Schwierigkeiten mit sich bringen; das Gebüsch mag sehr dicht sein, aber der Gegenstand auf der anderen Seite sollte hell und klar vor unserem Auge stehen. Es ist stets Gefahr für uns da, jene Klarheit des Urteils zu verlieren, die wir haben wer­den, wenn wir uns nahe bei Christo halten. Beurteilen wir irgendeine Prüfung in der Gegenwart Christi, so scheint der Ausgang leicht; sobald wir uns aber in der Prüfung selbst befinden, sehen wir ihn nicht mehr so klar. Wenn wir, um ein Beispiel anzuführen, im Begriff sind, in ein Tal hinabzu­steigen, so sehen wir unser Ziel auf der anderen Seite und die Richtung, die wir einzuschlagen haben, ganz deutlich; sind wir aber einmal in dem Dickicht des Tales angekommen, so ist es nicht so leicht, bei den vielen Einzelheiten des Weges den rich­tigen Pfad zu unterscheiden. Wie leicht geschieht es, daß wir in den zerstreuenden und ermüdenden Umständen der Prüfung die Klarheit des Verständnisses verlieren, die wir besaßen, als wir sie in der Gegenwart Christi beurteilten. Keiner von uns wird leugnen, daß es sehr schwierig ist, in dem Dickicht des Tales so klar zu sehen, wie auf den Höhen mit Christo. Unser Auge muß einfältig sein, um den Willen Gottes zu tun; und je demütiger wir sind, soviel einfältiger werden wir sein, und also durch die Weisheit Seines Willens geleitet werden, durch den Willen Dessen, Der das Ende von Anfang an verkündet und uns durch Sein Wort und Seinen Geist leitet. Der schärfste menschliche Verstand kann niemals die Wege Gottes unter­scheiden, während das kleine Kind, das auf Gott blickt, die Weisheit Gottes besitzt. Bei jedem Schritt, den wir tun, sollten wir das Gefühl des Beifalls Gottes haben: „Er leitet die Sanft­mütigen im Recht und lehrt die Sanftmütigen seinen Weg".

„Wenn du nun nicht wachen wirst, so werde ich über dich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, um welche Stunde ich über dich kommen werde". Wenn diese Wachsam-

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keit in der bekennenden Kirche nicht vorhanden ist/ wie ernst sind dann die Folgen: „so werde ich über dich kommen wie ein Dieb". Wie schrecklich ist es, wenn die bekennende Kirche mit ihrem großen Namen nach der Schätzung und dem Urteil Gottes auf gleichen Boden mit der Welt gestellt werden muß, wenn ihre Werke den Erwartungen Gottes nicht entsprechen! Der Herr hatte ihre Werke nicht völlig erfunden vor Seinem Gott, weil sie den von Gott gegebenen Vorrechten nicht ent­sprachen. Gott sagt hier gleichsam zu der Versammlung: Wenn die Werke nicht den Vorrechten gemäß sind, die ich euch ge­geben habe, wenn bei euch keine Wachsamkeit ist, so muß ich euch behandeln wie die Welt. In 1. Thess 5, 2 wird hin­sichtlich der Welt gesagt: „Der Tag des Herrn wird also kom­men, wie ein Dieb in der Nacht", während zu den Gläubigen gesagt wird: „Ihr aber, Brüder, seid nicht in Finsternis, daß euch der Tag wie ein Dieb ergreife; . . . ihr alle seid Söhne des Lichtes und Söhne des Tages". Und wenn Er kommt, der den Tag bringt, so werden die Kinder des Tages mit Ihm kommen;

sie werden sein wie die Strahlen der Sonne der Gerechtigkeit. „Wenn der Christus, unser Leben, geoffenbart werden wird, dann werdet auch ihr mit ihm geoffenbart werden in Herrlich­keit"; „wenn er kommen wird, . . . verherrlicht zu werden in seinen Heiligen und bewundert in allen denen, die geglaubt haben"; und wiederum: „Und die Herrlichkeit, die du mir ge­geben hast, habe ich ihnen gegeben . . . auf daß die Welt er­kenne, daß du mich gesandt und sie geliebt hast, gleichwie du mich geliebt hast".

In 1. Thess 5 stellt der Geist Gottes die Welt in Gegensatz zu der Versammlung Gottes, während Er hier in Sardes die bekennende Kirche den wahren Heiligen Gottes gegenüber­stellt und ihr das Teil der Welt ankündigt. Die Anrede an Sardes ist deshalb der Anrede an die Welt gleich. Es trifft sie nicht dasselbe Urteil wie Jesabel, sondern sie empfängt ihr Gericht dem entsprechend, was sie nach ihrem geistlichen Zu­stande ist, nämlich die Welt, Das Gericht der Welt ist das Teil der bekennenden Kirche, wenn sie das Maß dessen, was sie „empfangen" und „gehört" hat, nicht erreicht. Wenn sie nicht wachend erfunden wird, so zieht sie in ihrem Maße das gleiche Gericht auf sich wie die Welt. Selbstverständlich will ich damit nicht sagen, daß die Versammlung Gottes, die eins ist mit

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Christo in Herrlichkeit und deren Leben mit dem Christus in Gott verborgen ist/ je so behandelt werden könnte; aber es ist ein überaus ernster Gedanke, daß der große bekennende Kör­per mit seinem „Namen, daß er lebe", und mit seinem schönen Schein im Fleische dasselbe Gericht zu erwarten hat wie die Welt. Er ist tatsächlich die Welt selbst. Nun aber entsteht die Frage: Inwiefern bezeugen wir durch unser Verhalten, daß fast alles um uns her, was den Namen Gottes trägt, während es nicht von Gott ist, die Namenkirche oder die Christenheit, wie man sie nennt, in Wahrheit die Welt ist, und weil sie jenen Namen und jene Stellung behauptet, auch als solche behandelt werden wird? Wie ernst ist die Tatsache, geliebte Freunde, daß wir in unseren Tagen einen Schauplatz zu durchpilgern haben, der also von Gott heimgesucht werden muß! Er Selbst hat es gesagt, und ach! wir wissen nicht, wie bald. Ich kenne nichts Ernsteres, als diese Gleichstellung der bekennenden Kirche mit der Welt im Gericht, wie sie uns hier mitgeteilt wird.

„Aber du hast einige wenige Namen in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; und sie werden mit mir einher­gehen in weißen Kleidern; denn sie sind es wert". Hier wird eine andere wichtige Sache vor unsere Augen gestellt. Wir finden hier die Charakterzüge dessen, was man oft die „un­sichtbare Kirche" nennt. „Du hast einige wenige Namen in Sardes". Diese Namen bezeichnen einzelne Personen, die der Herr gezählt hat und die Er alle mit Namen kennt. Es sind solche, „die ihre Kleider nicht besudelt haben". Sie sind nicht mit der Welt gegangen; die bekennende Kirche aber hat ihre Kleider besudelt. Es mag sein, daß Sardes weder die Verfüh­rungen Balaams, noch die Verderbnisse Jesabels zur Last ge­legt werden; allein sie „sinnt auf das Irdische", und „ihre Ehre ist in ihrer Schande". Sardes hat ihre Kleider nicht unbefleckt von der Welt erhalten, und deshalb ist ihr Schandfleck „nicht der Schandfleck seiner Kinder" (5. Mo 32, 5). Gleichwie Paulus sagte und sogar mit Weinen sagte, „daß sie die Feinde des Kreuzes Christi sind . . . die auf das Irdische sinnen". Das Herz ist vom Geiste der Welt erfüllt, als wäre sie der empfan­gene Gegenstand, und daher paßt man sich ihr an, um mit ihr zu wandeln. Diejenigen aber, die mit unbefleckten Kleidern an dem Kreuze festgehalten haben, „werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind es wert".

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Der Charakter der Segnung entspricht immer der Schwierig­keit. Jene Getreuen haben hienieden ihre Kleider unbefleckt erhalten von der Welt; deshalb werden sie droben mit Ihm in weißen Kleidern wandeln; „und ich werde seinen Namen nicht auslöschen aus dem Buche des Lebens und werde seinen Namen bekennen vor meinem Vater und vor seinen Engeln".

Beachten wir, wie persönlich der Ausdruck ist: „seinen Namen!" er wird sogar zweimal gebraucht. Der Ausdruck „das Buch des Lebens" bezeichnet augenscheinlich ein allgemeines Register des Bekenntnisses und ist vielleicht dem Gebrauch städtischer Korporationen, Verzeichnisse der Namen ihrer Mitglieder zu führen, entlehnt. In diese Verzeichnisse kann ein Name eingetragen werden, von dem es sich später erweisen mag, daß er kein Recht darauf hat. Auf den ersten Blick räumt diese Eintragung ein Anrecht auf irgend etwas ein; bei einer näheren Untersuchung aber stellt es sich heraus, daß der Name aus der Liste gestrichen werden muß. Die, welche in das Buch des Lebens eingeschrieben waren, hatten ein Bekenntnis, sie hatten „den Namen, daß sie lebten". Etwas ganz anderes ist es, wenn von dem Geschriebensein „in dem Buche des Lebens vor Grundlegung der Welt" die Rede ist; in diesem Fall hat Gott Selbst die Namen eingeschrieben; es ist das Buch der Ratschlüsse und der Vorsätze Gottes.

„Ich will seinen Namen bekennen". Der Herr wird einen jeden der Seinigen auszeichnen. Zugleich sehen wir, daß in diesen einzelnen Personen, inmitten des allgemeinen Verfalls, die unsichtbare Kirche vorhanden ist; und, wenn der sichtbare Körper gerichtet wird, dann werden diese Einzelnen entrinnen — und nicht nur das, sondern der Herr wird sie vor dem Ge­richt zu Sich aufnehmen, so daß, wenn Er zum Gericht der Welt erscheint, sie mit Ihm kommen werden. Die sichtbare Kirche aber, die der Gnade nicht entspricht, wird in derselben Weise wie die Welt behandelt werden. Es gibt deshalb, wenn man es so nennen will, eine unsichtbare Kirche; aber beachten wir, daß dann, wenn die wahre Kirche unsichtbar ist, mit der sichtbaren genau so verfahren wird, wie mit der Welt.

Jene sieben Versammlungen wurden Leuchter genannt, und Gott hatte ihnen Licht gegeben, jedoch nicht, um es unter den Scheffel zu stellen, sondern um es auf einen Leuchter zu setzen,

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damit es allen ringsum leuchte. Doch ich frage: Ist ein Licht unsichtbar? Wenn es unsichtbar ist, was hat es dann noch für einen Wert? Es verdient nichts anderes, als verworfen zu wer­den. Man hat seit etwa dreihundert Jahren gesagt, daß es eine unsichtbare Kirche gibt, und dies ist in gewisser Beziehung ganz richtig; damit aber spricht man eine direkte Verurteilung der sichtbaren Kirche aus. Wenn wir die sichtbare Kirche in ihrem gemeinsamen öffentlichen Bekenntnis für Gott betrach­ten, sehen wir dann in ihrem Verhalten und Leben den Ab­druck der Gebote Christi? Nein; und deshalb ist in der Kirche das sichtbare Zeugnis von all der Gnade, der Wahrheit und der Segnung, die ihr Teil in Christo ist, nicht gewesen.

Ich möchte schließlich noch auf die verschiedenen Gesichts­punkte aufmerksam machen, unter welchen uns die Ankunft des Herrn in diesen Sendschreiben vorgestellt wird. In Thyatira, wo Jesabel den Zustand der Kirche kennzeichnet, wendet der Herr das Auge von jeder Hoffnung auf ihre Wiederherstellung als ein Ganzes ab und richtet es auf den Morgenstern, zum Trost für alle, welche den Morgenstern erwarten, obwohl sie nicht von der Nacht sind, aber wahrnehmen, daß es Nacht ist. Auf diese Weise wird inmitten des zunehmenden Bösen dem treuen Überwinder die Hoffnung Seiner Ankunft als eine Zu­fluchtsstätte gegeben. Hier in Sardes trägt die Ankunft des Herrn den Charakter des Gerichts. Ich werde „über dich kom­men wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, um welche Stunde ich über dich kommen werde". Sardes bringt, weil es in einem verfallenen und toten Zustande ist, notwendigerweise das Gericht über sich; denn wenn die bekennende Kirche in einem todesähnlichen Zustande ist, dann muß sie auch wie die Toten behandelt werden. In Philadelphia aber tritt eine große Ver­änderung ein. Dort wendet sich der Herr, inmitten des Abfalls, an einen schwachen, armen Überrest, mit der gesegneten und ermunternden Hoffnung Seiner baldigen Ankunft: „Siehe, ich komme bald!" Fortsetzung im „Botschafter" 1882

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