Liebe zu Gottes Reich

01/12/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Bei meinen Kreuz- und Querzügen durch London, die ich als Kandidat der Theologie wochenlang machte, kam ich eines Tages auch in ein großes Büro der Heilsarmee. Es war der Mittelpunkt der Versicherungsgesellschaft der ganzen Heilsarmee. Als ich den Oberst, der mich herumführte, im Blick auf die Angestellten, die in den großen Sälen arbeiteten, fragte: »Sind das nun alles gläubige Christen?«, sah er mich ernst an und sagte: »Gläubige Christen? Arbeitende Christen!« Daß Christen arbeiten müssen für Gottes Reich, das haben wir schon von frühester Jugend an von unserer Mutter gelernt.

Die Arbeiten des Reiches Gottes hatten die uneingeschränkte Teilnahme unserer Mutter. Sie las eine ganze Reihe Missionsberichte und andere Zeitschriften. Von der Rheinischen Mission waren immer drei Blätter im Haus, ferner der Neukirchener Heidenbote, die Berichte der Brüdergemeine und andere. Und was sie gelesen hatte, davon erzählte sie uns Kindern sehr oft bei Tisch. 

Die Namen Bandjermassin, Odjimbingue und wie sie alle heißen, die Stationen in Surinam und am Tana in Ostafrika waren uns eher bekannt, ehe wir sie lesen konnten. Dazu kam, daß in unserem Hause eine große Zahl von Arbeitern im Reiche Gottes aus- und eingingen. Unsere Mutter war sehr gastfrei. Eigentlich sollte ich sagen: 

Unsere Eltern waren es. Unser Vater ging in dieser Hinsicht wohl manchmal weiter, als nötig gewesen wäre. Er hatte eine sehr gesellige Art und gern Gäste um den Tisch. Aber die Gastfreundlichkeit ist doch wohl vor allem Sache der Mutter. 

Als ich einmal jemand, und zwar eine Dame, rühmen hörte, wie gastfrei der ehrwürdige Pastor Engels in Nümbrecht, der bekanntlich unverheiratet geblieben ist, gewesen sei, habe ich einen Augenblick an einer Antwort schlucken müssen. Ich wollte sagen: »Männer haben leicht gastfrei zu sein; die Arbeit von den Gästen haben doch die Frauen.« Aber obwohl unsere Mutter die Arbeit hatte und auch den kämpf mit dem Haushaltungsgeld, das bei den vielen Gästen manchmal nicht reichen wollte, wiewohl dies letztere in damaliger Zeit noch nicht so wichtig war wie heute, war sie doch sehr gastfrei.

Wie viele Pastoren und Festprediger, die in unserm Jünglingsverein und bei Missionsfesten das Wort verkündigten, sind bei uns eingekehrt! Wie mancher Evangelist hat wochenlang bei uns gewohnt! Aber alle nahm die Mutter herzlich auf, und mehr als einer konnte den Eindruck gewinnen, als ob sie ihm zurief: »Du kehrst zur rechten Stunde, o Wanderer, hier ein.«

Es war ihr eine Lust, Christen zu beherbergen, ganz gleichgültig, ob es die einfachen Brüder vom Siegerländer Reisepredigerverein oder vom Brüderverein waren, die Boten der Evangelischen Gesellschaft, wie der unvergeßliche Inspektor Munz, oder kollektie-rende Pastoren wie Calvino von den Waldensern oder Sublet von der belgischen Missionskirche oder Missionare von der Rheinischen oder Brüdergemeine-Mission. Aus meiner frühesten Jugend stehen mir noch ganz dunkel die Gestalten vor Augen von Fritz von Schlümbach, dem feurigen deutsch-amerikanischen Evangelisten, und dem ehrwürdigen Georg Müller aus Bristol.

Und die wir nicht persönlich sahen und im Hause begrüßen konnten, von denen erzählte uns unsere Mutter. Sie hatte eine große Liebe für Lebensbilder und las sehr viel. Eigentlich hatte sie immer etwas Wertvolles als Lesestoff unter den Händen. Und dabei umfaßte sie weite Gebiete der Literatur. Ich erinnere mich, daß sie noch, bald 50jährig, jeden Mittag in ihremErholungs-stündchen Goethes »Wilhelm Meister« las, weil sie es sich nicht verzeihen konnte, daß sie dieses Werknoch nicht gelesen hatte. 

Vor allem aber waren es die Lebensbilder der Männer des Reiches Gottes und die Gestalten aus der Kirchengeschichte, besonders die Vorkämpfer der Hugenotten und Waldenser, die ihre ganze Liebe 'besaßen. Und von ihrem Lesetisch fielen reichliche Brosamen auch für uns, die Kinder, ab, weil sie wundervoll zu erzählen verstand. Als wir heranwuchsen, war es ihre ganze Freude, daß wir Brüder uns so lebhaft in dem Jungmännerverein beteiligten, dessen Vorsitzender unser Vater bis zu seinem Tode war. Ich habe keinen einzigen Fall in Erinnerung, daß unsere Mutter etwa unseren Vater oder einen von uns von den Vereinsstunden zurückgehalten hätte. Im Gegenteil, sie ermunterte uns und machte auch dem Vater in den Jahren seiner Krankheit, wenn die Kraft oft nicht einmal zum Weg ausreichen wollte, Mut, seine Pflicht zu tun und zu gehen. 

Sie war nicht eine von den Frauen, die, wenn ihre Männer ihre Arbeit im Reich Gottes tun, dann schmollend zu Hause sitzen und sich vernachlässigt fühlen. Sie langweilte sich nie. Wenn wir gingen, nahm sie ihre geliebten Berichte vor, von denen sie keinen überschlug. Kamen wir nach Hause, oft übervoll von dem Erlebten, dann hatte sie auch etwas zu erzählen, vielleicht aus dem Lande der Eskimos oder aus China, wo sie die Stunden hindurch in ihrem Geist geweilt hatte.


Liebe zu Gottes Volk

01/12/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Zu dem Eindrücklichsten am Verhalten unserer Eltern für uns gehörte es, daß sie sich zu den kleinen Kreisen ernster Christen hielten. Das war meine Mutter aus ihrem Elternhaus im Siegerland gewöhnt. Wunderbar konnte sie erzählen, wie sie als Kind auf der Holzkiste hinter dem Ofen gesessen hatte, wenn die alten, ehrwürdigen Väter des christlichen Lebens in ihrem

 Städtchen mit ihren Eltern zusammen die Silvesternacht feierten und mit ihren zitternden Stimmen das Lied sangen: »Abermals ein Jahr verflossen, näher zu der Ewigkeit.« Sie hatte auch selbst in den ersten Jahren ihrer Ehe, als sie in große Anfechtung wegen ihres Gnadenstandes gekommen war, sich daran zurechtgefunden: »Wir wissen, daß wir aus dem Tode in das Leben gekommen sind; denn wir lieben die Brüder.«

In dem kleinen Dorf im Siegerland, in dem mein Vater ein kleines Stahlwerk betrieb, gab es damals nur wenige lebendige Christen, die sich in eines Schuhmachers Wohnung um einen Tisch versammelten. Mein Vater war wenige Jahre zuvor aus einem völlig weltlichen Treiben durch das Zeugnis dieses Schuhmachers, der ihn in einer schweren Krankheit besuchte, zum lebendigen Glauben herumgeholt worden und hatte seine Freundschaft mit den Honoratioren der benachbarten Stadt abgebrochen, um sich jetzt zu den verachteten »Fienen« zu halten.

In dieser seiner Haltung wurde er durch seine junge Frau nur bestärkt. Und auch später haben meine Eltern in meiner Vaterstadt Mülheim am Rhein immer in den Kreisen derer gelebt, die den Namen des Herrn bekannten und sich um Gottes Wort versammelten. Da die Verkündigung in der Kirche ihnen die Speise nicht bot, die sie suchten, und es eine kirchliche Gemeinschaft damals dort noch nicht gab, sind sie jahrelang als Gäste in der Freien Evangelischen Gemeinde gewesen. 

Und so haben auch wir Kinder unsere geistliche Speise anfänglich in diesem Kreise empfangen unter dem gesegneten Zeugnis von Predigern wie Leopold Bender und Sprenger aus Köln. Ich habe immer gefunden, daß, abgesehen von der freikirchlichen Tendenz, ich mich auch später noch mit der Theologie dieser Brüder aus den Freien Gemeinden weithin einig fühlte. Was wir in unserer Jugend dort zu hören bekamen, war eigentlich nichts anderes als das, was Gottfried Daniel und Friedrich Wilhelm Krummacher und andere in Wuppertal verkündigt hatten und durch ihre Schriften in diese Gemeinschaften hineingetragen worden war.

Es war ein weitherziger Kreis, der sich abwechselnd in einigen Kaufmannshäusern, und so auch in unserem Vaterhaus, wöchentlich zu einem Leseabend versammelte. Da waren Presbyter aus der Kirche, der Vorsitzende und Glieder der Baptistengemeinde und Familien aus der Freien Gemeinde, und ich erinnere mich nicht, daß je ein Mißton in die Unterhaltung geflossen sei, die sich an das Vorgelesene anschloß und die mancherlei Ereignisse im Reiche Gottes betraf.

Uns Kindern wurde es von vornherein eingeprägt, daß unsere Heimat sein müßte bei denen, die den Herrn Jesus lieb haben. Später, als ich mir über vieles, was ich in der Jugend erlebte, klar geworden war, ist es mir in der Erinnerung aufgefallen, daß ich unsere Eltern nie von oben herab über die Fehler und Mängel der Christen habe reden hören. 

Dabei hätten gerade die vielen einfachen Brüder, mit denen sie verkehrten und die sich manchmal nicht recht zu benehmen wußten, zumal dem humorvollen Gemüt des Vaters manchen Anlaß zum Spott geben können. Es wurde auch wohl einmal dies und jenes erzählt; aber unsere Eltern fühlten sich mit diesen einfachen Christen viel zu nahe verwandt, als daß sie vor den Ohren ihrer Kinder über sie gespottet hätten. 

Es hat mich später wohl einmal befremdet, wenn ich in christlichen Häusern über die Eigenarten und Unarten schlichter Christen habe geringschätzig reden hören und über »den guten Bruder soundso« Scherze gemacht wurden. Dann wundern sich solche Eltern später, wenn die Kinder keinen Zug haben zur Gemeinschaft ernster Christen, wo sie selbst sie ihnen früher lächerlich gemacht haben. Es war nicht so gemeint, aber es wirkte so. 

Zumal meine Mutter hatte eine ziemlich gute Menschenkenntnis und durchschaute manche Fehlentwicklung, die mein Vater noch nicht sah. Aber wir hatten immer den Eindruck, daß Tersteegens Wort für sie galt: »Des Heilandes kranke Leute sind mir lieber als der Welt ihre gesunden.«

»Daß es eine Herrlichkeit gibt und daß sich's lohnt« In den letzten Lebensjahren unserer Mutter entwickelte sich bei ihr ein schweres Nierenleiden, das zumal gegen Ende mit sehr demütigenden Begleiterscheinungen verbunden war. Jetzt neigte sich der Weg ihres Lebens also ins Tal des Leidens und des Sterbens hinein. Manchmal habe ich mit ihr voll dunkler Ahnungen die Zukunft besprochen und konnte mich oft aufrichten an der getrosten Zuversicht, die aus ihr sprach: »

Die Tage des Leidens kommen, aber sie haben auch ihre Gnade bei sich. « Dieses Wort hat sie mir so eindrücklich gesagt, daß es mir immer wieder zur rechten Stunde einfällt. In den Monaten vorher und in der letzten schweren Krankheit habe ich es miterlebt, wie ein Mensch des Glaubens sich an das Wort Gottes hält. 

Eines Abends, als wir, von einem Gang zurückgekehrt, an der Haustür ihrer Wohnung standen, und ich den schweren Druck auf der Mutter so deutlich wahrnahm, habe ich ihr zwei Verse einer Nachdichtung von Psalm 61 gesagt, die von da an sie begleitet haben durch alle dunklen Tage und noch in den Sterbestunden immer wieder vor ihrer Seele aufleuchteten: »Wollest meinen Fuß regieren und mich führen auf den hocherhabnen Fels! Du warst stets in Angst und Grauen mein Vertrauen und mein Turm, Gott Israels.

Laß mich eine sichre Wohnung,  Schutz und Schonung finden, Herr, in deinem Zelt,  wo mein Herz vor Angst und Sorgen  sich verborgen unter deinen Flügeln hält!«

Auch in ihrem Leiden war unserer Mutter Leben wie früher immer ohne jede christliche Redensart. Fast hatte man den Eindruck, daß sie übertrieben bemüht war, alles zu vermeiden, was irgendwie christlich klingen konnte und wobei sie doch die Angst haben mußte, es sei nicht echt. Immer wieder erzählte sie auch von Stunden des Glaubenskampfes und der Zweifel, und dann sagte sie: »Ich werde mich wohl nicht täuschen.«

Sehr niederdrückend war es für sie auch, als allmählich die großen Schmerzen des Körpers sie so in Anspruch nahmen, daß. dadurch ihr geistiges und ihr Glaubensleben oft bedrückt und getrübt waren. Es machte ihr große Sorge, daß sie nicht recht beten könne, weil sie immer wieder durch ihre Schmerzen unterbrochen werde, und zwischendurch wieder versicherte sie jeden Tag mehrmals, daß sie eigentlich nicht zu klagen, sondern nur zu danken habe.

Damals habe ich meiner sterbenden Mutter manchmal die Predigten vorgelesen, die ich am Sonntag zuvor gehalten hatte. Einmal war es eine Predigt über das Lied des Mose und des Lammes (Offb. 15, 3). Da sagte sie mir einige Tage später: »Ich habe mich sehr getröstet an dem Lied Moses und des Lammes von der Errettung aus tiefen Wassern, und ich habe mich immer mit dazu gerechnet und immer gewußt: dazu gehörst du auch.« 

Solche Stunden an ihrem Krankenbett waren für mich tief beweglich. Wie ganz anders nahmen sich dann die Gedanken und Worte aus, die ich zu predigen vorhatte oder die ich gepredigt hatte! Immer mußte ich mir die Frage vorlegen: Paßt das auch für Sterbende?

Eines Tages habe ich im Laufe eines solchen Gespräches, als ich ihr schweres Leiden beobachtete, ihr gesagt: »Mutter, wenn ich dich so leiden sehe, kommen mir meine Predigten manchmal vor wie lauter Klingklang. Sag du mir mal, was ich denn eigentlich predigen soll!« Da schwieg sie eine Zeitlang still, und dann sagte sie nur: »Daß es eine Herrlichkeit gibt und daß sich's lohnt « Dann war es wieder still, und wir sprachen von anderen Dingen. Das war ihr Testament für mich im Blick auf meine Predigtarbeit.

..und sein besondres Loblied singt«Leiden und Sterben

Immer wieder betonte Mutter, daß sie sich geborgen wisse in Gott, und sagte stets das gleiche Beispiel: wie ein Küchlein. Das Wort »geborgen« war ihr so lieb, daß sie sogar immer in dem Liedvers, wo es heißt: »Verborgen unter deinen Flügeln«, obwohl ich darauf aufmerksam machte, sagte: »geborgen, geborgen.« Sehr schwer war es mir, sie in einer Unterhaltung klar und doch zart es wissen zu lassen, daß auch die andere Niere, die nicht herausgenommen war, krank sei und also keine Hoffnung auf

Besserung bestehe. Nach einiger Zeit kam sie auf diese wie nebensächlich hingeworfene Bemerkung zurück und fragte mich nach den Aussagen der Ärzte. Das war ein schrecklicher Augenblick, als ich es ihr jetzt ganz klar sagen mußte und auch gesagt habe, wie es mit ihrer Krankheit stände. 

Ich verstehe seither die Angehörigen von Leidenden sehr gut, die vor dieser Stunde zurückschrecken und sich darauf besonders rüsten müssen mit Gebet, um aus Liebe zu dem Sterbenden ihn nicht zu täuschen, sondern ihm zur Klarheit über seine Lage zu verhelfen. Sie sagte lächelnd: »Jeden Tag höre ich aufs neue mein Todesurteil. Eigentlich wäre ich gern noch einige Jahre bei euch geblieben um deiner Kinder willen. Großmütter haben oft so eigenartigen Einfluß auf die Kleinen; aber nun müssen ihnen andere den Weg zeigen, und der Herr muß ja alles selbst machen.« Immer wieder versicherte die Mutter: »

Der Herr hat alles wohl gemacht. Er hat wirklich alles wohl gemacht.« Es war ein harter Augenblick, als einmal bei der Besprechung ihrer Lage sie vor sich hinsagte: »Nun lassen mich auch meine Kinder los; aber ich habe ja Jesus, den Gekreuzigten. Er hatmich durchgetragen und wird mich immer durchtragen. Ich will mir nichts vormachen; aber er hat doch gesagt: >Ich bin der Herr, dein Arzt.< 

Und das gilt doch bis zum letzten Atemzuge.« Als ich am letzten Tage, an dem ich mit ihr sprechen konnte, die Losung des folgenden Morgens vorlas, Jesaja 19, 25: »Der Herr Zebaoth wird sie segnen und sprechen: Gesegnet bist du, Ägypten, mein Volk, und du, Assur, meiner Hände Werk, und du, Israel, mein Erbe!«, da sagte sie: »Ein klein wenig habe ich auch da mitgearbeitet und in meinem Gebet an Assur und Ägypten gedacht, daß doch alle Völker einstmals versammelt seien vor Gottes Thron.« Sie war ja eine große Freundin der Mission und sehr treu in ihrer Fürbitte.

Sehr eigenartig war es mir und ist mir hernach erst recht wichtig geworden, daß sie nicht viel sprechen wollte von dem Wiedersehen mit Menschen bei dem Herrn. Als wir sie einmal erinnerten, daß sie unseren heimgegangenen Vater und ihren Vater, den sie immer so sehr verehrt hatte, wiederfinden werde, da wehrte sie ganz bestimmt ab und sagte: »Sprecht mir davon nicht, ich will den Heiland sehen.« 

In dieses nüchterne Glaubensleben paßten die manchmal so sentimentalen Reden nicht hinein, mit denen man über das Wiedersehen mit seinen heimgegangenen Lieben spricht. Gottes Wort malt solches nicht aus. Und es wäre wohl gut, wenn die, die man so viel von dem Wiedersehen mit ihren Entschlafenen sprechen hört, sich prüften, ob ihr Herz wirklich auf den Herrn gerichtet ist oder auf irgend etwas anderes, und wären es auch die Liebsten, die wir haben. Im Zusammenhang mit diesem Gespräch mußte ich ihr helfen, einen Spruch zu finden, und ich merkte bald, es war das Wort 1. Johannes 3, 2: »

Wir werden ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.(< Ich hatte ihr erzählt von einer Auslegung dieses Wortes durch den Generalsuperintendenten Braun: Wie kann nur ein sündiger Mensch in dem Augenblick, wo er die sündige Erde verläßt, in die Gemeinschaft des heiligen Gottes taugen? So wird es sein: Der Anblick Gottes, des heiligen, herrlichen, seligen Gottes, wird so überwältigend und reinigend sein, daß in dem Augenblick, wo die Seele ihn erschaut, alle Sünde von ihr herunterfallen wird. »

Wir werden ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.« Ob dieses »denn« auch wirklich dastände, fragte mich die Mutter. Ich sollte es ihr versichern, und ich mußte es auch zu Hause im griechischen Testament nachsehen, daß diese Verheißung des Wortes Gottes wirklich da stände: »Wir werden ihn sehen, wie er ist, und dadurch ihm gleich sein.« 

Danach ging das tiefste Sehnen dieser im Herrn gegründeten Christin, die über 40 Jahre lang in bewußtem und innigem Gebetsumgang mit ihrem Heiland gestanden hat. Immer wieder kamen die Stunden der Zweifel und der Trübung, und immer wieder leuchtete das Licht: »Mein Turm, Gott Israels!«, »verborgen unter deinen Flügeln.« 

Über ihre Beerdigung hatte sie alles vorher genau bestimmt. Auf ihrem Grabstein steht nach ihrem Wunsch das Wort: »Er ist unser Friede.« Bei der Beerdigung hat der Pfarrer auf ihren Wunsch den Text besprochen: »Aus Gnaden seid ihr selig geworden durch den Glauben und dasselbe nicht aus euch, Gottes Gabe ist es« (Eph. 2, 8). 

Den Vers hatte sie mit Überlegung ausgesucht. »Ganz aus Gnaden«, sagte sie, »und wenn man meinte, man hätte es sich doch etwas kosten lassen, so heißt es: >Gottes Gabe ist es<, alles zur Verherrlichung Gottes.« Sie bestimmte, daß bei ihrer Beerdigung zwei Verse aus dem Lied »Mein Leben ist ein Pilgrimstand« gesungen werden sollten und dann aus einem ihrer Lieblingslieder »Nun lobet alle Gottes Sohn« die beiden Verse von Gerhard Tersteegen:

»Nun, dein erkauftes Volk allhie spricht: Halleluja, Amen! Wir beugen jetzt schon unsre Knie  in deinem Blut und Namen,  bis du uns bringst zusammen dort,  aus allem Volk, Geschlecht und Ort.

Quelle Mütter Arno Pagel Francke Buchhandlung

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