4. Mose 19 Die rote junge Kuh, W. Kelly

04/26/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Die rote junge Kuh (4. Mose 19)

W. Kelly n Bible Treasury Vol. N 9, S. 97‑99

In diesem Kapitel haben wir eine äußerst lehrreiche Anordnung Gottes, wie sie diesem 4. Buch Mose eigen ist. "Dies ist die Satzung des Gesetzes, das Jehova geboten hat, indem er sprach: Rede zu den Kindern Israel, daß sie dir eine rote junge Kuh bringen, ohne Fehl, an der kein Gebrechen, auf welche kein Joch gekommen ist." Was der große Versöhnungstag als Mittelpunkt des dritten Buches Mose darstellt, das ist die rote junge Kuh für das vierte Buch Mose. Jeder der beiden Abschnitte scheint charakteristisch zu sein für das Buch, in dem er verzeichnet ist, eine Tatsache, die zeigt, wie systematisch Ordnung und Inhalt der Schrift sind.

So haben wir hier eine deutliche Vorsorge für die Verunreinigungen, denen wir auf unserem Weg durch diese Welt ausgesetzt sind. Für die Praxis ist das lebenswichtig. Mancher neigt zu der Annahme, die Versöhnung tue sozusagen das ganze Werk. Nun, keine Wahrheit ist gesegneter als die der Versöhnung, da es doch die Person des Herrn ist, die diesem Werk seinen göttlichen Wert verleiht. Doch daneben müs­sen wir Raum lassen für alles, was unser Gott uns gegeben hat. Nichts leistet der Sektenbildung so sehr Vorschub, als eine Wahrheit aus ihrer Verhältnismäßig­keit herauszunehmen und einen Teil der Wahrheit so zu behandeln, als umfasse er die gesamten Absichten Gottes. Es kann nicht genug betont werden, daß die Bibel das Buch ist, das freimacht von jeder Art kleinli­cher Ausschließlichkeit. Was bedeutet es schon, hier gute Gedanken und dort rechte Wege zu haben, wenn sich damit der wesentliche Fehler verbindet, daß man sich mit einem Teil der Wahrheit Gottes zufriedengibt, den Rest aber verwirft? Es ist unsere Aufgabe, den Willen des Herrn, und nichts als Seinen Willen auszu­führen, und zwar Seinen ganzen Willen, soweit wir ihn erkennen. Weniger als das heißt, die Herrlichkeit Chri­sti preiszugeben. Es ist unmöglich, sektiererisch zu sein da, wo Sein Wort alles regiert; und ohne Sein Wort ist es unmöglich, nicht sektiererisch zu sein. Diese oder jene Stellung einzunehmen, bewahrt uns nicht davor, persönlich sektiererisch zu werden. Die Saatkörner des Irrtums und das elende Ich arbeiten zusammen, und es gibt keine Befreiung davon außer durch einen Wandel in der Kraft eines gestorbenen und auferstandenen Christus. Das gilt auch hier, wo uns nicht nur das Übel des Sektengeistes entgegen­tritt, sondern auch das des Mißbrauchs kostbarster Wahrheiten Gottes. Wenn sie im ausschließenden Sinn gehandhabt werden, dienen sie bald zu einer Entschuldigung für Sünde, wie sehr auch immer ihre Aneignung in einem früheren Stadium geschätzt wor­den sein mag.

Es genügt also nicht, den Gläubigen auf das Süh­nungswerk Christi zu beschränken, auch wenn es für immer unsere Schuld vor Gott weggetan hat; auch dann nicht, wenn wir hinzufügen, daß wir wissen, wir sind in dem auferstandenen Herrn in eine ganz neue Stellung versetzt worden, in den Bereich eines Le­bens, wo Böses keinen Zutritt mehr hat. Beides ist sehr wahr und kostbar; aber ist das die ganze Wahr­heit? Gewiß nicht; und es ist nichts gefährlicher, als sie als die ganze Wahrheit hinzustellen. Sie sind ebenso kostbar wie nötig für die Seele; doch es gibt wirklich keinen Teil der Wahrheit, der nicht wirklich nötig wäre, und gerade diese Weise und Offenheit gegenüber aller Wahrheit ist es, worauf wir bestehen müssen. Ich bin in der Tat überzeugt, daß wir bei allem, was es an Eigentümlichkeiten in der Schrift gibt, doch Besonderheiten und Lieblingsgegenstände vermeiden sollten, um alle Wahrheit durch Gottes Gnade willkommen zu heißen. Natürlich kann man nicht viel sagen, wenn es um die Frage geht, wie weit wir eine Wahrheit uns schon zu eigen gemacht haben. Aber es ist gewiß von Gott, wenn wir in einer Stellung gefunden werden, wo alle Wahrheit für uns zugänglich ist, und wir für sie, und wo auch nicht ein einziger Bruchteil der göttlichen Gedanken und des göttlichen Willens ausgeschlossen ist. Es wird unmöglich sein, davon bin ich überzeugt ‑ außer auf dem Boden der Versammlung Gottes ‑ einen Platz zu finden, wo Wahrheit nicht ausgeschlossen wird, und vielleicht viel Wahrheit, die ganz offensichtlich überaus kostbar ist. Es ist gut, noch etwas anderes sorgfältig zu beachten, und zwar, daß wir uns nicht einfach damit zufrieden geben, uns auf dem rechten gottgemäßen Boden zu wissen, sondern daß unsere Herzen zugleich sehnlich wünschen, alles, was Er uns gegeben hat, immer und einzig zu Seiner Verherrlichung zu nutzen.

Die junge rote Kuh lehrte die Kinder Israel schon rein äußerlich, daß das Werk des Versöhnungstages das Thema Sünde nicht so vollständig behandelt hatte, daß sie über die täglichen Verunreinigungen als gegen­standslos hinweggehen könnten. Wir können den Wert des Blutes Christi, das für unsere Sünden vergossen wurde, nie zu hoch einschätzen. Es bewirkt, daß wir kein Bewußtsein von Sünden mehr haben. Wir sind durch Sein Blut gerechtfertigt ‑, ja mehr noch, mit Chri­stus sind wir der Sünde gestorben und in Ihm leben wir Gott. Aber obwohl das alles völlig wahr ist (und es wurde damals dargestellt, soweit es im Vorbild ge­schehen konnte, wenn wir an einen Israeliten denken), eine solche Gnade ist der stärkste Beweggrund dafür, mit einer Verunreinigung nicht leichtfertig zu verfahren. Eben die Tatsache, daß wir vor Gott vollkommen gerei­nigt sind, ist ein lauter Ruf an uns, einen Makel vor Menschen nicht zu dulden. Und um Sein Volk auf dem Wege vor Schmutz zu bewahren, traf Gott hier eine so bemerkenswerte Vorsorge. "Eine rote junge Kuh" war zu bringen, "ohne Fehl, an der kein Gebrechen, auf die kein Joch gekommen" war ‑ ein eindrucksvolles Bild von Christus, jedoch in einer Art, in der in der Schrift nicht oft von Ihm gesprochen wird. Die Anordnung setzte nicht nur das Fehlen solcher Gebrechen voraus, wie es bei jedem Opfer unerläßlich war, sondern ver­langte darüber hinaus ausdrücklich, daß sie nie ein Joch kennengelernt hatte. In dem Joch sehen wir ein Bild vom Druck der Sünde. Wie spricht dies von dem Gegenbild! Christus war allezeit völlig annehmlich für Gott. "Und ihr sollt sie Eleasar, dem Priester, geben, und er soll sie vor das Lager hinausführen, und man soll sie vor ihm schlachten."

Das Blut wurde genommen und siebenmal gegen die Vorderseite des Zeltes der Zusammenkunft gesprengt.

Es war recht so, daß die Verbindung mit der großen Wahrheit des Blutes gewahrt wurde, des Blutes, das Sühnung bewirkt und Gott rechtfertigt, wo auch immer der Gedanke an Sünde auftaucht. Aber seine Anwen­dung weist auf einen anderen Zug hin. Das Sprengen des Blutes bezeugt fortwährend die im Opfer liegende Wahrheit ‑, aber dann folgt, was dem besonderen Be­dürfnis begegnet: "Und man soll die junge Kuh vor seinen Augen verbrennen: ihre Haut und ihr Fleisch und ihr Blut samt ihrem Mist soll man verbrennen. Und der Priester soll Zedernholz und Ysop und Karmesin neh­men und es mitten in den Brand der jungen Kuh wer­fen." Dann finden wir, daß die Asche der jungen Kuh an einem "reinen Ort" niederzulegen ist. "Und ein reiner Mann soll die Asche der jungen Kuh sammeln und sie außerhalb des Lagers an einen reinen Ort schütten, und sie soll für die Gemeinde der Kinder Israel aufbe­wahrt werden zum Wasser der Reinigung; es ist eine Entsündigung." In welchem Sinn? Einfach und einzig im Blick auf die Gemeinschaft, das heißt auf Wiederherstellung, wenn sie unterbrochen ist. Es geht durchaus nicht um die Frage der Herstellung von Beziehungen (das war längst geschehen), sondern auf dem Boden der bestehenden Beziehung durfte der Israelit in sei­nem Verhalten nichts zulassen, was die Heiligkeit, die dem Heiligtum Jehovas geziemte, beflecken konnte. Darum ging es hier.

Das ist der wahre Maßstab, wie er in diesem Vorbild deutlich wird. Es geht nicht nur darum, daß das Ge­setz Jehovas dies oder jenes verurteilt. Dieser Schatten künftiger Güter verlangte Absonderung von allem, was mit dem Heiligtum nicht in Einklang stand. Die Form, die diese Anordnung hatte, berücksichtigte die Wüstenreise, auf der sie beständig der Berührung mit dem Tod ausgesetzt waren. Der Tod ist es, der hier hineingebracht wird, als der, der die Befleckung, ver­schieden nach Art und Grad, verursacht. Angenom­men, jemand berührte die Leiche eines Menschen, so war er sieben Tage unrein. Was war zu tun? Er "soll sich am dritten Tag damit entsündigen, und am sieb­ten Tag wird er rein sein; und wenn er sich nicht entsündigt am dritten Tag, so wird er am siebten Tag nicht rein sein." Es war nicht gestattet, die Entsündi­gung am ersten Tag vorzunehmen. Irre ich mich in der Annahme, daß wir gewiß ganz selbstverständlich ge­dacht hätten, rasches Handeln sei bei weitem das beste Verfahren gewesen? Warum nicht sofort? Nein, nicht der erste, sondern der dritte Tag war vorge­schrieben. Wenn eine Befleckung auf dem Geist la­stet, wenn irgend etwas es fertigbringt, die Gemein­schaft mit Gott zu unterbrechen, so ist es von tiefer moralischer Bedeutung, daß wir unser Vergehen gründlich erkennen sollten.

Das scheint hier die Bedeutung des dritten Tages zu sein. Es sollte nicht bloß ein flüchtiges Gefühl sein, daß man gesündigt hatte, und damit war die Sache dann auch schon erledigt. Bis zum dritten Tag sollte die Empfindung auf dem Israeliten lasten, daß er ge­sündigt hatte. Das war eine schmerzliche Sache. Er hatte die Tage zu zählen und bis zum dritten Tag zu warten; dann wurde das Wasser der Reinigung zum ersten Mal auf ihn gesprengt. " . . . damit aus zweier oder dreier Zeugen Mund (die wohlbekannte Vorsorge in jedem Fall) jede Sache bestätigt werde." So sehen wir, daß derjenige, der mit dem Tod in Berührung gekommen war, eine angemessene Zeit warten mußte, um anzuzeigen, daß er sich dessen wohl be­wußt war und den Platz eines Menschen einzunehmen hatte, der vor Gott verunreinigt war. Eine eilige Bekun­dung von Trauer beweist noch nicht echte Reue über die Sünde. Bei Kindern nehmen wir etwas Ähnliches wahr. Mancher hat ein Kind, das schnell bereit ist, um Vergebung zu bitten oder seine Verfehlung einzuge­stehen; aber ein Kind, das sie tiefer empfindet, ist nicht immer so eilig. Ein Kind, das mit seinem Einge­ständnis zurückhaltender ist, hat möglicherweise ein tieferes Gefühl dafür, was ein Bekenntnis bedeutet. Nun, es geht mir jetzt nicht um den natürlichen Cha­rakter, doch ich möchte feststellen, daß es recht und geziemend ist (und ich glaube, dies ist die allgemeine Bedeutung der Anordnung des Herrn hier), daß je­mand, der verunreinigt ist (d. h., dessen Gemeinschaft mit Gott unterbrochen wurde), jenen Platz in tiefem Ernst einnehmen sollte. Im Christentum ist das natür­lich nicht eine Frage von Tagen, sondern dessen, was der Bedeutung dieses Vorbildes entspricht. Genügend Zeit sollte vergehen, damit die Empfindung für das Böse einer Verunreinigung, die Gott und Sein Heilig­tum verunehrt hat, sich erweisen kann. Hast und Eile bekunden eher, daß ein solches Empfinden in Wirk­lichkeit gar nicht vorhanden ist. Jemand, der sich am dritten Tag gebührend reinigte, der war tatsächlich auch am siebten Tag rein.

Er erlangt also zunächst einmal ein Gefühl für die Sünde angesichts der Gnade, die dafür Vorsorge trifft; und dann erfaßt er die Gnade angesichts der Sünde. Die beiden Besprengungen stehen in einem Gegensatz zueinander. Sie tun dar, wie Sünde Schande auf die Gnade gebracht hat und wie die Gnade über die Sünde triumphiert hat. Das scheint die Bedeutung zu sein, und zwar besonders aus folgendem Grund. Die Asche der jungen Kuh ist Ausdruck der Wirkung des verzehrenden Gerichts Gottes über den Herrn Jesus der Sünde wegen. Es ist nicht einfach so, daß Blut kundtut: ich bin schuldig, und Gott gibt ein Opfer, um die Schuld zu tilgen. Die Asche bezeugt sozusagen das richterliche Handeln Gottes im Verzehren des ge­segneten Opfers, das unserer Sünde wegen unter das ganze heilige Urteil Gottes kam. Das Wasser (oder der Geist durch das Wort) läßt uns erkennen, wie Christus für das gelitten hat, was wir leider geneigt sind, so wenig zu empfinden, wenn nicht gar zu bagatellisieren.

Noch etwas sollten wir nebenbei beachten. Es be­durfte des Reinigungswassers nicht nur, wenn jemand einen toten Körper berührt hatte, sondern in verschie­denen Weisen und in verschiedenem Maß. Jenes mochte ein wichtiger Fall genannt werden, doch die Anordnung zeigt, daß Gott auch von der geringfügig­sten Sache Notiz nimmt. Auch wir sollten das tun ‑wenigstens bei uns selbst. "Dies ist das Gesetz, wenn ein Mensch im Zelt stirbt: Jeder, der ins Zelt geht, und jeder, der im Zelt ist, wird sieben Tage unrein sein. Und jedes offene Gefäß, auf dem kein festgebundener Deckel ist, wird unrein sein. Und jeder, der auf freiem Felde einen mit dem Schwert Erschlagenen oder einen Gestorbenen oder das Gebein eines Menschen oder ein Grab anrührt, wird sieben Tage unrein sein." "Das Gebein eines Menschen" mag uns als eine viel geringfügigere Sache erscheinen, aber alles, was ver­unreinigt, findet Beachtung, und in Christus, unserem Herrn, ist für alles Vorsorge getroffen. So möchte Gott uns zu schärfstem Unterscheidungsvermögen verhel­fen und zu gründlichstem Selbstgericht. Es sind nicht nur schwerwiegende Dinge, die uns verunreinigen, sondern in unseren Augen vielleicht nichtige Ursa­chen, die sich trennend zwischen uns und die Ge­meinschaft mit unserem Gott und Vater stellen kön­nen. Doch Er hat für jede Befleckung das unveränder­liche Heilmittel Seiner Gnade bereitet.