»Ruhet ein wenig!«
Da sprach Er zu ihnen: Kommt, lasst uns allein in eine menschenleere Gegend gehen; da ruhet ein wenig! Markus 6,31
Wer Menschen mit Ewigem dienen will, muss von Gott aus zum Menschen kommen. Darin liegt das Geheimnis der Jüngerschaft und des Aposteldienstes. Das Ziel in der Führung des Nächsten muss der Ausgang der Sendung sein, d. h. zu dem hinführen, von dem man
gesandt worden ist. Jesus konnte Menschen zum Vater bringen, weil Er vom Vater kam. Seine Erlösung blieb nicht stecken bei Tempel, Priester und Opferkultus. Er kam von weit höher, daher wies auch sein Dienst mit dem damit verbundenen Heil weit darüber hinaus. Die Menschen priesen Gott, wenn sie Ihn wirken sahen. Sein Himmelreich war Heil für den Menschen auf allen Gebieten des Lebens, aufgrund gegenwärtiger Gottesherrschaft.
In diesen Geist seiner persönlichen Sendung suchte Jesus auch seine berufenen Jünger hineinzuziehen. Er wusste, dass das entscheidend für ihr Leben und ihren Apostelberuf sein würde. Wenn durch sie fortleben sollte, was Ihm vom Vater zum Heil der Welt geworden war, so musste ihre Botschaft aus demselben Geiste fließen, aus dem sein Evangelium an die Welt
floss. Vollmachten, von denen sein Handeln getragen wurde, mussten auch das Geheimnis der Kraft in dem Dienste der Jünger werden. Wie des Vaters Sendung hinter seinem Messiasberuf stand, sollte seine Person das Programm ihrer Jüngerbotschaft sein.
Nicht etwa rein äußerlich fortsetzen, sondern dem Geiste nach durch das Leben fortführen sollten die Jünger, was ihr Meister als Heiland der Welt vom Vater brachte. Daher war später auch Paulus nicht der Zweite nach Jesus, sondern der Erste in Christo. Diese Sehnsucht bestimmte Jesus, mit seinen Jüngern so oft allein zu sein. Er kannte die Gefahr, die
auch mit dem höchsten und heiligsten Dienst verbunden sein kann. Daher sprach Er auch diesmal zu seinen Jüngern: »Kommt … und ruhet ein wenig!«
Denn soeben waren die Zwölfe mit tiefen Eindrücken von ihrer Mission zurückgekehrt. Ausgerüstet mit weitestgehenden Vollmachten (Mark. 6,7) hatte Er sie zu zwei und zwei unter das leidende Volk gesandt. Ihr Dienst unter Besessenen und Kranken war nicht vergeblich gewesen, ihr Wort an Mühselige und Beladene nicht ohne Frucht geblieben. Nun war ihre
Seele voll von dem, was sie getan und gelehrt hatten.
Selbst die bösen Geister waren ihnen untertänig gewesen. Dieser Erfolg ihrer Mission bedrohte ihre Seele. Die Jünger standen in der Gefahr, dass ihnen die Frucht ihres Dienstes höher stand als das Wort ihres Meisters, während das Geheimnis ihres Erfolges doch in der Sendung und in der Vollmacht lag, die sie vom Herrn empfangen hatten. Nicht sie waren das Geheimnis ihres Segens, sondern es war sein Wort durch sie. Deshalb führte Er sie in eine menschenleere Gegend, um ihnen Zeit und Gelegenheit zu geben, mit Ihm wieder allein zu sein.
Zudem hatte der Dienst die Jünger auch körperlich und seelisch müde gemacht. Die Not ihres Volkes war so groß, die Sehnsucht nach der neuen Botschaft so lebendig, dass es ein ständiges Kommen und Gehen der Volksmengen war. Die Jünger hatten vielfach nicht einmal Zeit zum Essen gefunden. Im Ringen um die Not ihres Volkes und im Kampf mit den geistigen Mächten der Finsternis hatten sie Kräfte ausgegeben, ohne Zeit zu gewinnen, neue Kräfte zu sammeln. Das musste zu einer Schwächung führen. Ohne neue Zündungen in ihrer Seele durch dauernde lebendige Worte ihres Meisters musste aber auch ihr gesegneter Dienst zu einer rein äußerlichen und gewohnheitsmäßigen Routine werden, in der man vielleicht noch
von der Kraft der Vergangenheit, aber nicht mehr von der Inspiration der Gegenwart lebt.
In solcher suchten Pharisäer und Schriftgelehrte dem wartenden Volke das Reich Gottes zu bringen. Aber es kam nicht, trotz all ihres Dienstes. Damit ihr Körper und ihr gesamtes Innenleben neue Kraft gewönne, nahm Jesus die Jünger mit sich und führte sie in die Stille. Der Umgang mit Ihm sollte ihnen Gelegenheit geben, Neues zu empfangen, bevor sie
Weiteres zu geben hatten. Dieses Geheimnis hat sich auch für die dienenden Jünger und Jüngerinnen unserer Tage noch nicht geändert. Allein im lebendigen Umgang mit Christus, liegt
das verborgene Wurzelgebiet eines fruchtbringenden Lebens. Christus als Herr seiner Kirche weiß, wie sehr wir der Ruhe bedürfen, wenn unsere Seele gearbeitet und unsere Liebe gelitten hat unter der Not des Volkes. Daher waren Ihm auch unsere Zeiten der Ruhe zur Sammlung neuer Kräfte niemals verlorene Zeiten. Er führte auch uns aus der Fülle unserer Arbeit in die Stille, um mit uns allein zu sein.
Zwar leben wir in einer Zeit, die auf allen Gebieten mehr als je auf den Dienst der Kirche Christi wartet. Es gibt kaum eine organisierte Reichsgottesarbeit, in der ihren Trägern noch Zeit zur innerlichen Stärkung und zur stillen Sammlung bliebe. Es scheint, als ob alles in der Welt reif zur Ernte wäre. Denn die ganze Gegenwart liegt wie in Geburtswehen. Fragen, die einst nur
einzelne bewegten, haben ganze Volksschichten erfasst. Die Welt hat auf so unendlich vielen Gebieten die erschütterndsten Gerichte erlebt. Wie vieles ist ihr hoffnungslos zusammengebrochen, da es sich für das Reich Gottes als völlig untauglich erwies! Was ihr
Erlösung bringen sollte, wurde ihr zum Fluch. Daher sehnt sich in ihr alles nach dem Durch- und Anbruch einer höheren Weltordnung. Das Volk schaut aus nach jenem Weg, auf dem es zu einer Erlösung gelangen kann, die nicht zusammenbricht. Alles ringt um eine überzeitliche Wirklichkeit. Die einen sehen sie hier, die andern dort. Kaum je ist daher ein so bewusstes
Suchen nach Wahrheit, aber auch kaum je ein so bewusstes Kämpfen wider die Wahrheit gesehen worden wie in unseren Tagen.
Es ist verständlich, dass solche Zeiten besondere Ansprüche an die einzelnen Glieder und an die Gesamtkirche Christi stellen. Herzen und Länder stehen er Botschaft vom Kreuz offen. Einzelne und ganze Völker warten bewusst und unbewusst auf den Augenblick, wo ihnen jemand im Auftrage Gottes dienen wird. Unzählige Herden rufen nach wahren Hirten.
Verlorene suchen in der Nacht ihres Lebens nach jenen Führern, durch die sie zurück zum Vaterhause geleitet werden. Gebrochene Herzen harren auf Hände, die Schwaches tragen und Wunden heilen können. Im wilden Durcheinander der Gegenwart möchte Jugend und Alter Anschluss an das Starke und Befestigte finden, um nicht im Strudel der Zeit unterzugehen. Müde aller fleischlichen Waffenrüstung schaut man aus nach Kämpfern, die in göttlicher Vollmacht
den Kampf des Glaubens zu führen suchen. Auf allen Gebieten des Lebens sehnt man sich nach Männern, die angesichts großer Widerwärtigkeiten einen noch weit größeren Gott kennen, nach Persönlichkeiten, in deren Wort und Leben Christus mit seinem Heil zu einem Programm für die Zukunft geworden ist.
Solche Zeiten großer Aufgaben waren jedoch auch immer Zeiten großer Gefahren. Man fürchtet, die gegebenen Gelegenheiten zu verpassen, die sich wahrem, hingegebenem Dienste bieten. Oder wenn die Not von allen Seiten ruft, kann der Jünger leicht über den Dienst an anderen den Dienst seines Meisters an sich vergessen. Wer jedoch dauernd Seelen pflegen und dem Nächsten dienen will, muss eine von Gott gepflegte Seele in sich tragen. Denn an sich kann auch die ehrlichste Arbeit uns nicht vor einer Verflachung und Seelenverarmung bewahren. Schöpferische Kräfte werden nur durch einen dauernden Umgang mit dem Schöpfer selbst gewonnen. Eine geübte Zunge für den Dienst an den Müden der Zeit gewinnt man nur,
wenn man hören gelernt hat wie ein Jünger. Nur jenes Ohr, das sich jeden Morgen öffnen lässt für die Aufgaben des Tages, wird vertraut mit Gottes Führung und Absichten. Dauernd fruchtbringend zu dienen vermag daher nur, wer sich zuvor dauernd von oben dienen lässt.
Auch der treueste Jünger Jesu ist in sich selbst keine lebendige Quelle. Diese ist allein Christus.
Von Ihm vermag Paulus zu bezeugen: dass nach Gottes Wohlgefallen in Ihm die ganze Fülle wohnen sollte, um durch Ihn alles zu versöhnen, was im Himmel und auf Erden ist (Kol. 1,19f). Ewig frisches, lebendiges Wasser zu geben vermag nur Er. Wir können nur Kanäle dieser Quelle sein: Zeugen seines Lebens und seiner Auferstehungskräfte. Wer sich aus dieser Quelle in der Stille füllen lässt, wird im Geräusch des Tages auch quellfrisches Wasser zu geben haben.
Fruchtbar und frisch bleiben mithin allein jene Jünger, die Zeit haben zu hören, wenn der Meister redet.
Sie lernen Schritt halten mit dem Wirken des Heiligen Geistes. Im Umgang mit dem Auferstandenen empfangen sie Licht über die Pläne Gottes zum Aufbau der Gemeinde und zur Rettung der Welt. Sie gleichen jenen Propheten, die wie ein Jeremia und Habakuk auf hoher Warte stehen und sich ihren Blick durch allerlei politische und religiöse Strömungen nicht trüben lassen. Hier gewinnen sie eine Orientierung, einen Weitblick und eine Fernsicht, wie sie niemand sonst zu gewinnen vermag.
Daher werden sie nicht mutlos selbst in den dunkelsten Zeiten und wissen eine kommende Erlösung zu künden. Sie erweisen sich stark, wo andere haltlos zusammenbrechen. Sie wagen Vorarbeiten des Glaubens zu tun und Vorbereitungen für neue Segenszeiten zu treffen, weil sie solche in der Zukunft kommen sehen.
Sie sind nicht ohne Hoffnung, daher wecken sie Zuversicht und Vertrauen in den Schwachen. Sie lenken den Blick der Zagenden auf das Kommende, das Gott zu geben und zu wirken vermag. Ihr Dienst hebt die weinende Gemeinde Zions an den Wassern Babels über die Leiden der Gegenwart hinaus und redet von jenem Tempel Gottes der Zukunft, dessen Herrlichkeit
unvergänglich sein wird (Hag. 3,7-9).
Als ich noch in den deutschen Kolonien Südrusslands lebte, hatten wir zweimal im Jahre für die
Reichsgottesarbeiter einen achttägigen Bibelkursus.
Diese Kurse erwiesen sich für manchen müden Gottesknecht als eine seltene Gelegenheit der Stärkung und Ausrüstung. Manche, die innerlich gebrochen zum Kursus kamen, kehrten in neuer Kraft und mit neuem Vertrauen in den Dienst ihrer Gemeinde zurück. Jedoch die Kurse hatten auch ihre stillen Gegner. Als ich eines Tages mit einem solchen über die in Aussicht stehende achttägige Zusammenkunft sprach, antwortete er mir, dass er keine Zeit habe, acht volle Tage nur mit Bibelstunden auszufüllen. Ich konnte ihm darauf keine Antwort geben. Es vergingen
Jahr und Tag, und ich traf abermals mit dem Bruder zusammen. Bald merkte ich, wie seine Seele litt. Während der Unterredung teilte er mir mit, was ihn so tief bewegte. Er hatte entdeckt, wie wenig sein Dienst dem wachsenden Bedürfnis der Gemeinde entspräche. Er fühlte, wie seinem Geist die Schwingen, seinem Zeugnis die Kraft, seinem Dienst die Frische des
Lebens und der Unmittelbarkeit fehlte. Ich wunderte mich nicht darüber.
Wenn wir uns die Gelegenheit entgehen lassen, wo der Meister zunächst uns dienen möchte, bevor wir anderen zu dienen haben – kein Wunder, dass unser Innenleben alsdann leer wird und unsere Worte ohne Seele und unsere Botschaft ohne Klang der Ewigkeit sind. Unser Gott hat daher Zeit, mit uns zu reden, wenn wir nur Zeit haben, Ihn zu hören. Sein Herz sehnt sich danach, uns seine Kraft und Aufträge mitzuteilen.
Er weiß, welch einen Gewinn es für uns und für die Welt bedeutet, wenn wir Zeit haben für den Umgang mit Ihm. Könnten wir hier die Geschichte der Kirche Christi in ihrem Werdegang durch die Jahrhunderte reden lassen, so würden wir klarer erkennen, dass das Geheimnis der größten Männer, die so erfolgreich in ihrem Dienste waren, immer wieder darin bestand, dass sie Zeit hatten, mit Gott allein zu sein. Das machte ihr Leben so reich an Licht und Gnade, ihren Dienst so fruchtbar in einer bankrotten Welt. Jenen Abraham, der unter den schattigen Eichen
Mamres seine Zelte aufschlug und Zeit hatte, dem Herrn einen Altar zu erbauen, während in der Jordanaue der Kampf wütete, konnte der Herr gebrauchen, als es galt, einen Lot mit seiner Familie aus der Gefangenschaft Kedor-Laomers zu retten.
So bedeutete es auch einst für die israelitische Gemeinde in der Wüste keinen Verlust, dass Mose auf das Wort Gottes hinaufstieg in das Dunkel, wo Gott war, und vierzig Tage im verborgenen Umgang mit Gott verharrte. Als er zurückkehrte, strahlte nicht nur sein Angesicht
die Herrlichkeit des Herrn wider, sondern er durfte mit einem göttlichen Gesetz und mit einer göttlichen Offenbarung für die Zukunft unter sein Volk treten.
In der Gegenwart Gottes hatte er Eindrücke empfangen, die später entscheidend waren für seinen priesterlichen Dienst unter seinen vielfach so wankelmütigen Brüdern. Nur aus diesem Umgang mit Gott heraus wurde er fähig, jene große Aufgabe zu lösen, die er immer wieder in der Mitte seines Volkes fand.
Jene Maria, die da ruhte, während Martha diente, verstand später zu dienen, wie es weder ihre Schwester noch sonst jemand vermochte. Sie hatte sich vom Meister dienen lassen, daher verstand auch sie wiederum zu dienen. Sie begriff, dass Jesu Gegenwart zunächst ihr etwas zu bieten hatte, bevor sie Ihm etwas bot. Auch wusste sie, dass das, was der Meister ihr gab,
viel wertvoller war, als was sie Ihm zu bringen hatte.
Daher ruhte sie, während Er diente. Ihr Herz hing an ihres Meisters Lippen, und ihr Auge ruhte in seinem Auge. Seine Gegenwart war ihr wie ein frischer Morgentau. Ihre dürstende und aufgeschlossene Seele sehnte sich, gesättigt zu werden mit dem Leben, das von Ihm floss. Es weiteten sich in dem Licht, das ihr vom Herrn wurde, mehr und mehr ihr Herz und
Blick, so dass sie immer klarer die Pläne Gottes und die Messiasaufgaben ihres Meisters erfasste. Zu seinen Füßen reifte sie daher zu jenem Opfer aus, von dem der Herr bezeugte: »Solches hat sie behalten zum Tage meines Begräbnisses« (Joh. 12,7).
Auch sie hätte nie das Verständnis für den Tod Jesu gewonnen, wenn sie nicht geruht hätte, während andere dienten. Aber sie ruhte, als Jesus ihr diente; sie schwieg, als Er redete. Wer aber schweigen kann, wenn Gott redet, wird durch Wort und Tat reden können, wo andere schweigen.
Am reinsten hat das Jesus selbst in seinem Umgang mit dem Vater ausgelebt. Er wollte seine Jünger in denselben Geist hineinziehen, in dem Er vor dem Vater lebte. Zwar liebte Er die Welt, wie sie niemand vor Ihm und nach Ihm geliebt hat. Und doch zog Er sich aus der Menge zurück, die Ihn suchte, um im Umgang mit dem Vater neue Kraft zu sammeln für seinen Dienst. Bildet es doch in unseren Evangelien einen sehr wesentlichen Zug in dem Lebensbilde Jesu, dass es von Ihm immer wieder heißt: »Er ging aber allein, um zu beten.« Wohl hörte am Tage die Welt
seine wunderbaren Worte, die voller Geist und Leben waren. Wohl sah man in der Not des Volkes sein segnendes Wirken, das Liebe und Mitleid atmete.
Wohl empfand man, dass in dem großen Propheten von Nazareth der wunderwirkende Gott der Väter wieder gegenwärtig sei und sein verlassenes Volk heimsuchte. Aber die Kraftquelle dieses Propheten kannte man nicht. Diese lag in dem verborgenen Umgang des Sohnes mit dem Vater. Jesus hatte Zeit für Gott. Daher konnte Ihm anvertraut werden, was Pharisäer und
Schriftgelehrte nicht empfingen. Der Vater hatte Gelegenheit, zum Sohne zu reden. Daher hatte der Sohn auch so Großes über den Vater dem Volke zu künden. In den Stunden des Alleinseins mit dem Vater besprach der Sohn die Nöte der Zeit. Daher blieb Er am Tage auch Herr dieser Nöte und verstand Er, in denselben mit innerlicher Vollmacht zu dienen. Er ging mit der am Tage offenbar gewordenen Feindschaft der Pharisäer und Schriftgelehrten zum Vater und ließ
sie dort beleuchten vom göttlichen Lichte. Daher wusste Er sich am nächsten Tage auch stark den Angriffen der Hölle gegenüber. So reich sein Dienst auch wurde, so sehr die Sehnsucht des Volkes auch wuchs, so groß die Not auch war, die auf seine Hilfe wartete – diesen verborgenen Umgang mit dem Vater ließ Er sich nicht nehmen. Wer jedoch wie Jesus Zeit hat für Gott, wird auch wie Er Zeit haben, in göttlicher Vollmacht einer verlorenen und wartenden Menschheit
zu dienen.
Beiseite genommen
Sechs Tage später nahm Jesus Petrus, Jakobus und Johannes mit sich und führte sie ganz allein auf einen hohen Berg. Markus 9,1
Jesus wollte wieder mit seinen Jüngern allein sein, wie Er es öfter gewesen war. Jedoch diesmal nahm Er nur Petrus, Jakobus und Johannes zu sich und führte sie aus dem Geräusch des Tages in die Stille. Ihre Seele war tief bewegt durch das, was sie aufs Neue in der Nachfolge ihres Meisters gesehen und gehört hatten.
Sie hatten jedoch in der letzten Zeit aus seinem Munde Worte über bevorstehende Leiden vernommen, die sie nicht mit dem Messiaswerk vereinbaren konnten, das zu erfüllen Er gekommen war. Zwischen dem, was Jesus tat, und dem, was Jesus sagte, waren für sie
Gegensätze offenbar geworden, die sie nicht zu überbrücken vermochten. Hatten sie es doch miterlebt, wie unlängst Jesus in der öden Gegend Tausende speiste, wie Er die Bitte der Syro-Phönizierin erhörte und deren Tochter von dämonischen Mächten befreite,
wie Er den Taubstummen im Gebiet der zehn Städte heilte und wie Er seine Hände auf die Augen des Blinden in Bethsaida legte und ihn sehend machte.
Alle diese Geschehnisse hatten in der Menge des auf den Messias wartenden Volkes überschwänglichen Jubel ausgelöst, waren es doch die untrüglichen Zeichen einer messianischen Heilszeit. In Jesus schien volle Erfüllung zu werden, was Propheten längst geschaut und als Gottes Sieg über die Welt der Sünde und des Todes angekündigt hatten. Obwohl Jesus dem Volke verbot, von den erlebten Wundern zu sprechen, ging es dennoch hin und verkündete die großen Taten Gottes. In seiner Freude sprach es: »Er hat alles
wohl gemacht; auch die Tauben macht Er hören und die Sprachlosen reden« (Mark. 7,37). Und als Jesus sich eines Tages an seinen engsten Jüngerkreis mit der Frage wandte: »Und ihr, was sagt denn ihr, dass ich sei?«, da wurde Ihm durch Petrus die eindeutige Antwort: »Du bist der Messias!« (Mark. 8,29), d.h. der Gesalbte Gottes.
Umso unverständlicher war es nun den Jüngern, dass Jesus in den letzten Tagen von seinem Leiden, Sterben und Auferstehen gesprochen hatte. Er hatte es ihnen nämlich frei herausgesagt, dass der Menschensohn von den Ältesten, Hohenpriestern und Schriftgelehrten verworfen und getötet werden würde und dass Er alsdann am dritten Tage auferstehen werde. Durch diese Worte waren die Jünger so erschüttert worden, dass Petrus gleich darauf den Meister beiseite nahm und ernst auf Ihn einzureden versuchte. Jesus jedoch sprach zu ihm: »Hebe dich hinter mich, Satan! Ein Skandalon, ein Anstoß bist du mir! Denn du sinnst nicht aufs Göttliche, sondern
aufs Menschliche, urteilst nicht nach Gottes, sondern nach der Menschen Art« (Mark.8,33).
Dass auch Jesu Leiden und Sterben nichts anderes als Messiasdienst sein sollte, hatten die Jünger noch nicht begriffen. Ihnen war es vielmehr ganz unverständlich, dass ein neuer Leidensweg, ähnlich dem der Propheten, der Ausgang des so gesegneten und von Gott
legitimierten Dienstes ihres Meisters sein sollte. Unmöglich könne solch ein Ausgang der Schlussakt des angebrochenen Reiches Gottes sein. Wie hatten sie sich gefreut, wenn Lahme gingen, Blinde sahen, Kranke heil wurden und Mühselige und Beladene in Ihm den Trost und die Ruhe fanden, nach denen sie sich so lange gesehnt hatten! Waren sie doch Zeuge gewesen von den gewaltigen Taten, die durch Ihn geschahen.
Vor der königlichen Gestalt ihres Meisters schwanden die Schmerzen, schwieg die Angst, verwandelte sich der Zweifel in Vertrauen. Vor seinem Erscheinen flohen die bösen Geister, und die von der Angst Gepeinigten und die seelisch Zerrissenen sammelten sich zu seinen Füßen und gesundeten in seiner Gegenwart. Von seinem Wort ging solch eine erlösende und glaubenweckende Kraft aus, dass das Volk – überwältigt von seiner Rede – sprach: »Er redet ja als ein Berufener und nicht wie die Schriftgelehrten« (Matth. 7,29).
Und wie reich war ihr eigenes Leben und Dienen seit jenen Tagen geworden, wo sie vom Meister in dessen Nachfolge gerufen worden waren! Der Herr hatte Vollmachten in ihr Leben gelegt, durch die sie fähig waren, im Zeichen einer wahren Messiaszeit ihrem leidenden Volke zu dienen. Kam doch eines Tages der aus siebzig Personen bestehende größere Jüngerkreis von seiner Mission mit der Kunde zurück: »Herr, auch die bösen Geister gehorchen uns, wenn wir deinen Namen aussprechen« (Luk. 10,17).
Im Umgang mit dem Herrn als ihrem Messias war ihrem Glauben eine geistige Wirklichkeit aufgegangen, die nicht von dieser Welt war. Umso unverständlicher war ihnen nun die Sprache Jesu in den letzten Tagen gewesen. Da ruft Jesus sie, nicht, um sie gleich wieder neu auszusenden, sondern um mit ihnen allein zu sein.
Denn obgleich eine Welterlösung auf seiner Seele lag, Jesus stürmte nie. Wenn auch das Volk Ihn drängte und suchte, niemals stürzte Er sich in die Arbeit, die seiner auf allen Gebieten des menschlichen Elends wartete. Sein Dienst war von einer einzigartigen Ruhe getragen. Daher führte Er auch alle Müden in die Ruhe. Er konnte auf das Drängen seiner Mutter antworten: »Meine Stunde ist noch nicht gekommen« (Joh. 2,3f ).
Trotz der schwersten Krankheit seines Freundes Lazarus in Bethanien blieb Er noch zwei Tage an dem Ort, wo Er war. Jesus konnte warten, wenn andere eilten, und Er konnte eilen, wo andere durch ihr Zögern Gottes Stunde verpassten. Daher lag Ihm auch das rein Betriebsame des Reiches Gottes so völlig fern. Er kannte keinen Bekehrungseifer und weinte doch über Jerusalem. Er wies jede künstliche Mache von sich und sprach dennoch: »Ich muss wirken, solange es Tag ist, und zwar die Werke dessen, der mich gesandt hat. Es kommt die Nacht, wo niemand wirken kann« (Joh. 9,4).
Seine Passivität war jedoch kein träges Ruhen, sondern immer eine zurückgehaltene und auf die Stunde Gottes wartende Aktivität. Wohl war Er gekommen, die Werke des Teufels zu zerstören, aber nicht mit den Machtmitteln der Gewalt. Es genügte Ihm nicht, den Feind äußerlich zu besiegen, sondern sein Sieg bestand in der Erlösung, in die Er seine Feinde hineinzuziehen suchte. Er rang mit der Finsternis, indem Er Licht in sie hineintrug. Er triumphierte über
den Hass der Welt, indem Er die Gewalttätigen zu Lämmern im Königreich der Himmel seines Vaters machte. Er zankte nicht mit den Irrenden, sondern
erzählte ihnen zu ihrem Heil das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Er wusste: Was dem Menschen von Gott und dessen Heil bekannt werden soll, muss ihm zuvor von Gott her geoffenbart werden. Dazu aber war Er erschienen, darin lag das Geheimnis seiner Messias- und
Heilandsmission.
Um die Jünger in denselben Geist göttlicher Sendung und in die Art eines wahren Messiasdienstes hineinzuziehen, führte Er sie oft in das Alleinsein mit sich selbst. Ihr Ohr hatte so viele andere Stimmen vernommen, nun sollte es wieder Ihn hören. Ihr Auge hatte so große und herrliche Dinge in dem angebrochenen Reiche Gottes geschaut, nun sollte es wieder
Gelegenheit finden, die weltüberwindende Seelengröße und Herrlichkeit dessen zu sehen, der sie gesandt hatte. Ihr Herz war so voll von dem, was Jesus durch sie getan hatte, nun sollte es wieder voll werden von dem, was Jesus ihnen sein wollte. Sie hatten so viel Gelegenheit gehabt, die Wunden ihres Volkes zu sehen, nun sollten sie aufs Neue den Arzt ihres Volkes
und das Geheimnis seiner Kraft sehen. Hatten sie anderen gedient, nun wollte der Meister ihnen dienen und ihnen völlig neue Seiten der Herrlichkeit seines Wesens und seiner Mission erschließen. Sie sollten in ihrem Dienen mit Ihm auf eine weit höhere Stufe gestellt werden, als jene war, auf der die herrschende Frömmigkeit derzeit stand.
Wie sein Wirken aus dem inneren Kontakt mit dem Vater floss und sich allein der geistigen Mittel bediente, um göttliche Ziele zu erreichen, so sollten auch sie erfassen, wes Geistes Kinder sie geworden waren. Nicht Feuer vom Himmel fallen lassen sollten sie, wenn man sie nicht aufnehmen wollte, sondern mit dem Menschensohn der Menschen Seelen gewinnen und erretten. Daher führte Er sie beiseite, um mit ihnen allein zu sein. Selig jedoch jene Knechte und Mägde auch in unseren Tagen, die dann Zeit haben, wenn sie von ihrem himmlischen Meister gerufen werden!
Im Alleinsein mit Gott werden sie jene Segnungen und Offenbarungen
erleben, die ihrem Dienen neue Vollmacht und dauernde Frische geben. Denn das Geheimnis eines gesegneten Dienstes liegt nicht in den geistlichen Reserven, die man besitzt, sondern in den Inspirationen, die man erlebt. Um zu Gott zu führen, muss man von Gott her kommen. Die Gewinnung neuer Perspektiven, die Sammlung höherer Kräfte, die Lösung ungelöster Fragen liegen auch für uns allein im verborgenen Umgang mit Gott. Dauernd zu dienen vermag nur, wer
dauernd mit Gott verkehrt. Wir gewinnen nur insoweit Seelen, als unsere Seele von Gott gewonnen ist.
Es haben daher zu allen Zeiten die Berufenen und Auserwählten ihre tiefsten Segnungen in jenen Stunden gefunden, wo sie mit Gott allein waren. So fand einst Abraham die Erfüllung jener Gottesverheißung, ein Segen für die Völker zu werden, allein auf dem Wege, dass er Vaterland, Freundschaft und Vaterhaus in seiner urchaldäischen Heimat verließ und mit Gott
allein in jenes Land zog, das Gott ihm zeigte. Um der Welt mit Höherem dienen zu können, musste er zuvor Höheres in Gott gefunden haben. Wenn Er sie mit ewigen Gütern segnen wollte, durfte er nicht mehr an ihre Segnungen gebunden sein. Zu solch einem Separatismus des Glaubens wurde Abraham jedoch erst fähig, als er der Stimme der göttlichen Berufung
folgte, um ein Fremdling und Pilger auf Erden zu sein.
Jahrzehnte später fand Jakob nach allen Irrungen und Kraftentfaltungen seines eigenen Lebens im Alleinsein mit Gott an der Furt Jabboks jenes Pniel, wo ihm Gottes Angesicht leuchtete. Er rang mit Gott, während Gott mit ihm rang. Er konnte unmöglich vor seinen Bruder Esau treten, bevor nicht Gott den Sieg in seinem Leben davongetragen hatte. In eigener Kraft und mit fleischlichen Machtmitteln konnte und sollte Esau nie durch Jakob überwunden werden. Daher musste Gott zuvor Jakobs Kraft brechen, damit er als Israel Gottes, d. h. als ein von Gott Überwundener, das Angesicht seines Bruders schaute.
Wäre Jakob seinem Bruder ebenfalls im Bewusstsein seiner Stärke mit einem bewaffneten Heer entgegengetreten, wie dieser ihm entgegenzog, so wäre er gewiss unterlegen. In Pniel siegte jedoch Gott in Jakob, daher siegte später Jakob auch in der Welt. Gebrochen in seiner Kraft sprach er: »Ich lasse dich nicht, ehe du mich gesegnet hast!« In der Ohnmacht fand er nun seinen Sieg, im Gebet weltüberwindende Kraft, in der Abhängigkeit vom Sieger die Rettung
und Zukunft seines Lebens. Auf diesem Boden stehend, durfte er hinfort auch Esau begegnen.
Denn wer erst lernt, im Angesicht des Unbekannten und mit ihm Ringenden das Angesicht Gottes zu schauen, dem gehört die Zukunft, selbst wenn auf ihr zunächst auch noch der dunkle Schatten Esaus ruht. Jahrhunderte später stand Josua einst zitternd vor Jericho (Jos. 5,14f ). Er sollte ein ohnmächtiges Heer in diese Festung führen, die den Schlüssel jenes heiligen Landes bildete, das der Herr dem Volke versprochen hatte. Da begegnete ihm der Fürst über die Heere
Gottes. Er fiel auf sein Angesicht, betete an und sprach: »Was sagt mein Herr seinem Knechte?« So fand er im Alleinsein mit Gott jene innere Stellung, wo ihm das Programm gegeben werden konnte, wie Jerichos starke Mauern durch den Glauben seines Volkes überwunden werden konnten.
In den Tagen eines Samuel befand sich der Benjaminite Saul, der Sohn des begüterten Kis in Israel, auf der Suche nach den verlaufenen Eselinnen seines Vaters. Da er sie nicht finden konnte, wandte er sich In seiner Not an den Propheten Samuel. Diese Begegnung führte jedoch zu jenem Alleinsein mit Gott, wo der Prophet im göttlichen Auftrage Sauls Haupt mit heiligem Öl salben, ihn küssen und mit den Worten begrüßen konnte: »Hat nicht der Herr dich zum Fürsten über sein Erbteil gesalbt?« (2. Sam.10,1).
Völlig entmutigt kam einst der sonst so glaubenskühne Prophet Elia an den Berg Horeb. Die Drohung Isebels hatte seine Seele gepackt, und sein Glaube sah hinfort nicht mehr die Macht dessen, von dem er gesandt war, sondern nur den Arm des Fleisches, der sich gegen ihn erhoben hatte. Durch den Gottessieg auf dem Berge Karmel hatte er gehofft, ganz Israel für
Gott gewonnen zu haben. Er musste jedoch erleben, dass Begeisterung für Gott noch nicht Hingabe an Gott ist. Völlig entmutigt und mit zerrissener Seele war er daher zum Berge Horeb gekommen. Hier ging der Herr an ihm vorüber: nicht im Winde, nicht im Feuer, auch nicht im Erdbeben, sondern erst im stillen,
sanften Sausen. Er war mit Gott allein, und nun wurde ihm jenes wunderbare Geheimnis jeglichen Prophetendienstes erschlossen, dass die Kraft prophetischer
Mission nicht in äußeren Machtmitteln und vernichtenden Gerichten besteht, sondern allein in jenem göttlichen Lebensodem, der still wirkend und Leben weckend durch die Herzen des Volkes weht. Und Träger und Dolmetscher solch einer Gottesoffenbarung soll auch
der Prophet sein (1. Kön.19, 11-13).
In den Tagen eines Elisa seufzte eine Prophetenwitwe schwer unter den Schulden, die ihr Mann
zurückgelassen hatte. Man drohte ihr das Höchste zu nehmen, das sie als israelitische Mutter besaß, nämlich ihre zwei Söhne. In dieser Not wandte sie sich an den Propheten Gottes. Als dieser erfuhr, dass sie in ihrem Hause nichts als einen Krug mit etwas Öl hatte, sprach er zu ihr: »Besorge dir eine Anzahl leerer Krüge, nimm deine beiden Söhne und bleibe bei verschlossener Tür mit Gott allein!« Sie tat es. Und als sie nun anfing, die leeren Ölkrüge mit dem Öl ihres
Kruges zu füllen, da fand sich’s, dass sie goss und goss, bis alle Gefäße gefüllt waren. In Gottes Gegenwart wurde ihr stehendes Öl fließendes Öl und gab ihr die Möglichkeit, nicht nur alle ihre drückenden Schulden zu bezahlen, sondern auch mit ihren Söhnen vom Überfluss zu leben (2. Kön.4,1-7).
Erst von dem Augenblick an konnte der größte aller Propheten des Alten Bundes, Jesaja, mit gereinigten Lippen seinem Volke dienen, als er mit Gott allein gewesen war. Und im göttlichen Lichte erkannte er nun, dass er unreine Lippen hatte und unter einem Volke mit unreinen Lippen wohnte und daher untauglich war, seinem Volke zu dienen. Als er jedoch erst in dieser tiefen Selbsterkenntnis vor dem Herrn stand, erlebte er jene wunderbare Offenbarung,
dass Gottes Gegenwart nicht nur aufdeckt, sondern auch zudeckt. Seine Lippen wurden mit einer glühenden Kohle vom Altar berührt, und seinem Leben wurde die wunderbare Kunde: »Siehe, deine Sünden sind von dir genommen!« Nun konnte er als einer, der von Gott gereinigt worden war, auch seinem Volke Reinigung verkünden. Nachdem er selbst die Vergebung seiner Sünden empfangen hatte, konnte er auch in das so schwer belastete Leben seiner Brüder
Vergebung tragen (Jes. 6,5-7).
Ist doch auch die Offenbarung des Neuen Testaments von jenem Johannes geschrieben worden, der um des Namens Jesu willen auf der einsamen Insel Patmos saß. Und doch war er nicht allein. Gott war mit ihm, und er sah am Tage des Herrn nicht nur die Leiden und Kämpfe der kleinasiatischen Gemeinden, sondern auch die Herrlichkeit und Majestät des gekrönten Lammes. Seinen Augen bot sich hier ein Abschluss der ganzen Welt- und Heilsgeschichte dar, wie
es nur ein Glaube zu schauen vermag, den Gott in seine Offenbarung und Herrlichkeit hineinziehen kann.
Daher lässt auch Johannes alles Weltgeschehen ausklingen mit einem neuen Himmel und einer neuen Erde, über deren Sein und Leben für ewige Zeiten geschrieben steht: »Es ist alles neu geworden!« (Offb. 21,5).
Mit Gott allein! Welch eine Fülle von Licht und Gnade, von Kraft und Herrlichkeit kann es für ein Leben bedeuten, das dem Rufe des Meisters folgt, wenn Er es in die Stille führen will!
Tabors-Höhen
… und führte sie allein auf einen hohen Berg.
Markus 9,2
Tabors-Höhen, auf denen wir die Herrlichkeit unseres Meisters schauen, sind nicht der Segen einer heiligen Örtlichkeit, sondern der göttlichen Offenbarung. Wir wissen nicht einmal genau, welches der »hohe Berg« war, auf dem Jesus vor seinen Jüngern verklärt wurde. Die
Überlieferung nimmt an, dass es der schöne Berg Tabor gewesen sei. Jedoch nach Jesus ist niemand mehr auf ihm verklärt worden. Denn nicht der Berg war die Quelle dieses Segens für die Jünger, sondern dass der Vater dort seinen Sohn verklärte. Wo immer unserer Seele ein tieferer Einblick in die verborgene Herrlichkeit Jesu Christi geschenkt werden konnte, da bewegte sie sich auf einer Tabors-Höhe.
Daher ist der Name Tabor auch in der Sprache der Kirche Jesu Christi zur Bezeichnung der tiefsten Segnungen im Reiche Gottes geworden. Denn welch eine Bergeshöhe es im Lande Jesu und der Apostel auch war, wo die Jünger das Große an der Seite ihres Meisters erlebten, der Segen war nicht an den Ort an sich, sondern an die göttliche Offenbarung gebunden. Diese kann aber nur erlebt und nicht hier oder dort einfach gefunden werden.
Alles Erleben ist allein an die Gegenwart dessen gebunden, der sich uns in der Fülle seines Lebens offenbaren will. Wer da glaubt, Tabors-Höhen an heiligen Orten oder in heiligen Einrichtungen an sich zu finden, der wird vergeblich auf die Offenbarung Gottes und seines Gesalbten warten. Wohl heiligt Gott Orte und Handlungen, wenn Er sie in seine Offenbarung hineinziehen kann, aber niemals heiligen Orte und Einrichtungen den Menschen. Der feurige Busch in der Wüste brannte nur so lange, als Gott von ihm Besitz genommen hatte.
Als Gott erst seine Berufung an Mose vollendet hatte, verlor er wieder sein Feuer und seine Weihe. Orte und Mittel sind daher nur insoweit geheiligt und geweiht, als sie Gott dienen, uns seine Herrlichkeit und Majestät zu enthüllen. Er hat mithin unsere Erwartungen, Taborstunden zu erleben, nicht an heilige Örtlichkeiten und Einrichtungen gebunden, sondern allein an sich selbst als den Quell jeglicher Segnung und Offenbarung.
Dasselbe gilt auch von unseren Glaubenskonferenzen, Bibelstunden, Erbauungsversammlungen und Gottesdiensten allerart. Auch sie brennen nur in einem heiligen
© der Lizenzausgabe 1998
by CLV · Christliche Literatur-Verbreitung