Epheser 4, 1‑3 Christliche Einheit und Gemeinschaft, Kelly William

08/02/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

W.Kelly - Die Einheit des Geistes

Fleiß anwenden
Welche Bedeutung Gott dem Bewahren der Einheit des Geistes beimißt, ist jedem christlichen Leser, der mit Epheser 4, 1‑3 vertraut ist, hinreichend klar. „Befleißigen“ gibt jedoch nicht die volle Aussagekraft des Wortes wieder, das der Geist Gottes hier im Grundtext verwendet. In gewöhnlicher Alltagssprache pflegt man von „befleißigen“ oder „fleißig sein“ zu reden, wenn jemand etwas zu erlangen versucht, nach etwas strebt, selbst wenn er keine Hoffnung hat, das Erstrebte zu erreichen. Er mag fühlen, daß es ihm mißlingen könnte, versucht oder „befleißigt sich“ aber auf jeden Fall, dieses oder jenes zu tun. Eine solche Bedeutung hat das in Epheser 4, 3 gebrauchte Wort nicht. Es meint vielmehr: Eifer bei der aufmerksamen Beachtung und Ausführung von solchem, das bereits wahr ist,‑ Fleiß anwenden, um „die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens“. Das zeigt, welche Ermahnung hier beabsichtigt ist: Wir sollen nicht Bemühungen anstellen, um etwas zu erreichen, sondern Eifer zur Bewahrung von Bestehendem aufbringen.

Die Einheit des Geistes ist nämlich für den Glauben eine bestehende Tatsache. Sie zu bewahren, ist deshalb aber nicht weniger unsere gegenwärtige Verpflichtung. Nicht, daß wir von uns aus eine Einheit zu bewerkstelligen hätten, oder daß Gott sie erst im Himmel für uns schaffen würde. Hier und jetzt hat der Heilige Geist diese Einheit gebildet, die zu bewahren ganz klar unsere Verantwortung auf der Erde ist. Zweifellos können wir viel aus der Tatsache lernen, daß es sich um „die Einheit des Geistes“ handelt, wie sie genannt wird. Es geht also keineswegs um eine bloße Einheit unsererseits, noch um die Einheit des Leibes (obwohl diese ein Ergebnis der Einheit des Geistes ist), sondern um diejenige Einheit, die der Heilige Geist stiftete, als Er alle Glaubenden, Juden oder Heiden, Sklaven oder Freie, zu einem Leibe taufte. Das stellt die handelnde göttliche Person, die wirksame Quelle und Kraft der Einheit, den Heiligen Geist, in den Vordergrund, setzt aber den einen Leib voraus und schließt ihn ein. Dieser eine Leib ist selbst eine so unzweifelhafte und beständige Wirklichkeit, daß manche Ausdrücke, die diesbezüglich oft gebraucht werden, sich als falsch erweisen. Von einem Zertrennen des Leibes hören wir in den Worten und Schriften der Menschen, niemals in Gottes Wort. Geradeso wie kein Bein Christi gebrochen werden durfte, so kann auch der Leib Christi, die Kirche, nicht zertrennt werden. „Da ist ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen worden seid in einer Hoffnung eurer Berufung.“ Das sind die lebenswichtigen, bleibenden und unveränderlichen Wahrheiten dieser neuen Beziehung, in der die Gläubigen nun zu Christus und untereinander stehen. So gewiß wie ein Geist vom Himmel herniedergesandt worden ist, so gewiß gibt es auch nur einen Leib auf der Erde; doch was die Glieder dieses Leibes zu bewahren berufen sind, ist die Einheit des Geistes.
Seit Pfingsten besteht eine göttliche Einheit auf der Erde ‑ nicht eine bloße Ansammlung von durch Gnade berufenen Einzelnen, sondern eine durch den Geist Gottes geschaffene Einheit. Diese göttliche Gemeinschaft hier auf Erden wird nicht durch den Willen der Personen gebildet, die zu ihr gehören. Zwar sollte man annehmen, daß ihre Herzen, falls sie richtig stehen und einsichtig sind, völlig mit der Gnade in Einklang sind, die sie so vereint hat. Aber die Kirche oder Versammlung Gottes ist durch den Willen Gottes gebildet worden. Wie Er sie in Seiner Gnade geplant hatte, so hat Er sie durch Seine Macht ins Leben gerufen, wobei es der Heilige Geist war, der diese gesegnete Einheit zustande gebracht hat. Aus diesem Grund hat der Geist Gottes das tiefste und innigste Interesse daran, diese Einheit zur Verherrlichung Christi und nach den Ratschlüssen des Vaters praktisch zu verwirklichen. Sie wird die Einheit des Geistes genannt; doch möge sich niemand einbilden, er könne die Einheit des Geistes einsichtsvoll bewahren, wenn er den einen Leib Christi auch nur für einen Moment dem Grundsatz nach oder in der Praxis aus dem Blick verliert.

Eine zu weite Einheit ‑ Gleichgültigkeit
Es gibt natürlich verschiedene Weisen, wie die Gläubigen darin versagen können, die Einheit des Geistes zu bewahren. Aber solches Versagen kann sich letztlich nur in zwei entgegengesetzten Richtungen auswirken, die ebenso weit verbreitet wie offenkundig sind. Der erste Fehler besteht darin, eine Einheit herzustellen, die weiter ist als diejenige des Geistes; den zweiten Fehler begeht man, wenn man die Einheit enger macht als die Einheit des Geistes. Auf der einen Seite kann es weltliche Laxheit, auf der anderen bloße Parteilichkeit geben. Die Gefahr, in diese Extreme zu verfallen, ist so groß, daß nur der Geist Gottes durch das Wort unsere Blicke auf Christus gerichtet halten kann. Was immer man bezwecken oder womit man sich auch entschuldigen mag ‑ der treibende Beweggrund kann im Grunde nur der dem Willen Gottes entgegengesetzte Eigenwille des Menschen sein.
Im ersten Fall ist man also geneigt, die Einheit zu erweitern. Man besteht darauf, außer den Gliedern des Leibes Christi noch weitere große Mengen aufzunehmen. Seelen werden als solche, die Christus angehören, anerkannt, ohne daß man einen angemessenen Grund dafür hätte. Welch eine Verunehrung Seines großen Namens! Ich rede jetzt nicht von Schwachheit bei der Anerkennung solcher, deren Bekenntnis man für wahr hält, sondern von der willentlichen Absicht, Personen aufzunehmen und als zum Leib Christi gehörend zu behandeln, die nicht einmal selbst bekennen, Glieder Seines Leibes zu sein, und die offensichtlich nie aus dem Tode in das Leben übergegangen sind. Gerade das aber hat Rom während seiner Herrschaft über den Westen im Mittelalter getan; und die östlichen Kirchen (wie die Griechisch‑Orthodoxen, Nestorianer usw.) waren um keinen Deut besser als die Katholische Kirche, bevor die große Spaltung sie entzweite. Ohne auf den Glauben und das Empfangen des Geistes zu achten, haben sie alle mittels fleischlicher Anordnungen die Welt gesucht und aufgenommen. Die Reformation, soviel sie auch zustande gebracht hat, hat diesen grundlegenden Irrtum keineswegs berichtigt. Der Protestantismus lehnte das Weib ab, das über die Nationen ‑wenn möglich, alle Nationen herrschte. Da er aber von der Einheit des Geistes nichts verstand, errichtete er überall dort, wohin sich sein Einfluß erstreckte, kraft Gesetz seine eigene unabhängige Religion.
Das ist der wohlbekannte Grundsatz der Landeskirchen, wo immer sich diese befinden, sei es in England oder in Schottland, in Deutschland oder in Holland. Sie bekennen, alle anständigen Leute in den jeweiligen Bezirken oder Gemeinden aufzunehmen. Das ist zugestandenermaßen eine Religion für jedermann und entspricht in gar keiner Weise der Absicht oder dem Wunsch, sich mit niemanden zu verbinden, der kein lebendiges Glied Christi ist. Man läßt Herkunft oder örtliche Beziehungen gelten, es sei denn, ein öffentlicher Skandal liege vor. Neues Leben oder Glaube werden nicht verlangt, noch weniger die Gabe des Heiligen Geistes, wie es früher doch der Fall war (Apg. 11, 16‑17). Dergleichen entspricht eher dem Muster Israels als dem der Kirche, in der es weder Juden noch Griechen gibt, sondern alle in Christus eins sind. Es geht bei den Landeskirchen um familiäre Bande und geographische Grenzen. Die Leute sind keine Israeliten oder Heiden, sondern bekennen sich, da sie sich in einer allgemein so genannten Landeskirche befinden, zur christlichen Religion. Aber ist es denn nicht klar, daß in einer Landeskirche die Einheit des Geistes in keiner Weise bewahrt werden kann? Jemand mag ein wirklicher Christ, ein Kind Gottes sein ‑ aber für ein Mitglied einer Landeskirche bestehen weder der Gedanke noch die Möglichkeit, innerhalb dieser Kirche die Einheit des Geistes zu bewahren“. Folglich spricht man z. B. von der Kirche Englands und nicht von der Kirche Gottes in England; noch weniger hat man alle im Blick, die auf der ganzen Erde Christus angehören.
Tatsache ist, daß solche evangelische Christen zwar aus Babylon entronnen, jedoch statt dessen dazu gelangt sind, eine von der Einheit des Geistes völlig verschiedene, ja dieser sogar entgegengesetzte Einheit anzuerkennen. Sie haben eine Einheit aufgerichtet, die, wenn mit vollständigem Erfolg durchgeführt, die ganze Nation umfassen würde, vielleicht mit Ausnahme derer, die allen religiösen Schein meiden. Im Blick auf letzteres möchte ich nämlich nicht vergessen, daß die liturgischen Vorschriften gegen Verbrechen oder öffentliches Ärgernis Vorsorge treffen. Es ist jedoch allgemein bekannt, daß es in jeder Stadt, nahezu in jeder Familie mehr oder weniger angesehene Personen, moralische und liebenswürdige Menschen gibt, die genau wissen, daß sie nicht aus Gott geboren sind, und die sich scheuen würden, sich Glieder Christi zu nennen, es sei denn, sie sind dazu verleitet worden, diese Stellung aus rituellen Gründen zu beanspruchen. Die meisten von ihnen würden davor zurückschrecken, „Heilige“ genannt zu werden, und umgekehrt nicht zögern, diesen Ausdruck als Schimpfwort den Kindern Gottes beizulegen, die sich nicht schämen, sich als diejenigen zu bezeichnen, die sie sind.
Wer den Namen „Heiliger“ ablehnt, ist auch offensichtlich keiner ‑es sei denn, man könnte sich ehrlicherweise einen so tief gesunkenen oder verfinsterten Gläubigen vorstellen, daß er aus der Bezeichnung, die Gott Seinen Kindern gegeben hat, einen Spottnamen macht. Und wir können ohne Zweifel sicher sein, daß jemand, der so denkt und redet, nicht wandelt, wie es einem Heiligen geziemt.
Wenn nun jemand nicht im schriftgemäßen Sinne ein Heiliger ist, dann ist er mit Sicherheit kein Christ, außer im Blick auf sein leeres Bekenntnis, für das ihn Gott richten wird. Ist es denn nicht klar, daß ein Christ ein Heiliger und noch wesentlich mehr als das ist? Es gab Heilige auch zur Zeit des Alten Testamentes, es gab Heilige vor dem Kreuz Christi; aber waren all diese wirklich Christen? Ein Christ ist ein Heiliger in der Zeit nach dem Erlösungswerk, jemand, der durch den Glauben an das Evangelium, in der Kraft des Heiligen Geistes und auf der Grundlage des Werkes Christi für Gott abgesondert ist. Was immer er auch vorher als natürlicher Mensch gewesen sein mag ‑ Gott hat ihn mit Christus lebendig gemacht und ihm all seine Vergehungen vergeben. Nun, da er durch das Blut Christi nahe gebracht worden ist, darf er als ein Kind vor Gott treten. Damit ist er auch ein Glied des Leibes Christi.
Nun, diese Personen sind es, die die Berufung haben, die Einheit des Geistes in dem Bande des Friedens zu bewahren und sich allem zu widersetzen, was diese Einheit verfälschen könnte. Das bedeutet nicht lediglich, daß die Gesinnung im Inneren und der persönliche Wandel nach außen hin zu der Einheit des Geistes passen müssen, obwohl das natürlich wahr ist. Doch Zuneigungen und Wandel mögen noch so hervorragend sein, es wäre etwas Ernstes für einen Christen, den Ausdruck dieser Einheit zunichtezumachen oder einfach darüber hinwegzusehen. Aber wird die Einheit des Geistes nicht durch jeden Gläubigen verunehrt, der irgendeine Einheit anerkennt, die nicht vom Heiligen Geist ist? Wenn er die Gemeinschaft einer Landeskirche in diesem oder jenem Land anerkennt, ist es dann nicht klar, daß er den Boden verlassen hat, auf den die Schrift alle Heiligen stellt? Wie kann man als Mitglied einer solchen Kirche die Einheit des Geistes bewahren? Der Betreffende mag sich übrigens in anderer Hinsicht durchaus als ein wahres Kind Gottes verhalten, sein Wandel mag Achtung und Liebe verdienen, und sicher sollte er für jeden, der sich beeifert, die Einheit des Geistes zu bewahren, ein Gegenstand zartfühlender Anteilnahme sein; denn wenn letztere ihrer Berufung treu sein wollen, müssen sie für die Befreiung aller Kinder Gottes beten, die in diesem Punkt nicht dem Willen und dem Wort des Herrn Jesus folgen.
Dennoch steht es außer Frage, daß diejenigen, die sich zu einer Einheit bekennen, die auf der Grundlage von aller Welt offenstehenden Riten das Fleisch zuläßt, sich auf einem Boden befinden, der weiter ist als die Einheit des Geistes. Folglich können sie auch nicht in Übereinstimmung mit dieser wandeln. Wahre Einheit schließt jede andere aus. Wie man nicht zwei Herren dienen kann, so kann man auch nicht an einer zweifachen Gemeinschaft teilhaben. Die Einheit des Geistes läßt keine rivalisierende Einheit zu.

Eine zu enge Einheit ‑ Sektiererei
Doch es gibt noch eine andere Art des Abweichens von der Wahrheit, die die Kinder Gottes daran hindern kann, die Einheit des Geistes zu bewahren. Durch den Mißbrauch von Lehre oder Zucht können sie eine Einheit bilden, die nicht nur tatsächlich, sondern grundsätzlich und mit Absicht enger ist als die Einheit des Leibes Christi. Befinden sich solche auf göttlichem Boden? Ich denke nicht. Sie mögen ihre eigene Regierungsform offen aufrichten oder auch insgeheim ein ausgemachtes, wenngleich ungeschriebenes System von Vorschriften haben, wodurch Gläubige, die zwar ebenso gottesfürchtig sind wie sie, aber diese Vorschriften nicht akzeptieren können, ausgeschlossen werden. Dann haben wir es mit einer Sekte zu tun. Ihre Satzungen sind nicht die Gebote des Herrn, erhalten in der Praxis aber dennoch ebensoviel Autorität wie Sein Wort, oder (wie es üblich ist) sogar noch mehr. Was soll noch die Behauptung, keine menschlichen Vorschriften zu haben, wenn man für solche, mit denen man in Berührung kommt, unter der Hand bestimmte Bedingungen für die Gemeinschaft einführt ‑ hier schärfer, dort lockerer, je nach der unterschiedlichen Politik und Laune der Führer? Jede derartige Haltung nimmt die Gestalt, nicht von Landeskirchentum, sondern von Sektiererei an, die (anstelle zu weiter oder offener Grenzen) eher diejenigen aufzuspalten sucht, die zusammen sein sollten. Wenn Christen so zusammenkommen, dann geben sie durch ihre Gemeinschaft lediglich ihrer Verschiedenheit von ihren Brüdern Ausdruck; sie stehen in keiner Weise auf dem Boden der Einheit zusammen, die von Gott ist. Das ist dem Grundsatz nach Sektiererei und wenn die Betreffenden es besser wissen, dann sind sie schuldiger als gewöhnliche freikirchliche Christen.
Unter dieser Rubrik einer zu engen Einheit finden wir die Kinder Gottes oft zerstreut vor, und zwar durch den Druck fragwürdiger oder sogar falscher Zuchtausübung, oder infolge übermäßig betonter, wenn nicht falscher Lehre. Einige ziehen eine entschieden arminianische, andere eine streng calvinistische Gemeinschaft vor.( ‚ Während Jean Calvin (1509‑1564) eine schroffe Prädestinationslehre vertrat (Gott habe von Ewigkeit her die einen zur Seligkeit, die anderen zum Gericht bestimmt), betonte der Leidener Theologieprofessor Jacobus Arminius (1560‑1609) die Willensfreiheit des Menschen (es liege beim einzelnen Menschen, sich für oder gegen das Heil zu entscheiden). Der arminianische Streit (1604‑1619) war weit über seine Zeit und die Grenzen Hollands hinaus von großer theologischer Bedeutung. Der Obersetzer.)
Die einen mögen bestimmte Ansichten über das Kommen und das Reich Christi aufdrängen; andere über den Dienst, Bischöfe, Älteste usw.; wieder andere über die Taufe, deren Durchführungsweise oder die zu taufenden Personen. Diese kirchlichen Gesetzgeber scheinen sich überhaupt nicht bewußt zu sein, daß ihr Mißbrauch dieser Lehren oder Praktiken mit dem Bewahren der Einheit des Geistes in dem Bande des Friedens unvereinbar ist; sie selbst irren sich, wenn nicht in ihren Ansichten, so doch zumindest in der Art und Weise, wie sie diese anderen aufdrängen.
Hinter diesen nach außen hin sichtbaren Abweichungen vom Willen Gottes über Seine Kinder wird man tieferliegende Ursachen finden, die den Heiligen Geist betrüben und die wahre und geistliche Erkenntnis des Gläubigen hindern. Die persönlichsten und vielleicht am weitesten verbreiteten Hindernisse entspringen dem Zustand der Seele, und zwar durch Unkenntnis eines voll und ganz befreienden Evangeliums. Die Sünde ist in solchen Fällen nie völlig vor Gott gerichtet worden, und folglich kennt man selbst den Grundsatz der Befreiung (Rö 7, 2) nur zum Teil, wenn man ihn überhaupt kennt. Noch weniger ist die Kraft des Geistes vorhanden, in welcher der Tod Christi schonungslos auf das eigene Ich praktisch angewandt wird. Vielleicht hat man selbst die Vergebung der Sünden als eine vollendete Tatsache nur schwach erfaßt. Daß es oft so ist, zeigt die Auffassung, man müsse immer aufs neue seine Zuflucht zu dem Blute Christi nehmen, oder (wie einige es ausdrücken würden) ein ständiger  Reinigungsprozeß müsse vor sich gehen. Diese Lehre gründet man auf ein falsches Verständnis der Gegenwartsform in 1. Johannes 1, 7, deren moralische Tragweite man unwissenderweise auf die bloß tatsächliche Zeit einschränkt. Wieder andere haben eine völlig oberflächliche und falsche Ansicht über die Welt, so als ob die ganze Welt durch das Kreuz Christi nun dem Christen gehöre, während doch im Gegenteil der Christ der Welt und die Welt ihm gekreuzigt ist.
Wenn das Fleisch und die Welt auf diese Weise nur unzulänglich und nicht nach dem Worte Gottes im Lichte des auferstandenen Christus gerichtet worden sind, dann ist das Herz nicht in jeder Hinsicht in Gemeinschaft mit Gott. Obwohl man den größten Eifer für Seelen an den Tag legen mag, soweit ihre Gefahr und die vergehende Gnade Gottes verstanden werden, und obwohl man mit aufrichtiger und brennender Liebe wünschen mag, daß Christus durch die Segnung dieser Seelen geehrt werde, so nimmt doch die Natur immer noch einen breiten Raum ein. Das Wort und der Geist Gottes regieren das zu dem Gestorbenen, Auferstandenen und Verherrlichten hin abgesonderte Herz nicht vollständig. Wie kann man bei einem solchen Zustand erwarten, daß jemand sich ein gesundes geistliches Urteil über die Kirche zu bilden vermöchte, kompliziert wie diese Frage nun durch den Ruin der Kirche ist? Viele Gläubige messen der Wissenschaft, Literatur und Philosophie Wert bei, die allesamt das Fleisch erhöhen, oder sie schätzen Beziehungen, die Behaglichkeit und Ehre in der Welt einräumen, hoch ein. Aufgrund mangelnden Verständnisses des Wortes und eines schwachen Empfindens für die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn versäumen sie es, den gegenwärtigen bösen Zeitlauf zu richten, und sind statt dessen ganz von ihren eigenen Angelegenheiten in Anspruch genommen, wenn sie nicht sogar nach größeren Dingen streben. Folglich stehen sie in Gefahr, Vorurteilen und Voreingenommenheiten zum Opfer zu fallen. Weder geben sie Christus in der Praxis den Ihm gebührenden obersten Platz, noch können sie sich über brüderliche Freundlichkeit in die reinere Atmosphäre gottgemäßer Liebe erheben und so selbstlos für die Kirche als den Leib Christi Sorge tragen. Sie sind nicht darauf vorbereitet, völlig mit dem eitlen gesellschaftlichen Verkehr zu brechen, den die Überlieferung im Christentum wie schon vor alters im Judentum hervorgebracht hat. Sie schrecken vor den schmerzlichen Folgen zurück, die vollständiger und ohne Zögern praktizierter Gehorsam für jeden, der dem Herrn unterworfen ist, mit sich bringen muß. Das Auge ist nicht einfältig, und daher der Leib nicht licht; der Weg sieht ungewiß aus, das Wort scheint schwierig zu sein; und in einem Glauben, der dem Herrn um jeden Preis nachfolgt, scheinen Gefahren zu liegen.

Einsicht kein Prüfstein für die Zulassung
Sollen wir angesichts dessen aus Vorsicht ein bestimmtes Maß an Einsicht verlangen, bevor wir jemand aufnehmen? Gerade das ist ein Hauptunheil, das es stets aufmerksam zu verhüten gilt; es muß als ein grundsätzlicher Fehler, ja als eine Sünde gegen Christus und die Kirche behandelt werden. Nichts könnte unmittelbarer darauf hinauslaufen, die sektiererischste aller Sekten zu bilden, als von den Seelen, die hereinzukommen wünschen, ein richtiges Urteil über die von den Gläubigen am wenigsten verstandene Wahrheit zu verlangen. Diese Wahrheit des Geheimnisses des Christus oder insbesondere des einen Leibes wird für sie, wie es in der Praxis zu sein pflegt, dadurch noch viel schwerer verständlich, daß ständig neue Gruppen aus dem gegenwärtigen gefallenen Zustand der Christenheit hervorgehen.
Nie hat man von einer solchen Forderung gehört, auch dann nicht, als die Zeit der Kirche begann und die Gegenwart des Heiligen Geistes etwas ganz Neues war. Die Heiligen wurden auf das Bekenntnis des Namens Christi hin zugelassen, da ja Gott allen die gleiche Gabe geschenkt hatte, Sein Siegel und damit sozusagen Seinen Paß. Einsichtig waren gerade diejenigen, die den Wert des Namens Christi und der Gabe des Geistes anerkannten, wie sie es ja selbst zu Beginn an sich erfahren hatten. Hätten sie Verständnis dessen, was die Kirche ist, als eine Bedingung der Gemeinschaft verlangt, hätten sie damit in Wirklichkeit ihren eigenen Mangel an Einsicht bewiesen und dem Ziel zuwidergehande14 wofür Christus gestorben war ‑ die zerstreuten Kinder Gottes in eins zu versammeln.
Hat der gegenwärtige Ruin der Kirche diesen ursprünglichen Grundsatz verändert? Der feste Grund Gottes steht und hat dieses Siegel: Der Herr kennt die Sein sind; und: Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit! Was heute Seinen Namen trägt, ist einem großen Hause gleich geworden, in dem sich Gefäße zur Ehre und Gefäße zur Unehre befinden. Von den letzteren hat sich wegzureinigen, wer selbst ein Gefäß zur Ehre sein möchte, geheiligt, nützlich dem Hausherrn, zu jedem guten Werke bereit. Wenn der öffentliche Zustand böse ist, ist persönliche Treue zu Christus oberstes Gebot. Der Wunsch nach Einheit darf sich darüber weder hinwegsetzen noch den Christen dazu verpflichten, den Namen des Herrn mit Ungerechtigkeit zu verbinden. Auch nach persönlicher Reinheit gilt es zu streben; und das nicht in Isolation, sondern mit allen, die den Herrn aus einem reinen Herzen anrufen. Kein Wort von einer Forderung kirchlicher oder lehrmäßiger Einsicht; es heißt vielmehr „mit denen, die . . .“, d. h. mit den wahren Gläubigen zu einer Zeit lauen und hohlen Bekenntnisses.
Zu einem späteren Zeitpunkt, der letzten Stunde“ des Johannes, sehen wir, wie energisch der Geist Gottes auf ersten Grundsätzen besteht. Jeder, der da glaubt, daß Jesus der Christus ist, ist aus Gott geboren; und jeder, der den liebt, welcher geboren hat, liebt auch den, der aus ihm geboren ist. Hieran wissen wir, daß wir die Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten. Denn dies ist die Liebe Gottes, daß wir seine Gebote halten, und seine Gebote sind nicht schwer. Denn alles was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt; und dies ist der Sieg, der die Welt überwunden hat: unser Glaube. Wer ist es, der die Welt überwindet, wenn nicht der, welcher glaubt, daß Jesus der Sohn Gottes ist?“ Angesichts vieler Antichristen bleibt Christus der Prüfstein. Der Geist hält vorbehaltlos an Seiner Person fest. Ihm irgend etwas hinzuzufügen, bedeutet, etwas von Ihm wegzunehmen, Seinen Namen zu verunehren.
Aber ich will weitergehen. Nehmen wir die Hoffnung der Wiederkunft des Herrn Jesus. Ihr wißt, wie überaus wichtig es für Christen ist, in Wahrheit und mit dem Herzen Christus aus dem Himmel zu erwarten. Aber würdet ihr verlangen, daß diejenigen, die im Namen des Herrn Gemeinschaft suchen, diese Hoffnung verstehen und bekennen müssen, bevor ihr sie im Herrn aufnehmt? Wäre das nicht eine Sekte? Eure Auffassung der christlichen Hoffnung mag noch so richtig sein und die Person, die um Gemeinschaft bittet, noch so unwissend über dieses Thema sein ‑ doch wer autorisiert euch oder andere, an der Tür zu stehen und dem Betreffenden den Eingang zu verwehren? Vielleicht hegt er den falschen Gedanken, daß die Christen, wie die Juden oder die Nationen in Offenbarung 7, durch die große letzte Drangsal gehen müssen. Angenommen, er versteht die Stellung des Christen nur wenig, weil er nicht seine Vereinigung mit Christus im Himmel sieht, die der Heilige Geist in der jetzigen Zeit bekanntmacht.. Folglich ist er in Verwirrung und weiß nicht, daß der Herr kommen und die Seinen vor jener schrecklichen Vergeltung, die über die Welt kommt, zu sich nehmen wird. Er mag sogar die Gedanken von Männern teilen, die ebenso unweise sind wie einige in Thessalonich, und dem Wahn verfallen, der großen Drangsal zu entfliehen zu versuchen. Da die Thessalonicher zuviel mit der Prophetie beschäftigt waren, hatten sie die wahre Hoffnung auf das Kommen Christi verloren oder nie gekannt. Wenn wir außer Christus von irgend etwas ganz in Anspruch genommen werden, sei es durch die Prophetie, die Kirche oder das Evangelium ‑ was, wenn nicht Gnade allein, kann uns dann noch vor weiterem Abirren bewahren?
Sollen denn Erkenntnis der Wahrheit oder Wachstum in geistlicher Einsicht gering eingeschätzt werden? Keineswegs; aber es ist falsch und eitel, von Gläubigen, die gottgemäße Gemeinschaft suchen, das eine oder das andere als eine Vorbedingung zu verlangen. Helft ihnen, unterweist sie, führt sie in beidem weiter! Das ist wahrer, freilich Überaus mühsamer Dienst. Das andere aber ist Sektiererei und falsch.

Christus der alleinige Mittelpunkt

(und entgegengesetzte Ansprüche)
Wenn es solche gibt, die für ein so großes Abweichen von der Schrift und insbesondere von der charakteristischen Wahrheit der Versammlung Gottes eintreten, dann mögen sie ihre neue, dem Herrn entgegengesetze Erfindung offen an den Tag legen, damit auch die übrigen Furcht haben. Christus bleibt immer der einzige Prüfstein, der einzige Mittelpunkt, zu dem hin der Heilige Geist versammelt. Was der Herr kurz vor Beginn der Zeit der Kirche verkündete, bleibt auch nun, da Er in dem Haus Seiner neuen Freunde nicht weniger verworfen wird als in dem Seiner alten, wahr, und zwar sogar noch offenkundiger: „Wer nicht mit mir ist, ist wider mich, und wer nicht mit mir sammelt, zerstreut“ (Mt. 12, 30). Es ist unbedingt erforderlich, persönlich auf der Seite Christi zu stehen, um so Gott zu gefallen und Seinen Sohn nicht zu verunehren. Aber neben dieser persönlichen Treue bestehen nun auch das Vorrecht und die Pflicht des Sammelns; und wer nicht sammelt, zerstreut nur, mag es auch nach außen hin ganz anders scheinen. Der einst verworfene und gestorbene, nun aber auferstandene und verherrlichte Christus bildet den anziehenden Mittelpunkt. Folglich ist im Brechen des Brotes das Zeichen Seines Todes zugleich auch das Zeichen des einen Leibes. Tatsächlich wird aber gerade das von denen verleugnet und verurteilt, die diese Gemeinschaft auf ihre wenigen Anhänger beschränken möchten, indem sie „die Vielen“, d. h. alle, auf die Christus als die Seinen herabschaut und die Er willkommen heißt, zurückweisen. Das hat Er weder von ihnen verlangt, noch heißt Er eine solche Handlungsweise in Seinem Worte gut. Und wenn Er sie nicht dazu bevollmächtigt hat, womit anders haben wir es dann zu tun als mit einer parteilichen und willkürlichen Einschränkung, wodurch sie nicht nur „das Gemeine“, sondern auch „das Köstliche“ abweisen, wenn diese sich ihrem unautorisierten Kurs nicht anpassen, ob sie ihn nun für richtig halten oder nicht?
Das läuft unmittelbar auf Zwang und Demoralisierung hinaus; denn man trachtet nicht nach Überzeugung aufgrund der Schrift, sondern, wo eine solche Überzeugung nicht vorhanden ist, nach blinder Unterwerfung, oftmals widerwilligem und unglücklichem bloßem Nachgeben, nach einem Schein von Gemeinschaft, die aber nicht mehr lebendig ist, sondern tot. Denn der Geist, den wir empfangen haben, ist mit Sicherheit kein Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit; und in keiner Weise heißt Er etwas gut, das einen solch formellen Charakter trägt und durch menschlichen Druck oder Einfluß zustande gekommen ist. Die Folgen sind furchtbar: eine Vorrangstellung der unbesonnenen und ungestümen Geister, die nun mehr denn je die Zügel in der Hand halten; diejenigen, denen es nicht darum geht vorzustehen, es sei denn in der Furcht des Herrn und durch Sein Wort, werden vergleichsweise aus ihrer rechten und durch die Gnade verliehenen Stellung zurückgedrängt; Zerstörung moralischer Grundsätze bei denen (und es sind sehr viele), die ihre Mißbilligung der Bewegung im ganzen wie im einzelnen dadurch zu beschwichtigen suchen, daß sie sich entweder an Führer hängen oder zu der größeren Anzahl halten, was sie dann törichterweise als Einheit bezeichnen. Protestiere, sagen einige, aber bleibe in diesem Kreis; d. h., protestiere, aber nur mit Worten! Wir waren bisher gewohnt, diese Haltung als die schmerzliche Kompromißbereitschaft evangelischer Christen zu betrachten, die ihre kirchliche Stellung lieben. Doch sehen wir dieselbe Einstellung nun nicht auch dort, wo sie nicht gefunden werden sollte? Das ist alles andere als Wahrheit und Recht ‑ und das soll Einheit sein!
Es handelt sich um nichts Geringeres als um den Unterschied zwischen Wahrheit und Irrtum ‑ einerseits Übereinstimmung mit der Einheit des Geistes zur Verherrlichung Christi, wie sie in Heiligkeit und Gnade gemäß Seinem Wort verwirklicht wird; andererseits ein selbstbetrügerischer und irreführender Mißbrauch des Wortes „Einheit“ zur Errichtung einer auf gewaltsame Trennung ausgerichteten Partei, die sich weigert, das Böse durch Demütigung und Gebet aufzuhalten und es für überflüssig erklärt, ihre Forderungen oder deren Rechtfertigung aus der Schrift zu begründen.
Kein einsichtsvoller Gläubiger wird um ein ausdrückliches Gebot bitten, wie es ein Jude tun würde. Niemand erwartet, daß die Schrift einen modernen Ort oder eine aktuelle Begebenheit mit Namen nennt. Wer so redet, als ob wir irgend etwas dergleichen suchten, macht Ausflüchte und verurteilt sich selbst noch mehr. Wo aber ist der schriftgemäße Grundsatz dafür, eine örtliche Meinungsverschiedenheit zum Keil für eine universale Trennung zu machen? Wenn eine Frage aufkommt, die als Strafe eine weltweite Zerstreuung der Gläubigen zur Folge hat, müssen alle, die die Kirche lieben, sicher sein, daß die Prüfung von Gott und gemäß Seinem Wort kommt. Das ist unbestreitbar.
Einige von uns erinnern sich an eine mehr als dreißig Jahre zurückliegende Prüfung. Aber damals ging es darum, ob wir aus einem wahren oder falschen Christus eine neutrale Frage machen wollten. Das wiesen wir mit Abscheu zurück. Damals hing eine große Gruppe von Gläubigen ihren Führern an, die das Urteil der Versammlung, in der das Böse auftrat, ignorierten und die bekannten Parteigänger eines erwiesenermaßen antichristlichen Lehrers hineinließen; die betreffenden Gläubigen leugneten ausdrücklich ihre Verantwortlichkeit, das Böse mit allem Ernst auch ihrerseits zu richten.
Diese Prüfung kam nicht von Menschen. Es handelte sich um ein ganz bestimmtes Gebot des Herrn. Gott selbst gebietet uns, jeden abzuweisen, der nicht die Lehre des Christus bringt (2. Joh.). Das geht weit über die Handlungsweise mit solchen hinaus, die in Unabhängigkeit handeln oder eine Sekte bilden. Kein kirchlicher Irrtum, wie schwerwiegend er auch sein mag, könnte eine solche Härte rechtfertigen. Doch die grundlegende Wahrheit über Christus verlangt sie. Das sind wir Ihm schuldig, der unser Herr ist, der für uns starb und dessen Herrlichkeit das Wort bewacht wie sonst keine Wahrheit. Niemals wären wir bevollmächtigt gewesen, so zu handeln, wie wir es 1848/49 taten, wenn nicht Christus gelästert worden wäre.( Kelly spielt hier auf die durch die Lehren Newtons hervorgerufene Bethesda Frage an, die letztlich zur Trennung von den „Offenen Brüdern“ führte Der Obersetzer.)

Menschliche Hindernisse für das Bewahren der Einheit des Geistes
Nun komme ich zu dem Hauptpunkt, den ich betonen möchte. Die Einheit des Geistes umfaßt nicht nur die einsichtigen, sondern auch die einfachsten Kinder Gottes. Sie hat den Leib Christi im Blick, und alle Glieder insbesondere; denn diejenigen, die dem Evangelium des Heils geglaubt haben, besitzen den Heiligen Geist in sich wohnend und sind Glieder Christi. Deshalb sind sie auch verantwortlich, in Übereinstimmung mit dieser Beziehung, in welche die Gnade sie alle versetzt hat, zu wandeln. Als Glieder des Leibes Christi sind sie gehalten, die Einheit des Geistes mit Fleiß zu bewahren. Es gibt Landeskirchen und Freikirchen, in denen sich viele, wenn nicht die meisten Kinder Gottes befinden; und weil diese Systeme beanspruchen, Kirchen zu sein, bringen sie den Gläubigen in große Verwirrung. Das Übel des Parteigeistes, das sich schon in den Anfangstagen des Christentums zeigte, wiederholt sich nicht lediglich, sondern hat sich nun noch erheblich verschlimmert. Dennoch würde die Gnade alle stärken, die wirklich den Willen Christi gemäß ihren wahren Beziehungen zu tun suchen. Der Mensch, und zwar der durch den Feind in den Vordergrund gedrängte Mensch, ist es, der Anstöße und Schwierigkeiten groß, ja scheinbar unüberwindlich macht, so daß die Kinder Gottes in Versuchung kommen können, die wahre Einheit preiszugeben. Jeder treue Knecht des Herrn hat danach zu trachten, wenn nicht diese Hindernisse zu beseitigen, so doch zumindest den Kindern Gottes bei ihrer Überwindung zu helfen. In einer Zeit zunehmender Verwirrung ist es das beständige Bemühen des Feindes, in die Irre zu leiten, zu täuschen und es als hoffnungslos erscheinen zu lassen, die Einheit des Geistes zu bewahren.
Wir haben uns daher zu prüfen, ob wir uns wirklich befleißigen, diese Einheit in Frieden zu bewahren. Zweifellos ist ein bestimmter innerer Zustand erforderlich, um das in rechter Weise tun zu können. Was Einsicht anbetrifft, so zweifle ich nicht daran, daß sie an ihrem Ort und zu ihrer Zeit sehr wichtig ist; aber das deutet der Apostel hier mit keinem Wort an. Was sagt er vielmehr?“ Mit aller Demut und Sanftmut, mit Langmut, einander ertragend in Liebe.“ Das sind die ausdrücklichen und angemessenen Eigenschaften, die der Apostel bei denen sucht, die die Einheit des Geistes bewahren wollen.
Und ist es nicht gut für uns, unseren Herzen die Frage zu stellen, ob unser Vertrauen auf das Wort des Apostels oder auf menschliche Theorien gerichtet ist? 0, möchten wir doch solche Wege der Gnade, wie Paulus sie beschreibt, bei uns selbst pflegen und auch anderen eindringlich vorstellen, damit wir alle würdig unserer Berufung wandeln! Können wir daran zweifeln, daß wir die Einheit nur in diesem Zustand bewahren können ‑ nicht in Hast oder Strenge, nicht in Ungeduld gegenüber anderen und Selbstvertrauen im Blick auf uns, sondern mit aller Demut und Sanftmut, mit Langmut, einander ertragend in Liebe? All dies war damals erforderlich; ist es heute, in unseren ungleich größeren Schwierigkeiten, weniger unerläßlich?
Damals gab es keine Verwirrung durch offene Rivalen, keine konkurrierenden Ansprüche, die Versammlung Gottes auf der Erde darzustellen. Das hauptsächliche Hindernis kam von innen. Heute gibt es sowohl diese als noch weitere Hindernisse. Stehe ich in Verbindung mit irgendeiner Gemeinschaft, die den einen Leib und den einen Geist mißachtet? Hänge ich irgendeiner Einrichtung an, die sich dieser Einheit systematisch widersetzt? Es handelt sich nicht lediglich darum, ob falsche Personen unversehens hereingekommen sind; das Verhängnisvolle besteht nicht darin, daß Böses eindringt, sondern darin, daß es bekannt ist und geduldet wird. Wieviel Böses fand nicht selbst in apostolischer Zeit Eingang in die Versammlung! Aber Gott erkennt eine Einheit solange als diejenige des Geistes an, wie der aufrichtige Wunsch vorhanden ist, das Böse in Abhängigkeit von dem Herrn und gemäß Seinem Wort draußen zu halten oder hinauszutun. Nicht das Eindringen, das Ausmaß oder selbst der Charakter des Bösen sind es, die die Versammlung zerstören, sondern seine beständige Duldung im Namen des Herrn, selbst wenn es bekannt ist.
Aber Gott wird in Seiner Versammlung niemals die Duldung von etwas wirklich Bösem gutheißen. Das Böse, welcher Art oder weichen Ausmaßes es auch sein mag, muß als etwas gerichtet werden, das mit der Gegenwart Dessen, der in der Versammlung wohnt, unvereinbar ist. Die Versammlung ist der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit ‑ wie könnte dann die Unwahrheit im Hause des lebendigen Gottes eine belanglose Sache sein? Christus ist die Wahrheit, und anerkannt groß ist das Geheimnis der Gottseligkeit. Deshalb kann die Kirche nichts dulden, was die Wahrheit von Christus untergräbt. Wo das Fest Christi als des Passahlamms gefeiert wird, muß aller Sauerteig abgewiesen werden. Ein wenig Sauerteig durchsäuert die ganze Masse; deshalb kann nichts dergleichen geduldet werden, sei es ein moralischer Sauerteig (wie in 1. Kor. 5) oder ein lehrmäßiger (wie in Gal. 5). Wenn jemand, der Bruder genannt wird, durch Verderben oder Gewalttätigkeit gekennzeichnet ist, durch einen Wandel also, der der Wahrheit, dem Charakter Christi und der Natur Gottes völlig entgegengesetzt ist, dann muß er aus Seiner Versammlung ausgeschlossen werden.

Geduld und Treue
Was ist nun zu tun, wenn wir Ansichten, Urteile und Grundsätze am Werk finden, die die Einheit des Geistes antasten, einengen und ihr so tatsächlich zuwiderhandeln? Was, wenn einige auf unschriftgemäße Tests drängen und auf diese Weise willentlich Seelen ausschließen, die mindestens ebenso gottesfürchtig sind wie sie selbst? Was, wenn das Gewissen vor Gott nicht respektiert wird, wenn es keinen Raum mehr gibt für Freiheit im Geist und Verantwortlichkeit gegenüber dem Herrn Jesus? Handelte es sich lediglich um die Meinung eines einzelnen oder auch mehrerer, an der man festhält, ohne sie anderen aufzuzwingen, bestände kein hinreichender Grund zum Widerstand. Es wäre zwar traurig, wenn man sehen müßte, daß Gläubige in der Gegenwart Christi und des Wortes, das lebendig ist und in Ewigkeit bleibt, ganz von ihren kleinlichen Theorien in Anspruch genommen sind. Doch normalerweise dürfte es genügen, diesbezüglich sein Bedauern auszudrücken und gegen das zu protestieren, was man unter Christen für ungeziemend hält; denn wir sind ebenso zu Frieden und Geduld wie zu Treue berufen. Wenn du in anderen etwas findest, das du nicht gutheißen kannst warnt die Schrift dich nicht im voraus genügend davor, und ermahnt sie dich nicht zu geduldigem Aufblick zum Herrn?
Obwohl die Kinder Gottes dazu berufen sind, sich an Christus zu erfreuen und Ihn darzustellen, erfordern sie gewöhnlich die Ausübung von Langmut und Gnade, so wie auch du selbst zweifellos in großem Maß die Geduld deiner Brüder übst. Es kann nicht ernsthaft erwartet werden, daß diejenigen, die die Kirche Gottes bilden, den Charakter einer Familie mit Vätern, Jünglingen und Kindlein ablegen sollten, um eine Armee unter Kriegsrecht nachzuahmen. Eine militärische Ordnung ist so weit wie nur irgend möglich von dem entfernt, was das geschriebene Wort der Kirche Gottes vorschreibt. Anstelle einer vorschriftsmäßigen Einheitsnorm herrscht in der Versammlung die größtmögliche Vielfalt vor ‑ es gibt Hohe und Geringe, Starke und Schwache und sogar Unehrbare (l. Kor. 12).
Die Schrift gibt uns den Maßstab, anhand dessen fremde Elemente, wenn sie hereinkommen, zu prüfen sind. Wie es vielerlei Böses gibt, das Fuß zu fassen versuchen mag, so gibt es deutliche Schriftstellen für jeden einzelnen Fall von persönlicher Zurechtweisung bis zu öffentlicher Bezeichnung oder letzten Endes dem Ausschluß. Von denen, die Zwietracht und Ärgernis anrichten, sollen wir uns abwenden; ein sektiererischer Mensch ist nach einer ein‑ und zweimaligen Zurechtweisung abzuweisen; von denen, die unordentlich wandeln, soll man sich zurückziehen; die da sündigen, sind vor allen zu überführen; die Bösen sollen hinausgetan werden. Bezeichnung und Zurechtweisung sollten nicht weniger ihre Anwendung finden als das extreme Urteil des Ausschlusses.
Ebenso ist es ohne Frage richtig, solche als draußenstehend zu erklären, die entweder weggegangen sind, indem sie willentlich jede Ermahnung abwiesen, oder die kühn die Versammlung verachten und verleugnen, indem sie ein anderes Zusammenkommen aufrichten und so aus Ermahnungen wenig mehr als eine bloße Formsache machen.
Mit Sicherheit sollte alles, was getan wird, in Übereinstimmung mit der klaren, positiven Belehrung des Wortes Gottes sein. Es ist die Sache des Herrn, zu befehlen ‑ die Kirche hat nur zu gehorchen. Ich gehe davon aus, daß ich zu Christen rede, die ebenso an die Genugsamkeit des geschriebenen Wortes glauben wie an die oberste Autorität Dessen, der es, um uns zu leiten, durch den Geist Gottes niederschreiben ließ. Entwicklung hat ihren Ursprung im Willen des Menschen und im Unglauben. Gott hat nichts übriggelassen, das hinzuzufügen wäre. Die Kirche befindet sich unter der Befehlsgewalt des Herrn. Wenn die Kirche jemand anerkennt, dann deshalb, weil der Herr ihn bereits aufgenommen hat; und wenn die Kirche jemand hinaustut, dann geschieht das ganz einfach deshalb, weil sie den Willen des Herrn tun möchte. Die Kirche hat keine unabhängige gesetzgeberische Gewalt, sondern ist dazu berufen, Seinem Wort zu glauben, es zu verkündigen und auszuführen. Folglich hat sie bei all diesen Dingen eingedenk zu sein, daß sie die Untergebene und Er der Herr ist. Er hat zu befehlen, sie zu gehorchen. Das ist ihre einzig richtige Stellung, ihr Vorrecht und ihre Pflicht. Sobald die Kirche einen über die Schrift hinausgehenden Test festlegt, nimmt sie die Stelle des Herrn ein und maßt sich Seine Autorität an, ja, im Grunde verleugnet sie diese. Das Ergebnis ist: Man ist von der Einheit des Geistes abgewichen und bildet so eine Sekte.
Obwohl die Apostel die erste Stelle innerhalb der Kirche einnahmen, waren gerade sie Vorbilder an Demut. Wer fiel mehr durch seine Geduld auf als derjenige, der in nichts den ausgezeichnetsten Aposteln nachstand, dem durch den Willen Gottes und kraft der Autorität des Herrn Jesus ein einzigartiger Platz gegeben worden war? Wie sehr sollte dann in unseren Tagen jeder wahre Knecht Christi Demut üben! Wenn jemand sich dünkt, ein Prophet zu sein oder geistlich, so erkenne er, daß das, was geschrieben steht, die Gebote des Herrn sind. Möge seine Unterwürfigkeit unter das Wort des Herrn beweisen, daß er wirklich von Ihm gesandt ist! Das ist heute von größter Bedeutung für unsere Seelen; denn ständig entstehen Gefahren und Verwirrungen, die die Gläubigen, wo immer sie sich befinden mögen, in Mitleidenschaft ziehen, und nicht zuletzt diejenigen, die zum Namen Christi hin versammelt sind.
Möge niemand denken, daß ich damit jene bewundernswerten Männer herabsetzen möchte, die der Herr in vergangenen Tagen benutzt hat! Laßt uns ungetrübte Hochachtung für solche Männer wie Luther, Calvin, Farel und Zwingli hegen, ohne die Schwachheiten eines jeden von ihnen zu übersehen. Es ist kindisch, Tyndale und Cranmer zu kritisieren, während man Melanchthon oder John Knox vergöttert. (Einige Namen könnten dem deutschen Leser weniger vertraut sein. Der Genfer Reformator Wilhelm Farel (1489‑1565) war ein enger Mitarbeiter Calvins. Erzbischof Thomas Cranmer von Canterbury (geb. 1489), ein theologischer Führer der evangelischen Partei in England, wurde 1556 verbrannt. William Tyndale (ca. 1492‑1536) veröffentlichte 1526 eine englische Übersetzung des Neuen Testamentes; auch er starb als Märtyrer. John Knox (1505‑1572) war der Führer der schottischen Calvinisten. Der Übersetzer.) Sie alle waren von gleichen Gemütsbewegungen wie wir; und wer ihr Leben und Werk studieren will, der braucht nicht lange nach hinreichendem Material zur Kritik zu suchen. Dasselbe gilt für Männer Gottes unserer Tage. Aber ist es von Christus, wenn man auf etwas lauert, das nicht von Christus sein könnte? Fehler kann man leicht entdecken; doch wir brauchen heute die Kraft des Geistes, um zwar nicht in den Überlieferungen unserer Vorgänger, aber in ihrem Glauben zu wandeln. Es hat wohl kaum eine Zeit gegeben, in welcher der Glaube unter denen, die ‑ wie man meinen sollte ‑ schon lange an ihn gewöhnt sein müßten, tiefer gesunken ist als in der gegenwärtigen Zeit. Sehr häufig findet man Gläubige, die über einen als völlig falsch erkannten Weg seufzen und dennoch um der Gemeinschaft und anderer Gründe willen auf ihm verharren. Wie oft haben solche gegenüber anderen auf dem alten Ausspruch bestanden: „Lasset ab vom Übeltun! Lernet Gutes tun!“ Zweifellos glauben sie, daß man so handeln sollte; doch warum befleißigen sie sich nicht, ihrem Glauben die Tugend hinzuzufügen? Haben sie alles Vertrauen auf Christus und allen Mut für Ihn verloren? Ich rede von dem, was augenblicklich zu unserer gemeinsamen Beschämung überall in der Welt vor sich geht. Männer, die den Herrn schon lange gekannt haben und die zeitweise nicht wenig um der Wahrheit willen gelitten haben, sind bisweilen von einer Kompromißbereitschaft gekennzeichnet, die man selbst bei soeben wiedergeborenen Kindern Gottes kaum erwarten würde.( ‚ Kelly spricht hier von den Folgen der Ereignisse, die sich 1878‑81 in den Versammlungen in England zutrugen. Der Übersetzer.)

Unsere dringende Pflicht die Einheit des Geistes zu bewahren
Liebe Freunde, es ist von größter Bedeutung, daß wir unsere Wege daraufhin prüfen, ob wir uns selbst betrügen oder in Tat und in Wahrheit die Einheit des Geistes bewahren. Setzt dieser Verpflichtung nicht die Tatsache entgegen, daß die Kirche nun ein Trümmerhaufen ist! Die Frage ist doch: Müssen wir nicht allezeit gehorsam sein? Es geht nicht darum, wie viele oder wie wenige Glieder Christi gemäß dem Wort des Herrn zusammen handeln. Erkennen wir für uns selbst die Verpflichtung an, treu sein zu müssen? Die Einheit des Geistes mit Fleiß zu bewahren, ist eine beständige Verantwortlichkeit der Kinder Gottes, solange sie sich auf der Erde befinden. Der Heilige Geist bleibt bei uns in Ewigkeit. Es ist daher immer unsere oberste Verpflichtung, die durch Ihn geschaffene Einheit zu bewahren.
Verdeutlichen wir das Gesagte an einem praktischen Beispiel. In diesem Raum ist eine Gruppe von Gliedern des Leibes Christi versammelt, die weder den breiten Weg des Landeskirchentums noch den schmalen Pfad der Sektiererei dulden können. Sie möchten vor allen Dingen so zusammengehen, daß sie dem Herrn Jesus gefallen. Was muß nun ihr Standpunkt sein? Welche kirchliche Stellung sollten sie einnehmen, wenn sie mit geistlichem Verständnis und in Treue handeln wollen? Falls es in dieser Stadt bereits solche gibt, die auf dem Boden des einen Leibes zusammenkommen, dann darf man sie nicht übergehen. Es wäre Unabhängigkeit, nicht die Einheit des Geistes, auf eine solche Versammlung keine Rücksicht zu nehmen.
Ferner: Ein Glied des Leibes Christi, das nach Gemeinschaft sucht, würde und sollte fragen, ob und wo Gläubige zu Seinem Namen hin versammelt sind. Nehmen wir an, er findet heraus, daß einige in diesem Raum zusammenkommen, und er möchte gerne mit ihnen auf demselben gesegneten Boden Christi sein. Wenn diese nun das Bekenntnis seines Glaubens prüfen, dann geschieht das nicht aus Mangel an Liebe zu ihm, sondern aus Sorge um die Herrlichkeit Christi. Sie nehmen ihn nicht lediglich deshalb auf, weil er sagt, er sei ein Glied des Leibes Christi. Wenn sie ihn nicht persönlich kennen, verlangen sie vielmehr ein angemessenes Zeugnis. Niemand sollte aufgrund seiner eigenen bloßen Worte als Gläubiger
anerkannt werden; das war anfangs selbst bei dem Apostel Paulus nicht der Fall. Gott trug Sorge, ihm ein außerordentliches Zeugnis durch einen gewissen Jünger mit Namen Ananias auszustellen, der ein frommer Mann nach dem Gesetz war und ein gutes Zeugnis von allen in Damaskus wohnenden Juden hatte. Auf ähnliche Weise wurde er später durch Barnabas in Jerusalem eingeführt. Das Wort ist also einerseits so deutlich und die Gefahr andererseits so groß, daß kein Gläubiger, der mit aufrichtigem Herzen und Gewissen vor Gott hierüber nachdenkt, wünschen wird, lediglich aufgrund seiner eigenen Worte zugelassen zu werden. Auch aufrichtige Seelen können sich selbst täuschen; wenn du oder ich nun auf solche Weise zugelassen werden sollten, wo würde das enden?
Nehmen wir wiederum an, ein Christ würde vor die betreffende Gruppe von Gläubigen gebracht und möchte mit ihnen zum Gedächtnis des Herrn das Brot brechen. Vielleicht gehört er einer sog. Landeskirche oder einer freikirchlichen Gemeinschaft an. Aber er ist als ein Kind Gottes bekannt, das in Übereinstimmung mit dem Maß an Licht, das es besitzt, wandelt. Was ist nun zu tun? Dieses Glied Christi außer aufgrund ausdrücklich bekannter Sünde abzuweisen, würde nicht nur eine Schmähung des betreffenden Gläubigen sondern auch des Herrn Selbst bedeuten. Wir würden damit unseren Anspruch und den wahren Mittelpunkt des Zusammenkommens verleugnen. Wenn es durch ein gottesfürchtiges Leben bezeugt ist, daß jemand ein Glied Christi ist, dann ist das der ausreichende und allein richtige Boden, auf dem ein Christ um Zulassung bitten sollte. Selbst wenn jemand alle Geheimnisse wüßte und alle Erkenntnis besäße, und hätte er auch allen Glauben, so daß er Berge versetzte ‑ er sollte sich dennoch allein auf den Namen des Herrn berufen.
Schriftgemäße Gründe für einen Ausschluß
Gibt es denn keine Ausnahmen? Kann es nicht stichhaltige Gründe dafür geben, selbst einem anerkannten Glied des Leibes Christi die Aufnahme zu verweigern? Gewiß gibt es, wie die Schrift zeigt, solche Gründe. Der Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit darf nicht geduldet werden (l. Kor. 5); der Sauerteig grundlegender Irrlehre ist noch schlimmer (Gal 5). In solchen Fällen heißt es: „Feget den alten Sauerteig aus, auf daß ihr eine neue Masse sein möget.“ Hier errichtet das Wort Gottes unzweideutige Grenzen, wie es dem Herrn Jesus gebührt. Wenn jemand, der Bruder genannt wird, in seinen Taten oder Worten, in seinem Wandel oder in seiner offen zutage tretenden Gesinnung unrein ist, dann wird uns geboten, mit einem solchen selbst nicht zu essen. Und es wäre eine noch weit schwerwiegendere Sünde, wenn jemand nicht die Lehre des Christus brächte oder sogar das ewige Gericht der Verlorenen leugnete. Mit Sicherheit wird Gott niemals dulden, daß das Bekenntnis des Namens Christi gleichsam zur Eintrittskarte für den wird, der Christus verunehrt. Hier, und hier am meisten, ist der Heilige Geist eifersüchtig, wenn in der Tat das Wort Gottes unsere Richtschnur sein soll.
Zweifellos ist jede Wahrheit an ihrer Stelle und zu ihrer Zeit wichtig; aber es ist schlimmer als bloße Unkenntnis, wenn man den Leib auf dieselbe Ebene stellt wie das Haupt. Ein kirchlicher Irrtum, selbst wenn er ein wirklicher und schwerwiegender Irrtum ist, kommt niemals der Leugnung der Lehre des Christus gleich. Bedenken wir nur, wie ernst uns der Apostel der Liebe, der Älteste, ermahnt, in einem solchen Fall auf der Hut zu sein! Selbst nicht im privaten Bereich ‑ und noch viel weniger öffentlich ‑ sind wir frei, die aufzunehmen, die nicht die Lehre des Christus bringen. Wir sind unzweideutig verpflichtet, nicht nur Irrlehre im allgemeinen nicht zu dulden, sondern im besonderen alles abzuweisen, was eine Lüge gegen Christus ist, und auch diejenigen, die solche Irrlehrer aufnehmen, als Teilhaber an deren bösen Werken zu behandeln. Aber wir sind nicht berechtigt, die Kirche und Christus gleichzusetzen, wie es die Katholiken tun, oder einen kirchlichen Irrtum der Sünde gegen die Person Christi zur Seite zu stellen. Das wäre nicht Glaube, sondern Fanatismus. Was sollen wir von solchen denken, die diesen Unsinn als Wahrheit betrachten und verbreiten?
Indem wir die Einheit des Geistes bewahren, müssen wir gleichwohl die schriftgemäße Verantwortung akzeptieren, Sauerteig hinauszufegen. Weil diese Verpflichtung, wenn die Person Christi zur Frage steht, unmittelbar und zwingend ist, schreibt der Geist Gottes, wie wir gesehen haben, direkt an eine auserwählte Frau und deren Kinder. Als wir vor Jahren mit solch einem Fall zu tun hatten, kam uns dieser Brief des Johannes sehr zustatten. Eine Gläubige entschuldigte sich damit, daß sie doch bloß eine Schwester und nicht verantwortlich sei, dieses oder jenes zu tun. Aber sofort wurde sie daran erinnert, daß der Heilige Geist nicht an eine Versammlung, selbst nicht an Timotheus oder Titus schrieb, sondern an eine Frau und ihre Kinder, indem Er so auf ihrer persönlichen und unausweichlichen Verantwortung bestand. Wir können sicher sein, daß der Geist Gottes nicht ohne dringendste Notwendigkeit auf diese Weise einen Brief an eine Frau und ihre Kinder inspiriert hätte. Es ging darum, gerade solchen Ausflüchten zu begegnen, mit denen man sich zu jeder Zeit um seine Verpflichtungen gegenüber Christus herumdrücken möchte.
Alle wissen, daß Frauen in Gefahr stehen, sich hinsichtlich ihrer Zuneigung zu irren, da sie naturgemäß dazu veranlagt sind, mehr gefühlsmäßig als nach ruhiger Beurteilung zu handeln. Das Wort Gottes trägt dem Rechnung, indem es sie zur Unterwürfigkeit ermahnt (l. Tim. 2.) und ihnen die spezielle Warnung des 2. Johannesbriefes gibt. Es mag sein, daß die Wahrheit nicht immer erfreulich ist, aber sie ist immer heilsam und gut. Was man daher den Seelen eindringlich vorstellen sollte, ist nur die Wahrheit, und das sollten wir willkommen heißen. Wir sind verpflichtet, darauf zu achten, daß die Kirche Gottes nicht zum Deckmantel irgendeines bekannten Bösen wird; und vor allem dürfen wir nichts wissentlich dulden oder bemänteln, was die Herrlichkeit Christi befleckt.
Laßt uns verschiedene Dinge auch unterscheiden. Trotz vieler und schwerwiegender Schattenseiten hatte die Anglikanische Kirche zu Beginn doch ein heiliges Ziel, da sie einem abscheulichen und immer stärker werdenden Betrug den Rücken zukehrte. Obwohl sie besonders durch den König bei ihrer Reinigung von manchem fest eingewurzelten Aberglauben stark behindert wurde, wandte sie sich aufrichtig gegen alles, was als böse bekannt war. Aber nachher kam es zu Rückschritten, bis schließlich ihre zu Prüfsteinen gemachten rituellen Vorschriften viele fromme Freikirchler hinaustrieben. Letztere hatten also einen moralisch anerkennenswerten und gottesfürchtigen Ursprung; denn es bedeutete in jenen Tagen keinen geringen Kampf, ein gutes Gewissen zu bewahren und sich denen zu widersetzen, die sie in einen bloßen Formalismus herabziehen wollten. Von der Bewegung um Wesley und Whitfield brauche ich hier nicht eigens zu reden, da diese hauptsächlich einen missionarischen und nicht kirchlichen
Charakter trug. Wir wissen ferner, wie mächtig Gott später wirkte, als Er vor fünfzig Jahren bei Seinen Kindern ein Empfinden dafür weckte, wie sehr sie von dem ursprünglichen Boden, nämlich die Einheit des Geistes zu bewahren, abgewichen waren. In jenen Tagen war es keine geringe Sache zu erkennen, daß die Gegenwart des Heiligen Geistes auf der Erde und folglich der Leib Christi Realitäten sind. Wenn wir Glieder dieses Leibes sind, ist es daher unsere unausweichliche Pflicht, jene Einheit in ihrem wahren Charakter zu bewahren, wobei wir uns den Bedingungen zu unterwerfen haben, die der Herr in Seinem Wort niedergelegt hat ‑ und keinen anderen. Der Geist hat diese Einheit geschaffen, eine Einheit, die alle Glieder des Leibes Christi umfaßt; in der Praxis sollten nur diejenigen davon ausgenommen sein, die aufgrund einer schriftgemäßen Zucht abgewiesen werden müssen.
Es mag von allgemeinem Interesse sein zu erfahren, daß das keineswegs unwichtigste Zeugnis, das je zu diesem bedeutenden Thema gegeben worden ist, im Jahre 1828 geschrieben wurde („Considerations on the Nature and Unity of the Church of Christ“).‘ Der springende Punkt in dieser Schrift war zu zeigen, wie unmöglich es für Gläubige ist, die den Herrn ehren möchten, mit der Welt zusammenzugehen, anstatt in jener Einheit zu wandeln (und seien es nur zwei oder drei), die von Gott ist. Es wurde ferner gezeigt, daß das Band, das die Benennungen zusammenhält, nicht in ihrer Einheit, sondern tatsächlich in ihren Unterschieden besteht, daß dies also auf keinen Fall die Gemeinschaft der Kirche Gottes ist, die ‑ wie es jede wahre Versammlung tut und tun muß ‑ alle Kinder Gottes im Blick hat. Diejenigen, die das Laxheit nennen, kennen nichts vom göttlichen Boden des Zusammenkommens und sind unversehens zu einer Sekte abgeglitten.
Gnade und Freiheit
Tatsache ist, daß wir geneigt sind, unsere eigenen Anfänge und die gnädige Handlungsweise des Herrn mit uns zu vergessen, als wir unsererseits zuerst das Brot brachen und dabei vielleicht so wenig wie nur irgend jemand verstanden. Wieviele Brüder, die jetzt unter denen, die in Gemeinschaft sind, zu den gefestigsten und einsichtsvollsten zählen, sahen damals, als sie im Namen des Herrn sofortigen Zugang zu Seinem Mahl fanden, nur sehr unklar ‑ und zwar nicht lediglich im Blick auf die Kirche, sondern sogar hinsichtlich des Evangeliums des Heils und der geoffenbarten Wahrheit im allgemeinen! Sie hatten noch überhaupt keine Klarheit über ihren zukünftigen Weg. Trotzdem fühlten sie sich von der Gnade, die sie als Brüder begrüßte, angezogen und hatten Freude an dem einfachen Glauben, der sich vor dem Wort des Herrn in einer Weise und einem Maße beugte, die ihre bisherigen Erfahrungen übertrafen. Wie unweise und ungeziemend ist es dann, wenn diese Männer nun von ihren Brüdern eine Erkenntnis verlangen, die weit über das Maß ihrer eigenen Anfangszeit hinausgeht! Sie verhindern so, daß Seelen in der Versammlung an einen Bergungsort gebracht und auf den Weg des Gehorsams gestellt werden, auf dem der Geist in die ganze Wahrheit leitet. Wenn jemand auf diese Weise heranwächst und weitergeführt wird, dann wird er den Katholizismus oder die Benennungen anhand des Wortes richten und sie als unbefriedigend und abstoßend empfinden, da sie offensichtlich von Menschen und nicht von Gott sind. Was verleiht diese neuen und festen Überzeugungen? Weder Einfluß noch Vorurteil, weder Argumente noch Phantasie, sondern die Wahrheit, wenn sie in der Kraft des Geistes Gottes recht gewürdigt wird.
Sollen wir denn mit der Wahrheit Gottes leichtfertig umgehen? Nein, aber es handelt sich um den Weg des Herrn mit denen, die Sein sind und noch zu lernen haben. Soll das in Freiheit oder in Knechtschaft geschehen? Zweifellos sollte jeder Christ die Einheit des Geistes bewahren, sich zum Namen des Herrn hin und zu keinem anderen Namen versammeln. Ein Gläubiger kann nicht rechtmäßig zwei Gemeinschaften angehören. Ist nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi grundsätzlich exklusiv? Folge mit deinem ganzen Herzen dem Herrn Jesus nach, erkenne den einen Leib und den einen Geist an und nimm jedes gottesfürchtige Glied Christi in Seinem Namen auf. Das ist weder Laxheit noch Sektiererei. Wie das Wort Gottes klar bezeugt, ist die Gegenwart des Geistes etwas Bleibendes. Und wie Er bleibt, so bleibt auch die durch Ihn geschaffene Einheit. Diejenigen, die den Heiligen Geist empfangen haben, sind verpflichtet, in dieser Einheit und in keiner anderen ‑ zu wandeln. Sie, sind durch den Herrn zusammengefügt, Glieder der Versammlung, die Gott für sich Selbst in dieser Welt gebildet hat; und ich bestreite, daß irgend jemand das Recht hat, eine damit rivalisierende Einheit aufzurichten oder sie durch eine andere zu ersetzen. Wenn ihr den Geist Christi habt, gehört ihr bereits zu Seinem Leib und seid damit berufen, diese Einheit unter Ausschließung jeder anderen zu verwirklichen.
Wir haben es also nicht mit einer willkürlichen Vereinigung zu tun. Es geht weder darum, etwas Besseres als eine Landeskirche oder Freikirche aufzubauen, noch um die Bildung einer Allianz, die die bestehenden Einrichtungen des orthodoxen Protestantismus nur scheinbar rechtfertigt, in Wirklichkeit aber verurteilt. Die Wahrheit ist vielmehr, daß Gott all solchen Versuchen zuvor Selbst Seine Kirche auf der Erde gebildet hat. Solche, die Seinen Geist haben, sind dadurch zu Gliedern dieser Kirche geworden und deshalb verantwortlich, demgemäß zu handeln. In der Kirche Gottes können böse Lehre oder Praxis nicht geduldet werden, falls wir uns unter die Schrift beugen. Jeder Christ ist verpflichtet, Unwahrheit und Unheiligkeit zurückzuweisen, und das sowohl gemeinschaftlich als auch persönlich. Der Verfall der Kirche schränkt uns nämlich nicht auf einen rein persönlichen Bereich ein. Wenn wir auch nach Gerechtigk