Nur ein Kuß?
Nun ist sicherlich die liebe kein Experimentierfeld, das man in eigener Verantwortung bewältigen könnte. Sie stellt uns immer in die Verantwortung vor Gott. Wie leicht kann man da Grenzen überschreiten, die vielleicht nicht uns, aber den anderen in Gefahr bringen!
Ich denke da an eine Begebenheit, die mir einmal zur Schuld wurde und die ich dem Leser, ohne mich zu schonen, berichten möchte.
Während meines Studiums in Münster hatten wir an einem Abend in derDCSY eine gemütliche Zusammenkunft, nach der mich eine Studentin, die in einem Vorort von Münster wohnte, um meine Begleitung bat. Selbstverständlich erfüllte ich diese Bitte.
Während wir uns zwanglos unterhielten und sie sich für meine Begleitung bedankte, sagte ich übermütig:
»Nichts ist umsonst! Auch diese Begleitung kostet Sie etwas.«
Sie meinte, die Kosten würden wohl zu ertragen sein, aber in mir steckte der Lausejunge und vielleicht auch ein leichter Zug zum Abenteuer. Jedenfalls holte ich mir, als wir uns die Hand zum Abschied gaben, unversehens einen Kuß. Wir gingen lachend auseinander, und ich haue beileibe keinen bösen Gedanken dabei.
Viele Jahre später stand ich als Evangelist im Zelt der Deutschen Zeltmission auf dem Hohenzollemplatz in Köln. Das Zelt war, übervoll, und die Seelsorge nahm mich voll in Anspruch. Als ich wieder daheim war, fand ich unter der Post einen Brief, der mich erschrecken ließ. Ich las:
»In der letzten Woche saß ich jeden Abend unter Ihrem Wort. Die Botschaft traf mich, weil ich nicht daran zweifle, daß Sie ein ehrlicher Zeuge sind. In den letzten Tagen dachte ich daran, zu Ihnen in die Seelsorge zu gehen, aber ich hatte nicht den Mut, denn ich bin das Mädchen, das Sie damals vor der Haustür in Münster geküßt haben. Die Sache war natürlich harmlos. Und doch haue sie Folgen. Ich lebe in einer Ehe, die unglücklich ist. Vier Kinder machen mir große Sorgen. Gern hätte ich Ihren Rat gehabt, aber
ich bin nicht gekommen, weil ich den Kuß damals nicht vergessen kann.«
Was uns damals als harmloses Abenteuer vorgekommen war, war der Frau nun zur Gefahr geworden. Wie schwer mußte es ihr gefallen sein, auf die Seelsbrge zu verzichten. Ich habe ihr einen bußfertigen Brief geschrieben, und die Sache ist vor dem Herrn beglichen worden. Wie gut, daß dies möglich ist.
Bindung in der Freiheit
Wir Christen sind gewiß keine Gesetzesleute. Wenn das Gesetz erkaltend wirkt, hat es oft seinen Sinn verloren. Sicherlich ist ein
gewisser Teil des Pietismus dieser Gefahr oft erlegen. Es gehört für alle Glaubensväter und -mütter zu der großen Weisheit der rechten Ausrichtung und Erziehung, die Maßstäbe von Freiheit und Gesetz richtig zu setzen.
Es ist nicht richtig, wenn Kinder gläubiger Eltern nur Verbotsschilder sehen oder in Verklemmungen und unterschwelligen Ängsten leben. Wir dürfen nicht bedrückend wirken, sondern befreiend. Aber diese Freiheit ist gebunden an den, der in seiner Wahrheit allein frei macht.
Es kommt in unseren Jugendfreizeiten hier und davor, daß ein Junge mich plötzlich fragt, was er denn machen solle, er habe sich verliebt In solchen Augenblicken rede ich väterlich mit dem Jungen, gebe Freiheit in der Begrenzung und rate zu einem Spaziergang. Wird die Bindung stärker, dann ist selbstverständlich auch Gefahr im Verzug, es kommt vor, daß mir so ein junger Freund sagt: »Wenn ich das Mädchen in der Bibelstunde sehe, kann ich nicht mehr an Gottes Wort denken. « Wenn so der eigene Traum den Heiligen Geist ausklammert, ist es Pflicht, in der Seelsorge zu ermahnen: Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen (Matt. 6, 33) - auch der von Gott zur Freude und Hilfe geschenkte Partner.