Des Pfarrers Kinder, Lenk Margarete

03/17/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

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Ein Schreckenstag
Eine ernste Mahnung des Vaters erinnerte Gundel am andern Morgen an ihren guten Vorsatz, und sie hielt ihn wirklich eine ganze Woche lang. Ursula machte ihr's auch leicht, denn sie war milder gestimmt durch des Kindes Abbitte.
Eines Morgens waren Gretchen und Hans schon sehr früh - aufgestanden. Der Vater mußte heute in ein entferntes Nachbardorf gehen, das zu seinem Kirchspiel gehörte, und sie wußten, daß ihm die Morgensuppe nicht schmeckte, wenn er sie ganz allein aß. 

»Ihr dürft mich ein wenig begleiten, Kinder«, sagte er freundlich, und die drei schritten rüstig am Kirchhof vorüber. »Laßt uns eintreten und der Mutter Grab besuchen«, sagte der Vater. Als sie nun an dem grünen Hügel ein kurzes Gebet gesprochen hatten, wie sie stets zu tun pflegten, begann der Pfarrer mit ernster, fast feierlicher Stimme:
>Meine Kinder, ich hab' euch heute mit hierher genommen, damit meine Worte um so tiefer in eure Herzen dringen. Mir ist gar so weh, als müßt' ich bald von euch scheiden.«
»Ach, liebster Vater, bist du krank?« rief Gretchen erschrocken. »Komm doch wieder heim und leg' dich aufs Ruhebett, daß ich dich pflege.«
»Und ich will nach der Stadt laufen zum Doktor Fabius, und dir den stärkenden Trank holen, der -dir schon so oft wohlgetan«, sagte Hans.

»Nein, meine Lieben, ich bin nicht krank. Aber meine Sehnsucht nach der Entschlafenen ist groß, und Gottes Stimme in meinem Herzen mahnt mich an mein eigenes Ende. Ihr wart mir fromme, gehorsame Kinder und habt den Weg zur Seligkeit wohl gelernt aus Gottes Wort. Laßt euch ja nicht, weder durch Lust noch Leid, von der reinen Lehre des Evangeliums abwenden, die uns Dr. Luther wiedergebracht hat. Nehmt euch auch eurer Geschwister an und sucht sie auf dem rechten Weg zu
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erhalten. Besonders habt Geduld mit Gundel! Ihr Leichtsinn macht mir große Sorge; aber ihr Herz ist weich und läßt sich durch Liebe leiten. Solltet ihr aber in diesen bösen, gefährlichen Zeiten voneinander getrennt werden, meine Kinder, sobe-tet fleißig füreinander, daß wir uns einst alle im Himmel wie-derfinden. Und nun geht heim in Frieden und betrübt euch nicht über meine Worte. Meine Zeit steht in Gottes Händen; aber es drängte mich, heute so zu euch zu sprechen.«


Unter Tränen küßten die Kinder des Vaters Hand, versprachen ihm treulich zu folgen und wandten sieh heimwärts. Noch einmal sahen sie sich nach ihm um. Da stand er auf der Anhöhe und schaute über das friedliche Tal, als könne er sich nicht von dem Anblick trennen.
Vor dem Hoftor sprangen ihnen die Geschwister fröhlich entgegen; Gundel trug eine große, in verblichene Seide und Spitzen gekleidete Puppe im Arm; es war ihr größter Schatz, ein Geschenk ihrer Patin.
»0, heute ist's schön draußen«, rief sie, »heute möcht' ich in den Wald mit meiner Rosamunde!«
»So geh' mit mir, wenn es Ursel erlaubt«, sagte Hans. »Ich soll heute das Gras mähen auf unserer kleinen Waldwiese. Wir nehmen die Kuh mit und bleiben den ganzen Tag draußen.«
»0, das ist schön!« rief Gundel. »Ursel ist heute so verdrießlich, sie hat Kopfschmerzen; da mag ich nicht bei ihr bleiben. Komm auch mit, Martin!«
»Ich bleib' bei meiner Gretel; wir müssen heut' den Garten ganz rein machen von Unkraut, da freut sich der Vater, wenn er heimkommt.« Damit sprang er der Schwester nach, die mit Hacke und Rechen dem Garten zuschritt, der hinter dem Hause lag und sich fast bis zum Waldesrand erstreckte.
Hans führte die Kuh aus dem Stall, holte den Karren aus der Scheune und sagte freundlich:
»Setz' dich drauf mit Rosamunde; solang es bergab geht, will ich euch fahren.«


Aber da kam Ursel aus der Küche, um ihm die Hirtentasche mit Brot und Käse zu füllen. Sie hatte ein Tuch um den Kopf gebunden und sah wirklich recht mißmutig aus.
»Was soll denn das?« fragte sie. »Das Mädel bleibt daheim! Ich will des Vaters Stübchen gründlich rein machen; da muß es mir helfen. «
»Immer kommst du dazwischen, wenn man sich auf was freut«, rief Gundel zurück. »Ich bin die ganze Woche so fleißig gewesen; heut' will ich mit in den Wald.«
»Du kannst nachmittags 'rauslaufen; weißt ja den Weg. Erst mußt du mir helfen.«
»Ich will aber jetzt mit; bei dir bleib' ich nicht, du zankst heute immer.« Damit setzte sie sich behaglich auf dem Karren zurecht und nahm die Puppe auf den Schoß.
»Aber Gundel«, mahnte Hans, »bleib' doch da und hilf der Ursel! 's ist ja für den Vater; du hast ihn doch so lieb.«


»Lieb hab' ich ihn, aber in seinem dumpfen Stübchen mag ich nicht herumkratzen; das kann Grete! tun. Fahr' zu, Hans, mach' schnell!«
Aber schon hatte die Alte den Arm des Mädchens erfaßt, um es herabzuziehen. In dem lebhaften Kampf, der nun entstand, glitt Rosamunde von Gundels Schoß, schlug auf einen Stein, und ihr Kopf sprang in Stücke. Nun war es ganz aus mit Gun-dels Fassung; sie sprang vom Karren, raffte ihr schwerverwun-detes Kind vom Boden auf und stürmte in höchstem Zorn auf Ursula ein. So böse Worte entfuhren dabei dem kleinen lieblichen Munde, daß sich Hans ganz entsetzt zwischen beide warf.
»Gundel, o schäme dich doch! 0, wenn das der Vater wüßte! Er war so traurig heute früh und ermahnte uns so herzlich. Ach Ursel, höre doch nicht auf sie, sie weiß nicht, was sie spricht; habe doch Geduld mit ihr!«
»Ja, Geduld! « rief die Alte. »Ihr werdet so lange Geduld haben, bis das Kind ganz verdorben ist. Pack' dich fort, Bub, und ärgere mich nicht auch noch; diesmal soll's ihr nicht ungestraft hingehen.«
Was konnte Hans tun, als traurig mit Karren und Kuh seines Weges ziehen? Ursula aber packte das unartige Kind fest beim Arme, zog es ins Haus und sperrte es nach heftigem Widerstand in die Wohnstube.
»Da bleibst du drin, bis der Vater heimkommt«, rief sie, die
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‚Für zuschließend und ging dann brummend hinauf, um ihre Arbeit zu verrichten.
Gundel war ganz außer sich und stieß laut weinend und schreiend gegen die Tür, bis ihr Blick von ungefähr auf Ursels Spinnrad fiel. Sauber war der glänzende Flachs mit einem blauen Band zusammengehalten, und der Faden, der sich um das Rad wand, war fein und gleichmäßig. Niemand durfte der Ursel an ihr Spinnrad rühren; sie hielt es gar so hoch und wert. Aber Gundel wußte kaum, was sie tat. »Sie hat meine Rosamunde verdorben; nun verderb' ich auch ihr Spinnrad«, rief sie aus, zerrte den fertigen Faden wieder und wieder und stampfte so heftig auf das Fußbrett, daß es zerbrach. Kaum aber war die Zerstörung vollendet, so kam auch die Reue. 

Was würde der Vater sagen zu dieser boshaften Tat? Wie wurde er trauern über die häßlichen Schimpfworte, die sein Kind ausgestoßen! Ja, diesmal würde er gewiß strafen und zwar recht streng. Diesen Gedanken konnte Gundel nicht ertragen. Sie versuchte das Spinnrad wieder instand zu setzen, aber es gelang ihr nicht; es war ganz und gar verdorben. »Ich laufe fort und verstecke mich«, sagte sie bei sich selbst. »Nimmer kann ich's ertragen, daß mich der Vater schlägt, nein, nimmer! Aber wo soll ich hin? Zu Gretel in den Garten? Nein; die wird sagen, ich soll Ursel um Verzeihung bitten und die Strafe geduldig leiden, aber das kann ich nicht. Jetzt weiß ich's! Ich spring' zum Fenster hinaus und lauf' zur Patin; die nimmt mich gewiß in Schutz.«


Die Patin war eine alte Edelfrau, die eine gute Stunde entfernt in einem Schlößchen wohnte, das ihr Witwensitz war. Von ihr hatte Gundel den vornehmen Namen erhalten; und bei den häufigen Besuchen, die sie im Schlößchen machen durfte, war ihr Eigenwille und ihre Eitelkeit sehr gestärkt worden. Es waren große Festtage für sie, wenn die ungefüge Kutsche der Patin vor dem Pfarrhofe hielt, um sie abzuholen ins Schloß, wo es viel schöner war als. zu Hause. Da gab es feine Wecken zu essen und süße eingemachte Früchte; da stand ein großes Puppenhaus mit vielen zierlich eingerichteten Zimmern, womit einst die Töchter der Patin gespielt hatten. Das Beste war aber eine ganze Truhe voll alter Spitzen, Bänder, Federn und Bor ten, womit sie sich nach Herzenslust schmücken durfte und manch Stücklein davon geschenkt bekam Auch fand die alte kränkliche Dame großes Wohlgefallen an dem hübschen, frischen Mädchen, lobte alles an ihm und sagte ihm viel mehr Schmeichelworte, als gut war. 

Damm sah der Pfarrer, seit Gundel älter wurde, diese Besuche nicht sehr gern; es waren Monate vergangen, seit sie zuletzt bei der Patin war. Jetzt aber erschien es ihr als einzige Zuflucht in der großen Angst und Not. Freilich, im Zwillichröckchen und den alten schiefgötrete-nen Schuhen durfte sie nicht zu ihr kommen, aber dort in der Truhe lag ja das hübsche grüne Kleidchen mit den geschlitzten Puffärmeln, das ihr die Patin selbst für diese Besuche geschenkt. Sie nahm es heraus und legte es mit Mühe an, ebenso die seidenen Strümpfe und die feinen, glänzenden Schuhe. Dann öffnete sie das Fenster und schaute hinaus. Schon oft war Hans im Spiel da hinunter gesprungen; es war nicht sehr hoch. Alles war still auf dem Hofe; niemand konnte ihre Flucht bemerken, denn aus des Vaters Stübchen sah man nach dem Garten zu. 

Der Sprung gelang, und flüchtigen Fußes lief das törichte Kind von dem trauten Vaterhaus fort, das es nie, nie wiedersehen sollte.
Unterdessen arbeitete Gretel fleißig im Garten; Martin aber ward es bald müde, das ausgeraufte Unkraut in den Korb zu sammeln. Er schwang sich auf eine Bohnenstange, nahm einen Holunderzweig als Spieß in die Hand und trabte lustig den Garten auf und nieder. Zwei Stunden mochten so vergangen sein, da kam der Kleine erschrocken auf die Schwester zu und rief:
»Gretel, Gretel, der Vater kommt wieder, quer übers Feld kommt er und sieht so anders aus; ich fürcht' mich vor ihm «
Das Mädchen fuhr empor, von jähem Schreck durchzuckt, denn es gedachte an des Vaters Worte auf dem Kirchhof. Ja, da kam er wirklich auf das hintere Gartentor zugelaufen, verstört, erhitzt und offenbar in höchster Aufregung.
»Fliehet, Kinder«, rief er schon von weitem. »Gretel, eile mit dem Kleinen in den Wald, in die Schlucht, die sie das Bärenloch nennen. Tillys Heerhaufen sind ins Land gefallen; schon bren-
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neu rings die Dörfer, auch das Nachbardorf steht in Flammen! 0, Gott erbarme sich unser! Wo sind Hans und Gundel?«
»Auf der Waldwiese mit der Kuh«, erwiderte Martin, der kaum begriff, um was es sich handelte.
Eben kamen einige Bauernburschen vorüber. Mit Sensen auf der Schulter wollten sie hinaus, um Gras zu mähen.
»Kehrt um«, rief ihnen der Pfarrer zu, »helft den Weibern und Kindern zur Flucht und rettet, was ihr könnt; Tillys Scharen sind im Anzug. Du aber, Niklas, tu' mir die Liebe und lauf' auf meine Waldwiese; dort sind Hans und Gundel. Führ' sie sicher über die Bergeshöhen ins Bärenloch; Gott lohn' es dir!«
Niklas eilte dem Walde zu, aber auf die Wiese kam er nimmer, und niemand hat wieder etwas von ihm gehört. Herumstreifende Soldaten werden ihn wohl gefangen fortgeführt haben.


»0 Vater«, stammelte Gretchen, »komm doch mit uns, daß sie dir nichts tun.«
»Wehe dem Hirten, der fliehet, wenn der Wolf kommt! Bei den Kranken und Schwachen, die nicht fliehen können, ist mein Platz. Nimm das Kind und lauf', und kehre nicht zurück, ehe einer der Männer euch holt.«
Zitternd, mit wankenden Knien, gehorchte das Mädchen. Da kam Ursula, die am offenen Fenster die Schreckenskunde nur halb gehört, totenbleich angelaufen.
»Ins Bärenloch, Ursel, so schnell ihr könnt«, rief der Pfarrer; »es ist eine wilde Bande, roh, betrunken und beutegierig.« Damit lief er mit Windeseile ins Dorf hinab.
Wunderbar schnell ging der Angstruf durch die friedlichen Hütten; Frauen und Kinder liefen dem Walde zu, alles im Stich lassend, nur einige schnell zusammengeraffte Nahrungsmittel tragend.
Ursula, die arme alte Magd, war vor Schreck fast gelähmt, und nur die Angst gab ihr Kräfte, den Kindern nachzueilen. Schon waren sie unter den schützenden Bäumen, da stand sie plötzlich still, fuhr mit der Hand über die Stirn und rief ganz außer sich: »Barmherziger Gott, das Gundel!« wandte sich um und lief, so schnell sie nur die Füße trugen, nach dem Hause zurück.


»Es ist ja mit Hans in den Wald!« rief ihr Gretchen nach. »Nein, o nein! Ich hab's eingesperrt; eile, Gretel, rette dich und den Herzensjungen.«
Seit vielen Jahren war Ursula nicht so gelaufen wie jetzt; und als sie endlich mit zitternder Hand den Schlüssel umdrehte und in die Stube trat, fiel sie völlig erschöpft auf den Fußboden nieder. »Gundel, Gundel, wo bist du?« rief sie angstvoll. »Ach, das arme Lamm ist in einem Winkel eingeschlafen. Gundel, wach' doch auf! 0, wie konnt' ich doch so hitzig sein gegen das Kind?« Als alles still blieb, raffte sie sich mühsam auf und durchsuchte das Zimmer, ohne das zerbrochene Spinnrad zu beachten. Alles war leer; das Fenster nach dem Hofe zu stand weit offen. »Vielleicht hat das Kind die Schreckensrufe gehört, ist hinausgesprungen und mit den andern geflohen. Klug und beherzt ist's ja. Aber was soll ich tun?

 Ich kann ja nicht mehr stehen; die Glieder versagen mir. Ach Gott, erbarme dich meiner!« Immer von neuem versuchte sie, das Haus zu verlassen, aber sie vermochte es nicht. Schreck und Anstrengung hatten ihre Kräfte ganz gelähmt; sie sank auf den Boden nieder. Jetzt schallte vom Dorf herauf wüster, wilder Lärm, näher kam es; zitternd hörte es die arme Alte. Bald aber wich die Furcht aus ihrem Herzen und machte stiller Ergebung Platz. Mühsam erhob sie sich auf die Knie, faltete die mageren Hände und betete mit lauter Stimme:
»0, Herre Gott, in meiner Not Ruf' ich zu dir, du hilfest mir; Mein' Leib und Seel' ich dir befehl' In deine Händ'; dein'n Engel send', Der mich bewahr', wenn ich hinfahr' Aus dieser Welt, wenn dir's gefällt! In Jesu Namen, Amen!«
»Pfaff, wo steckst du?« schrie eine rauhe Stimme im Hofe. »Heraus mit dem Geld, heraus mit dem Gold- und Silberplunder aus deiner Kirche!« Die Tür ward aufgerissen, und zwei struppige wilde Gesellen traten ein Sie trugen Lederwämse und
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breite Hüte mit weißen Schnüren, eiserne Arm- und Beinschienen und große Pistolen im Gürtel. Ihre langen Hellebarden stellten sie in die Ecke und fuhren die Kniende hart an:
»Heda, Alte, was liegst du da? Auf, und schaff' den Pfaffen her!«
»Ich weiß nicht, wo er ist«, war die ruhige Antwort.
»Dann gib das Geld 'raus, alles Geld! Schnell, eh' die andern kommen. Wenn's genug ist, tun wir dir nichts, aber mach' hurtig.«
»Es ist kein Geld mehr da«, versicherte Ursel; »dort im Wandschrajik steht ein Kästchen, darin ist alles, was wir haben.«.
Gierig rissen sie den Schrank auf.
»Was? Zwei Gulden und ein paar lumpige Groschen? Vergraben hast du's, alte Hexe; gib's her oder du bist des Todes!«
Während nun einer dieser Unholde die arme Alte würgte und mit Fäusten schlug, daß ihr die Sinne fast vergingen, und immer von neuem nach dem Versteck des Geldes fragte, stürzte der andere die Truhe um, durchwühlte die ärmlichen Kleider, steckte, was ihm gefiel, in einen Sack, zerriß und zerstampfte das andere. Halbtot ließen sie Ursel liegen und hausten ebenso in der Küche und im Studierstübchen, fanden aber nur wenig, was ihnen behagte. 

Der leere Stall reizte sie zu neuer Wut; eine Weile machten sie sich darin zu schaffen und eilten dann der Mühle zu, wo sie bessere Beute zu finden hofften. Da schlug plötzlich aus dem Strohdach des Stalles eine helle Flamme auf, die vom Winde dem Hause zugetrieben ward; in kurzer Zeit stand auch dieses in heller Glut. Ursel aber merkte nichts davon. Als ihre Quäler sie verlassen hatten, war sie ohnmächtig zusammengesunken. Dichter Rauch, der bald darauf ins Zimmer drang, betäubte sie noch mehr, und stille schwebte ihre Seele empor zu dem treuen Gott, dem sie sich im Glauben befohlen.
Inzwischen bot die sonst so friedliche Dorfgasse einen wilden, schrecklichen Anblick.-Das wenige noch vorhandene Vieh ward aus den Ställen gezerrt, um teils gleich geschlachtet, teils weggetrieben zu werden. Betten, Kleider, blankes Zinngeschirr ward aus den Häusern geschleppt und auf die Wagen gepackt, die dem wilden Haufen folgten. Was des Mitnehmens nicht wert war, ward mutwillig zerstört. In allen Winkeln, in Kellern, selbst auf den Düngerstätten in den Höfen suchten und wühlten die Habgierigen nach Geld und Kostbarkeiten, fanden aber so wenig, daß sie nur um so wütender wurden. Schon waren mehrere Bauern, bei denen man noch Schätze vermutete, grausam mißhandelt und zuletzt erschossen worden. Mitten in dem Gewühl zündete man Feuer an, um große Stücke Fleisch an Spießen zu braten, während andere ein Füßchen Branntwein herbeischleppten, dessen Genuß ihre Wildheit noch vermehrte.


Unbemerkt war der Pfarrer, nachdem er überall ermahnt, getröstet und geholfen hatte, wo Kranke und Alte wohnten, in das Haus des Hofbauern Christoph gekommen, das ein wenig abseits vom Dorfe lag. Seine Frau war schon seit langer Zeit mit der Gicht behaftet und konnte nicht stehen noch gehen. Eben schlug der Pfarrer vor, die Kranke eilig durch die Hintertür hinaus ins Gebüsch zu tragen, da drangen schon mehrere betrunkene Soldaten ins Zimmer.
»Gib uns Geld, alter Graukopf«, schrien sie den ehrwürdigen Greis an; »bei dir wird's doch endlich was geben! In dem ganzen lumpigen Nest ist nichts Rechtes zu finden.«


»Nehmt, was da ist«, erwiderte ruhig der Alte, »und laßt uns dann in Frieden; ihr seht, mein Weib ist schwer krank.« Damit öffnete er den eichenen Schrank, der neben dem großen grünen Kachelofen stand und einige kleine Truhen, ein Säcklein und eine wohlgebrauchte Bibel enthielt.
Aber die Truhen waren leer und das Säcklein enthielt nur noch eine Handvoll Silbertaler, die der flinkste unter den Räubern alsbald einsteckte und damit hinauseilte.
»Wo ist der Silberschmuck, wo sind die Golddukaten, die in dem Kästchen waren?« schrien die Wilden.
»Der Krieg hat alles verzehrt«, war die Antwort. »Sucht, wo ihr wollt, ihr werdet nichts finden.«
»Ich weiß, wo's versteckt ist«, schrie ein wüster junger Geselle, »im Bettstroh wird's sein. Steh' auf, Alte, gib den Schatz 'raus!«
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Da trat der Pfarrer den Eindringenden entgegen und bat sie mit ernsten Worten, der Kranken zu schonen. Wirklich wandten sich einige zum Gehen, da schrie der böse Bube wieder;
»Das ist der Pfaff, sonst könnt' er nicht so schön reden; packt ihn fest, er kommt auch noch dran. Jetzt 'raus mit dir, Alte!« Damit riß er die arme Frau vom Lager empor, und ehe der Greis ihr zu Hilfe eilen konnte, fiel sie mit einem Wehgeschrei auf den harten Boden.
Aber in diesem Augenblick trat ein frischer Jüngling ins Zimmer, Andreas, der einzige Sohn des Hauses. Kaum sah er den Frevel, der an seiner Mutter geschah, so sprang er herzu und streckte den Grausamen durch einen gewaltigen Faustschlag zu Boden. Aber sogleich ward er von eisernen Fäusten gepackt, schon riß einer die Pistole heraus, um ihn zu erschießen, da schrien die andern: »Laßt ihn leben, 's ist ein schöner Bursch, der paßt zum Soldaten! Bindet ihn draußen an einen Wagen, daß er nicht entwischt.«


Laut jammerte die Mutter, als der Jüngling weggeschleppt wurde; man stieß sie mit den Füßen zur Seite, um das Stroh des Lagers zu durchwühlen. Der Greis war neben ihr zu Boden gesunken; dem Pfarrer aber hatten sie die Hände auf den Rücken gebunden und ihn in eine Ecke gedrückt. Als alles Suchen nach Geld vergeblich war, wandte sich die ganze Wut gegen ihn und ohne die Alten weiter zu beachten, zogen sie mit Hirn ab. Auch der betäubte Bursche erholte sich und taumelte ihnen nach. In
der Tür aber drehte er sich noch einmal um, zog etwas aus der Tasche, schlug es in den Händen zusammen und warf's in den
Strohhaufen; dann enteilte er hohnlachend. Ein glimmendes Stücklein Schwamm war es gewesen, das nun im Nu das dürre Stroh entzündete.
Aber Gott wollte die beiden frommen Alten nicht eines so entsetzlichen Todes sterben lassen. Der Greis fühlte sich plötz-
lich mit neuer Kraft durchdrungen, umfaßte die Hilflose mit
den Armen und trug sie aus der schon mit Rauch und Flammen erfüllten Stube. im Hof war's wieder still; er brachte seine teu-
re Last sicher in einen Stall, der entfernt von den übrigen Gebäuden lag und legte sie dort auf etwas Heu und Stroh nieder.
Weinend und betend sahen die beiden ihr Haus und Gut verbrennen, und doch hätten sie alles gern hingegeben, wenn man ihnen nur ihren Andreas gelassen hätte.
Indessen war der Pfarrer durch das Dorf geschleppt, bei seinem brennenden Hause vorbei, den Hügel hinauf in die Kirche, wo man reiche Beute zu finden hoffte. Aber nichts war zu sehen als kahle Wände und schlichte hölzerne Bänke. Sie lösten seine Bande und bestürmten ihn, das Kirchengut herauszugeben.
»Wäre es mein«, entgegnete er, »so solltet ihr's willig haben, da es aber Gott gehört, kann ich's euch nicht geben. Glaubet doch meinen Worten, es ist nur noch wenig, und gewiß nicht wert, daß ihr darum mein Blut vergießt.«


Da durchsuchten sie gierig alle Ecken und fanden endlich hinter dem Altar ein verborgenes Wandschränkchen. Darin lag eine gestickte seidene Decke, die Gundels Pate an des Kindes Tauftag der Kirche geschenkt. Schlichte zinnene Geräte für Taufe und Abendmahl standen dabei.
»Gib die silbernen her«, schrien die Räuber den Pfarrer an; »wo so ein goldgestickter Lappen ist, muß noch mehr sein.«
»Sie sind nicht mehr da«, war die Antwort, »in der Not hat sie die Gemeinde hingegeben, um die Kriegssteuern zu bezahlen.«
Indessen war zwischen zwei Soldaten heftiger Streit entbrannt um die Decke. Schimpfend und fluchend rissen sie sich darum, und keiner wollte dem andern weichen. Endlich begannen sie einander zu raufen, und zuletzt riß einer die Pistole aus dem Gürtel. Da warf sich der Pfarrer dazwischen und rief: »0, befleckt doch nicht das Heiligtum des Herrn mit Mord und Gewalttat! «
In diesem Augenblick schallte vom Dorfe herauf das Schmettern einer Trompete, das Zeichen zum Aufbruch. Mit.
einem kräftigen Ruck riß einer der Streitenden die Decke an sich, der andere wandte sich gegen den Pfarrer. Der Schuß
krachte, und während die Mörder enteilten, sank der fromme Mann schwer getroffen an den Stufen des Altars nieder, wo er so oft gebetet hatte. »Christus ist mein Leben, und Sterben ist
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mein Gewinn«, seufzte er; »Gott, erbarme dich meiner armen Kinder!« Dann entfloh seine Seele, und et war vereint mit der geliebten Gattin, nach der er sich am Morgen so schmerzlich gesehnt. Drittes Kapitel
Wie die Kinder zerstreut wurden
Mit recht schwerem Herzen war Hans am Morgen in den Wald gezogen. Der Vater hatte so traurig gesprochen, und Gundel war gar so bös gewesen. Sie war seine Lieblingsschwester, und er wollte sie gern recht an sich ziehen nach des Vaters Wunsch. Aber was sollte er tun, wenn sie gar so wild und widerspenstig war? Auf der Waldwiese, die, von hohen Tannen umgeben, etwa eine halbe Stunde vom Dorfe entfernt lag, war's friedlich und schön, so daß der Knabe mit Lust an die Arbeit ging und seinen Kummer ein wenig vergaß. Emsig mähte er das fette, mit vielen bunten Blumen durchwachsene Gras und streute es sorgsam auseinander, damit es an der Sonne trockne. Seinen Karren belud er, so hoch es gehen wollte, mit frischem Futter für die nächsten Tage, indes die Kuh neben ihm weidete. 

Als er sich müde gearbeitet hatte, ruhte er ein wenig im kühlen Schatten der Tannen, war aber dabei nicht müßig, sondern zog ein Psalmbüchlein aus der Hirtentasche, und fing an den Psalm zu lernen, den der Vater ihm aufgegeben: »Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzet, und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibet, der spricht zu dem Herrn. Meine Zuversicht und meine Burg; mein Gott, auf den ich hoffe.« So kam zwischen Arbeiten und Lernen der Mittag heran. Er molk sein Töpfchen voll Milch und labte sich an dem guten Brot und Käse, aber die Worte des Psalms klangen immer in seinem Herzen wider. 

Es war ihm so leicht geworden, ihn zu lernen, er paßte ja so gut zu der traurigen, angstvollen Zeit, die jetzt auf Erden war. »0, wie gut ist es, daß uns der liebe Gott beschützt!« dachte er. »Mir ist heute so - bange, und ich weiß nicht warum. Aber ich sitze ja unter dem Schirm des Höchsten, so will ich mich nicht fürchten, sondern ein wenig schlafen, denn ich bin sehr müde.« Damit streckte er sich aufs weiche Moos und war bald fest eingeschlafen. Es war schon hoch am
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