Mücher Werner, Das Lied der Lieder

06/30/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Bibel auszulegen, und das gilt auch für das Buch, über das wir nun nachdenken wollen, das Hohelied. Die erste Möglichkeit ist die, dass man sich fragt,

wie das Buch geschichtlich oder buchstäblich zu verstehen ist. Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass man der Frage nachgeht, was die geistliche Bedeutung dieses Buches ist und was
dann die Anwendungen für unser Leben sind, die sich daraus ergeben. Und schließlich haben viele Bücher oder Abschnitte der Bibel auch eine prophetische Bedeutung, was insbesondere
für das Hohelied gilt. Ich möchte in diesem Buch vor allem auf die prophetische Bedeutung des Hohenliedes für Israel eingehen und von daher auch Anwendungen auf unser Leben als Christen
machen.
Es geht im Hohenlied um einen Bräutigam und die Liebesbeziehung zu seiner Braut. In den Propheten des Alten Testaments finden wir öfter, dass Gott sich selbst mit einem Ehemann und das Volk Israel mit einer Ehefrau vergleicht (Jes 54,6; Jer 2,2; 3,1.20; Hes 23,2ff.; Hos 2,21). Gott gebrauchte das Bild der Ehe, wenn Er durch die Propheten zum Volk sprach, um das Volk an seine Liebe zu Ihm zu erinnern und daran, was für eine enge Beziehung Gott zu seinem Volk eingegangen war. In diesem Sinn hat das Hohelied eine tiefe prophetische Bedeutung im Blick auf Christus und das Volk Israel.


Als der Herr Jesus vor etwas mehr als 2000 Jahren auf die Erde kam, war das Volk Israel alles andere als eine Braut. Und obwohl Er kam und starb, um sich vor allem die Gemeinde zu erwerben
(Eph 5,25), hat Er das Werk auf dem Kreuz doch auch deshalb vollbracht, damit Er einmal unter dem Volk Israel eine Braut haben würde. Das bedeutet, wie wir auch aus vielen Stellen der
Heiligen Schrift wissen, dass es in Zukunft unter dem Volk Israel einen Überrest geben wird, dem der Herr Jesus sich zuwenden und bei dem Er Liebe wecken wird.

Wir werden also, wie gesagt, immer wieder Gelegenheit haben, Stellen im Hohenlied auch auf uns persönlich im Blick auf unser Verhältnis als Gläubige zum Herrn Jesus anzuwenden. Insofern
ist das Hohelied alles andere als ein trockenes Buch. Es geht nicht nur um Prophetie, so interessant und wichtig sie ist, wir wollen aus diesem Buch auch etwas für uns selbst lernen.
Man kann das Buch in vier Abschnitte einteilen. Dabei hilft uns der Refrain in Kapitel 2,7; 3,5 und 8,4, der jeweils einen Abschnitt abschließt:
1. Die gegenseitige Zuneigung der Liebenden (Kap. 1,1–2,7)
2. Das erneute Suchen und Finden der Liebenden (Kap. 2,8–3,5)
3. Hauptteil (Kap. 3,6–8,4)
a) Die gegenseitige Liebe ist an Erfahrungen reicher geworden und tritt in eine tiefere Phase ein (Kap. 3,6–5,1)
b) Die Liebe wird verschmäht und wiedergewonnen (Kap. ,2–6,9)
c) Die Schönheit Sulamiths und ihre geistliche Reife (Kap. 6,10–8,4)
4. Schlussteil: die Vollkommenheit der Liebe (Kap. 8,5–14)
1. Die gegenseitige Zuneigung der Liebenden (Kapitel 1,1–2,7)

1 Das Lied der Lieder, von Salomo.
2 Er küsse mich mit den Küssen seines Mundes, denn deine Liebe ist besser als Wein. 3 Lieblich an Duft sind deine Salben, ein ausgegossenes Salböl ist dein Name; darum lieben dich die
Jungfrauen. 4 Zieh mich: Wir werden dir nachlaufen. Der König hat mich in seine Gemächer geführt: Wir wollen frohlocken und uns an dir freuen, wollen deine Liebe preisen mehr als Wein! Sie lieben dich in Aufrichtigkeit.
5 Ich bin schwarz, aber anmutig, Töchter Jerusalems, wie die Zelte Kedars, wie die Zeltbehänge Salomos.
6 Seht mich nicht an, weil ich schwärzlich bin, weil die Sonne mich verbrannt hat: Die Söhne meiner Mutter zürnten mir, bestellten mich zur Hüterin der Weinberge; meinen eigenen Weinberg habe ich nicht gehütet.
7 Sage mir an, du, den meine Seele liebt, wo weidest du, wo lässt du lagern am Mittag? Denn warum sollte ich wie eine Verschleierte sein bei den Herden deiner Genossen?
8 Wenn du es nicht weißt, du Schönste unter den Frauen, so geh hinaus, den Spuren der Herde nach, und weide deine Zicklein bei den Wohnungen der Hirten.
9 Einer Stute an des Pharaos Prachtwagen vergleiche ich dich, meine Freundin. 10 Anmutig sind deine Wangen in den Kettchen, dein Hals in den Schnüren.
11 Wir wollen dir goldene Kettchen machen mit Punkten aus Silber.
12 Während der König an seiner Tafel war, gab meine Narde ihren Duft. 13 Mein Geliebter ist mir ein Bündel Myrrhe, das zwischen meinen Brüsten ruht. 14 Eine Zypertraube ist mir mein Geliebter, in den Weinbergen von En-Gedi.
15 Siehe, du bist schön, meine Freundin, siehe, du bist schön, deine Augen sind Tauben.
Siehe, du bist schön, mein Geliebter, ja, holdselig; ja, unser Lager ist frisches Grün. 17 Die Balken unseres Hauses sind Zedern, unser Getäfel Zypressen.

Vers 1
„Das Lied der Lieder, von Salomo.“ Das ist die Überschrift dieses Buches. In 1. Könige 5,12 finden wir einen Hinweis, dass Salomo insgesamt 3000 Sprüche verfasst und 1005 Lieder gedichtet hat. Das Lied der Lieder ist zweifellos das bedeutendste dieser Lieder. Vielleicht stammt auch Psalm 72 aus der Feder Salomos. Das Hohelied ist ein ganz besonderes Lied, es ist das Lied der Lieder. Man kann eine Analogie zum Heiligen der Heiligen sehen, zum Allerheiligsten. Das Heilige der Heiligen – das Lied der Lieder. Das Allerheiligste führte in die Gegenwart Gottes. Allein der Hohepriester durfte das Allerheiligste betreten, und das nur einmal im Jahr. In gewisser Weise führt uns das Hohelied in die unmittelbare Nähe des Herrn Jesus, in das Heiligtum der Liebe. Die Juden hatten festgelegt, dass man das Hohelied erst lesen durfte, wenn man 30 Jahre alt war.1 Wir sollten beim Studium dieses Buches darauf achten, dass wir unserer Phantasie nicht freien Lauf lassen, sondern unsere Gedanken unter den Gehorsam des Christus gefangen nehmen (2Kor 10,5).

Vers 2
„Er küsse mich mit den Küssen seines Mundes, denn deine Liebe ist besser als Wein“. Es ist nicht der Bräutigam, der die ersten Worte in diesem Buch spricht, sondern die Braut. Würde man
nicht erwarten, dass der Bräutigam als Erster spricht, da er ja bei der Braut die Liebe weckt? Nein, er wartet darauf, dass die Braut als Erste spricht. Er kann warten, manchmal sogar sehr lange. Interessant ist, dass die Braut auch die letzten Worte dieses Buches spricht. Sie hat das erste und das letzte Wort.
1 „Origenes und Hieronymus berichten uns, dass die Juden es verboten, dass es [das Hohelied] von jemandem gelesen wurde, bis er dreißig Jahre alt war”. In Jamieson-Fausset-Brown Bible Commentary. Warum wartet der Herr Jesus, bis seine irdische Braut spricht? Wir lesen in Matthäus 23,38.39, dass Er, nachdem Er den geistlichen Führern des Volkes ein siebenfaches Wehe zugerufen hatte, sagte: „Siehe, euer Haus wird euch öde gelassen; denn ich sage euch: Ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprecht: ,Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!‘“ Als das Volk Israel den Messias damals zu Tode brachte, zeigte sich, dass es für Ihn, ja, für Gott, keinen Platz in seiner Mitte gab. Nun wartet Er darauf, dass das Volk Ihn willkommen heißt, vorher kann Er nicht kommen. 

Der Augenblick wird kommen, wo das Volk – jetzt ist es noch nicht dazu bereit, auch wenn Gott in seiner Vorsehung großartige Dinge mit dem Volk Israel geschehen lässt – geistlich wiederhergestellt wird und wo es seinen Messias mit den Worten willkommen heißt: „Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!“
In diesem Sinn verlangt der Überrest des Volkes Israel in Zukunft nach der Liebe des Messias: „Er küsse mich mit den Küssen seines Mundes.“ Dann werden sie sich nach dem Ausdruck,
dem Beweis seiner Liebe sehnen. Dasselbe Volk, das Ihn damals ans Kreuz geschlagen hat, wird Ihn dann willkommen heißen. Für sie ist es zuerst eine Frage, ob der Messias überhaupt
noch etwas mit ihnen zu tun haben will. Das Hohelied zeigt uns, wie Er es sogar ist, der die Liebe der Seinen zu sich vertieft. Wir wollen das auch auf uns selbst anwenden: Hast
du schon einmal zu dem Herrn Jesus gesagt: „Herr, zeig mir einmal in besonderer Weise Deine Liebe, erweise sie mir, lass sie mich spüren“?

„Denn deine Liebe ist besser als Wein.“ Der Wein ist oft in der Bibel ein Bild der Freude: „... damit Wein das Herz des Menschen erfreut“ (Ps 104,15; vgl. Rich 9,13). Wer die Liebe des Herrn Jesus kennengelernt hat, weiß, dass sie unendlich größer und besser ist als jede irdische Freude. Warum verlangen Gläubige manchmal so sehr nach irdischen Dingen? Liegt es nicht daran, dass sie die Liebe des Herrn Jesus zu ihnen zu wenig verstanden haben und sich daran erfreuen?
2 Denken wir nur an die Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 und die vielen
Kriege, die Israel gewonnen hat.

Vers 3
„Lieblich an Duft sind deine Salben.“ Alles, was vom Herrn Jesus ausgeht, was von Ihm ausströmt, ist ein Wohlgeruch. Alles, was Er gesagt und getan hat, war eine Freude für Gott und für die Menschen, deren Augen dafür geöffnet waren. Öfter hat sich der Himmel über Ihm geöffnet und hat Gott sein Wohlgefallen an Ihm ausgesprochen (Mt 3,17; 17,5). Menschen haben bezeugt, dass Er Worte der Gnade gesprochen hat (Lk 4,22; Joh 7,46).
Was der natürliche Mensch von sich gibt, ist kein angenehmer Geruch, weil alles von der Sünde durchsetzt ist. Eine einzige Fliege reicht aus, um das Öl des Salbenmischers stinkend zu machen
(Pred 10,1). Manchmal reicht ein Wort, das wir sagen, oder eine Tat, die wir tun, um die Atmosphäre zu verderben. Die eine Übertretung von Adam und Eva hat ausgereicht, um die Erde
zu einem schmutzigen Ort zu machen, einem Ort des üblen Geruchs. Die Sünde hat den Geruch des Todes. Wie ganz anders verbreitete der Herr Jesus einen wunderbaren Wohlgeruch für
Gott und Menschen.
„... ein ausgegossenes Salböl ist dein Name“. Welche Herrlichkeiten sind im Namen des Herrn Jesus verborgen. Ein Liederdichter hat das sehr schön ausgedrückt in dem Lied „O Jesu Name
ohnegleichen“. Darin besingt er eine Reihe der verschiedenen Herrlichkeiten des Herrn; sie sind tatsächlich ein ausgegossenes Salböl. Kann man diesen Geruch jemals vollkommen genießen?
Jeder einzelne Name spiegelt eine Seite seiner unfassbar großen Herrlichkeit wider. Der Name des Herrn Jesus war nicht nur ein Salböl für die Menschen, er war es vor allem für Gott, seinen Vater. Einmal wird auch der Überrest aus dem Volk Israel, die irdische Braut des Messias, erkennen, dass der Herr solch einen Wohlgeruch verbreitete und auch jetzt noch verbreitet.
Weiter sagt die Braut: „... darum lieben dich die Jungfrauen“. Nicht nur die Braut liebt Ihn, sondern es gibt noch viele andere, die den Herrn Jesus lieb haben. Wenn jemand verstehen lernt,
dass der Herr Jesus ihn liebt, möchte er gern andere einschließen, und freut sich, wenn auch sie Ihn lieben. Ja, es gibt noch viele andere Jungfrauen, und auch sie lieben den Bräutigam.

Was ist nun der Unterschied zwischen der Braut des Hohenliedes und denen, die hier Jungfrauen genannt werden? Die Braut ist genau genommen nicht ein Bild der Menschen, die in Zukunft
aus dem Volk Israel zum Glauben kommen – also des Überrestes –, sondern eigentlich ein Bild von der Stadt Jerusalem. Übrigens wird ja auch die Braut des Lammes im Neuen Testament, die Gemeinde, mit einer Stadt verglichen: dem neuen Jerusalem (Offb 3,12; 21,2).
Die irdische Stadt Jerusalem hat Tochterstädte, das sind die Städte Judäas (vgl. V. 5). Die Jungfrauen sind hier ganz allgemein Städte. Die Frage ist nun, ob alle diese Städte sich in Zukunft dem Herrn Jesus als König ergeben werden. Es ist gleichsam so, als
würde der Herr bei seinem Kommen durch das Land ziehen, und eine Stadt nach der anderen würde sich Ihm ergeben und Ihn freudig aufnehmen und als König anerkennen.
Ich möchte eine Anwendung machen: Wie großartig wäre es, wenn Berlin sich dem Herrn Jesus ergeben würde. Was wäre es für ein Segen für Deutschland, wenn die führenden Leute in Berlin,
in der Hauptstadt, anfingen, sich zum Herrn zu bekehren. Die Bibel fordert uns auf, für die Menschen in Hoheit zu beten (1Tim 2,1–4). Tun wir es? Beten wir dafür, dass die Menschen, die
Gott als Regierung eingesetzt hat, sich bekehren? Ich kenne einen jungen Mann, der sich vor einiger Zeit bekehrt hat. Wenn wir zusammen beten, betet er hin und wieder für die Bundeskanzlerin, besonders dafür, dass sie sich bekehrt. Hat er nicht schon viel aus
der Bibel gelernt?Jungfrauen sind Frauen, die sich rein erhalten haben und keine
unerlaubte Beziehung zu einem Mann eingegangen sind.
Im Buch der Offenbarung werden sogar Männer Jungfrauen genannt (Kap. 14,1–5). Das klingt auf den ersten Blick merkwürdig, doch wenn man die übertragene Bedeutung kennt,
ist das gut verständlich. Müssen sich Gläubige, Männer wie Frauen, nicht von der Welt rein erhalten? Alle, die den Herrn Jesus lieben, sind Jungfrauen. Paulus schreibt den Korinthern:
„Denn ich eifere um euch mit Gottes Eifer; denn ich habe euch einem Mann verlobt, um euch als eine keusche Jungfrau dem Christus darzustellen“ (2Kor 11,2). Und Jakobus schreibt in seinem Brief: „Ihr Ehebrecherinnen, wisst ihr nicht, dass die Freundschaft der Welt Feindschaft gegen Gott ist?“ (Kap. 4,4).

Vers 4
„Zieh mich: Wir werden dir nachlaufen.“ Wer den Herrn Jesus von Herzen liebt, hat den Wunsch, dass auch andere Ihn kennen und lieben möchten, dass sie sich Ihm hingeben, in der Nachfolge
wachsen und geistlich reifen. Manchmal ermahnen wir einander, dieses und jenes zu tun oder nicht zu tun. Doch macht das einen guten Christen aus? Sicher ist es nötig, dass wir falsche Dinge beim Namen nennen, aber das Wirkungsvollste ist, dass wir uns
selbst vom Herrn ziehen lassen und dadurch ein gutes Vorbild für andere werden, damit wir gemeinsam dem Herrn nachfolgen, ja, Ihm nachlaufen. Viele Ermahnungen könnten wir uns sparen, wenn wir gute Vorbilder wären.
„Der König hat mich in seine Gemächer geführt“. Die Braut hat eine ganz besondere Beziehung zum König3, wenn sie auch noch nicht im Königspalast ist. Das, was wir in Hohelied
1 und 2 finden, spielt sich mehr oder weniger im Freien ab. Wer den Herrn Jesus kennenlernt, wie das auch bei dem Überrest der Fall sein wird, lernt Ihn zuerst einmal als
den kennen, der sich im Freien aufhält. Als Menschen Ihm in Matthäus 8 nachfolgen wollten, sagte Er ihnen, dass Er als der Sohn des Menschen auf der Erde keinen Platz habe, wo
Er sein Haupt hinlegen könne (V. 20). In dieser Verbindung nennt Er sich zum ersten Mal „Sohn des Menschen“. Dieser Titel des Herrn ist ein Hinweis darauf, dass Er der von der
Welt Verworfene war. Unser Herr hatte auf der Erde keinen Platz, wohin Er sein Haupt
legen konnte. So haben auch wir als Christen Ihn als den kennengelernt und angenommen, der von der Welt abgelehnt wurde.  Was die historische Auslegung des Hohenliedes angeht, so ist deutlich, dass Salomo und Sulamith verheiratet waren und nicht mehr verlobt. Das hebr. Wort
für „Braut“ (kallah) bedeutet sowohl „Verlobte“ als auch „frisch Verheiratete“ und sogar „Schwiegertochter“. und wird. Das macht es den Menschen oft so schwer, an Ihn zu
glauben, weil sie wissen, dass auch sie dann von der Welt abgelehnt werden, häufig von den nächsten Familienangehörigen. Würden sich Ihm, wenn Er in seiner Herrlichkeit erschiene, nicht
weitaus mehr Menschen unterordnen? „Wir wollen frohlocken und uns an dir freuen, wollen deine Liebepreisen mehr als Wein! Sie lieben dich in Aufrichtigkeit.“ Obwohl die Braut dem Bräutigam viel näher steht als jeder andere, schließt sie doch andere erneut mit ein, wenn sie sagt: „Wir wollen frohlocken und uns an dir freuen.“ Es ist ein Zeichen geistlicher Reife, wenn man sich der Liebe des Herrn Jesus bewusst ist und danach verlangt, dass auch andere diese Freude an Ihm erfahren und seine Liebe preisen, die viel herrlicher ist als alles, was es auf der Erde gibt. Die Braut versichert dem Bräutigam sogar, dass auch die Jungfrauen Ihn in Aufrichtigkeit lieben.

Vers 5
Nun sagt die Braut etwas über sich selbst, und zwar zu den Jungfrauen, die sie jetzt Töchter Jerusalems nennt: „Ich bin schwarz, aber anmutig, Töchter Jerusalems“. Ist das nun ein Kompliment? Wohl kaum. Warum ist sie denn schwarz? Sie ist so schwarz, wie
ein Sünder von Natur aus schwarz ist. Von Natur aus gehören wir alle zum Bereich der Finsternis. Wir waren Finsternis (Eph 5,8). Wir hatten ein verfinstertes Herz (Röm 1,21) und waren verfinstert am Verstand (Eph 4,18); wir waren völlig durch die Sünde verdorben. Die Gläubigen aus dem Volk Israel werden einmal anerkennen, dass sie schwarz sind und dass sie durch die Hitze der großen Drangsal noch schwärzer geworden sind. Wenn dieGerichte Gottes über das Volk Israel hereinbrechen, wird es ganz schwarz werden. Einmal wird Israel von sich aus anerkennen, dass es durch und durch schwarz ist. Wie gut, wenn auch wir uns
bewusst sind, wie schwarz wir einmal waren. Doch die Braut sagt nicht nur, dass sie schwarz ist, sondern auch, dass sie anmutig ist. Wenn der Überrest seine Sünde bekennt,
wird er Vergebung erfahren. Gott wird den Geist der Gnade und des Flehens auf das Volk ausgießen, so dass es bitterlich über den Tod des Messias wehklagen wird. Dann wird Gott ihnen eine Quelle der Reinigung für Sünde und Unreinheit öffnen (Sach 12,10; 13,1). Gott wird das Volk wohlgefällig annehmen und es mit einer unbeschreiblichen Herrlichkeit bekleiden. So wissen
auch wir als Christen, dass wir durch das Werk des Herrn Jesus gerechtfertigt und in dem Geliebten begnadigt oder angenehm gemacht sind (Eph 1,6)4. Vom neuen Jerusalem heißt es in der Offenbarung,Kapitel 21,11, dass diese Stadt die Herrlichkeit Gottes hat. Die Braut vergleicht ihre Schwärze mit den Zelten Kedars, die mit schwarzen Ziegenhaardecken bedeckt waren, und ihre Anmut mit den Zeltbehängen Salomos, die wunderschön bunt und wertvoll waren.

Vers 6
Weiter sagt sie zu den Jungfrauen: „Seht mich nicht an, weil ich schwärzlich bin, weil die Sonne mich verbrannt hat: die Söhne meiner Mutter zürnten mir, bestellten mich zur Hüterin der
Weinberge“. Die Braut hatte Brüder, die Söhne ihrer Mutter. Sie hatten ihr gezürnt. Es ist keine seltene Erscheinung in Familien, dass Geschwister nicht gut miteinander auskommen. In der
Familie Isais fand David wenig Beachtung von seinen Brüdern. Als Samuel nach Bethlehem zur Familie Isais kam, um einen der Söhne Isais zum König zu salben, führte der Vater nacheinander
sieben seiner Söhne vor, doch jedes Mal sagte der HERR zu Samuel, dass es nicht der Richtige war. Keiner von der Familie dachte nur im Geringsten an David.
Für die Brüder der Braut rangierte sie unter „ferner liefen“. Sie hatten ihr gezürnt und sie zur Hüterin der Weinberge bestellt. Waren die Brüder denn dazu berechtigt? Sie hatten einfach über
sie bestimmt und ihr eine niedrige Arbeit zugewiesen. Sie scheint fremdbestimmt gewesen zu sein. Ist das nicht genau das, was die Sünde mit dem nicht wiedergeborenen Menschen tut? Er glaubt, frei zu sein, und in Wirklichkeit zürnen ihm andere, steht er unter, einer anderen Macht, und das, was er eigentlich tun sollte, kann er nicht tun. Der Mensch ist geschaffen, um Gott zu dienen. Doch der gefallene Mensch ist ein Sklave der Sünde. Israel befindet sich heutzutage noch im Zustand eines Sklaven und ist durchaus nicht fähig, den Willen Gottes zu tun. Jede Begeisterung für das Volk Israel, die das nicht berücksichtigt, ist fehl am Platz.
Einmal wird das Volk zu der Erkenntnis kommen: „... meinen eigenen Weinberg habe ich nicht gehütet.“ War es nicht die ihnen von Gott gegebene Aufgabe, sich Gott zu unterwerfen und der
ganzen Welt zu zeigen, was es bedeutet, gottesfürchtig zu sein und nach den Geboten Gottes zu leben? Wie hat das Volk diese Gebote missachtet, und wie hat es schließlich die ausgestreckte
Hand Gottes im Messias ausgeschlagen!
Wir können die Vernachlässigung des eigenen Weinbergs auch auf uns als Gläubige anwenden. Es kann geschehen, dass andere uns fragen: „Kannst du nicht einmal dies und das machen?“
Es ist sicher gut, wenn man einander zu einer Aufgabe ermutigt, aber dabei dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass jeder Gläubige das tun muss, was der Herr von ihm möchte und wozu Er
ihm eine Gabe gegeben hat. Es kann auch sein, dass wir vor lauter Arbeit keine Zeit für die persönliche Gemeinschaft mit dem Herrn haben. Wenn wir ehrlich sind, geben wir zu, wie schwierig es manchmal ist, die Gemeinschaft mit dem Herrn zu pflegen. Es gibt so viele schöne Dinge, die man tun kann, auch im Dienst für den Herrn. Doch es sollte erste Priorität für uns haben, dass wir uns Zeit nehmen – vielleicht müssen wir dazu früher aufstehen
oder unsere Prioritäten neu ordnen – für die Gemeinschaft mit dem Herrn, also für das Lesen seines Wortes und für das Gebet. Ist das vielleicht im Augenblick auch dein Problem? Musst auch du sagen: „... meinen eigenen Weinberg habe ich nicht gehütet“?
Wie schade wäre das. Doch das muss nicht so bleiben!

Vers 7
Gut ist, dass die Braut ehrlich ist und sieht, dass sich etwas in ihrem Leben ändern muss. So sagt sie nun zum Bräutigam: „Sage mir an, du, den meine Seele liebt, wo weidest du, wo lässt du
lagern am Mittag?“ Die Braut sucht seine Nähe. Vielleicht wundern wir uns, dass sie mittags bei ihm Ruhe sucht. Dabei sollte man bedenken, dass sie und der Bräutigam auf dem Feld sind
und sich beide um das Kleinvieh kümmern. Hirten müssen früh aufstehen, nämlich wenn die Tiere anfangen zu weiden. Für die Tiere kommt mittags, wenn die Sonne heiß scheint, eine Zeit der
Ruhe, und damit auch für die Hirten. Diese Zeit der Ruhe braucht das Kleinvieh, um wiederzukäuen. Auch wir brauchen Zeiten der Ruhe. Vielleicht haben wir bis jetzt Ruhe, Entspannung und Erholung gesucht, aber ohne den Bräutigam. Jetzt möchte die Braut
die Zeit der Ruhe in seiner Nähe verbringen.
„Warum sollte ich wie eine Verschleierte sein bei den Herden deiner Genossen?“ Würde die Braut weiterhin nur bei den Genossen des Bräutigams sein, müsste sie einen Schleier tragen,
um ihre Schönheit zu verbergen. In der Nähe des Bräutigams ist das anders: Da kann sie den Schleier abnehmen, damit er ihre Schönheit sieht. Ist ein Gläubiger jemals schöner für den
Herrn als in den Augenblicken, wo er im Gebet mit Ihm spricht und sein Wort liest? Dadurch wird er in das Bild seines Herrn verwandelt (2Kor 3,18).

Vers 8
„Wenn du es nicht weißt, du Schönste unter den Frauen, so geh hinaus, den Spuren der Herde nach, und weide deine Zicklein bei den Wohnungen der Hirten.“ Der Bräutigam beantwortet sofort
die Frage der Braut. Doch liegt in den Worten „Wenn du es nicht weißt“ nicht ein Vorwurf? Ja, sie hätte es schon lange wissen können. Dennoch nennt er sie die „Schönste unter den Frauen“. Er
sagt ihr, was ihm ihre Schönheit bedeutet. Was ist das für ein Kompliment für eine Frau! Muss sie da nicht errötet sein? Man merkt förmlich, wie die Braut aufblüht. Habt ihr es auch schon
beobachtet, dass eine Frau, die geliebt wird, sehr schön ist? Wissen wir eigentlich, was wir als erlöste Gläubige heutzutage für den Bräutigam bedeuten? Sind nicht alle seine Bemühungen
darauf gerichtet, dass die Schönheit seiner Braut, die Er auf sie gelegt hat, zur vollen Entfaltung kommt? Vom Bräutigam lesen wir in Psalm 45, dass Er schöner ist als die Menschensöhne (V. 3). Darum tut Er alles, dass seine Braut zu Ihm passt: „... damit er sie heiligte, sie reinigend durch die Waschung mit Wasser durch das Wort, damit er die Versammlung sich selbst verherrlicht darstellte,die nicht Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen habe,
sondern dass sie heilig und untadelig sei“ (Eph 5,26.27). Das ist ihre Schönheit. Wenn das neue Jerusalem – ein Bild der Gesamtheit aller Gläubigen der Gnadenzeit – im ewigen Zustand vom
Himmel herabkommt, ist sie wie eine für ihren Mann geschmückte Braut (Offb 21,2). Ihre Schönheit wird niemals verblassen. Wer sind die Hirten in diesem Vers? Es sind Hirten unter Salomo, Menschen, die sich um sein Kleinvieh kümmern. Nicht von ungefähr vergleicht der Herr Jesus die Seinen im Neuen Testament mit Schafen (Joh 10,3.4.11.26.27; 21,17), die Pflege, gute Nahrung und Zuwendung brauchen. Wie dankbar dürfen wir sein, dass der Herr Jesus Hirten unter seinem Volk gegeben hat. Wie glücklich kann sich eine örtliche Gemeinde schätzen, wenn sie Brüder und Schwestern hat, die Hirten- bzw. Seelsorgedienste tun.
Solche Dienste tun nicht nur Brüder, sondern auch Schwestern, denn es gibt gerade Dienste, für die Brüder nicht so sehr geeignet sind. Paulus schreibt davon, dass bestimmte Aufgaben von Frauen getan werden sollen: „... die alten Frauen ... Lehrerinnen des Guten; damit sie die jungen Frauen unterweisen“ (Tit 2,3–5).
Manche Schwestern scheinen zu denken, dass sie dazu 70 Jahre alt sein müssten. Doch eine Frau ist alt, wenn sie Enkel hat oder haben könnte und von daher in der Lage ist, ihre Erfahrungen an die nächste Generation weiterzugeben. Wichtig ist bei alledem, dass ein Bruder oder eine Schwester wirklich Interesse an den Gläubigen und Liebe zu ihnen hat.
Die Braut war eine Hirtin. Große Männer Gottes in der Bibel waren Hirten: David, Mose und auch Salomo hatten Freude an Schafen. Der Herr Jesus ist der große Hirte; und wer Ihn liebt, interessiert sich auch für seine Schafe. Das kann gar nicht anders sein. Für Ihn sind sie das Wertvollste auf der Erde. Es ist seine Gemeinde. Für sie gibt Er sich völlig hin. Viele andere Dinge interessieren Ihn überhaupt nicht, höchstens in dem Sinn, dass Er alles lenkt und regiert und dass Er über alles herrscht,
wenn auch in seiner Vorsehung. Aber das, was Er liebt, wofür Er sich hingegeben hat (Eph 5,2) und sich immer noch hingibt (Eph 5,25.26), das sind die Seinen. Bräutigam und Braut teilen das Interesse an den Schafen. Dazu sucht die Braut die Nähe des Bräutigams.

Vers 9
„Einer Stute an des Pharaos Prachtwagen vergleiche ich dich, meine Freundin.“ Wir können davon ausgehen, dass der Pharao außergewöhnlich schöne Prachtwagen hatte. Seine Prachtwagen waren ein Spiegelbild seines Reichtums, und die Pferde waren vom Feinsten, prächtig geschmückt. Sicher waren die Pferde hervorragend trainiert und fein aufeinander abgestimmt.
Doch was bedeutet dieser Vergleich, eine Stute am Wagen eines bedeutenden Herrschers zu sein? Abgesehen davon, dass eine Stute ein weibliches Pferd ist, bedeutet es, dass das Pferd
gebändigt und zum Dienst bereit ist, um den Herrscher dorthin zu bringen, wohin er will. Genau das war Israel in der Vergangenheit nicht, und es ist es auch heute noch nicht. Wie sehnt der Herr sich nach dem Augenblick, wo Er den Überrest – insbesondere die Stadt Jerusalem – mit einer solch schönen „Stute“ vergleichen kann. Sacharja sagte vom Haus Juda, dass Gott es zu einem Prachtross im Kampf machen würde (Kap. 10,3). Wenn es so weit ist, wird das Volk endlich im Kampf gegen die Feinde Gottes brauchbar sein.

Nun nennt der Bräutigam seine Braut zum ersten Mal „meine Freundin“. Was ist das für eine schöne Bezeichnung für die Braut. Freundin bedeutet, dass sie eine Braut ist, mit der der
Bräutigam sich vertraulich austauschen kann. In diesem Sinn nennt die Schrift Abraham einen Freund Gottes (Jak 2,23). Ein Freund ist jemand, vor dem man seine Gedanken frei ausbreiten kann, jemand, dem man sein Herz öffnet. Es ist durchaus nicht unbiblisch, Gläubige zu Freunden zu haben. Wenn du bisher gedacht hast, dass du alle Gläubigen gleich behandeln solltest, dann ist das in gewisser Hinsicht natürlich richtig.

 Das heißt aber nicht, dass man unter den Gläubigen nicht Freunde haben könnte. Gott sagt auch nicht von jedem, dass Er sein Freund sei. Und so ist das auch bei dem Herrn Jesus. Kann Er heutzutage zu allen seinen Jüngern sagen, dass sie seine Freunde sind (vgl. Joh 15,14; vgl. Lk 12,4)? Er nennt diejenigen seine Freunde, die das tun, was Er ihnen gebietet. Wie erfreut uns daher, dass die Zeit kommen wird, wo der Messias die Stadt Jerusalem seine Freundin nennen kann.

Vers 10
„Anmutig sind deine Wangen in den Kettchen, dein Hals in den Schnüren.“ An anderen Stellen kommt die Wange in Verbindung mit Feindschaft oder Trauer vor (Klgl 1,2). Vom Herrn lesen wir prophetisch: „Ich bot meinen Rücken den Schlagenden und meine Wangen den Raufenden“ (Jes 50,6). In den Evangelien heißt es, dass man Ihn ins Gesicht schlug. Seinen Jüngern hatte Er in der Bergpredigt gesagt: „... wer dich auf deine rechte Wange schlägt, dem halte auch die andere hin“ (Mt 5,39). Wenn man jemand auf
die rechte Wange schlägt – in der Regel schlägt man mit der rechten Hand –, so muss man das von hinten tun. Es ist also auch noch zusätzlich eine hinterhältige und feige Handlung. Wenn das geschieht, soll man dem Schläger auch die linke Wange hinhalten.

Das hat Israel in der Vergangenheit nicht getan, und das tun sie auch heute noch nicht. Sie sind nicht zimperlich, wenn es darum geht, zurückzuschlagen. Wenn Israel in Zukunft seine Sache Gott anheimstellt, sind seine Wangen für den Bräutigam sehr schön; dann schmückt Er sie mit Kettchen. Wer anfängt, sich nicht mehr selbst zu verteidigen, dessen Sache nimmt Gott in die Hand. Außerdem sammelt er feurige Kohlen auf das Haupt seiner Feinde (Röm 12,20). Wenn die Braut da angekommen ist, ähnelt sie dem
Bräutigam, der „leidend nicht drohte, sondern sich dem übergab, der gerecht richtet“ (1Pet 2,23). Und wer war es, der Ihm solches Leid zugefügt hat? Das Volk Israel.

Der Hals ist mit Schnüren geschmückt. Früher war Israel halsstarrig (vgl. Apg 7,51). Sie haben ihren Hals, ihren Nacken nicht gebeugt, sondern hart gemacht (5Mo 31,27; 2Kön 17,14;
Neh 9,16.17 u. a.). Nun beugen sie ihren Hals willig unter den Dienst des Messias.

Vers 11
„Wir wollen dir goldene Kettchen machen mit Punkten aus Silber.“ Nun sagt der Bräutigam „wir“ und bezieht andere mit ein.
Wen wohl? Im Vorbild können wir an den Sohn Gottes und die anderen Personen der Gottheit denken, den Vater und den Heiligen Geist. Der dreieine Gott will die Wangen mit Kettchen aus
Gold schmücken und sie mit Punkten aus Silber verschönern. Gold ist in der Bibel ein Bild göttlicher Herrlichkeit, Pracht und Majestät. Wer die Stiftshütte in 2. Mose 25–40 studiert, wird finden, dass sehr viele Gegenstände aus Gold oder mit Gold überzogen waren. Silber ist ein Bild der Erlösung. Wenn jemand erlöst oder gelöst wurde, indem er beispielsweise zum Kriegsdienst gemustert wurde, musste ein Preis bezahlt werden, der aus Silber war (2Mo 38,25). So weisen uns Gold und Silber darauf hin, dass Gott den künftigen Überrest mit göttlicher Herrlichkeit bekleiden und mit den Zeichen der Erlösung verzieren wird.

Vers 12
„Während der König an seiner Tafel war, gab meine Narde ihren Duft.“ Jetzt finden wir die Braut am Tisch des Königs; ihre Narde, ja, sie selbst, verbreitet einen wunderbaren Wohlgeruch. Dabei denkt man unwillkürlich an die letzten Erdentage des Herrn Jesus, als Maria im Haus Simons des Aussätzigen war und dort ein Alabasterfläschchen mit kostbarem Salböl hatte, das sie für 300 Denare gekauft hatte (Mt 26,6–13). Sie empfand, dass dies die letzte Möglichkeit war, dem Herrn ihre Wertschätzung zu erweisen. Sie zerbrach das Fläschchen, goss den Inhalt auf sein Haupt aus und salbte damit seine Füße. So wurde das ganze Haus von dem Wohlgeruch erfüllt. Als die Jünger sich
darüber mokierten, sagte der Herr zu ihnen: „... indem sie dieses Salböl über meinen Leib gegossen hat, hat sie es zu meinem Begräbnis getan. Wo irgend dieses Evangelium gepredigt werden wird, wird auch davon geredet werden, was diese getan hat, zu ihrem Gedächtnis“ (V. 12.13). Es hat dem Herrn sehr viel bedeutet, dass Maria solch ein Mitempfinden für Ihn hatte.
Möglicherweise wusste sie selbst nicht um das ganze Ausmaß ihres Tuns. Was wird es sein, wenn es in Zukunft Menschen unter dem Volk
Israel gibt, die dem Messias mit einer derartigen Wertschätzung begegnen. Damals wollte das Volk nicht, dass Er über sie herrschte. Weg mit Ihm: „Er werde gekreuzigt!“ Sie haben Ihn geschlagen und angespien, gelästert und verhöhnt!

Vers 13
„Mein Geliebter ist mir ein Bündel Myrrhe, das zwischen meinen Brüsten ruht.“ Das Wort Myrrhe ist verwandt mit dem arabischen Wort „mo“, das bitter bedeutet. Die Myrrhe ist ein Harz,
das durch Anritzen des Myrrhenbaums gewonnen wird. Nachdem es ausgeflossen ist, wird es getrocknet und zu Pulver zerrieben. Legt man es ins Feuer, kommt ein wunderbarer Wohlgeruch
hervor. Die Myrrhe ist ein Bild von den bitteren Leiden unseres Herrn.
Indem die Braut ein Bündel Myrrhe zwischen ihre Brüste steckt, sagt sie gleichsam: „Der leidende Messias hat einen Platz auf meinem Herzen.“ J. N. Darby übersetzt: „... der zwischen meinen Brüsten ruht.“ Das ist eine sehr schöne Umschreibung der Liebe der Braut zu ihrem Bräutigam: „Herr Jesus, Du sollst für immer einen Platz auf meinem Herzen haben. Dort sollst Du ruhen.“ So werden auch wir sprechen, wenn wir uns mit den Leiden des Herrn beschäftigen. Dann können wir gar nicht anders, als zu sagen: „Herr Jesus, meine Liebe und Wertschätzung gehören nur Dir. Du hast einen ganz festen Platz in meinem Herzen, ich gehöre Dir.“ Kannst du dir vorstellen, was es für den Herrn bedeutet, wenn du so etwas sagst und das echt von Herzen kommt? Merkst du, wie viel auch wir aus diesem Buch für unsere persönliche Beziehung
mit dem Herrn lernen können? Wir sollten das Hohelied zur Hand nehmen, vor uns hinlegen und uns hinknien, solch eine Stelle lesen und darüber beten. Ich habe von Georg Müller gelesen,
dass er seine Bibel sehr oft durchgelesen hat, indem er sie kniend las und über das, was er las, mit dem Herrn redete. So wurde die Bibel das Mittel, wodurch er innige Gemeinschaft mit
dem Herrn hatte.

Vers 14
„Eine Zypertraube ist mir mein Geliebter, in den Weinbergen von En-Gedi.“ Blumen sind in der Bibel manchmal ein Bild der Auferstehung. Wir sehen das beim Leuchter in der Stiftshütte. Der
Leuchter hatte Blütenknospen, aus denen die Seitenarme hervorkamen (2Mo 25,31–40). Der Leuchter ist ein Bild vom auferstandenen Herrn. Als in 4. Mose 16 Männer gegen Mose und Aaron auftraten und das Hohepriesteramt Aarons in Frage stellten, ordnete Gott an, dass jeder Stamm Israels einen Mandelstab vor Ihm niederlegen sollte; der Stamm, dessen Stab in der Nacht sprossen würde, wäre der Stamm, der von Gott zum Priesterdienst ausersehen war. Und was geschah? Am nächsten Morgen hatte der Mandelstab Aarons Blüten hervorgebracht und sogar reife Früchte. Das ist ein Hinweis darauf, dass der Herr Jesus durch die Auferstehung ein ewiges Priestertum erlangt hat. Deshalb können wir hier in der Zypertraube den Herrn Jesus als den Auferstandenen sehen. So finden wir einerseits einen Hinweis auf die Leiden Christi (Myrrhe)und andererseits einen Hinweis auf seine Auferstehung. Sein Tod und seine Auferstehung gehören untrennbar zusammen.

Vers 15
Nachdem die Braut so von ihrem Bräutigam gesprochen hat, kann Er nicht anders, als zu ihr zu sagen: „Siehe, du bist schön, meine Freundin, siehe, du bist schön, deine Augen sind Tauben.“ Er muss ihr wieder sagen, was sie für ihn bedeutet. Sie ist seine Vertraute. Nun vergleicht er ihre Augen mit Tauben, dem Symbol der positiven Einfalt (Mt 10,16). Von Taubenpärchen ist bekannt, dass sie sehr aneinander hängen. Diese Einfalt der Braut gegenüber dem Bräutigam ist es, um die der Apostel Paulus sich
bei den Korinthern bemühte (2Kor 11,2.3).

Verse 16 und 17
Nun sagt die Braut ihrerseits: „Siehe, du bist schön, mein Geliebter, ja, holdselig; ja, unser Lager ist frisches Grün. Die Balken unseres Hauses sind Zedern, unser Getäfel Zypressen.“ Immer wieder bezeugen sie sich gegenseitig, was sie füreinander empfinden. Die Braut spricht vom Ruhelager und vom gemeinsamen Haus. Sie möchte bei ihrem Bräutigam zur Ruhe kommen. Noch
ist es nicht so weit, dass sie mit ihm im Königspalast einzieht, wenn sie auch an anderen Stellen im Glauben die Zukunft bereits vorwegnimmt (1,4). Bräutigam und Braut befinden sich noch im Freien. Sicher gehen wir nicht zu weit, wenn wir hier vorbildlich den Wunsch des Überrestes sehen, sich mit dem (zu der Zeit von der Welt noch) verworfenen Messias einszumachen. Ist es
nicht auch für uns sehr wichtig, dass wir gegenüber der Welt ganz deutlich zeigen, dass wir zu dem verworfenen Christus gehören? Muss unser Reden und Handeln gegenüber der Welt
nicht eindeutig klarmachen: Ich gehöre dem Herrn Jesus an? Wie schade ist es, wenn sich jemand des Herrn Jesus schämt (vgl. Mt 10,32.33). Wenn wir uns so auf seine Seite stellen, wird Er uns einen besonderen Beweis seiner Liebe schenken...

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