Nun haben sich aus dem Leserkreis Stimmen erhoben, die gefragt haben: »Warum diese enge zeitliche Beschränkung? Wir würden gern in ähnlich gestraffter Form weitere Mitarbeiter Gottes in dem Wichtigsten ihres Wesens und Wirkens kennenlernen.« Das macht mir Mut, drei weitere Bände herauszugeben.
Wieder sind Gestalten aus dem Raum des neueren Pietismus berücksichtigt. Auch dieses Mal muß eine zeitliche Begrenzung festgehalten werden. Der Heimgang der dargestellten Männer und Frauen fällt in die Jahre 1914-1945 (Beginn des Ersten und Ende des
Zweiten Weltkrieges). .
Allerdings sind von dieser Regel zwei Ausnahmen gemacht worden, die in einem Anhang ihren Platz finden. Es lag nahe, dem Lebensbild von Alfred Christlieb das seines Vaters Theodor (gest.1889) hinzuzufügen. Dieser ist einer der bedeutendsten evangelikalen Theologen des 19. Jahrhunderts gewesen und hat sehr nachhaltig und höchst praktisch in den Bereich der Evangelisation und Gemeinschaftsbildung hineingewirkt. - Von Carl Lange, dem Gründer des Brüderhauses Preußisch Bahnau, ist nicht zu trennen sein Mitarbeiter, Lehrer Ernst Aeschlimann (gest. 1963). Beide haben Generationen von Brüdern weit über die Ausbildungszeit hinaus geprägt. Sie erscheinen in diesem Band noch einmal Seite an Seite.
»Er weiß den Weg.« So heißt der Titel des Buches. Ja, unser Gott hat für jedes seiner Kinder und jeden seiner Boten einen besonderen Plan und W ego WeIcher Reichtum seiner Führungen wird sichtbar! Auch wir, von denen nie ein gedrucktes Lebensbild vorliegen wird, dürfen uns dessen freuen und getrösten. Die beiden weiteren Bände werden die Titel tragen: »Er bricht die Bahn« und »Er führt zum Ziek Beiträge sind u. a. vorgesehen über: Johannes Seitz, ütto Stockmayer, Georg von Viebahn,
Johannes Warns, Christi an Dietrich, Traugott Hahn (Vater und Sohn), Ernst Lohmann, Dora Rappard, Minna Popken. Wenn Gott auch diese zweite Reihe gelingen läßt, dann liegen nach Abschluß in insgesamt sechs Bänden 126 Kurzbiographien vor. Damit ist dann ein großer Teil des neueren Pietismus im landes- und freikirchlichen Raum in Lebensbildern dargestellt und zugänglich. Arno Pagel
Fritz Coerper
Geb. 10. 5. 1847 in Meisenheim am Glan als Sohn eines Pfarrers. Studium der Theologie in Erlangen, Utrecht, Tübingen und Bonn. Nach der ersten theol. Prüfung Vertreter für den erkrankten Pfarrer in Eschweiler bei Düren. 1870 Oberhelfer am Rauhen Haus in Hamburg. Oktober 1871 Vikar in Boppard am Rhein und ab Februar 1873 Pfarrvikar, später Pfarrer in der Diasporagemeinde Köln Ehrenfeld. Im März 1885 Inspektor der Evangelischen Gesellschaft für Deutschland und ab November 1887 Pfarrer der Unterbarmer Gemeinde in Wuppertal-Barmen. 36 Jahre Präses der Ev. Gesellschaft. Gest. 12. 11. 1924.
Das schönste Bild
Im heimatlichen Pfarrhaus wurde der vierzehnjährige Fritz Coerper von einer schweren Krankheit - wahrscheinlich Typhus - ergriffen. Er schwebte lange Wochen zwischen Leben und Tod. Die Mutter gab ihm in dieser Zeit das Neue Testament und das Büchlein über die Nachfolge Christi von Thomas a Kempis zu lesen. über das letztere schrieb er später als Student von Utrecht nach Hause: » Wie oft danke ich Dir, liebe Mutter, für dies herrliche Buch im Stillen, das mir Deine Liebe schenkte!« Tiefer und bleibender noch wirkte aber auf das Herz des kranken Jungen das Bild Jesu aus den Evangelien. »Blitzartig« leuchtete ihm die göttliche Herrlichkeit des Heilandes auf. Die rettende Wahrheit drückte sich ihm in die Seele: »Wer an den Sohn Gottes glaubt, der hat das ewige Leben.« Hören wir seine spätere Erinnerung an diese erste Begegnung mit Jesus:
»Ein Maler des Altertums hatte ein so schönes Bild gemalt, daß ein Dichter meinte, wer das Bild ansähe, der werde in seinem Elend seines Elendes, in der Krankheit seiner Krankheit, ja im Sterben des Todes vergessen. Schade, daß wir dies schöne Bild nie gesehen haben und nie sehen werden. Ich kenne aber ein anderes Bild, von dem wirklich wahr ist, was jener Dichter von dem Bild des Malers sagte. Ich habe es selbst erfahren; ins tiefste Dunkel des Unglücks leuchtete es mir wie die Sonne in einen Abgrund. Als ich vor den Pforten des Todes stand, vergaß ich die Schrecken des Sterbens über dem Anblick dieses Bildes. Und welches ist das Bild? Es ist das Bild, das der Heilige Geist durch die Evangelisten uns gezeichnet hat von unserem Heiland Jesus Christus, ja, das er selbst uns gezeichnet hat durch seine Taten und Worte, durch die wir einen Blick tun dürfen in sein gottmenschliches Heilandsherz.«
Fritz Coeper ist damals wieder genesen. Das Bild Jesu, das sich in jener kindheitlichen Erweckung in sein Herz senkte, ist ihm später immer heller und schöner aufgeleuchtet. Es gab auch Zeiten der Verdunkelung, der Anfechtungen und der Glaubenskämpfe. Aber das Licht brach immer wieder durch. Oder um ein anderes Bild zu gebrauchen: Immer wieder ragte der Fels des Glaubens aus dem Meer der Fragen und Zweifel. In einem Brief aus Utrecht an den Vater hieß es: »Wie steht's mit Christus? Das ist doch der Kernpunkt von all dem Streit, der die bedeutendsten Köpfe in der Wissenschaft beschäftigt. Und doch ist die Hauptfrage die, ob sich Christus nach den Köpfen oder die Köpfe nach ihm richten sollen. Wenn wir eben von einem Katheder zum andern gehen, so finden wir da einen Christus, der von dem andern, den wir dort kennenlernen, so verschieden ist wie Tag und Nacht. Ich brauche Dir nicht zu sagen, dass da der Kampf im Inneren gleichen Schritt hält, wenn ich auch trotzdem zugeben muß, daß, wie oft auch der kleine Fels des Glaubens vom Meer verschlungen scheint, er doch immer wieder herausragt. Schon oft dachte ich, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn ich
Naturwissenschaft oder irgendein anderes Studium ergriffen hätte, und doch, wenn ich an eine Vorsehung glaube, kann es nur gut für mich sein, daß ich hier in Holland Theologie studiere.«
Der erst zweiundzwanzigjährige Gehilfe des erkrankten Pfarrers von Eschweiler zeigt schon erstaunliche geistliche Erkenntnisse: »Ich habe einsehen gelernt, daß, wenn wir stehen, wir am kleinsten sind, wenn wir knien größer, und wenn wir uns in den Staub beugen, am größten sind.« Dem Oberhelfer im Rauhen Haus in Hamburg - auf den die Begegnung mit Johann Hinrich Wichern, dem Vater der Inneren Mission, einen tiefen Eindruck machte - sind schwierig zu erziehende Kinder aus sozial höhergestellten Familien anvertraut. Er vergißt aber nicht, wie sehr er selber der Erziehung durch den größten Pädagogen, den Heiligen Geist, bedarf: »Wer den Geist Gottes betrübt, dem wird er nicht beistehen. Wer um ihn bittet, der muß ihn auch in sich und andern wirken lassen und nicht die Spitze abbrechen.«
Hat es der Steinklopfer besser?
Der Vikar in Boppard verlegt sich eifrig auf Hausbesuche. Er will dabei nicht bloßer Unterhalter, sondern Zeuge J esu sein Und stellt sich die Gewissensfrage: »Es gibt Häuser, wo man gewünscht wird und wo doch Christus nicht gewünscht wird. Rücke ich wirklich mit meinem Bekenntnis noch nicht heraus? Bin ich noch zu vorsichtig?« Manchmal zeigt er einen tapferen Freimut. Ein wohlhabender Mann, der ein großer Freund der Jagd und der Waffen ist, hört davon, daß der Vikar Coerper nach und nach alle seine Gemeindeglieder besucht. Er trumpft im Wirtshaus wild auf: »Wenn der Pfaffe zu mir kommt, dann schieße ich ihn nieder!« Bald aber ist er an der Reihe, und der Besucher schellt an seiner Tür. Es wird ihm auch aufgetan. Die beiden Männer gehen die Treppe hinauf ins Wohnzimmer. überall hängen die Wände voller Waffen. Der Jäger stellt sich vor den Vikar und schreit ihn mit großer Stimmkraft an: »Nichts hat in der Welt mehr Unheil angerichtet als der Glaube!«
Hören wir Coerper zu, wie es weiterging:
Herr. . ., Sie haben ganz recht, wenn Sie dem Wort Glaube nur ein paar Silben vorsetzen: Unglaube und Aberglaube. Der Aberglaube hat gewiß schon großes Unheil angerichtet. Denken Sie an die Tausende, die in Spanien von der Inquisition hingerichtet und verbrannt worden sind! Und denken Sie an die Hunderttausende, die der Unglaube in der französischen Revolution auf die Guillotine, unter das Fallbeil brachte! Aber daß der wahre, lebendige Christenglaube der Welt geschadet hätte, davon habe ich noch nie gehört. Wir müssen unterscheiden zwischen dem Glauben und seinen bösen Stiefbrüdern, dem Aberglauben und dem Unglauben. Einen Augenblick besinnt sich der Hausherr, dann geht er zur Tür und
ruft seiner Haushälterin zu: Katharin, mach Kaffee! Wir unterhalten uns noch weiter über das Thema, dann entläßt er mich im Frieden aus seinem waffenstarrenden Haus.« - Diese Begebenheit zeigt die volksmissionarische, schlagfertige Art, die Fritz Coerper eigen war.
Begleiten wir ihn nun in die Arbeit in der Kölner Vorstadt Ehrenfeld! Die evangelische Gemeinde dort war erst im Werden, und Coerper hat sie aufbauen helfen. Sein klares Zeugnis rief bei vielen lebhaften Widerspruch hervor. Leute blieben weg, weil der junge Pfarrer zu ernst und zu entschieden von Sünde, Bekehrung und Glauben predigte. Gerade diesen Widerwilligen galten seine Hausbesuche. Einen Mann hatte er veranlassen können, einige Male die Gottesdienste zu besuchen. Dann blieb er jedoch weg. Coerper fragte ihn, als er ihm auf der Straße begegnete, warum er nicht mehr komme, nachdem er doch einen Anfang gemacht habe. Die Antwort lautete: »Herr Prediger, ich merkte, wenn ich noch ein paarmal käme, dann müßte ich mich bekehren, und das will ich nicht!«
Gott sei Dank, manche andere wollten! Coerpers Arbeit blieb nicht ohne Frucht. Aber es gab auch tiefe Stunden der Verzagtheit, wie wir sie von Elia und vielen andern Gestalten der Bibel und der Reichgottesgeschichte kennen. Lassen wir ihn davon erzählen: »Als ich Pfarrer in Ehrenfeld war, kam ich einst in große Anfechtung, so daß ich alles, auch mein Amt, aufgeben wollte. Ich wäre so gern etwas Tüchtiges geworden: ein ordentlicher Prediger, ein treuer Seelsorger, ein gesegneter Lehrer. Jeder Tag lehrte mich aber mehr, dass ich nicht wurde, was ich werden sollte. So kam ich in Not und wollte verzagen. Ich dachte, der Steinklopfer auf der Straße hat's besser als du. Er sieht doch, was er schafft. Ich dachte daran, einen der Geschäftsherren zu bitten, mich auf seinem Kontor zu beschäftigen. Da besuchte mich Stadtmissionar Pfenniger aus Köln, der aus der Brüdergemeine stammte. Ich klagte ihm meine Seelennot. Als Antwort schüttete er eine ganze Fülle von Liederversen über mich aus, die meiner Seele Balsam waren. Als er zur Tür hinausgegangen war, lief ich hinter ihm her und bat ihn, mir das Büchlein zu leihen, in dem diese Trostworte standen. Es war der Psalter von Ernst Gottlieb Woltersdorf. Er versprach mir, das Buch noch am selben Tage zu bringen. Am Abend hatte ich es schon in den Händen. Ich las und las die ganze Nacht durch. über dem Lesen der herrlichen Lieder von der Gnade kam mir die Frage in die Seele: Was willst du denn doch eigentlich? Was willst du sein und werden? Ich fand die Antwort: Nichts, gar nichts als ein armer, verlorener, aber durch Gottes Erbarmen begnadigter Sünder. Als mir das recht klar geworden war, hatte ich das köstliche Ding, das in der Gnade fest werdende Herz wiedergefunden und konnte fröhlich und getrost weiterarbeiten.«
Der »Inspektor« und die »Boten«
Zweieinhalb Jahre ist Fritz Coerper Inspektor der Evangelischen Gesellschaft für Deutschland, eines der größten innerkirchlichen Gemeinschaftsverbände, gewesen. In diesem Amt mußte er viel reisen: »Wenn ich an die gemeinsamen Wanderungen denke über Berg und Tal, über Schnee und Eis, bei Sonnenschein und Regen, durch die schönsten Gaue unseres Landes, an all das gemeinsam Erlebte in Kirchen, in Gemeinden und Vereinshäusern, in Bauernhütten, in großen Hallen, in Feld und Wald, auf der Dorfstraße oder in den engen Straßen großer Städte, an Krankenbetten, bei Angefochtenen, in Vereinen und Gemeinschaften, so möchte ich unsern schlimmsten Widersachern wünschen, sie dürften nur einmal ein Jahr Inspektor der Evangelischen Gesellschaft sein. Ich wünschte es ihnen, weil ich ihnen Gutes gönne. Die Arbeit blieb darum immer doch eine einfache und einheitliche, weil es sich im Grunde nie um etwas anderes handeln konnte, als das Wort zur Geltung zu bringen in mannigfacher Weise. Auf solchen Wegen lernt man erstaunt, wie reich das Wort unseres Gottes ist.«
Immer wieder betont Coerper in seinen Inspektorberichten: »Das Wort muß es tun, und das Wort tut es.« Hören wir ihn: »Wer sollte sich nicht freuen, vor allerlei Volk in den Kirchen die großen Taten Gottes verkündigen zu dürfen? Und doch, mir schien oft in den kleinen Hütten der Himmel noch näher und die Wahrheit kräftiger und mächtiger. Einmal weinte nach einer Versammlung ein Junge die hellen Tränen. Niemand konnte herausbringen, warum er weinte. Endlich sagte er: >Weil meine Schwester nicht dabei war.< Ein anderer Junge war ein anderes Mal dabei gewesen. An einem der nächsten Abende quälte er seine Mutter so lange, bis die den weiten Weg mit ihm ging, um noch einmal dabei sein zu dürfen. Es ist ein
Irrtum, wenn man meint, man müsse Mummenschanz treiben, um die Jugend zu fesseln. Was einfach, aber wahr ist, das ist dazu auch das Beste.«
An der Seite des Inspektors standen die »Boten«. Das waren schlichte Männer aus dem Volk, voll brennender Jesusliebe. Eine Ausbildung, wie sie heute unseren Predigern und Stadtmissionaren zuteil wird und zuteil werden muß, hatten sie in den seltensten Fällen erfahren. Sie hingen sich die Büchertasche um, machten eifrig Hausbesuche und boten dabei Bibeln und christliche Schriften an. Sie waren treu in der Einzelseelsorge. Es öffneten sich ihnen hin und her Häuser zu Versammlungen. Aus diesen gingen im Lauf der Zeit dann organisierte Gemeinschaften hervor. Am Beginn des Inspektorats von Coerper standen 23 Boten im Dienst der Evangelischen Gesellschaft, davon 15 in der Rheinprovinz, 6 in Westfalen, außerdem je einer in Lippe-Detmold und in Thüringen. Prachtvolle Originale waren darunter. Einer pries seinen Beruf mit den folgenden
Worten: »Ich kann mir keine schönere Aufgabe denken, als ein Bibelbote zu sein. Ein Fürst oder König kann keine gesegneteren Stunden haben, nicht fröhlicher in seinem Gott sein als solch ein geringer Bibelbote . . . Die Tage meiner Leiden wie die Tage meiner Gesundheit, jeder einzelne hat mir das Lob Gottes unseres Heilandes gemehrt.« So voll vom Lob Gottes war auch der gesegnete Bruder Scheffels aus dem Oberbergischen, der einmal seinem Inspektor schrieb: »Ich habe in den Meinigen hinlängliche Kräfte für mein Haus und meine Ackerwirtschaft, so daß ich unbesorgt hinaus auf mein Arbeitsfeld wandern kann. Die Büchertasche auf dem Rücken und den Frieden Gottes im Herzen, so wandert sich's gut in Mesechs Land, wenn der Herr, unser Gott, vorangeht und die Harfe unseres Herzens stimmt und wir singen können: ,Die Sach' ist dein, Herr Jesu Christ, die Sach', an der wir stehn, und weil es deine Sache ist, kann sie nicht untergehn.«<
Der Inspektor schärfte es seinen Boten ein: »In der letzten Zeit ist es mir besonders wichtig geworden, daß demütige Liebe doch für alle Arbeit das Größte ist. Es ist mir ein Anliegen, daß uns der Herr durch seinen Heiligen Geist mehr davon gebe als bisher.« Frei sollten die Boten auftreten, auch den Herren Pfarrern gegenüber. Aber Freiheit sollte nie in Frechheit ausarten. Wie Inspektor Coerper sich seine Boten geistlich wünschte, dafür das folgende Beispiel: »Einer unserer Boten kam zu einem Schuhmacher und bot ihm seine Bücher an. Der schimpfte ihn und sagte: ,Du Faulenzer, du Taugenichts!< Der Bote sagte: ,Lieber Freund, beruhigen Sie sich. Sie sagen mit leider gar nichts Neues. Das weiß ich schon seit Jahren, dass ich nicht tauge. Aber gerade deshalb freue ich mich so sehr, daß ich einen Heiland habe, und wenn Sie auch nicht taugen und gern einen Helfer hätten, dann dürften wir uns noch etwas unterhalten.< Der Schuhmacher, der zuvor dem Boten den Hammer an den Kopf werfen wollte, rief ihn nun herein, unterhielt sich und kaufte ein Buch.«
Nach der kurzen Zeit als Inspektor blieb Coerper 36 Jahre lang der nebenamtliche Präses (Vorsitzende) der Evangelischen Gesellschaft. Er kehrte nie den Vorgesetzten bei den Boten heraus, er war immer ihr Bruder und Seelsorger. Er mahnte sie: »Benutzt eure Zeit und wagt alle Kräfte des Leibes und der Seele an die Sache des Königs! Es ist gut, wenn wir die Gläubigen besuchen und uns mit ihnen im Glauben stärken. Aber das Sitzen in gläubigen Kreisen kann und darf nur unsere Erholung sein. Unsere eigentliche Arbeit ist unter den in der Irre Gehenden, zum Teil noch ganz Fernstehenden.« Völlige Hingabe und Drangabe hieß aber nicht nur, sich mit aller Kraft in die Arbeit werfen. Das hielt Coerper noch für verhältnismäßig leicht. Er wies auf das Wichtigere hin: »Die größte und schwierigste Arbeit ist doch die Drangabe des eigenen Ichs. Diese Arbeit darf nicht ruhen, bis wir ganz daheim beim Herrn sind. Aber in dem Maße, als wir Gemeinschaft mit ihm haben, wird sie doch gelingen. Wer bereit ist, den untersten Weg zu gehen, wird immer noch einen Weg finden. Laßt uns unsern alten Menschen da halten, wo er hingehört, am Kreuz!«
Die Evangelische Gesellschaft sah sich in der Landeskirche zum Dienst, zum Aufbau von Gemeinschaften und zum Bau des Reiches Gottes berufen. Coerper hielt seine Boten an, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, was zu einem guten Verhältnis mit den Gemeindepfarrern beitrug. Diese aber erinnerte er daran: »Es hängt unendlich viel davon ab, ob die Pastoren ReichsteIlung aus Gnaden oder Amtsstellung mit Verfügungsrecht über Seelen haben! Hier liegt der Kardinalpunkt, an dem sich vieles zum Heil oder Unheil der Kirche entscheidet. «
»Haltet euch herunter zu den Niedrigen!«
Diese biblische Mahnung hat Fritz Coerper sein Leben hindurch gehört und zu praktizieren versucht. Das gilt für die Stationen seines Lebens und Dienstes, die wir schon haben vorüberziehen sehen. Das bezieht sich auch auf den langen Zeitraum von Jahrzehnten, den er als Gemeindepfarrer in Unterbarmen verbrachte. So sehr ihn der freie Reisedienst in der Gemeinschaftsarbeit lockte, es zog ihn dann wieder die härtere Aufgabe der Gemeindearbeit an einem Ort an. Er dachte auch an die Familie, von der er so viel getrennt gewesen war. Da er zum Präses gewählt wurde, blieb der Kontakt mit der Gemeinschaftsarbeit sehr eng.
In Unterbarmen lebten überwiegend Arbeiter, einfache Leute. Ihnen galt Coerpers ganze Liebe. Wie er es von früher her gewohnt war, so besuchte er auch jetzt die Gemeinde durch, so gut er konnte. So sehr ihm die ewige Errettung der Menschen am Herzen lag, so hatte er doch auch ein waches Auge und ein offenes Herz für die allgemeinen Nöte sozialer und politischer Art. Seine persönliche Anspruchslosigkeit, die ihm viel Gutestun an andern erlaubte, war stadtbekannt. Auch im Wuppertal war die zu einem großen Teil sozialdemokratisch gesinnte Arbeiterschaft voller - z. T. berechtigter - Kritik an der Kirche und ihren Pfarrern. Aber »unser Fritz« - wie Coerper volkstümlich oft genannt wurde - wurde dabei meistens ausgenommen. Ein Genosse sagte, auf die Revolution anspielend, von der man träumte: »Wenn der große Kladderadatsch kommt, dann geht es den Pfaffen an den Kragen. Wer aber unsern Fritz antastet, dem schlage ich alle Knochen kaputt!«
»Gott schenkte seinen Sohn nicht in die Staatsstube, sondern in den Stall- also unter das Volk! Meine Lage weist mich zu den Kleinen und Kleinsten. Haltet euch herunter zu den niedrigen!« So und ähnlich hörte man Fritz Coerper immer wieder reden, so sah man ihn immer wieder handeln. Dazu zählten auch die Kinder in der Kinderlehre. Wenige Wochen vor seinem Tode kam er mit bestaubtem Mantel nach Hause. »Was hast du nur gemacht?« fragte ihn seine Gattin. Er sah sich die Bescherung verwundert an. Endlich sagte er: »Ich habe nach der Kinderlehre meine Knie noch gebeugt, um die Kinder alle dem Herrn zu bringen.«
Welch treuen Freund hatten die Kranken an ihm! Und der Gebundenen nahm er sich an. Oft weilten Trinker, denen er helfen wollte, für längere Zeit in seinem Hause. Es lebte in ihm die Liebe, die keinen aufgibt. Sein Herz war weit für alle Menschen, ganz gleich ob sie schon den Heiland kannten oder noch vor der engen Pforte standen: »Ich meine, je mehr Menschen wir kennenlernen, umso weiter müßte unser Herz werden. Jeder Mensch hat irgend ein Leid oder einen Schmerz, um deswillen er unsere Anteilnahme braucht. Und jeder hat auch irgend etwas, was ihn liebenswert macht. . . Wir haben keinen Grund, mutlos zu sein. Im Laufe der Jahre habe ich mit so vielen Menschen verkehrt. Ich habe viele kirchenlose gefunden,
aber ganz christuslose kaum. Es ist merkwürdig, wie sie doch noch mit Jesus Christus zusammenhängen.«
Auch Coerper hat den Kampf der Heiligung kämpfen müssen. Auch bei ihm gelüstete das Fleisch immer noch und immer wieder gegen den Geist. Sein von Hause aus leidenschaftliches und rasches Temperament konnte sich im Wort und Urteil manchmal jäh und heftig äußern. Auch er brauchte die Erziehung durch seinen Herrn. Dabei halfen auch die eigenen Kinder mit. Was er einmal sagte, haben viele andere Eltern ebenso erfahren: »Nichts demütigt mehr als die Erziehung der eigenen Kinder.« So wie Fritz Coerper war und wirkte, haben ihn seine Gemeindeglieder geliebt. Der Unterbarmer Kirchmeister bezeugte am Grabe:
»Was einer auch bei dir suchte, den Pastor, den Freund oder den Vater, du hast ihm geholfen, und darum war dein Leben ein Dienst, den wir dir danken. Nisi Christus, frustra! (Wenn nicht Christus, dann ist alles umsonst.) Diese deine lebendige Predigt wollen wir nicht vergessen.«
Arno Pagel
Georg Dreisbachgeorg%20dreisbach.jpg
Geb. 8. 12. 1852 in dem Dörflein Rinthe im Wittgensteiner Land (Westfalen). Aufgewachsen in ländlicher Stille und Abgeschiedenheit. Nach der Schulentlassung einige Jahre Schafhirte. Später Fuhrmann und Fabrikarbeiter in Weidenau im Siegerland. Nach einer klaren Bekehrung Mitarbeiter in der Gemeinschaft und landauf, landab als Bote Jesu tätig. Gest. 26. 7. 1933.
Da hob das Danken an
Bald nach seiner Schulentlassung zog Georg mit der Einwilligung des Vaters und dem seufzenden Jawort der Mutter ein Jahr lang mit einem Schäfer als dessen Gehilfe durch das Siegerland dem Rhein zu. Das war die Erfüllung seines höchsten Wunsches und Jugendtraumes. Er lebte mit den Tieren, freute sich ihres Wohlergehens, teilte ihre Not. Es ging durch Frost und Nässe, durch Hunger und Entbehrung, durch schlaflose Nächte und mancherlei Schwierigkeiten. Das Jahr war für ihn eine harte Schule. Nach demselben hütete er zwei Jahre die Schafe eines Gast- und Landwirts im Wittgensteiner Land. Dabei hat ihn die Gastwirtschaft in mancherlei innere Gefahren gebracht. Aber über seinem Leben waltete die gute, verborgene Hand Gottes. Nach dem Abschluß seiner Militärdienstzeit begann für ihn ein neuer Lebensabschnitt. Er trat die Stelle eines Fuhrmanns bei einem Fuhrunternehmer und Gastwirt in Weidenau im Siegerland an und heiratete bald. Das junge Glück der beiden wurde jedoch schon bald von Krankheitsnot überschattet. Der Ehemann wurde plötzlich von einem derartig heftigen Gelenkrheumatismus befallen, daß er steif wie ein Brett unter furchtbaren Schmerzen auf seinem Lager liegen mußte. Da kam ihm eines Tages der Gedanke: »Solltest du nicht einmal den Namen des Herrn anrufen? Er hat einst doch den Kranken in schwerer Not geholfen.« So wandte er sich nach einer langen gebetslosen Zeit an den Heiland: »Herr, erbarme dich meiner!« Und der Herr half. Plötzlich konnte er aufstehen. Das war kein Zufall, das war die gnädige Hilfe von oben, für die er von ganzem Herzen dankbar war. Sein fester Vorsatz war, es allen Leuten zu sagen, wie sich der Herr über ihn erbarmt habe. Doch dann fehlte ihm der Mut dazu. Das alte Leben begann wieder. Jörg (Georg) und seine fleißige Frau konnten es bald wagen, ein eigenes Haus zu bauen. Zu ihrem Sohn gesellte sich noch ein gesundes Töchterlein. Die Freude der Eltern war groß. Aber dann kam neue Krankheitsnot. Es stellte sich wieder Gelenkrheumatismus ein, schlimmer als das erste Mal. Doch damit nicht genug. Auch die junge Frau wurde schwer krank. Da dachte der Jörg an seine vorige Krankheit, an das herrliche Erleben der göttlichen Hilfe, aber auch an seine Undankbarkeit.
»Solltest du es nicht noch einmal wagen dürfen, Gott anzurufen?« So fragte er sich. 0, wie schämte und scheute er sich! Aber die Not wurde größer. Und sie lehrte beten: »Sieh nicht an meine Sünde, erbarme dich meiner Not und laß mich vor dir Gnade finden!« Noch während des Gebetes faßte er Vertrauen. Es wurde ihm wohl, und er empfing die Zuversicht: Gott wird helfen. Und Gott half. Nicht nur durch Heilung des Leibes, sondern vor allem durch das Geschenk des inneren Friedens und der Sündenvergebung. Da hob das Danken an und hörte nie wieder auf. Bald folgte ihm auch seine Frau auf dem neuen Wege. In dem neuen Haus wohnten nun neue Menschen und ein neues Glück.
Zeuge für Jesus
Durch seinen Beruf als Fuhrmann war der Jörg im ganzen Ort bekannt. Nach seiner Bekehrung wurde er Mitarbeiter in der örtlichen Gemeinschaft. Er suchte auch anderen Menschen den Weg zu J esus zu zeigen. Das brachte ihm manchen Hohn und Spott ein, vor allem, nachdem er Arbeiter in einer Fabrik geworden war. Unter seinen neuen Arbeitskameraden war besonders einer, der ihm hart zusetzte. »Ich habe dich immer«, so sagte dieser ihm einst in einer Frühstückspause, »für einen vernünftigen Kerl gehalten, und nun glaubst du auch an die Märc~en, die dir die Pfaffen und Mucker erzählen?« Unter viel Gebet und Seufzen versuchte der Jörg, dem Spötter zu antworten. Einmal nahte sich dieser wieder mit einigen Gleichgesinnten, um seine Bosheit an ihm auszulassen. Da sagte unser Freund: »Ich möchte dich einmal etwas fragen, sei ehrlich! Bist du wirklich deiner Sache so gewiß, wie du behauptest? Kommen dir nicht, wenn du allein bist auf dem Wege oder wenn du nachts nicht schlafen kannst, manchmal zweifelnde Gedanken an dem, was dein Unglaube behauptet und du den Leuten vormachst?«
Aller Augen schauten auf den Mann. Es folgte ein große Stille. Der Spötter war getroffen. Er drehte sich dann um und sagte nur: »Sieh an, der Dreisbach !« Von da an hatte Jörg Ruhe vor ihm. Bald wurde der Arbeitskamerad krank. Georg besuchte ihn. Erstaunt sagte er: »Du kommst? Von den andern sind noch wenige hiergewesen.« Nun hatte Georg Veranlassung, ihm zu bezeugen, wie die Welt ihre Diener lohnt und wie Jesus selig und glücklich macht. Danach sang sein mitgekommenes kleines Töchterchen dem Kranken ein Lied vom Heiland, das sie im Kindergarten gelernt hatte. Der Vater begleitete die zweite Strophe mit seiner Tenorstimme. Dem einstigen Spötter standen die Tränen in den Augen. Fortan besuchte ihn Georg öfter. Und es dauerte nicht lange, da kam er zum lebendigen Glauben. Es war die Erstlingsfrucht, die Georg für seinen Herrn gewinnen durfte. Ihr folgten viele weitere. Bald darauf ist der Mann selig heimgegangen.
Ernst Modersohn über Jörg Dreisbach
Als Pastor Ernst Modersohn, der spätere gesegnete Evangelist, 1895 als junger Pfarrer nach Weidenau kam, da hatte er schon manches gelernt und allerlei studiert. Aber Einsicht und Erfahrung in der praktischen Seelsorge fehlten ihm noch. Er war demütig genug, sich zu den Füßen der alten Brüder zu setzen und von ihnen zu lernen. Er nannte sie seine »Professoren im Schurzfell mit der schwieligen Faust«.
Modersohn erzählt darüber folgendes: »In dieser Zeit gab es in der Gemeinde hauptsächlich zwei Häuser, die man aufsuchte, wenn man in Sündennot war und Rat und Hilfe für seine Seele suchte. Das war einmal das Haus von >Ohm Michel<, dem früheren Zuchthäusler, der zehn Jahre lang im Zuchthaus in Münster gesessen hatte, bis er begnadigt wurde, und das andere war das Haus von Georg Dreisbach in der Querstraße. Wie oft, wenn ich zu Ohm Michel kam, fand ich dort Menschen, mit denen er redete, um ihnen den Weg zum Heiland zu zeigen! Er verstand es in besonderer Weise, ihnen das Heil in Christo nahezubringen und sie zu ermuntern, das Heil im Glauben anzunehmen.
ISBN: 3882240563 (ISBN-13: 9783882240566)
Verlag: Francke-Buchhandlung
Format: 20,5 x 13,5 cm
Seiten: 200
Erschienen: 1978
Einband: Paperback
ISBN: 3882240563 (ISBN-13: 9783882240566) Verlag: Francke-Buchhandlung Format: 20,5 x 13,5 cm Seiten: 200 Erschienen: 1978 Einband: Paperback