KAPITEL 3, 13 Die Tochter des Pharao
"Und Salomo verschwägerte sich mit dem Pharao, dem König von Ägypten; und er nahm die Tochter des Pharao und brachte sie in die Stadt Davids, bis er den Bau seines Hauses und des Hauses Jehovas und der Mauer von Jerusalem ringsum vollendet hatte".
Auf die Erwähnung der Befestigung des Königtums in der Hand Salomos in Kap. 2, 12 folgt das Gericht, welches das Reich von allem reinigt, was sich wider David erhoben hatte. Auf die Wiederholung jener Erwähnung in Kap. 2, 46 folgt im 3. Kapitel die Verschwägerung mit dem König von Ägypten. Salomo geht eine Verbindung sogar mit der Nation ein, die einst sein Volk unterdrückt hatte, indem er eine Vereinigung der innigsten Art schafft: er nimmt seine Gemahlin in Ägypten.
Diese Vereinigung erinnert an diejenige Josephs mit einer Ägypterin, der Tochter des Priesters zu On; aber die vorbildliche Bedeutung beider ist verschieden. Joseph, der von seinen Brüdern Verworfene, findet, e h e e r s i c h i h n e n w i e der zuerkennen gegeben hat, in Ägypten, unter den Nationen, eine Gemahlin und Söhne, gemäß dem was in Jes. 49, 5 und 6 von Christo gesagt wird: "Israel ist nicht gesammelt worden; aber ... ich habe dich auch zum Licht der Nationen gesetzt, um mein Heil zu sein bis an das Ende der Erde". Die Verheiratung Josephs ist ein Vorbild von den Beziehungen des verworfenen Christus zu der Kirche, sowie von der Nachkommenschaft die Er außerhalb des Landes der Verheißung erworben hat bevor Er Seine Beziehungen zu Seinem irdischen Volke wieder aufnimmt.
Die Verbindung Salomos mit der Tochter des Pharao hat, gleichwie sie unter anderen Umständen vollzogen wurde, auch eine andere Bedeutung. Das Königtum ist in der Hand des Königs befestigt; die Zeit der Verwerfung des Gesalbten Jehovas in der Person Davids ist vorüber; Salomo ist als König der Gerechtigkeit über sein Volk Israel eingesetzt, was er eben durch das Gericht bewiesen hat. Erst dann geht er eine Verbindung mit dem Pharao ein und nimmt dessen Tochter zur Gemahlin, wie es in Jes. 19, 2125 heißt: "Und Jehova wird sich den Ägyptern kundgeben, und die Ägypter werden Jehova erkennen an jenem Tage; und sie werden dienen mit Schlachtopfern und Speisopfern, und werden Jehova Gelübde tun und bezahlen ..
An jenem Tage wird Israel das dritte sein mit Ägypten und mit Assyrien, ein Segen inmitten der Erde; denn Jehova der Heerscharen segnet es und spricht: Gesegnet sei mein Volk Ägypten, und Assyrien, meiner Hände Werk, und Israel, mein Erbteil!"
Salomo bringt seine ägyptische Gattin i n d i e S t a d t Da v i d s . So wird es auch im Beginn des Tausendjährigen Reiches sein: die Nationen werden zunächst unter die Beschirmung des Bundes gestellt werden, welcher mit Israel errichtet werden wird, und der hier durch die auf dem Berge Zion aufgestellte Bundeslade vorgebildet wird (2. Sam. 6, 12). Später werden sie ihren bestimmten Platz des Segens haben, So wie Salomo später für seine heidnische Frau ein Haus außerhalb der Stadt Davids erbaute, "denn er sprach: Mein Weib soll nicht in dem Hause Davids, des Königs von Israel, wohnen; denn die Orte sind heilig, in welche die Lade Jehovas gekommen ist (2. Chron. 8, 11).
Bis zu jenem Augenblick wird die Tochter des Pharao in den Genuß der Segnungen nicht der Beziehung gesetzt, deren Vorbild die Bundeslade ist. Überall, wo diese Lade sich befand, sei es im Hause ObedEdoms (2. Sam. 6, 11. 18. 20), oder in der Stadt Zion, brachte sie Segen mit. Während des Tausendjährigen Reiches werden die Nationen sich dieses Vorrechts bewußt sein: viele Völker und mächtige Nationen werden kommen, um Jehova der Heerscharen in Jerusalem zu suchen und Jehova anzuflehen. ... In jenen Tagen werden zehn Männer aus allerlei Sprachen der Nationen ergreifen, ja, ergreifen werden sie den Rockzipfel eines jüdischen Mannes und sagen: Wir wollen mit euch gehen; denn wir haben gehört, daß Gott mit euch ist" (Sach. 8, 22. 23).
Aus dem 2. und 3. Verse unseres Kapitels ersieht man deutlich, daß bei Beginn der Regierung Salomos die Dinge noch nicht endgültig geordnet waren. Die Lade Jehovas wohnte unter Teppichen; es blieb dem Sohne Davids noch übrig, das Haus Jehovas zu bauen. Zu jener Zeit befanden sich die Stiftshütte und der Altar auf der Höhe zu Gibeon, und die Bundeslade, die David zurückgeholt hatte, war in Jerusalem.
Diese Bundeslade, den Thron Jehovas, das Zeichen Seiner persönlichen Gegenwart in der Mitte Seines Volkes, trug David auf seinem Herzen (Ps. 132). Aus seiner Geschichte geht nicht hervor daß er von dem Augenblick an, wo er sie nach Zion gebracht hatte, persönlich einen anderen Ort der Anbetung aufgesucht hätte, obwohl Gibeon ihm nicht gleichgültig war. Gleich nach der Überführung der Lade nach Jerusalem hatte er Sorge getragen, daß die Anbetung vor der Lade wieder mit den Opfern auf dem Altar zu Gibeon in Verbindung gebracht wurde (i. Chron. 16, 37-43), indem er so d i e E i n h e i t d e s G o t t e s d i e n s t e s aufrechthielt. Der Dienst vor der Lade, wie der vor dem Altar zu Gibeon, geschah jeden Tag, so daß also in demselben Augenblick und "beständig" diese beiden Teile des Gottesdienstes, obwohl räumlich getrennt, zusammen ausgeübt wurden.
Später errichtete David auf Befehl Jehovas einen Altar auf der Tenne Arawnas, des Jebusiters, und brachte dort Brandopfer und Friedensopfer dar. Sein Gott ließ ihn nicht lange ohne einen Altar in Verbindung mit der Bundeslade. Gibeon verlor gerade dadurch seinen Wert und seine Bedeutung.
Der Gedanke an diese Einheit scheint dem König Salomo im Beginn seiner Regierung nicht gekommen zu sein. Gott gibt ihm gewiß ein schönes Zeugnis. "Salomo liebte Jehova, indem er in den Satzungen seines Vaters David Wandelte"; doch ist dieses Zeugnis nicht ohne eine Einschränkung: "nur", heißt es, "opferte und räucherte er auf den Höhen". Er paßt sich hierin den gottesdienstlichen Gewohnheiten seines Volkes an, von welchem in V. 2 gesagt wird: " N u r opferte das Volk auf den Höhen".
Das war nicht eine b e s t i in in t e Sünde gegen Jehova, wie es später für gewisse fromme Könige von Juda zur Sünde wurde, nachdem die Erbauung des Tempels jeden Vorwand für solche Gewohnheiten weggenommen hatte. Sie erregten in jenen späteren Tagen das tiefe Mißfallen Jehovas, weil sie notwendigerweise zu götzendienerischen Gebräuchen führen mußten.*) *) Siehe 1. Kön. 14, 23. In 1. Kön. 15, 14; 22, 44; 2. Kön. 12, 3; 2. Chron. 20,33 scheint das Volk nichts anderes getan zu haben, als was auch im Anfang der Regierung Salomos geschah. Aber daß der Götzendienst mit den Höhen verbunden wurde, ersehen wir aus der erstgenannten Stelle, wie auch aus 2.Kön.18,4; Z. Chron. 31, 1 usw.
Der gottlose Manasse baute die Höhen wieder auf und errichtete dem Baal Altäre (2. Kön. 21, 3). Als er zur Buße kam, "opferte das Volk noch auf den Höhen, wiewohl Jehova, ihrem Gott" (2. Chron. 33, 17). Das beweist das oben Gesagte, nämlich daß die Höhen zu gewissen Zeiten in der Geschichte Israels nicht notwendigerweise mit dem Götzendienst verbunden waren, obwohl sie dahin führten. Von dem Augenblick an, wo der Gottesdienst nicht mehr Christum zum Mittelpunkt hat, gleich der Bundeslade in Zion, und nur noch Raum hat für empfangene Segnungen, (und seien es auch die des Heils), weicht er aus der rechten Bahn ab, und wird ein Werkzeug in der Hand Satans, um schließlich die falschen Götter an die Stelle Christi zu setzen. Josia zerstörte die Höhen gänzlich mit all ihrem Götzendienst in Juda und Israel (2. Kön. 23, 8).
In den Tagen des Segens und der Kraft unter dem jungen König Salomo war dies nicht so; aber "er opferte und räucherte a u f d e n H ö h e n ", nicht nur "zu Gibeon, welches d i e g r o 2 e H ö h e war", wo sich der eherne Altar befand und die Stiftshütte mit allen ihren Geräten. Diese Gewohnheit war auf jeden Fall eine Z e r t e i 1 u n g d e s G o t t e s d i e n s t e s in Israel. Er verlor dadurch seine Einheit; denn der Altar war (neben anderen Eigenschaften) der Ausdruck dieser Einheit, wie es der Tisch des Herrn heute für die Christen ist. Einst unter Josua, bei der Errichtung des großen Altars (Jos. 22), hatte Israel Verständnis hierfür gehabt und war mit Energie und Eifer aufgetreten gegen das Darbringen von Opfern auf einem anderen Altar, als dem der Stiftshütte.
Gott duldete diesen Stand der Dinge, solange die volle Offenbarung Seines Willens bezüglich des Gottesdienstes noch nicht durch die Einweihung des Tempels stattgefunden hatte. Dennoch war es eine Schwäche des großen Königs. Wieviel einsichtsvoller war dagegen der Gottesdienst Davids, selbst vor Morija! Für David war die Bundeslade alles; sie war für ihn Jehova, der Mächtige Jakobs (Ps. 132, 5), dessen Anbetung da war, wo sich die Lade befand. Salomo stand nicht auf der Höhe dieser Segnungen und besaß nicht die Innigkeit dieser Beziehungen zu Gott. Er ging nicht über den Höhepunkt der allgemeinen Religionsübung seines Volkes hinaus.
Finden wir nicht in unseren Tagen dieselbe Schwachheit, denselben Mangel an Verständnis, wenngleich der Wunsch nach Ausübung des Gottesdienstes keineswegs fehlt? jeder wählt sich seine Höhe, ohne sich weiter um die Anwesenheit der Bundeslade (Christus) zu kümmern. Jeder errichtet seinen Altar, ohne daran zu denken, daß es seit dem Kreuze, wie damals seit Morija, nur ein einziges Symbol der Einheit für das Volk Gottes geben kann.
Salomo geht nach Gibeon; doch er liebte Jehova, und Jehova zieht immer die Liebe in Betracht, die wir zu Ihm haben. Er erscheint ihm dort i n e i n e in T r a u m. Diese Tatsache ist von Wichtigkeit. Im Traum ist man nicht imstande, den wahren Zustand seines Herzens zu verbergen; man steht auch nicht unter dem Einfluß der Vernunft oder des Willens, um die Offenbarung dessen, was sich in ihm befindet, zu unterdrücken. In einem Traume steht die Seele sozusagen nackt vor Gott. Welche Gedanken waren nun in dem Herzen des jungen Königs, als Gott zu ihm sagte: "Bitte, was ich dir geben soll"? Was das göttliche Wort zuallererst in diesem Herzen antrifft, ist die Dankbarkeit für die große Güte Jehovas gegen David: "
Du hast an deinem Knechte David, meinem Vater, große Güte erwiesen", sodann die Hochachtung, welche er für diesen hegt, weil er in Wahrheit und in Gerechtigkeit und in Geradheit des Herzens gewandelt hatte ein Beweis, daß David Jehova fürchtete (Spr. 14, 2). Ferner zeigt sich Dankbarkeit gegenüber der Güte Gottes gegen ihn, den Sohn Davids: "Du hast ihm diese große Güte bewahrt und ihm einen Sohn gegeben, der auf seinem Throne sitzt, wie es an diesem Tage ist". Schließlich ist das Bewußtsein seiner Jugend, seiner Unwissenheit und seiner Unfähigkeit vorhanden: "Und ich bin ein kleiner Knabe, ich weiß nicht aus und einzugehen". Ein solcher Seelenzustand läßt überströmende Segnungen voraussehen. Er läßt sich in folgende Punkte zusammenfassen: Jehova fürchten, das Bewußtsein Seiner Gnade haben, andere höher achten als sich selbst und sich für nichts halten.*)
*) Das alles kommt später wieder zum Vorschein in den Sprüchen, den Unterweisungen der Weisheit des Königs. Siehe zum Beispiel Spr. 3, 7; 4, 7 usw.
Salomo stand vor Gott mit ungeteiltem Herzen; auch erbat er nur eins: daß er imstande sein möchte, dem Herrn in den Umständen zu dienen, in welche Er ihn als Führer des Volkes gestellt hatte. Er bittet Jehova um "ein v e r s t ä n d i g e s Herz", oder, wie andere übersetzen, "um ein Herz, w e 1 c h e s h ö r t ", denn das Hören ist die Tür zum Unterscheiden und Verstehen. Um selbst weise zu sein, muß man damit beginnen, auf die Weisheit zu hören.
"Glückselig der Mensch, der auf mich hört!" (Spr. 8, 34). Damit fängt jeder wahre Dienst an. Salomo wußte nicht "ein und auszugehen"; er konnte es nur lernen' indem er hörte. Wer nicht damit beginnt, sich in die Schule der Weisheit zu setzen, wird nie ein wahrer Diener werden. Das war auch der Weg für den Dienst Christi Selbst als Mensch: "Er weckt jeden Morgen, er weckt mir das Ohr, damit ich höre gleich solchen, die belehrt werden" (Jes. 50, 4).
Beachten wir auch, daß Salomo Jehova um ein verständiges H er z bittet. Man lernt die Gedanken Gottes nur mit dem Herzen wirklich kennen, nicht mit dem Verstande. Das wahre Verständnis wird durch die Liebe zu Christo hervorgebracht. Das Herz hört, und wenn es die Unterweisungen, deren es bedarf, empfangen hat, ist es weise geworden, fähig, zu unterscheiden zwischen Gutem und Bösem und das Volk Gottes zu regieren. Daß das H e r z in dem Dienst eine so wichtige Rolle spielt, rührt daher, daß kein Urteil Gott gemäß sein kann, wenn es nicht die Liebe zum Ausgangspunkt hat. Wir erfahren dies, wenn es sich um Zucht, um Seelenpflege, um Leitung der Heiligen und der Versammlungen handelt.
Das Wort Salomos "war gut in den Augen des Herrn". Welche Gnade, Gottes Beifall zu haben in allem, was wir von Ihm erbitten, und das Zeugnis zu empfangen, daß wir Ihm wohlgefällig gewesen sind! Auch gewährt Jehova dem Salomo, um was er bittet, und es gefällt ihm, alles das hinzuzufügen, was Salomo nicht erbeten hatte. Er gewährt ihm den ersten Rang in der Weisheit: "so daß d e i n e s g 1 e i c h e n vor dir nicht gewesen ist, und deinesgleichen nach dir nicht aufstehen wird". Er gibt ihm auch "sowohl Reichtum als Ehre, so daß deinesgleichen n i e m a n d unter den Königen sein wird alle deine Tage".
Die demütige Abhängigkeit Salomos bringt ihn auf den ersten Platz, wie geschrieben steht: "Wer irgend unter euch groß werden will, soll euer Diener sein; und wer irgend von euch der erste sein will, soll aller Knecht sein". So war es auch mit Christo: "Der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele" (Mark. 10, 4345). In allen Dingen gibt es niemanden, der Ihm gleich wäre. Auch werden die Weisheit, die Macht, die Reichtümer, die Ruhmes und Ehrenkrone, ja alle Dinge Ihm gehören "an dem Tage, den Gott machen wird", und die größten und herrlichsten Dinge werden nur der Schemel Seiner Füße sein.
Im 14. Verse tritt, wie in allen Büchern, die wir betrachten, die Frage der Verantwortlichkeit des Königs hervor. " W e n n du auf meinen Wegen wandeln wirst, indem du meine Satzungen und meine Gebote beobachtest, so wie dein Vater David gewandelt hat, werde ich deine Tage verlängern." Das ist das ernste W e n n, welchem selbst Salomo nicht hat entsprechen können, und welches zum Verfall und zur Teilung seines Reiches geführt hat.
Nach Entgegennahme dieser Segnungen verläßt Salomo Gibeon und kommt nach Jerusalem; und "er stand vor der Lade des Bundes Jehovas". Das ist das Tun eines unterwürfigen Herzens, welches das Verständnis der Gedanken Gottes besitzt, die erste Kundgebung der Weisheit, die Salomo soeben empfangen hat. Er verläßt die Formen, um die Wirklichkeit zu ergreifen; er verläßt den äußeren Schein seiner Religion, um die in der Bundeslade dargestellte Gegenwart Gottes (Christi in einem Bilde) aufzusuchen. Der Altar zu Gibeon genügt ihm nicht mehr; dieser Ort spielt fortan keine Rolle mehr in dem religiösen Leben Salomos. Der Herr offenbart sich ihm später noch einmal (Kap. 9, 2), aber das geschieht nicht mehr zu Gibeon.
Salomo opfert vor der Bundeslade "Brandopfer und Friedensopfer, und macht allen seinen Knechten ein Mahl". Vor der Bundeslade gibt es mehr Freude als zu Gibeon, obwohl der König an diesem Orte wahrscheinlich viel mehr Opfer dargebracht hatte (2. Chron. 1, 6) als hier; aber vor der Bundeslade finden wir Friedensopfer, die wahren Opfer der Gemeinschaft, und zugleich ein Fest für alle Knechte des Königs.
Nach dem Verständnis für die Ausübung des Gottesdienstes vor der Bundeslade, der ersten Kundgebung der Weisheit, finden wir in Salomo "die Weisheit Gottes, Recht zu üben" (V. 28). Salomo kannte das gerechte Urteil. Daß es sich um Huren handelt ändert nichts an dieser Gerechtigkeit' Die Menschen lassen sich durch den Charakter derer, welche zu ihnen reden, beständig in ihrem Urteil beeinflussen; so ist es aber keineswegs bei Gott.
Was Ihm wichtig ist, das ist das H er z , nicht das, was jemand äußerlich ist. Das Urteil Salomos gründet sich auf die Zuneigungen, welche das Herz an den Tag legt. Behauptungen und Verneinungen waren in diesem Falle von gleichem Wert; auf sie konnte das Urteil sich nicht gründen (V. 22). Was zur Entscheidung führen konnte, war die Kundgebung des Herzens.
Ebensowenig handelte es sich um die Frage, welche von diesen beiden Frauen die würdigere war beide waren Huren; auch nicht darum, ob die Tat nur wahrscheinlich war, oder wirklich stattgefunden hatte es war kein Zeuge zugegen gewesen; auch nicht darum, ob die wahre Mutter ihr Kind an äußeren Zeichen erkennen konnte solche waren nicht vorhanden.
Das einzige Zeugnis bestand darin, daß eins dieser Weiber s a g t e , sie könnte in dem toten Kinde ihren Sohn nicht erkennen. Es blieb also nichts anderes übrig, als nach ihrem H e r z e n s zustand zu urteilen; und das kann man nur auf Grund der sich offenbarenden Zuneigungen. Die eine dieser Frauen besaß einen Gegenstand, den sie liebte. Aber welche von den beiden war es? Wenn wirkliche Bande vorhanden sind, möchten wir um jeden Preis den, der uns teuer ist erhalten sehen, selbst auf die Gefahr hin, ihn für uns selbst zu verlieren. So ist die L i e b e; sie ist nicht selbstsüchtig; sie opfert sich auf für den geliebten Gegenstand. Die Liebe Christi hat dies für uns getan, und wir können es wiederum für Ihn tun: "Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag" (Röm. 8, 36).
Als die wahre Mutter das Schwert über ihr Kind erhoben sah, "wurde ihr Innerstes erregt über ihren Sohn". Der Gegenstand unserer Liebe ist für uns mehr, als unsere Liebe zu ihm. Daran unterscheidet man die Wirklichkeit, die w a h r e M u t t e r. So ist es auch im Blick auf das christliche Bekenntnis: wer nicht einen Gegenstand für sein Herz und sein Inneres gefunden hat, verrät sich sehr schnell. "Zerteilet es", sagt die, welche nicht die Mutter des Kindes ist, indem sie ihrem Groll gehorcht. Man hat schnell Christum geopfert, wenn es sich darum handelt seine Leidenschaften zu befriedigen. Die göttliche Weisheit allein ist imstande, die Wirklichkeit des Bekenntnisses vermittelst des Herzenszustandes zu unterscheiden. Wie oft ist dieses Bekenntnis ohne Wirklichkeit! Wo sind die innerlichen Gefühle für Christum?
Wo ist die Hingebung, welche bereit ist, für Ihn auch die rechtmäßigsten Vorteile und die bestbegründeten Rechte aufzugeben? Es handelt sich an dieser Stelle weder um natürliche Gutherzigkeit, noch um einen edlen Sinn; wir haben es, wie bereits gesagt, mit Huren zu tun. Es handelt sich um von Gott geschaffene Bande, um einen Gegenstand, der von Ihm gegeben ist und den die Seele schätzt. Niemals wird Gott ihn uns nehmen; im Gegenteil, in der Prüfung empfangen wir ihn gleichsam aufs neue aus Seiner Hand. "Gebet jener das lebendige Kind und tötet es ja nicht! sie ist seine Mutter."