Rossier Henry, Die symbolische Sprache der Offenbarung

05/19/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Man hat schon oft daran gedacht, die symbolische Sprache der Offenbarung zu deuten. Wie nützlich es ist, das zu unternehmen, hat schon viele überrascht. Die Deutung selbst aber bot zahlreiche Schwierigkeiten: man bedenke nur, daß es unmöglich ist, ein Symbol durch eine Definition zu umschreiben. Ein Symbol enthält - wie jemand gesagt hat - "einen unbegrenzten Gedanken in einer begrenzten Form". Ohne solche Symbole wären wir nicht in der Lage, eine ungeheure Fülle von Wahrheiten zusammengefaßt, gleichsam auf einmal, zu überblicken. 

Fast alles in der Offenbarung ist Symbol. Denken wir nur an das Lamm, die Ältesten, das Weib und den männlichen Sohn, die Hure, die beiden Zeugen, die 144 000, die vier lebendigen Wesen, die zwei Tiere, Babyion, das neue Jerusalern, usw. Das Symbol hat eine unbegrenzte Bedeutungsweite, denn es stellt den Gedanken Gottes zu einer bestimmten Sache in seiner Vollständigkeit dar. Deshalb muß es sich unserem menschlich begrenzten Deutungsversuch entziehen. 

Das braucht jedoch nicht zu gelten für die bildlichen Elemente, aus denen das Symbol sich zusammensetzt. Diese einzelnen Elemente können meistens so ausreichend erklärt werden, daß sie uns ein tieferes Verständnis dessen ermöglichen, was uns der Heilige Geist als abgerundetes Ganzes vor Augen stellt.

Wir wollen das an einem Beispiel erläutern. Wir brauchen kein Symbol, um uns klarzumachen, was ein Thron ist. Neben seiner materiellen Bedeutung ist ein Thron für jedermann das Kennzeichen der Königsherrschaft.
Das ist soweit höchst einfach. Aber schlagen wir einmal Offenbarung 4 auf; da finden wir einen Thron "in dem Himmel" und eine geheimnisvolle Person, die auf dem Thron sitzt. Der Thron erscheint als Mittelpunkt eines Rades, dessen Umfang von einem Regenbogen gebildet wird, der in einer einzigen Farbe erstrahlt. Vierundzwanzig Throne sind mit dem Thron im Mittelpunkt verbunden wie die Speichen eines Rades.

Weitere Personen sitzen darauf, von anderem Ansehen als die erste. Aus dem Thron im Mittelpunkt gehen Blitze und Stimmen und Donner hervor; vor ihm brennen sieben Feuerfackeln und breitet sich ein gläsernes Meer aus. Vier lebendige Wesen, zum Throne gehörig, sind inmitten des Thrones und um ihn her. Ihre gemeinsamen Merkmale, ihre Worte und ihre Besonderheiten werden uns beschrieben. Johannes hört (in Kap
5, 5) von dem Löwen, der aus dem Stamme Juda ist, und was er dann (in Vers 6) sieht, ist ein Lamm inmitten des Thrones.

Alle diese Züge zusammen bilden den symbolischen Thron. Unsere geistliche Erkenntnis ist unvollkommen und beschränkt. Sie vermag dieses Symbol nicht zu durchdringen oder völlig zu überschauen. Das Symbol ist göttlich, und deshalb übersteigt es unsere Erkenntnis. Die Deutung seiner verschiedenen Bestandteile aber erlaubt uns, bis zu einem gewissen Grad in die unbegrenzte Tiefe des Symbolganzen einzudringen, und eben das wollen wir hier versuchen, mit der Hilfe des Geistes Gottes und in Abhängigkeit von Ihm.

Noch eine grundlegend wichtige Bemerkung. Die Deutung der symbolischen Sprache ist nicht Sache der Willkür oder der Mutmaßungen des menschlichen Verstandes. Das Wort Gottes genügt immer sich selbst. Es bildet den Ausgangspunkt und die Grundlage dieser Deutung. Fehler, die wir eindringen lassen könnten, entspringen immer einer unvollkommenen Schriftkenntnis. Deshalb geben wir in jedem Einzelfall eine Auswahl der Schriftstellen, von denen wir unsere Erklärung herleiten. Die Anzahl der Stellen ist größer oder kleiner, je nach der Bedeutung des Gegenstandes.

Unter den Schwierigkeiten, mit denen wir auf Schritt und Tritt zu tun haben, ist eine, deren Gewichtigkeit nicht übersehen werden darf. Wenn es so ist, wie wir gezeigt haben, daß nämlich das Symbol seinem ureigenen Wesen entsprechend sicH nicht durch die Deutung eines einzelnen Wortes erfassen läßt, so gilt diese Feststellung, wenn auch nicht durchgängig, ebenso für die symbolische Sprache überhaupt. Um dies aufzuweisen, brauchen wir nur den ersten zu deutenden Begriff des ersten Kapitels zu betrachten. Das Wort "Engel" hat eine völlig andere Bedeutung als der Ausdruck "sein Engel". Und diesen Ausdruck gilt es also zu bestimmen. Deshalb müssen wir in unserer Deutung oft einen ganzen Satz anführen. Der Leser wird daraus folgenden Schluß ziehen müssen: eine solche Arbeit, bereits unvollkommen durch die Unzulänglichkeit ihres
Verfassers, muß lückenhaft bleiben. Denn auch bei einem an scheinend noch so einfachen Gegenstand flechten sich überaus viele zusätzliche Gedanken ein, die wir nicht alle aufzeigen
können.

Der Herr möge diese kleine Schrift dennoch segnen, zum Nutzen für solche, die angesichts der Gefahren des gegenwärtigen Zeitlaufs wachsam sind und sich von der "prophetischen Lampe" führen lassen wollen inmitten der zunehmen den Finsternis.

Kapitel I, 1-4

Die symbolische Sprache der Offenbarung

Kapitel 1
Vers 1. - Sein Engel.
Der Engel Jesu Christi ist der "Engel Jehovas" im Alten Testament1), der mystische Stellvertreter Seiner Person, die noch keinen menschlichen Leib angezogen hat. Dem Engel werden verschiedenartige Aufträge zugewiesen. In der Offenbarung offenbart er den Herrn in Seinen Wegen, noch bevor ER persönlich und öffentlich erscheint.
I) 2. Mo 3, 2; 23,23. Ri 2, 1. 4; 6, 12; 13, 3. 6; 2. Kön I, 3. 15; Sach 3, 1. 3.
Vers 2. - Das Zeugnis lesu Christi.
Der Geist der Weissagung (Prophetie) und die Worte, die in diesem Buch enthalten sind.
Offb I, 2. 9; 11, 7; 12, 11.17; 19, 10; 20, 4; 22, 18.
Vers 4. - der da ist und der da war und der da kommt.
Der da ist: Seine eigentliche Natur, Sein Wesen, immer gegenwärtig und immer derselbe.
Bemerkung: Die Abkürzung S. ("Siehe") verweist auf eine schon gegebene Erklärung. Die Abkürzung Vgl. ("vergleiche") gibt Stellen an, die zwar keine eigentliche Deutung des vorliegenden Begriffs liefern, die ihn aber immerhin aufhellen oder zumindest durch Gegensätze deutlicher machen.

Kapitel 1,4-10,11
Der da war: "der da ist" in der Vergangenheit. Der da kommt: "der da ist" in der Zukunft, wenn Er Seine Königsherrschaft in der Person des Messias antreten wird.
(Mk 11, 10; Mt 11, 3; Mal 3, 1; Hebr 10, 37).

Die sieben Geister, die vor seinem Throne sind.
In Kap. 4, 5 werden sie beschrieben als die "sieben Feuerfackeln", die "vor dem Throne" brennen, in Kap. 5, 6 als die "sieben Augen" des Lammes. Sieben ist die höchste einstellige Primzahl, die Zahl der Fülle, d. h. einer in sich vollendeten Sache, sei es die Fülle des
Guten2) oder des Bösen. Ihr ist nichts mehr hinzuzufügen. Zugleich ist sieben die Einheit in der Verschiedenartigkeit (1. Kor 12,4). Diese Zahl wird im Wort häufiger als jede andere verwendet. Sie kehrt 45 mal in der Offenbarung wieder, z. B.
1,4.12.16; 5, 1.6; 8, 1. 2; 10, 3; 15, 1; 16,1. Die Zahl sieben wird oft in vier und drei zerlegt. Drei ist die göttliche Zahl, vier die des Menschen, der Welt oder der ganzen Schöpfung
(so gibt es 4 Königreiche (Dan 2), 4 Flüsse, 4 lebendige Wesen, 4 Ecken der Erde (7, I), 4 Winde des Himmels, 4 Reiter (Kap. 6), 4 Evangelien). 4 und 3 zeigt so das Walten Gottes in der
Schöpfung.

Hieraus schließen wir, daß sieben die Zahl der Fülle ist, auch in bezug auf die Regierung Gottes. Demgemäß finden wir gewöhnlich 7 erforderliche Eigenschaften bei solchen, denen die Verwaltung des Hauses Gottes anvertraut ist.
2) 1. Mo 2, 2.3; 7, 2.3; 2. Mo 12, 15; 29, 30.35; 3. Mo 4,6; 14, 16; 16, 14; 23, 15. 34; 25, 8; Jos 6, 4; 1. Sam 2, S;    2. Kön 5, 10; Ps 12, 6; Mt 18, 22; Lk 11, 26.
Sieben Geister: Die Fülle des Heiligen Geistes. Sieben Geister, "die vor seinem Throne sind". Die Geistfülle, oder besser die Einheit des Geistes und gleichzeitig Seine Vielfalt, gemäß wel
cher Gott die Erde regiert. In Jesaja 11, 2 ruht diese Fülle mit ihrer siebenfältigen Auswirkung auf Christus.
Vers 7. - Die Wolken.
Die Engel, im Gegensatz zu "die Wolke" (Einzahl, s. Kap. 10,1)
Vers 10. - hinter mir.
Die Geschichte der sieben Versammlungen gehört zu "dem,
was ist", aber der Apostel erblickt dies hinter sich, während er..

Format:    18 x 11 cm
Seiten:    66
Verlag:    Ernst Paulus
Erschienen:    1972
Einband:    Taschenbuch