Roy Kristina, Die zweite Frau

06/30/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Die zweite Frau Kristina Roy :

Die Erzählung „Die zweite Frau“ wurde bereits vor einiger Zeit geschrieben, als das slowakische Volk noch unter ungarischer Herrschaft sich nach einem freien Vaterland sehnte. Wenn auch das in den von der Kultur weniger berührten Gegenden und in den abgelegenen Bergtälern dahinlebende schlichte Volk seine Sprache und die angestammten Sitten bewahrte, so war es für die slowakischen Patrioten eine bittere Tragik, dass die aufstrebende Jugend und die slowakische Intelligenz fast ganz dem heimatlichen Brauchtum entfremdet wurde, ja, ihm zum großen Teil für immer verloren ging. Aber dass auch die Erlangung der nationalen Befreiung einem seit Jahrhunderten unter fremdem Druck gestandenen Volk noch lange nicht das ersehnte Lebensglück bringt, dass selbst neben kulturellem und wirtschaftlichem Wiederaufstieg doch in erster Linie die sittlich-religiöse Erneuerung des Einzelnen und dann aller erst ein Volk wahrhaft frei und froh machen kann, diese Wahrheit immer wieder zu bezeugen, hat K. Roy sich als Lebensaufgabe gestellt. 

In der vorliegenden Erzählung zeigt die Verfasserin, wie ein lieber junger Mensch, die zweite Frau des verbitterten Bauern, in seine verwahrloste Familie Sonnenschein und neues Leben hineinträgt, wie es ihr durch Umsicht und Fleiß gelingt, das verschuldete Anwesen wieder hochzubringen, und wie die junge Frau dann selber die frohe Botschaft von dem neuen Leben aus Gott vernimmt und sich ihr aufschließt, und daraufhin ihrer Familie und ihrer Umgebung eine Segensbringerin werden darf. Wäre nicht auch bei uns so mancherlei offene und geheime Not im Familienleben und auf wirtschaftlichem Gebiet, und hätten wir es heute nicht mehr nötig, die Botschaft von der suchenden, vergebenden und ein verfehltes Leben erneuernden Gottesgnade immer wieder zu hören, dann hätte diese schlichte Erzählung uns vielleicht nicht viel zu sagen. So aber hoffen die Herausgeber, dass das Buch auch bei uns den Dienst tun darf, den es in seiner slowakischen Heimat ausrichten durfte: mitzuhelfen, den Einzelnen und die Familie zu frohen und fruchtbaren Segensträgern zu machen.

„Allen Leuten recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann.“ Das musste auch Martin Mras erfahren. Als er nach dem Tode seiner Frau nicht gleich wieder geheiratet hatte, da waren alle Muhmen und Basen sehr besorgt um ihn gewesen, was aus seinen unversorgten Kindern werden sollte, wenn er ihnen nicht alsbald eine neue Mutter und dem Hof eine Bäuerin zuführen wollte. Allerdings hatte eine jede von ihnen hinzugefügt, dass sie ihm wahrlich nicht ihre Tochter zur Frau geben würde, denn seine Kinder wären die ungezogensten des ganzen Dorfes, von dem ältesten, fünfzehnjährigen Schlingel bis zu dem kleinsten Schreihals. Ja, sagten sie, auch Betka Mras hätte noch gar nicht sterben müssen, wenn nicht erst die Schwiegermutter und dann der Mann sie so gequält hätten. Andere meinten zwar, dass auch er genug zu tragen gehabt hätte, und namentlich die Männer, die ihn verteidigten, behaupteten, er hätte sich die ewige Seligkeit verdient, weil er es sechzehn Jahre mit einer solchen Frau ausgehalten habe. Als aber an den letzten drei Sonntagen der Herr Pfarrer Martin Mras mit einer gewissen Ilenka Ozorovska aus Malotin aufgeboten hatte, da war es in der Kirche mäuschenstill gewesen; sogar die Frauen, die sonst meistens die Hälfte der Predigt verschliefen, brauchten plötzlich keine Riechsträußchen mehr, so sehr war ihnen alle Schläfrigkeit vergangen. Wer konnte das nur sein? Eine Fremde brachte er her – als ob es nicht genug Witwen und ältere Mädchen in Zaluschanie gäbe!

Aber freilich, ob sich unter ihnen wohl eine gefunden hätte, die ihn genommen hätte? Er war eben schlau, er ging hübsch weit über Land, wo ihn die Leute nicht kannten und wo niemand seiner Erwählten erzählen konnte, dass er seit jenem Brand bis über die Ohren in Schulden steckte und dass er zudem ein unleidlicher Mensch war, der mit seiner ganzen Verwandtschaft in Unfrieden lebte.
„Ich beneide sie nicht“, erklärte die Müllerin. „Aber es wird doch wohl jemand kommen, um die Wirtschaft zu besehen, in die sie hineingerät.“ Allein es kam niemand, und am Dienstag nach dem letzten Aufgebot erwartete die alte Tante Katuscha, die seit dem Tod der ersten Frau den Haushalt führte, den Bauern und die neue Bäuerin. „Arme Katuscha!“, bedauerten sie die Frauen. „Nachdem ihr euch jahrelang in diesem Haus gequält habt, wird es euch auf eure alten Tage schwer fallen, einer Fremden zu gehorchen. Die selige Bäuerin hat euch wie eine Mutter gehalten, jetzt werdet ihr nur noch eine Dienstmagd sein.“ Aber Tante Katuscha erklärte, dass der Bauer sich sehr irre, wenn er glaube, dass er ihr das bieten dürfe.
Er habe ihr nicht einmal gesagt, wen er da nehme, noch wann die neue Bäuerin ankomme. Aber sie wollte es ihm zeigen; sie wollte weder die Kinder noch das Hauswesen in Ordnung bringen, und wenn ihr das Vieh nicht Leid täte, dann würde sie heute noch gehen. So müsse sie eben die Ankunft der neuen Bäuerin abwarten, aber sowie dieselbe die Schwelle des Hauses betrete, würde sie dasselbe verlassen. Das war etwas für die schadenfrohen Weiber. Die Alte ließ wirklich alles, wie es lag und stand. Den Kindern hatte sie eine gute Suppe gekocht, damit sie doch auch wüssten, dass ihr Vater Hochzeit hätte.

Dabei erzählte sie ihnen, was sie bei der Stiefmutter würden zu erwarten haben. Sie verstand es, in den Kinderherzen Zorn und Hass gegen die Fremde zu erwecken, die heute ins Haus kommen sollte. Sie gedachten auch an die Worte ihres Vaters: „Ich will mich nicht länger mit euch ungezogenen Kindern ärgern. Ich bringe euch einen Zuchtmeister! Wehe dem, der nicht gehorcht!“ Palko Mras hatte sich schon damals vorgenommen, sich lieber von seinem Vater erschlagen zu lassen, als der Stiefmutter zu gehorchen – und wenn diese es wagen würde, ihn zu schlagen, dann wollte er ihr einen Denkzettel geben. Annitschka Mras versicherte, Tante Zaluschanska habe ihr gesagt, sie möge nur zu ihr kommen, wenn die Stiefmutter sie schlagen wolle. Joschko drohte, er würde sie beißen, und zwar feste! Die kleine sechsjährige Betka nahm sich vor, sie wollte, wenn man sie nur mit einem Finger anrührte, ein Geschrei erheben, dass alle Nachbarn zusammenlaufen sollten. Nun war nur noch der kleine dreijährige Andrischko übrig. Der sagte zwar nichts, aber in seinem kleinen Herzen war so viel Angst, die aus den großen tief liegenden Augen blickte.
„Ei, die wird auf Rosen gebettet sein“, lachten die boshaften Weiber. Sie gönnten es dem fremden Eindringling von Herzen; denn wenn auch keine von ihnen den finster blickenden Mras gemocht hätte, so wurmte es sie doch, dass er keine von ihnen begehrt, dass er sie verachtet hatte. Ja, den Leuten kann man es nicht recht machen.

Es war ein finsterer Oktoberabend. Der Wind brach die mit Früchten beladenen Äste von den Obstbäumen, als in Mrasens Hof der Wagen hielt. Der Bauer stieg ab und reichte wortlos der Frau die Hand, die mit solchen Hass- und Angstgefühlen erwartet wurde. Beim Schein der Laterne sah Tante Katuscha, wie sich in dem Wagen eine hohe, schlanke Gestalt aufrichtete, die leichtfüßig von dem hohen Leiterwagen herabsprang. „Geben Sie das Licht näher!“, befahl Mras.„Solch eine Junge bringt er daher“, dachte die mürrische Alte. „Die könnte seine Tochter sein.“ Ach, es war ein trauriger Empfang für die junge Frau. Kein Mensch hieß sie willkommen.

Die Kinder kamen zwar herbei, als der Vater nach ihnen rief. Joschko spannte die Pferde aus, Palko half die Truhe, Annchen die Körbe abladen, Betka nahm die Tücher, aber keines sagte ein Wort des Grußes. Da Mras seine Frau den Kindern nicht vorstellte, konnte auch sie sich ihnen nicht gut nähern. Etwas später waren alle in der ungefegten, unordentlichen Küche beisammen. Jetzt, wo auch alles, was man vom Wagen abgeladen, darin herumlag und herumstand, sah es aus wie in einem Stall. Die junge Frau hatte Tuch und Jacke abgelegt und stand im Schein der trüben Lampe inmitten dieser Unordnung. Ihre schönen, dunkelblauen Augen blickten umher und hafteten auf den schmutzigen Kindergesichtern, dann blickte sie fragend in das finstere Antlitz des Mannes.

„Also“, sagte der Bauer, „das sind meine Kinder. Ich gebe sie in deine Macht. Wehe dem, das dir nicht gehorcht. Ich brauche keine Frau; ich hatte an der einen genug, aber sie brauchen jemanden, der sie in Ordnung hält. Auch im Haus ist es ohne Hausfrau schlecht gegangen. Katuscha, helft mit den Kindern Ordnung schaffen und gebt uns das Abendbrot. Ich muss zu den Pferden.“ „Ich habe nicht wissen können, wann Sie kommen“, brummte die Alte. „Wir haben schon gegessen. Und“, fügte sie ärgerlich hinzu, „ich habe meine Sachen schon hier im Bündel und es ist spät; ich gehe fort, irgendeiner Fremden werde ich nicht dienen.“ Auf der Stirn des Bauern schwollen die Zornesadern; seine schwarzen Augen blitzten, aber er bezwang sich.
„Ihr könnt gehen“, sagte er kurz. „Wartet auf mich, ich komme gleich“, wandte er sich in freundlicherem Ton an seine Frau. Die Kinder blieben mit der neuen Mutter allein, nachdem der Vater und Tante Katuscha die Stube verlassen hatten. Unwillkürlich sahen sie sie an. So hatten sie sich die Stiefmutter nicht vorgestellt. Sie war hübsch und jung, schlank gewachsen wie eine Tanne.

„Liebe Kinder“, sprach sie endlich, ihre Stimme klang wie das Rauschen der Föhren im Walde, „ich bin so fremd hier, ich weiß mir nicht zu raten, helft mir doch! Euer Vater hat mich gebeten, zu euch zu kommen, weil ihr seit drei Jahren keine Mutter mehr habt. Ihr habt mir Leid getan, denn ich war auch noch klein, als meine Mutter starb, und dann ist es mir und meinem Brüderchen sehr schlecht ergangen; das hieß auch Palko. Ich will euch lieb haben, habt mich auch lieb! Ihr habt niemanden – ich auch nicht.“ „Und dein Bruder?“, wandte Palko ein. „Er starb, als er so groß war wie du.“ „Hast du keinen Vater mehr?“, fragte Betka schüchtern. „Er starb im letzten Jahr.“ „Und andere Geschwister?“, fragte Annitschka. „Ich habe sonst keine eigenen Geschwister.“ „Bei wem warst du denn, wenn du niemanden hast?“, forschte Joschko, näher tretend. „Bei der Tante meines Vaters. Also wollt ihr mich aufnehmen?

Ich will nicht, dass ihr mich ‚Mutter‘ nennt. Ich bin jung und ihr kennt mich nicht; nennt mich ‚Tante Ilenka‘, und wir wollen gute Kameraden sein. Du, Palko, wirst mir meinen Palko ersetzen; willst du das?“ Sie reichte dem Knaben herzlich die Hand. Zögernd legte er seine schmutzige Hand in die ihrige. „Warum willst du nicht, dass wir dich ‚Mutter‘ nennen?“, meldete sich Annitschka. „Wisst ihr, Kinder, als mein Vater sich wieder verheiratete, brachte er uns eine fremde Frau ins Haus. Wir mussten sie ‚Mutter‘ nennen. Das war uns zuwider, denn sie war böse zu uns. Auch euch wäre das zuwider. Später, wenn ihr euch an mich gewöhnt habt und wir uns lieb haben, könnt ihr mich so nennen, wenn ihr wollt, aber diesen Namen muss ich mir erst verdienen. Doch jetzt helft mir, damit es hier nicht aussieht wie in einer Räuberhöhle.“
Die Kinder lachten herzlich und halfen fröhlich, alles in die Stube und in die Kammer zu tragen. „Den Korb lass hier, Palko. Du, Annitschka, mach Feuer an. Joschko soll Holz bringen; gelt, wir wollen uns ein gutes Abendbrot machen?“ Eine halbe Stunde später, als der Bauer in die Küche eintrat, erschien ihm diese ganz verwandelt. Im Herd prasselte ein freundliches Feuer, das angenehme Wärme verbreitete. Betuschka gab auf die Milch Acht und Annitschka putzte die Lampe. Als diese sauber war, beleuchtete sie freundlich die Küche. Joschko räumte den Tisch ab. Die junge Hausfrau breitete ein hübsches Tischtuch darauf, verteilte neue Teller und Löffel und goss warme Milch in eine Schüssel. Palko brachte aus der Kammer einen Laib Brot und Stühle aus der Wohnstube herbei.

Mras blieb in der Tür stehen und blickte auf seine junge Frau und die Kinder. Betka brachte soeben den kleinen Andrej herbei. Das Kind wollte weinen, aber es hatte keine Zeit, die neue Tante steckte ihm ein Stück Kuchen in die Hand. Sie nahm es nicht auf den Arm, um es nicht zu erschrecken. Dann sagte sie den Kindern, dass die Teller und Löffel ihnen gehören sollten. Sie waren mit bunten Bildern bemalt, und die Kinder freuten sich sehr über das Geschenk. Palko wusch sich als Erster die Hände, um seinen schönen Teller nicht zu beschmutzen, und die Übrigen folgten seinem Beispiel. Ein gewisses Gefühl der Zufriedenheit stahl sich in das harte Herz des Mannes. Als ihn seine Frau so freundlich zu Tisch rief, erheiterte sich unwillkürlich sein finsteres Gesicht und machte ihn um fünf Jahre jünger. Unterdessen erzählte die alte Katuscha bei der Müllerin schon zum fünften Mal, wie die junge Mras das Haus vorgefunden und wie sie ihr die Hölle heiß gemacht hatte. Und die Frauen knüpften allerlei Prophezeiungen daran, wie es wohl dieser dummen Person ergehen würde, die in dies Haus hineingeheiratet hatte, ohne sich vorher zu erkundigen. „Ja, ja, so geht es, wenn man die Katze im Sack kauft“, meinten sie. Während sich das Dorf so mit ihr beschäftigte, saß die Familie Mras beim Abendbrot, als wäre sie schon seit vielen Jahren so beisammen. Dann führten die... 

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