Die Harfe der Hugenottin, Ernst Schreiner

10/30/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Es war im Jahre 1561. Die Einwohner der Stadt Poissy be= fanden sich seit dem frühen Morgen in großer Spannung und Neugier. War doch ein Tag von weltgeschichtlicher Bedeutung an diesem sonnigen Septembermorgen angebrochen. über den Weinbergen ruhte sickerndes Sonnengold, aber auf den Landstraßen, die nach Poissy führten, lagerte sich eine Dunstwolke von Staub. Immer noch kamen reitende Edelleute und Wagen mit hohen Gästen von allen Seiten heran. Der Hof war schon längere Zeit im düsteren Schlosse eingezogen.

Wo sich Katharina von Medici sehen ließ, oder wo das Volk einen flüchtigen Anblick des jungen, reichgekleideten Königs Karl IX. erhaschte, brach es in jubelnde Huldigungen aus. Die Herrschaften dankten gnädig, und Karl schwenkte jedes mal das mit wallender Straußenfeder gezierte Barett. Das Angesicht der Königinmutter trug ernste, fast strenge Züge. Die Sorge um des Landes Ruhe und Frieden schattete sich ab auf ihrem Gesicht. Zu diesem Ernst passte das schwarze Samtkleid vorzüglich, das ihre stolzen Glieder um schmiegte. Karl hatte sich in den vergangenen Tagen im Park das Vergnügen des Schießens auf Zielscheiben gemacht. Aus der reich mit Silberintarsien ge= schmückten Jagdflinte ließ er einen Schluss nach dem andern erdröhnen und spielte dabei mit seinen Jagdhunden.

Heute aber hatte er Wichtigeres zu tun. Es galt die vielen Handküsse der hohen geistlichen Herren hinzunehmen, die sich bemühten, Seiner Majestät ihre Untertänigkeit zu beweisen. Lässig bot er die reich mit Brillantringen geschmückte Knabenhand den Bischöfen und Prälaten dar, die ihm untertänig nahten.

Und Katharina lächelte nur mit einem vornehmen, fast strengen Lächeln. Sie fächelte sich Kühlung mit dem Fächer aus Straußenfedern.
Vor ihr hatte schon zur frühen Stunde der Kardinal von Lothringen Platz genommen.
Der mächtige Herzog von Guise, der von Papst Leo dem Zehnten schon als Jüngling von 2o Jahren zum Kardinal er= hoben wurde, stand jetzt auf der Höhe seiner Macht. Hatte ihn doch schon König Franz I. mit Ehrenstellen geradezu überhäuft. Ihm waren nebst der Kardinals würde von Lothringen die Bistümer zu Lyon, Reims, Narbon und die Bistümer von Toul, Metz und Verdun verliehen, und die Klöster zu Gorzo, Clugny und Marmeutier nannten den Allgewaltigen ihren Abt. jetzt sah er die Königin mit eindrucksvollem, beinahe durchdringendem Blick an, und indem er den Kopf des mächtigen Windhundes Karls streichelte, begann er: „Es treibt mich noch ein= mal her in früher Morgenstunde, Sire, das Wohl des Vaterlandes so zu betonen, daß spätere Reue uns nicht zu peinigen imstande sein wird. Die Hugenotten bilden sich ein, daß das Religionsgespräch heute unter der Voraussetzung der Gleichberechtigung stattfinden soll."
„Sie wünschen es, Herr Kardinal", versetzte Katharina mit besonderer Betonung des Wörtleins „wünschen".
Das Gesicht des Kardinals verriet eine innere Erregung. „Was haben diese hugenottischen Hunde zu wünschen? Ich schlage allen Ernstes vor, daß man sie gleich zu Anfang versichert, daß die katholische Partei die herrschende und die protestantische die geduldete ist. Von Gleichberechtigung kann auch kein Schimmer vorhanden sein."
Katharinas Angesicht trug keinen freundlichen Ausdruck, als der Herzog und Kardinal in. fast befehlendem Ton also sprach. Im Grunde ihres Herzens haßte sie diesen stolzen Würden= träger ehrlich und war nicht gesonnen, von ihm Ratschläge entgegenzunehmen. Aber sie bezwang sich wie immer und streckte die Hand aus nach der Pergamentrolle in des Kardinals Hand.
„Monseigneur, haben Sie schon etwas aufgesetzt?"
„Wenn Eure königliche Majestät gestatten." Der Kardinal erhob sich vom Plüschsessel und verneigte sich leicht. Neugierig drängte sich auch Karl herzu.
Katharina aber las halb murmelnd: „Zur Einleitung der Ansprache des Königs: Der König hat nach dem Beispiel seiner Vorfahren die Prälaten vor sich gerufen, um ihnen die Lage der Dinge darzulegen und von ihnen Rat und Hilfe zu begehren. 

Ich bitte Sie, auf Mittel zu sinnen, wie der Zorn der beleidigten Gottheit wieder zu versöhnen sei; ebenso bitte ich, die Lehrer der neuen Sekte ebenso zu empfangen, wie der Vater seine Kinder empfängt, um sie zu belehren und zu unterweisen. Sollte sich aber die Unmöglichkeit herausstellen, sie zur Wiederkehr zu bewegen, so wird man wenigstens nicht wie bisher behaupten können, daß sie ungehört verdammt worden sind."
Eine Weile studierte die Königin ernsten Blickes das Manuskript, während der König sich wieder mit dem Windhund zu schaffen machte. Dann aber gab sie es mit einer nachlässigen Handbewegung dem Kardinal zurück. ihre energischen Schritte durchmaßen das Zimmer, als suche sie auf diese Weise die innere Erregung niederzukämpfen, dann nahm sie abermals die Rolle aus des Kardinals Hand und sprach: „Gut! Der Kanzler mag diesen Text verlesen. Katharina de Medici weiß, was sie der Kirche schuldet, Herr Kardinal. Aber nun habe ich noch die Vorbereitungen zu treffen, die dieses ganze Gespräch an Außerlichkeiten mit sich bringt, und auch der König ist noch nicht ganz fertig."
Der Kardinal verneigte sich und lächelte. Er haschte nach der Hand der Königin und drückte einen Kuss darauf. Eine Minute später war er verschwunden. An seiner Stelle kniete nun ein reichgekleideter Diener vor der Herrscherin.
Diese reichte ihm das Manuskript. „Dem Kanzler!' sagte sie kurz und herrisch.
Der Diener küßte den Saum ihres Gewandes und huschte davon; Die Königin aber ließ sich mit einem Seufzer in das Polster fallen.
«Die Heiligen wissen es, Karl«, sagte sie verdrießlich, diese Kardinäle verderben mir die Laune schon am frühen Morgen. Empfängt man sie nicht, so planen sie Verrat. Empfängt man sie, so ist man schon verraten. Wie sagt doch ein großer Denker? Oft sind die Könige die Sklaven ihrer Untertanen und *merken es nicht einmal. Ja, wir merken es aber, Charles, und wollen es uns merken. Machen wir nun große Toilette zum Tanz! Das mag eine schöne langweilige Suppe werden, bis sich die Prälaten die Meinung gesagt haben. Beim schönen Schlosse in Fontainebleau ich wollte ich wäre, wo der Pfeffer wächst!« Karl lachte und enteilte mit lustigen Sprüngen, während ihm der Windhund auf dem Fuße folgte:
Die Bilder hoher. Ahnen aber sahen in ihrer Erhabenheit aus den prunkvollen Goldrahmen stolz auf Katharina herab, und sie nahm sich vor, unter allen Umstanden Königin zubleiben den Guisen wie den Bourbonen zum Trotz, die jetzt mit ihrem Hader das Land zu Zerklüften drohten
Eine Stunde später war im Speisesaal des Schlosses eine glanzvolle Gesellschaft versammelt Unter einem Thronhimmel hafte Katharina nebst Karl Platz genommen Sie schimmerte in steifer. Pracht, und zuweilen blitzte ein Strahl ihrer Diamanten durch den Raum, um die Anwesenden zu mahnen, ehrfürchtig hier versammelt zu sein.

Um den Thronhimmel her hatte der Hof sich in glänzender Farbenpracht gelagert. Frauen, in Seide gekleidet und mit reichem Goldschmuck behangen, ließen sich auf weichen Sesseln nieder. Edelleute umrahmten malerisch, das festliche Barett auf dem Haupt, den schimmernden Halbkreis. Rechts und links vom Hofe aber saßen nicht weniger als 36 Bischöfe, dazu eine große Anzahl von Prälaten und Doktoren der Theologie, Äbte großer Klöster und andere Würdenträger der Kirche Den Hintergrund bildete eine große Anzahl weiterer geladener Gäste. Diese glänzende Gesellschaft schien schon durch ihr bloßes Erscheinen das Recht vollständig auf ihrer Seite zu haben. Was bedeutete gegen sie jene Schar hugenottischere Edelleute und Geistlicher, die auf der anderen Seite in Ermangelung einer Sitzgelegenheit standen?

 Ihre Gewänder waren einfach und dunkel gehalten und stachen merkbar ab von den scharlachroten und Edelstein geschmückten Kleidern der Gegenpartei und der schimmernden Pracht des Hofes. Aber die Macht der einfachen Männer lag in ihrem Glauben und ihrer Entschlossenheit.
Aller Augen richteten sich jetzt auf Theodor von Beza, den Vorkämpfer der hugenottischen Lehre und treuen Mitarbeiter Calvins, den die Königin eingeladen hatte, nach Poissy zu kommen, um daselbst die Grundlagen der hugenottischen Religion öffentlich darzulegen.
Geduldig hatten noch soeben seine Begleiter, im ganzen etwa 24 Personen, die Wartezeit über sich ergehen lassen, die man ihnen auferlegte, um sie als gedemütigte Ketzer vortreten zu lassen. Als sie aber durch die Menge hindurch mit festem
Schrift den Saal betraten, schleuderte ihnen ein Kardinal das giftige Wort zu: »Da kommen die Genfer Hunde!«
Beza faßte ihn ruhig ins: Auge. »Ja wahrlich«, erwiderte er nun in voller Seelenstärke, »treue Hunde tun not in der Schafherde des Herrn um anzubellen gegen die reißenden Wölfe.« Es war ein scharfer Auftakt, aber es ging ja heute nach der Musik der alten Psalmen, und da mochten immerhin herbe Akkorde erklingen. .
Jetzt begann der Kanzler seine einleitenden Worte. Stolz wurden sie den hugenottischen Edelleuten entgegengeschleudert, die sich betroffen ansahen als der Kanzler solche Worte verlas. Also keine Gleichberechtigung? Etwa nur. ein Vorwand, um nachher die Verfolgung gegen die Kirche des Kreuzes um so erfolgreicher zu betreiben? .
Sie versuchten, auf dem Angesicht der . Königin zu lesen, aber es war wie aus Stein gemeißelt. Und Karl musterte mit halb kindischer Neugier die einfachen Männer vor sich, die sich ehrerbietig gegen den Thronhimmel verneigt haften.
»Theodor von Beza hat das Wort!« rief nun der Herold mit weithin klingender Stimme. Da trat Beza in schwarzer Edel-mannstracht in die Schranken. Ein freudiger Glanz lag auf seinem Angesicht. Ihn verwirrte all der Glanz und Duft des Hofes nicht, und sein Herz war gestählt im Feuer der Wahrheit.
Mit volltönender Stimme wandte er sich an den jungen König: »Sire, da der Ausgang jedes Unternehmens von Gottes Gnade und Beistand abhängt, so wird es Eure Majestät weder übel noch befremdend finden, wenn wir mit der Anrufung seines Namens beginnen.« Und ehe noch der Hof wußte, was ihm geschah, und ehe die stolzen Bischöfe ihr Veto einlegen konnten oder ihre Zustimmung zu geben vermochten, fiel er samt seinen Begleitern auf seine Knie nieder.
Eine feierliche Stille entstand im hohen Saal. Noch nie hatten seine mit prächtigen Gemälden geschmückten Wände ein solches Gebet vernommen, wie es jetzt durch die Halle tönte. Denn Beza scheute sich nicht, das Gebet zu sprechen, das in Genf den Gottesdienst zu eröffnen pflegte.
Als sich Beza wieder erhob, begann er seine Rede mit der Ruhe des guten Gewissens und legte nach dem Dank gegen
den König die reformierte Lehre dar. Er verwahrte die Hugenotten gegen die falschen Verdächtigungen, die gegen sie ausgestreut wurden berief sich auf die Kirchenvater und wies
•unter Anführung gewisser Stellen aus ihnen die Übereinstimmung der Reformation mit ihnen nach.
Selbst Katharina wurde gefesselt durch seine freimütige und aus der Herzensgüte quellende Darlegung. Gebannten Auges blickte der junge König auf den hocherhoben dastehenden Zeugen des Evangeliums. Es stieg etwas auf in ihm von Bewunderung für diesen Helden des Glaubens, und die Knabenseele empfand unwillkürlich den Unterschied zwischen jenen einfachen Männern dort und dem reichen Glanz der Bischöfe und Prälaten.
Nun aber, da Beza. die Lehre des Abendmahles vortrug und die wirkliche Verwandlung des Brotes und Weines in Leib un d Blut des Herrn ablehnte, ja erklärte, daß das Brot und der Wein so weit von jenen entfernt seien wie die Erde vom Himmel, erhob sich Sturm.
»Blasphemavit!« rief der Kardinal Tournon erregt aus. »Er hat gelästert!« wiederholten die Prälaten und stampften mit den Füßen. Und die katholischen Edelleute stießen mit dem Degen klirrend auf den Fußboden des Saales.
Die Königin selbst mußte Stille gebieten, damit doch das Gespräch zu Ende geführt werden könne. Beza aber blieb gelassen. Je wütendere Blicke ihm zugeschossen wurden, um so ruhiger trug er seine Lehre weiter vor. Ja, er bewies aus de griechischen Grundtext die Wahrheit der Schrift so lebendig, daß manche vom Hofe aufhorchten und seine Worte begierig in sich aufnahmen. 

Der innere Sieg war ohne Zweifel auf seiner Seite. Aber was sollte ihm das helfen? Jenen hohen Würdenträgern der Gegenseite war es nicht so sehr um das Recht als um die Macht zu tun, und diese zu erhalten, setzten sie zuletzt eine Formel auf, die alle hugenottischen Abgesandten unterzeichnen sollten. In dieser Erklärung wurde die katholische Auffassung vom heiligen Abendmahl betont. Gleichzeitig aber wurde der Antrag gestellt, daß die reformierten Prediger und Abgesandten denselben entweder zu unterzeichnen sich -‚ zu beeilen hätten oder der Ausweisung aus dem Lande sich gewärtig halten sollten. Sie sollten auch alsdann als hartnäckige und unverbesserliche Ketzer in keiner Weise angehört und als ungehorsame Untertanen aus dem Lande gewiesen werden, das immer nur einen Gott, einen König und einen Glauben gehabt habe.
Auf das Gespräch folgte eine glänzende Tafel im Schloß zu Poissy. Dort wurde die Pracht des Hofes entfaltet, und die Bischöfe und Kardinäle tranken sich den funkelnden Burgunderwein zu. Man pries Frankreichs edle Tropfen, lobte des Hofes Gastfreundschaft und der Kardinäle Weisheit und Macht. Das war der Tag, an dem der Hof den Bischöfen seine Not klagen und von ihnen Bezahlung seiner großen Schulden heischen durfte.
Und siehe, er klopfte nicht vergeblich auf die Geldtaschen der geistlichen Herren. 17160 Livres schlug Katharina heraus bei den Nachverhandlungen mit den Prälaten. Der Kardinal von Lothringen aber wußte die Gegenrechnung geschickt zu stellen. Er wollte nicht umsonst nach Poissy gekommen sein, der mächtige Guise. Wollte Karl die Golddukaten der Bistümer, so wollten diese die katholischen Kirchen zurückhaben, welche die Protestanten in verschiedenen Provinzen eingenommen haften. Nur freie Versammlung sollte ihnen immerhin zugestanden werden. 

Das war das Ergebnis von Poissy, wohin die Hugenotten mit großen Hoffnungen gezogen waren. Aber trotz aller Anstrengungen der Guisen, trotz des Hofes und trotz Roms wuchs das Wort Gottes in Frankreich, wie ein Feuer wächst im dürren Wald. Die nach Wahrheit dürstenden Menschen griffen begierig nach Gottes Wort, und die Scharen strömten zusammen, um die Botschaft des Heiles zu hören.
Beza war nicht umsonst nach Genf gekommen, und das Bekenntnis war nicht umsonst abgelegt worden. Der Heilige Geist zündete weiter und, immer weiter und leuchtete hinein in die Finsternis.

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