GEHE IN DEN WEINBERG
„Denn das Reich der Himmel ist gleich einem Hausherrn, der frühmorgens ausging, um Arbeiter in seinen Weinberg zu dingen. Nachdem er aber mit den Arbeitern um einen Denar den Tag übereingekommen war, sandte er sie in seinen Weinberg.
Und als er um die dritte Stunde ausging, sah er andere auf dem Markte müßig stehen; und zu diesen sprach er: Gehet auch ihr hin in den Weinberg, und was irgend recht ist, werde ich euch geben. Sie aber gingen hin. Wiederum aber ging er aus um die sechste und neunte Stunde und tat desgleichen. Als er aber um die elfte Stunde ausging, fand er andere stehen und spricht zu ihnen: Was stehet ihr hier den ganzen Tag müßig? Sie sagten zu ihm: Weil niemand uns gedungen hat. Er spricht zu ihnen: Gehet auch ihr hin in den Weinberg, und was irgend recht ist, werdet ihr empfangen. "
(Mattb. 20, 1-7)
Wir haben schon oft festgestellt, daß es nicht richtig ist, den Zusammenhang der Schrift zu übersehen. Wir haben kein Recht, eine Schriftstelle aus dem Zusammenhang herauszureißen und ihr einen Sinn zu unterlegen, den sie im Zusammenhang nicht hat. Deshalb habe ich euch beim Lesen des Schriftabschnittes darauf aufmerksam gemacht, was dieses Gleichnis in erster Linie lehren will. Es ist ein Tadel für diejenigen, welche einen gesetzlichen Geist haben und anfangen zu berechnen, was ihr Lohn in dem Reiche sein wird, in welchem der gesetzliche Geist fehl am Platze ist, weil der Lohn nicht aus Verdienst, sondern aus Gnaden gegeben wird. Ich denke, daß ich nun, ohne die Grundbedeutung zu verletzen, auf eine bestimmte Tatsache, die mit dem Gleichnis in Verbindung steht, eingehen kann.
Es ist nicht recht, die eigentliche Lehre des Gleichnisses zu übersehen; da wir sie aber beachtet und uns klar gemacht haben, möchte ich nun eure Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, daß die Arbeiter zu verschiedenen Tageszeiten eingestellt wurden. Ohne Zweifel sollen wir daraus lernen, daß Gott Seine Diener zu verschiedenen Zeiten in den Weinberg sendet, daß einige in früher Jugend gerufen werden und andere erst, wenn sie älter geworden sind.
Beachtet bitte, daß alle gerufen wurden, womit der Herr uns deutlich machen will, daß niemand von selbst in den Weinberg geht. Ohne Ausnahme ist jeder Arbeiter für Jesus auf die eine oder andere Weise gerufen worden.
Wenn der Mensch wäre wie er sein sollte, so bedürfte er keiner Aufforderung oder Einladung zu Christus zu kommen; aber seitdem die menschliche Natur verdorben ist und der Mensch bitter für süß und süß für bitter, Finsternis für Licht und Licht für Finsternis hält, bedarf er der Einladung, der Überredung, der Aufforderung.
Die Lehre vom freien Willen kann also kein einziges Beispiel für sich finden. Es ist nicht ein einziges Schaf in der Herde, welches ungesucht zum Hirten zurückgekehrt ist! Es ist nicht ein einziges Geldstück, welches selbst wieder in die Tasche der Frau gesprungen ist, denn sie fegte das Haus und suchte es. Ja, ich will weitergehen und sagen, es ist nicht ein einziger verlorener Sohn der gesagt hat: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen", ehe des Vaters Gnade, die sich in den Schleier der großen Teuerung hüllte, den Verlorenen das Ergebnis seiner Sünde gelehrt hat, als er die Schweine hütete und seinen Bauch vergebens zu füllen
suchte mit Trebern, welche die Schweine aßen. Wenn wir nun zu unserem Gegenstand kommen, so sehen wir zuerst, daß der Herr Seine Arbeiter zu verschiedenen Stunden des Tages beruft, und zweitens, daß sich in jedem einzelnen Fall eine besondere Gnade offenbart und sich das Mitleid und die Liebe des Herrn zu jeder Tageszeit zeigt.
Einige im Gleichnis werden früh am Morgen berufen. Wie glücklich können sie sein! Die früheste Zeit, in welcher ein Kind von der Gnade berufen werden kann, wird kaum von uns bestimmt werden können, denn Kinder haben nicht alle die gleiche geistliche Reife. Wenn sie dem Körper nach auch im gleichen Alter sind, in der geistlichen Entwicklung dürfen wir dem Heiligen Israels die Zeit nicht beschränken. Soweit unsere Beobachtung geht, arbeitet die Gnade an einigen Kleinen schon bei der ersten Dämmerung ihres Gewissens. Es gibt ohne Zweifel bevorzugte Kinder von zwei bis drei Jahren, deren Verstand und Gemüt stark entwickelt und tief geheiligt ist. Solche Kinder beabsichtigt der Herr bald heim zu holen.
Es gibt interessante Beispiele die beweisen, daß die Heiligkeit in den jüngsten Herzen blühen und reifen kann und Gott sich aus dem Munde zarter Kinder ein Lob bereitet und durch sie Feinde und Gegner zum Schweigen gebracht hat. Kleine Schwätzer, deren Mund, wie man denkt, nur von Spielzeug sprechen kann, sind imstande gewesen, mit tiefer Erkenntnis von geistlichen, besonders von himmlischen Dingen zu sprechen. Es ist gewiß, daß einige ihr Tagewerk für den Herrn auf den Armen ihrer Mutter getan haben. Sie haben von dem Heiland mit solchen Worten gesprochen, daß sie das Herz der Mutter erweicht und das Gewissen des Vaters erweckt haben, und dann sind sie heimgerufen worden.
„Wen die Götter lieben, der stirbt jung", sagten die Heiden, und es ist ohne Zweifel kein kleines Vorrecht, so jung in die Herrlichkeit zu gehen. Sie haben sich auf Erden nur gezeigt und sind dann plötzlich in den Himmel genommen worden, ru kostbar, um hier Unten zu bleiben. Köstliches Kind, wie teuer warst du dein guten Gott, der dich hersandte und dann heim nahm! Wie könnten wir deine Versetzung in den Himmel betrauern! „Früh am Morgen" würde auch die einschließen, welche die erste Stunde des Tages schon durchlebt, aber die zweite noch nicht vergeudet haben. Ich meine die hoffnungsvollen Jungen und Mädchen, Jugendliche, die das erste Jahrzehnt hinter sich haben und aus der eigentlichen Kindheit heraus sind und nun in der Kraft der Jugend aufwachsen. Junge Leute, nach dem, was der Satan ihnen sagt, passender für das Spiel auf dem Marktplatz, als für die Arbeit im Weinberg des Herrn. Solche werden oft zum Preise der göttlichen Liebe vom Hausherrn gemietet.
Es ist der Mühe wert, einige unserer Brüder, welche kritisch auf die Frömmigkeit der Jungen und Mädchen blicken, davor zu warnen, sich verdächtigenden Zweifeln hinzugeben. Es gibt heute einige, die das Evangelium mit Kraft und Erfolg predigen, welche diese meine Hände in ihrem Knabenalter in den Tod Jesu getauft haben. Und es gibt ehrenwerte Diener Gottes unter uns, welche der Gemeinde treu gedient haben, die schon als Schulkinder freudige Nachfolger des Herrn Jesu waren. Von früher Jugend an haben manche von uns ein Verständnis für die Dinge des Himmelreichs bekommen. Unsere Bibel ist unsere Fibel, unser erstes Lesebuch, der Führer unserer Jugend und die Freude in unseren jungen Jahren gewesen. Wir danken Gott, daß es noch Jünger wie Timotheus unter uns gibt, junge Bekenner wie Samuel, die in ihrer Jugend zum Hause Gottes gebracht worden sind. Glücklich diejenigen, welche am Morgen des Lebens berufen werden. Sie haben einen besonderen Grund, Gott zu loben und zu preisen!
Laßt uns jetzt einige Minuten über das Glück derer nachdenken, die in der Kindheit errettet wurden. Früh am Morgen funkelt der Tau noch auf den Blättern und offenbart eine knospende Schönheit, welche für diejenigen verloren ist, die nicht zu Beginn des Tages aufstehen.
Es gibt eine Schönheit in der frühen Frömmigkeit, die unbeschreiblich bezaubernd und lieblich ist. Wir stellen bei der Jugend eine ungekünstelte Einfalt, ein kindliches Vertrauen fest, welches nirgend anders gefunden wird. Es mag weniger Wissen da sein, aber es ist mehr Liebe vorhanden. Es mag weniger Nachdenken da sein, aber es ist mehr einfältiger Glaube an die göttlichen Offenbarungen da. Wenn ich den Teil des christlichen Lebens wählen sollte, in welchem am meisten Freude da ist, so würde ich den Zeitraum christlicher Erfahrung wählen, welcher gleich nach Sonnenaufgang liegt. Der mit orientalischen Perlen der Liebe bestreut ist und von der köstlichen Musik der Hoffnungsvögel aufgeheitert wird.
Früh am Morgen, wenn wir eben vom Schlaf erwacht sind, ist die Arbeit leicht. Unsere Beschäftigung im Weinberg ist dann eher eine fröhliche Übung als eine Arbeit wie diejenigen sie fühlen, welche die Last und Hitze des Tages tragen. Der junge Christ wird nicht so von den Mühen und Sorgen der Welt gedrückt wie andere. Er hat nichts anderes zu tun, als seinem Gott zu dienen. Er ist frei von den Verlegenheiten, die viele von uns umgeben und uns hindern, Gutes zu tun. Er ist unter seinen Spielkameraden und in Einfalt kann er ihnen zu Diensten sein und sie zu Gott führen. Gib mir, sage ich, wenn ich zu einer günstigen Zeit für Jesus arbeiten wollte, gib mir die gesegneten Morgenstunden. Wenn mein Herz vor Freude springt und die reinen Sonnenstrahlen der Freude meinen Weg bescheinen, wenn meiner glühenden Brust der Eifer nicht fehlt und mein glücklicher Geist keine Sorgenketten trägt.
Frühe Bekehrungen sind schon deshalb vorzuziehen, weil solche Personen noch nicht gelernt haben, am Markt müßig umherzustehen. Ein Bursche, der stundenlang mit den Händen in den Taschen gestanden und mit den Betrunkenen gesprochen hat, taugt nicht viel in der elften Stunde. Ja, schon am Mittag ist es ihm so natürlich geworden sich an die Wand zu drücken, daß er keine große Lust mehr zum Arbeiten hat. Fangt früh an mit den Seelen, zähmt die Füllen, wenn sie jung sind und sie werden dann wahrscheinlich nachher gut im Geschirr gehen. Keine Arbeiter sind denen gleich, die in ihrer, Jugend den Anfang gemacht haben.
Welche Aussicht auf einen langen Tag haben junge Gläubige! Wenn Gott es in Seiner Weisheit fügt, daß der junge Mann dort zwölf Arbeitsstunden vor sich hat - was kann er nicht alles ausrichten! Für ein herrliches, fruchtbares Leben ist frühe Frömmigkeit von großem Vorteil. Wenn wir die ersten Tage dem Herrn geben, so wird es uns viele traurige Erlebnisse ersparen, vor vielen bösen Gewohnheiten bewahren und uns durch den Heiligen Geist befähigen, gute Erfolge zu erzielen. Es ist gut, das Fliegen zu beginnen, wenn die Flügel noch stark sind! Denn wenn wir lange in der Sünde leben, werden die Flügel gebrochen und in den übrigen Tagen schlaff herabhängen, selbst dann, wenn die Gnade uns beruft. Möge es der Wünsch der hier anwesenden Eltern sein, daß ihre Kinder in der Jugend bekehrt werden! 0 möge Gott diesen Wunsch in euch wecken, ihr jungen Leute, damit ihr, ehe ihr Männer genannt werdet, vollkommene Männer in Christo seid. Möget ihr „als die neugeborenen Kinder begierig sein nach der lauteren Milch des Wortes Gottes" und gebe der Herr, „daß ihr dadurch wachset". Glückliche, ja, glückliche Seelen, welche der Herr durch besondere Gnade „am frühen Morgen" ruft.
Der Hausherr ging dann um die dritte Stunde aus. Das deutet die Zeit an, wenn wir aus der Kindheit herausgetreten sind und Männer genannt werden. Angenommen, wir rech- nen die erste Stunde bis zum siebten oder achten Jahr, dann geht die zweite Stunde bis ungefähr zu zwanzig oder einundzwanzig Jahren. Dann bleibt uns eine gute Zeit vom zwanzigsten bis zum dreißigsten Jahre für die dritte, vierte und fünfte Stunde.
Es gibt einige, welche die göttliche Gnade in der dritten Stunde erneuert. Das ist spät. Einundzwanzig Jahre ist betrübend wenn man bedenkt, wie viele der ersten Freuden nun unmöglich sind, wie viele sündige Gewohnheiten angenommen wurden und wie viele Gelegenheiten, Gutes zu tun, unwiederbringlich verloren gegangen sind. Der vierte Teil des Tages ist schon auf immer dahin, wenn du die dritte Stunde erreicht hast. Es ist sogar der beste Teil des Tages, der für immer vorbei ist. Die erste Mahlzeit des Tages ist vorüber; das gesegnete Brechen des Morgenbrotes mit Jesus ist nicht mehr möglich. Ein sehr köstliches Mahl ist dieses, wenn der Heiland uns das „Manna" gibt, welches schmilzt, wenn die Sonne heiß scheint. Gesegnet ist es, wenn sich das Kind an Jesus nährt. Ich erinnere mich daran als ich wie Elia unter dem Strauch geweckt wurde und von diesen Leckerbissen genoß, wovon der Wohlgeschmack mir bis zu dieser Stunde geblieben ist. Der Mann von einundzwanzig Jahren hat dieses Mahl verloren, daß Frühstück ist vorüber. Jesus wird zu ihm nicht wie zu anderen sagen: „Kommt und esset!" Die erste Jugendfreude, die jugendliche Begeisterung ist vorüber.
Ich zweifle nicht daran, daß hier viele anwesend sind, welche denken, die Bekehrung im einundzwanzigsten Jahre sei sehr früh. Aber warum wollen wir den vierten Teil des Lebens dem Bösen geben? Außerdem ist es vielleicht nicht der vierte Teil, sondern die Hälfte und in vielen Fällen das ganze Leben. Die Sonne senkt sich, ehe es Mittag ist, und mancher, der müßig am Markte steht, hat keine Hoffnung, je ein Arbeiter im Weinberg zu werden. Der Tod, welcher..