Thielicke Helmut, Das Bilderbuch Gottes

06/17/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Wie jämmerlich ist es, sich einen Christen zu nennen und doch inmitten des Vaterhauses ein Fremdling und ein mürrischer Pflichtmensch zu sein; und wie herrlich ist es, täglich neu des Wunders innezuwerden, daß jemand da ist, der uns hört, der auf uns wartet, der alles wunderbar für uns ordnet und auf= gehen läßt, wo wir uns in Sorgen zergrübeln, und der uns auch dereinst in unserem letzten Stündlein, wenn wir aus der Fremde und dem wilden Abenteuer unseres Lebens heirnkeh= ren, auf den Stufen des ewigen Vaterhauses erwartet und uns dahin geleitet, wo wir ewig-ewiglich mit Jesus sprechen dürfen und wo jener Friede uns umfängt, den wir hier schon zu schinedcen begonnen haben.

Das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus
Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich mit Purpur und köstlicher Leinwand und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Es war aber ein Armer mit Namens Lazarus, der lag vor, seiner Tür voller Schwüren und begehrte sich zu sattigen von den Brosamen die von des Reichen Tische fielen doch kamen die Hunde und lecktest ihm seine Schwirren
Es begab sich aber, daß der Arme starb und ward getragen von den Engeln- m Abrahams Schoß Der Reiche aber starb auch und ward begraben Als er nun in der Helle und in der Qual war, hob er seine Augen auf und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß Und er rief und sprach Vater Abraham erbarme dich mein und sende Lazarus, daß er das Äußerste seines Fingers ins Wasser tauche und kühle meine Zunge; denn ich leide Pein in dieser Flamme. Abraham
• aber sprach: Gedenke, Sohn, daß du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, und Lazarus dagegen hat BösS emp fangen; nun aber wird er getröstet, und du wirst gepeinigt.

Und über das alles ist zwischen uns und euch eine große Kluft befestigt, daß, die da wollten von hinnen hinabfahren zu euch, könnten nicht, und auch nicht von dannen zu uns herübrfahren.
Da sprach er: So bitte ich dich, Vater, daß du ihn sendest in meines Vaters Haus; denn ich habe noch fünf Brüder, daß er ihnen bezeuge, auf daß sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual. Abraham sprach zu ihm: Sie haben Mose und die Propheten; laß sie dieselben hören. Er aber sprach: Nein, Vater Abraham; sondern, wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun. Er sprach zu ihm: Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, wenn jemand von den Toten aufstünde.
LUKAS 16,19-31
Diese Geschichte hören 'die kleinen Kinder und auch die aus= gewachsenen Leute besonders gern. Da scheint für einen Augenblick der Vorhang vor der geheimnisvollen Landschaft. - des Jenseits hinweggezogen zu sein, und Himmel und Hölle werden sichtbar. Es tut der kindlichen Phantasie und es tut dem alten Adam in uns Erwachsenen besonders gut zu sehen, wie der reiche Mann, der es in diesem Leben so gut gehabt hat, drüben in der Hölle gründlich gezwickt wird, und wie der arme Mann endlich einen Ausgleich für alle erduldeten Schmerz ren erhält Das scheint eine Geschichte von dem großen. Wels machen im Jenseits zu sein Dabei mag uns so etwas wie woh= lige Märchenstimmung aus ges chichtenf rohen Kindertagen umhüllen. Das ist dann wohl die gleiche Stimmung wie bei den Erzählungen vom »lieben Gott«, an die wir uns aus frühen Tagen erinnern.
Aber dann werden wir älter, und ganz allmählich blickt uns dieser Heiland, blickt uns diese Geschichte mit fragenden und fremden Augen an: Ist Jesus von Nazareth wirklich jener Heiland
aus Kindertagen, der einst so sanft und behütend m unser Leben trat? Wir lesen als erwachsene Leute so ganz andere Dinge von ihm. Wir lesen, daß er gekommen sei, das Schwert und nicht den Frieden zu bringen. Und in der Tat, wir sehen, wie die Geschichte erfüllt ist vom -Waffenlärm feindlicher Heerhaufen, die sich um seinetwillen entzweiten Wir sehen, wie überall da, wo er in Erscheinung tritt und ernsthaft verkündigt wird, zugleich der Antichrist auf dem 
Plan ist Wir brauchen weder in die zeitliche noch in die räumliche Ferne zu schweifen, um den Kampf und die Zerrissenheit der Geister wahrzunehmen, die an Jesus von Nazareth zu entstehen pflegen. 

Wahrlich, diese Gestalt sieht für uns anders aus als in harmlosen Kindertagen. Und auch diese rührende »Kindergeschichte« vom reichen Männ und arten Lazarus blickt uns aus veränderten Augen an: Stimmt denn diese merkwürdige Umkehrung der Schicksale jenseits des Grabes? Könnte die Erfindung dieses Ausgleichs im Drüben nicht aus dem bösen Motiv stammen, daß man die Elenden mit ihrem Geschicke versöhnen will weil man keine Energie oder auch nicht den guten Willen hat, es zu ändern? Könnte also dieser Ausgleich nicht auf dem beruhen, was Nietzsche einmal die»Jenseits-Korruption« nennt? Oder konnte der Gedanke vom reichen Manne m der Hohe nicht aus dem Haß der Zu-kurz-Gekommenen stammen?

Es wäre falsch, die Geschichte so verstehen zu wollen. Gerade bei ihr kommt Entscheidendes darauf an, das Schlüsselloch zu entdecken, von dem her sie sich aufschließt. Dieses Schhjjsselz loch ist nichts anderes als die Rede Abrahams, in der er sagt, daß man Mose und die Propheten hören müsse, wenn man mit seinem ewigen Schicksal ins reine kommen wolle. Es kommt darauf an, daß man als einer der fünf Brüder dem Worte Gottes gegenüber die richtige Stellung findet. Das Ist sozusagen die Pointe der Geschichte. Nur von hier ans schließt sie sich auf.
Dann aber erleben wir eine Überraschung: Das Geheimnis und Verhängnis des reichen Mannes besteht gar nicht in seinem Geldbeutel, sondern in seinem- Verhältnis zu - eben diesem Wort Hier fallen die letzten und eigentlichen Entscheidungen seines und unseres Lebens Und im Lichte dieser Entscheidungs= frage wollen wir jetzt einmal die beiden Gestalten beobachten. »Es war ein reicher Mann.« Schon in diesen Worten kommt zum Ausdruck, daß im Leben dieses Mannes etwas nichtS stimmt Nicht als ou es böse -und gottlos wäre, wenn jemand reich ist, und als ob es umgekehrt ein Zeichen von Frömmigkeit wäre, wenn man arm ist oder auf Pump lebt. Aber es ist doch schrecklich, wenn dies . das einzige und sozusagen Erschöpfende ist, was von einem Menschen gesagt werden kann: Er sei eben »reich« gewesen. Wenn ich für' einen verstorbenen Verwandten oder Freund.. eine Todesanzeige abfasse, dann suche ich doch in einem einzigen Satz etwas möglichst Charakteristisches von ihm zu sagen. Meinetwegen: Er .war ein. guter, die Seinen umsorgender Vater. Oder: Er war ein sozialer Betriebsführer. Oder: Er war ein treuer Freund. 

Und nun denke man sich, daß hier über einen Menschen nichts anderes zu sagen ist, als daß er sehr reich war, daß er alle Tage herrlich und in Freuden lebte und daß er über eine pompöse Garderobe verfügte. Nichts anderes prägte sich dem Gedächtnis seiner Mitmenschen ein. Offenbar hatte auch er selbst nichts anderes im Sinn. Er ging eben darin auf.
Solche Leute, die in ihrem Reichtum aufgehen, müssen laut toben und feiern, damit sie nicht sehen, daß es ganz dicht neben ihrem Lebensraum noch eine andere Wirklichkeit gibt: die Welt der lichtlosen Bunker und der armen Baracken; den Lazarus mit seinen Geschwüren und seinen schmutzigen Lumz .pen. Darum macht der reiche Mann die Augn zu, wenn er in seiner Karosse einmal durch die Elendsviertel fahren muß. Er kann, den Gedanken nicht ertragen, daß es ihm auch einmal so gehen könnte. Denn er wäre nichts mehr, wenn er seinen Lebensstandard einbüßte. Er ist so durch und durch hohl, daß er wenigstens diese Schale des Besitzes braucht, um nicht leere Luft zu sein. Er kann die Schwären des Lazarus nicht sehen, weil ihm Purpur und Seide sonst auf der eigenen, so wohl gebadeten und parfümierten Haut zu jucken begännen. Darum muß Lazarus an die Hintertur, damit er ihn nicht sieht Wahrscheinlich hat er auch seine Fenster verrammelt, wenn unten ein Leichenzug vorübergeht. Denn der reiche Mann mag nicht an das Sterben erinnert sein weil es ihn Abschied nehz men laßt von allem was sein Leben tragt, oder besser was sein nichtiges Leben zu einem Etwas aufbläht.

Er stiftet vielleicht auch große Summen damit die Geisteskranken in Anstalten kommen. Das sieht sehr .sozial ‚ aus. Aber in Wirklichkeit will er sich nur ihrem Anbl1dc entziehen. Denn er hat mitten in seiner Herrlichkeit Angst vor den dunklen, bedrohlichen Möglichkeiten, die einen im Leben uberfals len könnten. Wie, wenn auch .in seinem Leibe das ‚tödliche Karzinom sich' eines Tages bildete? Darum wischt, er sich das ‚Elend krampfhaft aus den Augen. .
Und' noch einem geht er aus dem Wege: Das ist Gott. Er hat zwar die ganze Welt gewonnen, der reiche Mann, er verfügt über Landsitze, Karossen, Bankkonten und vor allem über Menschen. Aber er ist dabei lieblos, egoistisch und angstvoll geworden. -Er hat allen Grund, anzunehmen, daß er Schaden an seiner Seele genommen habe. Darum weicht er dem aus, vor dem er seine Seele verantworten muß. Und den Mann, der ihn an diese Verantwortung erinnert, Lazarus, seinen Nächsten, verweist er an die Hintertür.

Man könnte den Sinn dieser Geschichte nicht schlimmer vr fehlen, als wenn wir jetzt als Leute, die selber, nicht über ein so hohes Bankkonto verfügen, befriedigt mit dem 'Kopfe nilc= ken und sagen würden; »Wir sind doch bessere Leute.« In irgendeiner Beziehung nämlich ist jeder von uns reich, und an irgendeiner Stelle unseres Lebens spielt darum auch die Frage eine Rolle, ob wir als solche reichen Leute nun auch unseren Bruder Lazarus verachten und ihn in Gedanken an die Hintertür verweisen.

Vielleicht sind wir begabte, geistig reiche Menschen, die Freude an schönen Büchern und interessanten Charakteren haben, und sehen mit Verachtung auf einige Tangojiinglinge und -mädchen unserer Bekanntschaft herab, die im Flachlande zwischen Kino und Sexus, zwischen Magazinen und Fernseh. 'Stumpfsinn einherleben. Haben wir je daran gedacht, in wein chem Elend und welcher Leere sie dahinleben, und daß wir sie durch' die frostige Überlegenheit unseres reichen und vielleicht noch' christlich vertieften Innenlebens nur noch mehr ins Elend stoßen und der Hintertür-Existenz überlassen?
Vielleicht sind wir auch reich, weil wir geliebt werden-- ge liebt von unserem Gatten, unseren Kindern, unseren Freunden. Im Nachbarhaus aber wohnt eine 'alte, schrullige Jungfer mit bitter verschlossenem Mund, vor der die kleinen Kinder und die jungen Hunde davonlaufen. Sie ist uns ein willkommener Kontrast zu unserem 'eigenen Reichtum an Liebe. 

Ja (denkt es in uns), wir werden ebennicht umsonst geliebt. Wir stel= l - en ja auch etwas vor! Und indem die Jungfer das spürt , in - dem sie sich durch hundert kleine Gesten ihrer Umgebutig immer neu auf die Schattenseite und an die Hintertür des Lebens verwiesen sieht, wird sie bitter und bitterer, und ihre Bitterkeit wird uns einmal im Jüngsten Gericht verklagen
Wie manches Mal erschrecken wir auch über einen Selbstmord oder einen Nervenzusammenbruch - in unserer näheren - oder weiteren Umgebung Wir merken plötzlich: Da war einer, der an unser aller Lieblosigkeit zugrunde gegangen ist, der im Schatten lebte. Und wir selber wichen diesem Mann im Schatten immer aus. Wir empfanden Angst und - Unbehagen gegenüber seiner Armut und seiner erkältenden Bitterkeit. So stießen wir ihn in immer tiefere Einsamkeit. Und niemand fand sich, der ihn aus seiner Isolierung und Verschollenheit herausgeliebt hätte. - Jeder von uns hat irgendwie und irgendwo den armen Lazarus vor seiner Tür liegen, weil jeder, auch der Ärmste, irgendwie-und irgendwo ein reicher Mann ist. Wir sollten dieses Gleichnis also nicht vorschnell dadurch entschärfen, daß wir den reichen Mann für einen Lumpen, einen Schieber oder eine Sozialbestie halten, um dann befriedigt festzustellen: »Wir sind das alles nicht!« Der reiche Mann war das alles vielleicht auch nicht: Er hatte nur Angst davor, in eine allzu enge Berührung mit dem Elend zu kommen. Er hatte Angst vor dem Arme-Leute-Geruch, denn das hätte ihm seinen Wohn- und Lebensstil, das hätte die Glätte seiner Lebensbahn für ihn - fragwürdig gemacht Er sehnte sich doch nach Sicherheit, der reiche Mann. Wer aber sicher sein will, muß sich vor Infragestellungen hüten.

Wahrscheinlich fühlte der reiche Main - vielleicht in Nacht= stunden, deren Einsamkeit auch die - besten Daunenbetten nicht - zu vertreiben vermochten - gelegentlich sehr genau, daß in seinem Leben etwas nicht in Ordnung war. Darm traten bange Bilder vor seine Seele: Die Elenden zogen an iluri vorüber und blickten ihn an, und seine Villa war auf einmal eine schmie=. rige Baracke. Was er tagsüber verdrängte, das trat nachts in seine Träume und verklagte sein hartes, fuhlleses Herz Darum tat er das, was die meisten Leute in solchen Fällen tun- Er - suchte sich ein moralisches Alibi zu verschaffen. Er suchte sich und anderen zu- beweisen, daß er doch ein Herz für die Armen und daß er offene Hände habe. So gab er Wohltätigkeitsfeste für die Armen, bei denen es nicht nur hoch herging, sondern bei denen auch erhebliche Summen für wohltätige Zwecke her aussprangen. Auch von seinem Bankkonto zweigte, er immer wieder erhebliche Beträge an die Innere Mission und an die organisierte Nächstenliebe seiner Stadt ab Endlich hell er sich - auch zum Vorsitzenden eines gemeinnützigen Komitees' wilen, bei dem er sich durch einen seiner Herren vertreten ließ Er liebte es, als forderndes Mitglied dieser sozialen und huma.. nitären Bestrebungen im Hintergrunde zu bleiben. Das legte man ilun als Bescheidenheit aus. In Wirklichkeit aber wollte er ein schützendes Medium zwischen sich und das Elend schal.. ten. »Persönlich« wich er Lazarus aus. Man konnte ihm und seinesgleichen doch viel besser durch die überlegene Planung unpersönlicher Organisationen helfen. »Es kommt doch diesen Leuten nur zugute«, sagte er, »wenn man auch die sozialen Maßnahmen rationalisiert» Unmittelbar und persöhlich dem anderen zu helfen; ist doch ganz unrentabel da erreicht man nur einpaa,r arme Leutchen und läßt seine Nächstenliebe nur en detail zum Zuge kommen, während ich sie durch organisa.. torische Planung en gros zur Verfügung steile.« Und er meint wenn er jeden Monat mittels Postscheck (nat-urlieh durch automatischen, Auftragsdienst!) einen Betrag an die Wohlfahrt schicke, habe er seiner Liebespffidit genügt. Dieser Betrag ist für ihn eine Art Talisman gegen die innere Unruhe. Denn Frieden hat der reiche Mann ja nicht.

Im Auto hat er einen Hampelmann; der soll ihm Glück bringen. Und sein Bankkonto soll ihm die ewige Seligkeit besorgst Warum soll man sich nicht auch; wenn man es sich leisten
kann, bei seinen »guten Werken« bedienen lassen? Die Haupt= sache ist doch, daß man sie tut So denkt er und geht wieder zurück in seine schönen Säle, in denen das Lachen der Freunde tönt und der Sekt in geschliffenen Kelchen perlt.
So stehen die innerlich und äußerlich reichen Menschen der Bibel vor uns; Leute mit Pfunden, denen viel gegeben ist. Ja, manchmal erscheinen die innerlich 'und äußerlich reichen Menz schert gerade als die am meisten gefährdeten. Denn alles, unser Leben groß macht und fasziniert - unser Geld oderwas unsere - Vitalität, unser Geliebtwerden oder unser glückliches Temperament - kann zwischen Gott und uns treten. Das alles können wir egoistisch genießen Auch die Freunde die wir uns machen, und die Hilfe, die wir spenden können wir egoistisch genießen. Selbst die größten aller Gaben: »Gut, Ehr, Kind und Weib«, können der Preis sein,, für den wir unsere Ewigkeit verkaufen Und diese Verkaufsajj0 kann schon ganz einfach und sehr verborgen damit einsetzen, daß wir den Lazarus vor unserer Tür verachten.

Nun geht das Geschehen zwangsläufig weiter. Es geschieht almälich das, was bei jedem von uns einmal mit tödlicher Sicherheit eintreten muß: Es geschieht, daß der Reiche stirbt. Und indem es so mit ihm wortwörtlich »zu Ende geht«, sieht er sich in die Gottesferne verstoßen. Jetzt zeigt sich, wie furchtbar anders die Maße sind, mit denen Gott unser Leben mißt, Wie töricht haben wir uns selbst eintaxiert, und wie töricht lassen wir uns von anderen eintaxieren!
Da sitzt der reiche Mann in. der Hölle und sieht von da aus seine eigene Beerdigung. Manchmal, zu seinen Lebzeiten, hat - sich in wollustigen Augenblicken seiner Eitelkeit vor" gestellt, wie prunkvoll sie sein würde. Wie viele Wohltätig" keitsvereine würden mitmarschieren, und sicher würde ihn der beste Prediger der Stadt in den Himmel heben, während die so . tausendfach von ihm beschenkten Armen in die Taschentücher schluchzten. Und nun sieht er diese seine Beerdigung tatsächlich. Aber er sieht sie von der Hölle aus. Und hier ist die Optik dann plötzlich und geheimnisvoll verändert. Es ist alles so beklemmend anders, als es seiner koketten Phantasie erschienen war. Gewiß, sie ist prunkvoll. Aber dieser Prunk erfreut ihn nun nicht mehr,
sondern tut ihm weh, weil er in schreiendem Widerspruch zu seinem eigentlichen Sein steht. Er hört, wie eine Schaufel Erde donnernd auf seinen Sarg fällt, und dazu spricht sein bester Stammtisdifreund die Worte: »Er lebte das S Leben uni seiner selbst willen.« Da will er dazwischenrufen (aber niemand hört ihn): »Ich habe mein Leben verfehlt;' ich leide Pein in dieser Flamme!«
Da fällt die zweite Schaufel nieder, und wieder schollen die Erdklumpen auf, seinem Mahagonisarg: »Er hat die Armen der Stadt geliebt«, sagt eine andere Stimme. - »Oh, wenn ihr die Wahrheit ahntet!«, möchte der reiche Mann dazwischen" schreien, >'ich leide Pein in dieser Flamme'«Und nun wirft der Religionsdiener, 'der beliebte AbM der Ge«' sellschaft, die dritte Schaufel; »Er war so religiös. Er hat uns Glocken, Glasfenster und einen .siebenarmigen Leuchter gestif" tet. 'Friede seiner Asche!« Und wieder schlagen die Erdklumpen
rummelnd auf seinem' Sarg auf. Oder ist es das Donnern des höllischen Kraters? »Ich leide Pein in dieser Flamme!«

Wie anders, wie erschreckend anders sind die Maße Gottes! Da ist nun noch der arme Mann. Er heißt Lazarus Das bedeutet soviel wie Gott ist mein Erbarnier. Abgesehen von Gott achtet tatsächlich niemand auf ihn Er lebt von den Brodcen, die ihmals Kudienabfall vor die Fuße geschüttet werden An der Hintertür des Hauses ist er stationiert. Das ist im wesent liehen alles, was äußerlich von ihmgesagt werden kann.
Wir wissen schon Jetzt darf man um Gottes willen kerne salbungsvollen Worte über den Segen der Armut sagen, genauso wenlg wie wir vorher vom Fluche des Reichtums zu sprechen hatten Der Reichtum hat den Reichen nicht in die Hölle und die Armut hat den Arm gebracht en nicht in den Himmel
Freilich hatte der arme Lazarus viele Versuchungen nicht zu bestehen die dem Reichen in seinem Leben entgegentraten. Aber man darf sich das nicht zu einfach vorstellen Gewiß Er hatte an seiner ruhigen Hintertür viel Zeit zum Nach= denken, naturlich auch über die ewigen Dinge Aber konnte es nicht sein, daß ihn gerade diese Zeit des Nachdenkens in die Erbitterung und ins Fluchen trieb so wie Hiob in seinem Elend schließlich nur noch fluchen konnte? Könnte es nicht sein, daß er in all der teeren und scheinbar so sinnlos vert brächten Zeit zwar »Zeit zum Beten« gehabt hätte, daß er aber einfach kernen Gebrauch davon machte weil er viel zu milde und hoffnungslos war? Not lehrt nicht nur beten; sie lehrt auch fluchen
Die Bibel meint nun, wenn sie von den »Armen« spricht, immer wieder eine besondere Art von Armut die nicht unbedingt etwas mit Geldmangel zu tun haben muß Sie denkt an die Zöllner und Dirnen, an die Menschen also, die sich keiner Verdienste, keiner Leistungen ruhmen kQnnen, die am der Grenze ,des Lebens stehen, die am Ende und insofern arm sind Wir alle sind irgendwann in unserem Leben schon einmal an diesem Ende und also ganz arm rind hilflos gewesen Wir alle haben schon einmal erlebt, daß uns alle Sicherungen zerschlagen - wurden: Vielleicht war das im Fliegerkrieg, im Gefangenen lager oder auch, als wir eine große Schuld aul uns lüden. Und vielleicht haben wir ausgerechnet in solchen Situationen erfahren, wie nah uns der Segen und die Behütung Gottes gerade dann war, wenn wir uns auf keine Dinge und Menschen mehr verlassen konnten. 

Gerade in solchen Stunden soll die verheißung Gottes gelten, daß wir dann, wenn wir nichts mehr in Händen haben und keinen Ausweg mehr sehen, alles auf Gott werfen und ihn in einer Ausschließlichkeit wie sonst nie uns sorgen lassen dürfen. -
Die Unsicherheit und Armut derer, die kein Dach über dem Kopf und kein Brot für den kommenden Tag haben, kann ihnen -aller menschlichen Schuld zum Trotz, die das zuläßt - durch Gottes Gnade zu einem Wissen darum werden, daß sie keinen Halt in sich -selber haben, wenn Gott sie nicht -hält; daß aber der Herr, der die Wolken am Himmel lenkt und die - Blumen kleidet, auch für sie einen Weg ebnet und mit seinen tlberraschungen wartet. Die Unsicherheit derer, die das Ge= wissen schmerzt, kann ihnen durch Gottes Gnade zum Hinweis darauf werden, daß es keinen Frieden gibt, den sich der Mensch nehmen könnte, daß aber Gott ein friedloses, ein zerschlagenes Herz nicht verachten und einem Menschenkinde Liebe schenken wird, das mit leeren Händen vor ihm steht.

Doch nun wechselt die Szenerie.- Wir sind- im Jenseits. Und von dieser anderen Seite des: großen Grabens treten plötzlich ganz andere Wertordnungen in Erscheinung. Manches leuchtet auf, was wir für eitel Schatten und Nacht hielten; und man dies zerbricht, worauf wir Häuser bauten.
Lazarus zum -Beispiel hatte im Leben nichts - außer dem einen, daß er mit dem Erbarmen Gottes rechnen konnte. Aber dieses eine begleitet ihn nun nach drüben und verläßt ihn nicht. Er - ruht aus in der ewigen Gemeinde seines Gottes. -Er darf seine Nähe atmen und unter dem Leuchten seines Angesichtes woh
neu. - - - -.
Der reiche Mann dagegen besaß alles, was das Leben zu bieten hat, was es aber als seihe Leihgabe auch zurückfordert, wenn der Mensch sich für immer verabschiedet Nun sitzt er drüben in seiner furchtbaren Einsamkeit, die er im Leben so klug zu verbergen wußte, und sieht aus der Ferne die Verklärung des Lazarus. Welch ein Gegensatz!
Das zu sehen, ist überhaupt die Hölle. Denn in der Hölle sein heißt -ja -nichts anderes, als in der Ferne von Gott sein, aber so daß man ihn sehen muß, daß man ihn sieht, wie ein Verdurstender
eine silberne Quelle erblickt, von- der er nicht trinken - darf. 

Das ist die Hölle die - Herrlichkeit Gottes sehen müssen, aber keinen Zugang zu ihr haben. Das Gegenteil zum Frieden Gottes und damit zur Erfüllung unseres Lebens istja nicht das Schweigen des Nichts, wie es die armen Selbstmörder suchen mögen, oder die Stummheit des Grabes oder das Nirwana, sondern das Gegenteil zu der ewigen Geborgen= heft besteht darin, jenen Zustand ertragen zu müssen, in dem auf ewig alles verwirkt ist und in dem uns der Glanz der ewigen Majestät nicht mehr erleuchtet, sondern verzehrt. »Wartet nur, wartet auf die erste Viertelstunde Schweigen«,
sagt Bernanos in seinem Roman »Tagebuch eines Landpfarrers«, »dann werden die Menschen das Wort hören. Nicht das Wort, gegen das sie sich gesträubt haben, das Wort, das ruhig
sprach: 'Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben<, sondein: >ich bin die auf ewig verschlossene Pforte, die Straße ohne Ausweg, die Luge -und die Verdammnis «
Aber, so werden wir nun wohl fragen müssen, leben nicht unzählige Menschen schon während ihres Lebens fern von Gott? Und-doch haben sie keinesfalls den Eindruck, daß sie in der Hölle seien. Im Gegenteil, sie freuen sich ihrer Ungebun. denheit und haben im besten Fall ein mitleidiges Bedauern für Lazarus, der auf Gott vertraut.
Doch das Leben auch des gottlosesten Menschen unterscheidet sich in zwei wichtigen Stücken von der Hölle:
Erstens: Hier auf Erden kann der reiche Mann, kann der Gottlose sich seinen wahren Zustand verbergen. Was bietet das Leben nicht an Überwältigend schönen Narkotika, die alle nichts anderes sind als mißbrauchte Gaben Gottes! Aber nun
in der Holle, hinter einer ganz bestimmten von Gott geseth tun
Grenze also, da fallen die Sicherungen. Was hier als Stich= Ramme heimlicher Selbstvorwurfe gelegentlich m einem auf= glimmen mochte und schnell erstickt werden konnte, ist dort ein schwelender Brand geworden. Was hier nur ein leise tickender Ton in unserem Gewissen ist, wird plötzlich zum Tuba=Ton des Weltgerichtes und kann nun nichtmehr über hört werden. Lazarus darf schauen, was er geglaubt hat; der reiche Mann aber muß schauen, was er nicht geglaubt hat. Zweitens; Einmal kommt der Zustand, in dem alle Entschei= -dungen endgültig gefallen sind. Hier werden wir noch gerufen, und dann haben wir das Wort. Einst aber tut Gott die Bücher -auf, und dann hat er das Wort. Hier fragt uns Jesus Christus, ob wir ihn- als »einzigen Trost -im Leben und im Sterben« haben wollen. Einmal aber verstummt diese helfende und tröstende Frage. Die Barmherzigkeit Gottes ist zwar grenzenlos;
renzen:los; aber sie wird nicht grenzenlos angeboten. Hier leben wir noch durch Göttes Gnade und Christi Verdienst im Zeichen des Doppelpunktes. Wir haben noch eine »Frist«; wir dürfen noch leben und heimkehren. Einmal aber kommt die End gültigkeit.
Auch Lazarus darf dann nicht zu ins kommen, und Vater Abraham darf ihn nicht mehr schicken, um noch einen mil= dernden Nachsatz, ein happy end, hinter diesem Punkte folgen zu lassen. Hatte Lazarus einst auf die Brotkrllmlein vom Tische des Reichen gewartet, so wartet der Reiche jetzt auf die Tropfen am Finger des Lazarus. Aber die Stunde der Heimsuchung, die Stunde der wartenden Barmherzigkeit Got= tes ist verronnen. Die »angenehme Zeit«. der »Kair69«, ist vorüber. Nun gähnt ein Abgrund, der nicht mehr überschritten werden kann.
Und hier in seiner äußersten Not empfindet der reiche Mann zum ersten Male so etwas wie liebe. Ausgerechnet -in der Hölle fühlt er sie, wo er diese Liebe höchstens fühlen, aber nicht mehr ausüben darf, und wo sie ihm nun als gestaute, nicht mehr abfließende Liebe selber zu Qual wird. Er- denkt -nämlich an seine fünf Brüder und sieht sie mit Schrecken in all ihrer Harmlosigkeit dahinleben, dahintorkeln - ohne eine Ahnung davon, daß in unserem Leben nichts Geringeres als das Schicksal der Ewigkeit auf dem Spiele steht. Es ist qual voll, so an sie denken zu -müssen, wie der Reiche hier in der Hölle an sie -denken und sie sehen muß. Es ist ja die Qual der Toten, daß sie die Lebenden nicht warnen können, so wie es die Qual der Reifen ist, daß die Irrenden nicht auf sie hören. -
Die Brüder denken: Erst wollen wir einmal unser Leben genießen und es ungestört für uns haben. Dann werden wir weiter sehen »Frist und Zeitgewinn ist unser Leben«, heißt es in Shakespeares »Julius Caesar«. Aber es ist nichts mit dem »Weiter-Sehen«! Jetzt ist das Feld reif zur Ernte, jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt wird die Frucht vom Feigenbaimi gefor den. Und wenn hier von Himmel und Hölle die Rede ist, dann geht es nicht um eine Geographie des Jenseits - was ginge ms die an? Was ginge uns jener glühende Erdkern an, in dem man das Inferno meinte lokalisieren zu lconnen' - Sondern dann ragt das alles in unsere Lebensstunde hinein. Dann soll das heißen: Diese meine Stunde ist nicht dadurch bestimmt, daß sie sechzig Minuten hat, sondern daß sie mit dem Ernst der Ewig= keit geladen ist und daßsie einmal abläuft - genauso wie diese Welt einmal abläuft, und wie der Jüngste Tag einmal über ihr aufgeht.
»Du bist einer von den fünf Brüdern des reichen Mannes«, das ist. der Schwerpunkt in dieser Botschaft. Du bist es, der da auf der breiten Bahn seines vielleicht noch jungen und zu.. kunftsreichen Lebens dahinzieht, der vielleicht das geheimnis volle Ziel dieser Straße für ein religiöses Phantasiegebilde und der die Wegkreuzung vor der du heute stehst, für einen
beliebigen Punkt hält.

Denke nicht, es 'käme ein Berichterstatter aus dem Jenseits, der das bestätigen 'könnte, was in Mose und den Propheten steht und was dir so unkontrollierbar und mythologisch erscheint Vater Abraham schickt dir diese okkulte Bestätigung nicht. Denn wer ein Interesse daran hat, Gott auszuweichen, wird auch eine Totenerscheinung für leeren Spuk und Ein.. bildung halten. Auch der Himmel wird sich nicht über uns öffnen, und kein Wunder wird Gott geschehen lassen, das uns in die Knie sinken ließe. Denn Gott ist kein Gott des Schocks, der deine Nerven will, sondern er liebt dich als sein Kind und will dein Herz.
So kommt, denn kein Toter, und so erklingt denn keine Hirnmelsstimne, so geschieht auch kein Wünder in den Wolken.
Es kommt dies alles nicht zu dir, der du einer von den fünf Brüdern des reichen Mannes bist. Wir haben nur das Wort, das Fleisch gewordene und gekreuzigte Wort, das so namen los still ist und das in dem zu uns kam, der so arm und verachtet war wie sein Bruder Lazarus. Denn dessen Bruder Wollte dieser Eine ja tatsächlich sein. Darum könnte er keine
Kapellen vor sich her marschieren lassen; darum verzichtete er auf den königlichen Prunk, auf den Effekt der Eindeutigkeit und auf nicht zu übersehende Demonstratiotien
Er wollte der Bruder der Ärmsten sein und ihnen auf diese Weise seine Liebe zeigen. »Wir lieben dich«, sagt Hermann Hesse einmal, »weil du unser einer bist.« Darum lag auch er wie sein Bruder Lazarus an der Hintertür der Welt, als er im btalle zu Bethlehem geboren wurde. Man hätte ihm seine Liebe, und Brüderlichkeit ja nicht geglaubt, wenn er in jener Pracht gekommen wäre, mit der menschliche Phantasie das Bild Got= tes zu umkleiden pflegt.

So kam er aus Liebe in großer Stillt, und man kann ihn nur hören und sehen, wenn man sein eigenes Herz ganz still - macht. Man muß seine guten Worte hören, die er zu den Armen und Stillen im Lande sprach. Aber man- kann sie nicht so hören, wie man die lauten Stimmen der Welt hört, wie man das Radio hört und die Schlagzeilen der Zeitung liest. 

Wenn man die Stille scheut, muß man ihn notwendig überhören. Dartun hat er auch die öffentlichen Wunder nicht geliebt; darum wird den fünf Brüdern, diesen Repräsentanten der Menschheit, auch heute nicht das Schauwunder des Boten aus dem Jenseits gewährt. Das würde sie seinem Herzen ja nicht begegnen lassen, das wurde nur ihre Nerven entzünden und ihnen im übrigen die Liebe verbergen, die sie allein heilen kann. 

Darum bleibt uns als den fünf Brüdern nichts anderes als eben »Mose und die Propheten« und alles das, was sie von diesem Einen zu sagen wissen. Wer hier nicht hört und sich hier nicht heilen läßt, dem können auch Botschaften aus dem Totenreich nicht mehr »ifen.
So liegt zwar ein hoher und' schrecklicher Ernst über dieser Geschichte die man im ersten Augenblick wie ein farbiges Märchen lesen mag. Hier ist von den Grenzen unseres Lebens und sogar von den Grenzen der Geduld Gottes die Rede. Nie mand kommt an 'dieser Geschichte vorüber, ohne, daß es ihm in den Ohren gellte: »Heute nacht wird man dein Leben for=dern. Wer bist du' und wo stehst du?«

Aber zugleich ist diese Geschichte von einem Trost und einer Freude erfüllt, die uns wie in einen bergenden Mantel hüllen; denn durch den, der diese Geschichte erzählt, sind 'wir fünf
Brüder ja nun tatsächlich angerufen. An dem Kreuzweg, den wir heute passieren und an dem wir die Entscheidung fallen müssen, wohin und wem wir in Zeit und .,Ewigkeit gehören wollen, da hängt er wie ein Mahn-mal an seinem Kreuze - als ein Zeichen, als ein aufwühlendes Zeichen dafur, daß ihm meine rechte Entscheidung so wichtig und ernst war, daß er für mich sterben konnte. 

Am Kreuzweg zwischen Hin-und und Helle hängt Jesus Christus Da ist er für dich und für mich
gestorben Da hängt er als ein Zeichen, daß der Weg zum Leben noch offen ist daß er durch ihn geöffnet ist daß die angenehme Zeit noch lauft, daß die Stunde der Heimsuchung noch nicht zu Ende ist daß der Vater noch auf uns wartet »Heute nacht wird man deine Seele fordern.« Aber die Ewigkeit, die sich in diesem Ruf mit majestätischem Ernst meldet, hat ihre Schrecken verloren durch den, der uns die Staue be reitet hat und uns in unserem Richter den Vater erkennen laßt Nun bin ich durch seine Liebe ein Lazarus geworden dem das Erbarmen Gottes treu bleibt in dieser und in der zukünftigen Welt Wenn ich lebe, dann lebe ich ihm Wenn ich sterbe, dann sterbe ich ihm, dann darf mich nichts aus seiner Hand reißen
Heute nacht wird Gott dein Leben von dir fordern Wer bist du? Wo stehst du? Heute nacht, heute nacht!

Das Gleichnis vom vierfachen Acker
Da nun viel Volks beieinander war und sie aus den Städten zu ihm eilten sprach er durch ein Gleichnis: Es ging ein Säemann aus, zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel etliches an den Weg und ward zertreten, und die Vogel unter dem Himmel fraßen 's auf. Und etliches fiel auf den Fels und da es aufging, verdorrte es darum, daß es nicht Saft hatte, lind etliches fiel mitten- unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten's. Und etliches fiel auf ein gutes Land; und es ging auf und trug hundertfältige Frucht. Da er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre( Es fragten ihn aber seine Jünger und sprachen, was dies Gleichnis wäre. Er aber sprach: Euch ist's gegeben, zu wissen das Geheimnis des Reiches Gottes; den andern aber in Gleich= nissen, daß sie es nicht sehen, ob sie es schon sehen, und nicht verstehen, ob sie es schon hören. Das ist aber das Gleichnis Der Same ist das Wort Gottes. 

Die aber an dem Wege sind, das sind, die es hören; danach kommt dör Teufel und nimmt, das Wort von ihrem Herzen auf daß sie nicht glauben und selig werden Die aber auf dem Fels sind die wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an; aber sie -haben nicht Wurzel; eine Zeitlang glauben sie, doch zu - der Zeit der Anfechtung fallen sie ab. Das aber unter die Dor= nen fiel, sind die, so es' hören und gehen hin unter den Sor= - gen, Reichtum und Wollust dieses Lebens und ersticken und bringen keine Frucht. Das aber auf dem guten Land sind, die das, Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen und -bringen Frucht in Geduld.


LUKAS 8,4-15
Ob wir die Wehmut herausgehört haben; die über dieser Ge schichte liegt? Dieses Gleichnis hat Jesus auf einem Höhepunkt seines Lebens und seiner Wirksamkeit erzählt. Die Menschen - sind in hellen Haufen herzugeströmt. Das Maithäus-Evange' 'lium- berichtet, daß Jesus schließlich in einen Kahn habe treten müssen, - um von dort aus zu sprechen. Wenn die Menschen so herbeiströmen, wenn sie das über Tagereisen hinweg tun und Hunger und Durst dabei auf sich nehmen, - wenn - sie UM tun, ohne dabei ein Geschäft zu machen oder einen Nerven= kitzel zu erleben, wenn sie das ganz einfach tun, weil hier ein Mann vorn Seligwerden spricht, dann sollte man doch meinen, daß die Heilsbegierde der- versammelten Menge und daß der glühende Strom ihrer -bereiten Herzen sich ansteckend und beglückend auf den Redner übertrüge. 

Ware Jesus ein Mensch wie andere, so hatte er mit seiner Hand auf die Menge gewiesen und zu seinen Gefährten gesagt: »Der tote Punkt ist überwunden; ein großer Dammbruch hat sich in den Herzen ereignet Ich bin gekommen ein Feuer anzuzünden auf Erden, und seht nur, wie es' schon brennt!« Aber von alledem geschieht nichts. Wer sich an dem idyllischen Bilde vom Saemann erbauen mochte, wer hierin ein Symbol der schöpferischen Fruchtbarkeit der Natur erblickt, der sieht sich im nächsten Augenblick schon beunruhigt durch erschrekkende und rätselhafte Andeutungen über die verstockende Wirkung der Gleichnisse Jesu Die friedvollen Bilder, die er In seinen Gleichnissen malt sind nicht einfach Illustrationen
@1957 Quell Verlag