Tozer A.W. Wie kann man Gott gefallen

07/06/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Kapitel 1 - Die Größe einer Seele

Menschen, die Christus nicht kennen, versuchen sich oft mit dem Gedanken zu trösten, niemals im Leben eine richtig große Sünde begangen zu haben, kleine nebensächliche Schlechtigkeiten vielleicht, aber nichts Folgenschweres. Darum werde Gott ihnen sicher ihre unbedeutenden Übertretungen nachsehen, wenn Er Sein Urteil über ihr Verhalten spricht.
Zu allererst hängt unser Verhältnis zu Gott nicht von der Menge und der Ungeheuerlichkeit unserer Sünden ab, sondern davon, ob diese Sünden vergeben sind oder nicht, ob wir auf Gottes
oder auf der Seite des Teufels stehen.
Ein Überläufer wird wegen seiner Fahnenflucht zur Verantwortung gezogen, auch wenn er nichts getan hat, als sich den Rebellen zuzugesellen. Sein Verbrechen liegt darin, mit seinen Vorgesetzten gebrochen und sich den Feinden seines Landes angeschlossen zu haben. Dass er keine besonders feindseligen Handlungen begangen hat, bedeutet vielleicht nichts weiter, als dass er ein ganz gewöhnlicher Mensch ist, der zu großen Taten irgendwelcher Art, sei es für oder gegen sein Land, gar nicht in der Lage ist.

Sünden größeren Ausmaßes weisen auf eine starke Seele hin, die es, wenn sie richtig geleitet wäre, auf dem Wege geistlicher Vollkommenheit weit gebracht hätte. Andererseits gibt es eine Seelenschwäche, die auch bei den gewöhnlichsten Tätigkeiten jegliche Zielstrebigkeit und Intensität begrenzt oder gar verhindert. Wenn sich eine solche Seele bekehrt, bleibt sie auch dort in
der Mittelmäßigkeit stecken. Nach seinen eigenen Aussagen war der Apostel Paulus vor seiner Bekehrung ein großer Sünder (1. Timotheus 1,15). 

Er verfolgte mit grimmiger Wut die Christen und tat den Nachfolgern Christi viel Böses an. Nach seiner spektakulären Umkehr übergab er dem Herrn seine überragenden Fähigkeiten, und die ganze Welt weiß, was daraus geworden ist. Die gleiche Seelenenergie, die ihn zu einem gefährlichen Feind des christlichen Glaubens werden ließ, machte ihn nun zu einem kraftvollen Fürsprecher des Glaubens, jetzt, wo seine Augen geöffnet waren.

Daraus sollten wir lernen, Schwäche und Ängstlichkeit nicht mit Gerechtigkeit zu verwechseln. Nur zaghaft zu sündigen ist nicht dasselbe wie Gutes tun. Mangel an moralischer Energie mag einem Menschen dazu verhelfen, sich beim Sündigen unwohl zu fühlen, aber er sündigt nichtsdestoweniger. Seine schwächlichen Bemühungen, sich neutral zu verhalten, können
Gott nicht hinters Licht führen; denn Er kennt alle Geheimnisse des menschlichen Herzens.
Die Größe der menschlichen Seele lässt zuverlässig auf Erfolg oder Versagen eines Menschen im rauen Konkurrenzkampf des 20. Jahrhunderts schließen. 

Und nach seiner Bekehrung zu Christus hängt davon auch seine Brauchbarkeit im Reich Gottes ab. Zweifellos gibt es viele echte Christen, die nicht viel für ihre Mitmenschen tun, auch nicht für die Gemeinde, in die sie durch das Wunder der Erneuerung des Heiligen Geistes hineingeboren sind. Diese Leute sollten die Worte Christi hören: »Ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist« (Apostelgeschichte 1,8). Auch für ängstliche Herzen gibt es Hoffnung: die mächtige Einwirkung des Geistes. Er kann das Haus der Seele erweitern; aber auch nur Er allein!

Kapitel 2
Was ist mit der Erweckung? – Teil I
Dies könnte das Jahr der Erweckung werden Sehr verbreitet scheint man der Ansicht zu sein, man müsse nur viel darüber reden und darum beten, dann werde die Erweckung kommen wie Kursgewinne an der Börse oder wie eine Glückssträhne beim Baseballspielen. Es sieht aus, als erwarteten wir irgendeinen Eliaswagen aus dem Himmel, der uns auf die hohen zuckersüßen Berge religiöser Erfahrungen hinaufhebt.
Nun, wir wissen nur allzu gut, dass, wenn alle etwas behaupten, dies selten die Wahrheit ist. Oder, wenn auch etwas Wahres daran ist, so wurde es doch durch falsche Betonung dermaßen verdorben, dass im Endeffekt praktisch nichts als Irrtum dabei herauskommt. Und das gilt nach meiner Meinung auch weithin von dem Erweckungsgerede unserer Tage.

Mein Grund, an der Richtigkeit von all dem zu zweifeln, liegt darin, dass wir anscheinend die Erweckung als ein wohltuendes Wunder betrachten, als eine fieberhafte Renaissance religiöser
Aktivitäten, die über uns kommt und uns selbst so lässt, wie wir sind, nur um Vieles fröhlicher und um große Scharen vermehrt. Erweckung ist ein gutes Gesprächsthema, außerdem ist es von
der Aura überragender Frömmigkeit umgeben; leider hat dies alles einen Fehler: Es stimmt nicht. Unser Fehler ist der, dass wir wünschen, Gott möge uns Erweckung zu unseren Bedingungen senden. Wir möchten die Kraft Gottes in unsere Hand bekommen, um sie uns zuzuschreiben, damit sie uns hilft, unsere Art von Christentum zu fördern. 

Wir wollen zu bestimmen haben und den Wagen durch die religiösen Wolken in die von uns gewünschte Richtung lenken; dabei rufen wir dann selbstverständlich laut: »Preis den Herrn!«, aber im Stillen nehmen wir gern und zwar auf nette, unaufdringliche Weise, einen Teil der Ehre für uns. Wir bitten Gott, Feuer auf 10 Wie kann man Gott gefallen?
unsere Altäre zu senden und lassen völlig außer Acht, dass es unsere und nicht Gottes Altäre sind. Und wie die Baalspropheten steigern wir uns dabei in frenetisches Geschrei hinein, als könnten wir durch aggressive Beschwörungen den Arm des Allmächtigen bewegen.
Der ganze Irrtum kommt nur durch eine verdrehte Vorstellung von dem, was Erweckung ist, zustande, und dadurch, dass wir nicht erkennen können, welche moralischen Gesetze dem Reich Gottes zugrunde liegen. Gott handelt nie aus Launen heraus; Seine Wege sind weder affektbestimmt noch unberechenbar. Nie schickt Er ein Gericht, wenn nicht vorher Seine Gesetze übertreten wurden. Genauso wenig segnet Er, wenn man nicht vorher Seinen Anweisungen gehorcht hat. So präzise sind Seine Reaktionen, dass ein intelligenter Beobachter, der die Umstände überschauen kann, mit völliger Sicherheit jede Heimsuchung Gottes, sei es in Gericht oder Gnade, vorherzusagen in der Lage ist, einerlei, ob es sich dabei um ein Volk, eine Gemeinde oder eine Einzelperson handelt.

Eins ist ganz sicher: Wir können nicht fortfahren, den in der Bibel geoffenbarten Willen Gottes zu ignorieren und dann die Hilfe des göttlichen Geistes erwarten. Gott hat uns eine genaue
Beschreibung der christlichen Kirche gegeben, und Er erwartet, dass wir dieser zu 100 Prozent entsprechen. Dort finden wir die
Botschaft, die Moral und die Methoden, und wir stehen unter
der strikten Verpflichtung, allen dreien in ganzer Treue zu entsprechen. Heute stehen wir vor dem eigenartigen Phänomen,
eine Menge von Christen zu sehen, die feierlich vor Himmel und Erde die Reinheit ihres biblischen Bekenntnisses beschwören, um zu gleicher Zeit den Methoden der nicht wiedergeborenen Welt zu folgen und es kaum fertig zu bringen, irgendwelche
moralischen Maßstäbe überhaupt noch erkennbar werden zu lassen. Kälte, Weltförmigkeit, Stolz, Ruhmsucht, Lüge, Verdrehungen, Geldliebe, Zurschaustellung – all dies findet man bei
Christen, die vorgeben, die reine Lehre festzuhalten; und sie tun das nicht nur heimlich, sondern vor aller Augen und oft sogar als notwendigen Bestandteil ihrer ganzen frommen Show.

Es gehört mehr zu einer Erweckung als Gerede und Gebete. Bevor wir anfangen zu beten, müssen wir in unserer Praxis zu dem Herrn umkehren, wenn unsere Gebete im Himmel Erhörung finden sollen. Wir dürfen uns nicht weiterhin trauen, Gottes Wege zu verletzen, wenn Er die unseren segnen soll. Josua schickte seine Soldaten, um Ai zu erobern, nur um zu erleben, dass sie unter blutigen Verlusten flohen. Er »fiel auf sein Angesicht zur Erde, vor der Lade des HERRN« und jammerte vor Gott: Da sprach der HERR zu Josua: Steh auf! Was liegst du denn auf deinem Angesicht? Israel hat gesündigt, sie haben meinen Bund übertreten, den ich ihnen geboten habe. … Die Söhne Israels werden vor ihren Feinden nicht (mehr) bestehen können; … denn sie sind zum Bann geworden. Ich werde nicht mehr mit euch sein, wenn ihr nicht das Gebannte aus eurer Mitte ausrottet (Josua 7,10-12).

Wenn wir dumm genug sind, werden wir auch das folgende Jahr damit verbringen, Gott vergebens um Erweckung zu bitten, während wir blindlings an Seinen Forderungen vorbeigehen und fortfahren, Seine Gebote zu übertreten. Oder wir können heute anfangen zu gehorchen und den Segen des Gehorsams erleben. Das Wort Gottes haben wir in der Hand. Wir müssen es nur lesen und tun, was darin geschrieben steht, dann ist uns eine Erweckung sicher. Sie kommt so selbstverständlich wie die Ernte dem Pflügen und Säen folgt.
Ja, dies könnte das Jahr der Erweckung werden. Es liegt ausschließlich an uns.

Kapitel 3
Was ist mit der Erweckung? – Teil II
Persönliche Erweckung Erweckung kann auf drei Ebenen erfahren werden: auf der individuellen, auf der der Gemeinde und auf der des ganzen Ortes. Es ist unmöglich, eine Erweckung des Ortes zu erleben, wenn es vorher keine Erweckung in der Gemeinde gab, und bevor nicht wenigstens einige wenige nach einer Umgestaltung ihrer Herzen trachten, wird es keine Hoffnung für ihre Gemeinde geben; denn diese setzt sich aus einzelnen Christen zusammen. Was bedeutet es eigentlich, wenn wir singen und beten: »Herr,
sende eine Erweckung und fange bei mir an!«? Wo anders als im persönlichen Leben soll denn eine geistliche Erneuerung anfangen? Es gibt keine abstrakte »Kirche«, die losgelöst von den sie
bildenden Männern und Frauen erweckt werden könnte. Die vage Vorstellung, irgendwo gebe es einen geheimnisvollen Leib Christi, dessen Glieder unbekannt sind, eine unsichtbare Schar, auf die der Geist aufgrund unserer Gebete fallen könnte, ist ein grandioser Trugschluss, der uns nur dazu dient, uns vor der Wirklichkeit zu verstecken. Es gibt keine unerklärliche Überkirche, die
losgelöst von den einfachen und gewöhnlichen Leuten existiert, denen wir Woche für Woche in unseren Gemeinden begegnen.

Stattdessen müssen wir der Wahrheit ins Auge blicken, dass Christen Menschen sind, die man erkennen kann. Sie haben Namen und Gesichter und Häuser, sie gehen zur Schule, fahren
Lastwagen, kaufen, verkaufen, reisen, essen, gehen ins Bad und schlafen genauso wie andere Menschen. Der göttliche Same ist in ihnen und ihre Namen stehen im Himmel geschrieben; aber
sie sind nicht unsichtbar. Die Welt weiß, wer die Christen sind.
Die herrliche Schar der wenigen Erwählten, auf die der Geist zu Pfingsten kam, waren keine Geistererscheinung, noch bestanden sie aus einem besseren Menschsein, das sich auf einer höheren Ebene bewegt. 

Sie waren Menschen. Die Namen einiger sind vom Heiligen Geist aufgezählt. Wenn es auch nicht in Gottes Plan passte, uns eine vollständige Liste aller dort Anwesenden zu überliefern, so waren die Genannten wahrhaft menschlich genug. Als der Geist an jenem denkwürdigen Tag kam, konnte Er nur auf Leute fallen, die anwesend waren, die man erkennen konnte, die
einander und im ganzen Ort bekannt waren. Es gab keinen unsichtbaren Leib, in den Er kommen konnte. Er kam in die Leiber und Seelen der bei jener Gebetsversammlung Anwesenden.
Keine Gemeinde ist irgend besser oder schlechter als die einzelnen Christen, aus denen sie besteht. Nach einer geheimnisvollen Gruppe Ausschau zu halten, die hinter den bekannten
Gemeindegliedern vermutet wird und die im Geheimen auf eine Erweckung vorbereitet ist, heißt einem schrecklichen Irrtum aufzusitzen, und das auf einem Gebiet, wo Irrtümer teuer zu
stehen kommen können.
Eine Folge unseres Versagens, die wahre Natur der Erweckung zu erkennen, liegt darin, dass wir Jahr um Jahr auf etwas Übernatürliches warten, was nie eintritt, weil wir unseren Platz in
der erhofften Erweckung völlig übersehen. Was immer Gott für
eine Gemeinde tut, muss Er an den Einzelnen tun, an ganz bestimmten Männern und Frauen. Einiges widerfährt nur einzelnen, isolierten Personen und kann nicht en masse erfahren werden. Wenn statistisch auch in einer Stadt an einem bestimmten Tag hundert Babys geboren werden, so ist die Geburt jedes Babys doch eine einzigartige, ganz persönliche Erfahrung für dies Kind.
Fünfzig Menschen sterben bei einem Flugzeugabsturz; doch während alle zusammen sterben, stirbt jeder für sich allein, jeder erlebt den Akt des Sterbens in der Einsamkeit seiner Seele so
tief, als stürbe nur er allein. Beides, Geburt und Tod, erlebt das Individuum in einer Einsamkeit, die so vollständig ist, als hätte nie eine andere Person dasselbe erlebt.
Dreitausend Menschen wurden zu Pfingsten bekehrt, doch jeder begegnete seinen Sünden und seinem Heiland ganz allein. Die geistliche Geburt ist wie die leibliche für jeden eine einmalige,
14 Wie kann man Gott gefallen?
separate Erfahrung, die man mit niemand teilt. Genauso ist es mit dem Aufbruch eines geheilten Lebens, das wir Erweckung
nennen. Es kann nur den Einzelnen begegnen. Obwohl die Heimsuchung mit göttlichem Leben 75 Personen auf einmal erreichte (wie bei den Böhmischen Brüdern in Düsseldorf), so kam sie
doch auf jeden persönlich. Es gibt keine kollektive Körperschaft von Gläubigen, die außerhalb der Einzelnen besteht, aus denen
diese Körperschaft zusammengesetzt ist.
Richtig verstanden enthalten diese Wahrheiten viel Ermutigung
und große Hoffnung. Nichts kann dich oder mich daran hindern, die so nötige Erweckung zu erleben. Es ist eine Angelegenheit zwischen Gott und dem einzelnen Herzen. Nichts kann die
geistliche Erneuerung der Seele verhindern, die darauf besteht,
sie zu erlangen. Obwohl ein solcher einzelner Mensch unter geistlich Toten leben muss, kann er die große Verwandlung ebenso sicher und so augenblicklich erfahren, als gehörte er zu der
geistlichsten Gemeinde der Welt.
Ein Mensch, der Gottes Bestes haben will, wird in diesem Augenblick der Gegenstand der persönlichen Aufmerksamkeit des Heiligen Geistes. Ein solcher muss nicht warten, bis die anderen Gemeindeglieder zum Leben erweckt werden. Er wird nicht für das Versagen seiner Mitchristen bestraft, noch wird von ihm verlangt, auf den Segen zu warten, bis seine schläfrigen Brüder endlich aufwachen. Gott handelt mit dem einzelnen Herzen so exklusiv, als gäbe es nur dieses.
Wem dies eine zu individualistische Vorstellung von Erweckung zu sein scheint, der bedenke, dass Christentum immer persönlich ist, bevor es öffentlich wirksam wird. Jeder Prophet, jeder
Reformator, jeder Erweckungsprediger musste zunächst allein Gott begegnen, bevor er den großen Massen helfen konnte. Die großen Führer, die hingingen, um Tausende zu Christus zu führen, mussten erst einmal mit Gott und ihrer eigenen Seele anfangen. Der gewöhnliche Christ von heute muss persönliche Erweckung erleben, bevor er hoffen kann, seiner Gemeinde zu
erneuertem geistlichen Leben zu verhelfen.

Kapitel 4
Was ist mit der Erweckung? – Teil III
Beten reicht nicht Diese Worte sind an solche Kinder Gottes gerichtet, die von dem Pfeil unaufhörlichen Verlangens durchbohrt sind, die sich nach Gott sehnen mit unwiderstehlicher Sehnsucht, die nach Ihm so sehr verlangen, dass es ihnen Schmerzen bereitet.

»Glückselig, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten, denn sie werden satt werden« (Matthäus 5,6). Hunger bereitet Schmerzen. Durch Gottes gnädige Vorsorge hat Er in uns einen Anreiz bewirkt, der uns in Richtung auf Nahrungsaufnahme treibt. Wenn Hunger auf Nahrung schmerzt, dann tut es Durst, also Hunger auf Wasser, hundertmal mehr, und je stärker der Mangel wird, umso größer wird der Schmerz. Es ist die letzte drastische Anstrengung des Organismus‘, das gefährdete Leben dazu zu bringen, sich selbst zu erneuern. Ein toter Körper fühlt keinen Hunger, und eine tote Seele weiß nicht von der inneren Not heiligen
Begehrens. »Wenn du Gott suchen möchtest«, sagte ein alter Heiliger, »hast du Ihn schon gefunden.« Unser Begehren nach einem erfüllteren Leben ist der Beweis, dass schon Leben vorhanden ist. Allein schon unsere Unzufriedenheit sollte uns Mut
machen, unsere noch unerfüllten Erwartungen sollten uns Hoffnung geben. »Was ich zu sein hoffte, wenn ich es auch noch nicht war, tröstete mich«, schrieb Browning in wahrer geistlicher Einsicht. Das tote Herz kann nichts erwarten. Ein totes Herz kann auf nichts hoffen.

Im natürlichen Leben bewegt sich alles in Richtung des jeweiligen Hungers. In der geistlichen Welt ist es nicht anders. Wir werden von unseren inneren Sehnsüchten angezogen, vorausgesetzt, diese Sehnsüchte sind stark genug, uns in Bewegung zu setzen. Kraftlose Träumereien reichen nicht aus. Der fromme Zug, dem kein entsprechender Willensakt folgt, ist Verschwendung seelischer Energien. Die furchteinflößende Kraft einer Blitzentladung kann sich in der Luft verlieren, während eine Taschenlampenbatterie einem Bergmann stundenlang Licht bringen kann. Das eine ist die richtungslose Entfaltung gewaltiger Energien, das andere die stille Anwendung geringer Kräfte zu einem intelligenten Zweck.

Ich bin überzeugt, dass viel, sehr viel, Beten und Reden über Erweckung heutzutage verschwendete Kraftanstrengungen sind. Obwohl mir klar ist, dass dies Bild in sich unstimmig ist, möchte ich sagen: Hier handelt es sich um Hunger, der auf keinen wirklichen Gegenstand gerichtet ist, um einen Wunschtraum, der zu schwach ist, moralische Aktivitäten zu wecken. Es ist Fanatismus auf hohem Niveau; denn, um mit John Wesley zu sprechen, ist »ein Fanatiker jemand, der eifrig einem Ziel nachjagt und dabei die zu diesem Zweck bestimmten Mittel außer
Acht lässt«.
Nehmen wir an, dass ein auf Erweckung wartender Mensch aufgehört hat, in der Mehrzahl zu denken und seinen Glaubensblick auf eine einzelne Person, auf sich selbst, verengte, was dann?
Wie kann er herausfinden, wonach seine Seele so dürstet? Wie kann er mit seinem Hunger zusammenarbeiten, damit dieser gestillt wird?
Er muss sein Herz von der falschen Ansicht befreien, Beten allein bringe den Segen. Normalerweise vollziehen sich alle Verhandlungen zwischen der Seele und Gott auf dem Wege des Gebets. Es ist richtig und biblisch und es entspricht dem Zeugnis aller Heiligen, dass jedweder Fortschritt, an welcher Front auch immer, jede Befreiung, jede Reinigung, jede Kraftausrüstung auf gläubiges Gebet hin verliehen wird. Unser Fehler besteht darin,
dass wir versuchen, diese Wohltaten allein durch Beten zu erreichen.

Die Beseitigung dieses Fehlers ist äußerst schwierig; denn dazu gehört mehr als nur die Berichtigung unserer dogmatischen Vorstellungen; sie berührt unser gesamtes Adamsleben und erfordert Selbstverleugnung, Demut und Kreuztragen; kurz gesagt: 

Gehorsam und dass wir nichts unternehmen, um dem zu entkommen. Es ist fast unglaublich, wie weit wir zu gehen bereit sind, um Gott nicht gehorchen zu müssen. Wir nennen Jesus »Herr« und bitten Ihn, unsere Seelen zu erneuern, aber wir unternehmen alles, um nicht zu tun, was Er sagt. Wenn wir es mit Sünden
oder Bekenntnis oder einer moralischen Änderung unseres Lebens zu tun bekommen, finden wir es leichter, eine halbe Nacht zu beten als Gott zu gehorchen.
Die Intensität eines Gebets sagt nichts über dessen Wirksamkeit aus. Ein Mensch mag auf seinem Angesicht liegen und vor Gott sein Elend herausheulen und trotzdem nicht die Absicht
haben, den Geboten Christi gehorsam zu sein. Starke Emotionen und Tränen brauchen nicht mehr zu sein als die Reaktionen eines beunruhigten Geistes, als das Zeichen eines hartnäckigen
Widerstands gegen den bekannten Willen Gottes. Jakob kämpfte die ganze Nacht hindurch mit dem Engel. Erst als er besiegt
war, richtete er etwas aus, indem er Gott nicht loslassen wollte.
Warum hat Jakob so lange widerstanden? Weil er sich schämte, dem Engel seinen Namen zu bekennen. Als er schließlich zusammenbrach und zugab, seinen Zustand verdrängt zu haben,
war der Sieg errungen. Er siegte, indem er verlor.
Einerlei, was ich hier schreibe, Tausende von Pastoren werden fortfahren, ihre Leute zum Beten aufzuforden in der vergeblichen Hoffnung, Gott werde sich schließlich doch erweichen lassen und eine Erweckung schicken, wenn sich Sein Volk nur tüchtig mit der Fürbitte abquält. Solchen Menschen muss Gott tatsächlich wie ein harter Fronherr vorkommen; denn die Jahre
gehen vorüber, die Jungen werden alt und die Betagten sterben, und immer noch kommt keine Hilfe. Die Räume der Gebetsversammlungen werden zu Klagemauern und die Lichter brennen lange; und doch bleibt der Regen aus.
Hat Gott vergessen, gnädig zu sein? Jeder Leser sollte anfangen, gehorsam zu sein, und er wird die Antwort erhalten. »Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer aber
mich liebt, wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich selbst ihm offenbar machen« (Johannes
14,21).
Ist es nicht das, was wir letztlich wollen?


Inhaltsverzeichnis
Die Größe einer Seele -------------------------------------------------- 7
Was ist mit der Erweckung? – Teil I --------------------------------- 9
Was ist mit der Erweckung? – Teil II ------------------------------ 12
Was ist mit der Erweckung? – Teil III ----------------------------- 15
Was ist mit der Erweckung? – Teil IV ----------------------------- 19
Gebrauch und Missbrauch guter Bücher – Teil I--------------- 23
Gebrauch und Missbrauch guter Bücher – Teil II-------------- 26
Gebrauch und Missbrauch guter Bücher – Teil III ------------ 29
Gebrauch und Missbrauch guter Bücher – Teil IV ------------ 32
Gebrauch und Missbrauch guter Bücher – Teil V-------------- 36
Wer tut das Werk Gottes? ------------------------------------------- 40
Nicht zu viele, aber die falschen ----------------------------------- 43
Worte ohne Bedeutung sind unnütze Worte -------------------- 47
Eine nötige Reformation --------------------------------------------- 50
Fortdauerndes Opfer – oder fortdauernde Wirksamkeit? ---- 53
Die zerstörerische Wirkung eines leicht reizbaren Geistes -- 55
Keine Sünde ist Privatangelegenheit ------------------------------ 58
Eifer: Was beweist er? ------------------------------------------------- 61
Kirchenzugehörigkeit – kein Ersatz fürs Handeln ------------- 64
Hoffnung – ein universaler Schatz – Teil I ---------------------- 67
Hoffnung – ein universaler Schatz – Teil II --------------------- 70
Die Kirche erringt einen Pyrrhussieg ----------------------------- 73
Lass dir von niemand deine christliche Zuversicht rauben! 76
Die Gründe religiöser Verwirrung – Teil I ----------------------- 80
Die Gründe religiöser Verwirrung – Teil II ---------------------- 84
Die Probleme mit den großen Zahlen ---------------------------- 87
Die Gabe prophetischer Einsicht ist heute unerlässlich – Teil I - 91
Die Gabe prophetischer Einsicht ist heute unerlässlich – Teil II 95
Optimist oder Pessimist? -------------------------------------------- 98
Von Natur aus sind wir alle Ketzer ------------------------------- 101
Der Schatten der Konsequenzen ---------------------------------- 104
Es ist wesentlich, dass wir wie Gott denken ------------------- 107
Die Wiedergeburt ist ein Geheimnis----------------------------- 110
6 Wie kann man Gott gefallen?
Christ – oder einer, der das Christentum nur studiert hat? 114
Ein Wort über den Aberglauben ----------------------------------- 117
Noch mehr über den Aberglauben ------------------------------- 120
Dankbar – aber wem? ----------------------------------------------- 123
Kein Friede, sondern das Schwert -------------------------------- 126
Ein Wurzelspross aus dürrem Erdreich -------------------------- 129
Kraft durch den innewohnenden Geist-------------------------- 132
Göttliche Liebe ist weder blind noch taub ---------------------- 135
Worum geht es zu Ostern? ----------------------------------------- 139


Aiden Wilson Tozer Erweckung und geistliches Wachstum
ISBN / EAN: 978-3-89397-285-2
© der Originalausgabe 1991 by Christian Publications
Originaltitel: The Size of the Soul
© der deutschen Ausgabe 2001 by clv