Winterfeld-Platen Leontine von , Bonizetta von Are, Mittelalterliches Leben im Ahrtal,

06/30/2023
von Christ-und-Buch Günter Arhelger

Vielfarbig schimmernd fielen die letzten Streifen der scheidenden Sonne durch die schmalen, mit bunten Heiligenbildern bemalten Bogenfenster der alten Abtei-kirche zu Marienthal. Wie abschiednehmend berührten die zitternden Strahlen die geschnitzten Chorstühle der Nonnen, den samtgepolsterten Lehnsessel der Äbtissin und die Fange Stuhlreihe der Novizen und weltlichen Zöglinge. Und sie huschten tänzelnd weiter durch das ganze große Schiff, bis zum Hochaltar, von dem in Lebensgröße, von Meisterhand gemalt, die Mutter Gottes segnend niedersah. - Es war still und leer hier in der Kühle - die Zeit des Ave eben vorüber -‚ nur draußen vor der weitgeöffneten Tür summten die Bienen in den blühenden Linden.

Da knarrte ganz leise die schwere, eichene Eingangstür.
Ober die grauen Steinfliesen schritt langsam ein Mädchen. Wie flüssiges Gold flutete hinter ihm die Abendsonne durch die duftenden grünen Linden in das weit geöffnete Portal und umgab das Kind wie mit einem Glorienschein. Langsam ging es weiter bis zum Hochaltar, den Arm voll blühender, purpurroter Rosen. 

Im Schreiten waren ihm einige entfallen, die lagen nun auf dem Estrich wie Blutstropfen. Tief beugte das Mädchen Knie und Haupt vor den Stufen des Hochaltars, Stirn und Brust mit dem heiligen Kreuz zeichnend. Dann hob es die großen dunkelblauen Augen zur segnenden Maria. Zu Füßen der Jungfrau ordnete es all die blühende, duftende Pracht in einen großen Krug. Die jungen Lippen bewegten sich im leisen Gebet. Von draußen durch die halboffene Tür klang noch immer das Summen der Bienen; ganz in der Ferne dengelte einer seine Sense. Süßer, schwerer Duft von frisch geschnittenem Heu mischte sich mit dem Hauch der Rosen. Da erhob sich das Mädchen von den Knien und ging langsam zwischen den hohen, geschnitzten Stühlen den Hauptgang wieder zurück, den es gekommen war.
- Den blühenden Lindenweg schritt es entlang, bis zum Klostergarten, über dessen hohe steinerne Mauer helles Jauchzen und Rufen klang. Hier lärmten die Zöglinge beim Blumenbegießen - lustig, ausgelassen, wie Kinder sind. Denn noch hatte die Glocke nicht zum Schlafengehen geläutet, und der Sommerabend war so wunderschön. Wie König Laurins Zauberreich dehnte sich hier blühend und duftend zur Seite der massigen Gebäude, sanft gebettet im geschützten Tal, der von Nonnenhand sorglich gepflegte Klostergarten von Ma-rienthal: Rosen, Rosen, wohin das Auge sah. Über die steinerne Einfriedung klommen sie in dichten, purpurnen Büschen, über die kiesbestreuten Wege spannten sie sich rankend in zierlichen Bogen. Durch die Säulen des Kreuzgangs hatten sie sich gezwängt und waren hinaufgeklettert bis zum moosigen Klosterdach, auf dem die Tauben gurrend saßen und sich Brust und. Flügel mit
den Schnäbeln putzten. Hinter dem Kloster, bis tief ins Tal hinein, vorne bis hart an die grüne, rauschende Ahr heran, erstreckten sich die Beete, der Stolz der frommen Frauen zu Marienthal. Und hier am Fluß, wo die Schwalben mit schrillem, jauchzendem Schrei pfeilgeschwind dicht übers Wasser glitten, wo die rotgesprenkelten Forellen sprangen, saßen zwei der Mädchen, eng aneinandergeschmiegt, auf der Steinmauer und schauten träumend hinaus in das dämmernde Land, Über die waldbewachsenen Berge jenseits der Ahr stieg schon der Abendstern. Jetzt kam den Garten herunter auf die Mauer zu auch die kleine Dunkle, die eben die Rosen vor den Altar gebracht hatte. Die beiden winkten ihr.
„Mechthild,- so lauf doch ein bißchen! Wo bleibst du nur? Die Sonne ist schon untergegangen, und wir müssen gleich hinein. Hattest du eine Pönitenz, daß du so spät kommst?«
Mechthild schüttelte das braunlockige Köpfchen und schwang sich neben die zwei auf die Mauer.
»Hab nur der Mutter des Hochgelobten noch Rosen gebracht. Weißt, Gathli, ich denke, sie hat sie gern.«
Die junge Novize, schon an der dunklen Tracht erkenntlich, nickte ernst, und in ihre Augen stiegen Tränen.
„Oh, du, Mechthild, liebst die Heiligen und ihren Dienst, und hast's doch nicht einmal so nötig wie ich, denn du bist nur ein weltlicher Zögling und fliegst bald wieder davon,- da oben hin auf die Landskron. Aber ich?" Sie grub die weiien Zähne tief in die Unterlippe und ballte die Faust.


„Nach Jahresfrist schneiden sie mir die Haare und ziehen mir Nonnenkleider an. Oh!”
Die andere, die bis dahin still neben ihr gesessen hatte, strich ihr begütigend leise über den Arm.
»Still, Gathli, still, daß Schwester Mathilde dich nicht hört! Sie hat's nimmer gern, wenn man so spricht."
Mechthild sah die Weinende sinnend an. „0 Gathli, wie gut wirst du's einmal haben! Immer, immer hier bei den frommen Frauen im Rosengarten, und dann alle die lieben Heiligen so in der Nähe."
Da tönte plötzlich eine schrille Stimme durch die Dämmerung. „Agathe, Agathe!"
Erschrocken sprang Gathli empor. „0 weh, das ist Schwester Mathilde. Ich habe meine Borte nicht fertig am Meßgewand, nun gibt's Pönitenz. Lebt wohl, Mechthild und Margret! Grüßt mir die Bonizetta!"
Damit war sie auch schon von der Mauer heruntergesprungen und der rufenden Stimme entgegengelaufen.
Die beiden blieben noch sitzen, etwas beklommen nach dem eben Gehörten.
„Du, Margret", flüsterte ein wenig scheu die kleine dunkle Mechthild und beugte sich vor, „du, sag einmal, warum wird denn die Agathe Nonne, wenn sie's nun einmal nicht will?"
Die dicke Margret zuckte die Achseln.
„Ja, weißt du, das ist nun einmal so. Sie hat keine Eltern mehr und keine Geschwister. Und weil ihr Oheim ihr Vermögen will, hat er sie halt ins Kloster gesteckt. Es ist aber eigentlich gar nicht so schlimm. Ich werd' ja auch schon nächsten Neumond Novize und dann Nonne."
Mednhilds dunkelblaue Augen sahen traumverloren in die Ferne.
„Wie ich euch beneide, Margret! Bei uns droben auf der Landskron ist's auch schön, freilich ja! Aber da sind der Vater und die Buben, die trinken und raufen so viel. Die Mutter und die Armtrud denken nur allweil an Spiel, Tanz und Lustbarkeit. Und so viel Gäste sind immer oben bei uns, und fahrende Sänger und Gaukler und Narren. Ich mein schier, bei uns müßt' den Heiligen fast schwindelig werden, so toll geht's da her."
„So bleib doch bei uns, Mechthild, und tritt ein als Novize."
„Ich darf nicht, Margret. Der Vater hat mich schon als ganz kleines Kind dem Saffenburger Sohn versprochen. Nun muß ich doch dessen Ehweib werden."
Die andere nickte ernsthaft.


„Freilich mußt du's, das hilft dann nichts. Aber sag, Mechthild, was ich noch fragen wollt. Drüben bei uns in der Klosterkirche unter den schweren Steinplatten in der Gruft liegen doch auch so viele Ritter von Sinzig und Grafen von Landskron, sind die alle von deiner Sippschaft?"
Mechthild nickte. Und es schien fast, als käme jetzt ein wenig Leben in ihr weiches sechzehnjähriges Gesicht-dien.
„Freilich, das hat mir Vater oft genug erzählt. Die Ritter von Sinzig, wie wir früher hießen, haben dazumal die Landskron vom deutschen Kaiser zum Dank bekommen, weil mein Ahnherr Gerichwin von Sinzig dem Kaiser Philipp von Hohenstaufen treu gewesen ist."

„Sieh, sieh”, spottete Margret, „unsere sanfte Mechthild scheint sich doch ab und zu auch ganz gern mit weltlichen Dingen abzugeben. Ich meinte bis dahin, du wüßtest nur unter den Heiligen Bescheid."
Mechthild errötete.
„Warum? Was meines Vaters Stolz ist, ist auch der meinige. Drum lern ich ja jetzt Latein bei Schwester Erdmute, daß ich es später alles in der Chronik aufzeichnen kann. Wir haben unser Erbbegräbnis hier in der Klosterkirche durch hohe Schenkungen urkundlich erlangt. Da liegt auch Gerhard II., der eine Gräfin von Neuenar zur Frau hatte. Das sind meine Großeltern gewesen."
Margret legte den Kopf auf die Seite.
„Dann bist du also auch mit der Bonizetta versippt? Die ist doch auch eine von Neuenar?"
Die Kleine nickte.
„Freilich. Landskron und Neuenar stehen allzeit zusammen, heißt der Spruch.«
„Recht, Klein-Mechthild, du gelehrtes Klosterkind, das tun sie. Ihr Heiligen! Ist mir heiß! Ist noch Platz da oben?"
„Bonizetta!" jubelte Mechthild.
Und „Bonizetta ! « echote fröhlich die dicke Margret.
Von den jetzt schon im Halbdunkel liegenden Rosenbüschen des Gartens hatte sich eine hohe; schöngewach-sene Gestalt gelöst. Weißblond wie! reifer Flachs lagen ihr die dicken Zöpfe im Nacken. Das regelmäßige, herbe Antlitz war purpurn überhaucht. Den Rock hatte sie bis über die Knöchel geschürzt, die langen Armel bis zu den Ellbogen zurückgestreift, daß die schlanken Arme weiß im Dämmer schimmerten. Der rechte lag ihr voller Linnen, der linke hielt die schwere Gießkanne.
Sorgsam legte sie jetzt das Linnen auf die breite Steinbank unter der Linde und stellte die Kanne daneben. Dann setzte sie sich zu den beiden andern auf die Mauer und faltete die Hände um das linke Knie.
„Ihr habt's gut hier!" lachte sie. „Allweil Feierabend. Ich war noch auf der Bleiche, Linnen zu begießen."
Margret rümpfte die Nase.
„Warum, Bonizetta, 's ist ja nicht deine Arbeit? Mag sich doch Schwester Angela damit plagen, wenn sie heimkommt."
Da reckte Bonizetta sich tiefatmend.
„Wenn mir doch die Arbeit Freude macht!"
Und in ihren schönen graublauen Augen lag's dabei wie blitzender Sonnenschein.
Dann legte sie ihren Arm schützend um die kleine schmächtige Mechthild.
„Sag, Bäschen, wer hat dir etwas tun wollen, daß du's vorhin so laut hinausriefst in den Abend: Lands-kron und Neuenar stehen allezeit zusammen?"
Die Kleine schmiegte sich an sie.
„Niemand, Bonizetta. Ich sagte es bloß so. Wir sprachen grad von der Sippschaft und solchen Dingen, die Margret und ich."
Margret nickte.
„Ja, Bonizetta. Und ist das wahr, was sie hier alle erzählen, daß du einmal einen von den beiden letzten Grafen von Are ehelichen sollst?"
Bonizetta nickte sehr ruhig.

„Ja, aber das ist eine eigentümliche Geschichte. Ich dachte, ihr wüßtet sie alle längst.”
„Jeder redet so etwas, aber keiner weiß Genaues. Erzähle du es doch", schmeichelte Margret mit neugierigen Augen.
Bonizetta lehnte sich zurück und sah in die Sterne.
»Einmal werdet ihr's ja doch erfahren. Warum dann nicht heute abend? Komm, kleine Mechthild, sieh nicht gar so erwartungsvoll drein. Die Geschichte ist sehr einfach, ihr wißt, der alte Theoderich von Neuenar, der da oben so wild haust, hatte einen Bruder, der mit dem Kaiser nach Welschland zog. Das war mein Vater. Drunten in Welschland hat er geheiratet. Bonizetta hat meine Mutter geheißen, so wie ich. Als ich wenige Wochen alt war, starb sie."
Bonizetta hielt inne im Sprechen und sah wie verloren über das dunkle, gurgelnde Ahrwasser. Ihre Brust hob und senkte sich.
»Als meine Mutter gestorben war, hat mein Vater mich heimgebracht nach Deutschland zum Ohm auf den Neuenar. Dann ist der Vater wieder zurückgezogen nach Welschland und in einer Schlacht gefallen. Ich bin auf dem Neuenar geblieben und aufgezogen worden zusammen mit den beiden Buben vom Ohm, dem Kraffio und dem Will. Dazumal hat noch meine Muhme, die edle Frau Hadawig, gelebt. Die hat mich liebgehabt wie ihr eigenes Kind. Früh hat sie an einer Seuche sterben müssen, da ward ich siebenjährig hergebracht zu den frommen Frauen nach Marienthal, bloß zum Aufziehen, weil ich droben nicht sollte allein bleiben unter den Mannsleuten. - Nach Frau Hadawigs Tode wurde es bekannt, daß sie einst ein schweres Gelübde getan hatte, das sie, verbrieft und versiegelt, vom Erzstift zu Köln unterzeichnet, als heiliges Dokument in einem Schrein verwahren ließ, zu dem allein Graf Theoderich den Schlüssel besitzt, der aber an ihrem Sterbebett geschworen ha; ihn nicht eher zu öffnen, als bis die Buben einundzwanzig Jahre zählen. Nur das weiß man, daß der eine der Buben mich heiraten, der andere Domherr zu Köln werden soll. Aber niemand ahnt, wen's getroffen hat, den Kraffio oder den Will, selbst der eigene Vater nicht."
Margret schauderte.
»Die armen Buben! Ein so ungewisses Schicksal vor sich zu haben!"
Mechthild lächelte.
»Warum denn, Margret? So oder so, es ist beides schön. Und wie es dann kommt, so ist's der Wille der Heiligen."
Aber Margret gab sich noch nicht zufrieden.
»Was hat Frau Hadawig denn für einen • Grund gehabt, ein so schweres Gelübde zu tun?"
Bonizetta wiegte den Kopf.
»Man weiß es nicht recht. Sie soll in großer Not gewesen sein und habe eine Schuld sühnen wollen."
Mechthild hob jetzt den dunklen Kopf und sah der Blonden voll in das schöne Gesicht.
„Sag, Bonizetta, fürchtest du dich nicht, so allein einmal hinauf zu • müssen in das alte Raubnest, wo nur der alte Graf und die beiden wilden Buben hausen? Man erzählt drunten im Tal von den Letzten von Are da oben so viel Arges."
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