Botschafter des Heils in Christo 1903

01/25/2024
von Christ-und-Buch Günter Arhelger
Botschafter des Heils in Christo Inhaltsverzeichnis: 1903 Seite
Gethsemane 1, 29, 57
Gedanken über den 84. Psalm 20, 54, 69, 85, 118, 141, 169, 197, 197, 225, 258, 
Er ist nicht hier (Gedicht) 27
Komm, o komm, Herr Jesu Christ! (Gedicht) 56
Ein Wort über Menschenlob 80
Leg still in Gottes Hände (Gedicht) 84
Eli, der Priester 101
Nahet euch Gott 109
Die Liebe Gottes 132
Das Wohnen Gottes bei den Menschen 137, 150, 181 
Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet." 160
Der vereitelte Anschlag 167
Kommet her zu mir!" 190
Nicht eine Stunde könnt ihr wachen? (Gedicht) 195
Einige Gedanken über die Kirche oder Versammlung 208
Treue Verwalter 223
Die Gesinnung Jesu Christi 232
Ein Wort über die Vereinigung der Gläubigen in unseren Tagen 244, 262, 281
Hilf mir, o Herr! (Gedicht) 252
Jesus im Verkehr mit den Seinigen 272
Dienende Liebe. 295
Ein stilles Herz (Gedicht) 308
Mephiboseth 323
Ein Brief 328
Begnadigt 328
Die Liebe des Christus 332


Gethsemane

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1903, S. 1ff

I.

„Niemand erkennt den Sohn, als nur der Vater“ (Matth. 11, 27.)

Der Kampf des Herrn in Gethsemane mit den ihn begleitenden, erschütternden und herzbewegenden Umständen ist von jeher ein Gegenstand eingehender Untersuchung gewesen. Er hat mit Recht das Interesse aller Schriftforscher erregt und zu« vielen Erörterungen Anlass gegeben, deren Ergebnisse sich indes vielfach widersprechen.« Durch eine, in christlichen Kreisen weitverbreitete Schrift, die in letzter Zeit erschienen ist und den geheimnis-vollen Vorgang im Garten Gethsemane in Verbindung mit den Worten des Apostels in Hebr. 5, 7 — 9 behandelt *), ist die Frage wieder mehr in den Vordergrund gerückt worden und beschäftigt von neuem Tausende von Christenherzen. 

Viele sind durch die Ausführungen des Verfassers in hohem Grade befriedigt, andere in demselben Maße beschwert worden. Die nachstehende Betrachtung soll nun nicht eine Widerlegung jener Schrift sein, sie hat bereits eine Beantwortung von anderer Seite erfahren; der Schreiber fühlt sich« vielmehr durch die Liebe zu seinem Herrn und das Interesse für seine ·Mitgläubigen gedrängt, niederzuschreiben was sein Herz bewegt. Es geschieht in dem tiefen Bewusstsein aller menschlichen, und vor allem der eigenen völligen Unzulänglichkeit, einen solchen Gegenstand gebührend oder gar erschöpfend behandeln zu können. Schreiber ist durchaus einverstanden mit dem Verfasser obengenannter Schrift, dass der Boden von Gethsemane in ganz besonderer Weise „heiliges Land“ ist, das von dem Menschen nur in tiefster Ehrfurcht, mit unbeschuhten Füßen, betreten werden darf.

 Ja, mehr noch: weil es sich um die Person unseres hochgelobten Herrn und Heilandes, des Bildes des unsichtbaren Gottes, des Gottmenschen, handelt, so wohnen dem Vorgang in Gethsemane Höhen und Tiefen inne, die nur von dem Auge und Herzen Gottes, der allein „den Sohn erkennt“, ausgemessen werden können.In Anbetracht dessen ist auch mit Recht bemerkt worden, dass das Verständnis der Vorgänge in Gethsemane und vor allem einer Schriftstelle, wie Luk. 22, 44, weit mehr von dem geistlichen Herzenszustande des Betrachtenden abhängt, als durch Auslegung seitens Anderer vermittelt werden könne.

Im Verfolg des Gesagten wird der Leser es gerechtfertigt finden, wenn wir uns, vor Eintritt in unseren eigentlichen Gegenstand, ein wenig mit der Person unseres Herrn beschäftigen. Kein Vorgang in Seinem Leben, vor allem nicht ein so ernster und wichtiger, wie der genannte, kann richtig verstanden oder beurteilt werden, so lange irgendwelche Unklarheit über Seine Person in der Seele besteht. Darum ging auch von Anfang an das Bestreben des Feindes dahin, die Herzen der Gläubigen im Blick auf die anbetungswürdige Person unseres Herrn zu verwirren und allerlei falsche Vorstellungen in ihnen wachzurufen. Wie es Zweck und Absicht des Heiligen Geistes ist, „Ihn zu verherrlichen“, so ist es Zweck und Absicht des Feindes, Ihn zu verunehren und Seine Herrlichkeit vor den Augen der Menschen zu verdunkeln. 

Wie gewaltig seine Anstrengungen in dieser Beziehung gerade in unseren Tagen sind, ist jedem treuen Christenherzen schmerzlich bekannt. Satan findet seine Diener und Werkzeuge nicht nur in den Reihen der offenbar Ungläubigen, sondern auch (obgleich diesen selbst unbewusst) in solchen, die noch an der Wahrheit der „Schriften“ und der Göttlichkeit der Person Christi festzuhalten bekennen. Es ist darum eine heilige Pflicht und eine tiefe Freude aller, die es treu mit ihrem Bekenntnis zu Christo meinen, immer und immer wieder, so oft Gott Gelegenheit dazu gibt, für ihren Herrn Zeugnis abzulegen und in Wort und Schrift Sein Bild genau so festzuhalten, wie Gottes heiliges Wort es uns darstellt.

Jesus ist wahrhaftig Gott und wahrhaftig Mensch in einer Person, der Abdruck Seines Wesens, der Abglanz Seiner Herrlichkeit. Die Verbindung von Gottheit und Menschheit in Ihm ist ein unbegreifliches, unerklärliches Geheimnis. „,Anerkannt groß ist das, Geheimnis der Gottseligkeit: Gott ist geoffenbart worden im Fleische“ (1. Timotheus. 3, 16). „Das Wort ward Fleisch“ (Joh. 1, 14). Christus ist Mensch geworden, Er hat teilgenommen an Fleisch und Blut (Hebr. 2, 14), aber nicht so als habe Er unsere sündige Natur angenommen, als sei Er „unser Bruder“ geworden, **) oder als habe Er, indem Er Mensch wurde, aufgehört Gott zu sein. Nein, der Engel Gabriel sagt zu Maria bei der Ankündigung Seiner wunderbaren Geburt: „Das Heilige, das geboren werden wird, wird Sohn Gottes genannt werden“ (Luk. 1, 35). Und Gott selbst spricht zu Ihm, dem Menschgewordenen, in der Zeit Geoffenbarten: „Du bist mein Sohn; heute habe ich dich gezeugt“ (Hebr. 1, 5), So war Jesus wirklich und wahrhaftig Mensch, geboren von einem Weibe, Mariens Sohn; aber Er war zugleich wirklich und wahrhaftig Gott, als Mensch von Gott gezeugt, Gottes Sohn.

Aus diesem Grunde ist es für niemanden möglich, den Sohn zu erkennen, außer für Gott allein. Kein Mensch, kein Engel kann diese geheimnisvolle Vereinigung von Menschheit und Gottheit in Christo verstehen oder ergründen. Sie ist unerforschlich, ein Gegenstand des Glaubens, nicht der Erkenntnis. Wer sie ergründen und erklären will, gerät unfehlbar auf Irrwege. Wenn es sich um die Erkenntnis des Vaters handelt, so fügt Jesus dem: „Niemand erkennt den Vater, als nur der Sohn“, hinzu: „und wem irgend der Sohn Ihn offenbaren will“; aber wenn es sich um Ihn, den Sohn, handelt, wie Er hienieden geoffenbart war, so vermag niemand Ihn zu erkennen, als Gott allein. Er ist uns auch nicht zu diesem Zweck gegeben, sondern, gleich dem Manna in der Wüste, zum Genuss, zur Speise unserer Seelen, als Gegenstand unseres Glaubens, unserer demutsvollen Betrachtung und vor allem unserer Anbetung.

Nur wenn wir diese Wahrheit festhalten und in heiliger Ehrfurcht beachten, können wir das Reden und Wirken unseres Herrn auf dieser Erde verstehen und mit wahrem Nutzen verfolgen, während wir im entgegengesetzten Falle vor tausend ungelösten Rätseln stehen und zu zahllosen verkehrten Schlüssen und Auslegungen kommen. Niemals, selbst nicht in den Zeiten Seiner tiefsten menschlichen Erniedrigung, fehlt das Zeugnis von Seiner wahren Gottheit. Er war und blieb in allen Lager und unter allen Umständen Er selbst, Gott geoffenbart im Fleische; und der erneuerte Sinn sucht mit Fleiß nach solchen Zeugnissen, und das Auge des Glaubens betrachtet sie mit himmlischer Freude. Der Geist Gottes hat auch mit eifersüchtiger Sorge darüber gewacht, dass die mannigfaltigen Herrlichkeiten der Person Christi, die verschiedenen Seiten Seines Charakters und Wesens, Seiner göttlichen und menschlichen Natur, in den Schriften des Neuen Testamentes immer wieder zur Darstellung gekommen sind.

Es ist bekannt, dass jeder einzelne der vier Evangelisten Jesum von einem besonderen Gesichtspunkt aus betrachtet. Jeder behandelt seinen Gegenstand, unter der Leitung des Heiligen Geistes, in einer ihm eigentümlichen Weise. Wie einst im Alten Bunde das „Rauchwerk“ aus drei verschiedenen Arten wohlriechender Gewürze und aus geläutertem Weihrauch hergestellt werden musste (vergl. 2. Mose 30, 34 38), so hat es Gott gefallen, uns in den vier Evangelien ein Gesamtbild von der Person Seines geliebten Sohnes zu geben: jeder einzelne Teil wohlriechend und kostbar, vollkommen in sich selbst, und doch erst in Verbindung mit den anderen ganz an seinem Platze. Obwohl ich befürchten muss, bereits Bekanntes zu sagen, möchte ich doch, weil wichtig für unseren Gegenstand, kurz daran erinnern, dass Matthäus uns vornehmlich Christum als den Messias, den Sohn Davids, den Erfüller aller dem Volke Israel gegebenen Verheißungen, vor Augen stellt; dass Markus Ihn als den vollkommenen Diener, den Propheten Gottes, betrachtet, während Lukas den Sohn des Menschen beschreibt, und Johannes durchweg Seinen Charakter als Sohn Gottes hervorhebt. Daher in Matthäus die vielen Hinweise auf die Erfüllung alttestamentlicher Prophezeiungen, die ausführliche Mitteilung der Grundsätze des Reiches in der sogenannten Bergpredigt, die Entwicklung des Charakters dieses Reiches nach der Verwerfung des Königs (Kap. 13), der Empfang als „Sohn Davids“ in Jerusalem (Kap. 21, .9. 15) u. a. m..; — in Markus· das Fehlen jeglichen Geschlechtsregisters samt der Geschichte der Geburt und Jugend Jesu, das Hervortreten des unermüdlichen· Dienstes Christi als Prophet und Diener" **), als Träger des Wortes und Prediger des Evangeliums („Anfang des Evangeliums Jesu Christi“ sind die charakteristischen Worte, mit welchen Markus seinen Bericht einleitet); — in Lukas die eingehende Beschreibung der Menschwerdung Christi, Seiner Jugend, Seines Heranwachsens („Er nahm zu an Weisheit und an Größe, und an Gunst bei Gott und Menschen“), die Zurückführung des Geschlechtsregisters bis auf Adam, die häufige Erwähnung des Betens Christi, als Ausdruck Seiner Abhängigkeit von Gott, der besondere Bericht über Gethsemane, der sich so wie hier nirgendwo findet; — in Johannes das Bestehen Christi, des ewigen Wortes, vor dem Beginn aller Dinge, mit Auslassung der Geburtsgeschichte und der Einführung des Herrn in Seinen Dienst, die Erzählung mehrerer in den anderen Evangelien fehlender Wunder (wie die Auferweckung des Lazarus), in welchen Seine göttliche Macht sich besonders offenbarte, das gänzliche Fehlen des Berichtes über Gethsemane und das Gottverlassensein auf dem Kreuze u. v. a.

Selbstverständlich sind in dem Vorstehenden nur einige wenige charakteristische Unterscheidungspunkte erwähnt; ein aufmerksamer Leser der Evangelien wird auf jeder Seite neue finden, aber er wird auch mit tiefem Staunen und anbetender Bewunderung die Entdeckung machen, wie göttlich genau ein jeder der vier Evangelienschreiber seinen Auftrag zur Ausführung gebracht hat, wie alles, was er berichtet, von Anfang bis zu Ende, dem Charakter entspricht, welchen der Heilige Geist seiner Erzählung geben wollte. O wenn die Erklärer der Evangelien nur mehr Rücksicht nehmen wollten auf diese Absichten des Heiligen Geistes, wenn sie mit mehr Einfalt und Entschiedenheit festhalten möchten an der göttlichen Eingebung des Geschriebenen — wie viele Schwierigkeiten und scheinbare Widersprüche würden vor ihren Augen verschwinden, ja, sich in ebenso viele herrliche Beweise von der göttlichen Harmonie des Wortes umwandeln! Eine tiefere Ehrfurcht vor der Person des Sohnes Gottes würde auch wohl manche unbeabsichtigte, aber deshalb nicht weniger ernste und schmerzliche Verunglimpfung dieser anbetungswürdigen Person hintangehalten habend ***) Der Geist und die Gesinnung eines Simeon tut uns not, der, das Kindlein Jesus (ein Bild der Schwachheit) in seinen Armen haltend, ausrief: „Nun, Herr, entlässt du deinen Knecht, nach deinem Worte, in Frieden; denn meine« Augen haben dein Heil gesehen, welches du bereitet hast vor dem Angesicht aller Völker“, und der wohl den Vater und die Mutter Jesu segnete, aber kein Wort des. Segens über das Kindlein selbst aussprach; und doch wäre das nach menschlicher Meinung so natürlich gewesen.

Wir haben weiter oben gesagt, dass selbst in den Zeiten der tiefsten menschlichen Erniedrigung Jesu niemals das Zeugnis von Seiner wahren Gottheit fehlte. Greifen wir aus den vielen einige wenige Beispiele heraus. Eines haben wir, abgesehen von dem Zeugnis des Engels bei der Geburt Christi, bereits erwähnt; es ist das Verhalten Simeons bei der Darstellung Jesu im Tempel. „Ein zweites, höchst bedeutsames finden wir bei der Taufe Jesu durch Johannes. Der Herr kommt zu dem Propheten, um sich von ihm taufen zu lassen und so Seinen Platz zu nehmen unter dem verachteten Überrest Israels, der sich dem Worte Gottes unterwarf und Gottes gerechtes Gericht über den Zustand des Volkes anerkannte. Welch eine Erniedrigung, zu der sich Jesus freiwillig, aus Gnaden,bereit finden lässt! Johannes, in Anerkennung der Würde Seiner Person, weigert sich, den Wunsch des Herrn zu erfüllen; aber Jesus besteht darauf, Seinen Platz unter den Geringsten der Herde einzunehmen. „Lass es jetzt so sein“, sagt Er, „denn also gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen“. So verbindet Er sich in wunderbarer Herablassung auch mit Johannes: „es gebührt uns“, und erfüllt in Gemeinschaft mit ihm das, was dem Ihm von Gott angewiesenen Platz als der demütige Diener und der Retter Seines Volkes angemessen war. Hierauf tauft Ihn Johannes; und was geschieht? Der Himmel öffnet sich, der Heilige Geist steigt in Gestalt einer Taube auf Ihn hernieder, um auf Ihm zu bleiben, und eine Stimme aus den Himmeln ertönt: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe“. Nie vorher war etwas Ähnliches auf dieser Erde geschehen. Die Himmel öffnen sich über einem Gegenstand, der ihrer ganzen Aufmerksamkeit würdig ist, und der Mensch Jesus, der eben Seinen Platz unter den Bußfertigen Seines Volkes eingenommen hat, wird als Sohn Gottes, als der Gegenstand der Liebe und des Wohlgefallens Gottes, anerkannt. Nicht Ihm wird ein Gegenstand im Himmel gezeigt, um Ihn dadurch für den vor Ihm liegenden verleugnungsvollen Pfad des Glaubens zu ermutigen und zu stärken, sondern Jesus selbst ist der Gegenstand der Bewunderung des Himmels und der Anerkennung seitens der Gläubigen hienieden. „Ich habe gesehen und habe gezeugt“, sagt Johannes, „dass dieser der Sohn Gottes ist“ (Joh. 1, 34).

Ein weiteres Beispiel: Jesus ist in der Wüste, und eine „große, nach Tausenden zählende Menge ist um Ihn versammelt. Voll Mitgefühl und Erbarmen will Er sie nicht hungrig entlassen. Er benutzt die vorhandenen wenigen Brote und Fische, dankt Gott dafür, (wie es sich für einen gehorsamen, abhängigen Menschen geziemt) und — teilt aus als der Jehova, der die Armen Seines Volkes mit Brot sättigt. Bald nachher liegt Er» ermüdet durch den anstrengenden Dienst des Tages, an Bord des Schiffleins und schläft — welch ein sprechendes Bild von der Vollkommenheit Seiner Menschheit! Dann erhebt sich der Sturm, die verzagenden Jünger wecken den Meister und — Er steht auf und gebietet in majestätischer Größe, wie einst am Roten Meere, dem Sturm und den Wellen, und sie gehorchen augenblicklich der Stimme ihres Schöpfers. — Ein anderes Mal fordern die Einnehmer der Tempelsteuer von Ihm, dem Sohne des Königs, die Doppeldrachme. Er besitzt sie nicht, Er ist völlig arm, aber -— Er sendet Petrus an den See und lässt durch einen Fisch das Geldstück bringen, dessen Er, der Gott des Tempels, bedarf, um den Menschen keinen Anlass zum Ärgernis zu geben. -— Bei einer anderen Gelegenheit sitzt Er müde, hungrig und durstig an dem Brunnen von Sichar und bittet ein armes Weib um einen Trunk Wasser; und gleich darauf sagt Er zu ihr: „Wenn du die Gabe Gottes känntest und wer es ist, der zu dir spricht: Gib mir zu trinken, so würdest du Ihn gebeten haben, und Er hätte dir lebendiges Wasser gegeben“. — Und endlich: Als die Häscher kommen, um Ihn zu fangen, und Er sie fragt: „Wen suchet ihr?“- antworten sie: „Jesum, den Nazaräer“. Das war Sein Name als der demütige Zeuge Gottes hienieden, als der Allerverachtetste und Unwerteste; anders kannten diese Leute Ihn nicht. „Jesus spricht zu ihnen: Ich bin’s . . . Als Er nun zu ihnen sagte: Ich bin"s, wichen sie zurück und fielen zu Boden“ (Joh. 18, 6). Warum dieses plötzliche Erschrecken und zu Boden stürzen? Jehova, der Bundesgott Israels, der „Ich bin“ des Alten Testamentes, stand vor ihnen, und die bloße Erwähnung Seines Namens wirft die rohen Kriegsknechte zur Erde nieder. Jesus von Nazareth war der Jehova des Alten Bundes! Welch eine wunderbare Vereinigung von Gottheit und Menschheit in einer und derselben Person! Gott war gegenwärtig, zwar in Knechtsgestalt, aber deshalb nicht weniger Gott, der Herr des Himmels und der Erde.

Was sollen wir nun sagen, wenn angesichts dieser Tatsachen behauptet wird: „Das Leiden des Herrn in Gethsemane ist das Leiden eines Menschen, der „sterben“ muss und doch nicht sterben will, der aber keine Kraft hat über den Tod. Jesus ist im Begriff, dem Ansturm des Todes zu erliegen, und sieht nur eine einzige Aushilfe dagegen: das Eingreifen der göttlichen Allmacht. Ohne diese sinkt Er kraftlos unter den Bäumen des Gartens nieder, und wenn die Häscher kommen, Ihn zu fangen, finden sie Ihn tot“? Ist dem Schreiber denn nie der Gedanke gekommen, dass er mit diesen Worten (gewiss ohne es zu wollen) nicht nur die Gottheit, sondern auch die sündlose Menschheit Christi leugnet? Freilich ist seine Auffassung nicht neu; sie ist schon früher, wenn auch in etwas anderer Form» wiederholt ausgesprochen worden. Aber muss es das Herz nicht mit tiefem Schmerz erfüllen, wenn gläubige Männer, Knechte des Herrn Jesu, sie wieder aufgreifen, weiter entwickeln ,und als „einen Blick ins Heiligtum“, als „ein Licht“, das geeignet ist, „uns vollzubereiten für den Tag der Wiederkunft unseres Herrn“, einem weiten Leserkreise zugänglich machen? O möchte der Herr Seinen Dienern Augensalbe geben, damit sie erkennen, welch einen Schaden sie der Herde Christi zugefügt haben, und damit sie von dem Irrtum ihres Weges zurück geführt werden!

Die angeführten Worte stehen in unmittelbarem Widerspruch mit der ganzen Lehre des Neuen und auch (soweit dieses davon redet) des Alten Testamentes über die Person Christi. Sie rütteln an den Grundlagen des Christentums, ja, sie stürzen sie um. Denn wenn es wahr ist, dass Jesus sterben musste, dass Er in Gethsemane im Begriff war, dem Ansturm des Todes zu erliegen, dann war Er nicht der Fürst des Lebens, das Leben selbst, welcher nicht nur Leben in sich hatte, sondern Leben gab, die Quelle des Lebens war. War Jesus sterblich, d. h. dem Tode unterworfen, so konnte Er nicht Sein Leben freiwillig darlegen, als ein Opfer für uns. Er hätte als „Märtyrer“ sterben können, aber Sein Tod würde keine sühnende Kraft für uns gehabt haben. Aber Gott sei ewig dafür gepriesen! es ist nicht so. Jesus selbst sagt: „Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, auf dass ich es wiedernehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selbst. Ich habe Gewalt, es zu lassen, und habe Gewalt, es wieder zunehmen“ (Joh. 10, 17. 18). Kein Mensch hat je so reden können. Kein Geschöpf hat ein Recht, über sein Leben zu bestimmen, es abzulegen, wenn er will, oder gar es wieder an sich zu nehmen, wenn es ihm so gefällt. Niemand hat die Macht, das zu tun. Aber Jesus war nicht ein Geschöpf, sondern der Schöpfer selbst; Er hatte das göttliche Recht und die Gewalt, Sein Leben zu lassen und es wieder zunehmen. Er war völlig frei, das zu tun, obgleich Er andererseits ein dahin gehendes Gebot von Seinem Vater empfangen hatte, also im Gehorsam handelte, indem Er starb. Er war Sohn mit all den göttlichen Rechten, die sich an diesen Titel knüpfen, und doch lernte Er an dem, was Er litt, den Gehorsam.

Wie ist es nun möglich, einem solchen Ausspruch unseres Herrn gegenüber zu behaupten, Jesus habe keine Kraft dem Tode gegenüber gehabt, Er habe nicht sterben wollen, aber sterben müssen, wenn Gottes Allmacht nicht eingegriffen hätte? Und ferner: „Er habe nichts in sich gehabt, womit Er dem Tode überlegen gewesen wäre“? Wo bleibt da der Christus des Wortes Gottes, der Jehova-Jesus, der Gott-Heiland? Er verschwindet vor unseren Blicken, und ein bloßer Mensch, ohnmächtig, kraftlos, ja der Notwendigkeit des Sterbens unterworfen, tritt an Seine Stelle· Wohl sagt der Verfasser des Schriftchens: „Wenn wir den Heiland in Gethsemane dem Tode preisgegeben sehen, so macht Ihn das vor dem Auge des Glaubens nicht kleiner, sondern nur größer“. Aber ist das wahr? Wird der Sohn Gottes dadurch größer, dass man Ihn zu unserem Standpunkt herabzieht, „Ihn ohne jeden Vorzug vor unserer Schwachheit sieht“? Nein, es ist ein Trugschluss, eine Herabwürdigung des Herrn, des Immanuel: „Gott mit uns“, noch unter den ersten Menschen in seinem Zustand vor dem Falle. Denn Adam musste nicht sterben. Er war nicht dem Tode unterworfen; es wird uns Nicht einmal gesagt, dass er fähig war, zu sterben. Erst an dem Tage, da er sündigen würde, sollte er des Todes sterben. Darum lesen wir in Röm. 5, 12: „Gleichwie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen, und durch die Sünde der Tod, und also der Tod zu allen Menschen durchgedrungen ist, weil sie alle gesündigt haben“. Und in Röm. 6, 23: „Denn der Lohn der Sünde ist der Tod“.

Heißt es also nicht die sündlose Menschheit Christi, „des Heiligen“, das von Maria geboren wurde, leugnen, wenn man sagt, Er habe sterben müssen, der Tod habe Gewalt über Ihn gehabt? Ja, der Verfasser geht, im Anschluss an den Ausdruck „in den Tagen Seines Fleisches“ in Hebr. 5, 7, sogar so weit, zu sagen: „Was bedeutet in Gottes Augen das Wort „Fleisch“? „AIIes Fleisch ist Gras.“ „Und das Wort ward Fleisch.“ Wenn nun das Wort „Fleisch“ ward — ist da das Fleisch etwas anderes geworden, oder ist das Wort nicht so völlig Fleisch geworden, dass es auch unter diesem Gottesworte stand? Wo wird aber alles Fleisch als Gras offenbar? Beim Sterben, vor der Macht des Todes u. s. w.“ Und einige Zeilen weiter: „Wir sehen, zu welchem tiefsten Maß der Schwachheit und Armut Er herabstieg, da Er Fleisch, d. h. Gras wurde“.

Unwillkürlich erhebt das Herz, wenn es eine solche Sprache vernimmt. Sie ist nicht nur fehlerhaft, irrig und irreführend, sondern geradezu böse. Der Leser verzeihe das harte Urteil; es würde nicht am Platze sein, wenn nicht die Ehre unseres teuren Herrn und die Wahrheit von Seiner Person in Frage stände. Ist das aber der Fall, dann ist Ernst und unerbittliche Entschiedenheit gegenüber dem Irrtum unsere heilige Pflicht. Ich weiß, dass der Schreiber jener Sätze weit davon entfernt war, auch nur ein Wort zur Unehre unseres gemeinschaftlichen Herrn und Heilandes schreiben zu wollen; aber er hat — dieser Vorwurf kann ihm nicht erspart bleiben —— den heiligen Boden nicht mit unbeschuhten Füßen, nicht mit der heiligen, ehrfurchtsvollen Scheu betreten, von welcher er selbst redet und die sich für ihn und für uns alle geziemt. Anders würde er sicher vor solch schlimmen Schlussfolgerungen bewahrt geblieben sein.

„Das Wort ward Fleisch“ — „Weil nun die Kinder Blutes und Fleisches teilhaftig sind, hat auch Er gleicher-weise an denselben teilgenommen“ (Hebr. 2, 14). Was will das sagen? Christus hat die menschliche Natur angenommen, Er ist Mensch geworden in dem vollen Sinne des Wortes, nach Leib und Seele; aber, wie wir schon weiter oben bemerkten, selbst in diesem Sinne war Er von Gott gezeugt. Die Kraft des Höchsten war die göttliche Quelle Seines Bestehens als Mensch aus dieser Erde. „Das Heilige, das geboren werden wird, wird Sohn Gottes genannt werden.“ So wurde Jesus durch göttliche Kraft und durch die Einwirkung des Heiligen Geistes auf Maria, das begnadigte Gefäß, als „das Heilige“ geboren. Er war also, obwohl wahrhaft Mensch, nicht gleich dem ersten Adam vor dem Falle; denn Adam war unschuldig, Christus war heilig. Noch viel weniger kam Er in das Fleisch, welches wir tragen, das durch und durch verderbt ist, dem die Sünde anhaftet und das deshalb „Gras“, dem Tode unterworfen ist. Er ist „im Fleische“ gekommen (1. Joh. 4, 2. 3), ist „in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde“ hienieden erschienen

(Römer 8, 3), Er hat an Fleisch und Blut teilgenommen; aber Indem Er dies tat, blieb Er völlig ohne Sünde, 17 rein, heilig. den Folgen, welche die Sünde über uns gebracht hat, durchaus nicht unterworfen. Wäre Er aus irgend einem anderen Grunde, als der freiwilligen Hingabe Seiner selbst, dem Tode ausgesetzt gewesen, oder mit anderen Worten, wäre Er infolge Seiner menschlichen Natur, des Zustandes von Fleisch und Blut, den Er angenommen hatte, in Gefahr oder gar gezwungen gewesen zu sterben, „den Tribut des Fleisches an den .Machthaber „Tod“ zu entrichten«, so würde das unfehlbar die Sündhaftigkeit dieses Fleisches, die Verbindung jener Natur mit der Sünde, bewiesen haben. Als unmittelbare Folge dieser Verbindung aber würde sich die Unmöglichkeit ergeben, dass Er Sein Leben freiwillig, als Sühnung für uns, aufopfern konnte. Die ganze Grundlage, auf welcher unser ewiges Heil beruht, wäre damit umgestürzt, die Wirksamkeit Seines Opfers aufgehoben, das ganze Erlösungswerk hinfällig; wir wären noch in unseren Sünden, dem gerechten Gericht Gottes verfallen. Denn was verleiht diesem Werke und Opfer seinen ewigen Wert? Es ist gerade die fleckenlose, heilige, göttliche Person Dessen, der es vollbracht hat. Es ist Der, ,,dessen Ausgänge von der Urzeit sind, von den Tagen der Ewigkeit her“ (Micha 5, 1); der da „eingesetzt war von Ewigkeit her, von Anbeginn, vor den Uranfängen der Erde“ (Spr. 8, 23); „der Christus, welcher über alles ist, Gott, gepriesen in Ewigkeit“ (Röm. 9, 5). Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, reinigt uns von aller Sünde. (1. Joh. 1, 7.)

Wie wenig Christus der Macht des Todes unterworfen war, das zeigt sich selbst am Kreuze. Nicht Satan, der die Macht des Todes hatte, nahm Ihm dort das Leben, Er erlag nicht dem Ansturm dieser finsteren Macht; nein, 18 Er gab Sein Leben freiwillig dahin. Als die schrecklichen Stunden der Finsternis, des Verlassenseins von Gott, vorüber waren, als Er ausrufen konnte: „Es ist vollbracht!“ da schrie Er mit lauter Stimme und übergab Seinen Geist in die Hände des Vaters. Er starb nicht, wie ein gewöhnlicher Mensch stirbt, auch nicht wie ein Gläubiger stirbt; Er starb nicht, weil Er nicht mehr leben konnte, weil Er infolge Seiner Leiden und Seines körperlichen Zustandes sterben musste, sondern in voller, ungeschwächter Kraft gab Er Sein Leben freiwillig dahin. Er ließ es, um es in der Herrlichkeit der Auferstehung wieder zunehmen. Niemand, weder Mensch noch Teufel, nahm es von Ihm. Wohl ist es wahr, dass Er sterben musste. Ein doppeltes „Muss“ lag vor, begründet einerseits in der Gerechtigkeit Gottes wider die Sünde und andererseits in der Liebe Gottes und Christi zu dem Sünder; aber eine physische Notwendigkeit des Sterbens war völlig ausgeschlossen. Zugleich erfüllte unser anbetungswürdiger Herr in Seinem Tode ein Gebot des Vaters. Er war gehorsam bis zum Tode, ja, bis zum Tode am Kreuze.

Es ist so schön und herzerquickend, diesen beiden Beweggründen: Gehorsam und eigener freier Liebeswille, immer wieder in dem Tun Christi zu begegnen. Schon in der Unterhaltung, welche vor Seinem Kommen auf diese Erde zwischen Ihm und dem Vater stattfand, zeigen sie sich in ihrer ganzen Lieblichkeit. Gott hatte kein Gefallen an Brand- und Speisopfern, an Opfern für die Sünde, die nach dem Gesetz dargebracht wurden, sondern hatte sich schon vor Grundlegung der Welt ein Lamm ausersehen, das die Frage der Sünde ordnen sollte; und Jesus sagt: 19 „Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun“. Er kam in der Erfüllung des Gebotes und Willens Gottes, aber Er kam freiwillig. Gott bereitete Ihm einen Leib, aber zugleich nahm Er Knechtsgestalt an, nahm freiwillig teil an Fleisch und Blut. Es war Gottes Wille, dass Er den Pfad der Niedrigkeit gehen sollte, und doch „erniedrigte Er sich selbst, indem Er gehorsam ward bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz“. Es war nach Gottes Gedanken, dass Sein Gesalbter bei Seinem ersten Erscheinen keine An- und Aufnahme finden sollte, und doch verzichtete Er freiwillig, aus Gnaden, auf alle Seine Rechte als Messias und König Israels. Es war Gottes Ratschluss und Gebot, dass Er sterben sollte für die Sünde der Welt, aber zugleich ließ Er Sein Leben; niemand nahm es von Ihm. Es war der Ratschluss der ewigen Liebe, dass Er von Mörderhänden ans Kreuz genagelt und als das Lamm Gottes geschlachtet werden sollte; und doch gab Er als das Lamm Sein Leben freiwillig dahin. Jehova gefiel es, Ihn zu zerschlagen, Er hat Ihn leiden lassen; und doch hat Seine Seele das Schuldopfer gestellt, und die Missetaten der Seinen hat Er auf sich geladen. Und als das Werk vollbracht und Sein Leib in das Grab gelegt war, ist Er auferweckt worden durch die Herrlichkeit des Vaters; zugleich aber ist Er als Sieger über Tod und Grab auferstanden in der Kraft des in Ihm wohnenden Lebens und in der ganzen Machtfülle Seiner göttlichen Person. Und endlich, bei Seiner Himmelfahrt, wurde Er emporgehoben, indem eine Wolke Ihn hinwegnahm; aber zugleich ist Er hinaufgestiegen und hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe.

Doch wir müssen es uns versagen, diesen Gegenstand, so gesegnet Er ist, hier noch weiter zu verfolgen. Es ist dies an anderer Stelle (z. B. in dem Büchlein von J. G. Bellet: Der Sohn Gottes ausführlich geschehen. Gehen wir jetzt zu der Betrachtung des Kampfes in Gethsemane selbst über, und Gott, der Heilige Geist, wolle uns dabei leiten und vor allen eigenen Gedanken, vor jedem Irregehen in Gnaden bewahren!

Fußnoten:

*) „Gethsemane, ein Blick ins Heiligtum“, von Pfarrer K. Hahn, mit einem Vorwort von Otto Stockmayer.

**) Ist es nicht überhaupt schon unehrerbietig, Christum „unseren Bruder“ zu nennen, selbst wenn man nicht dem ganz verkehrten Gedanken Raum gibt, dass Er durch Seine Menschwerdung in dieses Verhältnis zu uns eingetreten sei? Er schämt sich nicht (und wohl gemerkt: erst nach Seiner Auferstehung, im Blick auf das ganz neue Verhältnis, in welches Er die Seinen mit sich zum Vater bringen wollte), uns Seine Brüder zu nennen; aber sollten wir unseren erhabenen Herrn, das Haupt Seines Leibes, der in allen Dingen den Vorrang haben muss, je so nennen? Die Schrift tut es nie, und ein geistliches Herz fühlt unwillkürlich, dass es ungeziemend ist. -— Den Titel „Bruder“ nun gar auf Sein Verhältnis zu uns als der Mensch gewordene, vom Weibe Geborene, anzuwenden, ist ganz und gar schriftwidrig· Jesus sagt: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein“ (Joh. 12, 24). Er stand als Mensch auf dieser Erde ganz allein. Eine Verbindung mit einem lebenden Christus, eine Vereinigung zwischen Heiligen und Unheiligen, war unmöglich. Sie konnte nur auf Grund Seines Todes geschlossen werden. Nur so konnten wir geheiligt, nur so viele Söhne zur Herrlichkeit gebracht werden (Hebr. 2, 10).

***) Die Worte des Herrn in Mark. 13, 32, die zu so manchen falschen Auslegungen Anlass gegeben haben: „Von jenem Tage aber oder der Stunde weiß niemand, weder die Engel, die im Himmel sind, noch der Sohn, sondern nur der Vater“, stehen in völligem Einklang mit diesem Charakter des Evangeliums. Der Herr will einfach sagen, dass Ihm als Prophet und Diener, so wie Markus Ihn darstellt, der Zeitpunkt der Erscheinung jenes Tages verborgen sei. Die Folgerung, die man aus dieser Stelle gezogen hat, als sei der Sohn Gottes hienieden nicht allwissend gewesen, ist ganz und gar verkehrt und läuft tatsächlich auf die Leugnung der Gottheit Christi hinaus. Man vergisst eben immer wieder, dass in Ihm beide Naturen, Gottheit und Menschheit, in unbegreiflicher Weise vereinigt waren, und dass das Menschliche in Ihm wirklich menschlich, das Göttliche wirklich göttlich war. Man teilt zugleich das Wort Gottes nicht recht, indem man die einzelne Stelle, den einzelnen Ausspruch, nicht betrachtet in Verbindung mit dem ganzen Buche und dem Zwecke des Heiligen Geistes in demselben.

****) Wie weh tut es z. B. wenn man im Blick auf den Herrn Worte liest wie die folgenden: „Er lernte, auch ohne Einblick in des Vaters Absichten Ihn walten zu lassen, in dem lichtlosen Dunkel dem Vater zu folgen, alle Vernunft gefangen zu geben unter den Gehorsam gegen die Führung Gottes“; oder: „Am Kreuze war volle Klarheit der Lage für Ihn vorhanden, mag Er doch selbst, wenn Er Psalm 22 gelesen hatte, in dem Ausruf: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« einen Wink gefunden haben für einen Schmerz, auf den auch Er sich werde gefasst zu machen haben“; oder: „O wer kann nachfühlen, was für eine Perspektive in ewige Nacht hinein unter dem Todeskampf und Schweiß sich vor Ihm auftat!“ oder: „Es scheint auch, dass es kein spezielles geschriebenes Gotteswort gab, welches Ihm diese Lage erklärte, so dass Er sich daran zurecht finden konnte.“ - Das ist nicht mehr der Christus des Wortes Gottes. Das heißt nicht, das wunderbare Geheimnis von der Person des Sohnes Gottes im Glauben und in einem anbetenden Geiste bewahren und Seine Gottheit und Menschheit unverletzt, in ihrer vollkommenen Harmonie, aufrecht halten.

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Gedanken über Psalm 84

Bibelstelle: Psalm 8

Botschafter des Heils in Christo 1903, S. 20ff

„Wie lieblich sind deine Wohnungen, Jehova der Heerscharen" (V. 1)! Es ist gut um eine Seele bestellt, welche sich, gleich dem Psalmisten, nach der Wohnung Gottes sehnt und die Zusammenkünfte Seiner Heiligen liebt, weil Er da ist. Die neue Natur trachtet nach dem lebendigen Gott, und ihr Wunsch ist es, Segnungen von Ihm zu empfangen.

Selbst wer kein göttliches Leben in sich hat, mag bei den sogenannten Gottesdiensten, denen er beizuwohnen pflegt, eines gewissen Genusses nicht entbehren, aber er sucht nicht, Gott zu begegnen. Lebhafte religiöse Gefühle und weihevolle Stimmungen mögen wohl in solchen Versammlungen durch gewisse Mittel, z. B. durch das Singen eines ansprechenden Liedes, hervorgerufen werden. Das Bewusstsein hingegen, dort Gott zu begegnen, würde sicher viele bewegen, auf den Besuch der Zusammenkunft zu verzichten; denn nur die neue Natur kann sagen: „Mein Herz und mein Fleisch rufen laut nach dem lebendigen Gott". Nur wenn wir die göttliche Natur besitzen, sind wir fähig, uns in Gott wahrhaft zu erfreuen. Echte, persönliche Frömmigkeit liebt die Wohnungen des Herrn; sie findet ihre innerste Befriedigung und tiefste Freude an der Stätte, wo der Herr gegenwärtig ist.

Zu einem wahren, Gott wohlgefälligen Gottesdienst gehören drei Voraussetzungen: die göttliche Natur, der Heilige Geist und das Wort Gottes (vergl. Johannes 4,23. 24). Aber können sich denn nicht schon die „Kindlein in Christo" dieser Dinge erfreuen? Ganz gewiss; denn es steht geschrieben: „Ihr alle seid Söhne Gottes durch den Glauben an Christum Jesum" (Galater 3,26) und sicher hat jedes Kind dieselbe Natur wie sein Vater und ist somit fähig, in Gemeinschaft mit Ihm zu sein. Außerdem besitzen wir alle Sein Wort und Seinen Geist. Welch kostbare Wahrheit! Möchten wir nur kindlich genug sein, dieses Wort als unsere einzige Richtschnur und Seinen Geist als unseren alleinigen Führer, als unsere einzige Kraft zu besitzen! Nichts, gar nichts sollte sich in unserem Christentum finden, was nur die Frucht menschlicher Überlieferung oder Erziehung ist.

Was jedoch ist dein Beweggrund, was dein Gegenstand und was deines Herzens Verlangen, wenn es sich um den Besuch der Versammlung der Kinder Gottes handelt? Geht es dir um die erwähnten drei Punkte? Hat nicht der häufige Besuch, die Regelmäßigkeit und die durchschnittliche Gleichförmigkeit des Dienstes dazu geführt, ihre Wirkung auf deine Seele abzuschwächen und dich ihre wahre Bedeutung und ihren Wert vergessen zu lassen? Der Gedanke, der Wohnung Gottes zu nahen, müsste eine ungeheure Wirkung auf uns ausüben, wenn wir ihn uns völlig zu eigen machten. Ja, wenn er in unseren Herzen lebte, würden wir sicher ernstlich mit uns ins Gericht gehen, ehe wir uns aufmachten, um ins Heiligtum einzutreten; wir würden eifrig über jeden Gedanken, jedes Wort und jede Tat wachen, so lange wir uns dort befinden. Und warum das alles? Etwa darum, weil wir Gott gegenüber ein Gefühl knechtischer Furcht empfinden sollten? Nein, durchaus nicht; denn die Gegenwart des Vaters ist die Heimat der Kinder, eine Stätte glücklicher, seliger Freiheit - „auch der Vater sucht solche als seine Anbeter." Er nimmt unsere Anbetung nicht nur entgegen, sondern Er sucht sie. Sie ist Ihm kostbar. Er liebt es, Seiner Kinder Loblieder, ihr Danken und Preisen zu hören. Aber gerade deswegen wünscht Er auch, dass sie Ihm mit den Herzen ihre Anbetung im vollen Verständnis über deren Wichtigkeit und Bedeutung darbringen.

Gott wohnt bei uns, und zwar nicht als ein Besucher, wie einst bei den ersten Menschen im Garten Eden, sondern dauernd. Welch eine wunderbare Gnade! Wahrlich, es ist der Mühe wert, darüber nachzudenken. Wie sollten wir wachsam sein, dass diese herrliche Tatsache nicht durch die Gewohnheit für uns an Bedeutung verliere! Ach, wie traurig ist es, wenn der beständige Genuss unserer Vorrechte zur Ursache wird, dass sie ihren ursprünglichen, mächtigen Einfluss auf unsere Seelen einbüßen! Wie sollten wir stets daran denken, dass es die Wohnungen Jehovas der Heerscharen sind, zu denen wir Zutritt haben! Das Wort „Wohnungen" deutet darauf hin, dass es Gottes Absicht ist, bei den Menschen zu wohnen. Dieser Gedanke lag von jeher in den Absichten Gottes. Schon Mose durfte auf dem Berge ein Muster von der „Wohnung" sehen. Gott selbst hat den Plan dazu entworfen, und was wird es sein, wenn dieser einmal völlig zur Ausführung gebracht sein wird! Das wird allerdings erst geschehen, wenn der neue Himmel und die neue Erde geschaffen sein werden. Beschrieben wird das im 21. Kapitel der Offenbarung: „Und ich hörte eine laute Stimme aus dem Himmel sagen: Siehe, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und Gott selbst wird bei ihnen sein, ihr Gott. Und er wird jede Träne von ihren Augen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen" (V. 3 u. 4).

Welch einen herrlichen Wohnplatz haben wir zu erwarten! Niemand kann hier auf der Erde völlig verstehen, welches Glück, welcher Segen uns dort zuteil werden wird. Es ist die Heimat, das Vaterhaus, dem wir entgegengehen. Welch eine Fülle von tiefen Empfindungen, von reinem Glück und seliger Freude ruft das Wort „Vaterhaus" in unseren Herzen wach! Und o wunderbarer Gedanke! - dieser Zustand währt ewig; eine ewige Heimat ist uns bereitet. Wir werden für immer bei dem Herrn sein. Das tausendjährige Reich ist dann vorüber; die Ewigkeit mit ihrer unvermischten Freude hat begonnen. Und was ist das Sinnbild der vollkommenen Segnungen der Ewigkeit? Genau dasselbe, was immer das Sinnbild der Gnade Gottes war, sowie der Vorrechte des Menschen infolge der Erlösung, die in Christo Jesu ist, nämlich: „ Die Hütte Gottes bei den Menschen; und er wird bei ihnen wohnen".

Es ist auch sehr wichtig, dass in der oben angeführten herrlichen Beschreibung unseres zukünftigen Wohnplatzes nichts mehr von verschiedenen Klassen, von Königen, Völkern und dergleichen zu finden ist. Es heißt einfach: „die Hütte Gottes bei den Menschen". „Das Erste ist vergangen." Die Unterschiede, die bis dahin herrschen, sind gänzlich verschwunden. Es gibt nicht länger Juden und Griechen, Völkerschaften und Nationalitäten, Geschlechter, Sprachen und Zungen, sondern einfach „Menschen".

Ohne Zweifel werden persönliche und geistliche Unterschiede weiterhin bestehen; denn wir werden nie aufhören, besondere Einzelwesen zu sein, noch kann das, was von dem Geiste Gottes in uns ist, je vergehen. Aber alle werden denselben Auferstehungsleib, alle dasselbe Bild des Himmlischen tragen. Auf Gottes neuer Erde gibt es weder Juden noch Griechen, sondern nur neue „Menschen" in Christo Jesu, ein einziges großes Volk Gottes. So wird Gottes neue Ordnung der Dinge beschaffen sein, und in ihrer Mitte wird Er Seine Wohnung errichten. Die heilige Stadt, das neue Jerusalem, wird hernieder kommen von Gott, wie eine für ihren Mann geschmückte Braut, sie wird den Glanz- und Mittelpunkt des Ganzen bilden: die Hütte Gottes bei den Menschen. Ist es nicht herrlich, das zu wissen? Welch ein Glück wird dort herrschen! Ja, wahrlich, Quellen nie endender Segnungen werden dort fließen. Unwillkürlich seufzt das Herz: Würden doch alle, die wir lieben, einst dort zu finden sein! Möchte niemand fehlen, der uns hier teuer war!

Doch der leitende Gedanke in unserem schönen Psalm ist nicht so sehr unser Wohnen bei Gott, als vielmehr Gottes Wohnen bei uns. „Wie lieblich sind deine Wohnungen, Jehova der Heerscharen!" Gegenwärtig ist die Kirche (die Versammlung) der Bau, in dem Er wohnt: „in welchem auch ihr mit aufgebaut werdet zu einer Behausung Gottes im Geiste" (vergl. Epheser 2,16-22). Nicht mehr lange, dann werden die Kinder das Vaterhaus in der Höhe erreicht haben, von dem wir soeben sprachen. Solange sie „durch das Tränental gehen", sind sie in diesem Sinn noch fern von Gottes Wohnstätte. Das Haus mit den vielen Wohnungen, den Gegenstand ihrer Sehnsucht, haben sie noch nicht erreicht. In einem anderen Sinne aber sind sie schon jetzt in das Haus Gottes gebracht, in welchem Er Selbst durch den Geist wohnt.

Es ist sehr wichtig, dies zu verstehen. Paulus schreibt an sein Kind Timotheus: „Dies schreibe ich dir,... auf dass du wissest, wie man sich verhalten soll im Hause Gottes, welches die Versammlung des lebendigen Gottes ist, der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit". Sicher sollte das Bewusstsein, dass Er in der Versammlung gegenwärtig ist, zu einem Geist der Anbetung und zu einer heiligen, geziemenden Wachsamkeit über unser ganzes Betragen führen. Obwohl das Haus durch die Schuld des Menschen ein „großes Haus" geworden ist (2. Timotheus 2,20. 21), in welchem Gefäße „zur Ehre" und Gefäße „zur Unehre" nebeneinander vorhanden sind, können sich doch die Grundsätze der Wohnung Gottes und das, was Seiner heiligen Gegenwart geziemt, nicht ändern. Und wenn wir nicht überzeugt sind, dass der Herr zugegen ist, was nützt es dann, überhaupt zur Versammlung zu gehen? Diese sinkt zu einer rein menschlichen Vereinigung herab, die sich äußerlich in durchaus geordneten Verhältnissen befinden mag, aber niemals die „Behausung Gottes im Geiste" genannt werden kann.

Der Herr sagte einst zu Seinen Jüngern: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinen Namen, da bin ich in ihrer Mitte". Das ist ein heiliges unverbrüchliches Versprechen, welches Er sicher und gewiss hält, wenn wir nur der Bedingung entsprechen, die Er stellt und die da lautet: wenn ihr „versammelt seid in meinen Namen" (eig. zu meinem Namen hin). Ist dies der Fall, so ist Er „in unsrer Mitte". Sicherlich steht der Herr hoch über all unserer Unwissenheit und unseren Verkehrtheiten, und Er kann und wird auch in solchen Versammlungen wirksam sein und segnen, von denen der Glaube nicht mit Bestimmtheit sagen könnte, dass der Herr in der Mitte ist. Aber der Glaube wird allein durch das Wort Gottes geleitet, nicht durch Erfahrungen, selbst nicht durch die Erfahrung von den Segnungen des Herrn. Der Glaube an Seine Gegenwart wirkt Wunder in der einzelnen Seele und in der Versammlung. Fr hält die Natur in Schranken, weist alle menschlichen Erfindungen zurück, vertreibt alle Furcht und gibt dem Herzen vollkommene Ruhe in dem Bewusstsein der Allgenugsamkeit Christi.

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Er ist nicht hier

Bibelstelle: Lukas 24,1 - 7

Botschafter des Heils 1903 S. 27ff

An dem ersten Wochentag aber, ganz in der Frühe, kamen sie zu der Gruft und brachten die Spezereien, die sie bereitet hatten. Sie fanden aber den Stein von der Gruft weggewälzt; und als sie hineingingen, fanden sie den Leib des Herrn Jesus nicht. Und es geschah, als sie darüber in Verlegenheit waren, siehe, da standen zwei Männer in strahlenden Kleidern bei ihnen. Als sie aber von Furcht erfüllt wurden und das Angesicht zur Erde neigten, sprachen diese zu ihnen: Was suchet ihr den Lebendigen unter den Toten? Er ist nicht hier, sondern ist auferstanden. Gedenket daran, wie er zu euch geredet hat, als er noch in Galiläa war, indem er sagte: Der Sohn des Menschen muss in die Hände sündiger Menschen überliefert und gekreuzigt werden und am dritten Tag auferstehen. (Lukas 24,1 - 7)

Er ist nicht hier. – Noch dunkelt`s auf den Auen,

feuchtkühl entweicht der Scholle würzger Duft. –

Was jammert ihr, im Schmerz verlorene Frauen,

was weint und klagt ihr an der leeren Gruft?

O hört des Himmels lichte Friedensboten:

„Was sucht ihr den Lebend`gen bei den Toten?“

Aus Nacht und Grab stieg siegreich Er herfür,

Er ist nicht hier!

Er ist nicht hier! – Ihn hielt kein Römersiegel,

kein reisger Kriegsknecht sperrte Seinen Steg.

Mit starker Hand sprengt Er des Todes Riegel,

aus dunkler Gruft führt himmelwärts Sein Weg.

Der in Gethsemane gebangt, gezaget,

dass Marterkreuz auf Golgatha getraget,

Ihn hielt nicht Todesbann, nicht Teufelsgier;

Er ist nicht hier!

Er ist nicht hier. – Des Felsens hartes Bette

Umfasset Seinen wunden Leib nicht mehr.

Es wich der Stein, verlassen ist die Stätte,

im Morgengrauen liegt die Zelle leer.

Doch weilt Er als der Hirte, als der Treuste,

den Schäflein nah in Wahrheit und im Geiste,

von droben wacht Er, dass Er keins verlier -

Er ist nicht hier.

Er ist nicht hier. –Die Welt ist eine Öde

Fortan dem Jünger indes Meisters Spur;

Es wogt um ihn der Menschheit laute Fehde,

der Leidenschaften Kampf auf blut`ger Flur.

Doch dass er stehe fest in heilger Reinheit,

zu zeugen von des Leibes ew`ger Einheit,

zum Meister blickend, lautet sein Panier:

Er ist nicht hier!

Er ist nicht hier. – Was kann die Welt mir bieten,

die Welt, die meinen teuren Herrn verwarf?

Streut sie den Anderen Kränze auch und Blüten,

mir gibt sie nimmer, was mein Herz bedarf.

Das ist mein Trost in Erdentrübsalsnächten:

Er ist des Himmels Krone, Glanz und Zier,

Er ist nicht hier!

Er ist nicht hier. – O hilf mir, Herr zu trachten,

dass nicht mein Wandel hier auf Erden sei;

dass ich im Lauf, dem guten, wohlbewachten,

ich der Berufung allzeit bleibe treu! –

Dass ich der Sünde eitle Lockung fliehe,

zum Warnungsruf sei`s und zur Mahnung mir

Er ist nicht hier!

K.B.

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Gethsemane

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1903, S. 29ff

II.

„Vater, wenn du diesen Kelch von mir wegnehmen willst, — doch nicht mein Wille, sondern der deine geschehe.!“ (Luk. 22, 42.)

Nur die drei ersten Evangelisten berichten den heißen Kampf unseres Herrn in der Nacht vor Seinem öffentlichen Leiden und Seinem Tode. Johannes schweigt völlig darüber, in Übereinstimmung mit dem Charakter seines Evangeliums. Die Schilderung der menschlichen Schwachheit unseres hochgelobten Herrn wäre in dem Buche, welches Ihn vornehmlich als den Sohn Gottes darstellt, nicht am Platze gewesen; dort musste Seine göttliche Macht, wie sie sich den Häschern gegenüber zeigt, ans Licht treten, sowie Seine Erhabenheit über Schwachheit und Leiden, wie sie sich z. B. nachher am Kreuze in Seiner Unterredung mit Maria und Johannes kundgibt.

Aber auch unter den Berichten von Matthäus, Markus und Lukas ist ein Unterschied zu bemerken. Während die beiden ersten den ganzen Vorgang, das dreimalige Beten des Heilandes, Sein Hin- und Hergehen zwischen der Stätte Seines Ringens und den schlafenden Jüngern ausführlich erzählen, verweilt Lukas eigentlich nur bei dem Ende der Stunde der Versuchung, dem Höhepunkt des furchtbaren Seelenkampfes Jesu; aber eben deshalb ist sein Bericht, obwohl kürzer, doch vollständiger, tiefer in das Wesen der Sache eingehend. Auch schildert Lukas --— denn es ist der Sohn des Menschen, den er unter der Leitung des Heiligen Geistes vor unsere Blicke stellt — mehr als die anderen Evangelisten die tiefe menschliche Schwachheit und vollkommene Abhängigkeit des Herrn: Er ist in ringendem Kampfe, *) Sein Schweiß fällt wie große Blutstropfen zur Erde, und ein Engel vom Himmel kommt und stärkt Ihn.

Doch was ist Gethsemane? Was bedeutet jener ergreifende Vorgang, dieses einsame Ringen und Kämpfen des Heilandes in stiller Nacht, das sich bis zu heftigem, inbrünstigem Flehen und starkem Geschrei steigernde Beten des Sohnes Gottes? Was rief diese tiefe Angst und Not in Seiner heiligen Seele hervor? Es war einerseits die Feindschaft des Menschen wider Gott, und andererseits die Macht Satans im Tode -— jene schreckliche, finstere Macht, die Satan besaß infolge der Sünde, welche den Tod als gerechten Sold von seiten Gottes eingeführt hat und Gottes Zorn über den Sündenträger bringen musste. Die Stunde des Menschen war gekommen, und die Macht der Finsternis offenbarte sich mit allen ihren Schrecken. Satan, der im Beginn des Weges Jesu „für eine Zeit“ von Ihm gewichen war, kehrte am Ende desselben zurück, um Ihn aus eine andere, noch weit ernstere Weise zu versuchen als damals. Wir erblicken in Gethsemane den Mann der Schmerzen, der das, was Ihm bevorstand, in seiner ganzen Tiefe fühlte, all die Leiden und Schrecken, welche das Ende Seines Weges umgaben, betrachtete und. ausmaß, aber mit Gott, Seinem Vater, durch die Stunde der Versuchung ging und keinen Augenblick wankte; dessen Gehorsam bis aufs Äußerste erprobt wurde, der aber selbst in dieser schrecklichen Stunde bewies, dass es Sein einziges Begehren war, den Willen des Vaters zu tun.

Die Leiden des Herrn Jesu in den letzten Tagen Seines Lebens lassen sich von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachten. Er litt 1) durch die Anstrengungen Satans, indem Er als Mensch mit ihm, der die Macht des Todes hatte, in den Kampf treten musste, dies aber tat in Gemeinschaft mit dem Vater —— das ist Gethsemane. Er litt 2) von seiten Gottes, indem Er für uns in den Riss trat, das Sühnungswerk vollbrachte und als unser Stellvertreter den Kelch des Zornes Gottes trank, welchen Ihm der Vater gegeben hatte, — das ist das Kreuz, oder genauer das Verlassensein von Gott, die Stunden der Finsternis, am Kreuze.

Jesus war gekommen, um sich in Gnaden zu uns zu gesellen und an allen unseren Mühsalen teilzunehmen. Durch den Geist geleitet, ließ Er sich deshalb auch versuchen. Anfänglich (in der Wüste) versuchte Satan Ihn durch Dinge, welche dem Menschen angenehm sind und ihn verleiten können, seinem eigenen Willen zu folgen und, indem er das tut, zu sündigen. Diese Dinge waren: das Bedürfnis zu essen, dann die Welt und ihre Herrlichkeit, und endlich die Erlangung der göttlichen Verheißungen außerhalb des Weges des Gehorsams und im Misstrauen Gott und Seiner Treue gegenüber. Der erste Mensch war der Versuchung erlegen; aber Jesus, der zweite Mensch, bewahrte Seine Vollkommenheit, und es gelang Satan nicht, Ihn von dem Pfade, der dem Menschen Gottes geziemt, abzubringen. „Der Starke“ wurde vielmehr gebunden, und Jesus kehrte in der Kraft des Geistes aus der Wüste zurück, um dem Starken „seinen Hausrat zu rauben“. „Er ging umher, wohltuend und heilend alle, die von dem Teufel überwältigt waren; denn Gott war mit Ihm“ (Apstgsch. 10, 38.) Er war der siegreiche Mensch; da wo der erste Mensch zusammengebrochen war, hatte Er einen vollständigen Sieg errungen. Vor Ihm verschwanden alle Wirkungen der Macht Satans: die unreinen Geister gehorchten Seinem Worte, und selbst der Tod war Ihm untertan.

Aber ach! alles das veränderte das Herz des Menschen nicht; er war und blieb in der Gesinnung seines Fleisches Feindschaft gegen Gott. Sollte er erlöst werden, so musste der Tod eintreten. Der Mensch musste in einen ganz neuen Zustand eingeführt, mit Gott versöhnt werden. Der Gerechtigkeit Gottes musste Genüge geschehen. Die Rechte, welche Satan an den Menschen besaß infolge der Sünde, durch welche aus Grund des göttlichen Gerichts der Tod gekommen war, mussten vernichtet werden. Gottes gerechtes Gericht über alles, was feindlich gegen Ihn stand, musste in Ausübung kommen. So musste denn die ganze Feindschaft des Menschen wider Gott, ferner die Angst des Todes, betrachtet als Satans Macht und als das Gericht Gottes, die ganze Machtentfaltung Satans, um die Ratschlüsse Gottes zu durchkreuzen, und endlich der Zorn Gottes (in dessen Ertragen, wie schon bemerkt, das Sühnungswert vollendet wurde) sich aus Jesum vereinigen; und sie haben sich auf Ihn vereinigt. Aber das Lamm Gottes hat sich willig allem unterzogen und Seinen Mund nicht aufgetan vor Seinen Feinden. Welch ein schreckliches Zeugnis dafür, dass die Stunde des Menschen und der Erfüllung seines Willens tatsächlich nichts anderes ist als die Macht der Finsternis! Gottes Stunde in Gerechtigkeit gegenüber dem Menschen dagegen ist der gerechte Zorn, welcher über Jesum das Verlassensein bringt und am Ende alle die von Gottes Gegenwart ausschließen wird, welche in Feindschaft wider Ihn stehen.

O welch ein bewunderungswürdiger Beweis des unendlichen göttlichen Erbarmens, dass Christus in Gnaden solches für uns geschmeckt, dass Gott Ihn dahingegeben hat. damit wir dem Gericht entrinnen möchten, ja, dass Christus all die genannten Dinge geschmeckt hat, indem Er sich eben zu diesem Zweck ohne Flecken Gott opferte! Äußerlich betrachtet, führten die Macht Satans und die Bosheit des Menschen Christum zum Tode und zum Trinken des Kelches des Zornes Gottes. (Tatsächlich ruht ja auch auf dem Menschen die Schuld der Ermordung des Sohnes Gottes, wenngleich niemand imstande war, Ihm das Leben zu nehmen; wie Petrus zu den Juden sagt: „ihr habt Ihn umgebracht“, und Stephanus: „dessen Verräter und Mörder ihr geworden seid“). Aber Christus in Seiner Vollkommenheit wusste diese beiden Teile des Leidens völlig voneinander zu trennen und das schreckliche Leiden seitens der Macht Satans im Tode in eine Offenbarung Seines vollkommenen Gehorsams gegen Gott, Seinen Vater, umzuwandeln, weil Er mit Gott durch jene ernste Stunde der Versuchung ging und keinen Augenblick in sie hineinkam als in eine Versuchung, welche das Aufwachen eines eigenen Willens zum Ergebnis hätte haben können.

Das also ist Gethsemane. Es ist nicht der Kelch selbst, diesen trank Jesus aus dem Kreuze, sondern die Offenbarung der ganzen Macht Satans im Tode und der Feindschaft des Menschen, der sich sozusagen an Gott rächen wollte — „die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen“; und zwar wird beides vollkommen von Jesu gefühlt, aber zugleich in völliger Abhängigkeit, in gänzlicher Beugung unter den Willen Gottes, zum Vater gebracht. Es ist Christus, wachend, betend, ja, in heißem Kampfe ringend, indem die ganze Macht und das Gewicht des Todes durch Satan auf seine Seele gelegt werden. Diese Macht und dieses Gewicht wurden unendlich vermehrt durch das Gefühl, welches Jesus, diese heilige, göttliche Person, von ihnen hatte; denn Er wusste, Er ermaß vollkommen, was sie vor dem Gott waren, dessen Angesicht Ihm damals noch nicht verhüllt war. Aber Er stellte Seinen Vater unverrückt vor sich, indem Er alles mit des Vaters Willen in Verbindung brachte, auf diesen sich bezog, ohne einen Augenblick wankend zu werden oder jenem Willen dadurch zu entrinnen zu suchen, dass Er einem eigenen Willen nachgegeben hätte. So nahm Er nichts aus der Hand Satans an, sondern alles aus der Hand Gottes. Sobald Er völlig versichert ist, dass es der Wille des Vaters für Ihn war, den Kelch zu trinken, ist alles für Ihn entschieden. „Den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, soll ich den nicht trinken?“ (Joh.18, 11). Es war jetzt alles eine Sache zwischen Ihm und Seinem Vater. Sein Gehorsam ist ruhig und vollkommen. Welch ein unaussprechlicher Sieg! In erhabener Ruhe kann Jesus unmittelbar darauf Seinen Feinden entgegengehen und sich ruhig von ihnen binden lassen. Er hat die Kosten in der Gegenwart Gottes völlig überschlagen; der Kampf ist vorüber, und Er nimmt alles aus der Hand Seines Vaters. Die Hohenpriester, Pilatus, Herodes, das Volk, die Kriegsknechte — sie alle müssen dieses wunderbare, ergreifende Bild des Lammes Gottes sehen, das still und geduldig, in göttlicher Ruhe, in Gemeinschaft mit dem Vater, der Schlachtbank zuschreitet.

Satan war jetzt ein besiegter, ohnmächtiger Feind. Und die Menschen? Entweder waren sie für den Herrn nur Werkzeuge zur Ausführung des Willens Gottes, oder durch Seine Gnade Erlöste. Sehen wir nur, was sich ereignet, wenn die Häscher kommen. Jesus tritt ihnen entgegen, und wenn Er ihnen sagt, wer Er ist, fallen sie zu Boden. Er hätte jetzt, wie so oft bei früheren Gelegenheiten, als „Seine Stunde noch nicht gekommen war“, ruhig weggehen können; wer hätte die Hand an Ihn zu legen vermocht? Aber Er bietet sich Seinen Feinden freiwillig dar, um so Sein Werk zu vollbringen, und dann erlaubt Er denen, die keine Kraft hatten sich selbst zu schützen, in Sicherheit wegzugehen. Ach! sie waren nicht fähig, in jenem schrecklichen Augenblick standzuhalten, als es sich entscheiden musste, ob das Gute oder das Böse triumphieren solle, und als die Gerechtigkeit Gottes wider die Sünde der Macht des Todes ihre ganze Kraft lieh und das schreckliche Tun der Menschen, der freiwilligen Sklaven dessen, der die Macht des Todes besaß, dem Geliebten Gottes umso schmerzlicher fühlbar machte. Doch die vollkommene Liebe errang den Sieg, indem Christus als Mensch sich dem Gericht über die Sünde unterwarf, wodurch nunmehr die Gerechtigkeit im Ausschütten der reichsten, jener Liebe entsprechenden Segnungen triumphieren kann. Für alle, die durch Jesum Gott nahen, ist die Sühnung der Sünde jetzt geschehen und die Macht Satans und des Todes für immer vernichtet.

Welch ein gewaltiger Wechsel trat also mit Gethsemane in der Lage unseres Herrn und Heilandes ein! Bis dahin hatte Er durch Seine göttliche Macht für alle Bedürfnisse Seiner Jünger gesorgt, obwohl Er selbst für Seinen täglichen Lebensunterhalt anscheinend abhängig gewesen war von einigen Frauen oder von anderen Personen, deren besonderes Vorrecht es war, Ihm mit ihrer Habe zu dienen (Vergl. Luk. 8, 3). Aber jetzt sollte Er verworfen werden, und zwar von dem Volke, das Er so unaussprechlich liebte, zu dessen Heil Er gekommen war. Alle Bemühungen Seiner Liebe und Gnade schienen vergeblich gewesen zu sein. „Umsonst habe ich mich abgemüht“, so hören wir Ihn klagen, „vergeblich und für nichts meine Kraft verzehrt“ (Jes. 49, 4.) Die Entscheidungsstunde nahte heran. Die Dinge, welche Ihn betrafen, sollten ihre Vollendung finden nach der Tiefe der Ratschlüsse Gottes. Er sollte der ganzen Wut und Bosheit derer ausgesetzt werden, welche sagten: „Andere hat Er gerettet, sich selbst kann Er nicht retten. Er ist Israels König; so steige Er jetzt vom Kreuze herab, und wir wollen an Ihn glauben“ (Matth. 27, 42).

Es war noch nicht, wie schon weiter oben gesagt wurde, das eigentliche Trinken des Kelches; das geschah erst auf dem Kreuze. Denn der Kelch, um dessen Vorübergehen Er bittet, war nicht das Leiden in Gethsemane, so schrecklich dies war, waren nicht bange Zweifel und Ungewissheit bezüglich des Ausganges, **) aber noch viel weniger „der Eintritt des wirklichen Todes, das Sterben dort unter den Bäumen Gethsemanes, das Fortschreiten- des Todeskampfes bis zum Aushauchen der Seele“. Wie völlig unmöglich, ja, wie böse« und schriftwidrig diese letzte Annahme ist, haben wir in dem ersten Teil unserer Betrachtung gesehen. Nein, der Kelch, vor welchem dem Herrn so bangte, vor welchem Er so zitterte und bebte, war der Kelch des Zornes Gottes wider die Sünde. Dieser Kelch war es, welcher dem vor Ihm stehenden Leiden und Sterben einen solch furchtbaren, erschreckenden Charakter verlieh. Neben dem Ertragen der Feindschaft und Ungerechtigkeit der Menschen und der Bosheit Satans galt es, den Kelch des Zornes Gottes zu trinken.

Auf Seinem ganzen Lebenswege hatte der Herr inmitten der Leiden, welche Ihm von seiten der Menschen bereitet wurden, Seine Freude daran gefunden, den Willen Seines Vaters zu tun; Er hatte für Gott gelitten, und das war süß, köstlich für Ihn gewesen· Aber in dem Kelche, welcher jetzt vor Seiner Seele stand, gab es nur tiefe, unvermischte Bitterkeit; er war gefüllt mit dem Zorne Gottes. Darum bittet Er: „Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber“; darum schüttet Er Seine heilige Seele „mit starkem Geschrei und Tränen“ vor Gott aus. Wie wäre es möglich gewesen, dass der reine, heilige Mensch, dessen Seele in unausgesetzter, ungetrübter Verbindung und Gemeinschaft mit Gott gestanden hatte und stand, der die Liebe Gottes vollkommen kannte und ungehindert genoss, der sie allein wahrhaft zu schätzen wusste, der zugleich auch die Heiligkeit Gottes und deren Anforderungen in ihrer ganzen Größe und Ausdehnung ermessen konnte, der die Sünde hasste mit vollkommenem Hasse, dessen Wonne es war, in dem Lichte des heiligen Antlitzes Gottes zu stehen und zu wandeln, der deshalb auch allein fähig war, die ganze Schrecklichkeit der Sünde und des Zornes Gottes wider die Sünde zu verstehen — wie wäre es möglich gewesen, dass, ein solcher Mensch den Willen hätte haben können, von Gott verlassen zu werden? Im Gegenteil, Seine vollkommene Menschheit zeigt sich gerade darin, dass Er bittet und immer heftiger und dringender bittet, der Vater möge diesen Kelch an Ihm vorübergehen lassen. Alles was in Ihm war, bebte vor diesem Kelche, vor den schrecklichen Stunden des Verlassenseins von Gott zurück. Der Gedanke an die vor Ihm liegende Begegnung mit dem heiligen Gott, als Träger unserer Sünden, ja als das zur Sünde gemachte Opfer auf dem Altar Gottes, erfüllte Seine Seele mit einer Betrübnis „bis zum Tode“ und ließ Ihn „sehr bestürzt und beängstigt werden“. Die Gewissheit, dass die Wogen und Wellen des göttlichen Zornes über Seinem Haupte zusammenschlagen mussten, presste Ihm jenen Angstschweiß aus, der wie große Blutstropfen zur Erde fiel.

Satan, der die Macht des Todes besaß, war es, der dem Heilande in jener Stunde alles das vor die Seele stellte. Gerade durch das Bewusstsein, das; Er, der Fürst des Lebens, in den Staub des Todes gelegt, dass Er, der die Heiligkeit selbst war, am Kreuze zur Sünde gemacht werden müsse, suchte Satan Angst und Schrecken in Seiner Seele wachzurufen und Ihn auf dem Wege des Gehorsams und der Erfüllung der Ratschlüsse Gottes zum Stillstehen und Wanken zu bringen. Es war die Stunde der Versuchung, in welcher der Feind den Herrn zu überwältigen trachtete durch den Hinweis auf all die Umstände, vor denen die menschliche Natur als solche zurückbeben musste. Jesus befand sich in einer ähnlichen Lage wie ein Mensch angesichts des Todes, wenn Satan seine ganze Macht darin entfaltet. Nur war Er dort in Seiner Vollkommenheit; auf das Äußerste erprobt, aber vollkommen. Er ging durch diese schreckliche Stunde, aber Er kam nicht in die Versuchung hinein, in dem Sinne als habe sie auch nur für einen Augenblick Gewalt über Ihn gewonnen. Er wachte und betete, Er wandte sich mit Tränen und heißem Flehen zu Dem, der Ihn aus dem Tode zu erretten vermochte, und nahm dann alles im Gehorsam aus der Hand des Vaters. Im Blick auf die Umstände und alles das, was die heilige Seele unseres geliebten Herrn niederbeugte, waren Satan und die unter seiner Leitung stehenden Menschen alles; hinsichtlich des Zustandes Seiner Seele waren sie nichts, da war der Vater alles. Aus Gehorsam gegen Ihn nimmt Er den Kelch in Frieden. In dem Trinken desselben gab sich jetzt, anstatt der Macht des Feindes, nur vollkommener Gehorsam kund.

Doch wie ist das Gebet des Herrn: „Nicht mein Wille, sondern der deine geschehe“, mit der Tatsache in Einklang zu bringen, dass es von jeher der Wille des Herrn war, das Werk der Erlösung zu vollbringen? Liegt darin nicht ein unlöslicher Widerspruch? Nur scheinbar, und nur dann, wenn man das Geheimnis der Person Christi aus dem Auge verliert, wenn man vergisst, dass das Menschliche in Ihm wirklich menschlich und das Göttliche wirklich göttlich war. In dem vorhergehenden Abschnitt findet sich ja eigentlich schon die Antwort auf diese Frage. Indes mag es gut sein, noch einen Augenblick länger dabei zu verweilen.

Christus war sich dessen völlig bewusst, was geschehen sollte, was vor Ihm lag. Er wusste sehr wohl, dass es keine andere Möglichkeit gab, das Werk, das Er zu tun gekommen war, zu vollbringen, als nur dadurch dass Er den Kelch des Zornes Gottes trank. Aber vor diesem Kelche, vor dem Leiden und Sterben um der Sünde willen, graute Ihm, bebte Er zurück. Eine Art Vorspiel dieses Kampfes erblicken wir schon in Joh. 12. Dort wird der Herr durch das Kommen der Griechen daran erinnert, dass die Verherrlichung des Sohnes des Menschen nur stattfinden konnte auf Grund Seines Todes. Das Weizenkorn musste in die Erde fallen und sterben. Der Ausblick auf diesen Tod, die finsteren Schatten, welche das Kreuz schon auf Seinen Weg vorauswarf, veranlassen Ihn zu dem Rufe: „Vater, rette mich aus dieser Stunde!“ Seine Seele war bestürzt, und diese Bestürzung machte sich in jenen Worten unwillkürlich Luft; aber unmittelbar darauf folgt der Ausdruck Seiner Bereitwilligkeit, alles für die Verherrlichung des Vaters zu erdulden: „Doch darum bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen!“

Dasselbe, nur in unendlich verstärktem Maße, finden wir in Gethsemane. Die ,,Stunde war jetzt ganz nahe gekommen, und die Frage galt: Wird der Sohn des Menschen in die Versuchung hineingehen, das will sagen, wird Er einem eigenen Willen Raum geben und folgen, indem Er wünscht, dem Tode und dem Kelch des Zornes Gottes, des Gerichts über die Sünde, zu entrinnen? oder wird Er, anstatt sich selbst zu schonen, in dieser Stunde nur einen Anlass zum Gehorsam finden? Für Ihn war ja Gehorchen, so schrecklich die Leiden sein mochten, die Freude, der Odem seiner Seele. Das Gericht Gottes nicht fürchten, wäre Gefühlslosigkeit gewesen; ihm entrinnen wollen, hätte geheißen, dem Willen des Vaters ausweichen, diesen Willen nicht tun und somit auch das Werk der Erlösung, in welchem Gott sich völlig als Licht und Liebe offenbaren sollte, unerfülIt lassen. Christus geht durch diesen Kampf in völliger Unterwürfigkeit unter den Willen Gottes. Was wir in diesem Augenblick bei Ihm, als Mensch betrachtet, sehen, ist Schwachheit, vollkommene menschliche Schwachheit; aber gerade in dieser Schwachheit besteht die wahre Kraft. Er betet, und zwar mit dem Ausdruck der tiefsten Abhängigkeit: Er fällt auf Sein Angesicht. Dann erscheint, nach dem Bericht des Evangelisten Lukas, der Engel aus dem Himmel und stärkt Ihn. Worin diese Stärkung bestand, welcher Natur sie war, steht uns nicht zu zu erörtern. Gott sagt es uns nicht, und wir haben deshalb kein Recht, Behauptungen darüber aufzustellen. Der Vorgang selbst ist so einfach und natürlich wie möglich. Jesus war ein Mensch, voll und ganz ein Mensch, der in schwerem Kampfe der Stärkung von oben bedurfte; und diese wird Ihm zu teil. Lasst uns dabei stehen bleiben und nicht über die Grenze hinausgehen wollen, welche Gott uns gesteckt hat. Wäre Jesus nicht vollkommen, wahrhaftig Mensch gewesen, ein Mensch, der in allem versucht worden ist wie wir, ausgenommen die Sünde, so hätte die Befreiung des Menschen aus Satans Macht und aus den Banden des Todes und der Sünde nicht zur Wirklichkeit werden können.

Je mehr der Herr in Seiner Seele das Böse verwirklicht, mit welchem Er zu tun hatte, je näher und eindringlicher Er den Kelch betrachtet, den Er trinken sollte, desto größer wird der Druck, desto tiefer die Angst; aber dieser ringende Kampf, dieses überwältigende Ergriffensein, diese unsagbare Not des Herzens, deren höchste Steigerung sich in dem Schweiß kundgibt, der wie große Blutstropfen zur Erde fällt, drückt sich nur in einem umso heftigeren Beten und Flehen aus. Seine Seele klammert sich umso fester an Gott, und nachdem Er durch das Tal des Todesschattens völlig hindurchgegangen ist und den Ansturm der Macht Satans überstanden hat, erhebt Er sich siegreich und völlig bereit, den Kelch zu trinken, welchen Sein Vater Ihm geben will. „Mein Vater, wenn dieser Kelch nicht an mir vorübergehen kann, ohne dass ich ihn trinke, so geschehe dein Wille.“ Fortan hören wir nichts mehr von Kämpfen, Wachen und Beten; alles ist ruhige, willige, ergebene Unterwerfung unter den Willen Gottes. Eine vollkommene Stille kennzeichnet das Kreuz, eine Stille der Finsternis zwar, in welche das Auge des Menschen nicht einzudringen vermag, aber eine Stille zugleich, welche zeigt, dass die Unterwerfung vollkommen ist.

Es ist bemerkenswert, dass die Verse 43 und 44 in Luk. 22 in mehreren alten Handschriften fehlen. Die Ursache liegt auf der Hand. Die Abschreiber haben gemeint, die Stelle gehe zu weit, sie mache Christum zu sehr zu einem Menschen. Aber gerade dieser Umstand verleiht den Versen ihren wahren Wert. Wir haben schon wiederholt darauf hingewiesen, dass Christus in dem Evangelium des Lukas vornehmlich in Seinem Charakter als Mensch betrachtet wird. In keinem anderen Evangelium finden wir den Herrn so oft im Gebet wie hier“. So wurde Ihm, nach Seiner Taufe durch Johannes, der Himmel aufgetan, als Er betete (Kap. 4, 21). Gelegentlich Seiner Verklärung auf dem heiligen Berge lesen wir: „Und indem Er betete, wurde die Gestalt Seines Angesichts anders“ (Kap. 9, 29; vergl. auch V. 18.) Auch vor der Erwählung Seiner zwölf Jünger verharrte Er eine ganze Nacht im Gebet (Kap. 6, 12). So tritt denn auch in dem Bericht des Lukas über Gethsemane dieser Charakter des Herrn ganz besonders hervor. Es ist Christus, geoffenbart in der ganzen Schwachheit der menschlichen Natur, dem Ansturm des Feindes und allen Schrecken jener Stunde ausgesetzt; aber zugleich jene wunderbare, göttliche Person, in sich selbst völlig rein und heilig, an welche der Tod keine Ansprüche hatte, über die er keinerlei Gewalt besaß. Es ist Christus, der „in den Tagen Seines Fleisches sowohl Bitten als Flehen zu Dem, der Ihn aus dem Tode zu erretten vermochte, mit starkem Geschrei und Tränen geopfert hat“, und der zugleich Sein Leben freiwillig ließ, indem keine Macht der Welt oder der Hölle imstande war, es Ihm zu nehmen.— Das klingt vielleicht wunderlich und widerspruchsvoll für ein unbeschnittenes Ohr, unannehmbar für den Verstand des Menschen; aber für den Glauben ist es das herrliche, wunderbare Geheimnis von der Person unseres hochgelobten Herrn; er erfreut sich darin, er schaut’s und betet an.

An dieser Stelle mögen noch einige kurze Bemerkungen eines anderen Schreibers über die Vorgänge in Gethsemane einen Platz finden. Er sagt: „Im Evangelium Matthäus sehen wir Christum vor allem als das Opfer. Überall tritt uns in Wunderbarer Weise Seine völlige Unterwürfigkeit entgegen; aber gleichzeitig, und das ist bemerkenswert, die Tiefe Seiner Leiden. Wenn Er an den Kelch denkt, so ruft Er aus: „Wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber“. Lukas berichtet uns, dass Sein Schweiß wie große Blutstropfen zur Erde fiel. Er war ein Mensch, aber Sein Gefühl von der Schrecklichkeit des Zornes Gottes war vollkommen. In demselben Maße Wie Er wusste, was es ist, heilig zu sein, fühlte Er auch, was es hieß, vor Gott zur Sünde gemacht zu werden. In demselben Maße wie Er die Liebe Gottes kannte und genoss, fühlte Er auch, was es war, von Gott verlassen zu sein. In diesem Sinne war Sein Leiden ohne Grenzen; und indem Er in Gemeinschaft mit Seinem Vater den Kelch betrachtete, rief Er aus: „Wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber«. Seine Seele durchmaß diese gewaltigen Tiefen, und indem sie es tat, wurde Sein Schweiß wie große Blutstropfen, die zur Erde fielen. Wenn Er aber nachher zu den Jüngern zurückkommt, finden wir keine Spur mehr von diesem schrecklichen Kampfe. Er redet so liebevoll mit ihnen, in-dem Er auf ihre Gedanken eingeht, als ob der Kelch überhaupt nicht da wäre. „Also nicht eine Stunde vermochtet ihr mit mir zu wachen?“ fragt Er sie. Wie wunderbar ist das! In dem ganzen Leben des Herrn suchen wir vergebens nach einem Falle, wo die Umstände Ihn beherrscht hätten. Er blieb stets Er selbst und war allezeit (ausgenommen in jenen drei schrecklichen Stunden, als Er von Gott verlassen war) voll von Mitgefühl und Teilnahme für Andere. Was Seine eigenen Leiden betrifft, so wurde Er wie ein Schaf zur Schlachtung geführt; wie ein Lamm stumm ist vor seinem Scherer, also tat Er Seinen Mund nicht aus. Selbst vor Pontius Pilatus sagte Er nichts. Ja, Er war stumm, außer wenn es galt, jemandem Gnade und Liebe zu erzeigen. Dann offenbarte Er, als wäre nichts vorgefallen, vollkommene Güte und vollkommenes Mitgefühl für alle. Obwohl Er die Schrecknisse, die vor Ihm lagen, in ihrer ganzen Größe kannte und fühlte, sehen wir Ihn doch völlig unterwürfig; Er fühlte sie in Gemeinschaft mit dem Vater, und darum konnte Er sich auch mit völliger Ruhe und Teilnahme den Jüngern zuwenden.

Andererseits wünschte Er ihr Mitgefühl: „Bleibet hier und wachet mit mir“. Er war „Gott über alles“, und doch voll und ganz ein Mensch; aber niemals forderte Er, wie ein Anderer bemerkt hat, Seine Jünger auf, für Ihn zu beten. Das wäre nicht in Übereinstimmung gewesen mit dem, was Er war. Es ist ein sehr köstlicher Gedanke, dass Er, der bei Gott war und Gott, geoffenbart im Fleische, in allem fühlte, wie ein Mensch fühlt. Als Er Seinen Jüngern sagte: „Wachet mit mir“, fühlte Er, dass die Welt wider Ihn war, und wünschte, dass die, welche Ihn stets begleitet hatten, bei Ihm sein möchten. Aber ach, sie schliefen! Er wartete auf Mitleid, und da war keines, auf Tröster, und Er fand sie nicht. Nichts wurde Ihm hienieden zu teil. Er wurde geübt und geprüft bis zu dem höchsten Grade menschlichen Leidens, aber Er war allein in dem ringenden Kampfe . . .

„Während die Jünger schliefen, war Jesus allein, ganz allein mit Seinem Vater, und ging im Geiste mit Ihm durch die vor Ihm liegenden Schrecknisse. Um die göttliche Antwort betreffs des Kelches endgültig zu vernehmen, betete Er: „Wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber, doch nicht wie ich will, sondern wie du willst“. Ach! es war nicht möglich, dass der bittere Kelch Ihm erspart wurde. „Und als Er in ringendem Kampfe war, betete Er heftiger. Es wurde aber Sein Schweiß wie große Blutstropfen, die auf die Erde herabfielen.“ Welch ein Kampf! Wer könnte ahnen, was in dieser Stunde in dem Herzen unseres anbetungswürdigen Heilandes vorging! Und doch, wie schon weiter oben bemerkt, gleich nachdem Er in diesem furchtbaren Kampfe gewesen war, kehrte Er zu Seinen Jüngern zurück und redete in der freundlichsten Weise mit ihnen. Sie waren vor Traurigkeit eingeschlafen; „und Er sprach zu ihnen: Was schlafet ihr? Stehet auf und betet, auf dass ihr nicht in Versuchung hineinkommet“.

„Wie wunderbar! Der Herr denkt jetzt nicht mehr an den Kelch, sondern nur an sie! Wo war der Kelch? Er hatte ihn aus der Hand des Vaters genommen, und deshalb war Sein Herz zum Dienst für Andere fähig; ja, selbst in dieser schrecklichen Stunde war Er zu jedem Dienst bereit. (Vergl. Luk. 22, 50. 51".) Würden wir in unserem geringen Maße alle unsere Übungen, unsere kleinen Kümmernisse zu Gott bringen, um mit Ihm durch alles hindurchzugehen, so wären auch unsere Herzen frei und glücklich, um uns Anderen zuzuwenden und für sie Sorge zu tragen. Jesus ging im Geiste mit Gott vollkommen durch die Tiefen Seines Leidens; und eben aus diesem Grunde konnte Er nachher voll Frieden sich den Jüngern zuwenden und ihnen zurufen: „Wachet und betet, auf dass ihr nicht in Versuchung hineinkommet“. Er fühlte, wo Er sich befand; aber dies ist das einzige Mal, dass Er jenem Gefühl Ausdruck gab durch die Worte: „Wachet und betet!« Alles was uns begegnet, wird uns entweder zu einer Versuchung, oder zu einer Gelegenheit zum Gehorsam. Für Christum war alles eine Gelegenheit zu volIkommenem Gehorsam. Er sagt: „Der Kelch, den mir der Vater gegeben hat, soll ich den nicht trinken?“ (Joh. 18, 11). Alles was uns entgegentritt, wird entweder zu einer Sache, in welcher wir Christo dienen, oder zu einer Gelegenheit, unseren eigenen Willen zu tun; und den eigenen Willen tun heißt in Versuchung hineingehen.“

Zum Schluss möchte ich nur noch kurz hinweisen auf die äußeren Umstände, welche den Kampf und das Leiden des Herrn in Gethsemane erschwerten und vertieften. Sein Weg durch diese Welt war vollendet, die Stunde war gekommen, dass Er zu dem Vater zurückkehren sollte. Aber der nächste Zweck Seiner Sendung war nicht erfüllt: Jakob war nicht zu Gott zurückgebracht und Israel nicht gesammelt worden. Vergeblich hatte Er den ganzen Tag Seine Hände ausgestreckt nach einer widerspenstigen Nation. Nur ein ernstes, schonungsloses Gericht blieb jetzt für das so innig geliebte Volk übrig. Welch ein Schmerz das für das Herz des Messias war, ersehen wir aus Stellen wie Luk. 13, 34. 35; 19, 41 — 44 und andere.

Und nicht nur das, dieses Volk sollte jetzt das Maß seiner Sünden voll machen in der Verwerfung und Ermordung des Sohnes Gottes, dessen Herz brach angesichts ihres bitteren Hohnes und Spottes. Psalm 69, 20. 21 sollte sich erfüllen.

Doch mehr noch: Alle Seine Jünger sollten sich in dieser Nacht an Ihm ärgern und Ihn ganz allein lassen.

Einer von ihnen würde Ihn verraten, ein anderer Ihn verleugnen; selbst die Genossen Seiner Verklärung auf dem Berge sollten sich als unfähig erweisen, auch nur eine Stunde mit Ihm zu wachen. So weit reichte ihre Liebe zu Ihm nicht. Der Mann Seines Friedens, auf den Er vertraut, der so lange Sein Brot gegessen hatte, erhob seine Ferse gegen Ihn, verkaufte Ihn für einen elenden Preis an Seine Feinde und verriet Ihn mit einem Kuss (Ps. 41.) Keiner verstand Ihn, niemand fühlte mit Ihm; einsam und allein, von allen verlassen, musste Er Seinen Leidensweg gehen. „Ich gleiche dem Pelikan der Wüste“, so hören wir Ihn klagen im 102. Psalm, „bin“ wie die Eule der Einöden. Ich wache und bin wie ein einsamer Vogel auf dem Dache“; und im 88. Psalm: „Freund und Genossen hast du von mir entfernt: meine Bekannten sind Finsternis“. Wie sehr verlangt die Schwachheit der menschlichen Natur nach einem mitfühlenden Herzen, nach einem Worte des Trostes und der Ermunterung, wenn schwere Stunden kommen, wenn die Zukunft dunkel und drohend vor uns liegt! Kann auch niemand das Leid abwenden, muss auch der Kelch getrunken werden, wie wohltuend ist« doch ein mitfühlender Blick, ein liebevoller Händedruck, ja, schon die bloße Gegenwart eines menschlichen, fühlenden Wesens! Jesus war ganz allein! Seine Jünger schliefen, schliefen immerzu, trotz der herzlichen Bitte des Heilandes, nur eine Stunde mit Ihm zu wachen. Jesus war gekommen als der König Israels, als der wahre Sohn Davids, dem alle Rechte an Sein Land und Volk wie an die Verheißungen gebührten. Er war die Wurzel und das Geschlecht Davids, den David selbst im Geiste „Herr“ genannt hatte. Aber Er musste allem entsagen: statt eines königlichen Diadems sollte eine Dornenkrone Sein Haupt zieren; statt königlicher Ehren sollten Ihm Faustschläge, Backenstreiche, Geißelhiebe, „Schmach und Speichel“ zu teil werden; zum Spott sollte Er mit purpurnem Gewande bekleidet, und statt des Szepters sollte Ihm ein Rohr in die Rechte gegeben werden. Statt des „Hosianna dem Sohne Davids!“ sollte das „Kreuzige, kreuzige!“ ertönen; den Thron Davids sollte Er mit dem Fluchholze vertauschen. Der Kreuzestod, die schrecklichste, grausamste und qualvollste aller Todesarten, stand Ihm bevor, und unter Räubern und Missetätern war Sein Platz bestimmt. Und wo und von wem sollte Er alles erdulden? In dem Hause derer, die Ihn liebten, sollte Er geschlagen werden (Sach. 13, 6), Sein eigenes Volk würde Ihn ermorden! Die Leiter desselben würden sich freuen an dem bitteren Spott des Herodes, an der Grausamkeit der Kriegsknechte, und endlich an Seinem Kreuze vorübergehen und den Kopf über Ihn schütteln, der ihr Gott und Heiland war!

O wer könnte ermessen, was das vollkommen menschliche Herz unseres Herrn und Heilandes gelitten hat, als alles das auf Ihn einstürmte, als Satan Ihm alle diese Dinge vor die Seele stellte? Welch eine Versuchung, welch ein Kampf! Und alles kam über Ihn, obwohl Er Sohn war, der geliebte Sohn Gottes, die Wonne des Vaters, der Gegenstand der Anbetung der himmlischen Heerscharen, der da sagen konnte: „Ehe Abraham ward, bin ich“, und: „Brechet diesen Tempel ab, und in drei Tagen werde ich ihn aufrichten“ (Johannes 8, 58 ; 2,19).

Dies führt uns zu dem herrlichen, aber leider auch so vielfach missverstandenen Ausspruch des Apostels in Hebr. 5, 8, dass Er, „obwohl Er Sohn war, an dem, was Er litt, den Gehorsam lernte“. Gehorchen war eine ganz neue Sache für den Sohn Gottes. Nie hatte Er in der Ewigkeit Gelegenheit gehabt, zu gehorchen. Gehorsam bedingt eine Stellung der Abhängigkeit von einem Anderen; aber der Sohn Gottes war nicht in dieser Stellung, in diesem Verhältnis. Er war der Schöpfer, Herr und Gott über alles, der Höchste, der Gebieter. Aber als Er in diese Welt kam und Knechtsgestalt annahm, lernte Er Gehorsam, und zwar an dem, was Er litt. Sein ganzer Pfad von der Krippe bis zum Kreuze war ein unaufhörliches Leiden, eine ununterbrochene Kette von Erprobungen Seines Gehorsams in der Stellung der Abhängigkeit, in welche Er aus Gnaden eingetreten war. Der Pfad des Gehorsams durch eine sündige Welt, wo Satan regiert, ist Leiden· Und immer ernster wurden die Proben für unseren geliebten Herrn, immer heißer die Versuchungen, die von außen **) an Ihn herantraten, bis sie endlich in Gethsemane ihren Höhepunkt erreichten. Aber lieber wollte Er alles erdulden, lieber verachtet, verworfen, verhöhnt und verspottet werden, lieber den Tod erleiden, selbst wenn dieser unter dem Charakter des Zornes Gottes und des Gerichts wider die Sünde an Ihn herantrat, als ungehorsam sein. Lieber wollte Er den bittersten Kelch trinken, lieber „in die Grube des Verderbens, in kotigen Schlamm“, hinabsteigen (o was musste das für Seine heilige Seele sein! — und wäre Er nicht hinabgestiegen, so würde sie noch auf unserem Wege liegen), als den Willen Seines Vaters unerfüllt lassen und Ihn nicht völlig und in jeder Beziehung verherrlichen. Alle Proben und Versuchungen brachten nur Seinen vollkommenen Gehorsam zum Vorschein. Er litt unendlich, unaussprechlich; aber nie begegnete eine Versuchung irgend einer Regung des eigenen Willens, nie fand sie den schwächsten Anknüpfungspunkt in Seinem Innern. Ja, wenn selbst die ganze Macht des Bösen, des Todes und Satans sich vereinigte, um Ihn zur Zurückweisung des schrecklichen Kelches zu veranlassen, der auf dem Pfade des Gehorsams für Ihn lag, und der unser Heil und die Verherrlichung Christi als Mensch in sich schloss, wenn Satan die höchsten Anstrengungen machte, um Ihn zu Fall zu bringen, klammerte Er sich nur umso fester und inniger an Gott, um nicht in die Versuchung hineinzugehen, sondern den Pfad des Gehorsams zu verfolgen, mochte er Ihn auch in die tiefsten Abgründe der Leiden hinabführen. 52

Und in dieser Hinsicht ist Christus auf Seinem ganzen Wege, ja selbst in Gethsemane, so unendlich und unbegrenzt Seine Leiden auch waren im Vergleich mit den unsrigen, ein Vorbild für uns. Auch wir haben zu wachen und zu beten, ja, vielleicht im Gebet zu ringen, um nicht in Versuchung zu kommen, nicht in sie hineinzugehen. Zuweilen, wenn z. B. eine Drangsal, eine Schwierigkeit über uns kommt infolge eigener Schuld (bei Christo war es selbstverständlich stets andere Schuld), kann es gar schwierig werden, sich den Wegen Gottes willig zu unterwerfen. Dasselbe ist der Fall, wenn der Weg des Gehorsams, der Aufrichtigkeit, mit einem Wort der Pfad des Lebens, in irgend einer Weise peinlich, schmerzlich wird. Vielleicht liegt gleich neben ihm ein viel leichterer Pfad, ein Pfad, der dem Auge des« Fleisches sehr verlockend erscheint. Dann ist es, in unseren kleinen Prüfungen und Schwierigkeiten, auch unser Teil, zu wachen und zu beten, dass wir nicht in die Versuchung hineinkommen. Der Weg des Lebens ist stets ein mühsamer Pfad, der das Herz auf die Probe stellt (Vergl. Ps. 16). Aber Gott wird darauf gefunden, und sein Ausgang ist zur Verherrlichung Gottes und herrlich für uns. Möge Gott uns auf diesem Wege erhalten! Wir bedürfen dazu Seiner Gnade. Zuweilen mag selbst ein Ringen im Gebet in Seiner Gegenwart nötig werden, um standzuhalten und auszuharren. Aber Er, der überwunden hat, ist mit uns. Und wenn wir mit Gott durch das Peinliche und Beunruhigende der Umstände hindurchgegangen sind, so werden diese selbst, wenn sie wirklich eintreten, nur zu einer Gelegenheit werden, unseren Gehorsam zu beweisen. So war es in Vollkommenheit mit Christo, unserem herrlichen Vorbilde; und in demselben Maße wie wir Seinem Beispiel folgen, werden wir in unserem praktischen Leben Ihm ähnlicher werden und nach unserem geringen Teile dieselben Erfahrungen machen dürfen wie Er, zu Gottes Ehre und Herrlichkeit.

Fußnoten:

*) Es ist bereits von anderer, berufener Seite darauf hingewiesen worden, dass der griechische Ausdrucwelchen Luther durch: „Und es kam, dass Er mit dem Tode rang“, verdeutscht hat, gar nicht diesen Sinn hat. Das Wort „agonja“ bezeichnete zur Zeit der Abfassung des Evangeliums einen heftigen, ringenden Kampf, eine tiefe innere Angst, nicht aber den Todeskampf eines Sterbenden, den Beginn der Auflösung. „Damit aber ist dieser Auffassung des Leidens Christi und allen weiteren daraus sich ergebenden Schilderungen und Folgerungen die letzte Stütze entzogen“ (D. Dr. Cremer, Gethsemane. Ein Beitrag zum Verständnis der Geschichte Jesu ) — Welche Bedeutung man dem Worte „Agonie“ in späterer Zeit beigelegt hat, kann hier nicht in Betracht kommen.

**) Denn das würde heißen, Unglaube und Misstrauen hätten Seine Seele erfüllt, Sein Auge verdunkelt, Sein Herz umnachtet und Seine Gemeinschaft mit dem Vater, wenn auch nur für eine kurze Zeit, unterbrochen. Er wäre nicht mehr der Vollkommene der da sagen konnte: „Ich habe Jehova stets vor mich gestellt; weil Er zu meiner Rechten ist, werde ich nicht wanken (Ps. 16, 8) Oder: „Beharrlich habe ich auf Jehova geharrt, und Er hat sich zu mir geneigt und mein Schreien gehört“ (Psalm 40, 1). Wohl war für Ihn der Gedanke an den scheinbaren Misserfolg all Seiner Bemühungen der Liebe tief schmerzlich, ein bitterer Wermutstropfen in dem Kelch Seiner Leiden. (Vergl. die oben angeführte Stelle aus Jesaja 49.) Aber wenn Er davon redet und die Gefühle Seines Herzens dem Vater vorstellt, fügt Er sogleich hinzu: „Doch mein Recht ist bei Jehova und mein Lohn bei meinem Gott“; und: „ich bin geehrt in den Augen Jehovas, und mein Gott ist meine Stärke geworden“. Niemals hat Sein Vertrauen auch nur für einen Augenblick gewankt. Wenn Johannes der Täufer an Ihm irre wird, wenn Jesus sogar über die Städte Chorazin und Bethsaida und über Kapernaum, „Seine eigene Stadt“, Sein „Wehe“ ausrufen muss, wenn endlich ganz Israel beweist, dass es den ernsten und liebevollen Mahnungen Gottes gegenüber gefühllos und feindselig bleibt, wenn man Johannes den Täufer einen „Besessenen“ und den Sohn des Menschen einen „Fresser und Weinsäufer“ schilt, — erhebt Er Sein Auge nach oben- und spricht: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies vor Weisen und Verständigen verborgen hast, und hast es Unmündigen geoffenbart. Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig vor dir“ (Matth. 11). Ja, selbst auf dem Kreuze, in der furchtbaren, unbeschreiblichen Seelenqual des Verlassenseins von Gott, blieb Sein Vertrauen unerschüttert; Er schrieb Gott nichts Ungereimtes zu. Dem Rufe: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich ver1assen?“ folgt unmittelbar: ,,Doch du bist heilig, der du wohnst unter den Lobgesängen Jsraels“ (Ps. 22, 1. 3).

***) Innerlich gab es keine Versuchung für Ihn, denn Er war ohne Sünde, heilig und rein; Er ist in allein versucht worden wie wir, ausgenommen die Sünde; sie fand nie und nimmer Eingang in Seinem Herzen.

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Gedanken über Psalm 84

Bibelstelle: Psalm 84

Botschafter des Heils in Christo 1903, S. 54ff

Aber möchte gefragt werden, wie und auf welchem Grunde kann der heilige Gott, der Sünde nicht sehen kann, bei dem sündigen Menschen wohnen? Dass Menschen mit verherrlichtem Leib bei Gott wohnen können, ist schon eher zu verstehen. - Nun, beide Tatsachen, wunderbar wie sie sind, gründen sich auf das große Erlösungswerk Jesu Christi; beide verdanken wir dem Blute des Lammes Gottes. Das Erlösungswerk bildet die Grundlage unseres jetzigen innigen Verhältnisses zu Gott. Wir lesen nirgendwo, dass Gott bei Adam im Garten Eden gewohnt hätte, obwohl Adam im Stande der Unschuld war. Gott bereitete wohl dem Menschen einen herrlichen Wohnplatz, setzte ihn dahinein und besuchte ihn, wie es scheint, dort; aber niemals wohnte Er bei ihm. Die Schöpfung konnte keine angemessene Grundlage für eine Wohnstätte Gottes auf der Erde bieten.

Der Lobgesang des Mose (2. Mose 15) enthält die erste Andeutung von einem Wohnen Gottes auf der Erde. Aber beachten wir wohl, dass zu diesem Zeitpunkt hier schon die Erlösung vorbildlich vollbracht und das große Werk der Befreiung ausgeführt war. Gott wartete mit der Offenbarung Seiner Absichten, bis Sein Volk durch das Meer hindurch gebracht und in Sicherheit war. „Meine Stärke und mein Gesang ist Jah", singt Moses, „denn er ist mir zur Rettung geworden. Dieser ist mein Gott, und ich will Ihn verherrlichen, meines Vaters Gott, und ich will ihn erheben". Hierauf empfängt er das Vorrecht, selbst Gottes Antwort auf dieses sein Begehren auszusprechen, indem er fortfährt: „Du hast durch deine Güte geleitet das Volk, das du erlöst, hast es durch deine Stärke geführt zu deiner heiligen Wohnung... Du wirst sie bringen und pflanzen auf den Berg dieses Erbteils, die Stätte, die du, Jehova, zu deiner Wohnung gemacht, das Heiligtum, Herr, das deine Hände bereitet haben". Es ist sehr bemerkenswert, dass Gott das Wort „heilig" hinzufügt, wenn Er durch den Mund Seines Knechtes von Seiner Wohnung spricht, und dass Er sie nachher „das Heiligtum" nennt. Diese Ausdrücke kennzeichnen den Charakter der Wohnstätte Gottes, wie sie Seinen Gedanken entspricht.

Das Erlösungswerk war also vollbracht und das Volk von der Knechtschaft Ägyptens befreit; nicht eine Klaue war zurückgeblieben! Und indem sie nun, den Siegesgesang auf den Lippen, ihr Angesicht nach Zion hinwenden, besteigt Gott als der große „Ich bin" Seinen Wolken-Wagen, um sie durch die Wüste zu leiten und ihre Hilfe zu sein in aller Not und Gefahr.

Wie unschätzbar groß ist doch der Wert des Blutes des Lammes! oder besser: wie hoch schätzt Gott diesen Wert! Wer auf der Erde könnte die reinigende Kraft und erlösende Macht des Blutes Jesu beschreiben? Es erlöst den Sünder von der Knechtschaft der Welt und der Sünde und rechtfertigt Gott, wenn Er Barmherzigkeit erzeigt. Es ist die Grundlage aller irdischen Segnungen und gibt uns Anspruch auf die reichsten Segnungen des Himmels. Es hat den Weg zu des Vaters Thron gebahnt und die Kinder passend gemacht, dort zu erscheinen. Es hat den Vorhang zerrissen und dem Anbeter das innere Heiligtum geöffnet. Es begegnet den höchsten Ansprüchen Gottes wie den tiefsten Bedürfnissen des Menschen.

Auf die Frage, wie Gott bei dem sündigen Menschen auf der Erde wohnen kann, gibt es nur eine Antwort: durch das Blut Jesu. Und auf die weitere Frage, wie ein sündiger Mensch jemals bei Gott im Himmel wohnen kann, gibt es wiederum nur die eine Antwort: durch das Blut Jesu. Kraft dieses kostbaren Blutes kann der Gläubige sagen, dass die unmittelbare Gegenwart Gottes in Christo Jesu jetzt seine selige Heimat ist, ja, dass sie es bleiben wird in alle Ewigkeit.

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Komm, o komm, Herr Jesu Christ

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1903 S. 56ff

Komm, o komm, Herr Jesus Christ,

hör der Deinen Flehen!

Ende bald die Wartefrist;

der Du Heil und Hoffnung bist,

lass uns zu Dir gehen!

Zieh die selige Braut empor

aus der Welt Gebraus;

durch der Wolken leichten Flor

zu des Himmels Strahlentor,

in das Vaterhaus!

Aufwärts, heimwärts, himmelwärts,

zu dem Hochzeitsmahl!

Drunten bleibt der Erde Schmerz;

ewige Wonne füllt das Herz,

Freuden ohne Zahl.

Komm, o komm, Herr Jesus Christ

unsrer Seele Zier!

Ende bald die Wartefrist;

der Du Heil und Hoffnung bist,

Deiner harren wir.

K.B.

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Gethsemane

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1903, S. 57ff

II.

„Der in den Tagen Seines Fleisches, da Er sowohl Bitten als Flehen zu Dem, der Ihn aus dem Tode zu erretten vermochte, mit starkem Geschrei und Tränen geopfert hat und um Seiner Frömmigkeit willen erhört worden ist“ (Hebr. 5, 7).

Es bleibt uns noch die Erwägung -der Frage übrig, in welcher Weise Christus Erhörung Seines Flehens gefunden hat· Dass die oben angeführte Stelle mit Recht auf den Kampf in Gethsemane angewandt wird, unterliegt keinem Zweifel. Eine Meinungsverschiedenheit besteht wohl nur über die Art der Erhörung

Dass Bitte und Erhörung nicht Bezug haben können auf eine „Rettung vom Sterben in Gethsemane“, nicht darauf, „dass der Vater Ihn nicht hier sterben und der Schwachheit des Fleisches erliegen lassen möge“, indem unter dem ausbrechenden Todesschweiß das Leben fühlbar entschwindet, und es sich nur noch um Minuten bis zum Entfliehen der Seele handelt“, das bedarf nach dem bisher Gesagten keiner Erörterung mehr.

Der Tod, aus welchem Gott Seinen Geliebten zu erretten vermochte, ist der Tod am Kreuze, der Tod als Folge des Gerichts Gottes über die Sünde. Hier tritt uns wieder das Geheimnis der Person des Sohnes Gottes in seiner ganzen Unfassbarkeit für den Verstand des Menschen entgegen. Christus ließ Sein Leben freiwillig und nahm es wieder in der Macht und Würde Seiner göttlichen Person; aber zu gleicher Zeit musste Er als unser Stellvertreter sterben, musste Er den Tod erleiden als das gerechte Gericht Gottes über die Sünde. Alle Forderungen der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes mussten durch Ihn, den Menschen Christus Jesus, (aber dieser Mensch war Gottes Sohn,) befriedigt werden; das Schwert musste erwachen wider den Genossen Jehovas (Sach. 13, 7); Er musste Sein Haupt neigen unter den furchtbaren Schlägen des göttlichen Zornes. Indem Er die Sache des Sünders, unsere Sache, auf sich nahm, konnte Er sich selbst nicht retten. Nur Einer war fähig, das zu tun, und dieser Eine war Gott. Aber Er wollte sich selbst auch nicht retten. Er war gekommen, um zu leiden und zu sterben. Er wusste genau, (denn Er, der Heilige, konnte es voll und ganz ermessen,) in welcher Stellung der sündige Mensch sich Gott gegenüber befand, und Er war bereit, sich den Folgen dieser Stellung zu unterziehen. Er unterwarf sich allem, Er gehorchte in allem. Er war vollkommen in Seinem Gehorsam und in Seiner-Abhängigkeit von Gott. Das war ,,Seine Frömmigkeit«, um derentwillen Er erhört wurde. Gott, der heilige Gott, musste die Rechte Seiner Herrlichkeit denen gegenüber, welche gegen Ihn gesündigt und Seine Herrlichkeit mit Füßen getreten hatten, aufrecht halten. Es geziemte Ihm, Den, der die Sache der Sünder, (der Söhne, die Er zur Herrlichkeit führen wollte,) in Seine Hand nahm, so zu behandeln, als wäre Er selbst in der Stellung und in dem Zustande, in welchem jene sich befanden. Nur so konnte Christus als »der Anführer ihrer Errettung zur Vollkommenheit gelangen; d. h. nur so konnte Er ein vollkommener Erretter für sie werden. Die Tatsache Seiner unveränderlichen persönlichen Vollkommenheit wird hierdurch selbstverständlich in keiner, Weise berührt.

Welche Tiefen tun sich da vor unseren Blicken auf! In diesen Tod, als Sold der Sünde, musste Jesus hinein! Wir können es verstehen, wenn Er bei dem Gedanken daran Bitten und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen zu Dem emporsandte, der Ihn aus dem Tode zu erretten vermochte. Er musste das ganze Gewicht dieses Todes auf Seiner heiligen Seele fühlen; aber um Seiner Frömmigkeit willen ist Er erhört worden. Unmöglich hätte Gott Sein Flehen unbeantwortet lassen können. Ein Engel kam und stärkte Ihn; und als der Kampf ausgestritten war, stand Er auf in vollem Frieden, als Einer, der Erhörung gefunden hatte, der da wusste, dass Er nicht würde beschämt werden, dass der Tod Ihn nicht behalten könne. „Denn meine Seele wirst du dem Scheol nicht lassen, wirst nicht zugeben, dass dein Frommer die Verwesung sehe. Du wirft mir kundtun den Weg des Lebens; Fülle von Freu- den ist vor deinem Angesicht, Lieblichkeiten in deiner Rechten immerdar“ (Ps. 16, 10. 11). So hatte der Geist Christi, der in den Propheten war, schon viele Jahrhunderte früher geredet, und so ist es in Erfüllung gegangen. „Wenn Seine Seele das Schuldopfer gestellt haben wird, so wird Er Samen sehen, Er wird Seine Tage verlängern; und das Wohlgefallen Jehovas wird in Seiner Hand gedeihen. Von der Mühsal Seiner Seele wird Er Frucht sehen und sich sättigen. . .. dafür dass Er Seine Seele ausgeschüttet hat in den Tod und den Übertretern beigezählt worden ist“ (Jes. 53, 10 —- 12).

„Nicht wie ich will, sondern wie du willst“ – auch in dieser Beziehung hat Er Erhörung gefunden. Wenngleich Seine reine, fleckenlose Seele erbebte bei der Voraussicht, als „Sünde“ (als dieser Gräuel in Gottes und Christi Augen) behandelt zu werden, wenngleich Er aus tiefstem Herzensgrunde flehte: „Vater, wenn es möglich ist, so gehe dies er Kelch an mir vorüber!“ war und blieb doch allezeit Sein Wille in völliger Übereinstimmung mit dem Willen des Vaters; und dieser Wille ging in herrlichster Weise in Erfüllung. Es war bei Jesu nicht nötig, wie so oft bei uns, dass ein eigener, dem Willen Gottes entgegengesetzter Wille gebrochen werde, dass Er lerne, sich in den guten Willen Gottes ergeben; ein solcher Wille war bei Ihm nie vorhanden. Wie der scheinbare Widerspruch, der in den Worten des Herrn liegt, sich löst, haben wir in dem zweiten Teil unserer Betrachtung ausführlich behandelt.

Lasst uns jetzt noch einen Augenblick bei den Leiden des Herrn auf dem Kreuze verweilen. Sie gehören zwar nicht unmittelbar zu unserem Gegenstand, sind aber doch so nahe mit ihm verbunden, dass eine, wenigstens kurze Betrachtung derselben kaum zu umgehen ist.

Die Leiden des Herrn am Kreuze lassen sich wiederum von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachten. Er litt einerseits von seiten der Menschen, hinter denen Satan stand, für Gott um der Gerechtigkeit willen, als der treue Zeuge Gottes; und Er litt andererseits von seiten Gottes für den Menschen um der Sünde willen, als das Opferlamm Gottes. Die erste Art Leiden erblicken wir vornehmlich in den ersten drei Stunden, obwohl sie ohne Zweifel die ganze Zeit hindurch währten bis an SeinenTod; die zweite Art begann erst mit der vierten Stunde, mit dem Eintritt der Finsternis. Das ist »ein überaus wichtiger Punkt, der nicht stark genug hervorgehoben werden kann. Bleibt er unbeachtet, so ist ein wahres Verständnis der Kreuzesleiden unmöglich. Inmitten der ersten Art Leiden war die Verbindung unseres anbetungswürdigen Herrn mit Gott in keiner Weise unterbrochen; Er schaute unausgesetzt das freundliche, erquickende Licht des Angesichts Gottes. Er konnte sich an Ihn wenden mit den Worten: „Du aber, Jehova, sei nicht fern von mir!“ indem alle Feindschaft und Bosheit, die Ihm widerfahren, Ihn nur auf Gott warfen. Zu- gleich hören wir Ihn beten: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Aber dann kam das Verlassensein von Gott· Sollte Er für uns ein Opfer werden, so mussten unsere Sünden auf Ihn gelegt und Er so behandelt werden, als wäre Er in unserem sündigen, verderbten Zustande; und wenn das geschah, so musste der heilige Gott Sein Angesicht vor Ihm verbergen, musste Ihn verlassen.

Die Leiden Christi von seiten der Menschen, der Werkzeuge Satans, waren deshalb, so schwer und unerträglich sie sein mochten, nur die Einleitung zu Seinen eigentlichen Leiden. Gott selbst, der bis dahin Sein Trost und Seine Kraft gewesen war, verließ Ihn und wurde so die Quelle des tiefsten Wehes für den Heiligen und Gerechten, der außer der Gemeinschaft mit Gott nichts kannte, was Ihn erfreuen konnte, und der nun litt entsprechend der Vollkommenheit jener Gemeinschaft, die Er einst genossen hatte und die jetzt unterbrochen war.

Was in diesen schrecklichen drei Stunden in der Seele unseres Herrn vorging, haben die Evangelisten uns nicht berichtet; während sie die vorhergehenden Ereignisse ausführlich erzählen, schweigen sie völlig .über die tiefen Übungen und Qualen, durch welche Jesus in der letzten Hälfte Seines Kreuzesleidens ging. Aber das was sie nicht zu berichten vermochten, weil es in der tiefen Verborgenheit dieser entsetzlichen Stunden zwischen Gott und Christo allein vorging, schildert uns der 22. Psalm in ergreifender Weise. Da hören wir die bitteren Klagen Dessen, der um unsertwillen so unsäglich litt, Sein angstvolles Schreien zu Gott, ohne für jenen Augenblick Antwort, Erhörung finden zu können. Äußerlich herrschte völliges Schweigen aus Golgatha während dieser Stunden. Selbst die Schöpfung hatte sich in Finsternis und Schweigen gehüllt. Die Jünger waren geflohen, und die Weiber. welche Jesum liebten, standen zitternd und angsterfüllt von ferne. Jesus litt, wie Er noch nie gelitten hatte, litt ganz allein. Er litt schweigend, bis Er zur neunten Stunde, am Ende dieses namenlosen Leidens, in den Ruf ausbrach: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Wir haben das Vorrecht, sind gewürdigt worden, das zu vernehmen, was in jenen Stunden in der Seele Jesu vorging. Zwar vermag niemand die Tiefen dieser Leiden zu ergründen; Gott allein kann ihre ganze Schrecklichkeit verstehen und ihren ganzen Wert ermessen. Aber es ist uns geschenkt, Sein Flehen zu vernehmen und Seinen Klagen zu lauschen, damit wir voll Bewunderung und Anbetung uns vor Ihm niederwerfen, der gerade dann am größten war, als Er am tiefsten erniedrigt wurde.

Der Kampf in Gethsemane war schwer; aber er war nur ein Vorgeschmack dessen, was dem Herrn am Kreuze bevorstand. Hier musste Er unser Stellvertreter werden und als solcher von Gott behandelt werden. „Den, der Sünde nicht kannte, hat Er für uns zur Sünde gemacht“ (2. Kor. 5, 21). Der Kelch des Zornes, der in Gethsemane vor Ihm stand, musste hier bis zur Neige getrunken werden. Die wirklichen Wehen des Todes mussten geschmeckt werden, und zwar von einem Menschen, der ihn verstand und fühlte, so wie Gott ihn versteht, und der nun ausruft: „Wie Wasser bin ich hingeschüttet, und alle meine Gebeine haben sich zertrennt; wie Wachs ist geworden mein Herz, es ist zerschmolzen inmitten meiner Eingeweide. Meine Kraft ist vertrocknet wie ein Scherben, und meine Zunge klebt an meinem Gaumen; und in den Staub des Todes legst du mich“ (Ps. 22). Oder: „Auf mir liegt schwer dein Grimm, und mit allen deinen Wellen hast du mich niedergedrückt . . .Deine Zorngluten sind über mich hingegangen, deine Schrecknisse haben mich vernichtet“ (Ps. 88).

O wer könnte die Schrecknisse jener Stunden ermessen? Da war keine Hilfe, keine Antwort auf „die Worte Seines Gestöhns“. Der Himmel, der sich einst über Ihm aufgetan hatte, war jetzt vor Ihm verschlossen, und keine Erleichterung, kein Wort des Trostes wurde Ihm zu teil. „Mein Gott! ich rufe des Tages, und du antwortest nicht.“ Wie ganz anders war es früher gewesen! Gott hatte Ihn allezeit erhört (vergl. Joh. 11, 42); selbst in Gethsemane, ja, noch im Anfang Seines Kreuzesleidens hatte Er Erhörung gefunden. Aber jetzt war Gottes Ohr verschlossen, Sein Angesicht abgewandt.

Und doch, o wie groß und herrlich ist unser geliebter Herr, wie anbetungswürdig zu aller Zeit! — und doch

wankte Seine Vollkommenheit keinen Augenblick. Selbst wenn Gott Ihn verlassen hatte und Er, im Blick auf Seine Person, mit Recht fragen konnte: „Warum hast du mich verlassen?“ blieb Gott stets Sein Gott; ja, Er fügt Seinem Angstschrei sogleich die Worte hinzu: „Du aber bist heilig“. Gab es auch in Ihm keine Ursache zu diesem Verlassensein, (Jehova war ja von Mutterleibe an Sein Gott gewesen, und auf Ihn allein hatte Er von Seiner Mutter Brüsten an vertraut,) so blieb Gott doch heilig, und Seine Wohnung war allezeit „unter den Lobgesängen Israels“. Nach Seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit konnte Gott nicht anders handeln, denn Jesus trug unsere Sünden an Seinem Leibe auf das Holz. Gott musste den Anführer unserer Errettung „durch Leiden vollkommen machen“. Auf einem anderen Wege hätte Er, wie bereits bemerkt, unmöglich dieser Anführer werden können.

Beachten wir hier aber, dass Jesus nicht sagt: „Mein Vater, warum hast du mich verlassen?“ Es war der heilige Gott, der gerechte Richter, mit welchem Jesus es hier zu tun hatte. Wie genau ist Gottes Wort! Möchten wir es nur immer gerade so lesen und festhalten, wie es uns gegeben ist! Nie sagt dieses Wort, dass Er vom Vater verlassen gewesen sei. Nein, selbst in jenem Augenblick, als Gott Sein Angesicht vor Ihm, dem Sündenträger, verbergen musste, war der Vater bei Ihm (Vergl. Joh. 16, 32). Ja, der gehorsame und vollkommene Mensch war wegen Seines Gehorsams bis in den Tod und wegen Seiner freiwilligen Hingabe allezeit, auch in den drei Stunden der Finsternis, ein lieblicher Geruch, ein angenehmes Opfer für das Herz des Vaters. Er war nicht nur das große Gegenbild des Sünd- und Schuldopfers, welches auf dem Altar Gottes oder außerhalb des Lagers verbrannt werden musste, sondern auch des Speis- und Brandopfers, welche beide „ein Feueropfer lieblichen Geruchs dem Jehova“ genannt werden und von dem Priester (ganz oder teilweise) auf dem Altar geräuchert wurden (Vergl. 3. Mose 1—7 u. and. St.) Wieder stehen wir vor dem wunderbaren Geheimnis Seiner Person; wieder geziemt es uns, in Demut niederzufallen und anzubeten.

Wie ergreifend sind die Worte des Propheten: „Jehova gefiel es, Ihn zu zerschlagen, Er hat Ihn leiden lassen"; und: „Jehova hat Ihn treffen lassen unser aller Ungerechtigkeit“! (Jes. 53). Gott selbst legte Seine Hand auf Seinen Geliebten. Keine lindernde Schranke trat zwischen Ihn und die verzehrenden Gluten des göttlichen Zornes; gleichwie das Passahlamm nicht in einem Gefäß gekocht, sondern unmittelbar „am Feuer gebraten« werden musste. Ja, es geziemte dem großen und heiligen Gott, den Anführer unserer Errettung so schrecklich leiden zu lassen. Auf eine andere Weise hätten Seine Heiligkeit und Gerechtigkeit nicht befriedigt werden können. Die Gnade konnte nur herrschen durch Gerechtigkeit. (Röm. 5, 21). Die Schleusen der göttlichen Liebe konnten nur geöffnet werden durch die vollkommene Verherrlichung Gottes im Tode des heiligen Jesus. Über Ihn, den Sündlosen, musste der Zorn Gottes sich rückhaltlos ergießen; Ihm, dem Reinen und Vollkommenen, dem Sanftmütigen und von Herzen Demütigen, musste das Licht des Antlitzes Gottes entzogen werden. Er stöhnte und schrie, aber niemand hörte auf Ihn. Die Väter hatten zu Gott gerufen und waren errettet worden; sie hatten auf Gott vertraut und waren nicht beschämt worden. Aber Er war ein Wurm, und kein Mann; Er schrie und wurde nicht errettet. Gott selbst musste Ihn zerschlagen und die Strafe unserer Sünde auf Ihn legen. So weit waren wir von Gott entfernt, so schrecklich ist die Sünde und so groß die Heiligkeit Gottes, dass nichts anderes als das Verlassensein von Gott, dieses unsagbare, unergründliche Leiden unseres großen Bürgen und Stellvertreters, Gott zu befriedigen und uns zu erretten vermochte. Der Kelch des Zornes Gottes wider die Sünde musste bis zur Neige getrunken werden, und zwar getrunken durch den Sohn Gottes selbst. Das ist es, was dem Opfer seinen unermesslichen Wert verleiht.

Doch die schrecklichen Stunden gingen zu Ende. Der Augenblick kam, wo Jesus aus der Tiefe Seines Herzens heraus ausrufen konnte: „Es ist vollbracht!“ und: „Vater, in deine Hände übergehe ich meinen Geist!“ Der Kelch war geleert, bis auf den Grund geleert; Gott war vollkommen verherrlicht, alle Forderungen Seiner Gerechtigkeit waren erfüllt; das Werk war vollbracht, welches der Sohn zu tun übernommen hatte, und nun gibt Er in Frieden und — wiederholen wir es! — in ungeschwächter körperlicher und geistiger Kraft Sein Leben dahin. Er übergibt Seinen Geist, indem Er mit lauter Stimme schreit. Er lässt Sein Leben, um es in der Neuheit und Kraft der Auferstehung wieder zunehmen. Der Vorhang im Tempel zerreißt, der Weg ins Allerheiligste ist gebahnt; eine vollkommene, ewig gültige Sühnung ist vollbracht, und der Erfüllung der Gnadenratschlüsse Gottes im Blick auf Sein irdisches und himmlisches Volk steht nichts mehr im Wege. Sein Vatername kann denen, die Jesus sich nicht schämt „Brüder“ zu nennen, geoffenbart werden. Die Frage der Sünde ist geordnet, und zwar gerade in jenem Augenblick, als sich die Sünde in ihrer ganzen Schrecklichkeit offenbarte. Gottes Gerechtigkeit gegen die Sünde und Gottes Liebe zu dem Sünder sind vollkommen ans Licht getreten. Und nun verwandeln sich die bitteren Klagen des Herrn, Sein Rufen und Stöhnen, in einen herrlichen Siegessang: „Ja, du hast mich erhört von den Hörnern der Büffel. Verkündigen will ich deinen Namen meinen Brüdern; inmitten der Versammlung will ich dich loben . . . . Denn nicht verachtet hat Er noch verabscheut das Elend des Elenden, noch Sein Angesicht vor ihm verborgen; und als er zu Ihm schrie, hörte Er“ (Ps. 22, 21 — 24).

Die Auferstehung war der öffentliche Beweis von dieser Erhörung des Herrn, aber dass Er Erhörung gefunden hatte, gab sich schon am Kreuze kund in jenen friedevollen Worten: „Vater, in deine Hände übergehe ich meinen Geist“. Die Finsternis war vorüber, das Gericht erduldet, der Zorn getragen, die Sünde gesühnt; und wenn auch der Tod zur Vollendung des Versöhnungswerkes eintreten musste, denn der Tod ist der Sünde Sold, so sehen wir doch den Herrn in Frieden abscheiden, in dem vollkommenen Genuss der wiedererlangten Gemeinschaft mit Gott. Er war verlassen gewesen um unserer Sünden willen, aber die Frage der Sünde war jetzt nach der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes für ewig geordnet; und nachdem das geschehen, nachdem der Kelch völlig getrunken war, wurde er „hinweggenommen aus der Angst und aus dem Gericht“, Er wurde vollkommen erhört.

O Gott sei ewig gepriesen, dass wir so von unserem anbetungswürdigen Herrn und Seinem Werke reden dürfen! Er ist erhört worden, nachdem Er das ganze Gewicht der Heiligkeit Gottes gegenüber der Sünde gefühlt hatte. Er ist als Mensch, nach vollbrachtem Werke, in die wolkenlose Gunst Dessen eingetreten, der Ihn um unserer Sünden und Missetaten willen zerschlagen musste, und — Er ist nicht mehr allein dort. Er ist der Erstgeborene vieler Brüder geworden. Nach Seiner Auferstehung sandte Er Maria von Magdala mit der Botschaft an Seine Jünger: „Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, und zu meinem Gott und eurem Gott«. (Joh. 20, 17.) Nie vorher hatte Er sie „Brüder“ genannt, nie vorher ihnen in diesem Sinne den Vaternamen kundgemacht. Es war unmöglich. Erst jetzt, nachdem alles vollbracht war, konnte Er sie kraft dessen, was Er für sie getan hatte, in dasselbe Verhältnis einführen, in welchem Er zu Seinem Gott stand.

Anbetungswürdiger Heiland! Als es galt, den Kelch zu trinken, war Er allein, ganz allein. Aber nachdem der heiße Kampf ausgestritten und der Sieg errungen war, hören wir Ihn sagen: „Inmitten der Versammlung will ich dich loben“; nicht: „sollt ihr loben“, nein: „inmitten der Versammlung will ich loben“. Er führt den Lobgesang an, wenn die Seinen in Seinem Namen versammelt sind. Er Verkündigt Seinen Brüdern den Namen, der Ihm selbst so kostbar ist, und verbindet sie so mit sich in der innigsten und erhabensten Weise.

Was bleibt uns noch übrig? Nichts anderes, als mit den Heiligen in Offenb. 1, 5. 6 auszurufen: „Dem, der uns liebt und uns von unseren Sünden gewaschen hat in Seinem Blute, und uns gemacht hat zu einem Königtum, zu Priestern Seinem Gott und Vater: Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht in die Zeitalter der Zeitalter! Amen.“

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Gedanken über Psalm 84

Bibelstelle: Psalm 84

Botschafter des Heils 1903 S. 69ff

Gedanken über Psalm 84

Bibelstelle: Psalm 84

Botschafter des Heils in Christo 1903, S. 69ff

In diesem Zusammenhang noch ein kurzes Wort an die, welche nie ein Bedürfnis nach dem Blute Jesu empfunden oder doch nie dessen Wert erkannt haben. Sie mögen wohl auch regelmäßig ihren Gottesdienst, wie sie es nennen, besuchen; aber das, was für die Gläubigen ein Platz der Anbetung und des wirklichen, wahren Gottesdienstes ist, kann es für sie nicht sein. Gottesdienst ist, wenn ich mich so ausdrücken darf, das Wiederaufsteigen der Gnade, die uns von oben her besucht hat, in Lob und Anbetung zu Gott. Wie könnte aber ein unversöhnter, nicht erretteter Mensch es wagen, in die heilige Gegenwart Gottes zu treten? Er kann diese Gegenwart gar nicht ertragen; Gott aber kann die Sünde nicht in Seiner Gegenwart dulden. Es ist ganz und gar unmöglich, Gott zu nahen, es sei denn auf Grund der versöhnenden, reinigenden Kraft des Blutes Jesu Christi. Erlaube mir deshalb die Frage, mein lieber unbekehrter Leser: „Warum gibst du dich mit einer bloßen Form von Religion zufrieden?" Auf diesem von dir selbst erwählten Boden kannst du Gott nicht begegnen; hier bleibt dir nur „ein gewisses furchtvolles Erwarten des Gerichts und ein Feuereifer, welcher die Widersacher verschlingen wird" (Hebräer 10,27).

Das flackernde, sterbende Licht des bloßen Bekenntnisses erlischt, wenn der Bräutigam kommt. Finsternis, ewige Finsternis, wird die törichten Jungfrauen umhüllen, die es versäumen, öl zu kaufen, solange es Zeit ist. Darum lass dich bitten, nicht länger mit offenen Augen auf der breiten Straße zu wandeln, die ins Verderben führt! Dein bisschen Religion kann dir nichts nützen. Die Decke ist zu kurz, um dich darin einzuhüllen. Sie ist nur ein Zeugnis von deiner Schuld, gleich Adams Schürze aus Feigenblättern; ja, sie vergrößert nur das Schreckliche deiner Lage in der Ewigkeit. Welch ein Gedanke, aus der vielleicht oft besuchten Kirche oder Kapelle, von dem Abendmahlstisch hinweg in die Tiefen eines unnennbaren Wehs gehen zu müssen!

Möge Gott in Seiner Gnade jedem der diese Zeilen liest, vor einem so schrecklichen Schicksal bewahren! „Wer zu mir kommt, den werde ich n i c h t hinaus stoßen", sagte einst unser geliebter Herr, und wahrlich, diesem Wort kann jeder vertrauen, der Verlangen hat, zu Ihm zu kommen. „Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, reinigt uns von aller Sünde."

„Es sehnt sich, ja, es schmachtet meine Seele nach den Vorhöfen Jehovas; mein Herz und mein Fleisch rufen laut nach dem lebendigen Gott" (V. 2). Dieser Vers löst ganz von selbst eine wichtige Frage aus: „Unterscheidet sich der Gläubige, der nach den Vorhöfen des Herrn schmachtet, von dem, der nach dem Herrn Selbst schmachtet?" Die Antwort auf diese Frage muss ohne Zweifel bejahend ausfallen. Beide Begehren sind gut und mögen auch eng miteinander verknüpft sein, ja, sie mögen auf der Erfahrung eines und desselben Gläubigen, wenn auch zu verschiedenen Zeiten, beruhen, dennoch besteht ein deutlich erkennbarer Unterschied: in dem einen Falle ist das Verlangen der Seele auf Segnung, im anderen Falle auf Gott Selbst gerichtet. Sicherlich wird Segnung auch im zweiten Falle hinzugefügt werden; vielleicht noch mehr als im ersten, aber sie ist nicht der Gegenstand des Verlangens.

Wie das Begehren sind auch die Beweggründe in den beiden Fällen verschieden. Hier steht der Gedanke an die eigene Person im Vordergrund, dort ist es Gott, und zwar Gott allein. Wenn wir die beiden ersten Verse des 84. Psalms mit dem Beginn des 63. Psalms vergleichen, so werden wir den Unterschied klarer erkennen.

Der 63. Psalm hebt von vornherein in höherer Tonart an. Das Verlangen der Seele steht nach Gott selbst. Der Verfasser sagt mit großer Inbrunst: „Gott, du bist mein Gott". Er ist sich völlig seines Verhältnisses zu Ihm und der daraus hervor fließenden Segnungen bewusst. Welcher Seelenzustand könnte gesegneter sein? Lauschen wir nur auf die tiefen, glühenden und doch so heiligen Ergüsse des Herzens, wie sie sich in den Worten kundgeben: „Gott, du bist mein Gott! frühe suche ich dich. Es dürstet nach dir meine Seele, nach dir schmachtet mein Fleisch in einem dürren und lechzenden Lande ohne Wasser, - gleichwie ich dich angeschaut habe im Heiligtum -, um deine Macht und deine Herrlichkeit zu sehen". Psalm 84 dagegen beginnt mit den Worten: „Wie lieblich sind deine Wohnungen, Jehova der Heerscharen! Es sehnt sich, ja, es schmachtet meine Seele nach den Vorhöfen Jehovas; mein Herz und mein Fleisch rufen laut nach dem lebendigen Gott." Hier kennt zwar die Seele Gott und verlangt auch nach Ihm; aber in ihrem Blickpunkt steht Sein Verhältnis zu Seinem Volke, so wie Er Sich in der Versammlung der Seinigen offenbart. Im ersten Falle finden wir ein unmittelbares, gesegnetes Sichhinwenden der neuen Natur zu Gott, wobei nur Er Selbst der Gegenstand des Verlangens der Seele ist, obwohl diese sich in den denkbar ungünstigsten Umständen, in einem dürren und lechzenden Lande ohne Wasser, befindet; im zweiten begegnen wir einem Verlangen, das mehr dem eines gefangenen Israeliten entspricht, der sich früher der Vorrechte der Anbetung im Hause Jehovas erfreute und nun mit schmerzlichem Verlangen an die einstigen glücklichen Zeiten zurückdenkt. Nichtsdestoweniger ist der, welcher in solcher Weise nach den Vorhöfen Jehovas schmachtet, weder diesen ein Fremder, noch dem Herrn selbst, dem dort Anbetung zuteil wird. Es war ohne Zweifel Liebe zum Herrn, was die Jünger auf dem Berg der Verklärung zu dem Vorschlag veranlasste, dort drei Hütten zu bauen. Ihr Verlangen war, dass Er dort bei und mit ihnen wohnen bleiben möchte, und so können die Wohnungen Jehovas wohl um Dessentwillen wertgehalten werden, Der darin wohnt. Wenn aber die kostbaren Vorrechte der Kinder Gottes nicht völlig verstanden werden, so können deren Gedanken der Seele sich nicht bis zu ihrem eigentlichen Mittelpunkt hin erheben.

Welch eine Erquickung muss es für das Herz Gottes sein, wenn Er sieht, wie Sein Kind so nach Ihm verlangt und so um die Verherrlichung Seines Namens besorgt ist, wie dies im 63. Psalm zum Ausdruck kommt, obwohl doch an dieser Stelle alles dem Gläubigen entgegen ist! Wenn es so mit einer Seele steht, dann erscheint das eigene Ich vollständig in den Hintergrund gerückt, und das göttliche Leben tritt hervor. Welch duftende Blüte, welch kostbare Frucht für das Auge Gottes in dieser öden, fruchtleeren Welt! Allerdings gilt das in vollkommenem Maße und zu allen Zeiten nur für Einen : Christus. Für Ihn war die Welt und selbst Israel, als Heiligtum Gottes, ein dürres, lechzendes Land und doch war und blieb Seine erste Sorge stets die Verherrlichung Seines Vaters. Er ist das herrliche, vollkommene Vorbild für alle Kinder Gottes, und wahrlich, Er ist des sorgfältigsten Studiums unter Gebet und Flehen, sowie der treuesten Nachahmung wert. Diese Welt bot Ihm nie einen Tropfen Wasser, um Seinen Durst zu stillen, nie ein grünes Blättlein, um Sein Auge daran zu erquicken. Aber kein Wort der Klage kam über Seine Lippen. Er traute auf Gott und wartete auf Ihn. Alle Seine Quellen waren droben. Immer trank Er aus frischer Quelle, aber zugleich schmachtete Er wie kein zweiter als Mensch nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Er konnte sagen in einem Sinne, der nur Ihm eigen ist: „Gott, du bist mein Gott! frühe suche ich dich. Es dürstet nach dir meine Seele, nach dir schmachtet mein Fleisch in einen dürren und lechzenden Lande ohne Wasser."

Doch ist der Christ jetzt nicht ebenso wie einst der niedrige und demütige Jesus von Nazareth willkommen in den Höfen droben? Ja, er ist es durch den Reichtum der Gnade Gottes. Der Gläubige hat teil an den Rechten und Vorrechten des Christus - er ist eins mit Ihm als dem zur Rechten Gottes erhöhten Menschen. Sollten deshalb nicht die Gedanken, das innerste Fühlen und Sinnen eines jeden Christen sich um den Einen drehen, der allein aller Anbetung würdig ist? O teurer Leser! wenn auch Du die Dürre dieser Welt fühlst, murre nicht; richte deine Gedanken nach oben, trinke aus dem nie versiegenden Brunnen, der dort in stets gleicher Frische quillt! Denke daran, dass alle deine Quellen in dem lebendigen Gott sind, in deinem Gott und Vater! Sinne mehr über die unzähligen Segnungen, deren du durch das vollendete Erlösungswerk teilhaftig geworden bist, über das innige Verhältnis, in welches du zu Gott gebracht bist! Du bist ein Kind der Familie Gottes, ein Glied des Leibes Christi, des auferstandenen und verherrlichten Menschensohnes und zugleich ein Diener in Seinem Reich. Darum suche würdig zu wandeln solch hoher, ausgezeichneter Vorrechte! Der Glaube erfasst sie schon jetzt und verwirklicht sie, die bald in der Herrlichkeit droben völlig geoffenbart werden. Und, Gott sei gepriesen! diese Beziehungen, welche die Gnade geschaffen hat, können nie wieder gelöst werden. „Die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar." Er wird nie die Gaben zurückverlangen, die Er ausgeteilt hat - weder in der Zeit noch in der Ewigkeit.

Psalm 63 zeigt uns also den Gläubigen, der nicht seine eigenen Segnungen in den Vorhöfen Jehovas sucht - so richtig das auch an und für sich sein mag - sondern der danach schmachtet, Gottes Macht und Herrlichkeit zu sehen. „Nach dir schmachtet mein Fleisch", sagt er, „gleichwie ich dich angeschaut habe im Heiligtum, um deine Macht und deine Herrlichkeit zu sehen." Ein solcher Zustand ist sehr gesegnet, besonders wenn der Gläubige sich im Heiligtum oder am Tische des Herrn befindet. Anstatt daran zu denken, dass ihm etwas Gutes zukomme, ist er nur auf die Verherrlichung Seines Namens bedacht. Gott schenke uns allen eine solche Gesinnung, besonders dann, wenn wir versammelt sind, um den Tod unseres Herrn zu verkündigen!

Wie verschieden können doch die Gedanken und Gefühle der Gläubigen sein, wenn sie um denselben Tisch versammelt sind, dasselbe Brot essen und aus demselben Kelch trinken! Ich denke dabei nicht an Gleichgültigkeit und Sorglosigkeit, rede auch nicht von zagenden, zweifelnden Seelen, welche jenen kostbaren Platz nur mit Furcht und Zittern einnehmen, in der steten Besorgnis, sie möchten sich selbst Gericht essen und trinken - nein, ich spreche von solchen, die nicht nur die völlige Gewissheit der Vergebung ihrer Sünden und ihrer Annahme bei Gott haben, sondern auch ernst und gottesfürchtig zu wandeln begehren. Kommt es nicht vor, dass selbst solche Christen mehr mit sich selbst, mit ihrer eigenen Segnung und Erquickung oder auch mit Gedanken an liebe Freunde und Geschwister im Herrn, in deren Mitte sie sich befinden, beschäftigt sind als mit der Gegenwart des Herrn? Vielleicht sind sie müde, hungrig und durstig gekommen, und ihre Gedanken und Wünsche gehen nicht über ihre eigene Segnung hinaus. Sie wissen natürlich, dass sie sich am Tisch des Herrn befinden und dass Er gegenwärtig ist; aber der Zustand ihrer Seelen ist so, dass sie nicht imstande sind, sich ausschließlich mit Ihm zu beschäftigen oder Seine Macht und Herrlichkeit so zu betrachten, wie sie im Heiligtum zur Entfaltung kommen. Ach! wenn sie gründlicher mit ihrem eigenen „Ich" gebrochen hätten und sich mehr und eingehender mit Christo beschäftigten, so würde es anders sein. Er würde als ihr Ein und Alles ihr Herz so völlig ausfüllen, dass kein Raum mehr für etwas anderes bliebe. Es käme ihnen mehr zum Bewusstsein, wie nahe sie Ihm stehen, ja, dass sie eins sind mit Ihm, dem verherrlichten Menschen im Himmel.

O welch ein einzigartiger Platz ist der Tisch des Herrn, wenn wir wirklich seine Bedeutung verstehen: Hier erinnern w i r u n s an den Jesus, der einst für uns am Kreuze war, und wir wissen zugleich, dass Er jetzt nach vollbrachtem Werk auf dem Thron Gottes droben sitzt. Die herrlichen Ergebnisse des Kreuzes und des Weilens Christi in der Herrlichkeit werden zu gleicher Zeit gesehen und gefühlt Die Liebe verliert sich in Ihm, der Jünger in seinem Herrn. Er hat nur noch Gedanken der Anbetung, nur noch Worte der Danksagung für Ihn; alles andere ist für den Augenblick vergessen.

Mein lieber Leser! Das ist Gottesdienst, wahrer, geistlicher Gottesdienst, welcher bei allen Gelegenheiten sich für die heiligen Höfe des Herrn, ja, wir dürfen heute sagen, für das Allerheiligste geziemt. Christus nimmt den rechten Platz im Herzen und in der Versammlung ein. Der Heilige Geist ist nicht betrübt und nicht gedämpft. Ist das unsere persönliche Erfahrung? Jeder Christ sollte diese Erfahrung machen. Das Blut des Opfers ist siebenmal vor und auf den Sühndeckel gesprengt worden, die Sünde ist hinweg getan; der große Hohepriester weilt im Heiligtum droben, der Heilige Geist in der Versammlung auf der Erde. Gott ist in Christo völlig befriedigt und verherrlicht worden. Alles ist für uns in Ordnung gebracht, und es bleibt uns nichts anderes übrig, als zu danken und anzubeten. „Daher, heilige Brüder, Genossen der himmlischen Berufung, betrachtet den Apostel und Hohenpriester unseres Bekenntnisses, J e s u m " (Hebräer 3,1).

Wie weit ist doch der wahre Christ seiner Stellung nach von dem natürlichen Menschen entfernt! Wie tiefgreifend unterscheiden sich beide in den Augen Gottes! Hier ist Echtheit und Aufrichtigkeit, dort eine bloße Form. Wahre Christen mögen beim Betreten des Heiligtums von unterschiedlichen Beweggründen geleitet werden, aber alle haben ewiges Leben, und, dem Wasser gleich, erhebt sich dieses Leben naturgemäß zu der Höhe seiner Quelle, d. h. zu Gott in Christo. Daher rührt auch der Durst nach dem lebendigen Gott. Sie können in einem Lande, in welchem kein Wasser ist, nicht leben; sie müssen es aus den himmlischen Quellen schöpfen, um so ihre Bedürfnisse auf der Erde stillen zu können. „Wer irgend von dem Wasser trinken wird, das ich ihm geben werde, den wird n i c h t dürsten in Ewigkeit; sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm eine Quelle Wassers werden, das ins ewige Leben quillt" (Joh. 4,14). Doch wo kein Leben aus Gott vorhanden ist, da kann es auch keinen göttlichen Beweggrund, Wunsch oder Gegenstand geben. Der natürliche Mensch kommt über seine eigene Person nicht hinaus; das eigene Ich, nicht Gott, ist sein Mittelpunkt, sein Beweggrund, sein Zweck und Ziel.

Warum aber macht sich der natürliche Mensch überhaupt die Mühe, Gottesdienste zu besuchen? Dafür gibt es mannigfaltige Gründe, auf keinen Fall jedoch geht es ihm darum, „Gott zu nahen". Seine Absicht ist es vielmehr, Gott durch seinen Besuch der Kirche oder Kapelle zu besänftigen und Ihn, wenn ich mich so ausdrücken darf, in sicherer Entfernung von sich zu halten.

In jedem natürlichen Menschen gibt es eine gewisse Furcht vor Gott. Seitdem „der Mensch und sein Weib sich vor dem Angesicht Jehovas Gottes versteckten, mitten unter die Bäume des Garten", ist das von jeher der Fall gewesen. Damals offenbarte sich diese Furcht zum ersten Male. Adam sprach: „Ich hörte deine Stimme, im Garten und fürchtete mich, denn ich bin nackt, und ich versteckte mich". Und gerade weil der natürliche Mensch sich vor Gott fürchtet, ist er gern bereit, sich der Beobachtung mehr oder minder umfangreicher religiöser Gebräuche zu unterziehen, um auf diese Weise Gott zu besänftigen oder zu befriedigen und Ihn von sich fernzuhalten. Man mag das umschreiben oder leugnen; es ändert nichts daran, dass es Tatsache ist, eine traurige Tatsache. Nimmt man beispielsweise nicht vielfach am Sonntagnachmittag an allerlei Vergnügungen und Belustigungen mit um so größerer Befriedigung teil, weil man am Sonntagmorgen seinen religiösen Pflichten genügt hat? Und warum ist das so? Weil die Vernachlässigung jener religiösen Pflichten das Gewissen beunruhigen und das Vergnügen stören würde.

Dieser traurige Zustand zeigt deutlich, wo sich eine nicht mit Gott versöhnte Seele befindet. Sie ist ohne Gott, solange sie Gott in der Person und dem Werk Jesu Christi nicht erkannt hat, wie schön auch das äußere Bekenntnis lauten mag - „ohne Gott" im Blick auf die äußeren Umstände dieses Lebens, „ohne Gott" hinsichtlich jedes Gedankens und Gefühls im Innern. Was könnte ernster sein? Die unsterbliche Seele mit ihren edlen Fähigkeiten ist ohne ihren eigentlichen Gegenstand. Solange sie in diesem Leibe ist, wird sie vielleicht durch eine trügerische Hoffnung aufrechterhalten, und der Feind hütet sich, sie zur Verzweiflung zu treiben; der Todesschlaf der Sünde passt besser zur Erreichung seiner Zwecke. Aber wie groß muss die Seelenangst, die Verzweiflung sein, wenn die Augen an jenem Ort aufgehen, wo es keine Barmherzigkeit mehr gibt, wo das furchtbare Schicksal der Seele für ewig besiegelt ist!

Schon hier auf der Erde ist der Zustand einer Seele „ohne Gott" geradezu trostlos. Sie ist ohne Heiland, und infolgedessen ohne Vergebung, ohne Frieden, ohne Ruhe. Die Güter dieses Lebens mögen im Überfluss vorhanden sein, die freundschaftlichen und gesellschaftlichen Verbindungen allen Wünschen entsprechen, ja, das Herz mag edel, der Körper wohl gebildet und der Geist reich begabt sein - 'und doch, als ein Mensch „ohne Gott" befindet sich die Seele in einem Bereich, wo es keine Befriedigung für sie gibt, nichts als Enttäuschung und trostlose Leere. Auch wenn ein Mensch sich alle Schätze der Erde zueignen könnte, es wäre doch alles Staub und nur Staub!

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Ein Wort über Menschenlob

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1903, S. 80ff

Der nachstehende, vor vielen Jahren geschriebene Brief wird vielleicht einzelnen Lesern bekannt, den meisten aber wohl noch neu sein; jedenfalls kann er allen zu gesegneter Erinnerung dienen. Die Veranlassung, weshalb er geschrieben wurde, ergibt sich aus dem Briefe selbst.

Mein lieber Freund und Bruder in Christus!

Es hat mich sehr gefreut, Ihre Übersetzung von ... zu sehen, und ich behalte mir das Vergnügen, sie zu lesen oder vielmehr, sie mir vorlesen zu lassen, für Augenblicke vor, wo der Herr zu uns sagt, wie einst zu Seinen Jüngern: „Kommet ihr selbst her... und ruhet ein wenig aus". Ich fühle mich aber gedrängt, lieber Bruder, Ihnen zu sagen, dass meine Freude an dem Erscheinen Ihrer Arbeit durch das viel zu günstige Urteil, das Sie in Ihrem Vorwort über mich abgegeben haben, einigermaßen getrübt worden ist. Bevor ich ein Wort Ihrer Übersetzung gelesen hatte, schenkte ich ein Exemplar dieses Buches einem sehr lieben und aufrichtigen Freund von mir, der mir dann berichtete, dass Sie in Ihrem Vorwort meine Frömmigkeit sehr hervorgehoben hätten. Als ich die Stelle daraufhin las, machte sie auf mich den gleichen Eindruck wie auf meinen Freund. Ich hoffe daher, dass Sie das, was ich Ihnen über diesen Punkt sagen möchte und was das Ergebnis einer langen Erfahrung ist, nicht übelnehmen werden.

Hochmut ist das größte all der Übel, die beständig auf uns lauern. Von allen unseren Feinden ist er der zäheste und der, der am langsamsten stirbt. Selbst die Kinder der Welt merken das. Frau von Stael sagte auf ihrem Sterbebett: „Wisst Ihr, was im Menschen am letzten stirbt? Es ist die Selbstliebe." Gott hasst den Hochmut vor allem anderen, weil er dem Menschen den Platz gibt, der Ihm allein gebührt, Ihm, der über alles erhaben ist. Hochmut verhindert die Gemeinschaft mit Gott und zieht Sein Gericht nach sich; denn Gott widersteht den Hochmütigen. Er wird den Namen der Hochmütigen ausrotten, und es wird uns gesagt, dass Er einen Tag bestimmt hat, an dem „der Hochmut des Menschen gebeugt und die Hoffart des Mannes erniedrigt werden wird" (Jesaja 2,17). Sie werden daher mit mir übereinstimmen, wenn ich sage, dass ein Mensch dem anderen keinen größeren Schaden zufügen kann, als wenn er ihn lobt und seinen Hochmut nährt. „Ein Mann, der seinem Nächsten schmeichelt, breitet ein Netz aus vor seine Tritte" (Spr 29,5), und „ein glatter Mund bereitet Sturz" (Sprüche 26,28). Überdies sind wir viel zu kurzsichtig, um den Grad der Frömmigkeit unseres Bruders beurteilen zu können; wir sind nicht imstande, richtig zu urteilen ohne die Waage des Heiligtums, und die befindet sich in der Hand Dessen, der die Herzen erforscht. „So urteilet nicht etwas vor der Zeit, bis der Herr kommt, welcher auch das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen und die Ratschläge der Herzen offenbaren wird; und dann wird einem jeden sein Lob werden von Gott" (1. Kor. 4,5).

Lassen Sie uns also bis dahin nicht anders als mit gebührender Zurückhaltung über unsere Brüder urteilen, sei es in Bezug auf Gutes oder Böses, und denken wir daran, dass das sicherste und beste Urteil dasjenige ist, das wir über uns selbst abgeben, wenn wir andere höher achten als uns selbst.

Wenn ich Sie fragen würde, wie Sie dazu kommen, von mir zu sagen, ich sei einer der in der christlichen Laufbahn am weitesten Vorgerückten und ein hervorragender Knecht Gottes, so würden Sie sicher um eine Antwort verlegen sein. Vielleicht würden Sie die von mir veröffentlichten Werke anführen. Aber wissen Sie denn nicht, mein lieber Freund und Bruder, der Sie ebenso gut wie ich einen erbaulichen Vortrag halten können, dass das Auge weiter sieht als die Füße gehen, und dass wir leider nicht immer das sind, was unsere Vorträge ausdrücken? Dass wir „diesen Schatz in irdenen Gefäßen haben, auf dass die Überschwänglichkeit der Kraft sei Gottes und nicht aus uns"? (2. Kor. 4,7)

Ich will Ihnen nicht die Meinung mitteilen, die ich von mir selbst habe; denn ich würde dabei wahrscheinlich die ganze Zeit meine eigene Ehre suchen und, während ich meine Ehre suche, demütig erscheinen, was ich nicht bin. Ich möchte Ihnen lieber sagen, was unser Herr von mir denkt, Er, der das Herz erforscht und die Wahrheit spricht. Er ist der Amen, der treue Zeuge, und der oft im Innersten meiner Seele zu mir geredet hat, und dafür bin ich Ihm dankbar. Glauben Sie mir, Er hat mir nie gesagt, ich sei „ein hervorragender Christ und vorgerückt in den Wegen der Gottseligkeit". Im Gegenteil, Er sagt mir sehr deutlich, dass ich, wenn ich meinen Platz verstünde, finden würde, dass es der des vornehmsten Sünders und des Geringsten aller Heiligen ist. Und, nicht wahr, Sein Urteil sollte ich doch sicher eher annehmen als das Ihrige.

Der hervorragendste Christ ist vielleicht einer, von dem man nie hat sprechen hören, irgendein armer Arbeiter oder Knecht, dessen ein und alles Christus ist und der alles für Sein Auge und nur für Sein Auge tut. Denn Er allein ist würdig, gepriesen, verehrt und angebetet zu werden. Seine Güte können wir nie genug erheben. Der Lobgesang der Erlösten (Off. 5) preist niemand als Ihn, der sie mit Seinem Blut erkauft hat. Er enthält auch nicht ein Wort des Lobes für einen einzigen aus ihrer Zahl, auch nicht ein Wort, das sie als hervorragend oder als nicht hervorragend bezeichnet. Alle Unterschiede verschwinden in ihrem gemeinsamen Namen „Erlöste", der das Glück und die Herrlichkeit der ganzen großen Menge ausmacht. Trachten wir danach, unsere Herzen in Einklang zu bringen mit diesem Lobgesang, in den wir alle einst einzustimmen hoffen. Das wird unsere Glückseligkeit schon hier auf der Erde sein, und es wird zu Gottes Verherrlichung beitragen. Seine Verherrlichung wird nur zu oft durch das Lob, das Christen einander zollen, beeinträchtigt. Wir können nicht einen zweifachen Mund haben, einen zur Verherrlichung Gottes und einen anderen zur Verherrlichung des Menschen. Möchten wir uns das Tun der Seraphim droben zum Vorbild nehmen, die mit zwei Flügeln ihre Angesichter verhüllen (als Zeichen einer gewissen Bestürzung in der heiligen Gegenwart des Herrn), mit zweien ihre Füße bedecken (als wollten sie ihre Schritte vor sich selbst verbergen) und mit zweien fliegen, um den Willen des Herrn auszuführen, während sie beständig rufen: „Heilig, heilig, heilig ist Jehova der Heerscharen, die ganze Erde ist voll seiner Herrlichkeit!" (Jesaja 6)

Erlauben Sie mir diese wenigen Worte christlicher Ermahnung. Ich bin überzeugt, dass sie Ihnen früher oder später von Nutzen sein werden, weil Sie selbst erfahren werden, wie wahr sie sind. Gedenken Sie meiner in Ihren Gebeten, wie auch ich bete, dass der Segen des Herrn auf Ihnen und Ihrer Arbeit liegen möge. Wenn Sie je eine Neuauflage des fraglichen Buches herausgeben sollten, was, wie ich hoffe, der Fall sein wird, so lassen Sie bitte die beiden Stellen aus, auf die ich Sie aufmerksam gemacht habe, und nennen Sie mich einfach „einen Bruder und Diener im Herrn". Das ist Ehre genug und bedarf keiner weiteren Beifügung ...

J. N. D.

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Lege still in Gottes Hände

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1903 S. 84ff

Leg still in Gottes Hände,

was dich bedrückt und quält,

und sag e Ihm ohne Ende

stets, wo es dir bangt und fehlt.

Ihm kannst du es treulich sagen,

Er hörte geduldig zu,

Er gibt anstatt der Klagen

dir Freudigkeit und Ruh.

Leg still in Gottes Hände

dein sturmbewegtes Herz,

dass Er zum Frieden wende

den allertiefsten Schmerz.

Er hat für viele Wunden

viel Balsam stets bereit;

nach dunklen Schmerzensstunden

gibt Er dir Seligkeit.

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Gedanken über Psalm 84

Bibelstelle: Psalm 84

Botschafter des Heils in Christo 1903, S. 85ff

Den Bedürfnissen der Seele kann nur dann entsprochen werden, wenn sie zu Gott gebracht wird. Der Herr sagte einst zu Nikodemus: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen ... Verwundere dich nicht, dass ich dir sagte: ihr müsset von neuem geboren werden." Gott allein kann die schreckliche Leere der Seele ausfüllen. Nur in Seiner Gunst ist Leben, nur in Seiner Liebe Ruhe, nur in Seiner Gegenwart Freude. „Fülle von Freuden ist vor deinem Angesicht, Lieblichkeiten in deiner Rechten immerdar." (Psalm 16,11). Wärest du ein „Lehrer in Israel", aber nicht von neuem geboren, es würde dir nichts nützen können. Niemandem in der Schrift wird ein schwereres Schicksal angekündigt als den „Sündern in Z i o n": „Die Sünder in Zion sind erschrocken, Beben hat die Ruchlosen ergriffen. ,Wer von uns kann weilen bei verzehrendem Feuer? wer von uns kann weilen bei ewigen Gluten " (Jesaja 33,14)? Das ist das furchtbare Ende, die schreckliche Ewigkeit derer, welche nicht „Söhne Gottes durch den Glauben an Christum Jesum" sind. Für immer sind Sie aus Seiner Gegenwart entfernt, an der Stätte der von Gott Verlassenen! Schreckliches Wort! Tausend Bilder mögen gebraucht werden, um die Trostlosigkeit jenes Zustandes zu beschreiben, aber ein Strich der göttlichen Feder fasst alles zusammen in das eine Wort: „verlassen". Was dieses Wort bedeutet, das sehen wir am Kreuz, in dem unbeschreiblichen Leiden Dessen, Der aus Liebe zu uns in diesen Zustand des Gottverlassenseins eintrat.

„Ohne Gott" in dieser Welt, „ohne Gott" in der kommenden, ja, dann von Gott verlassen! Mein lieber, unbekehrter Leser! lebst du in dem Gedanken, jene Zeit sei noch weit entfernt? Ach! Millionen meinen es; eine trügerische Hoffnung hält sie aufrecht, sie genießen das Leben, so gut es geht, und scheinen glücklich und zufrieden zu sein. Aber wie sieht es in ihrem Innern aus! Und inzwischen bringt sie jeder Tag dem Ziele näher. „Es ist den Menschen gesetzt, einmal zu sterben, und danach das Gericht". Die Ewigkeit naht heran, für die man sich nicht vorbereiten, der Zorn, dem man nicht entfliehen will. Kein Heiland, kein Mittler sitzt auf dem Richterstuhl. Dann wird der schreckliche Urteilsspruch ertönen: „Gehet von mir, Verfluchte, in das ewige Teuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln"! Heute lautet die freundliche Einladung: „Kommet her zu mir"! Aber man schenkt ihr keine Beachtung. Und dann? Keine flehende Bitte, kein bitteres Wehgeschrei kann den Urteilsspruch ändern. Die Zeit der Gnade ist vorüber. Der Sünder geht an seinen Platz. Verlassen von Gott, ohne Christum, ohne Heimat und Freunde, wird er in die äußere Finsternis geworfen. Sein ewiges Schicksal ist besiegelt. Es ist das schreckliche Ende der „Sünder in Zion", der toten Bekenner! Möchten doch noch viele aus dem Sündenschlafe aufwachen, ehe es für ewig zu spät ist!

„Selbst der Sperling hat ein Haus gefunden, und die Schwalbe ein Nest für sich, wo sie ihre Jungen hingelegt... deine Altäre, Jehova der Heerscharen, mein König und mein Gott" (Vers 3)!

In diesem Verse wird in rührender Weise auf die zarte Fürsorge angespielt, welche Gott für die geringsten Seiner Geschöpfe offenbart. Der Psalmist beneidet sie, während er sich in der Verbannung befindet, um ihre Vorrechte. Er sehnt sich danach, gleich ihnen in der Wohnstätte Gottes zu nisten. Der Gläubige findet seine Heimat und eine vollkommene Ruhe in den Altären Gottes, oder besser gesagt, in den großen Wahrheiten, welche sie vorstellen. Doch wird sein Vertrauen auf Gott durch die Kenntnis Seiner bis ins einzelne gehenden, allumfassenden Fürsorge erhöht und gestärkt; ja, diese ruft seine höchste Bewunderung wach. „Gott lässt", sagt so schön ein anderer Schreiber, „selbst den wertlosesten aller Vögel ein Haus finden, und den unruhigsten ein Nest. Welch ein Vertrauen sollte uns das geben! Wie sollten wir ruhen! Ja, welch selige Ruhe genießt eine Seele, die sich der immer wachen, zarten Fürsorge Dessen überlässt, der in so reichem Maße für die Bedürfnisse Seiner Geschöpfe sorgt! Wir wissen, was der Ausdruck „Nest" alles in sich einschließt, geradeso wie das Wort „ein Haus". Ist es nicht der Ort völliger Sicherheit, ein Obdach bei Sturm und Wetter, ein Bergungsort vor dem Bösen, ein Schutz gegen alles, was Schaden bringen könnte, ein Platz, um auszuruhen, sich glücklich und geborgen zu fühlen"?

Doch vergessen wir nicht: diese so hoch begünstigten Vögel kennen Den nicht, von welchem alle Freundlichkeit kommt, sie kennen weder Sein Herz noch Seine Hand. Sie erfreuen sich der reichen Vorkehrungen Seiner liebenden Fürsorge; Er denkt an alles, was sie nötig haben, aber es gibt keine Gemeinschaft zwischen ihnen und dem großen Geber. Wir können hieraus lernen. Wir dürfen uns niemals zufrieden geben mit dem bloßen Besuch solcher Stätten des Segens und der Anbetung, noch mit dem Genuss gewisser Vorrechte, die wir dort besitzen; nein, wir müssen im Geist höher streben und durch Jesum Christum, unseren Herrn, eine direkte Verbindung mit dem lebendigen Gott suchen, nach dem Genuss einer unmittelbaren Gemeinschaft mit Ihm trachten. Das Herz Davids wandte sich zu Gott selbst (Psalm 63). Auch in Psalm 84 heißt es: „Mein Herz und mein Fleisch rufen laut nach dem lebendigen Gott".

Doch zum besseren Verständnis der geistlichen Bedeutung der Altäre Gottes lasst uns einen Blick auf das Lager in der Wüste werfen.

Auf dem Wege zur Stiftshütte begegnen wir dem Sündopfer. Es wurde außerhalb des Lagers zu Asche verbrannt. Die Sünde, mit welcher das Opfertier in bildlichem Sinn beladen ward, wurde dort verzehrt. Es war das Vorbild von Christo als Dem, der Sünde nicht kannte, aber für uns zur Sünde gemacht wurde. Die ganze Frage der Sünde fand auf dem Kreuz ihre Erledigung. Dort wurde die Sünde in unserer Natur samt den vielen Sünden unseres Lebens gerichtet und verurteilt, die ganze Schuld wurde hinweggetan. Das Blut des Sündopfers wurde innerhalb des Vorhangs gebracht, und der Leib außerhalb des Lagers verbrannt. Im Hebräerbrief lesen wir in Verbindung mit diesem Opfer: „Denn von den Tieren, deren Blut für die Sünde in das Heiligtum hineingetragen wird durch den Hohenpriester, werden die Leiber außerhalb des Lagers verbrannt. Darum hat auch Jesus, auf dass er durch sein eigenes Blut das Volk heiligte, außerhalb des Tores gelitten" (Heb 13,11. 12).

Verlassen wir jetzt das Sündopfer und treten wir durch das Tor in den Vorhof der Stiftshütte. Das erste, was uns hier in die Augen fällt, ist der eherne Altar oder der Brandopferaltar, so genannt, weil auf ihm vornehmlich die G a n z - oder Brandopfer Gott dargebracht wurden. Das Brandopfer war, im Gegensatz zum Sündopfer, „ein Feueropfer lieblichen Geruchs dem Jehova". So war auch Jesus, das fleckenlose Lamm, ein lieblicher Geruch dem Jehova. Wie beim Sündopfer, so machte sich auch hier der Opfernde durch die Handauflegung mit dem Opfer eins, aber nicht um seine Sünde auf das Opfer zu übertragen, sondern um der Annehmlichkeit des Opfers vor Gott teilhaftig zu werden. Wir lesen: „Und er soll seine Hand auf den Kopf des Brandopfers legen, und es wird w o h l g e f ä l l i g f ü r i h n s e i n , um Sühnung für ihn zu tun" (3. Mo 1,4). Diese Einsmachung des Opfernden mit dem Opfer zeigt uns sehr deutlich das Einssein des Gläubigen mit Christo in Seinem Tode und in der ganzen Annehmlichkeit Seines Opfers vor Gott. Das ganze Opfer stieg als ein lieblicher Wohlgeruch zu Jehova empor. Die unendliche Heiligkeit, Gerechtigkeit und Liebe Gottes nährten sich gleichsam von dem Brandopfer: „Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, auf dass ich es wiedernehme" (Joh. 10,17).

Der Gläubige ist eins mit dem gestorbenen und auferstandenen Christus. Er ist angenommen in dem Geliebten. Wenn diese Wahrheit erfasst wird, so genießt die Seele einen unerschütterlichen Frieden mit Gott. Sie ruht sozusagen in dem Altar und ruft mit tiefer, seliger Freude: „Deine Altäre, Jehova der Heerscharen, mein König und mein Gott"! Nicht dass die Juden je besessen hätten, was wir einen unerschütterlichen Frieden nennen; „denn unmöglich kann Blut von Stieren und Böcken Sünden hinwegnehmen" (Heb. 10,4). Aber was diese Opfer nicht vermochten, das hat Christus getan. „Durch e i n Opfer hat er auf immerdar vollkommen gemacht, die geheiligt werden" (Heb. 10,14). Die geistliche Bedeutung der Vorbilder ist uns jetzt geoffenbart. „Die Finsternis vergeht", sagt Johannes, „und das wahrhaftige Licht leuchtet schon." Die Ausdrücke „Altäre", „Heiligtum", „Zelt" und „Hütte" enthalten eine Fülle von Belehrungen für den Christen und sind Vorbilder auf alles das, was mit unserer christlichen Stellung und Segnung verbunden ist; aber es ist immer besser, den Schatten vom Gegenstand her zu untersuchen, als umgekehrt den Gegenstand vom Schatten her.

Aber gibt es nicht manche Gläubige, die niemals der Hütte näher kommen als höchstens bis zum Sündopfer? Gleich dem Zöllner stehen sie von fern und rufen: „O Gott, sei mir, dem Sünder, gnädig"! Im besten Falle hoffen sie, dass ihre Sünden vergeben seien; aber Klarheit und Gewissheit haben sie nicht. Anstatt in voller Glaubensgewissheit herzuzunahen, bleiben sie draußen stehen. Die kostbare Bedeutung des Brandopfers verstehen sie nicht. Sie können nicht mit dem Apostel sagen: „Welcher unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden ist"; oder: „Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus, durch welchen wir mittelst des Glaubens auch Zugang haben zu dieser Gnade, in welcher wir stehen, und rühmen uns in der Hoffnung der Herrlichkeit Gottes"; oder: „Also ist jetzt keine Verdammnis für die, welche in Christo Jesu sind" (Röm. 4,25; 5,1. 2; 8,1). Das ist die Stellung des wahren Christen; sie gibt seinem Herzen vollkommene Ruhe, Er ist gerechtfertigt, hat Frieden mit Gott, steht in der Gnade und wartet auf die Herrlichkeit. Tod, Sünde, Satan, Gericht, Welt, Fleisch - alles liegt hinter ihm, und eine selige Zukunft, die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes, liegt vor ihm. Er „rühmt sich in der Hoffnung", nicht nur der Herrlichkeit, sondern „der Herrlichkeit G o t t e s". Es ist kein Zeichen von Demut, wenn ein Gläubiger, von fern stehend, stets zu Gott um Gnade ruft, oder wenn er sich, gleich dem Aussätzigen, außerhalb des Lagers aufhält; im Gegenteil, es ist eine Herabwürdigung des Herrn, und begeht damit ein Unrecht gegen sich selbst. Der Herr erlaubt es uns, ja, Er wünscht es, dass wir in Seinem vollbrachten Werk ruhen, an dem ehernen Altar, und dass wir Ihn anbeten in dem lieblichen Wohlgeruch des goldenen Altars.

Wir kommen jetzt zu dem ehernen Waschbecken. Es stand zwischen dem ehernen Altar und dem Eingang des Zeltes. Das Wesen oder den Körper dieses Schattens finden wir in Johannes 13. Bei der Einweihung des Priesters wurde dessen ganzer Leib in dem Becken gewaschen. Diese Waschung geschah nur einmal, sie wurde nie wiederholt. Sie ist ein Bild von der Wiedergeburt. Wir sind errettet nach Gottes Barmherzigkeit durch „die Waschung der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes" (Titus 3,5). Wir mögen mehr als einmal wiederhergestellt werden müssen, aber wir können nur einmal wiedergeboren werden.

Für jeden, der Gott nahen will, ist die Wiedergeburt die erste und durchaus unerlässliche Bedingung. Wir müssen zuerst hinsichtlich unserer Natur zurechtgebracht werden; dann erst kann von einem praktischen Wandel zur Ehre Gottes die Rede sein. „Es sei denn, dass jemand aus Wasser und Geist geboren werde, so kann er nicht in das Reich Gottes eingehen". Wir mögen die Wirksamkeit des Geistes in der neuen Natur nicht verfolgen oder erklären können, aber das braucht uns nicht in Verwirrung zu bringen oder gar mit Zweifeln zu erfüllen. Das Wort Gottes redet hierzu ganz klar. Der Mensch, welcher an Christum Jesum geglaubt hat, ist gewaschen, ganz gebadet oder gereinigt in der Wiedergeburt, und fähig, Gott zu dienen und Ihm anbetend zu nahen.

Nachdem die Priester in geziemender Weise geweiht waren, wuschen sie nur noch ihre Hände und Füße in dem Becken; dies aber taten sie, so oft sie einen Dienst zu verrichten hatten oder herzunahten, um anzubeten. Lass uns wohl darüber nachdenken, mein lieber Leser! Es ist ein Gedanke von großer praktischer Bedeutung: sooft die P r i e s t e r einen Dienst zu verrichten hatten oder herzunahten, um anzubeten, mussten sie Hände und Füße waschen. Wiedergeboren sein genügt an und für sich noch nicht zum Dienst und zur Anbetung Gottes, auch die völlige Gewissheit der Vergebung aller Sünden und der Annahme bei Gott reicht noch nicht hin; es muss persönliche Reinheit und Lauterkeit vorhanden, das Herz muss Gott geheiligt sein, sonst ist die Gemeinschaft mit Ihm unterbrochen. Heiligkeit geziemt dem Volke, dem Dienst, der Anbetung, dem Hause Gottes für immer. Zeit und Umstände ändern nichts an diesem Grundsatz: „Es soll ihnen eine ewige Satzung sein".

Bei Todesstrafe waren die Priester gehalten, immer wieder Hände und Füße in dem Wasser des Beckens zu waschen, nach der Vorschrift Gottes. S i e mochten es manchmal nicht für nötig erachten; aber sie mussten es tun. Es genügte dazu auch nicht jedes beliebige Wasser, nein, es musste Wasser aus dem ehernen Becken sein. Hier begegnen wir wiederum einer ernsten Lehre für uns, wie es denn überhaupt kaum ein anderes Vorbild gibt, in welchem soviel praktische Belehrung enthalten ist, wie gerade in dem ehernen Becken. Wir lernen hier, dass kein menschliches Hilfsmittel, keine menschlichen Meinungen oder Bemühungen, wie klug und schön sie auch alle erscheinen mögen, uns das geben können, was uns zum Dienst und zur Anbetung Gottes passend macht.

Die Hände und die Füße sind charakteristisch für unsere Werke und Wege, für unser Tun und Wandeln. Wollen wir glücklich mit Gott vorankommen, so müssen beide durch Sein Wort geprüft werden. „Wodurch wird ein Jüngling seinen Pfad reinigen? Indem er sich bewahrt nach deinem Worte" (Ps. 119,9). „Durch das Wort deiner Lippen habe idi mich bewahrt vor den Wegen des Gewalttätigen" (Ps. 17,4). Das Wort Gottes, welches durch das Licht und die Kraft des Heiligen Geistes auf Herz und Gewissen einwirkt, entspricht dem vorbildlichen Gebrauch des Waschbeckens. Es geht hier um „die Waschung mit Wasser durch das Wort". Wenn wir, obwohl einmal ganz gewaschen, ganz erneuert, erlauben, dass in unseren Handlungen und Wege Dinge vorkommen, die das Wort Gottes verurteilt, so ist es mit der Frische und Kraft unseres Charakters als Christen vorbei. Ernster, beachtenswerter Gedanke! Ach, wie oft geschieht es, dass durch kleine, nichtige Anlässe der Blick von Christo abgelenkt wird und das Sühnungsblut und das Wasser der Reinigung vergessen werden! Die Folgen sind Unterbrechung der Gemeinschaft, geistliche Schwachheit und schließlich gar Befürchtungen und Zweifel aller Art. Unter solchen Umständen schleppen wir uns nur mit Mühe durch einen Dienst, den wir vielleicht nicht willens sind öffentlich aufzugeben. Und wie manchmal mag solch ein geistliches Totsein eine höchst nachteilige Wirkung auch auf Andere ausüben!

Da die Wichtigkeit dieses Gegenstandes nicht überschätzt werden kann, sei die ganze, darauf bezügliche Stelle zitiert: „Und Jehova redete zu Mose und sprach: Mache auch ein Becken von Erz und sein Gestell von Erz zum Waschen; und setze es zwischen das Zelt der Zusammenkunft und den Altar, und tue Wasser darein. Und Aaron und seine Söhne sollen ihre Hände und ihre Füße daraus waschen. Wenn sie in das Zelt der Zusammenkunft hineingehen, sollen sie sich mit Wasser waschen, dass sie nicht sterben, oder wenn sie dem Altar nahen zum Dienst, um Jehova ein Feueropfer zu räuchern. Und sie sollen ihre Hände und ihre Füße waschen, dass sie nicht sterben; und das soll ihnen eine ewige Satzung sein, ihm und seinem Samen bei ihren Geschlechtern" (2. Mose 30,17-21).

Die Kraft und vorbildliche Bedeutung dieser ernsten Warnungen scheint ihren Ausdruck in den wenigen Worten zu finden, welche der Herr einst an Petrus richtete: „Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil mit mir". Es ist bemerkenswert, dass Er nicht sagt „kein Teil a n mir", sondern „kein Teil mit mir". Es handelt sich nicht um das Leben in Christo, sondern um die Gemeinschaft mit Ihm. Die Bedeutung des Bildes ist klar: indem wir als Bekehrte durch diese Welt der Versuchung und Sünde gehen, beflecken wir uns, und nur Christus, unser großer Hoherpriester und Sachwalter, kann uns reinigen. Doch müssen wir Ihm unsere Befleckungen offen und rückhaltlos bekennen. Wir müssen gleichsam unsere beschmutzten Füße in Seine Hände legen, damit Er sie waschen und mit dem leinenen Tuch, womit Er umgürtet ist, abtrocknen möge. Vor Ihm können wir keine Geheimnisse haben. Die Beschaffenheit unserer Füße macht offenbar, wo wir gewesen sind. Wissentlich etwas zu erlauben oder zuzulassen, was Seinem Willen entgegen ist, sei es in Gedanken, Worten oder Handlungen, verunreinigt das Gewissen, hindert die Gemeinschaft und schwächt unsere geistliche Kraft. Doch inmitten bewusster großer Schwachheit und häufigen Straucheins - auch bei sorgfältiger Wachsamkeit - lasst uns die gesegnete, ruhegebende Wahrheit nicht vergessen, dass Christus uns zur Heiligkeit (oder Heiligung) geworden ist.

Allerdings ist Er in den Himmel gegangen; aber Er denkt auch dort an uns. Die Herrlichkeit des oberen Heiligtums zieht weder Sein Herz von uns ab, noch hindert sie Ihn, uns in unseren Bedürfnissen zu bedienen. Er „hat die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben, auf dass er sie heiligte, sie reinigend durch die Waschung mit Wasser durch das Wort" (Eph. 5,25. 26). Das versieht Er jetzt, obgleich Er sich in der Herrlichkeit befindet. Die Quelle all Seines Tuns ist die Liebe. Er dient willig und gern zur Erreichung des Zweckes, den Er im Auge hat. Seine Liebe ermüdet nie, trotz all unserer Nachlässigkeit oder gar Gefühllosigkeit. Gereinigt durch Sein kostbares Blut, stehen wir da vor Gottes Angesicht, und nun ist Er unaufhörlich bemüht, uns durch das Wasser der Reinigung in Seiner Gemeinschaft und im Dienst zu erhalten. Beides, Blut und Wasser, floss, wie wir wissen, aus der durchbohrten Seite hervor. Gesegnete Früchte Seines Todes für uns!

Sollten nicht unsere täglichen Erfahrungen dazu dienen, unsere Liebe zum Herrn zu vertiefen, Ihn uns immer kostbarer und wertvoller zu machen? Sollten sie uns nicht zugleich auch zu größerer Wachsamkeit und Selbstverleugnung anspornen, auf dass wir Ihm keinen Grund zur Betrübnis geben? „Wer da sagt, dass er in ihm bleibe, ist schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie er gewandelt hat... Und jeder, der diese Hoffnung zu ihm hat, reinigt sich selbst, gleichwie e r rein ist" (1. Joh. 2,6; 3,3). Wie könnten wir unseren Weg nur eine Stunde lang ohne Ihn vorangehen? Aber wie oft ertappen wir uns bei unwürdigen Gedanken und Gefühlen, von Handlungen gar nicht zu reden! Und doch ist Er unermüdlich beschäftigt, uns rein zu erhalten, ganz rein, rein der Gegenwart Gottes gemäß und in Übereinstimmung mit den Beziehungen, zu welchen wir in Ihm gebracht sind. Er umgürtet sich zu diesem niedrigen Dienst, obgleich Er im Himmel ist; Er stellt die Gemeinschaft wieder her und gibt neue Kraft, Gott zu dienen, und zwar mittels des durch den Heiligen Geist auf uns angewandten Wortes. Wunderbare, unvergleichliche Liebe, die trotz all unserer Schwachheit und Unwürdigkeit so dienen kann. „Meine Kinder, ich schreibe euch dieses, auf dass ihr nicht sündiget; und wenn jemand gesündigt hat - wir haben einen Sachwalter bei dem Vater, Jesum Christum, den Gerechten" (1. Joh. 2,1).

Indem wir jetzt durch die Tür des Zeltes eintreten, kommen wir zu dem goldenen Altar. Es gab zwei Altäre: den „ehernen Altar" und den „goldenen Altar". Zweifellos denkt der Psalmist daran, wenn er sagt: „Deine Altäre, Jehova der Heerscharen, mein König und mein Gott"! Beide waren aus Akazienholz gefertigt - ein Bild der heiligen, vollkommenen Menschheit des Herrn Jesus. Die Menschwerdung Christi liegt Seinem ganzen Werke für uns sowie allen unseren Segnungen in Ihm zugrunde. Der eine Altar war mit Erz überzogen, der andere mit reinem Gold. Das Erz ist das Bild der göttlichen Gerechtigkeit in ihrer Ausübung der Sünde gegenüber; das Gold bezeichnet dieselbe Gerechtigkeit, aber mehr in absolutem Sinn, als das was sie in sich selbst, in Gott ist. In beiden Altären erblicken wir den Herrn Jesus, doch unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten.

Der eherne Altar weist auf den demütigen, niedrigen Jesus von Nazareth hin, wie Er sich nach Seinem eigenen, freien Willen durch den ewigen Geist Gott ohne Flecken opfert. Die Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes nähren sich, wie schon früher bemerkt, mit vollkommenem Wohlgefallen von dem Opfer, und Gnade, grenzenlose Gnade, strömt von dem Gott der Gerechtigkeit dem ersten der Sünder zu. Es ist ein lieblicher Geruch der Ruhe für Gott: „Gott ist verherrlicht in ihm". Zugleich erblicken wir hier die Grundlage der innigen Beziehungen des Gläubigen zu Gott, dem Vater, seiner Annahme bei Ihm und seiner Gemeinschaft mit Ihm.

Im goldenen Altar sehen wir den einst erniedrigten Jesus gleichsam mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt. Er ist in dem ganzen Wert und der Kostbarkeit Seiner Person und Seines Werkes droben im Heiligtum. Er lebt immerdar, um sich für uns zu verwenden. Der goldene Altar ist das Bild priesterlicher Anbetung. Der süße Wohlgeruch alles dessen, was Christus ist, wird dort dargebracht. Es handelt sich hier nicht um Vergebung, um persönliche Annahme oder Heiligung. Diese wichtigen Fragen finden, wie wir gesehen haben, anderswo ihre Beantwortung. Preis, Dank und Anbetung steigen in Verbindung mit dem goldenen Altar unablässig zu Gott empor. Unsere Gebete und Lobgesänge kommen in dem ganzen Wohlgeruch des aufsteigenden Rauchwerks vor Gott. Wenn das heilige Feuer Gottes das fein zerstoßene Rauchwerk erprobte, so fand es da nur den reichen Wohlgeruch der Kostbarkeit Christi. Nichts als Vollkommenheit ist in dem Menschen Jesus Christus zu finden. Seine Person, Sein Werk, Sein Charakter, Seine Wege - alles, alles ist ein duftender Wohlgeruch für Gott und, Sein Name sei gepriesen! wir, die Priester Gottes, die gereinigten Anbeter, dürfen nahen und in unseren Lobgesängen und Gebeten dieses Rauchwerk aufsteigen lassen, das so wohlriechend und annehmlich für das Herz Gottes ist.

Nachdem wir so einen Blick auf das geworfen haben, worauf unser herrlicher Psalm Bezug nimmt, begreifen wir, warum der Psalmist nunmehr ausruft: „Glückselig, die da wohnen in deinem Hause! Stets werden sie dich loben". Ja, solche sind in Wahrheit glückselig zu preisen und werden es immer sein. Sie sind Bewohner des Hauses Gottes, nicht nur Besucher. „Ich werde wohnen im Hanse Jehovas auf Länge der Tage". Das gilt von all denen, die auf Jesum vertrauen. Aber wenn auch die Kinder Gottes, gleich den Söhnen Aarons, alle durch Geburt Priester sind, so sind sie doch leider nicht alle geweihte Priester (vergl. 2. Mose 29); denn nur verhältnismäßig wenige kennen ihren priesterlichen Platz am goldenen Altar. Manche von ihnen sind noch im Zweifel darüber, ob alle ihre Sünden nach Wurzel und Zweig ausgetilgt sind; sie fürchten sich demgemäß herzuzunahen, geben sich ernsten Zweifeln an einer vollen Rechtfertigung und Heiligung in dem Auferstandenen hin und hoffen kaum, dass eine solche Segnung je ihr glückseliges Teil werden könne. Andere wieder, und ihre Zahl ist leider nicht gering, kennen wohl ihren gesegneten Platz und ihre reichen Vorrechte in Christo, aber sie sind nicht treu im Wandel, nicht entschieden im Selbstgericht; sie jagen nicht der Heiligung nach, ohne welche niemand den Herrn schauen wird. In beiden Fällen kann jener Seelenzustand, welcher der priesterlichen Weihung und täglichen Reinigung an dem Becken und der glücklichen Anbetung an dem goldenen Altar entspricht, weder erreicht, noch genossen werden.

Unser Text ist klar und einfach: „Stets werden sie dich loben". Zweifel, Befürchtungen, unbeantwortete Fragen, Selbstanklagen, alles das gibt es im Heiligtum nicht. Nach Gottes Gedanken müssen alle, die in Christo sind, da sein, wo Er ist; aber nicht alle, die an Christum glauben, wissen, dass sie als solche, die jetzt schon eins sind mit Ihm, auch in Ihm sind. Andere hingegen wissen es, verwirklichen es jedoch nicht. Nur dann aber können wir loben, wenn der Zustand unserer Seelen der heiligen Stätte entspricht, zu welcher wir gebracht sind. „Glückselig, die da wohnen in deinem Hause! stets werden sie dich loben". In der Nähe Gottes sind wir glücklich und haben Gemeinschaft mit Ihm durch die Kraft des Heiligen Geistes.

Mit der Betrachtung der Vorbilder des Heiligen und Allerheiligsten in ihrer Anwendung auf unsere vollkommene Segnung in Christo könnte man Bände füllen. Wenn wir am goldenen Altar anbeten, so befindet sich auf der einen Seite der Tisch mit den Schaubroten, der Tisch der Gemeinschaft. Wir werden mit dem Brot des Lebens gespeist. Der menschgewordene, gekreuzigte, auferstandene und ewig lebende Christus ist der Mittelpunkt und die Quelle unserer Gemeinschaft. Wir sind eins mit Ihm in der Auferstehung.

Auf der anderen Seite befindet sich der Leuchter aus reinem Gold, der sein siebenfältiges Licht auf die Gemeinschaft der Heiligen ergießt. Der Schaft aus reinem Golde deutet auf Ihn hin, der die Quelle alles Lichtes im Zeugnis ist, mittels der Kraft des Heiligen Geistes. Durch den zerrissenen Vorhang hindurch erblicken wir die Bundeslade. Diese bildete ehedem den großen Mittelpunkt für Israel. Nun ist das Gegenbild, Christus selbst, unser Mittelpunkt. Mit einem Wort, der Christ ist mitten in den weiten, weiten Kreis der Gnade und Herrlichkeit Gottes hineingestellt; aber nie kann, nie wird er die Grenzen dieses Kreises erblicken können.

Wahrlich, aus vollem, dankbarem Herzen dürfen wir in den Ausruf des Psalmisten einstimmen: „Glückselig, die da wohnen in deinem Hause! stets werden sie dich loben".

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Eli der Priester

Bibelstelle:

Botschafter des Heils in Christo 1903, S. 101ff

In Offenbg. 1, 5 u. 6 antworten die Erlösten auf den ihnen von Jesu Christo entbotenen Gruß mit einer Huldigung, in welcher sie anbetend aussprechen, dass Jesus sie gemacht habe zu Priestern Seinem Gott und Vater. Und Hebräer 13, 15 u. 16 belehrt uns darüber, wie die Gläubigen hier auf der Erde praktischen Priesterdienst Gott opfernd betätigen sollen. (Vergl. auch 1. Petr. 2, 1 — 10). Sie sind dazu berufen, sich als Priester Gottes zu verhalten, sind dazu in den Stand gesetzt und dafür verantwortlich; aber leider entsprechen sie nicht immer dieser Verantwortlichkeit und gleichen dann dem Priester Eli, dessen Lebensbild uns in 1. Samuel 1 —- 5 als ein ernst mahnendes und warnendes Beispiel vor Augen gestellt

wird. Es dürfte daher für uns, alle, die wir durch Gottes Gnade dem „heiligen Priestertum“ Gottes zugezählt sind, gesegnet sein, dieses Lebensbild kurz zu betrachten. Der Heilige Geist wolle uns dabei leiten!

„Bis wann willst du dich wie eine Trunkene gebärden? Tue deinen Wein von dir!“ (1. Sam. 1, 14) das sind

die ersten Worte, welche uns der Geist Gottes von diesem Manne ausgezeichnet hat; scharfe, zurechtweisende Worte, gerichtet an eine inbrünstig zu Gott betende Gläubige. Wie sehr waren sie geeignet, das Herz der Hanna, welche ihrem tiefen Kummer vor Jehova Luft machte, schmerzlich zu verletzen; umso mehr als sie aus dem Munde des Priesters Jehovas kamen! Und wie völlig unverdient waren sie! — Doch was war die Ursache, dass Eli in solch unpassender und ungeziemender Weise redete?

Hanna war vom Gebirge Ephraim gekommen, mit Elkana, ihrem Manne, welcher alljährlich nach Silo hinaufzog, um Jehova der Heerscharen anzubeten und Ihm zu opfern. (1. Sam. 1, 3). Denn dort befand sich die Bundeslade, und dort waren auch die Priester Jehovas. Hanna schüttete also am richtigen Platz und in einer Gott wohlgefälligen Weise ihren Herzenskummer vor Jehova aus (Kap. 1, 10. 11). Wir dürfen auch wohl annehmen, dass ihr Herz schmerzlich berührt war von dem Anblick der unwürdigen Vorkommnisse bei der Darbringung der Opfer (vergl. Kap. 2, 12 — 17); denn sie war eine gottesfürchtige Seele, eine treue Israelitin. Und nun flehte sie nicht nur um ein Kind, sondern um einen Sohn, damit sie ihn Jehova gebe alle Tage seines Lebens“. (Vers 11.) Sie wollte ihn nicht für sich haben, sondern er sollte ein Nasir Gottes sein, Jehova geliehen, so lange er leben würde. Elkana, ihr Mann, war ein Levit, ein Nachkomme Kehaths, und wir wissen, dass den Kehathitern einst die Sorge für „das Hochheilige“, d. h. für die Bundeslade, den Vorhang zum Allerheiligsten und die übrigen heiligen Geräte, anvertraut worden war (Vergl. 4. Mose 4, 4 —20; 1. Chron. 6, 27. 28).

Möchten wir in diesen bösen Tagen mehr in der Gesinnung Hannas und auch, gleich ihr, mehr in ernstem

Glaubensgebet erfunden werden! Nicht Menschen hatte sie ihre Herzensgefühle aufgedeckt, auch nicht dem im Tempel weilenden Priester Eli, sondern Jehova selbst. Wie hätte sie auch Vertrauen haben können zu Eli, welcher ruhend saß an einem der Türpfosten des Tempels Jehovas (Vers 9), während seine Belialssöhne, Hophni und Pinehas, schrecklichen Opferdienst taten? War es wohl an der Zeit, in beschaulicher Ruhe müßig dazusitzen?

Eli war im Tempel, an dem Platz, wo er nach Gottes Willen sein sollte; aber wie war er dort? Er saß, wie wir schon hörten, auf einem Stuhl an den Türpfosten, so dass jeder Eintretende ihn sehen konnte; und als

er Hanna lange beten sah, inbrünstig vor Gott, ohne Rücksichtnahme auf eine Beurteilung seitens Anderer, redend in ihrem Herzen (Vers 13), *) da war er schnell bereit, die vermeintliche Störung der Ordnung im Tempel zu rügen. Aber er hatte nur Hannas Mund beiobachtet, während Gott das Herz ansieht. Eli war nicht in wahrer Gemeinschaft mit Gott, wenn er auch in Seinem Tempel saß. Ja, sein Herz war so wenig nahe bei Gott, sein geistliches Urteil war so getrübt und sein Auge so sehr an den Anblick von Trunkenheit und dergleichen Dingen gewöhnt, dass er eine inbrünstig zu Gott betende Gläubige für eine Trunkene hielt und sie hart anfuhr: „Bis wann willst du dich wie eine Trunkene gebärden? Tue deinen

Wein von dir!«

Es ist eine sehr ernste Tatsache, dass nicht das äußere Sein an dem schriftgemäß richtigen Platze uns fähig macht, das Verhalten anderer Gläubiger richtig zu beurteilen, sondern nur die praktische Gemeinschaft mit Gott. Und doch hört man so oft ein hartes, Vorschnelles Urteil über Andere, durch dessen Weiterverbreitung nicht nur den davon Betroffenen, sondern auch vielen anderen Gläubigen Schaden geschieht. Wenn wir überzeugt sein dürfen, dass wir uns an dem richtigen Platz befinden, so lasst uns einerseits nicht vergessen, dass wir nur durch Gottes Gnade an dieser Stelle stehen, dass es also nicht unser Verdienst ist; und lasst uns andererseits bedenken, dass mit jeder Segnung eine Verantwortlichkeit verbunden ist, dass also unser praktischer Wandel unserem Bekenntnis entsprechen muss. Äußere Ordnung ohne innere geistliche Kraft hat wenig Wert und wird auch in den seltensten Fällen lange Bestand haben. Wer schnell bereit ist, Andere lieblos zu kritisieren, sehe wohl zu, dass er selbst nicht dem Urteil anheimfalle. Mag nicht auch heute das ruhende Sitzen an sichtbarer Stelle oft schuld sein an der harten, lieblosen Verurteilung Anderer?

Lasst uns an Eli gedenken! Wie verunehrten seine Worte das Priestertum Jehovas, wie waren sie geeignet, das Herz der gläubigen Hanna zu verwunden! Aber diese war in Wirklichkeit in Gemeinschaft mit Gott und deshalb gefeit gegen persönliches Beleidigtsein, und fähig, Eli zu antworten in Gelassenheit und Ehrerbietung, ohne Vorwurf. Hätte Eli ein durch Herzensverkehr mit Gott geübtes, zartes Gewissen gehabt, so wäre sicherlich ein tiefes Gefühl der Beschämung ob seiner Unfähigkeit zum Dienst als Priester im Tempel Jehovas die Wirkung der Antwort Hannas gewesen; aber die Heilige Schrift sagt nichts davon. Wohl berichtet sie seine schönen Worte: „Gehe hin in Frieden; und der Gott Israels gewähre deine Bitte, die du von Ihm erbeten hast!“ Eli war nicht ohne Gottesfurcht, aber Herz und Gewissen waren nicht da, wo sie hätten sein sollen. Auch wollte Gott, dass jene lieblichen Worte Hannas Ohr erreichen sollten; und sie nahm sie auf als von Gott kommend. Sie „ging ihres Weges und aß, und ihr Angesicht war nicht mehr dasselbe“ (Vers 18).

Der Name Hanna bedeutet „Gnade“, und sie hatte Gnade gefunden bei dem Gott, vor welchem sie ihr Herz ausgeschüttet hatte, wenn auch der geistliche Führer des Volkes Gottes sie nicht verstand. Kein Wunder, dass ihr Antlitz jetzt von Glück und Friede strahlte.

Hannas Glaube wurde herrlich belohnt. Bald konnte sie den von Jehova erbetenen Sohn zu Eli bringen, und diesem Jehovas Erhörung verkünden. Wäre Eli jetzt in der richtigen Stellung gewesen, so würde die Mitteilung von Hannas herrlicher Glaubenserfahrung freudigen Widerhall in seinem Herzen gefunden haben, und sein Mund hätte es frohlockend kundgetan. Aber wieder finden wir kein Wort darüber. Für Jehova war der Glaube Hannas köstlich, und wäre Eli Jehova nahe genug gewesen, so hätte er dieselben Gefühle gehabt. Aber leider war das nicht der Fall, trotzdem Eli sich immer noch im Tempel befand. Auch hier gibt es für uns eine Belehrung, einen Prüfstein. Wenn einer unserer Brüder oder eine unserer Schwestern ähnliche Erfahrungen von Gottes Treue macht wie Hanna, so dass dem Herzen lauter Dank entquillt, und unser Herz frohlockt nicht mit, so steht es gewiss nicht gut mit uns, und wir haben wohl Ursache, uns ernstlich zu prüfen, und zu untersuchen. was es ist, das unsere Herzen so kalt und gefühllos gemacht hat. Wahrlich, in unseren Tagen geistlicher Verflachung und Erkaltung, eines sorglosen Sichgehenlassens, wodurch das geistliche Urteilsvermögen wie bei Eli fast bis zur Blindheit abgeschwächt werden kann, tut ein ernstes Selbstgericht not. Elis Geistesauge war viel früher blöde geworden als seine leiblichen Augen, so dass er einerseits die gläubige Hanna einer Belialstochter gleichstellte, während er andererseits seinen ungläubigen Belialssöhnen in ihrem schrecklichem Tun nicht wehrte. So scharf sein ungerechtes Urteil über Hanna war, so schwach war die Zurechtweisung, die er seinen bösen Söhnen zu teil werden ließ. Wohl trauerte er über sie und wies sie hin auf das schreckliche Ende ihres Weges; aber er sonderte sich nicht wirklich ab von dem Bösen. Jene Zurechtweisung entschuldigte ihn deshalb auch gar nicht vor Gott, der Sein gerechtes Gericht über ihn aussprechen ließ, weil Eli wusste, dass seine Söhne sich den Fluch zuzogen, und er ihnen nicht wehrte. (Kap. 3, 13.)

Ernste Worte, die uns zum Nachdenken veranlassen sollten! Wie oft hört man gläubige Eltern ganz beruhigt sagen: »Wir haben unserem Kinde seine bösen Wege sehr ernst vorgestellt; wir haben ihm alles gesagt, was wir sagen konnten u. s. w.“ Aber ist es damit genug? Gott bestrafte Eli nicht, weil seine Söhne ungläubig waren, auch nicht, weil er ihr gottloses Tun nicht beklagt und verurteilt hätte, sondern weil er zuließ, dass sie nach wie vor Priesterdienst taten, wodurch die Opfergabe Jehovas verächtlich gemacht und Sein heiliger Name verlästert wurde. Eli wehrte seinen Söhnen nicht; er tadelte und warnte sie, aber er ließ sie da, wo sie waren; er sonderte sich nicht mit Entschiedenheit von dem Bösen ab. Die natürlichen Gefühle überwogen, oder beeinflussten doch, in schlimmer Weise die Gefühle für die Ehre und Heiligkeit Gottes.

Kann es nicht heute auch so sein? Ist es nicht zu- weilen schon so gewesen? Es gibt auch in unseren Tagen viele Kinder gläubiger Eltern, die böse, gottlose Wege gehen. Haben die Eltern ihnen gegenüber stets die nötige Entschiedenheit geoffenbart, und bewiesen, dass sie jene Wege nicht nur verurteilten, sondern auch sich und ihr Haus von denselben getrennt erhalten wollten? Wenn es sich nun gar um Kinder handelt, die an Jesum zu glauben bekennen und ihren Platz bereits unter den Gläubigen eingenommen haben, so ist die Sache noch ernster. Welch ein Schmerz und zugleich welch ein heiliger Eifer sollte sich offenbaren, um dem Bösen entgegenzutreten und es vor allen Dingen nicht an heiliger Stätte zu dulden! Wie traurig die Folgen sind, wenn auch heute die Opfergaben des Herrn in irgend einer Weise verächtlich gemacht werden, wieviel Schaden dadurch dem Volke Gottes geschieht, und welch eine Schmach auf den Namen Gottes und unseres hochgelobten Herrn gebracht wird, soll hier nicht an Beispielen dargetan werden. Aber eines ist gewiss die Lade Jehovas im Hause Dagons, und Israel, das auserwählte Volk, von den Philistern dahingestreckt, war die Folge von Israels traurigem Zustand, der in der Untreue des geistlichen Führers des Volkes und in dem sündenbefleckten Priesterdienst seiner Söhne Hophni und Pinehas gipfelte.

Selbstverständlich ruht auch heute, wenn ähnliche traurige Dinge in einer Versammlung vorkommen, die Verantwortlichkeit auf jedem Einzelnen; denn wir alle sind Priester Gottes und sind berufen, über die Heiligkeit des Hauses 108 Gottes zu wachen und alles fern zu halten, was sich nicht für das Haus unseres Gottes und den Tisch unseres Herrn geziemt. Allen denen muss schonungslos und ohne Ansehen der Person gewehrt werden, die, in der Sünde verharrend, an diesem heiligen Platze erscheinen wollen, und wenn es die eigenen Kinder wären. In letztgenanntem Falle wird es sich erweisen, ob uns die Ehre des Namens des Herrn mehr gilt als unserer Kinder Ehre, als unsere eigene Ehre. Wenn wir im Lichte sind, werden wir nicht zögern, sondern handeln. Eli handelte nicht. Er saß im Tempel. Er schonte die Ehre seiner gottlosen Söhne und wehrte ihnen nicht, Jehovas Ehre zu beschmutzen. Er war ein alter, ja, ein sehr alter Priester; aber Gott musste ihm durch Seinen Knecht sagen lassen: „Du ehrest deine Söhne mehr als mich“, und: „Die mich ehren, werde ich ehren, und die mich verachten, werden gering geachtet werden“ (Kap. 2, 29. 30) Ach! der alte Priester Jehovas war, während er im Tempel weilte, so wenig besorgt um die Ehre Gottes, dass die Sünden seiner Söhne, die sich doch vor seinen Augen zutrugen, ihm erst durch das Volk gesagt werden mussten: „Er hörte alles, was seine Söhne dem ganzen Israel taten“.

Hat sich nicht Ähnliches auch in unseren Tagen zugetragen im Blick aus einzelne Gläubige oder auch auf

ganze Versammlungen? Ist nicht oft das im eigenen Hause oder inmitten der Versammlung vorhandene Böse zuerst gesehen worden von Draussenstehenden? Aber wenn nun Eli, als er es hörte, in heiligem Eifer entbrannt wäre und, wie später Samuel in heiligem Zorn Agag in Stücke zerhieb vor Jehova, seinen Söhnen entgegengetreten wäre und sie ihrer Ehrenstellung vor den Menschen entkleidet hätte, dann würde Gott trotz allem verherrlicht worden sein. Aber er war kraftlos dem Bösen gegenüber. Obwohl er persönlich fromm und gottesfürchtig war, reinigte und trennte er sich nicht von der Sünde in seinem Hause, und so blieb Gott nur das Eine übrig, selbst einzugreifen und um Seiner Ehre willen ein schreckliches Gericht zu üben. Indes sandte Er noch zweimal Boten, die Eli das kommende Gericht ankündigen mussten; aber da war kein Aufmerken. Die ernste Botschaft blieb frucht- und wirkungslos beide Male. Erschreckender Zustand! sagen wir. Aber prüfen wir uns selbst. Gott redet auch heute durch Sein Wort zu uns und verkündet das Gericht allen denen, die, in der Sünde verharrend, ohne Selbstgericht zu üben, vor Ihn hintreten als Seine Diener und Priester. Erweckt dieses Bewusstsein tiefe Furcht in uns und heiligen Eifer beim Anblick eigener oder fremder Schuld? -—- Wenn nicht, dann gleichen wir Eli.

Fußnote:

*) O möchten alle Gläubigen ihr mehr gleichen, ob sie nun allein in der Stille mit Gott reden, oder in Gegenwart Anderer ihren Mund zum Gebet auftun! Sicher, es würde dann in den Häusern und in den Gebetsversammlungen manches anders werden.

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Nahet euch Gott

Bibelstelle: Jakobus 4,8

Botschafter des Heils 1903 S. 109ff

„Nahet euch Gott, und Er wird sich euch nahen. Säubert die Hände, ihr Sünder, und reiniget die Herzen, ihr Wankelmütigen!“ (Jak. 4, 8.)

Seitdem das Werk Christi vollbracht ist und Sein Blut den neuen und lebendigen Weg ins Heiligtum gebahnt hat, kann der Gläubige mit Freimütigkeit Gott nahen. Der Vorhang verhindert nicht mehr den Eintritt in die Gegenwart Gottes; er ist zerrissen, und Gott ist in der ganzen Herrlichkeit Seiner Gnade in Christo geoffenbart. Er will auch, dass Seine geliebten Kinder Ihm nun nahen in voller Glaubenszuversicht, mit dankbaren Herzen, als glückliche Anbeter. An die Stelle des „Nahet nicht herzu!“ des Gesetzes ist das „Nahet euch!“ der Gnade getreten; an die Stelle der Umzäunung und des Vorhangs das freie Aus- und Eingehen und der ungehinderte Verkehr mit dem Gott, der aus dem Dunkel und der Verborgenheit hervorgetreten ist und auf Grund Seiner vollkommen und für ewig befriedigten Gerechtigkeit uns nun in Liebe begegnen kann.

Unbeschreiblich groß ist das Vorrecht, welches uns auf diesem Wege zu teil geworden ist: arme, schwache, von Natur unreine Geschöpfe« dürfen verkehren mit dem ewigen, allmächtigen Gott, dürfen Ihm nahen und mit Ihm reden wie Kinder mit dem Vater! Freilich bedingt ein solcher Verkehr praktische Absonderung von allem Bösen, Heiligung in Wort und Wandel. Wie es unmöglich ist, ohne Glauben Gott wohlzugefallen, so ist es auch unmöglich, ohne Heiligung Gott zu schauen. „Glückselig die Reinen im Herzen, denn sie werden Gott schauen“ (Matth. 5, 8; vergl. auch Hebr. 12, 14). Licht und Finsternis schließen sich gegenseitig aus, so auch Heiligkeit und unheiliges, unreines Wesen. Von einem wahren Umgang mit Gott kann deshalb keine Rede sein, wenn das Herz in irgend einer Weise verunreinigt ist. Und wie leicht kann eine solche Verunreinigung stattfinden! Wie bald ist ein „Toter“ oder ein „Grab“ angerührt! (Vergl. 4. Mose 19).

Beachtest.du treulich die Ermahnung: „Wachet und betet!“ mein lieber Leser? Wachst du über deine Gedanken, deine Zunge, deine Augen, deine Hände? „Säubert die Hände, ihr Sünder, und reiniget die Herzen, ihr Wankelmütigen!“ heißt es in unserer Stelle, in unmittelbarer Verbindung mit der Aufforderung, Gott zu nahen. Mag auch der Wortlaut zeigen, dass die Ermahnung allen gilt, ob bekehrt oder unbekehrt, wie ja der ganze Brief des Jakobus an die zwölf Stämme Israels im allgemeinen. gerichtet ist, so wenden sich die Worte doch mit ganz besonderer Kraft an die, welche Gott nahe gebracht sind und nun als die Zeugen Gottes in dieser Welt unter einer besonderen Verantwortlichkeit stehen. Ach! wie könnten wir Gott nahen, wenn unsere Hände nicht sauber sind, wenn sie sich regen in irgend einer Verrichtung, einer Arbeit, auf welcher Gottes heiliges Auge nicht mit Wohlgefallen ruhen kann? wenn sie sich ausstrecken nach einem Ding, das nicht rein, nicht erlaubt, uns nicht vom Herrn gegeben ist? Säubert die Hände! Eine ernste Mahnung besonders in unseren Tagen, wo in geschäftlichen und anderen Beziehungen so manches Unsaubere sich mit Macht an die Hände hängen will; wo es der ganzen Entschiedenheit eines Gott geweihten Herzens bedarf, um sich innerlich und äußerlich von der Welt unbefleckt zu erhalten.

„Reiniget die Herzen, ihr Wankelmütigen (oder Doppelherzigen)!“ Gott schaut. hinein, tief hinein. in unsere Herzen und nimmt alle Regungen derselben wahr. O wie oft mag Er da Doppelherzigkeit und Wankelmütigkeit erblicken! — ein sich-Stützen auf Gott, verbunden mit dem Schielen nach menschlichen Hilfsquellen; den Wunsch, sich für Ihn abzusondern, vermengt mit dem Festhalten an Neigungen oder dem Hangen an Verbindungen und Beziehungen, die unheilig sind. Reiniget die Herzen! Es genügt nicht, die Hände zu säubern; nein, alles muss entfernt werden, was mit dem heiligen Licht der Gegenwart Gottes unverträglich ist. Gott hat Wohlgefallen an der Wahrheit im Innern, an einer aufrichtigen, wahren Gesinnung, an einem reinen Herzen. „Jaget der Heiligkeit nach, ohne welche niemand den Herrn schauen wird.“ „Nahet euch Gott, und Er wird sich euch nahen!“ Das ist ein unveränderlicher Grundsatz von ernstester Bedeutung, heute wie immer. So rief schon Asarja, der Sohn Odeds, dem König Asa und ganz Juda und Benjamin zu: „Jehova ist mit euch, w enn ihr mit Ihm seid. Und wenn ihr Ihn suchet, wird Er sich von euch finden lassen“. Und Maleachi musste in seinen Tagen bezeugen: „Kehret um zu mir, so will ich zu euch umkehren, spricht Jehova der Heerscharen“ (Vergl. Jer. 4, 1 u. a. St.).

Wenn wir uns Gott nahen in Aufrichtigkeit und Lauterkeit, mit gesäuberten Händen und gereinigten Herzen, so wird Er sich uns nahen. Wir werden Seine beseligende Gemeinschaft genießen und als gehorsame Kinder das Bewusstsein Seines Wohlgefallens im Herzen tragen; gerade so wie einst Henoch vor seiner Entrückung das Zeugnis hatte, dass er Gott wohl gefallen habe (Hebr. 11, 5). Und je reiner das Herz ist, desto klarer und unverhüllter wird es Gott schauen; und umgekehrt: je klarer es Gott schaut, desto reiner wird es werden. Beachten wir auch, dass die Wörter „nahet euch“, „säubert“, „reiniget“ usw. im Griechischen alle in einer besonderen Zeitform stehen, welche andeutet, dass die geforderte Sache ein für allemal geschehen sein und in ihrer Wirkung fortdauern soll. Lasst uns denn die Ermahnung beherzigen; dann wird unser Pfad sein „wie das glänzende Morgenlicht, das stets heller leuchtet bis zur Tageshöhe“ (Spr. 4, 18).

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Gedanken über Psalm 84

Bibelstelle: Psalm 84

Botschafter des Heils in Christo 1903, S. 112ff

„Glückselig der Mensch, dessen Stärke in dir ist, in deren Herzen gebahnte Wege sind" ! (V. 5). Das große Geheimnis der Stärke in den Wegen Gottes ist die volle Gewissheit Seiner Liebe. Wenn wir die Liebe verstanden haben, die Jesum für uns in den Tod gab und die den Heiligen Geist sandte, um uns in die ganze Wahrheit zu leiten, so werden wir Gott mit gläubigem Vertrauen gern die Ordnung aller unserer Angelegenheiten auf unserer Reise nach der Heimat überlassen. Das ist, wenn ich mich so ausdrücken darf, die Stärke Gottes in der Seele, und sie allein gibt dem Herzen Mut und Freudigkeit für den Weg, den Gott uns führt, mag er nun rau oder eben sein. Was anders könnte den müden Pilger auf seinem einsamen Pfade in den Stand setzen, Loblieder zu singen, was sonst den Märtyrer befähigen, auf loderndem Scheiterhaufen Gott zu verherrlichen? Wohl mag der Weg durch tiefe Wasser führen, aber es ist der Weg Gottes, der Weg zur ewigen Heimat, und - das Herz ist dabei.

Die Wünsche des erneuerten Menschen können, das wissen wir, nicht eher völlig gestillt werden, bis er in das Haus des Vaters droben eingegangen ist; doch bis zur Erreichung dieses herrlichen Ziels muss das Hauptaugenmerk dem Weg dorthin gelten. Hierüber nachzudenken, wird unseren Herzen Kraft und Mut, unseren Füßen Festigkeit und unserem ganzen Pfade Beständigkeit verleihen. Ja, lasst uns nachsinnen über die Worte: „Glückselig, die da wohnen in deinem Hause! ... Glückselig der Mensch, dessen Stärke in dir ist"! Möchten doch alle, die jetzt durch das Tränental gehen, Trost und Kraft in der gesegneten Gemeinschaft mit ihrem Gott und Vater finden! Wer könnte die Fülle des Wortes „glückselig" ausdrücken, wenn es so in Verbindung mit Gott Selbst steht? Wir dürfen auch nicht denken, dass die großen Wahrheiten dieses Psalmes, weil in ein jüdisches Gewand gekleidet, nicht in ihrer vollen, geistlichen Tragweite auf uns anwendbar seien. Gott und Seine Liebe, Christus und Sein Mitgefühl, der Heilige Geist und Sein Dienst, die Heimat und der Weg dahin - sie alle erquicken das Herz und gehören nicht irgendeiner besonderen Zeit oder einem besonderen Abschnitt der Wege Gottes an.

Gott allein ist die Stärke aller Herzen der Seinigen von Anfang bis zu Ende. Kehrt beispielsweise ein Wanderer nach langer Abwesenheit in die Heimat zurück, so wird sein Herz auf den Weg gerichtet sein, der heimwärts führt. Vielleicht ist die Straße rau und öde, vielleicht verklagt ihn sein Gewissen wegen mancher Untreue und Pflichtvergessenheit, aber der Gedanke, dass das Vaterhaus am Ende seiner weiten Reise liegt, gibt ihm Kraft für den Weg, wie groß auch die Schwierigkeiten sein mögen. Sein Herz ist bei der Sache. Der Blick auf die Liebe und Freude des Vaters lässt ihm den rauen, steilen Pfad in einem ganz anderen Lichte eben und leicht erscheinen. Der lange Weg wird kurz. Die schönen, schattigen Straßen und blumigen Pfade, die in andere Richtung führen, haben keine Anziehungskraft für ihn. Einst hatten sie es leider; aber jetzt haben sie es nicht mehr: sie führen nicht zur Heimat, zum Vaterhaus, dem Ziel seiner Sehnsucht.

Dieses Bewusstsein ist der Schild des Christen auf seinem Wege zum Himmel: ein unerschütterliches Vertrauen auf die unveränderliche Liebe seines Gottes und Vaters, mag da kommen, was will, die volle Gewissheit des Herzens, dass Er sich nicht verändert. Dieser Schild ist unverletzlich, undurchdringbar; er widersteht jedem Hieb oder Stoß. Gottes Liebe in einer Prüfung in Frage ziehen, heißt diesen Schild sinken lassen und sein Herz den feurigen Pfeilen des Bösen aussetzen. Oft mag dieser oder jener Umstand den Schein erwecken, als züchtige der Herr im Zorn; aber der Glaube erhebt sich über die Umstände und hält fest, dass alles Liebe, vollkommene Liebe ist. Doch ach! wie oft ist der furchtsame, wenngleich aufrichtige Pilger versucht gewesen, an der Liebe des Vaters in der Prüfung zu zweifeln! Und wenn er zu zweifeln begann, wie schien da mit einem Male alle Stärke für die Reise verschwunden zu sein! Es war ihm zumute, als könne er keinen Schritt mehr tun, als müsse er sich niedersetzen und bittere Tränen der Verzweiflung weinen.

„Ist das Liebe"? flüstert der Erzfeind dem armen Herzen zu. „Welchen Zweck könnte es haben, dir diese teure, nützliche und notwendige Person zu nehmen? Wer wird ihren Platz ausfüllen? Niemand auf der Erde! Und das nennst du Liebe? Du sagst, das geschehe aus Liebe zu dir"!? So redet der Lügner von Anfang, und das arme Herz ist geneigt, ihm Glauben zu schenken. - Auch der Schwache und Kranke ist in großer Gefahr. Wie leicht wird auch er, wenn die Prüfung lange währt, wenn die Schmerzen groß, die schlaflosen Nächte immer zahlreicher, die Geldmittel immer kleiner werden, zur Ungeduld und zu harten Gedanken über Gott verführt! Ja, die gottlosen Einflüsterungen, die giftigen Pfeile des Feindes dringen tief in die unbewachte Seele ein, besonders tief, wenn das Herz ohnehin schon durch Sorgen oder Enttäuschungen gedrückt ist. Nur der Schild des Glaubens vermag solche Pfeile des Unglaubens auszulöschen. Der Glaube wird immer Gott und Seine Wahrheit rechtfertigen, mag der Schlag nun schwer oder leicht zu verwinden sein. Er wird in der köstlichen Wahrheit ruhen, dass die Liebe Gottes heute noch dieselbe ist wie damals, als Er Seinen vielgeliebten Sohn dahingab, um auf Golgatha für uns zu sterben. Und einem solchen Glauben gegenüber sind alle Feinde und Versuchungen kraftlos.

Aber nicht nur in s c h w e r e n , auch in leichten Prüfungen hat der Feind nicht selten Erfolg, weil der Christ in der Regel viel weniger auf der Hut ist, wenn ihm die Versuchung nicht oder nur nebensächlich als solche erscheint. Satans Absicht ist stets, das Vertrauen des Gläubigen auf die Freundlichkeit und Liebe Gottes abzuschwächen. Der Weg zum Vaterhaus f ü h r t a u s der W e l t hinaus, und so muss er notwendig von Prüfungen, Enttäuschungen und Schwierigkeiten begleitet sein. Wenn wir im Hause Gottes wohnen, können wir, wie der Psalmist sagt, mir loben; aber auf dem Wege dahin mag es oft schwere Kämpfe zu bestehen geben. Ähnlich körnen wir, wenn wir heute in der Kraft des Heiligen Geistes unser Einssein mit Christo in der Gegenwart Gottes verwirklichen, nur loben und anbeten; aber wenn es sich um die Schwierigkeiten handelt, denen wir im Leben zu begegnen haben, gibt es vielleicht viel zu bekennen und für vieles zu beten und zu bitten.

Nehmen wir wieder ein Beispiel, und zwar einen Fall, der gar nicht selten vorkommt. Ein Mensch wird bekehrt. Er hat eine gute, einträgliche Stelle; aber kaum hat er den Pfad des Gehorsams zum Herrn betreten, so erheben sich ernste Schwierigkeiten. Bis dahin ging jahrelang alles glatt und gut; aber mit seiner Bekehrung ist eine Veränderung eingetreten. Mit einem Male wird es fraglich, ob er seine Stelle behalten kann. Er wandelt jetzt in den Wegen Gottes, Seinem Worte gemäß, und siehe da, es zeigt sich bald, das manches, was schon früher von ihm verlangt und auch unbedenklich getan wurde, nun im Lichte des Wortes Gottes Bedenken hervorruft. Vieles hat ein anderes Ansehen bekommen. Warum? Weil das Wort Gottes jetzt die einzige Richtschnur für seinen Wandel, für sein ganzes Tun und Lassen bildet. Solange er den herkömmlichen Gewohnheiten gemäß wandelte, gab es kein Kreuz, keine Leiden und Trübsale. Aber nun kommen sie; überall stößt er an und findet Widerspruch. Sein Glaube wird auf eine ernste Probe gestellt. - Ähnlich ist es, wenn ein Gläubiger durch Gottes Gnade erkennt, was Menschensatzung und fleischliche Religion ist, und dahin gebracht wird, mit der Überlieferung zu brechen und sich nur durch das Wort Gottes leiten zu lassen. Er wird sofort den Unterschied merken. Treue Entschiedenheit und rückhaltlose Unterwerfung unter Gottes Wort werden seiner Umgebung bald unbequem und schließlich unerträglich. Die Folge ist Widerspruch und offene Feindschaft. „Alle aber auch, die gottselig leben wollen in Christo Jesu, werden verfolgt werden" (2. Timotheus 3,12).

In den eben beschriebenen Formen muss das Kreuz in der heutigen Zeit oft aufgenommen werden. Der Feind benutzt das gern, um besonders den jungen Christen zu entmutigen. Es kann dahin kommen, dass der Gläubige in Not gerät, ja, dass alles gegen ihn zu sein scheint. Seine Lage wird fortgesetzt aussichtsloser und schwieriger; tiefe Dunkelheit umgibt ihn. Kein Wunder, wenn er bange zu fragen beginnt, ob er auch wohl den richtigen Pfad eingeschlagen habe, ob er wirklich unter göttlicher Leitung stehe. Selbst seine nächsten Freunde und Verwandten verstehen ihn nicht mehr; sie werfen ihm vor, er nehme es zu genau, er sei allzu wortbeflissen. Jede Stütze bricht; alle irdischen und fleischlichen Hilfsquellen schwinden und versiegen. Gott allein bleibt übrig!

Der Gläubige hat das Tränental betreten; nicht nur den Ort der Prüfung, sondern, wie der Name besagt, das Tal der Tränen. Er kommt in tiefe Seelenübungen vor Gott. Das eigene Ich wird gerichtet. Doch die Übungen der Seele, mehr noch als die Prüfung selbst, machen dieses Tal zu einer Quelle, graben die Brunnen, aus welchen ihm frische, erquickende Wasser zufließen. Der Gläubige hat entdeckt, dass der Wunsch, zur Verherrlichung Gottes zu leben, glänzende irdische Aussichten zerstören und schöne, vielversprechende Umstände in Ungemach verwandeln kann. Die Stätte der Anerkennung und des äußeren Wohlergehens hat sich in einen Platz der Demütigung und Sorge verkehrt. Die Versuchung ist schwer, die Tränen fließen. Und dennoch, ein einfältiger, kindlicher Glaube macht den ödesten Teil der Wüste zu einem Fruchtgefilde, und da, wo nichts als Enttäuschung und Trübsal zu erwarten stand, brechen reiche Segensströme hervor. Wehe aber dem Gläubigen, wenn er unter die Macht der Umstände gerät und hilfesuchend auf die Welt oder das Fleisch blickt! Dann büßt er den Frieden seines Herzens und die Freude seiner Seele völlig ein. Seine Tränen werden immer bitterer und fließen immer reichlicher; denn eine solche Prüfung genügt ohne Zweifel, den stärksten Glauben, das tapferste Herz auf die Probe zu stellen, besonders wenn die Antwort auf das heiße Flehen lange auf sich warten lässt. Aber unser Gott will, dass wir in allen Lagen allein auf Seine Liebe vertrauen und lernen, was Er für uns ist, wie schmerzlich auch der Weg sein mag.

„Durch das Tränental gehend, machen sie es zu einem Quellenort; ja, mit Segnungen bedeckt es der Frühregen" (V. 6). Das ist der Weg Gottes, uns aus der Welt herauszuführen; deshalb muss er von Prüfungen für das Fleisch begleitet sein. Satan ist der Fürst dieser Welt, wenngleich ein besiegter Fürst, und ihm und seinem Reich muss die Stirn geboten werden. Das ist nicht leicht. Die stärksten Bande, die uns mit den Kindern dieser Welt verbinden, müssen zerschnitten, oft selbst die innigsten Herzensbeziehungen abgebrochen werden. Die Bezeichnung „Tränental" hat darum ihre volle Berechtigung. Der Pfad vieler Christen ist oft lange Zeit hindurch von Tränen benetzt. Etwas weniger Treue und Entschiedenheit könnte ihn vielleicht erträglicher machen; aber jede Untreue in dieser Hinsicht hindert das gute Werk Gottes in der Seele und zerstört ihr anfängliches Glück. Der Götze des Herzens muss aufgegeben, das Herz muss völlig und rückhaltlos Christo eingeräumt werden. Vielleicht fließen dabei auf jedem Schritt Tränen; aber so ist der Weg nach Zion. Selbst der Geistlichste und Hingehendste unter dem Volk des Herrn kann den Übungen des Tales der Tränen nicht entraten.

Ich darf hier auf zwei Beispiele aus der Schrift aufmerksam machen: auf des Apostels Dorn im Fleische und auf den Trauerfall im Hause der Schwestern zu Bethanien. Der Dorn im Fleische war offenbar sehr demütigend für den großen Apostel. Dies geht aus seinen eigenen Worten an die Galater hervor: „Und meine Versuchung, die in meinem Fleische war, habt ihr nicht verachtet, noch verabscheut" (Gal. 4,14). Er muss mit einer Schwäche behaftet gewesen sein, die ihn als Prediger des Wortes Gottes verächtlich machte. Ohne Zweifel dachte er, dass ihm diese bei der Ausübung seines Dienstes sehr hinderlich sein würde; doch er musste lernen, dass das Fleisch das größte Hindernis ist, wenn es sich darum handelt, dem Herrn und Seinem Werk von wahrem Nutzen zu sein. Dreimal betete er um die Entfernung des Dorns, wie wir in 2. Kor 12 lesen: „Und auf dass ich mich nicht durch die Überschwänglichkeit der Offenbarungen überhebe, wurde mir ein Dorn für das Fleisch gegeben, ein Engel Satans, auf dass er mich mit Fäusten schlage, auf dass ich mich nicht überhebe. Für dieses flehte ich dreimal zum Herrn, auf dass er von mir abstehen möge".

Welch eine ernste, wichtige Unterweisung liegt hierin für alle Diener des Herrn! Das Fleisch ist unverbesserlich schlecht. Es wird sogar einen schlechten Gebrauch von den reinsten Gnadenerweisungen Gottes machen. Paulus hätte sich damit brüsten können, in den dritten Himmel entrückt worden zu sein, dahin, wo außer ihm niemals jemand gewesen war. Aber der Herr in Seiner unendlichen Gnade kam der Gefahr, in welcher Sein treuer Diener schwebte, dadurch zuvor, dass Er ihn demütigte. Sicherlich hätte Er der Gefahr auch auf andere Weise begegnen können, aber dies war der Weg Seiner Liebe und Weisheit. Es war eine schmerzliche Lektion für den Apostel; aber sie war nötig. Wir sehen daraus, dass das Fleisch selbst bei den hervorragendsten und treuesten Zeugen nur ein Hindernis für den Dienst ist. Wie notwendig ist es daher, täglich die alte Natur zu richten und täglich in der Gnade zu wachsen, indem man aus der Fülle des Christus zehrt!

Das Tal der Demütigung und des Kummers wurde für den Apostel die Stätte der Segnung: „Und er hat zu mir gesagt: Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht". Sobald er diese gnädigen Worte vernommen hatte, flehte er nicht länger um die Entfernung des Dorns. Nein, jetzt rühmte er sich dessen, was so schmerzlich und demütigend für ihn war: „Daher will ich am allerliebsten mich vielmehr meiner Schwachheiten rühmen, auf dass die Kraft des Christus über mir wohne". Jetzt ruhte er in der Liebe, die alles für ihn zuvor verordnet hatte, sowie in der Allgenugsamkeit des Herrn, der mit ihm war. So fand er, dass das Tal der Tränen eine Quelle reichen Segens für ihn wurde; der Frühregen von oben bedeckte es mit Segnungen. Als er in den dritten Himmel entrückt worden war, hatte er den Herrn dort gefunden, und als er wieder auf die Erde zurückkehrte, fand er denselben hochgelobten Herrn auch hier. Welch eine Nähe, welch eine vertraute Gemeinschaft mit dem Herrn! Er kannte Ihn jetzt im Himmel und auf der Erde, in der Höhe und in der Tiefe. Welch eine Erfahrung: ein Mensch in Christo wird in den dritten Himmel entrückt, und Christus ist mit einem Menschen an dem Ort, wo die Schwachheit und das Elend der Natur sich offenbaren! Nichtsdestoweniger befand sich Paulus im Tränental; aber er machte es zu einer Quelle, während Segnungen vom Himmel her es weithin bedeckten. So empfangen wir den reichsten Segen aus den Ereignissen und Umständen, die uns demütigen, uns aber auch lehren, dass es für den Herrn weder Schwierigkeiten noch Unmöglichkeiten gibt.

Auch die Schwestern in Bethanien litten unter dem Druck ihrer Not. In ihrer tiefen Bedrängnis rechneten sie auf des Herrn Liebe und Mitgefühl. Sie senden zu Ihm und lassen Ihm sagen: „Siehe, der, den du lieb hast, ist krank". Aber anstatt in Beantwortung ihrer Bitte dem heißen Wunsch ihrer Herzen zu entsprechen, scheint der Herr sich eher von ihnen abzuwenden und anderswohin zu gehen. Solches Zögern ist oft eine schwere Prüfung für den Glauben und die Geduld. Aber Er lehrte sie, Seine Zeit abzuwarten und allein auf Ihn zu harren. Wir können den Herrn nicht zur Eile anspornen.

„Als er nun hörte, dass er krank sei, blieb er noch zwei Tage an dem Orte, wo er war. Danach spricht er dann zu den Jüngern: Lasst uns wieder nach Judäa gehen". Die beiden Schwestern umfingen tiefe Wasser; sie gingen in der Tat durch ein Tränental.

Doch der Herr kann sich nicht verändern. Diese kostbare Wahrheit kannten wohl auch die beiden Schwestern. Aber ihre Gefühle waren mächtiger als ihr Glaube; ihre Herzen erlagen dem Druck der Umstände. Und so waren sie geneigt, den Herrn dafür zu tadeln, dass Er nicht unmittelbar auf ihre Bitte herbeigeeilt war. Beide sagen zu Ihm, als Er endlich kommt: „Herr, wenn du hier gewesen wärest, so wäre mein Bruder nicht gestorben". Doch es waren größere Dinge, als einen Kranken zu heilen, die jetzt Seinen Geist erfüllten. Er hätte nur einige Worte zu sprechen brauchen, geradeso wie bei anderen Gelegenheiten, und Lazarus wäre geheilt worden; aber nein, Er handelte „um der Herrlichkeit Gottes willen, auf dass der Sohn Gottes durch sie verherrlicht werde". Und als die rechte Zeit gekommen war, nahm Er in der Macht und Herrlichkeit der Auferstehung Seinen Platz auf dem Schauplatz des Todes ein. Lazarus ist tot, die Schwestern sind beraubt und trostlos, aber der Herr ist aller Not gewachsen. Die ganze Szene wird mit Seiner Herrlichkeit erfüllt. Die geöffnete Gruft, der aus ihr hervorkommende Lazarus - alles lässt Seine Herrlichkeit als Sohn Gottes widerstrahlen. Der Ruf: „Lazarus, komm heraus"! dringt in die Tiefe des Grabes, und der schlafende Staub erwacht. Welch ein Zeugnis für die ungläubigen Juden! Welch ein Tadel für den Unglauben der Martha und Maria, ja, für unser aller Unglauben in der Zeit des Leidens und der Kümmernis! Er gibt Leben, weckt den Toten auf, verherrlicht Gott und vermischt Seine Tränen mit denen der Leidtragenden. In dieser wunderbaren Szene erblicken wir die vollkommenste Entfaltung der Allmacht Gottes, aber auch die zärtlichsten Regungen menschlicher Liebe. Wie wird hier allen Bedürfnissen des Herzens entsprachen! Welch eine Fülle von Segnungen ergießt sich von oben her über alle Pilger, alt oder jung, für ihre Reise durch dieses Tal der Tränen!

Sie gehen von Kraft zu Kraft; sie erscheinen v o r Gott in Zion" (V. 7). Ja, wahrhaft gesegnet ist der Weg, ob rau oder glatt, der einem solch herrlichen Ziele zuführt, der die Pilger „vor Gott in Zion"', dem Mittelpunkt der Gnade und Herrlichkeit, erscheinen lässt. Aber ist es nicht seltsam, dass der Pilger für eine derartige Reise Kraft im Tränental, dem Ort der Selbstverleugnung, finden soll? So scheint es allerdings auf den ersten Blick; aber bei näherem Zusehen erkennen wir, dass er sie in der gleichen Art nirgendwo anders finden könnte. Wir empfangen Kraft durch den Glauben an den auferstandenen Christus und dadurch, dass wir unsere alte Natur durch Seinen Kreuzestod für gekreuzigt halten. Nicht eher wird die Kraft Gottes in uns vollbracht, als bis wir in die große Wahrheit von dem Kreuz und der Auferstehung Christi eingedrungen sind. Und diese gesegnete, obgleich das eigene Ich völlig zerbrechende Belehrungen finden wir im Tränental. „Wenn ich schwach bin", sagt der Apostel, „dann bin ich stark". Wir gehen gleichsam von Schwachheit zu Schwachheit und doch von Kraft zu Kraft; denn gerade in der gefühlten, bewussten Schwachheit liegt die Kraft.

Dies ist sorgfältig zu beachten. Es gibt wohl keine Wahrheit, die für den Lauf des Christen von größerer praktischer Bedeutung wäre, und auch keine, fürchten wir, die weniger verstanden wird. „Meine Kraft", sagt der Herr, „wird vollbracht", nicht: in meinem Apostel oder in meinem Knecht oder in meinem Jünger, sondern: „in Schwachheit". Wir müssen uns unserer Schwachheit bewusst werden und sie anerkennen, ehe wir erfahren können, was Kraft ist. Aber ach! wie lange brauchen wir, um nur ein wenig von dieser Wahrheit in uns aufzunehmen, obwohl wir einen solch gnädigen, göttlichen Lehrmeister haben!

Beachten wir wohl das große Hindernis, das einem Emporsteigen aus der niedrigsten Klasse der Schule Christi in eine höhere entgegensteht. Warum weigert sich die aus ihrem Sündenschlaf kaum erwachte Seele, dem Worte Gottes zu glauben, während sie doch unter Tränen und Seufzen danach verlangt, Seine Gedanken zu verstehen? Gerade deshalb, weil ihr das eigene Ich im Wege steht und das am Kreuz vollbrachte Werk noch nicht von ihr verstanden wird. Dem eigenen Ich und seinen Gefühlen wird mehr Beachtung und Vertrauenswürdigkeit beigemessen als dem Worte Gottes selbst. Was für ein Platz wird damit den rein menschlichen Gefühlen eingeräumt! Wie oft haben wir von solchen Menschen die Worte vernommen: „Wenn ich nur fühlen könnte, dass mir Vergebung zuteil geworden ist, dann wollte ich gern glauben". Aber das ist nichts anderes als die Sprache des eitlen, angerichteten Ichs. Es sitzt, wenngleich unbewusst, auf hohem Thron und beurteilt alles als unter ihm stehend. Man hat seine misstrauische Natur und deren Widersetzlichkeit gegen Gott noch nicht entdeckt. Und solange dies nicht der Fall ist, kann selbstverständlich von Frieden, Ruhe und freudiger Heilsgewissheit keine Rede sein. Im Gegenteil droht oft finstere Verzweiflung die Seele zu verschlingen und zwar werden die Finsternis und Verzweiflung genau im Verhältnis zu der Tiefe und Gründlichkeit des Werkes Gottes in der Seele stehen. Je tiefer und gründlicher das Werk ist desto größer ist die Not und dieser Zustand muss solange andauern, wie der Stimme des Ichs Gehör geschenkt wird. Die Mitteilung der herrlichsten, gesegnetsten Dinge, der kostbarsten Wahrheiten aus dem Schatz des Wortes Gottes, nützt nichts, bis das Ich als durch das Kreuz völlig gerichtet und verurteilt erkannt und beiseitegesetzt wird. Wie lange aber weigert es sich nachzugeben! Es will wohl Gottes Wort als wahr anerkennen; aber es wendet ein: „Es ist noch nicht wahr für mich; denn ich habe noch keine Änderung i n m i r erfahren, die mich berechtigt zu glauben, dass es für mich wahr ist". Diese Sprache klingt demütig, aber in Wahrheit beruht sie auf Stolz; das ungebrochene Ich widersteht Gott und Seinem Wort. Aber, dem Herrn sei Dank! Er überlässt die Seele nicht ihrem Schicksal. Der Kampf setzt sich fort, bis sie endlich zusammenbricht. Gott kann in diesem Punkt nicht nachgeben, die Seele muss es tun. Es mag sein, dass es erst nach vielen Tränen, Seufzern und schlaflosen Nächten geschieht; doch Gott wartet geduldig und treu, bis Seinem Worte ohne Veränderung der inneren Gefühle Glauben geschenkt wird. Und dazu muss es kommen, früher oder später. Zuweilen ist der Kampf kurz, in manchen Fällen aber währt er das ganze Leben lang. Das hängt völlig von der Einfalt des Glaubens ab; denn die so heiß begehrten Gefühle können nur durch das im Herzen aufgenommene, geschriebene Wort hervorgebracht werden. O dass wir jeden Müden überreden könnten, das Ich aufzugeben, von sich und seinen Gefühlen abzublicken und nur auf dem zuverlässigen Worte Gottes zu ruhen! Das ist der Weg, um Ruhe, Frieden und Freude zu finden und Kraft für den Dienst des Herrn zu empfangen!

Die praktische Wichtigkeit dieses Punktes kann unmöglich überschätzt werden. Tausende von wahren Gläubigen bleiben in einem Zustand der Ungewissheit, weil sie immerfort auf sich selbst anstatt auf Christum blicken oder weil sie sich mit ihren Gefühlen beschäftigen, anstatt einfach auf Sein Wort zu lauschen. Die notwendige Folge ist, dass sie nur ein schwaches Zeugnis für Christum ablegen und Ihm nur wenig dienen können; sie sind so sehr mit dem armen, unnützen Ich beschäftigt, dass sie das wirklich Nützliche und Gute aus dem Auge verlieren. Und so gewinnt der Feind einen Vorteil. Möchten wir doch stets daran denken, dass aller Segen für uns nur aus Gottes Gnade kommt, und dass er nur auf Seinem Worte ruhen kann! Dieses Wort aber kann nie wahrer und klarer werden, als es jetzt ist. Freilich lernen wir es erst nach und nach besser verstehen; aber unser Verständnis des Wortes ist die Frucht, nicht die Grundlage des Glaubens. Der Glaube beugt sich unter das Wort Gottes und besiegelt, dass Gott wahrhaftig ist. Das Eindringen in die Tiefen des Wortes, das Entdecken und Heben seiner Schätze kommt erst später.

„Dein Glaube hat dich gerettet", so lautet das einfache Wort Gottes an alle, die zu Christo kommen. Wenn wir zur Erkenntnis dessen gelangt sind, was wir als Sünder nötig haben und nun an Jesum glauben, so ist die völlige Segnung Gottes unser Teil. „Glückselig alle, die auf ihn trauen"! Der Glaube nimmt das Wort an, weil Gott es sagt, und die Gefühle kommen dann von selbst. Die im Glauben aufgenommene gute Botschaft erfüllt die Seele mit unaussprechlicher Freude. Sobald das Ich zum Schweigen gebracht ist und Gott den richtigen Platz im Herzen empfangen hat, genießt der Gläubige gewissermaßen die Freuden des Himmels selbst. Das kostbare Wort Gottes wird dort nicht wahrer sein als es hier ist. Daher sollten wir schon jetzt unsere Segnung so vollkommen kennen - (wenn auch noch nicht in der ganzen Fülle) - wie wir sie dann kennen werden, wenn wir in der Herrlichkeit gekrönt sind. Um je doch diesen glücklichen Seelenzustand genießen zu können, muss über das Ich oder das Fleisch das Todesurteil geschrieben sein, und es muss allezeit im Tod gehalten werden. Dieses notwendige Werk beginnt mit der Bekehrung und hört nicht auf, solange wir auf der Erde sind. Es gründet sich auf das Kreuz, wo Gott nicht nur unsere vielen Sünden auf Jesum legte, sondern auch „die Sünde im Fleische verurteilte" (Rom 8,3).

Wenn das Ich zusammengebrochen ist, gehen wir von Kraft zu Kraft, bis wir vor Gott in Zion erscheinen. Wir sind dann von der quälenden Knechtschaft der Beschäftigung mit uns selbst befreit. Das Herz ist glücklich in der Freiheit Christi, und wir pilgern, wenn auch unter äußerem Druck, fröhlich heimwärts, und unser tägliches Teil sind große Segnungen. „Glückselig der Mensch, dessen Stärke in dir ist, in deren Herzen gebahnte Wege sind"! - So wird uns im 6. Vers der Charakter des Heimweges dargestellt: ein Tränental, aber zu einer Quelle gemacht, ja, mit Segnungen von oben bedeckt. Der 7. Vers aber zeigt uns die kostbaren Früchte und die reichen Erfahrungen der Wüstenreise: der Gläubige geht von Kraft zu Kraft, und er erscheint vor Gott in Zion. Alle Männlichen aus den Stämmen Israels mussten dreimal im Jahr vor Gott in Jerusalem erscheinen. Gottesfürchtige Frauen, wie Hanna und Maria, scheinen auch regelmäßig dorthin gegangen zu sein, obwohl sie nicht durch das Gesetz dazu verpflichtet waren. „Dreimal im Jahre sollen alle deine Männlichen vor Jehova, deinem Gott, erscheinen an dem Ort, den er erwählen wird: am Feste der ungesäuerten Brote und am Feste der Wochen und am Feste der Laubhütten" (5. Mose 16,16).

Der Psalmist sinnt, unter der Leitung des Heiligen Geistes, in seiner Einsamkeit über diese Reisen nach. Im Geist sieht er, wie die verschiedenen Stämme hinauf pilgern, um vor Jehova anzubeten. Sein Herz, gleich dem eines jeden treuen Israeliten, verlangt danach, sich mit ihnen zu vereinigen. Sie befinden sich auf dem Wege der Segnung. In dieser Hinsicht richtet sich die geistliche Unterweisung des Psalms an den Christen sowohl wie an den Juden. Die Wege Gottes sind für die Seele immer Wege der Segnung. Zweifellos waren diese jährlichen Feste Zeiten des tiefsten Interesses für Israel. „Ich freute mich, als sie zu mir sagten: Lasset uns zum Hause Jehovas gehen! Unsere Füße werden in deinen Toren stehen, Jerusalem, ... wohin die Stämme hinaufziehen, die Stämme Jahs, ein Zeugnis für Israel, zu preisen den Namen Jehovas" (Psalm 122)! Die Scharen, welche nach Jerusalem hinaufgingen, um dort anzubeten, müssen zu Zeiten sehr groß gewesen sein. Dies geht z. B. auch aus Lukas 2,44 hervor: „Da sie aber meinten, er sei unter der Reisegesellschaft, kamen sie eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Verwandten und Bekannten". Die vielen kleinen Gesellschaften vereinigten sich zu größeren Zügen, die immer zahlreicher wurden, je mehr man sich dem herrlichen Ziel der Reise näherte.

Wie wird es da so manch herzliches Wiedersehen, aber auch manch ernste Begegnung gegeben haben! Man war jetzt weit von der Heimat entfernt; aber alle hatten ein gemeinsames Gefühl, eine gemeinsame Freude und eine gemeinsame Hoffnung. Alle waren auf dem Wege zu derselben herrlichen Stadt, zu demselben Tempel und demselben Gott. Und wie groß muss die Freude, das Entzücken gewesen sein, wenn die Pilger, ermüdet und ermattet von der langen Reise, einen ernsten Blick auf die Türme und Paläste des geliebten Zion werfen durften! „Schön ragt empor, eine Freude der ganzen Erde, der Berg Zion, an der Nordseite, die Stadt des großen Königs" (Psalm 48,2). Ähnlicher Art, nur noch höher und reiner, sind die Gefühle des Christen, die durch die hellen Strahlen seiner gesegneten Hoffnung hervorgerufen werden. Nur dürfen wir nicht vergessen, dass der Christ durch Glauben, nicht durch Schauen wandelt, obgleich es leider in vielen Gläubigen neben dem Christlichen auch noch ein gut Teil Jüdisches gibt; daher kommt es denn auch, dass so viele Gläubige dem Fühlen und Tun, samt der Neigung zu äußeren Religionssatzungen und Zeremonien, einen so großen Platz einzuräumen.

Nur durch Glauben wissen wir, dass wir Vergebung unserer Sünden haben, dass wir von Gott angenommen und völlig mit Ihm versöhnt sind. Und ohne die Kenntnis dieser drei Tatsachen kann es keine Kraft für die Reise geben, noch können wir uns Gottes nach den Reichtümern Seiner Gnade in Zion erfreuen. In Verbindung mit dem Glauben ist uns auch der Heilige Geist gegeben, der uns über alles belehrt. „Dies allein will ich von euch lernen: Habt ihr den Geist aus Gesetzeswerken empfangen, oder aus der Kunde des Glaubens" (Gal. 3,2)1 Die große Lehre vom Leben in Christo, welche der Apostel im 2. Kapitel des Galaterbriefes entwickelt, kann ebenfalls nur durch den Glauben angenommen und genossen werden. „Was ich aber jetzt lebe im Fleische, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für midi hingegeben hat" (Gal. 2,20). Alles das offenbart uns das Wort Gottes und nicht nur das Gefühl der Seele. Sicherlich werden die Gefühle dem Glauben folgen und der geglaubten Wahrheit entsprechen; Glauben und Fühlen gehen zusammen, aber der Glaube muss immer den Vorrang haben. Glaube, Erfahrung und Verwirklichung im praktischen Leben bilden gleichsam die dreifache Schnur wahren Christentums.

Gott gebe, dass wir dies mehr begreifen und unter uns praktizieren und jenes wunderbare Wort lief in unseren Herzen bewahren -.„Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt" (Phil. 4,13)! Aber noch darf ich betonen, dass wir nur durch den Glauben an den auferstandenen Christus von Kraft zu Kraft gehen können. Der auferstandene und verherrlichte Christus, der Sieger über jeden Feind, ist die Kraft des Christen für seine Reise durch diese Welt. Sein Beweggrund, Gott in Hingebung und Treue zu dienen, ist der einst so tief erniedrigte, demütige Jesus (Phil. 2), und seine Kraft für den Wandel ist der jetzt zur Rechten Gottes erhöhte Christus (Phil. 3). Das Wort: „Er hat mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben" sollte jeden Gläubigen dahin leiten, sein Herz und sein Leben Ihm ganz zu weihen. Und es ist wahrlich nicht schwer, dem Herrn unsere Herzen zu übergeben, wenn wir einmal erkannt haben, dass Er sich selbst für uns dahingegeben hat. Doch unsere Kraft auf dem Wege, von einer Stufe unserer Reise zur anderen, liegt in dem auferstandenen, triumphierenden, verherrlichten Christus.

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Die Liebe Gottes

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1903 S. 132ff

Wir müssen uns davor hüten, natürliche Liebe mit göttlicher Liebe zu verwechseln. Natürliche Liebe, obwohl sie eine von Gott dem Geschöpf verliehene Gabe ist, ist mit göttlicher Liebe nicht zu vergleichen. Während die natürliche Liebe unter dem Einfluss und den Regungen der sündigen, verderbten Natur des Menschen steht und infolgedessen unrein und oft kurzsichtig und blind erscheint, ist göttliche Liebe sowohl rein und heilig, als auch einsichtsvoll, ja, alles durchschauend. Die eine ist veränderlich, die andere unveränderlich. Die eine ist wahrhaft uneigennützig, die andere ist eigennützig und selbstsüchtig; eine Mutter liebt ihr Kind, weil es ihr Kind ist.

Gott ist Liebe, so schreibt der Apostel in 1. Johannes 4,8. Diese Wahrheit ist für den Gläubigen voll von unvermischter Süßigkeit, ein tiefer, reiner, nie endender Genuss. Was könnte die ganze Welt mit all ihren vergänglichen Dingen demgegenüber bieten? Die in Christo geoffenbarte Liebe Gottes ist keinem der Weisen dieser Welt je in Herz und Sinn gekommen. Selbst Israel, das Eigentums-Volk Gottes für diese Erde, mit dem Er so oft in Gnade und Herablassung gehandelt hat, verstand diese Liebe nicht. Der Sohn, der eine geliebte Erbe, kam in ihre Mitte, aber sie warfen Ihn zum Weinberg hinaus und töteten Ihn.

Schon im Alten Testament lesen wir im Blick auf Israel: „Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt" (Jeremia 31,3); und zu Jakob spricht Gott: „Weil du teuer, wertvoll bist in meinen Augen, und ich dich lieb habe, so werde ich Menschen hingeben an deiner Statt und Völkerschaften anstatt deines Lebens" (Jesaja 43,4). Ferner hören wir Jehova in Hosea 11,1-4 sagen: „Als Israel jung war, da liebte ich es" ... , und „mit Menschenbanden zog ich sie, mit Seilen der Liebe". Das alles zeugt von jener ewigen, unveränderlichen Liebe, die schon lange tätig war, ehe sie im Sohne dargestellt wurde. Aber Israel hat diese Liebe, wie gesagt, nicht verstanden, weder in seinen ersten Tagen noch in seinen letzten. Derselbe Mund, der in Jesaja 1,3 klagt: „Ein Ochse kennt seinen Besitzer, und ein Esel die Krippe seines Herrn; Israel hat keine Erkenntnis, mein Volk hat kein Verständnis", öffnet sich in Lukas 19,42 zu dem Schmerzensruf: „Wenn auch du erkannt hättest, und selbst an diesem deinem Tage, was zu deinem Frieden dient! Jetzt aber ist es vor deinen Augen verborgen".

Ach, so ist es zu allen Zeiten gewesen. Der Mensch hat die Liebe Gottes, in welcher Weise sie auch an ihn herantreten mochte, nie erkannt, nie verstanden. Sein Herz blieb kalt und unberührt. Und doch wie wunderbar! sie zieht sich wie ein goldener Faden vom ersten Blatt der Bibel bis zum letzten hindurch. Weder der Lauf der Zeitalter, noch der Hass des Menschen, weder die Schrecken des Todes, noch die Macht des Scheols vermochten diese Liebe Gottes zu verändern oder zu vernichten. Sie hat ihren Ursprung in Gott Selbst und ist gleich Ihm ewig, unveränderlich.

Die bekannten Abschnitte des Neuen Testaments, die von dieser Liebe reden, wie Epheser 1; Kolosser 1; Petrus 1,2. 20 und andere, liefern uns den klaren Beweis von der Wahrheit des eben Gesagten. Gottes Liebe war schon tätig, ehe der Grund der Welten gelegt wurde. Ihre Breite und Länge, ihre Höhe und Tiefe misst kein Menschenverstand aus. Sie ist unergründlich, unermesslich, ohne Schranken und Grenzen. Sie übersteigt jede Erkenntnis (Epheser 3,18. 19). Diese Liebe ist wie ein Meer, das wir nicht in das kleine, enge Gefäß unseres Herzens fassen können, in dem wir uns aber immer wieder baden und erfreuen dürfen. Möchten wir sie reichlicher genießen und verstehen lernen durch einen treuen in Gottes Gemeinschaft geführten Wandel! Stellen wie Johannes 14,15 und 21 würden sich dann tiefer in unsere Herzen einprägen und zum Preise Seines Namens verwirklicht werden: „Wenn ihr mich liebet, so haltet meine Gebote", und „wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt". Am herrlichsten erweist sich dieser „überschwängliche Reichtum der Liebe Gottes an unreinen, verderbten Sündern, an solchen, die tot waren in Vergehungen und Sünden, oder, wie eine andere Stelle bezeugt, an Gottlosen (vergl. Epheser 2,1 und Rom 5,6-8). Und dieselbe Liebe werden wir in alle Ewigkeit genießen, ohne ihre Fülle je zu erschöpfen; und voll Bewunderung werden wir Den anbeten, durch Den sie uns gebracht und geoffenbart wurde.

Wie nun diese göttliche Liebe auf dem Kreuze so herrlich strahlte zur Errettung des armen, verlorenen Sünders (Psalm 85,10 ist erfüllt), und dieser in ihr eine Quelle ewigen Heils und ewiger Rettung findet, so darf der Gläubige die göttliche Liebe auch auf dem Pfade seiner Fremdlingschaft reichlich erfahren. Die Erfahrungen der geliebten Kinder Gottes liefern uns unzählige Beispiele von dieser Liebe. Sie geht ihnen gleich einem beständigen Begleiter auf Schritt und Tritt ihres Weges voraus und nach, und es ist köstlich für uns, zuweilen in stiller Betrachtung ein wenig stehenzubleiben und zurückzublicken. Unwillkürlich drängen sich dann die Worte des Dichters auf die Lippen:

„O wie viele Liebsbeweise

ermuntern uns zu Deinem Preise,

wie meinst Du's doch mit uns so gut"!

Freilich sind wir auch hierin oft blind oder doch kurzsichtig. Wir verstehen nicht immer die Wege und Gedanken des Vaters; wir gleichen oft unwissenden und unverständigen Kindern, die sich erlauben, die Erziehungsweise ihres Vaters zu bemängeln. Aber wie gut! Er verfolgt dennoch Seine Wege, bis er Seine Liebesabsichten mit uns erreicht hat und der zugedachte Segen von uns genossen werden kann. Am schwersten erkennen wir die Liebe Gottes, wenn sie uns in die Tiefen der Leiden und Schwierigkeiten führt. Aber auch hierin macht sie keinen Fehler. Würden wir solches mehr im Auge behalten, dann könnten wir mit glücklicherem Herzen, als es gewöhnlich der Fall ist, durch die Leiden dieser Zeit gehen. Wie oft mag z. B. unser Herzenszustand nach unserem eigenen Ermessen und nach dem Urteil Anderer ein guter sein, während der Herr ganz anders von uns denkt! Er kennt alle jene verborgenen Dinge, wie Eigenwille, Selbstsucht, Hochmut und dergleichen, die uns hindern, Seine volle Gemeinschaft zu genießen. Ja, Er durchschaut die Tiefen unserer „arglistigen Herzen", die bei allem äußeren Schein von Frömmigkeit in mancherlei verkehrte Dinge verstrickt sein können. Und deshalb Sein Züchtigen, Schmelzen und Reinigen.

Mit Seiner Liebe geht Hand in Hand Seine Gerechtigkeit und Treue. Gottes Regierung ändert sich auch hinsichtlich Seiner Kinder nicht. Damit soll nun keineswegs gesagt sein, dass jedes Leiden zur Voraussetzung habe, dass ein böser Zustand vorliegt. Durchaus nicht! Aber wenn wir ehrlich sein wollen, müssen wir doch bekennen, dass es oft so ist. Nur müssen wir sehr vorsichtig sein in der Anwendung des Gesagten auf Andere. Sich selbst beurteilen ist auch hier der beste Grundsatz. Es gibt oft Gläubige, die in ihrem Wandel sehr träge, lässig und der Welt gleichförmig sind, und dennoch schweigt der Herr lange. Er gibt ihnen ein scheinbares Gelingen (ein äußeres Vorwärtskommen kann deshalb lange nicht immer als ein Beweis Seiner Anerkennung betrachtet werden), bis Er endlich tief eingreift, während Er treue, hingebende Knechte durch viele Leiden und Trübsale führt. Es sind eben Gottes Wege, bei denen Er Sich nichts vorschreiben lässt. Aber am Ende wird doch alles herrlich ausschlagen zu Seinem ewigen Preise.

Paulus, dieser treue Apostel des Herrn, hatte einen empfindlichen Dorn im Fleische; Timotheus übte seinen Dienst aus unter den Beschwerden eines schwachen Magens. Epaphroditus kam dem Tode nahe, und Trophimus blieb krank in Milet zurück. Dies alles zeigt, dass auch treue Kinder Gottes von den Leiden dieser Zeit nicht verschont bleiben. Die Absicht des Herrn ist, Sich durch alles dieses zu verherrlichen und uns mehr in den Genuss der Liebe Gottes einzuführen. - Auch der Tod des Lazarus und das Blindsein jenes Armen in Johannes 9 sollten nur zur Verherrlichung Gottes dienen. Wir lesen im ersten Falle besonders „Jesus aber liebte die Martha und ihre Schwester und den Lazarus" (Johannes 11,4. 5).

Gebe Gott Gnade, dass wir uns in aller Unterwürfigkeit und Willenlosigkeit Seine Wege gefallen lassen und ihnen nichts anderes entnehmen als nur Seine unveränderliche Liebe, in der Er stets mit uns beschäftigt ist, damit wir Seiner Heiligkeit teilhaftig werden. Er trägt die Seinen wie auf Adlersflügeln, bis sie alle das Vaterhaus erreicht haben. Wir können also getrost singen:

Dein Lieben ist ohn gleichen

und wird nie von uns weichen,

trotz Satans Macht und List.

Wir dürfen aufwärts schauen

und rufen voll Vertrauen:

Genug, dass Du die Liebe bist!

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Das Wohnen Gottes bei den Menschen

Bibelstelle: Offenbarung 21,1 - 8

Botschafter des Heils 1903 S. 137ff

In den ersten acht Versen des 21. Kapitels der Offenbarung wird uns das Ende aller Dinge, der ewige Zustand, geschildert. Dieser Zustand beginnt, wenn das Mittlerwerk Christi, selbst als König in der Unterwerfung aller Dinge unter Seine Herrschaft, vollendet ist und Er das Reich übergeben hat, damit „Gott alles in allem sei“. (Vergl. 1. Kor. 15, 28.) Das Endergebnis aller Wege Gottes ist dann ans Licht getreten: ein neuer Himmel und eine neue Erde sind da. Das Erste ist vergangen; alles ist gesegnet in der Gegenwart Gottes, und die Erlösten genießen ihre Segnungen in nie endender Herrlichkeit. Der ganze Abschnitt zeigt uns in besonderer Weise, wie es von jeher Gottes Gedanke und Ratschluss war, bei dem Menschen zu wohnen. Diese Wahrheit findet man nicht überall in der Schrift; aber wenn Gottes Wege ans Licht gestellt werden, und vor allem auch Seine Heiligkeit, (wie es in den Psalmen heißt: „Deinem Hause geziemt Heiligkeit, Jehova, auf Länge der Tage“), dann wird uns auch der Vorsatz Gottes mitgeteilt, die Menschen zu Seiner Wohnstätte zu machen, und wir begegnen der endlichen wunderbaren Entfaltung der Güte und Liebe Gottes.

„Und ich hörte eine laute Stimme aus dem Himmel sagen: Siehe, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden Sein Volk sein, und Gott selbst wird bei ihnen sein, ihr Gott. Und Er wird jede Träne von ihren Augen abwischen“ (V. 2 — 4). Die Sprache ist ohne Zweifel bildlich; aber was vor unseren Blicken steht, ist die volle Wirkung, das gesegnete Ergebnis des Wirkens Gottes in der Entfernung von allem und jedem, was Schmerz und Pein bereiten könnte. Und nicht nur wird uns gesagt, dass die Tränen abgewischt werden sollen; nein, mehr, weit mehr als das wird geschehen: Gott selbst wird sie abwischen. Diese Worte weisen uns aus das innige Mitgefühl hin, welches die Entfernung alles Schmerzlichen verursacht, und das ist mehr als die bloße Tatsache, dass der Schmerz verschwunden sein wird. Es ist Gott, der alles entfernt. Nicht nur ist jedes Schmerzgefühl dann für ewig vorüber, das Böse auf immerdar verschwunden, sondern Gott selbst hat beides von den Herzen weggenommen. „Und der Tod wird nicht mehr sein, noch Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein.“ Gott hat das Böse hinweggetan, und es wird nimmer wiederkehren. Völlige Sicherheit, vollkommene Segnung ist da für ewig. Mit dem Bösen sind alle jene Dinge verschwunden, welche dazu dienen mussten, den Menschen zu dem Punkte oder auf den Boden zu bringen, wo er Gott begegnen konnte. Die Liebe Gottes nimmt den Platz von allem ein, und indem sie alles mit Ihm erfüllt, „schließt sie die Möglichkeit aus, dass das Böse je wieder eindringen könnte. Das Ganze ist, wie wir wissen, das Gegenstück von dem einstigen Paradiese des Menschen.

Im 6. und 7. Verse finden wir dann zwei wichtige Grundsätze: „Ich will dem Dürstenden aus der Quelle des Wassers des Lebens geben umsonst. Wer überwindet, wird dieses ererben, und ich werde ihm Gott sein, und er wird mir Sohn sein.“ Wir hören also von einem Dürstenden und von einem Überwinder. Das sind die beiden Weisen, in welchen der Geist wirkt, und Gott antwortet stets aus die Wirkungen des Geistes. Wo irgend der Geist Wünsche und Bedürfnisse in einer Seele weckt (zuerst vielleicht nach Vergebung und Heiligung, darauf nach Gemeinschaft mit Gott und Freude in Gott), werden diese Bedürfnisse alle in Gott befriedigt. Darum heißt es: „Ich will dem Dürstenden aus der Quelle des Wassers des Lebens geben“. Beachten wir, dass hier nicht nur das „Wasser des Lebens“ verheißen wird, sondern Gott will dem Dürstenden „aus der Quelle“ geben, die in Seiner Gegenwart sprudelt. Welch ein Gedanke! Die Seele wird völlig gesättigt durch die Quelle des Segens, nach welcher sie dürstet, d. h. durch Gott selbst, den zu genießen sie fähig gemacht ist. Sie ist an der Quelle.

In dem zweiten Grundsatz: „Wer überwindet, wird dieses ererben“, handelt es sich nicht um die Befriedigung von Bedürfnissen, sondern um die Überwindung von Schwierigkeiten. Im Blick auf den Herrn Jesum selbst heißt es: „Wer überwindet, dem werde ich geben, mit mir auf meinem Throne zu sitzen, wie auch ich überwunden und mich mit meinem Vater gesetzt habe auf Seinen Thron“ (Offbg. 3, 21.) Und hier wird gesagt: „Wer überwindet, wird dieses ererben« (als verbunden mit Christo), „und ich werde ihm Gott sein, und er wird mir Sohn sein“. Der Überwinder kommt also in unmittelbare Verbindung mit Gott. In dem einen Falle finden wir somit die Befriedigung geistlicher Bedürfnisse, in dem anderen die Beziehung, in welcher wir zu Gott stehen. Dass ist wenigstens der allgemeine Gedanke.

Wir begegnen hier also dem Zustand und der Stellung der Erlösten in der Ewigkeit. Doch es gibt noch einen anderen Punkt, den wir berühren müssen, und das ist das persönliche Glück, welches in jenem Zustand genossen wird.. Es gibt keinen Mittler mehr, es ist auch keiner mehr nötig. Ebenso wenig ist noch ein Bedürfnis für Gnade und Barmherzigkeit vorhanden zur rechtzeitigen Hilfe am Tage der Bedrängnis. Alles das ist vorüber. Das Erste ist vergangen, alles ist neu geworden.

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Gedanken über Psalm 84

Bibelstelle: Psalm 84

Botschafter des Heils in Christo 1903, S. 141ff

Der Christ erlangt jede Segnung - sei es Kraft für die Reise, sei es Freude in Gott im himmlischen Zion - durch den Glauben. Das ist der wichtige Grundsatz, der in der ganzen Geschichte des Gläubigen auf dieser Erde, in all seinem Tun und Lassen, zur Darstellung kommt. Durch Glauben geht er von Kraft zu Kraft, durch Glauben tritt er mittels der Kraft des Heiligen Geistes in die Fülle der Gnade ein. Zion ist das Symbol der königlichen Gnade, d. h. der Gnade, wie sie im Königtum zum Ausdruck kommt (vergl. 2.Sam. 5). So richtet sich der geistliche Zustand eines Christen nach der Einfalt und Wirklichkeit seines Glaubens. Der Glaube dringt in alles ein, er ordnet und regelt alles, er drückt allem seinen Charakter auf. „Alles aber, was nicht aus Glauben ist, ist Sünde" (Römer 14,23). Wenn diese wichtige Wahrheit gebührend in Betracht gezogen wird, so wird sie dem Christen auf seinem Wege häufig ein Halt zurufen. Es kommen Zeiten, wo er für den Augenblick kein Wort der Anweisung, keinen göttlichen Wegweiser hat. Was soll er tun? Soll er ohne Weisung handeln? Sicherlich nicht. Das würde der Handlungsweise seines Herrn nicht entsprechen, der immer wartete, bis das Wort des Vaters an Ihn erging. „Es steht geschrieben: „Nicht von Brot allein soll der Mensch leben, sondern von j e d e m Worte, das durch den Mund Gottes ausgeht" Mt. 4,4). Das entscheidende Wort war noch nicht ausgegangen, und so wollte der Heiland auch nicht essen. Die Versuchung des Teufels wurde abgewiesen. Was müssen Seine Jünger in einem ähnlichen Fall tun? Stillstehen und warten. Es ist oft sehr gut und heilsam für die Seele, stillstehen zu müssen. Die Natur wird dann in die ihr gebührenden Schranken gewiesen. Wer ohne eine Weisung von oben handelt, geht von Schwachheit zu Schwachheit statt von Kraft zu Kraft und verliert zugleich das Bewusstsein von der Gnade, der königlichen Gnade, völlig. Wer aber auf Gott warten muss, wird ins Selbstgericht geführt: das Auge wird einfältig, der ganze Leib Licht, und dann zieht der Gläubige seine Straße mit Freuden.

Der eben erwähnte Grundsatz, dass der Glaube der Kanal ist, durch welchen dem Christen jede Segnung zufließt, ist bedeutsam; er ist nicht nur auf die Rechtfertigung des Gläubigen anwendbar, sondern auch auf seinen Wandel, mag es sich nun um geistliche oder irdische Gesichtspunkte handeln. Ja, er ist von so hervorragend praktischer Bedeutung, dass im 11. Kapitel des Hebräerbriefes bestimmt und deutlich gesagt wird -.„Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott wohlzugefallen". Jenes ganze, uns allen so wohlbekannte Kapitel ist eine bildliche Erläuterung und Bestätigung des in Rede stehenden Grundsatzes, wenn auch die Glaubenszeugen sämtlich dem Alten Testament entnommen sind. Durch Glauben erlangten die Alten ein Zeugnis.

Doch warum soll man diesen Punkt so nachdrücklich betonen? Glauben denn nicht alle Christen dem, was die Schrift sagt? Insoweit gewiss, und von Christen reden wir. Es geht nicht um Rationalisten, sondern um wahre Christen, die an die wörtliche Eingebung der Schrift glauben, an die Worte, die der Heilige Geist lehrt (1. Korinther 2,13). Dennoch tritt bei vielen von ihnen ein Umstand in Erscheinung, den wir vielleicht praktischen Unglauben nennen können. Wie können wir im steten Licht des Vaterantlitzes Gottes wandeln? Nur durch den unbedingten, nicht wankenden noch zweifelnden Glauben an Gottes Wort. Nur so ehren wir unseren hochgelobten Herrn in Seiner Person und Seinem Werk, nur so können wir in der Kraft eines nicht betrübten Geistes leben und handeln. Wahrlich, dies ist von größter Wichtigkeit und kann nicht nachdrücklich genug betont werden. Woher kommen alle jene Zweifel, Unsicherheiten und Verlegenheiten, die den Lauf mancher Christen von Anfang bis zu Ende begleiten? Nicht durch den praktischen Unglauben, der noch im Herzen versteckt liegt? Und sind nicht alle diese Mängel unwürdig für einen Christen, der in ein so nahes, inniges Verhältnis zu Gott, in das Verhältnis eines Kindes zum Vater gebracht ist?

Ist nicht die Wahrheit Gottes bestimmt und unveränderlich? Warum sollte denn das, was wir Glauben nennen, unbestimmt, ungewiss und schwankend sein? Freilich verlangt das Wort Gottes ein geduldiges Erforschen unter Gebet und Flehen in Abhängigkeit von dem Heiligen Geist, und es mag lange dauern, bis wir tiefer in die Schriften eingedrungen sind, wenn wir sie überhaupt je auf dieser Erde verstehen lernen. Die Wahrheit ist sicher in klarer Weise geoffenbart, aber sie tritt selbst für den geistlich Gesinnten deswegen doch nicht immer auf den ersten Blick klar und offen zutage. „Wir erkennen stückweise, und wir prophezeien stückweise". Aber sollte uns unsere Unwissenheit, unser schwaches Verstehen der Wahrheit davon abhalten, ihr zu glauben? Wenn die Gnade in der Seele wirkt, so erhebt sich der Glaube über alle Schwierigkeiten und ergreift die Wahrheit, gerade weil Gott sie geoffenbart hat, und empfängt auf diesem Wege reichen Segen. Wir erweisen der Wahrheit Gottes wahrlich wenig Ehre, wenn wir uns sträuben, sie in aller Einfalt und mit ganzem Herzen anzunehmen, nur weil wir sie nicht verstehen können. Hierin zeigt sich unsere Torheit und unser Stolz; doch nichtsdestoweniger bleibt es wahr: „Wenn jemand seinen Willen tun will, so wird er von der Lehre wissen, ob sie aus Gott ist" (Joh. 7,17). Wenn wir von dem Wunsch beseelt sind, Christi Willen und nicht unseren eigenen zu verwirklichen, so werden wir sichere, wenn auch nicht immer schnelle Fortschritte machen.

„Wenn ich die Wahrheit sage", antwortete einst unser geliebter Herr den Juden, „warum glaubet ihr mir nicht"? Es handelte sich also gar nicht um die Frage, ob sie das, was Er sagte, verstanden, sondern darum, ob es die Wahrheit war. Glaube ist demnach das unweigerliche, nicht zweifelnde Fürwahrnnehmen dessen, was Gott uns in Seinem Wort mitteilt. Doch haben wir nicht oft bei der Ausübung des Selbstgerichts die Bemerkung gemacht, dass uns der unbedingte Glaube an gewisse große Wahrheiten des Wortes Gottes abging, weil wir sie nicht verstanden, oder, wie wir uns häufig ausdrücken, weil wir sie nicht verwirklichen konnten? Doch was ist dies in Wahrheit? Es ist Unglaube. Ein einfältiger Glaube nimmt Gottes Wort als unbedingt wahr an, mag er es verstehen und verwirklichen können oder nicht.

In der Überzeugung, dass es dem einen und anderen unserer Leser dienlich sein könnte, soll versucht werden, das an Hand einiger Schriftstellen näher zu erläutern. Zitiert sei zunächst die wohlbekannte Stelle in 1. Joh. 1: „Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, reinigt uns von aller Sünde". Das ist eine der allerersten Wahrheiten, die ein geistlich aufgewachter Mensch lernen muss, wenn sein Weg in der richtigen Weise beginnen soll. Aber wie wenig dringen oft selbst solche, die schon seit langen Jahren bekehrt sind, in diese große Wahrheit ein, obwohl das doch sehr einfach ist. Und was ist die Folge, wenn diese Wahrheit in einfältigem Glauben angenommen wird? Die völlige Gewissheit, dass weder Sünde noch irgendein Flecken auf der Seele zurückgeblieben ist. Die Seele hat kein Gewissen mehr von Sünden, wenngleich sie sich „in dem Lichte" befindet, „wie Gott in dem Lichte ist". Das strahlende Licht des Himmels enthüllt nicht den geringsten Flecken mehr an einer Seele, die durch das Blut des Christus gereinigt ist. Das Wort Gottes sagt klar und eindeutig: „alle Sünde", nicht: „einige Sünden". Der Glaube nimmt das als unbedingt und unveränderlich wahr an, eben weil das Wort Gottes es sagt. Sobald sich aber das Auge auch nur für einen Augenblick von der Wahrheit abwendet, wird auch schon der Zweifel laut: „Wie kann dies sein? Wie kann ich ein solches Wort verstehen, da ich doch täglich sehe, wie sehr ich zum Sündigen geneigt bin"? Der Glaube allein weiß eine Antwort auf solche Fragen. Er urteilt, dass beides wahr ist, das eine wie das andere; denn es steht geschrieben: „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, so betrügen wir im? selbst". Aber diese Aussage gehört zu einer anderen Gedankenreihe, stellt eine andere Wahrheit dar, und man darf niemals eine Stelle so anwenden, dass dadurch die Kraft einer anderen abgeschwächt oder sie gar als unwahr hingestellt wird. So handelt der Unglaube des Herzens, der auf die verderblichen Einflüsterungen Satans hört, und die Seele muß wohl auf der Hut sein, damit sie nicht in diese Schlinge hineingerät und den schwächenden und entmutigenden Einflüssen dieser Art von Unglauben anheimfällt.

Hüte dich, geliebter Leser, dass du nicht die Grundlage, auf welcher dein Friede mit Gott ruht, verlierst. Christus hat Frieden gemacht durch das Blut Seines Kreuzes. Der Friede braucht nicht mehr gemacht zu werden. Sein Name sei ewig dafür gepriesen! So ehre Ihn denn durch das unerschütterliche Vertrauen deines Herzens! Schließe immer von dem Herzen Gottes zu dir herab, nie von den Gefühlen deines Herzens zu Ihm hinauf. Der Geist der Wahrheit hat gesagt: „Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, reinigt uns von aller Sünde". Wer sind diese „uns"? Alle, die an Jesum glauben. Diese herrliche Wahrheit halte fest. Erlaube nicht, dass die Überlegungen deines natürlichen Herzens oder andere, dieser Wahrheit scheinbar widersprechende Teile des Wortes Gottes ihre Kraft in deiner Seele abschwächen! Gott hat gesagt: „alle Sünde". Das Wort mag schwierig zu verstehen oder zu erklären sein, es mag deiner eigenen Erfahrung widersprechen und sich völlig unterscheiden von dem, was du von anderer Seite gehört oder bisher für wahr gehalten hast; aber es ist die ewige, göttliche Wahrheit. Darum lass ruhig alles übrige fahren. Nichts kann wahr oder gut sein, was der Wahrheit Gottes widerspricht. Bedenke wohl: der reinigenden Kraft des Blutes Jesu Christi, des Sohnes Gottes, sind keine Grenzen gesetzt. Fürchte dich nicht, in ihr zu ruhen und sie anderen zu verkündigen. Auch wenn die Himmel sich über deinem Haupt öffnen und ihr volles Licht in deine Seele ergießen, wenn alle irdischen Ankläger sich um dich versammeln würden, um deine vielen Sünden aufzuzählen, ja wenn du selbst als Zeuge gegen dich auftreten müsstest - auch dann könnte der Glaube sich in der vollen Kraft des Wortes Gottes erheben und in dem Vertrauen, welches die Wahrheit verleiht, bezeugen: Meine Sünden sind alle vergeben; sie sind alle hinweggetan. Gott sieht sie nicht mehr, keine Spur von ihnen ist zurückgeblieben: „Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, reinigt uns von aller Sünde". Das sind Gottes Gedanken, das ist Sein Urteil über mich. E r kann es aussprechen, und i c h bin verpflichtet, es im Glauben anzunehmen. Ja, ich wiederhole mit allem Nachdruck: für die reinigende Kraft des Blutes Jesu Christi, des Sohnes Gottes gibt es keine Grenzen! Könnte ein Feind mir noch viel mehr Sünden entgegenhalten, Millionen mehr, als ich kenne, so würde ich doch kühn antworten dürfen: alles was unter die Überschrift „Sünde" gesetzt werden kann, ist hinweggetan, getilgt für immer und ewig. Das Licht des Himmels selbst ist mein Zeuge: ich bin in dem Licht, wie Er in dem Licht ist, und zwar kraft des kostbaren Blutes Christi. „Denn es hat ja Christus einmal für Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, auf dass er uns zu Gott führe", nicht nur in den Himmel, sondern zu Gott. Das ist Glaube, unbedingter, nicht zweifelnder Glaube an Gottes Wort, und auf diesen Glauben hat Gott Anspruch bei allen Seinen Kindern. Möchte ein solcher Glaube bei allen Gläubigen zu finden sein! Welch ein schönes, würdiges Christentum würden wir dann wahrnehmen anstelle des kümmerlichen und schwachen geistlichen Lebens, dem wir so oft begegnen!

Im 8. Kapitel des Römerbriefes heißt es: „Also ist jetzt keine Verdammnis für die, welche in Christo Jesu sind" (V. 1). Inwieweit sind Schreiber und Leser in die wunderbare Wahrheit eingedrungen, die in den Worten „in Christo Jesu" enthalten ist? Wir glauben diese Worte, und wir danken Gott dafür; aber wer könnte sie erklären oder in sich aufnehmen, es sei denn auf dem Grundsatz und der Grundlage des Glaubens? Aber selbst der Glaube wird, wenn er sich vom Verstand her oder durch Gefühle beeinflussen lässt, wenig Kraft besitzen, diese Wahrheit zu erfassen und sich ihrer zu erfreuen. Schon ein wenig Unglaube verdirbt den Segen, und der Verstand ist insoweit völlig blind. Nur ein einfältiger, nicht zweifelnder Glaube ergreift und genießt die gesegnete Wahrheit; für ihn ist alles klar und einfach. Gott hat gesprochen, und Er kann sich nicht irren noch täuschen. Der Glaube nimmt Ihn beim Wort und kann sich so ebenfalls nicht täuschen. Wenn Gott sagt, dass der Gläubige i n Christo sei und wenn Christus jetzt im Himmel zur Rechten Gottes sitzt, so befindet sich der Christ in den Augen Gottes auch dort. Wenn aber Christus dort in vollkommener Ruhe und Sicherheit ist, so ist es der Christ gleichfalls. Obwohl diese Wahrheit Gottes ohne jede Frage angenommen werden sollte, lässt sich Gott in Seiner Gnade dennoch zu einer Erklärung der uns beschäftigenden Stelle herab. Der zweite Vers erläutert den ersten: „Denn das Gesetz des Geistes des Lebens in Christo Jesu hat mich freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes". Christus ist unser Leben in Seiner Auferstehung und frei von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Der Tod und die Auferstehung Christi haben die große Erlösung für Sein Volk bewirkt. Der Gläubige nimmt diese wunderbare Segnung persönlich für sich in Anspruch. Er sagt nicht, was sehr bemerkenswert ist, dass das Gesetz des Geistes s i e oder uns, sondern „m i c h freigemacht hat". Das ist die Stimme des Triumphes, der Freude an der Erlösung. Jetzt ist der Gläubige frei, so frei, wie die Kraft des auferstandenen Christus ihn machen kann, frei von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Er ist nicht länger in dem ersten, sondern in dem letzten Adam vor Gott. So sagt der Apostel im neunten Verse: „Ihr seid nicht im Fleische", d. h. in dem Stande des ersten Adam, sondern „in Christo Jesu", d. i. in dem Stande des letzten Adam. Welch herrliche Worte: „Hat mich freigemacht"; ja, „mich"! Ich, der einst so elende Mensch, dessen Zustand im 7. Kapitel beschrieben wird, bin jetzt der glückliche Mensch des 8. Kapitels, glücklich in Christo, dem auferstandenen, in den Himmel aufgefahrenen, verherrlichten Menschen. Gott hat es gesagt, der Glaube nimmt es an, und das Herz genießt es mit seliger Freude.

Noch viele andere Schriftstellen ließen sich in dieser Beziehung zur Erläuterung anführen, aber wir überlassen es dem einzelnen, für sich selbst in dieser nützlichen Übung fortzufahren, etwa indem er untersucht, wie tief er in die Bedeutung folgender Stellen eingedrungen ist: „Gott hat uns mitauferweckt und mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christo Jesu"; „gleichwie er ist, sind auch wir in dieser Welt"; „der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat" (Eph. 2,6; 1. Joh. 4,17; Gal. 2,20).

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Das Wohnen Gottes bei den Menschen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1903 S. 150ff

Bei näherer Betrachtung fordern noch andere Dinge unsere Beachtung. Wir haben gelesen: „Siehe, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden Sein Volk sein.“ Gottes Wohnstätte ist dann bei den Menschen. Es handelt sich nicht mehr um einzelne Personen oder um Völker. Selbstverständlich sind die Bösen entfernt; aber Gott wohnt nicht mehr bei den Juden, oder bei irgend einem anderen Volke, sondern bei den Menschen. Dabei ist zu beachten, dass die „Kirche“ stets einen ganz besonderen Platz behält.

Gottes Gedanke war von jeher, bei den Menschen zu wohnen. Christus hat hinter den Menschen gewohnt; aber es war nur für eine kurze Zeit, und jetzt ist Er ein von den Menschen Hinausgestoßener; man wollte Ihn nicht. Aber dann wird es anders sein. Es wird auch nicht sein wie zu den Zeiten Abrahams, Isaaks und Jakobs, wo Gott Seinen Knechten zu Zeiten erschien. Diese Erscheinungen waren vorübergehend: selbst das Bleiben Christi sollte, wie gesagt, nur begrenzt sein. Aber ganz anders ist es dereinst in der Ewigkeit. Die Menschen werden nicht nur gesegnet sein, nein, Gott wird bleibend bei ihnen wohnen. Das ist der unterscheidende, ewige Charakter der Segnung; und, wie schon bemerkt, die Kirche wird diese Segnung in einer ganz besonderen Weise genießen. Ferner handelt es sich nicht nur um Mitteilung des Lebens, sondern um die Gegenwart Gottes bei den Menschen als Seiner Wohnstätte, um sich ihnen völlig zu offenbaren und sie überströmend zu segnen.

„Wenn wir einen Rückblick werfen auf Adam und den Garten Eden, so finden wir, dass Gott nicht bei ihm blieb, nicht bei ihm bleiben konnte. Der Mensch wurde unter Verantwortlichkeit gestellt; die Frage musste zur Entscheidung kommen, ob er gehorsam sein würde, und ob Gott bei ihm weilen könne. Wir wissen, wie sie entschieden worden ist. Der Mensch war ungehorsam und wurde aus dem Garten getrieben. Die Standhaftigkeit des Geschöpfes wurde in Eden auf die Probe gestellt, und der Mensch bestand die Probe nicht; es handelte sich nicht um ein göttliches Werk in Gnade, wie heute. Gott konnte deshalb unmöglich da wohnen. Aber aus den Sündenfall des Menschen gab Gott die Verheißung des zweiten Menschen, des Herrn vom Himmel. Gleichwie der erste Mensch, Adam, der List der Schlange erlegen war, sollte der letzte Adam kommen und ihre Macht vernichten. So redete Gott, als Er Sein Urteil über die Schlange aussprach. Aber die Welt achtete nicht auf die göttliche Offenbarung; sie zeigte sich so böse und verderbt, dass die Flut kam und alle Menschen hinwegnahm, mit Ausnahme von Noah und seiner Familie, welche Gott in der Arche vor dem Gericht in Sicherheit brachte.

Das Nächste, das wir dann von der Welt hören, ist, dass die Menschen in der Ebene von Sinear sich daran machten, Gott herauszufordern, alle Lebenden um einen Mittelpunkt zu vereinigen und die Erde in Unabhängigkeit von Gott und zur Erhebung ihres eigenen Namens zu besitzen. Gerade so werden es die Menschen dereinst wieder machen, und in noch vermessenerer Weise als damals; aber dann wird Gott sie wiederum erinnern, wie Er es einst zu Babel getan hat. Die Ordnung oder Einteilung der Welt in Nationen und Sprachen ist also eine Folge des göttlichen Gerichts-; gerade die Tatsache des Vorhandenseins verschiedener Sprachen beweist die Zersplitterung der Menschen in einzelne Völker. Dies nahm seinen Anfang in Babel; die Menschenkinder vermochten einer des anderen Sprache nicht mehr zu verstehen. Und diese Völker und Zungen, Stämme und Nationen bestehen heute noch.

Doch dann trat etwas anderes auf den Schauplatz: „Der Gott der Herrlichkeit erschien unserem Vater Abraham“ (Apstgsch. 7, 2). Er sagte gleichsam zu ihm: „Du musst dich von allem diesem abwenden; es ist die Welt. Du musst dein Heimatland, deine Verwandten und dein Vaterhaus verlassen. Ich muss ein Volk in der Welt haben.“ So wurde Abraham berufen. Aber obgleich wir von der Berufung Gottes, von der Auswahl und den Verheißungen Gottes hören, vernehmen wir doch nichts von einem Wohnen Gottes bei Abraham oder den Patriarchen. Tatsächlich wissen wir, dass Abraham das Haus seines Vaters nicht sofort verließ, obgleich er sein Land aufgab; mit anderen Worten, er hatte noch nicht abgeschlossen mit dem Fleische. Aber als Tarah gestorben war, zog er als ein Pilgrim und Fremdling aus, und Gott besuchte ihn in lieblicher Weise, indem Er ihn Seine Güte und Gnade schauen ließ; freilich nicht in der geistlichen Tiefe und Fülle wie heute, aber doch in hellem, lieblichem Glanze. (Vergl. 1. Mose 17 und 18.) Abraham war Gottes Ölbaum, oder genauer die Wurzel desselben, wie wir in Röm. 11 lesen. Dennoch gab es bis dahin keine Wohnstätte hienieden für Gott. Gott besuchte Abraham und gab ihm Seine Verheißungen; und obgleich Abrahams Glaube in Ägypten wankte, wandelte er doch der Hauptsache nach in gesegneter Weise als ein Pilgrim mit Gott. Aber von dem Versöhnungswerk als der Grundlage des

Wohnens Gottes bei den Menschen trat noch nichts ans Licht.

In Ägypten erhob sich die Frage, was als Vorbild der Erlösung dienen solle, und so wurde das Blut des Lammes als ein Bild von Christo an die Oberschwelle gestrichen. Danach gingen die Kinder Israel durch das Rote Meer, das Zeichen des Todes und der Auferstehung Christi. Dann begegnen wir dem tätigen Eingreifen Gottes zur Erfüllung Seiner Verheißungen. Es ist nicht mehr ein Versprechen, dass dies oder jenes geschehen, dass dies oder jenes gegeben werden solle, sondern eine tatsächliche Befreiung. So lesen wir in 2. Mose 19, 4: „Ihr habt gesehen, was ich an den Ägyptern getan habe, wie ich euch getragen auf Adlers Flügeln und euch zu mir gebracht habe“. Ähnlich heißt es in 1. Petr. 3, 18: „Denn es hat ja Christus einmal für Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, auf dass Er uns zu Gott führe“· Das ist natürlich noch nicht dem Leibe nach wahr, wir warten noch auf „die Sohnschaft, die Erlösung unseres Leibes“; aber unsere Seelen sind wahrhaft erlöst. Ein Werk zur Abschaffung der Sünde ist vollbracht worden, so unbedingt in seiner Natur, dass in moralischem Sinne zwischen dem, der teil daran hat, und Gott nichts mehr steht; ja, mehr noch: wer an diesem Werke teil hat, ist Gott nahe gebracht.

Sage mir, mein Leser, bist du Gott nahe gebracht? oder sagst du: „Ich hoffe, einmal dahin zu kommen“?

In diesem Falle bist du noch nicht da, wo Gott dich haben will; denn Er tut kein Ding halb. Christus hat uns, die Glaubenden, Gott nahe gebracht, und Er vertritt uns in der Gegenwart Gottes. Das Werk zur Abschaffung der Sünde ist vollendet; wenn nicht, so kann es niemals vollendet werden, denn Christus kann nicht noch einmal sterben. Das Werk ist vollbracht, und alles, was Gott hinderte, uns zu besitzen, ist durch das Vergießen des Blutes Christi hinweggetan. Zugleich sind wir aus dem Zustande, in welchem wir uns früher befanden, heraus und Gott nahe gebracht worden, um nun „in dem Lichte zu wandeln, wie Er in dem Lichte ist“.

So steht es mit dem Gläubigen heute; nur nehmen nicht alle diese Stellung im Glauben ein. Es ist etwas anderes, ob jemand sagt: »Ich hoffe, eines Tages dahin zu kommen«, oder ob er in voller Gewissheit des Glaubens spricht: „Ich bin dahin gekommen«. Alles ist Gnade, das wissen wir; aber wenn ich jenes kostbare Werk wirklich im Glauben ergriffen habe und verstehe, so sage ich: Zwischen mir und Gott gibt es nichts mehr, (ich meine: nichts Böses, denn selbstverständlich bleibt der hochgelobte Mittler immer da,) alles ist in die Tiefen des Meeres geworfen, und wir stehen in Seiner Gegenwart „heilig und tadellos“. Und was ist die Folge davon? Dass Gott unter uns und in uns wohnen kann. Das war Seine Absicht, Sein Vorsatz, wie wir dies in 2. Mose 29, 45. 46 lesen: „Und ich werde in der Mitte der Kinder Israel wohnen und werde ihnen zum Gott sein. Und sie werden wissen, dass ich Jehova bin, ihr Gott, der ich sie aus dem Lande Ägypten herausgeführt habe, um in ihrer Mitte zu wohnen; ich bin Jehova, ihr Gott“. Diese Worte werden später auf die Kirche angewandt. Gott brachte Israel in das Land der Verheißung, um in ihrer Mitte zu wohnen, und Er hat wirklich unter ihnen gewohnt; denn das Wort „Schechinah“ (die Lichtwolke, welche sich auf die Stiftshütte und später auf den Tempel herniederließ) bedeutet nichts anderes als: Hütte oder Wohnstätte der Herrlichkeit.

So gelangen wir denn zu einer Wahrheit von solch unermesslicher Bedeutung, dass wir ihr fast nicht ins Antlitz zu schauen wagen, dass nämlich, wenn die Sünde hinweggetan ist und wir Gott nahe gebracht sind, Gott in uns und unter uns wohnt. Wer könnte die Größe dieses Gedankens erfassen? So fragte auch einst Salomo: „Sollte Gott wirklich bei dem Menschen auf der Erde wohnen? Siehe, die Himmel und der Himmel Himmel können dich nicht fassen; wieviel weniger dieses Haus, das ich gebaut habe!«“(2. Chron. 6, 18.) Ja, was für eine wunderbare Wahrheit ist es, dass Gott (um zu offenbaren, wer Er ist, das Volk so vollkommen heiligte, dass Er kommen und Wohnung unter ihnen machen konnte! Jehova selbst wollte inmitten Seines Volkes wohnen, und alle Nationen sollten kommen und Seine Herrlichkeit sehen, gerade so wie es am Ende der Tage wieder sein wird. Freilich ist durch die Untreue des Menschen alles verdorben worden; aber es wurde hingestellt, damit die Nationen nach Gott fragen sollten.

Eine zweite Sache (abgesehen von der Absonderung des Sabbattages) steht hiermit in Verbindung, und diese ist: „Heiligkeit“. In 2. Mose 15, wo wir, wie schon oft bemerkt worden ist, zum ersten Male von dem Wohnen Gottes hienieden hören, wird auch zum ersten Male von Heiligkeit gesprochen. Ich brauche nicht zu sagen, dass die Gläubigen schon früher von ihr wussten und sie, je nach der persönlichen Treue, in ihrer Gesinnung und in ihrem Wandel geoffenbart hatten; aber nie vorher war von ihr die Rede gewesen. Sobald aber die Kinder Israel am Roten Meer gesungen hatten: „Wer ist dir gleich unter den Göttern, Jehova! Wer ist dir gleich, herrlich in Heiligkeit!« erfolgte das Gebot: „Heiliget euch!“ d. h· wandelt in Heiligkeit. Und warum das? Weil in der Erlösung die herrliche Wahrheit ans Licht tritt, dass der Gläubige persönlich zu Gott gebracht ist. Er steht in der Gegenwart Dessen, der „Licht ist, und gar keine Finsternis

in Ihm“. Gott wohnt inmitten des Volkes, und das Volk wird geheiligt.

Was sollen wir hierzu sagen?! Da ist ein Volk, abgesondert für Gott, und Gott wohnt in seiner Mitte! Im Christentum ist diese Wahrheit zum vollen Durchbruch, zur völligen Darstellung gekommen; nicht nur bildlich, sondern in Tat und Wahrheit, vermittelst des Blutvergießens des Lammes Gottes und der vollkommenen Reinigung von Sünde, sowie der wirklichen Befreiung durch den Tod und die Auferstehung Christi, wodurch wir Gott nahe gebracht sind. Und weiter: wenn jemand diesen vollen Segen erlangt, so ist er in Christo; nicht dass Christus in uns ist (so wahr das ist), sondern wir sind in Ihm; und zwar steht dies in Verbindung mit der Tatsache, dass Er bei uns wohnt. In einem Menschen, der erlöst, erkauft und auf immerdar vollkommen gemacht ist, gibt es, was seine Stellung vor Gott betrifft, keinen Makel mehr, weil Christus in Seinem Erlösungswerke alle seine Sünden getragen hat. Der Gläubige steht da in dem ganzen Werte und der vollen Wirksamkeit des Werkes Christi. Erscheint dir das zu groß, mein lieber Leser, zu wunderbar und zu kühn? Nun, nimm an, du hättest mit deinem ganzen Herzen an den Herrn Jesum Christum geglaubt, deine Sünden wären, aber trotzdem nicht für immer endgültig hinweggetan — könnten sie es dann jemals werden? Unmöglich; oder Christus müsste noch einmal sterben, und das kann nicht sein. Aber, Gott sei gepriesen! die Sünde ist für immer hinweggetan, wie geschrieben steht in Hebr. 10, 11. 12: „Und jeder Priester steht täglich da, den Dienst verrichtend und oft dieselben Schlachtopfer darbringend, welche niemals Sünden hinwegnehmen können. Er aber, nachdem Er ein Schlachtopfer für Sünden dargebracht, hat sich auf immerdar gesetzt zur Rechten Gottes. Er steht nicht mehr da, sondern Er hat sich gesetzt; das Werk ist vollbracht. Eine vollkommene Reinigung ist durch das Vergießen Seines Blutes bewirkt, so wie es einst zu Israel hieß! „Wenn ich das Blut sehe, werde ich an euch vorübergehen“.

Doch es gibt in dem Tode und der Auferstehung Jesu Christi noch mehr als das. Wenn ich Ihn betrachte, so wie Er jetzt zur Rechten Gottes sitzt, so sehe ich in Ihm einen Menschen, der aus dieser Welt sich entfernt hat; dem Geiste nach gehörte der Hochgelobte ja nie zu dieser Welt, wir reden jetzt selbstverständlich nur von Seiner tatsächlichen, persönlichen Gegenwart hienieden. Er hat als der auferstandene Mensch einen anderen Schauplatz betreten, nachdem Er durch das Rote Meer oder durch

den Tod hindurchgeschritten und als Mensch zu Gott gegangen ist. Es ist also nicht nur die Sünde hinweggetan, sondern wir sehen auch Christum aus einem ganz neuen Boden; wir sehen nicht nur Gott bei den Menschen, sondern den Menschen bei Gott wohnen. Christus ist als unser Erlöser in Gottes Gegenwart getreten, indem Er sich selbst für uns Gott dargestellt hat, und wir stehen jetzt in Christo in dieser Gegenwart. Aber wie kann das sein? Indem Er den Heiligen Geist als den anderen Sachwalter herniedergesandt hat, und indem unsere Leiber so zu Tempeln des Heiligen Geistes geworden sind. Wir besitzen und kennen diese wunderbare und gesegnete Wahrheit als das Ergebnis des vollendeten Erlösungswerkes und des Hinwegtuns der Sünde. Wir haben teil an dem Tode und der Auferstehung Christi. Er ist in den Himmel gegangen, indem Er Sein eigenes Blut Gott darbrachte. Wir sind gereinigt, und unsere Leiber sind Tempel des Heiligen Geistes und werden so zu Seiner Wohnstätte.

Das ist dann auch weiter wahr von der Kirche Gottes, wie wir in Eph. 2, 22 lesen: „in welchem auch ihr mitaufgebaut werdet zu einer Behausung Gottes im Geiste“. Die Kirche Gottes ist die Behausung oder die

Wohnstätte Gottes geworden. Wer könnte die Tragweite und Würde dieser Stellung gebührend beschreiben? Und wir sind in einer ganz besonderen Weise in dieselbe« eingeführt worden durch unser verherrlichtes Haupt im Himmel; denn der Herr selbst hat gesagt: „An jenem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin, und ihr in mir und ich in euch“(Joh. 14, 20). Diese Worte bringen unsere Vereinigung mit Christo zum Ausdruck, wie es späterhin, in Eph. 5, 30, heißt: „Wir sind Glieder Seines Leibes, von Seinem Fleische und von Seinen Gebeinen«. Das ist der besondere und gesegnete Charakter der Kirche. Sie ist hienieden die Behausung Gottes und wird es bleiben bis zu dem Tage, da sie aus dieser Welt entrückt werden wird, um dann für immer bei dem Herrn zu sein.

Nicht wahr, mein Leser, das ist eine wunderbare Sache; und wie zeigt sie uns, was für Leute wir sein sollten »in heiligem Wandel und Gottseligkeit«! (2. Petr. 3, 11.) Der einzelne Gläubige mag fehlen, und die

Kirche Gottes mag fehlen, ja, sie hat so schwer gefehlt, hat so wenig ihrer Berufung entsprochen, dass sie (ich rede hier natürlich von dem, was heute die Kirche zu sein bekennt) geradezu der Sitz Satans geworden ist; aber dies hat nichts an der Wahrheit geändert, dass, wo irgend wir die wahre Kirche finden, sie die Wohnung Gottes ist. Der Heilige Geist wohnt in ihr, wohnt in den Gläubigen persönlich, obwohl Seine Gegenwart sich zuweilen nur durch einen Seufzer kundgeben mag. Leider, leider ist es wahr, dass alles veranstaltet und verdorben worden ist; aber die Wahrheit Gottes bleibt trotz allem bestehen.

Ebenso bleibt jene andere Sache, die wir bereits besprochen haben, wahr, nämlich dass Christus in dem Gläubigen ist, und der Gläubige in· Ihm. Ja, wenn die Kirche ihren Platz versteht, so ist es auch wahr von ihr; und dies ist noch mehr, als nur die Behausung Gottes zu sein. Wir sind vereinigt mit unserem verherrlichten Haupte im Himmel. Wir sind einzeln Glieder voneinander, und wir sind auch in unserer Gesamtheit der Leib Christi. Daher die Ermahnung für die Einzelnen: „Betrübet nicht den Heiligen Geist Gottes, durch welchen ihr versiegelt worden seid auf den Tag der Erlösung« (Eph. 4, 30); und der Hinweis im Blick auf die Kirche, dass sie wie eine Stadt sein sollte, die oben auf einem Berge liegt und deshalb nicht verborgen bleiben kann. O möchten wir diese Ermahnung mehr zu Herzen nehmen und treuer befolgen! — Herr, wecke unsere Herzen und Gewissen aus, dass dein heiliger Name an uns und durch uns verherrlicht werde!

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Richtet nicht auf dass ihr nicht gerichtet werdet

Bibelstelle: Matthäus 7, 1-2

Botschafter des Heils 1903 S. 160ff

„Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet; denn mit welchem Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden, und mit welchem Maße ihr messet, wird euch gemessen werden“ (Math. 7, 1. 2.)

Am Ende des fünften und im Laufe des 6. Kapitels des Evangeliums nach Matthäus belehrt der Herr Seine Jünger, dass sie als Kinder ihres Vaters im Himmel stets in Gnade handeln sollten; aber bei diesen Belehrungen stand hauptsächlich ihr Verkehr in dieser Welt in Frage, ihr Verhalten solchen gegenüber, die sie feindselig und ungerecht behandeln würden. Nun konnte aber von einer anderen Seite her eine ernste Schwierigkeit entstehen. Angenommen, dass unter jenen ungerecht Handelnden solche waren, die den Namen Christi trugen, was dann? Wie sollen wir uns solchen gegenüber verhalten? Ohne Zweifel besteht zwischen den beiden Klassen ein großer Unterschied, der wohl zu beachten ist. Wir haben unseren Mitgläubigen gegenüber Pflichten, die wir den Menschen dieser Welt gegenüber nicht haben. Nur müssen wir, ehe wir uns mit dem Verhalten unseres Bruders beschäftigen, eine Sache ernstlich in Betracht ziehen, und diese ist: der dem Herzen des Menschen so natürliche Hang zur Tadelsucht, jene Gewohnheit oder doch Neigung, böse Beweggründe in Personen oder bei Handlungen voraus-zusetzen, die sich unserer Beurteilung entziehen. Wir alle wissen, welch eine gefährliche Schlinge das ist; aber manche sind durch ihren natürlichen Charakter dieser Gefahr besonders ausgesetzt. Nicht dass wir unsere Augen vor wirklich Bösen: verschließen oder es gar gut heißen sollten, sicherlich nicht; aber wir sollten nicht so leicht einem Verdacht Raum geben, nicht über das hinausgehen wollen, was Gott ans Licht gestellt hat. Wenn diese Regel nicht beachtet wird, so wird es unmöglich, in einer Gott wohlgefälligen Weise miteinander zu wandeln. Wir sind nicht gesonderte Einzelwesen, die ohne jede Kraft und Fähigkeit sind, in die Schwierigkeiten und Prüfungen, ja, vielleicht auch in die verkehrten Wege Anderer eingehen zu können· Nein, Gott hat uns in Liebe miteinander verbunden, und die genannten Dinge haben Ansprüche aus das Herz eines Jüngers Christi. Selbst das Böse ruft nach der Liebe, welche den göttlichen Weg ausfindig macht, um sich mit ihm und seiner Entfernung aus Gottes Augen zu beschäftigen. Denn das anderen Seite her eine ernste Schwierigkeit entstehen. Angenommen, dass unter jenen ungerecht Handelnden solche waren, die den Namen Christi trugen, was dann? Wie sollen wir uns solchen gegenüber verhalten? Ohne Zweifel besteht zwischen den beiden Klassen ein großer Unterschied, der wohl zu beachten ist. Wir haben unseren Mitgläubigen gegenüber Pflichten, die wir den «Menschen dieser Welt gegenüber nicht haben. Nur müssen wir, ehe wir uns mit dem Verhalten unseres Bruders beschäftigen, eine Sache ernstlich in Betracht ziehen, und diese ist: der dem Herzen des Menschen so natürliche Hang zur Tadelsucht, jene Gewohnheit oder doch Neigung, böse Beweggründe in Personen oder bei Handlungen voraus-zusetzen, die sich unserer Beurteilung entziehen. Wir alle wissen, welch eine gefährliche Schlinge das ist; aber manche sind durch ihren natürlichen Charakter dieser Gefahr besonders ausgesetzt. Nicht dass wir unsere Augen vor wirklich Bösen: verschließen oder es gar gut heißen sollten, sicherlich nicht; aber wir sollten nicht so leicht einem Verdacht Raum geben, nicht über das hinausgehen wollen, was Gott ans Licht gestellt hat. Wenn diese Regel nicht beachtet wird, so wird es unmöglich, in einer Gott wohlgefälligen Weise miteinander zu wandeln. Wir sind nicht gesonderte Einzelwesen, die ohne jede Kraft und Fähigkeit sind, in die Schwierigkeiten und Prüfungen, ja, vielleicht auch in die verkehrten Wege Anderer eingehen zu können· Nein, Gott hat uns in Liebe miteinander verbunden, und die genannten Dinge haben Ansprüche aus das Herz eines Jüngers Christi. Selbst das Böse ruft nach der Liebe, welche den göttlichen Weg ausfindig macht, um sich mit ihm und seiner Entfernung aus Gottes Augen zu beschäftigen. Denn das Wesen der Liebe ist, ohne Rücksicht auf sich selbst das Wohl des geliebten Gegenstandes zu suchen. Sie mag dabei die bittere Erfahrung machen müssen, wie einst in dem Falle des Apostels Paulus, dass sie nicht wieder-geliebt wird, und das sogar seitens wirklicher Christen und Mitpilger auf dem Wege der Wahrheit; aber das ändert nichts an ihrem Wesen und ihrer Kraft. Sie bleibt sich immer gleich, wenn es auch Gott gefällt, uns solch ernste Unterweisungen über die Natur des menschlichen. Herzens (und das selbst in Seinen Heiligen) zu geben. Unter allen Umständen ist die Verpflichtung bindend für das Gewissen: ,,Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet“. Allerdings gibt es kaum einen Grundsatz, der durch die Selbstsucht des Menschen so leicht missbraucht werden könnte, wie dieser. Wenn jemand einen bösen Wandel führen und nun die vorliegende Stelle benutzen würde (wie es tatsächlich geschehen ist), um seinen Brüdern das Recht streitig zu machen, sein Verhalten zu beurteilen, so würde er dadurch einen großen Mangel nicht nur an geistlichem Verständnis, sondern auch an Gewissen verraten. Sein Auge ist verblendet, und er verdreht nur die Worte des Herrn, um seine Sünde zu entschuldigen. Wie schrecklich das ist, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Der Herr dachte nicht im Entferntesten daran, die heilige Beurteilung und das ernste Richten des Bösen abzuschwächen; im Gegenteil, Er hat zur rechten Zeit und an der richtigen Stelle diese Pflicht Seinem Volke feierlich auferlegt. So lesen wir z. B. in 1. Kor. 5, 12: „Ihr, richtet ihr nicht die drinnen sind?“ Es war ein großer Fehler seitens der Korinther, dass sie dieses Gericht versäumten. Es ist also offenbar, dass ich in einem Sinne zu richten verpflichtet bin und in einem anderen nicht richten soll. Es gibt Fälle, wo ich unmittelbar gegen Gott sündigen würde, wenn ich nicht richtete; und es gibt Fälle, wo der Herr mir das Richten verbietet und mir warnend zuruft, es nicht zu tun, um nicht Gericht über mich selbst zu bringen. Es ist deshalb eine Frage von ernster praktischer Bedeutung für den Christen: „wann soll ich richten, und wann soll ich nicht richten?“ Was irgend deutlich als böse ans Licht tritt, was Gott dem Auge der Seinen offenbar macht, so dass sie es klar erkennen oder auf Grund glaubwürdiger Zeugenaussagen beurteilen können, alles das muss gerichtet werden. Wir sind stets verantwortlich, alles zu verabscheuen, was Gott missfällig und anstößig ist, mag es nun mittelbar oder unmittelbar zu unserer Kenntnis kommen; denn Gott lässt sich nicht spotten, und die Kinder Gottes dürfen sich nicht durch menschliche Erwägungen leiten lassen.

Wenn der Herr also sagt: „Richtet nicht“, so denkt er nicht an Dinge, die vor aller Augen ausgedeckt liegen, sondern an solche, die Gott, wenn sie überhaupt vorhanden sind, noch nicht ans Licht gebracht hat· Wir sind nicht verantwortlich, zu richten was wir nicht wissen, werden vielmehr davor gewarnt, einem argwöhnischen Geiste Raum zu geben. Vielleicht ist Böses bei einem Gläubigen vorhanden, möglicherweise Böses der schlimmsten Art; aber so lange der Herr es nicht offenbar macht, so lange Er Geduld damit hat, sollen auch wir warten. Denken wir an Judas, den Verräter. Der Herr sagte von ihm: „Einer von euch ist ein Teufel“; aber Er hielt die .Jünger mit Absicht bezüglich der Einzelheiten im Dunkel. Sie mussten auf Ihn warten und auf Seine vollkommene Einsicht vertrauen. So lange Er ihnen keine Weisungen gab, so lange Er den Verräter in Gnaden trug, mussten auch sie warten. So handelt der Glaube stets; er eilt nicht, sondern wartet auf den Herrn, besonders in einem so ernsten Falle. Wir brauchen uns nicht über Dinge zu beunruhigen, die nicht offenbar sind. Alles ist bloß und ausgedeckt vor Gott, alles ist in Seiner Hand, und Ihm können wir gegebenen Falles alle unsere Besorgnisse sagen. So lange der Herr uns nicht deutliche Anweisungen gibt, wie wir mit dem, was Ihm zuwider ist, handeln sollen, ist uns geduldiges Zuwarten geboten.

Und selbst wenn eine Versammlung genötigt wird, Zucht auszuüben, sollte es nie in einem richtenden Geiste, sondern stets in der Gesinnung der Liebe geschehen. Aber ach! wie oft wird hierin gefehlt! Wie leicht zeigen sich bei solchen Gelegenheiten lieblose Gefühle und harte Urteile, wie oft werden Worte laut, die der Gesinnung Christi nicht entsprechen und das Vaterherz Gottes betrüben! Anstatt eines herzlichen Sicheinsmachens mit dem irrenden Bruder oder der Schwester, anstatt eines aufrichtigen Selbstgerichts, eines tiefen Sichbeugens wegen des Bösen» das sich inmitten der Familie Gottes gezeigt hat, anstatt eines ernsten Leidtragens, verbunden mit Gebet und Fürbitte im stillen Kämmerlein, gibt sich ein unliebsames Reden über das Geschehene kund, ein scharfes Urteilen und gefühlloses Herfahren über die betreffende Person, ja, selbst ein Hinaustragen des Bösen aus dem Schoße der Familie Gottes zu den Kindern der Welt. O möchten wir doch stets des ernsten Wortes unseres Herrn eingedenk sein: „Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet; denn mit welchem Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden, und mit welchem Maße ihr messet, wird euch gemessen werden«! Gottes Wege in Seiner Regierung auf dieser Erde sind gerecht, und mancher hat schon die bittere Wahrheit obiger Worte an sich selbst erfahren müssen. Die Liebe ist langmütig und gütig, sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit, sondern sie freut sich mit der Wahrheit; sie verschlimmert und vergrößert nicht das Böse, sondern ist im Gegenteil froh, wenn sie ein Wort zu Gunsten des Bruders oder der Schwester sagen kann.

Darum lasst uns; selbst wenn wir in die Lage kommen sollten, richten zu müssen, der Warnung unseres hochgelobten Herrn eingedenk bleiben; lasst uns über unsere armen, törichten Herzen wachen, keinen bitteren persönlichen oder Parteigefühlen Raum geben, Gott auch nicht vorauslaufen, nicht das Schlimmste denken oder die niedrigsten Beweggründe voraussetzen, sondern uns daran erinnern, dass ein richtender Geist unvermeidlich Gericht über sich selbst bringt. Eine tadelsüchtige Seele darf sicher darauf rechnen, dass auch von ihr übel geredet wird; denn „mit welchem Maße ihr messet, wird euch gemessen werden“.

Der Herr führt im weiteren Verlauf Seiner Belehrungen einen besonderen Fall an: „Was aber siehst du den Splitter, der in deines Bruders Auge ist, den Balken aber in deinem Auge nimmst du nicht wahr?“ Das will sagen: wo jene böse Neigung zum Richten über Andere vorhanden ist, findet sich in den meisten Fällen, wenn nicht immer, eine andere sehr ernste Sache. Wenn ein Gläubiger gewohnheitlich Böses in seinem Innern oder in seinen Wegen ungerichtet lässt, so wird er unruhig und friedelos und wünscht unwillkürlich, sich und seiner-"Umgebung zu beweisen, dass es mit Anderen nicht besser stehe, als mit ihm selbst. 166

„Oder wie wirst du zu deinem Bruder sagen: Erlaube, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen; und siehe, der Balken ist in deinem Auge?“ Von dem Splitter, —einer ganz geringfügigen Sache, wird viel Aufhebens gemacht, während man den Balken, d. i. eine gewaltig große Sache, unbeachtet lässt. — In welch eindrucksvoller Weise stellt uns der Herr hier Seine Wahrheit vor Augen, sowie die Gefahr eines argwöhnenden, richtenden Geistes! Zugleich zeigt Er uns, dass der einzig richtige Weg, wenn wir anders das Wohl der Seinigen und ihre Befreiung vom Bösen wünschen, im Selbstgericht besteht. Wenn wir wirklich den Splitter aus unseres Bruders Auge entfernen wollen, wie kommen wir da zum Ziele? Indem wir mit den ernsten Verfehlungen bei uns selbst beginnen, die wir nur zu leicht übersehen und ungerichtet lassen. Was sagt der Herr im Blick auf den Splitter? Bringe ihn vor die Richter? Nein, Er sagt: Prüfe dich selbst! Hier muss das Werk beginnen. Wenn ich das Böse richte, von welchem mein Gewissen weiß, oder wenn ich von Herzen begehre, das, wovon mein Gewissen vielleicht noch kein Bewusstsein hat, im Lichte Gottes zu erkennen —- wenn ich damit beginne, so werde ich ein klares Auge hinsichtlich Anderer bekommen. Ich werde ein Herz haben, das imstande ist, in ihre Umstände einzugehen, ein Auge, welches von alledem befreit ist, was das Herz unfähig macht, mit den Gefühlen Gottes Personen und Dinge zu betrachten. „Heuchler!“ sagt der Herr, „ziehe zuerst den Balken aus deinem Auge, und dann wirst du klar sehen, um den Splitter aus deines Bruders Auge zu ziehen.“ Niederschmetterndes Wort! Es zeigt uns, dass der Mangel an Einfalt und Aufrichtigkeit zu der hässlichsten Sache führt, die man sich denken kann,

gegen welche selbst das natürliche Gewissen sich auflehnt, zur Heuchelei.

Haben wir nicht auch schon oft die Erfahrung gemacht, dass, wenn der Balken hinweggetan war, der Splitter gleichfalls nicht mehr von uns gesehen wurde? Wie kam das? Vielleicht ist er nie vorhanden gewesen, wir hatten uns getäuscht; oder der Herr hatte ihn inzwischen bereits entfernt. Und wenn das so ist, sollte ich mich dann nicht freuen, die Gnade in meinem Bruder wirksam zu sehen, wenn ich auch die schmerzliche Entdeckung machen muss, dass bei mir das Böse vorhanden war? Diese Entdeckung ist sicher sehr demütigend, aber die Liebe Christi im Herzen findet ihre Befriedigung in dem Bewusstsein, dass nunmehr alles hinweggeräumt ist, was Ihn verunehrte; und statt Seufzern und Anklagen steigen Dank und Anbetung zu Ihm empor.

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Der vereitelte Anschlag

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1903 S. 167ff

Zwei Knechte des Herrn gingen eines Nachmittags in ein Dorf, um dort das Evangelium zu verkündigen. Sie hatten etwa zwei Stunden zu gehen. Als sie in dem Dorfe ankamen, fanden sie fast die ganze Einwohnerschaft in Bewegung, und als die Versammlung begann, erhob sich draußen ein gewaltiger Lärm. Doch der Herr erlaubte dem Feinde nicht, die Predigt des Wortes zu stören. Trotz der großen Unruhe konnten die beiden Evangelisten die frohe Botschaft von dem Heil in Christo einer Anzahl aufmerksamer Zuhörer verkündigen. Nach Beendigung der Versammlung begaben sie sich auf den Heimweg. Es war inzwischen völlig Nacht geworden. Um ein Stück Weges abzuschneiden, schlugen sie einen Fußpfad ein. Infolge der Dunkelheit aber verirrten sie sich so vollständig, dass sie erst gegen 2 Uhr morgens ihr Ziel erreichten.

Am anderen Tage kam eine Frau aus dem Dorfe in großer Besorgnis zu einem der Beiden, um sich zu erkundigen, ob sie wohlbehalten zu Hause angekommen seien. Sie erzählte, dass eine Anzahl gottloser Männer aus dem Dorfe am Abend vorher übereingekommen sei, ihnen an einer gewissen Stelle des Weges aufzulauern und sie zu misshandeln. Nun aber hatte Gott es so gelenkt, dass Seine Knechte gerade kurz vor dieser Stelle den Weg verfehlt hatten und so den Händen ihrer Feinde entronnen waren.

Wie gesegnet ist es, geliebter Leser, mit Gott zu wandeln, von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde! Welch ein köstliches Vorrecht, sich auf Seinen allmächtigen Arm stützen und Seiner vollkommenen Liebe vertrauen zu dürfen! Wie beruhigend ist der Gedanke, dass unser bester Freund zur Rechten der Majestät droben thront und alle Macht im Himmel und aus Erden besitzt! Wer könnte uns schaden? Was haben wir zu fürchten? Welches Bedürfnis hätten wir für einen Arm von Fleisch, um uns zu helfen und zu beschützen? Waren die beiden Männer Gottes in jener Nacht nicht viel besser beschützt, als wenn sie eine polizeiliche Begleitmannschaft gehabt hätten? Ohne Zweifel! – „Es ist besser, auf Jehova zu trauen, als sich zu verlassen auf Menschen. Es ist besser, auf Jehova zu trauen, als sich zu verlassen auf Fürsten“ (Ps. 118, 8. 9). Hatten wir nur mehr einfältiges, ungekünsteltes Vertrauen!

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Gedanken über Psalm 84

Bibelstelle: Psalm 84

Botschafter des Heils in Christo 1903, S. 169ff

An Hand des Psalms wollen wir noch einen Augenblick bei dem Gegensatz zwischen Juden und Christen verweilen.

Die Israeliten verließen ihre Wohnstätten und wanderten durch das Tal nach Zion, der Stadt Davids, um dort vor Gott zu erscheinen. Hier war die Stätte ihrer Anbetung. Der Christ aber müht sich sozusagen durch das Tränental hindurch und ruht sich auf dem Berge Zion aus. Das gehört wiederum zu den Geheimnissen des Glaubens. Der Tatsache nach befindet sich der Gläubige in der Welt, der Erfahrung nach in der Wüste, dem Glauben nach im Himmel. Zum besseren Verständnis soll folgendes Beispiel dienen.

Ein junger Christ lebt nach seiner Bekehrung in der gleichen Familie wie vorher. Er befindet sich also in aller Regel in derselben Umgebung; aber wie so ganz anders erscheint ihm jetzt alles! Das Blut des Lammes ist gleichsam an die Türpfosten seines Herzens gestrichen, und er ist von der Welt getrennt, obwohl er noch in ihr steht. Aber er kann nicht länger an dem weltlichen Tun der Familie teilnehmen, noch in ihren Wegen wandeln. Er folgt Christo nach und wird ein Zeugnis für Ihn, und das ist für die anderen Glieder der Familie unerträglich. Er wird getadelt, dass er zu weit gehe. Die Bande der Zuneigung lockern sich, das frühere Einvernehmen wird gestört; schließlich ist er ein Fremder in seines Vaters Hause. Das ist Wüsten-Erfahrung, und sie ist zuweilen recht bitter. Doch inmitten dieser Unistände ist er sich seines Einsseins mit Christo im Himmel bewußt und nährt sich von Ihm dort. Er findet gleichsam Ägypten, die Wüste und Kanaan unter einem Dach. Aber mit ihnen findet er auch seinen geliebten Herrn und macht die Erfahrung, dass Christus im Blick auf alle drei in göttlicher Weise genügt. Seine Kenntnis von Christo nimmt immer mehr zu. Er weiß nicht nur, dass er mit dem Blute besprengt und dadurch vor den Gerichten, welche die Welt treffen werden, bewahrt ist, sondern ihm stehen auch die Wolke, das Manna und das lebendige Wasser, diese drei Begleiterscheinungen der Wüste, zur Verfügung, und er nährt sich schließlich von der Frucht des himmlischen Kanaan, „dem Ertrage des Landes". Die Beweggründe für sein Handeln, die Quellen, aus welchen er Trost und Kraft schöpft, seine Lebensweise und Lebensziele - alles ist seiner Familie unbekannt und unverständlich. Der Glaube allein vermag die Stellung des Christen in dieser Welt zu verstehen.

Wenn das Herz für Christum und nur für Christum schlägt, so werden wir gleiche oder ähnliche Erfahrungen machen. Christus ist nicht mehr in dieser Welt, und wenn der Christ die Welt für seinen Herrn aufgegeben hat, was hat er dann noch hier? Nichts. Wer alles hier unten für Christum droben aufgegeben hat, kann hier nichts mehr haben. Der Christ ist ein Fremdling in dieser Welt und, was seine Hilfsquellen angeht, allein auf den Herrn angewiesen. Alles muss er von Christo erhalten, der jetzt sein Alles-in-allem ist. Mitpilger sind seine Gefährten, und vom Himmel muss ihm alles werden, dessen er bedarf. So lebt und wandelt er durch Glauben. „Was ich aber jetzt lebe im Fleische, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat" (Gal. 2,20). Doch die Hilfsquellen des Glaubens sind unergründlich und unbegrenzt. Er legt seine Hand auf die reichsten Schätze des Himmels und sagt: „Sie sind mein, mein nach den Rechten und Ansprüchen Christi, mein jetzt und auf immerdar". Das ist der Glaube. Nichts ist vor ihm verborgen, nichts Gutes wird ihm vorenthalten. Was die Gnade darreicht, das macht sich der Glaube zu eigen, dessen erfreut sich das Herz und das stellt das Leben des Gläubigen dar. So ist es dem Grundsatz nach, und Gott gebe, dass es mehr und mehr bei uns auch zur praktischen Darstellung kommen möge! „Alles ist euer", sagt der Apostel, „ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes" (1. Kor. 3,22. 23).

Der Ausdruck „Zion" in diesem Vers ist so interessant und bedeutsam, dass er einer näheren Erläuterung bedarf; umso mehr als er von kirchlichen Schreibern oft auf die Kirche angewandt oder doch als sinnverwandt mit dem Ausdruck „Kirche Gottes" bezeichnet wird. Wir halten das für fehlerhaft. „Zion" ist nicht die Kirche, sondern die Königsstadt, der auserwählte Sitz des Königtums Christi während Seiner tausendjährigen Regierung. Die Ordnung der Ereignisse, welche mit dem allmählichen Emporsteigen Davids, des auserwählten und gesalbten Königs Gottes, in Verbindung stehen, wirft viel Licht auf die Ordnung der Ereignisse an jenem noch zukünftigen, herrlichen Tage.

„Sie gehen von Kraft zu Kraft; sie erscheinen vor Gott in Z i o n". In welcher Hinsicht wir auch den Berg Zion betrachten mögen, ob geschichtlich in Verbindung mit David oder in gottesdienstlicher Beziehung als Stätte der Anbetung oder prophetisch als den Thron der königlichen Macht und Herrlichkeit des Messias, immer ist er ein Ort von großem Interesse und hervorragender Bedeutung.

Zum ersten mal wird dieser Berg in Verbindung mit der Geschichte Davids erwähnt, als er König über ganz Israel wurde. „Aber David nahm die Burg Zion ein, das ist die Stadt Davids" (2. Sam. 5,7). Damals waren die Philister noch im Land, und das Volk Israel befand sich in der denkbar niedrigsten Verfassung. Sie hatten sich einen König nach ihrem eigenen Herzen gewählt und mussten nun die bitteren Folgen davon tragen. Samuel hatte sie treu und eindringlich gewarnt und ihnen vorhergesagt, wie sich die Zustände unter ihrem selbsterwählten König gestalten würden. Aber sie hatten seinen Rat zurückgewiesen und geantwortet: „Nein, sondern ein König soll über uns sein, damit auch wir seien wie alle Nationen" (1. Samuel 8,19. 20). Das ist die Hartnäckigkeit des eigenen Willens und niemand ist für guten Rat so unzugänglich, niemand der Gefahr gegenüber so blind wie der Eigenwillige. „Nein, es soll ein König über uns sein". Das Volk stellte sich damit auf einen gefährlichen Boden, und alles endete in überwältigendem Unglück. Das wird immer das Ergebnis sein, wenn dem ungebrochenen Willen freier Lauf gelassen wird. Deshalb sollte der Christ niemals und in keiner Lebenslage seinen eigenen Willen um jeden Preis durchsetzen wollen. Andernfalls verunehrt er Den gröblich, Dessen Willen zu vollführen sein einziger Wunsch und Zweck sein sollte!

Die Juden hatten damals nicht jenes strahlende, lebendige Beispiel vor Augen, das wir haben. Der Herr, dem wir nachzueifern berufen sind, konnte immer sagen: „Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun ... Nicht mein Wille, sondern der deine geschehe"! Zudem ist das, was infolge seines Eigenwillens und seiner Halsstarrigkeit über das Volk Israel kam, „geschrieben worden zu unserer Ermahnung, auf welche das Ende der Zeitalter gekommen ist". Lasst uns deshalb alle auf der Hut sein, dass wir nicht unseren eigenen Willen zu verwirklichen suchen! Er ist immer verkehrt. Lasst uns auch daran denken, welch eine verblendende und verhärtende Wirkung er ausübt! Augen und Ohren, Vernunft und Herz, alles wird verschlossen und fest verriegelt, nur damit dieser Wille seinen Lauf habe, Wie oft gibt er selbst dann noch nicht nach, wenn die besten Freunde liebevolle und eindringliche Vorstellungen erheben oder wenn gar völliger Ruin droht! Lasst uns vielmehr Ihn betrachten, Der in stetem Gehorsam, in gänzlicher Abhängigkeit vom Vater Seinen Pfad ging! Lasst uns Ihm folgen! Er hat uns ein Beispiel hinterlassen, dass wir in Seinen Fußstapfen wandeln sollen. Gottes Wille allein ist gut. Im Himmel werden wir niemals unserem eigenen Willen zu folgen suchen; warum sollten wir es hier tun? Und sollte der Herr es einmal zulassen, dass wir unseren Willen bekommen, wie Er es vor alters bei Israel geschehen ließ, so mag Er es tun, um uns auf dem Weg schmerzlicher Züchtigungen dahin zu bringen, dass wir zu sagen vermögen: „Nicht mein Wille, o Herr, sondern der deine geschehe". Möchte Er uns deshalb in Seiner Gnade einen unterwürfigen Willen schenken, einen zerschlagenen Geist, ein zartes Gewissen und ein stilles, in Gottes heiligen Willen ergebenes Herz!

Israel hätte kaum im Zustand größerer Verwirrung und tieferen Verfalls sein können, als in der Zeit, da David seinen Thron auf dem Berg Zion aufrichtete. Königtum wie Priestertum befanden sich in der größten Unordnung. Das Heiligtum war verunreinigt, das Priestertum verderbt, die Lade Gottes in unwürdiger Umgebung - „Jkabod" stand über der ganzen Szene geschrieben: die Herrlichkeit war von Israel gewichen (vergl. 1. Samuel 4,21. 22). Für diesen schrecklichen Zustand gab es keine Hoffnung, keine Hilfe in Israel. Doch dann trat Gott in seiner Barmherzigkeit ins Mittel. Er berief David, einen Mann nach Seinem Herzen. Er erwachte gleichsam aus dem Schlaf. Der 78. Psalm redet von diesen Dingen in höchst bemerkenswerter Weise: „Da erwachte, gleich einem Schlafenden, der Herr, gleich einem Helden, der da jauchzt vom Wein; und er schlug seine Feinde von hinten, gab ihnen ewige Schmach. Und er verwarf das Zelt Josephs, und den Stamm Ephraim erwählte er nicht; sondern er erwählte den Stamm Juda, den Berg Zion, den er geliebt hat. Und er baute gleich Höhen sein Heiligtum, gleich der Erde, die er auf ewig gegründet hat. Und er erwählte David, seinen Knecht, und nahm ihn von den Hürden der Schafe; hinter den Säugenden weg ließ er ihn kommen, um Jakob, sein Volk, zu weiden und Israel, sein Erbteil. Und er weidete sie nach der Lauterkeit seines Herzens, und mit der Geschicklichkeit seiner Hände leitete er sie" (V. 65-72).

Saul war ein König nach dem Willen des Volkes, David ein König nach dem Herzen Gottes. Nicht dass David, der Erwählte Gottes, immer nach dem Herzen Gottes gehandelt hätte; leider hat auch er gefehlt, schwer gefehlt, und er bedurfte der Barmherzigkeit und der Vergebung Gottes. Nichtsdestoweniger aber finden wir bei David eine Gesinnung, welche den Wünschen und Gedanken des Herzens Gottes oft in höchst gesegneter Weise entsprach. Und wer fühlte seine Sünde je tiefer als David oder wer bekannte sie unumwundener? Wer rechnete je völliger auf die Güte Gottes zu seiner Vergebung und Wiederherstellung? Mit einem Worte, David verstand in besonderer Weise das Herz Gottes und die Gnade, welche darin wohnt.

Als er Jerusalem in Besitz genommen hatte, zogen die Philister voll Neid und Eifersucht gegen ihn herauf. Da befragte er Gott, folgte den göttlichen Weisungen, zog aus zum Streit und errang große Siege über sie. Gott war mit ihm. Er lenkte die Bewegungen seines Heeres. Das Volk triumphierte unter der Führung Davids über seine Feinde. Eine große Rettung wurde Israel zuteil. Der Verfall wurde aufgehalten, und Zion wurde zur Hoffnung des Volkes, zum Ruheplatz des Glaubens. Die Gnade Gottes wirkt das alles. Das Volk empfing große Segnungen und erkannte, dass es besser ist, dem Willen des Herrn zu folgen als seinem eigenen.

So wurde David ein Vorbild auf den Herrn, nicht nur in Seiner Verwerfung und in Seinen Leiden, sondern auch in Seinen Siegen. Der Herr wird dereinst unmittelbar vor der Errichtung des tausendjährigen Reiches Krieg mit Seinen Feinden führen. Er wird vom Himmel herniedersteigen, um den Antichristen und seine Verbündeten zu vernichten. Auch nachdem Er Seinen Thron in Zion aufgerichtet hat, werden - wie bei David - noch Feinde außerhalb des Landes zu unterwerfen sein. „Den Stab deiner Macht wird Jehova senden aus Zion; herrsche inmitten deiner Feinde" (Psalm 110,2)! Lind ebenso wie unter David das Volk über seine Feinde triumphierte, so wird es auch unter Christo siegreich frohlocken: „Jehova der Heerscharen wird seiner Herde, des Hauses Juda, sich annehmen, und sie machen wie sein Prachtross im Streite... . Und sie werden wie Helden sein, die den Kot der Straßen im Kampfe zertreten; und sie werden kämpfen, denn Jehova ist mit ihnen, und die Reiter auf Rossen werden zu Schanden. Und ich werde das Haus Juda stärken und das Haus Joseph retten, und werde sie wohnen lassen; denn ich habe mich ihrer erbarmt, und sie werden sein, als ob ich sie nicht verstoßen hätte. Denn ich bin Jehova, ihr Gott, und werde ihnen antworten. Und Ephraim wird sein wie ein Held, und ihr Herz wird sich freuen wie vom Wein; und ihre Kinder werden es sehen und sich freuen, ihr Herz wird frohlocken in Jehova" (Sach. 10,3. 5-7).

Dies alles liegt offenbar in der Zukunft. Es muss nach der Erscheinung des Herrn in Herrlichkeit geschehen, und ehe Seine Regierung in dem salomonischen Charakter ihren Anfang genommen hat. Der erste Teil der Regierung Christi wird das Gegenbild von der Regierung Davids als des kriegerischen Königs sein; Salomo dagegen stellt Christum vor, wie Er im tausendjährigen Reich in Frieden und Herrlichkeit regieren wird. –

Nachdem die Feinde ringsum niedergeworfen waren, erfüllte eine andere Sache den Geist Davids. Er war nicht nur ein Mann mächtiger Taten seinen Feinden gegenüber, sondern auch ein Mann des Glaubens vor Gott. Sein Thron war jetzt in Macht auf dem Berge Zion aufgerichtet, aber die Lade Gottes befand sich noch immer im Hause Obed-Edoms, des Gathiters. Die Bundeslade war das sichtbare Zeichen des nahen Verhältnisses, in welchem Gott zu Seinem Volke stand. So war der Verlust der Lade gleichsam das „Ikabod" (die „Nichtherrlichkeit") Israels, und darum sehnte sich das Herz Davids nach der Besiegung aller Feinde und der Vereinigung ganz Israels unter seinem Zepter danach, die Lade in das Zelt zu führen, das er auf dem Berge Zion für sie aufgeschlagen hatte.

Bei dieser Gelegenheit zeigen sich der Glaube und die Frömmigkeit Davids in hellstem Lichte, und zwar in schroffem Gegensatz zu dem Geist des Hauses Sauls. Micha! war, gleich ihrem Vater, in ihrem Herzen nicht auf die Verherrlichung Gottes bedacht; sie hatte gar kein Gefühl dafür. Davids Freude aber war es, sich vor dem Herrn zu demütigen und als Michal ihm sein Tun vorwirft, weist er sie scharf zurecht. Er ist besorgt um die Verherrlichung des Namens seines Gottes und um die Wohlfahrt Seines Volkes. Michal und ihres Vaters Haus kümmerten sich weder um das eine noch um das andere, weil sie die Ansprüche des Gottes Israels nie verstanden. Sie dachten nur an sich selbst. David hingegen hüpfte das Herz vor Freude bei dem Gedanken, dass er die Lade in die Stadt einführen dürfe. Welche Gefühle ihn bei dieser Gelegenheit erfüllten, zeigt am besten der 132. Psalm. Der Geist Gottes hat sie dort zum ewigen Gedächtnis der treuen Ergebenheit Davids Gott und Seinem Volke gegenüber aufgezeichnet. In 2.Samuel 6 wird die Einführung der Lade in die Stadt Davids näher beschrieben. Es heißt dort: „Und David tanzte mit aller Kraft vor Jehova, und David war mit einem leinenen Ephod umgürtet. Und David und das ganze Haus Israel brachten die Lade Jehovas hinauf mit Jauchzen und mit Posaunenschall... . Und sie brachten die Lade Jehovas hinein und stellten sie an ihren Ort innerhalb des Zeltes, das David für sie aufgeschlagen hatte. Und David opferte Brandopfer und Friedensopfer vor Jehova. Und als David das Opfern der Brandopfer und der Friedensopfer beendigt hatte, segnete er das Volk im Namen Jehovas der Heerscharen. Und er verteilte an das ganze Volk, an die ganze Menge Israels, vom Manne bis zum Weihe, an einen jeden einen Brotkuchen und einen Trunk Wein und einen Rosinenkuchen. Und das ganze Volk ging hin, ein jeder nach seinem Hause" (V. 14 - 19).

Das war ein herrlicher Tag für Israel. Die lange, dunkle Nacht, welche als „Ikabod" über Israel gehangen hatte, war vorüber. Die Verbindung zwischen Gott und Seinem Volk war wiederhergestellt. Die Gegenwart, Macht und Herrlichkeit des Gottes Israels waren wieder mit dem Volk. Reiche Segnungen wurden ihm zuteil. Sie sahen und schmeckten etwas von der Herrlichkeit und den Segnungen der Regierung Melchisedeks, des Priesterkönigs. David ist als Priester tätig; er trägt das leinene Ephod. Zugleich ist er das Haupt des Volkes. Und nun befinden sich beide, der Thron des Königs und die Lade Gottes, auf dem Berge Zion. Aus diesem Umstand ergibt sich die hohe Bedeutung, welche Zion seitdem stets gehabt hat. Es wurde Gottes Mittelpunkt im heiligen Land; dorthin versammelten sich fortan die Stämme von ganz Israel, um „vor Gott in Zion" zu erscheinen. Zion ist also für alle Völker das beständige Zeugnis von dem, was Gottes Liebe zu Gunsten Seines Volkes getan hat, als dieses unter dem Gesetz völlig verloren war. Es wird dadurch für den Glauben zugleich die göttliche Bürgschaft für das, was Gott in den letzten Tagen zugunsten Seines Volkes tun will. Vergleichen wir nur die Worte in Offenbarung 14,1: „Und ich sah: und siehe, das Lamm stand auf dem Berge Zion, und mit ihm hundertvierundvierzigtausend, welche seinen Namen und den Namen seines Vaters an ihren Stirnen geschrieben trugen". Was will das sagen? Es zeigt uns einfach und klar, dass der leidende gottesfürchtige Überrest der letzten Tage mit dem Messias in Seiner königlichen Herrlichkeit vereinigt sein wird, ebenso wie die Treuen in Israel seinerzeit mit David vereinigt waren. Der Mittelpunkt des messianischen Reiches und seiner Herrlichkeit ist der Berg Zion, welchen Gott liebt. Dort wird das Lamm regieren, und jene „als Erstlinge aus den Menschen Erkauften" werden Ihm folgen, wohin immer es geht. Welch ein glänzender, gesegneter, herrlicher Lohn dafür, dass sie während ihres Pilgerlaufes hier unten Seine Verwerfung geteilt und, getrennt von der Welt, mit Ausharren auf Sein Kommen gewartet haben!

Verweile hier einen Augenblick, meine Seele, beuge dich nieder und bete an! Du befindest dich in der Gegenwart eines Größeren als David: „Er ist dein Herr: so huldige Ihm!" Doch lerne zugleich von David als dem Vorbild, ziehe Belehrung aus den Einzelheiten seines Lebens! Seine Person und seine Geschichte in dem eben besprochenen Zeitabschnitt enthalten eine Fülle von Hinweisen auf Christum. Schon die Ordnung der Ereignisse ist sehr beachtenswert und lehrt uns etwas von dem, was noch zukünftig ist. Das Ende mag viel näher sein als wir denken; der Glaube sagt, dass es ganz nahe ist. Wenn es kommt, so werden wir nicht bloß wie heute das Vergangene durchforschen, nein, dann werden wir - o wunderbarer Gedanke! - persönlich an den Vorgängen teilnehmen. „Wenn der Christus, unser Leben, geoffenbart wird, dann werdet auch ihr mit ihm geoffenbart werden in Herrlichkeit" (Kol. 3,4). Aber kennen wir heute schon die Vorrechte, die uns als Christen geschenkt sind? Wir sind jetzt schon nach Zion gekommen. Durch den Glauben, im Geist, sind wir bereits am Berge Zion angelangt. Sinai stellt die Verantwortlichkeit des Menschen dar, Zion die Gnade Gottes. Welch ein Unterschied! „Ihr seid nicht gekommen zu dem Berge, der betastet werden konnte ..., sondern ihr seid gekommen zum Berge Zion und zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem; und zu Myriaden von Engeln, der allgemeinen Versammlung; und zu der Versammlung der Erstgeborenen, die in den Himmeln angeschrieben sind; und zu Gott, dem Richter aller, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten; und zu Jesu, dem Mittler eines neuen Bundes, und zu dem Blute der Besprengung, das besser redet als Abel" (Heb. 12,18 - 24).

Welch eine Fülle von Herrlichkeiten, in welche die Gnade uns eingeführt hat! Ja, glückselig alle, die an Christum geglaubt haben, und die jetzt schon in Ihm zu all diesen wunderbaren Herrlichkeiten gekommen sind! Ihr Teil ist heute schon unbeschreiblich gesegnet. Möchten sie es besser verstehen und ihre Herzen mehr in Liebe brennen für Ihn, der sie zuerst geliebt hat!

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Das Wohnen Gottes bei den Menschen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1903 S. 181ff

Wir begegnen hier also zwei Dingen: zunächst dem Wohnen Gottes beiden Menschen, und zweitens dem, was in besonderer Weise die Kirche kennzeichnet, ihrem Einssein mit Christo. Doch verfolgen wir unseren Gegenstand weiter. Wenn wir zu dem Reiche kommen, so finden wir die völlige Erfüllung dieser Vereinigung, indem die Erlösten in ihren Leibern im Himmel sind. Wir sind dann eingegangen in das Haus unseres- Vaters. Nicht nur wohnt Gott in uns, sondern wir stehen in inniger Verbindung mit Christo, wir haben einen Platz im Vaterhause. Ich kann heute sagen: Das Haupt ist im Himmel, und Jesus steht im Begriff, mich auch dahin zu bringen, mich einzuführen in Seine eigene Wohnstätte. So belehrte Er Seine Jünger, ehe Er zu Seinem Vater zurückkehrte: „In dem Hause meines Vaters sind viele Wohnungen; wenn es nicht so wäre, würde ich es euch gesagt haben; denn ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, auf dass, wo ich bin, auch ihr seiet“ (Joh. 14, 2. 3.) Ja, nicht nur das, sondern wir haben jetzt schon Freimütigkeit, im Geiste dort einzutreten. Jesus wird wiederkommen und diejenigen, welche Er sich

heute nicht schämt Seine Brüder zu nennen, zu sich aufnehmen; und dies wird geschehen, wenn die Entfaltung Seiner Herrlichkeit in Verbindung mit dieser Welt bevorsteht und das himmlische Jerusalem die Wohnstätte Gottes wird. Deshalb sagt auch Johannes: „Ich sah keinen Tempel in ihr“ (Offbg. 21, 22).

Zur Erklärung des letzten Satzes möchte ich noch ein Wort hinzufügen. In dem irdischen Jerusalem gab es einen Tempel, und Gott wohnte in ihm; aber Er blieb stets hinter dem Vorhang verborgen, und selbst der Hohepriester durfte nur einmal im Jahre in das Allerheiligste eintreten. Obwohl Herrlichkeit da war, war es doch eine verborgene Herrlichkeit. Sie war damals gleichsam in Dunkelheit gehüllt, abgesehen von dem Licht, welches von ihr selbst ausstrahlte. In dem himmlischen Jerusalem aber „ist der Herr, Gott, der Allmächtige, ihr Tempel, und das Lamm«. Gottes eigene Herrlichkeit ist der Tempel, wenn ich mich so ausdrücken darf. Jede hindernde Schranke, jede Verhüllung der Herrlichkeit, ist verschwunden. Deshalb bedarf die Stadt auch keines Lichtes mehr, weder seitens der Sonne noch des Mondes; sondern „die Herrlichkeit Gottes hat sie erleuchtet, und ihre Lampe ist das Lamm“.

Werfen wir jetzt einen kurzen Blick auf das herrliche Bild hiervon, wie es uns auf dem Berge der Verklärung gegeben wird. Wir sehen dort Petrus, Jakobus und Johannes als Menschen. auf der Erde, während Mose und Elias in Verbindung mit Christo die Menschen in der Herrlichkeit darstellen. Nachher treten sie in die Wolke ein (die Schechinahi *), wie ich nicht bezweifle), welche sie überdeckte und ihre Herzen, als sie eintraten, mit Furcht erfüllte. Was Petrus betrifft, so war er so erstaunt und überrascht, dass er nicht wusste was er sagen sollte, und vorschlug, drei Hütten zu bauen, in welchen Christus und die beiden Männer des Alten Bundes gleichsam als drei göttliche Orakel, als Vermittler der Aussprüche Gottes, wohnen sollten. Aber dann erscheint die prachtvolle Herrlichkeit, und aus ihr heraus ertönt die Stimme des Vaters: „Dieser ist mein geliebter Sohn, Ihn höret“. In diesem wunderbaren Ereignis begegnen wir also den drei Dingen, welche wir im Reiche wiederfinden werden: Heilige hienieden, Heilige mit Christo droben verherrlicht, und die Herrlichkeit, die Wohnung Gottes, das Vaterhaus, in welches jene eintreten.

Hier in Offenbarung 21 finden wir dasselbe: das himmlische Jerusalem kommt hernieder, um die Hütte Gottes bei den Menschen zu sein. Es ist die Kirche, wie wir wissen; denn die Stadt wird die Braut, das Weib des Lammes genannt, und nur die Kirche ist passend, um so mit Christo verbunden zu sein. Nicht nur ist Gott dann bei den Menschen, sondern Seine Hütte, die Kirche, ist da, und Er wohnt in ihr. Es ist das volle, gesegnete Ergebnis Seines Wohnens bei den Menschen; denn wir werden dann aufgenommen sein und diesen himmlischen Charakter empfangen haben.

Es ist eine wunderbare, erhabene Wahrheit, dass es selbst jetzt schon eine Wohnstätte Gottes gibt. Wir besitzen nicht nur Leben und werden dereinst im Himmel glücklich sein, sondern wir sind hienieden schon die Wohnung Gottes. Das ist die volle Frucht des Erlösungswerkes: Gott wohnt in uns. Und was ist das praktische Ergebnis davon? „Die Liebe Gottes ist in unsere Herzen ausgegossen durch den Heiligen Geist“; und diese Liebe ist die einzige Quelle unserer Gedanken und Gefühle als neue Menschen, so dass

nichts anderes eindringen kann. Die Folge davon ist Heiligkeit, zugleich auch göttliches Gericht, wie geschrieben steht: „Die Zeit ist gekommen, dass das Gericht anfange bei dem Hause Gottes“; denn nichts Verunreinigendes kann irgendwie in Gottes Gegenwart, und am allerwenigsten da wo Er wohnt, geduldet werden. So ist denn Heiligkeit gegründet auf die Erlösung und ist aufs Innigste mit Gottes Wohnstätte verbunden.

Alles ist auf die Erlösung gegründet· Adam konnte im Stande seiner Unschuld die Dinge nicht erlangen von welchen wir reden; aber er lauschte auf die Stimme Satans, er aß von der verbotenen Frucht und wurde aus dem Paradiese vertrieben. Dann erschien eine ganz neue Sache: die Erlösung. Der Sohn Gottes kam auf diese Erde herab und stellte die Verantwortlichkeit des Menschen auf ihre letzte, endgültige Probe. Der Mensch verwarf Ihn; Er wollte Ihn nicht. Gott wollte nicht eher richten, bis das Maß der Sünde und Ungerechtigkeit voll war; aber als der Mensch den Sohn Gottes verwarf, da war es voll. Man hat nachher auch noch das Zeugnis des Heiligen Geistes verworfen; aber am Kreuze war das Maß der Bosheit voll. Und nun tritt die herrliche Frucht des Erlösungswerkes ans Licht. Der Mensch wird durch Einen, der Gott vollkommen und in allem verherrlicht hat, von dem Boden des Gerichts, auf welchem er steht, entfernt. Die Sünde ist nach vollbrachtem Erlösungswerk aus Gottes Augen hinweggetan, und eine Befreiung, eine vollkommene Errettung, ist zuwege gebracht, welcher wir durch den Glauben teilhaftig werden. Alle, die jetzt durch die mächtige Wirkung dieses Erlösungswerkes zu Gott gebracht sind, stehen nicht mehr als Menschen unter der Verpflichtung, sich selbst zu verantworten, und dabei die Entdeckung zu machen, dass sie zu nichts Gutem tauglich sind, sondern sie sind durch das Werk Christi in die neue Schöpfung eingeführt; wie geschrieben steht: „Wenn jemand in Christo ist, da ist eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, alles ist neu geworden“ (2.Kor.5,17). Der Gläubige gehört nicht mehr der alten Schöpfung an (sein Leib allerdings wohl; aber davon rede ich jetzt nicht), sondern der neuen Schöpfung, wie Jakobus sagt: „Nach Seinem eigenen Willen hat Er uns durch das Wort der Wahrheit gezeugt, aus dass wir eine gewisse Erstlingsfrucht Seiner Geschöpfe seien“ (Kap. 1, 18.) So steht es mit der Kirche Gottes.

Wir sehen also, dass Gott nicht etwa nur ein wenig Gutes für uns getan hat; nein, Er hat uns mit sich selbst versöhnt durch Jesum Christum. Wir sind Seine Wohnstätte geworden; und was finde ich jetzt im Blick auf die Heiligkeit, von der wir gesprochen haben? Dies: dass ich nicht mehr mir selbst angehöre, sondern um einen Preis erkauft bin. Ich bin für Gott geheiligt, abgesondert, und ich soll Himmelsluft auf alle meine Gewohnheiten, Gefühle und Wege einwirken lassen und in allem zu Ihm hinwachsen, welcher das Haupt ist, indem ich täglich Christum mehr und besser kennen lerne. O welch ein Charakter der Heiligkeit eignet und geziemt dem Christen und der ganzen Kirche Gottes! „Betrübet nicht den Heiligen Geist Gottes“, wird uns gesagt.

Mein lieber Leser! lass mich dich fragen: Wie behandelst du diesen himmlischen Gast? Ich rede jetzt in aller Ehrfurcht von der Gegenwart Gottes in dir und mir. Wie oft am Tage denkst du wohl daran, dass dein Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist? Denke dir, der Kaiser würde zu einem von uns kommen und eine Zeitlang bei uns bleiben; nicht wahr? wir würden an nichts anderes mehr denken als an die Gegenwart unseres kaiserlichen Herrn. Wir würden ihm von ganzem Herzen die Achtung entgegenbringen, welche ihm jedermann erweisen sollte. Angenommen nun, du würdest seine Gegenwart vergessen und ihn vernachlässigen — wäre das nicht eine Schmach für dich, und würde dir dein eigenes Herz nicht bitter-e Vorwürfe darüber machen? Wie aber ist es mit dem Heiligen Geiste, der in uns wohnt? Wir denken oft den halben, ja, zuweilen vielleicht den ganzen Tag nicht an Ihn! Ist das nicht tiefbeschämend und betrübend? Wir sind berufen, würdig der Gegenwart eines solchen Gastes zu wandeln; wir müssen den Tempel rein erhalten. Freilich ist es wahr, dass wir fehlen, und dann tritt die Fürsprache Christi ein; aber jenes ist der Charakter, der uns geziemt. O wenn unsere Herzen nur mehr daran dächten! Seine Gegenwart in uns ist weit gesegneter als einst das Wohnen Gottes im Tempel zu Jerusalem. Sie ist vielleicht nicht so handgreiflich, so offenbar, aber sie ist nicht weniger wirklich.

Mein Leser! glaubst du, dass der Sohn Gottes herniedergekommen ist? Als Gott war Er selbstverständlich

stets überall; und doch kam Er hernieder. Gerade so ist es mit dem Heiligen Geiste. Als Gott war und ist Er überall, und doch kam Er, von Gott gesandt, aus diese Erde herab; und wo wohnt Er jetzt? In unseren Leibern und in der Kirche Gottes. — Was für welche sollten wir, die Einzelnen, und die Kirche in ihrer Gesamtheit deshalb sein!

Ich frage weiter: Ist der Heilige Geist wieder weggegangen? Hat Er die Erde wieder verlassen? Nein, Gott

sei gepriesen! Er wird das auch nie tun, nicht eher bis Christus kommt und die Kirche aufnimmt; dann wird auch der Heilige Geist mitaufgenommen werden, oder besser, Er wird mit der Braut in den Himmel zurückkehren, obgleich Er nie, auch dann nicht, aufhören wird zu wirken. Er ist jetzt bei uns hienieden und wird bei uns und in uns bleiben bis zu jenem seligen Augenblick. Aber, fragst du vielleicht, woran kann Seine Gegenwart erkannt werden? Was ist der Beweis, worin besteht das Zeugnis, dass Er hier ist? Wunder und Zeichen geschehen heute nicht mehr wie im Anfang, und werden auch wohl nicht wieder geschehen, es sei denn infolge des Einflusses und der Macht Satans. Nein, dieser Beweis, dieses Zeugnis ist mehr praktischer Natur. Die Gegenwart des Geistes Gottes gibt sich kund in dem Verhalten, in dem Geist, in der Weise und in den Wegen der Gläubigen, und es ist deshalb die Frage, inwieweit wir auf Erden in der Kraft des Geistes wandeln.

Doch lasst uns nicht vergessen, dass alle diese Dinge die Frucht des vollbrachten Erlösungswerkes sind. Denn wie könnten wir in dieser Weise reden, wenn wir nur auf uns selbst blicken müssten? Unmöglich! der Heilige Geist kommt zu uns als Siegel, als die Beurkundung des Wertes des Werkes Christi. Hernach ruft Er Frucht hervor, indem Er von der Wirksamkeit dieses Werkes zeugt. Es ist gerade so wie bei den Priestern unter dem Gesetz: sie wurden zuerst mit Wasser gewaschen, dann mit Blut besprengt und schließlich mit Ölgesalbt. So kommt auch der Geist, nicht als die Versiegelung der Früchte, welche Er hervorbringt, sondern als die Versiegelung des Werkes Christi; und dann erst folgt die Frucht.

Auf demselben Wege finden wir auch Frieden: durch den Geist, der von der Wirksamkeit des Werkes Christi Zeugnis ablegt. Überführt von der Sünde, fliehen wir zu Christo und unterwerfen uns der Gerechtigkeit Gottes, indem wir auf den Wert des Blutes Christi blicken; und dann kehrt der Friede in unser Inneres ein, indem der Heilige Geist jenen Wert bezeugt und besiegelt. Nachher richtet sich die Ermahnung an uns: „Betrübet nicht den Heiligen Geist Gottes, durch welchen ihr versiegelt worden seid auf den Tag der Erlösung“ (Eph. 4, 30). So war es auch mit den Kindern Israel. Es wurde ihnen nicht gesagt: „Sehet auf die Fortschritte, die ihr gemacht habt; sehet, ihr habt Sukkoth verlassen und traget den Teig in euren Backschüsseln!“ sondern: „Stehet, und sehet die Rettung Jehovas!“ (2. Mose 12 u. 14). Das was die Wirkung des Erlösungswerkes unterscheidet und auszeichnet, ist gerade die Gegenwart des Heiligen Geistes; wir genießen sie als die Frucht des Werkes Christi.

Ist dies dein Fall, teurer Leser? Glaubst du, dass du erlöst bist? Du redest von Christo als deinem Erlöser. Aber dann lass mich fragen: Was hat Er für dich getan? Hat Er dich in Ägypten zurückgelassen? Nein, wenn du ein Gläubiger bist, so hat Er dich aus dem Lande der Knechtschaft herausgeführt, und Er selbst ist in den Himmel gegangen, um dort in der Gegenwart Gottes für uns zu erscheinen. Was uns, ehe wir glaubten, so viel zu schaffen machte, wozu bei manchen monate-, ja jahrelange Kämpfe nötig sind, ist die Überführung von unserer völligen Ohnmacht, von unserer gänzlichen Unfähigkeit, etwas zu unserer Errettung zu tun. Aber was könnten wir tun? Wir sind ganz und gar kraftlos. Was bleibt uns da anderes übrig als „zu stehen und die Rettung Jehovas zu sehen«? Wenn ich diese aber erfahren habe, so darf ich sagen: Ich bin nicht mehr in Ägypten. Statt dessen ist mir die Reise durch die Wüste zuteil geworden, sowie Herzensübungen aller Art, auch Kampf in Kanaan, wenn ich durch den Jordan gegangen bin; aber alles das stets verbunden mit der Gewissheit, dass ich erlöst bin.

Der Herr gebe uns mehr und mehr zu verstehen, dass wir berufen und zubereitet sind, kraft der Erlösung

und durch den Heiligen Geist die Wohnstätte Gottes hienieden zu bilden, sowohl persönlich als auch gemeinschaftlich als die Kirche Gottes! Er wolle uns auch tiefer fühlen lassen, was für Leute wir infolge dessen sein sollten »in heiligem Wandel und Gottseligkeit«, und dass ,,Heiligkeit Seinem Hause geziemt auf Länge der Tage«. (2. Petrus 3, 11; Ps. 93, 5.) Dies wird fortdauern, bis der neue Himmel und die neue Erde kommen; und selbst dann wird, wie wir gesehen haben, von der Hütte Gottes bei den Menschen gesprochen, und zwar in Verbindung mit dem Platze, zu welchem wir in Christo gelangt sind. — Ja, Herr, gib uns durch den Glauben zu verstehen, dass unsere Leiber Tempel des Heiligen Geistes sind, und dass wir nicht uns selbst angehören, sondern um einen Preis erkauft sind!

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Kommet her zu mir

Bibelstelle: Matthäus 11, 25 - 30

Botschafter des Heils 1903 S. 190ff

Der Herr Jesus fühlte Seine Verwerfung von seiten Israels tief und schmerzlich; aber Er erkannte den Willen und die Weisheit Gottes darin und beugte sich willig darunter. (Vergl. Jes. 49, 4.) Er konnte sagen: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies vor Weisen und Verständigen verborgen hast und hast es Unmündigen geoffenbart“. In diesem Tun Gottes offenbarte sich Seine Unumschränktheit, zu handeln wie Er will, in gesegneter Weise. „Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig vor dir.“ Wenn wir Gott kennen, so wird notwendigerweise alles gut für uns; wir betrachten eben alles als von Ihm kommend, wie sehr es auch unserer Natur entgegen sein mag. Für den Herrn war es gewiss ein tiefer Schmerz, dass die Menschen die Botschaft der Liebe verwarfen, welche Er brachte; aber es warf Ihn ganz auf Gott, welcher in Seiner Unumschränktheit und unergründlichen Weisheit diese Dinge vor den Weisen und Klugen der Welt verborgen und sie Unmündigen und Schwachen geoffenbart hatte. Er erkannte den Vater in diesem allen und wusste, dass es der ganzen Entfaltung der Wege Gottes in einer solchen Welt entsprach. Und das war alles, was der Sohn Gottes (oder wir, als belehrt durch den Geist) wünschen konnte; aber es vollzog sich unter Umständen, welche eine völlige Unterwürfigkeit des Herzens und Tuns erforderten.

Doch gerade diese völlige Unterwürfigkeit brachte den Sohn Gottes in eine Stellung, in welcher Er Anderen Ruhe zu geben vermochte und in welcher die Vollkommenheit Seiner Person ans Licht gestellt wurde. Gerade weil Er Sohn war und als solcher so ganz und gar auf Erden verworfen wurde, blieb der Vater Seine einzige Zuflucht. Obwohl Er vollkommen war und nicht verhehlte, wer Er war, hatte Er hienieden doch nicht die Herrlichkeit angenommen, die Ihm gebührte. Es wäre auch nur die irdische Herrschaft, der Thron Davids, gewesen; und das wäre nur „ein Geringes“ gewesen (Jes. 49, 6). „Alles“ war Ihm jetzt übergeben von Seinem Vater, und gerade wegen der Herrlichkeit Seiner Person, als Sohn Gottes, erkannte Ihn niemand als nur der Vater. Sein Dienst war jetzt, den Vater zu offenbaren in den Vorrechten der Gnade; denn niemand erkannte den Vater, als nur der Sohn und wem irgend der Sohn Ihn offenbaren wollte. „Kommet her zu mir“, sagt Er, der geduldige Zeuge der Gnade, „kommet her zu mir, alle

ihr Mühseligen und Beladenen, und ich werde euch Ruhe geben.“ Mit anderen Worten: Hier bin ich, der Verworfene, welchem aber alle Dinge von dem Vater übergeben worden sind. Hier bin ich, dessen Herz sich gebeugt hat in allem Ausharren der Liebe, welcher Unterwürfigkeit gelernt und gefühlt hat, was es heißt, Schmerz, Verachtung und Spott zu erfahren und, äußerlich betrachtet, keinen anderen Ausweg zu finden als willenlose Unterwerfung. Kommet her zu mir! Mögen die Menschen mich verworfen haben: ich bin der Sohn, und niemand erkennt den Vater als nur der, dem ich Ihn offenbare. Wer irgend seine Bürde fühlt und nicht mit der hochmütigen Welt vorangeht, wer irgend mühselig und beladen ist, an dem erweise ich Liebe und Gnade; er komme her zu mir, ich werde ihm Ruhe geben. Ich habe gelernt, mit dem Müden ein Wort zu reden zur rechten Zeit.

Es war die völlige Unterwerfung des Herrn unter solche Umstände, wie sie „zu jener Zeit“ Ihn umgaben, was Seiner eigenen Seele das Bewusstsein eines weit besseren Teiles, als das des Messias nach dem Gesetz und den Propheten, köstlich machte. Und dieses Teil konnte Er nun auch Anderen offenbaren. Seine Verwerfung führte Ihn sozusagen in dieses Teil ein, Gott sei dafür gepriesen! Er hatte Israel gegenüber geduldige Gnade und Liebe geoffenbart; aber sie taten nicht Buße, selbst nicht an den Orten, wo Seine meisten Wunderwerke geschehen waren. Obwohl der Messias in Person gekommen war, endete die damalige Haushaltung oder Verwaltung in völligem Verfall. Ich aber sprach: Umsonst habe ich mich abgemüht, vergeblich und für nichts meine Kraft verzehrt; doch mein Recht ist bei Jehova, und mein Lohn bei meinem Gott“ (Jes. 49, 4). Ja, Er hatte ,,Seine Hände ausgestreckt zu einem ungehorsamen und widersprechenden Volke“ (Röm. 10, 21). Als Er kam, war niemand da, der auf Ihn gehört hätte. Für Seine Liebe erntete Er Hass. Der Hohn brach Sein Herz. Die Segnungen, welche Er dem Volke bringen wollte, die Ansprüche, die Er an dasselbe hatte, die Ansprüche Seiner Liebe, wurden verworfen. Doch es waren Unmündige da, welche das erkannten, was den Großen und Weisen der Erde verborgen blieb. „Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig vor dir!“ das war es, was den Herrn tröstete. Das war Ihm genug. Aber was folgte weiter auf diese Seine Verwerfung seitens der Menschen? Er sagt: „Alles ist mir übergeben von meinem Vater«; d. h. eine weitergehende, vollere und wirklichere Herrlichkeit, als die des Sohnes Davids, tritt ans Licht. Alles ist Ihm übergeben. Aber so hoch und erhaben Er auch sein mag, Er ruft alle zu sich und bietet ihnen Ruhe an, Ruhe in der Liebe des durch Ihn geoffenbarten Vaters. 193

Da ist niemand außer Ihm, dem Sohne Gottes, der da sagen könnte: „Kommet her zu mir!“ Alle anderen haben sich als unfähig erwiesen, den Mühseligen und Beladenen zu geben was sie bedürfen. Wer vermöchte allen, die da kommen, Ruhe zu geben, als nur der Sohn, Jehova selbst? Und Er tut es in freier, überströmender Gnade, Er, der sanftmütige und demütige Sohn Gottes. Er gibt wahre Ruhe, vollkommene Ruhe; Er, der wie kein Anderer wusste, was es heißt, inmitten des Kampfes und der Unruhe dieser Erde einen ununterbrochenen Frieden zu genießen. Und Er teilt das Geheimnis dieser Ruhe, dieses Friedens Anderen mit: „Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen“. Hier sagt Er nicht: „Ich werde euch Ruhe geben“; das konnte und wollte Er freilich armen, beladenen Sündern gegenüber tun als Jehova, als Gott, der Herr. Hier aber handelt es sich um die Seinigen, um solche, die bereits zu Ihm gekommen waren; deshalb sagt Er: „Ihr werdet Ruhe finden“. „Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir.“ Mit anderen Worten: Ich habe gelernt, auf welchem Wege diese Ruhe zu finden ist.

Ja, Er hatte als Mensch Gehorsam gelernt: „Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun“. Und nur auf diesem Pfade der Abhängigkeit, der Unterwürfigkeit und des Gehorsams, wie Jesus ihn ging, ist Ruhe

zu finden. Er allein ging diesen Pfad und konnte ihn gehen in Vollkommenheit; wir aber dürfen Ihm darauf

folgen. Dazu gehört nicht eine hervorragende Kraft oder große Anstrengung; nein, es ist gewissermaßen eine leichte Sache, wie Er auch sagt: „Mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht“. Unterwirf dich! Sprich: „Ja, Vater, denn also war es wohlgefällig vor dir!“ Das ist Sein Joch, und so lernen wir von Ihm, wie Er alles als von dem Vater kommend betrachtete und nichts den Umständen zuschrieb. Deshalb konnte Er auch allezeit für alles dem Vater danken, wie auch wir es in Seinem Namen tun dürfen und sollen. „Also war es wohlgefällig vor dir!“ Das war Ihm, wie gesagt, genug. Es war eine völlige Unterwerfung. Er sah in allem den Vater.

Der Wert dieser Unterwürfigkeit liegt darin, dass sie mit einer völligen Kenntnis der Sohnschaft verbunden ist. Dies alles ist höchst gesegnet und wird nur in Christo gelernt. Die Unendlichkeit der Gottheit des Sohnes blieb in Seiner Menschheit völlig bewahrt, indem die absolute Unerforschlichkeit Seiner Person gerade in Seiner Erniedrigung besonders und augenscheinlich aufrecht gehalten wurde. Zugleich erwies sich Sein Eins-sein mit dem Vater darin, dass Er allein imstande war, den Vater zu offenbaren, und dass es in Seinen unumschränkten Willen gestellt war, wem Er den Vater offenbaren wollte. Beide Dinge behaupten ihren Platz in sehr kostbarer Weise, indem sie die Person des Sohnes in der Herrlichkeit der Gemeinschaft mit dem Vater, sowie die Unerforschlichkeit des so geoffenbarten Gottes aufrecht halten, während der Vater als solcher durch den Sohn kundgemacht wurde.

Wie weise, vollkommen, ja, einzig göttlich ist die Heilige Schrift! Nichts kommt ihr gleich. Keine Menschen- Weisheit, kein noch so erleuchteter Verstand hätte einen Ausspruch, wie den oben betrachteten, ersinnen können.

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Nicht eine Stunde könnt ihr wachen?

Bibelstelle: Matthäus 26, 40. 41

Botschafter des Heils 1903 S. 195ff

Und er kommt zu den Jüngern und findet sie schlafend; und Er spricht zu Petrus: Also nicht eine Stunde vermochtet ihr mit mir zu wachen? Wachet und betet, auf dass ihr nicht in Versuchung kommet; aber der Geist zwar ist willig, dass Fleisch schwach. (Matthäus 26, 40. 41)

Nicht eine Stunde könnt ihr wachen

mit eurem Herrn, der betend ringt?

Nicht streiten, dass den Leib den schwachen,

des Geistes will`ge Kraft bezwingt?

Es kämpft der Heiland tieferreget –

Ein Steineswurf, ach! trennt Ihn nur –

und während ihr der Ruhe pfleget,

perlt blut`ger Schweiß dort auf die Flur!

Nicht eine Stunde könnt ihr wachen? –

Wohl liegt sich`s auf dem Rasen sacht;

Des Ölbaums Zweige überdachen

die Schlummerstädte mit Smaragd.

Vom Tal herauf tönt Kidrons Schäumen,

eintönig wie ein Wiegenlied,

und lullt in grambefreites Träumen

die Sinne, die vom Tage müd.

Nicht eine Stunde könnt ihr wachen? –

Und Jahre hat Er euch geschenkt?

Hat eures Lebens schwanken Nachen

auf Sturmesschwall zur Ruh gelenkt.

Die Er berief zu Höh`rem Werke

An Galiläas klarem See,

trug Seine Gotteshuld und Stärke

so sicher gen Gethsemane!

Nicht eine Stunde könnt ihr wachen? –

Und nimmer hat Sein Herz geruht!

Er riss euch aus des Löwen Rachen,

befreite euch von Satans Wut.

Und draußen klirrt vor Tor und Hecken

schon des Verräters finstrer Zug

Mit Schwert und Schild, mit Speer und Stöcken,

und – heuchelnd mit der Liebe Trug!

Nicht eine Stunde könnt ihr wachen? –

Auch mir klingt mahnend es ins Ohr,

wenn in der Erde heitrem Lachen

ich sorglos träumend mich verlor;

wenn in des Werktags steten Gleisen

mein säumig Herze sich vergisst,

wenn der Zerstreuung Schmeichelweisen

beredten Mundes mich geküsst.

Nicht eine Stunde könnt ihr wachen?-

Sei mir gegrüßt du ernstes Wort!

Lehr mich die Leuchte anzufachen,

o klage mahnend, warnend fort!

Dass Wachen, Beten sich verbinde,

wie`s treuen Knechten sich gebührt,

dass mich mein Herr gegürtet finde,

wenn Er die Seinen heimwärts führt!

K. B.

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Gedanken über Psalm 84

Bibelstelle: Psalm 84

Botschafter des Heils in Christo 1903, S. 197ff

„Jehova, Gott der Heerscharen, höre mein Gebet; nimm zu Ohren, du Gott Jakobs " (V. 8)! Der müde Pilger langt endlich vor Gott in Zion an. Wahrlich, es muss eine gesegnete Reise sein, die einem solchen Ziel zuführt! Und gepriesen sei der Gott Jakobs, dass der Pilger schon während der Reise zuweilen einen süßen Vorgeschmack von jenem glückseligen Ende empfindet! Aber was wird es sein, wenn es einmal völlig in Herrlichkeit geschmeckt werden wird, im Vaterhause droben! Möchten wir bis dahin nicht versäumen, an der Quelle zu trinken, während wir durch „ein dürres und lechzendes Land ohne Wasser" pilgern! Der Glaube ist jetzt in den Höfen droben ebenso willkommen, wie wir selbst es einst sein werden am Ende unserer Reise. Unser Anrecht an die himmlischen Segnungen ist heute genau so gewiss und wohlbegründet, wie es dann sein wird; denn der Name Christi kann nie willkommener und wohlgefälliger sein als er es heute ist. Darum lasst uns von unserem Anrecht Gebrauch machen, ja, lasst uns dem Himmel Gelegenheit geben zu sehen, welch einen würdigen und beständigen Gebrauch wir schon heute von jenem gesegneten Namen zu machen vermögen!

Beim Nachsinnen über diesen Vers kommt uns ein ernster Gedanke in den Sinn; es ist dieser: Zion, die Stätte der Gnade, ist der Ort, an welchem Gott und Sein Volk zusammentreffen. Es gibt zwei Stätten oder richtiger Grundlagen der Begegnung mit Gott, und jedes Kind Adams muss früher oder später auf der einen oder anderen Gott begegnen: entweder auf dem Boden der Gerechtigkeit oder auf dem der Gnade. Niemand kann dem entrinnen. Niemand denke, dass er in der großen Menge der Beachtung entgehen könne! Jeder muss persönlich und für sich selbst vor Gott erscheinen. „Also wird nun ein jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben" (Römer 14,12). Wahrlich, ein ernster Gedanke! Denn wer vor Gott auf dem Boden der Gerechtigkeit erscheint, ist verloren, verloren für immer. Wer könnte Gott auf tausend auch nur eins antworten? Einen ähnlichen Gedanken spricht der Psalmist aus, wenn er sagt: „Und gehe nicht ins Gericht mit deinem Knechte! Denn vor dir ist l: c in Lebendiger g e r e c h t" (Ps. 143,2). Was würde es dem Menschen nützen, wenn er dort mit Gott rechten wollte? Er vermag es gar nicht; denn schon heute müssen in der Gegenwart Gottes alle menschlichen Rechtfertigungsgründe schweigen. Kein Mensch kann in dieser heiligen Nähe ein Wert zu seiner Rechtfertigung sagen. Daraus geht klar hervor, dass die Seele, wenn sie Gott auf dem Boden der Gerechtigkeit begegnet, hoffnungslos verloren sein muss.

Der andere Boden, der einzige, welcher noch übrigbleibt, denn einen dritten gibt es in der Schrift nicht, ist der Boden der Gnade, der bedingungslosen, freien Gnade. Glücklich ein jeder, der auf diesem Boden vor Gott steht! Er ist in ewiger Sicherheit. Er ist durch das Erlösungswerk Jesu Christi auf immerdar errettet. Das große Heil Gottes ist sein. Was er vordem war, ist unbeachtlich. Er ist jetzt ein Gläubiger. Er glaubt an Jesum Christum; er ehrt den Heiland mit dem Vertrauen seines Herzens, und nun ist in Gottes Augen nichts zu gut für ihn. Gott ehrt jetzt ihn völlig und offenbarlich. Mit einem Wort, er ist gesegnet entsprechend den Reichtümern der göttlichen Gnade und dem Wert des Werkes Christi. Wie die Braut sich zu dem Bräutigam, die Gattin zu dem Gatten hält, so hält sich der Christ zu Christo im Himmel. Fr ist mit dem Herrn vereint und ein Geist mit Ihm. Ja, wahrlich, glückselig alle, die mit ihrem eigenen Wirken zu Ende gekommen sind und nur auf das vollendete Werk Jesu Christi vertrauen!

Aber welcher Unterschied besteht denn heute zwischen einer Seele, die auf dem Boden der Gnade, und einer solchen, die auf dem Boden der Gerechtigkeit steht? Nun, die Antwort ist, dünkt mich, nicht schwer. Die eine Seele vertraut praktisch auf Christum, die andere auf sich selbst. Das ist tatsächlich der große Unterschied zwischen dem Erretteten und dem Nichterretteten, zwischen einem Christen und einem Weltkind. Die Verbindung mit der Person Christi durch den Glauben macht diesen Unterschied aus. Der eine mag äußerlich eben soviel Religion besitzen wie der andere, ja, er mag in seinen sogenannten religiösen Übungen sehr eifrig sein; aber wenn das Herz nicht mit der Person Christi verbunden ist, so nützt ihm das alles nichts. Andererseits aber wird ein Trunk kalten Wassers, der in Verbindung mit dem Namen Jesu gereicht wird, seinen ewigen Lohn nicht verlieren.

Wer seine Bedürftigkeit und Hilflosigkeit gefühlt hat und allein auf Christum vertraut, steht auf dem Boden der Gnade, der unvermischten Gunst Gottes; wen dies aber fremd ist - mag er dann auch eine Fülle von guten Werken, von Werken der Barmherzigkeit und Nächstenliebe, von erfüllten religiösen Pflichten u. a. m. aufzuweisen haben -, der befindet sich auf dem Boden einer unbeugsamen Selbstgerechtigkeit. Der Baum muss zuerst gut gemacht werden, ehe die Frucht gut sein kann. Wir müssen erst in den lebendigen Weinstock eingepfropft und der Fettigkeit seiner Wurzeln teilhaftig geworden sein, bevor wir Gott Frucht bringen können. Nur Christus kann Gott Frucht bringen; aber so wie der Baum durch seine Zweige die Frucht darreicht, so bringt Christus durch Seine Glieder Gott Frucht.

Schrecklich, im vollsten Sinne des Wortes, muss das Zusammentreffen Gottes mit dem Sünder sein, wenn es auf dem Boden der Gerechtigkeit stattfindet. Das Senkblei, welches an eine schiefe Mauer gelegt wird, kann diese nicht gerade machen, sondern zeigt nur, wie schief und krumm die Mauer ist. So kann auch der Richterstuhl nur den ganzen traurigen Zustand des Sünders offenbar machen, nicht aber ihm Gunst erweisen oder ihn umwandeln. Der Tag der Gnade ist dann vorüber. Es ist zu spät, um nach Erbarmen zu rufen; ach, für immer zu spät! Das furchtbare Wort ertönt: „Gehet von mir, Verfluchte"! Die Tore des Himmels sind geschlossen, die Pforten der Hölle geöffnet; Satan macht seine Ansprüche geltend an den, der ihm gedient hat, und von jenen feurigen Mauern umschlossen, aus denen es kein Entrinnen mehr gibt, erkennen die Verlorenen ihre schreckliche Torheit zu spät.

O welch ein Ende einer unsterblichen Seele! Schon der Gedanke daran ist überwältigend, und das Herz zittert, während die Hand diese Worte niederschreibt. Was kann geschehen, um das Schreckliche zu verhindern? so fragt man unwillkürlich. Ja, was kann geschehen? Das einzige, was in Betracht kommt, ist bereits geschehen. Das Erlösungswerk ist vollbracht. Jesus ist gestorben und auferstanden. Eine sichere Grundlage von Gnade und Herrlichkeit ist in Zion gelegt worden, und wer an diesen Jesus glaubt, wird nie verdammt werden. Er ist „unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden". - „Glaube an den Herrn Jesus, und du wirst errettet werden" (Röm. 4,25); Apg. 16,31). Das sind klare, einfache Worte; wer könnte ihre Bedeutung missverstehen? Der Kerkermeister glaubte an den Herrn Jesus, er vertraute auf Ihn nach dem Wort des Apostels und wurde errettet; mit ihm auch die anderen Glieder seines Haushalts, welche glaubten. Das Evangelium ist heute dasselbe wie damals; wer an den Sohn Gottes glaubt, hat ewiges Leben.

Möge der Herr der Ernte mehr Arbeiter in Seine Ernte aussenden, und möge Er den Verkündigern Seines Evangeliums die Gnade schenken, dass sie nie die große Wichtigkeit ihrer Aufgabe, die ernsten Ergebnisse ihrer Predigt aus dem Auge verlieren! Je mehr ein Prediger sich das furchtbare Schicksal eines Menschen ohne Christum vergegenwärtigt, desto eindringlicher wird er mahnen und desto eher wird seine warnende Stimme die Seelen erreichen. Das Ende ist nahe, die Zeit ist kurz, der Herr kommt bald und viele, viele befinden sich noch auf dem Weg, der ins Verderben führt.

Ja, Herr, rüste dein Wort aus mit Kraft aus der Höhe, damit es einen tieferen Eindruck auf die Herzen derer mache, welche es hören! Senke eine brennende Liebe in das Herz deiner Boten, beseele sie mit dem heißen Verlangen nach der Errettung verlorener Sünder! Lehre sie, das schreckliche Ende ihrer nicht erretteten Zuhörer bedenkend, klar, bestimmt, kühn und ernst und doch auch liebevoll zu ihnen zu reden; und möge ihr beständiges Gebet sein: „Herr, gib dass keiner weggehen möge, ohne einen tiefen Eindruck empfangen zu haben und ohne aus dem Sündenschlaf aufgewacht zu sein"!

Beim Nachsinnen über die Glückseligkeit derer, welche den Berg Zion erreicht hatten und vor Gott in Seinem heiligen Tempel weilten, bricht der Psalmist in Anbetung und heißes Flehen aus. Er sehnte sich innig danach, dieselben Vorrechte genießen zu dürfen wie jene. „Es sehnt sich, ja, es schmachtet meine Seele nach den Vorhöfen Jehovas". Wie oft ist dies die Erfahrung des Volkes Gottes gewesen, wenn es des Genusses der äußeren gemeinschaftlichen Segnungen beraubt war. Ja, es gibt in der Gemeinschaft der Heiligen eine göttliche Wirklichkeit. „Ich freute mich, als sie zu mir sagten: Lasset uns zum Hause Jehovas gehen" (Psalm 122,1)! Wenn wir mit denen zusammentreffen, die wir im Geiste lieben, so bleiben geistliche Erquickung und Segnung nicht aus. Nur., nicht mehr lange, dann werden wir im Himmel einander begegnen, um uns gegenseitig vollkommen zu lieben und nie mehr voneinander zu scheiden.

Ein Namenschrist, der sein Heil nur in äußeren Formen und Satzungen sucht, kennt diese Übungen natürlich nicht; aber der Psalmist war das genaue Gegenteil eines solchen. Sein ganzes Herz war bei dem Dienst, der Gott im Tempel dargebracht wurde; im Geist nahm er teil daran, selbst wenn er sich in der Verbannung befand. Er pries Gott; aber infolge seiner äußeren Lage verwandelte sich sein Danken in ein Gebet: „Jehova, Gott der Heerscharen, höre mein Gebet; nimm zu Ohren, du Gott Jakobs"!

Zwei deutlich unterschiedene Gedanken von großem praktischen Wert für den Christen kommen in diesem kurzen Gebet zum Ausdruck. Es bekundet einerseits die tiefe Empfindung von der M a j e s t ä t Gottes und andererseits das Bewusstsein des nahen, innigen Verhältnisses der Seele zu Gott. Als „Gott der Heerscharen" ist Er unumschränkt in Seiner Gewalt und Macht, als „Gott Jakobs" unendlich in Seiner Barmherzigkeit und Güte Seinem Volke gegenüber. Die Juden konnten sich auf die Bundestreue Jehovas, w i r können uns auf Seinen Vaternamen in Verbindung mit Christo verlassen. In Gott war Macht, Sein Volk auf dem Weg durch das Tränental zu beschützen und, was noch lieblicher ist, in Ihm war Gnade, sie auf dem heiligen Berge Zion zu segnen. Hier wendet sich der Blick des glücklichen Anbeters sowohl von dem eigenen Ich, wie auch von den Schwierigkeiten und Versuchungen des Weges ab, und er frohlockt in dein seligen Bewußtsein seines Verhältnisses zu dem lebendigen Gott.

Als Christen haben wir den „Geist der Sohnschaft empfangen, welchem wir rufen: Abba, Vater"! So lehrt und leitet uns der Heilige Geist Selbst, den kostbaren Vaternamen als den Ausdruck unseres Verhältnisses zu Gott zu gebrauchen. Das ist jetzt unsere glückselige Stellung durch die Reichtümer der göttlichen Gnade. „Weil ihr aber Söhne seid, so hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der da ruft: Abba Vater"! (Gal. 4,6)! Gleichsam gestern noch waren wir fern von Gott und suchten unser Glück abseits von Ihm; aber dann hat Er Sein Erbarmen an uns groß gemacht -- Sein Name sei dafür gepriesen! - und hat uns Sich nahegebracht durch den Glauben an Jesum Christum. Nun besitzen wir die Stellung und das Teil von Kindern, heute und in alle Ewigkeit. Denken wir über das wunderbare Wort nach, das schon so viele beglückt hat: „Also bist du nicht mehr Knecht, sondern Sohn, wenn aber Sohn, so auch Erbe durch Gott" (Gal. 4,7)! Ja, lasst uns über diese Wahrheit, besonders über die Worte: „nicht mehr" nachsinnen. „Du bist nicht mehr Knecht, sondern Sohn", und darum auch „Erbe", „Erbe durch Gott". Wir sind also nicht nur Erben des Himmels oder der Herrlichkeit, sondern „Erben Gottes" durch Jesum Christum. Wunderbare Wahrheit! Die Besitzungen Gottes gehören uns. Zudem spricht der Geist hier nicht von dem, was wir sein werden, sondern von dem, was wir jetzt schon sind. „Du bist nichtmehr Knecht, sondern Sohn". Welch wunderbarer Platz, welch gesegnetes Vorrecht, welch herrliche Freiheit! Wir können nur danken und anbeten; es gibt nichts, was unseren Besitzungen noch hinzugefügt werden könnte. „Sehet, welch eine Liebe uns der Vater gegeben hat, dass wir Kinder Gottes heißen sollen! Deswegen erkennt uns die Welt nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat. Geliebte, jetzt sind wir Kinder Gottes, und es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir wissen, dass, wenn es offenbar werden wird, wir ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Und Jeder, der diese Hoffnung zu ihm hat, reinigt sich selbst, gleichwie er rein ist" (1. Joh. 3,1-3).

„Du, unser Schild, sieh, o Gott; und schaue an das Antlitz deines Gesalbten"! (Vers 9) Das sind wunderbare Worte. Beim Hören und Niederschreiben berühren sie eine Saite im Herzen, deren Erklingen tiefe Gedanken und Gefühle erweckt. Wie schön und gesegnet ist die Zusammenstellung: „unser Schild" - „dein Gesalbter". Gott und die Seele sind einander nahegebracht. Sie haben beide dieselbe Person im Auge: „unser" - „dein". Beider Blicke sind auf denselben Jesus gerichtet, wenn auch von verschiedenen Gesichtspunkten aus. Er ist Gottes Gesalbter, und Er ist unser Schild. Teurer Heiland! Er verherrlichte Gott, versöhnte den Sünder und vereint gleichsam beide in sich selbst. „Ich in meinem Vater, und ihr in mir, und ich in euch" (Joh. 14; 17). Gesegnete Vereinigung!

Vielleicht haben manche von uns die Kraft dieses Verses vorher nie so erkannt oder gefühlt. Darum lasst uns in Ruhe und mit tiefem Ernst darüber nachsinnen und alle unsere Gedanken auf diese wichtige Wahrheit richten! Wie viele Segnungen fließen aus dem hochbegünstigten Platz hervor, auf welchem wir stehen! Genuss, Sicherheit, Glück - alles ist hier für Zeit und Ewigkeit zu finden.

Doch besonders sollten die Gedanken bei Ihm verweilen, der auf die angedeutete Weise den Gläubigen mit Gott, das Tränental mit den himmlischen Vorhöfen verbindet! Er, die Freude und Wonne des Vaters, der Eine, auf welchem Sein Auge stets mit vollkommenem Wohlgefallen ruht, ist der Bergungsort jedes Gläubigen, Er ist dein Bergungsort. Hier bist du vor jedem Sturm in diesem Leben geschützt, wie hinter einem undurchdringlichen Schild, in ewiger Sicherheit. Kein Feind kann je diesen sicheren Hort erbrechen. Er mag drohen, aber mehr vermag er nicht. Nur sei wachsam und vor allem verlas deinen Bergungsort nicht! Du bist nur dann sicher, wenn du dich hinter dem Schild hältst. Dort hast du auch alles, was dein Herz begehren mag.

Leider begnügen sich viele mit einer bloßen Formreligion oder mit der trockenen Erörterung menschlicher Lehren; du aber sich nur auf Christum Selbst, beschäftige dich nur mit Ihm. Die Erkenntnis Seiner Person gibt der Seele Kraft und Freude. Zu allen Zeiten und unter allen Umständen können wir sagen: „Schaue an das Antlitz deines Gesalbten"! Wir können nicht immer sagen: „Schaue uns an", aber stets dürfen wir sagen: „Schaue Ihn an". Mögen wir über unser häufiges Straucheln betrübt sein oder durch unsere Treue für den Namen Jesu in Prüfungen und Schwierigkeiten geraten, in beiden Fällen, so verschieden sie sind, können wir vor Gott geltend machen, was Christus ist. Gott blickt stets mit Wohlgefallen auf Ihn, beschäftigt sich stets mit Ihm als dem aus den Toten Auferstandenen und zu Seiner Rechten Erhöhten, und es ist Sein Wunsch, dass wir uns ebenfalls mit Ihm allein beschäftigen.

Wahrer Glaube kann nur auf Gottes Schätzung des Werkes und der Person Christi ruhen, nicht auf eigenen Gedanken und Gefühlen. Der Glaube des Formenchristen, wenn man bei einem solchen überhaupt von Glauben sprechen kann, ruht auf seiner eigenen Fähigkeit in der Beurteilung dieser Zusammenhänge. Er vertraut auf sich selbst. Das ist der wesentliche Unterschied zwischen scheinbarem und wirklichem Glauben. Der eine ruht auf Gottes Schätzung der Person Christi, der andere auf der eigenen. Der eine vertraut auf Christum, der andere auf sich selbst. Aber welch ein gewaltiger Unterschied besteht zwischen diesen beiden in Gottes Augen! und wie groß, wie unermesslich groß wird der Unterschied für alle Ewigkeit sein, dann wenn es keine Veränderung mehr gibt! Wir sollten darum nur auf Gott blicken, nur auf das lauschen, was Er sagt! Das Wort des lebendigen Gottes ist ein fester, unerschütterlicher Felsen; alle eigenen Gedanken sind Triebsand.

Auf Gottes Zeugnis über den Wert des Blutes Christi ruht das Gewissen mit vollkommener Ruhe trotz allen gegenteiligen Gefühlen im Innern des Herzens und Gottes Zeugnis über die Person Christi erhält das Herz in Frieden und Glück trotz der widerwärtigsten Umstände. Was Gott sagt, muss sich bestätigen und bewähren, ungeachtet aller beunruhigenden und verwirrenden Umstände von außen und Gefühle von innen. Durch Glauben wandeln wir und ziehen unsere Schlüsse in Gemeinschaft mit Gott. Wenn Gott vom Himmel herab verkündigt: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe," so antwortet die Stimme des Glaubens von der Erde her: „Dieser ist mein geliebter Heiland, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe". Die Stimmen begegnen und vereinigen sich in einer Person. Das ist Gemeinschaft! Wunderbare, herrliche Wahrheit!

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Einige Gedanken über die Kirche oder Versammlung

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1903 S. 208ff

Das gewöhnlich durch „Kirche“ oder „Gemeinde“ übersetzte griechische Wort ecclesia bedeutet eigentlich „Versammlung« und bezeichnet besonders eine Versammlung von Leuten, welche in den griechischen Staaten Bürgerrecht hatten, gegenüber solchen Einwohnern, welche desselben ermangelten. Das Wort „ecclesia“ wird auf jede Art von Versammlung angewandt. So finden wir es z. B. in der Rede des Stephanus, wo es zur Bezeichnung der Versammlung der Kinder Israel in der Wüste Sinai dient. An einer anderen Stelle wird es auf die lärmende, gegen Paulus wütende Menge angewandt: „Und als er (der Stadtschreiber) dies gesagt hatte, entließ er die Versammlung“ (Apstgsch. 7, 38; 19, 41).

Überall sonst hat es eine mit dem Christentum in Verbindung stehende Bedeutung und bezeichnet entweder die Gesamtheit der Christen auf der Erde ( in einem gegebenen Augenblick), oder den vollständigen Leib nach den Gedanken Gottes, welcher alle Erlösten umfasst seit dem Pfingsttage bis zur Ankunft Christi, oder endlich in einem beschränkten Sinne die Vereinigung aller Christen an einem Orte.

In der Christenheit hat man den Namen Kirche den Orten gegeben, wo man sich zu religiösen Übungen versammelt. Auch wendet man ihn auf die verschiedenen Gemeinschaften an, welche sich zu diesem Zwecke gebildet haben, oder wohl auch auf eine Gesamtheit von Gemeinschaften, welche demselben Kirchenbrauch folgen. So spricht man von der katholischen Kirche, von der griechischen, lutherischen, anglikanischen Kirche, von der Baptisten-, wesleyanischen, freien Kirche u. s. w.

Um aller Verwirrung vorzubeugen, werde ich mich des Wortes „Versammlung“ bedienen, wenn ich von der wahren Kirche Christi spreche, und werde „Kirche“ sagen, wenn es sich um eine christliche Benennung irgendwelcher Art handelt.

In dem Nachstehenden werde ich mich darauf beschränken, einige sehr einfache Gedanken betreffs „der Versammlung“ (die Anfangsgründe, wenn ich mich so ausdrücken darf) niederzulegen, gestützt auf Stellen aus dem Worte Gottes. Die Leser, welche diesen so überaus wichtigen Gegenstand tiefer zu erforschen wünschen, möchte ich auf die im gleichen Verlage erschienenen, ausführlicher bearbeiteten Abhandlungen hinweisen.“

Der Anfang der Versammlung auf der Erde.

Wollten wir von dem Ursprung der Versammlung nach den Gedanken Gottes sprechen, so müssten wir bis vor den Anfang der Zeit zurückgehen; denn nach dem ewigen Ratschlusse der göttlichen Gnade war sie das Geheimnis des Christus, das von den Zeitaltern her in Gott verborgene Geheimnis, welches ,,jetzt geoffenbart worden ist“; wie geschrieben steht: „Das Geheimnis, das in den Zeiten der Zeitalter verschwiegen war, jetzt aber geoffenbart und durch prophetische Schriften, nach Befehl des ewigen Gottes, . · . kundgetan worden ist“ (Eph. 3, 4. 9; Röm. 16, 25. 26).

Aber wir würden dann über das Ziel hinausgehen, welches wir uns gesteckt haben. Wir wollen deshalb zunächst über den sichtbaren Anfang der Versammlung auf der Erde reden. Sie begann ihre Geschichte am Tage der Pfingsten, als die Jünger an einem Orte versammelt waren und der Heilige Geist auf sie herniederkam und sie alle erfiillte. (Apstgsch. 2, 1 — 4.) Es war dies die Erfüllung der Verheißung des Vaters, von welcher Jesus vor Seinem Tode zu ihnen gesprochen und die Er noch einmal wiederholt hatte, bevor Er gen Himmel fuhr. (Vergl. Joh. 14. 15. 16; Apstgsch. 1, 4. 8.) Von der Versammlung hatte der Herr Jesus aber schon früher geredet, als Er im Begriffe stand, Seinen Dienst in Galiläa zu beschließen. Verweilen wir einen Augenblick bei dieser bemerkenswerten Stelle. Wir finden sie in Matth. 16, 13 —18, wo es heißt:

„Als aber Jesus in die Gegenden von Cäsarea Philippi gekommen war, fragte Er Seine Jünger und sprach: Wer sagen die Menschen, dass ich, der Sohn des Menschen, sei? Sie aber sagten: Etliche: Johannes der Täufer; andere aber: Elias; und andere wieder: Jeremias, oder einer der Propheten. Er spricht zu ihnen: Ihr aber, wer saget ihr, dass ich sei? Simon Petrus aber antwortete und sprach: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Glückselig bist du, Simon, Bar Jona; denn Fleisch und Blut haben es dir nicht geoffenbart, sondern mein Vater, der in den Himmeln ist. Aber auch ich sage dir, dass du bist Petrus *); und aus diesen Felsen will ich meine Versammlung bauen, und des Hades Pforten **) werden sie nicht überwältigen.“

Mehreres ist in dieser Stelle zu beachten. Zunächst dies: Die Versammlung wird als eine ganz neue Sache eingeführt, nicht aber als eine Folge, eine Entwicklung des jüdischen Systems. Dann wird sie als eine kommende Sache geoffenbart, d. h. sie existierte in jenem Augenblick noch nicht; denn Jesus sagt: „Ich will meine Versammlung bauen“, nicht: Ich habe gebaut, oder: Ich bin damit beschäftigt zu bauen. Weiter sagt Er: „meine Versammlung“; sie ist Sein, sie gehört Ihm. Endlich teilt Er mit, aus was Er sie gründen wolle; nicht etwa auf Seinen Apostel Petrus, sondern aus das, was der Glaube und nicht der natürliche Verstand des Petrus erfasst, was der Vater ihm geoffenbart hatte, d. h. aus Jesum selbst, so wie der Glaube Ihn erkannte, als »den Christus, den Sohn des lebendigen Gottes“. Nachdem sie auf dieses Fundament gestellt ist, kann Satan mit all seiner Macht nichts gegen die Versammlung ausrichten. Diese Stelle enthält keinerlei Andeutung von einer menschlichen Tätigkeit beim Bau der Versammlung. Der Mensch, wer er auch sei, ein Apostel oder ein anderer Gläubiger, ist nur ein „Stein“, ein, in das Gefüge des Bauwerkes, welches der Herr errichtet, eingefügtes Stück. Dasselbe finden wir in Eph. 2, 20 — 22, wo wir lesen: „indem Jesus Christus selbst Eckstein ist, in welchem der ganze Bau, wohl zusammengefügt, wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn;“ und in 1. Petr. 2, 3 – 5; „Wenn ihr anders geschmeckt habt, dass der Herr gütig ist, zu welchem kommend, als zu einem lebendigen Steine, von Menschen zwar verworfen, bei Gott aber auserwählt, kostbar, seid auch ihr selbst, als lebendige Steine, ausgebaut, ein geistliches Haus“. Wer irgend mit dem Herzen an Christum, den Sohn des lebendigen Gottes, glaubt, ist ein „lebendiger Stein“, eingefügt in den Bau durch Christum, den Baumeister.

Anders ist es in 1. Kor. 3, 9 -—17. Dort betrachtet der Apostel Paulus die Bildung der Versammlung unter

dem Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit des Menschen, welcher bei der Errichtung des Gebäudes als Diener, als Mitarbeiter Gottes, gebraucht wird. Paulus pflanzt, und Apollos begießt. Paulus hat als ein weiser Baumeister den Grund gelegt, den einzigen, der gelegt werden kann, „welcher ist Jesus Christus“. Ein anderer baut darauf; aber er muss zusehen, wie er darauf baut. Gegen das, was der Herr baut, kann Satan mit all seiner Macht nichts ausrichten; aber wenn es sich um den Menschen handelt und das, was ein jeder baut, so muss eines jeden Werk erprobt werden. Was nicht von Gott ist oder Ihm nicht entspricht, ist nur Holz, Heu oder Stroh und wird verbrennen, wird für nichts gerechnet werden. Überdies,

wenn jemand den Tempel Gottes verdirbt oder zerstört, also z. B. ein böser Irrlehrer, ein Ketzer, den wird Gott verderben. ·

Aus dem Gesagten geht also hervor, dass die Versammlung nach den Gedanken Gottes nur aus wahren Gläubigen zusammengesetzt ist. Diejenigen, welche das Wort der guten Botschaft aufnahmen, wurden getauft und denen, welche bereits geglaubt hatten, hinzugefügt (Apstgsch. 2, 41. 47.) Sie wurden der Versammlung hinzugetan, welche „der Heilige Geist sozusagen durch Seine Herniederkunft am Pfingsttage feierlich eingeweiht hatte. Auf diese Weise mit dem Heiligen Geiste getauft, bildeten die Gläubigen einen einzigen Leib, wie der Apostel es ausdrückt; „Denn auch in einem Geiste sind wir alle zu einem Leibe getauft worden, es seien Juden oder Griechen, es seien Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geiste getränkt worden“ (1. Kor. 12, 13.) Man wird also weder durch einen religiösen Unterricht, noch durch den Empfang irgend eines Sakramentes der Versammlung hinzugetan, sondern durch die gläubige Aufnahme der guten Botschaft im Herzen. (Apstgsch. 2, 41; 4, 4.) So sagt der Heilige Geist auch im Anfang, wenn Er von der Versammlung auf der Erde spricht: „Die Menge derer aber, die gläubig geworden waren“ (Apstgsch.4, 32). An einer anderen Stelle lesen wir: „Nachdem ihr geglaubt habt, seid ihr versiegelt worden mit dem Heiligen Geiste der Verheißung, welcher das Unterpfand unseres Erbes ist,

zur Erlösung des erworbenen Besitzes, zum Preise Seiner Herrlichkeit“ (Eph. 1, 13. 14).

Im zweiten Kapitel des Briefes an die Epheser erinnert der Apostel an die besondere Gnade, deren Gegenstände alle Gläubigen aus den Nationen waren, eben sowohl wie die Gläubigen aus den Juden. Im 11. u. 12. Verse spricht er von dem, was sie einst als Nationen gewesen waren: ,,ohne Hoffnung und ohne Gott in der Welt“, um ihnen dann, im 13. Verse, zu zeigen, was sie jetzt in Christo und durch Christum besaßen. Als Gläubige waren sie auf gleichen Boden gestellt mit den Juden, welche Jesum als den Christus, den Sohn des lebendigen Gottes, angenommen hatten; sie besassen dieselben Vorrechte.

Weiterhin, vom 14. Verse ab, wird alles Christo zugeschrieben. Er hat nicht nur das Werk vollbracht, durch

welches wir (Juden und Heiden) in einem Leibe versöhnt und also dem Vater zugeführt worden sind, sondern Er selbst ist auch gekommen, um uns dies erkennen zu lassen, indem Er die gute Botschaft des Friedens verkündigte sowohl den Juden, welche nahe, als auch den Nationen, welche ferne waren. Hier ist nicht die Rede von dem Glauben, welcher nur das Mittel ist, um uns das anzueignen, was das Evangelium uns verkündigt; sondern alles ist, wie wir bereits gesagt haben, von Christo, obwohl der Glaube der Epheser in Kap. 1, 13 u. 15 und in Kap. 2, 8 volle Anerkennung findet.

Wir sehen also, wie und mit welchem Material die Versammlung durch Christum gebildet worden ist und auf welcher Grundlage sie ruht. Wir haben nun zu untersuchen, wie der Herr gesorgt hat für ihr Dasein auf der Erde.

Nachdem Christus eine Versammlung gegründet hat, welche Er die Seinige nennt und die das auch von allen Gesichtspunkten aus ist, da Er sie geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, sorgt Er auch für alles, was für ihr Bestehen während ihres Verweilens hienieden notwendig ist. Im 5. Kapitel des Epheserbrieses, wo der Apostel Ermahnungen an die christlichen Eheleute richtet, indem er ihre gegenseitigen Pflichten berührt, redet er von dieser Liebe Christi. Dem Weibe stellt er die Versammlung als Muster vor, in Anbetracht des liebenden Gehorsams, welchen sie dem Herrn schuldet; was den Mann betrifft, so soll er daran denken, wie Christus gegen die Versammlung handelt. Wir lesen: „Gleichwie auch der Christus die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, auf dass Er sie heiligte, sie reinigend durch die Waschung mit Wasser durch das Wort, auf dass Er die Versammlung sich selbst verherrlicht darstellte, die nicht Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen habe, sondern dass sie heilig und tadellos sei“ (V. 25 —- 27). Das ist die Stellung der Versammlung. Wie Eva aus Adam gebildet wurde während des tiefen Schlafes, der auf ihn gefallen war, so hat „die Versammlung“ ihren Anfang genommen, als Christus, welcher sich für sie hingegeben hatte, im Todesschlafe lag; denn um sie zu erkaufen, musste Er durch den Tod gehen. (Siehe Eph. 2, 4 — 6.) Und vergessen wir nicht, dass Jesus bei jener ersten Gelegenheit, als Er von der Versammlung sprach, die Gedanken der Jünger unmittelbar auf die Notwendigkeit Seines Todes hinlenkte. „Von der Zeit an begann Jesus Seinen Jüngern zu zeigen“, was Ihm begegnen müsse (Matth. 16, 21).

Wie also Eva für Adam eine Gehilfin war, die ihm entsprach, also ist es die Versammlung für Christum. Er

ist es, welcher sie heiligt und reinigt. Gott stellte Eva dem Adam dar, und Christus wird sich die Versammlung selbst darstellen ohne eine Spur von Unreinigkeit oder Unvollkommenheit, in makelloser Reinheit und herrlicher Schönheit, entsprechend dem, was Er selbst ist. Ja, so wird sie sein, verherrlicht gleich ihrem Manne, wenn Er die Seinen, Seinem Versprechen gemäß, heimholen wird (Joh. 14, 2). Der Leser wolle die herrliche Beschreibung des Weibes im 21. Kapitel der Offenbarung lesen.

Gegenwärtig durchschreitet die Versammlung diese Welt, eine dürre Wüste, wo sie den Angriffen des Feindes ausgesetzt ist, den Fallstricken, welche Satan ihr legt, sowie zahllosen Gefahren von allen Seiten. Aber die Liebe Christi, die einzige Quelle und der mächtige Beweggrund Seines Handelns, die Liebe, welche Ihn trieb, alles das zu erfüllen, was Er für die Versammlung getan hat und noch tun wird, diese unwandelbare und unversiegliche Liebe fährt fort, sich zu betätigen, wie uns dies in dem wunderbaren Worte gesagt wird: „Niemand hat jemals sein eigenes Fleisch gehasst, sondern er nährt und pflegt es, gleichwie auch der Christus die Versammlung. Denn wir sind Glieder Seines Leibes, von Seinem Fleische und von Seinen Gebeinen“ (Eph. 5, 29. 30). Während ihrer Pilgrimschaft hienieden kann die Versammlung deshalb mit völligem Vertrauen auf die Liebe und treue Fürsorge Christi rechnen. Er wird jedes Bedürfnis befriedigen, jede Not stillen.

Doch welche Mittel wendet der Herr an, um diese Seine rührende Sorge für die Versammlung zu betätigen? Zunächst Sein Wort, indem Er dasselbe persönlich durch den Heiligen Geist an sie richtet, und dann die Gaben, die Er unter denen austeilt, welche die Versammlung bilden, und zwar nach Seinem eigenen und unumschränkten Willen. Diese Gaben machen die, welche sie empfangen haben, zu Dienern Seiner Versammlung und in Seiner Versammlung. Ein solcher Dienst lässt sich also nicht erwerben, weder durch den Willen des Menschen, noch durch Studieren auf einer theologischen Hochschule, noch endlich durch eine Einsegnung oder Handauflegung seitens dazu ernannter Menschen, wie das ja in den meisten bekennenden Kirchen so geschieht. Diese verschiedenen, durch Menschen erfundenen Gebräuche sind dem Worte Gottes, der einzigen Richtschnur und Autorität für die Versammlung des Herrn, unbekannt.“

In der Epistel an die Epheser, welche so ausführlich die Dinge behandelt, welche die Versammlung betreffen, finden wir im 4. Kapitel, dass Christus, nachdem Er alles mit den gesegneten Folgen des Erlösungswerkes erfüllt hat, (von den unteren Teilen der Erde bis hinauf über alle Himmel, wohin Er durch die Gerechtigkeit Gottes versetzt worden ist), nun den Menschen Gaben gegeben hat. „Und Er hat etliche gegeben als Apostel, und etliche als Propheten und etliche als Evangelisten und etliche als Hirten und Lehrer, zur Vollendung der Heiligen: für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes Christi, bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Manne, zu dem Maße des vollen Wuchses der Fülle des Christus« (V. 8 — 13.) Hier werden also begabte Männer als die Gaben betrachtet, welche Christus für die Seinigen empfangen hat (vergl. Psalm 68, 18), während in 1. Kor. 12, 7 — 11 die Gaben den Menschen übertragen werden, zum Nutzen für Andere. Im ersten Falle ist die Versammlung verantwortlich für den Empfang solch begabter Menschen, die dazu bestimmt sind, ihren Bedürfnissen .zu entsprechen; im zweiten Falle sind die begabten Menschen verantwortlich, das zu verwerten, was sie zum Nutzen der Versammlung vom Herrn empfangen haben. Der Evangelist, welcher sich in 1. Kor. 12 nicht erwähnt findet, ist ausgenommen, weil sein Arbeitsfeld mehr außerhalb der Versammlung, bei den unbekehrten Seelen liegt.

In früheren Zeiten hatte Gott inmitten Seines Volkes Israel einen Ort erwählt, wo Er Seinen Namenwohnen lassen wollte und wo Sein Volk sich dreimal im Jahre zu versammeln hatte. (Vergl. 5.Mose 12, 4 —14). Dieser Ort war zu Jerusalem in dem Tempel, welcher Ihm durch Salomo erbaut worden war (Vergl. Ps.132, 13. 14; 1. Chron. 17, 12; 2. Chron. 6, 6).

Die Erlösten des Herrn haben heute auch einen Mittelpunkt, um welchen sie sich scharen, und dieser Mittelpunkt gründet sich auf das Wort des Herrn in Matth. 18, 20: „Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte“. Ja solchen Zusarnmenkünften, wo die Gegenwart des Herrn sich vorfindet, kommen die Gaben zur Ausübung zum Segen der Versammlung. Das hindert selbstverständlich nicht, dass in den Beziehungen der Christen untereinander und bei den Besuchen von Haus zu Haus die verschiedenen Gaben (vornehmlich die des Hirten) gleichfalls ihre Anwendung finden können.

Man wird demgegenüber vielleicht einwenden, dass wir keine Apostel und Propheten mehr haben wie die ersten Christen. Das ist allerdings wahr, aber wir genießen doch ihren Dienst durch die Schriften, welche sie uns hinterlassen haben. Was die anderen Gaben betrifft, so sind dieselben, Gott sei Dank! bleibend auf Grund der Treue des Herrn· Es gibt Evangelisten, um die gute Botschaft des Heils den Sündern zu verkündigen, Lehrer, um das Wort Gottes auszulegen, und Hirten, um die Seelen zu nähren und die Herde des Herrn zu weiden. Die Schrift gibt auch sehr bestimmte Anleitungen für die Ausübung der Gaben, für die Zucht, die in der Versammlung gehandhabt werden muss, damit Heiligkeit und gesunde Lehre in ihr erhalten bleiben, sowie endlich für die Feier des Abendmahls des Herrn und die Übung des Gottesdienstes. Wir halten uns jedoch bei diesen Punkten, die in den bereits genannten Schriften ausführliche Behandlung gefunden haben, nicht ans, sondern gehen über zu der Hoffnung der Versammlung.

Wir haben gesehen, wie der Herr Seine Versammlung hienieden gebildet hat; wie Er in Seiner unwandelbaren Liebe ihrer Bedürfnisse gedenkt, um sie zu leiten und zu führen, zu erbauen und zu unterweisen, je nach den Zeiten oder nach der Art der Prüfungen, Übungen und Kämpfe, welchen sie zu begegnen hat, insoweit ihr Haupt es für gut befindet. Überdies hat ihr Herr sie nicht ohne eine Hoffnung gelassen, welche geeignet ist, ihren Mut aufrecht zu halten, sie zu beleben und zu stärken, während sie all die Wechselfälle der Wüste durchschreitet. Sie erwartet Ihn, der wiederkommen wird, um sie sich selbst heilig und verherrlicht darzustellen.

Wir haben schon bemerkt, dass das, was von Eva mit Bezug auf Adam gesagt wird, auf Christum und Seine Versammlung bezogen werden kann, welche Sein Weib oder „das Weib des Lammes“ genannt wird. (Offbg. 19, 7; 21, 9; 22, 17) Gott hatte Eva mit Adam vereinigt, auf dass sie mit ihm, als ihrem Haupte und Manne, alle die Vorzüge teile, welche seine Stellung als Mittelpunkt und Haupt der Schöpfung in sich schloss. In derselben Weise ist die Versammlung mit Christo vereinigt. Jetzt teilt sie mit Ihm Seine Verwerfung seitens der Welt; aber in dem kommenden Zeitalter wird sie Seine öffentliche und tausendjährige Herrlichkeit teilen, und während des ewigen Tages wird sie bei Ihm sein in der Glückseligkeit des Vaterhauses, und zu gleicher Zeit das Vorrecht genießen, die Wohnstätte Gottes zu sein inmitten der Menschen der neuen Erde (Offbg. 21, 2. 3).

In dem Briefe an die Epheser offenbart uns Gott ferner Seine Gedanken über Christum als den Sohn des

Menschen und über Sein mit Ihm in dieser Herrlichkeit verbundenes Weib. Indem Er dies tut, zeigt Er uns die überströmende Fülle Seiner Gnade gegen uns, kraft welche wir in den ewigen Ratschlüssen unseren Platz und in der Erlösung unser Teil haben. Welch ein Glück, auf diese Weise in das Geheimnis Seines Willens eingeweiht zu sein und zu wissen, dass Er sich vorgesetzt hat, alle Dinge in Christo zu vereinigen: „das was in den Himmeln und das was auf der Erde ist, in Ihm, in welchem wir auch ein Erbteil erlangt haben, die wir zuvor bestimmt sind nach dem Vorsatz, Dessen, der alles wirkt nach dem Rate Seines Willens“. Im Blick auf Christum fügt der Apostel noch hinzu: „und Er setzte Ihn zu Seiner Rechten in den himmlischen Örtern über jedes Fürstentum und jede Gewalt und Kraft und Herrschaft und jeden Namen, der genannt wird, nicht allein in diesem Zeitalter, sondern auch in dem zukünftigen, und hat alles Seinen Füßen unterworfen und Ihn als Haupt« über alles der Versammlung gegeben, welche Sein Leib ist, die Fülle Dessen, der alles in allem erfüllt“ (Kap. 1, 8 —11; 20 - 23).

Aber wie groß auch die öffentliche Herrlichkeit sein mag, welche Christus mit der Versammlung, Seinem. Weibe, in dem kommenden Zeitalter teilen wird, was ist sie im Vergleich mit dem Glück und der Freude, die sie bei Ihm im Vaterhause genießen wird? Er selbst hat gesagt, dass die Seinigen da sein sollen, wo Er ist, damit sie Seine Herrlichkeit schauen und Seine Liebe bis in ihre Tiefen ergründen. (Joh. 14, 2; 17, 24). Diese Wahrheit wird durch andere Stellen gestützt, welche eingehender von der Stellung des Gläubigen reden, als in dieser Welt seinen Herrn erwartend. (Vergl. z. B. Kol. 3, 4; 2. Thess. 1, 10; 2. Tim. 2, 11. 12.) Möge der Herr einen jeden von uns in der lebendigen Erwartung Seiner baldigen Wiederkunft erhalten!

Er wolle auch diese Zeilen für alle diejenigen segnen, welche sich mit diesem wichtigen Gegenstand beschäftigen, betreffs dessen eine so große Verwirrung inmitten der bekennenden Christenheit herrscht, und diese kurzen Bemerkungen ihnen behilflich sein lassen, um in diesen schwierigen Zeiten den Pfad Gottes zu erkennen! Nur auf diesem Pfade werden Segnung und wahres Glück gefunden. Wohl ist es wahr, dass die Versammlung von ihrer einfachen Stellung, als Zeugnis vor der Welt, abgewichen ist. Man

kann nicht mehr von ihr sagen, was in ihrem geistlichen Frühling von ihr wahr war, und was wir in Apostelgeschichte 2, 42—-47; 4, 32—35; -5, 12—14 lesen. Aber die Grundsätze bleiben, ebenso die Wahrheiten, welche die Versammlung von Anfang an gebildet und geleitet haben. Diese Wahrheiten müssen jetzt auch uns bilden und leiten. Der Herr verändert sich nicht; Er bleibt immer derselbe, und wir sind auf Ihn und auf das Wort Seiner Gnade geworfen, welches, wie der Apostel Paulus den Ältesten von Ephesus zuruft, „vermag aufzuerbauen und uns ein Erbe zu geben unter allen Geheiligten“ (Apstgsch. 20, 82).

Zum Schlusse möchte ich noch darauf aufmerksam machen, dass Paulus seinen ersten Brief an Timotheus schrieb, auf dass sein Schüler wissen. möchte, wie er sich verhalten solle im „Hause Gottes, welches die Versammlung des lebendigen Gottes ist, der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit“ (Kap. 3, 14. 15.) Damals war noch alles in Ordnung in der Versammlung. Aber in dem zweiten Briefe sehen wir, dass dies sich bereits geändert hatte. Man findet darin die deutlichen Spuren des Verfalls. Alle, die in Asien waren, hatten sich von dem Apostel abgewandt; es gab ungöttliche und eitle Geschwätze, welche Timotheus vermeiden sollte; ein Hymenäus und ein Philetus waren von der Wahrheit abgeirrt, und durch die Irrtümer, welche sie lehrten, hatten sie den Glauben etlicher umgekehrt (Kap. 1, 15; 2, 16 — 18). „Doch“, fügt der Apostel hinzu, „der feste Grund Gottes steht und hat dieses Siegel: Der Herr kennt die Sein sind; und: Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit.“ Von der Ungerechtigkeit abstehen und sich von den Gefäßen zur Unehre reinigen heißt indes nicht: sich wie ein Mönch in die Einsamkeit zurückziehen oder wie ein Pharisäer sich in stolzer Selbstgerechtigkeit absondern. Nein, die Ermahnung, welche folgt, lautet: „Strebe aber nach Gerechtigkeit, Glauben, Liebe, Frieden mit denen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen“ (2. Tim. 2, 19 — 22).

Fußnote:

*) O. ein Stein.

**) Der ,,Hades« ist der Unsichtbare Ort oder der Zwischenzustand, an oder in welchem sich die Seelen der Verstorbenen befinden, die unsichtbare Geisterwelt. Der Ausdruck „des Hades Pforten“ bezeichnet die Macht Satans und des Todes (Vergl. Hiob 18, 14).

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Treue Verwalter

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1903 S. 223ff

Wir alle sind Verwalter. Der Apostel Paulus war ein „Verwalter der Geheimnisse Gottes“; das sind wir nicht, aber wir alle haben etwas zu verwalten: Zeit, Geld, Kräfte, Gaben und dergleichen, und „man sucht hier an den Verwaltern, dass einer treu erfunden werde“. (1. Kor. 4, 1. 2.) Wir gehören nicht uns selbst an,

sondern sind um einen Preis erkauft; ja, alles was wir sind und haben, ist nicht unser Eigentum, sondern gehört Dem, der uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat. Wir waren einst Sklaven, arme, willenlose Sklaven Satans und der Leidenschaften der Sünde; aber Christus hat uns erlöst und befreit, und nun sind wir in Seinen Dienst gestellt und Ihm verantwortlich für unser Tun und Lassen. Wir sind Seine Verwalter.

Der Apostel Paulus war ein treuer Verwalter. Seitdem er Jesum als seinen neuen Herrn kennen gelernt hatte, galt sein ganzes Sinnen und Denken, Streben und Leben nur noch Ihm. Er konnte an die Philipper schreiben: „Das Leben ist für mich Christus“; und an die Korinther: »Mir ist es das Geringste, dass ich von

euch oder von einem menschlichen Tage beurteilt werde; ich beurteile mich aber auch selbst nicht . . . Der mich aber beurteilt, ist der Herr“. Das Geringste! Ist es auch so bei dir, geliebter Leser? Ist die Beurteilung seitens der Menschen für dich eine geringfügige Sache im Vergleich mit dem, was der Herr über dich urteilt? Wandelst du im Lichte des Richterstuhls Christi, in der Erwartung der Ankunft des Herrn, „welcher auch das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen und die Ratschläge der Herzen offenbaren wird“? Bist du ein treuer, gewissenhafter Verwalter über das Kleine oder Große, das dir anvertraut ist? Trachtest du nach der Anerkennung deines Herrn und Heilandes?

Es gibt viel Untreue, viel Nachlässigkeit in dieser Beziehung unter den Kindern Gottes. Herren und Knechte, Frauen und Mägde, Geschäftsinhaber und Angestellte, Fabrikanten und Arbeiter handeln vielfach so, als wenn sie nichts Begehrenswerteres fänden, als die Verfolgung und Erreichung ihrer irdischen Interessen. In ihrem täglichen Leben entdeckt man oft kaum einen Unterschied zwischen ihnen und den Kindern dieser Welt. Ach, dass es so unter uns steht! Wie tief beschämend und demütigend ist es! Der Herr schenke uns ein Aufwachen wie zur Zeit Esras, des Schriftgelehrten! Damals hatte sich auch „der heilige Same mit den Völkern der Länder vermischt“, (wie viel ist das heute in geistlichem Sinne der Fall!) und als Esra es hörte, zerriss er seine Kleider und raufte sein Haar und saß betäubt da; und es versammelten sich zu ihm „alle, die da zitterten vor den Worten des Gottes Israels“. Und dann fiel er nieder vor Jehova und bekannte vor Ihm, weinend und flehend, die Sünde des Volkes; und eine sehr große Schar, Männer, Weiber und Kinder, sammelte sich um ihn, und alle beugten sich mit ihm nieder und „weinten mit vielem Weinen“. Aber dabei blieb es nicht. Der Demütigung und dem Selbstgericht folgte ein ernstes Handeln, eine herzliche Umkehr zu den Geboten des Herrn (Esra 9 u. 10).

Möchte es auch so bei uns sein! Der Augenblick naht mit eiligen Schritten heran, wo „einem jeden sein Lob werden wird von Gott“. Feierlicher Gedanke!

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Gedanken über Psalm 84

Bibelstelle: Psalm 84

Botschafter des Heils in Christo 1903, S. 225ff

Doch noch ein Wort über den kostbaren neunten Vers des Psalmes, bevor wir zum zehnten übergehen. Die Gedanken weilen gern bei den verschiedenen Teilen der Wahrheit, auf welche er unseren Sinn richtet. Er ermuntert uns zum Nachdenken. Der leitende Gedanke ist also der: Gott erwartet von dem Gläubigen, dass er dieselben Gedanken über Christum habe, wie Er sie hat. Das hervorzurufen ist das Werk des Heiligen Geistes. Wir kennen Christum nur in dem Maße, wie Er uns durch den Geist geoffenbart wird. Daher ist es so unsagbar wichtig, die Schriften in diesem Punkt zu verstehen und dem Heiligen Geist in unseren Herzen und Wegen den richtigen Platz einzuräumen; „denn er bleibt bei euch und wird in euch sein" (Joh. 14,17). Wenn diese, den gegenwärtigen Zeitabschnitt vornehmlich kennzeichnende Wahrheit übersehen oder im praktischen Leben beiseitegesetzt wird, dann müssen Dunkelheit und Unklarheit über die Person Christi die Folge sein. „Niemand kann sagen: Herr Jesus! als nur im Heiligen Geiste" (1. Kor. 12,3). „Denn wer von den Menschen weiß, was im Menschen ist, als nur der Geist des Menschen, der in ihm ist? Also weiß auch niemand, was in Gott ist, als nur der Geist Gottes (1. Kor. 2,11). „Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, gekommen ist, wird er euch, in die ganze Wahrheit leiten; denn er wird nicht aus sich selbst reden, sondern was irgend er hören wird, wird er reden, und das Kommende wird er euch verkündigen. Er wird mich verherrlichen, denn von dem Meinen wird er empfangen und euch verkündigen" (Joh. 16,13. 14).

Die große Aufgabe des Heiligen Geistes in uns ist, soweit unsere Erkenntnis reicht, diese: unseren Herzen die Gedanken Gottes über Christum als unerschütterliche Wahrheit einzuprägen und sie uns genießen zu lassen. Das ist die Grundlage des Wandels des Christen im Lichte, wie Gott in dem Lichte ist, sowie der Anbetung Seiner Person in Geist und Wahrheit. Tatsächlich hängt in praktischem Sinne alles von diesem Zustand ab. Unsere Beständigkeit im Wandel und unsere geistliche Gesinnung, unsere Ergebenheit dem Herrn gegenüber und unser Glück, alles ist innig damit verbunden. Wenn das Herz seine richtige Stellung Christo gegenüber einnimmt, so wird auch unser Denken und Urteilen und unser praktischer Wandel richtig sein. Das Denken und Urteilen wird von den Neigungen des Herzens beherrscht. Gottes Weg, die Seelen von allem Bösen innerlich und äußerlich zu befreien, ist Christus. Unsere einzige Kraft besteht darin, dass unser Inneres von Ihm erfüllt ist. Dann strömt Licht auf unseren Pfad, und wir empfangen Kraft, darauf zu wandeln.

Ist es nicht Unwissenheit im Blick auf Christum, was die Unbekehrten um uns her veranlasst, gegen Seinen Willen zu handeln? Und ist es nicht andererseits die Erkenntnis Christi, welche zu einem Leben in Heiligkeit und praktischer Gottesfurcht führt? Genau in demselben Maße, wie der Christ sich seines Herrn und Meisters erfreut, vermag er über dem eigenen Ich und der Welt erhaben zu leben. Nur dadurch dass wir uns mit Christo in all Seiner Lieblichkeit vor Gott beschäftigen, können wir in Sein Bild hineinwachsen. Der Grundsatz ist also folgender: Wollen wir Ihn mehr lieben, so müssen wir uns nachhaltiger mit Seiner Liebe zu uns beschäftigen; wollen wir Ihm besser dienen, so müssen wir Seine Hingebung uns gegenüber aufmerksamer betrachten; wollen wir von unserer geistlichen Missgestaltung befreit werden, so müssen wir Seine Lieblichkeit eingehender erforschen. „Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, als durch den Herrn, den Geist" (2. Korinther 3,18).

Aber ach! wie oft stehen selbst treue, aufrichtige Christen diesen Wahrheiten, dieser Art von Seelenübungen und dieser Gemeinschaft mit dem Vater und Seinem Sohne Jesus Christus fremd gegenüber! Sie haben die beständige Neigung, sich mit dem Bösen in ihrem Innern, anstatt mit Christo zu beschäftigen; die Folgen sind Finsternis, Schwachheit und mangelnde Gemeinschaft mit Christum. Entmutigt und zu Boden gedrückt durch das, was in ihrem Innern vorgeht, sind sie von Befürchtungen und Zweifeln erfüllt. Sie erwarten, ihr Herz müsse allmählich besser werden, die vielen schlechten Gedanken müßten schwinden. Sicher hat der Christ sich täglich und stündlich hinsichtlich alles dessen zu richten, was Christo entgegen ist. Aber er hat auch die andere Lektion von größter, praktischer Wichtigkeit zu lernen, nämlich die Unterscheidung zwischen dem, was aus Christo, und dem, was aus ihm selbst hervorgeht. Im Fleisch steckt nichts Gutes, und nichts Gutes kann je aus ihm hervorkommen. „In mir", sagt der große Apostel, „das ist in meinem Fleische, wohnt nichts Gutes". Alles Gute kommt von oben. Aber wir lernen so schwerfällig und langsam, dass es nichts Gutes in unserer Natur gibt und dass nie etwas aus ihr hervorkommen kann, was in den Augen Gottes gut wäre.

Wir müssen Christum leben und in Gemeinschaft mit Ihm wandeln, wenn wir Gott gefallen wollen; doch dazu müssen wir Ihn zuerst verstehen. Das ist unsere Aufgabe. Dass wir doch alle die Wichtigkeit dieser Wahrheit tiefer fühlten: Christum lernen und dann Christum leben ! „Das Leben ist für mich Christus", sagt der Apostel und er fügt hinzu: „Ihr aber habt den Christus nicht also gelernt, wenn ihr anders ihn gehört habt und in ihm gelehrt worden seid, wie die Wahrheit in dem Jesus ist". Das ist die Lektion, die wir zu lernen haben: der ganze weite Kreis der Wahrheit, wie sie dargestellt und in das Licht des Himmels gerückt worden ist in Verbindung mit dem demütigen Jesus hienieden und dem erhöhten Christus im Himmel droben. Das ist unsere Aufgabe. Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Der Charakter, die Wirklichkeit und die Wahrheit aller Dinge ist durch Seine Gegenwart auf der Erde erprobt worden. Aber vorzüglicher ist: durch Ihn kennen wir Gott und sind glücklich und in Ihm, als dem auferstandenen, erhöhten und verherrlichten Christus, kennen wir unsere Vorrechte und Segnungen in der Gegenwart Gottes und lernen sie täglich mehr verstehen. „Du, unser Schild, siehe, o Gott; und schaue an das Antlitz deines Gesalbten"!

„Denn ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser als sonst tausend; ich will lieber an der Schwelle stehen im Hause meines Gottes, als wohnen in den Zelten der Gesetzlosen". (V. 10). Wer nur die Vergnügungen in den Zelten der Gesetzlosen kennt, hat gar keinen Begriff von der wahren, dauernden Freude, die in den Vorhöfen des Herrn zu Hause ist. Wer beide kennengelernt hat, wird von dem unermesslichen Unterschied zu reden wissen. Denn wo ist der Mensch, der je einen Tag in Gemeinschaft mit Gott, im Lesen Seines Wortes, in Andacht und stiller Betrachtung der göttlichen Gedanken verbracht hätte und nicht von dem Segen zu erzählen wüsste, welchen er dadurch empfangen hat? Das Zeugnis der Schrift vermittelt uns auch in dieser Beziehung ein sicheres Urteil.

Der Geist der Wahrheit hat Salomo die Worte aussprechen lassen: „Denn wie das Geknister der Dornen unter dem Topfe, so das Lachen des Toren. Auch das ist Eitelkeit" (Prediger 7,6). Geräuschvoll und glänzend, vielleicht für einen Augenblick, aber dann für immer vorüber, - das ist der Charakter des sogenannten Vergnügens in den Zelten der Gesetzlosen. Aber das ist noch nicht alles. Dern wie sollen wir den schrecklichen Zustand jener beschreiben, die den scharfen Stachel der Sünde fühlen, nachdem das Vergnügen kaum vorübergerauscht ist? Ist es nicht ein Elend, ein großes Elend schon in diesem Leben? Was aber muss es erst sein, wenn die ganze Bitterkeit der Sünde sich an dem Ort fühlbar macht, wo es keine Hoffnung gibt! Die Erinnerung an die einstigen seichten und kurzen Vergnügungen wird dort keine Erleichterung zu geben vermögen; nein, sie wird die Qual nur erhöhen, das Nagen des Wurms nur vermehren.

Doch wenden wir uns der anderen, lichten Seite zu. Was findet der Gläubige in der Gegenwart Gottes? „Fülle von Freuden ist vor deinem Angesicht, Lieblichkeiten in deiner Rechten immerdar" (Ps. 16,11). Welche von den beiden Stellen, mein lieber unbekehrter Leser, ziehst du vor? Beide sind wahr. Doch der Pfad des Lebens nach dem 16. Psalm ist von dem der Torheit nach Prediger 7,6 ebenso weit entfernt wie der Himmel von der Hölle. Welcher von den beiden Pfaden ist nun der bessere, der höhere, der würdigere und verständigere? Der Pfad der lärmenden, sinnlosen, vergänglichen Lust des Menschen dieser Welt, oder der Pfad der ruhigen, wahren, dauernden Freude des Christen? Der Herr gebe dir Gnade, das bessere Teil zu erwählen, das Teil, das nie von dir genommen werden wird! Diese Worte sind selbst für den Gläubigen ein großer Trost. „Maria aber hat das gute Teil erwählt, welches nicht von ihr genommen werden wird" (Lk. 10,42). Nicht immer mögen wir uns des guten Teiles so erfreuen, es so hochhalten, wie wir sollten; aber - welch kostbare Versicherung! - es wird trotzdem nicht von uns genommen werden. Gott sagt es, und das genügt dem Glauben.

Dieselbe gesegnete Wahrheit lehrt uns auch unser Text: „fülle von Freuden ist vor deinem Angesicht, Lieblichkeiten in deiner Rechten immerdar". Welch einen wunderbaren Platz, welch ein herrliches Teil haben wir hier! Der Name des Herrn sei dafür gepriesen! Wahrlich, das ist ein Feld zum Nachsinnen! Lasst uns in der Kraft des Geistes über diese wunderbaren Worte nachdenken! „Fülle von Freuden", nichts fehlt; „jede geistliche Segnung", ja, „Lieblichkeiten" sind immerdar „in Seiner Rechten", dem Platz der höchsten Würde und des auserlesensten Vorrechts. Und diese Freuden dauern ewig, „immerdar". Wir brauchen nicht zu befürchten, dass sie je nachlassen, je zu einem Ende kommen könnten; sie sind unvergänglich, unerschöpflich.

Besser, tausendmal besser ist es daher, sich, was dieses Leben angeht, in den niedrigsten, demütigendsten Umständen zu befinden und dabei die Erkenntnis Jesu zu besitzen, als ohne Christum der größte, mächtigste Fürst zu sein, der je auf einen Thron saß. Von der untersten Stufe in diesem Leben schwingt sich der Glaube zu den höchsten Freuden des Himmels empor. Er ist hochgeboren und erhebt sich zu den erhabensten Zielen. Er bestätigt, dass ein Tag, ein e i n z i g e r im Hause Gottes zugebrachter Tag weit besser ist als tausend, die in den Zelten der Gesetzlosen verlebt werden. Und wenn das schon jetzt so ist, was wird es erst dereinst sein, wenn der Gläubige und Treue zu dem Hause mit den vielen Wohnungen hinaufsteigen wird, dahin wo „Fülle von Freuden" ist, wo „Lieblichkeiten immerdar" sind. Wer allerdings hier die Zelte der Gesetzlosen der Gesellschaft der Gottesfürchtigen vorzieht, kann kein Teil noch Los mit diesen in jenen Orten unvermischter, nie endender Segnung haben. Möge der Herr in Seiner reichen Gnade alle, die diese Zeilen lesen, vor einem solch schrecklichen Ende bewahren!

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Die Gesinnung Jesu Christi

Bibelstelle: Philipper 2,1 - 11

Botschafter des Heils 1903 S. 232ff

Das Herz des Apostels war durch die Wirkungen der Gnade in seinen geliebten Philippern erquickt worden. Ermunterungen in Christo, Trost der Liebe, Gemeinschaft des Geistes, innerliche Gefühle und Erbarmungen — alle diese kostbaren Wirkungen der Gnade hatte Paulus von ihrer Seite erfahren, und es macht ihm Freude sie anzuerkennen. Dann fügt er hinzu: Wenn ihr nun meine Freude erfüllen, mich ganz glücklich machen wollt, so „seid einerlei gesinnt, dieselbe Liebe habend, einmütig, eines Sinnes, nichts aus Parteisucht oder eitlem Ruhm tuend, sondern in der Demut einer den anderen höher achtend als sich selbst; ein jeder nicht auf das Seinige sehend, sondern ein jeder auch auf das der Anderen“. Es war ihnen in Bezug auf Christum geschenkt worden, nicht allein an Ihn zu glauben, sondern auch für Ihn zu leiden; denn sie befanden sich in einem großen Leidenskampf, indem sie denselben Kampf zu streiten hatten, welchen sie an dem Apostel gesehen, und den er auch noch in dem Augenblick seines Schreibens an sie durchmachte.

Der Wunsch des Apostels für sie war, dass sie feststehen möchten in einem Geiste, indem sie mit einer Seele mitkämpften mit dem Glauben des Evangeliums und sich in nichts erschraken ließen durch die Widersacher. Der Gedanke, dass seine teuren Philipper so an den Leiden des Evangeliums teilnahmen und den guten Kampf des Glaubens stritten, war eine besondere Freude für ihn. Doch indem er sie ermunterte, festzustehen ohne Wanken, wünschte er sie zugleich gegen die Listen des Feindes aus ihre Hut zu stellen. Diese Listen sind mehr zu fürchten als seine offene Feindschaft; denn wenn es dem Teufel nicht gelingt, uns durch Verfolgung von außen einzuschüchtern, wird er sich sicher listiger Weise einzuschleichen suchen, um zu zerstören und zu verderben, und er tut dies zuallernächst dadurch, dass er auf das Ich wirkt, auf dieses hassenswürdige, stolze, eigenliebige Ich, die Quelle so vieler Übel.

Ach, wie sehr ist ihm seine List gelungen! Schon der Apostel musste, indem er den allgemeinen Verfall voraussah, sagen: „Alle suchen das Ihrige, nicht das was Jesu Christi ist«. (V. 21.) So wacker und treu die

Versammlung in Philippi auch dastand, blühend und zunehmend unter dem Druck der Leiden, gab es doch eine Gefahr in ihrer Mitte, und diese entsprang aus einer Uneinigkeit, die zwischen zwei sonst treuen Schwestern entstanden war. Deshalb ermahnt der Apostel diese Beiden in zarter und liebevoller Weise, indem er ihnen zugleich ein sehr schönes Zeugnis gibt: „Die Evodia ermahne ich, und die Syntyche ermahne ich, einerlei gesinnt zu sein im Herrn“ (Kap. 4, 2. 3). Satan suchte also eine Bresche in die Mauer ihrer Einheit zu legen, ihren Frieden und Segen zu stören und das schöne Werk Gottes in Philippi zu verderben.

Paulus erkannte diese List des Feindes nur zu deutlich und ermahnte deshalb die gläubigen Philipper, alle

einerlei gesinnt zu sein; und um sie zu dieser gleichmäßigen Gesinnung zu führen, stellte er ihnen Christum vor: die Gesinnung, die in Ihm war. „Denn diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christo Jesu war, welcher, da Er in Gestalt Gottes war, es nicht für einen Raub achtete, Gott gleich zu sein, sondern sich selbst zu nichts machte und Knechtsgestalt annahm, indem Er in Gleichheit der Menschen geworden ist, und, in Seiner Gestalt wie ein Mensch erfunden, sich selbst erniedrigte, indem Er gehorsam ward bis zum Tode, ja, bis zum Tode am Kreuze.“ Er stellt ihnen Christum als ihr vollkommenes Muster vor, Christum hier auf Erden in Seiner Menschheit, Christum in Seiner freiwilligen Erniedrigung, in Seinem Dienst der Liebe, in Seiner vollkommenen Widmung und Hingebung Gott gegenüber, in Seinem Gehorsam bis zu dem schrecklichen, schimpflichen Tode am Kreuze. Es ist nicht so sehr das Versöhnungswerk, die sühnenden Leiden Christi, die uns hier vorgestellt werden — in dieser Beziehung waren die Philipper klar und in Frieden, indem jede Frage der Sünde und der Sünden am Kreuze gänzlich

geordnet und die Liebe Gottes in ihre Herzen ausgegossen war durch den Heiligen Geist, der ihnen gegeben worden — sondern es handelt sich um den Beweggrund, welcher Christum trieb, sich selbst zu nichts zu machen, um so den Willen Seines Gottes und Vaters zu erfüllen und Ihn auf der Erde zu verherrlichen, indem Er uns errettete.

Verweilen wir einen Augenblick bei dieser „Gesinnung, die in Christo Jesu war«, bei den wunderbaren Tatsachen, welche sie offenbaren. Obwohl Er in Gestalt Gottes war, hat Er es nicht für einen Raub gehalten, Gott gleich zu sein, „sondern Er machte sich selbst zu nichts und nahm Knechtsgestalt an“. Tiefes und ergreifendes Geheimnis! Wenn wir unseren Blick zurückwandern lassen bis zu der Krippe in Bethlehems Stall, wer ist es dann, der uns dort vorgestellt wird, an einem solchen Ort, in solcher Armut, in

solch tiefer Erniedrigung ? Wer ist dieses Kindlein, das da in der Krippe liegt, ohne einen anderen Platz in dieser Welt zu finden, an einer Stätte, wo keine Mutter ihrem Kinde das Leben geben möchte? Es ist der Sohn Gottes, der eingeborene Sohn, der in dem Schoße des Vaters ist, der Gegenstand all Seiner Wonne, Seiner ewigen Freude. Auf diesen Herrn will der Heilige Geist unseren Blick richten, auf Ihn, der sich selbst zu nichts machte, und mit Seiner Gesinnung will Er uns erfüllen. Gott über alles, gepriesen in Ewigkeit, der unumschränkte, durch sich selbst bestehende Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde, der Allmächtige — Er ist es, den ich dort erblicke in solcher Erniedrigung; Ihn sehe ich, geoffenbart in der Person dieses Kindleins.

Gott ist Liebe, und Er hat Seine Liebe zu uns darin geoffenbart, dass Er Seinen eingeborenen Sohn in die

Welt sandte, auf dass wir durch Ihn leben möchten, und damit Er eine Sühnung werde für unsere Sünden. (1. Joh. 4, 9. 10.) Welch eine Liebe und welch eine Erniedrigung für Ihn, der Gott war von Ewigkeit her! Nicht dass Er jemals aufgehört hätte, Gott zu sein; nein, „die ganze Fülle der Gottheit wohnte in Ihm leibhaftig“; aber Er, der ewige Sohn, der in Gestalt Gottes war, kam hernieder, entäußerte sich Seiner Herrlichkeit und nahm Knechtsgestalt an. Und warum das? Um den Willen Gottes, Seines Vaters, zu erfüllen, um nichts anderes zu tun als zu gehorchen, aus reiner, unvermischter Liebe allezeit dienend, ja, dienend bis zur Hingabe Seines Lebens als Lösegeld für viele. Was sagt uns also diese Krippe, der Anblick Dessen, der sich also zu nichts gemacht hat? — „Gott hat uns lieb! O, wie hat Gott uns geliebt!“

Zwischen dem Vater und dem Sohne bestand ein Ratschluss, ein Heilsplan. Der Wille Gottes, Sein Liebesratschluss war, elende, verlorene Sünder als Söhne in die Herrlichkeit einzuführen, in das Glück Seiner Gegenwart, in die „Fülle von Freuden vor Seinem Angesicht“. Er wollte solche Wesen aus den Tiefen des Todes herausführen, sie dem entreißen, welcher die Macht des Todes hatte, und sie vor sich hinstellen als Seine geliebten Kinder, als Seine Erben und als Miterben Christi, dem Bilde Seines Sohnes gleichgestaltet, damit Er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Aber zur Erreichung dieses Zweckes war es nötig, dass der Geliebte Gottes sich zu nichts machte, indem Er Mensch wurde; denn nur so konnte Er unsere Sünden auf sich nehmen und unseren Platz im Tode und unter dem Gericht Gottes einnehmen. Nun, Er hat sich dazu dargeboten, und als Er in die Welt kam und den Leib annahm, welchen Gott Ihm bereitet hatte, war Sein erstes Wort: „Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun". Er kam, um ihn zu erfüllen, auf Kosten Seines eigenen Lebens, zur vollkommenen Verherrlichung des Vaters und des Sohnes und zu unserem Heil und unserer Freude von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Doch die Absicht des Heiligen Geistes an dieser Stelle ist, wie gesagt, uns Christum als Muster vorzustellen, damit wir Ihm hienieden nachahmen möchten in unserem täglichen Leben und Wandel. Er zeigt uns, welche Gesinnung in Christo Jesu war. Der Pfad, welcher Christum aus der göttlichen Herrlichkeit zu der Erniedrigung des Kreuzes führte, wird vor unsere staunenden Blicke gestellt. Christus ist immer nur herabgestiegen und hat somit genau das Gegenteil von dem getan, was der erste Adam einst tat. Anstatt den Platz der Abhängigkeit und des Gehorsams, der ihm gehörte, zu bewahren, hat Adam sich erhoben, wollte sein wie Gott und wurde ungehorsam bis zum Tode. Nun, „wer irgend sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; und wer irgend sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“. Adam wurde erniedrigt, aus Gottes Gegenwart verbannt, und fiel unter die Macht des Todes und die Sklaverei Satans; denn er hatte sich selbst erhöht. Christus dagegen, der in Gestalt Gottes, Gott selbst war, „hat sich zu nichts gemacht und Knechtsgestalt angenommen, indem Er in Gleichheit der Menschen geworden ist“; und dann, „in Seiner Gestalt wie ein Mensch erfunden“, ist Er noch tiefer hinabgestiegen: „Er erniedrigte sich selbst, indem Er gehorsam ward bis zum Tode, ja, zum Tode am Kreuze. Darum hat Gott Ihn auch hoch erhoben und Ihm einen Namen gegeben, der über jeden Namen ist.“

O möchte doch diese Gesinnung in uns sein, welche einst in Christo Jesu war! Welch eine Gesinnung! Mögen wir wohl mit anbetendem Herzen ausrufen. Sie trieb Ihn an, sich selbst zu nichts zu machen, indem Er Mensch wurde, um so, koste es was es wolle, Gott zu verherrlichen auf einem Schauplatz der Sünde und des Verderbens, wo Gott durch den Menschen auf alle Weise verunehrt worden war. Er wusste, wohin Er hinabstieg, was Ihm bevorstand, welche Leiden die Erfüllung des Willens Seines Vaters Ihm bringen würde. Er wusste, dass das Kreuz Seiner wartete. Er kannte den ganzen Widerstand, den unversöhnlichen Hass, die Verachtung und grausame Behandlung, welche Ihm von seiten der Menschen begegnen würde. Aber nichts hielt Ihn zurück. Getrieben durch diese Gesinnung, die in Ihm war, ohne irgendwelche anderen Beweggründe als die Liebe, die Verherrlichung Seines Vaters, die Freude, Seinen ganzen Willen zu tun und Seine herrlichen Ratschlüsse zur Ausführung zu bringen, nahm Er Knechtsgestalt an, um so dienen zu können und, „obwohl Er Sohn war“, an dem, was Er leiden sollte, den Gehorsam zu lernen. Das war Seine Freude. Demütig, sanftmütig, ohne irgend eine Regung des eigenen Willens, völlig Gott geweiht, alles, selbst den Kelch der Leiden, mit vollkommener Unterwürfigkeit aus Gottes Hand annehmend, voll Geduld und Güte, sich selbst völlig vergessend — so finden wir Ihn immer auf dem letzten Platz, stets bereit zu dienen. Er lebte von jedem Worte, das aus dem Munde Gottes hervorging. Seine Speise war, den Willen Dessen zu tun, der Ihn gesandt hatte, und Sein Werk zu vollbringen. Er kannte nichts anderes. Mit einem Worte, Sein ganzes Leben, in allen Seinen Einzelheiten, stieg als ein duftender Wohlgeruch zu Gott empor.

Welch eine Vollkommenheit! Welch eine Freude für Gott! Und für uns, welch eine Speise und welch ein vollkommenes Vorbild! Ja, welch ein Beispiel der Liebe, der Demut, der Selbstverleugnung, der Hingebung und des Gehorsams! Und dieses Beispiel ist uns gegeben zur Nacheiferung! Wie wunderbar ist das, und wie tief demütigt es uns zu gleicher Zeit! Wie richtet es das Ich, diese in den Augen Gottes so verabscheuungswürdige Sache! Denn was sind wir? O möchten unsere Herzen sich von Seiner Liebe und Seiner Gesinnung durchdringen lassen! Er war der Herr und der Lehrer, und doch erwies Er sich stets und überall als der Diener aller, während Seine armen Jünger miteinander stritten, wer unter ihnen für den Größten zu halten sei. Er war in ihrer Mitte „wie der Dienende“, und schickte sich an, ihnen die Füße zu waschen, damit sie teilhaben konnten mit Ihm da, wohin Er ging! Ja, so hat Er sich zu nichts gemacht, um zu dienen und um zu gehorchen bis zum Tode am Kreuze, wie Er selbst es ausdrückt: „Der Fürst der Welt kommt und hat nichts in mir; aber auf dass die Welt erkenne, dass ich den Vater liebe und also tue, wie mir der Vater geboten hat. Stehet auf, lasset uns von hinnen gehen!“

Und Er ging hin, das heilige Opferlamm, um sich den Händen derer zu überliefern, welche Ihm nach dem Leben trachteten. „Wenn ihr denn mich suchet“, sprach Er zu den Häschern, „so lasst diese gehen.“ Er war auf diesem Wege unbeschreiblicher Leiden der unbedingt gehorsame Mensch, der Sohn, welcher den Vater in einer vollkommenen Liebe und einem unweigerlichen Gehorsam verherrlichte, was es Ihn auch kosten mochte. „Jetzt ist meine Seele bestürzt«, hören wir Ihn ausrufen, „und was soll ich sagen? Vater, rette mich aus dieser Stunde! Doch darum bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen!“ Und nachher, in Gethsemane, in der Stunde der schwersten Versuchung, als Satan Ihn angriff, indem er die ganze Macht des Todes, als Gericht Gottes wider die Sünde, Seiner Seele fühlbar machte; als die ganze Feindschaft des Menschen wider Gott sich gegen Ihn offenbarte, wie geschrieben steht: „Die Schmähungen derer, welche dich schmähen, sind auf mich gefallen“, — auch hier, wie immer, brachte Er alles vor Seinen Gott: Er betete. Als Seine Seele geängstigt, bis zum Tode betrübt war, „fiel Er auf Sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater! wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du wilIst“. Es war Seine Vollkommenheit, dass Er flehte, dieser Kelch möge, wenn es möglich sei, an Ihm vorübergehen; denn Er konnte nicht wünschen, zur Sünde gemacht und von Gott verlassen zu werden. Aber Seine Unterwürfigkeit war vollkommen, und nachdem Er sich über den Willen Seines Vaters vergewissert hatte, konnte Er sagen: „Den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, soll ich den nicht trinken?“ — „Er ward gehorsam bis zum Tode, ja, zum Tode am Kreuze.“

Der Wille des Vaters war, dass Er leiden und Sein Leben hingeben sollte als Lösegeld für viele. „Denn es

geziemte Ihm, um deswillen alle Dinge und durch den alle Dinge sind, indem Er viele Söhne zur Herrlichkeit brachte, den Anführer ihrer Errettung durch Leiden vollkommen zu machen“ (Hebr. 2, 10). Schon der Prophet Jesaja hatte gesagt: „Jehova gefiel es, Ihn zu zerschlagen; Er hat Ihn leiden lassen. Wenn Seine Seele das Schuldopfer gestellt haben wird, so wird Er Samen sehen, Er wird Seine Tage verlängern; und das Wohlgefallen Jehovas wird in Seiner Hand gedeihen. Von der Mühsal Seiner Seele wird Er Frucht sehen und sich sättigen“ (Jes. 53, 10. 11).

Anbetungswürdiger Heiland! Nichts konnte Ihn dahin bringen, Seinen Weg des vollkommenen Gehorsams

auch nur für einen Augenblick zu verlassen, nichts vermochte Ihn zurückzuschrecken. Und was war es, das Ihn bis zum Ende hin ausharren ließ? Die Liebe! Die vollkommene Liebe, welche sich zu nichts machte, sich erniedrigte, sich selbst vergaß, damit der Vater verherrlicht und Sein Wille erfüllt werde, und damit arme Sünder, wie wir, nach Gottes Ratschlüssen in die Stellung Christi selbst eingeführt würden, in Seine Herrlichkeit, als Seine Miterben, in die volle Freude des Vaterantlitzes, um für immer bei Ihm zu sein. Was uns betrifft, so „gingen wir alle in der Irre wie Schafe, wir wandten uns ein jeder auf seinen Weg; und Jehova hat Ihn treffen lassen unser aller Ungerechtigkeit«. Er, stets vollkommen in Seiner Geduld und Hingebung, wurde misshandelt und zur Schlachtung geführt wie ein Lamm, wie ein Schaf, das stumm ist vor seinen Scherern; aber Er tat Seinen Mund nicht auf und ward gehorsam bis zum Tode. Meine Brüder! welch eine Freude ist es, hier auch die Antwort zu finden, welche Gott auf die freiwillige Erniedrigung unseres teuren Herrn und auf Seinen Gehorsam bis zum Tode gegeben hat! Wir haben gelesen: „Darum hat Gott Ihn auch hoch erhoben und Ihm einen Namen gegeben, der über jeden Namen ist, auf dass in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters“. Er hat Ihn zu Seiner Rechten gesetzt in den himmlischen Örtern, „Über jedes Fürstentum und jede Gewalt und Kraft und Herrschaft und jeden Namen, der genannt wird, nicht allein in diesem Zeitalter, sondern auch in dem zukünftigen, und hat alles Seinen Füßen unterworfen“. So hatte auch Petrus zu den Juden gesagt: „Das ganze Haus Israel wisse nun zuverlässig, dass Gott Ihn sowohl zum Herrn als auch zum Christus gemacht hat, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt“. Auferweckt durch die Herrlichkeit des Vaters, ist Er von Gott zu Seiner Rechten erhöht worden, und alle Gewalt im Himmel und auf Erden ist Ihm gegeben, den Gott mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt hat.

Es ist die Freude Seiner Erlösten, die Autorität dieses hochgelobten Herrn und Heilandes anzuerkennen und sich ihr zu unterwerfen, in dem seligen Bewusstsein Seiner Liebe ihre Knie vor Ihm zu beugen und Ihm Herrlichkeit zu geben, als Dem, welchem alle Anbetung und aller Gehorsam gebührt. So wird schon im 45. Psalm der zur Rechten des Königs stehenden Königin zugerufen: „Er ist dein Herr: so huldige Ihm!“ Heute, in der Zeit der Gnade, am Tage des Heils, wird jeder Sünder aufgefordert, das zu tun, vor Ihm sich niederzuwerfen. Diejenigen, welche sich dessen weigern und dem freundlichen Zuspruch Seiner Liebe ihr Ohr verschließen, werden einst gezwungen werden, ihre Knie vor Ihm zu beugen als vor ihrem Richter. Was wird es sein, teure Freunde, wenn einmal jedes Knie sich vor Ihm beugen wird, um Ihm Ehre zu geben, und jede Zunge in dem ganzen weiten Weltall bekennen wird, dass Er Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters! Aber jetzt schon, welch eine Freude ist es für unsere Herzen, Ihn da zu betrachten, wo Er jetzt ist, Ihn, der den Tod und das Verlassensein von Gott geschmeckt hat in vollkommenem Gehorsam gegen Gott und in vollkommener Liebe zu uns; ja, Ihn in jener Herrlichkeit zu sehen als Den, der den Vater verherrlicht und Gott in allen Seinen Vollkommenheiten geoffenbart hat! Welch ein Glück, Ihm anzugehören nach Leib, Seele und Geist, und nun Ihm dienen und in Seinen Fußstapfen wandeln zu dürfen auf diesem Pfade der Erniedrigung und des Gehorsams, der in der Herrlichkeit endet, in welche Er als unser Vorläufer für uns eingegangen ist! Und sagen zu dürfen, dass Er es ist, den wir erwarten, den wir bald sehen werden wie Er ist, in Seiner Herrlichkeit und in Seinem eigenen Glück, in der Fülle der Freude vor dem Angesicht des Vaters-! Glückselige Hoffnung! Seiner Ankunft entgegensehend, sind wir hier gelassen, um zu wandeln, wie Er gewandelt hat, um Zeugnis abzulegen von Seiner unendlichen Gnade und die Tugenden Dessen zu verkündigen, der uns berufen hat aus der Finsternis in Sein wunderbares Licht.

Möchte Gott unsere Blicke mehr auf Ihn richten, um Ihn zu betrachten in der Stellung der Erniedrigung, die Er eingenommen hat, und um von Ihm zu lernen, indem wir Sein sanftes Joch auf uns nehmen! Seinen Willen erfüllen, Ihm zu gefallen suchen, sich eng an Ihn anschließen, um Ihm zu folgen, das ist die Freude, das Glück, die wahre Freiheit des Christen. O möchte diese Gesinnung in uns sein, die auch in Christo Jesu war, und möchte Seine Liebe unsere Herzen erfüllen, ,,indem wir also geurteilt haben, dass Einer für alle gestorben ist und somit alle gestorben sind. Und Er ist für alle gestorben, auf dass die, welche leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern Dem, der für sie gestorben ist und ist auferweckt worden“ (2. Kor. 5, 14. 15). Der Herr schenke uns diese Gnade, und Sein Geist wirke in unseren Herzen, dass wir uns immer inniger an Ihn anklammern und Seinen Fußspuren folgen!

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Ein Wort über die Vereinigung der Gläubigen in unseren Tagen *)

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1903 S. 244ff

Jeder Gläubige wird zugeben, dass Gott selbst es ist, der die Versammlung **), den Leib Christi, bildet, indem Er die Seelen Seinem Sohne zuführt. (Johannes 6, 44). Gibt es z. B. an dem Orte, wo ich wohne, hundert oder zweihundert wahre Christen, so bilden diese die Versammlung Gottes an diesem Orte. So lesen wir in der Apostelgeschichte von „der Versammlung, die in Jerusalem war“ (Kap. 8, 1. 3). An einer anderen Stelle heißt es: „Der Herr tat täglich zu der Versammlung hinzu, die gerettet werden sollten“ (Kap. 2, 47). Alle, welche das Wort der Apostel mit bereitwilligem Herzen aufnahmen, bildeten die Versammlung, die Gemeinde Gottes in Jerusalem. Gott selbst machte sie zu Gliedern Seiner Versammlung, indem Er sie zu Gliedern Christi machte, welcher „das Haupt des Leibes, der Versammlung, ist“. (Kol. I1 18; vergl. auch Epheser 1, 22. 23.) Der Apostel Paulus schrieb Briefe an „die Versammlung Gottes, die in Korinth ist“, oder an „die Versammlung der Thessalonicher in Gott, dem Vater, und dem Herrn Jesu Christo“. Es kommt keinem Menschen zu, dies nach Willkür abzuändern. Er hat weder das Recht, eine Person, die Gott hinzugetan hat, auszuschließen, noch eine andere, die Er nicht anerkennt, hinzuzufügen. Der Mensch hat hier nur anzuerkennen was Gott getan hat.

Kann es nun nach dem Willen des Herrn sein, wenn Seine Jünger das, was Er zusammengefügt hat, scheiden, indem sie in einer Stadt mehrere Versammlungen bilden, die sich durch selbsterwählte Namen oder durch gewisse Lehren, Grundsätze oder Statuten von einander unterscheiden und jede für sich abgesondert dastehen? Es haben doch die Christen nicht aufgehört, denselben Erlöser, denselben Herrn, denselben Gott und Vater, denselben Glauben, dasselbe himmlische und ewige Vaterland zu haben? Da ist ein Leib und ein Geist, eine Hoffnung, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller: eine siebenfache, wunderbare Einheit! (Vergl. Eph. 4, 4 - 6; Gal. 3, 26 — 28; Kol. 3, 11.) Diese Einheit hat nicht aufgehört, wenn sie auch von vielen Christen heute nicht mehr verstanden oder verwirklicht werden mag. Oder war es wohl die Meinung des Herrn, dass sie aufhören oder nicht beachtet werden sollte, als Er zu dem Vater flehte: „Auf dass sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir, auf dass auch sie in uns eins seien, auf dass die Welt glaube, dass du mich gesandt hast“? (Joh. 17, 21). Wer würde den Mut haben, so etwas zu behaupten?

Aber man wendet ein, dass es sich in letztgenannter Stelle, wie auch anderswo, um eine geistige, unsichtbare Einheit handle, um eine Einheit, die immer unter den wahren Gliedern Christi bestehen werde. Doch die Worte des Herrn: „auf dass die Welt glaube, dass du mich gesandt hast“, widerlegen diesen Einwand sofort und für immer. Für eine Welt, welche nur das glaubt, was sie sieht, ist eine unsichtbare Einheit ohne jede Beweiskraft, ohne jeden Wert. Wie kann sie an ein Haupt glauben, von dessen Leibe, als einem Ganzen, sie keine Spur mehr sieht, sondern nur getrennte Glieder, die sich sogar zuweilen feindlich gegenüberstehen und, anstatt miteinander zu wandeln und zu arbeiten, sich gegenseitig Abbruch tun? Nein, dieser ganze Leib, ,,wohl zusammengefügt und verbunden durch jedes Gelenk der Darreichung«, und durch eine einzige Versammlung *) an jedem Orte sichtbar dargestellt, sollte die Welt dahin bringen, an das schon verherrlichte Haupt dieses Leibes zu glauben. So war es eine kurze Zeit. Die Jünger waren „einmütig“ beieinander und verharrten, durch denselben Geist belebt, »in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und in den Gebeten«. (Apstgsch. 2.) Aber bald durchdrang der Sauerteig der Spaltungen und bösen Lehren den ganzen Teig, und Paulus musste schon den Korinthern zurufen: „Ihr seid noch fleischlich· Denn da Neid und Streit unter euch ist, seid ihr nicht fleischlich und wandelt nach Menschenweise? Denn wenn einer sagt: Ich bin des Paulus; der andere aber: Ich des Apollos; seid ihr nicht menschlich?“ (1. Kor. 3, 3. 4.) Aber obwohl der Keim der Spaltungen sich so schon in der Mitte der Gläubigen offenbarte, scheinen doch weder die Korinther noch irgend eine andere Versammlung in der Apostelzeit im Geringsten daran gedacht zu haben, sich an einem und demselben Orte in verschiedene Gemeinden zu spalten. Möglich ist es ja, dass bei Einzelnen solche Ideen schon Wurzel gefasst haben mochten; aber im allgemeinen wurden sie gewiss entschieden verurteilt.

Erst später gelang es dem Feinde, sein böses Werk bis zu diesem Grade zu vollenden. „Aber sollte man es für möglich halten, dass es selbst bei wahren Gläubigen dahin kommen konnte, dieses Werk rechtfertigen zu wollen? Man stellt die Spaltungen als eine unvermeidliche Folge der Verschiedenheit der Ansichten des menschlichen Geistes dar; als wenn der menschliche Geist es wäre, der den Leib Christi beleben und leiten sollte, und nicht der Geist Christi selbst. Auch sagt man, die Spaltungen seien eine Gelegenheit für die Christen, sich in Geduld und gegenseitiger Tragsamkeit zu üben; als wenn Böses aufhörte böse zu sein, wenn Gott in Seiner unendlichen Güte und Weisheit Gutes daraus hervorgehen lässt; oder als wenn man Böses tun müsse, damit Gutes daraus hervorkomme; oder endlich als wenn ohnehin nicht genug Meinungsverschiedenheiten, Mängel und Schwachheiten in der Versammlung vorhanden wären, an denen die Christen ihre Geduld und Tragsamkeit üben könnten. Man lese nur das 14. Kapitel des Römerbriefes.

Es ist überdies sicherlich eine sonderbare Art von Geduld und Tragsamkeit, wenn man sich von denen trennt oder fernhält, welche man tragen und lieben sollte! Bewundert man auch die Geduld und gegenseitige Liebe zweier Eheleute, welche, getrennt durch Unvereinbarkeit der Ansichten und Launen, ein jedes für sich nach seiner Weise leben, aber sich dessen ungeachtet ein freundliches Gesicht machen, wenn sie einander in der Welt begegnen? Und das sollte die Einheit sein, zu welcher die Jünger Jesu berufen sind? Das sollte alles sein, was der Herr für sie wünschte, als Er sagte: „aus dass sie eins seien, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir, auf dass auch sie in uns eins seien“? Und ein solches Verhalten sollte die Welt zu dem Glauben bringen können, dass Jesus wirklich von Gott ausgesandt worden ist? Wir überlassen die Antwort getrost dem Leser.

Aber, fragt man, was sollen die Gläubigen in unseren Tagen denn tun, nachdem die Verwirrung einmal so groß geworden ist? Sie sollen hören auf das, was Gottes Wort ihnen sagt, und danach handeln. Die göttliche Wahrheit bleibt immer dieselbe, mögen auch die Zeiten und Umstände andere geworden sein. Oder soll Gott etwa Seine ewigen Gedanken und Ratschlüsse nach den Torheiten der Menschen ändern und ihrer Untreue entsprechend einrichten? Soll Er sie je und je den veränderlichen Meinungen der Menschen anpassen? Nein, sagt man, aber es ist so schwer, in diesen schwierigen, Zeiten des Endes die Gedanken und den Willen Gottes klar zu verstehen. Darauf möchten wir erwidern: Es mag. heute oft schwierig sein, den Willen Gottes auszuführen, weil sich so viele feindliche Einflüsse dagegen geltend machen und der Eigenwille des Menschen so groß ist; aber diesen Willen zu erkennen und zu verstehen ist nicht so schwer, vorausgesetzt nur, dass das. Ohr beschnitten und das Herz einfältig ist. „Das Zeugnis Jehovas ist zuverlässig, macht weise den Einfältigen“ (Ps. 19, 7).

Wir möchten hier aus drei Stellen aufmerksam machen, welche uns klar und deutlich den Weg und Willen Gottes in dieser Beziehung erkennen lassen. Die erste findet sich in der Apostelgeschichte. Sie lautet: „Lasst euch retten von diesem verkehrten Geschlecht!“ (Kap. 2, 40). Diese Worte zeigen uns deutlich, was Gott über jede Verbindung mit den Kindern dieser Welt denkt. Sie ist dem Willen Gottes schnurstracks entgegen. Welche Gemeinschaft hat Licht mit Finsternis, welches Teil der Gläubige mit dem Ungläubigen? Die Gläubigen sind der Tempel des lebendigen Gottes, wie Gott gesagt hat: „Ich will unter ihnen wohnen und wandeln, und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein“. Was bleibt ihnen also übrig, als aus der Mitte der Ungläubigen auszugehen und Unreines nicht anzurühren? Ja, dies ist das bestimmte Gebot Gottes (2. Kor. 6, 14 — 18).

Die zweite Stelle steht im 18. Kapitel des Evangeliums Matthäi und lautet: „Wo zwei oder drei versammelt

sind in meinem Namen (eig.: zu meinem Namen hin), da bin ich in ihrer Mitte“ (V. 20). Wir dürfen wohl annehmen, dass der Herr in der Voraussicht des traurigen Zustandes, in welchen die Kirche nach und nach kommen würde, diese kostbare Mitteilung gemacht hat. Es ist in der Tat eine überaus kostbare Verheißung, ja, mehr als eine Verheißung: eine Tatsache. Mag die Zahl der Treuen noch so gering werden, mögen es nur noch zwei oder drei sein, die an der Wahrheit festhalten und sich, getrennt von allen menschlichen Systemen und Veranstaltungen, einfach um den Namen ihres Herrn scharen, sich allein zu Ihm hin versammeln, — Er bekennt sich zu dem schwachen Zeugnis und ist in ihrer Mitte. Und wenn Er da ist, was könnten sie mehr wünschen?

Die dritte Stelle findet sich wiederum in der Apostelgeschichte, und wir haben sie schon einmal erwähnt. Es sind die Worte in Kap. 2, 42: „Sie verharrten aber in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im

Brechen des Brotes und in den Gebeten“. Die Gläubigen haben also nicht nur aus die Ermahnung zu achten, sich zu trennen von der Welt und sich in dem Namen Jesu zusammenzufinden, sondern sie sind auch berufen, in den ebengenannten vier Dingen zu verharren. Wohl mögen sie über einzelne Lehrpunkte verschiedener Meinung sein, wie z. B. über die Sonntagsfeier, über die Anwendung der Taufe, über die Auslegung mancher Teile der Prophezeiung und ähnliche Dinge; aber sie sollten nie vergessen, dass sie

sich nicht um den Sonntag, um die Taufe, um irgend ein prophetisches Wort versammeln, sondern um den gestorbenen und auferstandenen Christus, um Ihn, der das einzig wahre Brot des Lebens ist, von welchem alle sich nähren. So lange dieses Bewusstsein sie erfüllt und leitet, werden sie, trotz, jener verschiedenen Meinungen und der möglicherweise daraus entstehenden Schwierigkeiten, vereinigt bleiben können; ja, wenn sie alle, wozu sie auch persönlich gelangt sein mögen, in denselben Fußstapfen wandeln (Phil. 3, 16), so wird Gott sicherlich Seine Macht unter ihnen offenbaren und alles Mangelnde ihnen gnädiglich darreichen.

Damit der Charakter der Versammlung als Versammlung Gottes gewahrt werde, dürfen selbstverständlich

keine anderen Bedingungen der Gemeinschaft ausgestellt werden als die folgenden: lebendiger Glaube an Christum, ein würdiger Wandel und Reinheit in der Lehre. Alle anderen Bedingungen sind menschlich und dem Worte Gottes zuwider. Weiter zu gehen würde heißen, den wahren Charakter der Versammlung verlassen und zu einer Sekte hinabsinken. Was den ersten Punkt betrifft: lebendiger Glaube an Christum, so brauchen wir uns wohl nicht länger dabei aufzuhalten; denn wir haben weiter oben bereits ausgeführt, und jeder wahre Gläubige wird dem von Herzen zustimmen, dass nur Kinder Gottes, nur Glieder am Leibe Christi, einen Platz in der Versammlung, am Tische des Herrn, haben können.

Über den zweiten Punkt belehrt uns, neben anderen Stellen, das 5. Kapitel des 1. Korintherbriefes in durchaus klarer, verständlicher Weise. Der Apostel sagt dort: „Nun aber habe ich euch geschrieben, keinen Umgang zu haben, wenn jemand, der Bruder genannt wird, ein Hurer ist, oder ein Habsüchtiger, oder ein Götzendiener, oder ein Lästerer, oder ein Trunkenbold, oder ein Räuber, mit einem solchen selbst nicht zu essen“. Solche Personen mussten aus der Mitte der Versammlung, wenn sie einen Platz in ihr gefunden hatten, hinausgetan werden; denn dem Hause Gottes geziemt Heiligkeit. Wie dürfte auch mit dem heiligen Namen des gegenwärtigen Herrn offenbar Böses in Verbindung gebracht werden? Wenn das Böse aber entfernt werden muss, sobald es sich offenbart, dann sollte es sicherlich auch niemals wissentlich in das Haus Gottes hineingebracht werden. Und dass der Apostel. bei der Aufzählung der bösen Dinge nicht an die Aufstellung einer umfassenden, erschöpfenden Liste (so dass es also außer den genannten keine anderen bösen Dinge oder Zustände gäbe) gedacht hat, geht aus dem Schlusswort seiner Belehrung hervor, wenn er sagt: „Tut den Bösen (also ganz allgemein) von euch selbst hinaus“. 251 Im Blick auf den dritten Punkt genügt es wohl, auf eine Stelle im 2. Brief des Johannes aufmerksam zu machen. Dort lesen wir: „Wenn jemand zu euch kommt und diese Lehre (die Lehre des Christus) nicht bringt, so nehmet ihn nicht ins Haus auf und grüßet ihn nicht. Denn wer ihn grüßt, nimmt teil an seinen bösen Werken“ (V. 9 — 11.) Hier ist zwar nicht unmittelbar von der Versammlung die Rede; wenn ich aber persönlich jemanden nicht ins Haus aufnehmen, noch ihm Gottes Segen zu seinem Wege wünschen soll, so sollte ein solcher gewiss auch keine Aufnahme in der Versammlung finden. Sittlich Böses und böse Lehre werden im Worte Gottes ,,Sauerteig« genannt; beide Dinge tragen also vor Gott denselben Charakter und haben dieselbe böse Wirkung: sie durchsäuern den ganzen Teig (1. Kor. 5,6; Gal. 5, 9). Sauerteig muss daher mit allem Ernst ferngehalten oder ausgefegt werden.

Außer den genannten Fällen aber sagt die Schrift: „Deshalb nehmet einander auf, gleichwie auch der Christus euch aufgenommen hat, zu Gottes Herrlichkeit“ (Röm. 15, 7).

Fußnote:

*) Die nachstehende Abhandlung, welche vor längeren Jahren schon einmal im Druck erschien und Segen brachte, wird auf mehrseitigen Wunsch (in etwas umgearbeiteter Form) nochmals zum Abdruck gebracht.

**) Oder die Gemeinde, die Kirche; es kommt nicht so sehr auf den Titel oder Namen an, wenn man nur das Richtige darunter versteht. (Vergl. die nähere Erklärung des Wortes auf Seite 208·)

***) wenn auch vielleicht, infolge der Zahl oder der örtlichen Verhältnisse, die Zusammenkünfte nicht immer an einem Orte stattfinden können.

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Hilf mir o Herr

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1903 S. 252ff

Hilf mir, o Herr, dass ich auf dieser Erde

stets auf dem Platz bin, den Du mir ersehen,

auf dass ich treu vor Dir erfanden werde

und stets in Deinen Spuren möge gehen!

O hilft Du weißt ja, wie so oft mein Denken

mich zu der Welt, der argen, noch will ziehen.

O gib mir Kraft, in Dich mich zu versenken,

und lass mein Herz für Dich allein nur glühen!

Herr, gib auch, dass mein Sinn sich gänzlich leere

von eitler Selbstsucht und von eignem Ruhm;

dass ich - ein leer Gefäß — nur noch begehre

von Dir gefüllt zu sein, Dein Eigentum!

Ich weiß, o Herr. Du hörest meine Bitte.

Du willst ja alle Tage bei mir sein.

Bewahre mich, bewache meine Schritte

und füll mein Herz mit Dir, mit Dir allein!

K. B.

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Gedanken über Psalm 84

Bibelstelle: Psalm 84

Botschafter des Heils in Christo 1903, S. 253ff

„Denn Jehova, Gott, ist Sonne und Schild; Gnade und Herrlichkeit wird Jehova geben, kein Gutes vorenthalten denen, die in Lauterkeit wandeln. Jehova der Heerscharen; glückselig der Mensch, der auf dich vertraut" (V. 11,12)!

Das sind die Schlussverse des schönen und so reich belehrenden Psalms. Kostbar und von hohem praktischen Wert waren die vielen Wahrheiten, die sich bisher unserer Betrachtung aufgedrängt haben. Der Herr gebe in Seiner Gnade, dass keine von ihnen übersehen oder vergessen werde! Es ging um die gewöhnlichen Vorgänge an einem der Tage des Herrn und um jene Scharen, die sich an den verschiedenen gottesdienstlichen Stätten zusammenfinden. Es wurde von dem gesprochen, was die Welt noch an Anziehendem für uns hat, von den Gefahren, die im Aufschieben des Heils der Seele liegen, von dem Evangelium in seiner ganzen Fülle, von den Segnungen der Erretteten und dem Elend der Verlorenen. Möchte das alles vielen zu reichem Segen gedient haben, die Christum noch nicht in Wahrheit als ihren Heiland kennen und bloß äußerlich Seinen Namen tragen!

Aber wir bitten auch, dass der Herr die niedergeschriebenen Gedanken an Seinen teuren Heiligen segnen möge, die jetzt durch das Tränental pilgern, insbesondere an den jungen Christen, die den schmalen Pfad noch nicht lange betreten haben. Der Herr in Seiner zarten Liebe und Fürsorge wache über ihnen, erhalte sie fest und treu und segne sie! Wie in früheren Zeiten, so gibt es auch heute noch Verachtung und Spott für die Nachfolger Jesu. „Das Ärgernis des Kreuzes" ist keineswegs hinweggetan. Doch, der Herr sei gepriesen! es gibt auch Quellen im Tränental, und die ewige Ruhe und Herrlichkeit Zions stehen in Aussicht. Möchten denn der Glaube, die Hoffnung, das Ausharren und der Mut aller Erlösten in dem hochgelobten Herrn ungemindert erhalten bleiben, bis sie alle das Tränental durchschritten haben und sicher auf Zion, dem Berg Seiner Macht und Herrlichkeit, angelangt sind! –

Gleich dem 23. Psalm schließt Psalm 84 in himmlischem Glänze. Im 23. Psalm beendet der Gläubige seine Reise in dankbarer Erinnerung an die Vergangenheit, in den lieblichen Freuden der Gegenwart und in der gesegneten, zuversichtlichen Erwartung einer herrlichen Zukunft. Mit einem von Glück überströmendem Herzen, umgeben von Beweisen der Güte Gottes, verlässt der müde Pilger das Tal und tritt in das Vaterhaus ein, in die Heimstätte einer nie endenden Liebe. „Fürwahr, Güte und Huld werden mir folgen alle Tage meines Lebens, und ich werde wohnen im Hause Jehovas auf Länge der Tage".

Etwa in gleicher Weise schließt der 84. Psalm. In Licht und Herrlichkeit, in Kraft und Schönheit, ja, inmitten der unermesslichen Güte Gottes endet die Darstellung. Und so endet auch der irdische Pfad des Gläubigen. Der Tod ist nicht mehr sein Herr, sondern sein Diener; er ist ein Bote des Friedens für ihn. Nicht alle Gläubigen mögen die Wahrheit in gleicher Weise erkennen und genießen, aber sie ist für alle gleich wahr. Unser Unglaube hebt die Treue Gottes nicht auf. Gott verändert sich nicht, Sein Name sei dafür gepriesen! Jehova, Gott Selbst ist des Pilgers Sonne und Schild. So sagte Er auch einst zu Abraham: „Fürchte dich nicht, Ab mm; ich bin dir ein Schild, dein sehr großer Lohn" (1. Mo 15,1). Was hatte Abram zu fürchten, was konnte ihm mangeln, wenn er sich hinter einem solchen Schild befand und sich eines solchen Lohnes erfreute? O meine Seele, sinne über diese wunderbaren Worte nach! Du darfst sie unmittelbar auf dich selbst anwenden. Denn du bist kraft deiner Verbindung mit Christo im Himmel gleich Abraham ein Fremdling und Pilgrim auf dieser Erde.

Doch die für das Herz vor allem wichtige Wahrheit liegt nicht so sehr in der Tatsache, dass es eine Sonne als unser Licht und einen Schild als unseren Schutz in dieser Welt gibt, sondern vielmehr darin, wer diese Sonne und dieser Schild ist. Beachte es wohl, ich sage nicht: was, sondern wer Sonne und Schild ist. Der Psalmist sagt: „ J eh o v a , Gott, ist Sonne und Schild". Kostbare Wahrheit! Sie begegnet allen Fragen und Bedürfnissen des Herzens. Kein Sonnenschein kommt den Strahlen Seines Angesichts gleich, kein Schutz dem Schatten Seiner Flügel. Wir sollten diese kostbare Wahrheit alle in unsere Herzen aufnehmen, sie uns völlig zu eigen machen und wir sollten uns in dem Sonnenschein erwärmen und hinter dem Schild unseres Gottes und Vaters ruhen. Dort ist alles Friede, Freude, Ruhe, Licht und Sicherheit. Dort kann uns nichts Böses geschehen, kein Übel uns nahen. Es ist der Schild unseres Vaters, hinter welchem wir geborgen sind. Was unsere Stellung zur Welt angeht, so sollten wir uns allezeit im Schatten, in der Zurückgezogenheit aufhalten; wenn es sich aber um unsere Stellung Gott gegenüber handelt, so sollten wir stets im Sonnenschein des Antlitzes unseres Vaters stehen. Möchten wir nie vergessen, dass, während wir uns hier auf der Erde inmitten der Schwachheit und Finsternis des gegenwärtigen Schauplatzes befinden, der Herr, unser Gott, uns Sonne und Schild ist, unser Licht und Führer in der Finsternis, unsere Stärke und unser Schutz in der Schwachheit! Das ist der Weg, um von allen Zweifeln und Befürchtungen befreit und mit der vollen Gewissheit des Glaubens erfüllt zu werden.

Kennst du aus Erfahrung etwas von dem Weiter werden des Herzens im Licht dieser belebenden Sonne? Lässt du willig alle Falten und Winkel deines Herzens von ihren Strahlen durchleuchten? Das Licht dieser Sonne bittet um dein rückhaltloses Vertrauen. Es will dich erwärmen und erleuchten, nicht verzehren. O dulde keine finstere Ecke vor seinen erforschenden und durchdringenden, aber zugleich so belebenden Strahlen! Sie sind imstande und dazu angetan, dich vollkommen glücklich zu machen. Wenn im Himmel ein dunkler Flecken auf deiner Seele zurückbleiben könnte, so wäre es für dich kein Himmel mehr.

Doch kein Augenblick in deiner Geschichte wird im Dunkeln bleiben, wenn du vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden wirst. Da wird jeder Moment mit all seinen Einzelheiten und Nebenumständen im reinen Licht des Himmels klar erkennbar sein. Dann wird dein Glück vollkommen sein; eine unvermischte Segnung wird dir werden, und in reinster himmlischer Harmonie, durch nichts gestört oder beeinflußt, werden deine Loblieder zum Preise deines Herrn erschallen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Alles, alles wird zwischen dem Herrn und dir ans Licht gestellt und in Ordnung gebracht sein. Was in deinem Wandel auf der Erde gegen Seinen heiligen Willen war, wird nach jener Offenbarwerdung nie wieder ins Gedächtnis kommen; aber alles, was du für Ihn getan hast, wird gnädiglich anerkannt und belohnt werden. Selbst ein Glas kalten Wassers, das einem der Geringsten Seiner Jünger in Seinem Namen gereicht wurde, wird seinen Lohn finden.

„Gnade und Herrlichkeit wird Jehova geben, kein Gutes vorenthalten denen, die in Lauterkeit wandeln". Auch das ist ein köstliches Verheißungswort, und die Gabe ist dem Geber, Jehova, entsprechend. Doch was heißt das: in Lauterkeit wandeln? Es heißt wohl vor Gott, mit Gott und für Gott wandeln. Henoch wandelte dreihundert Jahre vor Gott und mit Gott im Lichte Seines Angesichts; er war ein Zeuge für Gott inmitten eines verkehrten und verdrehten Geschlechts, und er hatte das Zeugnis, dass er Gott Wohlgefallen habe. Das ist der Weg des Christen auch heute, und glücklich ein ' jeder, der ihn in Einfalt des Herzens geht! Güte und Huld werden ihm folgen alle Tage seines Lebens, und er selbst sieht mit froher Zuversicht dem Augenblick entgegen, wo er seinem Herrn offenbar werden wird. Nur die Wege des Christen werden vor dem Richterstuhl des Christus untersucht und geprüft werden; der Gläubige selbst kann nie mehr ins Gericht kommen, da Christus für ihn gerichtet worden ist (vergl. Joh. 5,24). Möchte der Herr uns deshalb Gnade schenken, im Licht des Richterstuhls zu wandeln, damit wir, wie einst der Apostel Paulus, heute schon vor Ihm völlig offenbar seien (vergl. 2. Kor. 5,10-21)!

Doch wir müssen unsere Aufmerksamkeit noch auf zwei andere Worte in dem vor uns liegenden Vers richten, die von ganz besonderer Bedeutung sind: „Gnade und H e r r l i c h k e i t ". Alle Segnung für Zeit und Ewigkeit ist in diesen beiden Worten enthalten. „Gnade und Herrlichkeit wird Jehova geben". Beides kommt von Ihm, und beides ist die Frucht oder der Ausdruck Seiner Liebe. Manche haben von der Gnade als der Knospe gesprochen, und von der H e r r l i c h k e i t als der zur vollen Schönheit erblühten Blume. Andere haben mit Recht gesagt, dass wir in David und Salomo die bildliche Erläuterung beider Ausdrücke sähen. Die Gnade fand in David ihre Darstellung, die Herrlichkeit in Salomo. Es war Gnade, welche David aus tiefster Niedrigkeit zu dem Platz der höchsten Ehren erhob; es war Gnade, die ihn wiederherstellte, wenn er vom rechten Pfad abgeirrt war, die ihn tröstete, wenn er sich in Kummer und Leid befand, die ihn im Kampf aufrechthielt und ihn sicher bewahrte bis an das Ende seiner Pilgerreise.

So wie die Gnade ihr Werk in David getan hat, so strahlt uns in Salomo die Herrlichkeit entgegen. Unter seiner Regierung war allem der Stempel „Herrlichkeit" aufgedrückt. Sein Haut, sein Thron, seine Umgebung, sein Gefolge, jeder einzelne Teil seines Haushalts, ja, das ganze Land Israel ließ seine Herrlichkeit zurückstrahlen (vergl. 2. Chr 9,1-12). Freilich leuchtete aus all dieser Herrlichkeit die Gnade hervor, denn beide gehören unzertrennlich zusammen. Die ganze spätere Herrlichkeit der Rose ist schon in der Knospe enthalten. Doch der große Unterschied zwischen Gnade und Herrlichkeit besteht darin, dass die Gnade sich vorzugsweise in dieser Welt mit uns beschäftigt. Sie befasst sich mit uns in unserer Schwachheit, in unseren Fehlern und Kümmernissen und reicht gern die nötige Kraft, Wiederherstellung, Tröstung und heilige Freude dar. Sie ist die liebe und notwendige Gefährtin der Tage unserer Erniedrigung. Und welch eine Freundin, welch eine Gefährtin, welch ein Teil ist sie für den Christen, der diese Welt durcheilt! Ja, welch unaussprechliche Segnung ist es, die Gnade Gottes in Wahrheit zu kennen! „Gnade und Herrlichkeit wird Jehova geben". Lasst uns das nicht aus dem Auge verlieren, lasst uns auf beide rechnen: auf die Gnade jetzt, auf die Herrlichkeit hernach! Sie können uns nie fehlen. Sie begegnen jedem Bedürfnis und überwinden jeden Feind. Gleich des Pilgers Schutzengeln im 23. Psalm: „Güte und Huld" umringen sie uns von allen Seiten. Wir sind in Wahrheit, ob im Tränental oder auf dem Berg Zion, von einem himmlischen Geleit umgeben. Laßt uns dessen eingedenk sein, wenn wir uns vielleicht von einem treuen, langjährigen Freund, dem Gefährten manch lieblicher Stunde, trennen müssen. Auch in Zeiten der Not vermag diese Wahrheit uns Kraft und Mut zu geben. Was könnte für den Pfad eines Pilgers passender und wünschenswerter sein als das, was die kräftigen Ausdrücke „Sonne und Schild" oder die einfachen, aber so umfassenden Worte „Gnade und Herrlichkeit" enthalten und bedeuten? Und doch - als wenn diese Worte die Liebe und Fürsorge des Herrn noch nicht genügend zum Ausdruck brächten - wird hinzugefügt: „kein Gutes wird Jehova vorenthalten denen, die in Lauterkeit wandeln".

Ist das nicht genug? Könnte man mehr verlangen? Unmöglich. Der Herr ist unermüdlich in Seiner Liebe, die Geduld selbst in Seinem Dienst, und Er wartet dir auf bei Tag und Nacht, auf jeder Station deiner Reise. Er sendet den Frühregen, um die Quellen des Tränentals zu füllen, damit du Erquickung findest auf deinem Weg. Welch ein Licht für den Pfad, welche Kraft für den Kampf, ja, welche Siegesgewissheit liegt in dieser schrankenlosen Gnade unseres Gottes!

Erst das Kreuz, dann die Krone; erst Leid, dann Herrlichkeit. Darum fasse Mut, meine Seele! „Noch über ein gar Kleines" und die weiten, weiten Räume des Reiches deines Herrn wird Herrlichkeit füllen. Auf immer bei Ihm, mit Ihm vereinigt, wirst du im Mittelpunkt von alledem stehen. Jeder Kampf wird dann ausgestritten sein. So lange wir in diesem Leibe sind, hat die Gnade auf mancherlei Weise mit dem Bösen in uns zu ringen, und manchmal mag es zweifelhaft erscheinen, wer den endlichen Sieg davontragen werde, obwohl schließlich die Gnade immer triumphieren wird. Dort aber kann das Böse in alle Ewigkeit weder der Herrlichkeit den Platz streitig machen, noch gar ihn mit ihr teilen. Dann werden die Tage des Übels vorüber sein, vorüber für immer. Dann wird der Herr der Herrlichkeit alles nach Seiner Bestimmung leiten; alles wird unter Seiner Hand stehen, nach Seinen Gedanken eingerichtet werden und den Stempel Seines herrlichen Bildes tragen.

O du gesegneter, glücklicher, langersehnter Tag, komm bald! Welch ein Tag wird es sein, ein Tag jetzt noch unbekannter, aber - das wissen wir - unvermischter Segnung, ein Tag unfassbarer Freude! Dann werden wir alle wiedersehen, die vor uns zu Jesu gegangen sind, die wir hienieden gekannt und geliebt haben, und - was alles andere verschwinden und vergessen läßt - wir weiden Ihn von Angesicht zu Angesicht schauen, der uns geliebt und Sich Selbst für uns hingegeben hat, Ihn, unseren hochgelobten Herrn! - Darum noch einmal, komm bald, du Tag der Tage, dem kein Tag gleicht, außer jenem einen, an welchem Du Dich für uns dahingabst, hochgelobter Herr, an welchem Du in Deinem Tod den Grund zu dieser kommenden Herrlichkeit gelegt hast!

Wie wird uns sein, wenn wir vom hellen Strahle

Des ew'gen Lichtes Übergossen stehn,

Und - o der Wonne! - dann zum erstenmale

Uns frei und rein von aller Sünde sehn!

Wenn weit und breit die heil'ge Gottesstätte

Vom Halleluja der Erlösten schallt,

Und dort der heil'ge Weihrauch der Gebete

Empor zum Thron des Allerhöchsten wallt!

Wie wird uns sein, wenn nun dem Liebeszuge

Zu Dem, der uns den Himmel aufgetan,

Mit ungehaltnem, sehnsuchtsvollem Fluge

Die freigewordne Seele folgen kann;

Wenn nun vom Aug' des Glaubens lichte Hülle

Wie Nebel vor der Morgensonne fällt,

Und wir den Sohn in Seiner Gottesfülle

Erblicken auf dem Thron, als Herrn der Welt!

(Spitta)

Und nun, mit gemischten Gefühlen, wartend und ausschauend nach jenem besseren Tag, nehmen wir Abschied von diesem herrlichen Psalm. Möchte der Herr die Betrachtung so und, wenn möglich, mehr noch an dem Herzen jedes Lesers segnen, wie Er sie an dem des Schreibers gesegnet hat! Möchte das Zeugnis des Psalmisten in den Schlussworten seines hohen, weihevollen Liedes auch die zuversichtliche Sprache unserer Herzen sein, bezeugt in unserem ganzen Leben und Wandel, bis Jesus kommt und unsere Wüstenwanderung endet! Ja, lasst uns allezeit zu unserer eigenen Ermunterung, zur Ehre Gottes und zum Zeugnis für alle, einstimmen in den Ruf: „Jehova der Heerscharen! glückselig der Mensch, der auf dich vertraut"!

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Ein Wort über die Vereinigung der Gläubigen in unseren Tagen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1903 S. 262ff

Wenn der Herr in einer solchen Versammlung Hirten und Lehrer gibt, wie Er es Seiner Gemeinde bis ans Ende hin zu tun versprochen hat (Eph. 4, 11), so ist es die Pflicht eines jeden Einzelnen, diese Gaben anzuerkennen; aber nicht etwa durch irgend eine Zeremonie oder gar durch Verleihung von Namen und Titeln, wovon sich im Worte Gottes nirgendwo eine Spur findet, sondern dadurch, dass er sie mit dankbarem Herzen aufnimmt und ihren Dienst als von Gott kommend anerkennt. Es ist nicht in das Belieben des Gläubigen gestellt, wie er sich solchen Gaben gegenüber verhalten will, sondern das Wort Gottes legt einem jeden die Pflicht auf, solche Männer anzuerkennen, ja, sich ihnen zu unterwerfen. Wohlgemerkt, wir reden von Hirten und Lehrern, welche sich als vom Herrn gegeben erweisen, nicht von solchen, die von Menschen dazu ausgebildet und verordnet worden sind.

Es wird dem Leser nützlich sein, wenn wir einige hierher gehörende Stellen aus den Briefen der Apostel anführen. Wir lesen in 1. Kor. 16, 15. IS: „Ich ermahne euch aber, Brüder: ihr kennet das Haus des Stephanas, dass es der Erstling von Achaja ist, und dass sie sich selbst den Heiligen zum Dienst verordnet haben; dass auch ihr solchen untertan seid und jedem, der mitwirkt und arbeitet“. Dann heißt es in 1. Thess. 5, 12. 13: „Wir bitten euch aber, Brüder, dass ihr die erkennet, die unter euch arbeiten und euch vorstehen im Herrn und euch zurechtweisen, und dass ihr sie über die Maßen in Liebe achtet, um ihres Werkes willen“. Und an die Hebräer ergeht die Ermahnung: „Gehorchet euren Führern und seid unterwürfig; denn sie wachen über eure Seelen, als die da Rechenschaft geben sollen, auf dass sie dies mit Freuden tun und nicht mit Seufzen; denn dies wäre euch nicht nützlich“ (Hebr. 13, 17).

Diese drei Stellen (es gibt noch andere) zeigen uns deutlich, wie Gott über die vorliegende Frage denkt, und wie Er will, dass in Seiner Versammlung auf dieser Erde Auferbauung, Leitung, Ordnung u. s. w. dargereicht und aufrechtgehalten werden sollen. Nun unterliegt es keinem Zweifel, dass der eingetretene Verfall die Ausführung der göttlichen Gedanken sehr erschwert; aber es wäre ganz verkehrt zu denken, dass sie unmöglich geworden sei. Das ist keineswegs der Fall, wie alle diejenigen in lieblicher Weise erfahren dürfen, welche sich in Einfalt dem Worte Gottes unterwerfen. Die Untreue der Menschen hebt Gottes Treue nicht auf, noch macht sie Sein Wort ungültig. Was uns not tut, ist eine herzliche, entschiedene Rückkehr zu dem, was wir Von Anfang gehört haben (Vergl. 1. Joh. 2, 24).

Bezüglich jener Gaben sind auch Ermahnungen zu beherzigen, wie die in Gal. 6, 6: „Wer in dem Worte unterwiesen wird, teile von allerlei Gutem dem mit, der ihn unterweist“; oder in 1. Tim. 5, 17. 18: „Die Ältesten, welche wohl vorstehen, lass doppelter Ehre würdig geachtet werden, sonderlich die da arbeiten in Wort und Lehre. Denn die Schrift sagt: „Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden“, und: „Der Arbeiter ist seines Lohnes wert“.“

Weil wir ferner alle Glieder eines Leibes sind und somit alle eine persönliche Verantwortlichkeit tragen bezüglich des Wachstums des ganzen Leibes, der „wohl zusammengefügt und durch jedes Gelenk der Darreichung verbunden“ ist (Eph. 4, 16; vergl. auch Kolosser 2, 19), so wird uns auch gesagt: „Da wir aber verschiedene Gnadengaben haben, nach der uns verliehenen Gnade: es sei Weissaguug, (so lasst uns weissagen) nach dem Maße des Glaubens; es sei Dienst, (so lasst uns bleiben) im Dienst; es sei der da lehrt, in der Lehre; es sei der da ermahnt, in der Ermahnung; der da mitteilt, in Einfalt; der da vorsieht, mit Fleiß; der da Barmherzigkeit übt, mit Freudigkeit“ (Röm. 12, 6 —8.) Und in 1. Petr. 4, 10 lesen wir: „Je nachdem ein jeder eine Gnadengabe empfangen hat, dienet einander damit als gute Verwalter der mancherlei Gnade Gottes«. Wenn ein jeder nach diesen Worten sich beeifern würde, mit der ihm verliehenen Gabe zu dienen, so würden wir sicher eine Bedienung haben, wie sie nicht einfacher und zugleich umfassender und ausgedehnter sein könnte.

Aber, möchte eingewandt werden, wenn es auch nach Gottes Wort kein bestimmtes Predigt-Amt gibt, das nur durch gewisse Personen ausgeübt werden darf; so muss doch wenigstens bei der Feier des Abendmahls jemand da sein, der den Platz, des Segnenden oder Dankenden einnimmt und durch den das Abendmahl ausgeteilt wird. Sicherlich wird am Tische des Herrn einer das Dankgebet sprechen über Brot und Wein, aber dieser Eine tut es in Gemeinschaft mit der Versammlung, gleichsam als der Mund derselben. Von einem Austeilen des Abendmahls findet sich in der Schrift keine Spur, und noch viel weniger von einer bestimmten Klasse von Personen, die zu dieser Austeilung allein berechtigt wären. Die Schrift kennt hiervon weder dem Namen noch dem Wesen nach etwas. Sie redet nur von einer gemeinschaftlichen Feier des Abendmahls, von einem gemeinschaftlich en Brotbrechen. Jeder Gläubige ist in die Stellung eines Priesters gebracht und kann als solcher in der Versammlung den Namen Jesu bekennen, bitten, danksagen, oder, wenn er die Gabe dazu empfangen hat, das Wort Gottes auslegen, ermahnen, lehren, erbauen. Wir lesen in 1. Kor. 14, 26: „Was ist es nun, Brüder? Wenn ihr zusammenkommet, so hat ein jeder von euch einen Psalm, hat eine Lehre, hat eine Sprache, hat eine Offenbarung, hat eine Auslegung; alles geschehe zur Erbauung“.

Das war und ist, so weit wir urteilen können, der Ausgangspunkt aller Ordnung in kirchlicher Beziehung, welche Schwierigkeiten sich bei der Anwendung der angeführten Grundsätze heute auch darbieten mögen. Würde man zu diesem Ausgangspunkt allgemein zurückkehren, so würde sich vieles von selbst regeln. Die vorhandenen Gnadengaben würden Gelegenheit haben, sich zu offenbaren und zu entfalten, und ein wahrer, Gott wohlgefälliger Dienst würde zum Nutzen aller ausgeübt werden. Der ganze Leib, durch die Gelenke und Bande Darreichung empfangend und zusammengefügt, würde das Wachstum Gottes wachsen (Kol. 2, 19). Nach der Wirksamkeit in dem Maße jedes einzelnen Teiles würde dieses Wachstum des Leibes bewirkt werden zu seiner Selbstauferbauung in Liebe (Eph. 4, 16). -—- Aber wird sich das Fleisch nicht einmischen, werden nicht bald Eigenliebe und Ehrfucht sich breit machen? Ja, das Fleisch kann und wird sich offenbaren, wie es das immer tut; aber das Wort hat für solche Fälle Vorsorge getroffen. „Denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens“ (1. Kor. 14, 33).

Da wo die oben entwickelten Grundsätze allgemein angenommen und nach der empfangenen Kraft verwirklicht werden, da sehe ich eine Versammlung nach dem Worte Gottes, „eine Versammlung der Heiligen“; da sehe ich eine örtliche Darstellung, ohne Zweifel sehr schwach und unansehnlich, aber nichtsdestoweniger eine Darstellung des Hauses Gottes, der Versammlung des lebendigen Gottes, zusammengesetzt aus lebendigen Steinen, aus wahren, lebendigen Gliedern; da sehe ich ein heiliges Priestertum, welches berufen ist, geistliche Schlachtopfer darzubringen, Gott wohlannehmlich durch Jesum Christum (1. Petr. 2, 5.) Viele nennen das Unordnung und schelten die Gläubigen, welche so den Gedanken Gottes über Sein Haus zu entsprechen suchen, Neuerer, Sektierer und dergl.; aber sie vergessen ganz, dass gerade die so viel gepriesenen Kirchenordnungen und Einrichtungen nur menschliche Erfindungen sind, und dass Paulus eben an jener Stelle Gott einen Gott der Ordnung und des Friedens nennt, wo« er die Gläubigen ermahnt, sich in dieser Weise, in Abhängigkeit von der Leitung des Heiligen Geistes, zu versammeln. Sie beweisen, dass sie sich von der Ordnung in der Kirche oder Versammlung Gottes eine ganz andere Vorstellung machen als der Apostel Paulus, ja, dass sie sich mit ihm in unmittelbarem Widerspruch befinden. Für ihn ist die wahre Ordnung die durch den Geist, durch Seine Belehrung und Leitung; für jene ist die wahre Ordnung die, welche aus menschlichen Einrichtungen und Vorkehrungen hervorgeht und sich auf die Leitung durch Menschen aufbaut.

Unzweifelhaft setzt ein Zusammenkommen auf solcher Grundlage die fortgesetzte Übung und Offenbarung eines Glaubens voraus, der die Schwierigkeiten durch ein stetes Aufschauen zum Herrn überwindet. Zugleich erfordert es eine rückhaltlose Anerkennung der persönlichen Gegenwart des Heiligen Geistes und eine unbedingte Unterwerfung unter Seine Wirksamkeit und Leitung; denn Er allein vermag Ordnung, Einheit und Frieden zu bewahren. Sobald diese Abhängigkeit zu schwinden beginnt, erheben sich Schwierigkeiten, und gerade das ist es, was die Einführung menschlicher Ordnungen und Einrichtungen verursacht hat. Hienieden befindet sich die Kirche gleichsam in ihrem Kindheitsalter, und im Blick auf die feindlichen Einflüsse und den Widerstand von außen, sowie auf die Schwierigkeiten von innen kann die Aufrechthaltung der Ordnung und die Bewahrung ihres Zustandes nur als ein Wunder des Geistes des Lebens, der in ihr wohnt, betrachtet werden. Aber dieses Wunder hat sich einst vor den Augen der Ungläubigen vollzogen, und es vollzieht sich heute noch, wenn auch infolge des allgemein niedrigen Zustandes „der Gläubigen und der Betrübung des Heiligen Geistes in weit geringerem Maße als früher. Sucht man aber dieses, durch die kräftige Wirksamkeit des Heiligen Geistes bewirkte Wunder durch kluge Anordnungen, durch Einführung von allerlei Formen und Satzungen zu ersetzen, so wird man, anstatt eines zwar leidenden aber doch lebendigen Leibes, ein vielleicht schönes aber todkaltes Standbild erhalten.

Gibt der Herr Prediger des Evangeliums, — und wir sollten Ihn herzlich und anhaltend darum bitten, —-

so mögen sie freudig und zuversichtlich die Hand ans Werk legen, indem sie sich allein auf Ihn stützen und nichts von denen nehmen, die draußen sind. Es ist das Vorrecht ihrer Brüder, ihnen in ihrem Werke beizustehen und auf diese Weise »Mitarbeiter der Wahrheit« zu werden. (3. Joh. 6 — 8). Dies hebt natürlich nicht auf, dass alle, je nach den Umständen und der ihnen verliehenen Befähigung, von der Gnade Gottes Zeugnis geben sollen. Diese Verantwortlichkeit ruht auf jedem einzelnen Gläubigen. So gingen auch einst die ersten Christen, als sie durch eine Verfolgung aus Jerusalem vertrieben und überallhin zerstreut wurden, umher und verkündigten das Wort (Apstgsch. 8,4)

So wird man denn einerseits eine Offenbarung der Einheit des Leibes haben durch die Jünger, welche um

das Mahl des Herrn oder zum gemeinschaftlichen Gebet oder auch zur gegenseitigen Erbauung versammelt sind, und andererseits ist der besonderen Tätigkeit eines Jeden ein weites Feld gelassen, sowohl in der Versammlung zum Nutzen der Heiligen, als auch außerhalb in dem Werke des Evangeliums, um einer verlorenen Welt die frohe Botschaft von der Liebe Gottes zu verkündigen und Seelen für Christum zu werben. Diese beiden Dinge sind so verschieden wie möglich und werden doch in der gegenwärtigen Unordnung der Christenheit so allgemein verwechselt.

Was sind z. B. jene zahlreichen Zusammenkünfte, welche gewöhnlich ,“Predigt“, oder „Gottesdienst“, oder

auch „Kirche“ genannt werden? Einerseits sind es Evangelisations-Versammlungen, indem man der Menge, die sich zusammenfindet, der sogenannten „Gemeinde“, Buße und Glauben predigt, zum wenigsten wenn der Prediger gläubig ist; andererseits sind es gottesdienstliche Versammlungen, in welchen man das Abendmahl nimmt und mit dieser Menge, ob bekehrt oder unbekehrt, dankt, wie mit Brüdern, wie mit Gliedern der Versammlung Gottes. Was hat dies zur Folge? Zunächst geht der Unterschied zwischen der Predigt des Evangeliums und der Ausübung des Gottesdienstes, der Anbetung, völlig verloren; es entsteht eine Vermengung zweier Dinge, die getrennt bleiben sollten, eine Vermengung, welche für beide zum größten Nachteil ist. Denn wenn man der versammelten Menge sagt: „Tut Buße und glaubet!“ und zu gleicher Zeit mit ihr danksagt und das Mahl mit ihr feiert, welches nur den

Gläubigen gehört, so schwächt man die Wirkung der Predigt gewaltig; die noch nicht bekehrten Seelen werden in einen Zustand falscher Sicherheit gebracht, indem ihnen die äußeren Handlungen der Taufe und des Abendmahls als Gnadenmittel Vorgestellt werden, durch deren Genuss sie etwas empfangen; und selbst da, wo dies nicht der Fall ist, bringt die Zulassung Unbekehrter zum Abendmahl unwillkürlich Verwirrung und Unklarheit hervor. So leidet die Verkündigung des Evangeliums sehr unter jener Vermengung; aber nicht nur sie, auch der Gottesdienst leidet, indem man einerseits nicht wiedergeborene, geistlich tote Seelen in den Kreis der Gläubigen bringt, und andererseits in diesen selbst durch den steten Zuruf: „Tut Buße und glaubet!“ Ungewissheit bezüglich ihrer Errettung hervorruft und sie hindert, in der Gnade Gottes befestigt zu werden. Das war nicht die Weise, wie die Apostel wirksam waren. Sie predigten das Evangelium der ungläubigen Menge in den Straßen, auf den Märkten, in den Synagogen und überall, wo sich eine geeignete Gelegenheit dazu bot. Aber wenn es sich darum handelte, das Brot zu brechen, in Anbetung oder Gebet und Fürbitte gemeinschaftlich vor Gott hinzutreten, sich untereinander zu erbauen und zu ermahnen, so vereinigten sie sich in der Stille nur mit den Jüngern, mit den „Ihrigen“, nur mit denen, welche glaubten.

Der Menge riefen sie zu: „Tut Buße, und ein jeder von euch werde getauft ans den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden, und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen“; oder: »Und Er hat uns befohlen, dem Volke zu predigen und ernstlich zu bezeugen, dass Er der von Gott verordnete Richter der Lebendigen und der Toten ist. Diesem geben alle Propheten Zeugnis, dass jeder, der an Ihn glaubt, Vergebung der Sünden empfängt durch Seinen Namen“; oder: „So sei es euch nun kund, Brüder, dass durch diesen euch Vergebung der Sünden Verkündigt wird“ (Apstgsch. 2, 38; 10, 42. 43; 13, 38). Den Gläubigen aber sagten sie: „Ihr habt gehört das Wort der Wahrheit, das Evangelium eures Heils, in welchem ihr auch, nachdem ihr geglaubt habt, versiegelt worden seid mit dem Heiligen Geiste der Verheißung“; oder: „Denn sie selbst verkündigen von uns, welchen Eingang wir bei euch hatten, und wie ihr euch von den Götzenbildern zu Gott bekehrt habt, dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und Seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten“; oder endlich: „Wisset ihr nicht, dass euer Leib der Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt, den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euer selbst seid? Denn ihr seid um einen Preis erkauft worden; verherrlichet nun Gott in eurem Leibe“ (Vergl. Epheser 1, 13; 1. Thess. 1, 9. 10; 1. Kor. 6, 19. 20 und viele andere Stellen).

Könnte es wohl einen größeren Gegensatz geben, als wie er in diesen Stellen gefunden wird? Fast sollte man es für unmöglich halten, dass eine Vermengung oder falsche Anwendung derselben stattfinden könnte. Aber infolge der durch die Untreue des Menschen herbeigeführten Vermengung des Guten mit dem Bösen, der Kinder Gottes mit den Kindern der Welt, an die man sich nicht nur seit Jahrhunderten gewöhnt hat, sondern die selbst von Gläubigen gerechtfertigt und verteidigt wird, hat man in der Christenheit im allgemeinen so völlig das Verständnis für die Wahrheit verloren, dass selbst gläubige Prediger in ihren Ansprachen kaum einen Unterschied zwischen ihren Zuhörern zu machen pflegen. Zugleich ist das Bewusstsein von dem, was wahrer Gottesdienst ist, ganz verloren gegangen. Ein Teil der Christenheit hat die Feier des Abendmahls zu einer sogenannten unblutigen Wiederholung des blutigen Kreuzestodes Christi gemacht und die ganze Handlung mit prunkvolIen Zeremonien und Gebräuchen umgeben; ein anderer Teil, obwohl entschieden protestierend gegen eine solche Entweihung des Opfers Christi, hat doch die Bedeutung des Abendmahls ganz vergessen und es in ein Sakrament zur Vergebung der Sünden oder doch in ein Gnadenmittel verwandelt. Der Begriff der Anbetung seitens der um ihren Herrn versammelten Gläubigen ist gänzlich verschwunden, und wenn man von Gottessdienst spricht, so meint man allgemein damit die Abhaltung einer Predigt, verbunden mit bestimmten Gebeten, Gesängen und dergleichen. Das sind die traurigen, aber notwendigen Folgen des Abweichens von dem einfachen Boden der Wahrheit. Die Christen haben aufgehört, sich, in dem Bewusstsein ihrer völligen Abhängigkeit von der Leitung des Heiligen Geistes, um ihren Herrn zu versammeln und von Ihm, dem Haupte Seines Leibes, der Versammlung, alles Nötige zu erwarten.

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Jesus im Verkehr mit den Seinigen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1903 S. 272ff

Wenn wir die letzten Kapitel der Evangelien lesen, so finden wir den Herrn, sowohl vor als auch nach Seinem Tode, in ausschließlicher Weise mit den Seinigen beschäftigt. Sie sind es, die Seinem Herzen in dieser Welt am nächsten stehen. Mit ihnen versammelt Er sich zum letzten Male, ehe Er die Erde verlässt, um mit ihnen das- Passahmahl zu feiern und bei dieser Gelegenheit das Abendmahl einzusetzen, diese kostbare Erinnerung an Seinen Tod. Sie sind es, die Er mit zärtlicher Liebe vorzubereiten sucht auf Seinen Weggang aus dieser Welt; und in der Fußwaschung (Joh. 13) ist Er bemüht, sie zu belehren über ihr Teilhaben mit Ihm in der neuen Stellung, welche Er bei dem Vater einzunehmen im Begriff stand. Ihnen gelten Seine letzten Unterredungen, um sie aufmerksam zu machen auf das, was sowohl Ihm als auch ihnen bevorstand. Sie sind es, die Er schließlich im Gebet Seinem Gott und Vater anvertraut (Joh. 17).

Zugleich beschäftigt Er sich in besonderer Weise mit Petrus, um ihn auf die Gefahr aufmerksam zu machen, in welcher er schwebte infolge seines Selbstvertrauens und seiner vermeintlichen Kraft. Er betet für ihn und warnt ihn, als Petrus noch keine Ahnung von dem hatte, was ihm bevorstand; Er erinnert ihn nachher noch einmal, anknüpfend an sein Schlafen im Garten Gethsemane: „Simon, schläfst du? Vermochtest du nicht eine Stunde zu wachen?“ (Mark. 14, 37.) Und als Petrus dann seinen Herrn dreimal verleugnete, weil eine schwache Magd die Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt hatte, finden wir den Herrn wiederum mit Seinem armen Jünger beschäftigt. Vor dem Synedrium stehend, wirft Er ihm einen Blick zu, und dieser bringt Petrus zur Besinnung und zur Erkenntnis seiner Sünde. Er geht hinaus und weint bitterlich (Luk. 22, 61. 62).

Nachdem dann Jesus gekreuzigt und auch begraben worden war, soweit es Zeit und Umstände vor dem Sabbat noch erlaubten, kommen am ersten Wochentage, ganz in der Frühe, die Weiber, die Ihm von Galiläa nachgefolgtwaren und Ihm mit ihrer Habe gedient hatten, auch bei Seiner Kreuzigung und bei Seinem Begräbnis gegenwärtig gewesen waren, zu der Gruft und wollen den Leib des Herrn einbalsamieren. Aber inzwischen hatte etwas stattgefunden, was der Herr ihnen zwar vorhergesagt hatte, was ihnen aber unverständlich geblieben war. Er war auferstanden, das Grab war leer. Die Hand des Vaters hatte eingegriffen, um den großen Hirten der Schafe aus den Toten wiederzubringen (Hebräer 13, 20). Kurz darauf erscheint der Herr der Maria Magdalene, welche sich nicht, wie die übrigen Weiber und Petrus und Johannes, mit der einfachen Tatsache begnügen konnte, dass das Grab leer war, sondern weinend an der Gruft stehen blieb, und teilt ihr die Botschaft mit, dass die Seinigen jetzt mit Ihm in derselben Stellung vor Gott seien, und dass Er auffahren werde zu Seinem Vater und ihrem Vater und zu

Seinem Gott und ihrem Gott. (Joh. 20, 17.) Ja Maria Magdalene, die nicht ohne den Herrn sein wollte und

konnte, für die diese Welt nur ein leeres Grab war, (selbst die Anwesenheit der Engel im Grabe konnte sie nicht befriedigen,) sehen wir, was für ein Herzenszustand sich für solche geziemt, die also mit dem Herrn eins gemacht sind. Für sie sollte es wahr sein, wenn sie singen:

„Was wär der Himmel ohne dich, und alle Herrlichkeit!“

Oder auch:

„Dank dir, o Herr, dass Gold und Schätze

und Pracht und Schönheit dieser Welt,

dass kein Ding je mich kann ergötzen,

was mir die Welt vor Augen stellt.“

Nachher offenbarte sich der Herr den übrigen Weibern, als sie vom Grabe zurückkehrten, und rief den von Furcht und Freude Erfüllten sein „Seid gegrüßt!“ und „Fürchtet euch nicht!“ zu (Matth. 28); und in Luk. 24 wie auch in 1. Kor. 15, 5 lesen wir, dass der Herr von den Aposteln zuerst dem Simon erschien. Petrus war derjenige, welcher zuerst des Trostes und der Ermunterung bedurfte, und beides wurde ihm zu teil. O wie sehen wir immer wieder, wie der Herr an jeden Einzelnen der Seinigen denkt und um sie besorgt ist! Welch eine Gnade ist es, diesen Jesus als seinen Heiland, Freund und Führer durch die Wüste zu kennen!

In Mark. 16 und Luk. 24 wird uns mitgeteilt, wie der Herr sich zwei Jüngern offenbarte, welche nach Emmaus gingen. Als unbekannter Fremdling schließt Er sich ihnen an und erkundigt sich nach der Ursache ihrer Trauer. Sie erzählen Ihm was in Jerusalem geschehen war, und der Herr gibt ihnen an der Hand der Schriften Aufschluss über das Geschehene, und zwar in einer Weise, dass sie wünschen, diesen Fremdling noch länger bei sich zu haben. Der Herr in Seiner herablassenden Gnade kommt ihrem Wunsche nach, treu dem Grundsatze: „Wer da hat, dem wird gegeben werden“, und offenbart sich ihnen bei dem Abendessen. In ihrer Freude, den Herrn gesehen zu haben, kehren die Beiden in später Abendstunde nach Jerusalem zurück, um den Elfen iher Begegnis mitzuteilen Wie schön ist das Interesse für den Herrn Jesum, welches wir nach Seiner Auferstehung bei einigen der Seinen gewahren; wie selten ist es in unseren Tagen! Und wie kostbar musste es für das Herz des Herrn sein!

Die beiden Jünger finden die Elfe und die mit ihnen waren noch versammelt; der Schlaf war ihnen an diesem Abend eine gar unwichtige Sache. Die Elfe machen den Beiden die freudige Mitteilung, dass der Herr wirklich auferstanden und dem Simon erschienen sei; diese ihrerseits erzählen, wie der Herr sich ihnen geoffenbart habe. Und dann tritt der Herr selbst, der unsere innersten Gefühle kennt und so gern sich einem jeden Herzen, das Ihn liebt, offenbar macht, in ihre Mitte und gibt sich ihnen zu erkennen. Aber anstatt sich zu freuen, fürchten sich die Jünger, gerade so wie sie sich einst gefürchtet hatten, als Er auf dem Meere zu ihnen kam. Doch so wie Er ihnen damals zugerufen hatte: „Ich bin’s, fürchtet euch nicht!“ (Matth. 14, 27; Mark. 6, 50), so sagt Er auch jetzt: „Was seid ihr bestürzt, und warum steigen Gedanken auf in euren Herzen? Seher meine Hände und meine Füße, dass ich es selbst bin; betastet mich und sehet, denn ein Geist hat nicht Fleisch Und Bein, wie ihr sehet, dass ich habe.« Er ist trotz allem, was vorgefallen ist, Derselbe geblieben, und ist bemüht, ihre Herzen so völlig zu beruhigen, dass kein Zweifel für sie übrigbleibt. Er verlangt etwas zu essen, um ihnen zu zeigen, dass Er wirklich Derselbe war, den sie früher gekannt hatten. Wie glücklich und beneidenswert ist ein Herz, welches sagen kann: „Das ist mein JesusI“ und nun auf dem Wege durch diese Welt Seine Güte und Treue erfahren darf!

Nachher öffnet der Herr Seinen Jüngern das Verständnis, damit sie die Schriften verständen, und macht ihnen den Heilsplan der Erlösung klar und verständlich. Dann gibt Er ihnen den Auftrag auszugehen, um Buße und Vergebung der Sünden allen Nationen zu predigen, anfangend von Jerusalem. Doch sollten sie warten, bis sie die Verheißung des Vaters, den Heiligen Geist, diese Kraft aus der Höhe, empfangen hätten. Nur so waren sie fähig, den empfangenen Auftrag auszuführen. Im Blick hierauf schreibt denn auch der Apostel Petrus: „Welche euch das Evangelium gepredigt haben durch den vom Himmel gesandten Heiligen Geist“ (1. Petr. 1, 12).

In Joh. 20 finden wir den Herrn ebenfalls am Abend des ersten Wochentages in der Mitte Seiner Jünger, und zwar tritt Er unter sie bei verschlossenen Türen. Verschlossene Türen bilden für Ihn keine Schranke. Wenn Er zu Gunsten der Seinigen eintreten will, so vermag niemand und nichts Ihn zu hindern. Das haben auch später die Apostel in Jerusalem, und Paulus in Philippi erfahren. (Apstgsch. 5; 12; 16.) Und wie viele Gläubige haben in späteren Zeiten dieselbe Erfahrung machen dürfen, dass der Herr auch da noch zu helfen vermag, wo alle menschliche Hülfe ausgeschlossen ist!

Der Herr erscheint hier, wie in Luk. 24, in der Mitte Seiner Jünger mit dem Gruße: „Friede euch!“ Indes haben wir hier mehr den Charakter einer Versammlung. Der Herr zeigt ihnen Seine Hände und Seine Seite. Er deutet hin auf die Wundenmale, auf Grund deren Er jetzt als der Auferstandene Frieden verkündigen konnte; und das Resultat davon war, dass die Jünger sich freuten, als sie den Herrn sahen. So werden auch in der gegenwärtigen Zeit die Gläubiger! Allsonntäglich am Tische des Herrn daran erinnert, dass der Friede gemacht ist, und auch, wodurch er gemacht ist; möchte doch auch nun die Folge stets die sein, dass sie sich freuen und den Übrigen sagen können: „Wir haben den Herrn gesehen“! (V. 25).

Thomas war »in jener ersten Versammlung nicht gegenwärtig; es war ein Verlust für ihn. Wie viele gibt es auch in unseren Tagen, welche dadurch Schaden leiden, dass ihre Plätze so oft leer sind, wenn die Gläubigen sich im Namen Jesu versammeln! Die übrigen Jünger teilten Thomas mit, dass sie den Herrn gesehen hätten. Das war das gesegnete Ergebnis davon, dass sie in jener Versammlung zugegen gewesen waren; und wie manchmal haben wir dasselbe erfahren, wenn wir am Tische des Herrn versammelt waren. Thomas will nicht eher glauben, bis er in den Händen des Herrn die Nägelmale gesehen und seine Finger in die Nägelmale und seine Hand in Seine Seite gelegt habe. Wir erblicken in ihm ein Vorbild der Juden, welche nicht eher glauben werden, bis sie „Ihn schauen, den sie durchstochen haben“ (Offenbg. 1, 7). Acht Tage darauf sind die Jünger wieder versammelt, und wieder tritt der Herr in ihre Mitte. Er ist immer da, wo die Seinigen sind. Und siehe da, diesmal beschäftigt Er sich ganz besonders mit Thomas; ja, Er handelt genau so, wie Thomas es bedurfte. Welch eine Gnade! Es ist ernst und gesegnet zugleich, daran zu denken, dass der Herr stets weiß, wie es um unsere Herzen steht und was wir im Blick auf unser geistliches Wachstum bedürfen. Er weiß einen jeden der Seinigen „zu behandeln und zu unterweisen, wie er es bedarf. „Wer ist ein Lehrer wie Er?“ sagt Elihu. (Hiob 36, 22). Das Resultat der Handlungsweise des Herrn Seinem ungläubigen Jünger gegenüber ist, dass er glaubt. Doch der Herr spricht bei dieser Gelegenheit das schöne Wort: „Glückselig, die nicht gesehen und geglaubt haben!“ Das ist der christliche Glaube, von welchem Petrus in seinem ersten Briefe spricht: „An welchen glaubend, obgleich ihr Ihn jetzt nicht sehet, ihr mit unaussprechlicher und verherrlichter Freude frohlocket“ (Kap. 1, 8.) Ach, dass dieses Frohlocken nur mehr unter uns gefunden würde!

In Joh. 21 wird uns erzählt, wie der Herr sich Seinen Jüngern zum drittenmale offenbarte. Einige von ihnen scheinen in Betreff ihrer äußeren Bedürfnisse in Verlegenheit gewesen zu sein, eine Lage, in welche schon manche der Gläubigen nach ihnen gekommen sind. Aber wenn man in Abhängigkeit vom Herrn darin ausharrt, gereicht es immer zur Verherrlichung Seines Namens. Leider harrten die Jünger nicht aus. Petrus machte den Vorschlag, fischen zu gehen. Er schien vergessen zu haben, dass der Herr ihn zu einem Menschenfischer berufen hatte (Luk. 5, 10). Das Ergebnis war dementsprechend ganz niederschmetternd. Alle ihre Mühe auf dem Wege der Selbsthilfe war vergeblich. Die Jüngers mussten wieder die Erfahrung ihrer Ohnmacht machen, wie es schon einmal in den Tagen des Fleisches des Herrn geschehen war (Luk. 5). So geht es gewöhnlich. Wenn die Gläubigen vergessen, dass sie kraftlos sind, so müssen sie aufs neue praktisch erfahren, dass sie gar nichts vermögen, und dass ihre Stärke einzig und allein in der Abhängigkeit vom Herrn liegt. Die Jünger handelten nach den Eingebungen ihrer kleingläubigen Herzen, aber nicht nach dem Worte des Herrn: „Ihr aber, bleibet in der Stadt, bis ihr angetan werdet mit Kraft aus der Höhe“. Doch der allezeit gnädige Herr erweist sich auch hier wieder als Der, welcher die Verlegenheiten und Bedürfnisse der Seinigen kennt und ihnen zu begegnen weiß. „Habt ihr etwas zu essen?« fragt Er sie. Ach, sie mussten bekennen: „Nein“. Anders, ganz anders war es gewesen, als Er sie in früheren Tagen ohne Börse und Tasche, d. h. ohne jede sichtbare Stütze, ausgesandt hatte. (Luk. 9, 3 u. 10, 4.) Wenn Er sie am Abend Seines letzten Zusammenseins mit ihnen fragte, ob ihnen in jener Zeit je etwas gemangelt habe, mussten sie antworten: „Nichts“. Auf dem Wege des Gehorsams hatten »sie stets gehabt was sie bedurften, aber mit ihren eigenen Überlegungen und Bemühungen erreichten sie nichts. Welche Lehre liegt darin für uns! Doch der Herr hatte in Seiner herablassenden Gnade schon für sie gesorgt; am Ufer lagen Fische und Brot für sie bereit. So handelt unser Jesus!

Es ist schön, zu sehen, mit welcher Freimütigkeit Petrus trotz, allem dem Herrn entgegengeht. Der Blick des Herrn sowie Seine Unterredung mit Petrus am ersten Wochentage hatten in ihm ihre gesegnete Wirkung hervorgebracht.

Wir sehen in diesem Abschnitt auch, wie der Herr sich auch nach Seiner Auferstehung als Der offenbarte,

„dessen das Meer ist und seine Fülle“, so wie Er es in Luk. 5 und Matth. 17 getan hatte, wo ein Fisch auf Sein Geheiß einen Stater bringen musste zur Bezahlung der Tempelsteuer. Wie gut und tröstlich ist es zu wissen, dass es auch heute noch derselbe Jesus ist, mit dem wir zu tun haben!

Als die Jünger gefrühstückt hatten, beschäftigt sich der Herr noch einmal mit Petrus, um ihn über die Ursache seines Falles zu belehren» Petrus hatte gemeint, mehr Liebe zu besitzen als die Übrigen (Matth. 26, 33; Mark. 14, 29). Der Herr fragt ihn deshalb: „Simon, Sohn Jonas’, liebst du mich mehr als diese?“ Petrus antwortet: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe“. Dann fragt Er ihn zum zweiten- und drittenmale: „Simon, Sohn Jonas’, liebst du mich?“ Jetzt wird Petrus traurig und sagt: „Herr, du weißt alles; du erkennst, dass ich dich lieb habe“. Petrus verspricht jetzt nichts mehr, er sagt nicht mehr, dass seine Liebe größer sei als die seiner Mitjünger; sein Vertrauen auf seine eigene Kraft ist gebrochen. Und nun vertraut der Herr ihm das Teuerste an, was Er auf der Erde besaß, Seine Schafe und Lämmlein, und tröstet ihn mit der Versicherung, dass er in seinem Alter noch Gelegenheit bekommen würde, für Ihn zu sterben.

Schließlich wird uns in Luk. 24 noch mitgeteilt, wie der Herr Seine Jünger nach Bethanien hinausführte, Seine Hände aufhob und sie segnete, und so vor ihren Augen in den Himmel aufgenommen wurde. Niemand sah Ihn auffahren, als die Jünger allein. — Welch ein inniges Verhältnis, welch ein Verkehr zwischen Ihm und den Seinigen! Und dieses Verhältnis besteht auch heute noch zum Troste derer, „die Ihn lieben“. Wie vieles sich auch verändert haben mag, Er ist derselbe geblieben, und Er ist mit den Seinigen, so lange sie hier im Kampfe stehen, nach Seiner Verheißung: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis zur Vollendung des Zeitalters“. Wie tröstlich ist das für uns alle! Wo wir uns auch befinden mögen, Jesus ist nahe, und in Ihm ist alles, was wir je bedürfen können, um unseren Weg in Ruhe und mit glücklichem Herzen zu vollenden.

Sein Licht erhellt mir Tag für Tag

des Lebens raue Bahn,

und führt mich, wenn auch wunderbar,

doch sicher himmelan.

Fußnote:

*) Aus der Feder eines teuren, vor mehreren Jahren heimgegangenen Bruders. Die Gedanken sind einfach und lieblich, und werden gewiss manchem Leser zur Ermunterung gereichen.

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Ein Wort über die Vereinigung der Gläubigen in unseren Tagen

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1903 S. 281ff

Wie einfach und köstlich, und doch zugleich wie ernst ist demgegenüber das Wort des Herrn Jesu an das arme Weib am Jakobsbrunnen: „Weib, glaube mir, es kommt die Stunde, da ihr weder auf diesem Berge, noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet · . . Es kommt aber die Stunde und ist jetzt, da die wahrhaftigen Anbeter den Vater in Geist und Wahrheit anbeten werden; denn auch der Vater sucht solche als Seine Anbeter. Gott ist ein Geist, und die Ihn anbeten, müssen in Geist und Wahrheit anbeten“. Wer könnte so anbeten, wer in Wahrheit Loblieder singen zur Ehre Gottes und des Lammes, wer danksagen und den Vater verherrlichen, als nur diejenigen, welche, nachdem sie dem Worte der Wahrheit geglaubt haben, versiegelt worden sind mit dem Heiligen Geiste? als nur sie, die von Herzen, in kindlicher Glaubenszuversicht, „Abba, Vater!“ sagen können? Alle übrigen, so eingehend sie auch in den Wahrheiten des Christentums unterwiesen sein mögen, sind bloße Bekenner; ihre Herzen sind finster, ihre Lampen ohne Öl, sie sind völlig unfähig, wahre Anbetung darzubringen. In manchen Gemeinden hat man in unseren Tagen diese Verwirrung gefühlt und dahin gearbeitet, derselben abzuhelfen; aber es wird niemals zu einem guten Ende kommen, so lange man mit dem Falschen und Menschlichen in irgendwelcher Verbindung bleibt und nicht den einzig möglichen Boden betritt, den der Einheit der Kinder Gottes, wie sie durch den Heiligen Geist bewirkt ist.

Man redet gegenwärtig auch viel von einem Zusammenschluss aller wahren Gläubiger! Zwecks gemeinschaftlicher Arbeit auf dem Felde der Evangelisation und bemüht sich eifrig, eine solche Vereinigung herbeizuführen, wobei ein jeder Einzelne in seiner Sonderstellung bleiben, aus seinem jeweiligen Parteistandpunkt beharren kann. Diese Bemühungen mögen von Vielen gut und aufrichtig gemeint sein; aber wird aus diesem Wege die praktische Vereinigung der Kinder Gottes erzielt? Sicherlich sollte jeder Christ, soweit er sich dazu berufen und begabt fühlt, sowohl allein als auch in Gemeinschaft mit seinen Brüdern das Evangelium verkündigen. Ja, ein gemeinsames, treues Arbeiten auf diesem Gebiet mag sich oft sehr segensreich erweisen und zur Bekehrung Vieler führen. Aber ich frage noch einmal: Ist das die Vereinigung der Kinder Gottes nach Gottes Gedanken? Finder man in den Unterweisungen der Apostel oder in ihrer Wirksamkeit irgend einen Hinweis daraus, dass die Verkündigung des Evangeliums unter der Welt als Mittelpunkt der Vereinigung der Gläubigen dienen könnte oder sollte? Nein, zu diesem Zwecke ist uns der Tisch des Herrn gegeben. Hier sind alle eins: ein Brot, ein Leib. „Der Kelch der Segnung, den wir segnen, ist er nicht die Gemeinschaft des Blutes des Christus? Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes des Christus? Denn ein Brot, ein Leib sind wir, die Vielen, denn wir alle sind des einen Brotes teilhaftig“ (1. Kor. 10, 16. 17). Ferner lesen wir in Apstgsch. 20, 7: „Am ersten Tage der Woche aber, als wir versammelt waren, um Brot zu brechen“. Das war der Zweck des Zusammenkommens der Gläubigen; der Tisch des Herrn war ihr Mittel- und Sammelpunkt.

„Es mag gut sein, hier noch ein Wort über den Charakter einer Versammlung zur Verkündigung des Evangeliums zu sagen. Auf eine solche lässt sich niemals das Wort des Herrn anwenden: „Wo zwei oder drei in meinem Namen (eig.: zu meinem Namen hin) versammelt sind, da bin ich in ihrer Mitte“ (Matth. 18, 20). Damit soll selbstverständlich nicht gesagt sein, dass der Herr nicht immer und überall bei den Seinigen sei (Matth. 28, 20), dass Er nicht in besonderer Weise mit denen sei, welche von Seiner Gnade Zeugnis abzulegen wünschen, oder dass Er dieses Zeugnis nicht segnen werde. Der Herr bleibt Seiner Verheißung, dass Er alle Tage, bis zur Vollendung des Zeitalters, bei uns sein wolle, treu, und Er wird gewiss jede Bemühung der Liebe für verlorene, heilsbedürftige Seelen mit Seinem Segen krönen. Aber dessen ungeachtet ist eine Zusammenkunft zur Verkündigung des Evangeliums, so klein oder groß sie sein mag, nicht eine Versammlung, wie sie in Matth. 18 beschrieben wird. Denn würde man es wagen, auf eine solche Versammlung, die doch größtenteils aus Unbekehrten besteht, das Wort anzuwenden, welches der Herr in demselben Kapitel, ja, in Verbindung mit demselben Gegenstand, ausspricht: „Wahrlich, ich sage euch: Was irgend ihr auf der Erde binden werdet, wird im Himmel gebunden sein; und was irgend ihr auf der Erde lösen werdet, wird im Himmel gelöst sein“? (V. 18). Sicherlich nicht; denn jeder fühlt, dass Personen, die keinen Teil am Geiste Gottes haben, auch die Dinge Gottes nicht zu unterscheiden wissen. Man wird aus ähnlichen Gründen fühlen, dass eine Versammlung zur Verkündigung des Evangeliums auch in keiner Weise jenen Versammlungen der ersten Christen entspricht, von welchen Paulus in 1. Kor. 12 und 14 redet. Auch kann man unmöglich an eine Versammlung zur Verkündigung des Evangeliums denken, wenn der Apostel die gläubigen, Hebräer ermahnt: „Lasst uns auf einander Acht haben zur Anreizung zur Liebe und zu guten Werken, indem wir unser Zusammenkommen nicht versäumen“ (Hebr. 10, 24. 25). In der Tat, eine Zusammenkunst, welche man veranstaltet, um Unbekehrten das Heil in Christo zu verkündigen, und in welcher einer oder mehrere Menschen die Leitung haben, ist nicht eine Versammlung in dem Namen Jesu nach Matth. 18, noch überhaupt ein Zusammenkommen der Christen als solcher, in welchem ihre Einheit und ihre Absonderung für ihren Herrn irgendwie zum Ausdruck käme. Deshalb ist es auch dem Gläubigen in keiner Weise geboten, einer solchen Versammlung beizuwohnen. Ich bin als Christ vollkommen frei, einer Evangelisations-Versammlung beizuwohnen oder nicht, sei es nun dass ich daselbst rede oder nicht rede. Das Wort Gottes überlässt dies ganz meinem Ermessen. Es könnte ja in einer Stadt zwanzig Orte geben, wo an einem und demselben Abend das Evangelium verkündigt würde, und wollte Gott, es gäbe ihrer noch mehr! Aber welche würde ich in diesem Falle zu besuchen schuldig sein? Auf welche ließe sich die Ermahnung des Apostels in Hebräer 10, 25 anwenden? Wenn es sich aber um Zusammenkünfte der Erlösten handelt, sei es zur Feier des Abendmahls oder zum Gebet, oder zur gegenseitigen Erbauung und Förderung im Glauben und in der Erkenntnis, so haben wir das bestimmte Gebot, unser Zusammenkommen nicht zu versäumen.

Mit einem Wort, die Verkündigung des Evangeliums ist eine vortreffliche Sache, ob sie nun vereinzelt oder in Gemeinschaft mit Anderen geschieht; aber nie wird sie in dem Worte als der Mittelpunkt dargestellt, um welchen die Christen sich vereinigen und der Welt ihre Einheit offenbaren sollten. Wer solche Behauptungen aufstellt, trägt zur Vermehrung der Verwirrung bei, und anstatt die Vereinigung der Kinder Gottes zu fördern, hält er die Gläubigen davon ab, das wahre Wesen derselben zu erkennen und zu verwirklichen.

Ohne Zweifel ist es schmerzlich, so viel über die Verwirrung sagen zu müssen; aber wenn wir uns weigern, die Wunde zu untersuchen, wie könnten wir dann eine Heilung erwarten? Manche Christen scheinen freilich den Entschluss gefasst zu haben, ihre Augen vor dem Übel zu schließen, oder sie wünschen zur Heilung nichts anderes anzuwenden als die kraftlosen Heilmittel, welche sie selbst erfunden haben. Man wird dabei unwillkürlich an die Worte des Propheten erinnert: „Sie heilen die Wunde

der Tochter meines Volkes leichthin“. Sie errichten Vereine zur gemeinschaftlichen Verkündigung des Evangeliums, wovon wir soeben sprachen, zur Heidenmission, zum Gebet, zur Beförderung eines entschiedenen Christentums, zur Vertiefung des Glaubenslebens, kurzum Vereine von jeder Art und Form. Sie reisen, oft mit großem Kostenaufwand, nach der einen oder anderen Stadt, um sich dort mit Christen zu verbrüdern, die sie nie gesehen haben und vielleicht auch nie in diesem Leben wiedersehen werden. Aber auf ihre verschiedenen Benennungen, aus die Einrichtungen, welche sie nach eigener Weisheit getroffen haben, oder die ihnen von ihren Vätern überliefert worden sind, kurz, auf alles Menschliche, Eigene, dem Worte Gottes Zuwiderlaufende zu verzichten und sich mit den Christen, die an ihrer Tür wohnen, unter der Leitung des Heiligen Geistes- um den einen Herrn und den einen Tisch zu versammeln — dazu lassen sie sich nicht bewegen. Und doch ist es gerade dieses, was der Herr von ihnen verlangt.

Wir leben in der Zeit der Vereine und Allianzen. Es ist so weit gekommen, dass für viele Christen echtes Christentum gleichbedeutend ist mit der Zugehörigkeit zu irgend einem christlichen Verein, einem Gebets- oder Bibelbund und dergleichen. Ohne das können sie sich kaum noch wahre Christen denken; sie betrachten diejenigen Gläubigen, welche sich außerhalb dieser Dinge halten, als- lau, farblos, träge. Aber was sagt Gottes Wort zu allen solchen Vereinigungen, die naturgemäß umso mehr Ansehen genießen und umso eifriger bewundert werden, je mehr Mitglieder sie zählen, je größer die Summen sind, welche jährlich für christliche Zwecke aufgebracht werden, je mehr Länder und Völker sie umsponnen? Ach, man sucht im Worte Gottes vergeblich nach einer Grundlage für sie. Gottes Wort kennt solche Vereinigungen nicht; sie sind eine Erfindung des Menschen, und so gut und ehrlich sie in ihren Anfängen gemeint sein mögen, so sehr erinnern manche in ihrem Fortschreiten doch an die unausrottbare Neigung der menschlichen Natur, sich einen Namen zu machen und sich selbst zu gefallen. Es ist, wenn auch auf anderem Boden und in anderem Sinne, das Bauen eines Turmes, dessen Spitze bis an den Himmel reiche.

Gott hat Seinen Kindern nicht solche Vereinigungen auf Herz und Gewissen gelegt. Er beruft sie ebenso wenig zu einer Allianz, deren Verwirklichung so schwierig und kostspielig, ja, für neun Zehntel der Christen überhaupt unmöglich ist — zu einer künstlichen und darum so trügerischen Vereinigung von einigen Tagen im ganzen Jahre. Nein, was Er Von ihnen verlangt, wenn es sich um die Darstellung ihrer Einheit handelt, ist ein einfaches Zusammenkommen im Namen Jesu, zugänglich für alle, ohne Geräusch, ohne Aufsehen (das ist es gerade, was dein Menschen nicht gefällt), aber wahrhaft und treu, an dem Orte und mit den Brüdern, wohin und in deren Mitte Seine Vorsehung sie gestellt hat. Das ist es, was der Herr von ihnen verlangt und was selbst die Welt von ihnen erwartet. Woher kommt es, sagt diese, dass ihr, nachdem ihr euch mit den Christen der ganzen Welt verbrüdert habt, zurückkommt und euch abgesondert haltet von den Christen in eurer Stadt oder in eurem Dorfe, und wieder wie früher ansangt, euren eigenen Gottesdienst und euer eigenes Abendmahl zu halten? Was ist das für eine Einheit?

Ach, wir müssen es bekennen, die Welt hat recht. Das ist nicht die Einheit, das Einssein, welches Jesus für Seine teuren Jünger wünschte und vom Vater erbat. Dies führt uns aber immer wieder zu dem schon wiederholt ausgesprochenen Grundsatz zurück: Ein jeder, der aus Gott geboren ist, versammle sich mit seinen Brüdern im Namen Jesu und unter der Leitung Seines Geistes. Nur so erhält der Gottesdienst der Gläubigen seinen wahren Charakter; nur so wird die Einheit der Kinder Gottes, des Leibes Christi, eine sichtbare, allen verständliche Darstellung empfangen, nur so die Auserbauung des Leibes in gottwohlgefälliger und ersprießlicher Weise vor sich gehen und selbst die Verkündigung des Evangeliums in den richtigen Bahnen erhalten bleiben.

Das, und das allein, ist die wahre Grundlage der Vereinigung der Kinder Gottes. Ich kenne keine andere und finde keine andere im Worte Gottes. Die Aufrichtung einer anderen Grundlage ist deshalb Sektiererei. Ich weiß wohl, dass infolge der unbeschreiblichen Verwirrung auf religiösem Gebiet heute gerade diejenigen Sektierer, Spaltungenmacher, Separatisten und dergl. genannt werden, welche sich auf dem einfachen Boden der Wahrheit, abgesondert von allem Parteiwesen, versammeln. Aber hier wie überall lautet die Frage: Was sagt Gottes Wort? wie urteilt Gott? Gottes Wort verbietet mir z. B. jede Verbindung mit Ungläubigen, wenn es sich um christliche Gemeinschaft handelt. (Vergl. Apstgsch. 2, 40; 2. Kor. 6, 14 —18). Nun aber fordern Christen mich auf, mich mit ihnen zu vereinigen und mit der Welt das Abendmahl zu feiern. Ich weigere mich dessen. Wer macht nun eine Trennung? Ich, der ich mich weigere, Gottes Gebot zu übertreten? Nein, sondern diejenigen, welche unserer Vereinigung die Bedingung setzen, mit der Welt Gottesdienst zu halten, die mich also verpflichten wollen, auf den Gehorsam gegen Gott und Sein Wort zu verzichten. Die Gebote des Herrn kennen keine Verjährung, wenn sie auch Jahrhundertelang vergessen oder doch nicht mehr anerkannt worden sein mögen.

Andere fordern mich auf, mich mit ihnen unter einem gewissen Glaubensbekenntnis, einem bestimmten Namen, oder unter Anerkennung gewisser Einrichtungen, Ordnungen, Satzungen. zu vereinigen. Ich weigere mich dessen. Wer macht nun die Trennung? Ich, der ich mich weigere, jene Dinge anzuerkennen? Nein, sondern sie, die unserer Vereinigung Bedingungen stellen, welche der Herr nicht gestellt hat. Man wird mich vielleicht auf die große Zahl derer hinweisen, welche jenes Bekenntnis oder jenen Namen angenommen haben, aus das Alter der bestehenden Einrichtungen, aus die vielen treuen Männer, welche der betreffenden Benennung angehört haben oder noch angehören. Aber ist das dem Grundsatz nach etwas anderes als Papsttum? Auch ist es klar, dass ich mich, indem ich mich Christen anschließe, welche diesen Namen, dieses Bekenntnis, diese Einrichtung haben, von solchen trenne, welche andere haben. So werden denn ganz von selbst verschiedene Abteilungen in der Herde Christi gebildet, und jene Namen, Einrichtungen und Satzungen sind die Zäune, welche die Schafe verhindern, sich praktisch zu einer einzigen Herde, unter der Leitung des einen Hirten, zu vereinigen. Die Aufforderung, die Zäune so niedrig zu halten, dass man sich über sie hinweg die Hände reichen könne, ist ein so armseliges Auskunftsmittel, dass es in der Gegenwart des „Heiligen und Wahrhaftigen“ sicher keinen Augenblick bestehen kann.

Wenn ich aber der Vereinigung der Kinder Gottes, meiner Brüder und Schwestern in Christo, nur die Voraussetzungen und Bedingungen stelle, welche Gott selbst gestellt hat, nämlich: aus Gott geboren und von dem Bösen in Wandel und Lehre getrennt sein, so tue ich dadurch, was ich kann, um die Darstellung der von Gott bewirkten Einheit herbeizuführen und jede Gelegenheit zur Trennung hinwegzutun. Aus diesem Grunde kann ich mich auch keiner der zahlreichen Benennungen anschließen, es seien Reformierte, Lutheraner, Baptisten, Jndependenten u. s. w. Nicht als ob ich die Vereinigung der Kinder Gottes nicht wünsche, sondern weil ich sie wünsche und weil ich, soweit es mich betrifft, nicht verantwortlich sein will für die Hindernisse, welche man durch alle jene menschlichen Einrichtungen macht. Deshalb will ich Christ sein und nichts als Christ. Auf diesem Boden reiche ich allen, die den Namen des Herrn Jesu, ihres und meines Erlösers, „aus reinem Herzen anrufen“, die Bruderhand. Ich wandle mit ihnen in allem, soweit es mir irgend möglich ist, ohne an einem menschlichen Joche zu ziehen. Auf diesem Boden kann ich alle meine Brüder zur Versammlung der Kinder Gottes einluden, wozu ich das Recht verlieren würde, wenn ich mich in eine der Abteilungen einreihen ließe, in welche man das Haus Gottes oder die Herde Christi eingeteilt hat.

Ach, wenn die kostbare Einheit der Kinder Gottes doch mehr verstanden und verwirklicht würde! Welche

Segnungen würde man daraus erwarten dürfen, zunächst für die Gläubigen selbst und dann auch für die Welt! Wenn z. B. alle Christen, die es an einem Orte gibt, sich versammeln würden, um einmütig ihren Gott und Vater anzubeten, ihren Herrn und Heiland zu preisen, sowie die verschiedenen Gnadengaben, welche die Einzelnen vom Herrn empfangen haben, in Abhängigkeit von Ihm anzuwenden — welches Licht, welche Ermunterungen und Tröstungen würden daraus hervorfließen! Welch ein mächtiges Zeugnis

würde es sein für die Welt, für die, welche «draußen« sind! Sollte man nicht glauben dürfen, dass sich wenigstens bis zu einem gewissen Grade die Worte des Apostels in 1. Kor. 14, 24 u. 25 verwirklichen würden: „Wenn aber alle weissagen, und irgend ein Ungläubiger oder Unkundiger kommt herein, so wird er von allen überführt, von allen beurteilt; das Verborgene seines Herzens wird offenbar, und also, auf sein Angesicht fallend, wird er Gott anbeten und verkündigen, dass Gott wirklich unter euch ist“?

Um deswillen müssen wir aber auch alle menschlichen Namen und Titel verwerfen, müssen aufhören, Hirten, Lehrer oder Evangelisten zu wählen oder durch die Autorität dieser oder jener kirchlichen Behörden, Lehranstalten, Vereine &c. berufen zu lassen. Wir müssen nichts anderes sein wollen als Christen, Jünger Jesu, Brüder, Glieder am Leibe Christi, die sich unter der Leitung des Heiligen Geistes versammeln und im Blick aus alles auf ihren allezeit treuen und gnädigen Herrn warten. Wir müssen bereit

sein, das anzunehmen, was Er uns durch den Geringsten aus unserer Mitte darreicht, wie auch bereit sein, selbst als Werkzeuge des Geistes Gottes zu dienen, wenn Er uns zur Erbauung, Tröstung, Belehrung oder Ermahnung Anderer verwenden will. Es gibt nur einen Geist, und wenn wir uns aufrichtig Seiner Leitung überlassen, so werden wir erfahren, dass Er mächtig ist, nicht nur die getrennten Glieder des Leibes Christi durch Seine göttliche Kraft wieder zusammenzuführen, sondern auch sie in Frieden und gegenseitiger Duldsamkeit und Liebe zusammenzuhalten; ja, dass Er für alle Bedürfnisse und Fragen

genügt, und dass da, wo Er regiert, liebliche Ordnung und brüderliche Eintracht walten.

Wenn wir aber dieser praktischen Vereinigung oder Sammlung der Kinder Gottes menschliche Einrichtungen zu Grunde legen, oder durch geschickte Anordnungen, durch Übereinkünfte und Zugeständnisse die vorhandenen Differenzen ausgleichen wollen, so verlassen wir den sichern und festen Boden des Wortes Gottes, welches weder menschliche Einrichtungen und Anordnungen, noch Übereinkünfte und Zugeständnisse kennt. Wir begeben uns auf den beweglichen Boden, den Triebsand, der menschlichen Systeme, die sich je nach Zeit und Umständen ändern und immer wieder ändern, welche nichts bessern, wohl aber viel Schaden anrichten. Anstatt Männer des Glaubens zu sein, die bereit find, koste es was es wolle, die Wahrheit festzuhalten in Liebe, find wir dann Leute, welche in schwierigen Fragen einen Ausweg neben dem Worte Gottes zu finden wissen.

Vielleicht beruft man sich aus die Schwachheit und auf die Mängel derer, welche nach den Grundsätzen der Wahrheit zu wandeln begehren, und will sich ihnen deshalb nicht anschließen. Dass jene Gläubigen schwach sind, und dass sich viele Mängel unter ihnen zeigen, ist wahr; aber sie sind sich dessen bewusst, beugen sich darunter, und wenn einer in ihrer Mitte, der Bruder genannt wird, sich als ein „Böser“ offenbart, so tun sie ihn von sich selbst hinaus (1. Kor. 5); denn dem Hause Gottes geziemt Heiligkeit. Übrigens kommt es einzig und allein daraus an, ob die von uns aufgestellten Grundsätze mit der Wahrheit des Wortes Gottes übereinstimmen. Ist das der Fall, so ist die Schwachheit derer, welche ihnen folgen, kein Grund, sich von ihnen entfernt zu halten; nein, jeder wahre Gläubige, welchem die Ehre seines Herrn am Herzen liegt, sollte ihnen vielmehr zu Hülfe kommen, damit wir alle „gleichgesinnt seien, Jesu Christo gemäß“ und „einmütig mit einem Munde den Gott und Vater unseres Herrn Jesu Christi verherrlichen“ (Röm. 15, 5. 6).

Ich soll auch nicht fragen: Werden wohl in diesen letzten Tagen der Geschichte der Kirche auf der Erde alle Kinder Gottes dahin gebracht werden, sich in dieser Weise zu versammeln? Es sind uns keine Verheißungen in dieser Beziehung gegeben. Gott aber erwartet von mir, dass ich Seinem Worte unweigerlich gehorche. Ob Andere es auch tun oder nicht tun, ist nicht meine Sache; ein jeder ist für sich vor Gott verantwortlich. Wenn wir, soviel an uns ist, alles hinwegtun oder beiseite lassen, was für unsere Brüder ein triftiger Grund sein könnte, sich von uns fern zu halten, so werden wir ein vorwurfsfreies Gewissen haben, wenn auch das Herz tiefbetrübt ist durch die Trennungen, welche den Leib Christi zerspalten. Wir werden alsdann auch die Segnungen genießen, die mit dem Zusammenkommen der Gläubigen auf dem Boden der Wahrheit verbunden sind, und zwar in demselben Maße, wie wir im Glauben die göttlichen Gedanken zu verwirklichen vermögen.

Brüder, die Zeit ist gedrängt! Der Herr ist nahe! Sein Wort sagt es uns, und alles um uns her weist mit Macht daraufhin. Wünschen wir, wenn Er kommt, erfunden zu werden in Verbindung mit der Welt, die Ihn hasst, oder getrennt voneinander, wie Brüder, die um nichtiger Ursachen willen sich feindlich gegenüber stehen? Möchten wir jenen Knechten gleichen, die da essen und trinken mit den Trunkenen und ihre Mitknechte schlagen? Nein, und tausendmal nein! Lasst uns erfunden werden wie einst Israel in Ägypten, das sich in Erwartung des. verheißenen Befreiung von den Bewohnern des Landes absonderte und sich hinter den blutbestrichenen Türen um das Lamm, das Zeichen der Erlösung, scharte, die Lenden gegürtet, die Schuhe an den Füßen, den Stab in der Hand, d. h. mit anderen Worten bereit, jeden Augenblick die Reise nach Kanaan anzutreten! (Vergl. 2. Mose 12, 5 — 11). Ja, möchten wir alle erfunden werden, getrennt von der Welt, miteinander vereinigt zur Verkündigung des Todes unseres teuren Herrn, eifrig in unseren Bemühungen für die, welche „draußen“ sind, uns gegenseitig anreizend zur Liebe und zu guten Werken, und Ihn erwartend, unseren vielgeliebten Heiland, der auch unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit Seinem Leibe der Herrlichkeit! (Hebr. 10, 24. 2·5; Phil. 3, 20. 21).

Auf diesem Wege werden wir, indem wir allen menschlichen Stützen und allen eigenen Meinungen und Erfindungen entsagen, je länger je mehr die wunderbare Treue des Herrn, sowie die Allgenugsamkeit Seines Wortes und Seines Geistes in dem Zusammenbringen und Leiten der Gläubigen erfahren; je länger je mehr erproben, wie gesegnet und köstlich es ist, in dem Namen Jesu zusammenzukommen und auf Ihn zu warten, der als das Haupt Seines Leibes allen unseren Bedürfnissen so gern und willig entgegenkommt; je länger je mehr unsere Vereinigung mit Ihm in der Herrlichkeit droben als das Ziel unserer Hoffnung betrachten und mit glücklichem Herzen einstimmen in den Ruf: „Amen; komm, Herr Jesu!“

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Dienende Liebe *)

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1903 S. 295ff

„Darum, als Er in die Welt kommt, spricht Er: . . . Siehe, ich komme, (in der Rolle des Buches steht von

mir geschrieben,) um deinen Willen, o Gott, zu tun“ (Heb. 10, 5 u. 7.)

„Der Sohn des Menschen ist nichtgekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und Sein Leben zu geben als Lösegeld für viele“ (Mark. 10, 45).

„Der Sohn des Menschen ist gekommen, zu suchen und zu erretten was verloren ist“ (Luk. 19, 10).

„Der Sohn des Menschen ist gekommen, das Verlorene zu erretten“ (Matth. 18, 11).

Die angeführten Stellen zeigen uns etwas von dem, was der Herr Jesus wollte, als Er in diese Welt kam. Wahrlich, unendlich verschieden war Sein Wollen und Suchen, Sein Tun und Lassen von dem der Menschenkinder. Der Mensch von Natur denkt nur an seinen Vorteil; all sein Dichten und Trachten dreht sich um sein eigenes Ich, um seine eigenen Interessen. Er fragt nicht nach Gott (Röm. 3, 11), und er denkt auch nicht an das Wohl seines Nächsten (Luk. 10, 31. 32). Darum vermögen diejenigen, welche im Fleische sind, Gott nicht zu gefallen (Röm. 8, 8). Ihr Wesen ist der Natur Gottes völlig entgegengesetzt.

Als der Herr Jesus in diese Welt kam, war es in erster Linie Sein Vorsatz, den Willen Gottes zu tun. Wie unendlich kostbar das dem Herzen Gottes war, ersehen wir daraus, dass der Vater mehr als einmal öffentlich Zeugnis davon gab, dass Er Sein Wohlgefallen an Ihm gefunden habe. (Vergl. Matth. 3, 17; 17, 5.) Von dem Antichristen lesen wir, dass er nach seinem Gutdünken handeln, also nicht nach dem Willen Gottes fragen wird. (Dan. 11, 36.) Gerade das ist es, was ihn im Gegensatz zu unserem Herrn und Heiland kennzeichnet.

Der Herr Jesus wusste alles, was über Ihn kommen würde (Joh. 18, 4). Aber es war Seine Speise, ja, Er

wollte um jeden Preis den Willen Seines Vaters tun (Joh. 4, 34) „Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust“, sagt Er in Psalm 40. Wenn wir Seinen Pfad von der Krippe bis zum Kreuze verfolgen, so finden wir, dass Er sich stets in Übereinstimmung mit dem bewegte, was in Bezug auf Ihn geschrieben stand. Und auch nach Seiner Auferstehung hören wir Ihn zu Seinen Jüngern sagen: „Also steht geschrieben, und also musste der Christus leiden und am dritten Tage auferstehen aus den Toten“ (Luk. 24, 46). Und dann erklärte Er ihnen in all den Schriften das, was Ihn betraf: Seine Menschwerdung, Seine Erniedrigung, Seine Leiden, Seinen Tod und Seine Auferstehung. Alles was in Bezug hierauf geschrieben stand, war jetzt erfüllt.

Auch in Johannes 19, 28 -— 30 lesen wir: „Danach spricht Jesus, da Er wusste, dass alles schon vollbracht war, auf dass die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet. Es stand nun daselbst ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Ysop und brachten ihn zu Seinem Munde. Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach Er: Es ist vollbracht! und Er neigte das Haupt und übergab den Geist.“ Welch ein Leben wurde hier beendet! Welch eine Unterwürfigkeit, welch ein Gehorsam, welch eine Liebe, Hingebung und Selbstverleugnung waren in diesem Leben ans Licht gestellt worden! Die Diener der Pharisäer hatten einst gesagt: ,,Niemals hat ein Mensch so geredet wie dieser Mensch“ (Joh. 7, 46). Wir können heute sagen: „Niemals ist ein Leben gesehen worden wie dieses Leben“. Und nun sind wir, die Seinigen, berufen, Sein Leben zu leben und Seine Gesinnung zu offenbaren, in Seinen Fußstapfen zu wandeln. Er hat in jeder Beziehung und in jeder Lage den Vater verherrlicht. Er war in Seinem ganzen Leben, bis in den Tod, das wahre, vollkommene Speisopfer für Gott. Jeder Pulsschlag Seines Herzens war dem Vater geweiht, jedes Wort, jede Tat dazu bestimmt, den Vater zu preisen; und wir, wir sind zu Seiner Nachfolge berufen! Ist das nicht wunderbar und zugleich sehr ernst? Wie steht es in dieser Beziehung mit uns, Geliebte? Schlägt unser Herz auch nur für Ihn? Und entspricht unser Wandel dem, was in Bezug auf uns geschrieben steht? Möge sich ein jeder in der Gegenwart Gottes selbst die Antwort geben!

Als die Jünger einst unwillig waren über die Söhne des Zebedäus, weil sie sich einen besonders bevorzugten Platz mit Jesu in der Herrlichkeit erbaten, sagte der Herr zu ihnen: „Der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und Sein Leben zu geben als Lösegeld für viele“ (Mark. 10, 45). Wie völlig haben sich diese Worte auf dem Pfade des Herrn Jesu durch diese Welt bewahrheitet! Stets bereit, jedem Bedürfnis zu entsprechen, das an Ihn herantrat, fand Er zuweilen nicht einmal Zeit zum Essen (Mark. 6, 31); oder es musste ein Schifflein für Ihn in Bereitschaft bleiben wegen der Volksmenge; oder Er schlief während der Überfahrt vor Müdigkeit ein. (Mark. 3, 9; 4, 38). Von früh bis spät tätig, sei es um Kranke zu heilen, Tote aufzuwecken, Teufel auszutreiben, oder um Gnade und Friede in das Herz eines bußfertigen Sünders zu senken, konnte Er Johannes dem Täufer sagen lassen: „Blinde werden sehend, und Lahme wandeln, Aussätzige werden gereinigt, und Taube hören, und Tote werden auferweckt, und Armen wird gute Botschaft verkündigt“ (Matth. 11, 5.) Und dabei dachte Er nie an sich, beanspruchte nie etwas für sich, machte niemals von Seiner göttlichen Gewalt Gebrauch zu Seinen Gunsten. Er verwirklichte in Vollkommenheit die Worte des Apostels: „Ich will aber sehr gern alles verwenden und völlig verwendet werden für eure Seelen«. (2. Kor. 12, 15.) In Seiner dienenden Liebe war Er bereit, selbst nach Golgatha hinaufzugehen, um dort Sein Leben zu geben als Lösegeld für viele; um sich selbst hinzugeben als Sündopfer für den Sünder, der Ihn hasste, in und an welchem es nichts gab, was Ihn hätte zu einer solchen Tat bewegen können, es sei denn sein Elend und seine Hilflosigkeit. Wie man um Geld einen Gefangenen auslöst oder einen Sklaven freilauft, so sind auch wir erlöst worden; aber ,,nicht mit verweslichen Dingen, mit Silber oder Gold, sondern mit dem kostbaren Blute Christi, als eines Lammes ohne Fehl und ohne Flecken“ (1. Petrus. 1, 18.19).

So steht es im Blick aus den Dienst des Herrn den Sündern gegenüber. Und wenn wir Ihn in Seinen Beziehungen zu den Seinigen betrachten, so finden wir denselben unermüdlichen Dienst bis in den Tod. Er sorgte für sie, belehrte sie, tröstete sie, wies sie zurecht, je nachdem es nötig war. Er liebte sie bis ans Ende, ja, Er trat bereitwillig für sie ein, als die Häscher nahten und die Stunde der Entscheidung gekommen war: „Wenn ihr nun mich suchet, so lasst diese gehen“ (Joh. 18, 7. 8). Und heute ist Er als unser treuer Hoherpriester und Sachwalter unaufhörlich für uns tätig zur Rechten Gottes (Hebr. 7, 24 - 28; 1. Joh. 2, 1); ja, selbst wenn wir mit Ihm in der Herrlichkeit sein werden, will Er Sein Dienen nicht aufgeben. Er will die Seinigen, die auf Ihn gewartet haben, sich zu Tische legen lassen und hinzutreten und sie bedienen. (Luk. 12, 37.) Die Liebe kann nicht anders; aber es ist doch eine wunderbare Sache um

diese dienende Liebe Jesu! Wie sollten wir sie anschauen und anbetend betrachten! Wahrlich, es würde uns mehr befähigen, Ihm wiederum in Treue und Hingebung zu dienen, bis Er kommt.

In dem dritten Spruch, welcher unserer Betrachtung voransteht, heißt es, dass Jesus in die Welt gekommen sei, „zu suchen und zu erretten was verloren ist“ (Luk. 19, 10). Dieser suchenden Liebe Gottes dem Sünder gegenüber begegnen wir schon im Garten Eden, und wir können sie verfolgen vom Beginn des 1. Buches Mose bis zum letzten Kapitel der Offenbarung. Und als Jesus diese Welt durchschritt, waren es vornehmlich Zöllner und Sünder, welche Ihm nahten, um Ihn zu hören. (Luk. 15, 1 und andere Stellen.) Wir lesen wiederholt davon, dass Er mit Zöllnern und Sündern aß. In Luk. 7 finden wir eine große Sünderin zu Seinen Füßen, in Luk. 10 das schöne Gleichnis vom barmherzigen Samariter und in Luk. 15 die Freude des guten Hirten über das wiedergefundene Schaf und nachher die Freude des Vaterherzens Gottes über die Umkehr des verlorenen Sohnes. In Kap. 19 wird uns die schöne Geschichte von Zachäus mitgeteilt, und in Kap. 12 lesen wir die kostbaren Worte: „Ich habe eine Taufe, womit ich getauft werden muss, und wie bin ich beengt, bis sie vollbracht ist!« Die letzten Worte zeigen uns, dass das Herz des Herrn Jesu nicht eher befriedigt war, bis die Liebe Gottes und Seine eigene Liebe auf Grund des durch Ihn vollbrachten Werkes, auf Grund Seines Todes, zu jedem Sünder frei ausströmen konnte. Im 23. Kapitel desselben Evangeliums hören wir dann noch die Geschichte von dem Räuber am Kreuze, der, in der letzten Stunde errettet, mit Jesu ins Paradies ging; und im 24. Kapitel gibt Jesus als der Auferstandene Seinen Jüngern den Auftrag, allen Nationen das Evangelium der Buße und Vergebung der Sünden Zu verkündigen, anfangend von Jerusalem, der Stadt der Mörder. Welch eine Liebe! Glückselig das Herz, welches Ihn als seinen Heiland kennt und sich dieser Jesusliebe in Zeit und Ewigkeit erfreuen kann!

In dem Worte: „Der Sohn des Menschen ist gekommen, das Verlorene zu erretten“ (Matth. 18, 11), erkennen wir schließlich die besondere Liebe des Herrn Jesu zu den Kindern. Er stellt in dem angeführten Kapitel ein Kind in die Mitte Seiner Jünger, um ihnen zu zeigen, welche Gesinnung sie charakterisieren sollte; sie sollten gesinnt sein wie ein Kind, das nicht an sich selbst denkt, welches einfältig glaubt, was ihm gesagt wird, und das sich vertrauensvoll seinen Eltern überlässt. Zugleich aber benutzt der Herr die Gelegenheit, um Seine Jünger darüber zu belehren, dass die Kinder Gegenstände der besonderen Fürsorge Gottes sind. Derselben Wahrheit begegnen wir schon am Ende des Buches Jona, wo Jehova den Propheten auf die mehr als 120 000 Menschen hinweist, welche zwischen ihrer Rechten und ihrer Linken noch nicht zu unterscheiden wussten, und die Er infolge dessen nicht verderben wollte. Auch bei dem Zuge der Kinder Israel durch die Wüste verschonte Gott die Kinder, als die Erde ihren Mund auftat und Korah und seine aufrührerische Rotte verschlang (4. Mose 26, 11). Die Evangelisten berichten wiederholt, dass der Herr Jesus in lieblicher Weise mit den Kindern verkehrte, sie auf Seine Arme nahm, ihnen die Hände auslegte und sie segnete (vergl. Mark. 10, 13 - 16); und hier in Matth. 18 sagt der Herr, dass Er gekommen sei, um das Verlorene zu erretten. Das beweist nun einerseits, dass die unmündigen Kinder, obwohl sie noch nicht mit Wissen gesündigt haben, dennoch der Versöhnung bedürfen, gerade so wie die Erwachsenen, zugleich aber auch, dass der Herr Jesus für sie gekommen ist, um auch sie zu erretten. Sie können noch nicht gesucht und gefunden werden, aber sie bedürfen der Errettung.

Von welcher Tragweite ist doch das Werk Christi! Himmel und-Erde werden noch die gesegneten Wirkungen desselben erfahren; ja, das ganze Weltall wird Ihm, dem Versöhner, Preis und Ehre bringen. Möchten alle, die bereits versöhnt sind, Ihn schon jetzt „einmütig mit einem Munde« (Röm. 15, 6) erheben und verherrlichen! Teurer Leser, der Augenblick ist nahe, wo es in Vollkommenheit geschehen wird.

Und anbetend wird dann singen

Deine teu’r erkauste Schar,

Dir, dem Lamme, Ehre bringen,

Gott erheben immerdar.

Welch ein Glück, bei dir zu sein!

Komm, o Jesu, führ’ uns ein!

Im Anschluss an die vorstehende kurze Betrachtung möchte ich die Aufmerksamkeit des Lesers noch einen Augenblick auf die bekannte Verordnung über den hebräischen Knecht lenken. Dieselbe findet sich in 2. Mose 21, 2 — 6 und lautet: „So du einen hebräischen Knecht kaufst, soll er sechs Jahre dienen, und im siebenten soll er frei ausgehen, umsonst. Wenn er allein gekommen ist, soll er allein ausgehen; wenn er eines Weibes Mann war, so soll sein Weib mit ihm ausgehen. Wenn sein Herr ihm ein Weib gegeben und sie ihm Söhne oder Töchter geboren hat, so sollen das Weib und ihre Kinder ihres Herrn sein, und er soll allein ausgehen. Wenn aber der Knecht etwa sagt: Ich liebe meinen Herrn, mein Weib und meine Kinder, ich will nicht frei ausgehen, so soll ihn sein Herr vor die Richter bringen und ihn an die Tür oder an den Pfosten stellen, und sein Herr soll ihm das Ohr mit einer Pfrieme durchbohren; und er soll ihm dienen auf ewig“

Diese Verordnung gibt uns ein schönes Vorbild von dem Herrn Jesu, dem vollkommenen Diener, in Seinen Beziehungen zu Gott und zu den Seinigen. Er, der in Gestalt Gottes war, wurde freiwillig, aus Gnaden, ein Knecht. Er nahm Knechtsgestalt an und erschien in Gleichheit der Menschen auf dieser Erde; „und, in Seiner Gestalt wie ein Mensch erfunden, erniedrigte Er sich selbst, indem Er gehorsam ward bis zum Tode, ja, zum Tode am Kreuze“. (Phil. 2, 5 - 8.) Welch eine Erniedrigung war es für Ihn, den Schöpfer aller Dinge, einen Platz unter Seinen Geschöpfen einzunehmen, wie wenn Er einer von ihnen gewesen wäre! Und Er nahm nicht etwa den ersten Platz ein, nein, den letzten! Er wurde der Diener aller. So erniedrigte Er sich in doppelter Weise, und Er tat alles das aus freier, unbedingter Gnade, zur Verherrlichung Gottes und zu unserem Heil.

Sein ganzer Weg war, wie schon in der vorstehenden Betrachtung bemerkt wurde, »zum Preise Gottes; Er selbst war das allezeit vollkommene duftende Speisopfer für Jehova. Und so hätte Er am Ende Seines Pfades, nachdem Er Seinen Lauf vollendet und Gott hienieden verherrlicht hatte, zum Vater zurückkehren, frei „ausgehen“ können. Er war für Seine Person völlig frei. Tod und Gericht, das sichere Teil eines jeden Menschen infolge der Sünde, hatten keinerlei Ansprüche an Ihn. Aber so wie der hebräische Knecht, aus Liebe zu seinem Herrn, zu seinem Weibe und zu seinen Kindern, nicht frei ausgehen, sondern lieber „auf ewig dienen“ wollte, und wie ihm dann, zum Zeichen seiner ewigen Knechtschaft, das Ohr mit einer Pfrieme durchbohrt wurde, so wollte auch der Herr Jesus nicht frei ausgehen, sondern ewiglich Diener bleiben. Das war der Wunsch Seines liebenden Herzens.

Zunächst war Er der Diener der göttlichen Ratschlüsse; um dieses sein zu können, hatte Er einen menschlichen Leib angenommen, wie wir dies in Ps. 40, 6 lesen: „Ohren hast du mir bereitet“, oder in Heb. 10, 5: „einen Leib hast du mir bereitet«. Aber es genügte nicht, dass Er Mensch wurde; sollten diese Ratschlüsse zur Ausführung kommen, so musste Jesus sterben. Gott musste im Blick auf die Sünde verherrlicht werden, den Forderungen Seiner Gerechtigkeit musste Genüge geschehen. Ein bitterer Kelch

musste getrunken werden. Und Jesus war bereit, das zu tun. Er sagt zu Petrus im Garten Gethsemane: „Den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, soll ich den nicht trinken?“ (Joh. 18, 11). Er war völlig bereit, sich um der Verherrlichung Gottes willen aufzuopfern, so schrecklich auch das Verlassensein von Gott für Seine heilige Seele sein musste.

Jesus wollte nicht frei ausgehen; Er „liebte Seinen Herrn“, um in der Sprache des Vorbildes zu reden. Diese freiwillige Hingabe war denn auch ein besonderer Beweggrund für das Herz des Vaters, den Sohn zu lieben, wie Jesus selbst sagt: „Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, auf dass ich es wiedernehme“ (Joh. 10, 17. 18). Auch sehen wir, dass der Vater Ihn nicht im Tode ließ, sondern Ihn am dritten Tage aus den Toten auferweckte und Ihn zu Seiner Rechten setzte über jedes Fürstentum und jede Gewalt und Kraft und Herrschaft und über jeden Namen, der genannt wird. (Eph. 1, 20. 21.) Und in dem bereits angeführten 2. Kapitel des Philipperbriefes heißt es: „Darum (nämlich um dieser freiwilligen Erniedrigung willen) hat Gott Ihn auch hoch erhoben und Ihm einen Namen gegeben, der über jeden Namen ist, auf dass in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischer! und Irdischen und Unterirdischen (das ist der höllischen Wesen), und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus Herr ist, zur

Verherrlichung Gottes, des Vaters“.

Unsere Herzen freuen sich, dass unserem geliebten, jetzt noch von der Welt verworfenen Herrn solche Ehre von Seiten des Vaters zu teil geworden ist und noch werden wird, umso mehr als wir selbst unmittelbar dabei beteiligt sind. Denn der hebräische Knecht wollte nicht nur Diener bleiben um seines Herrn, sondern auch um der Seinigen willen. Genau so ist es mit dem Herrn Jesu. Er selbst sagt in Joh. 17, 6, dass der Vater Ihm Menschen aus der Welt gegeben habe, um Sein zu sein; und in Eph. 1, 4 lesen wir, dass diese Ihm gegebenen Menschen auserwählt sind vor Grundlegung der Welt, zuvor bestimmt zur Sohnschaft; oder wie es in Röm. 8, 29 heißt: „zuvor bestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu sein«“ An anderen Stellen der Briefe Pauli werden sie „die Versammlung“ oder „Gemeinde“ genannt, wie z. B. in Eph. 5, 25, wo wir lesen, dass der Christus die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben habe. In Offbg. 22, 17 heißen sie „Seine Braut“, und in Kap. 19, 7,. wo von der Hochzeit des Lammes die Rede ist, „Sein Weib“ (Vergl. auch Kap. 21, 9.) Und wenn es sich um die Gefühle des Herzens des Herrn Jesu zu diesen Gesegneten handelt, so sehen wir in. Matth. 13, in den Gleichnissen vom Schatz im Acker und von der Perle, was sie für Sein Herz sind. Der Mensch, der den Schatz im Acker gefunden hatte, „geht vor Freude darüber hin, und verkauft alles, was er hat, und kauft jenen Acker“; und der Kaufmann, der die eine schöne Perle gefunden. hatte, tut dasselbe: er geht hin und verkauft alles, was er hat, und kauft sie. Und wenn wir endlich einen Begriff haben wollen von der Innigkeit des Verhältnisses des Herrn zu den Seinigen, zu denen, die einst „Söhne des Ungehorsams“ und „Kinder des Zornes« waren wie die übrigen, so müssen wir Eph. 5, 30 lesen. Dort heißt es: „Denn wir sind Glieder Seines Leibes, von Seinem Fleische und von Seinen Gebeinen“.

Für diese, in sich selbst so Armen und Wertlosen, aber für Ihn so Teuren, weil der Vater sie Ihm gegeben

hatte, opferte der Herr sich freiwillig aus. Er liebte Sein Weib. Niemand zwang Ihn dazu oder hätte Ihn dazu zwingen können. Seine Feinde mussten fühlen, dass sie keine Macht über Ihn besaßen, wie Er es selbst früher einmal gesagt hatte: ,,Niemand nimmt es (mein Leben) von mir, sondern ich lasse es von mir selbst. Ich habe Gewalt es zu lassen, und habe Gewalt es wieder zunehmen.“ Die Häscher mussten innewerden, dass sie in Bezug auf Ihn ganz ohnmächtig waren. Wie einst Sturm und Wellen Seine Macht anerkannt und Seiner Stimme gehorcht hatten (Luk. 8, 24), wichen auch jetzt, als Er sprach: „Ich bin’s“, die Häscher zurück und fielen zu Boden. Ein einziges Wort aus diesem Munde fällte sie. Aber dann übergab Jesus sich ihnen willig und ließ sich still und stumm, wie ein Lamm, zur Schlachtung führen.

Schließlich finden wir in Hebr. 2, 13 die kostbaren Worte: „Siehe, ich und die Kinder, die Gott mir gegeben hat“; und: „Weil nun die Kinder Blutes und Fleisches teilhaftig sind, hat auch Er gleicherweise an denselben teilgenommen, auf dass Er durch den Tod den zunichte machte, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel, und alle die befreite, welche durch Todesfurcht das ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren“ (V. 14 u. 15). Wie schrecklich war der Zustand dieser Kinder! (Es sind selbstverständlich Kinder Gottes, nicht etwa Kinder Jesu, wie oft irrtümlich gesagt wird) Sie lagen in der Gewalt Satans, des Fürsten der Finsternis, in den Banden dessen, der die Macht des Todes besaß. Aber dann kam Jesus und machte durch den Tod, durch Sein Sterben, den zunichte, der „die Kinder“ gefangen hielt. Als der Anführer ihrer Errettung musste Er allerdings ein wenig unter die Engel erniedrigt werden, eben „wegen des Leidens des Todes“; aber Er schreckte nicht zurück, Er liebte die Kinder, welche Gott Ihm gegeben hatte.

Jetzt weilt Er droben. ·Sein Werk ist vollbracht, aber Sein Dienst ist nicht beendet. Er ist der barmherzige und treue Hohepriester der Seinigen. Um das sein zu können, musste Er in allem den Brüdern gleich werden, in allem versucht werden wie sie, ausgenommen die Sünde. Um vollkommen mit ihnen fühlen zu können, musste Er als Mensch in erfahrungsmäßiger Weise den Weg des Glaubens und der Selbstverleugnung kennen lernen, Er musste selbst durch alle Versuchungen und Schwierigkeiten des Glaubenspfades hindurchgehen." Und, Gott sei gepriesen! Er hat nicht nur das getan, sondern auch schließlich ihre Sache in ihrem Zustande als Sünder vor Gott aus dem Kreuze zu der Seinigen gemacht. So ist Er ihr Hoherpriester am Throne Gottes geworden. Er hat ihre Sünden gesühnt und vermag ihnen jetzt in ihren Versuchungen zu helfen (Hebr. 2, 17. 18; 4, 15). Er wollte nicht für sich frei ausgehen, sondern der Diener der Seinigen bleiben ewiglich.

O welch eine Gnade, unseren hochgelobten Herrn so als den Diener der Seinigen am Throne Gottes erblicken zu dürfen, als ihren Hohenpriester im Blick auf ihre Schwachheiten, als ihren Sachwalter hinsichtlich ihrer Fehltritte! (1. Joh. 2, 1.) Ja, Er lebt immerdar, um sich für die Seinigen zu verwenden. (Hebr. 7, 25.) Er ist als der Auferstandene zur Rechten Gottes und bittet für sie. (Röm. 8, 24.) O wie hoch und tief, wie vielseitig ist doch die Liebe Jesu Christi, unseres Herrn! Wie vieles ließe sich noch von dieser dienenden Liebe erzählen! Denken wir nur an die Fußwaschung und ihre Bedeutung in Joh. 13, an die Hirtentreue Jesu, wie sie uns in Joh. 10 beschrieben wird, an Seinen Hingang ins Vaterhaus, um uns- dort eine Stätte zu bereiten (Joh. 14), an Sein Sehnen, uns bei zu haben da, wo Er jetzt ist (Joh. 17), und endlich die kommende Herrlichkeit, in welcher Er wiederum bereitwillig den Seinen dienen will! (Luk. 12, 37; Offbg. 7, 17.) Wahrlich, wir müssen sagen: „Es ist genug, teurer Herr; mehr als genug!“ Möchten sich nur unsere oft so kalten und selbstsüchtigen Herzen mehr an dieser Liebe erwärmen und so fähiger werden, Ihn wiederzulieben, entschiedener auf Seiner Seite zu stehen in diesen Tagen Seiner Verwerfung und Ihm zu dienen, bis Er kommt!

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Ein stilles Herz

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1903 S. 308ff

Ich bitte nicht: Nimm weg des Tages Plagen!

Nein, um die Gnade bitte ich, sie zu tragen,

und um den Glauben, dass mir alles frommt,

dass alles mir aus Deinen Gnadenhänden

und Deinem treuen Vaterherzen kommt.

Ich bitte nicht: Gib mir viel äußere Stille!

Mein Herr, auch da geschehe ganz Dein Wille.

Doch bitte ich: Gib ein kindlich stilles Herz!

Will mich die Erde ziehen in irdisches Treiben,

lass doch mein Herz in deiner Nähe bleiben,

zieh es von der Erde zu Dir himmelwärts.

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Mephiboseth

Bibelstelle: 2. Sam. 4, 4; 9; 16, 1-4; 19, 24-30

Botschafter des Heils 1903 S. 309ff

Das Alte Testament ist voll von vorbildlichen, belehrenden Erzählungen, in welchen wir heute, im Lichte des Neuen Testamentes, in lieblicher Weise die göttlichen Gedanken und Ratschlüsse lesen können. Zu diesen gehört auch die Geschichte Mephiboseths, des Sohnes Jonathans. Sie gibt uns zunächst ein Bild von der Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen Christo, dem Gegenbilde Davids, dem wahren König von Israel, und dem armen, schwachen Überrest dieses Volkes am Ende der Tage; dann aber stellt sie auch in lebendiger Weise den Zustand des Menschen von Natur vor unser Auge, sowie die Gnade Gottes, welche sich seiner annimmt und ihn aus seinem sündhaften Zustande zu den höchsten Segnungen des Himmels erhebt. Unter diesem Gesichtspunkt wollen wir uns ein wenig mit dieser rührenden Geschichte beschäftigen.

Mephiboseth war, wie bereits bemerkt, ein Sohn Jonathans, ein Nachkomme Sauls, über welchen das Strafurteil Gottes ergangen war. Er selbst bekennt später, dass das ganze Haus seines Vaters nichts anderes als Männer des Todes vor dem König David gewesen sei. (Kap. 19, 28.) Auch war sein Wohnsitz··fern von Jerusalem, der Königsstadt, dem Mittelpunkt des ganzen jüdischen Systems, wo Gott Seines Namens Gedächtnis gestiftet hatte. Überdies war er an beiden Füßen lahm, also unfähig zu gehen, ein ganz hilfloser Krüppel.

In diesem allem erblicken wir ein Bild des Menschen von Natur, wie es sich schärfer und treffender kaum denken lässt. Der Mensch ist ein Nachkomme Adams, dessen ganzes Geschlecht unter der Herrschaft der Sünde und des Todes sich befindet und dem Strafurteil Gottes verfallen ist (Röm. 5, 12 — 14). Und wie Mephiboseth fern von Jerusalem wohnte, so ist auch der Mensch von Natur fern von Gott. (Eph. 2, 13). Adam und Eva wurden nach dem Sündenfalle aus dem Paradiese und damit aus der Gegenwart Gottes vertrieben (1. Mose 2, 23. 24). Ferner ist der Mensch völlig hilflos; er kann sich aus seinem traurigen Zustande weder selbst befreien, noch einem Anderen dazu verhelfen. „Keineswegs vermag jemand seinen Bruder zu erlösen, nicht kann er Gott sein Lösegeld geben; denn kostbar ist die Erlösung ihrer Seele, und er muss davon abstehen auf ewig“ (Ps. 49, 7. 8.) So sagt auch der Herr Jesus, wenn es sich um die Errettung des Menschen handelt: „Bei Menschen ist dies unmöglich“ (Matth.19, 26). Ja, der Mensch vermag sich ebenso wenig zu helfen, wie der unter die Räuber gefalIene Mann in Luk. 10, dessen sich der barmherzige Samariter annahm. Wenn nicht von anderer Seite Hülfe kommt, so ist er rettungslos verloren.

Wir finden in 2. Sam. 9 den König David in Ruhe und Frieden auf seinem Throne zu Jerusalem. Die Tage

der Verfolgung, der Leiden und Trübsale waren vorüber, das Haus Sauls war gerichtet (1. Sam. 31, 1 - 7), und die Feinde des Volkes Gottes lagen am Boden. Der Schluss des 8. Kapitels zeigt uns völlig geordnete Verhältnisse in Israel. Das Gericht über das Haus Sauls war durch die Philister ausgeführt worden; David hatte seine Hand nicht an den Gesalbten Jehovas gelegt, sondern seine Sache Dem anheimgestellt, welcher recht richtet (1. Petr. 2, 23). Er handelte in dieser Sache in Übereinstimmung mit der Gesinnung Christi, und hier, in 2. Sam. 9, entdecken wir in seinem Herzen wiederum göttliche Gefühle und Erwägungen. Er wünscht Gnade zu üben oder Güte Gottes zu erweisen an irgend einem Gliede vom Hause Sauls, das von dem Strafgericht Gottes noch nicht ereilt worden war; und er will dies tun um Jonathans willen. Janathan war, wie wir ja wissen, auch ein Sohn Sauls, aber zugleich ein vertrauter Freund Davids, und er war mit ihm verbunden gewesen durch einen unauflöslichen Bund. (Vergl. 1. Sam. 18, 1 — 5; 19, 1 — 20; 20, 35 — 43.) Wie innig das Verhältnis gewesen war, wie sehr David an dem Sohne seines grimmigsten Feindes gehangen hatte, das trat zu Tage, als ihm die Botschaft von Jonathans Tode gebracht wurde. „Mir ist wehe um dich, mein Bruder Jonathan!“ so hören wir ihn klagen, „holdselig warst du mir sehr; wunderbar war mir deine Liebe, mehr als Frauenliebe“ (2. Samuel 1, 26).

Erinnert uns das alles nicht an andere, höhere Dinge, an neutestamentliche Gegenstände und Belehrungen? So wie das Gericht über Saul und sein Haus kam, so sind wir alle von Natur, als Nachkommen des ersten Adam, dem Gericht und Tod verfallen; aber so wie David begehrte, an einem übriggebliebenen Gliede des Hauses Sauls Güte zu erweisen um Jonathans willen, so hatte auch Gott Gedanken des Friedens über uns, und zwar um des wahren Jonathan, um Jesu, willen. Der Sohn Gottes wurde Mensch, nahm teil an Blut und Fleisch, wohnte inmitten der Menschenkinder und nahm ihre Sache auf sich. Von Ihm, als dem Sohne des Menschen, der für uns in den Riss trat, heißt es: „Die Strafe zu unserem Frieden lag auf Ihm, und durch Seine Striemen ist uns Heilung geworden«. (Jes. 53, 5.) Auch lesen wir in 2. Kor. 5, 21, dass Gott »Den, der Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht hat, auf dass wir Gottes Gerechtigkeit würden in Ihm“; und einige Verse vorher: „Er ist für alle gestorben«. (V. 15.) In 1. Tim. 2, 6 schreibt der Apostel, dass „Er sich selbst gab zum Lösegeld für alle“, und in Tit. 2, 11: „Die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend für alle Menschen“. In 1. Tim. 2 heißt es ferner: „Gott will, dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen«. Wie es nach dem Herzen Davids war, Gnade zu üben um Jonathans, des Geliebten, willen, so ist es jetzt nach dem Herzen Gottes, Sünder zu erretten um Jesu willen; und Gott hat dafür Sorge getragen, dass diese gute Botschaft des Heils unter dem ganzen Himmel Verkündigt wird zur Errettung für Tausende und Millionen.

Gott hat die Zurechnung Seiner Gerechtigkeit mit dem Glauben an Jesum Christum in Verbindung gebracht. (Vergl. Röm. 4, 24. 25; Joh. Z, 15. 16; Apstgesch. 10, 43; Röm. 1(), 1.3.) Von denen, die errettet sind, sagt der Heilige Geist, dass sie begnadigt seien in dem Geliebten (Eph. 1, 6), errettet aus der Gewalt der Finsternis und versetzt in das Reich des Sohnes Seiner Liebe. (Kol. 1, 13.) Sie sind Kinder Gottes, Heilige und Geliebte, Glieder des Leibes Christi. Die höchsten und reichsten Segnungen, wie sie Gott nur geben konnte, hat Er denen geschenkt, die an Jesum glauben, — ein Beweis, welch ein kostbarer Gegenstand der Herr Jesus für das Herz Gottes ist. Er war, wie wir in Spr. 8 lesen, von jeher „Tag für Tag Seine Wonne“. Und als Er hienieden war, bezeugte der Vater öffentlich von Ihm: „Dieses ist mein geliebter Sohn, an welchem ich Wohlgefallen gefunden habe“. (Matth. 3, 17; 17, 5). Glücklich das Menschenherz, welches mit dem Vaterherzen Gottes Gemeinschaft haben darf im Blick auf diesen gesegneten Gegenstand, den hochgelobten Sohn Gottes! Glücklich der Mensch, der mit dem Apostel Paulus sagen kann: „Ich achte alles für Verlust wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn“! (Phil. 3, 8).

Doch wir sind unserer Geschichte vorangeeilt; kehren wir deshalb zurück. Infolge der Frage Davids, ob noch jemand vom Hause Sauls übriggeblieben sei, wird ein früherer K«necht Sauls, Namens Ziba, herbeigerufen; und David wiederholt seine Frage: „Ist niemand mehr da vom Hause Sauls, dass ich Güte Gottes an ihm erweise?“ (V. 3). „Güte Gottes“ - welch ein lieblicher Ausdruck! Wir lesen in Luk. 6, 35, dass Gott gütig ist über die Undankbaren und Bösen. So groß, so reich ist Gottes Güte. Ähnlich heißt es in Röm. 5, 8: „Gott aber erweist Seine Liebe gegen uns darin, dass Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist“; und in Tit. 3, 4 lesen wir: „Als aber die Güte und die Menschenliebe unseres Heiland-Gottes erschien, errettete Er uns“. David handelte also in völliger Übereinstimmung mit dem Herzen Gottes. Auch sein weiteres Tun wird durch dieselbe Güte gekennzeichnet. Als er hörte, dass ein Sohn Jonathans noch übrig sei, der lahm an beiden Füßen in der Verbannung jenseits des Jordan wohne, sendet er nach Lodebar und lässt Mephiboseth holen. So hat auch Gott Seinen Heiligen Geist in diese Welt gesandt, um Menschenkinder zu sich zu führen. Er sucht, wie einst Abraham, im fernen Lande eine Braut für Seinen Sohn. In 1. Petr. 1, 12 lesen wir, dass die ersten Boten des Herrn „das Evangelium gepredigt haben durch den vom Himmel gesandten Heiligen Geist“; und die Dinge, welche mit diesem Evangelium in Verbindung stehen, sind so kostbar, dass Engel hineinzuschauen begehren.

Sobald Mephiboseth in Jerusalem ankommt, nennt David ihn bei seinem Namen. Der arme Mann war voll

banger Erwartungen; aber wie ganz anders fiel der Empfang aus, als er gedacht hatte! „Fürchte dich nicht“, sagt David, »denn ich will gewisslich Güte an dir erweisen um. Jonathans, deines Vaters, willen“ (V. 7). Das war liebliche Musik in den Ohren des armen Krüppels; und ganz überwältigt antwortet er: „Was ist dein Knecht, dass du dich zu einem toten Hunde gewandt hast, wie ich einer bin?“ (V. 8).

Mein lieber Leser! erblicke hier das Bild eines überführten Sünders, der in der Gegenwart Gottes erscheint, sowie eine liebliche Darstellung der Handlungsweise Gottes mit einem solchen. Oft finden wir in den Schriften, das; Gott diejenigen, mit welchen Er sich in Verbindung setzen will, bei ihrem Namen nennt; so bei Adam, Abraham, Mose, Samuel und Anderen. Auch der Herr Jesus rief Seine Schäflein oft bei Namen, oder Er gebrauchte vertrauliche Ausdrücke wie: „Kind, Tochter u. s. w.“, um so ihre Herzen zu gewinnen (Vergl. Joh. 20, 16; Matth. 9, 2; Luk. 8, 48). Bei einer Gelegenheit sagte Er den Seinigen, dass sie sich freuen sollten, dass ihre Namen in den Himmeln angeschrieben seien (Luk. 10, 20).

„Fürchte dich nicht!“ Der mit den Evangelien vertraute Leser weiß, wie oft dasselbe Wort über die Lippen des Heilandes kam. Mephiboseth hatte im Blick auf sich und auf die Vergangenheit gewiss Grund, sich zu fürchten, gerade so wie der verlorene Sünder alle Ursache hat, in der heiligen Gegenwart Gottes zu zittern. Aber David hatte nur Gedanken des Friedens über ihn, sein Herz. war in Tätigkeit bei der Sache. Gerade so ist es bei der Errettung des Sünders. Wie ist in Lukas 15 das Herz des Vaters in Tätigkeit, wenn es sich um die Ausnahme des verlorenen, aber wiedergefundenen Sohnes handelt! Das Entgegeneilen, die Umarmung, der Kuss, das beste Kleid, der Ring, das gemästete Kalb, die Aufforderung: „,Lasset uns essen und fröhlich sein!“ — alles das zeigt uns die Freude des Vaterherzens Gottes, wenn ein verlorener Sünder umkehrt und Buße tut. Ja, so wunderbar es klingen mag, es ist die Freude Gottes, Sünder zu erretten. Um dies tun zu können, hat Er Seinen geliebten Sohn dahingegeben. Das ist der Preis, den Er bezahlt hat. Darum, glücklich jede Seele, die dieser Errettung teilhaftig geworden ist, glücklich für Zeit und Ewigkeit!

Mephiboseth hatte alles verloren, was ihm nach seiner Stellung von Geburt gehört hatte, das ganze Hab und Gut seines Vaters Saul. Welch eine Lage für den armen, lahmen Mann! Aber auch in dieser Beziehung ist er ein treffendes Bild des Menschen von Natur. Der Mensch ist durch die Sünde ein ruiniertes Geschöpf. Von Gott zum Herrn und Haupt der Schöpfung eingesetzt, ist er durch die Sünde all seiner Segnungen verlustig gegangen, und befindet sich seitdem mit der Schöpfung unter dem Fluche.

(1. Mose 2, 18 —20; 3, 17; vergl. auch Kap. 4, 11). Überdies ist er, wie wir bereits gesagt haben, völlig außerstande, seine Lage zu verbessern; er ist lahm, ohnmächtig, „kraftlos“ (Röm. 5, 6). Mephiboseth fühlte seine Lage und erkannte seinen elenden Zustand rückhaltlos an; er nennt sich angesichts der Gnade, die ihm von seiten Davids entgegengebracht wird, einen toten Hund. Merkwürdig; aber so ist es immer. Nicht das Gesetz sondern die Gnade ist es, welche das Herz des Menschen zerbricht und wahrhaft demütig macht. Der verlorene Sohn in Luk. 15 mochte wohl sein Elend fühlen, als er im fernen Lande seinen Bauch mit den Schweineträbern zu füllen begehrte, und niemand sie ihm gab. Aber erst die Gnade und Freundlichkeit, womit er von dem Vater aufgenommen wurde, beugten wahrhaft sein Herz. Angesichts dieser Liebe erschien ihm das Verwerfliche seines Tuns erst in seinem wahren Licht.

So ist es mit jedem Sünder, der in die Gegenwart Gottes kommt und dort sieht, wie er geliebt ist. Er mag wohl schon vorher klar gewusst haben, dass er verloren, rechtmäßig verurteilt ist; aber erst am Fuße des Kreuzes Christi erkennt er seinen wahren Zustand, sowie zugleich die wunderbare Größe der Liebe Gottes, wie sie sich in der Dahingabe Seines Sohnes für ein solches Geschöpf, wie er ist, geoffenbart hat. Diese Erkenntnis ruft dann eine tiefe Demütigung, ein aufrichtiges Selbstgericht hervor.

Sobald Mephiboseth zu David gekommen war, ordnete und bestimmte David alles, was ihn anging; Mephiboseth hatte nichts zu tun. (V. 10 u. 11). Um Jonathans willen erhielt er alle Felder seines Vaters Saul zurück, denn David hatte sich, wie wir bereits weiter oben bemerkt haben, mit Jonathan verbunden durch unverbrüchliche Versprechungen (1. Sam. 20, 14 — 17); Ziba, sein Knecht, musste die Felder bebauen und ihren Ertrag einbringen, damit Mephiboseth Brot zu essen habe; ihm selbst wurde ein beständiger Sitz an der Tafel des Königs angewiesen, und am Schluss des Kapitels lesen wir: „Und Mephiboseth wohnte in Jerusalem, (der Königsstadt, dem Wohnsitz Davids) denn er aß beständig am Tische des Königs. Er war aber lahm an beiden Füßen“ (V. 13).

So war er denn für immer in die nächste Nähe des Königs gebracht, in die unmittelbare Gemeinschaft mit ihm eingeführt; er durfte vor ihm sein und mit ihm umgehen „wie einer von den Königssöhnen“. Seine lahmen Füße bildeten für alles das gar kein Hindernis; sie dienten nur dazu, ihn beständig an seine frühere Lage zu erinnern. So ist es auch mit dem Gläubigen. Herausgenommen aus dem gegenwärtigen bösen Zeitlauf nach dem Willen Gottes, des Vaters (Gal. 1, 4), hat er Vergebung seiner Sünden (1. Joh. 2, 12), er besitzt das ewige Leben (Joh. 5, 24), geht nicht verloren ewiglich (Joh. 10, 28), er ist ein Kind Gottes (Röm. 8, 16; 1. Joh. 3, 2), ist in die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne eingeführt (1. Joh. 1, 3), und der Himmel ist seine Heimat. (Joh. 14, 2. 3; Eph. 2,19 - 22; Phil. 3, 20). Und alles das ist die freie Gabe Gottes. „Durch die Gnade seid ihr errettet, mittelst des Glaubens; und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, auf dass niemand sich rühme“ (Eph. 2, 8. 9.) Alle jene Segnungen waren schon im Ratschluss Gottes bestimmt vor Grundlegung der Welt (Eph. 1, 3 — 13), sie sind aus dem Herzen Gottes hervorgegangen ohne irgendwelches Zutun unserseits; und so wie Mephiboseth am Tische Davids essen durfte, so hat jeder Gläubige nach den Gedanken Gottes Anrecht an all den Segnungen, welche Gott für Seine Kinder bereitet hat; ja, er ist bereits versetzt in die himmlischen Örter in Christo Jesu, und bald wird er droben sich niederlassen dürfen an dem Tische seines Herrn. Und so wie für Mephiboseth die lahmen Füße kein Hindernis bildeten, am Tische des Königs zu sein, so ist auch die Sünde in dem Gläubigen, sein Zustand von Natur, für ihn kein Hindernis, die geistlichen Segnungen in den himmlischen Örtern schon jetzt zu genießen; nein, das Bewusstsein dessen, was er in sich selbst ist: ganz und gar kraftlos, sowie die Erinnerung an seine frühere traurige Lage wird sein Herz nur umso mehr zu Lob und Dank stimmen gegen Den, der ihn mit Seinem kostbaren Blute erkauft hat. „Ich weiß“, sagt der Apostel, „dass in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes wohnt“; aber das verhinderte ihn nicht, sich allezeit zu freuen und den Frieden Gottes zu genießen, der allen Verstand übersteigt. Die Sünde wird nur dann ein Hindernis für uns, wenn wir ihr erlauben, zu wirken und ihre bösen Früchte in uns hervorzubringen.

In Kapitel 16 sehen wir Mephiboseth mit Ziba, seinem Knechte, allein in Jerusalem. David hatte infolge der Empörung Absaloms die Stadt verlassen und war in die Wüste geflohen. Die meisten seiner Getreuen waren mit ihm gezogen; auch Mephiboseth hatte sich aufmachen wollen, ihm nach, aber sein Knecht Ziba hatte ihn betrogen und ihn nachher bei dem König verleumdet. Ziba war ein doppelzüngiger, selbstsüchtiger Mann, der scheinbar viel Eifer für David an den Tag legte, in Wirklichkeit aber nur seine eigenen Interessen verfolgte. Wie ganz anders offenbarte sich Mephiboseth!

Er hatte infolge der Lahmheit seiner Füße in Jerusalem zurrückbleiben müssen, aber sein Herz war mit David. Während der ganzen Zeit der Abwesenheit des Königs hatte er seine Füße nicht gereinigt, seinen Bart nicht gemacht und seine Kleider nicht gewaschen. Vor lauter Trauer und Schmerz hatte er sich ganz und gar vernachlässigt· David war nicht mehr in Jerusalem; wie hätte Mephiboseth da fröhlich und guter Dinge sein können? Ein Empörer saß auf dem Throne des Königs; das war wahrlich Grund genug, zu trauern und zu fasten. Sobald David zurückgekehrt war und die Regierung wieder übernommen hatte, war Mephiboseth völlig befriedigt; er wollte selbst von seinem Felde nichts mehr wissen, Ziba konnte es ruhig ganz behalten. Sein Herz begehrte nach nichts weiter als nach der Gegenwart Davids.

Haben wir hier nicht ein schönes Bild von einer Seele, die ihr Alles in Christo gefunden hat? Auch die verwaisten Jünger trauerten und weinten, als der Bräutigam von ihnen genommen war; und Maria Magdalene fühlte sich einsam und verlassen, so lange sie ihren Herrn nicht wiederhatte. Was war die ganze Welt für sie, wenn Jesus nicht da war? Auch im Philipperbriefe finden wie eine Seele, die ihr Alles in Christo gefunden· hat und darum fähig ist, sich selbst ganz und gar aus dem Auge zu verlieren. Paulus sagt in Kap. 1, 21: „Das Leben ist für mich Christus, und das Sterben Gewinn“; und in Kap. 3, 7 u. 8: „Was mir Gewinn war (seine fleischlichen Vorzüge), das habe ich um Christi willen für Verlust geachtet; ja, wahrlich, ich achte auch alles für Verlust wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn“. Sein Auge war unverrückt auf das Ziel gerichtet; er hatte kein geteiltes Herz (Kap. 3, 14). Und indem er so dem Ziele zustrebte, erwartete er Tag für Tag den Herrn Jesum aus den Himmeln, um seinen Leib der Niedrigkeit umzugestalten zur Gleichförmigkeit mit dem verherrlichten Leibe des Herrn. Es gab nur noch einen Gegenstand, der Interesse für ihn hatte. Diesem Einen war sein ganzes Leben geweiht; für diesen Einen war er bereit, alles aufzugeben, selbst sein Leben zu lassen. „Ich nehme keine Rücksicht auf mein Leben, als teuer für mich selbst, auf dass ich meinen Lauf vollende und den Dienst, den ich von dem Herrn Jesu empfangen habe“ (Apstgsch. 20, 24).

Wie steht es in dieser Beziehung mit uns, Geliebte? Sind unsere Herzen ungeteilt für Jesum? Wünschen wir, um Christi willen Nasiräer in dieser Welt zu sein? Das heißt: sind wir fähig, uns und unsere Interessen zu vergessen und, in Absonderung für Jesum, unsere Person in Seinen Dienst zu stellen und unsere Zeit Ihm zu weihen? Fühlen wir es tief, dass Er nicht hier ist, und begehren wir, da zu sein, wo Er ist? Fragen wir uns ehrlich: Was ist der Gegenstand unserer Erwartung? Ist es Christus, oder ist es die Verwirklichung von allerlei Plänen in dieser Welt? Können wir mit Asaph sagen: „Wen habe ich im Himmel? und neben dir habe ich an nichts Lust auf der Erde“? (Ps. 73, 25).

In dem 27. Verse unseres Kapitels sehen wir, wie hoch David in den Augen Mephiboseths stand. Er sagt: „Mein Herr, der König, ist wie ein Engel Gottes“. Wie schön ist das! Kennen auch wir etwas von der Vortrefflichkeit Christi? Öffnet sich unser Mund viel zu Seinem Preise? Sind wir da zu Hause, wo von Ihm die Rede ist? Mephiboseth kannte seinen Herrn und war deshalb auch völlig bereit, die Ordnung seiner Angelegenheiten David zu überlassen; er sagt zu ihm: „Was für ein Recht habe ich noch? und um was hätte ich noch zum König zu schreien?“ Er ist dessen eingedenk, dass das ganze Haus seines Vaters nichts anderes als Männer des Todes vor seinem Herrn, dem König, gewesen war; und doch hatte David ihn gewürdigt, einen Platz an seinem Tische zu haben!

Dies alles beweist, dass Mephiboseth erkannte, wie völlig er auf dem Boden einer bedingungslosen Gnade stand. Rechte und Ansprüche hatte er nicht. Gerade so verhält es sich mit dem Gläubigen; er steht durchaus auf dem Boden der Gnade, und wenn er seine Unfähigkeit zu irgendwelchem Guten ein wenig erkannt hat, wenn ihm die Erfahrungen von Röm. 7 nicht ganz unbekannt geblieben sind, so dankt er Gott, dass es also ist. Paulus sagt in 1. Kor. 15, 10: „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin“; und wenn es sich um seinen früheren Zustand handelt, so nennt er sich ,,einen Lästerer, Verfolger und Gewalttäter“ (1. Tim. 1, 13). Aber gerade einen solchen hatte die Gnade ergriffen; einem solchen war Barmherzigkeit zu teil geworden. Ja, alles ist Gnade. Die Gnade hat uns errettet, und durch Gnade werden wir bewahrt. Aus der Fülle Christi empfangen wir alle „Gnade um Gnade“ (Joh. 1, 16). Paulus hat es sein Lebenlang nicht vergessen, was er einst gewesen war, und was die Gnade an ihm getan hatte. Auch wir sollten stets dessen eingedenk sein.· Ach! wie hat sich die Gnade auf dem ganzen Wege an uns beschäftigt! In alle Ewigkeit werden wir den „Gott aller Gnade“ preisen, der sich ohne Ermüden mit uns beschäftigt hat. 322

„Um was hätte ich noch zum Könige zu schreien?“ Ja, was hätte Mephiboseth noch begehren können, er, der ein Kind des Todes gewesen war, und jetzt am Tische des Königs essen durste wie einer von den Königssöhnen? Der als Kind eingeführt war in das Haus Davids? Er war völlig befriedigt. Und wenn wir nun als Kinder Gottes an den Platz und die Segnungen denken, welche uns in Christo Jesu geschenkt sind, wenn wir uns der vielen Gnaden- und Liebesbeweise erinnern, die uns in geistlicher und leiblicher Beziehung aus dem ganzen Wege zuteil werden, können wir dann anders als loben und preisen? Bleibt noch Raum übrig für selbstsüchtige Wünsche? Und wenn wir dann unseren Blick vorwärts richten auf unser zukünftiges Teil, auf die gewisse Aussicht, für immer und ewig bei dem Herrn zu sein im Vaterhause droben, anstatt an dem Orte, „wo ihr Wurm nicht stirbt, und das Feuer nicht erlischt« (Mark. 9, 44), fließt dann der Becher nicht über? Ja, jubelnd und frohlockend singt dann das Herz: „Wer findet Worte, dir zu danken, o Vater, deine Lieb ist groß!“ Ja der Verordnung über das Laubhüttenfest in 5. Mose 16, 13 - 15, welches ein Vorbild der zukünftigen, tausendjährigen Herrlichkeit ist, heißt es zum Schluss: „Und du sollst nur fröhlich sein“. Ja, nur fröhlich! Hienieden ist die Freude oft noch mit Schmerz und Trauer vermischt; aber wenn einmal das Vollkommene gekommen sein wird, werden Trauer und Pein aufhören. „Fülle von Freuden ist vor deinem Angesicht, Lieblichkeiten in deiner Rechten immerdar.“ (Ps. 16, 11). O wie sehnt sich das Herz nach der Zeit, wann das Lob der göttlichen Gnade für ewig ungestört und ungehindert erklingen wird!

Dort, wo an des Stroms Gestade

sich die Silberwelle bricht,

preisen ewig wir die Gnade

vor des Heilands Angesicht!

Fußnote:

*) S. die Anmerkung auf Seite 272 unten.

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Ein Brief *)

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1903 S. 323ff

. . · Dein lieber Brief ist mir zugegangen, und es tut mir leid, dass dein Herz so beschwert und niedergeschlagen ist. Es würde mich sehr freuen, wenn ich dich ein wenig aufrichten und ermuntern könnte. Das ist ja eines unserer gesegneten Vorrechte, einander zu ermuntern und zu erbauen (1. Thess. Z, 11); deshalb hoffe ich, dass der treue Herr mir auch jetzt diese Freude zu teil werden lassen wird.

Es gibt Dinge auf der Erde, die unser Herz wohl mit Trauer und Schmerz erfüllen können. Der gegenwärtige Zustand der Versammlung Gottes auf der Erde, von welchem du schreibst, ist vornehmlich ein Gegenstand dieser Art. Wer ein Herz für Jesum hat, wer Seine Gefühle und Gesinnungen für die Versammlung teilt, der kann nur mit tiefem Schmerz an die traurige Zersplitterung und Verwirrung, an den allgemein herrschenden Parteigeist denken. Auf diesen Zustand gleichgültig hinblicken zu können, verrät ein Herz, das auch gleichgültig gegen seinen Herrn ist. Nun weiß ich aber auch aus eigener Erfahrung, dass es im Blick auf diesen traurigen Zustand Gefühle gibt, die mehr Unruhe und Mutlosigkeit als göttliche Traurigkeit genannt zu werden verdienen. Das eigene Herz hat seinen wahren Ruhepunkt verloren und gedenkt nicht mehr der kostbaren Ermahnung des Apostels: „Seid um nichts besorgt, sondern in allem lasset durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kundwerden“ (Phil. 4, 6).

Fehlt unserem eigenen Herzen die wahre Ruhe, so sind wir nicht fähig, uns in der rechten Weise mit den Fehlern und Mängeln Anderer zu beschäftigen. Nur dann, wenn unser Herz ruhig und glücklich in der Gegenwart Dessen ist, der uns liebt und alle die Seinen in vollkommener Liebe trägt, sind wir fähig, den Heiligen die Füße zu waschen. Wir haben deshalb nötig, recht wachsam und nüchtern zu sein. Das Herz ist sehr geneigt, seine eigene Unruhe durch die traurigen Zustände Anderer zu verdecken, oder auch hinter den Gebrechen Anderer seine eigenen zu verbergen. Manche finden sogar eine gewisse Befriedigung darin, über die Mängel und Gebrechen ihrer Mitbrüder zu Gericht zu sitzen. In einem solchen Falle wäre es aber weit nötiger, die ernsten Worte des Herrn zu beherzigen: „Ziehe zuerst den Balken aus deinem Auge, und dann wirst du klar sehen, um den Splitter aus deines Bruders Auge zu ziehen“.

Es kommt in der Tat sehr darauf an, mit was für einem Herzen wir die Mängel Anderer betrachten. Wenn das eigene Herz seinen wahren Ruhepunkt verloren hat, dann mögen wir wohl meinen, die traurigen Zustände um uns her richtig beurteilen zu können; aber wir täuschen uns. Alles erscheint wie umgewandelt, wenn wir persönlich in der Gegenwart Gottes sind. Ach, wie oft habe ich selbst diese Erfahrung zu meiner Beschämung machen müssen! Nicht als ob die Mängel und Gebrechen Anderer, die traurigen Zustände in der Versammlung durch unseren persönlichen guten Herzenszustand verbessert würden. Keineswegs; wir erkennen sie im Gegenteil noch weit klarer und fühlen sie viel tiefer als vorher; aber dieses Gefühl drückt sich nicht durch liebloses Richten oder selbstgefälliges und nutzloses Seufzen und Klagen aus, sondern es offenbart sich vor Gott mit Gebet und Flehen, erweckt Gnade und Liebe im eigenen Herzen und macht uns eifrig im Dienst. Es führt uns zuerst zu der wahren Quelle aller Kraft und alles Segens, nicht nur weil von dort allein Hilfe und Segen kommt, sondern weil wir selbst nur dann für Andere gesegnete Diener sein können, wenn sich unsere Herzen in der Gegenwart Gottes und in Seiner Gemeinschaft befinden. Wenn wir von dort kommen, wo alle Fülle ist, bringen wir immer für Andere etwas mit; nicht aber wenn wir von unten kommen, denn da ist nichts.

Der Herr gebe uns viel Gnade, geliebter Bruder, selbst zu aller Zeit in Gemeinschaft mit der Quelle zu sein! Dann werden wir auch stets im Blick auf die Mängel und Gebrechen Anderer gesegnete Diener sein!

Wir werden alsdann auch besser lernen, alles mit dem Herzen Jesu zu fühlen und mit Gnade und Liebe zu behandeln. Alles andere ist nutzlos für die Versammlung; all unser Urteilen, Seufzen und Klagen bleibt ohne Segen für sie. Kommen wir aber im Namen Jesu, kommen wir in Seinem Geiste und in Seiner Gesinnung, so werden wir bald die gesegneten Früchte davon bemerken. Hiervon habe ich etwas erfahren, und ich wünsche es immer mehr zu tun. Ich teile es dir, geliebter Bruder, aber mit in der Hoffnung, das; es dir in deiner gegenwärtigen Stellung zum Segen gereichen möge. Ich weiß, dass du Liebe zu der Versammlung hast; aber ich weiß auch, dass es nötig ist, dass unsere Liebe immer mehr an Einsicht und Erkenntnis zunehme.

Ich möchte nun noch mit einigen Worten auf einen anderen Gegenstand deines Briefes eingehen. Du schreibst von dem kleinen H., dass sein Herz in der letzten Zeit kälter gegen Jesum geworden sei. Diese Mitteilung hat mich geschmerzt, denn du weißt, wie sehr mir das Wohl des Knaben am Herzen liegt. Der Herr hat ihn so früh und so schnell aus seinem verderbten Wesen errettet. Ich war Zeuge davon, und denke immer gern an jene gesegneten Stunden zurück, besonders an die Freude der Eltern. ich hoffe aber auch zuversichtlich, dass der Herr ihn bald wieder wacker machen wird. Es wird mir indes schwer, deine Meinung in der Beziehung zu teilen, dass von den Bekehrungen der Jugend nicht viel zu halten sei. Ich wenigstens halte davon, was ich auch von den Bekehrungen der Alten halte, dass nämlich jede wahre Bekehrung, mag sie an einem Jungen oder einem Alten geschehen, ein Werk des Geistes Gottes ist. Ich freue mich immer, wenn Gott wirkt, mag es unter Kindern oder Erwachsenen sein, und ich vertraue Seinem Wirken völlig.

Warum beten wir denn für die Bekehrung unserer Kinder, wenn wir von der Erhörung unserer Gebete nicht viel halten? Ich kann dir sagen, geliebter Bruder, dass ich mich unendlich darüber freue und den Herrn dafür preise, dass Er in der gegenwärtigen Zeit so viel unter den Kindern wirkt und die vielen Gebete der Seinigen in dieser Beziehung so reichlich erhört. Ich bin aber auch überzeugt, dass deine ausgesprochene Meinung nur eine vorübergehende ist, indem die augenblicklichen Umstände dich dazu verleitet haben. Ich weiß ja, dass dir gerade die Bekehrungen der Kinder bisher stets am Herzen lagen, und dass du das Werk Gottes unter ihnen immer mit Freuden begrüßt hast.

Deine Mitteilung über den kleinen H. hat aber andere ernste Gedanken in mir wachgerufen. Ich glaube, dass die Eltern und andere Gläubige, in deren Mitte solche Kinder leben, oft viel Schuld daran tragen, wenn deren Herzen wieder erkalten. Die Kinder finden im elterlichen Hause oft wenig Nahrung für ihre Seele. Es fehlt an Erbauung, an Ermunterung und an der rechten Ermahnung. Das Wort Gottes ist nicht reichlich vorhanden, wie Paulus ermahnt. Es fehlt häufig auch an erbaulicher Unterhaltung und an herzlichem, liebevollem Verkehr. Die Herzen vieler gläubigen Eltern sind mit mancherlei Sorge und Unruhe betreffs des Irdischen erfüllt. Das Kind hört oft den ganzen Tag von nichts anderem reden, als von den Dingen dieses Lebens. Es findet vielleicht kein Interesse daran, weil die Unterhaltung oft über sein Verständnis hinausgeht, aber es empfängt auch keine Nahrung für seine Seele. Es bedarf der Pflege, und nur zu oft ist niemand da, der sie ihm, sei es im Hause oder außer demselben, auf die rechte Weise zu teil werden ließe. Die Christen sind im Allgemeinen zu wenig kindlich, um mit einem Kinde in gesegneter Weise zu verkehren. Ist es da zu verwundern, wenn das Herz eines solchen Kindes nach und nach erkaltet? Enthalten solche Erfahrungen aber nicht eine ernste Mahnstimme für die Eltern? Werden sie nicht oft zu einer schmerzlichen Züchtigung für das ganze Haus? O möchte der Herr vielen Eltern in dieser Beziehung die Augen öffnen!

„Es ist auch vielfach der Fall, geliebter Bruder, das; von gläubigen Eltern oder auch in den Gebetsversammlungen mehr für die Bekehrung der Kinder gefleht wird, als für die Bewahrung derer, die bereits bekehrt sind. Auch das ist ein großer Fehler. Es wird nicht tief genug erkannt, dass das bekehrte Kind, und jeder Bekehrte, ebenso völlig der Gnade Gottes ·zu seiner Bewahrung bedarf, wie sie zu seiner Bekehrung nötig war. Gottes Gnade allein kann uns bekehren, und Gottes Gnade allein uns bewahren. Das ist meine tiefe Überzeugung.

Ich schließe mit dem herzlichen Wunsche, dass der Herr uns in allem mehr Licht und Einsicht schenken möge, damit wir stets nach Seinem Willen wandeln. Seine Gnade sei reichlich mit dir und den Deinigen! . .

Fußnote:

*) Vor mehr als vierzig Jahren geschrieben, aber beherzigenswert auch für unsere Tage.

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Begnadigt

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1903 S. 328ff

Begnadigt

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1903 S. 328ff

„Begnadigt (od.: angenehm gemacht) sein in dem Geliebten“, in der Gunst Gottes stehen wie Christus selbst, in Christo geliebt sein, so wie Er vom Vater geliebt ist — welches Herz könnte auch nur einen dieser Gedanken in seiner ganzen Höhe und Tiefe erfassen? Der höchste Flug, den ein unbekehrtes Herz in seinen Begriffen von der Gnade Gottes nehmen kann, ist der Gedanke, einst in den Himmel zu kommen. Aber Gott krönt Seine Gnade mit Herrlichkeit, und zur Verherrlichung dieser Gnade hat Er solche, die an Seinen Sohn glauben, in Christo in Seine Gunst eingeführt. Sie sind in dem Geliebten Gott

angenehm gemacht.

„Begnadigt in dem Geliebten!“ So spricht Gott von allen Seinen Kindern. Ein jedes von ihnen befindet sich

in dieser köstlichen, gesegneten Stellung. Ja, wir sind begnadigt, nicht etwa aus Grund von irgend Etwas, das in uns wäre, oder aus Grund der guten und gerechten Werke, die wir getan hätten, sondern in Ihm, dem Sohne der Liebe des Vaters, der das Ihm ausgetragene Werk auf Erden vollbracht hat und nun droben in Herrlichkeit zur Rechten des Vaters thront. Es dient zur Verherrlichung der Gnade Gottes, dass wir jetzt so in Seiner Gunst stehen. Es ist sicherlich zu Seinem Preise, dass unsere Sünden vergeben und wir von allen unseren Ungerechtigkeiten gereinigt sind; aber dass wir in der Person Christi in Herrlichkeit begnadigt sind, das .redet doch von einer weit reicheren und tieferen Gnade.

Die Reichtümer der Gnade Gottes sind so groß, dass die Bedürfnisse von Legionen von Menschen sie nicht zu erschöpfen vermögen, und dass selbst die Schlechtesten unter den Schlechten Vergebung ihrer Schuld erlangen können. Die Fülle der Gnade, die sich an uns erwiesen hat, als wir noch in unseren Sünden waren, kann nur gemessen oder geschätzt werden nach dem unendlichen Werte des Blutes des Sohnes Gottes und nach der unbegrenzten Liebe, welche das Vergießen dieses Blutes veranlasste. Unsere Sünden auf die Waage legen und dann beobachten, wie die Waagschale tiefer und tiefer sinkt, ist Unglaube und bringt uns nur Schmerz und Kummer. In dem Augenblick, da wir glauben, sind unsere Sünden hinweggetan. Er „hat uns von unseren Sünden gewaschen in Seinem Blute“ (Offbg. 1, 5). Sie sind nicht mehr; ihrer wird nicht mehr gedacht.

Die Fülle und Größe der Gnade Gottes dem Sünder gegenüber kann also nur verstanden werden in dem Maße, wie das Herz den unendlichen Wert des Blutes Seines Sohnes erfasst; und ebenso kann die Fülle Seiner Gnade dem Gläubiger: gegenüber nur insoweit ergriffen werden, als wir im Glauben verwirklichen, dass Gott uns in demselben Maße in Seine Gunst eingeführt hat, wie Sein geliebter Sohn in ihr steht.

Wie traurig unser Zustand in der Sünde war, erkennen wir daraus, dass Gott Christum verlassen musste, als Er für uns zur Sünde gemacht war; und die herrliche Stellung, in welcher wir uns jetzt befinden, erkennen wir an der Gunst und dem Wohlgefallen, womit Gott Seinen Sohn betrachtet, der sich jetzt zu Seiner Rechten gesetzt hat. Was wir in uns selbst sind, erblicken wir in dem am Kreuze hienieden verlassenen Christus; was wir in Ihm sind, in dem auf dem Throne droben in Herrlichkeit angenommenen Christus.

Das Maß, in welchem wir eine Tatsache erfassen, übt keinerlei Einfluss auf die Wirklichkeit der Tatsache aus. Der Blinde sieht das Licht nicht, aber es ist trotzdem in seiner ganzen Schönheit vorhanden. Ein winziges Sandkorn genügt, um dem Auge die schönste und prächtigste Fernsicht zu verhüllen; und nicht eher kann es sich wieder frei umschauen, bis das Sandkorn entfernt ist. Der Unglaube verschließt das Auge vor der Herrlichkeit der Gnade Gottes zu seinem eigenen Schmerz und Kummer; und so lange ein Rest von Unglaube im Herzen zurückbleibt, ist keine Kraft vorhanden, die Gnade anzuschauen. VielIeicht gibt es unter den Lesern dieser Zeilen Gläubige, in deren Herzen noch hier und da Zweifel auftauchen, ob sie wirklich angenommen sind bei Gott. O möchten sie dann doch unter Gebet das Wort betrachten: „Begnadigt in dem Geliebten“! Die Herrlichkeit des Geliebten füllt das ganze Herz des Vaters aus, und der Gläubige erfreut sich der Gunst Gottes, indem er weiß, dass er in sich selbst durchaus nichts, aber alles ist in Christo. Was Christus für Gott ist, darauf gründet sich die unveränderliche Stellung des Gläubigen vor Gott.

Indes gibt es noch eine andere Seite der Wahrheit, die wir vor unsere Seele zu stellen nötig haben, und das ist unsere persönliche, praktische Annehmbarkeit. Da wir in Christo begnadigt und angenommen sind, sollten wir auch ernstlich bemüht sein, Ihm wohlzugefallen. Dies kann nur dadurch geschehen, dass wir dem Worte Gottes gehorsam sind. Bald werden wir vor unserem teuren Herrn stehen, und dann wird es Seine Freude sein, alles in uns anzuerkennen und zu belohnen, was wir auf Erden im Gehorsam gegen Ihn und Seinen Gott getan haben. Wir finden in der Schrift keine Stelle, die uns anleitete, darum zu bitten, dass wir in dem Geliebten begnadigt und angenommen werden möchten; denn das ist durch Gottes Gnade von jedem Gläubigen wahr. Wohl aber finden wir Ermahnungen, die uns auf das Ernsteste auffordern, so zu wandeln, dass wir Ihm wohlgefällig sind. Und je wahrer und echter die Freude des Gläubigen im Bewusstsein Seiner Begnadigung und Annahme bei Gott ist, desto treuer und ernster wird er danach streben, einen vor Gott wohlgefälligen Wandel zu führen.

Aber vielleicht gehört der eine oder andere unserer Leser noch zu denen, welche die Ehre der; Welt und die Eitelkeit dieses Zeitlaufs der Gunst Gottes vorziehen. Einem solchen möchten wir zurufen: Bedenke: du stehst entweder in der völligen Gunst Gottes, oder du stehst unter Seinem Zorn! Einen dritten Boden, der die Mitte zwischen beiden hielte, gibt es nicht. Im Blick auf Christum gibt es keine Neutralität. Gott duldet sie nicht. Entweder bist du in Christo, oder du bist außer Ihm; entweder für Ihn, oder wider Ihn. Auf jedem, der nicht in Christo begnadigt ist, ruht der Zorn Gottes. Der Himmel wird von Ewigkeit zu Ewigkeit die Liebe verkündigen, welche Gott zu allen hat, die Seinen Sohn lieben; gleicherweise aber auch die Hölle Seinen Zorn gegen alle, die Ihn verworfen haben. Darum verlasse den gefährlichen Boden, aus dem du stehst! „Küsset den Sohn, dass Er nicht zürne, und ihr umkommet aus dem Wege, wenn nur ein wenig

entbrennt Sein Zorn. Glückselig alle, die auf Ihn trauen!“ (Psalm 2, 12).

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Die Liebe des Christus

Bibelstelle:

Botschafter des Heils 1903 S. 332ff

Die Liebe des Christus! Die Liebe des Gesalbten Gottes! Wie wunderbar sind diese das Herz ergreifenden Worte! Sie bilden gleichsam den Schlüssel, welcher der Seele die Schätze des Christentums aufschließt. Ein Mensch kann die Glaubensbekenntnisse der verschiedenen christlichen Körperschaften auswendig kennen und doch über Christum und Seine Liebe völlig unwissend sein. Wahres Christentum wird nicht gelernt, ist nicht Sache des Verstandes, sondern ist eine durch den Geist Gottes im Herzen bewirkte und ebenda wirksame Kenntnis der Person Christi, des Sohnes Gottes. „Wer den Sohn hat, hat das Leben".

Dreimal finden sich die herrlichen Worte „die Liebe des Christus" in der Schrift. Wir wollen sie zunächst in ihrer Verbindung mit dem Menschen in seinem natürlichen Zustand betrachten. In dieser Beziehung lesen wir: „Denn die Liebe des Christus drängt uns, indem wir also geurteilt haben, dass einer für alle gestorben ist und somit alle gestorben sind" (2. Korinther 5,14). Die Liebe Christi, die Ihn für Sünder sterben ließ, hatte in dem Herzen des Apostels Paulus eine Stätte gefunden. Sie erwies sich in dem unermüdlichen Eifer, mit dem er seine Mitmenschen warnte und sie aufforderte, der einladenden Stimme des Heilandes zu folgen. Der Tod des Herrn Jesu, der für alle war, hat bewiesen, dass alle dem Tode verfallen sind. Darum stößt sich der Unglaube an dem Kreuz; der religiöse Stolz wendet sich von dem Sühnungsblut ab. Denn durch „die Liebe des Christus" wird alles klar ans Licht gestellt; alles erscheint nach seinem wahren Wesen und Charakter, so wie es ist. Einerseits erklärt diese unermessliche Liebe Sein Herabsteigen, das Kommen des ewigen Sohnes Gottes auf diese Erde; andererseits zeigt sie uns das Warum und Weshalb Seiner tiefen inneren Leiden auf Golgatha. Einerseits lernt die Seele im Tode Christi das Herz Dessen kennen, Der das große Werk vollbrachte, und macht sich die Segnungen, die jenes Werk dem Sünder erworben hat, zu eigen; andererseits erkennt sie ihren schrecklichen Todeszustand, ihr Sündenelend, ihr tiefes moralisches Verderben. Das Kreuz, das Fluchholz, an welchem Christus blutete und starb, an dem Er für uns zur Sünde gemacht war, an dem Er Gottes Zorn gegen die Sünde erduldete, jenes Kreuz steht in seiner ganzen ergreifenden Bedeutung vor der Seele dessen, der an die Liebe Christi geglaubt hat. Das Sühnungsblut Christi ist das Einzige, was den verlorenen, dem Tode verfallenen Sünder befähigt, vertrauensvoll in die Ewigkeit hinüberzublicken. Eigendünkel und Eigengerechtigkeit haben keinen Raum mehr in einem Herzen, das an die Liebe Christi geglaubt hat. Ja, nichts ist so imstande, einen Menschen klein und demütig zu machen, wie die Erkenntnis der Liebe Christi. Die wunderbare Größe und Majestät Seiner Schwachheit und Selbsterniedrigung bringt jeden hohen Gedanken in dem armen, trotzigen Herzen zum Schweigen. Was bleibt dem Menschen zu rühmen übrig, wenn nur der Tod des Geliebten Gottes, Der zugleich den geistlichen Tod des Sünders erwies, ihn zu retten vermag?

Geliebter Leser! ist dein Herz bereits durch die Liebe Christi erreicht worden? Ist dein Stolz dahingesunken vor dem Tode des Lammes Gottes? Hast du, staunend über die Macht Seiner Liebe, die Vergebung, den Frieden, die Freude und Ruhe angenommen, welche Sein Erlösungswerk bringt? Ist Er Selbst dein Ein und Alles geworden? Du bist nur ein Atom in Gottes unermesslichem Weltall, ein Stäublein auf dieser Erde, die, verglichen mit den Sternen, jenen unzähligen Welten rund um sie her, selbst nur ein kleines, unbedeutendes Ding in dem gewaltigen Weltenraum ist; und doch kam Christus auf sie herab und starb für dich. Er erniedrigte Sich nicht nur so weit, dass Er Mensch wurde, nein, Er ging noch viel weiter auf diesem Pfade der Niedrigkeit: Er wurde gehorsam bis zum Tode, ja, bis zu dem schimpflichen, schmach- und qualvollen Tode am Kreuze. Warum tat Er dies? Damit deine Sünden hinweggetan und dein Herz auf immer für Ihn gewonnen werden möchte.

Wer an den Sohn Gottes glaubt, hat das Leben und ist in vollkommener Sicherheit. Nichts kann ihn mehr verdammen. Das erscheint wunderbar, schier unglaublich; aber wenn wir nur einen Augenblick darüber nachdenken, wer unser Erretter ist, so werden wir uns nicht mehr verwundern.

Wenden wir uns jetzt zu der zweiten unserer drei Stellen. Sie lautet: „Wer wird uns scheiden von der Liebe des Christus" (Römer 8,35)? Was sind alle Mächte über und unter der Erde, was ist alle Kraft in der Höhe oder in der Tiefe gegen die Stärke Christi? Wir gehören Ihm nach Fug und Recht, durch Kauf und Erwerbung. Er ging in den Tod, um uns aus der Gewalt des Todes zu erretten. Er besiegte Satan, um uns aus seiner Gewalt zu befreien. Wir sind jetzt Sein und befinden uns da, wo Satan uns nicht mehr erreichen kann; wir haben das Leben, ja, wir besitzen „Leben in Überfluss". Christus hat unsere Sünden hinweggetan, indem Er sie „an seinem Leibe auf dem Holze getragen hat". Er hat den gerechten Zorn Gottes wider die Sünde über Sich ergehen lassen. Er wurde „für uns zur Sünde gemacht". Die Frage: „Wer wird uns scheiden von der Liebe des Christus"?, die in Wirklichkeit von einem schwachen Menschen auf dieser Erde, dem Schauplatz des Leidens und der Schwachheit, einst ausgesprochen wurde, geht eigentlich von dem Throne Gottes aus, von der Stätte, wo Christus jetzt weilt. Würde eine mächtige Stimme diese Frage in das ungeheure Weltall hineinrufen können, so dass sie, weiter und weiter von Stern zu Stern getragen, noch an den äußersten Enden der Schöpfung vernommen werden könnte, so würden Höhen und Tiefen noch nichts anderes antworten können als: „Wer?" Könnte die Ewigkeit gefragt werden, so würde sie im Echo wiederholen: „Wer?" Die Frage würde unbeantwortet bleiben von Ewigkeit zu Ewigkeit. Unsere Errettung ist so groß, unsere Sicherheit so unerschütterlich wie Der, welcher auf dem Throne Gottes sitzt.

Zum dritten Mal finden wir die kostbaren Worte im Brief an die Epheser, Kap. 3,18. 19. Da heißt es: „Auf dass ihr völlig zu erfassen vermöget mit allen Heiligen, welches die Breite und Länge und Tiefe und Höhe sei, und zu erkennen die die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus, auf dass ihr erfüllt sein möget zu der ganzen Tülle Gottes".

Diesmal befinden wir uns nicht in der Gegenwart des Kreuzes oder des Thrones der göttlichen Macht. Nein, teurer Leser, der Thron, von dem hier die Rede ist, ist dein Herz. Da ist die Stätte, wo die die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus genossen wird. Der Wunsch des Apostels ist, dass diese Liebe die Herzen des Volkes Gottes erfüllen möge. Höhen und Tiefen, Längen und Breiten stellt uns diese dritte Stelle vor Augen, einen unermesslichen Kreis ohne Grenzen und Schranken, eine Ausdehnung, weit wunderbarer als das Weltall; denn die Liebe Gottes füllt diesen grenzenlosen Raum, diese Unendlichkeit, aus. Und bedenke es, mein Leser: mitten in diesem Raum, gerade im Mittelpunkt dieses Kreises, befindet sich das Herz des Gläubigen, denn Christus ist dieser Mittelpunkt, und Er wohnt in dem Herzen des Gläubigen (V. 17); und dieser empfängt, mittels des Glaubens, durch den Geist Gottes die Befähigung, die Breite und Länge und Tiefe und Höhe zu erfassen und die die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus zu erkennen. Und indem er so mit Christo erfüllt ist und sich in den ganzen Umfang Seiner Herrlichkeit versenkt, wird er erfüllt zu der ganzen Fülle Gottes (V. 19).

So sehen wir denn, dass die Liebe des Christus nicht nur das Sünderherz gewinnt und den Gläubigen für ewig in Sicherheit bringt, sondern dass sie diesen auch befähigt, mit Gottes Gedanken über Christum, den Mittelpunkt all Seiner Liebe und Ratschlüsse, zu denken und so die göttliche Fülle zu genießen.