Inhaltsverzeichnis: Botschafter des Heils in Christo 1865 | Seite |
Elia, der Tisbiter ( 1. Könige 17-22; 2. Könige 1-2) | 5 |
„Der Sohn des Menschen ist gekommen, | |
zu suchen und zu erretten, was verloren ist." 107 | 108 |
Des Pilgers Trost 116 | 116 |
„Was seid ihr bestürzt?" 122 | 122 |
„Hast du noch jemand hier?" 124 | 124 |
Vollkommene Erlösung 126 | 126 |
„Fünf Worte." 139 | 139 |
Gedanken 141 | 141 |
Über das Erkennen des Willens Gottes 142 | 142 |
„Christus wohne in euren Herzen" 148 | 148 |
Paulus und Felix 149 | 149 |
'Der Vogel kennt seine bestimmte Zeit.' 153 | 153 |
„Sinnet nicht auf hohe Dinge!" 155 | 155 |
„Ich kenne die Meinen | |
und bin gekannt von den Meinen." | |
Gedanken über Johannes 11 159 | 159 |
Enthaltsamkeit 178 | 178 |
Der lebendige Vogel 185 | 185 |
Die unabhängige Gnade Gottes 191 | 191 |
Jesus am Schatzkasten 202 | 202 |
Der Brunnen zu Bethlehem 206 | 206 |
Betrachtungen über die zweite Ankunft des Herrn | |
I. 1. Thessalonicher 1 | 208 |
II. Epheser 1 | 221 |
Des Pilgers Trost
5.Mose 8,2 - 4
Das achte Kapitel des 5.Buches Mose enthält herrliche, trostreiche und ernste Lehren. Gott redet hier durch den Mund Seines Knechtes Moses zu Seinem Volk, welches nach einer
vierzigjährigen Wanderung im Begriff steht, das verheißene Land in Besitz zu nehmen. Er richtet den Blick dieser Pilger
der Wüste auf den zurückgelegten Weg und erinnert sie an alle
Ereignisse jener Zeit und an die nie fehlende Hilfe und unablässige Treue Gottes. Hauptsächlich aber werden uns hier zwei
Dinge vor Augen gestellt: Erstens der Grund, warum Gott uns
in die besonderen Umstände geführt hat und zweitens Seine
Hilfe und Sorgfalt für uns, während wir mit dem Blick auf die
Herrlichkeit durch die Wüste pilgern.
1. Im zweiten Vers des vorliegenden Kapitels lesen wir: „Und
du sollst gedenken des ganzen Weges, den Jehova, dein Gott,
dich hat wandern lassen diese vierzig Jahre in der Wüste, um
dich zu demütigen, um dich zu versuchen, um zu erkennen,
was in deinem Herzen ist, ob du seine Gebote beobachten
würdest oder nicht." - Hier wird uns Aufschluß gegeben über
die Absicht Gottes bei den Umständen, die uns begegnen. Sie
sind in Seiner Hand das Mittel, wodurch Er alles das, was in
unseren Herzen verborgen ist, offenbar machen und vor
unseren Augen ins Licht stellen will. Mögen wir uns in traurigen oder glücklichen Lagen befinden, mögen Schwierigkeiten und Mühsale unsere Schritte hemmen oder Stunden kurzer
Ruhe an uns vorüberziehen, mag die Wut der Verfolgung ihr
Haupt erheben oder der ungestörte Genuß der uns geschenkten
Vorrechte uns vergönnt sein - alle diese Umstände offenbaren,
in welchem Zustand unsere Herzen sich befinden.
Das zeigt uns die Geschichte der durch die Wüste wandernden
Kinder Israel in auffälliger Weise. Nur wenige Tage nach dem
Auszug aus Ägypten bot schon der Mangel an Fleisch die Gelegenheit zu offenbaren, daß ihr Herz mehr durch die Schätze
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Ägyptens als durch die Gegenwart des Herrn angezogen wurde.
„Wären wir doch im Lande Ägypten durch die Hand Jehovas
gestorben" (2.Mo 16,3), sprachen sie. Ebenso stellte die vierzigtägige Abwesenheit Moses auf dem Berg ins Licht, wie sehr
sie durch den ägyptischen Götzendienst verunreinigt waren,
denn das längere Verweilen des Knechtes Gottes auf dem Berg
wurde zum Prüfstein für das Verhalten Israels. Genauso zeigte
der eingetretene Mangel an Wasser klar und bestimmt, daß das
Herz dieses Volkes angesichts der geringsten Unannehmlichkeit
zum Murren und zur Empörung neigte. Und eben dieses Murren wurde selbst für Moses, dessen Handlungen in vielen anderen Umständen die größte Sanftmut, den stärksten Glauben und
unerschütterliches Gottvertrauen offenbarten, ein geeignetes
Mittel, um das Verborgene seines Herzens zu erkennen. Wenn
wir schließlich noch daran erinnern, wie es nur des Berichtes
der Kundschafter bedurfte, um das Mißtrauen Israels gegen die
Macht Gottes wachzurufen, so belehren uns diese einzelnen
Beispiele schon zur Genüge, daß Gott Sich all dieser äußeren
Umstände bediente, um den Zustand der Herzen zu offenbaren.
Und so ist es noch immer. Werden wir durch Trübsal, Leiden
und Schwierigkeiten heimgesucht, so sind diese Umstände die
von Gott gewählten Mittel, uns durch das Offenbarwerden
unserer Herzen zur Selbsterkenntnis zu führen, damit wir uns
vor Gott demütigen und, vom Bösen gereinigt, mehr und mehr
fähig werden, Ihn zu verherrlichen. Alles, was uns begegnet,
hat diesen gesegneten Zweck. Die uns treffenden Umstände
werden entweder offenbaren, daß unser Herz befestigt ist und
sich in der Nachfolge Jesu befindet, oder daß verkehrte Grundsätze in uns tätig sind. Wenn jemand mit Armut und Dürftigkeit zu kämpfen hat, so wird sich bald zeigen, ob sein
ganzes Vertrauen auf den Herrn gerichtet und sein Herz darum
von Frieden und Trost erfüllt ist, oder ob er ängstlich besorgt
ist und voll Unzufriedenheit über sein Verhängnis murrt und in
Klagen ausbricht. Ist jemand beleidigt worden, so wird bald
offenbar, ob er, sanftmütig wie Jesus, für seinen Beleidiger
beten kann, oder ob gekränkte Eitelkeit, verletzter Stolz, oder
sogar Zorn und Rache seine Handlungen leiten.
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Es ist sehr wichtig, das ernstlich zu erwägen. Wir sind so sehr
geneigt, bei den Umständen zu verweilen, ohne Gott darin zu
sehen; besonders aber sind wir bemüht, die Hand Gottes dann
völlig auszuschließen, wenn wir durch andere Menschen ohne
unsere Schuld in unangenehme Umstände gekommen sind.
Aber leider lehnt sich in solchem Fall das Herz auf, und man
verkennt die Absicht Gottes, wenn man nicht glaubt, daß Er
Selbst die verkehrten Handlungen der Menschen zuläßt, um
unser Wachstum zu fördern! Dennoch aber ist es so, und darin
liegt für uns ein sicherer Trost. Wenn unser Herz den gesegneten Zweck der uns begegnenden Umstände erfaßt hat, so
gewinnen die Leiden, die Kämpfe und alle Schwierigkeiten eine
ganz neue Bedeutung, und wir haben dann das glückliche
Bewußtsein, daß alle Dinge für uns zum Guten mitwirken (Röm
8,28). Vergessen wir also nicht, daß Gott es ist, der die für uns
passenden Umstände bewirkt oder zuläßt, um uns zu segnen
und zu erziehen. Wenn wir das nicht beachten, wird unser Herz
unruhig und unglücklich, und wir sind dann auch unfähig, Seine
Stimme zu vernehmen und von Ihm zu lernen. Wir sind Seine
Kinder, und kein Haar fällt von unserem Haupt ohne Seinen
Willen. Unser Glück ist Sein Wunsch, unser Wachstum Sein
Zweck. Beachten wir daher Seine Worte, wenn Er sagt, daß all
dieses geschieht, „um zu erkennen, was in deinem Herzen ist".
2. Das ist jedoch nicht alles. Wir bedürfen nicht nur das Offenbarwerden unseres Herzenszustandes, sondern auch die Hilfe
und den Trost Gottes, um unsere Wanderung durch eine öde,
dürre Wüste mit Ausharren und Standhaftigkeit vollenden zu
können. Welch ein herrliches Vorbild liefert uns in dieser
Beziehung das nach Kanaan pilgernde Israel! Vierzig Jahre
hindurch war das große israelitische Heer in einer Wüste umhergezogen, die weder Brot noch Wasser, weder Kleider noch
Schuhe bot, wo vielmehr die alles versengenden Strahlen der
Sonne den Sand des Bodens fast unerträglich erhitzten und kein
schattenspendender Baum zur Ruhe und Erquickung einlud. Es
gab sogar ganze Scharen wilder Kriegsvölker, die in ihren
Verstecken lauerten oder mit Wutgeschrei hervorstürmten, um
dem wandernden Volk den Durchzug streitig zu machen. Den118
noch konnte nach Ablauf dieser vierzig Jahre der Herr sagen:
„Dein Kleid ist nicht an dir zerfallen, und dein Fuß ist nicht
geschwollen diese vierzig Jahre" (V. 4). Er möchte gleichsam
fragen: 'Hat euch in den vierzig Jahren je etwas gemangelt?'
Welch eine herrliche Offenbarung der Liebe Gottes! Trotz all
ihrer Untreue, ihres Murrens, ihres Unglaubens und ihres
Götzendienstes war Er in Seiner Treue unverändert Derselbe
geblieben. An jedem Morgen hatte das Manna den Boden
bedeckt, an jedem Tage war Wasser in Überfluß aus dem
Felsen hervorgesprudelt. Ihre Kleider waren nicht zerfallen
und ihre Füße nicht geschwollen während dieser vierzig Jahre.
„Mangelte euch wohl etwas?" Wohl mag Israel bei dieser
Frage beschämt auf jene Zeit zurückgeblickt haben, wohl mag
diesem halsstarrigen Volk das Bewußtsein seiner Untreue
lebendig vor die Seele getreten sein; nichtsdestoweniger aber
wird ihr Herz sich gefreut haben bei der Erinnerung an die
unwandelbare Treue Gottes. Nicht einen einzigen Augenblick
hatte Er sie vergessen.
Welch ein Gott! Und dieser Gott ist auch unser Gott! Er, der
diese Worte einst zu Israel redete, wird sie am Ende unserer
Pilgerreise auch an uns richten. Im Blick auf den zurückgelegten Weg, auf Seine Führung und Leitung, und bei der
völligen Erkenntnis Seiner anbetungswürdigen Liebe werden
wir auf die an uns gerichtete Frage: „Mangelte euch wohl
etwas?" (Lk 22,35), die freudige Antwort geben: 'Nein, Herr,
nichts!' - Dann werden wir erkennen, wie Er jeden Umstand
für uns zum Segen bereitete, wie das schnell vorübergehende
Leichte unserer Drangsal uns ein über die Maßen überschwengliches, ewiges Gewicht von Herrlichkeit bewirkte
(2.Kor 4,17), und wie Er uns versorgte, leitete, beschützte und
uns sogar aus tausend Gefahren errettete, die wir kaum ahnten.
Uns werden dann die Worte fehlen, um eine solche, uns stets
bewiesene Liebe zu preisen!
Und warum werden wir an dieses alles erinnert? Weil die
Fürsorge Gottes unser Auge auf jenen Tag der Zukunft richten
will. Ebenso wie Israel in der Wüste, die weder Speise noch
Erquickung bietet, finden wir in der Welt nichts als Kampf,
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Elend und Mühe. Als Fremdlinge, die mitten im Gebiet des
Feindes wandeln, erblicken wir hier als Nachfolger Christi
keine Heimat und keinen Ruheort. Die kleine Schar der Gläubigen, die sich oft noch in den schwierigsten Umständen
befindet, ist ein armes, schwaches und verachtetes Volk. Je
mehr wir uns als Pilgrime und Fremdlinge bewähren und
unseren himmlischen Charakter verwirklichen, desto mehr
werden wir Beschwerden, Schmach und Hohn zu ertragen
haben. Wollen wir nun die Waffen strecken und mutlos niedersinken? Ach, nein! Das Auge ist auf den Tag der Zukunft
gerichtet, auf das Ziel der Pilgerschaft, und das mächtige Wort
des Herrn dringt ins Herz: „Dein Kleid ist nicht an dir
zerfallen, und dein Fuß ist nicht geschwollen!" Das Auge des
Glaubens schaut den starken Arm des treuen Gottes, und mit
Beschämung und Reue über unseren Unglauben klammern wir
uns umso fester an den Unsichtbaren. Und wenn wir schon
jetzt auf die bereits zurückgelegte Strecke schauen, so müssen
wir mit Anbetung bekennen, daß uns nie etwas gefehlt hat. Hat
euch, die ihr arm an zeitlichen Gütern seid und oft ratlos und
mutlos unter der Bürde des Lebens geseufzt habt, je etwas
gefehlt? Hat Er, der die Raben speist und die Lilien kleidet,
euch nicht mit Nahrung und Kleidung versorgt? Habt ihr nicht
oft, wenn die Not ihren Höhepunkt erreichte, Seine mächtige
Hilfe erfahren? Haltet fest: „Seid um nichts besorgt, sondern in
allem lasset durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure
Anliegen vor Gott kundwerden" (Phil 4,6). Ihr, die ihr in
allerlei Schwierigkeiten verwickelt seid oder sogar für den
Namen des Herrn geschmäht werdet, - ihr, die ihr das Werk
des Herrn ausführt und mit soviel Widerstand, Hartnäckigkeit,
Unglauben und Heuchelei von seiten eurer Widersacher zu
kämpfen habt, - und ihr alle schließlich, in welchen Lagen und
Umständen ihr auch sein möget - hat euch je im Geistlichen
wie im Leiblichen etwas gemangelt? Nein, tausendmal nein!
So laßt uns also dem Herrn vertrauen, laßt uns Ihm alles
übergeben und an Seiner Hand mutig vorwärts schreiten! Wie
dürre, wie öde, wie beschwerlich die Wüste auch sein mag -
Seine Nähe ersetzt alles, und Er wird alles wohlmachen.
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O geliebte Brüder! Möchten wir doch alle - ein jeder in dem
Bereich, wohin Gott ihn gestellt hat - als Lichter in der Welt
scheinen, möchte doch unser ganzes Verhalten ein Zeugnis
sein, daß wir ein besseres Vaterland und größere Reichtümer
besitzen als die Welt mit ihren eitlen Genüssen, möchten wir
doch durch Wort und Wandel in allen Lagen verkünden, daß
wir an den allmächtigen Gott glauben, den Schöpfer des
Himmels und der Erde! Von diesem Glauben zu reden genügt
nicht, er muß in unseren Herzen verwurzelt sein. „Der Gerechte aber wird aus Glauben leben" (Hebr 10,38). Der Glaube
allein überwindet die Welt. Er findet zu jeder Zeit die Vorratskammern Gottes geöffnet und empfängt daraus das, was er
braucht. Der Glaube erblickt in allen Umständen die Treue
Gottes. Diese Erfahrungen stärken ihn für das, was auf ihn
zukommen wird. Er richtet die Blicke auf die vor ihm liegende
ewige Herrlichkeit und vernimmt inmitten der Kämpfe und
Trübsale dieser Welt das Wort des Herrn: „Mangelte euch
wohl etwas?"
Ja, geliebte Brüder! Wie einst Israel, so stehen auch wir an der
Grenze des verheißenen Landes, des himmlischen Kanaan. Nur
noch wenige Augenblicke der Mühe und der Drangsal, und der
Herr wird kommen, um uns aus dem Kampf wegzurufen und
dem Vaterhaus entgegenzuführen, wo ein überfließendes Maß
ewiger Freude uns durch die Gnade bereitet ist. Dann wird statt
Leid Herrlichkeit sein, statt der Fremde die Wohnstätte des
Vaterhauses, statt der Wüste ein Land, wo Milch und Honig
fließt. Darum laßt uns im Rückblick auf den bereits beschrittenen Weg und im Anschauen der zukünftigen Herrlichkeit unsere Pilgerreise mutig in der Kraft Dessen fortsetzen, der uns
vorangegangen ist als der Anfänger und Vollender des Glaubens!
121
„Was seid ihr bestürzt?"
Lukas 24,38.39
Wenn ihr noch fern seid von dem Herrn Jesus, noch unbekannt
mit Seiner unvergleichlichen Liebe, so habt ihr gewiß viel
Ursache, bestürzt zu sein. Der Gedanke an den Tod und das
kommende Gericht wird euch wohl mit Angst erfüllen. Gott
möge bewirken, daß diese Angst zunimmt, bis ihr in Jesus
Ruhe findet. Aber der Herr sprach jene Worte zu seinen
Jüngern, die eigentlich keine Ursache hatten, bestürzt zu sein -
und sollten diese Zeilen in die Hände solcher Gläubigen gelangen, die durch Zweifel in Furcht gesetzt werden, so möchte
ich sie daran erinnern, daß die Worte in Lukas 24,38.39 besonders ihnen gelten.
Jesus Selbst ist es, der nach Seiner Auferweckung aus den
Toten in die Mitte Seiner Jünger tritt und sagt: „Was seid ihr
bestürzt, und warum steigen Gedanken auf in euren Herzen?
Sehet meine Hände und meine Füße, daß ich es selbst bin."
Welch eine Liebe drückt sich in diesen Worten aus! Er hatte
ihnen zugerufen „Friede euch!", und Sein liebendes Flerz
mußte feststellen, daß Bestürzung und Gedanken in ihren
Seelen Raum gefunden hatten. Wie konnte eine so tiefe und
aufrichtige Liebe zulassen, daß sie in Zweifel gezogen würde?
Er hatte sie geliebt bis zum Tod; Sein Leib war für sie dahingegeben und Sein Blut für sie vergossen worden zur Vergebung ihrer Sünden. Er hatte ihren Platz eingenommen auf dem
Kreuz, war an ihrer Stelle auf dem Fluchholz gestorben - der
Gerechte für die Ungerechten. Einer von ihnen hatte Ihn
verleugnet, und die Übrigen hatten Ihn verlassen. Gott aber
hatte Ihn auferweckt zu ihrer Rechtfertigung. Und jetzt, wo der
Gegenstand Seines ewigen Ratschlusses vollbracht und die
Erlösung vollendet war, spricht Er voller Freude die wunderbaren Worte zu ihnen: „Friede euch!" Wie hätte Er zulassen
können, daß der geringste Zweifel in den Herzen derer aufstieg, die Er so unaussprechlich liebte? Das Herz ist glückselig,
wenn es den Herrn Jesus sagen hört: „Was seid ihr bestürzt,
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und warum steigen Gedanken auf in euren Herzen? Sehet
meine Hände und meine Füße, daß ich es selbst bin."
Glaubst du, geliebter Leser, daß Jesus, der Sohn Gottes, für
deine Sünden dieses Werk vollbracht, diesen schrecklichen Tod
auf dem Kreuz erlitten hat? Glaubst du, daß Er um deiner Übertretungen willen dahingegeben und, nachdem Er die ganze
Schuld getilgt hat, um deiner Rechtfertigung willen von Gott
auferweckt worden ist? Das ist für jeden Sünder wahr, der an
Ihn glaubt; und es gilt auch für dich, wenn du durch den Heiligen Geist dahin gebracht worden bist, dein Vertrauen allein auf
das Blut Christi zu setzen. Der Herr Jesus sagt auch jetzt noch:
„Friede euch!" Hast auch du, wie Petrus, Ihn verleugnet oder,
wie die Übrigen, Ihn verlassen - blicke nur auf Jesus und höre,
welche Worte der Liebe aus Seinem Mund hervorkommen. Es
sind Worte, die auch an dich gerichtet sind: „Was seid ihr
bestürzt, und warum steigen Gedanken auf in euren Herzen?
Sehet meine Hände und meine Füße, daß ich es selbst bin."
Wie antwortest du Ihm auf diese Worte? Sagst du etwa: 'Ich
habe es zu schlimm getrieben'? Er antwortet: „Sehet meine
Hände und meine Füße." Betrachte sie doch! Was denkst du
von diesen Malzeichen an dem Leib des auferstandenen Jesus?
Rufen sie deinem belasteten Gewissen nicht zu: „Friede dir!"?
„Das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von aller
Sünde" (l.Joh 1,7). Glaube, daß Sein Herz betrübt ist über
jeden Zweifel, der in unserem Innern aufsteigt. Sein Name sei
gepriesen, daß Sein Werk vollbracht ist! Christus ist jetzt der
ewig sichere Ruheplatz für unsere Seelen. Unsere Sünden wurden einst auf Ihn gelegt und können nicht mehr auf uns gelegt
werden. Unseretwegen lag der Zorn auf Ihm, und Seinetwegen
ruht auf uns der Friede. Möchten deshalb diese Worte des
Herrn in dein Herz dringen: 'Gehe hin in Frieden und zweifle
nicht.' Er sagt nicht: 'Betrachte deinen Glauben, prüfe deine
Gefühle und sieh auf deine Sünden und Vergehungen' - dann
könnten wir verzweifeln -, sondern Er sagt: 'Sieh meine Hände
und meine Füße', als wollte Er damit sagen: 'Ist das nicht
genug für dich? Könnte ich dich noch mehr lieben?' So schaue
denn hin mit gläubigem Herzen und sei getrost!
123
'Hast du noch jemand hier?'
siehe l.Mose 19,12
'Hast du noch jemand hier?' Das ist die Frage des Herrn.
Geliebte Brüder, die Gerichte Gottes werden bald über die
Welt hereinbrechen. Sind in dieser Stadt des Verderbens noch
irgendwelche, deren Errettung euch am Herzen liegt? „Wen du
noch hier hast... wen irgend du in der Stadt hast, führe hinaus
aus diesem Orte! Denn wir wollen diesen Ort verderben."
Ehe die Flut kam, in der die Ungläubigen umkamen, sagte Gott
zu Noah: „Gehe in die Arche, du und dein ganzes Haus" (l.Mo
7,1). - Ehe die schuldbeladenen Einwohner Jerichos - Mann
und Frau, jung und alt - verbannt wurden, wurde Rahab mit
ihrem Vater und ihrer Mutter, ihren Brüdern und allem, was sie
hatte, an einen sicheren Ort gebracht (Jos 6,23); denn Rahab
hatte für das Leben ihres Vater, ihrer Mutter, ihrer Brüder und
ihrer Schwestern und aller ihrer Angehörigen gebeten (Jos
2,13), und alle wurden unter dem Schutz „der Karmesinschnur" am Tage des Gerichts gerettet.
Rahab hatte einen einfältigen Glauben. Es steht geschrieben:
„Bittet, und es wird euch gegeben werden." Der Herr ist bereit,
uns denselben Glauben zu schenken. Rahab war von Natur aus
nicht gut, sie war eine große Sünderin, vielleicht die größte in
Jericho. Aber sie glaubte Gott, und 'es wurde ihr zur Gerechtigkeit gerechnet'. Die „Karmesinschnur", ein Bild des kostbaren
Blutes Christi, war ihre Sicherheit, und die Worte der Kundschafter ermutigten sie, um diese Sicherheit für alle ihre Verwandten und für alle, die sie in Jericho sonst noch hatte, zu
bitten; und ihr Wunsch wurde erhört. Welch ein gesegnetes
Beispiel eines lebendigen Glaubens an den lebendigen Gott!
Auch unsere Herzen sollten dadurch zu einer größeren Abhängigkeit und einem größerem Glauben an den Herrn ermuntert werden!
Es war aber Lot, an den das Wort gerichtet wurde: „Wen du
noch hier hast ..." Es war derselbe Lot, von dem wir lesen:
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„Und Lot hob seine Augen auf und sah die ganze Ebene des
Jordan, daß sie ganz bewässert war", und der sie erwählte
(l.Mo 13,10.11). Die Engel kündigten ihm jetzt an, daß die
Stunde des Untergangs Sodoms gekommen war: „Wen du
noch hier hast, einen Eidam und deine Söhne und deine
Töchter und wen irgend du in der Stadt hast, führe hinaus aus
diesem Orte! Denn wir wollen diesen Ort verderben." Was
könnte verständlicher sein als diese Worte „Wen du noch hier
hast"? - 'O Lot, denke an jene, die du in Sodom bei dir hast -
an deine Frau, an deine Kinder, an deine Schwiegersöhne,
denen du in Sodom deine Töchter geben willst -, gehe zu
ihnen, beschwöre sie und sage ihnen, daß dies ihre letzte
Gelegenheit ist; wenn sie heute -deine Stimme verwerfen, so
werden sie morgen umkommen.' - „Aber er war in den Augen
seiner Eidame wie einer, der Scherz treibt." Sein Leben war
weltlich, und darum hatte er keine Kraft, von dem kommenden
Gericht zu zeugen. Er war wie einer von ihnen - ein Bewohner
ihrer Stadt. Er selbst wurde durch die Barmherzigkeit des
Herrn gerettet, aber wie durchs Feuer. Er verließ die Stadt ohne
seine Schwiegersöhne, und bald verlor er auch seine Frau. Sie
sah hinter sich und wurde zu einem warnenden Beispiel für
alle Geschlechter. Es ist ohne Nutzen, auf dem Weg zum
Himmel zu sein und Herz und Auge auf die Welt zu richten.
Das Heil oder die Rettung besteht in einem auf Gott gerichteten Herzen. Als es Tag wurde, kamen die Bewohner Sodoms
und der Städte der Ebene in dem Schwefel- und Feuerregen
um.
Der Herr gebe, daß wir die Unterweisungen zu Herzen
nehmen, die in diesen ernsten Beispielen für uns enthalten
sind. Jesus kommt - die Welt wird bald gerichtet werden; und
wie es in den Tagen Lots war, so wird es an dem Tage sein, wo
der Sohn des Menschen geoffenbart wird. Für uns aber, die wir
dem Herrn in der Luft entgegengerückt werden, ist es nötig,
die Worte des Engels zu beherzigen: „Wen du noch hier hast...
führe hinaus!"
125
Vollkommene Erlösung
Wer zu Gott gebracht ist, hat Vergebung seiner Sünden durch
den Glauben an das gesegnete Zeugnis Gottes; er hat die Erlösung durch das Blut Christi. Es ist aber dann nötig, auch die
Größe, die Fülle und die Vollkommenheit dieser Erlösung zu
kennen. Hierin mangelt es bei vielen Gläubigen, besonders bei
jungen. Deshalb sind folgende Zeilen hauptsächlich für sie geschrieben, obgleich die Ausführungen durch die Gnade Gottes
für alle gesegnet und auch zur Erweckung von Unbekehrten
nützlich sein können.
So wie ein kleines Kind vieles durch Bilder lernt, so kann der
junge Christ in Bezug auf die Vollkommenheit der göttlichen
Wahrheit vieles durch die Bilder des Alten Testaments lernen.
Es ist vor allem das zweite Buch Mose, in dem wir ein genaues
Bild finden von dem Weg, auf welchem Gott uns zu Sich gebracht hat. Sogar der aus dem Wasser des Todes gezogene
Moses ist in gewissem Maß ein schwaches Bild von Dem, der
aus den Toten auferweckt worden ist. Christus war der Erstgeborene aus den Toten, um der auferstandene Befreier Seines
Volkes zu sein.
Werfen wir nun zunächst einen Blick auf den Zustand des
Volkes Israel zu jener Zeit. Auf dem Volk lastete der grausame
Druck der ägyptischen Sklaverei; es seufzte unter der eisernen
Rute Pharaos. Wir lesen in 2.Mose 3,7.8: „Gesehen habe ich
das Elend meines Volkes, das in Ägypten ist, und sein
Geschrei wegen seiner Treiber habe ich gehört; denn ich kenne
seine Schmerzen. Und ich bin herabgekommen, um es aus der
Hand der Ägypter zu erretten und es aus diesem Lande
hinaufzuführen." Ist dies nicht überall und zu allen Zeiten der
Zustand des Menschen? Ist er nicht von Natur ein Sklave
Satans? Wie schrecklich ist das Elend, das durch die Sünde auf
das ganze Menschengeschlecht gekommen ist! Welch eine
schreckliche Wirklichkeit von Leid und Elend verbirgt sich
unter der schönen Oberfläche der menschlichen Gesellschaft.
Der Mensch glaubte dem Feind, er zweifelte an der Güte
126
Gottes und sündigte, und jener Fall war sehr tief - von der
glücklichen Freiheit in Eden in die elende Sklaverei Satans.
Gott aber hörte das Geschrei der Israeliten in ihrem Elend und
ihrer Not. Kein Bild könnte treffender darstellen, was Gott für
uns ist. Er kam in Christus hernieder, um uns zu befreien, als
für uns arme Menschen kein Retter da war. Er brachte
Errettung durch Seine Rechte, als niemand vorhanden war, um
zu helfen. „Hierin ist die Liebe Gottes zu uns geoffenbart
worden, daß Gott seinen eingeborenen Sohn in die Welt
gesandt hat, auf daß wir durch ihn leben möchten. Hierin ist
die Liebe: nicht daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns
geliebt und seinen Sohn gesandt hat als eine Sühnung für
unsere Sünden" (1 .Joh 4,9.10). Laßt uns alle ein völliges
Vertrauen zu dieser Liebe haben! Nichts anderes scheint das
Herz Gottes zu den Kindern Israels herniedergezogen zu haben
als ihre Sklaverei, ihr Elend und Seine Liebe und Treue. Wir
sehen am Ende des zweiten Kapitels, daß sie seufzten und
schrieen, aber sie blickten nicht auf zu Gott; Gott aber blickte
hernieder auf sie. „Und Gott hörte ihr Wehklagen, und Gott
gedachte seines Bundes mit Abraham, mit Isaak und mit Jakob;
und Gott sah die Kinder Israel, und Gott nahm Kenntnis von
ihnen" (V.24.25). Ja, alles war von Gott; es war kein Verdienst
bei Israel. Gott hörte - Gott gedachte - Gott sah - Gott kam
hernieder, um zu erretten. Voller Liebe und Mitgefühl offenbarte Er Sich stets als der Helfer und Retter der Unterdrückten.
Sein Name sei gepriesen!
Und war es nicht genauso mit dir, mein lieber christlicher
Leser? Gott hörte dein Seufzen; Er kam mit Erbarmen und
Liebe dir entgegen. Wäre Er nicht gekommen, um uns zu
erretten - welche Seufzer würden dann während der ganzen
Ewigkeit von uns zu hören sein! Aber Er ist gekommen; Jesus
ist für unsere Sünden gestorben, und zwar bevor wir geboren
waren. Darum ist es sicher, daß unsere Erlösung ganz und gar
von Gott ist. Schon vor aller Zeit erwählte Er uns in Christus,
„in welchem wir die Erlösung haben durch sein Blut, die Vergebung der Vergehungen'' (Eph 1,7). Die beiden ersten Kapitel
des Briefes an die Epheser behandeln diesen gesegneten Ge127
genstand ausführlich. Dort steht die ewige Liebe Gottes, aus
welcher unsere Erlösung hervorströmte, vor unseren Herzen.
Doch laßt uns das Bild im 2.Buch Mose ein wenig weiter betrachten. Gott hat Mose Sein Erbarmen und Seine Liebe
verkündigt und sandte ihn hin mit der Botschaft der Befreiung
(Kap. 4); aber die Kinder Israel waren noch in völliger Unwissenheit über die wunderbare Gnade, die für sie bereitstand. Erst
nachdem Mose dem Aaron begegnet war, wurde diese frohe
Botschaft von der Befreiung Gottes dem Volk verkündigt. „Und
das Volk glaubte; und als sie hörten, daß Jehova die Kinder
Israel heimgesucht, und daß er ihr Elend gesehen habe, da
neigten sie sich und beteten an" (Kap. 4,31). Und wie wenig
dachtest du an die Ratschlüsse der Liebe Gottes, als du noch in
der Knechtschaft der Sünde seufztest! Erst als dir Gott durch
Seinen Geist begegnete, da kam „der Glaube aus der Verkündigung, die Verkündigung aber durch Gottes Wort" (Röm 10,17).
In Kapitel 5 wird der Zustand des Volkes immer unerträglicher.
Sie sehnen sich nach Befreiung, sie wünschen anzubeten; aber
ihre Lasten werden vermehrt. Sie bekommen kein Stroh und
können ihre Arbeit nicht vollenden. Das Kapitel endet mit
schlimmer Unterdrückung und nicht mit Errettung. Es ist eine
schmerzliche Sache für eine Seele, durch solche Erfahrungen zu
gehen. Man wollte Ziegel machen, aber da war kein Stroh; man
will das Gute tun, aber das Böse ist vorhanden. Man sehnt sich
anzubeten, man bemüht sich eifrig, die Vorschriften des Gesetzes zu erfüllen; aber man erntet nur Schläge und sieht keine
Rettung. Wie lange war Luther in dieser Not! Warst du es auch,
mein lieber Leser? Dann wirst du verstehen, daß die Vorsteher
der Kinder Israel sahen, „daß es übel mit ihnen stand, weil man
sagte: Ihr sollt nichts mindern am euren Ziegeln: das Tagewerk
an seinem Tage!" (Kap. 5,19). So lebten sie täglich unter
schwerem Druck und vielem Seufzen. - Aber man darf nicht
vergessen, daß die Erlösung damals in Ägypten noch nicht
bekannt war. Solche, die in unseren Tagen durch ähnliche
Erfahrungen gehen - geistlich betrachtet - kennen diese Errettung durch Gott ebenso wenig. Vielleicht befindest du dich
noch in diesem Zustand. Vielleicht kennst du das Evangelium,
128
vielleicht wünschest du, Gott anzubeten und willst auch nicht
mehr in der Sünde leben. Dies alles ist vielleicht das innige
Verlangen deiner Seele; aber die Erlösung selbst hast du noch
nicht kennengelernt. Du genießt sie nicht; du mußt fortwährend
bekennen: Ich habe keine Kraft zu tun, was ich zu tun wünsche,
ebensowenig wie das Volk es konnte. Sie hatten kein Stroh, und
du hast keine Kraft; und jetzt stellt dir Satan die Vorschriften
des Gesetzes vor und sagt, daß sie erfüllt werden müssen. Ja,
welch ein treffendes Bild waren die Treiber Pharaos von jenen,
welche predigten, daß die Errettung von guten Werken abhängig sei! „Und nun gehet hin, arbeitet! Und Stroh wird euch
nicht gegeben werden, und das Maß Ziegel sollt ihr liefern"
(V.18). 'So gehet nun hin und wirket; es sei denn, daß ihr das
Gesetz haltet', „so könnt ihr nicht errettet werden" (Apg 15,1).
Wie übereinstimmend ist dem Wesen nach die Aussage der
beiden Stellen. In Kapitel 6 sehen wir, daß die Verheißungen
Gottes durchaus keine Erleichterung gaben, während das Volk
unter der schrecklichen Last des Sklavendienstes seufzte. In den
Versen 1-8 hören wir die Aussprüche Gottes: „Ich habe die
Wehklage gehört." „Ich habe meines Bundes gedacht." „Ich bin
Jehova." „Ich werde euch herausführen." „Ich werde euch
erretten." „Ich will euch annehmen mir zum Volke." „Ich will
euer Gott sein." „Ich werde euch in das Land bringen." „Ich
werde es euch zum Besitztum geben, ich, Jehova." Doch so
kostbar jene Verheißungen auch waren, so geben sie den Israeliten bei ihrem Abmühen doch nicht die geringste Erleichterung. „Aber sie hörten nicht auf Mose vor Ungeduld und vor
hartem Dienste" (V. 9).
Jede erweckte Seele, die noch unter dem Gesetz ist, wird über
kurz oder lang dieselben Erfahrungen machen. In diesem Zustand sagt man: 'Gewiß, die Verheißungen Gottes sind sehr
köstlich, aber ich kann meine Pflicht nicht erfüllen. Ich habe
versucht, für Gott zu leben und Seine Gebote zu erfüllen; aber
so oft, ja immer versage ich.' Solange die Seele auf dem Boden
der Verantwortlichkeit unter dem Gesetz steht, findet sie nur
Fehltritte, Sünden, Angst und Knechtschaft. Jedes Kind Gottes
weiß, wie stark die Neigung ist, stets bei sich selbst stehenzu129
bleiben. Das hat seinen Grund nur in der Unwissenheit über
die vollkommene Erlösung. Aber Gott sei gepriesen! Wir
stehen nicht in unserer Verantwortlichkeit unter Gesetz wie im
Bilde das geknechtete Volk Israel in Ägypten, sondern stehen
auf dem Boden der Gnade in dem auferstandenen Christus,
durch dessen kostbares Blut wir die Erlösung haben - die
Vergebung der Sünden.
Nun offenbart Gott Seine Macht in den Plagen Ägyptens, in
Seinem Gericht über den stolzen Unterdrücker Seines Volkes;
aber da war noch keine Befreiung. Es sind sehr ernste Bilder
von dem Gericht Gottes in den letzten Tagen, das uns im Buch
der Offenbarung mitgeteilt wird. In jenen Tagen wird der
Unterdrücker des Volkes Gottes völlig vernichtet werden. Wir
wollen aber zu unserem Gegenstand zurückkehren.
Es fällt auf, daß durch eine so große Entfaltung der Macht des
Herrn in Ägypten nicht eine einzige Seele befreit wurde. Wir
sehen das gleiche in den Evangelien. Nach all den reichen
Offenbarungen der Macht und Gnade in dem Leben des Herrn
Jesus hätte Er dennoch am Schluß Seines Dienstes unter den
Menschen allein bleiben müssen, wenn Er nicht noch mehr
getan hätte. So gesegnet Sein Dienst, so groß Seine Wunder, so
herrlich Seine Lehre, so heilig Sein Leben auch war, so hätte
doch nicht ein Mensch errettet werden können, wenn Er nicht
gestorben wäre, der Gerechte für die Ungerechten. Welch eine
Bedeutung hat doch die Erlösung! Ebenso war es in Ägypten.
Wir haben das zärtliche Mitgefühl Gottes gesehen, Seine
wunderbaren Verheißungen gehört, die Offenbarung Seiner
großen Macht gegen den Feind betrachtet -, wir haben dies
alles in den Kapiteln 3-11 gesehen; aber keine einzige Seele
wurde aus der Knechtschaft befreit, bis das Blut des Lammes
gesprengt war. Wie genau ist die Belehrung, die Gott uns in
diesen Bildern gibt!
Wir kommen jetzt zu dem höchst lehrreichen Kapitel 12 jenes
Buches. Wir wollen es mit ganzer Aufmerksamkeit betrachten,
und der Herr möge geben, daß alle Christen die vollkommene
Erlösung, die darin vorgebildet ist, in Wahrheit erkennen!
130
Dieses Kapitel stellt uns die Erlösung durch das Blut Christi
bildlich vor, denn der Apostel sagt: „Denn auch unser Passah,
Christus, ist geschlachtet" (l.Kor 5,7). So wie das „Lamm ohne
Fehl, ein männliches, einjährig" nach einer Verwahrung bis auf
den vierzehnten Tag des Monats dann geschlachtet wurde, so
wurde auch Jesus als das Lamm ohne Flecken geopfert. In
derselben Nacht, wo das Passah geschlachtet wurde, gab auch
Er Sich Selbst für uns dahin. Er sagte: „Mit Sehnsucht habe ich
mich gesehnt, dieses Passah mit euch zu essen, ehe ich leide"
(Lk 22,15). Hat es jemals solch eine Liebe gegeben? - Damals
wurde das Blut „an die Oberschwelle und an die beiden
Pfosten" des Hauses gestrichen. Der Herr sagte zu den Kindern
Israel: „Und das Blut soll euch zum Zeichen sein an den
Häusern, worin ihr seid; und sehe ich das Blut, so werde ich an
euch vorübergehen" (2.Mo 12,13); und Gott erfüllte Sein Wort.
Keine einzige Seele kam in jener Nacht um, welche Seinen
Worten in Bezug auf das Blut glaubte. Gott sagte: „Sehe ich das
Blut, so werde ich an euch vorübergehen". Und beachte wohl,
mein christlicher Leser, was Gott in dem Blut Christi sieht,
denn es handelt sich nicht darum, was du darin siehst. Wir
erfassen den Wert des Sühnungswerkes Christi nur sehr
unvollkommen. Was aber sieht Gott? Seine Antwort auf das,
was Er in dem Opfer Christi sieht, ist der Platz der höchsten
Herrlichkeit, zu welchem Er Christus Jesus erhoben hat, der
Sich Selbst für uns zum Schlachtopfer hingegeben hat. Die
schrankenlose Gnade, die für ewig das Teil der Millionen
Erlösten ist, verkündigt uns, was Gott in dem Blut Christi sieht.
Welch einen Beweis der Liebe gibt uns das Blut des Lammes!
Der Tod Christi-offenbart die Gerechtigkeit Gottes in ihrem
vollen Umfang, denn Christus traf stellvertretend für uns der
Zorn eines heiligen Gottes. Aber zugleich ist der Tod Christi
der Beweis der Liebe Gottes gegen Sünder! Geliebter Leser, es
gibt mir oft großen Trost, so an Gott zu denken. Er hat Seine
Gerechtigkeit bis aufs Äußerste geoffenbart und dennoch Seine
Liebe zu uns in ihrer ganzen Fülle gezeigt. Warum waren die
Oberschwelle und die Türpfosten der Kinder Israel mit Blut
besprengt? Gott liebte Sein Volk! Warum erlöste Er alle Män131
ner, Frauen und Kinder, die in jenen mit Blut besprengten
Häusern wohnten? Er liebte sie! Was sagen dir die mit Blut
besprengten Pfosten? „Gott ist Liebe!" Das Blut ist das
Zeichen von Gottes Liebe zu dir, aber es bezeugt auch: „Ohne
Blutvergießung gibt es keine Vergebung" (Hebr 9,22). Betrachte das Kreuz; was sagt es dir? Warum starb der Heilige
einen solchen Tod? Warum wurden Seine Hände und Füße
durchbohrt? Jene, welche Ihn liebten, waren geflohen, und
jene, welche Ihn haßten, verspotteten Ihn noch. Warum jene
dreistündige Finsternis? Warum jener bittere Schrei: „Mein
Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" In jenen
Stunden der Finsternis, in dem Verlassensein von Gott bezahlte
Jesus den vollen Preis der Erlösung. Er rief aus: „Es ist
vollbracht!" Und Er neigte Sein Haupt und übergab den Geist.
So starb das Lamm Gottes. Ja, das Kreuz beweist: „Gott ist
Liebe!" Aber wir lesen auch: „Ohne Blutvergießung gibt es
keine Vergebung." Laßt uns das wohl beherzigen! Wenn unsere Sünden an Ihm gerichtet wurden, als Er sie an Seinem Leibe
auf dem Kreuz trug, dann können sie auch sicherlich uns nicht
erlassen werden aus irgendeinem anderen Grund als durch Sein
kostbares Blut. Welch ein sicheres Fundament, auf dem meine
Seele für ewig ruhen kann!
Vor jener Nacht des Passahs, in welcher jeder Erstgeborene
Ägyptens getötet wurde, war kein Hebräer aus Ägypten befreit; doch später wurde nicht ein einziger in der Sklaverei
zurückgelassen. Ernste Wahrheit! Der Tod mußte da sein, der
Tod traf Israels Lamm an ihrer Stelle; aber der Tod traf den
Erstgeborenen Ägyptens. Ebenso haben Gericht und Tod
meinen Stellvertreter, Gottes Lamm getroffen, sonst würde der
Tod und der Zorn Gottes mein Teil sein auf ewig. Das Blut war
an die Oberschwelle und an die Türpfosten gestrichen, und der
Herr führte sie aus Ägypten heraus. Ebenso „hat ja Christus
einmal für Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten,
auf daß er uns zu Gott führe" (l.Petr 3,18).
Laßt uns nun das 14. Kapitel betrachten, um die Erlösung noch
besser kennenzulernen. Welch ein Bild von Satans letzter Anstrengung! Vor ihnen war das Meer, hinter ihnen die ganze
132
Macht Pharaos, und rechts und links die Wüste. Das Volk war
in großer Furcht. „Und Mose sprach zu dem Volke: Fürchtet
euch nicht! Stehet und sehet die Rettung Jehovas, die er euch
heute schaffen wird; denn die Ägypter, die ihr heute sehet, die
werdet ihr hinfort nicht mehr sehen ewiglich" (V. 13). Und
welch eine Befreiung bewirkte der Herr in jenen Tagen! Das
Meer wurde geteilt, sodaß die Kinder Israel trockenen Fußes
hindurchgingen ans jenseitige Ufer. Aber in jenem Meer, durch
das sie errettet wurden, kam der Feind, der sie verfolgte, um.
Nicht ein Hebräer kam um, und nicht ein Ägypter wurde
verschont. „Und die Wasser kehrten zurück und bedeckten die
Wagen und die Reiter der ganzen Heeresmacht des Pharao, die
hinter ihnen her ins Meer gekommen waren; es blieb auch
nicht einer von ihnen übrig" (Y. 28). Auf diese Weise errettete
der Herr Israel. Welch eine Errettung! Hätte sie vollständiger
sein können? Alle grausame Knechtschaft, alle Schläge und
Unterdrückungen in Ägypten hatten ein Ende. Welch ein
Anblick mußte es für die Kinder Israel sein, als sie die Ägypter
tot am Ufer des Meeres liegen sahen!
Wenn nun schon das Bild unserer Erlösung so vollkommen
war, wie vollkommen muß dann die Wirklichkeit sein! Es ist
furchtbar für eine arme, zitternde Seele, wenn sie zwar anfängt,
den Wert der Erlösung zu verstehen, aber wenn dann, wie hier
bei Israel, sich die Wogen des Todes hoch vor ihr auftürmen
und Satan sie verfolgt, indem er sie an ihre Sünden erinnert.
Doch was war es für den Anführer unserer Errettung, als am
Ende Seines Lebens auf der Erde der Fürst dieser Welt gegen
Ihn anstürmte und die finsteren Wogen des Zornes Gottes über
Ihn kamen und kein Entrinnen war! Für Ihn gab es kein
Hindurchgehen auf dem Trockenen. Ihm begegnete die ganze
Macht Satans und die äußerste Feindschaft und Wut des
Menschen. Was waren die Heere Ägyptens im Vergleich zu
jenen schrecklichen Stunden, als alle unsere Sünden auf Ihn
gelegt waren! Alle Wogen des Zornes Gottes gingen über Ihn
hinweg. Aber warum wälzten sich diese Wasser des Todes auf
Seine Seele? Er trug es freiwillig, damit wir durch Tod und
Gericht „trockenen Fußes" hindurchgehen möchten, im Bilde
133
gesehen. Er kam auf diese Erde, „auf daß er durch den Tod den
zunichte machte, der die Macht des Todes hat, das ist den
Teufel, und alle die befreite, welche durch Todesfurcht das
ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren"
(Hebr 2,14.15). Wie vollkommen ist diese Befreiung! Unser
hochgelobter Befreier ist jetzt nicht mehr unter den finsteren
Wogen des göttlichen Zorns, sondern ist auferstanden aus den
Toten. Alle unsere Sünden sind für ewig getilgt; und so wie
durch das Rote Meer der Pharao und sein ganzes Heer
umkamen, so machte Jesus den zunichte, der die Macht des
Todes hat, das ist den Teufel. Auf diese Weise sehen wir in
Wahrheit das Heil oder die Rettung durch Gott in dem Tod
Christi.
Es war eine ganz und gar neue Stellung für Israel, von Ägypten
getrennt und zu Gott gebracht worden zu sein, obwohl sie noch
in der Wüste waren. Wieviel sie auch noch zu lernen hatten,
so konnten doch Mose und sie jetzt das Loblied ihrem Gott
singen. Welch ein Lied der vollkommenen Befreiung! Lies es
einmal mit Aufmerksamkeit. Ist das auch die Sprache deines
Herzens? Kannst du dich ebenso erfreuen in der vollkommenen
Errettung durch Gott? Verstehst du die Belehrung dieser gesegneten, vom Geiste Gottes mitgeteilten Geschichte? Hat nicht der
Tod Jesu, des Lammes Gottes, die Stellung eines jeden, der an
Ihn glaubt, völlig verändert? Ist nicht die ganze Macht der
Sünde und die Macht Satans überwunden und zunichte gemacht
worden, als sie Ihm als deinem heiligen Stellvertreter begegnete? Als die Kinder Israel auf das Rote Meer zurückblickten
und die toten Leiber ihrer Feinde sahen, da hofften sie nicht,
errettet zu werden, sondern waren von ihrer Errettung völlig
überzeugt. Und kann ich in das leere Grab Jesu zurückblicken
und nur hoffen, errettet zu werden? Es ist gewiß ein vollendetes
Werk. Die Kinder Israel sangen: „Singen will ich Jehova, denn
hoch erhaben ist er; das Roß und seinen Reiter hat er ins Meer
gestürzt. Meine Stärke und mein Gesang ist Jah, denn er ist mir
zur Rettung geworden; dieser ist mein Gott, und ich will ihn
verherrlichen, meines Vaters Gott, und ich will ihn erheben"
(2.Mo 15,1.2). Ja, jeder Satz redet von Gewißheit und Freude.
134
Und sollte nicht die Sprache des Christen ebenso zuversichtlich
sein? „Danksagend dem Vater, der uns fähig gemacht hat zu
dem Anteil am Erbe der Heiligen in dem Lichte, der uns errettet
hat aus der Gewalt der Finsternis und versetzt in das Reich des
Sohnes seiner Liebe, in welchem wir die Erlösung haben, die
Vergebung der Sünden" (Kol 1,12-14).
Leider kann ich die gesegneten Wahrheiten in diesen göttlichen Vorbildern nur kurz andeuten.
Das Rote Meer hatte also Israel von Ägypten getrennt; Israel
war tot für Ägypten, und die Ägypter waren tot für Israel.
Lieber gläubiger Leser, bist du nicht durch den Tod Christi der
Welt gestorben und die Welt für dich? Niemand von dem Heer
Pharaos war übriggeblieben, um einen Stein auf das erlöste
Volk Gottes zu werfen. Bist du überzeugt, daß der Wert des
Blutes Christi so unermeßlich groß ist, daß dir nicht eine
einzige Sünde mehr zur Last gelegt werden kann? Es ist nicht
mehr der Tod, gleich einem tiefen, eingeengten Strom, der dich
vom Himmel trennt; sondern jener tiefe, eingeengte Strom des
Todes, in welchem Jesus deinen Platz einnahm und für dich
hindurchging, trennt dich für immer von der Welt, der Sünde
und Satan. Tod und Gericht, Sünde, Satan und Welt - alles ist
dahinten; und ebenso wie Israel am jenseitigen Ufer des
Meeres das Loblied sang, so können wir es singen, nachdem
der Vater uns aus der Gewalt der Finsternis errettet und in das
Reich des Sohnes Seiner Liebe versetzt hat.
Ist dies nicht ein wirklich glücklicher und gesegneter Platz?
Doch du sagst vielleicht: 'Dies alles glaube ich; aber ich bin
nicht mehr so glücklich wie am Anfang meiner Bekehrung.'
Das ist sehr gut möglich und hat vielleicht seinen Grund darin,
daß anfangs, als Gott deiner Seele Frieden gab, dein Herz mit
Christus erfüllt war und du jetzt mehr mit dir selbst beschäftigt
bist. Wenn dies der Fall ist, so bist du aufs Neue auf den
Boden des Gesetzes zurückgekehrt. Nichts ist wirksamer, den
Genuß des Friedens zu untergraben. Du betrachtest das Gesetz
wahrscheinlich nicht als ein Mittel zur Errettung, aber als eine
Regel oder Richtschnur des Lebens. Siehst du den Sklaven135
dienst in Ägypten als Regel für das Leben an, so wird es bald
wieder zur traurigen Knechtschaft werden. Ich habe nie
gefunden, daß jemand, der das Gesetz zur Lebensregel machte,
den Frieden mit Gott wirklich genoß. Doch geradeso wie die
Erlösung aus Ägypten die Hebräer völlig von der Sklaverei
befreite, so befreite auch der Tod Christi den gläubigen Juden
vollständig von der Knechtschaft unter dem Gesetz. Ich sage:
den Juden; denn obgleich die Menschen oft lehren, daß die
ganze Welt unter dem Gesetz sei, so ist das doch nur eine
große Verwirrung und steht zur Schrift im völligen Widerspruch. Natürlich war das Gesetz nicht von Adam bis Moses
gegeben; aber dann wurde es nur den Kindern Israel gegeben,
und dies geschah vierhundertunddreißig Jahre nach der dem
Abraham gegebenen Verheißung, die seinem Samen bestätigt
wurde, welcher Christus ist (Gal 3). Doch die Juden waren
unter dem Gesetz. Das Gebot war notwendig, um den Menschen von der Sünde zu überzeugen und sein Bedürfnis nach
Erlösung zu erwecken. Durch das Gesetz kam auch die Übertretung, aber nicht die Gerechtigkeit.
Die Juden standen wirklich unter dem Gesetz. Es war eine
große Seite des Todes Christi, sie vom Gesetz zu erlösen, wie
geschrieben steht: „Christus hat uns losgekauft von dem
Fluche des Gesetzes, indem er ein Fluch für uns geworden ist";
und wiederum: „Als aber die Fülle der Zeit gekommen war,
sandte Gott seinen Sohn, geboren von einem Weibe, geboren
unter Gesetz, auf daß er die, welche unter Gesetz waren, loskaufte" (Gal 3,13; 4,4.5). Die Erlösung vom Gesetz war also
genauso wichtig wie die Erlösung von der Sünde und dem
Fluch. Dieselbe Wahrheit wird im Brief an die Römer betont.
Der Gläubige ist durch den Leib Christi ebenso dem Gesetz
gestorben wie der Sünde (Röm 7,4; 6,2).
Aber was heißt es, dem Gesetz gestorben oder vom Gesetz
losgekauft zu sein? Was hieß es, unter dem Gesetz zu sein?
Die Betrachtung über die Sklaverei in Ägypten wird uns die
Sache klarmachen. Der hebräische Sklave war verantwortlich
zu tun, was er nicht zu tun vermochte. Der Mensch unter dem
Gesetz ist in der gleichen Stellung: Er ist verantwortlich zu tun,
136
was er nicht zu tun vermag. Und jeder Mensch, sei er Jude
oder Christ, ist verantwortlich, das zu tun, was er eigentlich gar
nicht tun kann, wenn er sich auf den Boden des Gesetzes stellt.
„So ist also das Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht
und gut" (Röm 7,12); aber der Mensch entdeckt, daß er selbst
verloren, fleischlich, unter die Sünde verkauft ist. Wenn er das
Gute tun will, so merkt er, daß das Böse bei ihm vorhanden ist.
In dieser Stellung ist er höchst elend. Er tut das, was er haßt;
und das, was er tun will, vermag er nicht zu tun. Vielleicht
sagst du: 'Genauso ist es mit mir.' Es ist in der Tat so; und so
ist es mit jedem, der unter Gesetz ist. Du warst freilich nicht
wie Israel unter dem Gesetz vom Sinai; doch kann es sein, daß
du dich wie die Galater wieder unter das Joch der Knechtschaft
bringen läßt. Bei vielen Gläubigen ist das der Fall; daher ist es
kein Wunder, daß sie so elend und niedergedrückt sind. Fast
ihr ganzes Leben sind sie in trauriger Knechtschaft. Sie empfinden, daß sie das ganze Gesetz erfüllen sollten; da sie aber in
jedem Punkt versagen, so kommen sie oft an den Rand der
Verzweiflung.
Nun könnte man fragen: Wenn nun das Gesetz nicht die Regel
des Lebens ist, gibt es denn gar keinen Grundsatz des heiligen
Gehorsams? Gewiß, aber der Grundsatz kann nicht dem der
Knechtschaft unter Gesetz gleich sein. Das Gesetz sagte dem
Menschen, was recht war, aber es gab ihm keine Kraft, das
Rechte zu tun; es forderte ihn zwar zum Tun auf, aber der
Mensch tat das, was er als böse erkannte. Deshalb gereichte
ihm das Gesetz nur zur Verdammnis. Aus diesem Zustand nun
sind jene, die in ihm waren, völlig errettet. So wie Israel einst
aus Ägypten geführt und vollständig befreit wurde von dessen
grausamer Knechtschaft, so waren sie jetzt völlig befreit oder
losgekauft von der Sünde, von dem Tod und von dem Gesetz.
Aber auch wir, die nicht unter dem Gesetz standen, sondern
ganz gesetzlos waren, sind errettet von dem alten Zustand des
verlorenen und schuldigen Menschen und zu Gott gebracht
worden auf einem ganz und gar neuen Boden der Verantwortlichkeit des Menschen. Wir sind nicht mehr Sklaven der
Sünde, sondern Söhne Gottes, aus Gott geboren, und haben
137
eine neue Natur. Dazu noch haben wir den Geist Gottes in uns
wohnend, wie geschrieben steht: „Weil ihr aber Söhne seid, so
hat Gott den Geist Seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der
da ruft: Abba, Vater!" (Gal 4,6). Und es gibt noch einen
anderen Charakter der Erlösung: „Mit seinem eigenen Blute ist
er ein für allemal in das Heiligtum eingegangen, als er eine
ewige Erlösung erfunden hatte" (Hebr 9,12).
Der Israelit konnte möglicherweise nach Ägypten zurückkehren, aber das kann der Gläubige nicht, der durch das Blut
Christi eine ewige Erlösung hat. Er ist fähig zu sagen: „Ich bin
mit Christo gekreuzigt"; 'mein ganzer voriger Zustand ist für
immer beseitigt.' Laßt uns diese Worte wohl beherzigen: Eine
ewige Erlösung.' Die Schuld von allen deinen Sünden ist für
immer ausgetilgt; der Tod, ja, der Tod auf dem Kreuz hat allem
für immer ein Ende gemacht. Es ist nicht mehr eine Frage der
Hoffnung, sondern es ist Wirklichkeit; wir haben eine ewige
Erlösung. Wo man das versteht, da gibt es Ruhe. Sogar in
dieser Beziehung ist das Vorbild sehr treffend. Sobald die
Erlösung und Befreiung aus Ägypten vollendet war, machte
Gott die Hebräer mit dem Sabbath oder der Ruhe bekannt, aber
nicht eher! Wir hören, daß Gott am siebenten Tag von all
Seinem Werk ruhte, nachdem Er Himmel und Erde und all ihr
Heer vollendet hatte. Aber von Adam bis Mose hören wir von
keinem Sabbath für den Menschen. Gewiß sagt uns Gott
dadurch, daß es keine Ruhe für den Sünder geben kann als nur
durch das Blut des Lammes. Die ewige Erlösung gibt ewige
Ruhe. Selbst wenn wir einst in der Herrlichkeit sind, wird sie
nicht vollkommener sein. Nichts kann ihrem Wert etwas hinzufügen oder von ihm etwas wegnehmen. Erkennst du, daß
dies der Platz der unbegrenzten Segnung ist, an welchen Gott
dich gebracht hat? Und wenn du es erkennst, rühmst du dich
allein des Kreuzes Christi? Der Herr gebe, daß wir allezeit in
Seinem kostbaren Wort forschen und Ihm von Herzen glauben!
138
„Fünf Worte."
1.Korinther 14,19
Es ist wunderbar, in welcher Weise die Worte der Schrift auf
unser Herz wirken. Sie sind in der Tat „wie Treibstacheln, und
wie eingeschlagene Nägel die gesammelten Sprüche; sie sind
gegeben von einem Hirten" (Pred 12,11). Manchmal ist nur ein
Ausspruch oder ein Teil davon nötig, um zum Herzen zu
reden, das Gewissen zu durchbohren und den Geist zu beschäftigen. Das Wort Gottes wirkt in einer solchen Weise, daß
dadurch die göttliche Inspiration des Buches, worin jener Ausspruch sich befindet, für jeden Aufrichtigen völlig klar wird.
Beim Lesen des Wortes Gottes sind wir beeindruckt von seinen
treffenden und machtvollen Urteilen, seiner Fülle und Tiefe,
der Anwendungsfähigkeit und Anwendungskraft, der Entfaltung der Quellen der Natur, der Offenbarung der Verborgenheiten des Herzens, der Schärfe, der Energie. Dies erfreut das
Herz zu allen Zeiten, aber besonders in der gegenwärtigen, wo
der Feind Gottes und des Menschen auf allerlei Weise versucht, das Wort Gottes anzugreifen.
Diese Gedanken haben oft mein Herz beschäftigt, wenn ich
obenstehenden Ausdruck las. „Aber in der Versammlung",
sagt der sich selbst verleugnende und demütige Apostel, „will
ich lieber fünf Worte reden mit meinem Verstände, auf daß ich
auch andere unterweise, als zehntausend Worte in einer
Sprache". Wie wichtig ist das für alle, die in der Versammlung
reden! Wir wissen, daß die fremden Sprachen damals einen
Wert hatten. Sie waren ein Zeichen für die Ungläubigen. In der
Versammlung aber waren sie nutzlos, wenn kein Ausleger da
war.
Der große Zweck, in der Versammlung zu sprechen, ist die
Erbauung, und dieser Zweck kann zunächst nur dadurch erreicht werden, daß man versteht, was gesprochen wird. Es ist
ganz und gar unmöglich, daß jemand mich erbauen kann, wenn
ich nicht verstehe, was er sagt. Er muß in einer verständlichen
139
Sprache reden, deutlich und vernehmbar, sonst kann ich keine
Erbauung empfangen. Das ist eigentlich ganz einfach, aber es
verdient die größte Aufmerksamkeit aller, die öffentlich sprechen.
Ferner sollten wir es wohl beachten, daß wir nur dann ein Recht
haben, in der Versammlung zu sprechen, wenn der Herr Selbst
uns einen Auftrag dazu gegeben hat. Wenn es nur „fünf Worte"
sind, so laßt uns diese aussprechen und uns wieder hinsetzen.
Nichts kann unverständlicher sein, als zu versuchen, „zehntausend Worte" zu sprechen, wenn der Herr nur „fünf gegeben
hat. Es ist sehr zu bedauern, daß es in den Versammlungen oft
so etwas gibt. Welch ein Segen würde es sein, wenn wir über
das uns zugeteilte Maß nicht hinausgingen! Jenes Maß mag
gering sein; das ist nicht entscheidend. Laßt uns immer einfach,
ernst und wahrhaftig sein. Ein ernstes Herz ist besser als ein
fähiger Kopf, und ein inbrünstiger Geist besser als eine gewandte Zunge. Ein reines, herzliches Verlangen, das wahre
Wohl der Seelen zu fördern, wird sich bei den Menschen wirksamer und bei Gott annehmlicher erweisen als die glänzendste
Gabe ohne dieses. Wir sollen ohne Zweifel nach den besten
Gaben streben; aber wir sollten vor allem auch den „vortrefflicheren Weg" im Auge behalten - den Weg jener Liebe, die
immer sich selbst verbirgt und nur den Nutzen der anderen
sucht. Damit ist nicht gemeint, daß wir die Gaben geringer
achten, sondern daß wir die Liebe höher achten sollen.
Schließlich würde es viel helfen, jene einfache Regel stets zu
beachten: 'Nimm dir nicht vor, etwas sagen zu wollen, weil dir
zu reden gegeben ist, sondern rede, weil dir etwas gegeben ist,
das gesagt werden sollte.' Das ist sehr einfach. Es ist völlig
verkehrt, wenn jemand nur sucht, so viel Stoff zusammenzubringen, wie nötig ist, um einen gewissen Zeitraum auszufüllen.
Das sollte niemals der Fall sein. Wenn der Lehrer oder Prediger
mit Fleiß auf seinen Dienst achtet, seine Gabe nicht verkümmern läßt, auf die Leitung, Kraft und Segnung Gottes wartet, im
Geist des Gebets lebt und die Atmosphäre der Schrift um sich
her verbreitet, so wird er immer zum Gebrauch des Meisters
zubereitet sein, und seine Worte - seien es „fünf oder „zehn140
tausend" - werden sicher Christus verherrlichen und dem Menschen nützlich sein. Das wird aber nicht der Fall sein ohne die
Überzeugung, daß Gott einen Auftrag gegeben hat, und ohne
den Wunsch, es zur Erbauung zu sagen. Der Herr möge uns
durch Seinen Geist in dieser so wichtigen Sache leiten und
unsere Herzen einfältig machen! Der Dienst ist völlig nutzlos,
wenn er nicht zur Ehre des Herrn und zum Wohl der Seinigen
gereicht; ja, er ist oft sogar ein Schaden für uns und andere.
Worte ohne Leben und Kraft schwächen uns selbst und die
Versammlung. Das sollte jeder beherzigen, der in der Versammlung lehrt oder ermahnt. Unsere Verantwortung in dieser
Sache ist sehr groß, und der Herr gebe, daß wir sie alle fühlen!
So gesegnet es auch ist, wenn wir vom Herrn zur Erbauung der
Versammlung benutzt werden, so verwerflich ist es auch, wenn
wir ohne Ihn wirken wollen. Das schwächt die Versammlung.
Gedanken
Die Liebe Gottes ist die Quelle, aus welcher die Erlösung fließt.
Das vollkommene Opfer Christi ist der Kanal, durch welchen
sie fließt. Der Glaube, gewirkt in der Seele durch den Heiligen
Geist, ist die Kraft des Genusses, und das ewige Leben, das wir
jetzt schon kennen dürfen, ist die Folge (Joh 3,16).
Mein Gewissen ist völlig zur Ruhe gekommen durch das Werk
Christi - alles ist gutgemacht. Gott ist in Bezug auf meine Sünde durch dieses Werk völlig verherrlicht worden. Das Sehnen
meines Herzens aber kann nur befriedigt werden durch die
Person Christi. Es muß dort seine Freude und Wonne haben,
wo Gott Selbst sie hat - in dem Geliebten.
141
Über das Erkennen des Willens /
Gottes
Wenn ein Kind im allgemeinen seinem Vater gegenüber
gleichgültig ist und sich keine Mühe gibt, seine Gedanken und
seinen Willen kennenzulernen, so ist leicht vorauszusehen, daß
ein solches Kind in einem schwierigen Fall nicht wissen wird,
wie es sich zu verhalten hat, um dem Vater Freude zu machen.
Dagegen wird z.B. eine Frau wohl wissen, was ihrem Mann
angenehm ist, selbst in solchen Fällen, worin er seinen Willen
noch nicht kundgetan hat, falls sie die Gefühle und den Geist
einer wahren Gattin hat. Es gibt nun gewisse Dinge, über die
Gott in Seinem Wort nur in allgemeinen Grundsätzen spricht,
damit der Seelenzustand des einzelnen geprüft wird. Dieser
Prüfung kann ein Gläubiger nicht entgehen; Gott wird es niemals Seinen Kindern erlauben. „Wenn nun dein Auge einfältig
ist, so wird dein ganzer Leib licht sein" (Mt 6,22). - Gott hat
uns also nicht für jede Sache in das einzelne gehende Regeln
gegeben, um Seinen Willen zu erkennen; sondern diese Erkenntnis steht immer in Beziehung zu unserem Seelenzustand.
Da wir sehr geneigt sind, hoch von uns selbst zu denken,
kommt es aber oft vor, daß wir uns einbilden, in dieser oder
jener Sache den Willen Gottes zu erkennen, obwohl Gott uns
gar nichts darin zu sagen hat. Das Übel ist die Unruhe, die wir
uns selbst in Bezug auf jene Sache machen. Gottes Wille aber
in solchem Fall ist, still zu sein und zunächst nichts zu tun.
Ein anderes Mal suchen wir in den augenblicklichen Umständen den Willen Gottes zu erkennen, weil wir nicht wissen, wie
wir uns verhalten sollen, während Sein einziger Wille ist, daß
wir uns gar nicht in jenen Umständen befinden. Wenn unser
Gewissen in Tätigkeit wäre, so hätte es uns schon dazu gebracht, diese Umstände zu verlassen oder aufzugeben. Unser
eigener Wille hat uns dort hingebracht; trotzdem möchten wir
den Trost Gottes genießen, von Gott darin geleitet werden -
und zwar auf einem Weg, den wir uns selbst erwählt haben.
Das kommt sehr oft vor.
142
Andererseits aber können wir gewiß sein, daß es für uns nicht
schwer sein wird, Seinen Willen zu erkennen, wenn wir uns
nahe bei Ihm aufhalten. Es kann natürlich in einem langen
Leben vorkommen, daß Gott uns in Seiner Liebe nicht immer
sogleich Seinen Willen offenbart, um uns unsere Abhängigkeit
fühlen zu lassen, denn wir haben oft die Neigung, nach unserem
eigenen Willen zu handeln. Aber wenn „dein Auge einfältig ist,
so wird dein ganzer Leib licht sein". Daraus folgt auch das
Umgekehrte: Wenn das Auge nicht einfältig ist, so ist auch der
ganze Leib nicht licht. Manche mögen sagen: Das ist ein
armseliger Trost! Ich aber erwidere: Es ist ein reicher Trost für
alle, deren einziger Wunsch es ist, ein einfältiges Auge zu haben und mit Gott zu wandeln. Man kann sich dieser Forderung
des Wortes Gottes an unseren Wandel nicht entziehen. „Wenn
jemand am Tage wandelt, stößt er nicht an, weil er das Licht
dieser Welt sieht; wenn aber jemand in der Nacht wandelt, stößt
er an, weil das Licht nicht in ihm ist" (Joh 11,9.10). „Wer mir
nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern wird
das Licht des Lebens haben" (Joh 8,12). Der Grundsatz ist
immer derselbe. „Deshalb hören auch wir nicht auf, von dem
Tage an, da wir es gehört haben, für euch zu beten und zu
bitten, auf daß ihr erfüllt sein möget mit der Erkenntnis seines
Willens in aller Weisheit und geistlichem Verständnis, um
würdig des Herrn zu wandeln zu allem Wohlgefallen, in jedem
guten Werke fruchtbringend, und wachsend durch die Erkenntnis Gottes" (Kol 1,9.10). Die Verbindung dieser Dinge ist sehr
wichtig für die Seele. Man muß den Herrn gut kennen, um
Seiner würdig zu wandeln, und auf diese Weise wachsen wir in
der Erkenntnis des Willens Gottes. „Und um dieses bete ich,
daß eure Liebe noch mehr und mehr überströme in Erkenntnis
und aller Einsicht, damit ihr prüfen möget, was das Vorzüglichere sei, auf daß ihr lauter und unanstößig seid auf den Tag
Christi" (Phil 1,9.10). Schließlich steht auch geschrieben, daß
„der geistliche [Mensch] aber alles beurteilt; er selbst aber wird
von niemand beurteilt" (1.Kor 2,15).
Die Erkenntnis des Willens Gottes ist also abhängig von unserem geistlichen Zustand. Unsere Aufgabe ist es immer, uns
143
nahe beim Herrn aufzuhalten. Nur dann erlaubt uns Gott,
Seinen Willen zu erkennen; und wer Seinen Willen ohne dieses
Nahesein beim Herrn zu erkennen sucht, der sucht verkehrt.
Man möchte es natürlich ganz bequem haben. Ein 'Befehlshaber
des Gewissens' soll praktisch verhindern, daß unser moralischer
Zustand offenbar wird und u.U. Züchtigung erfordert. Aber es
verhält sich nicht so, und das sehen wir immer wieder. Wie oft
kommt es vor, daß ein Christ in einer Sache im Zweifel und in
Verlegenheit ist, während ein anderer, der geistlicher ist, darin
so klar sieht wie am Tage und sich, da er nicht die geringste
Schwierigkeit sieht, über jenen wundert. Endlich merkt der
Erste, daß diese vermeintliche Schwierigkeit nur in seinem
eigenen Zustand begründet ist. „Denn bei welchem diese Dinge
nicht sind, der ist blind, kurzsichtig ..." (2.Petr 1,9).
Was nun die Umstände betrifft, so glaube ich, daß man
manchmal von ihnen geleitet werden kann, aber nicht immer.
Wir finden das selbst im Wort Gottes bestätigt durch den
Ausdruck „Bändigen mit Zaum und Zügel". Schöner ist es,
wenn für uns gilt: „Ich will dich unterweisen und dich lehren
den Weg, den du wandeln sollst; mein Auge auf dich richtend,
will ich dir raten" (Ps 32,9.8). Dies ist das Vorrecht und die
Verheißung für den, der in Gemeinschaft mit Gott wandeln
möchte. Man muß aber dem Herrn recht nahe sein, um den
Wink Seiner Augen zu verstehen; Er hat verheißen, uns so zu
leiten, und Er ist treu. Zugleich warnt Er uns davor, nicht wie
Rosse und Maultiere zu sein, die keinen Verstand haben; sie
kennen weder den Willen noch die Wünsche und Gedanken
ihres Meisters, und deshalb müssen sie mit „Zaum und Zügel"
geleitet werden. Allerdings ist dies besser als anzustoßen und
dann zu fallen oder sich gegen Den aufzulehnen, der uns führt;
aber es ist ein trauriger Zustand. Von Seiten Gottes ist es
immer Erbarmen, daß Er es tut; aber auf unserer Seite steht es
traurig, wenn es nötig ist. Doch müssen wir gut beachten, daß
zwischen dem Erkennen des Willens Gottes in den Umständen
und dem Geleitetwerden durch die Umstände ein großer Unterschied ist. Wer sich nur von ihnen leiten läßt, handelt in Bezug
auf den Willen Gottes ohne Gemeinschaft mit Ihm, seine
144
Handlungsweise hat gar keine moralische Grundlage; durch
äußere Macht wird er gezwungen. Es kann aber oft vorkommen, daß ich im Voraus über eine Sache nicht einen bestimmten Entschluß fassen kann, da ich weiß, welche Umstände
eintreten können; sobald aber diese Umstände da sind, erkenne
ich mit völliger und göttlicher Gewißheit die Absicht des
Geistes. Das erfordert einen hohen Grad von geistlichem
Verständnis und heißt nicht, durch die Umstände, sondern von
Gott in den Umständen geleitet zu werden. Sobald die Umstände eintreten, kann ich dann beurteilen, was ich zu tun habe,
weil ich Ihm nahe genug bin.
Wenn wir um Erkenntnis Seines Willens bitten, so kann Gott
gewisse fleischliche Einflüsse entfernen und geistlichen Einflüssen einen größeren Raum in der Seele geben. Er kann uns
auch an eine Pflicht erinnern, die wir vielleicht ganz vergessen
haben, weil ein gewünschter Gegenstand uns zu sehr beschäftigt hatte. Ähnliches kann aber auch zwischen zwei Personen
vorkommen. Vielleicht hat der eine nicht genug Unterscheidungsvermögen, um selbst das Gute in einer Sache zu erkennen; sobald aber ein anderer ihn darauf aufmerksam macht,
erkennt er es völlig. Das Licht, das Gott uns für unseren Weg
in bestimmten Umständen gibt, bleibt aber nicht immer ein
bloßer Eindruck für uns, sondern ist meist so klar wie der helle
Tag. Gott gibt es uns, wenn wir mit Ihm wandeln und auf
Seine Stimme hören.
Der Fall, daß jemand ohne Kenntnis des Willens Gottes handelt, sollte bei einem Gläubigen nicht vorkommen. Die einzige
Regel, die man geben kann, lautet, nie zu handeln, wenn man
den Willen Gottes nicht kennt. Wenn man aber dennoch
handelt, so hat man sich praktisch den Umständen überliefert,
obwohl Gott auch dann noch alles zu unserem Besten lenken
kann. Aber warum sollen wir handeln, wenn wir den Willen
Gottes nicht kennen? Ist denn die Notwendigkeit zum Handeln
so dringend? - Wenn wir aber bei einer Handlung völlig sicher
sind, den Willen Gottes zu tun, so soll kein Hindernis uns bestürzt machen oder aufhalten; es ist dann nur eine Glaubensprüfung für uns. Wenn wir nicht nahe genug beim Herrn
145
wandeln, so erkennen wir vielleicht noch das Richtige, haben
aber doch nicht Glauben und Kraft genug, es auch zu tun.
Wenn wir unseren eigenen Willen tun oder nachlässig sind in
unserem Wandel, so warnt uns Gott in Seiner Barmherzigkeit
manchmal durch ein Hindernis. Wenn wir darauf achten, so
werden wir auf diesem Weg nicht weitergehen; „die Einfältigen aber gehen weiter und leiden Strafe" (Spr 22,3; 27,12).
Gott kann aber auch erlauben, daß Satan uns ein Hindernis in
den Weg legt, damit wir in der Abhängigkeit vom Herrn
erhalten bleiben; aber Satan kann seine Wirksamkeit nur auf
das Fleisch ausüben. Wenn wir nicht wachsam sind und uns
sogar von Gott entfernen, so kann Satan uns schaden; anders
aber ist es nur eine Glaubensprüfung, um uns vor einer Gefahr
oder einem Fallstrick zu warnen - vor etwas, das uns hochmütig machen könnte. Es dient zu unserer Züchtigung. Gott
erlaubt also dem Satan, den Geist zu betrüben und dem Fleisch
Leiden zu bereiten, damit der innere Mensch vor dem Bösen
bewahrt bleibt. Ist das nicht der Fall, so sind es wahrscheinlich
unsere Wenn und Aber, die uns aufhalten, oder es sind die
Folgen unserer Nachlässigkeit, die dem Satan die Für geöffnet
haben, um uns durch Zweifel und scheinbare Schwierigkeiten
zu beunruhigen, indem wir dann nicht mehr klar sehen.
„Sondern der aus Gott Geborene bewahrt sich, und der Böse
tastet ihn nicht an" (l.Joh 5,18).
Manche für uns unlösbare Frage würde aber auch nicht vorhanden sein, wenn wir uns nicht in einer solchen Lage befänden,
wenn wir vorher in einem guten Seelenzustand gewesen wären
und wenn eine wahre geistliche Gesinnung uns bewahrt hätte.
Nun ist es vor allem nötig, daß wir uns wegen dieser Sache
demütigen. Zugleich müssen wir untersuchen, ob wir in der
Schrift nicht einen Grundsatz finden, der uns leiten könnte. Dazu
ist einzig und allein eine wahre geistliche Gesinnung nötig.
Die einfache Regel, das zu tun, was der Herr Jesus in den
gleichen Umständen getan hätte, ist dort, wo man sie anwenden kann, sicherlich gut. Aber befinden wir uns immer in
denselben Umständen, worin der Herr Sich befunden hat? -
146
Ferner ist es oft nützlich, aufrichtig zu fragen, woher der
Wunsch kommt, dieses oder jenes zu tun. Ich habe gefunden,
daß dies in der Hälfte der Schwierigkeiten, die einem Christen
begegnen können, die Entscheidung gibt. Zwei Drittel der
restlichen Schwierigkeiten sind die Folge davon, daß wir nicht
warten konnten, aber auch die Folge früherer Sünden.
Wenn eine Sache von Gott kommt und nicht vom Fleisch, so
haben wir uns in Bezug auf ihre Ausführung nur einfach an
Gott zu wenden, der uns gewiß nicht ohne Leitung darin lassen
wird. Es ist also von großer Wichtigkeit, die Beweggründe zu
wissen, die uns in dieser oder jener Sache leiten. Und diese
würden mehr an den Tag kommen, wenn unsere Liebe mehr in
Tätigkeit wäre oder mehr in der Gegenwart Gottes ausgeübt
würde. Dann würden wir sehr oft finden, daß auf unserer Seite
nur Selbstsucht war.
Vielleicht könnte jemand fragen: Wie ist zu handeln, wenn es
bei einer Sache weder um Liebe noch um Gehorsam geht?
Dann erwidere ich, daß man einen Grund zum Handeln zeigen
muß; denn wenn es nur unsere Eigenliebe ist, so denke man ja
nicht, daß Gott Sich unserem Willen fügen wird. Auch dies ist
eine Ursache vieler Schwierigkeiten. In einem solchem Fall
wird Er uns in Seiner Gnade den Weg des Gehorsams zeigen
und uns deutlich machen, wieviel Zeit wir mit unserer eigenen
Tätigkeit verloren haben. Zum Schluß möchte ich noch das
Wort des Psalmisten hinzufügen: „Er leitet die Sanftmütigen
im Recht und lehrt die Sanftmütigen seinen Weg" (Ps 25,9).
Übrigens sollen wir nicht vergessen, daß die Weisheit Gottes
uns leitet, den Willen Gottes zu tun. Wenn unser Eigenwille in
Tätigkeit ist, wird Gott nicht mit uns sein. Das ist das Wesentlichste. Es ist das Geheimnis des Lebens Christi. Ich kenne
keinen anderen Grundsatz, nach dem Gott mit uns handelt,
obwohl Er vergibt und alles zu unserem Besten lenkt. Der Platz
eines Türhüters ist, an der Tür zu warten. Wenn er das tut, so
tut er den Willen seines Herrn. Auch können wir sicher sein,
daß Gott mehr in uns tut, als wir für Ihn; und was wir tun, ist
nur dann für Ihn, wenn Er Selbst es in uns gewirkt hat.
147
„Christus wohne in euren Herzen."
Vor einiger Zeit lag ein junger Mann auf seinem Sterbebett,
der durch den Glauben an den Herrn Jesus dem Tod ohne
Furcht ins Auge schauen konnte. Dennoch genoß sein Herz
wenig Freude auf seinem Sterbelager; es fehlte an einem
„reichlichen Eingang in das ewige Reich unseres Herrn und
Heilandes Jesus Christus" (2.Petr 1,11).
Ein erfahrener Diener des Herrn, der ihn besuchte und mit ihm
von der unaussprechlichen Herrlichkeit sprach, die auf ihn
wartete, fragte ihn, ob sein Herz über diese glückliche Aussicht
mit Freude erfüllt sei. Der sterbende junge Bruder erwiderte:
"Was meine Sünden betrifft, so habe ich Frieden durch den
Glauben an das kostbare Blut Christi, aber der Himmel kommt
mir vor wie ein fremdes, unbekanntes Land; und ich habe eine
gewisse Furcht, wenn ich daran denke, daß ich so allein in
diesen geheimnisvollen, verborgenen Ort eintreten muß." Sein
älterer Freund merkte bald, woran es fehlte. Er ruhte zwar auf
dem Opfer Christi, aber er machte sich nicht vertraut mit dem
Herrn als einem lebendigen Heiland. Deshalb sagte er ihm, daß
er nicht den Himmel vor seinen Geist stellen solle, sondern die
gesegnete Tatsache, daß der geliebte Herr, dem er seine Erlösung und alles verdanke, dort wäre, um ihn zu empfangen; so
würde ihm der Himmel nicht mehr ein fremder Ort sein. Da
wurde das Herz des Sterbenden durch die Gnade Gottes bald
mit großer Freude erfüllt. Es war ihm ein kostbarer Gedanke,
Jesum zu sehen und für immer bei Ihm zu sein - bei Jesu, der
ihn geliebt und Sich Selbst für ihn hingegeben hatte. Jetzt
waren seine letzten Stunden voller Freude, denn nicht nur war
sein Gewissen beruhigt, sondern Jesus Selbst erfüllte sein Herz
und seine Zukunft - der kostbare Name Jesus, zu dem sein
Geist nun bald hingehen sollte.
Sicher wirst nun du, lieber gläubiger Leser, mit mir anerkennen, daß wir die Liebe unseres auferstandenen Heilandes nicht
allein in der feierlichen Sterbestunde, sondern auch in unserem
täglichen Leben nötig haben. Die Verwirklichung dieser gött148
liehen Wahrheit wird zu jeder Zeit ein Schutz für unsere
Herzen sein. Viele Gläubige haben durch das Werk Christi ein
beruhigtes Gewissen, aber die Person Christi bildet nicht den
gesegneten Mittelpunkt der Neigungen ihres Herzens. Paulus
bittet für die gläubigen Epheser, daß der „Vater unseres Herrn
Jesus Christus... euch gebe, nach dem Reichtum seiner
Herrlichkeit mit Kraft gestärkt zu werden durch seinen Geist
an dem inneren Menschen; daß der Christus durch den
Glauben in euren Herzen wohne" (Eph 3,14-17). O möchte
dies auch stets unser Gebet sein!
So gesegnet und kostbar es auch ist, durch das Blut Christi
Ruhe für das Gewissen zu haben, so ist es doch noch weit
kostbarer, stets die glückselige Gemeinschaft mit dem Herrn
Selbst zu genießen. Möge deshalb jeder sich selbst fragen:
Verlangt mein Herz nichts mehr - sucht es nichts mehr, seitdem ich Ihn kenne und besitze? Habe ich genug, wie Maria
Magdalene, weil der auferstandene Herr mich mit Namen
gerufen und Sich mir offenbart hat? Was kann mein Herz noch
begehren, wenn ich sagen kann: „Ich bin meines Geliebten,
und nach mir ist sein Verlangen." (Hl 7,10)?
Paulus und Felix
Apostelgeschichte 24
Dieses Kapitel liefert uns einen bemerkenswerten Kontrast
zwischen einem wahren Christen und einem Weltmenschen -
zwischen Paulus, dem Gefangenen, und Felix, dem Richter.
Wir sehen sie hier einander gegenüberstehen und haben Gelegenheit, die Quellen der Handlung in dem Gefangenen und in
dem Richter zu betrachten. Das Auge des Paulus ruhte auf dem
Unsichtbaren und Ewigen, das Auge des Felix aber auf dem
Sichtbaren und Zeitlichen; Paulus stand im Licht des Himmels,
Felix war eingehüllt in die Finsternis der Erde. Mit einem Wort,
149
sie stellen in jeder Beziehung den größtmöglichen Gegensatz
dar. Laßt uns deshalb dieses bezeichnende Bild ein wenig
näher betrachten. Wenn wir das tun, werden wir sehen, worin
der Glaube, die Hoffnung und das praktische Leben beider
Menschen bestand.
Wir wollen nun zuerst von Paulus, dem Gefangenen Jesu
Christi, eine Darstellung seines Glaubens, seiner Hoffnung und
seines praktischen Lebens hören.
„Aber dies bekenne ich dir, daß ich nach dem Wege, den sie
eine Sekte nennen, also dem Gott meiner Väter diene, indem
ich allem glaube, was in dem Gesetz und in den Propheten
geschrieben steht" (V. 14). Hier finden wir den Glauben des
Paulus: „... indem ich allem glaube, was in dem Gesetz und in
den Propheten geschrieben steht." Ein Christ hat jetzt, wie wir
wissen, ein größeres Feld; er ist fähig, hinzuzufügen: 'und
allem, was im Neuen Testament geschrieben steht.' Dies ist der
Glaube eines Christen: Das ganze Wort Gottes - der ganze
Kanon der göttlichen Eingebung. Er braucht nichts mehr, er
kommt nicht mit weniger aus, er wünscht nichts anderes. „Die
ganze Schrift" ist das Glaubensbekenntnis eines Christen, und
sicher ist sie völlig ausreichend. In ihr findet er sein Bekenntnis, seinen Maßstab, sein Alles. Durch sie kann er sich selbst
und alles um sich her prüfen - sowohl seine eigenen Gedanken
als auch die seiner Mitmenschen. Gewohnheiten und Lehren
können alle mit diesem Maß gemessen und mit dieser Waage
gewogen werden. Sie reicht auf göttliche Weise hin für alle
Zeitalter und alle Nationen. Hohe und Niedrige, Reiche und
Arme, Gelehrte und Ungelehrte, Alte und Junge können im
Wort Gottes alles finden, was sie brauchen. Wir verunehren
Gott, wenn wir sagen, daß wir außer dem Wort Gottes noch
etwas anderes nötig haben.
Und was war die Hoffnung des Paulus? „... daß ich ... die
Hoffnung zu Gott habe, welche auch selbst diese annehmen,
daß eine Auferstehung sein wird, sowohl der Gerechten als der
Ungerechten" (V. 15). Das ist die Hoffnung eines Christen:
„Hoffnung zu Gott" - Hoffnung der Auferstehung. Sie ist nicht
150
auf den Menschen gerichtet, noch steht sie zu irgend etwas auf
der Erde in Beziehung. Alle irdischen Hoffnungen und Erwartungen schwinden wie die Wolke am Morgen. Auf alles hier ist
der Stempel des Todes gedrückt. Das Grab ist das traurige
Ende der Geschichte des Menschen in dieser Welt. Aber, gepriesen sei Gott, die Hoffnung des Christen führt ihn ganz und
gar über das Grab hinaus und verbindet ihn mit jener unsichtbaren und ewigen Wirklichkeit, der er, als auferweckt mit
Christus, angehört. Hier auf der Erde hat nichts Bedeutung, um
seine Hoffnung darauf zu setzen. Alles geht schnell vorüber.
Der kalte Hauch der Sterblichkeit durchkreuzt beständig die
lieblichsten Szenen auf der Erde und zerstört sie. Paulus war
deshalb glaubensvoll, als er sagte: „Ich habe die Hoffnung zu
Gott." Wäre es anders gewesen, so wäre sein Los höchst elend
gewesen. Er war mit allem zu Ende gekommen, was diese Welt
bieten konnte; aber er hatte seine Hoffnung auf Den gegründet,
Der die Toten lebendig macht: auf den lebendigen Gott - auf
den Gott der Auferweckung.
Nun noch ein Wort über das praktische Leben des Paulus.
„Darum übe ich mich auch, allezeit ein Gewissen ohne Anstoß
zu haben vor Gott und den Menschen" (V. 16). Das ist die
praktische Übung des Christen, die auch uns beständig kennzeichnen sollte. Wir sollten uns so betragen, daß wir den Menschen keinen Anstoß - keinen gerechten Anlaß geben, und vor
Gott sollen wir ein reines Gewissen bewahren, das uns nicht
verurteilt. Nie sollten wir mit weniger als diesem zufrieden
sein. Wir können mißverstanden werden, wir können Dinge in
Unwissenheit tun, Fehler machen und in vielen Dingen versagen; aber bei diesem allem sollen wir stets ernstlich und
aufrichtig begehren, ein Gewissen ohne Anstoß vor Gott und
den Menschen zu haben. Die „Übung" ist ohne Zweifel nötig,
und manchmal macht sie uns Mühe; aber wir sollten sie eifrig
suchen, denn sie gehört zur wahren Praxis eines Christen.
Das ist nun das liebliche Bild eines wahren Christen, das in der
Person des Paulus, des Gefangenen, dargestellt wird. Sein
Glaube ruhte auf der Offenbarung Gottes, seine Hoffnung
erstreckte sich bis zur Zeit nach der Auferstehung, und sein
151
praktisches Leben wurde charakterisiert durch die ernste
Übung, ein tadelloses und aufrichtiges Leben vor Gott und den
Menschen zu führen. Gott gebe, daß wir in dieser Zeit, wo es
soviel leeres Bekenntnis gibt, diese Dinge kennen und verwirklichen.
Jetzt laßt uns einen kurzen Blick auf das Bild eines Weltmenschen werfen. Dabei geht es uns aber nur um die wesentlichen
Merkmale.
Der Geist Gottes hat uns das, was wir den Glauben des Weltmenschen nennen können, in dem vorliegenden Kapitel in
höchst eindringlicher Sprache vorgestellt. „Als er (Paulus) aber
über Gerechtigkeit und Enthaltsamkeit und das kommende Gericht redete, wurde Felix mit Furcht erfüllt und antwortete: Für
jetzt gehe hin; wenn ich aber gelegene Zeit habe, werde ich dich
rufen lassen" (V. 25). Der treue Gesandte stand vor dem in
Sünde lebenden Landpfleger und sprach feierliche und ergreifende Worte in Bezug auf die Gerechtigkeit, die Enthaltsamkeit
und das kommende Gericht. Und als der Gefangene sprach, da
zitterte der Richter. Wie ungewöhnlich! Es war etwas Neues -
etwas, das ganz verschieden von dem war, was gewöhnlich in
den Gerichtshallen gesehen wird. „Felix wurde mit Furcht
erfüllt." Armer Mensch! Wie glücklich wäre er gewesen, wenn
sein Zittern über sich selbst ihn zu Jesus geführt hätte! Aber
leider begnügte er sich mit dem Glauben an eine „gelegene
Zeit", die, soweit es uns berichtet wird, niemals kam. Es ist
Torheit für einen Menschen, von einer „gelegenen Zeit" zu
sprechen, da er sie nie finden wird. Da wird immer etwas sein,
das seinem ernsten.Nachdenken über die große Frage seiner
eigenen Zukunft hindernd in den Weg tritt - etwas, das es
ungelegen macht. Vielleicht erzittert er, wenn von dem „kommenden Gericht" die Rede ist. Aber die Welt in ihren verschiedenen Formen wird dazwischenkommen und den Anlaß zu
einer ungelegenen Zeit machen, und so geht er von Tag zu Tag
und von Jahr zu Jahr dahin, bis der Tod kommt und ihn an
jenen Platz des ewigen Elends führt, „wo ihr Wurm nicht stirbt
und das Feuer nicht erlischt" (Mk 9,44). Gottes Zeit ist jetzt.
„Siehe, jetzt ist die wohlangenehme Zeit, siehe, jetzt ist der Tag
152
des Heils!" „Heute, wenn ihr seine Stimme höret, verhärtet eure
Herzen nicht" (2.Kor 6,2; Hebr 3,7).
Doch betrachten wir nun die Hoffnung des Felix: „Zugleich
hoffte er, daß ihm von Paulus Geld gegeben werden würde"
(V.26). Welch ein Gedanke! Felix konnte oft zu Paulus senden
in der Hoffnung, Geld zu erhalten; aber in Bezug auf die
Gerechtigkeit, Enthaltsamkeit und das kommende Gericht hatte
er gar keine gelegene Zeit. Welch eine Entfaltung der verborgenen Quellen der Handlung haben wir hier! Welch eine Enthüllung der Wurzeln der Dinge! Die Ewigkeit wird beiseite
gesetzt - nach Geld wird mit Fleiß getrachtet. Jede Zeit ist
„gelegen", wenn vielleicht Geld zu erwarten ist - keine Zeit ist
gelegen, wenn es um das kommende Gericht geht.
Jetzt noch ein Wort in Bezug auf das praktische Leben des
Felix. „Als aber zwei Jahre verflossen waren, bekam Felix den
Porcius Festus zum Nachfolger; und da Felix sich bei den
Juden in Gunst setzen wollte, hinterließ er den Paulus
gefangen" (V. 27). Dies vollendet das traurige Bild eines Weltmenschen. Sein Glaube richtet sich auf eine „gelegene Zeit",
die nie kam, seine Hoffnung auf „Geld", das er nie empfing,
und sein praktisches Leben wurde dadurch gekennzeichnet,
einen unschuldigen Menschen in Gefangenschaft zu lassen, um
die Volksgunst zu erlangen. Möge der Geist Gottes die Lehren,
die wir aus der Betrachtung dieser beiden Personen entnehmen
durften, tief in unsere Herzen einprägen!
'Der Vogel kennt seine bestimmte Zeit.'
Im vorigen Herbst durchkreuzte ich das Moor im Norden
Englands. Der wilde Sturm trieb den strömenden Regen hinab
in die Täler und ließ die Bäche zu brausenden Strömen anschwellen. Während ich staunend die schwarzen Wolken betrachtete, bemerkte ich hoch über mir einen weißen Fleck, der
153
sich zu bewegen schien. Plötzlich durchschnitt ein Sonnenstrahl die Wolken und zeigte mir einen Vogel, der mit dem
Wind kämpfte. Meine Augen verfolgten lange Zeit den einsamen Wanderer, der so mutig gegen den Sturm ankämpfte.
Oft mußte er der Gewalt des Windes weichen und seine müden
Flügel einen Augenblick ausruhen lassen. Er schien sich dann
ganz regungslos in der Luft zu halten; aber bald machte er neue
Anstrengungen und kam immer weiter vorwärts. Schließlich
verlor ich ihn ganz aus dem Auge. Was war sein Ziel? Der
Herbst war da, und der Prophet sagt: „Selbst der Storch am
Himmel kennt seine bestimmten Zeiten" (Jer 8,7). Fern von
dieser öden Wüste lag eine ruhige und sonnige Gegend. Dorthin richtete er seinen Flug, ohne sich seitwärts zu wenden und
ohne vor den Schwierigkeiten des Weges zurückzuschrecken.
Es war eine gesegnete Unterweisung, die mich dieser Vogel
lehrte. Oft habe ich mich, wenn ich betrübt und mutlos war, an
jene göttliche Lektion erinnert, worin der Herr mir sogar ein
Beispiel aus der Natur gab. Und auch du, lieber christlicher
Mitpilger, kannst aus diesem einfachen Bild lernen. Noch eine
kurze Zeit, und du wirst das „bessere Land" erreichen, wo es
keine Trübsale und Beschwerden mehr geben wird. Jetzt bist
du in der Wüste, wo dein Fuß keine Ruhe finden kann, wenn
du mit Gott wandelst. Ist jener göttliche Grundsatz, dem Ziel
der hohen Berufung Gottes in Christo Jesu entgegenzueilen, so
kraftvoll und wirksam in dir, daß du vorandringst wie der
Zugvogel nach der Heimat? Bist du müde und schwach, so
denke an die Worte: „Meine Gnade genügt dir, denn meine
Kraft wird in Schwachheit vollbracht" (2.Kor 12,9). Dein Weg
ist ein Weg des Glaubens. Nur das Auge des Glaubens erkennt
ihn; dem natürlichen Auge ist er Torheit. „Durch Glauben
verstehen wir." Bei deinem Kampf handelt es sich nicht um die
Vergebung deiner Sünden, denn deine Sünden sind dir vergeben um Seines Namens willen. Jene Bürde der Sünde liegt
nicht mehr auf deinem Rücken, denn der Herr Jesus hat „selbst
unsere Sünden an Seinem Leibe auf dem Holze getragen"
(l.Petr 2,24). Wir werden jetzt ermahnt, den Lauf mit Ausharren zu vollenden und auf Jesus zu sehen. Wir sind nicht von
154
der Welt, gleichwie auch Er nicht von der Welt ist (Joh 17,14);
wir sind mit Ihm auferweckt und der Stellung nach in den
himmlichen Örtern.
Als die Israeliten am anderen Ufer des Roten Meeres standen,
sangen sie ein Triumphlied. „Meine Stärke und mein Gesang ist
Jah, denn er ist mir zur Rettung geworden; dieser ist mein Gott,
und ich will ihn verherrlichen, meines Vaters Gott, und ich will
ihn erheben" (2.Mo 15,2). Auch du hast einst vorn Sieg durch
das Blut des Lammes gesungen. Als aber Israel drei Tage in der
Wüste gewandert war, da murrte es über den Weg, weil kein
Wasser in der Wüste war. Auch du wirst entdecken, daß diese
arme Welt keine Erfrischungen für die wiedergeborene Seele
hat. Doch murre nicht, denn unser Herr hat gesagt: „Das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm eine Quelle Wassers
werden, das ins ewige Leben quillt" (Joh 4,14).
Schaue auf Jesus, damit du nicht ermüdest, indem du in deiner
Seele ermattest. Erinnere dich an das „bessere Land", an den
Ort deiner Bestimmung, und lerne von dem einsamen Vogel,
der seine weißen Flügel nach seiner Heimat ausbreitete und
trotz Wolken und Sturm sich nicht seitwärts wandte.
„Sinnet nicht auf hohe Dinge!"
Nichts ist geziemender für den Christen, nichts ziert ihn mehr,
nichts ist wohlgefälliger vor dem Herrn als ein demütiges Herz;
aber nichts widerstrebt der menschlichen Natur mehr, als demütig, niedrig und gering zu sein. Der Sündenfall des Menschen
kam durch Überhebung. Wir lesen in 1 .Mose 3,4: „Und die
Schlange sprach zu dem Weibe: Mit nichten werdet ihr sterben!
sondern Gott weiß, daß, welches Tages ihr davon esset, eure
Augen aufgetan werden, und ihr sein werdet wie Gott, erkennend Gutes und Böses." Der Mensch wollte wie Gott sein, und
darum aß er. Er wußte jetzt aus eigener Erfahrung, was gut und
155
böse war; aber dieses Bewußtsein flößte ihm Angst vor der
Gegenwart Gottes ein, und er verbarg sich vor Ihm mitten unter
die Bäume des Gartens. In diesem traurigen Zustand befindet
sich der Mensch jetzt noch, und Satan fährt fort, ihn durch
allerlei Versprechungen und Lügen zum Hochmut zu verleiten.
Selbst der Christ, der Jünger des Herrn, bleibt vor seinen
Nachstellungen nicht verschont; und wie oft wird er leider
betört, wie oft wendet er sein Herz ab von dem einfachen Wort
Gottes und vergißt, auf Den zu schauen, der „sich selbst zu
nichts machte und Knechtsgestalt annahm ... indem er gehorsam ward bis zum Tode, ja, zum Tode am Kreuze" (Phil 2,6-9).
Die Geschichte der Gläubigen ist in dieser Beziehung reich an
traurigen Erfahrungen, besonders auch in unseren Tagen. Man
ist so geneigt, die ernsten Worte des Apostels unbeachtet zu
lassen: „Sinnet nicht auf hohe Dinge, sondern haltet euch zu
den niedrigen" (Röm 12,16). Ja, wenn wir bei der Mehrzahl der
Christen in das Innere des Herzens schauen könnten, so würden
wir erstaunt sein, in welch hohem Maß ein Trachten nach einer
höheren Stellung, nach besseren Verhältnissen, nach größerem
Ansehen, nach schöneren Möbeln, Kleidern usw. zu finden sind
und wie das Herz durch all diese Dinge so viele Stunden des
Tages mit Gedanken, Unruhe und Sorge erfüllt ist. Muß man
sich da wundern, wenn so viele klagen, daß sie wenig Freude
haben, daß das Wort des Herrn und Seine Gegenwart sie so
wenig erquicke und beglücke, daß sie soviel Lauheit bei sich
verspüren, ohne daß gerade besondere Sünden auf ihrem
Gewissen liegen? Die Beschäftigung mit jenen eitlen, nichtigen
Dingen schließt Gott aus. Der Apostel sagt: „Wenn wir sagen,
daß wir Gemeinschaft mit ihm haben, und wandeln in der
Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit. Wenn wir
aber in dem Lichte wandeln, wie er in dem Lichte ist, so haben
wir Gemeinschaft miteinander, und das Blut Jesu Christi, seines
Sohnes, reinigt uns von aller Sünde." Wir können nur wirklich
glücklich sein, wenn wir die Gemeinschaft Gottes genießen und
in Seinen Geboten wandeln. „Wer da sagt: Ich kenne ihn, und
hält seine Gebote nicht, ist ein Lügner, und in diesem ist die
Wahrheit nicht" (l.Joh 1,6.7; 2,4). Wie ernst und bestimmt sind
156
diese Worte! Der Herr möge sie in unsere Herzen tief einprägen!
Es ist nötig, daß wir stets mit Aufrichtigkeit des Herzens in die
Gegenwart Gottes kommen und mit dem Psalmisten flehen:
„Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und
erkenne meine Gedanken! Und sieh, ob ein Weg der Mühsal
bei mir ist, und leite mich auf ewigem Wege!" (Ps 139,23.24).
Nur im Licht Gottes können wir ein wahres Urteil über uns
selbst haben; ohne dieses Licht aber werden wir stets durch
Eigenliebe geleitet werden. Wenn es uns wirklich darum geht,
zur Ehre Seines Namens durch diese Welt zu gehen, so laßt
uns die Gegenwart des Herrn aufsuchen, damit wir erfahren,
wie Er unseren Weg beurteilt. Es ist nicht wichtig, welch eine
Stellung wir in dieser Welt einnehmen, sondern wie wir sie
einnehmen, d.h. ob unser Verhalten darin zur Verherrlichung
des Herrn gereicht.
Aber leider sind viele Gläubige mehr mit Ersterem als mit
Letzterem beschäftigt. Anstatt geduldig in einer Stellung
auszuharren und die Schwierigkeiten um des Herrn willen zu
ertragen, sind sie unruhig bemüht, herauszukommen, um etwas
Besseres oder Höheres zu erlangen. Sie verstehen nicht die
Worte des Apostels: „Denn das Leben ist für mich Christus"
(Phil 1,21). Bei Paulus kam die Frage nicht in Betracht, ob er
eine hervorragende oder eine untergeordnete Stellung hatte, ob
er Herr oder Knecht, Meister oder Geselle, angesehen oder
verachtet, reich oder arm, frei oder gefangen war, wenn nur der
Name des Herrn durch ihn verherrlicht wurde. Er war glücklich, ein Sklave Christi zu sein, und er wünschte nichts, als
Sein Wohlgefallen zu haben. Wenn aber jemand an sich denkt
und seine eigene Ehre sucht, so haben alle jene Dinge ein
großes Gewicht, und immer ist das Bestreben vorhanden, etwas höher zu steigen. Deshalb möge der Herr unsere Herzen
erforschen und uns Gnade darreichen, alles zu richten, was
nicht der Gesinnung Christi gemäß ist. Er widersteht jedem
Hochmut und gibt nur dem Demütigen Gnade. Deshalb
ermahnt auch der Apostel so nachdrücklich: „Seid mit Demut
fest umhüllt" (l.Petr 5,5).
157
Gott hat in Seiner Gnade dafür gesorgt, daß wir in den verschiedenen Verhältnissen dieses Lebens Sein Wort als Leuchte
für unseren Fuß und als Licht für unseren Weg haben. So lesen
wir z.B. in Kolosser 3,18-4,1: „Ihr Weiber, seid euren Männern
unterwürfig, wie es sich geziemt in dem Herrn. Ihr Männer,
liebet eure Weiber und seid nicht bitter gegen sie. Ihr Kinder,
gehorchet euren Eltern in allem, denn dies ist wohlgefällig im
Herrn. Ihr Väter, ärgert eure Kinder nicht, auf daß sie nicht
mutlos werden. Ihr Knechte, gehorchet in allem euren Herren
nach dem Fleische, nicht in Augendienerei, als Menschengefällige, sondern in Einfalt des Herzens, den Herrn fürchtend.
Was ihr irgend tut, arbeitet von Herzen, als dem Herrn und
nicht den Menschen, da ihr wisset, daß ihr vom Herrn die Vergeltung des Erbes empfangen werdet; ihr dienet dem Herrn
Christus. Denn wer unrecht tut, wird das Unrecht empfangen,
das er getan hat; und da ist kein Ansehen der Person. Ihr
Herren, gewähret euren Knechten, was recht und billig ist, da
ihr wisset, daß auch ihr einen Herrn in den Himmeln habt."
Wie einfach und klar offenbaren diese Worte den wohlgefälligen Willen Gottes in all unseren Verhältnissen! Sicher
kann niemand darin irren, dem es in Wahrheit um die Verherrlichung Gottes zu tun ist. Der Herr wird einem demütigen
Herzen Gnade und Kraft genug darreichen, um Seinen Willen
zu erfüllen. Doch dem Trachten eines selbstsüchtigen und
hochmütigen Herzens muß Gott immer entgegen sein. Er ist
gegen uns, wenn wir unsere eigennützigen Pläne verfolgen,
wenn wir etwas sein wollen, wenn wir mehr geehrt, mehr
beachtet, mehr berücksichtigt werden wollen. Ja, Er ist gegen
uns, weil Er heilig ist und uns lieb hat. Jenes Trachten verunehrt Ihn und raubt uns den Segen. Friede und Freude in Ihm
können können nur von einem demütigen Herzen genossen
werden. Laßt uns deshalb, getrennt von allem, was Ihn verunehrt, diese einzige Quelle aufsuchen! Der reiche Strom der
Liebe Gottes ist gegen uns geöffnet, denn Er hat Seinen eingeborenen Sohn für uns dahingegeben. Er ist auch unser Licht
und unsere Kraft in dieser versuchungsreichen Wüste. Laßt uns
Ihm nur völlig vertrauen und mit gläubigem Herzen unsere
158
Blicke stets auf Jesum richten und in Seinen Fußstapfen
wandeln. Das allein ist ein gesegneter Weg - ein Weg, auf dem
wir nicht irren und auf dem der Name des Herrn verherrlicht
wird. Auf diesem Weg werden wir bewahrt bleiben und in der
Erkenntnis des Herrn wachsen. Jeder andere Weg bringt nur
Betrübnis und Verderben. Mancher Gläubige hat am Ende
seines Lebens bittere Tränen geweint, als er auf sein vergangenes Leben zurückblickte und erkannte, daß er die meiste Zeit
mit dem Trachten nach eitlen und nichtigen Dingen zugebracht
und nicht zur Verherrlichung des Herrn gelebt hatte. Mancher
ist sogar darüber in Not und Zweifel in Bezug auf seine
Errettung gekommen. „Darum, Brüder", ermahnt der Apostel
Petrus, „befleißiget euch umsomehr, eure Berufung und Erwählung fest zu machen; denn wenn ihr diese Dinge tut, so
werdet ihr niemals straucheln. Denn also wird euch reichlich
dargereicht werden der Eingang in das ewige Reich unseres
Herrn und Heilandes Jesus Christus" (2.Petr 1,10.11). Dieser
reichliche Eingang wird also nur für solche sein, die durch
einen ernsten und würdigen Wandel ihre Berufung und
Auserwählung festgemacht haben. Möge der Herr uns deshalb
durch Seinen Geist fähig machen, allezeit einen Gott wohlgefälligen Wandel zu führen!
„Ich kenne die Meinen und bin
gekannt von den Meinen."
Johannes 10,14
Gedanken zu Johannes 11
Die Gemeinschaft mit Christus ist das Köstlichste, was ein
Herz auf der Erde im Glauben und im Himmel im Schauen
genießt. Je mehr wir diese Gemeinschaft verwirklichen oder je
mehr wir mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des
Herrn anschauen, desto mehr werden wir „verwandelt nach
159
demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, als durch
den Herrn, den Geist" (2. Kor 3,18). Wir werden immer durch
den Gegenstand geformt, mit dem wir am meisten beschäftigt
sind. Wie gesegnet ist es nun, wenn Christus, der Sohn Gottes
und der Abglanz Seiner Herrlichkeit, dieser Gegenstand für
uns ist! Und sicherlich wird ein Herz, das Ihn liebt und in
Seiner Gemeinschaft wandelt, sehr erfreut sein, die Worte von
Ihm Selbst zu hören: „Ich kenne die Meinen und bin gekannt
von den Meinen" (Joh 10,14). Er sprach sie öffentlich vor allen
aus; ja, die ganze Welt soll wissen, daß zwischen Ihm und den
Seinigen eine innige Verbindung besteht, und die Seinigen
sollen es aus Seinem eigenen Mund hören, damit Seine Freude
völlig in ihnen sei. Köstliches Band, das für immer geknüpft ist
durch eine unzerstörbare Liebe, durch eine Liebe bis in den
Tod! Zwar kennen wir Ihn jetzt noch sehr unvollkommen; aber
Er kennt uns vollkommen, und nichts kann uns von Seiner
Liebe trennen. Auch ist Er stets bemüht, Sich uns immer mehr
zu offenbaren. Alle Seine Führungen haben diesen gesegneten
Zweck; und je mehr wir Seine Gemeinschaft in den vielfaltigen
Versuchungen dieser Wüste verwirklichen, desto mehr werden
wir all die Schönheiten und Vollkommenheiten in Ihm erkennen. Nur Jesus ist es, der wirklich ein Herz ausfüllen und
beglücken kann. Alle Schwierigkeiten der Erde sind für uns
leicht zu ertragen, wenn Er da ist; aber selbst der Himmel
würde einsam und ohne Freude für uns sein, wenn Er dort
fehlte. Wir werden sicher ein herrliches Erbteil erlangen, weil
wir Erben Gottes sind; doch die höchste aller Gaben ist
Christus Selbst, und unser Glück wird dadurch vollkommen
sein, daß wir alles mit Ihm genießen werden.
Um das oben Gesagte noch etwas näher zu erläutern, laßt uns
einen Augenblick bei der lieblichen Szene in Bethanien verweilen, die uns in Johannes 11 mitgeteilt wird. Der Herr hielt
Sich oft an diesem Ort auf. Dort finden wir Ihn, als die Tage
Seines Leidens nahten, und ebenso, als Er Abschied nahm von
Seinen Jüngern und, indem Er sie segnete, hinaufgetragen
wurde in den Himmel (Lk 24,50). Besonders war es ein Haus,
in dem Martha und Maria wohnten, das Er durch Seinen
160
Aufenthalt vor allen ehrte. Diese Schwestern und auch
Lazarus, ihr Bruder, waren Ihm mit Liebe und Vertrauen
zugetan; und soweit es auf dieser Erde möglich sein konnte,
fand Sein Herz in dieser gesegneten Gemeinschaft Trost und
Ermunterung. Da der Herr von den Juden völlig verworfen war
und Sich als die Auferstehung offenbarte, können wir dieses
Haus als Bild des treuen Überrestes betrachten, mit welchem
der Herr Sich verband. Welch eine Gnade! Jehova Selbst, der
vom Himmel herniedergekommen war, um Seinem Volke
Erlösung zu bringen, weilt hier in der Mitte der Seinigen, wie
ein Freund unter Seinen Freunden. Er tritt ihnen so nahe, daß
alle Furcht verschwinden muß. Er möchte auch, daß sie in
Seiner Gegenwart völlig glücklich sind und ganz nahe und
vertraulich mit Ihm verkehren. Er nennt die Jünger Seine
Freunde und sagt auch in unserem Kapitel: „Lazarus, unser
Freund, ist eingeschlafen" (V.ll). Er möchte nicht nur durch
Sein Werk unsere Gewissen Ruhe finden lassen, sondern auch
durch Seine Person unsere Herzen gewinnen und völlig erfreuen. Er hat Sich Selbst für uns ganz hingegeben; und so wie
Er der Mittelpunkt unserer geistlichen Segnungen in den
himmlischen Örtern ist, so besitzen wir Ihn hier in der Wüste
als unser tägliches Manna und als den treuen Freund inmitten
der vielfältigen Versuchungen. Doch wie wenig kennen und
genießen die Seinigen Ihn hier auf der Erde! Viele, ja vielleicht
die meisten unter ihnen erblicken in Ihm nur den Heiland der
Sünder, der vom Tod und vom Verderben errettet. Ihr Gewissen ist zur Ruhe gekommen; aber ihr Herz bleibt unbefriedigt,
und inmitten der sie umgebenden Umstände sind sie meist
unruhig und niedergedrückt. Jesus fehlt ihnen - nicht für ihr
Gewissen, aber für ihr Herz - nicht Sein Werk, aber Seine Person. Seine gesegnete Gegenwart wird nicht durch den Glauben
verwirklicht und genossen. Er ist nicht der kostbare Gegenstand, auf den das Auge gerichtet bleibt und mit dem das Herz
einen innigen und vertrauten Umgang pflegt. Wäre dies der
Fall, so würde es keine Furcht, keine unruhige Sorge geben,
sondern allezeit Freude im Herrn (Phil 4,4). Paulus genoß in
den schwierigsten Umständen, sogar im Gefängnis zu Rom,
eine solche Freude, daß er seinen geliebten Philippern zurufen
161
konnte: „Freuet euch mit mir!" (Phil 2,18). Sein Herz war mit
Christus erfüllt. Nicht nur ruhte sein Gewissen auf Seinem
vollkommenen Werk, sondern auch sein Herz in Seiner
vollkommenen Liebe. Er hatte Ihn Selbst, den Gegenstand der
Freude und Wonne Gottes, den Abdruck Seines Wesens (Heb
1,3). Er kannte Ihn und hing an Ihm mit hingebender Liebe;
und darum wurde es ihm nicht schwer, alles für Ihn
einzubüßen, - für Ihn zu leben, zu leiden und zu sterben. Er
konnte sagen: „Ja, wahrlich, ich achte auch alles für Verlust
wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines
Herrn, um dessentwillen ich alles eingebüßt habe und es für
Dreck achte, auf daß ich Christum gewinne", und: „Das Leben
ist für mich Christus" (Phil 3,8; 1,21). Christus Selbst war sein
einziger Gegenstand und sein einziges Ziel. Er war bereit, alles
zu verlieren, um Ihn kennenzulernen.
Eine solche Gesinnung läßt die Welt und alles, was in ihr ist,
weit hinter sich zurück. Sie erfreut sich an diesem einen Gedanken: Ich kenne Ihn und Er kennt mich. Wenn Christus wirklich
der Gegenstand unseres Herzens ist, so haben wir immer genug,
weil die Fülle Gottes in Ihm wohnt und Er unser gesegnetes
Teil ist. Wo werden wir in unseren traurigen Stunden einen
Freund finden, der so trägt und mitfühlt wie Er und dem nichts
verborgen ist? Kein Leid ist so tief, daß Er nicht trösten kann,
keine Schwierigkeit so groß, daß Er nicht zu helfen vermag;
und selbst in der dunkelsten Wolke, die uns umhüllt, hat er
Seine verborgene Hand. Er ist uns immer nahe, sowohl in den
kleinsten als auch in den größten Umständen; wir können immer mit voller Zuversicht auf Ihn rechnen. In all Seinen Wegen
mit uns, in all den Trübsalen, durch welche wir hier zu gehen
haben, dürfen wir Ihn immer besser kennenlernen. 0 möchten
wir Seine gesegnete Gegenwart doch mehr verwirklichen und
genießen! Dann würde sicher alles, sowohl in unseren Herzen
als auch in unseren Häusern, ja, in unserem ganzen Leben,
mehr geordnet und mit Seinem Wesen übereinstimmender sein.
Die Geschwister zu Bethanien nutzten das Vorrecht der Gemeinschaft mit ihrem geliebten Herrn. Lazarus war krank, und
seine beiden Schwestern sandten zu Ihm und ließen Ihm sagen:
162
„Herr, siehe, der, den du lieb hast, ist krank" (V. 3). Sie waren
von Seiner Liebe überzeugt und machten sie zum Beweggrund
Seiner Hilfe. Sie durften ja jede Wohltat von dieser Liebe
erwarten und hatten darum Freimütigkeit, sie zu erwähnen.
Würden sie von ihrer Liebe zu Ihm gesprochen haben, so hätten
sie Seine Hilfe gewissermaßen als eine Schuldigkeit erwartet.
Doch Er schuldet uns nichts; alles ist freie Gnade; vielmehr hat
Er uns zu Seinen Schuldnern gemacht. Deshalb heißt es: „Wir
lieben, weil er uns zuerst geliebt hat" (l.Joh 4,19). Alle unsere
Segnungen haben ihre Quelle in Seiner Liebe. Er hat Sein
Leben für uns gelassen, als wir noch Feinde und Gottlose
waren. Jetzt kann uns nichts von Seiner Liebe trennen; unsere
Schwachheiten und Fehler setzen ihr keine Grenze. Nichts gibt
es, wodurch sie geschwächt werden könnte. Sie bleibt ein
offener Quell während unseres ganzen Laufs hier auf der Erde;
sie trägt und leitet uns durch alle Versuchungen dieser Wüste
mit vollkommener Gnade und Langmut und wird uns bald droben ihre ganze Fülle offenbaren und genießen lassen.
Wenn wir nun unsere Brüder lieben und in ihren Schwachheiten und Leiden von Herzen mit ihnen fühlen, so werden wir
immer mit Zuversicht zu Ihm sagen: „Herr, siehe, der, den du
lieb hast ..." Wir können völlig gewiß sein, daß Er alle Gläubigen mit vollkommener Liebe liebt, und daß es die Freude
Seines Herzens ist, wenn wir Seine zärtliche Liebe und Zuneigung gegen die Seinigen teilen. Dann werden wir auch mit
Bitten und Flehen und Danksagung alle ihre Anliegen vor Ihm
kundwerden lassen. Wie beschämt aber würden wir dastehen,
wenn die Erhörung unserer Bitte von unserer Liebe zu Ihm
abhängig wäre! Wieviel würden wir dann zu erwarten haben?
Jeder wird sich selbst die Antwort geben können. Wie gut ist
es, daß alle unsere Segnungen nur Seiner vollkommenen Liebe
gegen uns entspringen! Er ist Liebe, und Er ist unser Teil in
Ewigkeit.
Wenn wir jetzt einen kurzen Blick auf das innere Leben, das
geistliche Verständnis und die aufopfernde Liebe der beiden
Schwestern werfen, so wird es uns nicht schwerfallen, einen
großen Unterschied wahrzunehmen (Lk 10,38-42). Es ist wahr,
163
Martha glaubte an den Herrn; sie liebte Ihn und nahm Ihn in
ihr Haus auf; aber Maria war geistlicher und darum auch
fähiger, in den Zweck Seines Kommens und in die Fülle Seines
Wesens tiefer einzudringen. Während Martha mit vielem Dienen beschäftigt und um viele Dinge besorgt war, saß Maria
auch zu Seinen Füßen und horchte auf Seine wunderbaren
Worte. Er war gekommen, um das Wort Gottes zu bringen,
und es war Seine Freude, ein offenes Ohr zu finden. Dies war
das gute Teil der Maria. Sie erwählte, Sein Wort zu hören, sie
erwählte Ihn Selbst, und Er rechtfertigte Maria; ihr gutes Teil
sollte nicht von ihr genommen werden.
Ja, es ist das gute Teil, zu Seinen Füßen zu sitzen und das Wort
Gottes zu hören; und erst danach haben wir den Platz eines
Dieners einzunehmen. Es gibt soviel christlichen Dienst in der
Welt, dem die wahre Kraft und Schönheit fehlt, weil er zu
wenig mit der Quelle jeden Dienstes, mit Christus Selbst, in
Verbindung steht und auf das Wort Gottes gegründet ist. Es
gibt viele Gläubige, die ebenso wie Martha um viele Dinge
besorgt sind, aber leider weder Bedürfnis noch Ruhe genug
haben, um zu Seinen Füßen zu sitzen und auf Sein kostbares
Wort zu hören. Eine Stunde mit dem Herrn allein zuzubringen
fällt ihnen weit schwerer als sich tagelang mit allerlei Dingen
zu beschäftigen. Woher kommt das? Es erfordert einen weit
geistlicheren Sinn, in Seiner Gegenwart zu weilen, als mit dem
Dienst beschäftigt zu sein. Hier kann selbst unsere Natur noch
etwas Befriedigung finden, während sie in Seiner Gegenwart
ganz beiseitegesetzt werden muß. Wir sind aber nur dann
wirklich fähig, dem Herrn auf eine wohlgefällige Weise zu
dienen, wenn wir in Seiner Gegenwart die nötige Kraft und
Weisheit empfangen. Dies sehen wir bei Maria. Wir lesen in
Johannes 11,2: „Maria aber war es, die den Herrn mit Salbe
salbte und seine Füße mit ihren Haaren abtrocknete" (vgl. Joh
12,1-8). Sie gab ihr Kostbarstes aus Liebe zu Ihm hin; sie
erkannte den rechten Augenblick, um Sein Herz zu erquicken.
Der Herr Selbst war der alleinige Gegenstand ihrer Liebe und
ihres Dienstes. Sie hatte sich selbst Ihm völlig geweiht und war
für Ihn zu jedem Opfer bereit. Zwar war ihr Verhalten nicht
164
der menschlichen Vernunft angepaßt; ihr Werk wurde von
niemandem verstanden, selbst nicht von den Jüngern, die darin
eine Verschwendung sahen. Nach ihrer Meinung hätte man mit
dieser Salbe nützlichere Dinge tun können. Sie urteilten
menschlich, und darum verstanden sie nicht das Werk der
Maria, das göttlich schön war. Sie allein hatte verstanden, was
dem Herrn bevorstand; sie erkannte, daß die finsteren Wolken
sich immer dichter um das teure Haupt ihres geliebten Herrn
zusammenzogen; ihr liebendes Herz ahnte die Nähe des Tages,
an dem die Bosheit der Menschen Ihn aus ihrer Mitte reißen
würde, und deshalb sah sie den geeigneten Augenblick gekommen, Ihn im Voraus zum Begräbnis zu salben. Und der Herr,
der in das Verborgene des Herzens zu schauen vermag, sah
ihre tiefe und hingebungsvolle Liebe; und so, wie Er sie früher
gerechtfertigt hatte, als sie auf Sein Wort hörte, so rechtfertigte
Er jetzt auch ihr Werk, indem Er sagte: „Sie hat ein gutes Werk
an mir getan" (Mt 26,10). Wie mußte es das Herz der Maria
erfreut haben, als sie aus Seinem eigenen Mund hörte, daß sie
ein gutes Werk an Ihm getan habe; Er hatte den Beweis ihrer
Liebe anerkannt und angenommen!
Martha war zwar mit vielem Dienen beschäftigt und so sehr
von ihrem Dienst eingenommen, daß sie meinte, der Herr
müsse dafür Sorge tragen, daß Maria ihren Platz zu Seinen
Füßen verlasse und ihr beistehe; aber der Herr sprach zu ihr:
„Martha, Martha! du bist besorgt und beunruhigt um viele
Dinge; eines aber ist not" (Lk 10,41.42). Ihr Dienst fand nicht
Seine volle Anerkennung, weil er zu sehr aus ihrer geschäftigen Natur hervorging und zu wenig den Herrn Selbst als
Quelle und Gegenstand hatte. Nur Maria war es, die das „gute
Teil" erwählte und das „gute Werk" vollbrachte. O möchten
wir ihr darin gleichen! Möchte auch wir oft zu den Füßen Jesu
sitzen, um das gute Wort Gottes aus Seinem Mund zu hören;
möchten auch wir mit inniger Liebe an Ihm hangen und uns
dann völlig Seinem Dienst weihen! Laßt uns auch nicht vergessen, daß das eine Werk der Maria mehr Wert vor dem Herrn
hatte als alle Werke der Martha.
Das Urteil des Herrn ist noch immer allein gültig; Er sieht das
165
Herz an, Er sieht die Quelle, woraus alle unsere Dienste entspringen. Aber leider ist zu furchten, daß es in unseren Tagen
viele Marthas, aber wenige Marias gibt. Es gibt so viele christliche Tätigkeiten, die zwar dem Menschen wertvoll erscheinen,
aber wenig Wert haben in den Augen Gottes, auf Dessen
Anerkennung es doch einzig und allein ankommt. Sie entspringen oft mehr aus der eigenen Gerechtigkeit, aus einer frommen
Natur als der Liebe zu Christus. Das ist wohl zu beachten.
Leider gibt es auch solche, die wenig Interesse am Herrn Selbst
und an an Seinem Dienst haben. Sie leben sich selbst und der
Welt und sind zufrieden, daß ihr Gewissen vor Gott in Bezug
auf ihre Sünde in Ruhe ist. Wie verwerflich ist eine solche
Gesinnung! Wie undankbar ist ein solches Herz gegen die unaussprechliche Liebe des Herrn, der Sein Leben für uns gelassen und uns zu Teilhabern Seiner Herrlichkeit erwählt hat! -
Solltest du zu denen gehören, geliebter Leser, so wisse, daß du
der Bestimmung nicht entsprichst, für die Christus dich durch
Sein Opfer passend und fähig gemacht hat; dadurch bringst du
dich selbst um den Segen - was die Erde betrifft; denn Christus
hat Sich Selbst für uns gegeben, „auf daß er uns loskaufte von
aller Gesetzlosigkeit und reinigte sich selbst ein Eigentumsvolk, eifrig in guten Werken" (Tit 2,14). „Denn wir sind sein
Werk, geschaffen in Christo Jesu zu guten Werken, welche
Gott zuvor bereitet hat, auf daß wir in ihnen wandeln sollen"
(Eph 2,10). Gehörst du aber zu jenen, die mit vielem Dienen
beschäftigt sind wie Martha, so frage dich, ob dein Dienst auch
die Anerkennung des Herrn finden wird. Sonst ist er wertlos,
auch wenn die Sache, mit der du beschäftigt bist, noch so gut
und christlich ist und wenn du dir noch so viel Mühe machst.
Unser Dienst ist nur dann gesegnet, wenn Jesus der Gegenstand unserer Herzen ist, wenn wir im verborgenen Umgang
mit Ihm verstehen lernen, was Ihm wohlgefällig ist. Unser Herz
ist nur dann wirklich glücklich, wenn es das gute Teil erwählt
hat wie Maria und wenn es mit dem Apostel sagen kann: „Das
Leben ist für mich Christus" (Phil 1,21). Ja, ein solches Herz
ist glücklich in den Umständen. Der Gläubige ist dann auch
gesegnet im Dienst und wandelt hienieden zur Verherrlichung
des Herrn.
166
Der eine oder andere Leser könnte nun vielleicht fragen: 'Hatte
der Herr die Martha weniger lieb als die Maria, weil ihre
Gefühle für Ihn so schwach waren?' Zu unserem großen Trost
können wir dies auf das Bestimmteste verneinen. Der Herr
liebte Martha mit einer vollkommenen Liebe und ebenso
Maria, weil Er die Liebe ist. Seine Liebe zu uns findet ihren
Beweggrund in Ihm Selbst und nicht in uns. Unmöglich kann
es Ihm gleichgültig sein, welche Gefühle der Liebe und
Zuneigung Ihm gegenüber unser Herz erfüllen; aber nie kann
dies Seine Gefühle gegen uns leiten. Wir können sehr schwach
und mangelhaft sein; aber Seine Liebe gegen uns ist immer
vollkommen. „Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit,
wegen seiner vielen Liebe, womit er uns geliebt hat, als auch
wir in den Vergehungen tot waren, hat uns mit dem Christus
lebendig gemacht" (Eph 2,4.5). Der Tod Christi auf dem Kreuz
für uns, als wir noch Sünder und Gottlose waren, ist der vollkommene Beweis Seiner Liebe. Er fand nichts Liebenswertes
in uns; im Gegenteil, wir waren „hassenswürdig". Wenn es
sich aber um unsere Liebe zu Ihm handelt, so geht es um den
Sohn Seiner Liebe, an dem Gott Selbst Sein ganzes Wohlgefallen gefunden hat und der der große Gegenstand der Anbetung aller himmlischen Heerscharen ist. Zudem sind wir auch
schuldig, Ihn zu lieben, weil Er uns zuerst geliebt hat. Doch
wie beschämt müssen wir beim Blick auf Seine vollkommene
Liebe gegen uns die Augen niederschlagen, wenn wir an
unsere schwache und unvollkommene Liebe zu Ihm denken!
Wie tröstlich ist da das Bewußtsein, daß Seine Liebe stets mit
einer vollkommenen Gnade gepaart ist! Wenn diese Gnade
fehlte, so würden wir nie Gegenstände Seiner Liebe bleiben
können; doch jetzt sind wir es und bleiben es für immer. Da ist
nichts, „weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch Gewalten, weder Höhe noch Tiefe, noch irgend ein anderes Geschöpf
uns zu scheiden vermögen wird von der Liebe Gottes, die in
Christo Jesu ist, unserem Herrn" (Röm 8,38.39).
Der Heilige Geist gibt Zeugnis von der aufopfernden Liebe der
Maria, aber Er stellt zugleich die Martha voran, wenn Er von
167
der Liebe des Herrn zu ihnen reden will. „Jesus aber liebte die
Martha und ihre Schwester und den Lazarus" (Joh 11,5).
Anbetungswürdige Liebe! Wir können jedem Heiligen, selbst
dem schwächsten, zu jeder Zeit bezeugen: 'Der Herr hat dich
lieb; du bist Seinem Herzen ein kostbarer Gegenstand. Magst
du dich dieser Liebe auch noch so unwert fühlen und noch so
viel Ursache haben, dich vor Ihm zu demütigen - Er hat dich
dennoch lieb, ja, vollkommen lieb! O wie würdig ist diese
Liebe, von uns bewundert und angebetet zu werden! Je mehr
wir sie anschauen, desto mehr erweitert sich unser Herz in
Gefühlen der Liebe gegen Ihn und desto glücklicher sind wir in
dem Bewußtsein, Gegenstände einer solchen Liebe zu sein und
für immer darin ruhen zu können; und je mehr wir die Gnade
erkennen, die mit Seiner Liebe gepaart ist, desto mehr sind wir
auch fähig, unsere Brüder mit all ihren Schwachheiten und
Fehlern zu tragen und zu lieben. Doch es ist nutzlos, mit der
Schwachheit unserer Liebe beschäftigt zu sein. Alle unsere Anstrengungen, mehr Liebe zu offenbaren, sind umsonst; das
Herz wird nur unruhiger und elender, bis wir zuletzt mutlos
und gleichgültig unsere Hände sinken lassen. Meistens haben
auch solche Anstrengungen und Wünsche, den Herrn mehr zu
lieben, ihren Grund in einem gewissen Streben nach eigener
Gerechtigkeit. Wir sind weit mehr geneigt, Ihm etwas von
unserem Eigenen darzubringen, als uns mit dankbarem Herzen
Seiner Gnadengabe zu erfreuen - mehr geneigt, in unserer
Liebe zu Ihm als in Seiner Liebe zu uns zu ruhen. Welch eine
Torheit! Und doch ist diese Gesinnung verbreiteter unter den
Christen als man gewöhnlich denkt; und sie ist bei vielen ein
Hindernis der Freude im Herrn und des Dienstes für Seinen
gesegneten Namen.
Wir lesen weiter: „Als er nun hörte, daß er krank sei, blieb er
noch zwei Tage an dem Orte, wo er war" (V. 6). Wie
auffallend! Warum kam Er nicht sogleich? War es Mangel an
Liebe? O nein! „Jesus aber liebte die Martha und ihre Schwester
und den Lazarus." Würde aber nicht Martha oder auch Petrus
auf eine solche Botschaft sofort gekommen sein, wenn sie
hätten trösten oder helfen können? Höchst wahrscheinlich;
168
denn sie waren weit mehr geneigt, ihren natürlichen Gefühlen
zu folgen, als dem Herrn. Wie oft werden diese Gefühle der
Natur mit der bereitwilligen Liebe Christi verwechselt! Der
Herr aber wandelte auf der Erde in völliger Abhängigkeit vom
Vater; in allen Dingen richtete Sich Sein Blick zuerst nach
oben. Gewiß war Sein Herz mit einer innigen Zuneigung gegen
die drei Geschwister und mit dem innigsten Mitgefühl mit ihrer
Not erfüllt; aber die Verherrlichung des Vaters war Sein
höchstes und vornehmstes Ziel. Er sagte: „Diese Krankheit ist
nicht zum Tode, sondern um der Herrlichkeit Gottes willen,
auf daß der Sohn Gottes durch sie verherrlicht werde" (V. 4).
Sein ganzer Wandel war stets in völliger Übereinstimmung mit
dem Willen des Vaters. „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch:
Der Sohn kann nichts von sich selbst tun, außer was er den
Vater tun sieht; denn was irgend er tut, das tut auch der Sohn
gleicherweise" (Joh 5,19). Ebenso war auch Sein Werk auf
dem Kreuz nicht nur zu unserer Errettung, sondern auch zur
Verherrlichung des Vaters, sodaß Er am Ende Seines gesegneten Weges sagen konnte: ,Jch habe dich verherrlicht auf der
Erde; das Werk habe ich vollbracht, welches du mir gegeben
hast, daß ich es tun sollte" (Joh 17,4).
So standen also die Verherrlichung Gottes und unser Heil stets
vor den Augen unseres geliebten Herrn, während Er Seinen
Lauf in dieser versuchungsreichen Welt und Wüste vollendete.
Wieviel können wir daraus lernen! Es fehlt uns oft nicht allein
an jener Abhängigkeit, sondern auch an dem Wunsch, daß der
Name des Herrn verherrlicht werde. Wir sind so geneigt, uns
selbst und unsere Umstände zur Hauptsache zu machen. Sind
wir in Trübsalen, so fehlt nicht selten die ruhige Ergebung in
den Willen des Herrn. Wir sehnen uns danach, herauszukommen, versuchen oft allerlei Wege, um unser Ziel zu erreichen,
und wenn uns alles mißlingt, so ist oft das Herz mit Murren
und Unzufriedenheit erfüllt. Möchten wir doch mehr unser
Auge auf den Herrn richten, der uns auf dem Pfad des
Glaubens vorangegangen ist. Wenn wir mehr in Abhängigkeit
von Ihm wandeln und Seine Verherrlichung suchen, so werden
wir auch willig unser Kreuz tragen und Ihm nachfolgen! Wenn
169
es unser aufrichtiger Wunsch ist, daß Sein wohlgefälliger Wille
durch uns erfüllt wird, so werden wir in all Seinen Führungen
still sein und in all unseren Versuchungen mit Vertrauen auf
Ihn schauen. Paulus hatte nur ein Ziel - die Verherrlichung des
Herrn und die Verkündigung Seines Namens. Darum war er
glücklich in seinem Gefängnis, sobald er erkannte, daß seine
Gefangenschaft zur Förderung des Evangeliums gereichte. Es
war seine sehnliche Erwartung und Hoffnung, daß Christus
allezeit hoch erhoben werde an seinem Leibe, sei es durch
Leben oder durch Tod (Phil 1,12-20). Diese Gesinnung allein
geziemt sich für alle teuer erkauften Heiligen.
Die Schwestern in Bethanien hatten in ihrer Trübsal Gelegenheit, sich in Ausharren und Vertrauen zum Herrn zu üben. Sie
kannten Seine Güte und Macht, die sie so oft gesehen hatten;
auch zweifelten sie nicht an Seiner Liebe, die sie selbst schon
vielfach erfahren hatten; aber dennoch ließ Er sie jetzt warten,
Lazarus starb; der Herr kam nicht, um ihn zu heilen. Wie sehr
wurde durch dieses Verhalten des Herrn ihre Liebe und ihr
Vertrauen zu Ihm auf die Probe gestellt! Sie bedurften aber,
wie immer, der Läuterung, damit die Bewährung ihres Glaubens viel köstlicher als die des vergänglichen Goldes erfunden
wurde zu Lob und Ehre und Herrlichkeit in der Offenbarung
Jesu Christi (1. Petr 1,7). Das ist das Ziel Gottes bei allen
Führungen der Seinigen hienieden. Sicher hat Er in Bezug auf
unsere Bitten die herrlichsten Verheißungen gegeben. Wir
lesen in Johannes 14,13: „Und was irgend ihr bitten werdet in
meinem Namen, das werde ich tun, auf daß der Vater verherrlicht werde in dem Sohne." Und wiederum: „Und dies ist die
Zuversicht, die wir zu ihm haben, daß, wenn wir etwas nach
seinem Willen bitten, er uns hört" (l.Joh 5,14). Dennoch läßt
Er uns oft warten, damit unser Vertrauen fest werde und sich
als wirkliches Vertrauen auf Ihn erweise. Andererseits will Er
auch das Bewußtsein unserer Abhängigkeit sowie die Wichtigkeit der Verherrlichung Seines Namens in unseren Herzen
lebendiger machen. Aber nie ist es bei Ihm Mangel an Liebe
oder Mitgefühl, wenn Er uns warten läßt. Dies sehen wir so
deutlich bei den Geschwistern in Bethanien. Er liebte sie innig,
170
Er verweilte oft in ihrer Mitte, und doch kam Er nicht sogleich,
um Lazarus zu heilen und ihren Schmerz in Freude zu
verwandeln. Er ließ Lazarus sterben. Gewiß ist Satan bemüht
gewesen, allerlei Gedanken in den Herzen der Schwestern
wachzurufen; er ist in solchen Stunden immer tätig, unser
Vertrauen zu schwächen und Zweifel und Murren in uns zu
erwecken. Wir haben dann besonders nötig, fest auf den Herrn
zu blicken und an Seiner Liebe festzuhalten; sonst werden wir
unruhig und unglücklich sein. Ja, viele trübe Stunden bereiten
sich die Geliebten des Herrn dadurch, daß sie in ihren Versuchungen mit sich selbst oder mit ihren Umständen beschäftigt
sind, anstatt auf Seine Hilfe zu harren.
Für die Jünger des Herrn gab es bei dieser Gelegenheit auch
etwas Schönes zu lernen, sowohl in Bezug auf die Erkenntnis
des Herrn als auch in Bezug auf sie selbst. Als Seine Stunde
gekommen war, sagte Er zu ihnen: „Laßt uns wieder nach
Judäa gehen." Die Jünger aber erwiderten: „Rabbi, eben
suchten die Juden dich zu steinigen, und wiederum gehst du
dahin?" (V. 7.8). Ihr Auge ruhte auf den Umständen, und
darum fürchteten sie sich, dem Herrn zu folgen. Wie oft
machen wir dieselbe Erfahrung! Die Gegenwart des Lichts
kann uns nicht helfen, wenn das Auge nicht klar ist. Die Quelle
des Lichts ging vor den Jüngern her, und dennoch fürchteten
sie die Schwierigkeiten auf dem Weg. Der Herr antwortete:
„Sind der Stunden des Tages nicht zwölf? Wenn jemand am
Tage wandelt, stößt er nicht an, weil er das Licht dieser Welt
sieht; wenn aber jemand in der Nacht wandelt, stößt er an, weil
das Licht nicht in ihm ist" (V.9.10). Der Herr wurde stets
durch den wohlgefälligen Willen Seines Vaters geleitet; nach
diesem Willen verweilte Er und ging Er weiter. Nie wurde Er
durch die Umstände geleitet. Sobald der wohlgefällige Wille
des Vaters Ihm den Weg geöffnet hatte, fürchtete Er weder die
Steine der mörderischen Juden noch das Kreuz. Alles war hell
und klar auf Seinem Weg, und in diesem Licht sollten auch
jetzt die Jünger Ihm folgen. Aber leider hielt der Unglaube ihre
Augen verschlossen, und so hatten sie auf dem Weg nach
Judäa nichts anderes als den Tod vor Augen. „Da sprach
171
Thomas, der Zwilling genannt ist, zu den Mitjüngern: Laßt
auch uns gehen, auf daß wir mit ihm sterben" (V. 16).
Wie oft ergreift die Todesfurcht unser armes Herz, wenn der
Unglaube unseren Blick auf die Umstände richtet! Der wohlgefällige Wille des Vaters ist aber auch für uns das Licht in dieser
versuchungsreichen Welt und Wüste. Wir sollten nie einen Ort
oder eine Stellung verlassen oder ein Verhältnis aufgeben oder
etwas Ähnliches tun, bis wir überzeugt sind, daß es der Wille
unseres Vaters sei; und nie wird Er ein aufrichtiges Herz über
eine Sache in Ungewißheit lassen, wenn es Gewißheit braucht.
Wenn wir nach Seinem Willen wandeln, so wandeln wir am
Tag. Der Weg ist gebahnt. Wir dürfen bei allem, was uns auch
begegnen mag, festhalten, daß alle Dinge zum Guten für uns
mitwirken (Röm 8,28). Unser Herz ist dann getrost und ruhig;
wir können voller Vertrauen auf Ihn blicken und Ihm alles
anbefehlen und selbst in den schwersten Prüfungen auf Seine
Kraft und Hilfe rechnen. Doch ganz anders ist es, wenn wir
durch das Fleisch oder durch die Umstände geleitet werden.
Wir kommen bald in Bedrängnis, und das Herz ist voller
Unruhe und Sorge. Wie oft ist dies der Fall! Der Knabe Samuel
mußte dreimal gerufen werden, ehe er erkannte, wer zu ihm
sprach, weil er das Wort Gottes noch nicht kannte; aber viele
Christen laufen schon, ehe der Herr einmal gerufen hat und
machen nicht selten die traurigsten Erfahrungen. Deshalb laßt
uns stets warten, bis wir Seinen wohlgefälligen Willen erkennen, damit wir nie anstoßen, nie in Unruhe sind und nie den
Namen des Herrn durch eigene Wege verunehren.
Als nun Jesus nach Bethanien kam, fand er Lazarus schon vier
Tage in der Gruft liegen (V. 17). Der Tod hatte eine tief empfundene Lücke bereitet. Er hatte das innige Band der drei
glücklichen Geschwister zerrissen und nur Kummer und
Tränen zurückgelassen, und der Herr, der teuerste Freund ihres
Herzens, war während dieser traurigen Szene nicht zugegengewesen. Er kam jetzt wohl; aber der Tod war vor Ihm gekommen und hatte den geliebten Bruder aus ihrer Mitte weggenommen. „Martha nun, als sie hörte, daß Jesus komme, ging
ihm entgegen. Maria aber saß im Hause. Da sprach Martha zu
172
Jesu: Herr, wenn du hier gewesen wärest, so wäre mein Bruder
nicht gestorben" (V. 20.21). Sie wußte, daß Er ihn wieder hätte
gesund machen können; aber weiter reichte ihr Glaube nicht.
Sie erkannte aber auch, daß Jesus, der Christus, der Sohn
Gottes war und so sehr in der Liebe und Gunst Gottes stand,
daß Er, was Er auch bitten mochte, von Gott empfangen
würde. Auch hielt sie fest, daß ihr Bruder Lazarus am letzten
Tag auferstehen würde. Aber so sehr dies auch stimmte, so
hatte diese Wahrheit doch keinen wirklichen Wert für sie und
brachte ihrem bedrückten Herzen wenig Befreiung und Trost.
Denn welch eine Ruhe gewährt die Hoffnung der Auferstehung, wenn sie nicht mit der Gewißheit verbunden ist, daß
alle Folgen unseres sündigen Lebens und Zustandes für immer
beseitigt sind? Gott aber sei Dank, daß wir diese Gewißheit
haben! - Der Herr sprach zu Martha: ,Jch bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, wird leben, auch
wenn er gestorben ist; und jeder, der da lebt und an mich
glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit" (V. 25.26). In Ihm
haben wir nicht nur die Auferstehung, sondern auch das Leben.
Er ist in Gnade Mensch geworden und hat auf dem Kreuz die
Sünde und deren Strafe auf Sich genommen. Jetzt haben wir
Sein Auferstehungsleben empfangen, und es befreit uns von
allem, was der Tod umfaßt; es läßt Sünde und Tod, ja alles,
was mit unserem natürlichen Leben in Verbindung steht, für
immer zurück. Der Herr hat durch Seinen Tod „den zunichte
gemacht, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel"
(Hebr 2,14), und ebenso den Tod selbst, und hat „Leben und
Unverweslichkeit ans Licht gebracht" (2.Tim 1,10). Gott hat
uns mit Ihm lebendig gemacht, indem Er uns alle unsere
Vergehungen vergeben hat, sodaß wir jetzt schon im Glauben
triumphierend ausrufen können: „Verschlungen ist der Tod in
Sieg. Wo ist, o Tod, dein Stachel? wo ist, o Tod, dein Sieg?"
(l.Kor 15,54.55). Der Glaubende wird leben, selbst wenn er
gestorben ist; und der Lebende, der an Ihn glaubt, wird nie
mehr sterben, denn Christus hat den Tod besiegt; er kann in
Seiner Gegenwart nicht mehr existieren. Die ganze Wirkung
der Sünde auf den Menschen ist durch die Auferstehung, durch
die Lebensmacht in Jesu vollständig zerstört. Der Tod ist das
173
Ende des natürlichen Menschen, und die Auferstehung ist das
Ende des Todes. Welch eine Befreiung!
Doch Martha, obwohl sie an den Herrn glaubt und Ihn liebt, ist
nicht fähig, in die Worte des Heilandes einzudringen. Sobald
Er kommt, geht sie Ihm aus eigenem Antrieb entgegen, sobald
Er aber mit ihr von der in Seiner Person dargestellten Macht
des göttlichen Lebens redet, zieht sie sich zurück. Sie fühlt,
daß die Unterhaltung mit dem Herrn mehr Sache der Maria sei
und ruft sie deshalb. Maria, die sich vom Herrn gerufen glaubt,
eilt sofort zu Ihm und wirft sich weinend zu Seinen Füßen. Sie
hatte wohl über die Auferstehung und das Leben nicht mehr
Verständnis als auch Martha; aber unter dem Schmerz über den
Tod bricht ihr Herz in der Gegenwart Dessen zusammen, der
das Leben war. Sie legt jetzt ihre Not und ihren Kummer zu
den Füßen Jesu nieder, wo sie früher gesessen und die Liebe
und Gnade ihres teuren Herrn kennengelernt hatte. Er allein
war fähig, den tiefen Kummer ihres Herzens zu verstehen; Er
allein konnte mitfühlen, wie kein Mensch es vermochte.
„Als nun Jesus sie weinen sah, und die Juden weinen, die mit
ihr gekommen waren, seufzte er tief im Geist und erschütterte
sich und sprach: Wo habt ihr ihn hingelegt? Sie sagen zu ihm:
Herr, komm und sieh! Jesus vergoß Tränen. Da sprachen die
Juden: Siehe, wie lieb hat er ihn gehabt!" (V. 33-36). Welch ein
Anblick! Der Herr der Herrlichkeit, der Schöpfer aller Dinge
stellt Sich hier mitten unter Seine armen Geschöpfe, die durch
die Sünde völlig ruiniert sind, und vergießt Tränen. Er erschüttert Sich Selbst in der Gegenwart des Todes, welcher der Lohn
der Sünde ist, welcher kalt und herzlos das innigste Band der
Liebe zerreißt und nichts als Schmerz und Tränen zurückläßt.
Ja, der Herr Selbst seufzt, voll innigsten Mitgefühls, unter der
Schrecklichkeit des Todes, den Er zunichte machen würde. Er
nimmt völlig teil an dem Seufzen der Geschöpfe und bringt den
Tod vor Gott als das Unglück des Menschen, als die Macht, der
er vergeblich zu entfliehen sucht. Er erschüttert Sich Selbst; Er
seufzt vor Gott; Er weint mit den Menschen, und dies alles aus
Liebe zu denen, welche diesem schrecklichen Schicksal unterworfen sind. Auch wir, die wir mit Christus lebendig gemacht
174
sind, nehmen teil an diesem Seufzen. „Denn wir wissen", sagt
der Apostel, „daß die ganze Schöpfung zusammen seufzt und
zusammen in Geburtswehen liegt bis jetzt. Nicht allein aber sie,
sondern auch wir selbst, die wir die Erstlinge des Geistes haben,
auch wir selbst seufzen in uns selbst, erwartend die Sohnschaft:
die Erlösung unseres Leibes" (Röm 8,22.23). Der Gläubige ist
jetzt der Kanal, wodurch alle diese Seufzer zu Gott emporsteigen. Es ist aber kein Seufzen unter der Macht der Sünde, die
uns etwa noch gefangenhielte, oder weil wir in Bezug auf
unsere Errettung oder der Liebe Gottes ungewiß wären; o nein,
sondern wir seufzen, weil wir als Teilhaber der himmlischen
Herrlichkeit sehen, wie die Sünde auf alles um uns her den
Stempel der Nichtigkeit und des Verderbens gedrückt hat. Ja,
wir werden umso mehr mit der leidenden und seufzenden
Schöpfung Mitgefühl haben, je mehr die Liebe und Gnade
Gottes uns erfüllt, je mehr wir, wie Jesus, das Elend fühlen, das
durch die Sünde in die Schöpfung gekommen ist, und je mehr
die Strahlen jener himmlischen Herrlichkeit in unsere Herzen
leuchten.
Maria hatte hier also Gelegenheit, einen neuen, lieblichen Zug
der Vollkommenheit Christi kennenzulernen. Sie hatte oft
Seine Güte und Macht gesehen und die wunderbaren Worte
aus Seinem Mund gehört; aber jetzt sollte sie auch Sein vollkommenes Mitgefühl kennenlernen, und wie konnte dies
anders geschehen als auf dem Weg der Trübsal und Leiden!
Sie wußte wohl, daß Er mächtig genug war, um den kranken
Bruder gesund zu machen; aber daß Er, wenn der Bruder
gestorben war, voll des tiefsten Mitgefühls mit ihr Tränen
vergießen konnte, das hatte sie bis jetzt noch nicht erfahren.
Welche Vollkommenheit war und ist in Jesu! In allen Lagen
unseres Lebens finden wir die Fülle in Ihm; und was ist
schöner, was ist in den Stunden unserer tiefsten Trauer kostbarer für unser Herz: Seine unumschränkte Macht kennenzulernen oder Sein inniges Mitgefühl? Ja, einen solchen Jesus
mußten solch arme und schwache Geschöpfe haben, wie wir
sind. Nie ist Sein Arm zu kurz, um zu helfen, und nie kommt
Seine Hilfe zu spät; aber auch nie trifft uns ein Leid, klein
175
oder groß, bei dem Er nicht auf das Tiefste mitfühlt und uns
tröstend zur Seite steht. Welch eine Ruhe gibt uns das in dieser
Wüste, in den vielfältigen Versuchungen dieses Lebens! Wie
oft erfahren wir, daß wir hier durchs Tränental gehen, wie oft
zieht Kummer und Schmerz in unser Haus ein oder reißt der
Tod ein Glied aus der so innig verbundenen Kette und läßt eine
Leere zurück, die niemand ausfüllen kann. Doch Er vermag es
- Er allein. Er kann die tiefste Wunde heilen; Er kann
vollkommen mit uns fühlen. Wir können uns vertrauensvoll zu
Seinen Füßen niederwerfen und an Seinem treuen Herzen
unseren Schmerz ausweinen. Wenn niemand uns versteht, Er
versteht uns; wenn alle uns verlassen, Er bleibt uns immer nahe.
Er erlaubt zwar oft, daß wir in Trübsal kommen - nicht nur,
weil die Trübsal Ausharren bewirkt, sondern weil sie Ihm eine
Gelegenheit bietet, uns Sein mitfühlendes Herz zu offenbaren
und uns eine neue Seite Seiner göttlichen Vollkommenheit
erkennen zu lassen. Wie wunderbar sind solche Wege und
Erfahrungen trotz allem Schmerz! Es sind Erfahrungen, die wir
in der Herrlichkeit droben nie machen können. Dort brauchen
wir Sein inniges Mitgefühl nicht mehr, weil dort alle Tränen für
immer von unseren Augen abgewischt sein werden. Darum,
geliebte Brüder, laßt uns deshalb, solange wir noch auf der Erde
sind, festhalten: „Achtet es für lauter Freude, meine Brüder,
wenn ihr in mancherlei Versuchungen fallet" (Jak 1,2).
Als etliche der Juden Seine Tränen sahen, sprachen sie: „Siehe,
wie lieb hat er ihn gehabt!" (V. 36). Ja, Er liebte Lazarus, und
Er liebt alle die Seinigen mit einer vollkommenen Liebe. Doch
es war nicht der Verlust des Lazarus, der Seufzer und Tränen
bei Ihm hervorbrachte, sondern die Gegenwart des Todes und
das Mitgefühl für die tiefbetrübten Schwestern. Er wußte, wo
Lazarus' Seele war; Er konnte sagen: „Niemand wird sie aus
meiner Hand rauben" (Joh 10,28). Sie bleiben in Seiner Hand,
auch wenn der Tod sie aus unserer Mitte weggenommen hat.
Sie leben, auch wenn sie gestorben sind. Er verliert sie niemals, denn Er hat den Tod zunichte gemacht und Leben und
Unverweslichkeit ans Licht gebracht. Welch ein Trost für die
Zurückgebliebenen! Ihre heimgegangenen Geliebten sind noch
176
immer in Seiner Hand; nichts hat Macht über sie; nichts kann
sie Ihm rauben. Dieselbe Hand bewahrt sie dort, die auch uns
hier bewahrt. Sie sind in völliger Ruhe und sind bei dem
geliebten Herrn, zu dem auch wir bald hingehen werden. Es ist
nur eine Trennung für kurze Zeit.
Andere der dabeistehenden Juden sagten: „Konnte dieser, der
die Augen des Blinden auftat, nicht machen, daß auch dieser
nicht gestorben wäre?" (V. 37). Nur der Unglaube, der über die
Wege des Herrn murrt, führt eine solche Sprache. Der Unglaube ist die Quelle der Sünde, wodurch alles Elend über diese
Schöpfung gekommen ist; er hält das Herz des Menschen stets
von Gott fern. Der Herr fühlt das. „Jesus nun, wiederum tief in
sich selbst seufzend, kommt zur Gruft" (V. 38). Seine Tränen
verwandeln sich in einen unaussprechlichen Seufzer, der die
Empfindung eines Herzens ist, das aufs Tiefste mitleidet.
Marthas Herz ist wie immer mit den Umständen beschäftigt.
Sie sagt: „Herr, er riecht schon ... Jesus spricht zu ihr: „Habe
ich dir nicht gesagt, wenn du glauben würdest, so würdest du
die Herrlichkeit Gottes sehen?" (V. 39.40). Er hatte Sein
Anliegen vor Gott gebracht, und Er konnte jetzt Seine Augen
aufheben und sagen: „Vater, ich danke dir, daß du mich erhört
hast. Ich aber wußte, daß du mich allezeit erhörst; doch um der
Volksmenge willen, die umhersteht, habe ich es gesagt, auf
daß sie glauben, daß du mich gesandt hast. Und als er dies
gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus!
Und der Verstorbene kam heraus" (V.41-44). Wie vollkommen
bestätigte Er hier die im vorigen Kapitel ausgesprochenen
Worte: „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie,
und sie folgen mir; und ich gebe ihnen ewiges Leben, und sie
gehen nicht verloren ewiglich, und niemand wird sie aus
meiner Hand rauben. Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist
größer als alles, und niemand kann sie aus der Hand meines
Vaters rauben. Ich und der Vater sind eins" (Joh 10,27-30).
Die schon eingetretene Verwesung war für Seine Macht kein
Hindernis; der Tod mußte Lazarus zurückgeben, sobald Er es
wollte; jede Spur des Todes mußte verschwinden, sobald Er es
gebot. Seiner Macht ist alles unterworfen. Er hat sowohl den
177
Tod zunichte gemacht als auch den, der die Macht des Todes
hat, den Teufel. Die Seinigen bleiben stets in Seiner Gewalt, sei
es daß sie leben oder entschlafen sind. Sie bleiben immer in
Seiner Hand, und Er kann sie jeden Augenblick zu Sich rufen.
Jedes Hindernis ist für immer beseitigt, um mit Ihm und bei
Ihm in der Herrlichkeit zu sein. Ja, er hat solch eine große
Macht und Kraft, daß wir nicht einmal sterben müssen. Er kann
uns plötzlich, in einem Nu, verwandeln, sodaß das Sterbliche
die Unsterblichkeit anzieht (l.Kor 15). Das wird in jenem
glückseligen Augenblick Seiner Ankunft geschehen, wenn die
Lebenden verwandelt, die Entschlafenen auferweckt und mit
jenen zusammen dem Herrn entgegengerückt werden in die
Luft, um allezeit bei dem Herrn zu sein (1. Thess 4). Welch eine
Sicherheit, welch ein Trost ist das für alle, die an Ihn glauben!
Sie sind für immer vom Tod und von allem, was damit in
Verbindung steht, völlig befreit; sie sind für ewig errettet, für
ewig sicher in Seinen treuen Händen. Weder die Versuchungen
der Wüste, noch der Tod, weder Hohes noch Tiefes kann sie
von Ihm und Seiner Liebe trennen. O möchte dieses kostbare
Bewußtsein stets unsere Herzen beleben und erfreuen!
Enthaltsamkeit
Das Wort „Enthaltsamkeit" in 2.Petrus 1,6 hat eine viel tiefere
Bedeutung als man ihm gewöhnlich beilegt, wenn man es nur
auf Essen und Trinken anwendet. Ohne Zweifel ist das einbegriffen; aber es enthält weit mehr; wir dürfen an jemand denken, der das eigene „Ich" in beständiger Unterwürfigkeit hält.
Das ist in der Tat eine besondere Gnade, die ihren geheiligten
Einfluß auf den ganzen Wandel, den ganzen Charakter und das
ganze Verhalten eines Menschen ausübt. Sie zielt nicht nur auf
eine oder zwei oder zwanzig schlechte Gewohnheiten hin,
sondern auf das ganze „Ich", in der vollen Bedeutung dieses
Wortes. Viele, die mit Überheblichkeit auf den Schwelger oder
178
Trinker herabblicken, versagen jede Stunde darin, Enthaltsamkeit in ihrem täglichen Wandel zu offenbaren. Es ist wahr, daß
Schwelgerei und Trunkenheit zu den abscheulichsten und niedrigsten Formen der Selbstsucht gehören; man kann sie unter
die bittersten Früchte zählen, die auf jenem Baum wachsen. Ja,
das „Ich" ist ein Baum und nicht nur ein Zweig oder die Frucht
eines Zweiges; und wir sollten es nicht nur richten, wenn es
wirksam ist, sondern auch im Zaume halten, damit es nicht
wirksam werde.
Man könnte fragen: Aber wie können wir das Ich bezwingen?
- Die Antwort ist ganz einfach: „Alles vermag ich in dem, der
mich kräftigt" (Phil 4,13). In Christus haben wir die Errettung
empfangen; - und was umfaßt dieses kostbare Wort? Etwa nur
die Errettung von dem zukünftigen Zorn? Nur die Vergebung
der Sünden und die Gewißheit, daß wir nicht in den See
kommen, der mit Feuer und Schwefel brennt? Es umfaßt weit
mehr als das, so wertvoll diese Dinge auch sind. Die Errettung
schließt ein, daß ich Christus als meine „Weisheit" besitze, um
mich aus den dunklen Pfaden der Torheit herauszuführen auf
die Pfade des himmlischen Lichts und Friedens. Sie schließt
auch ein, daß Christus meine „Gerechtigkeit" ist, um vor dem
Angesicht eines heiligen Gottes gerechtfertigt zu sein; - daß Er
meine „Heiligkeit" ist, um mich auf praktische Weise heilig zu
machen in allen meinen Wegen, so daß mein praktischer
Zustand dann auch meiner Stellung in Christus entspricht, denn
in Ihm bin ich heilig. Schließlich ist auch die „Erlösung" enthalten, um mich von der Macht des Todes zu erretten und mir
einen reichlichen Eingang in die ewigen Gefilde der Herrlichkeit zu geben (1. Kor 1,30).
Deshalb ist es klar, daß die Enthaltsamkeit in die Erlösung, die
wir in Christus haben, eingeschlossen ist. Sie ist ein Resultat
der praktischen Heiligung. Wir sollten uns vor der Gewohnheit,
einen zu engen Begriff von der Erlösung zu haben, sorgfaltig
hüten. Laßt uns vielmehr bemüht sein, in ihre ganze Fülle einzudringen. Es ist ein Wort, das in seiner Bedeutung von Ewigkeit zu Ewigkeit reicht und alle praktischen Einzelheiten des
täglichen Lebens völlig umfaßt. Ich habe kein Recht, von der
179
Erlösung meiner Seele für die Zukunft zu reden, wenn ich mich
weigere, ihren praktischen Einfluß auf meinen Wandel in der
Gegenwart anzuerkennen und zu offenbaren. Wir sind nicht nur
von der Schuld der Sünde und der Verdammnis befreit, sondern
auch ebenso völlig von der Macht der Sünde, deren Ausübung
und von der Liebe zu ihr. Diese Dinge sollten nie getrennt werden; und es wird sie auch niemand trennen, der in der Bedeutung, der Tragweite und der Kraft jenes kostbaren Wortes
„Erlösung" göttlich unterwiesen ist.
Wenn ich nun über die Enthaltsamkeit etwas Praktisches sagen
möchte, so will ich sie von drei Seiten betrachten: Zuerst in
Bezug auf die Gedanken, dann in Bezug auf die Zunge und
schließlich in Bezug auf das Temperament. Ich möchte aber
betonen, daß sich diese Zeilen ausschließlich auf solche beziehen, die errettet sind. Sollte mein Leser es noch nicht sein,
so kann ich ihn nur auf den einen wahren und lebendigen Weg
hinweisen: „Glaube an den Herrn Jesus, und du wirst errettet
werden" (Apg 16,31).
Zuerst also zu dem, was unsere Gedanken und ihre Beherrschung betrifft. Ich glaube, daß es wenige Christen gibt, die
nicht unter bösen Gedanken leiden, unter jenen quälenden
Gedanken, die selbst in unsere tiefste Zurückgezogenheit eindringen und beständig unsere innere Ruhe zu stören suchen -
die so oft die Atmosphäre um uns her verdunkeln und uns
daran hindern, den klaren Blick nach oben zum Himmel zu
genießen. Der Psalmist konnte sagen: „Lüge [oder Falschheit]
hasse und verabscheue ich" (Ps 119,163). Böse Gedanken sind
wirklich hassenswert und sollten gerichtet und vertrieben werden. Freilich kann ich es nicht verhindern, daß böse Gedanken
in mir auftauchen; aber ich kann ihnen ihren Aufenthalt in
meinem Geist verwehren.
Aber wie können wir unsere Gedanken beherrschen? Wir vermögen dies ebensowenig wie unsere Sünden zu tilgen. Was
haben wir denn zu tun? Auf Christus zu schauen! Dies ist das
wahre Geheimnis der Enthaltsamkeit. Er kann uns vor der Anwesenheit böser Gedanken bewahren, ja sogar verhindern, daß
180
sie uns beeinflussen. Wir können weder das eine noch das andere. Er aber vermag beides. Er kann den schlechten Gedanken
nicht nur das Eintreten, sondern auch sogar das Anklopfen an
die Tür verwehren. Wenn das göttliche Leben in wirklicher
Energie ist, wenn der Strom der geistlichen Gedanken und Gefühle tief und reißend ist, wenn die Zuneigungen des Herzens
einzig und allein mit der Person Christi beschäftigt sind, so
werden die bösen Gedanken uns nicht stören. Nur wenn wir im
Glauben träge werden, brechen die bösen Gedanken wie eine
Flut über uns herein, und dann besteht unsere einzige Sicherheit darin, direkt auf Jesus zu schauen. Wir könnten ebensogut
versuchen, mit dem ganzen Heer der Hölle zu kämpfen, als mit
einer Schar böser Gedanken. Unsere Zuflucht ist in Christus.
Er ist uns von Gott gemacht zur Heiligung. Alles vermögen wir
durch Ihn. Wir haben nur den Namen Jesu der Flut böser Gedanken entgegenzustellen, und Er wird uns gewißlich völlige
und augenblickliche Befreiung geben.
Es ist aber ein vortrefflicherer Weg, um vor den Einflüsterungen des Bösen bewahrt zu bleiben, sich stets mit dem, was gut
ist, zu beschäftigen. Mögen wir es durch unsere eigene Erfahrung erproben. „Übrigens, Brüder, alles was wahr, alles was
würdig, alles was gerecht, alles was rein, alles was lieblich ist,
alles was wohllautet, wenn es irgend eine Tugend und wenn es
irgend ein Lob gibt, dieses erwäget. Was ihr auch gelernt und
empfangen und gehört und an mir gesehen habt, dieses tut, und
der Gott des Friedens wird mit euch sein" (Phil 4,8.9). Wenn
das Herz völlig mit Christus, der lebendigen Quelle aller in
Vers 8 enthaltenen Dinge erfüllt ist, so genießen wir einen
tiefen Frieden, der nicht durch böse Gedanken gestört wird.
Das ist wahre Enthaltsamkeit.
Wir wollen jetzt unseren Blick auf die Zunge richten, - auf
jenes einflußreiche Glied, das soviel Gutes und Böses hervorbringen kann - auf das Werkzeug, wodurch wir Ausdrücke
sanften und zärtlichen Mitgefühls oder Worte bitterer Ironie
und brennenden Zorns hervorbringen können. Wie wichtig ist
die Enthaltsamkeit in ihrer Anwendung auf solch ein Glied!
Mit der Zunge kann in einem Augenblick Unheil angerichtet
181
werden, das auf Jahre nicht gutzumachen ist. Wir würden unser
ganzes Vermögen dafür geben, wenn wir die Worte zurückrufen könnten, die wir unbedacht mit unserer Zunge ausgesprochen haben. Der Heilige Geist sagt durch Jakobus über
diesen Gegenstand: „Denn wir alle straucheln oft. Wenn jemand nicht im Worte strauchelt, der ist ein vollkommener
Mann, fähig, auch den ganzen Leib zu zügeln. Siehe, den Pferden legen wir die Gebisse in die Mäuler, damit sie uns gehorchen, und lenken ihren ganzen Leib. Siehe, auch die Schiffe,
die so groß sind, und von heftigen Winden getrieben werden,
werden durch ein sehr kleines Steuerruder gelenkt, wohin
irgend der Trieb des Steuermanns will. So ist auch die Zunge
ein kleines Glied und rühmt sich großer Dinge. Siehe, ein
kleines Feuer, welch einen großen Wald zündet es an! und die
Zunge ist ein Feuer, die Welt der Ungerechtigkeit. Die Zunge
ist unter unseren Gliedern gesetzt, als die den ganzen Leib befleckt und den Lauf der Natur anzündet und von der Hölle
angezündet wird. Denn jede Natur, sowohl der Tiere als der
Vögel, sowohl der kriechenden als der Meertiere, wird gebändigt und ist gebändigt worden durch die menschliche
Natur; die Zunge aber kann keiner der Menschen bändigen: sie
ist ein unstetes Übel, voll tödlichen Giftes" (Jak 3,2-8).
Wer kann die Zunge zähmen? „Kein Mensch"; aber Jesus
Christus vermag es; und nur zu Ihm sollen wir aufblicken in
einfältigem Glauben, der sowohl das Gefühl unserer eigenen
großen Hilflosigkeit als auch Seiner Gnade und Allmacht
umfaßt. Es ist ganz und gar unmöglich, daß wir die Zunge im
Zaume halten können. Ebenso wenig könnten wir Ebbe und
Flut des Ozeans, einen Gebirgsbach oder eine Lawine aufhalten. Wie oft haben wir, wenn wir unter den Folgen eines groben
Vergehens durch die Zunge zu leiden hatten, den Entschluß
gefaßt, das nächste Mal dieses unruhige Glied besser zu zügeln;
aber leider waren unsere besten Vorsätze wie eine vorüberziehende Morgenwolke. Es blieb uns nichts anderes übrig, als
in der Stille unseren traurigen Mangel an Enthaltsamkeit zu
beklagen und zu beweinen. Und warum war es so gekommen?
Einfach deshalb, weil wir es in unserer eigenen Kraft taten oder
182
wenigstens, ohne ein ausreichend tiefes Bewußtsein unserer
eigenen Schwachheit zu haben. Wir müssen uns an Christus
klammern und gleichsam festhalten, wie das Kindlein sich an
seine Mutter klammert. Nur auf diese Weise sind wir imstande,
die Zunge mit Erfolg im Zaume zu halten. Laßt uns zu jeder
Zeit die ernsten Worte von Jakobus im Gedächtnis haben:
„Wenn jemand sich dünkt, er diene Gott, und zügelt nicht seine
Zunge, sondern betrügt sein Herz, dessen Gottesdienst ist eitel"
(Jak 1,26). Das sind wichtige Worte für die gegenwärtige Zeit,
in der so oft die Zungen nicht gezügelt werden! Möge uns der
Herr Gnade geben, diese Worte zu beachten, sodaß ihr heiliger
Einfluß in unserem ganzen Wandel wahrzunehmen ist.
Schließlich kommen wir auf das Temperament zu sprechen,
das mit den Gedanken und der Zunge so eng verbunden ist.
Wenn die Quelle der Gedanken geistlich und das Herz nach
oben gerichtet ist, so ist die Zunge nur wirksam im guten Sinn
und das Temperament ist ruhig und still. Wenn Christus durch
den Glauben im Herzen wohnt, so ordnet Er alles. Ohne Ihn ist
alles schlecht und wertlos. Ich mag die Selbstbeherrschung
eines Sokrates besitzen und ausüben und doch zu gleicher Zeit
ganz und gar unwissend sein in Bezug auf die Enthaltsamkeit in
2. Petrus 1,6. Die Letztere ist auf den Glauben, die Erstere auf
die Philosophie gegründet - zwei ganz verschiedene Dinge. Wir
dürfen nicht vergessen, daß es heißt: „... reichet aber auch dar,
indem ihr allen Fleiß anwendet [oder „aufbietet"; wörtlich
„hinzubringet"], in eurem Glauben ...". Der Glaube steht an
erster Stelle. Er ist das alleinige Band, welches das Herz mit
Christus, der lebendigen Quelle aller Kraft verbindet. Wenn wir
Christus haben und in Ihm bleiben, so sind wir fähig, unserem
Glauben „die Tugend, in der Tugend aber die Erkenntnis, in der
Erkenntnis aber die Enthaltsamkeit, in der Enthaltsamkeit aber
das Ausharren, in dem Aushanen aber die Gottseligkeit, in der
Gottseligkeit aber die Bruderliebe, in der Bruderliebe aber die
Liebe" hinzuzufügen. Das sind die herrlichen Früchte davon,
daß wir in Christus bleiben. Ich aber kann ebenso wenig mein
Temperament, wie meine Zunge oder meine Gedanken im
Zaum halten, und wenn ich es versuche, so werde ich sicher
183
jede Stunde mein Versagen zu beklagen haben. Ein Philosoph
ohne Christus übt vielleicht mehr Enthaltsamkeit in Bezug auf
seine Zunge und sein Temperament aus als ein Christ, der nicht
in Christus bleibt. Dies sollte nicht sein, und es würde auch
nicht so sein, wenn der Christ einfach auf Jesus schaute. Tat er
das nicht, so gewinnt der Feind die Oberhand. Vergessen wir
nicht, daß Satan seine Lust daran hat, einen Christen zum
Straucheln und zum Fallen zu bringen, damit dadurch der
kostbare Name Jesu verlästert werde!
Geliebter Leser, laß uns diese Dinge zu Herzen nehmen! Laß
uns auf Christus schauen, um unsere Gedanken, unsere Zunge
und unser Temperament im Zaume zu halten. Laß uns dabei
„allen Fleiß anwenden". „Denn wenn diese Dinge bei euch
sind und reichlich vorhanden, so stellen sie euch nicht träge
noch fruchtleer hin bezüglich der Erkenntnis unseres Herrn
Jesus Christus. Denn bei welchem diese Dinge nicht sind, der
ist blind, kurzsichtig und hat die Reinigung seiner vorigen
Sünden vergessen." Wie ernst sind diese Worte! Wie leicht
verfallen wir in einen Zustand geistlicher Blindheit und Vergeßlichkeit! Kein Maß der Erkenntnis, weder der Lehre noch
des Buchstabens der Schrift, kann unsere Seele vor diesem
schrecklichen Zustand bewahren. Nur die „Erkenntnis unseres
Herrn Jesus Christus" kann uns von Nutzen sein; und diese Erkenntnis wird dadurch vermehrt, daß wir allen Fleiß aufbieten,
unserem Glauben alle die verschiedenen Gnaden hinzuzufügen, die der Apostel in jenem höchst praktischen und
wichtigen Abschnitt anführt. „Darum, Brüder, befleißiget euch
umsomehr, eure Berufung und Erwählung fest zu machen;
denn wenn ihr diese Dinge tut, so werdet ihr niemals straucheln. Denn also wird euch reichlich dargereicht werden der
Eingang in das ewige Reich unseres Herrn und Heilandes Jesus
Christus" (2.Petr 1,8-11).
184
Der lebendige Vogel
3.Mose 14,6.7
Das Gesetz über die Reinigung des Aussätzigen liefert uns ein
höchst eindrucksvolles Bild von der vollkommenen Erlösung,
die durch Jesus Christus für arme, verlorene Sünder geschehen
ist. Wir finden darin die wahre Grundlage, auf welcher unser
Friede und die Sicherheit unserer Rechtfertigung vor Gott ruht.
Der Herr möge uns allen ein geöffnetes Herz schenken, damit
der Heilige Geist uns diese herrliche Wahrheit offenbaren
kann, so daß wir den Frieden Gottes und den Frieden Christi
genießen können.
Der Aussatz und der Aussätzige stellen uns das traurige Bild
von der Sünde und dem Sünder vor Augen. „Und der Aussätzige, an dem das Übel ist, - seine Kleider sollen zerrissen,
und sein Haupt soll entblößt sein, und er soll seinen Bart
verhüllen und ausrufen: Unrein, unrein! Alle die Tage, da das
Übel an ihm ist, soll er unrein sein; er ist unrein: allein soll er
wohnen, außerhalb des Lagers soll seine Wohnung sein" (3.Mo
13,45.46). Welch ein bejammernswerter Zustand! Der Aussätzige war sozusagen ein lebendig Toter. Er mußte sich vor
den Blicken der Menschen verbergen. Er war unrein und daher
von den Reinen getrennt; er befand sich „außerhalb des Lagers", wo Gott in der Mitte Seines Volkes wohnte. Entweder
allein oder in Verbindung mit anderen, die dasselbe Elend mit
ihm teilten, durchschritt er die öde Wüste. Niemand durfte ihm
nahen; und wenn sein Auge in der Ferne einen Menschen sah,
dann öffneten sich seine Lippen zu dem Warnruf: „Unrein,
unrein!" Auf einem dazu bestimmten Platz fand er seine bescheidene Mahlzeit, oder die wilden Früchte der Wüste mußten
seinen Hunger stillen.
Welch eine Szene! Aber welch ein passendes Bild eines Sünders! Wie der Aussätzige durch den Aussatz, so ist der Sünder
durch die Sünde gekennzeichnet. Vom Scheitel bis zur Fußsohle ist er unrein; er paßt nicht in die Gesellschaft der Reinen;
185
er hat keine Gemeinschaft mit Gott. Gott nimmt seine Opfer,
seine Werke und seinen Dienst nicht an. Obwohl er auf der
Erde lebt, ist er dennoch „tot in Vergehungen und Sünden"; er
ist dem Leben Gottes entfremdet. Das ist der Zustand, in dem
sich ohne Unterschied alle Menschen von Natur befinden.
Glaubst du das, mein Leser? Glaubst du, daß in dir nichts Gutes
wohnt? Oder denkst du etwa, daß irgend ein guter Grundsatz,
ein Anknüpfungspunkt für das Leben Gottes in dir sei? Wenn
das der Fall ist, dann befindest du dich in Widerspruch zu dem
Wort Gottes, welches ausdrücklich sagt „da ist keiner, der Gutes
tue, da ist auch nicht einer" (Röm 3,12); alle, sowohl Juden als
Heiden, sind „tot in Vergehungen und Sünden" (Eph 2). Die
erste Stelle schildert den Wandel und die zweite den Zustand
des Sünders. Da gibt es keinen Anknüpfungspunkt. Nein, der
Mensch ist verloren, und wenn ihn die Gnade Gottes nicht
rettet, ist er für ewig getrennt von dem Leben Gottes.
Betrachten wir nun das Gesetz über die Reinigung des
Aussätzigen. „Dies soll das Gesetz des Aussätzigen sein am
Tage seiner Reinigung: Er soll zu dem Priester gebracht werden; und der Priester soll außerhalb des Lagers gehen; und
besieht ihn der Priester, und siehe, das Übel des Aussatzes ist
heil geworden an dem Aussätzigen, so soll der Priester gebieten, daß man für den, der zu reinigen ist, zwei lebendige,
reine Vögel nehme und Cedernholz und Karmesin und Ysop.
Und der Priester soll gebieten, daß man den einen Vogel
schlachte in ein irdenes Gefäß über lebendigem Wasser. Den
lebendigen Vogel soll er nehmen, ihn und das Cedernholz und
das Karmesin und den Ysop, und dieses und den lebendigen
Vogel in das Blut des Vogels tauchen, der geschlachtet
worden ist über dem lebendigen Wasser; und er soll auf den,
der vom Aussatze zu reinigen ist, siebenmal sprengen und ihn
für rein erklären; und den lebendigen Vogel soll er ins freie
Feld fliegen lassen" (3.Mo 14,1-7).
Der Priester hatte den Auftrag, hinauszugehen außerhalb des
Lagers, um den Zustand des Aussätzigen zu untersuchen. Der
Unglückliche durfte nicht zum Priester gehen, sondern mußte
draußen in seiner Einöde bleiben, bis er als rein anerkannt war.
186
Und was hatte er zu tun? Nichts. Er stand untätig vor dem
Priester und schaute dessen Handlungen zu. Er mußte ruhig auf
den Augenblick warten, wo die Prüfung zu Ende war und der
Priester sagte: 'Du bist rein!' Es war nicht seine Aufgabe, in
irgendeiner Weise an diesem Werk zu helfen; er war nur
Zuschauer. Der Priester tat alles, der Aussätzige tat nichts. -
Ebenso ist es in Bezug auf den Sünder. So wie der Priester das
Lager, die Wohnstätte Gottes, verließ, so ist der Herr Jesus zu
uns Sündern gekommen. Wir konnten Gott nicht nahen; ja, wir
hätten nicht einmal daran gedacht, das zu tun. Er hat uns
aufgesucht in unserem Elend und das Werk unserer Erlösung
und Versöhnung vollbracht. Und was haben wir zu tun? Nichts.
Ebenso wie der Aussätzige brauchen auch wir nur zuzusehen,
was Er tut, und wir brauchen Seinem Wort nur zu glauben.
Richten wir unsere Aufmerksamkeit jetzt auf die Handlung des
Priesters. Er hat das Lager verlassen und ist zu dem Aussätzigen in der Wüste gekommen. - Ein feierlicher Augenblick
für den Unglücklichen! Entweder wird er vielleicht für immer
in sein Elend zurückgestoßen, oder er kann als rein erklärt in
sein Haus zurückkehren. Mit welcher Spannung werden seine
Blicke jede einzelne Bewegung des Priesters verfolgen! Der
eine Vogel wird jetzt geschlachtet, und das Blut des getöteten
Tieres fließt in ein irdenes Gefäß. Dann ergreift er den anderen
Vogel, taucht ihn in das Blut des getöteten, sprengt es siebenmal, also in vollkommener Zahl, auf den Aussätzigen und
macht sich bereit, das Urteil Gottes auszusprechen. Die Blicke
des Aussätzigen heften sich in gespannter Erwartung auf den
lebendigen in Blut getauchten Vogel in der Hand des Priesters.
Seine Freiheit hängt von diesem Tier ab. Öffnet der Priester
seine Hand und fliegt der Vogel davon, so ist für den Aussätzigen der Augenblick der Freiheit gekommen. Nur noch
wenige Sekunden, und Tränen der Freude rollen über die
Wangen des Elenden; der Vogel fliegt ins freie Feld und
schwingt sich hoch empor zu den Wolken als ein lebendiger
Zeuge der Reinigung und der Befreiung des Aussätzigen.
Welch ein herrliches Gemälde des Werkes Christi und der Befreiung des Sünders! Die beiden Vögel stellen uns den Tod und
187
die Auferstehung des Herrn bildlich vor Augen. Freilich kann
nicht ein und derselbe Vogel getötet und zugleich in Freiheit
entlassen werden; aber um die beiden Handlungen zu einer
einzigen zu vereinigen, wurde der lebendige Vogel erst dann
befreit, nachdem er vorher in das Blut des getöteten getaucht
worden war. In Christus finden wir diese beiden Handlungen
vereinigt; und es ist von höchster Wichtigkeit, diese zwei Seiten des Werkes Christi zu verstehen. Der Friede unserer Seelen
hängt davon ab. Leider bleiben viele Gläubige bei dem Kreuz
stehen und haben deshalb keinen vollkommenen Frieden.
Beständig kämpfen sie mit ihren Zweifeln, warten von Tag zu
Tag auf die Gewißheit der Vergebung ihrer Sünden und ihrer
Annahme bei Gott. Sie nahen nie mit Freimütigkeit dem Thron
Gottes, weil ihnen das Bewußtsein fehlt, daß ihr Gewissen gereinigt ist. Wie kann es auch anders sein? Am Fuß des Kreuzes
vernimmt das Ohr des Sünders nicht das Wort: 'Du bist rein!'
Obwohl der eine Vogel getötet und der andere freigelassen
war, so wartete der Aussätzige dennoch gespannt auf den Ausspruch des Priesters.
Ich möchte aber nicht falsch verstanden werden. Es versteht
sich von selbst, daß ohne das Werk auf dem Kreuz keine Vergebung, keine Reinigung von Sünden denkbar ist; denn „ohne
Blutvergießung gibt es keine Vergebung" (Hebr 9,22). Der
Herr Jesus mußte mit Sünden beladen und zur Sünde gemacht
werden. Er wurde von Gott verlassen und mußte sterben, um
uns mit Gott versöhnen und uns erlösen zu können. Aber wenn
außer dem Werk auf Golgatha nichts weiter geschehen wäre,
so würde niemand die Gewißheit der Vergebung seiner Sünden
und seiner Annahme bei Gott haben können. Wir müssen mehr
wissen als die Tatsache, daß Christus unsere Sünden trug und
für uns zur Sünde gemacht wurde, daß über Ihn das Urteil des
Todes ausgesprochen und an Ihm vollzogen worden ist. Wir
müssen wissen, daß wir von der Sünde, dem Tod und dem
Gericht freigemacht sind. Unsere Ruhe hängt nur von dem
Bewußtsein ab, daß Er unsere Sünden weggenommen und daß
Gott das durch Ihn dargebrachte Opfer angenommen hat. Wir
müssen, das Zeugnis Gottes Selbst haben, daß Er in Bezug auf
188
unsere Sünden und unseren Zustand völlig befriedigt ist und
daß wir von allem gerechtfertigt sind. Und, mein lieber Leser,
diese Freisprechung, dieses Zeugnis findest du nicht am Kreuz.
Aber eile hin zum offenen Grab Jesu und lausche hier auf die
Zusage Gottes, daß Er deine Sünden vergeben hat! Hier findest
du deine Freisprechung und deine Rechtfertigung. Er, der beladen mit unseren Sünden am Kreuz hing und deswegen von
Gott verlassen war, wurde durch Ihn aus den Toten auferweckt. Hier gibt Gott Selbst den Beweis, daß das durch Jesus
dargebrachte Opfer vollkommen ausreichend war und Er durch
dieses Werk völlig befriedigt worden ist. Wäre nur eine einzige
Sünde zurückgeblieben, so hätte Gott Ihn nicht auferwecken
und Ihm nicht einen Platz zu Seiner Rechten geben können.
Aber die Schrift sagt, daß „er einmal geopfert worden ist, um
vieler Sünden zu tragen, zum zweiten Male denen, die ihn
erwarten, ohne Sünde erscheinen wird zur Seligkeit" (Hebr
9,28). Herrliche Wahrheit! Die Auferstehung des Herrn ist der
sichere Beweis, daß die Gerechtigkeit und die Heiligkeit
Gottes durch das Werk Christi völlig befriedigt worden sind.
Hätte man den Aussätzigen nach dem Beweis seiner Reinheit
und Freiheit gefragt, so hätte er geantwortet: 'Der Vogel dort in
der Luft ist für mich der Beweis.' Ebenso ist es mit uns. Wenn
jemand die Frage an mich richtet, woher ich wisse, daß ich von
den Sünden gereinigt und gerechtfertigt sei, dann antworte ich:
'Der auferstandene Christus ist für mich der Beweis.' Ja,
geliebte Brüder, die Auferstehung des Herrn ist der Beweis,
daß die Sünden vergeben und wir gerechtfertigt sind. Der Herr
Jesus trug unsere Sünden auf dem Kreuz; Er wurde für uns zur
Sünde gemacht und gerichtet. Er hat „seine Seele ausgeschüttet
in den Tod", und am dritten Tag stand Er auf aus den Toten.
Wo sind nun unsere Sünden? Sie sind gesühnt. Als der Auferstandene, als Sieger über Sünde, Tod und Teufel, hat der
Herr Jesus das Grab verlassen. Wir hatten ewiges Verderben
verdient und gingen dem gerechten Gericht Gottes entgegen;
aber Christus ging für uns ins Gericht; und Seine Auferstehung
ist der Beweis, daß Gott befriedigt ist. Wir hatten nichts als den
Tod zu erwarten, aber Christus starb an unserer Statt, und Gott
189
weckte Ihn auf aus den Toten, sodaß der Tod zunichte gemacht
wurde. Darum haben Tod und Gericht ihre Schrecken für uns
verloren. Christus, sitzend zur Rechten Gottes, ist der Beweis
unserer Rechtfertigung.
Wie gesegnet ist es für uns, wenn wir diese herrliche Wahrheit
verstehen! Sie allein kann uns wahre Ruhe und vollkommenen
Frieden geben. Mein Herz braucht ein Zeugnis von Seiten
Gottes, daß Er in Bezug auf mich befriedigt ist; und dieses
Zeugnis finde ich in der Auferstehung. Gott bezeugt mir darin,
daß Er das Werk Christi als vollkommen vollbracht anerkennt,
daß Er das Opfer angenommen und daß mein Stellvertreter
genug getan hat. Er hat für mich jedes Hindernis für die
Gemeinschaft mit Ihm beseitigt und mich passend gemacht für
den Himmel. Mit voller Freimütigkeit darf ich jetzt vor Gott
erscheinen. „Wenn aber Christus", sagt der Apostel, „nicht
auferweckt ist, so ist euer Glaube eitel; ihr seid noch in euren
Sünden" (l.Kor 15,17). Weil Er aber nun auferweckt worden
ist, so bin ich nicht mehr in meinen Sünden; ich bin gerechtfertigt.
Lieber Leser, verstehst du diese kostbare Wahrheit? Genießt
dein Herz diesen festen, wunderbaren Frieden? Hast du die
Gewißheit, daß deine Sünden für immer gesühnt sind? Darfst
du mit völliger Freimütigkeit in der Gegenwart Gottes erscheinen? Wenn du noch gewisse Zweifel hast, so kommt dieses
einfach daher, daß du die Kraft der Auferstehung Christi nicht
begreifst. Du verstehst die Sprache Gottes nicht, die Er aus
dem offenen Grab zu dir redet. Du erblickst am Kreuz das
Urteil Gottes über deine Sünden; aber du hast deinen
Freispruch noch nicht gehört. O ich bitte dich, bleibe nicht
länger an diesem Platz; gehe einen Schritt weiter. Richte deine
Blicke nicht nur auf den gestorbenen, sondern auch auf den
auferstandenen Christus. Glaube dem Wort Gottes, welches
sagt: „... die wir an den glauben, der Jesum, unseren Herrn, aus
den Toten auferweckt hat, welcher unserer Übertretungen
wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen
auferweckt worden ist" (Röm 4,24.25). Glaubst du, daß Jesus
am Kreuz starb, indem Er Selbst unsere Sünden an Seinem
190
Leibe auf dem Holz trug? Dann glaube auch, daß deine Sünden
vergeben sind und du selbst gerechtfertigt bist, weil Er aus den
Toten auferstanden ist. Paulus sagte zu den Juden: „So sei es
euch nun kund, Brüder, daß durch diesen euch Vergebung der
Sünden verkündigt wird; und von allem, wovon ihr im Gesetz
Moses nicht gerechtfertigt werden konntet, wird in diesem
jeder Glaubende gerechtfertigt" (Apg 13,38.39). Aufgrund der
Auferweckung unseres Stellvertreters erklärt Gott, daß jeder
Glaubende von allem gerechtfertigt ist. Glaubst du, daß das
kostbare Blut Jesu vergossen ist? Glaubst du, daß Gott Ihn aus
den Toten auferweckt hat? Dann gibt Gott dir die Zusicherung,
daß alle deine Sünden durch Jesus vergeben sind; ja, Er
bezeugt dir darüber hinaus, daß jeder Glaubende von allem
gerechtfertigt ist. Der Aussätzige wußte, daß er gereinigt war,
weil der lebendige Vogel sich in die Luft geschwungen und der
Priester ihm gesagt hatte: 'Du bist rein.' Ich weiß, daß meine
Sünden vergeben sind und ich von allem gerechtfertigt bin,
weil Gott es sagt, und weil Jesus Christus auferstanden ist und
zur Rechten Gottes sitzt. Gott kann keinen größeren Beweis
von der Sicherheit meiner Rechtfertigung geben als die
Auferweckung Jesu aus den Toten. Glaube diesem Zeugnis,
mein geliebter Leser, und du wirst einen Frieden genießen, den
die Welt dir nicht rauben kann, und der dich in die Lage
versetzt, Gott verherrlichen zu können!
Die unabhängige Gnade Gottes
Wenn das unter alle Völker der Erde zerstreute Volk Israel in
das Land seiner Väter zurückgeführt ist, wird Gott es wegen
der Verwerfung des Messias durch Züchtigungen und Strafen
heimsuchen. Allerdings wird Gott schon damit beginnen, bevor
das ganze zwölfstämmige Volk zurückgekehrt ist. Die schrecklichsten Gerichte, wie sie seit dem Anfang der Welt nie gewesen sind noch jemals wieder sein werden, brechen dann über
191
das Volk herein (s. Mt 24 und Offb 6-19). Obwohl der größte
Teil des Volkes in seinem Unglauben verharren und später ausgerottet werden wird (Sach 13,8), soll doch ein Überrest nach
Wahl der Gnade bleiben, der durch die Ankunft des Herrn aus
aller Not befreit werden wird, nachdem er sich eine bestimmte
Zeit in der größten Bedrängnis befand. In dieser Zeit der
Drangsal nun, wo sie gebeugt unter der Schwere ihrer Schuld
hinsichtlich der Kreuzigung ihres Messias umhergehen und
keine Worte finden können, um ihr Schmerzgefühl auszudrücken, erinnern sie sich an die Prophezeiung in Jesaja 43,
welche ihre Herzen mit neuem Mut erfüllen kann und welche
ihnen am Ende die vollkommene Vergebung ihrer Schuld
verheißt. „Doch nicht mich hast du angerufen, Jakob, daß du
dich um mich gemüht hättest, Israel! Du hast mir die Schafe
deiner Brandopfer nicht gebracht, und mit deinen Schlachtopfern hast du mich nicht geehrt; ich habe dir nicht mit Speisopfern zu schaffen gemacht, noch mit Weihrauch dich
ermüdet; du hast mir nicht um Geld Würzrohr gekauft, noch
mit dem Fette deiner Schlachtopfer mich gelabt. Aber du hast
mir zu schaffen gemacht mit deinen Sünden, du hast mich
ermüdet mit deinen Missetaten. Ich, ich bin es, der deine
Übertretungen tilgt um meinetwillen; und deiner Sünden will
ich nicht mehr gedenken" (Jes 43,22-25).
Wie herrlich sind diese Worte, und wie sehr werden die
Israeliten sich freuen, wenn sie in solch lieblichen Ausdrücken
die Gnade und unveränderliche Treue ihres Gottes vernehmen!
Aber es ist nicht unsere Absicht, hierbei länger zu verweilen.
Wir wollen uns jetzt nur mit den kostbaren, zu allen Zeiten
geltenden Grundsätzen beschäftigen, die auch für uns in diesen
herrlichen Worten eingeschlossen sind und uns vermehrten
Anlaß geben, unseren Gott und Vater zu loben und anzubeten.
Betrachten wir zunächst den sittlichen Zustand, in dem uns
Israel hier vorgestellt wird; es ist ein Zustand, in dem sich
jeder natürliche Mensch befindet, sei er Jude oder Heide. Wir
wissen, daß Gott den Kindern Israel, nachdem sie Ägypten
verlassen und das Rote Meer durchzogen hatten, Sein Gesetz
gegeben hatte. Und zu welchem Zweck gab Er ihnen das
192
Gesetz? War es etwa deshalb, weil Er dachte, daß der Mensch
es halten könnte? O nein; Gott wußte, daß kein Mensch dazu
imstande war, und darum sagte Er auch: „Und meine Satzungen und meine Rechte sollt ihr beobachten, durch welche der
Mensch, wenn er sie tut, leben wird" (3.Mo 18,5). Gott machte
das Leben von dem Halten der Gebote abhängig. Aber warum
gab Er ihnen denn das Gesetz? Eben darum, weil Israel sich
einbildete, die Gebote Gottes halten zu können, denn sie hatten
gesagt: „Alles was Jehova geredet hat, wollen wir tun!" (2.Mo
19,8). - Gott wußte, daß der Mensch unfähig war, das Gesetz
zu halten; aber Er wollte auch den Menschen davon überzeugen; jeder sollte die Unmöglichkeit so klar erkennen wie Er
Selbst. Das Gesetz wurde gegeben, um den Menschen von der
Sünde zu überführen (Röm 7; Gal 3). Und was ist geschehen?
Noch bevor die beiden steinernen Tafeln durch Moses ins
Lager kamen, hatte das Volk das Gesetz bereits durch die Aufrichtung des goldenen Kalbes gebrochen. Die ganze Geschichte Israels beweist immer deutlicher die Unmöglichkeit, daß der
Mensch das Gesetz halten konnte. Israel übertrat jedes Gebot;
in seiner Geschichte finden sich die größten Sünden und die
schändlichsten Missetaten, und mit vollem Recht kann man die
Beschreibung des schrecklichen sittlichen Verderbens der
Heiden in Römer 1 auch auf Israel anwenden. Der Herr sagte
in einer Prophezeiung: „Doch nicht mich hast du angerufen,
Jakob, daß du dich um mich gemüht hättest, Israel! Du hast mir
die Schafe deiner Brandopfer nicht gebracht, und mit deinen
Schlachtopfern hast du mich nicht geehrt ... du hast mir nicht
um Geld Würzrohr gekauft, noch mit dem Fette deiner
Schlachtopfer mich gelabt" (Jes 43,22-24).
Die Geschichte Israels beweist, daß der Mensch das Gesetz
unmöglich erfüllen kann. Gott wußte das von Anfang an; und
jeder, der diese Geschichte liest, muß zu derselben Überzeugung kommen. Das Gesetz wurde gegeben, um den Menschen
von der Sünde zu überzeugen und ihm seinen verlorenen Zustand zu offenbaren; und die Geschichte Israels liefert davon
den Beweis. Nachdem nun aber ans Licht gestellt ist, daß der
Mensch nur sündigen kann und deshalb verloren ist, tritt Gott
193
nicht noch einmal mit dem Gesetz vor die Menschen. Er sagt
jetzt zu Israel, welchem Er einst Sein Gesetz gab und dessen
Opfer Er forderte: „Ich habe dir nicht mit Speisopfern zu
schaffen gemacht, noch mit Weihrauch dich ermüdet." Gott
fordert nichts mehr von Seinem Volk! Und warum nicht?
Etwa, weil Er nichts mehr zu fordern hat? O nein. Aber es ist
völlig offenbar geworden, daß das Volk Ihm nichts geben
kann. Zuerst fordert Gott; nachdem aber der Beweis geliefert
ist, daß Israel den Anforderungen nicht entsprechen kann,
fordert Gott nicht mehr.
Die Geschichte Israels ist aber nicht allein die Offenbarung des
Herzens der Israeliten, sondern auch des menschlichen Herzens
im allgemeinen. Niemand ist fähig, Gott etwas zu bringen. Es
ist bewiesen, daß der Mensch nicht im Stande ist, Gutes zu tun;
er ist tot in Vergehungen und Sünden und ein Feind Gottes.
Von diesem Gesichtspunkt aus behandelt Gott den Menschen.
Er begegnet ihm in Gnade und tritt nicht vor ihn hin, um etwas
zu fordern, sondern um ihm etwas zu bringen. Das Evangelium
offenbart Jesus als die Gabe Gottes für den Sünder; es wendet
sich als eine frohe Botschaft an den Verlorenen, der völlig
unfähig ist, das Gute zu tun. Gott fordert nichts von dem Menschen, sondern offenbart Seine Gnade in Christus. Solange das
Gesetz herrschte, richtete Gott Seine Forderungen an den Menschen, nicht als ob Er etwas Gutes von ihm erwartet hätte,
sondern um ihn zur Überzeugung seines verlorenen Zustandes
zu bringen. Da nun aber die Geschichte Israels deutlich die
Unfähigkeit des Menschen in Bezug auf seinen Wandel vor
Gott ans Licht gestellt hat, so fordert Gott nichts mehr von ihm,
sondern tritt mit einer frohen Gnadenbotschaft vor den Sünder
hin, die den Menschen als verlorenen Sünder behandelt und
ihm das Heil oder die Rettung durch Christus anbietet. Es ist
sehr wichtig, diesen Grundsatz zu verstehen; sonst wird man nie
das richtige Verständnis über die Gnade Gottes besitzen und sie
immer wieder abhängig machen von dem, was wir in uns
fühlen. Eine Predigt des Evangeliums, in der die Gnade mit
dem Gesetz vermischt wird, kann den Sünder nie ganz
freimachen. Die Apostel haben nie das Gesetz, wohl aber die
194
Gnade verkündigt. Ihre Predigt der frohen Heilsbotschaft ging
stets davon aus, daß der Menschen verloren war; und ihr
Bemühen ging dahin, die Juden, welche sich hartnäckig an das
Gesetz klammerten, aus ihrer Bindung zu befreien. Ohne Zweifel ist auch noch jetzt das Gesetz in der Lage, jemanden, der in
seiner Selbstgerechtigkeit Gott dienen will, von seiner Sünde zu
überführen. Doch ich wiederhole noch einmal, daß die Predigt
des Evangeliums nicht mit dem Gesetz vermischt werden darf;
sonst entsteht die größte Verwirrung.
Früher haben wir Gott nicht gedient; wir können uns weder
eines guten Werkes noch eines Ihm angenehmen Opfers
rühmen. Gott richtet auch keine Forderung an uns; Er hat zwar
das Recht dazu, aber wir sind in einem solchen Zustand, daß
wir unmöglich Seinen gerechten Ansprüchen entsprechen können. Das einzige, was für uns genauso wie für Israel gilt ist, daß
wir Gott mit unseren Sünden zu schaffen gemacht und Ihn mit
unseren Missetaten ermüdet haben. Ja, wir haben Ihm wirklich
Arbeit und Mühe mit unseren Sünden gemacht. Wir haben Ihn
nicht nur mit unseren Sünden betrübt, sondern Ihn gleichsam
zur Arbeit veranlaßt. Nachdem Gott in sechs Tagen Himmel
und Erde gemacht hatte, ruhte Er am siebenten Tag; Sein Werk
war vollendet, und alles war sehr gut. Doch Seine Ruhe war nur
von kurzer Dauer. Und wer hat sie gestört? Der Mensch. Ja, wir
haben die Ruhe Gottes durch unsere Sünde gestört; wir haben
Ihn veranlaßt, von Neuem zu wirken. Durch unsere Sünde kam
alles in Verwirrung; der Mensch wurde ein Sklave des Teufels;
die herrliche Schöpfung Gottes wurde durch die Sünde verdorben; der Fluch wurde über die ganze Erde ausgesprochen;
und wo vorher alles in Ruhe und Frieden war, da gab es jetzt
Verwirrung und Unordnung. Die Ruhe Gottes war zu Ende;
von neuem begann Sein Wirken. Welches war nun Sein neues
Werk? Es war das Werk der Versöhnung und Erlösung des
Sünders und der Versöhnung aller Dinge. Um welchen Preis hat
Er dieses Werk zustande gebracht? In Seiner anbetungswürdigen Liebe gab Er Seinen geliebten eingeborenen Sohn. Ja,
lieber Leser, vergessen wir es nicht: Wir haben die Ruhe Gottes
gestört; wir haben Ihn wieder veranlaßt zu wirken. Der Herr
195
Jesus sagt: „Mein Vater wirkt bis jetzt, und ich wirke" (Joh
5,17). Gott sandte Seinen Sohn aus dem Himmel auf diese Erde
und gab Ihn damit der Schmach, der Verfolgung, dem Spott
und dem Hohn der Menschen preis. Wir sind es, die den Herrn
der Herrlichkeit so erniedrigten. Wenn wir Ihn am Kreuz
zwischen zwei Räubern hängen sehen und dann in den Stunden
der Finsternis, von Gott verlassen, wenn wir Ihn betrachten, wie
Er unter der Schwere unserer Sünde leidet und dann das Haupt
neigt und den Geist aufgibt, dann muß jeder sich selbst sagen:
'Das ist meine Schuld; meine Sünden haben Ihn dort hingebracht.' Freilich ist es die Gnade Gottes, die hier handelt; und
wir haben alle Ursache, uns darüber zu freuen, daß Seine Gnade
groß genug war, um ein solches Werk zu vollbringen; aber wir
sollten nie vergessen, daß unsere Sünden die Ursache dazu
waren. Ach! wir denken leider so wenig an den Schmerz, an die
Mühe und Arbeit, die wir Gott bereitet haben. Wir erfreuen uns
an der Gnade, ohne ernsthaft daran zu denken, daß Gott um
unseretwillen Seine Ruhe unterbrechen und Seinen Sohn für
Sünder und Feinde hingeben mußte. Wir fühlen so wenig, wie
schrecklich tief wir gefallen und wie weit wir von Gott entfernt
waren. Darum genießen wir auch so wenig Seine Gnade und
fühlen so wenig das Bedürfnis, durch die Gnade geleitet und
gestärkt zu werden.
Warum gibt es so manche Gläubige, die nicht zu jeder Zeit
ihrer Errettung gewiß sind und die es nicht zu jeder Zeit
wagen, als Kinder Gottes ihrem Vater mit Freimütigkeit zu
nahen? Die Ursache ist, daß sie so wenig die völlige Verdorbenheit des Menschen kennen. Viele reden über die Unfähigkeit des Menschen und bedienen sich der schärfsten Ausdrücke, um die Schlechtigkeit des Sünders zu beschreiben;
doch bei diesem allen zeigen sie nur zu deutlich, daß sie in der
Tat die Verdorbenheit und das Verlorensein des Menschen
nicht glauben. Wodurch kann ich den besten Beweis liefern,
daß ich wirklich an mein Verlorensein glaube? Etwa dadurch,
daß ich stets an mich denke und mit mir selbst beschäftigt bin,
oder dadurch, daß ich mich ganz aus den Augen verliere und
mich ausschließlich der Gnade Gottes anvertraue? Ich glaube,
196
wenn ich das Letztere tue. Jemand, der behauptet, Hunger zu
haben, beweist dies dadurch, daß er sich der Speise bedient, die
man ihm vorsetzt. Und wenn sich jemand als völlig verloren
kennengelernt hat, so vertraut er sich der Gnade Gottes an, die
ihm in Christus Jesus angeboten wird. Er erwartet nichts von
sich selbst; er weiß, daß keine Verbesserung seiner Natur
möglich ist. Deshalb erfreut er sich an der Gnade Gottes, an
dem Werk Christi, und hat dadurch völlige Gewißheit, daß er
ein Kind Gottes ist. Er versteht das kostbare Wort: „Ich, ich bin
es, der deine Übertretungen tilgt um meinetwillen; und deiner
Sünden will ich nicht mehr gedenken."
Wie lieblich wird dieses Wort einmal das Ohr der Israeliten
berühren! Wie wird ihr Auge glänzen in Wonne und Entzücken! Gebeugt unter der Bürde ihrer Schuld, niedergedrückt
durch das Bewußtsein, den Sohn Gottes getötet zu haben, ohne
Hoffnung und bis zur Verzweiflung getrieben durch ein erwachtes Gewissen, dringt plötzlich das Wort Jehovas an ihr
Ohr: „Ich, ich bin es, der deine Übertretungen tilgt um meinetwillen; und deiner Sünden will ich nicht mehr gedenken." - Sie
haben ihren Messias verworfen und dadurch jede Möglichkeit
zu ihrer Errettung mit Füßen getreten; ihr Zustand ist hoffnungslos, und nichts als ewige Strafe ist ihre trostlose Erwartung. Da ertönt der Ruf Gottes: „Ich, ich bin es, der deine
Übertretungen tilgt um meinetwillen; und deiner Sünden will
ich nicht mehr gedenken." In sich selbst finden sie nichts; eine
Erlösung um ihretwillen ist nicht denkbar. Gibt es keinen
anderen Weg, dann ist ewige Trennung von Gott ihr Los. Aber
es gibt noch einen anderen Weg. „LJm meinetwillen", sagt der
Herr der Heerscharen, „tilge ich deine Übertretungen". 'Um
deinetwillen kann ich es nicht; denn du bist verloren; aber um
meinetwillen werde ich es tun.' - Welch eine unaussprechliche
Gnade!
Verstehst du dieses Wort, geliebter Leser? Bist du schon zu den
Füßen Jesu in Anbetung niedergesunken? Hast du Ihm ein
Loblied gesungen? Gott hat um Seinetwillen dich erlöst und mit
Sich versöhnt. Blicke nur zurück auf deinen Wandel: Findest du
da etwas, dessen du dich rühmen, etwas, das du vor Gott
197
bringen kannst? Findest du da irgendein tadelloses Werk, eine
reine Handlung, ein Werk zur Verherrlichung Gottes? Leider
wirst du es verneinen müssen. Dir wird nur das Bekenntnis
übrigbleiben: 'Ich habe Gott Arbeit und Mühe gemacht mit
meinen Sünden und Missetaten.' Gibt es denn nichts in uns,
wodurch Gott veranlaßt werden kann, uns zu erlösen? Nein; wir
sind elend, nackt, jämmerlich und hassenswürdig in den Augen
Gottes. Bei uns findet Er nur etwas, das Ihn abstoßen kann und
was für Ihn ein Greuel ist. Wir sind verloren und tot in Vergehungen und Sünden; wir sind Feinde Gottes. Müßte Er um
unseretwillen vergeben, dann würden wir ewig in unseren Sünden bleiben. Aber Gott sei gepriesen! Er ruft uns zu: „Ich, ich
bin es, der deine Übertretungen tilgt um meinetwillen." Ja,
Geliebte, Er tut es um Seinetwillen und nicht wegen unserer
Werke, unserer Tränen, unserer Seufzer, unserer Gebete, unserer Erfahrungen oder dergleichen. Leider glaubt mancher, ein
Recht auf die Seligkeit zu haben, weil er soviel gebetet und
geweint oder weil er so lange gesucht hat. Der eine sagt: 'Ich
habe schon so lange gesucht und schon so viele Tränen vor Ihm
vergossen; Er wird mich doch wohl endlich erhören.' Ein
anderer: 'Ich habe schon so viele Erfahrungen von der Liebe
Gottes gemacht, daß ich wohl glauben kann, daß Er mich
endlich annehmen wird.' Ein dritter: 'Ich habe den Herrn schon
seit Jahren gesucht und werde Ihn doch wohl endlich finden.' -
Aber alle diese Gedanken stehen in Widerspruch zu dem Wort
Gottes und sind nur die Folge der traurigen Selbstgerechtigkeit
des menschlichen Herzens. Wenn man nicht mehr auf seine
Werke vertrauen kann und die Selbstgerechtigkeit in ihrer
gröbsten Form verschwunden ist, dann tritt sie in einer feineren
Form auf und man setzt sein Vertrauen auf Gebete, auf Tränen,
auf Gefühle und auf das beständige Streben nach der Seligkeit.
Mein geliebter Leser! Würdest du auch so viele Tränen vergießen, daß ein Meer damit gefüllt werden könnte, würdest du
jahrelang Tag für Tag seufzen und beten, würdest du von den
tiefsten Gefühlen reden können, die denkbar sind, hättest du
schließlich seit vielen Jahren nach der Seligkeit getrachtet, so
könnte Gott dich dennoch nicht erlösen um deinetwillen. Aber
um Seinetwillen tilgt Er deine Übertretungen! Und weißt du,
198
warum? Weil Er nicht will, daß du dich irgendeiner Sache
rühmst. Wie gern möchten wir sagen: 'Meine Gebete, meine
Tränen und mein eifriges Suchen sind die Ursache gewesen,
daß Gott Sich über mich erbarmt hat.' Aber das möchte der Herr
nicht. Er möchte, daß wir uns in Ihm allein rühmen. Wir können
und dürfen keine Ansprüche stellen in Bezug auf die
Vergebung unserer Sünden; Seine Gnade allein muß es sein,
durch welche wir erlöst werden; und die Gnade muß das einzige Fundament unserer Sicherheit sein. Jeder andere Boden ist
falsch. Gründest du deine Sicherheit auf deine Gebete und auf
wunderbare Erscheinungen bei deiner Bekehrung und es tritt
eines Tages jemand mit der Behauptung vor dich hin, daß du
noch zu wenig gebetet habest und daß seine Bekehrung noch
wunderbarer gewesen sei, dann wird ohne Zweifel dein scheinbar so sicheres Gebäude bald wanken und zusammenstürzen.
So wird es immer sein. Sobald man sein Vertrauen auf Gebete
oder Erfahrungen setzt, auf eine Bekehrungsgeschichte oder auf
etwas dergleichen, kann nicht von einer Gewißheit der Errettung die Rede sein. Den einzigen wahren Grund finden wir in
dem Werk Christi und in der Gnade Gottes; Er ruft uns die
kostbaren Worte zu: „Ich, ich bin es, der deine Übertretungen
tilgt um meinetwillen."
Ja, in der Tat, wegen Seinetwillen und nicht um unseretwillen
erlangen wir die Vergebung unserer Sünden. Oder denkst du
etwa, daß der elende Zustand, in dem wir uns befanden, Gott
bewogen habe, uns zu erlösen? Dann irrst du dich sehr. Er rettet
uns um Seinetwillen und nicht um unseretwillen. Aber warum
um Seinetwillen? Geliebte! Es gibt ein Wort in der Schrift, das
uns dieses erklärt, ein Wort, das uns das Geheimnis der
Erlösung aufschließt und uns die Ursache erkennen läßt, um
derentwillen Gott den verlorenen Sünder erlösen und selig
machen kann. Und dieses eine Wort, welches das ganze Evangelium umfaßt, lautet: „Gott ist Liebe!" - Ja, Er ist Liebe; Liebe
ist Seine Natur, Sein Wesen; und darum hat Er das Bedürfnis,
Liebe zu üben, zu erweisen und zu offenbaren. Seine Liebe ist
die Ursache unserer Erlösung. Es war Liebe, die gleich nach
dem Sündenfall, noch vor der Ankündigung der Strafe die frohe
199
Botschaft der Erlösung brachte, daß der Same des Weibes der
Schlange den Kopf zermalmen sollte. Es war Seine Liebe, die
in der Fülle der Zeit den Sohn Seiner Liebe vom Himmel auf
die Erde sandte, um unsere Sünden auf dem Kreuz zu tragen
und für uns zur Sünde gemacht zu werden. Die Liebe ist die
Quelle von allem. Alles geschah, weil Er Liebe ist. Darum hat
Er dich gesucht, der du nicht nach Ihm fragtest; nicht wegen
deiner Werke und deiner Tränen, auch nicht aus Mitleid gegen
dich, sondern weil Er Liebe ist. Ja, weil Er das Bedürfnis hatte,
Liebe zu erweisen, hat Er uns gesucht, als wir tot, hassenswürdig und durch unzählige Sünden ruiniert waren.
Welch eine wunderbare Gnade! Welche Ruhe für das Herz!
Denke einmal zurück an den Augenblick, als du nach vielem
Seufzen und Wirken als ein Mühseliger und Beladener in Jesus
Vergebung deiner Sünden erlangtest; was fandest du da? Die
Liebe Gottes! Aber gehe noch einen Schritt weiter zurück.
Betrachte das Kreuz, das auf Golgatha aufgerichtet war und
woran Jesus, der Sohn Gottes hing, beladen mit deinen Sünden
und verlassen von Gott! Was siehst du dort? Wiederum die
Liebe Gottes! Und wenn du noch weiter zurückgehst bis zu der
Zeit, als noch keine Erde und kein Mensch geschaffen war,
was findest du dort? Immer wieder die Liebe Gottes! Der
Apostel ruft uns zu, daß Gott „uns auserwählt hat in ihm vor
Grundlegung der Welt, daß wir heilig und tadellos seien vor
ihm in Liebe; und uns zuvorbestimmt hat zur Sohnschaft durch
Jesum Christum für sich selbst nach dem Wohlgefallen Seines
Willens" (Eph 1,4.5). Wenn du dieses alles siehst, wirst du
dann nicht losgemacht von dir selbst? Gibt es dann noch Raum
für dich, an deine Werke, an deine Gebete, an deine Tränen
und Gefühle zu denken? Vielleicht ist dir nun das Wort
deutlich: „Ich, ich bin es, der deine Übertretungen tilgt um
meinetwillen." Von Ewigkeit her ist Gott Liebe, und bis in alle
Ewigkeit wird Er Liebe bleiben. Er liebte uns, ehe die Welt
erschaffen war. Überall, wohin ich meine Blicke richte, sehe
ich die Liebe Gottes. Sie ist die Quelle meines Glücks, meines
Friedens, meiner Ruhe und meiner Seligkeit. Gott Selbst, der
Liebe ist, ist das Fundament meiner Sicherheit. Fragst du mich,
200
warum ich glücklich und meiner Errettung gewiß bin, so
antworte ich: 'Weil Gott Liebe ist.' In mir finde ich nichts, aber
in Gott alles. Hätte ich um meinetwillen erlöst sein müssen,
dann wäre ich ewig verloren; aber da ich jetzt erlöst bin um
Seinetwillen, weiß ich, daß nichts mich scheiden wird von der
Liebe Gottes. Ich bin nun völlig ruhig; jeder Zweifel ist verschwunden, denn die vollkommene Liehe Gottes hat alle
Furcht ausgetrieben.
Ja, die Liebe Gottes ist das unerschütterliche Fundament unserer Sicherheit. Alles, was von uns kommt, ist dem Wechsel
unterworfen; die Liebe Gottes aber ist unveränderlich. Sie war
gestern und ist heute und in Ewigkeit dieselbe. Sehe ich auf
meine Werke, dann finde ich alles beschmutzt; sie sind wie ein
schmutziges Kleid. Sehe ich auf meine Gebete, Seufzer und
Tränen, so erkenne ich, daß sie meine Sünden nicht auslöschen
können. Setze ich mein Vertrauen auf meine Bekehrungsgeschichte, dann finde ich, daß andere eine noch bessere zu
erzählen wissen. Blicke ich auf meine Erfahrungen, so wissen
andere noch vielmehr aufzuweisen; oder betrachte ich meine
Sünden, so fühle ich, daß ich noch schlechter bin als ich je
gedacht hatte. Dieses alles gibt keinen Frieden; es kann mich
vielleicht für kurze Zeit glücklich machen, aber die geringsten
Umstände werden mein Glück zerstören. Blicke ich auf das
Werk des Geistes in mir, o wie veränderlich ist auch da alles!
An dem einen Tag fühle ich mich bei weitem heiterer und
freudiger als an dem anderen; heute fühle ich mich zu dem
Wort Gottes mehr hingezogen als gestern; morgen fühle ich
vielleicht viel weniger Bedürfnis zum Gebet als heute; fast mit
jedem Tag verändern sich meine Gefühle. Sehe ich schließlich
auf meinen Wandel, so habe ich leider vieles zu richten und zu
verurteilen! Wie viele Verirrungen, wie viele Mängel und
Fehler finde ich hier; wie oft muß Gott auch zu mir sagen: „Du
hast mir zu schaffen gemacht mit deinen Sünden.'1
Aber richte ich meine Blicke auf die Liebe Gottes, dann bin ich
in völliger Sicherheit. Die Liebe ruft mir zu: 'Und hast du mir
auch zu schaffen gemacht mit deinen Sünden, so bin ich es
doch, der deine Übertretungen tilgt um meinetwillen.' Und
201
wenn ich traurig auf meine Verdorbenheit blicke, die ich
täglich mehr erkenne, so ruft wiederum die Liebe mir zu: „Ich,
ich bin es, der deine Übertretungen tilgt um meinetwillen."
Wie gesegnet ist es, wenn unsere Herzen das verstehen, wenn
wir auf diesen festen und sicheren Grund bauen! Gott ist
unveränderlich; bei Ihm gibt es keinen Wechsel. Wie oft wir
uns auch verändern, Er verändert Sich nicht. Nichts kann den
Strom Seiner Liebe zurückhalten. Noch nicht einmal unsere
Schwachheiten, Mängel und Gebrechen können Seine Liebe
verändern. Gott liebte uns, als wir Seine Feinde waren, wieviel
mehr jetzt, da wir Seine Kinder sind. Wäre die Liebe Gottes
von uns abhängig, dann freilich würde sie sich verändern, je
nachdem wir gut oder schlecht wandeln; aber jetzt, da sie von
Gott allein ist, bleibt sie unwandelbar und unveränderlich. Er
tilgt die Übertretungen um Seinetwillen; Er liebt, weil Er Liebe
ist.
Der Herr gebe, daß wir diese Wahrheit verstehen und mit unserem ganzen Herzen aufnehmen!
Jesus am Schatzkasten
Markus 12,41-44
Vom Ende des elften bis zum Ende des zwölften Kapitels sehen
wir, wie die verschiedenen Klassen der Juden nacheinander zu
Jesu kommen, um Ihn in der Rede in eine Falle zu locken. Da
erscheinen Hohepriester, Schriftgelehrte, Älteste (Kap. 11,27),
Pharisäer, Herodianer und Sadducäer (Kap. 12,13.18), und alle
sind bemüht, Ihn zu Fall zu bringen. Was aber war das Ergebnis? Sie alle mußten sich beschämt und verurteilt aus Seiner
Gegenwart zurückziehen, und niemand mehr wagte Ihn noch zu
fragen. Der Herr antwortete ihnen mit der vollkommenen
Weisheit, die Er in all Seinen Reden und Handlungen an den
Tag legte. Er war das Licht, und in Seinem Licht wurde nicht
nur ihre völlige Unwissenheit, sondern auch ihre schreckliche
202
Heuchelei und Bosheit offenbar gemacht. „Der die Weisen erhascht in ihrer List" (Hi 5,13). Wer böse ist, kann vor Ihm nicht
bestehen. Es wird ein Tag kommen, an dem Er „auch das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen und die Ratschläge der
Herzen offenbaren wird" (l.Kor 4,5); ja, wir alle müssen offenbar werden vor dem Richterstuhl des Christus. Feierlicher und
ernster Gedanke!
Am Schluß des zwölften Kapitels lesen wir das Urteil des
Herrn über die Gaben, welche Gott dargebracht wurden. „Und
Jesus setzte sich dem Schatzkasten gegenüber und sah, wie die
Volksmenge Geld in den Schatzkasten legte" (V. 41). Jedes
Herz und jede Hand war vor Seinen alles durchdringenden
Augen. Er sah, daß viele Reiche viel einlegten und daß eine
arme Witwe zwei Scherflein einlegte. Er sah aber nicht nur
das, sondern wußte auch, wieviel ein jeder einwerfen konnte
und mit welch einer Gesinnung er es tat. Welch eine ernste
Sache ist es, in der Gegenwart Dessen, der alles sieht und alles
weiß, unseren Dienst zu verrichten oder unsere Gaben zu
spenden! Er ist gegenwärtig, wenn wir gemeinsam unsere
Gaben einlegen, und Er sieht es auch, wenn wir sie als
Einzelne im Verborgenen geben. Und nach welchem Maßstab
beurteilt Er den Wert unserer Gaben? Gewiß nicht nach ihrer
Größe, sondern nach der Bereitwilligkeit und nach der Liebe,
womit wir sie geben. Hören wir Sein Urteil am Schatzkasten:
„Und er rief seine Jünger herzu und sprach zu ihnen: Wahrlich,
ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr eingelegt als alle,
die in den Schatzkasten eingelegt haben." Und weshalb waren
ihre zwei Scherflein mehr? „Denn alle haben von ihrem
Überfluß eingelegt; diese aber hat von ihrem Mangel, alles was
sie hatte, eingelegt, ihren ganzen Lebensunterhalt" (V.43.44).
Der Mensch beurteilt den Wert einer Gabe so gern nach ihrer
Größe, der Herr aber nach dem Herzen des Gebers. Wir hätten
die zwei Scherflein kaum beachtet; der Herr aber sagt, daß sie
unter den vielen großen Gaben die größte sei. Sie machte das
ganze Vermögen der armen Witwe aus. Sie selbst brauchte die
beiden Scherflein zu ihrem eigenen Unterhalt; aber sie gab sie
Dem, den sie mehr liebte als sich selbst. Solch eine Tat kann
203
nur die Liebe vollbringen. Da, wo Liebe das Herz erfüllt, ist
die Hand immer zum Geben bereit. Jede Gelegenheit ist ihr
willkommen; sie beklagt sich nicht über die vielen Bedürfnisse: sie berechnet nicht, wieviel sie schon getan hat oder
noch tun muß, sie ist um die eigenen Umstände nicht bekümmert; nur zu geben ist ihre Freude, ihr Genuß. Die Liebe zum
Herrn ist der einzige Maßstab, mit dem im Himmel alle unsere
Gaben gemessen werden. Wir mögen aus bloßen Pflichtgefühl
oder aus Ehre vor den Menschen reichlich von unserem Überfluß spenden. Die Anerkennung des Herrn aber haben nur jene
Gaben, welche aus freiwilliger Liebe zu Ihm gegeben werden;
nur „einen fröhlichen Geber hat Gott lieb".
Gott Selbst ist Liebe, und Seine Liebe hat uns reich gemacht.
Er gab uns Seinen eingeborenen und geliebten Sohn, als wir
noch gottlose Sünder waren; Christus starb für uns, als wir
noch Seine Feinde waren. Täglich reicht Er uns allerlei Gutes
dar und versorgt uns mit den vielfältigsten Gaben. Wir gehören
Ihm, weil Er uns um einen hohen Preis erkauft hat, und unsere
Gaben gehören Ihm, weil wir sie von Ihm empfangen haben.
Wozu haben wir sie empfangen? Um einander damit zu dienen
„als gute Verwalter der mancherlei Gnade Gottes" (l.Petr
4,10). Er gibt uns, damit wir weitergeben; wir sollen austeilen,
was Er uns dargereicht hat. Wir sollen Kanäle sein, durch die
die Segnungen fließen. Welch eine gesegnete aber auch zugleich
verantwortliche Stellung! Sie gibt uns Gelegenheit, unsere
Liebe gegen Ihn zu beweisen. Er sieht, wieviel wir für Ihn
übrig haben von dem, was Er uns zuvor gegeben hat. Und
gleichen wir nicht oft unseren Kindern, die, wenn wir ihre
Händchen gefüllt haben, uns kaum etwas davon mit willigem
Herzen zurückgeben können? Das kleine Herz denkt nur an
sich und versteht nichts von der Liebe derer, die beständig um
es besorgt sind. Wir aber kennen Den, der Sein Leben für uns
gelassen hat; wir sind fähig, etwas von Seiner unvergleichlichen Liebe gegen uns zu verstehen und kennen zugleich
unsere Verantwortung. Wir wissen: „Wer sparsam sät, wird
auch sparsam ernten, und wer segensreich sät, wird auch
segensreich ernten" (2.Kor 9,6).
204
Ein schönes Zeugnis konnte der Apostel in dieser Hinsicht den
Versammlungen Macedoniens geben. Wir finden es in 2. Korinther 8,2-5: „... daß bei großer Drangsalsprüfung die Überströmung ihrer Freude und ihre tiefe Armut übergeströmt ist in
den Reichturn ihrer Freigebigkeit. Denn nach Vermögen, ich
bezeuge es, und über Vermögen waren sie aus eigenem
Antriebe willig, indem sie mit vielem Zureden uns um die
Gnade und die Gemeinschaft des Dienstes für die Heiligen
baten. Und nicht, wie wir hofften, sondern sie gaben sich selbst
zuerst dem Herrn und uns durch Gottes Willen." Welch ein
herrliches Zeugnis! Wie beschämend ist es für viele, die in
Bezug auf die Bedürfnisse der Heiligen zurückhaltend sind bei
großem Überfluß, und wie ermunternd ist es für alle ärmeren
Geschwister, in jedem guten Werk überströmend zu sein! Gott
ist mächtig, dies in uns zu vollbringen (s. 2. Kor 9,8). Wir
können nie eine Gabe besser und gesegneter für uns verwenden als im Dienst des Herrn. Nie können wir mehr Zinsen
erhalten als wenn wir unser Geld dem Herrn leihen. Bei Ihm ist
es immer gut aufgehoben, und der Ertrag wird die Einlage
immer weit übertreffen. Wie töricht ist es, stets an sich zu
denken, das kleine Geldstück für den Herrn einzuwerfen und
das größere für sich zu behalten! So machte es jene arme
Witwe nicht; sie „legte alles ein, was sie hatte, ihren ganzen
Lebensunterhalt". Blieb ihre Gabe auch von den Menschen
unbeachtet - der Herr hat sie gesehen und hochgeschätzt und
ihre Tat zu unserer Belehrung und Ermunterung aufschreiben
lassen. Waren es auch nur zwei Scherflein - sie hat reichlich
gesät und wird darum auch reichlich ernten. O möchten wir ihr
gleichen! Möchten wir nie vergessen, daß bei jedem Geben
oder Einwerfen unserer Gaben für den Herrn sowohl unsere
Herzen, als auch unsere Hände unter Seinen alles erforschenden Augen sind! Möchten wir alle erfahren, daß Geben seliger
ist als Nehmen (Apg 20,35)!
205
Der Brunnen zu Bethlehem
2.Samuel 23
„Und David hatte ein Gelüste und sprach: Wer wird mich mit
Wasser tränken aus der Zisterne von Bethlehem, die am Tore
ist?" (V. 15). Das war das Verlangen des Herzens Davids - ein
Verlangen, dem sofort entsprochen wurde von den drei Männern jener heldenmütigen Schar, die ihn in der Höhle Adullam
umgab. „Da brachen die drei Helden durch das Lager der
Philister und schöpften Wasser aus der Zisterne von Bethlehem,
die am Tore ist, und trugen und brachten es zu David." Er hatte
keinen Befehl erlassen. Keiner war besonders auserwählt und
beauftragt worden. Es war nur der einfache Ausdruck eines
Wunsches, und dadurch bestand die Gelegenheit, echte Zuneigung und wahre Hingabe zu zeigen. Hätte irgendjemand einen
ausdrücklichen Befehl empfangen, so würde es nur eine Gelegenheit gewesen sein, blinden Gehorsam zu zeigen. Doch der
Ausdruck eines Wunsches offenbarte die innige Anhänglichkeit
an David - eine Anhänglichkeit, die so lieblich anzuschauen ist.
Laßt uns auch die Handlung Davids in dieser höchst rührenden
Szene beachten: „Aber er wollte es nicht trinken und goß es
aus als Trankopfer dem Jehova; und er sprach: Fern sei es von
mir, Jehova, daß ich solches tue! Sollte ich das Blut der
Männer trinken, die mit Gefahr ihres Lebens hingegangen
sind? Und er wollte es nicht trinken." Es war ein zu kostbares
Opfer für irgendjemanden außer Jehova, und darum wollte
David, daß der volle Wert dieses Opfers zu Gott aufstieg.
Wie wenig mochten diese drei starken Helden daran gedacht
haben, daß ihre Tat liebender Ergebenheit in dem ewigem Buch
Gottes aufgezeichnet werden würde, um von unzähligen Millionen gelesen zu werden! Ihre Herzen waren auf David gerichtet,
und sie achteten ihr Leben nicht für so teuer, daß sie ihn nicht
hätten erfreuen oder seinen Geist erfrischen sollen. Hätten sie
gehandelt, um einen Namen oder einen Platz für sich selbst zu
erlangen, so wäre ihre Tat kein wohlgefälliges Opfer gewesen,
206
und man hätte sie längst vergessen. Doch nein; sie liebten
David. Das war die Quelle ihrer Tat, und sie bewiesen, daß er
ihren Herzen wertvoller war als ihr eigenes Leben. Sie vergaßen
alles in dem einen Gegenstande, der sie ganz und gar in
Anspruch nahm, nämlich David zu dienen; und der Wohlgeruch
ihres Opfers stieg hinauf zu dem Thron Gottes, während ihre
Tat einen Platz in dem Heiligen Buch gefunden hat.
Wie sehr sollten auch wir bestrebt sein, Ähnliches für den
wahren David in diesen Tagen Seiner Verwerfung zu tun! Wir
bedürfen eine tiefere und aufopfernde Ergebenheit als eine
Frucht der Liebe Christi. Es handelt sich keineswegs darum,
für eine Belohnung, für eine Krone oder für einen Ehrenplatz
zu arbeiten, obgleich wir völlig überzeugt sind, daß wir Lohn
empfangen werden. Doch in dem Augenblick, wo das Auge
auf den Lohn gerichtet ist, sind wir nicht auf der wahren Höhe.
Ein Dienst, der nur im Blick auf die Belohnung geleistet wird,
ist mangelhaft; andererseits aber sind wir völlig überzeugt, daß
jeder kleine Dienst am Richterstuhl des Christus seine Belohnung finden wird. Wir möchten diese Wahrheit dem christlichen Leser dringend ans Herz legen. Wir wünschen sehr, daß
unter uns wahre Hingabe gefunden würde, indem wir unsere
Herzen völliger Christus und Seinem Werk widmen!
0 Herr, belebe Dein Werk!
207
Betrachtungen über
die zweite Ankunft des Herrn1
I. 1. Thessalonicher 1
Die Ankunft des Herrn ist die Hoffnung der Versammlung. So
wird sie durch den Heiligen Geist dargestellt. Obwohl der Herr
Selbst das Fundament von allem ist und Sein erstes Kommen
Frieden und Errettung brachte, so ist es doch vornehmlich die
sehnliche Erwartung Seiner zweiten Ankunft, die das Gewissen der Heiligen aufwecken kann.
Sobald eine Seele durch den Glauben ihrer Errettung gewiß ist,
wird der Herr Selbst für sie kostbar; und solange die Versammlung in einem guten Zustand verharrte, waren die Herzen der
Heiligen mit Ihm verbunden und erwarteten Seine Ankunft.
Wir sehen in den Schriften, daß diese Erwartung keine
Spekulation, keine törichte Schwärmerei Einzelner war, sondern sie war der Versammlung als eine fundamentale Wahrheit
gegeben; sie machte einen Teil der Gewohnheiten und Gefühle
der Heiligen aus und bewegte ihre Gedanken. Sie war und ist
noch die Grundlage von allem, wodurch das Herz in dieser
Welt und Wüste aufrechterhalten wird, und zwar in dem Maß,
in dem wir während unserer Pilgrimschaft mit dieser Erwartung erfüllt sind. Mit einem Herzen voll Liebe zu Gott und voll
Sehnsucht, Christus zu sehen, vermögen wir das Gebet des
Apostels zu würdigen: „Der Herr aber richte eure Herzen zu
der Liebe Gottes und zu dem Ausharren des Christus!"
(2.Thess 3,5). Wir brauchen nicht lange zu warten; aber es ist
der Mühe wert, geduldig auszuharren.
Die Belehrungen der Schrift über die zweite Ankunft des
Herrn werfen zugleich ein klares Licht auf die Bedeutung Seiner ersten Ankunft. Seine zweite Ankunft vollendet die Heili1) Anmerkung des I lerausgebers:
Hiermit ist das Kommen des Herrn/?»' die Seinen und mit den Seinen gemeint.
Aus Vorträgen von J.N.Darby. Kolgebetrachtungen III und IV sind im Jahrgang
1866 erschienen.
208
gen in Bezug auf den Leib und führt sie zu dem vollkommenen Resultat des Werkes der Erlösung. Ihnen ist das Leben
Christi schon mitgeteilt, und es ist auf das Recht der vollkommenen Gerechtigkeit gegründet, die Er auf dem Kreuz für sie
erlangt hat. Er kommt jetzt wieder, um ihren „Leib der Niedrigkeit umzugestalten zur Gleichförmigkeit mit Seinem Leibe
der Herrlichkeit". Er wird sie zu Sich nehmen, damit sie dort
sind, wo Er ist. Für die Heiligen gibt es die Auferstehung des
Lebens und nicht die Auferstehung des Gerichts; sie werden,
da sie schon gerechtfertigt und lebendig gemacht sind, durch
die Macht Gottes in die Herrlichkeit eingeführt. Wenn Menschen ein Gericht erwarten und mit Martha sprechen: „Ich
weiß, daß er auferstehen wird in der Auferstehung am letzten
Tage" (Joh 11,24), so vergessen sie das Gericht der Lebendigen, das Gericht dieser Welt, welches die Menschen überraschen wird, wenn sie essen und trinken. „Wenn sie sagen:
Friede und Sicherheit! dann kommt ein plötzliches Verderben
über sie, gleichwie die Geburtswehen über die Schwangere;
und sie werden nicht entfliehen" (l.Thess 5,3). Das liebt der
Mensch nicht; vielmehr schiebt er das Gericht auf einen unbekannten und unbestimmten Zeitpunkt hinaus, wo er hofft, daß
alles gutgehen werde. Er denkt nur, daß dann sein ewiges
Schicksal entschieden und das Urteil zu seinen Gunsten ausfallen werde. Doch er irrt sich völlig. Sicher kommt das Gericht; doch das Los des Menschen ist jetzt schon entschieden.
„Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer aber nicht
glaubt, ist schon gerichtet, weil er nicht geglaubt hat an den
Namen des eingeborenen Sohnes Gottes" (Joh 3,18).
Wenn wir der Schrift glauben, so ist alles höchst einfach. Das
erste Kommen des Herrn als Er kam, um den Willen Seines
Vaters zu erfüllen, war so vollkommen in seiner Auswirkung,
daß alle, welche durch Glauben an Seinem Werk teilhaben,
von ihren Sünden völlig gereinigt und gerechtfertigt sind; und
wenn Er zum zweiten Mal kommt, wird Er sie in Seine
Herrlichkeit einführen. Sobald ich diese Wahrheit verstehe,
daß Er wiederkommen und die an Ihn Glaubenden in Seine
Herrlichkeit aufnehmen wird, um für immer bei Ihm zu sein,
209
werde ich alles in einem ganz anderen Licht betrachten. Seine
Ankunft wird dann nicht länger eine unwichtige Sache für
mich sein! Gewiß ist der Augenblick des Todes für den
Gläubigen ein höchst glücklicher Augenblick; aber darauf
warte ich nicht. Ich erwarte, Jesus zu sehen; Er kann morgen,
heute, ja in diesem Augenblick kommen. Zweifellos würde
eine solche Erwartung eine große und heilsame Veränderung
in den Gedanken, Plänen und Handlungen der Christen unserer
Tage hervorbringen. Denn würde nicht eine Frau, welche auf
die Rückkehr ihres geliebten Mannes wartet, Sorge tragen, daß
er bei seiner Wiederkehr alles schön und geordnet vorfindet?
Gewiß! Es ist höchst gesegnet, wenn diese Erwartung unsere
Herzen eng mit Christus verbindet, und es sollte uns nicht nur
der Gedanke leiten, in den Himmel zu gehen, um dort
glücklich zu sein. Ohne Zweifel werden wir dort vollkommen
glücklich sein; Seine Gegenwart wird sich als eine unendliche
Segnung um uns her ergießen; aber noch viel kostbarer ist der
Gedanke, daß Er kommt, den wir kennen, der uns liebt, der
Sich Selbst für uns gegeben hat und den wir lieben. Wir
werden für immer bei Ihm sein. Durch diese Wahrheit wird
Christus persönlich vor unsere Augen gestellt und wird auch
mehr der Gegenstand unserer Gedanken sein. Nichts ist wirksamer als dieses und in Beziehung auf alle Dinge nichts
mächtiger, als die Schrift zur Grundlage zu haben. Sie wirkt
auf die Seele mit der Macht des göttlichen Lichtes; sie offenbart Christus; sie stellt das Herz in Seine Gegenwart; sie richtet
jeden Gedanken und offenbart dessen wahren Wert.
Die Schrift zeigt uns Christus in verschiedenen Stellungen:
Auf dem Kreuz; sitzend zur Rechten Gottes; und zum zweiten
Mal wiederkommend. Auf dem Kreuz hat Er den Grund zu
allem gelegt, was wir in Ihm besitzen; und jetzt, während Er
zur Rechten Gottes sitzt und wir Seine Rückkehr erwarten,
besitzen wir den Heiligen Geist als Sachwalter. Er wohnt in
den Gläubigen und gibt ihnen die Gewißheit ihrer Errettung
durch das Werk Christi; und die Liebe Gottes führt sie dahin,
Seine zweite Ankunft sehnlich zu erwarten.
Nachdem ich nun kurz den Platz angedeutet habe, den die
210
zweite Ankunft des Herrn in den Schriften einnimmt, möchte
ich jetzt einige Stellen aus verschiedenen Teilen des Wortes
anführen, ohne sie aber ausführlich zu erläutern. Mein Absicht
ist, einfach zu zeigen, daß diese Ankunft die Hoffnung der
Gläubigen ist, und daß alle Gedanken, Hoffnungen, Gefühle
und Interessen der Kinder Gottes eng damit verbunden sind -
daß sie kein falscher, seltener und fremder Gegenstand ist, sondern vielmehr einen wesentlichen Teil des Christentums bildet.
l.Thessalonicher 1,9.10: „Denn sie selbst verkündigen von
uns, welchen Eingang wir bei euch hatten, und wie ihr euch
von den Götzenbildern zu Gott bekehrt habt, dem lebendigen
und wahren Gott zu dienen und seinen Sohn aus den Himmeln
zu erwarten, den er aus den Toten auferweckt hat - Jesum, der
uns errettet von dem kommenden Zorn." - Ihre lebendige
Erwartung des Herrn übte einen solchen Einfluß auf ihr ganzes
Verhalten aus, daß selbst die Welt darauf aufmerksam wurde
und davon sprach. Sie bildete sogar einen Teil des göttlichen
Ratschlusses zur Errettung der Nationen.
l.Thessalonicher 2,19: „Denn wer ist unsere Hoffnung oder
Freude oder Krone des Ruhmes? Nicht auch ihr vor unserem
Herrn Jesus bei seiner Ankunft?" - Wie schön ist es, hier die
Liebe des Paulus zu den Heiligen zu sehen! Doch wann würde
seine Hoffnung in Bezug auf die Thessalonicher erfüllt sein?
Bei der Ankunft Christi. Dasselbe sehen wir auch in Bezug auf
die Heiligkeit.
l.Thessalonicher 3,12.13: „Euch aber mache der Herr völlig
und überströmend in der Liebe gegeneinander und gegen alle,
(gleichwie auch wir gegen euch sind) um eure Herzen tadellos
in Heiligkeit zu befestigen vor unserem Gott und Vater, bei der
Ankunft unseres Herrn Jesus mit allen seinen Heiligen." - Die
Ankunft Christi mit allen Seinen Heiligen stand so lebendig
vor seinem Geist, daß er daran dachte, daß die Thessalonicher
dann vollkommen erfunden würden, so wie auch an das, was
sein Herz für sie wünschte.
l.Thessalonicher 4,13-18: „Wir wollen aber nicht, Brüder, daß
ihr, was die Entschlafenen betrifft, unkundig seid, auf daß ihr
211
euch nicht betrübet wie auch die übrigen, die keine Hoffnung
haben. Denn wenn wir glauben, daß Jesus gestorben und auferstanden ist, also wird auch Gott die durch Jesum Entschlafenen
mit ihm bringen. (Denn dieses sagen wir euch im Worte des
Herrn, daß wir, die Lebenden, die übrigbleiben bis zur Ankunft
des Herrn, den Entschlafenen keineswegs zuvorkommen werden. Denn der Herr selbst wird mit gebietendem Zuruf, mit der
Stimme eines Erzengels und mit der Posaune Gottes herniederkommen vom Himmel, und die Toten in Christo werden zuerst
auferstehen; danach werden wir, die Lebenden, die übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken dem
Herrn entgegen in die Luft; und also werden wir allezeit bei
dem Herrn sein. So ermuntert nun einander mit diesen Worten)." - Paulus stellt den Christen nicht das Sterben als einen
Gegenstand des Trostes vor, obwohl der Tod für sie die Tür
zum Himmel war, sondern tröstet sie dadurch, daß die in
Christus Entschlafenen mit Ihm wiederkommen würden. Der
Tod konnte ihnen diesen Trost nicht nehmen. Das war und ist
völlig sicher sowohl für die lebenden als auch für die entschlafenen Heiligen. Und wie kann man es wagen zu behaupten, daß
es unmöglich sei, diesseits des Grabes etwas über das Jenseits
zu sagen! Paulus spricht von dem, was sich auf beiden Seiten
ereignet. Bei Seinem ersten Kommen hat der Herr das Werk der
Versöhnung und der Sühnung der Sünden so vollkommen
vollbracht, daß Sein zweites Kommen für die lebenden wie für
die entschlafenen Heiligen nur Seligkeit bedeutet. Deshalb war
die Verheißung Seiner Wiederkunft in den Herzen der Heiligen
stets lebendig. Was würde man aber jetzt von mir denken, wenn
ich die Freunde eines soeben entschlafenen Gläubigen damit
trösten wollte, daß Gott ihn mit Jesu bringen werde, wenn Er
mit allen Heiligen wiederkommt? Daß ich ein Narr sei! Und
doch war dies der Trost, womit Paulus die Thessalonicher
tröstete, obwohl er an einer anderen Stelle deutlich darlegt, daß
die Seele eines Heiligen nach dem Tod in den Himmel geht.
Damals aber waren alle Gedanken und Gefühle der Christen mit
dem Kommen des Herrn verbunden; und dies wünschte auch
der Apostel, wie wir in Kapitel 5,23 sehen: „Er selbst aber, der
Gott des Friedens, heilige euch völlig; und euer ganzer Geist
212
und Seele und Leib werde tadellos bewahrt bei der Ankunft
unseres Herrn Jesus Christus." Die Welt aber verwirft diese
Wahrheit, und die Christenheit verweltlicht sich und legt keinen
Wert mehr darauf. So war es nicht bei den ersten Jüngern. Ihre
Herzen hingen ihrem Lehrer an; sie wünschten Ihn zu sehen
und Ihm gleich zu sein. Sie haben beständig den Sohn Gottes
vom Himmel erwartet.
Untersuchen wir jetzt auch andere Stellen der Schrift, in denen
diese Lehre unter verschiedenen Gesichtspunkten dargestellt
wird.
Matthäus 24,30.31: „Und dann wird das Zeichen des Sohnes
des Menschen in dem Himmel erscheinen; und dann werden
wehklagen alle Stämme des Landes, und sie werden den Sohn
des Menschen kommen sehen auf den Wolken des Himmels
mit Macht und großer Herrlichkeit. Und Er wird seine Engel
aussenden mit starkem Posaunenschall, und sie werden seine
Auserwählten versammeln von den vier Winden her, von dem
einen Ende der Himmel bis zu ihrem anderen Ende."
Als die Jünger Ihn fragten, wann diese Dinge geschehen würden, gebot Er ihnen zu wachen; und in Vers 44 sagt Er: „Deshalb auch ihr, seid bereit; denn in der Stunde, in welcher ihr es
nicht meinet, kommt der Sohn des Menschen." Doch der Herr
geht noch weiter in den folgenden Gleichnissen, die auf den
Christen Bezug haben. Das Kennzeichen des bösen Knechtes
am Schluß dieses Kapitels besteht darin, daß er in seinem
Herzen sagt: „Mein Herr verzieht zu kommen"; und deshalb
fängt er an, zu essen und zu trinken mit den Trunkenen. Als der
Bräutigam verzog, hörte die Versammlung auf, Ihn zu erwarten
und verlor damit die gesegneten Früchte, die diese Erwartung in
der Seele hervorbringt. Die Christenheit verlor sich in der Welt,
in ihren Vergnügungen und Annehmlichkeiten, und darüber
hinaus entstand Hierarchie mit stets wachsender Macht.
„Alsdann wird das Reich der Himmel gleich geworden sein
zehn Jungfrauen, welche ihre Lampen nahmen und ausgingen,
dem Bräutigam entgegen" (Mt 25,1). So war es in Bezug auf
die Christenheit. Sie ging aus; als aber der Bräutigam verzog,
213
schliefen alle ein - sowohl die Heiligen als auch die bloßen
Bekenner. Sie vergaßen, wofür sie ausgegangen waren und
hörten auf zu wachen; und wodurch werden sie wieder aufgeweckt? „Um Mitternacht aber entstand ein Geschrei: Siehe, der
Bräutigam! gehet aus, ihm entgegen!" (Mt 25,6). Sie waren in
die Welt zurückgekehrt und hatten einen Platz gesucht, wo sie
bequem schlafen konnten. Nun mußten sie aufs Neue gerufen
werden um auszugehen. Ja, aufs Neue ist der Ruf erschollen:
„Siehe, der Bräutigam!" Die bekennende Christenheit aber „ißt
und trinkt mit den Trunkenen" und spricht „Mein Herr verzieht
zu kommen!". Leider sprechen viele Christen diese Sprache; sie
sagen nicht 'Er kommt nicht!' sondern „Er verzieht zu kommen"; sie warten deshalb nicht auf Ihn.
Das Evangelium des Markus möchte ich nun nicht näher
betrachten, weil die darin vorkommenden Stellen im allgemeinen mit denen in Matthäus übereinstimmen. Wir gehen deshalb
zu Lukas 12,35-38 über: „Es seien eure Lenden umgürtet und
die Lampen brennend; und ihr, seid Menschen gleich, die auf
ihren Herrn warten, wann irgend er aufbrechen mag von der
Hochzeit, auf daß, wenn er kommt und anklopft, sie ihm alsbald aufmachen. Glückselig jene Knechte, die der Herr, wenn
er kommt, wachend finden wird! Wahrlich, ich sage euch: Er
wird sich umgürten und sie sich zu Tische legen lassen und
wird hinzutreten und sie bedienen. Und wenn er in der zweiten
Wache kommt und in der dritten Wache kommt und findet sie
also - glückselig sind jene Knechte!" Nach den Gedanken des
Herrn ist es die Erwartung Seiner Wiederkunft, die den
Christen kennzeichnet. Die Menschen sprechen vom Tod; aber
der Tod ist nicht „mein Herr". Der Herr stellt dieselbe Wahrheit in Lukas 17,26.27 mit großem Ernst den Menschen vor.
Dort bezieht sich die Warnung nicht auf die Sünde, sondern
auf jenen bösen Gedanken, daß die gegenwärtige Welt kein
Ende haben würde. Sobald Noah in die Arche gegangen war,
kam die Flut und brachte alle um. Sobald die Versammlung
aufgenommen sein wird, beginnen, nachdem Satan die Herzen
der Menschen mit Lügen erfüllt hat, die Gerichte. „Gleicherweise auch, wie es geschah in den Tagen Lots: sie aßen, sie
214
tranken, sie kauften, sie verkauften, sie pflanzten, sie bauten;
an dem Tage aber, da Lot von Sodom ausging, regnete es
Feuer und Schwefel vom Himmel und brachte alle um. Desgleichen wird es an dem Tage sein, da der Sohn des Menschen
geoffenbart wird." Dies kann sich unmöglich auf den großen
weißen Thron in Offenbarung 20 beziehen. Wenn der Herr auf
diesem Thron sitzen wird, dann sind die Erde und der Himmel
entflohen, denn vorher hat eine vollständige Zerstörung aller
Dinge stattgefunden. Die Menschen können dann nicht essen
und trinken, pflanzen und bauen.
Wir kommen jetzt zu Lukas 21. Man bezieht Vers 21 gewöhnlich auf die Zerstörung Jerusalems: „Daß alsdann, die in Judäa
sind, auf die Berge fliehen, und die in ihrer Mitte sind, daraus
entweichen, und die auf dem Lande sind, nicht in sie hineingehen." Aber wir hören nachher in Vers 24: „... und Jerusalem
wird zertreten werden von den Nationen, bis die Zeiten der
Nationen erfüllt sein werden." Das geschieht also jetzt und
dauert solange, bis das Maß der Ungerechtigkeit des letzten
Tieres voll sein wird. Danach geschehen die Zeichen, und der
Sohn des Menschen wird geoffenbart (V. 25 ff).
Johannes 14,1-3: „Euer Herz werde nicht bestürzt. Ihr glaubet
an Gott, glaubet auch an mich. In dem Hause meines Vaters
sind viele Wohnungen; wenn es nicht so wäre, wurde ich es
euch gesagt haben; denn ich gehe hin, euch eine Stätte zu
bereiten. Und wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite,
so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, auf daß,
wo ich bin, auch ihr seiet." Das ist der herrliche Trost, den
Jesus den Seinigen bei Seinem Abschied hinterlassen hat; Er
kommt wieder, um sie zu Sich zu nehmen.
Apostelgeschichte 1,10.11: „Und wie sie unverwandt gen
Himmel schauten, als er auffuhr, siehe, da standen zwei Männer
in weißem Kleide bei ihnen, welche auch sprachen: Männer von
Galiläa, was stehet ihr und sehet hinauf gen Himmel? Dieser
Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden
ist, wird also kommen, wie ihr ihn habt hingehen sehen in den
Himmel." Hier wird Christus beschrieben, der in Wolken
215
wiederkommt; aber wir sehen doch, daß in dem Augenblick, wo
der Herr Seine geliebten Jünger verlassen hatte, sie durch den
Engel mit den Worten getröstet werden: „Dieser Jesus ... wird
also kommen, wie ihr ihn habt hingehen sehen in den Himmel."
Das ist es stets, was die Schrift den Heiligen zum Trost und zur
Stärkung vorstellt. „Und ebenso wie es den Menschen gesetzt
ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht ..." Ebenso wie
dies das Los des Samens des ersten Adam ist, „... also wird
auch der Christus, nachdem er einmal geopfert worden ist, um
vieler Sünden zu tragen, zum zweiten Male denen, die ihn
erwarten, ohne Sünde erscheinen zur Seligkeit" (Hebr 9,27.28).
Christus wartet nur, bis die Vollzahl der Nationen eingegangen
ist. Wir werden nicht alle entschlafen (1 .Kor 15,51).
Römer 11,25: „Denn ich will nicht, Brüder, daß euch dieses
Geheimnis unbekannt sei, auf daß ihr nicht euch selbst klug
dünket: daß Verstockung Israel zum Teil widerfahren ist, bis
die Vollzahl der Nationen eingegangen sein wird." Wenn die
Versammlung als das Haus Gottes vollständig ist, wenn der
letzte lebendige Stein hinzugefügt und damit die Vollzahl der
Nationen eingegangen sein wird, dann wird Israel als Nation
errettet werden, und der Erretter wird aus Zion kommen.
Christus wird zu ihrer Befreiung erscheinen. - Fügen wir noch
1.Korinther 1,6.7 hinzu: „... wie das Zeugnis des Christus unter
euch befestigt worden ist, sodaß ihr in keiner Gnadengabe
Mangel habt, indem ihr die Offenbarung unseres Herrn Jesus
Christus erwartet."
Ferner sehen wir, daß alle Verheißungen der Propheten bei
Seinem Kommen mit den Heiligen erfüllt sein werden.
Apostelgeschichte 3,19-21: „So tut nun Buße und bekehret
euch, daß eure Sünden ausgetilgt werden, damit Zeiten der
Erquickung kommen vom Angesicht des Herrn, und er den
euch zuvorverordneten Jesus Christus sende, welchen freilich
der Himmel aufnehmen muß bis zu den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge, von welchen Gott durch den Mund seiner
heiligen Propheten von jeher geredet hat." Wir können dies
nicht auf den Heiligen Geist beziehen, denn der Heilige Geist
war vom Himmel gekommen und erklärte ihnen durch den
216
Mund des Petrus, daß Christus wiederkommen würde, den der
Himmel aufgenommen hatte.
In Apostelgeschichte 17,30.31 bezeugt der Apostel: „Nachdem
nun Gott die Zeiten der Unwissenheit übersehen hat, gebietet
er jetzt den Menschen, daß sie alle allenthalben Buße tun
sollen, weil er einen Tag gesetzt hat, an welchem er den
Erdkreis richten wird in Gerechtigkeit durch einen Mann, den
er dazu bestimmt hat, und hat allen den Beweis davon
gegeben, indem er ihn auferweckt hat aus den Toten."
Die Auferstehung der Heiligen wird bei Seinem Kommen stattfinden. „Ein jeder aber in seiner eigenen Ordnung: Der Erstling, Christus; sodann die, welche des Christus sind bei seiner
Ankunft" (1.Kor 15,23).
Die Briefe an die Galater und Epheser sind die einzigen Schriften des Neuen Testaments, in denen wir nichts vom Kommen
des Herrn finden. Die Galater hatten sich von dem Fundament
des Glaubens, der völligen Rechtfertigung durch den Glauben
an Christus, abgewandt, und Paulus war genötigt, bei ihnen zu
den ersten Grundsätzen der Rechtfertigung zurückzukehren.
Der Brief an die Epheser ist ganz und gar entgegengesetzt.
Hier sehen wir die Versammlung in Christus schon im Himmel, vereinigt mit Ihm, und darum kann dort vom Kommen des
Herrn nicht die Rede sein.
Philipper 3,20-21: „Denn unser Bürgertum ist in den Himmeln,
von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten, der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit seinem Leibe der Herrlichkeit, nach der wirksamen
Kraft, mit der er vermag, auch alle Dinge sich zu unterwerfen."
Kolosser 3,1-4: „Wenn ihr nun mit dem Christus auferweckt
worden seid, so suchet was droben ist, wo der Christus ist,
sitzend zur Rechten Gottes. Sinnet auf das was droben ist,
nicht auf das was auf der Erde ist; denn ihr seid gestorben, und
euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott. Wenn der
Christus, unser Leben, geoffenbart werden wird, dann werdet
auch ihr mit ihm geoffenbart werden in Herrlichkeit."
217
In den beiden Briefen an die Thessalonicher ist die Ankunft
des Herrn der Hauptgegenstand. In dem ersten, mit Ausnahme
der Ermahnung im fünften Kapitel, finden wir die Segnung,
welche Sein Kommen den Heiligen bringen wird. In dem
zweiten Brief ist der Charakter Seiner Ankunft gerichtlich,
obgleich die Herrlichkeit der Heiligen auch dort mit enthalten
ist; denn wenn Er das Gericht über die Lebenden halten wird,
so werden jene mit Ihm erscheinen.
l.Timotheus 6,14: „... daß du das Gebot unbefleckt, unsträflich
bewahrst bis zur Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus."
Sowohl wenn es sich um die Freude der Heiligen, als auch
wenn es sich um die Verantwortung der Welt oder der Heiligen
handelt, spricht das Wort Gottes von der Erscheinung Christi.
Deshalb ermahnt der Apostel den Timotheus auch, das Gebot
des Herrn zu bewahren bis zur Erscheinung des Herrn] Seine
Erscheinung ist sehr geeignet, einen mächtigen Einfluß auf das
Gewissen auszuüben. Wenn es auch nicht die höchste Triebfeder ist, so ist es doch eine, die wir alle benötigen. Wenn nun
der Herr in Seiner Gnade die Verheißung Seiner Ankunft noch
nicht erfüllt hat, „da er nicht will, daß irgend welche verloren
gehen" (2.Petr 3,9), so werden doch jene, die in Seiner Erwartung Seines Kommens gewandelt haben, die Frucht ihrer Treue
nicht verlieren; sie werden ihre Belohnung finden an jenem
Tage.
2.Timotheus 4,8: „Fortan liegt mir bereit die Krone der
Gerechtigkeit, welche der Herr, der gerechte Richter, mir zur
Vergeltung geben wird an jenem Tage; nicht allein aber mir,
sondern auch allen, die seine Erscheinung lieben." Und liebst
du, geliebter Leser, das, was allem Angenehmen dieser Welt
ein Ende setzt?
Hebräer 2,5.6: „Denn nicht Engeln hat er unterworfen den
zukünftigen Erdkreis, von welchem wir reden; es hat aber
irgendwo jemand bezeugt und gesagt: 'Was ist der Mensch,
daß du seiner gedenkst, oder des Menschen Sohn, daß du auf
ihn siehst?'" Christus ist jetzt zur Rechten Gottes, bis Gott alles
Seinen Füßen unterworfen hat. „Denn der Christus ist nicht
218
eingegangen in das mit Händen gemachte Heiligtum, ein Gegenbild des wahrhaftigen, sondern in den Himmel selbst, um
jetzt vor dem Angesicht Gottes für uns zu erscheinen" (Hebr
9,24).
Nachdem Gott den Menschen aus dem Garten Eden vertrieben
hatte, stellte Er ihn auf verschiedene Weise auf die Probe, um
ihn vielleicht zu Sich zurückzubringen, — durch das Gesetz,
durch die Propheten, durch die Sendung Seines Sohnes; doch
bis zum Tod Christi war alles vergeblich. Der Mensch ist verloren. Sobald aber durch die Kreuzigung Christi die Sünden
des Menschen ihren Höhepunkt erreicht hatten, eröffnete Gott
einen Weg der Versöhnung, und zwar durch dasselbe Kreuz,
auf dem der Mensch den Herrn gekreuzigt hatte. Christus ist
erschienen, um die Sünde durch das Opfer Seiner Selbst zu
sühnen. Sein Werk ist vollkommen, und alle, welche durch die
Gnade glauben und Teil daran haben, erwarten Ihn jetzt als
Heiland zur Erlösung ihres Leibes.
Jakobus 5,8: „Habt auch ihr Geduld, befestiget eure Herzen,
denn die Ankunft des Herrn ist nahe gekommen." Die Ankunft
des Herrn wird hier als Beweggrund für das Ausharren dargestellt. Durch das beständige Warten auf Ihn soll die Seele in
Geduld erhalten werden, und dadurch wird uns auch der Zustand der Welt in einem ganz anderen Licht erscheinen.
In dem ersten Brief des Petrus finden wir ein bemerkenswertes
Zeugnis in Bezug auf die Wege Gottes in dieser Hinsicht.
Zuerst haben wir die Propheten, die beim Erforschen ihrer
eigenen Prophezeiungen erkannten, daß das, wovon sie weissagten, nicht zu ihrer Zeit erfüllt werden sollte; dann das Evangelium, die Verkündigung der Erfüllung dieser Weissagungen
durch den vom Himmel gesandten Heiligen Geist. Die Heiligen
werden ermahnt, nüchtern zu sein und völlig auf die Gnade zu
hoffen, die ihnen in der Offenbarung Jesu Christi zuteil werden
würde. Wir lieben Ihn, obgleich wir Ihn nicht gesehen haben,
und bei Seiner Offenbarung werden die Gläubigen sehen, daß
alle ihre Hoffnungen erfüllt sind (1. Petr 1,10-13.).
In dem zweiten Brief beschreibt der Apostel die Spötter der
219
letzten Tage. Sie werden dadurch charakterisiert, daß sie diese
Verheißung verachten.
In dem ersten Brief des Johannes wird die Ankunft des Herrn in
Kapitel 2,28 erwähnt, um das Gewissen anzusprechen, wohingegen sie in Kapitel 3,2.3 in ihrer Bedeutung für das Herz und
den Wandel der Heiligen dargestellt wird. „Geliebte, jetzt sind
wir Kinder Gottes, und es ist noch nicht offenbar geworden,
was wir sein werden; wir wissen, daß, wenn es offenbar werden
wird, wir ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen,
wie er ist. Und jeder, der diese Hoffnung zu ihm hat, reinigt
sich selbst, gleichwie er rein ist." Unsere gesegnete und gewisse Hoffnung ist, Christus gleich zu sein, und zwar, wenn Er
erscheinen wird. Die jetzige Wirkung dieser Hoffnung ist, daß
der Heilige sich reinigt, gleichwie Er rein ist; er bemüht sich, so
viel wie möglich Ihm jetzt schon gleich zu sein. Das Vorrecht,
Ihm bei Seiner Offenbarung gleich zu sein, wird zum Beweggrund und zur Regel seines Wandels.
Judas 14: „Es hat aber auch Henoch, der Siebente von Adam,
von diesen geweissagt und gesagt: 'Siehe, der Herr ist gekommen inmitten seiner heiligen Tausende ...'" Dieser Brief zeigt
uns besonders den Verfall der Versammlung durch das Einschleichen falscher Brüder, sowie den Zustand der bekennenden Kirche in den letzten Tagen und das Gericht, wenn der
Herr erscheinen wird.
Das ganze Buch der Offenbarung bezieht sich auf unseren
Gegenstand. Wir haben dort die Mitteilung der vorbereitenden
Gerichte Gottes bis zum 19. Kapitel, wo der Herr kommt, um
das Gericht zu vollziehen. Er hat das Werk der Errettung vollbracht und Sich zur Rechten Gottes gesetzt; jetzt kommt Er,
um alle Dinge wiederherzustellen. Deshalb hat Sein Kommen
eine solch große Bedeutung; Er kommt in der Herrlichkeit des
ewigen Sohnes Gottes, aber als Mensch und Mittelpunkt aller
Dinge. Das ist es, was die Ratschlüsse und Pläne Gottes vollendet. - Sein erstes Kommen offenbarte Seine Herrlichkeit und
übertrifft in moralischer Hinsicht jede Herrlichkeit. Es ist die
vollkommene Offenbarung dessen, was Gott ist in einer Welt
220
der Sünde; aber bei seiner zweiten Ankunft wird das Ergebnis
in vollem Umfang geoffenbart. Er kommt, um die Versammlung, die Zeugen Seiner höchsten Gnade, zu Sich zu nehmen,
und einige Jahre später, um die Welt mit Macht zu unterwerfen, Sein Reich darin aufzurichten und so die Regierung Gottes
zu entfalten. Nichts von alledem kann stattfinden, bevor Er
kommt. Wir genießen dann die vollkommene Offenbarung
Dessen, von dem alle Segnungen kommen; wir genießen schon
jetzt einen Teil davon durch den Heiligen Geist; aber wir
warten noch auf das völlige Resultat.
Wie steht es nun mit dir, mein geliebter Leser? Bist du noch mit
der Welt, die Er bei Seiner Erscheinung richten wird, verbunden
oder schon mit Ihm Selbst, der die Fülle der Segnungen bringt?
Wenn Er jetzt käme, würdest du dich darüber freuen, oder macht
der Gedanke an Seine Ankunft dich unruhig und bestürzt? Möge
der Herr diese ernsten Fragen auf dein Gewissen legen!
Wir haben gesehen, daß die Ankunft des Herrn der beständige
Gegenstand der Heiligen Schrift ist, und ihre Erwartung nahm
stets die Gedanken derer ein, die durch den Heiligen Geist darüber belehrt waren. Der Verlust dieser Hoffnung war ein Zeichen des Verfalls und ein Zurücksinken der Kirche in die Welt.
Möge der Heilige Geist diesen kostbaren und ernsten Gegenstand wieder in allen Herzen lebendig machen! Um wirklich
Christus zu erwarten, muß unser Gewissen gereinigt und unser
Herz auf Den, „der da kommt", gerichtet sein.
II. Epheser 1
In der vorigen Betrachtung habe ich bereits angedeutet, daß die
Briefe an die Galater und Epheser die einzigen sind, in denen
die zweite Ankunft des Herrn nicht erwähnt wird. Es muß
daher auffallen, daß ich dennoch gerade das erste Kapitel des
Epheserbriefes dieser zweiten Betrachtung zugrunde lege. Ich
sehe mich dazu veranlaßt, weil dieses Kapitel in allgemeinen
Zügen den ganzen Ratschluß Gottes, der bei der zweiten Ankunft unseres Herrn erfüllt werden wird, vor unsere Augen
stellt; ich werde aber noch mehrere andere Stellen anfuhren.
221
Das oben erwähnte Kapitel redet also nicht von der Ankunft
des Herrn, sondern vielmehr von dem Ratschluß Gottes, der
sich bei jenem glorreichen Ereignis erfüllen wird. Zugleich
aber wird darin auch die Art und Weise, in welcher die
Versammlung Gottes oder die durch den vom Himmel gesandten Heiligen Geist zu Christus gebrachten wahren Gläubigen bei der Ankunft des Herrn beteiligt sind, bezeichnet. Wir
lernen auch ihren Platz in dem großen Heilsplan Gottes kennen, der notwendigerweise die Verherrlichung des Sohnes,
„des Abglanzes der Herrlichkeit Gottes", zum Mittelpunkt hat.
Er hat Sich erniedrigt und ist erhöht worden. Gott hat nun den
ganzen Wert des Werkes Christi auf Golgatha uns zugerechnet,
und deshalb kann Er uns auch denselben Platz schenken, den
Christus in der Herrlichkeit einnimmt, denn Gott hat uns mit
Christus einsgemacht. Nun teilt Er uns Seine Ratschlüsse mit.
Wir sind daher nicht nur errettet, sondern sind auch Söhne
Gottes geworden. „Alles ist euer, ihr aber seid Christi, Christus
aber ist Gottes" (1 .Kor 3,23).
Gott behandelt uns als Freunde. Wie Gott einst Abraham, so
betrachtete Christus Seine Jünger in diesem Charakter. „Sollte
ich vor Abraham verbergen, was ich tun will?" (l.Mo 18,17). -
Gott gab Abraham nicht nur die Zusicherung, daß er Gnade bei
Ihm gefunden habe, Er machte ihn nicht nur mit den Verheißungen bekannt, die ihm und seinem Samen gehörten, sondern Er teilte ihm auch Dinge mit, die nur auf die Welt Bezug
hatten. Welch ein deutlicher Beweis von Freundschaft! Wenn
ich mit jemandem, der mir mehr oder weniger gleichgültig ist,
irgendeine Sache abzumachen habe, so rede ich mit ihm in
geziemender Weise über diese Angelegenheit; einem Freunde
aber öffne ich mein Herz. So handelt Gott mit Seinen Kindern.
Der Herr sagte zu seinen Jüngern: „Ich nenne euch nicht mehr
Knechte, denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut; aber
ich habe euch Freunde genannt, weil ich alles, was ich von
meinem Vater gehört, euch kundgetan habe" (Joh 15,15).
Sobald die Ankunft Christi nicht mehr der Gegenstand der Erwartung der Versammlung war, zeigte sie deutlich und klar,
wie sehr sie ihre Verbindung mit Ihm aus dem Bewußtsein
222
verloren hatte. Das hatte und hat seinen Grund darin, daß die
Herzen vieler Christen nicht mehr von dem Gedanken erfüllt
sind, daß Gott uns in Seine unmittelbare Nähe geführt hat und
uns darum als Seine eigene Familie betrachtet. Wir sind nach
dem biblischen Ausdruck „Söhne und Töchter" und daher nicht
mehr unmündig und unter Gesetz gestellt; denn „solange der
Erbe unmündig ist, unterscheidet er sich in nichts von einem
Knechte, wiewohl er Herr ist von allem; ... als aber die Fülle der
Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von
einem Weibe, geboren unter Gesetz, auf daß er die, welche
unter Gesetz waren, loskaufte, auf daß wir die Sohnschaft empfingen. Weil ihr aber Söhne seid, so hat Gott den Geist seines
Sohnes in unsere Herzen gesandt, der da ruft: Abba, Vater!"
(Gal 4,1-6). Und da wir den Geist, „die Salbung von dem Heiligen" haben, so wissen wir alles (1. Joh 2,20.) und haben das
Bewußtsein, daß wir Kinder Gottes, und zwar erwachsene
Kinder sind, die das Vertrauen ihres Vaters besitzen.
Dieser Geist als der Geist der Sohnschaft offenbart uns alle
Dinge, die uns von Gott gegebenen sind, wie geschrieben steht;
„Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines
Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die
ihn lieben" (l.Kor 2,9). (Vergleiche auch Jesaja 64,4: „Denn
von alters her hat man nicht gehört noch vernommen, hat kein
Auge einen Gott gesehen, außer dir, der sich wirksam erwiese
für den auf ihn Harrenden." Gewöhnlich macht man bei diesen
Worten des Propheten Jesaja Halt, während der Apostel hinzufügt, um uns den Unterschied zwischen jener Stellung und der
unsrigen zu zeigen: „... uns aber hat Gott es geoffenbart durch
seinen Geist, denn der Geist erforscht alles, auch die Tiefen
Gottes ... Wir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen,
sondern den Geist, der aus Gott ist, auf daß wir die Dinge kennen, die uns von Gott geschenkt sind" (l.Kor 2,10.12). Es ist
doch seltsam, daß man nur die Stelle aus Jesaja anführt, welche
beweist, daß das Herz des Menschen die Dinge nicht erfaßte,
welche Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben; andererseits läßt
man aber die unmittelbar daraus folgende Erklärung unbeachtet,
welche den großen Unterschied zwischen der Stellung des
223
Christen und der des Israeliten beschreibt und uns mitteilt, daß
Gott uns diese Dinge durch seinen Geist geoffenbart hat. Gott
hat uns alle Seine Gedanken in Bezug auf Christus mitgeteilt
und uns gewissermaßen in die Herrlichkeit Christi eingeweiht;
ist es deshalb nicht traurig, wenn man sich damit überhaupt
nicht beschäftigen will? Ein solches Verhalten ist nicht nur
Undankbarkeit, sondern zugleich eine Geringschätzung der uns
von Gott erwiesenen Liebe. Würde ein Kind sagen: 'Ich erhebe
keinen Anspruch auf das Vertrauen meines Vaters; ich brauche
es nicht und wünsche nur, Ihm zu gehorchen', so müßte ich
ihm antworten: 'Unglückliches Kind! Du kennst gar nicht die
Stellung eines Kindes.'
Von dem soeben Gesagten spricht der Apostel am Anfang
unseres Kapitels. Er spricht von der Stellung, die wir vor Gott
einnehmen, daß wir „heilig und tadellos seien vor ihm in
Liebe; und uns zuvorbestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesum
Christum für sich selbst nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade, worin er uns
begnadigt hat in dem Geliebten, in welchem wir die Erlösung
haben durch sein Blut, die Vergebung der Vergehungen, nach
dem Reichtum Seiner Gnade" (Eph 1,4-7).
Wir sind vor Gott gerecht und heilig: „Heilig und tadellos vor
Ihm in Liebe." Wir sind im Besitz der Sohnschaft; wir haben
die Vergebung unserer Vergehungen und sind angenehm gemacht in dem Geliebten. Das ist von jetzt an unser Platz; für
den Christen gibt es keinen anderen. Und jetzt sagt Gott: 'Da
ich euch diesen Platz gegeben habe, will ich euch auch mit
meinem Ratschluß vertraut machen in Bezug auf die Herrlichkeit Christi und auch in Bezug auf eure Herrlichkeit mit Ihm.'
Der Apostel fahrt daher fort: „... nach dem Reichtum seiner
Gnade, welche er gegen uns hat überströmen lassen in aller
Weisheit und Einsicht, indem er uns kundgetan hat das Geheimnis seines Willens, nach seinem Wohlgefallen, das er sich
vorgesetzt hat in sich selbst für die Verwaltung der Fülle der
Zeiten" (V.8.9). Gott hat uns nicht nur unser Verhältnis zu Ihm
erkennen lassen, sondern uns auch Seine Absicht mitgeteilt,
alle Dinge in den Himmeln und auf der Erde unter ein Haupt in
224
dem Christus zusammenzubringen (V.10). Wie klar bezeichnen die Worte „in ihm, in welchem wir auch ein Erbteil erlangt
haben" (V.l 1), unsere Beziehung zu diesem Plan Gottes. Wir
sind Erben, und zwar „Erben Gottes und Miterben Christi"
(Röm 8,17). Gott sagt gleichsam: 'Ich will alle Dinge Christus
geben; ich will alle Dinge, die in den Himmeln und die auf der
Erde sind, in Ihm zusammenbringen; und ihr seid Seine Miterben.' In dieser Art und Weise werden uns in Epheser 1 die
Gedanken und Ratschlüsse Gottes mitgeteilt.
Wir wollen nun verschiedene andere Stellen betrachten, um zu
sehen, wie Gott Seine Ratschlüsse erfüllen und uns in den Besitz des Erbes einführen wird - denn gerade das erwarten wir.
Wir erwarten nicht, zu Erben gemacht zu werden, sondern wir
erwarten das Erbe. Wir erwarten nicht, Kinder zu werden, sondern weil wir Kinder Gottes durch den Glauben an Christus
sind, warten wir auf den Besitz dessen, was uns als Kindern
gehört. Ja, das ist die Erwartung solch armer Fremdlinge in der
Wüste! Er hat uns versiegelt „mit dem Heiligen Geiste der Verheißung, welcher das Unterpfand unseres Erbes ist, zur Erlösung des erworbenen Besitzes, zum Preise seiner Herrlichkeit"
(V.l3.14). Die Herrlichkeit Seiner Gnade, das ist die Erlösung,
besitzen wir schon; die Herrlichkeit, die wir noch nicht besitzen, ist die, welche wir erwarten.
In dem Gebet des Apostels, mit dem das Kapitel schließt,
finden wir folgende Gedanken: Er erinnert an unsere Berufung,
an unsere Beziehung zu Gott, an unser Erbe, welches alles
umfaßt, was wir mit Christus erben werden, und endlich an die
Kraft, die uns an diesem Erbe teilnehmen läßt. Dieselbe Kraft,
die Christus aus den Toten auferweckte, hat auch jeden Gläubigen aus seinem Zustand des Todes ins Leben gerufen, um ihn
mit Christus in dieselbe Stellung zu versetzen. (V.l5-19.)
Schließlich zeigt uns der Apostel den Platz, auf den Christus
erhoben ist, und dieser Platz ist „zu Seiner Rechten in den
himmlischen Örtern, über jedes Fürstentum und jede Gewalt
und Kraft und Herrschaft und jeden Namen, der genannt wird,
nicht allein in diesem Zeitalter, sondern auch in dem zukünftigen, und hat alles seinen Füßen unterworfen und ihn als
225
Haupt über alles der Versammlung gegeben, welche sein Leib
ist, die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt" (V. 20-23).
Dieses zeigt uns in etwa die Weise, in welcher Gott Seinen
Ratschluß für „die Verwaltung der Fülle der Zeiten", nämlich
„alles unter ein Haupt zusammenzubringen in dem Christus",
ausfuhren wird. Wenn Christus diesen Platz als Mensch" einnehmen wird, so werden wir mit Ihm, „in welchem wir auch ein
Erbteil erlangt haben", dieses Erbe in Besitz nehmen. Im Brief
an die Römer lesen wir: „Wenn aber Kinder, so auch Erben -
Erben Gottes und Miterben Christi" (Röm 8,17). Leider haben
viele Christen diese Wahrheit aus dem Auge verloren, weil sie
die Art und Weise nicht kennen, in welcher sie mit Christus in
dieselbe Stellung versetzt sind. Er wurde Mensch, um uns mit
Sich in diese Stellung zu bringen; Er sagt: „Und die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben" (Joh
17,22). Er ist Sohn, deshalb sind auch wir Söhne. Er ist unser
Leben, unsere Gerechtigkeit; und wir teilen mit Ihm Seine
Herrlichkeit als die Frucht der Gerechtigkeit. Auf dem Berg der
Verklärung erschienen Moses und Elias in derselben Herrlichkeit und unterredeten sich mit Ihm in vertrauter Weise. Vergessen wir nicht, daß der Herr in Niedrigkeit und Armut zu uns
herabgekommen ist, damit unsere Herzen Ihm nahe genug sein
möchten; nur so können wir dieses alles verstehen.
Da wir den Ratschluß Gottes kennen, wollen wir nun unsere
Aufmerksamkeit auf etliche andere Stellen richten, die uns über
seine Ausführung Klarheit verschaffen. In Psalm 2 lesen wir,
was geschah, bevor Christus Seine Herrschaft auf der Erde antreten konnte; Er kam auf die Erde und wurde verworfen:
„Warum toben die Nationen und sinnen Eitles die Völkerschaften? Es treten auf die Könige der Erde, und die Fürsten
ratschlagen miteinander wider Jehova und wider seinen Gesalbten" (V. 1.2; vgl. Apg 4,25.26). - „Der im Himmel thront, lacht,
der Herr spottet ihrer. Dann wird er zu ihnen reden in seinem
Zorn, und in seiner Zornglut wird er sie schrecken" (V.4.5).
Noch ist das Letztere nicht geschehen. - „Habe doch ich meiI) Ks versteht sich von selbst, daß Kr als Coli über allen Dingen steht.
226
nen König gesalbt auf Zion, meinem heiligen Berge!" (V.6);
trotz der Verwerfung durch die Menschen. - „Vom Beschluß
will ich erzählen: Jehova hat zu mir gesprochen: Du bist mein
Sohn, heute habe ich dich gezeugt. Fordere von mir, und ich
will dir zum Erbteil geben die Nationen, und zum Besitztum die
Enden der Erde. Mit eisernem Zepter wirst du sie zerschmettern" (V. 7-9). Diese Gerichte haben noch nicht stattgefunden.
Wenden wir uns jetzt zur Bestätigung des Gesagten der Offenbarung zu, wo uns am Ende des 2. Kapitels unsere Verbindung
mit Christus angedeutet wird. Dort lesen wir: „Wer überwindet
und meine Werke bewahrt bis ans Ende, dem werde ich Gewalt
über die Nationen geben; und er wird sie weiden mit eiserner
Rute, wie Töpfergefäße zerschmettert werden, wie auch ich von
meinem Vater empfangen habe" (V. 26.27). Ich führe diese
Stelle als Beweis dafür an, daß die Heiligen in diesen Dingen
mit Christus vereinigt sein werden, obwohl es weit gesegnetere
für sie gibt. Weiter lesen wir: „Und ich werde ihm den Morgenstern geben", d.h. Christus Selbst, als die kostbarste Gabe. Und
erst nachdem die Heiligen mit Seiner ganzen Herrlichkeit in
Verbindung gebracht sind, empfängt Er die Nationen zum
Erbteil und zerschmettert sie wie Töpfergefäße.
Es ist traurig zu sehen, wie sehr die Kirche das Licht verloren
hat über das, was ihr Teil ist. Ebenso wie die oben angeführte
Stelle beweist, daß die Heiligen mit Christus sogar hinsichtlich
der Gerichte vereinigt sind, so schreibt auch Paulus an die
Korinther: „Oder wisset ihr nicht, daß die Heiligen die Welt
richten werden?" Dann fügt er auf die Frage, ob sie nicht fähig
seien, die geringsten Rechtssachen des täglichen Lebens unter
sich zu schlichten, die Worte hinzu: „Wisset ihr nicht, daß wir
Engel richten werden?" (l.Kor 6,2.3). Die Korinther
benötigten solch ein Zeugnis, weil sie die Tragweite ihrer Verbindung mit Christus nicht verstanden und sich von der Stellung, in welche Christus die Heiligen eingeführt hatte, falsche
Begriffe bildeten. Was ich daher über unsere Verbindung mit
Christus im allgemeinen gesagt habe, bezieht sich auch auf
unsere Verbindung mit Ihm in den Gerichten; die Bestätigung
finden wir in den angeführten Schriftstellen.
227
Wir dürfen aber nicht vergessen, daß der zweite Psalm von
dem Kommen und der Verwerfung Christi spricht. Der verworfene Christus spottet über das Toben der Nationen; und es
wird die Zeit kommen, wo Er trotz ihrer Auflehnung in Zion
siegen und die Enden der Erde zum Erbteil empfangen wird.
Das alles zeigt uns Ihn jedoch nicht auf jenem Platz, den Er im
Neuen Testament einnimmt. In unserem Psalm wird Er einfach
in Beziehung zu den Juden und den Nationen am Ende der
Tage gesehen. Bei Seiner ersten Ankunft wurde Er als
Christus, als Messias, als Gesalbter, verworfen; und wir lesen,
daß Er Seinen Jüngern ausdrücklich gebot, nicht zu sagen, daß
Er der Christus sei, weil Er verworfen werden mußte. Die
Worte „Der Sohn des Menschen muß vieles leiden" lauten, als
hätte Er sagen wollen: 'Jetzt ist noch nicht die Zeit, daß ich
meinen Platz als König in Zion einnehme, sondern ich bin
vielmehr gekommen, um als Sohn des Menschen zu leiden,
damit ich später verherrlicht werde.'
In Psalm 8 lesen wir: „Jehova, unser Herr, wie herrlich ist dein
Name auf der ganzen Erde, der du deine Majestät gestellt hast
über die Himmel! Aus dem Munde der Kinder und Säuglinge
hast du Macht gegründet um deiner Bedränger willen, um zum
Schweigen zu bringen den Feind und den Rachgierigen" (V. 1.2).
Wie wir wissen, fand das seine Erfüllung, als Jesus, sitzend auf
einer Eselin in Jerusalem einzog. - „Was ist der Mensch, daß du
sein gedenkst, und des Menschen Sohn, daß du auf ihn achthast?
Denn ein wenig hast du ihn unter die Engel erniedrigt; und mit
Herrlichkeit und Pracht hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum
Herrscher gemacht über die Werke deiner Hände; alles hast du
unter seine Füße gestellt" (V. 4-6). Diese Stelle zeigt uns, daß
der Herr, der als der Christus verworfen war, die Stellung des
Sohnes des Menschen einnimmt, eine Stellung, in welcher alle
Dinge unter Seine Füße gestellt werden.
Im Neuen Testament finden wir die Erklärung dieser Stelle.
Sowohl im zweiten als auch im achten Psalm sehen wir, wie
Christus in die Mitte der Juden tritt und, von ihnen verworfen,
am Ende trotz ihrer Empörung Seinen Platz über Seinen Feinden einnimmt. Als unmittelbare Folge Seiner Verwerfung be228
kleidet Er die Stellung des Sohnes des Menschen; mit diesem
Namen nennt Er Sich in den Evangelien beständig. Auch im
ersten Kapitel des Epheserbriefes finden wir aus Psalm 8 die
Stelle angeführt: „... und hat alles seinen Füßen unterworfen",
mit der Beifügung „und ihn als Haupt über alles der Versammlung gegeben, welche sein Leib ist". Die Versammlung ist Sein
Leib, die Vervollständigung des Hauptes; deshalb wird sie
auch genannt „... die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt"
(Eph 1,22.23). Christus erfüllt alle Dinge; Er ist eine göttliche
Person, aber wahrhaftiger Mensch; die Versammlung aber vervollständigt Ihn als den Sohn des Menschen und vollendet so
den geheimnisvollen Christus, dessen Haupt Er Selbst ist, und
dessen Leib aus allen Gliedern der Versammlung gebildet
wird. Aus diesem Grund ist auch die Versammlung so innig
mit Christus verbunden wie der Leib eines Menschen mit dem
Haupt verbunden ist; diesen Vergleich finden wir in Epheser 5.
„Denn niemand hat jemals sein eigenes Fleisch gehaßt, sondern er nährt und pflegt es, gleichwie auch der Christus die
Versammlung. Denn wir sind Glieder seines Leibes, von
seinem Fleische und von seinen Gebeinen" (V. 29.30). Weil es
in diesem Leib nur einen Geist gibt, so ist die Versammlung
mit Christus, als dem Haupt über alles vereinigt. Wir sehen
Christus, als den Sohn des Menschen, in den Ratschlüssen
Gottes über alle Dinge gesetzt, die in den Himmeln und die auf
der Erde sind; und wir, errettet durch Ihn und vereinigt mit Ihm
- wir, Seine Brüder, Seine Miterben und Glieder Seines Leibes
- sind völlig eins mit Ihm. Das sind die Beziehungen, die
zwischen der Versammlung und der Herrlichkeit Christi bei
seiner zweiten Ankunft bestehen.
Ähnliche Gedanken finden wir in Hebräer 2, wo der Apostel bei
Anführung des achten Psalms zugleich andeutet, wieweit er
schon erfüllt ist. „Es hat aber irgendwo jemand bezeugt und
gesagt: 'Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst, oder des
Menschen Sohn, daß du auf ihn siehst? Du hast ihn ein wenig
unter die Engel erniedrigt; mit Herrlichkeit und Ehre hast du ihn
gekrönt und ihn gesetzt über die Werke deiner Hände; du hast
alles seinen Füßen unterworfen.' Denn indem er ihm alles
229
unterworfen, hat er nichts gelassen, das ihm nicht unterworfen
wäre; jetzt aber sehen wir ihm noch nicht alles unterworfen.
Wir sehen aber Jesum, der ein wenig unter die Engel wegen des
Leidens des Todes erniedrigt war, mit Herrlichkeit und Ehre
gekrönt" (V. 6-9). Beachten wir hier, daß Gott Sich vorgesetzt
hat, alle Dinge, ohne Ausnahme, Christus zu unterwerfen. In
der Tat ist Christus der Schöpfer aller Dinge und folglich auch
der Erbe; und hier liegt der Kernpunkt. Die Dinge, die Er als
Gott geschaffen hat, erbt Er als Mensch, damit wir sie zusammen mit Ihm erben möchten. Dieser Zeitpunkt ist aber noch
nicht gekommen, denn wir sehen Ihm noch nicht alles unterworfen. Aber wir sehen den ein wenig unter die Engel erniedrigten Jesus mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. Ein Teil dieser
Stelle ist erfüllt, der andere noch nicht, denn wir sehen Christus
noch nicht alles unterworfen. Die Erklärung dafür finden wir in
Psalm 110, den der Apostel ebenfalls im Hebräerbrief und der
Herr Selbst in Matthäus 22,44 anführt, als Er mit den Pharisäern
über diesen Gegenstand sprach. Wir lesen in Psalm 110:
„Jehova sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner
Rechten, bis ich deine Feinde lege zum Schemel deiner Füße."
Darum sagt der Apostel: „£> aber, nachdem er ein Schlachtopfer für Sünden dargebracht, hat sich auf immerdar gesetzt zur
Rechten Gottes, fortan wartend, bis seine Feinde gelegt sind
zum Schemel seiner Füße" (Hebr 10,12.13). Wir wollen später
auf diesen Gegenstand zurückzukommen.
Aber welch ein kostbares Bewußtsein ist es für die Heiligen,
daß Christus sitzt „zur Rechten Gottes, fortan wartend, bis
seine Feinde gelegt sind zum Schemel seiner Füße". Allerdings
ist das noch nicht geschehen, denn sonst würde der Herr dem
Treiben der Welt Einhalt gebieten. Bis jetzt beschäftigt Sich
Gott damit, die Miterben Christi zu sammeln, während Er an
Ihn das Wort richtet: „Setze dich zu meiner Rechten, bis ich
deine Feinde lege zum Schemel deiner Füße." Und wann findet
das statt? „Von jenem Tage aber oder der Stunde weiß
niemand ... noch der Sohn" (Mk 13,32), sondern zu Ihm wird
gesagt: „Setze dich zu meiner Rechten" bis zum Tage der
Ausführung dieses Ereignisses. Der Ratschluß Gottes ist also
230
völlig klar. Wir sehen Jesus, nachdem Er unsere Sünden gesühnt hat, sitzend zur Rechten der Majestät in der Höhe. Von
dort aus sammelt Er Seine Miterben durch das Evangelium.
Während Er zur Rechten Gottes sitzt, sind wir mit Ihm vereinigt; wir sind eins mit Ihm durch denselben Geist.
Nun finden wir in 1. Korinther 15,22-27, wie wir zu diesem
Platz der Herrlichkeit gelangen. „Denn gleichwie in dem Adam
alle sterben, also werden auch in dem Christus alle lebendig
gemacht werden. Ein jeder aber in seiner eigenen Ordnung: Der
Erstling, Christus; sodann die, welche des Christus sind bei seiner Ankunft"; (und wer sind diese Letzteren anders als Seine
Miterben?) - „dann das Ende, wenn er das Reich dem Gott und
Vater übergibt, wenn er weggetan haben wird alle Herrschaft
und alle Gewalt und Macht. Denn er muß herrschen, bis er alle
Feinde unter seine Füße gelegt hat. Der letzte Feind, der weggetan wird, ist der Tod. 'Denn alles hat er seinen Füßen unterworfen.' Wenn er aber sagt, daß alles unterworfen sei, so ist es
offenbar, daß der ausgenommen ist, der ihm alles unterworfen
hat." Es wird also gesagt, daß Gott, der Vater, Ihm nicht unterworfen ist; aber gerade diese Ausnahme beweist, daß alles übrige Christus unterworfen sein wird. Das ist noch nicht erfüllt;
denn sonst würden, wie gesagt, die Greuel in dieser Welt ihr
Ende gefunden haben. Noch ist Satan, und nicht Christus, der
Fürst und Gott dieser Welt; und doch ist es eigenartig, daß viele
der Meinung sind, daß das Kreuz diesem allen ein Ende gemacht
habe, während gerade das Kreuz bewiesen hat, daß Satan der
Fürst und Gott dieses Zeitlaufs ist. Der Herr sagte: „Der Fürst
der Welt kommt und hat nichts in mir" (Joh 14,30). Vor der
Verwerfung Christi ist Satan niemals der Fürst dieser Welt genannt worden. Gott wohnte inmitten Seines Volkes; im Tempel
befand sich die Wolke der Herrlichkeit, das Zeichen Seiner
Gegenwart; aber nachdem Gott in der Person Christi in diese
Welt eingetreten und verworfen worden ist, wird Satan der Fürst
dieser Welt genannt; und in diesem Sinn sagt der Apostel: „... in
welchen der Gott dieser Welt den Sinn der Ungläubigen
verblendet hat" (2.Kor 4,4). Wenn der Herr kommt, wird Er der
Fürst dieser Welt sein; bis dahin aber hat Satan diese Herrschaft.
231
In Lukas 19 spricht der Herr in einem Gleichnis davon, in ein
fernes Land zu gehen, um ein Reich zu empfangen und dann
wiederzukommen, um Gericht zu halten. „Während sie aber
dieses hörten, fügte er noch ein Gleichnis hinzu, weil er nahe bei
Jerusalem war und sie meinten, daß das Reich Gottes alsbald
erscheinen sollte" (V. 11). Man erwartete also dieses Reich und
wollte sich mit Ihm bald des Besitzes erfreuen. Deshalb sagte Er:
„Ein gewisser hochgeborener Mann zog in ein fernes Land, um
ein Reich für sich zu empfangen und wiederzukommen. Er
berief aber seine zehn Knechte und gab ihnen zehn Pfunde und
sprach zu ihnen: Handelt, bis ich komme" (V. 12.13). Hier haben
wir den Dienst der Christen während der Abwesenheit ihres
Herrn, welcher hinging, um das Reich in Empfang zu nehmen.
Wenn Er zurückkommt, wird Er Seine Knechte zur Rechenschaft ziehen. „Und es geschah, als er zurückkam, nachdem er
das Reich empfangen hatte, da hieß er diese Knechte, denen er
das Geld gegeben, zu sich rufen, auf daß er wisse, was ein jeder
erhandelt hätte" (V. 15). Nachdem Er Sich mit Seinen Knechten
beschäftigt hatte, hören wir den Herrn sagen: „Doch jene, meine
Feinde, die nicht wollten, daß ich über sie herrschen sollte, bringet her und erschlaget sie vor mir" (V.27). Das wird stattfinden,
wenn der Herr nach Empfang des Reiches zurückgekehrt sein
wird; denn während Seiner Abwesenheit richtet Er nicht. In
Johannes 5,22.23 lesen wir: „Denn der Vater richtet auch niemand, sondern das ganze Gericht hat er dem Sohne gegeben, auf
daß alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren." Wenn Er
aber jetzt das Gericht beginnen wollte, so müßte Er die Zeit der
Gnade und das Sammeln der Gläubigen beenden. Jetzt richtet
der Vater die Heiligen durch Züchtigung, denn wir lesen: „Und
wenn ihr den als Vater anrufet, der ohne Ansehen der Person
richtet nach eines jeden Werk ..." (l.Petr 1,17). In Bezug auf das
Endgericht aber lesen wir im Evangelium nach Johannes, daß
der Vater niemanden richtet, sondern das ganze Gericht dem
Sohn übergeben hat. Nach Seiner Rückkehr wird der Sohn Sich
mit Seinen Feinden als der Richter beschäftigen und der Bosheit
der Menschen ein Ende setzen. Bis dahin sollen wir wachen und
treu mit den uns verliehenen Pfunden, d.h. mit den uns anvertrauten geistlichen Gaben handeln.
232
Das wird auch in Kolosser 1 klar dargestellt. Ich möchte gern
ein wenig dabei verweilen, um zu einer möglichst vollständigen
Betrachtung über die Gedanken und Ratschlüsse Gottes zu
kommen. Ich beginne mit Vers 12, wo der Apostel sagt: „...
danksagend dem Vater, der uns fähig gemacht hat." Es ist also
eine vollendete Tatsache, daß wir fähig gemacht sind; und nirgendwo sagt uns eine Schriftstelle, daß dieses noch geschehen
müsse. Wohl wird gesagt, daß wir in allem Christus gleich
werden sollen; aber etwas ganz anderes ist es, wenn der Apostel
an die Danksagung gegenüber einem Vater erinnert, „der uns
fähig gemacht hat zu dem Anteil am Erbe der Heiligen in dem
Lichte, der uns errettet hat aus der Gewalt der Finsternis und
versetzt in das Reich des Sohnes seiner Liebe, in welchem wir
die Erlösung haben, die Vergebung der Sünden; welcher das
Bild des unsichtbaren Gottes ist, der Erstgeborene aller Schöpfung. Denn durch ihn ..." - (und dies ist der Grund, warum Er
über alle Dinge gesetzt ist) - „... sind alle Dinge geschaffen
worden, die in den Himmeln und die auf der Erde, die sichtbaren und die unsichtbaren, es seien Throne oder Herrschaften
oder Fürstentümer oder Gewalten: alle Dinge sind durch ihn
und für ihn geschaffen" (V. 12-16). Alle Dinge werden Ihm
unterworfen sein, jedoch nicht in ihrem gegenwärtigen Zustand
des Verdorbenseins. Christus wird sie als Mensch besitzen; Er
ist zum Erben aller Dinge gesetzt (Hebr 1,2.), und wir besitzen
sie mit Ihm als Seine Miterben. Christus ist „vor allen, und alle
Dinge bestehen zusammen durch ihn. Und er ist das Haupt des
Leibes, der Versammlung, welcher der Anfang ist, der Erstgeborene aus den Toten, auf daß er in allem den Vorrang habe"
(V. 17.18). Christus ist das Haupt aller Dinge und zugleich das
Haupt der Versammlung; das haben wir auch in Epheser 1
gesehen. „Denn es war das Wohlgefallen der ganzen Fülle, in
ihm zu wohnen und durch ihn alle Dinge mit sich zu versöhnen,
- indem er Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes
- durch ihn, es seien die Dinge auf der Erde oder die Dinge in
den Himmeln. Und euch, die ihr einst entfremdet und Feinde
wäret nach der Gesinnung in den bösen Werken, hat er aber nun
versöhnt in dem Leibe seines Fleisches durch den Tod" (V. 19-
21). In Bezug auf die Heiligen wird nie gesagt: 'Er wird
233
versöhnen' sondern: „Er hat versöhnt." Die Versöhnung aller
himmlischen und irdischen Dinge hingegen ist ein Gegenstand
der Erwartung, weil Satan jetzt noch nicht gebunden ist. In
Kolosser 1,20 „und durch ihn alle Dinge mit sich zu versöhnen... es seien die Dinge auf der Erde oder die Dinge in den
Himmeln", sowie in Epheser 1,10 „... alles unter ein Haupt zusammenzubringen in dem Christus", sagt der Apostel nicht, daß
diese Versöhnung schon geschehen ist, noch spricht er von den
Dingen, die unter der Erde sind. In Bezug auf die Unterwerfung
aber sagt er: „... auf daß in dem Namen Jesu jedes Knie sich
beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen"
(Phil 2,10). Bezüglich der Letzteren ist von keinem „Versöhnen" sondern von einem „Beugen" die Rede; aber in Bezug auf
uns sagt er: „Er hat uns versöhnt." Ebenso wie Christus sowohl
das Haupt der Versammlung als auch das Haupt aller Dinge ist,
so ist auch die Versöhnung eine zweifache, nämlich die gegenwärtige Versöhnung und Erlösung der Gläubigen und die zukünftige Versöhnung aller himmlischen und irdischen Dinge.
Noch sind nicht alle Dinge Seinen Füßen unterworfen. Aber
durch den Glauben sehen wir Christus zur Rechten Gottes
sitzen, bis Seine Feinde zum Schemel Seiner Füße gelegt sind.
Wenn diese Zeit kommt, wird Christus das Erbe antreten, und
zwar in dem Charakter, welcher Gott durch Melchisedek beigelegt wurde, als dieser, um Abraham zu segnen, erschien und
sagte: „Gesegnet sei Abram von Gott, dem Höchsten, der
Himmel und Erde besitzt!" (l.Mo 14,19). Und wenn Christus,
in der ganzen Bedeutung des Wortes, als König und Hoherpriester auf Seinem Thron sitzen wird, dann wird Gott diesen
Titel haben.
Während wir nun einerseits gesehen haben, daß Christus alle
Dinge, die in den Himmeln und die auf der Erde sind, versöhnen wird, und daß alle diese Dinge in Ihm unter ein Haupt gebracht werden sollen, so ist uns andererseits in mehreren Stellen
gezeigt worden, daß die Versammlung Seine Miterbin sein
wird. Wir haben gesehen, daß die Kirche Gottes oder alle durch
die Gnade Gottes herzugerufenen Heiligen mit Christus, dem
Mittelpunkt der Segnungen, vereinigt sind, um mit Ihm über die
234
himmlischen und irdischen Dinge zu herrschen. Die Schrift
lehrt uns, daß dieses erst in der Verwaltung der Fülle der Zeiten,
wenn Christus das Reich empfangen hat und zurückkehrt,
stattfinden wird. Erst dann werden alle Dinge in den Zustand
der Ordnung und der Segnung unter der Autorität Christi gelangen. Wenn Gott, der Vater, alle Dinge Seinen Füßen unterworfen hat, so wird Christus die Ordnung darin wiederherstellen
und schließlich das Reich Seinem Vater zurückgeben, während
die Versammlung in der Verwaltung der Fülle der Zeiten den
Mittelpunkt in den himmlischen Örtern bilden wird; Israel wird
dagegen den Mittelpunkt auf der Erde bilden.
Wir erkennen klar zwei Dinge, die, nächst unserer Erlösung, in
der Schrift den höchsten Platz einnehmen: In der Versammlung
entfaltet Gott Seine unumschränkte Gnade, indem Er die
Glieder derselben an der Herrlichkeit Christi teilnehmen läßt;
und inmitten der Juden zeigt Er, wie Er diese Welt regiert. Die
Schrift betrachtet die Versammlung als die mit Christus vereinigte Erbin Seiner Herrlichkeit. Welch kostbare Wahrheit!
Wir, die wir „nichts sind", sollen die Herrlichkeit Christi teilen
und denselben Platz einnehmen wie Er!
Die Versöhnung wird alle Dinge im Himmel und auf der Erde
umfassen. Diese Welt wird nicht immer der Schauplatz der
Wirksamkeit Satans bleiben. Sobald der Sohn Davids Seine
Herrschaft angetreten hat, werden sich die Dinge in der Welt
ändern. „Man wird nicht übeltun, noch verderbt handeln auf
meinem ganzen heiligen Gebirge" (Jes 11,9). Es kommt die
Zeit, wo Christus der Friedefurst sein wird; aber diese Zeit ist
noch nicht gekommen. „Denket ihr, daß ich gekommen sei,
Frieden auf der Erde zu geben? Nein, sage ich euch, sondern
vielmehr Entzweiung. Denn es werden von nun an fünf in
einem Hause entzweit sein; drei werden wider zwei, und zwei
wider drei entzweit sein: Vater wider Sohn und Sohn wider
Vater, Mutter wider Tochter und Tochter wider Mutter, Schwiegermutter wider ihre Schwiegertochter und Schwiegertochter
wider ihre Schwiegermutter" (Lk 12,51-53). In unserer Zeit
macht das Licht des Evangeliums die Finsternis der Menschen
offenbar, und sie empören sich gegen das Licht. Aber bei der
235
zweiten Ankunft Christi werden sie gerichtet. Deshalb müssen
die Christen ihr Kreuz auf sich nehmen und Jesus nachfolgen.
Wenn Christus jetzt schon die Herrschaft angetreten hätte, dann
wäre nicht das Kreuz das Teil Seiner Jünger, sondern eine
Krone wurde ihr Haupt schmücken. Christus wird kommen, um
verherrlicht zu werden in Seinen Heiligen. Wie wunderbar wird
ihre Herrlichkeit sein, wenn Er das Reich besitzen wird! Dann
wird, wie bereits gesagt, die Versammlung Gottes der Mittelpunkt aller Dinge in den himmlischen Ortern sein, während die
Juden den Mittelpunkt aller Dinge auf der Erde bilden und
Christus das Haupt ist. Das finden wir deutlich ausgedrückt in
den Worten: „... damit ihr wisset, ... welches die überschwengliche Größe seiner Kraft an uns, den Glaubenden, nach der
Wirksamkeit der Macht seiner Stärke, in welcher er gewirkt hat
in dem Christus, indem er ihn aus den Toten auferweckte; (und
er setzte ihn zu seiner Rechten in den himmlischen Örtern, über
jedes Fürstentum und jede Gewalt und Kraft und Herrschaft
und jeden Namen, der genannt wird, nicht allein in diesem
Zeitalter, sondern auch in dem zukünftigen, und hat alles seinen
Füßen unterworfen, und ihn als Haupt über alles der Versammlung gegeben, welche sein Leib ist, die Fülle dessen, der alles in
allem erfüllt)" (Eph 1,19-23). Dieselbe Kraft, welche Christus
aus den Toten auferweckte, hat die Gläubigen mit Ihm
auferweckt. In Epheser 2 ist davon die Rede, wo die Auferweckung als eine geistlich vollendete Tatsache betrachtet wird:
„... und hat uns mitauferweckt und mitsitzen lassen in den
himmlischen Örtern in Christo Jesu, auf daß er in den kommenden Zeitaltern den überschwenglichen Reichtum seiner Gnade
in Güte gegen uns erwiese in Christo Jesu" (V. 6.7).
So beschreibt also die Schrift die Wahrheit, daß Gott uns über
Engel, Fürstentümer und Gewalten des zukünftigen Zeitalters
gesetzt hat, um uns den unermeßlichen Reichtum Seiner Gnade
zu erweisen. Die Engel werden durch die Tatsache, daß wir die
Herrlichkeit Christi teilen werden, den unermeßlichen Reichtum der Gnade Gottes kennenlernen; es wird sicher ihre Bewunderung erregen, wenn sie Maria Magdalene, den Räuber
am Kreuz, die große Sünderin und einen jeden von uns in der236
selben Herrlichkeit mit Christus sehen. Wenn wir, unterwiesen
durch den Heiligen Geist, uns jetzt schon diese Dinge durch
den Glauben vergegenwärtigen, so werden wir uns in der jetzigen Stellung hinsichtlich der Zucht, der Übung und der geistlichen Erziehung sehr bevorzugt sehen; aber wir werden uns
erst bei Seiner Ankunft, wenn den Engeln die Güte Gottes uns
gegenüber geoffenbart wird, des völligen Genusses erfreuen.
Jetzt möchte ich gerne versuchen zu zeigen, in welcher Weise
der Herr Sich mit uns vereinigt. Lesen wir mit Aufmerksamkeit
Johannes 17, wo der Herr ausdrücklich sagt, daß die Heiligen
Seine Herrlichkeit und die Liebe des Vaters mit Ihm teilen
werden. Welch eine bewundernswerte Stellung! Wie reich entfaltet sich die alle Erkenntnis übersteigende Liebe Christi! -
„Aber nicht für diese allein bitte ich, sondern auch für die,
welche durch ihr Wort an mich glauben; auf daß sie alle eins
seien, gleichwie du, Vater, in mir und ich in dir, auf daß auch
sie in uns eins seien, auf daß die Welt glaube, daß du mich
gesandt hast." Diese Worte beziehen sich auf die Jetztzeit oder
wenigstens auf das, was jetzt sein sollte, während das Folgende
zukünftig ist: „Und die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast,
habe ich ihnen gegeben, auf daß sie eins seien, gleichwie wir
eins sind; ich in ihnen und du in mir, auf daß sie in eins
vollendet seien, und auf daß die Welt erkenne, daß du mich
gesandt und sie geliebt hast, gleichwie du mich geliebt hast"
(Joh 17,20-23). Hier spricht der Herr von der Herrlichkeit, die
Gott Ihm als Mensch gegeben hat; denn Seine Herrlichkeit als
Sohn Gottes ist ewig. - Wenn Er von der Jetztzeit spricht, so
sagt Er: „... auf daß die Welt glaube " - eine Aufforderung, daß
die Heiligen eins seien und dadurch bezeugen sollen, daß der
Geist Gottes eine Macht ist, die trotz aller irdischen Unterschiede die Gläubigen vereinigen kann. In Bezug auf die
Zukunft aber sagt Er „... auf daß die Welt erkenne". In der Tat
wird die Welt einst erkennen, daß Gott es war, der Jesum
sandte; ja, alle Ungläubigen werden es erkennen, wenn sie diejenigen mit Christus in Herrlichkeit kommen sehen, die auf der
Erde die Zielscheibe ihres Spottes waren. Unsere Herzen sollten diese unergründliche Liebe Gottes kennen, wertschätzen
237
und durch völliges Vertrauen ehren. Die Zeit naht, wo auch die
Welt diese Liebe erkennen wird. „Gerechter Vater! - und die
Welt hat dich nicht erkannt; ich aber habe dich erkannt, und
diese haben erkannt, daß du mich gesandt hast. Und ich habe
ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, auf
daß die Liebe, womit du mich geliebt hast, in ihnen sei und ich
in ihnen" (V. 25.26). Jetzt genießen wir, daß die Liebe in uns
wohnt, mit der der Vater den Sohn liebt. Ja, diese unergründliche Liebe - Christus in uns - sollen wir besitzen und erkennen. Der Vater liebt uns jetzt schon, wie Er Christus geliebt
hat; und wir erkennen darum schon jetzt diese Liebe, während
die Welt erst dann erkennt, wenn sie uns in der Herrlichkeit
mit Christus erblickt, daß Gott uns liebt wie Er Christus geliebt
hat und liebt.
Zwei wichtige Punkte der Schrift sollten wir tief in unsere
Herzen einprägen, nämlich, daß wir Christus völlig gleich sein
werden - ausgenommen Seine Gottheit - und daß dieses bei
unserer Auferstehung oder Verwandlung stattfinden wird und
wir später mit Ihm offenbar werden. Schon jetzt sind wir nicht
von dieser Welt; aber, wie gesagt, die Welt erkennt jetzt nicht,
daß wir Gegenstände der völligen Liebe Gottes sind. Wenn
Christus geoffenbart werden wird, werden wir mit Ihm geoffenbart werden in Herrlichkeit. Diese Wahrheit steht mit der
Auferstehung in Verbindung. „Der erste Mensch ist von der
Erde, von Staub; der zweite Mensch vom Himmel. Wie der
von Staub ist, so sind auch die, welche von Staub sind; und wie
der Himmlische, so sind auch die Himmlischen." Wir werden
uns also nicht nur im Himmel befinden, sondern wir werden
dort, mit Ausnahme Seiner Gottheit, Christus gleich sein. Das
ist völlig klar; und der Apostel fügt in Bezug auf die
zukünftigen Herrlichkeit hinzu: „Und wie wir das Bild dessen
von Staub getragen haben, so werden wir auch das Bild des
Himmlischen tragen. Dies aber sage ich, Brüder, daß Fleisch
und Blut das Reich Gottes nicht ererben können, auch die
Verwesung nicht die Unverweslichkeit ererbt." „Es wird gesät
in Verwesung, es wird auferweckt in Unverweslichkeit" (1 .Kor
15,47-50.42).
238
Untersuchen wir jetzt etliche Stellen über die Art und Weise
unserer Aufnahme bei Christo; denn ich wünsche, daß wir, um
sichere Schritte tun zu können, uns in allem, was Christus uns
mitteilt, auf den Boden des Wortes Gottes stellen. Christus sagt:
„In dem Hause meines Vaters sind viele Wohnungen; wenn es
nicht so wäre, würde ich es euch gesagt haben; denn ich gehe
hin, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe und
euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch
zu mir nehmen, auf daß, wo ich bin, auch ihr seiet" (Joh
14,2.3). Christus ist also in das Haus des Vaters gegangen; aber
Er wird wiederkommen und uns zu Sich nehmen. Er ist
hinaufgestiegen in einem verherrlichten Leib; obwohl noch
nicht alle Dinge Seinen Füßen unterworfen sind, so ist Er doch
mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt. Er hat Seinen Jüngern
geboten, daß sie bis zu Seiner Rückkehr warten und wirken
sollten. Doch schon jetzt wissen wir, wie Er mit uns handeln
wird, die wir dieselbe Herrlichkeit mit Ihm teilen werden. „... so
komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen." In
Johannes 13,8 sagt Er: „Wenn ich dich nicht wasche, so hast du
kein Teil mit mir"; - als ob Er hätte sagen wollen: 'Ich kann
nicht als König oder Messias bei euch bleiben; aber durch
dieses Waschen will ich euch befähigen, mit mir, wenn ich wiederkomme, zu regieren. Indem ich mich für euch verwende, bin
ich euer Diener; durch meinen Dienst wasche ich euch täglich,
denn ihr müßt mir gleich sein, um mit mir in meinem Reiche zu
sein.' - Dieselbe Wahrheit wird in 1. Thessalonicher 4 verkündigt: „Denn wenn wir glauben, daß Jesus gestorben und auferstanden ist, also wird auch Gott die durch Jesum Entschlafenen
mit ihm bringen. (Denn dieses sagen wir euch im Worte des
Herrn, daß wir, die Lebenden, die übrigbleiben bis zur Ankunft
des Herrn, den Entschlafenen keineswegs zuvorkommen
werden" (V. 14.15). Der Apostel erwartete beständig die Ankunft des Herrn. Man hat zu sagen gewagt, daß er sich getäuscht habe in dem Glauben, das Kommen des Herrn noch zu
erleben. Aber die Stunde dieses Ereignisses war von Christus
nie geoffenbart worden, und nie hat Paulus behauptet, dieselbe
zu kennen. Aber er erkannte, daß die Zeit nahe war, wo die
Gläubigen zu jeder Stunde den Herrn erwarten sollten, anstatt
239
zu sagen „Mein Herr verzieht zu kommen" (Lk 12,45). Deshalb
stellte sich Paulus in die Reihe der Lebenden, die bis zur
Ankunft des Herrn übrigbleiben sollten. Dieser Erwartung entsprach sein ganzes Leben, sodaß er ohne Zweifel seinen Lohn
empfangen wird, während jene, die die Ankunft Christi verwerfen und, anstatt auf Ihn zu warten, ihren Lüsten folgen, jedenfalls auch die Früchte ihrer Werke ernten werden. Später
erkannte der Apostel durch Offenbarung, daß er bald sterben
würde, so wie auch Petrus von dem Ablegen seiner Hütte unterrichtet war. Aber die Stunde der Ankunft des Herrn war weder
dem einen noch dem anderen geoffenbart. Paulus sagte nun
weiter: „Wir werden zwar nicht alle entschlafen, wir werden
aber alle verwandelt werden" (l.Kor 15,51). Christus hat den
Tod besiegt. Es kann sein, daß wir vor der Ankunft des Herrn
sterben; trotzdem können wir sagen: „Wir, die Lebenden, die
übrigbleiben bis zur Ankunft des Herrn." Jener, welcher sagte:
„Mein Herr verzieht zu kommen", schlug seine Mitknechte und
berauschte sich. Die klugen und törichten Jungfrauen waren, als
der Bräutigam verzog, alle eingeschlafen. Ebenso hat auch die
Kirche die Wahrheit vergessen, daß wir täglich auf den Herrn
warten sollen. Wir müssen alle aufgerüttelt werden. Zwar zeigt
uns das Aufwachen der Jungfrauen zur rechten Stunde, wie treu
Christus stets gegen Sein Volk ist; aber das Warten auf den
Herrn charakterisiert die treuen Knechte. Die Versammlung zu
Philadelphia wartete auf das Kommen des Herrn, und von ihr
heißt es: „Weil du das Wort meines Ausharrens bewahrt hast,
werde auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung,
die über den ganzen Erdkreis kommen wird" (Offb 3,10).
Doch kehren wir nun wieder zu 1. Thessalonicher 4 zurück.
„Denn dieses sagen wir euch im Worte des Herrn, daß wir, die
Lebenden, die übrigbleiben bis zur Ankunft des Herrn, den Entschlafenen keineswegs zuvorkommen werden. Denn der Herr
selbst wird mit gebietendem Zuruf, mit der Stimme eines Erzengels und mit der Posaune Gottes herniederkommen vom
Himmel, und die Toten in Christo werden zuerst auferstehen"
(V. 15.16). Es handelt sich hier nur um die Heiligen. Weder der
gebietende Zuruf, noch die Stimme des Erzengels, noch die
240
Posaune Gottes richtet sich an alle, um Gerechte und Ungerechte aufzuwecken, sondern nur an die Gerechten. Die Posaune Gottes ruft gleichsam die Soldaten vom Kampfplatz in
ihre Reihen zurück; und nur die Toten in Christus werden
diesen Ton vernehmen, denn „die Toten in Christo werden zuerst auferstehen; danach werden wir, die Lebenden, die übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken dem
Herrn entgegen in die Luft; und also werden wir allezeit bei
dem Herrn sein. So ermuntert nun einander mit diesen Worten"
(V. 17.18). Der Herr hatte gesagt, daß Er kommen und uns zu
Sich nehmen werde; der Apostel belehrt uns durch eine Offenbarung, wie dieses geschehen wird. Die in 1. Korinther 15
angeführte Stelle teilt uns dasselbe Ereignis mit. „Ein jeder aber
in seiner eigenen Ordnung: Der Erstling, Christus; sodann die,
welche des Christus sind bei Seiner Ankunft" (V. 23). Wir müssen beachten, daß hier nicht von einer Auferstehung sämtlicher
Toten, sondern von einer Auferstehung aus den Toten die Rede
ist, so wie auch die Auferstehung Christi eine aus den Toten
war. Er ist aus den Toten auferstanden, weil der Vater Seine
Wonne an Ihm hatte; und auch uns hat Er gleicherweise aus den
Toten auferweckt, weil auch wir Gegenstände Seiner Wonne
geworden sind. Darum wird der Herr kommen (es heißt nicht:
Er wird erscheinen) und uns rufen, um für immer bei Ihm zu
sein und Seine Herrlichkeit zu teilen; darauf deuten die Worte
hin: „Und wie wir das Bild dessen von Staub getragen haben,
so werden wir auch das Bild des Himmlischen tragen." Es ist
also nicht der Tod, den wir zu erwarten haben, obwohl er
eintreten kann; denn wir lesen: „... wiewohl wir nicht entkleidet,
sondern überkleidet werden möchten, damit das Sterbliche
verschlungen werde von dem Leben" (2.Kor 5,4). - Um Seine
Macht völlig zu offenbaren, nimmt Christus sterbliche Menschen zu Sich. Sind sie gestorben, so weckt Er sie auf; leben sie
bei Seiner Ankunft, so verwandelt Er ihren Leib in einen Herrlichkeitsleib. Zuerst weckt Er die Toten auf, dann verwandelt Er
die Lebenden, und alle gehen zugleich dem Herrn entgegen in
die Luft. „Denn welche er zuvorerkannt hat, die hat er auch zuvorbestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu sein,
damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern" (Röm 8,29).
241
In Johannes 17,22 lesen wir: „Und die Herrlichkeit, die du mir
gegeben hast, habe ich ihnen gegeben." Das ist unser Anteil an
den himmlischen Dingen; und in Kolosser 3 sehen wir, daß,
wenn Er geoffenbart werden wird, wir mit Ihm geoffenbart
werden in Herrlichkeit. Wenn Er gekommen ist und uns zu Sich
genommen hat, wird Er Sich der Welt offenbaren, und wir
werden mit Ihm erscheinen. Der Apostel stellt uns als vollkommen eins mit Christo dar; denn es heißt: „Wenn ihr nun mit
dem Christus auferweckt worden seid, so suchet was droben ist,
wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Sinnet auf das
was droben ist, nicht auf das was auf der Erde ist; denn ihr seid
gestorben, und euer Leben ist verborgen mit dem Christus in
Gott." Christus ist in Gott verborgen; und weil Christus unser
Leben ist, so ist folglich auch unser Leben in Gott verborgen.
„Wenn der Christus, unser Leben, geoffenbart werden wird,
dann werdet auch ihr mit ihm geoffenbart werden in Herrlichkeit" (Kol 3,1-4). - Wir wissen, daß wir in keiner Weise von
Christus getrennt sind; wir sind mit Ihm in Gott verborgen,
werden mit Ihm geoffenbart und mit Ihm verherrlicht, sind
Erben Gottes und Miterben Christi. In etwas anderer Form wird
dieselbe Wahrheit in 1.Johannes 3,1 dargestellt. „Sehet, welch
eine Liebe uns der Vater gegeben hat, daß wir Kinder Gottes
heißen sollen!" Wir tragen denselben Namen wie Christus; und
„deswegen erkennt uns die Welt nicht, weil sie ihn nicht
erkannt hat". - Nach Seiner Auferstehung sagte der Herr: „Ich
fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, und zu meinem
Gott und eurem Gott." Er sagt gleichsam: 'Ich habe das Werk
eurer Erlösung vollbracht, und die Folge davon ist, daß ich euch
denselben Platz gegeben habe, den ich selbst einnehme.' Darum
lesen wir in Psalm 22,22: „Verkündigen will ich deinen Namen
meinen Brüdern; inmitten der Versammlung will ich dich
loben." Im Blick auf die Gegenwart heißt es: „Geliebte, jetzt
sind wir Kinder Gottes, und es ist noch nicht offenbar
geworden, was wir sein werden; wir wissen, daß, wenn es
offenbar werden wird, wir ihm gleich sein werden, denn wir
werden ihn sehen, wie er ist" (1 Joh 3,2).
Jetzt noch etwas in Bezug auf unsere Erscheinung mit Christus.
242
In Sacharja 14 lesen wir, daß der Herr kommen wird und alle
Seine Heiligen mit Ihm, und daß an demselben Tag Seine Füße
auf dem Ölberg stehen werden. Das ist es, worauf die Engel
bei der Himmelfahrt hindeuten, wenn sie sagen: „Männer von
Galiläa, was stehet ihr und sehet hinauf gen Himmel? Dieser
Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden
ist, wird also kommen, wie ihr ihn habt hingehen sehen in den
Himmel" (Apg 1,11). Der Apostel Judas sagt in den Versen
14.15: „Es hat aber auch Henoch, der siebente von Adam, von
diesen geweissagt und gesagt: 'Siehe, der Herr ist gekommen
inmitten seiner heiligen Tausende, Gericht auszuführen wider
alle ...'" Hier sehen wir also die Heiligen mit Christus zur Ausführung des Gerichts vereinigt.
Wie erhaben ist unsere Stellung! Die Schrift spricht über
diesen Gegenstand so ausführlich, daß es unmöglich ist, sich
zu täuschen. Unter dem Druck schwerer Verfolgungen hören
die Thessalonicher den Apostel sagen: „... sodaß wir selbst uns
euer rühmen in den Versammlungen Gottes wegen eures Ausharrens und Glaubens in allen euren Verfolgungen und Drangsalen, die ihr erduldet; ein offenbares Zeichen des gerechten
Gerichts Gottes, daß ihr würdig geachtet werdet des Reiches
Gottes, um dessentwillen ihr auch leidet; wenn es anders bei
Gott gerecht ist, Drangsal zu vergelten denen, die euch bedrängen, und euch, die ihr bedrängt werdet, Ruhe mit uns bei
der Offenbarung des Herrn Jesus vom Himmel, mit den Engeln
seiner Macht, in flammendem Feuer, wenn er Vergeltung gibt
denen, die Gott nicht kennen, und denen, die dem Evangelium
unseres Herrn Jesus Christus nicht gehorchen; welche Strafe
leiden werden, ewiges Verderben vom Angesicht des Herrn
und von der Herrlichkeit seiner Stärke, wenn er kommen wird,
um an jenem Tage verherrlicht zu werden in seinen Heiligen
und bewundert in allen denen, die geglaubt haben" (2.Thess
1,4-10). Das sind die heiligen Tausende, von denen Judas
spricht, und die auch in Offenbarung 17 genannt werden. Alle
Könige der Erde werden kommen, um in Verbindung mit dem
Tier Krieg mit Christus zu führen. „Diese werden mit dem
Lamme Krieg führen, und das Lamm wird sie überwinden;
243
denn er ist Herr der Herren und König der Könige, und die mit
ihm sind Berufene und Auserwählte und Treue" (V. 14).
Andere Stellen teilen uns mit, daß Christus die Engel in Seinem Gefolge haben wird; aber hier ist nicht davon die Rede.
Die Engel können wohl Auserwählte und Treue genannt
werden, da die Schrift von auserwählten Engeln spricht. Aber
die, welche wir hier bei Christus sehen, sind Berufene; und nur
die Heiligen sind Berufene durch die Gnade Gottes.
Laßt uns jetzt einen Blick auf Offenbarung 19 werfen. „Und
ich sah den Himmel geöffnet, und siehe, ein weißes Pferd, und
der darauf saß, genannt Treu und Wahrhaftig, und er richtet
und führt Krieg in Gerechtigkeit" (V. 11). Wir haben überall
gesehen, daß Christus kommen wird, um die Bösen auf der
Erde zu richten, und daß sowohl ein Gericht der Lebendigen
als der Toten stattfinden wird. „Denn gleichwie sie in den
Tagen vor der Flut waren: sie aßen und tranken, sie heirateten
und verheirateten, bis zu dem Tage, da Noah in die Arche ging,
und sie es nicht erkannten, bis die Flut kam und alle wegraffte,
also wird auch die Ankunft des Sohnes des Menschen sein"
(Mt 24,38.39). „Seine Augen aber sind eine Feuerflamme, und
auf seinem Haupte sind viele Diademe, und er trägt einen
Namen geschrieben, den niemand kennt, als nur er selbst; und
er ist bekleidet mit einem in Blut getauchten Gewände, und
sein Name heißt: Das Wort Gottes. Und die Kriegsheere, die in
dem Himmel sind, folgten ihm auf weißen Pferden, angetan
mit weißer, reiner Leinwand" (Offb 19,12-14). „... denn die
feine Leinwand", so lesen wir in Vers 8, „sind die Gerechtigkeiten der Heiligen".
Hiermit schließe ich meine Anführungen. Wir haben in der
vorigen Betrachtung gesehen, daß in der Heiligen Schrift die
Ankunft des Herrn stets als der Gegenstand der Erwartung oder
Hoffnung der Gläubigen dargestellt wird. O, möchte Seine Ankunft alle Gedanken und Empfindungen der Heiligen erfüllen,
weil es ja ein Zweck ihrer Bekehrung ist, den Sohn Gottes aus
den Himmeln zu erwarten. Alle übrigen Lehren der Heiligen
Schrift stehen mit Seiner Ankunft in Verbindung. Der Gedanke
„Mein Herr verzieht zu kommen" ist das ausdrückliche Zeichen
244
des Verfalls, und nur der Ruf: „Siehe, der Bräutigam!", hat sie
wieder aufgeweckt.
Wir haben also in den verschiedenen Schriftabschnitten gesehen, daß Gott uns in aller Weisheit und Einsicht Seinen Ratschluß kundgetan hat, nämlich alle Dinge in den Himmeln und
auf der Erde in dem Christus zusammenzubringen. Zu diesem
Zweck hat uns Gott mit Christus, dem Haupt über alles, vereinigt, sodaß wir das Erbe mit Ihm teilen können, weil wir
Erben Gottes sind. Wenn Christus sein Erbe antritt, so nehmen
wir Besitz mit Ihm; wenn Er erscheint, werden wir mit Ihm
erscheinen.
Nachdem Er von den Juden verworfen worden war, nahm Er
Seinen Platz als Sohn des Menschen ein und zwar in erster
Linie in der Auferstehung, und Er wird ihn auch in Herrlichkeit einnehmen. Uns aber wird Er auferwecken, um zur bestimmten Zeit diesen Platz mit Ihm einzunehmen. Noch sehen
wir freilich Ihm nicht alle Dinge unterworfen; Aber wir sehen
Ihn mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt, und wir warten mit
Ihm, bis alle Seine Feinde zum Schemel Seiner Füße gelegt
sind. Diesen Augenblick kennt niemand, denn Gott hat ihn
nicht geoffenbart. Aber Christus ist dabei, die Gläubigen zu
sammeln. Er wird uns rufen, um Ihm in der Luft zu begegnen.
Die Entschlafenen wird Er auferwecken, die Lebenden verwandeln und uns zusammen in das Haus Seines Vaters
bringen, wo unser Platz ist. Er wird alles bereitet haben, um
uns dort zu empfangen. Er wird Sein Erbe nicht in Besitz
nehmen, bevor Seine Miterben bei Ihm sind.
In Offenbarung 19 finden wir zuerst die Hochzeit des Lammes;
dann sehen wir Ihn mit Seinem Heer kommen. In diesem Heer
erkennen wir Seine Braut, denn das Lamm muß eine Gefährtin
haben, die das Erbe mit Ihm teilt. Bis jetzt hat Er noch nicht
die Macht und die Herrschaft in Seine Hand genommen. Aber
wenn wir zu Ihm erhoben sind, wird Er erscheinen und wir mit
Ihm. Wir werden Ihn zur Ausführung Seiner Gerichte in dieser
Welt begleiten, wenn Er die Nationen wie Töpfergefäße zerschmettert. Aber das gesegnetste Teil unseres Erbes wird sein.
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daß wir bei Ihm sind! Wenn Er erscheinen wird, dann wird die
Welt auch uns sehen, und wir werden das Bild des Himmlischen tragen, „wie wir das Bild dessen von Staub getragen
haben". Jetzt sitzt Christus zur Rechten Gottes, und Er hat
Seinen Heiligen Geist gesandt, um Seine Miterben zu
sammeln. Nur durch den Geist sind wir fähig, Ihm hier nachzufolgen. Heute muß Sein Volk das Kreuz tragen; morgen wird
es das Reich und die Herrlichkeit besitzen. Christus wird nicht
zu unserem Gericht kommen; denn „ebenso wie es den Menschen gesetzt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht,
also wird auch der Christus, nachdem er einmal geopfert
worden ist, um vieler Sünden zu tragen, zum zweiten Male
denen, die ihn erwarten, ohne Sünde erscheinen zur Seligkeit"
(Hebr 9,27.28).
Zum Schluß möchte ich noch einige ernste Fragen stellen. Mit
wem bist du vereinigt? Bist du durch den Heiligen Geist mit
Christus, der von der Welt verworfen, jetzt zur Rechten Gottes
sitzt, vereinigt, oder gehörst du noch der Welt an, die Er, wenn
Er mit allen Seinen Heiligen kommt, richten wird? Mit wem
bist du vereinigt während der Abwesenheit Christi, welcher
hingegangen ist, um eine Herrlichkeit zu empfangen, die höher
ist als alles auf der Erde? Bist du, der du eine Welt durchschreitest, die Christus verwarf, wirklich überzeugt, daß Satan
der Gott und der Fürst dieser Welt ist, und lebst du dieser
Überzeugung gemäß? Glaubst du, daß Christus zur Rechten
Gottes sitzt und daß Er wiederkommen und dich mit allen
Heiligen zu Sich nehmen wird, um in dem Hause des Vaters
teilzuhaben an den Segnungen, womit Er gesegnet ist, und um
Zeuge der Herrlichkeit Seines Vaters zu sein und Dessen Liebe
mit Ihm zu teilen? Gibt es wirklich etwas in unseren Herzen,
welches dem Vertrauen eines Kindes zu seinem Vater gleicht
und welches bezeugt, daß wir Kinder sind? Gibt es etwas in
uns, welches uns vereinigt mit denen, die Erben dieser Segnungen und dieser Herrlichkeit sind? Können wir sagen, daß
die Welt uns nicht kennt, gleichwie sie Ihn nicht erkannt hat?
Gleichen wir in unserer Stellung hier Ihm, an dem, als Er auf
dieser Erde wandelte, keine Schönheit war, die Ihn für die
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Welt anziehend machte? Sind es die sichtbaren oder die unsichtbaren Dinge, welche ihre Macht auf unsere Herzen ausüben? Wohnt Christus, den man nicht sieht, durch den Glauben
in unseren Herzen, so daß Er unser Teil ist? - Wenn es so ist,
dann werden wir mit Ihm in Herrlichkeit erscheinen, wenn Er
kommen wird, und - was noch mehr ist - wir werden stets bei
Ihm sein!
Möge der Herr es uns schenken, daß wir stets auf Ihn warten
und rufen „Komm, Herr Jesus!" - damit Er allein unser Teil,
unser Platz, unser Schatz, unser Alles sei. „Denn noch über ein
gar Kleines, und der Kommende wird kommen und nicht
verziehen" (Hebr 10,37).
Inhaltsverzeichnis: Botschafter des Heils in Christo 1865 | Seite |
Elia, der Tisbiter 5 | 5 |
Einige Worte über die Lehre | |
von der Versammlung im Anschluß | |
an die Betrachtungen über Elia, den Tisbiter 88 | 88 |
„Der Sohn des Menschen ist gekommen, | |
zu suchen und zu erretten, was verloren ist." 107 | 108 |
Des Pilgers Trost 116 | 116 |
„Was seid ihr bestürzt?" 122 | 122 |
„Hast du noch jemand hier?" 124 | 124 |
Vollkommene Erlösung 126 | 126 |
„Fünf Worte." 139 | 139 |
Gedanken 141 | 141 |
Über das Erkennen des Willens Gottes 142 | 142 |
„Christus wohne in euren Herzen" 148 | 148 |
Paulus und Felix 149 | 149 |
'Der Vogel kennt seine bestimmte Zeit.' 153 | 153 |
„Sinnet nicht auf hohe Dinge!" 155 | 155 |
„Ich kenne die Meinen | |
und bin gekannt von den Meinen." | |
Gedanken über Johannes 11 159 | 159 |
Enthaltsamkeit 178 | 178 |
Der lebendige Vogel 185 | 185 |
Die unabhängige Gnade Gottes 191 | 191 |
Jesus am Schatzkasten 202 | 202 |
Der Brunnen zu Bethlehem 206 | 206 |
Betrachtungen über die zweite Ankunft des Herrn | |
I. 1. Thessalonicher 1 | 208 |
II. Epheser 1 | 221 |